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Erik - Die Unsterblichen

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27.01.18 20:58
16 Ab 16 Jahren
In Arbeit




Macon Ordeals Schritte halten vom Metall der Silberbrücken wieder. Unter ihm schimmerte das Land im Mondlicht. Flüsse leuchteten wie geschmolzenes Silber, Wälder und Wiesen waren große, dunkelgrüne Schatten in der Tiefe. Die fliegende Stadt lag ruhig da, die meisten Laternen, die in den Straßen brannten waren längst erloschen und nur ab und an konnte man einen Blick auf eine Gruppe Prätorianer erhaschen, die die Straßen patrouillierten. Macon kümmerte sich nicht groß um sie, sondern beschleunigte seine Schritte, vorbei an dem großen Platz des Kaiserfriedens, wo Banner und Wappen gefallener Reiche im Wind wehten. Einen Moment wurde er doch langsamer und bewunderte die stummen Zeugnisse, der Triumphe seiner Ahnen. Manche der Banner waren alt und längst von der Welt verschwunden, mottenzerfressene Dinger, die bald wohl völlig zu Staub zerfallen würden. Andere jedoch konnte man auch heute noch in den Rängen der Vasallen des Kaisers finden. Seines Vaters… Und auch von ihm würde man eines Tages erwarten, dass er dieser großen, öffentlichen Ruhmeshalle ein paar neue Wappen hinzufügte. Er lächelte über den Gedanken. Die Herrschaft seines Vaters war friedlich gewesen. Aber nun war Caius ein alter Mann. Noch immer mächtig und gefürchtet, aber der junge Mann spürte, dass die Zeit näher rückte, in der er ihn auf dem bernsteinthron ablösen würde. Und er… er strebte nach mehr…

Der Boden des kreisrunden, von Flaggen bestandenen Platzes, war mit einem riesigen Mosaik aus Marmor ausgelegt. In dessen Zentrum, umringt von den Wappen und inmitten von in Stein gefangenen Gesichtern von Fürsten und Königin, prangte das  Banner seiner eigenen Familie. Auf schwarzem Grund ein Drache aus weißem Stein. Nach fast einem Jahrtausend der Herrschaft noch immer ungebeugt und ungebrochen, seit dem Tag an dem er zum ersten Mal in den Himmel Cantons gestiegen war.

Macon riss sich schweren Herzens schließlich von dem Anblick los. Er war ohnehin bereits zu spät und wenn sein Vater  eines verachtete, dann war das Unpünktlichkeit. Trotz aller Güte, die ihm das Volk nachsagte, die einfachen Leute mussten sich ja auch nicht direkt dem Zorn eines Kaisers stellen. Macon grinste über diesen Gedanken, während er über die letzte Brücke ging. Das silbrige Gewebe unter seinen Füßen reflektierte das Mondlicht, glänzte so hell wie ein Stern, obwohl es nie poliert wurde. Die Magie, die die ganze Stadt durchzog war mit jedem Schritt spürbar, ein leichtes Kribbeln an den Fußsohlen, an das man sich nur schwer gewöhnte.

Der Kaiserpalast ragte vor ihm auf, eine Stadt mitten im Herzen der eigentlichen Stadt, umlaufen von weißen Mauern. Gewaltige Türme und Bauwerke streckten sich, breiten Fingern gleich, gen Himmel als wollten sie nach den Sternen greifen, die am klaren Himmel schimmerten. Das Tor am Ende der Brücke stand weit offen und führte auf einen kleinen Vorplatz hinaus. Ein mit Steinplatten ausgelegter Weg führte im Schatten mehrerer Birken hin zum eigentlichen Tor des Palastes. Marmorsäulen trugen ein großes Vordach unter dem eine kurze Treppe hinauf zum Portal führte. Den wachsamen Augen der Prätorianer entging nichts, während Macon ihre Reihen passierte. Es war wohl ein Wunder, das sie ihn überhaupt erkannten und nicht anhielten. Er war erst vor weniger als einer Stunde in die Stadt und war den ganzen Weg geritten. Er war verschwitzt, seine Kleider waren schmutzig von Staub, der leichte Panzer den er trug mit Kratzern übersäht. Der braune  Schulterumhang, den er trug wies Flicken auf… aber das Schwert an seiner Seite war scharf und sauber und der Stahl tödlich. Das war worauf es ankam. Sollte sein Vater ruhig sehen, dass er den Ruf seines Erzeugers und Lehnsherrn ernst nahm. Auch wenn er sich fragte, was der Grund dafür sein mochte.

Noch vor einigen Monaten  hatte er eine Kampagne nach Hasparen geführt, nachdem es unter dem Reitervolk zu einer blutigen Rebellion gegen das herrschende Imperium gekommen war. Normalerweise hätten die örtlichen Garden der Sache ein schnelles Ende bereitet, aber manche waren tatsächlich in das Lager der Aufständischen übergelaufen. Und so hatte der Kaiser Macon entsendet um ein Exempel zu statuieren. Was sie bei ihrer Ankunft gefunden hatten, war eine Herrschaft des Blutes. Loyale Anhänger des Kaisers hingeschlachtet, Dörfer geplündert und die Rebellen hatten sich in alle Winde zerstreut. Sie waren kaum mehr als Banditen und herrenlose Kosaken, tausende von ihnen allerdings, die eine Schneise der Verwüstung durch das Land zogen.

Macon und seine Männer hatten dem ein Ende bereitet und die Leute wieder unter den Schutz des Kaisers gestellt. Imperiales Recht war streng. Macon konnte sogar verstehen wieso manche sich dagegen stellen mochten, … aber es war recht und brachte Sicherheit. Und jeder, der es bedrohte konnte sich des vollen Zorns des Kaisers gewiss sein. Die Leute hatten sie gefeiert, erinnerte Macon sich. Ihn vor allen Dingen, nachdem er den letzten Hetman  der Plünderer gestellt und im Zweikampf besiegt hatte.  Für die Leute war er ein Heiliger gewesen und man hatte sie die kleine Siedlung um die das letzte Gefecht stattgefunden hatte, fast nicht mehr verlassen lassen wollen. Und dann hatte es noch ein paar Mädchen gegeben, die ihre Dankbarkeit sicher noch ganz anders ausgedrückt hätten… Leider hatte er ihren Dank nicht mehr genießen können, nachdem der Bote seines Vaters eingetroffen war um ihn in die fliegende Stadt zurück zu beordern. Und doch hatte er ihm keine Gründe für diese Eile nennen können. War eine weitere Rebellion ausgebrochen? , fragte er sich. Wenn ja, durfte Macon sich wohl schon einmal auf einen weiteren, langen Ritt einstellen. Aber das war der Preis, den man als Erbe des Kaisers zahlte. Sicher hätten seine Geschwister genauso darauf gebrannt  sich zu beweisen. Nun… zumindest einige. Aber er war das Gesicht, das die Leute kennen und respektieren mussten. Oder eben fürchten.

Seine goldene Garde wartete noch unter der Stadt in der Tiefe und folgte dem Tross aus Händlern und Handwerkern, welche die fliegende Stadt versorgten und auf ihrem langsamen Weg über das Land begleiteten. Goldene Garde war der Name, den man ihnen in Hasparen gegeben hatte, weil die Männer begannen sich in den Monaten immer mehr im Stil der Rentier und Pferdezüchtern zu kleiden, die das Land größtenteils bewohnten. Gelbe Schals und Streifenkleider und die mit einem goldenen Drachenemblem verzierten Panzer hatten ihr übriges getan. Und nachdem sich ihnen immer wieder Männer aus der Bevölkerung der Provinz anschlossen blieb der Name einfach hängen. Eigentlich waren sie nur ein weiteres Husaren-Regiment des Kaisers gewesen, aber der Name hatte nicht nur den Männern gefallen und so hatte Macon ihn schließlich offiziell als Titel  an sie verliehen, nachdem die Provinz befriedet war. Sie waren jetzt seine Leute, nicht nur irgendwelche Gardisten. Er hatte mit ihnen Blut vergossen, mit ihnen getrunken… und nun wartete wieder das Leben im Palast auf ihn, falls der Kaiser ihn nicht erneut entsendete. Ein Teil von ihm sah den ganzen Annehmlichkeiten erleichtert entgegen. Alleine die Möglichkeit endlich mal wieder ein ordentliches Bad zu nehmen entlockte ihm ein Lächeln. Der andere jedoch vermisste die rauen Tage und Nächte in der Taiga und das noch rauere Land bereits ein wenig.

So In Gedanken versunken bemerkte er erst gar nicht, wie ihm sich jemand näherte, während er die Stufen zum Tor erklomm. Erst, als sich eine Hand auf seine Schulter legte, wirbelte Macon schließlich herum, eine Hand bereits am Schwertgriff. Ein älterer Mann mit verblassenden, blonden Haaren sah ihm entgegen.  Narben zerfurchten das Kin bis über die Lippen und hinauf zur Nase, das Werk eines Streitkolbens, der dem Mann einst den Kiefer zertrümmert hatte. Grau-grüne Augen musterten den jungen Prinzen scheinbar teilnahmslos, doch Macon wusste, das sich dahinter ein scharfer Verstand verbarg.

Er lächelte und nahm die Hand von der Waffe. ,, Hauptmann Lionel… die Götter mögen mich verfluchen, wenn ich je herausfinde , wie ihr euch in dem Ding so leise bewegen könnt.“ Macon ließ den Blick über die dunkle Rüstung des Prätorianers wandern. Schwarze, von silbernen Linien abgetrennte Panzerplatten formten ein dichtes Geflecht, das kaum mehr offene Lücken aufwies. Lediglich an Armen und Knien schimmerte ein Kettenhemd an den Gelenken durch. Ein vergoldeter Schwertgriff, dessen Parierstange auf der  einen Seite als Löwen und auf der anderen Seite als Adlerkopf stilisiert war, schimmerte an seiner Hüfte. Macon hatte ihn einmal gefragt, woher die Waffe eigentlich stammte, denn in den Waffenkammern des Palastes fand sich kaum etwas Vergleichbares. Lionel jedoch schwieg sich geflissentlich darüber aus, was bereits zu einigen Gerüchten geführt hatte, die der alte Hauptmann jedoch wortlos über sich ergehen ließ. Statt schwarz wie bei den übrigen Prätorianern in der Stadt, trug Lionel Belfare jedoch den weißen Mantel des Hauptmanns, auf dem in schwarzen Nähten der Drache der Ordeal prangte. Den dazugehörigen Topfhelm mit den hoch aufragenden Hörnern trug er jedoch unter den Arm geklemmt, während er mit der freien Hand noch immer Macons Schulter gepackt hielt. Sein Lächeln verblasste, als der Mann ihn auch nach mehreren Augenblicken noch nicht frei gab.

,, Ihr solltet heute nicht hier sein,  Junge. Götter, ihr seid zu spät und vielleicht ist das gut so. Wenn ihr einem alten Mann einen Gefallen tun wollt… geht nicht dort hinein.“

,, Mein Vater hat mich rufen lassen…“

,, Euch und alle eure Geschwister. Sie waren vor euch da.“ Irgendetwas in der Stimme des alten Hauptmannes ließ Macon aufhorchen. Seine gute Laune erstarb langsam, genauso wie sein Lächeln.

,, Heißt das, er hat bereits einen von ihnen ausgesandt ?“ Den Weg umsonst gemacht zu haben, wäre wirklich bitter. Vor allem wenn das hieß, das einer seiner Brüder jetzt den Ruhm einfahren konnte, während er hier festsäße… anstatt mit zwei Schönheiten im Stroh. Macon seufzte, als er den Arm des Hauptmannes schließlich wegschlug. ,, Sagt mir schon endlich was los ist…“
,, Ihr wisst sein Wort ist uns Prätorianern Heilig.“ Lionel musste nicht lange erklären, wer er war. Das Wort des Kaisers war für die Prätorianer Gesetz und als seine Leibgarde nahmen sie von niemand sonst Befehle an. ,, Das gilt selbst gegenüber euch. Er wird es euch selber sagen, aber… er hat nichts davon erwähnt, das ich euch nicht warnen dürfte. Geht, ich bitte euch. Noch ist Zeit.“

,, Ihr sprecht in Rätseln. Ich werde Vater selbst fragen, was eigentlich in euch gefahren ist.“ Mit diesen Worten wendete er sich von dem alten Mann ab und hechtete die letzten Stufen hinauf. Es hieß ja, dass alte Menschen gerne etwas wunderlich wurden, aber solche Geheimniskrämerei hatten weder der Kaiser noch Lionel je für nötig gehalten. Die Flügeltüren waren nicht verschlossen und ließen sich ohne Probleme aufziehen. Selbst die Scharniere gaben keinen Laut von sich, gab es doch ganze Heere an  Handwerkern und Dienern, deren einzige Aufgabe es war, jeden Teil des Palastes in Schuss zu halten. Umso mehr überraschte Macon , das er sich im Dunkeln wieder fand.

Normalerweise wurden  die großen Marmorhallen und Korridore des Palastes von einer Unzahl Fackeln und Kerzen erhellt, so dass es selbst mitten in der Nacht fast taghell blieb. Doch die große Vorhalle die er betrat war finster. Lediglich ein halbes Dutzend bereits weit heruntergebrannte Kerzen beleuchteten die hohen Buntglasfenster und die kostbaren Teppiche, die Rot und Gold  und Blau schimmerten. Ihr Polster schluckte das Geräusch seiner Schritte, während die Türen lautlos wieder hinter ihm zuglitten.  Wo waren die Diener? Normalerweise müsste man seine Rückkehr bereits erwarten. Ein Dutzend Leute würden bereitstehen um ihn seine alten Sachen abzunehmen, ihm Essen und Wein zu bringen und ein Bad vorzubereiten… aber die Halle war leer. 

Ein kalter Schauer überlief ihn, vielleicht eine erste Vorwarnung auf das, wovor Lionel ihn hatte warnen wollen. Macon verscheuchte diese Gedanken so schnell wie sie kamen. Vielleicht war das auch nur die Art seines Vaters ihn für die Verspätung zu rügen. Das wiederum sähe dem alten Ordeal durchaus ähnlich, ihn sprichwörtlich im Regen stehen zu lassen. Götter, er würde sich eine schöne Standpauke anhören dürfen, dachte er grinsend, als er seine Schritte hinaus aus der Halle und in Richtung Thronsaal lenkte.

 Die Korridore des Palastes waren allesamt höher als sie breit waren und die gewaltigen Fenster, die sich in einer Reihe irgendwo über seinem Kopf entlang zogen erzeugten die Illusion, dass man sich winzig vorkam. Unbedeutend. Auch hier brannte kaum Licht, doch Macons Augen gewöhnten sich langsam an das Dunkel und so fand er seinen Weg sicheren Schritts, vorbei an Bankettsälen, Bibliotheken, Bädern und Unterkünften für Gäste und die Prätorianer. Mittlerweile war er sich sicher, dass er ernsthaft den Zorn seines Vaters auf sich gezogen haben musste, wenn er ihn derart durch die Finsternis stolpern ließ. Erneut beschleunigte er seine Schritte um wenigstens etwas verlorene Zeit wieder gut zu machen. So jedoch, stolperte er fast über den ersten Körper.

