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Alvar "Der Blutige"

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28.03.21 15:03
16 Ab 16 Jahren
Fertiggestellt

Wir sammelten Pilze für das jährlich anstehende Geistermondfest. Ein Ereignis, welches sich den Menschen am ersten Tag, wenn sich die Blätter der Bäume in prächtige Farben hüllten, offenbarte. Heute war es soweit und wie es die Tradition verlangte, sammelte man Pilze aller Farben und Formen für den Eintopf, welcher die Bäuche der Festteilnehmer wärmen sollte. Gewiss sind nicht alle Pilze für den Eintopf geeignet, man musste genau darauf achten, welches dieser sonderbaren Waldfrüchte man erntete. Zum fünfzehnten Mal nun erlebe ich dieses Fest mit, dass neunte Mal sammle ich nun schon mit meiner Mutter, meinen Schwestern Inda und Eva sowie allen anderen jüngeren Frauen unseres Dorfes Pilze. Die jüngeren Brüder und Väter hingegen jagen Wild für den Eintopf, während die starken und gesunden unserer Großmütter und Großväter im Dorf das Fest aufbauten. Ganz wie es die Tradition verlangte.

Der heutige Tag war nass und frostig, es ging ein leichter Wind welcher die Äste und Zweige der Bäume sachte anschubste und gerade so stark war, dass einige der bunten Blätter zu Boden schwebten. Das Laub unter meinen Füßen war feucht und vermischte sich mit dem aufgeweichten Waldboden. Dicke Nebelschwaden hangen in den Wimpfeln der Bäume, der Nebel war so dicht das man die das Ende der Bäume nicht mehr sehen konnte. Die Atmosphäre war klamm und von Stille erfüllt. Mir froren etwas die Hände, welche mittlerweile rot angelaufen waren. Meine Nase lief ständig, alles überschüssige was da rauskam schmierte ich mit einem Wisch meines Ärmels ab. Eingekleidet in einer blauen, selbstgestrickten, aus Filz bestehenden Haube, einem begen Unterkleid, einem braunen, schweren Filzkleid welches ich darüber gezogen hatte und einem weiten, braunen Mantel mit Kapuze dachte ich eigentlich, dass mir die Kälte nichts anhaben könne. Meine weißen, geschnürrten Beinlinge, die fingerlosen Handschuhe aus Schafswolle und meine mit Stroh und Heu gefütterten, juckenden aus Pferdeleder berstehenden dunkelbraunen Stiefel konnten den beißenden Frost nur etwas schmälern. Mein Blick wanderte zu meinem geflochtenen Korb. Meine Ausbeute an Pilzen war überschaubar, der meiner Mutter hingegen beinahe Randvoll. Ich blickte zu meinen Schwestern Inda und Eva, der Korb von Inda gleichte meinem, der von Eva gleichte dem Korb unserer Mutter.

‚‚Du musst dich mehr anstrengen Tara, ansonsten bekommst du kaum was vom Eintopf ab.’’

Sagte Eva, meine ältere Schwester zu mir. Sie hatte wohl meinen Blick bemerkt.

Ich nickte nur und sammelte frierend weiter. Tatsächlich wird jeder Korb überprüft, die, die mehr gesammelten haben bekommen auch mehr Eintopf, denn die gelten demnach als fleißiger. So ist es auch bei den Männern. Mein Vater und mein Bruder, tauchten in meinen Gedanken auf. Sie haben durch den Nebel bestimmt Probleme auf der Jagt. Hoffentlich verletzt sich keiner.

‚‚Inda bleib in der Nähe!’’

Brüllte plötzlich meine Mutter und ich zuckte zusammen.

‚‚Tara bitte sieh nach deiner Schwester und hole sie zurück.’’

‚‚Ja Mutter.’’

Inda, meine jüngere Schwester die erst zum zweiten Mal dabei ist, muss natürlich für aufsehen sorgen. Jetzt muss ich meine Ernte wegen ihr unterbrechen, die kann was erleben. Ich stapfte ihr hinter her.

‚‚Inda!’’, rief ich. ‚‚Inga komm sofort zurück!’’

Sie rannte mir zwischen den Bäumen davon, ich hörte sie kichern und stapfte trotzig mit meinem mittlerweile schweren Korb in meinen Armen hinter her. Sie machte mich wütend, ich versuchte meine Wut aber zu zügeln.

‚‚Du sollst doch nicht soweit weg von der Gruppe, komm sofort zurück Schwester!’’

Inda rannte weiter, warf ihren Korb zu Boden und tanzte zwischen den Bäumen umher.

‚‚Fang mich doch Tara, na los!’’

‚‚Ich habe keine Lust Inda, komm zurück oder du bekommst nichts vom Eintopf!’’

Ich blieb an ihrem zu Boden geworfenem Korb stehen und sammelte die Pilze ein, die aus ihrem Korb gefallen waren. Als ich wieder zu ihr auf sah streckte die blöde Kuh mir die Zunge raus. Jetzt reichte es mir. Behutsam und extra langsam stellte ich meinen Korb neben ihren, mit einer ebenso langsamen Bewegung richtete ich mich wieder auf, dann ein Satz nach vorn und ich rannte los. Sie erschreckte und tänzelte lachend vor mir weg. Ich hätte sie auch so mit Leichtigkeit erwischt, aber Inda stolperte über eine Wurzel und fiel auf den matschigen Waldboden. Ich konnte mir das Lachen nicht verdrücken.

‚‚Lach nicht Tara, dass hat weh getan!’’

Motzte Inda nun wütend, ja fast weinerlich und kam mit stampfenden Schritten auf mich zu. Als sie vor mir stand fing sie an schmollend und mit geballten Fäusten wild auf mich einzuschlagen, wie süß sie doch ist wenn sie sie sich ärgerte.

‚‚Na komm, zurück zur Mutter sie macht sich schon Sorgen du Wicht.’’

Ich war vor ihr in die Hocke gegangen um ihr den Schmutz und ein paar Tränchen aus dem Gesicht zu wischen die ihr über ihre dreckige, etwas verschürfte Wange liefen. Als ich mich aufrichtete erschreckte ich und mich versetzte es in eine Schockstarre. Vor meinen Augen, zwischen den Bäumen stand eine Gestalt, vom Nebel gänzlich eingehüllt. Es war ein Mann, großgewachsen, mit einer hässlichen Narbe im Gesicht die sich über sein linkes Auge zog, welches weiß wie der Nebel selbst war und mich bedrohlich anfunkelte. Der Mann grinste, sein Blick, eine Mischung aus Kälte und Verrücktheit. Wie ein tollwütiges Tier, nur ohne den Schaum vor dem Mund. Dafür war sein Mund und seine Zähne Blut verschmiert.

‚‚Was ist Schwester?’’

Fragte mich Inda nun, immer noch weinerlich und nun auch etwas ängstlich.

‚‚Nicht nach hinten sehen!’’, zischte ich bebend. ‚‚Nicht...tues einfach nicht Inda!’’

Sie fing an zu weinen, leise und drückte sich an mich. Ich merkte wie auch mir die Tränen eisig die Wangen herunter kullerten. Dann kehrte der Mann um und verschwand im Nebel.

‚‚Renn Inda, renn so schnell du kannst und weich mir nicht von der Seite, los!’’

Ich packte ihre kleine, zärtliche Hand und wir rannten los so schnell Inda konnte, vor lauter Angst ließen wir unsere Körbe zurück.

‚‚Beruhigt euch Kinder, beruhigt euch. Helna, wir sammel uns hier, hole bitte alle hier her, niemand darf zurück bleiben. Wir gehen als Gruppe zurück zum Dorf.’’

Sagte meine Mutter und ließ alle Frauen und Kinder zusammen trommeln. Ich hatte von dem Mann im Nebel berichtet und damit für Aufregung gesorgt.

‚‚Das hast du gut gemacht Tara, du hast deine Schwester nicht alleine gelassen, ich bin stolz auf dich.’’

Meinte meine Mutter zu mir, umarmte mich und meine Schwester Inda kurz fest. Ihre starken Arme und Wärme zu spüren schenkte mir ein Gefühl der Sicherheit.

‚‚Die Frauen und Kinder sind versammelt Merva.’’

Meldete kurze Zeit später Helna, eine starke, etwas breitere gebaute Frau mittleren Alters mit faltigem, rauem Gesicht und tiefer Stimme welche, wie wir alle, in einfacher, aber effizienter Kleidung gekleidet war. Ich nahm Inda an der Hand, meine Hand hingegen packte Eva, sie schnenkte mir ein tapferes Lächeln, doch ich sah Züge der Angst in ihrem Gesicht. Verständlich, Angst hatten wir nun alle, auch Mutter, ich spürte es.

‚‚Gut, wir kehren zurück zum Dorf, folgt mir!’’