Macon wurde langsamer, als der die schattenhafte Gestalt bemerkte, die vor ihm hingestreckt auf dem Boden lag. Mit dem Kopf zu ihm gerichtet, sah es beinahe so aus, als wäre sie beim Rennen gestolpert und danach einfach liegen geblieben. Aber nur beinahe… Macon konnte das Blut riechen, ein Geruch der ihm nur zu vertraut war. Verwirrt und entsetzt gleichermaßen mache er einen Schritt rückwärts und erstarrte e dann kurz, wo er war. Es kostete ihn Überwindung, weiter auf den unbekannten Toten zuzugehen. Der Mann lag auf dem Bauch, eine kleine Blutlache hatte sich um ihn herum gebildet und die kostbaren Roben durchtränkt die er trug. Grüne und goldene Fäden bildeten ein kunstvolles Rankenmuster darauf und zu seinem wachsenden entsetzen kam sie Macon bekannt vor.

Langsam hockte er sich neben den Toten und drehte ihn auf den Rücken. Seine Brust war nur noch ein schwarzer Krater. Flammen hatten das Fleisch bis auf die Knochen hinab verbrannt und dabei Organe und Innereien versengt. Aber das Gesicht… das Gesicht war unversehrt.

Grüne Augen, von der gleichen Farbe wie seine eigenen sahen ihm entgegen, die Haare genau so dunkel wie seine eigenen…. Aber der Mann war deutlich jünger, hatte nicht einmal seinen siebzehnten Sommer erlebt.

,,  Merin ?“ Er flüsterte den Namen seines Bruders nur. Eine Unzahl Fragen blitzten durch seinen Geist. Wie ? Warum ? Und vor allen… Wer ? Und dieses leise Gefühl von Verlust, das nach ihm griff, irgendwo im hinteren Winkel seines Verstandes. Er und seine Geschwister waren nicht unbedingt in Liebe zueinander aufgewachsen. Immer hatten sie gewusst, dass  nur einer von ihnen am Ende den Thron besteigen würde. Und er als erstgeborener war allzu oft Ziel all ihres Neids gewesen… Aber Merin ? Merin war der Zauberer gewesen, ein Bücherwurm, niemand der je den Thron wollte. Und vielleicht einer der wenigen seiner Brüder mit dem ihm etwas verband.

War es ein Unfall gewesen? Ein dummer, missglückter Zauber ? Aber wieso lag er dann hier? Wieso hatte ihn noch niemand entdeckt? Macon wusste nicht, wie lange er über der Leiche seines Bruders kniete. Er konnte hier nichts mehr tun. Der Körper war kalt. Und er würde Vater die Nachricht überbringen müssen… aber das musste er längst wissen. Was für ein makabres Schauspiel sollte das hier werden?

Er stand auf und hastete weiter, den Gang hinab in Richtung Thronsaal, wo man ihn erwarten musste. Plötzlich wünschet er sich, er hätte auf Lionel gehört oder hätte den alten Hauptmann der Palastwache zum reden gebracht… Und dann entdeckte er die zweite Leiche. Im Gegensatz zur ersten lehnte sie an der Wand und ihr halber Oberkörper fehlte. Von ihrem rechten Arm war nur die verkohlte Hand geblieben, die ein Stück neben ihr lag und einen Dolch umklammert hielt. Blut , das bereits zu bräunlichen Flecken trocknete, klebte an der Klinge.

Trean , dachte Macon düster. Der Zweitgeborene. Nein, er verspürte keine Trauer, als er an der Leiche vorbei zog. Nur wachsende Verwirrung.  Was war hier bloß geschehen?

Der Thronsaal war jetzt nicht mehr weit, doch ehe das Portal zum Bernsteinthron in Sicht kam, stieß er auf eine dritte Leiche.

Mida… Seine jüngere Schwester war in einem Wirbel aus Röcken und Stoffen zu Boden gegangen, doch auch die weißen Pelzumhänge und das blaue Kleid, das sie trug verbargen die Blutflecke nicht. Die Wunden waren nicht groß, aber es waren viele. Stiche. Von einem Dolch… Wie den, den Trean in der Hand gehabt hatte. Und Trean war von einem Zauber getroffen worden… Götter, hatten sie sich alle gegenseitig umgebracht? War es das? Wenn ja, verdächtigte sein Vater etwa ihn, sie aufgehetzt zu haben?  In diesem Zusammenhang schien sein zu spät kommen tatsächlich wie ein Schuldeingeständnis. Aber warum würde man sie hier liegen lassen? Mit wachsendem entsetzten passierte er Körper, manche verbrannt, andere mit Stichverletzungen. Nur Überlebende fand er keine… Sein Herz raste, als er die Türen des Thronsaals erreichte und ohne einen Gedanken aufstieß. Er konnte hören wie ihm das Blut in den Ohren rauschte, seine Hand zitterte am Schwertgriff… Was immer hier geschehen war, er hatte nichts damit zu tun, doch dieser Ort schien dem Wahnsinn verfallen…

Der Thronsaal jedoch, lag wie eh und je vor ihm. Kurz blendete ihn das Licht tausender magischer Kristalle, die in ihren Fassungen entlang der Wände und in den großen Säulen glühten, welche das Dach der Halle trugen. Ein täuschend echtes Gemälde des Abendhimmels war daran gezeichnet worden, so dass es wirkte, als befände man sich tatsächlich im Freien und die Säulen würden einfach ins Nichts ragen. Und im Zentrum der Halle schließlich, ragte der Bernsteinthron auf. Auf einem niedrigen Podest aus Marmor gelegen, schien der Sitz aus Honigfarbenen Stein von innen heraus zu leuchten. Eine Aussparung in der Rückenlehne, in der eine einzelne, rotgoldene Kristallkugel schwebte, schien jedem, der darauf saß, einen künstlichen Heiligenschein zu verleihen. So wie er dies auch jetzt bei Caius Ordeal tat… Graue Haare rahmten eine hohe Stirn ein, die jedoch von tiefen Falten zerfurcht war. Doch trotz des Alters wirkten seine Gesichtszüge nach wie vor nobel und  waren die grauen Augen ungetrübt und intelligent. Oder besser, sie waren es gewesen. Nun blickten sie stumpf und scheinbar ins Leere.

Der Kaiser musterte seinen letzten lebenden Sohn scheinbar ohne großes Interesse. Macon jedoch trat ohne langsamer zu werden bis an die Stufen zum Thron heran. Seine Hand hatte sich um den Schwertgriff zur Faust geballt. Entsetzen und Wut pochten in seiner Stirn.

,, Was bei allen Göttern ist hier geschehen ?“

,, Nur, was notwendig war.“ Die Stimme des Kaisers jagte ihm einen Schauer über den Rücken, während dieser sich langsam erhob. Die Gestalt des Kaisers schluckte das Licht, das vom Thron auszugehen schien und einen Moment meinte Macon sogar, so etwas wie einen Schatten hinter ihm zu sehen, scharf geschnittene Konturen aus reiner Dunkelheit.  Grade stand er da, in den purpurnen Ornat seines Amtes gehüllt. Ein goldener Reif mit einem einzigen, klaren Juwel, in seiner Mitte lag auf Caius Stirn.

Macon fand sich unfähig, sich von der Stele zu bewegen. Alles in ihm schrie, wegzulaufen oder seinen Vater wenigstens zu Rede zu stellen, ihn alle seine Anschuldigungen an den Kopf zu werfen, doch statt Worten kam nur ein erstickter Laut über seine Lippen.

Langsam schritt der Kaiser die Stufen vor dem Thron hinab, bis er direkt vor Macon Ordeal stand. Nur noch eine Stufe trennte sie und so musste Macon den Kopf heben um ihm in die Augen zu sehen. Und in diesem Moment geschah es. Irgendwie… flackerte die Form des Kaisers einen Moment, als würden die Schatten die Macon schon vorher bemerkt hatten dichter werden und seine eigentliche Gestalt durchsichtig. Dahinter kam etwas zum Vorschein, das ein Mensch sein mochte oder auch nicht. Im ersten Augenblick meinte Macon, die Gestalt müsse Flügel haben, bis ihm klar wurde, dass sie lediglich einen Umhang aus dunklen Rabenfedern trug.  Die Haare waren von der gleichen, pechschwarzen Farbe, die fast jedes Licht zu schlucken schien aber die Augen… sie waren nicht tot und stumpf wie die des Kaisers, sondern von einem sanften blau und tatsächlich fand Macon keinen Hass und  keinerlei Bosheit  darin… nur so etwas wie Trauer und Mitleid. Doch hielt dies die Gestalt offenbar nicht von ihrem Tun ab. Der kurze Moment war vorbei und vor ihm stand wieder sein Vater, oder wohl besser, das Ding das vorgab sein Vater zu sein. Langsam hob er eine Hand… und dann wurde Macon plötzlich rückwärts gerissen, während eine Feuerlanze über ihn hinwegging und einen Moment selbst das Licht der Kristalle überstrahlte. Er konnte die Hitze auf seinem Gesicht spüren, bevor er auf dem Boden Aufschlug. Eine zweite Gestalt hatte sich dort aufgebaut, wo wenige Augenblicke zuvor noch er gestanden hatte. Der weiße Umhang und die dunkle Panzerung, die  sein Retter trug, waren unverkennbar. Lionel…

Der alte Prätorianerhauptmann hatte sich seinem Kaiser mit erhobenem Schwert in den Weg gestellt. Die auf der Klinge und am Heft  eingelassenen Runen schienen von selbst zu glühen.

,, Verschwindet hier.“ , rief er Macon zu, während er die Waffe auf die Gestalt des scheinbar unbewaffneten Herrschers schwang. Doch Caius blieb nur unbeeindruckt stehen, während die Klinge mit einem hohen Laut gegen eine Barriere in der Luft prallte. Funken stoben auf. Magie… Manche Menschen fürchteten sich genug vor Zauberei um bei ihrer bloßen Erwähnung in Panik zu verfallen. Nicht so Lionel. Unbeeindruckt riss er die Waffe zurück und schlug erneut zu, mit dem gleichen Ergebnis. Das Schwert stoppte mit einem Ruck wenige Fingerbreit vom Hals des falschen Kaisers entfernt.

Maco gelang es unterdessen endlich sich aus seiner Erstarrung zu lösen. Ein Teil von ihm wollte dem alten Prätorianer helfen und wusste doch bereits, dass er keine Chance hatte. Auch zusammen nicht. Der andere, größere, war von Furcht getrieben. Er verstand nicht, nichts hiervon. Seine Geschwister waren tot, sein Vater ganz offensichtlich nicht mehr hier, falls er überhaupt noch lebte… Langsam rappelte er sich auf, ging rückwärts auf die Tür zu, bevor er schließlich anfing zu rennen. Hinter sich konnte er das Klirren des Schwerts hören, sah Feuer auflodern, dessen Hitze ihn selbst bei seiner Flucht noch die Haare auf den Armen versengte. Und immer noch stand Lionel auf den Beinen und wich den Zaubern schneller aus, als man es ihm in seinem Alter zugetraut hätte.

Macon jedoch hatte die Tür erreicht und stolperte hindurch auf die dunklen Gänge. Hinter ihm ertönten ein lauter Schrei und das Geräusch von splitterndem Metall. Etwas Großes segelte an ihm vorbei und krachte gegen die Wand des Ganges. Die mit Marmor vertäfelten Mauern sprangen unter der Gewalt des Aufpralls, während Lionel daran zu Boden rutschte. Macon sah sofort, das er tot war. Seine Rüstung war gesplittert, als bestünde sie aus Eis, manche der Bruchstücke hatten sich tief in seinen Körper gegraben und Blut sickerte aus den tiefen, klaffenden Wunden hervor.  Sein Körper war seltsam verdreht, die Augen blickten so leer, wie die des Phantom-Kaisers…  Und doch hielten seine Hände noch immer das nun zerbrochene  Schwert umklammert. Einen Moment konnte Macon sich nicht überwinden, weiter zu gehen. Tief in seinem inneren wusste er, das es sinnlos war, das sie nur beide bereits tot währen, wenn er geblieben wäre und doch… Er hatte sich nie, nicht bis zu diesen Moment, als Feigling gesehen. Und doch stand er jetzt hier, war nur noch am Leben weil er fort gelaufen war. Und er würde noch weiter laufen müssen, wenn er diese Nacht überleben wollte.

Mit einer gemurmelten Bitte um Verzeihung nahm er dem toten Prätorianer das zerbrochene Schwert aus der Hand. Dann erst rannte er los und verschwand in den düsteren Gängen des Palastes, während irgendwo hinter ihm immer noch das Phantom wütete…

Stunden später schließlich fand er sich auf einer Wiese unter der fliegenden Stadt wieder. Um sich herum hatte Macon seine Männer gesammelt. Ernst und nur vom Mond beleuchtet wirkten ihre Gesichter unnatürlich bleich und ausdruckslos. Doch niemand hob die Stimme um ihn für verrückt zu erklären, nachdem er ihnen erklärt hatte, was geschehen war. Und niemand scherte aus, als sie sich schließlich auf Pferderücken auf dem Weg durch die finsteren Wälder machten. Die fliegende Stadt mit so wenigen zu attackieren, auch bei Nacht, wäre Wahnsinn. Immer standen Prätorianer bereit und dass sie im Zweifelsfall für den Kaiser einstanden, das hatte Lionel mit seinem Schweigen deutlich gemacht. Obwohl er gewusst hatte, was geschehen war… Nur am Ende hatte er sich wohl schließlich besonnen…   Und wer wusste schon ob die normalen Garden auf  Macon  hören oder ihm glauben würden. Vom Adel ganz zu schweigen. Diese Männer um ihn herum waren anders, sie kannten ihn und er kannte sie. Und er würde ihr und sein Leben nicht weg werfen. So gab es fürs erste nur eines, das er tun konnte, obwohl sein Herz schwer war von Trauer und Wut und Unverständnis und tausenden Fragen. Sie brachen auf ins Exil. Und er wusste nur einen Ort, an dem sie sichere Zuflucht finden könnten…

 




Der Wind  brachte verzerrten Gesang mit sich. Ein hoher, trauriger Laut, der von der kleinen Kapelle über dem Friedhof her hallte. Erik sah hinauf zu dem rechteckigen Steinbau, dessen zwei große gen Himmel ragten. Lichtstrahlen fluteten aus den hohen, mit Bildern von Heiligen, Unsterblichen und Göttern dekorierten, Fenstern hinaus auf die Wiese. Der flackernde Schein von tausend Kerzen verlieh diesen Sagengestalten fast etwas lebendiges, als würden sie sich langsam bewegen.