In einer dicht gedrängten Kolone marschierten wir auf matschigem Pfade zurück zum Dorf, dass Wetter hatte sich etwas verschlechtert, denn es fing an zu regnen.
Glücklicherweise gab es keine Vorfälle auf dem Heimweg, nur war ich bei der Ankunft daheim nun wirklich durchgefroren und zitterte wie das Ästenlaub des Waldes im Wind. Das Dorf, Holzhäuser, die meisten davon Höfe, besaßen dicke Strohdächer, Kräutergärten und Tiere wie Schweine, Ziegen, Kühe, Hühner und vieles mehr. Es gab einen Dorfbrunnen und ein kleiner Bach der sich durch unser Dorf schlängelte. Erst in diesem Sommer hatten die Männer zum Schutz vor wilden Tieren oder schlimmeres eine etwa zehn Fuß hohe Palisade um das Dorf errichtet. Jeder zog sich in sein Heim zurück, auch die Älteren hatten sich bereits in die Hütten zurückgezogen. Daheim entzündeten wir direkt ein Feuer und entledigten uns von den nassen Klamotten um sie zu trocknen.

‚‚Vater ist noch nicht zurück.’’, sagte Eva besorgt. ‚‚Sollte er nicht schon hier sein?°’

‚‚Er wird schon noch kommen Inda, keine Sorge.’’

Beruhigte Mutter sie und legte Holz aufs Feuer nach.

‚‚Eva hole mir bitte einen Topf mit Wasser, wir machen uns und unseren Männern etwas warmes zu Essen. Benutze den Schnee vor der Tür falls wir keines mehr hier haben sollten. Tara und Inda helft mir beim kochen.’’

Mutter hielt kurz inne und blickte uns an während der Regen draußen stärker wurde.

‚‚Keiner geht vor die Türe bis unsere Männer wieder zurückkehren, habt ihr das verstanden?’’

Ihr strenger Blick fixierte uns der Reihe nach, aber bei Inda zog sie ihre Augen noch enger zusammen.

‚‚Verriegle die Tür wenn du das Wasser hast Eva.’’

Gesagt getan, wir packten alle mit an, auch wenn ich bereits die Müdgkeit in meinen Knochen spüren konnte und die Angst mich noch immer lähmte.

Der Regen hatte sich zu Eisregen verwandelt, als solcher wütete er draußen und wuchs in seiner Kraft. Mittlerweile stürmte es und der Wind pfeifte durch die Löcher und Ritzen unseres Hauses, unheilvoll, wie Geister die durch die Lüfte huschten. Wir schlürften am Tisch die wärmende, wässrige Hafersuppe welche wir mit Kräuter verfeinert hatten und dazu jeder etwas Brot verschlingte.

‚‚Dieser Mann im Nebel, kanntest du ihn?’’

Fragte mich Eva und biss gerade ein Stück ihres Brotes ab.

Ich schüttelte stumm den Kopf, Gänsehaut überkam mich als ich an die Fratze des Unbekannten denken musste.

‚‚Hör auf Fragen dazu zu stellen Eva.’’

Meinte Mutter mit strengem Unterton und schlürfte leise ihre Suppe.

‚‚Du hast doch nicht etwa einer der bunten Pilze gegesen, oder? Hab gehört man soll davon Geister sehen können.’’

‚‚Eva!’’

Meine ältere Schwester verstummte, Inda hingegen erschrack als Mutter ihre Stimme erhob.

‚‚Iss Tara, die Suppe wird kalt.’’ Mutter schnipste mich aus meinem Tagtraum oder eher Alptraum auf. ‚‚Die Männer werden bald zurückkehren, keine Sorge.’’
Sie zeigte mit ihrem Finger auf meine Schüssel, ich aß weiter.

‚‚Du scheinst dir jedenfalls keine Sorgen zu machen Mutter’’, sie sah leicht schnaubend zu Eva auf als diese anfing zu sprechen. ‚‚Woran das wohl liegt.’’

‚‚Wage es nicht Eva, halt dich aus den Angelegenheiten zwischen mir und deinem Vater raus.’’

Eva taxierte Mutter mit einem abwertenden Blick. Bitte, bitte jetzt nicht streiten!

‚‚Ihr versucht alles vor uns zu vertuschen, aber ich bin kein kleines Kind mehr Mutter. Wir sollen unsere Arbeit verrichten und nicht zuhören, das mag bei Inda und Tara funktionieren aber bei mir nicht.’’

Nun, auch ich bekomme es mit wenn sie sich zacken. So schwer ist es ja auch nicht, bei der emotionalen Kraft in ihren Lungen. Auch ich verstehe worum es geht, nur Inda wahrscheinlich noch nicht. Diese saß still da, mit einem Brot in der Hand, schmatzend und kauend mit großen Augen den Worten unserer Mutter und Schwester lauschend.

Mutter senkte ihren Blick zurück auf ihre Schüssel und aß weiter, zitternd.

‚‚Du hast ihn betro...’’

PATSCH! Mutter hatte blitzschnell mit ihrer rechten Hand ausgeholt und Eva, ihrer ältesten Tochter eine satte Ohrfeige verpasst. Entgeistert sah ich zu Mutter, es wurde still, selbst das schmatzen von Tara verstummte. Zu hören war nur noch der Regen und der Sturm. Eva hielt sich ihre rot anfärbende Wange, perplex starrte sie zu Mutter und Tränen begannen ihre Augen zu benetzen. Mutter hielt ihre Schlaghand, voller Scham und Unglaube.

‚‚Hure.’’

Hauchte Eva nur, dann liefen auch schon die Tränen über ihre Wangen. Sie stand ruckartig auf und verließ den Tisch weinend. Ich saß da, traute mich nicht einmal zu schlucken, so still war es geworden.

‚‚Nun...geht ins Bett Kinder, es ist schon spät.’’

Mutter ließ ihren Holzlöffel in die Schale fallen und wischte sich ebenfalls die Tränen aus dem Gesicht. Sie nahm Inda bei der Hand und kehrte dem Tisch ebenfalls den Rücken. Ich blieb zurück, immer noch perplex, mit strauchelden Gedanken und einem mir plötzlich überkommenden Gefühl der Leere und Angst. Mein Herz begann zu beben, zu Bett gehen, jetzt? Heute Nacht werde ich wohl keinen Schlaf finden.

Ich erschrack und riss meine Augen auf als es pollternd an der Türe klopfte. Ich war wohl doch, nach langer herumwälzerei, eingeschlafen. Sofort erfasste mich ein Schwall von Kälte und Klammheit und ich begann zu frieren.

Es klopfte erneut.

‚‚Merva, bist du da?’’

Die vertraute Stimme von Helna war dumpf zu vernehmen, wie immer hörte sie sich eher wie ein Mann, wie als eine Frau an. Aber auch ihre Statur ähnelte die eines Manes eher. Mutter schürte das Feuer und reagierte nicht, genervt stand Eva auf und ging zur Tür.

‚‚Was gibt es Helna?’’

Hörte ich Eva sie fragen als sie die Tür geöffnet hatte. Ein Sonnenstrahl hüllte Eva ein und tauchte sie in ein helles weiß, sie sah aus wie eine schmenhafte Gestalt, wie ein Geist.

‚‚Ist deine Mutter zu sprechen?’’ Fragte Helna gewohnt strikt und einfach gehalten.

Eva schien zu Mutter zu schielen und richtete ihr Blick dann wieder auf Helna.

‚‚Was gibt es Helna?’’

Fragte nun meine Mutter die stämmige Frau. Es wurde noch kälter und ich schlenderte zu Inda hinüber um nachzuschauen ob sie in Ordnung war, etwas das ich tat seit sie damals verschwunden war, weggelaufen aus Angst vor Vater und vielleicht auch vor Mutter. An jedem Tag hatten sich beide so sehr gestritten, dass mein Vater handgreiflich wurde, zum ersten Mal. Danach war der Streit zwar beendet, doch dann kehhrte Trauer und Angst in das Haus ein.

‚‚Unsere Männer sind immer noch nicht heimgekehrt, die Frauen versammeln sich im Langhaus, Tagur will zu uns sprechen.’’

‚‚Wir werden kommen, danke Helna.’’

Die Tür fiel zu und Eva drehte sich zu Mutter. Es schien als wolle sie was sagen, doch sie ballte nur ihre Fäuste und begann sich schweigend anzuziehen. Auch ich und Tara bkleideten uns, die Sachen waren immer noch etwas feucht. Sie rochen nach Wald, Pilzen und Rauch.

‚‚Wir versorgen die Tiere später, kommt gehen wir.’’