 Die einzige Lichtquelle jedoch, die sie hier hatten waren die zwei Laternen, die unter ihm in der Grube leuchteten, ihr doch soweit heruntergedreht, das es grade ausreichte den Grund aus aufgewühltem Erdreich zu erhellen. Das… und der große, rote Mond über ihnen, dessen Licht kaum ausreichte, die Dunkelheit zu erhellen, obwohl das Gestirn voll am Himmel stand. Dämonenmond nannte der Volksmund dieses Phänomen, das sich jedes Jahr im letzten Tag des Sommers zeigte. Erik musste zugeben, dass der fahle Schein etwas Beunruhigendes hatte, aber weder stellte es ein Portal zur Geisterwelt da, noch musste man sich davor fürchten. Die Gelehrten am Planetarium Varas hatten schon lange erkannt, dass es lediglich ein natürliches  Phänomen war, genau wie die wiederkehrenden Sonnenfinsternisse zu Beginn des Frühjahrs. Doch die unwissenden fürchteten das Licht und flüchteten sich in dieser Nacht in ihre Häuser und die Tempel, obwohl die Luft warm und angenehm war und eine laue Nacht versprach. Erik konnte es nur recht sein, bedeutete es doch schließlich auch, dass sie kaum jemand bei ihrem Tun stören würde. Niemand wagte sich unter dem Dämonenmond auf einen Friedhof. Nun mit Ausnahme von ihnen natürlich. Erneut fuhr der Spaten ins noch lockere Erdreich herab und die zweite Gestalt in der Grube beförderte eine Ladung Dreck nach oben, die Erik beinahe an der Schulter getroffen hätte. Ein paar Klumpen verfingen sich in seinen braunen Haaren und er wischte sie mit einem Grinsen weg.  Das Grab war frisch, noch keinen Tag alt und so ging die Arbeit schnell von statten. Neben ihm hatte sich bereits ein erstaunlich großer Erdhügel aufgetürmt und bald würden sie ihr Ziel erreicht haben.

,, Kommt schon, wir wollen hier schließlich nicht die ganze Nacht herum sitzen.“ , meinte Erik an die Gestalt in der Grube gerichtet. ,, Bevor die Leute aus der Kirche kommen, will ich hier weg sein.“

,, Du sitzt herum.“ , kam die Antwort in einem sarkastischen Tonfall. ,, Ich buddle. Und ehrlich gesagt weiß ich gar nicht wieso ich mich darauf schon wieder eingelassen habe. Wenn man uns entdeckt, hängen wir beide. Und meine Leute haben schon einen genügend schlechten  Ruf bei eurem Volk, ohne dass man uns auch noch für Grabräuber hält.“

,, Ich würde es wirklich nicht Grabräuberei nennen.“ Erik förderte eine dünne Tonpfeife aus der Tasche seines blauen Mantels hervor und begann sie sich zu Stopfen. ,, Und seit wann haben Gejarn Moral ?“

Das Licht einer der Laternen fiel auf das Gesicht des zweiten Mannes, das von dichtem, schwarzem Pelz besetzt war.  Augen wie Kohle, die in der Dunkelheit dennoch zu glühen schienen, sahen ihn entgeistert an. Bei Tag hätte eines davon grün geschimmert, während das andere genau so dunkel geblieben wäre, wie jetzt.  Die Spitzen Ohren waren aufgerichtet, die Schnauze verzog sich. Für manche Menschen war es schwer die Mimik eines Gejarn zu lesen. Erik jedoch hatte sich mittlerweile daran gewöhnt und so überraschte es ihn nicht, dass ein Lächeln auf die Züge seines Begleiters trat. Eines, allerdings, das selbst wenn es so ehrlich gemeint war, wie jetzt, geeignet war, Kinder zu erschrecken. 

,, Wer behauptet, mein Volk hätte keine Moral ? Sie unterscheidet sich lediglich von eurer.“

,, Das will ich meinen. Man sagt auch ihr esst eure toten und tragt die Haut eurer Feinde.“

Der Wolf seufzte tief, während er erneut eine Ladung Erde genau an Erik vorbei warf. ,, Nur zu Information, ich habe nie die Haut meiner Feinde getragen.“

,, Nein, ihr habt euch nur einen Pfeil ins Knie von ihnen eingefangen.“

,, Und deshalb stehe ich jetzt hier und buddle Gräber wieder aus.“

,, Ich habe euch das Leben gerettet, ich hatte aber keine Ahnung, dass das heißt, das ihr mir den Rest meiner Tage hinterher lauft, Flohfänger. Dann könnt ihr euch wenigstens nützlich machen.“

,, Vielleicht haben Menschen also einfach eine Ehre ?“ Selbst im Dunkeln konnte er das Grinsen des Wolfs blitzen sehen. Immerhin, er war intelligenter als die Hälfte der Bevölkerung des Imperiums. Vielleicht hatte er ihn deshalb über die letzten Monate so schätzen gelernt.

,, Schweigt und grabt.“ Erik entzündete seine Pfeife und der junge Mann hockte sich  an den Rand der Grube.

,, Zu Befehl, Herr.“ Erneut flog eine Schaufel voll Erde an ihm vorbei, diesmal jedoch knapp genug, das einige Brocken auf ihn nieder rieselten. Erik schüttelte sich , als die feuchte Erde einen Weg unter seine Kleidung fand.

,, Vielleicht hätte ich mir doch Handschuhe aus euch machen sollen, als ich noch die Gelegenheit hatte. Ihr seid ein großer Hund, verdammt. Euch sollte das doch Spaß machen. Stellt euch einfach vor, ihr würdet ein paar große Knochen ausgraben… nun genauer gesagt, das tut ihr ja auch.“

,, Sagt mir noch einmal warum ich das hier tue ? Eure Götter sind mir egal, aber Ihre Geister werden das nicht verzeihen…“

Bei den Worten des Gejarn schienen die Laternen kurz zu flackern. Erik kniff kurz die Augen zusammen. Vermutlich hatte er sich nur getäuscht. Oder der Wolf machte ihn auch schon paranoid.

,, Nun wenn es eure Geister wirklich gibt, dann verstehen sie sicher, dass ihre Körper einem guten Zweck dienen. Sie sollen halt nicht so kleinlich sein, könnt ihr ihnen das von mir ausrichten?“

Der Wolf antwortete nichts, sondern arbeitete nur eine Weile weiter, bis seine Schaufel schließlich auf Holz stieß. Erik schnappte sich derweil eine zweite Schaufel, die neben ihm am Rand der Grube lag und sprang nach unten um die letzten Reste Erde über dem Sarg zu entfernen.

,, Für einen Arzt scheint ihr euch wirklich zu sehr für die toten zu interessieren.“

,,  Noch bin ich keiner. Und die Lebenden Schreien wenn man sie aufschneidet. Das stört.“ Unter der Erde kam nun der Deckel eines einfachen, aus geschliffenem Holz gefertigten, Kas6tens zum Vorschein. Die Scharniere waren vernietet und mit einem schloss gesichert worden, aber damit hatte Erik bereits gerechnet. Einen Tag vor dem Dämonenmond wollten die Leute ihre Toten gerne sicher verwahren, rechneten manche sonst doch mit nächtlichen Besuchen. Rasch beförderte er eine große Eisenstange und einen Hammer aus einem Gebüsch neben dem Grab hervor und reichte sie an den Wolf weiter

,, Wenn ihr so freundlich währt.“ , setzet er an, doch ehe er sich noch ganz herum drehen konnte, fiel sein Blick auf eine Reihe von Lichtern, die sich über einen Weg zwischen den Grabsteinen näherten. Sofort duckte er sich und zog den Wolf mit sich herab, während dieser die Laternen noch weiter herumdrehte, bis nur zwei Glutpunkte im Dunkeln bleiben. Mit angehaltenem Atem beobachteten sie, wie das Licht näher kam. Es schwankte hin und her, mit jedem Schritt seines Trägers. Eine weitere Laterne… Erik warf einen Blick hinauf zum Tempel. Durch die Türen, die nun offen standen, strömten weitere Leute ins Freie. Die Messe musste vor wenigen Augenblicken geendet haben. Aber was trieb jemanden dazu, in dieser Nacht den Weg über den Friedhof zurück nach Vara anzutreten?

Wer immer dort ging, war jetzt so nah, dass Erik seine Schritte auf den mit Kies ausgestreuten Wegen hören konnte, welche den Friedhof durchzogen. Und Lachen… Es waren zwei Personen, ein junger Mann und eine Frau, die aneinander gelehnt und eng umschlungen über den Weg schlenderten. Der Mann beugte sich zu seiner Begleiterin herüber und ehe sie etwas dagegen tun konnte, hatte er ihr einen Kuss auf die Lippen gegeben. Erneut hallte kichern durch die Dunkelheit, während die beiden sich wieder entfernten, wohl um noch weiter vom Tempel und den anderen Menschen fort zu kommen und sich ein ungestörtes Plätzchen zu suchen. Erik grinste, während er die Laternen wieder entzündete, nachdem er sicher war, das die beiden fort waren.

,, Nun ich glaube nicht, das die uns stören wollen.“ , meinte er. Wenn störten sie wohl sie, wenn sie nicht vorsichtig waren.

,, Ihr Menschen seid seltsam. Wie kommt man auf die Idee seine Partnerin zu einem Ruheplatz für die Toten zu bringen?“

,,  Aus dem gleichen Grund , warum wir sie heute ausgraben. Hier ist niemand.“

,, Ihr Menschen habt außerdem ein sehr seltsames Schamgefühl.“ , bemerkte der Gejarn trocken, ehe er sich wieder dem Sarg zuwendete und begann, die Scharniere mit Hammer und Meißel zu bearbeiten. Die Lumpen, mit denen sie das Metall umwickelten, dämpften den Lärm etwas, trotzdem hielt Erik die Augen offen, besonders, während die restliche Prozession aus dem Tempel sich langsam zerstreute. Die meisten gingen in kleinen oder größeren Gruppen, alle mit Laternen um die Dunkelheit zu vertreiben. Auch wenn es ein Tor zur Stadt auf der anderen Seite des Friedhofs gab, würden die meisten das Gelände wohl umrunden um dann durch das große Haupttor nach Vara zurück zu kehren.  Außer dem Pärchen von eben mussten sie sich wohl keine Sorgen über eventuelle Besucher machen. Endlich gab das Metall mit einem krachenden Laut nach und der Sargdeckel sprang beiseite und enthüllte eine in Leinen eingewickelte Gestalt. Statt Grabesgeruch und Verwesung schlug ihm der Duft von Ölen und Rosen entgegen.  Die Leinentücher schwammen geradezu in Parfümen. Wer immer der arme Kerl hier gewesen war, Arm zumindest war er nur in dem Sinne, das er tot war. Nun, Erik sollte es egal sein. Stumm gab er seinem Begleiter ein Zeichen, den Körper aufzuheben: Der Wolf lud  sich das schwere Leinenbündel über die Schultern, während Erik bereits aus der Grube kletterte und ihm half, ebenfalls nach oben zu kommen.

Mittlerweile waren auch die letzten Lichter in der Kirche und auf der Wiese davor erloschen. Erik und der Wolf machten sich langsam auf dem Rückweg zum der Stadt zugewandten Tor des Friedhofs. Niemand kam ihnen entgegen und das einzige Geräusch, das Erik hörte stammte vom Wind, ihren Schritten und einigen Ratten, die sich aufgescheucht in die Büsche entlang des Pfads verkrochen. Zumindest hoffte er inständig, dass es bloß Ratten waren. Die Biester waren riesig und vermehrten sich wie die Pest in den Kanälen und Abflüssen, die Vara durchzogen.   Noch immer schien der Dämonenmond über ihnen und tauchte alles in düsteres, rotes Licht. Grabsteine. Langsam fiel die Anspannung jedoch von ihm ab, als endlich das schmiedeeiserne Tor in Sicht kam. Sie hatten es geschafft und waren nicht entdeckt worden und im Schatten eines großen Baumes, dessen Zweige über den niedrigen Zaun hingen, der den Friedhof umlief, stand bereits ihr Wagen. Es war ein großes, hässliches Teil aus dunklem Holz, das mit schweren Planen abgedeckt war, aber es erfüllte seinen Zweck. Und der war, das sie nicht mit einer Leiche auf dem Rücken nach Vara zurückkehren mussten. Aberglaube hin oder her, der Patrizier der Stadt ließ keine Wachschichten ausfallen und so würden die Tore auch um diese späte Stunde noch besetzt sein. Rasch zog Erik eine der Planen über den Körper, während sein Begleiter begann, Säcke voll mit Getreide darüber zu stapeln. Zwei Männer mit einem Karren um diese Zeit währen auffällig genug, ohne dass man direkt den Leichnam entdeckte, der sich darin verbarg. Normalerweise hätte Erik auch noch einige fuhren heu und Kräuter dazu gepackt, doch mit den ganzen Ölen, mit denen der Leichnam präpariert worden war, konnte sie sich das wohl schenken.  Im Zweifelsfall konnte er wohl immer noch ein Zündholz auf den Wagen fallen lassen und das ganze würde brennen wie Zunder.

Er lächelte bei dem Gedanken, gleichzeitig jedoch hoffte er inständig, dass es gar nicht erst soweit kommen würde. Das hier war jedes Mal ein Risiko, aber eines, das es wert war. So  eine Gelegenheit wie heute war selten genug und ihm bleiben ohnehin nur noch wenige Tage. Dann würde er seine Prüfung vor den Gelehrten der Universität ablegen um sich den Titel eines anerkannten Heilers zu verdienen. Und vielleicht… bot sich dann auch eine Gelegenheit sie von seiner ganz eigenen Arbeit zu überzeugen. Langsam machten sie sich auf den Weg, fort vom Friedhof und hinab zu einem der Nebentore Varas. Erik ging voraus, während der Wolf grummelnd den Wagen zog und der Mond langsam in Richtung Horizont sank.

 




Die Räder des Karrens kullerten über einige Steine hinweg, die aus dem Bett des ausgetretenen Feldwegs ragten, dem sie folgten. Der Friedhof und der Tempel waren bereits hinter ihnen im Dunkeln verschwunden. Hecken rahmten den Pfad ein, der einen gewundenen Hügel hinab in Richtung der Stadt führte, die in der Tiefe schimmerte. Vara war eine der größten Siedlungen in den Herzlanden, auch wenn sie im Vergleich zu manch anderer Stadt im Kaiserreich eher klein war. Die weiß getünchten Fassaden der Häuser schimmerten rosa im Mondlicht und die zahlreichen Kanäle und Wasserläufe, welche Vara durchzogen hatten die Farbe von frischem Blut angenommen. Straßenlaternen flackerten verloren im dunkel, nur begleitet von Licht, das noch hinter einigen Fenstern brannte und dem ewigen Schein aus den großen Fenstern der Universitätshallen. Jene lagen fast am anderen Ende der Stadt auf einem großen Hügel, so dass die Bauten alles überragten, wie es anderorts eine Burg tun mochte. Die großen Bibliotheken schliefen nie. Immer waren auch nachts noch einige gelehrte unterwegs um das Tagewerk ihrer Kollegen zu Ende zu führen oder Bücher und Schriftrollen wieder an ihren Platz zurück zu bringen. Die hohen Kupferdächer spiegelten den Mond wieder und vermutlich hatten sich auch einige der Astronomen heute in den Planetariums-Hallen eingefunden um das Schauspiel zu begutachten. Die meisten Gebäude waren erst vor grade einmal sechzig Jahren entstanden, als der Kaiser befahl, ein Zentrum des Lernens und des Wissens für das gesamte Reich zu finden und zu gründen. Warum seine Wahl ausgerechnet auf Vara gefallen war, würde wohl niemand je ganz verstehen, doch aus dem verschlafenen Provinznest war seitdem genau das geworden. Mittlerweile kamen gelehrte aus allen Winkeln des Canton-Imperiums hierher und auch von weiter fort aus den freien Königreichen.  Selbst einen Wanderdichter aus Laos hatte man hier schon begrüßen können, auch wenn der Mann nur kurz geblieben war. Wohl auch, weil die Gelehrten ihn mit Fragen über seine Heimat bestürmten, obwohl der arme Kerl wohl nichts weiter gesucht hatte, als eine ruhige Unterkunft.

Um die Stadt herum lagen große Felder, die jetzt am Beginn des Herbstes voll mit goldenen Ähren standen. Angeblich konnte man von hier bis zum Erdschlund gelangen, ohne einmal etwas anderes zu sehen, als gelbe Halme, die sich im Wind wiegten. Die Herzlande, die Vara kontrollierte, bildeten die sprichwörtliche Kornkammer des Imperiums, eine, die ein ständig wachsendes Heer und die Eroberungszüge von Caius Vorgängern hatte versorgen müssen. Und so waren vielerorts die Wälder, die dieses Land ursprünglich bedeckten zurück gedrängt worden um Platz für Ackerland zu schaffen. Etwas, das sich besonders die Gejarn nicht hatten gefallen lassen. Ihre Clans und Nomadendörfer gab es in den Herzlanden bereits lange bevor das Kaiserreich sich aus der Asche der alten Welt erhoben hatte. Zwischen ihnen und den Bauern kam es immer wieder zu kleinen Konflikten und auch blutigen Überfällen beider Seiten aufeinander. In Gedanken sah Erik zu seinem schweigenden Begleiter. Insgeheim fragte er sich, ob der Wolf, den er damals mit einem Pfeil im Bein gefunden hatte, nicht bei einem Überfall auf einen Farmer verletzt worden war.

Schweigend setzten sie ihren Weg durch die Felder fort, bis schließlich eines der Nebentore Varas in Sicht kam. Die Mauern ragten glatt und abweisend in den Himmel, hoch und leicht nach hinten versetzt , je höher sie wurden, um die Gebäude dahinter vor Beschuss von den umliegenden Hügeln aus abzuschirmen. Wie Erik bereits zuvor vermutet hatte, war das Tor zwar offen, wurde jedoch bewacht. Das schwere, doppelte Fallgatter wirkte wie Zähne in einem schmalen  Maul aus grauem Stein. Zwei Wachhäuschen waren davor aufgebaut und vor jedem stand ein Mann in schwerer Plattenrüstung. Jeder der Männer trug das Sternenwappen Varas eingeprägt auf seiner Rüstung und in weißer Farbe auf dem Schild. Ein Speer und ein Kurzschwert vervollständigten ihre Ausrüstung.  Obwohl Vara eine vergleichsweise  kleine Siedlung war, unterhielt der Patrizier eine beachtliche Schutztruppe, alles in allem fast vierhundert Mann. Erik wusste, das mit denen nicht gut Kirschen essen war.  Die vielen jungen Leute die mit dem Aufschwung Varas in die Stadt strömten, betranken sich auch einmal und randalierten in den Straßen, doch sollten sie dabei das Pech haben, der Stadtwache unangenehm aufzufallen, endete das meist blutig. Varas Patrizier war ein Mann, der auf Ordnung pochte…

Die zwei Posten stellen sich ihnen in den Weg, als sie mit dem Wagen vor dem Tor hielten.

,, Halt.“

,, Sagt jetzt nicht ihr erkennt mich nicht längst ?“ Erik blickte den beiden Männern ins Gesicht. Ihm zumindest kamen sie vage bekannt vor, die halb offenen Helme, die sie trugen machten es allerdings schwer, sich da ganz sicher zu sein. ,, Ich wohne hier.“

,, Das mag sein, trotzdem kommt um diese Uhrzeit niemand mehr einfach so in die Stadt. Schon gar nicht mit einem Karren und…“ Der Posten kniff die Augen zusammen und musterte Eriks Begleiter alles andere als wohlwollend. ,, Einem wilden Gejarn.“

,, Was soll ich machen, ihm eine Leine anlegen, damit ihr mich rein lasst ?“ Erik sah die beiden Männer entgeistert an, während der Wolf nur irgendetwas murmelte, das ein wenig klang wie:

 ,, Wenn ich ihm nicht mein Leben schulden würde.“

,, Hört mal, der frisst mich, wenn ich das Versuche.“ Erik stemmte die Hände in die Hüften. ,, Ihr kennt doch….“ Erik runzelte die Stirn, bevor er sich zu seinem Begleiter herüber beugte. ,, Wie ist dein Name?“

Die Augen des Wolfs blitzten einen Moment im dunkelen,, Drei Monate und du hast es nie für nötig befunden mich danach zu fragen.“ Erik wusste nicht, ob die Stimme des Wolfs gelangweilt oder beleidigt klang. Vielleicht eine Mischung aus beiden. Die Stadtwachen jedenfalls verfolgten das ganz mit zunehmender Verwirrung.

,, Es gibt hier nicht viele Gejarn. Genauer gesagt bist du der einzige in der Stadt.  Es hat gereicht wenn ich dich Wolf nenne.“

Der Wolf gab einen Laut von sich, der bei einem Menschen wohl ein verzweifeltes Seufzten gewesen wäre, so jedoch eher wie ein winselndes Knurren klang.

,, Ich heiße Cyarkan.“

,, Cyar… Cy… Das kann ja kein Mensch aussprechen. Ich nenne euch Cyrus.“

,, Das ist nicht mein Na…“

Bevor der Wolf noch weiter protestieren konnte, hatte Erik bereits auf dem Absatz kehrt gemacht und sich wieder den beiden Wächtern zugewandt.

,, Also, ihr kennt doch mich und meinen Freund Cyrus. Der Arme hat sich bei einem Farmer in der Nähe verschuldet und damit ich nicht meinen Assistenten verliere musste ich ihm leider versprechen, seine Waren in die Stadt zu bringen und für ihn  zu verkaufen.“ Erik deutete auf den Stapel Säcke auf ihrem Karren. ,, Wirklich ihr habt keine Ahnung wie schlecht ein betrunkener Gejarn beim Würfelspiel ist. Ich habe noch nie jemanden so hoch verlieren sehen, der eigentlich keinen müden Heller besitzt. Und da der Mann versprochen hat, ansonsten sein Fell zu verkaufen, dachte ich wir bringen das ganze so schnell wie möglich in Sicherheit.“

Erik brauchte sich nicht umzudrehen um sich den zunehmend resignierten Ausdruck auf Cyrus Gesicht vorzustellen. Unterdessen war einer der zwei osten an den Wagen heran getreten und besah sich die Getreide und Stroh-Säcke einen Augenblick lang.

,, Das riecht nach Rosen.“ , stellte er eher überrascht als misstrauisch fest. ,, Euer Farmer stellt wohl auch Essenzen her ?“

,, Ja… Ja das tut er.“ , beeilte sich Erik zu bestätigen. ,, Können wir jetzt rein oder muss ich euch eine Flasche über den Kopf schütten ?“

Der Mann lachte bebend. ,, Meiner Frau würds gefallen, immerhin kann sie sich nicht mehr beschweren, das ich nach jeder Nachtschicht nach Bier reichend Heim komme. Seht schon zu, das ihr rein kommt.“

Erik amtete unmerklich auf, während er seinem Begleiter ein Zeichen gab. Mit einem mürrischen Brummen hob der Gejarn den Karren wieder an und folgte ihm durch das schmale Torhaus, hinein in die Straßen Varas.

,, Warum muss ich derjenige sein, der sich verschuldet hat ?“ , fragte der Wolf, sobald sie einmal außer Hörweite der beiden Wachen waren.

,, Weil sie das hören wollten. Jeder in den Herzlanden kann über einen Gejarn in Not lachen.“

,, Langsam verstehe ich immer mehr, wieso meine Art eure normalerweise meidet.“

Die Wege im Zentrum der Stadt waren gepflastert und da die gesamte Siedlung, mit Ausnahme der Universität, auf einer Ebene lag, kamen sie schnell voran. Wasserwege und Kanäle Schnitten die Straßen alle paar hundert Meter und erzeugten so ein großes Muster aus Recht und Vierecken, in denen sich die Häuser in ordentlichen Reihen gruppierten. Vara war nicht willkürlich gewachsen, wie die meisten anderen Städte sondern gezielt mit dem Aufbau der Universität.  Der Dämonenmond stand mittlerweile nur noch knapp über dem Horizont und der erste graue Schimmer zeigte sich in der gegenüberliegenden Richtung. Doch noch waren Varas Straßen leer, die Fensterläden verschlossen. Sie würden sich beeilen müssen, dachte Erik. Sein Haus lag, nur durch einen kleinen Garten von der Stadtmauer getrennt, am Westende der Stadt. Es war ein weiß getünchter, rechteckiger Kasten wie die meisten anderen Auch, mit einem Dach aus grauem Schiefer. Es gab zwei Stockwerke, die jeweils über vier Fenster verfügten… und einen Kellerzugang durch eine Luke auf der anderen Seite des Gebäudes.

,, Ihr seid ein wirklich komischer Vogel, wisst ihr das ?“ , fragte der Wolf nach einer Weile, während er dem Karren Erik hinterher in den Garten zerrte. Rasch warf er einen Blick hinauf zu den Mauern, doch standen dort keine Wachen und die Sicht wurde weiterhin durch einen niedrigen Baum beschränkt, der sich an die Rückwand des Hauses schmiegte. ,, Aber eigentlich könnte man euch fast mögen, wenn ihr nicht grade dafür Sorgen wollt, das wir beide am Galgen landen…“

Erik erwiderte nichts auf die Proteste des Wolfs, sondern macht sich derweil an der Kellerluke zu schaffen. Rasch sperrte er das schwere schloss auf und zog die Holzflügel beiseite. Dahinter kam eine steile Treppe zum Vorschein, die hinab ins Dunkel führte.

,, Steht nicht rum, sondern helft mir lieber.“ Erik winkte dem Wolf zu, sich zu beeilen. Säcke und Ballen mit Stroh und Getreide flogen Beiseite, so dass die Decke und der Körper darunter wieder zum Vorschein kamen.

,, Ich möchte euch an meiner Stelle sehen.“ , meinte der Gejarn leise, während er den Leichnam aufhob und zu Erik schleppte, der die Türflügel fest hielt. Mit einem erleichterten Laut setzte er den Körper auf dem ersten Treppenabsatz ab, bevor er wieder zu Erik ins schwindende Mondlicht zurückkehrte. Der Himmel über der Stadt wurde langsam heller  und die ersten Menschen traten aus ihren Häusern auf die Straße. Für Erik jedoch dauerte der Tag bereits beträchtlich Länger und er würde noch etwas länger werden. Er musste mit der Arbeit beginnen, bevor die Verwesung großen Schaden anrichten konnte.

,, Für heute, brauche ich euch nicht mehr.“ , meinte er an den Wolf gerichtet. ,, Ihr könnt euch zurück ziehen und tun was immer ihr wollt. Bis morgen. Das heißt bis auf Speilen. Ich möchte nicht wirklich eure Haut vor einem geprellten Bauern retten müssen.“

Mit diesen Worten trat er über die Schwelle der Kellertreppe und schloss die Luke hinter sich. Mit einem Mal war es dunkel. Nur das Licht der Laterne, die er vom Friedhof mitgenommen hatte, erhellte noch etwas die Stufen und das Bündel an deren Ende. Mit einem seufzen hob Erik den leblosen Körper auf und verschwand in der Dunkelheit. Die Treppe war steil und das Gewicht auf seinen Armen schwer und er müde. Aber noch hatte er Arbeit vor sich. Wichtige Arbeit. Die eigentliche Herausforderung begann hier erst.

Oben blieb der Wolf noch eine Weile vor der Kellertür stehen. Dann wendete er sich langsam zum Gehen. Die Sonne ging so eben über Vara auf und tauchte die Stadt in goldenes Licht. Der Dämonenmond war fort und würde erst in einem Jahr wiederkehren und der Winter noch fern. Alles in allem, versprach es ein Wunderbarer Tag zu werden. Schade, das der Mensch nicht viel davon mitbekommen würde, aber jedem das seine. Er trat in die Straßen, sog die klare Luft ein, den Geruch nach Laub und Menschenmassen und den fernen Feldern. Nach dem Wasser, das sich in Springbrunnen und Kanälen ansammelte. Und doch war da noch etwas in der Luft, das ihn kurz beunruhigte. Ein ferner Hauch von Asche und langsam erkaltender Glut...

 

 

Erik wankte gefährlich auf den Stufen. Der Körper in seinen Armen wog schwer, auch wenn alles Leben daraus gewichen war und die Treppe war abschüssig und nur schlecht erleuchtet. Er wagte es nicht, die Lampen brennen zu lassen, wenn er nicht hier war. Bei Nacht könnte das Licht , das durch die Kellerluke drang, jemanden Aufmerksam machen und selbst wenn dieses Risiko nicht wäre… hier unten lagerte seine gesamte Arbeit. Berge von beschriebenen Pergamentseiten mit Skizzen und Textpassagen, Bücher aus den hintersten Winkeln der Universitätsbibliotheken, uralte und teilweise lange vergessene Texte über Sezierung, die irgendwie der Zeit getrotzt hatten. Es war nie sehr angesehen gewesen, sich an den Toten zu schaffen zu machen. Im Gegensatz zu den Befürchtungen des Wolfs würde es sie nicht an den Galgen bringen… zumindest solange die Angehörigen sie nicht in die Finger bekamen. Aber es würde definitiv bedeuten, dass seine Arbeit vergebens gewesen war. Die  Gelehrten Varas lebten nach dem Grundsatz, dass man Wissen nicht wegwarf, egal ob man den Methoden darüber, wie es gewonnen wurde zusprach. Das bedeutete zwar, dass er alle wichtigen Standardwerke zu seinen Vorhaben fand. Doch hieß dies auch, dass diese Werke seit Jahren oder Jahrzehnten nicht mehr überarbeitet worden waren. Erik wusste mittlerweile aus eigener Erfahrung, um die Fehler darin…

Er machte einen letzten wankenden Schritt und fand sich am Ende der Treppe wieder. Über seinem Kopf zog sich ein Gewölbe aus Brettern und Stein entlang, die Fußböden und Fundamente des Gebäudes über ihm. Vor Erik jedoch breitete sich nun sein Reich aus. Groß war die Kammer nicht, die er sich hier geschaffen hatte. Vielleicht ein Viertel der Fläche des Hauses oben. Langsam ging er an den mit Brettern ab gestützten Erdwänden vorbei und entzündete das dutzend Öllampen, die dort hingen. Der Rauch konnte durch einige Schlitze in der Decke abziehen und war dünn genug um niemanden Aufmerksam zu machen. Und ihr Licht war stabiler, als das von Fackeln, solange man den Ölbehälter runter dem Docht immer gut gefüllt hielt und sich langsam bewegte.