Draußen strahlte die noch tief am Himmel stehende, rot, goldene Sonne auf ein Meer aus weißer, glitzernder Pracht. Es hatte geschneit und das so viel, dass der Schnee bis zu meinen Knien reichte. Dies war nichts ungewöhnliches zu dieser Jahreszeit, doch heute sollte das Geistermondfest stattfinden und da Schnee eher hinderlich. Es war ruhig, es war schön und dennoch verspürte ich Angst um meinen Vater und meinem Bruder. Angst vor dem Mann mit blutiger Fratze. Der Weg zum Langhaus füllte sich mit den anderen Frauen, den Alten, den Müttern, den Töchtern und den ganz kleinen unter uns. Die Stimmung war trüb und die Sorgen in den Gesichtern der Ehefrauen, Töchter und Schwestern verankert, wie auch in meines und in die meiner Familie. Im Langhaus war es warm, fast zu warm, wir suchten uns einen guten Platz von dem wir Tagur gut erkennen konnten. Die stand bereits im Mitten des Raumes, schlenderte um die große Feuerstelle und ließ ihren stechenden Blick durch die Menge der Anwensenden gleiten. Tagur, eine junge Frau, etwas älter wie Eva, war recht groß, hatte braunes langes Haar, grüne, große Augen und eine kleine Nase. Ich fand sie hübsch, sie hatte ein zärtliches, weiches Gesicht und dennoch, die meiste Zeit war ihr Blick kalt, ernst und ehrfürchtig. Sie galt nicht nur als die schönste Frau im Dorf, sondern auch als die weiseste von uns allen. Obwohl sie so jung war, war sie für uns wie eine Mutter. Selbst die Männer respektierten sie ehrfürchtig.
Tagur trug ein graues, ausgeranztes, ärmelloses Kleid das eine Kapuze besaß. Darunter, um ihren Kopf trug sie einen ledernen Reif, woran Knochen und Zähne befestigt waren. Ihr Kleid besaß einen tiefen Ausschnitt, um ihre Hüfte wurde das Kleid mit einem Seil zusammengehalten, dieses war ebenfalls beschmückt mit Knochen und Zähnen sowie Ketten mit Holzkugeln und bunten Federn. Sie hatte um ihren Hals so viel Ketten aus Federn und anderem hängen, dass ihr Ausschnitt damit komplett verdeckt war. Besonders auffallend war der kahle Schädel eines kleinen Widders, der um ihren Hals baumelte. Zudem hatte sie am ganzen Körper Bemalungen, die Zeichen von Göttern und Geistern darstellten, meistens in weißer Farbe. Turga ging Barfuß, denn nur so konnte sie als Schmaninen eine Bindung zu den Naturgottheiten aufbauen. Ich war beeindruckt von den Schamaninen, von ihrem Wissen und ihrem Selbsbewusstsein. Doch es gab einige Dinge die ich gruselig an ihnen fand, ihre rituellen Gesänge, wenn sie Blut von Tieropfer tranken und vor allem wenn sie Menschen opferten.

‚‚Die Männer sind verschwunden, ich kann ihre Gegenwart nicht mehr spüren.’’

Tagurs klare, scharfe Stimme richtete sofort alle Aufmerksamkeit auf sich.

‚‚Heute Nacht heulten keine Wölfe, krächzten keine Raben und es gab auch keinen Gesang der Eulen. Ich rief die Götter an, die ganze Nacht, doch der Wind von Selmen blies meine Gebete hinfort. Stattdessen’’, ihr Blick schärfte sich deutlich. ‚‚Sah eines unserer Kinder einen Geist im Nebel.’’

Ein Raunen ging durch das Langhaus und Blicke richteten sich auf mich. Mir wurde ganz heiß und ich bekam schwitzige Hände. Dann traf mich der Blick von Tagur, als ob sie gewusst hätte wo ich stand. Ihr Blick durchbohrte mich, ich konnte sie in mir spüren, in meinen Gedanken.

‚‚Unheil, du hast großes Unheil gesehen mein Kind.’’

Mutter hielt mich als ich taumelte und mir beinahe schwarz vor Augen wurde. Mein Herz pochte, mein Kopf fühlte sich an als ob jemand von innen gegen meine Schädeldecke schlug, mit einem riesigen Hammer! Dann war alles vorbei und meine Gedanken ordneten sich langsam wieder.

‚‚Sie sah ihn im Nebel, ein Geist mit blutigem Maul und schmäumenden Wahnsinn.’’

‚‚Was hat das alles zu bedeuten Herrin? Leben unsere Männer, Brüder und Söhne noch? Kommen sie zurück zu uns?’’