Aber hast war nicht seine Art, dachte Erik. Nicht wenn es um sein ganz eigenes, großes Werk ging.

Vorsichtig bettete er den immer noch in duftendes Leinen gehüllten Körper auf einem Tisch mit abgesägten Beinen. Ein simpler Metallrahmen, den er sich selbst zusammen geschustert hatte, umlief die durchgehende Tischplatte und formte so eine Wanne. Obwohl Erik darauf achtete, das Holz sauber zu halten, war die Oberfläche bereits stark angegriffen und fleckig. Er würde sich wohl bald Ersatz besorgen müssen.

Unweit des Tisches, der im Zentrum des Raumes stand, erhob sich ein Regal mit verschließbaren Türen um die Schriften darin vor Erde und Feuchtigkeit zu schützen. Daneben stand ein kleiner Schreibtisch auf dem stapelweise leeres Pergament lag, zusammen mit einem verschlossenen Tintenfass und einem Dutzend metallener Schreibfedern unterschiedlicher Stärke. Erik jedoch wendete sich der anderen Seite des Raumes zu, wo sich  Wasser aus einer Rinne ergoss und in einem Abfluss im Boden wieder verschwand.

Vara war eine Stadt des Wassers. Die Kanäle und künstlichen Bachläufe und Brunnen, die hier überall zu finden waren, machten das mehr als deutlich. Doch war das Wasser nicht Regen oder dem Zulauf durch einem Fluss geschuldet, sondern stammte tief aus dem felsigen Untergrund der Siedlung. Die Gelehrten Varas waren einige der ersten gewesen, die einen Weg ersannen, die Kavernen in der Tiefe anzuzapfen und das Wasser dann von dort nach oben zu bringen. Große Dampfmaschinen arbeiteten Tag und Nacht um den Zustrom nie enden zu lassen. Und es waren auch jene Magister, die schließlich Wege ersannen, das Wasser von den Kanälen in die Häuser zu bringen, so dass die meisten Gebäude in Vara über eine ständige Wasserversorgung verfügten.

Erik nahm einen Eimer und stellte ihn unter den kleinen Wasserfall, bis er überlief. Erst dann kehrte er zu seinem Seziertisch zurück. Respektvoll schlug der junge Mann das Leichentuch zurück und wirkte in jenem Moment, im flackernden Schein der Öllampen so viel älter. Ernst betrachtete er das Gesicht, das er freigelegt hatte.

Die Haut war weiß, als wäre jegliches Blut daraus gewichen, die Lippen bläulich verfärbt. Und doch waren die Züge der Frau, die vor ihm lag jung, fast noch kindlich. Sie konnte nicht älter als sechzehn geworden sein.  Haar, das im Leben wohl seidig schwarz geglänzt hätte, war nun stumpf und wirr um ihren Kopf verteilt.

Erik murmelte ein paar Worte. Sie  sprachen von Verzeihung und fragten um Schutz, in einer Sprache, die kaum jemand noch Verstand.  Es war die des alten Volkes, der längst vergessenen Zivilisation der Magier, die einst die ganze Welt beherrscht hatte. Manche behaupteten, die Worte selbst wären Magie. Erik wusste nicht ob das zutraf und er war kein Zauberer, er hatte es ausprobiert… Aber er fühlte sich dadurch besser.

Was er tat, war keine Respektlosigkeit. Es war Arbeit, die getan werden musste und die ihnen beiden etwas abverlangte. Die Worte waren kein gebet, keine Bitte um irgendetwas. Aber sie hatten den Prozess bis jetzt immer eingeläutet und so wollte er es auch halten.

Vorsichtig befreite er den  Leichnam von dem restlichen Leinen, bevor er sich daran machte, Blut und Dreck fort zu wischen.  Er arbeitete schweigend, wagte es nicht, die Stille mit mehr als seinem Atem zu durchbrechen. Er war bei weitem nicht abergläubisch, aber die Toten die ihren Weg hierher fanden, schienen immer etwas sakrales auszustrahlen, etwas ruhiges… bevor der Makel des Todes begann sie zu zerfressen und deutlich machte, das sie eben doch nicht nur schliefen. Und in Anbetracht dessen… hatte seine Arbeit nicht auch etwas Heiliges und Sakrales?  Die Priester in den Tempel würden ihn verlachen oder sogar brennen lassen, wenn sie diese Gedanken hören könnten, das wusste er. Und doch war es so. Er gab diesen Leuten einen letzten Zweck, eine weitere Chance, noch einmal auf das Leben anderer Einfluss zu nehmen. Und vielleicht würde mancher der Verstorbenen auch dazu beitragen, das Leben eines anderen zu verlängern. Nachdem Schmutz und Erde beseitigt waren und der Körper vor ihm so sauber, wie er nur sein konnte, wendete Erik sich seinen Werkzeugen zu.

Messer und Skalpelle in allen Größen reihten sich auf einem kleinen Beistelltisch aneinander. Selbst das Besteck schien etwas Sakrales auszustrahlen, wie es Silbern die Lampen wiederspiegelte. Erik wusste, dass dies seine letzte Chance war, bevor er vor die hohen Prüfer der Universität treten würde. Trotzdem zitterten seine Hände nicht, als er zum Messer griff. Jeder Schnitt war präzise, ohne Gewalt geführt.  Er wusste mittlerweile genau wo er ansetzen musste, wo Haut und Fleisch am leichtesten nachgaben und so brauchte er nicht lange. Erik hatte nun das Innere von mehr als zwanzig Personen vor sich gesehen. Alte, Junge, kranke, reich, arm und vermutlich jegliche Hautfarbe. Vara zog Menschen aus dem ganzen Land und darüber hinaus an und manche starben auch hier.… Man mochte meinen, das sollte einen Unterschied machen, doch das tat es nicht. Lediglich bei den zwei Gejarn, die er jedoch ohne die Hilfe des Wolfs geholt hatte, hatte er zumindest subtile Unterschiede zu den Menschen finden können. Aber selbst hier waren die Ähnlichkeiten die er fand, verblüffend genug. Aber Menschen selbst ? Am Ende schienen sie alle gleich.

Erik führte sauberer Schnitte, legte Organe und Knochen bloß. Es wurde ein langer Tag. Wenn es noch etwas gab, das er übersah, etwas, das er den Gelehrten der Universität präsentieren musste, dann musste er es jetzt finden.  Immer wieder unterbrach er seine Arbeit und kehrte zu den Büchern zurück, die er in dem kleinen Schrank verwahrte, verglich Zeichnungen und Texte, mit dem, was er tatsächlich vorfand. Die meisten Seiten waren am Rand bereits  dicht mit Anmerkungen beschrieben  und er hatte dutzende an Pergamentbögen neu hinzugefügt. Ergänzte Zeichnungen und gänzlich neu geschriebene Seiten fügten sich an die alten an und ragten über die bereits abgegriffenen, alten Pergamente hinaus. Immer wieder machte er sich neue Notizen und grobe Skizzen, bis er schließlich zufrieden war. Oder so zufrieden, wie er sein konnte.

Erschöpft ließ er sich auf einen Stuhl vor dem Papiertisch sinken, während er seine Hände in den Wasserstrom an der Wand hielt. Das Blut wusch sich ab, färbte das Wasser über dem Abfluss zuerst rot, bevor es langsam verblasste und ins Rosa umschlug. Noch immer lag der Duft nach Rosen im Raum, nun aber auch deutlich sichtbar nach Tod.

Eine Weile saß er einfach nur so das, eingehüllt von diesen Widersprüchlichen Gerüchen und kam sich etwas vor wie ein Trinker, der nach langem Rausch endlich wieder zur Besinnung kam. Nur, das er sich nicht mit Alkohol betrank. Zumindest nicht immer. Er berauschte sich auf der Suche nach Wissen… Und eigentlich war er seit Monaten nicht mehr wirklich nüchtern gewesen, hatte immer wieder der nächsten Nacht auf den Friedhöfen der Gegend entgegen gefiebert. Jetzt nicht mehr. Er hatte alles getan, was er konnte.

Erik wusste, dass es genug Menschen geben würde, die ihn vermessen nennen würden. Götter, manchmal war er sich selber nicht sicher, ob es nicht genau das war. Aber wenn er es nicht tat, wer dann ? Die Gelehrten Varas waren mittlerweile zu beschäftigt damit, altes Wissen aufzuarbeiten, als das sie noch viel Neues schaffen würden. Aber das würde sich ändern. Erik strich über den Einband des Buches, das vor ihm auf dem Tisch lag. Der schwere Ledereinband wölbte sich bereits über der Vielzahl an Seiten bereits. Wochen und Monate der Arbeit und endlich war er so weit, dass er damit vor die Gelehrten treten konnte. Erik wusste, welches Risiko er damit einging… Aber wenn sie seine Schrift akzeptierten, wenn sie ihn als Arzt und Heiler anerkannten… Er lächelte versonnen. Sie würden nicht mehr leugnen können, das das Studium der Toten wichtig war und nicht verwerflich.

Dann mussten sie ihm einfach zuhören. Er war zu lange ein Schüler gewesen, hatte Botengänge für die hohen Lehrer erledigt und nur ihrer Forschung zugesehen. Das hier… das war sein Werk, sein Vermächtnis. Die Zeit in der er gelernt hatte war vorbei. Ab jetzt, würde er selber Lehren.  Und die Welt würde zuhören.

Es war bereits dunkel, als er hörte, wie die Luke oben geöffnet wurde und eine einzelne Gestalt eintrat. Cyrus, wie er den Wolf getauft hatte, war so selten wie möglich hier unten. Der Blutgeruch, vermutete Erik. Die Sinne eins Gejarn war ungleich feiner, als die eines Menschen, aber das machte sie auch anfälliger für deren Unannehmlichkeiten. Der Wolf sah sich langsam um, aber er urteilte nicht. Nicht über das hier. Nicht seit dem ersten Tag, an dem sie sich kennen gelernt hatten.

Der Pfeil hatte eine Arterie im Bein des Gejarn verletzt. Jedem anderen, wäre er wohl unter den Händen verblutet, sobald er das Projektil  entfernt hätte. Nicht Erik. Er hatte genug bloße Gefäße gesehen, hatte sie gezeichnet und wieder und wieder frei gelegt. Wenn er die Augen schloss, konnte er ihren Verlauf schon fast vor sich sehen. Und so hatte er das einzig richtige getan und den Pfeilschaft gelassen, wo er war, bis er Feuer machen konnte.  Dann hatte er einige Mohndistel-Stiele in die Flammen geworfen, als der Wind sich drehte und zugesehen, wie der Wolf nach einem einzigen Zug blauen Rauchs in sich zusammen sank. Die Wunde auszubrennen und dabei möglichst nur die Ader zu veröden war schwer genug gewesen, ohne dass der Mann dabei vor Schmerzen schrie und zappelte.

Wortlos half er Erik auf, bevor dieser sich daran machte, den Leichnam wieder in die alten Tücher einzuschlagen. Die Überreste zum Friedhof zurück zu bringen, war natürlich unmöglich. Bestimmt war das offene Grab bereits entdeckt worden und jetzt würde es dort die nächsten Tage vor Wächtern wimmeln. Solchen, die vom Patrizier gestellt wurden, wie auch solchen, die ihre Familiengräber schützen wollten. Und grade nach dem Dämonenmond würde die Angst vor wandelnden Toten umgehen…

Erik gab dem Wolf ein Zeichen, ihm mit dem schweren Bündel zu folgen und zog eines der Holzpaneele bei Seite, welche die Erdwände des Kellers abstützten. Dahinter kam ein niedriger Gang zum Vorschein. Unbequem und unsicher und er endete zu nah an der Mauer, als das er es im Licht des  vollen, roten Monds riskiert hätte diesen Weg zu nehmen. Doch nun wäre die Nacht dunkler, Wolken hingen am Himmel und sie gelangten ungesehen vor die Stadt. Und im Schatten eines der Runensteine welche Vara in einem Kreis umgaben, schichteten sie einen angemessenen Scheiterhaufen auf und verbrannten die Überreste. Der Wind verteilte die Asche über das Land und ließ nur einen bitteren Geschmack auf Eriks Zunge zurück. Das… und einen fernen Lichtschein, nicht unähnlich dem, den ihr eigenes Feuer erzeugte , irgendwo weit draußen auf der Ebene. Aber es musste größer sein, dachte Erik, damit man es auf diese Entfernung so deutlich sehen konnte.

Der Wolf sah es ebenfalls. Obwohl er es nicht sicher sagen konnte, löste das fremde Feuer ein ungutes Gefühl in ihm aus. Als ob er wissen müsste, was es damit auf sich hatte. Ein fremder Hauch von Asche, in den Straßen Varas…
 




,, Angeblich gibt es oben in Hasparen jetzt einen Irren, der sich gegen den Kaiser stellt. Die Männer die ihm folgen gehören angeblich zur Garde, nennen ihn aber nur ihren Hetman. Freischärler im besten Fall, Räuber und Rebellen im schlimmsten. Aber immer noch weniger schlimm als der eigentliche Kaiser. Angeblich hat der  erneut eine Siedlung niederbrennen lassen.  Ohne Vorwarnung, ohne jeden Grund. Karians Fort ist nicht mehr. Und das ist kaum zwei Tagesreisen von hier. Die ersten Überlebenden sind gestern angekommen um den Patrizier um Schutz zu bitten…“

Erik sah von dem Spielbrett auf, dem bis eben noch seine ganze Aufmerksamkeit gegolten hatte und musterte sein gegenüber. Der Mann war schon Älter und zählte wohl nicht mehr zu den Anwärtern der Universität, die sich die Zeit im Schatten der Bäume vertrieben. Graue Haare, in denen nur einige schwarze Strähnen verblieben waren, rahmten ein Gesicht ein, auf dem fast immer ein breites Lächeln zu stehen schien. Freundlich, aber irgendwie nicht ganz natürlich. Sein Gesicht blieb dabei zu glatt, fand Erik. Etwas, das seinem Alter Hohn sprach.  Aber er war ein guter Spieler, dachte Erik bei sich, als er den Blick wieder senkte und die verbliebenen Steine zählte. Ein Narr und zwei Ritter. Erik zögerte, während er  erneut aufsah, direkt in die braunen Augen seines Gegenübers. Manchmal meinte er tatsächlich so etwas wie rot dahinter schimmern zu sehen.   Sein Gegner hatte einen Kaiser gesetzt, also blieb ihm nur der Narr… Und  danach wäre der Ausgang ihrer Partie  vollkommen vom Glück abhängig.  Er setzte und wartete.