Es wurde laut in der Halle, die Anwesenden verlangten nach Antworten und Gewissheit. Tagur hob ihre Hand und das Gemurmmel ebbte ab.

‚‚Selmen verwehrte mir mit den Göttern zu sprechen, wenn er zornig ist, ist das ein böses Omen. Die Tiere des Waldes blieben heute Nacht in ihren Bauten und Verstecken, weshalb ich nicht durch sie sehen konnte.’’

Enttäuschte Laute erklangen und die Gesichter wurden noch finsterer, man konnte uns allen die Angst um unsere Männer ansehen,

‚‚Wir müssen sie im Wald suchen, ohne die Männer und deren Gaben kann das Geistermondfest nicht stattfinden. Ohne sie haben wir keine Zukunft. Wir...’’

Tagur verstummte und ihr Blick schweifte zur großen Eingangstüre des Langhauses. Erst jetzt vernahm ich das aufgeregte Bellen von Hunden, dass von draußen zu uns durch stieß.

‚‚Das sind die Wachhunde!°’

Sagte Helna und wie auf Befehl stürmten alle nach draußen, voller Freude auf ein Wiedersehen mit den Männern. Auch wir stürmten heraus, als ich zurück blickte blieb nur eine Frau mit ernster Mine im Langhaus stehen, Tagur.

Wir rannten alle durch den tiefen Schnee zum Tor. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und ich war mindestens genauso aufgeregt wie die Hunde, die unabdingbar bellten. Wir versammlten uns vor dem Tor, es war geschlosen und verriegelt. Einige der Frauen begannen die Hunde zu beruhigen.

‚‚Ist da wer? Wen ja, sprich!’’

Rief Helna und wir warteten gespannt auf eine Antwort.

‚‚Ich bin es Haldvir, wir sind zurück!’’

‚‚Götter!’’

Hauchte meine Mutter und war den Tränen nahe, auch ich spürte wie meine Augen nass wurden. Einige Frauen um mich herum fielen auf die Knie und dankten den Göttern oder lagen sich weinend vor Erleichterung in den Armen. Helna und zwei weitere Frauen gingen zum Tor und öffneten es für unsere Männer. Haldvir, unserer Anführer brachte unsere Männer endlich heim. Kaum war das Tor einen Spalt offen, rannten die ersten Frauen los. Dann vernahm ich ein krächzen, ein Rabe schwebte über unsere Köpfe, die Hunde begannen fast zeitgleich wieder zu bellen und diesmal auch zu knurren.

‚‚Bei den Göttern, haltet ein!’’

Schrie plötzlich Turga von hinten, erst sah ich zu ihr zurück, bemerkte ihr entsetztes Gesicht, ein zu seltener Anblick, irgendwas stimmte nicht. Ich blickte zurück zum Tor, sah Haldvir und mindestens zwanzig weitere Männer hinter ihm. Alles rückte in den Hintergrund, verblasste und wurde dumpf als ein Schwert aus dem Mund von Haldvir rackte. Die Männer hinter ihm waren nicht die unseren, ich sah, aus welchem Grund auch immer genauer hin und erkannte einige Köpfe unserer Männer, an ihren Gürteln hängen und auf Speere gespießt!
Erste panische Schreie, Haldvir kippte tot nach vorne in den Schnee, hinter ihm tauchte die Fratze jenes Mannes auf, welche ich damals im Nebel erblickt hatte. Mir schnürrte es beinahe die Luft ab ihn wieder zusehen, er sah füchterlich aus. Sein Mund blutverschmiert, mit einem wahsinnigen Blick in den Augen, schäumend im Blutrausch wandelnd. In seiner rechten Hand das blutverschmierte Schwert, dann warf er das Beil in seiner linken Hand. Dieses Beil blieb mit einem knackenden Geräusch im Gesicht von Helna stecken.

‚‚Lauft, lauft um euer Leben!’’

Hörte ich nur noch jemand schreien. Chaos brach aus, ich sah nur noch wie die Meute auf uns los stürmte und begann, die Frauen und Hunde zu erschlagen. Ich war wie angewurzelt, bis meine Mutter mich von der Stelle zog und mit sich riss. Wir rannten wie von den Göttern gejagt, um mich Schreie, Frauen die zu Boden stürzten, um Gnade winselten, verletzt oder tot. Dann schwirtten Pfeile durch die Luft, einer davon traf Eva die vor mir lief und durchschlug ihren Hals.

‚‚Nein!’’