,, Es ist nicht so, dass das etwas zu bedeuten hätte.“ , meinte er. ,, Dahinter steht nichts als Wahnsinn, mein Freund. Morgen können sie schon wieder ganz wo anders sein. Und Vara hat Mauern. Der Kaiser ist irre. Seine Männer sind es nicht.“ Langweilig. Wie oft hörte man Berichte über die Männer des Kaisers, die durch das Land hetzten und mindestens genauso oft die Erzählungen von verbrannten Siedlungen.  Caius Ordeal war verrückt, so einfach war das.  Und die Adeligen waren nicht gewillt, sich diesem Irrsinn zu beugen, allen voran der Patrizier Varas.  Sicher, der Kaiser mochte Dörfer und unbefestigte Städte überfallen, aber an den Sitzen seiner mächtigsten Fürsten würde er sich sicher nicht vergreifen. Und Caius war alt. Mit ein wenig Glück wäre das Ganze in ein paar Jahren vorbei. Alles in allem musste Caius darum kämpfen, die Kontrolle über das Land zu behalten, seit die erste Siedlung gebrannt hatte. Und zusammen mit den anderen Gerüchten die umgingen… Angeblich waren seine Erben alle in einer einzigen Nacht vor fünf Jahren verschwunden oder später tot aufgefunden worden.

,, Aber wer weiß schon, welcher Ort als nächstes brennen wird. Der Adel sollte ihn endlich absetzen und einen Schlussstrich unter das ganze ziehen.“

Als ob das so einfach wäre, dachte Erik.  Gedankenverloren tastete er nach dem schweren Buch, das neben ihm auf der Bank ruhte. Sonnenstrahlen durchbrachen das Blätterdach über ihnen. Die Terrassen vor der Universität standen in voller Blüte. Große Beete mit Blumen und Kräutern reihten sich im Schatten der Baumalleen aneinander, welche die Treppe hinauf zum Eingang säumten. Unten am Fuß des Hügels, den die Kuppeldächer der Universität krönten, erstreckte sich ein großer Platz mit Brunnen und künstlichen Wasserläufen die auf die Entfernung wie Silber glitzerten. Ein Dutzend weitere Bürger der Stadt hatten sich ebenfalls im Schatten der Gärten versammelt, speilten an den aus Granit geschlagenen Tischen oder sonnten sich. Oder sie zitterten vor dem Beginn ihrer Prüfung.

Erik nicht. Erneut strich er über den abgegriffenen Ledereinband des Buches neben ihm und lächelte versonnen, obwohl sein Gegner seinen Narren soeben mit einem Bauern vertrieb. Er setzte einen Ritter und hoffte das Beste. Sowohl er als auch sein Gegner hatten nur noch einen Stein. Der ältere Mann jedoch lächelte und setzte. Ein Lord.

 Insgesamt bestand eine Partie Königsstein aus fünf verschiedenen Figuren oder Steinen mit Einkerbungen darauf. Zwanzig davon zu je gleichen Teilen wurden am Beginn einer Partie gemischt und dann je sieben daraus zufällig an die Spieler verteilt. Der Spieler, der anfing, brachte seinen ersten Stein mit den Markierungen nach unten auf den Tisch oder drehte die Statue mit dem Rücken zu seinem Kontrahenten. Letzterer musste dann seinen ersten Stein offen setzen und hoffen, dass er die richtige gewählt hat. Die fünf Markierungen unterteilten sich in  den Bauer, den Ritter, den Lord, den Kaiser  und den Narren, wobei jede die vorangegangenen schlagen konnte, außer dem Narren. Dieser konnte zwar jeden anderen Stein übertrumpfen, wenn er gesetzt wurde, danach aber von jedem weiteren Stein des Gegners geschlagen werden. Geschlagene Steine gingen dabei in den Besitz des jeweils gewinnenden Spielers über, was jedoch seinem Gegner erlabte, in der nächsten Runde seine Steine verdeckt zu setzen und ihm so einen Nachteil zu verschaffen. Am Ende gewann derjenige, der die meisten Steine für sich gewinnen, oder wenn der Gegner die aktuelle Spielfigur nicht schlagen konnte.

Erik warf die Hände über den Kopf und signalisierte damit, dass er Aufgab. Sein Gegner lehnte sich derweil mit überkreuzten Armen zurück und wartete wohl so auf den nächsten Herausforderer.  Den vermutlich das gleiche Schicksal wie Erik ereilen würde, Niemand wusste genau, wie er hieß, aber angeblich hatte es noch niemand geschafft, ihn zu schlagen. 

Erik jedenfalls klemmte sich den schweren Wälzer unter den Arm und schlenderte über den  mit Platten ausgelegten Weg durch die Gärten. Niemand wollte bei diesem Wetter in den Hallen der Universität gefangen sein und o begegnete er vielen bekannten Gesichtern. Manche waren Anwärter, die wie er warteten, bis man sie zu ihrer Prüfung hohlen würde um dann selber als Magister und Gelehrte in den hohen Hallen zu arbeiten. Andere waren eben jene Gelehrten, zu erkennen an ihren langen, blauen Roben, die mit Gold oder Silbernähten abgesetzt waren. Manche saßen und Blätterten im Sonnenlicht in Büchern oder lasen Briefe, andere rauchten oder genossen schlicht die frische Luft. Und einige, die sich den Pflanzen verschrieben hatten, hegten die Unzahl an Kräutern und Gewächsen, die in den Beeten gedieh. In den herzlanden wurde es selten richtig kalt und Schnee fiel im Winter nur alle paar Jahre einmal und so gediehen hier Pflanzen aus fast allen Ecken des Kontinents. Manche waren reines Zierwerk, andere jedoch stellten für die Heiler und Ärzte Varas unverzichtbare. Mohn, Tollkirschen  und  Mohndistel und andere betäubende Heilkräuter wuschen allerdings nur weiter oben in einem abgezäunten und immer von ein zwei Gelehrten oder Stadtwachen besetzten Teil der Terrassen. Diese Lektion hatten die Männer der Universität schnell gelernt. Stimmengewirr füllte die Luft und die meisten Gespräche drehten sich natürlich um den letzten Überfall des Kaisers. Niemand wusste genau was, oder ob überhaupt etwas, hinter diesen Angriffen lag, doch seit jener Nacht vor einem halben Jahrzehnt brannten die Dörfer des Kaiserreichs und selbst größere Städte wie der Hafen von Lasanta hatten bereits den Zorn des Kaisers zu spüren bekommen. Und der Adel wehrte sich… in vielen Orten waren die Gesandten von Caius Ordeal nicht mehr willkommen und immer wieder erklärten sich einzelne Fürsten für Unabhängig. Doch der Kaiser war nicht so wirr, das er von den Aufständen seiner Untertanen nichts mitbekommen hätte… Die Vergeltung durch Prätorianer und Garden ließ meist nur kurz auf sich warten und schlug blutige Schneisen durch das Land. Vara jedoch war von all dem bisher so gut wie unberührt geblieben. Die Stadt war zu klein um für irgendjemand eine Bedrohung oder ein lohnendes Ziel darzustellen und der Patrizier hatte sich bisher nicht offiziell gegen den Kaiser gestellt. Aber er hatte auch deutlich gemacht, was jene erwartete, die in seiner Stadt für Unruhe sorgten…

Erik erinnerte sich noch gut an den Tag an dem man ein paar Wegelagerer auf den Platz unter der Universität gezerrt hatte, wo auch Recht gesprochen wurde. Patrizier Agrippa Gavion hatte persönlich über die Männer geurteilt. Der Herrscher Varas war bereits Mann jenseits der fünfzig und die Vergünstigungen seines Amtes hatten dazu geführt, dass er einen sichtbaren Bauch vor sich her schob. Von den ergrauten Haaren war nur ein dünner Ring auf dem ansonsten kahlen Schädel geblieben.  Angeblich war der Mann auch einer der größten Abnehmer für die süßen Weine des freien Königsreichs Risaras… Doch hatte nichts davon seiner Stimme und Urteilskraft zugesetzt. Und noch immer stand er mit gradem Rücken n der Sonne und die vergoldeten Rüstung, die derer seiner Stadtwachen nachempfunden war, konnte zumindest etwas über seinen Leibesumfang hinweg täuschen. Niemand hatte das Todesurteil angezweifelt, niemand weggesehen, als man die vier Fremden zum Galgen führte… Auch Erik nicht, der damals am Rand der Menge stand. Aber wo die Menge ein Spektakel sah und über die zappelnden Leiber mancher entsetzt aufatmete, fühlte Erik keine Aufregung. Es war ein Schauspiel, dachte er. Etwas, das man den Leuten darbot und das sie weiter tragen würden. In Vara herrschten Recht und Ordnung, solange Agrippa noch auf den Beinen stand… oder sich durch die Straßen kugeln konnte, wenn man bösen Zungen Recht gab. Aber es war eine Verschwendung. Erik kannte die Männer nicht, es waren Fremde. Vielleicht hatten sie verabscheuungswürdige Taten begangen, vielleicht hatten sie nur überleben wollen… und ganz vielleicht  waren sie nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Es spielte keine Rolle. Es war Verschwendung. Leben, weggeworfen für nichts. Und als man Stunden später schließlich die Körper von den Galgen holte, stand er immer noch da, mittlerweile im Schatten eines der weißen Häuser, die den Platz säumten. Und er stand immer noch da, als die Totengräber kamen und die Körper mitnahmen. Dann jedoch folgte er ihnen…

Es war nicht schwer, die Männer zu überzeugen die Körper statt zum Armenfriedhof lieber heimlich zu ihm zu bringen. Manche von ihnen würden für eine Hand voll Goldstücke wohl deutlich mehr tun. Es waren die ersten Körper, die er nahm, aber es bleiben nicht die letzten. Er hatte ihrem Tod einen Zweck gegeben.

,, Erik Flemming ?“ Die Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und er sah auf. Erik hatte den Rand der Gärten erreicht. Vor ihm erstreckte sich die Treppe, die hinauf zur Universität führte. Und keine zwei Stufen von ihm entfernt, stand ein Mann in der Kleidung eines Dienstboten.  Die blaue Feder, die aus dem Hut ragte, den er trug, wies ihn als einen Angestellten der Universität aus.

,, Der bin ich.“ , erwiderte er, während er das schwere Buch auf dem Gelände der Treppe ablegte. Mit geschickten Fingern förderte er eine Pfeife aus seiner Manteltasche zu Tage  und begann sie zu stopfen.

,, Ich soll euch informieren, das die Prüfer euch erwarten. Und nachdem… also…“

,, Spuckst schon aus.“ Erik fehlte die Geduld sich lange mit dem Mann abzugeben. Er fühlte sich euphorisch, bei dem Gedanken, das jetzt endlich alles Früchte tragen sollte, was er sich über die letzten Monate erarbeitet hatte.

,, Gehört euch der Wolf ?“ Erik fand sich einen Moment unfähig zu antworten, so sehr, brachte ihn die Frage aus dem Konzept. Wolf ? Was… Cyrus, natürlich. ,, Offenbar steht er schon den ganzen Morgen vor dem Eingang zur Universität und… also…“

,, Cyrus gehört niemandem.“ Die Pfeife brannte nach dem ersten Zündholz, während der junge Bote, er konnte kaum fünfzehn sein, ihn nach wie vor mit großen Augen musterte. ,, Wo ist das Problem ?“

,, Also nun… Die Magister meinen, er verschreckt die Leute.“

,, Weil er rum steht ?“ Erik seufzte. ,, Diese Stadt macht mich fertig. Ihr tut ja alle so, als hättet ihr noch nie einen Gejarn gesehen.  Fürchten die hohen Magister, dass er sie fressen könnte? Ihr könnt ihnen von mir ausrichten, dass ich ihn leider nicht weg schicken kann.“ Er hatte es versucht, ganz am Anfang. Und das hatte nur damit geendet, das der Wolf eines Tages vor seiner Haustür aufgetaucht war. Wie er es an den Torwachen vorbei geschafft hatte, hatte er Erik allerdings bis heute nicht verraten.   ,, Und wo er wartet ist seine Sache. Aber wenn es sie beruhigt, solange ein Gejarn still steht und ihr ihn sehen könnt braucht man keine Angst vor ihm zu haben. Das könnt ihr euch auch merken Junge. Wenn er verschwindet oder  ungewöhnlich schnell auf euch zukommt, dann könnt ihr anfangen, weg zu laufen. Allerdings nützt einem das dann meist nichts mehr.“

Mit diesen Worten ließ er den Boten einfach stehen, wo er war und machte sich daran, die Stufen bis in Richtung Universität zu erklimmen. 

 

 



Der Wolf, den er Cyrus getauft hatte, wartete auf den ersten Blick nichts zu sehen, als Erik schließlich das Ende der Treppe erreicht hatte.  Menschen strömten aus den Toren jenseits des kleinen Platzes, auf den die letzten Stufen hinaus führten. Gelehrte, Bedienstete, Glücksritter und Abenteurer, einfache  Reisende und auch ein paar fliegende Händler, die ihre wahren Anboten, die Universität und ihre Bibliotheken zogen Leute aus aller Welt an, Manche wollten Geschäfte machen, andere hofften wohl auf eine Anstellung und wieder andere suchten vielleicht nach Schriften und Aufzeichnungen in den weitläufigen Archiven. Erik drängte sich zwischen ihnen hindurch und sah sich in alle Richtungen um, ohne jedoch den Wolf irgendwo entdecken zu können. Zu seinen  Füßen sprudelte ein Bachlauf in einer Rinne über den Platz. Algen in allen Farben von Grün über braun und rot bewegten sich in der Strömung und ab und an bekam man sogar einen kleinen Fisch zu sehen, der durch den Kanal schwamm. Dieser  mündete schließlich  in einem kleinen Teich, der wiederum als Abfluss über mehrere, niedrigere Kanäle verfügte, die in den umliegenden Gärten hinein führten und dort versickerten und so die Beete ständig bewässerten. Brücken und Trittsteine führten über diese künstlichen Wasserläufe hinweg und erlaubten es so, den Platz auch trockenen Fußes zu überqueren. Viele der Leute nutzen jedoch die Gelegenheit und liefen ein Stück Barfuß durch das kühle Nass, das beständig aus den Höhlen unter der Stadt nach oben Quoll.

Erik jedoch hatte dafür keine Zeit. Mit einem großen Schritt überquerte er den Bachlauf und suchte weiter die Umgebung nach seinem Begleiter ab. Nach wie vor gab es keine Spur von dem Wolf und wenn er noch rechtzeitig zu seiner Prüfung kommen wollte, musste er sich beeilen. Er drängte sich an einer beisammen stehende Gruppe Gelehrter in blauen Roben vorbei, bis ans andere Ende des Platzes, wo die Pflastersteine wieder in Gärten und Wiesen übergingen. Zwei große, ausladende Bäume beschatteten eine Reihe von aus Stein gefertigten  Bänken darunter, die jedoch verlassen dalagen. Aber sie waren es auch nicht, die Eriks Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten. Einem ungeübten Auge wäre der dunkle Schemen auf einem der Äste sicher entgangen, aber Erik wusste, wonach er Ausschau halten musste. Vorsichtig legte er das Buch, das er immer noch trug auf einer der Bänke ab und zog sich nach kurzer Überlegung zog er sich an einem der tiefer hängenden Zweige nach oben. Ein Gejarn, der nicht gesehen werden wollte, den sah man auch nicht. Selbst wenn er technisch gesehen mitten in einer Menschenmenge war.