Schrie ich weinend als ich sah, wie sie Blut gurgelnd und mit weit aufgerissenen Augen zu Boden fiel.

‚‚Renn weiter Tara, renn weiter!’’

Schrie meien Mutter voller Verzweiflung, ihr Gesicht vom Schock und Schmerz entstellt. Sie nahm meine Hand und hatte Inda auf ihrem Arm, wir ranntenm, meine Lunge brannte, mein Herz raste. Dann rempelte jemand von der Seite meine Mutter um, Inda landete irgendwo im Schnee und Mutter stürzte auf mich zu Boden. Mir stockte der Atem als ich mit meinem Gesicht im Schnee eintauchte, dass Gewicht meiner Mutter auf mir. Dann wurde Mutter von mir runter gezogen, ich sprang auf, nach Luft schnappend, war benommen. Ich sah wie Inda von einem Mann in den Schnee gedruckt wurde und dieser sie zu würgen schien.

‚‚Renn Tara, RENN!’’

Hörte ich meine Mutter von irgendwo schreien, ich erblickte sie, sie lag mit dem Gesicht unten im Schnee, zwei Männer auf sie drauf, einer saß auf ihren Rücken, hatte ihren rechten Arm auf ihren Rücken gebogen und stand mit seinem Fuß auf ihrem linken Arm. Ein Ruck, ihr rechter Arm formte sich unnatürlich und sie schrie unter Tränen. Der andere Mann verging sich an ihr, sabbernd und wild. Dann stürzte ich wieder zu Boden, einer hatte sich ebenfalls auf mich geschmissen und begann seine Daumen mir in die Augen zu drücken. Ich schrie vor Schmerzen, versuchte mich zu wehren, doch vergeblich. Ich tatstete mit meinen kleinen Händen nur sein Gesicht ab, dann biss er mir in einen meiner Finger. Ich merkte wie zwischen seinen Zähnen mein Finger schmerzhaft zu knacken begann und warmes Blut sich an meiner Hand herunter schlängelte. Plötzlich ließ er von mir ab und begrub mich unter sich. Meine Augen, ich konnte sie kaum öffnen, ein ziehender Schmerz wie wenn sie verklebt wären. Ich bekam keine Luft, Panik brach in mir aus und ich zappelte wie ein Käfer der auf dem Rücken lag. Nach einer halben Ewigkeit wurde der Körper des Mannes wurde von mir runter gewuchtet und das Gesicht von Turga erschien vor mir. Sie half mir hoch und stieß mich hart nach vorn, ich begann sofort zu rennen, so schnell mich meine Beine tragen konnten. Um mich herum Chaos, Blut, Tod und Verderben. Ich sah nach hinten, Turga war nicht mehr zusehen. Panisch eilte ich zur Palisade, irgendwas hatte ich im Augenwinkel erspäht, ganz sicher war ich mir nicht. Doch da! Ein schmaler Schlitz in der Palisade, ich überlegte nicht lange und begann mich hindurch zu quetschen. Hinter mir immer noch Gebrülle und Geschreie. Ich hatte solche Angst, ich blieb stecken, verdammt mein vorderes Bein wollte nicht durch. Ich ließ mich intuitiv nach vorne fallen, konnte dann aber mein Körper nicht mehr auffangen und purzelte den Hang hinter der Palisade hinunter. Unten angekommen merkte ich, wie linkes Bein einen pochen, stechenden Schmerz ausstrahlte.

‚‚Dich kriege ich auch noch kleines Mädchen, ja! Deine Mutter wird mir schmecken, sobald sie meinen Jungen zur Welt gebracht hat, wird sie mir schmecken, ja!’’

Schrie einer der Männer der sein dreckiges Gesicht durch den Spalt drückte. Er lachte wie besessen. Die Schmerzen und Erschöpfung verdrängend stolperte ich weiter. Mir wurde schlecht und mir tat alles weh, vor allem mein Finger, der stark blutete. Doch ich rannte, sah panisch immer nach hinten ob mich jemand verfolgte und war erleichtert, als ich den Waldrand erreicht hatte.
Ich stieß nachdem ich durch einen Busch gestolpert war gegen etwas hartes. Ich fiel auf meinen Hintern und sah verdutzt um mich. Meine wirren Gedanken strömten durch mich hindurch, mein Herz pumpte, mir schmerzte alles. Doch was ich nun vor mir sah, hatte ich noch nie gesehen und überhaupt nicht erwartet. Ein Tier, mit grauem Fell, großen Ohren das eine Ähnlichkeit mit einem Pferd hatte und mich ebenfalls verdutzt aus seinen großen, schwarzen Augen anstarrte, zappelte aufgeregt und brüllte laut. Erst danach erblickte ich den Mann der neben dem unbekannten Tier stand, hochgewachsen in einem langen Mantel gehüllt und eine große Kapuze ins Gesicht gezogen. Dieser beruhigte das Tier zugleich, in dem er ihm etwas zu flüsterte und sanft streichelte. Ich versuchte mich aufzurappeln und merkte, dass ich immer noch weinte.