,, Hat es einen besonderen Grund, warum du dich  als Eichhörnchen versucht ?“ , fragte Erik , als er neben dem Schemen auf einem Ast zum Stehen kam. Sein Rücken machte sich nach der kurzen Anstrengung schmerzhaft bemerkbar und so lehnte er sich an den Stamm und versuchte seine verspannten Muskeln zu lockern. Götter, er hatte zu viel Zeit in dunklen Kellern und in gebückter Haltung in Gräbern verbracht. Das musste einen Mann ja vorzeitig alt werden lassen.

Der Wolf schien nicht sonderlich überrascht davon, als Erik neben ihm auftauchte. Scheinbar gelangweilt, saß er auf seinem Ast und ließ die Füße ins Leere baumeln, während unten die Leute vorbei zogen.  ,, Ich meine außer das man von hier einen ziemlich guten Blick auf die Frauen werfen kann.“ Erik lachte, doch der Wolf sah ihn nur irritiert an.

,, Ich hege nicht wirklich Interesse an euren Frauen. Menschen sehen generell seltsam aus.  Und selbst wenn nicht, ich glaube ich mache den meisten ohnehin nur Angst. Deine  Brüder und Schwestern fühlen sich durch meine Anwesenheit verunsichert, deshalb habe ich mich ja zurückgezogen. Sie mögen mich scheinbar nicht.“

,, Nun ja, wie würdest du reagieren, wenn plötzlich ein Mensch ungefragt in deinem Vorgarten auftaucht ?“

,, Ich bezweifle, das ich je so etwas besitzen werde. Wenn meine Schuld beglichen ist, werde ich zu meinem Clan zurückkehren, Erik. Das heißt wenn du es nicht zuvor schaffst, meinen Ruf zu ruinieren.“

Erik seufzte. ,, Götter musst du immer alles wörtlich nehmen,  was ich sage ? Du bist schlauer als das, das weiß ich.“

,, Nein, aber ich betrachte die Dinge lieber so, wie sie sind.“

,, Götter, du musst dir  angewöhnen mehr zu trinken. Das bringe ich dir  als nächstes bei, bis es nicht mal mehr deine Seele vergessen kann. Ihr Gejarn glaubt ja, das ihr wiederkommt, als wird dein nächstes Leben definitiv das eines Trinkers.   Also was jetzt ? Bekomme ich noch eine Antwort?“
,,  Ich würde ihn fragen, was er  dort zu suchen hat und ein Auge auf ihn haben. Aber ich würde ihn nicht ansehen, als hätte er grade meine Familie ermordet und plane schlimmeres. Deine  Brüder und Schwestern sind seltsam.“ Der Gejarn grinste. ,,Und ich kenne dich. Also heißt das schon etwas.“

Erik überging den Seitenhieb. Aber Cyrus war intelligenter als er wirken wollte, das wusste er. Und er verstand mehr von dem, was um ihn herum vorging, als er wohl je zugeben würde. Er war hier Fremd, kannte eigentlich nur das Leben bei seinem Clan, ja, aber trotzdem hatte er sich schnell in Vara eingelebt. Wenn Gejarn eines waren, dann wohl Anpassungsfähig,

,, Ich würde sie auch nicht wirklich meine Brüder und Schwester nennen.“ , meinte Erik nach einen Moment des Schweigens.  ,, Die Hälfte von ihnen würde mich ohne nachzudenken lynchen wenn sie wüssten was ich tue und die andere Hälfte versteht nicht mal die Hälfte von dem, was man ihnen sagt. Ich würde behaupten du bist  schlauer als sie  und das obwohl die meisten eure Art wohl Wilde nennen würden. Vielleicht sollte die Universität lieber ein paar Gejarn aufnehmen.“

,, Wieder etwas, das ich nie verstehen werde. In einem Clan sind wir alle Geschwister. Nicht der Blutlinie nach natürlich, aber im Geiste. Unsere Ältesten sind unsere Väter und wir ehren sie entsprechend und sie hüten uns wie ihre Kinder.  Ihr Menschen aber, ihr lebt ohne echte Verbundenheit. Eure Adeligen sind nicht eure Väter, sondern nur eure Herren und ihr kuscht vor ihnen und vor einander. Aber wie kann man von jemanden erwarten, gerecht zu herrschen wenn er seine Untergebenen nicht als Kinder betrachtet sondern als Vieh?“

Diesmal war es an Erik zu lachen. ,, Es ist eine Sache das in einer kleinen Gemeinschaft zu tun. Aber ein Imperium baut man nicht auf Freundlichkeit und Menschenliebe auf. Und erhalten tut man es schon einmal ganz sicher nicht damit. Das Kaiserreich  wurde durch Blut geformt, selbst bevor Caius anfing, Städte nieder zu brennen. Und  sind wir mal ehrlich, eure Clans sind untereinander auch nicht grade friedlich. Oder woher kam der Pfeil in eurem Bein?“
,, Vielleicht habe ich  einfach zu lange auf einen Arzt gewartet.“ Die Augen des Gejarn funkelten. Erik wusste nicht ob er einen wunden Punkt getroffen hatte, aber was immer es war, Cyrus wollte jedenfalls nicht darüber reden. ,, Wie lange genau hattest du gedacht, mich dort unten stehen zu lassen?“

,, Wenn ich dir keine andere Aufgabe gebe, rückst du mir ja nicht mehr von der Pelle. Es gibt Gelegenheiten da will ich eben nicht ständig einen Flohteppich an meiner Seite haben.“

Der Wolf schien tatsächlich einen Moment darüber nachzudenken. ,, Wie soll ich sonst je hoffen, meine Schuld zu begleichen , wenn du vor mir weg rennst ?“

Erik seufzte entnervt. Es hatte kaum Sinn in diesem Punkt mit ihm diskutieren zu wollen, das wusste er.

,, Ich habe dir auch oft genug erklärt, dass es keine Schuld gibt.“ Um genau zu sein hatte er irgendwann aufgehört zu zählen.

,, Nicht nach euren Gebräuchen, aber du hast mein Leben bewahrt. Das ist ein Geschenk, das nur schwer aufzuwiegen ist.“

,, Und wenn du mir zweimal das Leben rettest muss ich dann dir hinterher rennen ?“ Erik grinste bei dem Gedanken. ,, Allerdings schleppst du mich dann vermutlich nur endlos durch die Wälder mit. Das ist nicht so interessant wie Städte und Friedhöfe.“

,, Das ist nichts, dass jemand von einem einfordern kann, sondern eine freiwillige Entscheidung. Oder siehst du Ketten an mir? Mein Leben gehört immer noch mir, aber ich habe mich entschieden, es mir auch zurück zu verdienen. Selbst wenn das heißt, dass ich mich nachts mit seltsamen Menschen  auf Friedhöfen herumtreiben muss.“

,, Und jetzt hättest du mich fast so weit, das ich Mitleid mit dir gehabt hätte. Aber wie dem auch sei. Du wirst schön noch etwas länger hier warten müssen. Wenn alles gut geht, habe ich endlich meinen Platz an der Universität wenn ich zurückkomme.“

,, Und wenn nicht ?“

Die Frage beunruhigte Erik mit einem mal mehr, als er zugeben wollte. Es gab keine Alternative für ihn. Das hier war alles, auf das er hingearbeitet hatte. Eine Aufnahme als Gelehrter an die Universität, bedeutete, dass er endlich Anerkennung für seine Arbeit bekommen würde. Das… und sie würden ihn finanzieren und mit den Mitteln die hier zu Verfügung standen… gab es kaum etwas, das er nicht tun konnte. Er wäre nicht mehr gezwungen, nachts die Verstorbenen auszugraben sondern könnte wahrhaft anfangen, sich ganz auf seine weitere Arbeit zu konzentrieren. Was er bisher erreicht hatte, war nur ein erster Schritt, aber um damit abzuschließen würden noch Jahrzehnte vergehen. Wenn alles gut ging, würde er nicht ruhen, bis er jede Arterie, jeden Knochen und jedes Organ verzeichnet und ihren Zweck verstanden hatte. Ein Körper war nur ein Gefäß für den Geist, aber eines, das er brauchte um zu funktionieren. Und um das zu gewährleisten mussten sie bereit sein ihn zu verstehen. Es gab kein ,, wenn nicht.“ Wenn nicht bedeutete… das er versagt hätte.

,, Wenn nicht… gehen wir etwas trinken.“ , meinte Erik schließlich, ehe er vom Baum kletterte und das Buch wieder aufhob. Erneut streckte er sich um seine verspannten Muskeln zu lockern, dann erst machte er sich auf den Weg über den belebten Platz und in Richtung der hoch aufragenden Gebäude. Die grün verfärbten Kupferdächer leuchteten im Licht der Morgensonne.

Der Eingangsbereich der Universität wurde durch ein großes Tor abgeriegelt, dessen Flügel jedoch Tagsüber weit offen standen. Im inneren war der Boden mit großen Marmorfacetten in weiß und schwarz ausgelegt, welche Eriks Schritte zurück in Richtung der hohen Decken warfen. Die Wände wiederum waren nicht glatt oder von Fenstern durchbrochen wie sonst überall, sondern von großen Steinquadern durchsetzt, die gut eine halbe Armeslänge aus der Wand hervorragten. Manche der Blöcke waren noch unbearbeitet und roh, die meisten sogar, andere jedoch hatte man bereits zu Köpfen geformt. Wichtige Gelehrte und Magister zweier Generationen sahen ernst und streng auf jeden Neuankömmling herab, der die Halle betrat. Erik schenkte den Blicken der Toten jedoch kaum Beachtung, während er rasch den Saal durchmaß und die eigentliche Universität betrat. Offene Kreuzgänge führten zwischen Gärten und Gebäuden hindurch, Hallen noch größer als die erste, die als Ruhe und Lesesäle dienten reihten sich aneinander. Einmal konnte er einen Blick durch eine Tür auf das große Planetarium erhaschen, das auch achtzig Jahre nach dem Bau dieser Hallen noch immer nicht ganz fertig gestellt war. Große, kupferne Zahnräder, die bereits von einer grünlichen Patina überzogen wurden, waren in den Boden des Gebäudes eingelassen worden und steuerten ein undurchsichtiges Gewirr aus Ringen und Sphären und Lichterspielen, das immer weiter feinjustiert wurde um eines Tages die Bewegungen der Planeten genau wiederzugeben. Eine ganze Generation hatte bereits daran gearbeitet und es würde wohl noch einmal eine brauchen um ihr Werk zu Ende zu bringen. Eine Aufgabe, nicht unähnlich seiner eigenen Arbeit, dachte Erik. Auch er stand grade erst am Anfang, doch wo das Planetarium beschlossene Sache war, würde sich für ihn nun entscheiden müssen, ob es eine nächste Generation gab. Erneut wies er diesen Gedanken von sich. Seine Arbeit war perfekt, das mussten auch die hohen Gelehrten einsehen. Sie hatte gar nicht die Wahl ihn abzuweisen.

Er durchquerte eine weitere Halle unweit der Krankenquartiere, die den bereits von der Universität anerkannten Heilern als Lehrstätte dienten. Ein lang gezogener Brunnen, durch den beständig frisches, sauberes Wasser strömte teilte den Raum fast gänzlich in zwei Hälften. Auf der einen Seite wandelten die Heiler zwischen den Türen hin und her, die auf einzelne Zimmer führte, auf der anderen, ging Erik. Und ganz am anderen Ende lag die Tür hinter der ihn die Prüfer erwarten würden…

 

 

 


Der Saal war kleiner als die großen Hallen, die Erik auf dem Weg hierher durchquert hatte. Trotzdem kam er sich klein vor, als die Türen hinter ihm wieder geschlossen wurden. Es gab drei große Fensterfronten, eine an jeder Wand, durch die man einen Blick auf die umliegenden Gärten und Gebäude erhaschen konnte. Vier Säulen an jeder Wand unterteilten die Fenster und trugen die hohe Decke über ihm, die mit einer Reihe runder Buntglasfenster versehen war.  Die Sonne fiel direkt durch das Glas über ihm,  zeichnete  so  farbige Schatten auf den glatten Steinboden. Manche der Fenster zeigten Darstellungen von Heil und Blütenpflanzen, doch waren auf dem Boden nur noch farbige Schatten und Muster davon zu erkennen.

Vor Erik am Kopfende des Raums, ragte ein großes Podium auf, auf dem sich wiederum vier hohe Lehnstühle erhoben, eines für jeden der Prüfer. Die vier Männer, die ihn mit keinem Wort begrüßten zählten zu den erfahrensten Heilern, die die Universität vorzuweisen hatte. Und einen erkannte Erik sofort. Die hochgewachsene, dünne Gestalt von Abalain Anders, der einst in Erindal einen Ausbruch von Blaufieber bezwungen hatte, ehe es in der Stadt zu einer Epidemie gekommen war. Seit seiner Entdeckung, dass die Krankheit offenbar nur  über direkte Berührung mit einem Kranken  oder die Flugasche eines Totenfeuers übertragen werden konnte, war der Schrecken, den sie einst für viele der am östlichen Sonnenmeer gelegenen Häfen dargestellt hatte,  gewichen… Es hatte den Menschen etwas gegeben um sich vor der Ansteckung zu schützen und viele hatten sich in den darauf folgenden Jahren neue Bestattungsmethoden für ihre Toten gesucht. Und dafür war der Mann eine Berühmtheit in seiner Zunft geworden. Was weniger Leute wussten war, wie er zu dieser Erkenntnis gekommen war. Kein Wunder, waren die einzigen, die ihn beschuldigen konnten, doch tot. Aber Erik hatte die Gerüchte gehört, dass er seine Assistenten zwang mit den Kranken in einem Raum zu schlafen oder seinen Begleitern die aufgefangene Asche der Toten ins Essen gab. Für die meisten jedoch war er schlicht ein Held und kaum jemand wagte es noch nach seinen Methoden zu Fragen.  Doch es war nicht der alte Gelehrte, der Erik schließlich stutzig machte.

Vier Männer der Stadtwache, jeweils zwei an jeder Seite des Podiums, hielten daran Wache.  Ein jeder war mit einer schweren Hellebarde bewaffnet, auf deren Klingenkopf das Sternwappen Varas eingelassen war. Wozu dieser Schutz allerdings diente, erschloss sich ihm erst, als er die übrigen Anwesenden musterte. Mit den vier Gelehrten hatte er gerechnet. Nicht jedoch mit der fünften Gestalt, die etwas versetzt hinter ihnen saß, so dass sie im Licht, das durch die Fenster fiel kaum zu sehen war.

Agrippa Gavion war seit Erik ihn das letzte Mal in der Öffentlichkeit gesehen hatte, noch älter geworden. Der Kranz grauer Haare auf seinem Kopf war fast gänzlich verschwunden und das aus dunkel glänzendem Holz und Gold gefertigte Pult vor ihm glänzte fast genauso wie sein Schädel.