‚‚Bitte, bitte...tut...mir nichts, bitte.’’

Bettelte ich kniend, zitternd vor Erschöpfung. Der Mann sah mich finster, aber dennoch mit einem Hauch von wärme in seinen Augen an. Dann tauchte ein anderer Mann auf, ein Mann so groß und breit wie ein Bär, mit langem schwarzem Haar, grünen Augen und schwarzem, langen Vollbart. Er hatte eine gewaltige Axt geschultert. Doch es kamen noch mehr, zwei Männer mit zwei großen Bögen, beide Schlank, der eine mit einer Kapuze über den Kopf, der andere mit einer einfachen, braunen Haube und da waren noch mehr, die langsam, nach und nach aus dem Gebüsch kamen.

‚‚Bei Odjard, was ist denn mit dir geschehen Mädchen?’’

Fragte mich der Bärenmann und ging vor mir in die Hocke.

‚‚Ich...mein Dorf...es waren Männer, viele. Sie haben meine Mutter...meine Schwester...’’

Stammelte ich, schnappte nach Luft und weinte, ich konnte es einfach nicht glauben, ich wollte es nicht glauben.

‚‚Ruhig Kind, alles Gut wir versorgen dich, schnell holt Marlin!’’

Meinte der Bärenmann, der andere zog seinen Mantel aus und legte diesen mir um. Sofort spürte ich die Wärme, eine wohltuende Abwechslung.

‚‚Ein Überfall also, könnte er das sein?’’

Fragte einer der Bogenmänner jemanden.

‚‚Alvar "der Blutige", ja das muss er sein.’’, meinte der Bärenmann mit seiner tiefen, grollenden Stimme. Er klang besorgt. ‚‚Wir versorgen sie, wenn sie zu kräften gekommen ist soll sie uns zu ihrem Dorf führen.’’

‚‚Nein.’’, sagte ich und fasste mir mein meine letzte Hoffnung und Mut. ‚‚Ich führe euch sofort hin...es ist nicht weit...ich flehe euch an, helft mir.’’

Die Männer sahen sich etwas verdutzt an, nun erschien ein weiterer, älterer Mann, dieser trug einen Stab bei sich und sah von allen am freundlichsten aus. Der Mann welcher mir seinen Mantel gab setzte mich auf das Tier. Götter, ich weiß nicht wieso, aber ich vertraute den Männern um mich. Ich war einfach froh keine Menschen mit Blut verschmierten Mäuler zusehen. Ich spürte wie erleichtert ich war, dennoch blieb ich vorsichtig.

‚‚Meinte Güte, du musst dringend versorgt werden Mädchen.’’

Meinte der ältere Mann und begutachtete mich, als er meine Hand berühte die voller Blut war, zog ich diese sofort zurück.

‚‚Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken. ich muss mir deine Wunden ansehen, wenn ich dich heilen soll.’’

Vorsichtig streckte ich meine Hand zu ihm aus, nachdem ich seinen warmen Blick als vertraulich erachtet hatte.

‚‚Gut, dann führe uns zu deinem Dorf Mädchen.’’

‚‚Tara...’’, sagte ich kleinlaut mit erstickter Stimme. ‚‚Mein Name ist Tara.’’

Das Tier begann nach einem kurzen Pfeifton des verschwiegenen Mannes sich in Bewegung zu setzen.

Ende.

Autorennotiz

Diese Geschichte und alle darin vorkommenden Personen, Orte sowie Ereignisse sind Teil von einer mir geschaffenen Welt, welche wiederum zu einem großen Projekt von mir gehört.

Konstruktive Kritik ist erwünscht.

Viel Spaß! :)

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Kapitel: 4
Sätze: 343
Wörter: 4.914
Zeichen: 27.986

Kurzbeschreibung

Tara, ihre Familie und das Dorf, welches im hohen Norden liegt, werden Opfer eines vermeintlichen Geistes und seiner Meute.