Der goldene  Ornat den er trug war mit weißen Hermelinfellen  abgesetzt und auf der Brust lag, in Silber gegossen, eine Kette mit dem Stern der Stadt.

Das ungute Gefühl, das sich schon beim Anblick der Wachen in ihm breit gemacht hatte, verstärkte sich noch einmal. Trotzdem zögerte nicht, als er auf die Männer zuging, zwang sich sogar zu einem freundlichen Lächeln.

,, Lord Gavion, was verschafft mir den die Ehre, das ihr heute hier seid ?“ Er verneigte sich gekünstelt und ein Teil seiner Selbstsicherheit kehrte zurück. Sich zu verstellen, das war einfach, dachte Erik. Er wusste noch nicht was vor sich ging, aber das musste er ja nicht jedem im Raum zeigen. Aber vielleicht hätte er doch Cyrus mitnehmen sollen…

,, Ich würde es keine Ehre nennen, Flemming. Ihr seid hier vorgeladen um Zeugnis über eure Arbeit abzulegen und genau das erwarte ich von euch. Es gibt… beunruhigende Gerüchte über euch wisst ihr das?“

,, Gerüchte, Herr ? Falls das auf die Geschichte mit dem Quecksilber anspielt, das war wirklich nicht meine Schuld. Und das mit dem Schwarzpulver war nicht einmal ich. Also…“

Der Patrizier gab ihm keine Gelegenheit seinen Satz zu beenden. ,, Schweigt. Meine Wache berichtete mir, dass man euch oft Nachts vor der Stadt antreffen kann. Und auch gibt es mehrere Zeugen, die meinen euch des Öfteren in der Nähe des Friedhofs gesehen zu haben. Ihr wisst, das wir in den letzten Monaten beständig mit Grabräubern zu kämpfen hatten.“

Nun Grabräuberei war es nicht wirklich, dachte Erik und vermied es in letzter Sekunde noch etwas  Derartiges zu erwidern. Er hatte nur die Körper gebraucht, ihre Schätze hatte er stetes gelassen wo er sie gefunden hatte. Mochte sein, das sich andere darüber hergemacht hatten aber zumindest darin war er schuldlos… Aber wenn der Patrizier ihn wirklich verdächtigte, warum wurde er dann jetzt erst befragt? Und vor allem hier ? Langsam musterte er die Gesichter der vier Prüfer, alt müde, ausdruckslos. Was dachten sie? Erik wusste es nicht, aber wohlgesonnen waren die Blicke, die man ihm zuwarf sicher nicht.

,, Es gibt ernste Anschuldigungen gegen euch ? Habt ihr nichts dazu zu sagen?“ Der Patrizier lehnte sich auf seinem Platz zurück und faltete die Hände vor dem Bauch.

,, Durchaus.“ Er konnte leugnen, aber was brachte das? Er hielt den Beweis der alles bloßlegen würde in den Händen und hatte er nicht ohnehin vorgehabt sie damit zu konfrontieren? Aber sicher nicht so. Nun, manchmal hieß es eben spontan sein, sagte er sich, während er das Buch fester umklammerte und langsam vortrat. Die Wachen links und rechts von ihm bewegten sich, aber Gavion gebot ihnen mit einer Geste Einhalt.

,, Sie stimmen. Alle. Also mit Ausnahme vom Grabraub meine ich natürlich. Daran war ich nie interessiert. Ich brauchte nur die Körper. Was den Schmuck und die Beigaben angeht, weiß ich nicht, was damit geschehen ist.“

,, Ihr… leugnet also eure Taten nicht einmal ?“ Der Patrizier schien nun ernsthaft verwirrt und nicht im Geringsten wütend oder entsetzt. Für ihn war wohl schon klar gewesen, das Erik der Schuldige sein musste, aber das er es auch Gestand, damit hatte er wohl kaum gerechnet. Vielleicht lag sogar so etwas wie stumme  Anerkennung in seinem Blick. Immerhin, Gavion war nicht unbedingt dafür bekannt ungerecht zu sein.

,, Es war unverzichtbar für meine Arbeit. Die Toten sind tot, Herr.“ Erik wusste nicht ob der Patrizier seinen Erklärungen überhaupt folgen würde, aber er musste es zumindest versuchen. ,, Man kann ihnen kein Leid mehr zufügen, aber man kann versuchen Leid für andere durch sie zu verhindern. Und doch kann ich euch versichern, dass ich nie Respektlos sein wollte und dies auch nie in meiner Absicht lag.  Aber ja… die Anschuldigungen stimmen. Aber wenn ihr glaubt dass ich deshalb Reue empfinde, dann seid ihr ein Narr.“ Im Nachhinein betrachtet, war es wohl keine gute Idee gewesen, dem Herrn Varas so etwas ins Gesicht zu sagen, doch im Augenblick war Erik zu beschäftigt damit sich zu verteidigen. Viel früher, als er eigentlich gehofft hatte und unvorbereitet und noch dazu scheinbar als Angeklagter. ,,Meine Arbeit ist wertvoll und wichtig. Überzeugt euch selbst.“

Er ließ das große, in Leder eingebundene Buch vor dem Patrizier auf den Tisch krachen, das das Holz unter dem Aufprall ächzte.

,, Das bezweifelt auch niemand.“ Abalain zog das  schwere Buch zu sich herüber und blättert langsam einige Seiten durch. Seine Augen schienen zu leuchten, als er die detaillierten Zeichnungen und Textpassagen überflog.  Erik wusste nicht zu sagen wieso ihn das noch mehr als alles andere beunruhigte. Da noch nicht. ,, Und wir werden sie nutzen.  Aber euer Name darf unter keinen Umständen damit in Verbindung stehen. Nicht nach diesen… Anschuldigungen. Ihr würdet nur dem Ruf unserer Stadt schaden. Und das kann man euch nicht erlauben.“

,, Ihr wollt meine Arbeit für euch, während ich die Schuld tragen soll ? Habt ihr euch das so gedacht, Abalain?“ Seine Stimme war ganz ruhig, obwohl in seinem Kopf im Augenblick alles durcheinander wirbelte. Was konnte er tun, was sollte er sagen? Seine Hände verkrampften und öffneten sich wieder Das war nicht gerecht, es war nicht in Ordnung es… Hilfesuchend sah er in Richtung des Patriziers.

Gavion schien durchaus zu verstehen, dass man Erik hierbei über den Tisch zog, aber er hatte auch den Fehler gemacht eben zu gestehen. Für den Patrizier war die Sache damit scheinbar entschieden.

,, Gebt euch damit zufrieden, das die Universität eure Arbeit zumindest anerkennt. Wäre es anders, würde euch nur der Strang erwarten, Erik.  So jedoch werde ich von einer Strafe absehen und euer Leben schonen. Aber glaubt nicht, das man euch ab jetzt nicht beobachten würde…“

,, Bitte was ?“ Abalain hatte sich von seinem Platz erhoben. ,, Herr ihr könnt nicht ernsthaft darüber nachdenken…“

,, Ich kann nicht ?“ Die Stimme des Patriziers war laut genug, dass man sie vermutlich in den Angrenzenden Gebäuden noch hören konnte. ,, Nun ich habe es grade getan. Wachen… schafft mir diesen einen Narren aus den Augen, während ich mit den anderen diskutiere.  Er ist der Universität verwiesen. “ Agrippa Gavion gab ein Seufzten von sich, während zwei seiner Männer Erik an den Schultern packten und unsanft aus dem Raum zerrten. Sein Buch blieb in Abalains Händen zurück, genau wie seine Hoffnungen in dieser Stadt irgendwie Fuß zu fassen. Monate der Arbeit umsonst und nicht nur verloren, sondern gestohlen… Hatte der Mann bereits gewusst, woran Erik arbeitete oder hatte er nur eine Gelegenheit ergriffen, die sich ihm bot? Erik wusste es nicht aber das dünne Lächeln das er auf den Lippen des Gelehrten sah, schien Bände zu sprechen.
Es spielte keine Rolle mehr. Geknickt  und wütend gleichermaßen schlurfte er durch die Hallen zurück in Richtung des Ausgangs. Draußen war es immer noch helllichter Tag, die Sonne stand grade erst im Zenit. Erik jedoch hatte kaum Augen dafür und auch nicht für Cyrus, an dem er wortlos vorbei lief. Erst auf den Stufen der Treppe holte ihn der Wolf ein.

,, Also, wie ist es gelaufen ?“ Seine Stimme verriet bereits, dass er die Antwort wohl kannte.

,, Was glaubst du ? Furchtbar…“ Erik ließ sich auf einem der Treppenabsätze nieder und der Wolf tat es ihm gleich. Unter ihnen breitete sich Vara aus, der Ort, der bisher seine Heimat gewesen war. Ob er es bleiben würde stand in den Sternen.  Die eigentlich so vertraute Kulisse war ihm fremd geworden, die Wasserströme die silbern in der Sonne glänzten hatten scheinbar alles Schöne verloren. Es gab hier jetzt nichts mehr für ihn, dachte er düster. Das eine, was er tun wollte, hatte man ihm verwehrt.  ,, Diese Narren werden mich noch kennen lernen… Wenn sie glauben ich lasse mich einfach so bestehlen und rauswerfen, dann haben sie sich getäuscht. Ich…“
,,Du klingst grade wie ein Verrückter.“ , unterbrach ihn der Wolf. Erik sah ihn einen Moment nur irritiert an. Tat er das? Unbewusst  hatte er die Hand zur Faust geballt und öffnete sie erst jetzt langsam wieder. Tatsächlich hatte der Wolf ihn noch nie so…besorgt angesehen. Ja er war wütend, aber das war doch wohl auch zu erwarten, oder?

,, Nein… Nein tue ich nicht. Ich bin nur sauer, das ist alles. Und ja verdammt, das steht mir zu…“ Erik seufzte.

,, Also was machen wir jetzt ?“

,,Jetzt ? „ Erik stand langsam wieder auf und klopfte sich imaginären Staub aus den Kleidern. Wir gehen etwas trinken, das habe ich dir doch gesagt.“

Das war zumindest besser, als hier herum zu sitzen. Und danach… konnte er sich immer noch Gedanken machen, wie es jetzt bloß weitergehen würde.  Sobald die ersten Leute erfuhren, dass er für die verschwundenen Leichen verantwortlich war, wäre er besser aus der Stadt verschwunden. Und das sie es erfahren würden, dafür würde  Abalain Anders schon sorgen, da war sich Erik ganz sicher. Vermutlich wäre er auch derjenige, der den Scheiterhaufen anzünden würde, wenn man ihm die Gelegenheit gab. Und das alles, während er Eriks Arbeit als seine Verkaufte. Der Gedanke entlockte ihm ein düsteres Grinsen, während sie sich ihren Weg den Hügel hinab und in die Straßen Varas suchten. Sie mussten allerdings auch nicht weit gehen, bis sie auf die ersten Gasthäuser stießen. Erik kannte diese Wege wie seine Westentasche und mit dem Aufstieg der Universität hatte die Anzahl an Herbergen und Tavernen in Vara dramatisch zugenommen…

 

 

 

 

 

 

 

Erik blinzelte ins trübe Sonnenlicht und musste die Augen sofort wieder schließen. Langsam ließ er den Kopf zurück auf die Tischplatte sinken, von der er ihn grade erst gehoben hatte. Sein Schädel fühlte sich an, als wollte er zerspringen. Eine Weile lag er einfach nur so da und wartete darauf, dass die schmerzen nachließen. Das kühle, glatte Holz an seiner Stirn tat zumindest etwas, das tiefe Dröhnen zu dämpfen. Erst dann öffnete er die Augen erneut und sah sich um, möglichst, ohne den Kopf dabei schnell zu bewegen.

Sonnenlicht sickerte durch ein Fenster hinter ihm und gedämpfter Lärm drang durch die milchigen Scheiben des Gasthauses. Es war also bereits helllichter Tag….  Dutzende von Tischen und Stühlen, auf denen noch leere Gläser und Flaschen standen, machten den Großteil der Inneneinrichtung aus. Der Dielenboden knarrte, als Erik sich aufrichtete und an sich herab sah. Sofort wurde ihm wieder schwindlig und er sackte zurück, während das Fass auf dem er saß gefährlich schwankte. Götter, was war gestern eigentlich passiert? Langsam griff er nach oben auf seinen Kopf, als ihm schließlich  klar wurde, dass der ungewohnte Druck, der darauf lastete, nicht nur von seinem Kater kam.  Unsicher betrachtete er den verschlissenen Filzhut den er mit einem Mal in den Händen hielt. Ihm gehörte das Stück sicher nicht…

Er setzte sich vorsichtig ganz auf. Noch in der Bewegung merkte er wie etwas aus den Taschen seines Mantels rutschte und auch aus den Falten seiner Kleidung. Klirrende Münzen schlugen auf dem Boden auf und glitzerten Silbern und Gold in der Morgensonne. Wo kamen die den her? Erik betrachtete sich eines der Geldstücke, das noch in seinen überquellenden Taschen geblieben war, genauer. Das war massives Gold mit einem in Silber gehaltenen Drachen darauf… Das Wappen der Kaiserfamilie. 

Erik ließ die Münze wieder in seine Tasche wandern und sah sich nun in die andere Richtung um. Größtenteils bot sich ihm das gleiche Bild wie zuvor. Gläser und Flaschen und Scherben und Tische… Ein paar Säulen stützten eine abgesenkte Decke unter der sich ein einfacherer Tresen befand. Lediglich ein einziger Mann mit hellrotem Bart und Haaren in der gleichen Farbe saß daran und polierte die noch heilen Gläser. Als er Erik bemerkte, war dieser sich nicht sicher, ob er wegen der Sauferei hier besser weglaufen sollte oder nicht. Doch der Fremde, bei dem es sich wohl um den Wirt handeln musste, machte keine Anstalten aufzustehen.

,, Auch endlich wach ?“ , fragte er stattdessen und klang dabei alles andere als unfreundlich.

,, Es scheint so…“ Er rieb sich den Kopf und rutschte von dem Fass auf die Füße. ,, Ihr könnt mir nicht zufällig verraten ob ihr euch noch an einen Wolf in meiner Begleitung erinnert ? Schwarzes Fell , guckt ziemlich bösartig, versteht keinen Spaß?“

,, Der einzige Gejarn an den ich mich gestern Abend erinnere hat definitiv Spaß verstanden. Und er hat meine halbe Kundschaft unter den Tisch getrunken. Euch übrigens eingeschlossen. Wenn ich mir seinen Namen nur merken könnte. Irgendwas wie Cyrken… Cyarkan….“

,, Cyrus.“ , verbesserte Erik den Mann rasch, der ihm darauf nur einen verwirrten Blick schenkte.

,, Ich bin mir ziemlich sicher das genau das nicht sein Name war.“

,, Solange er mir auf die Nerven geht ist er es.“ Erik stützte erneut einen Moment den Kopf in die Hände. ,, Ihr hättet nicht zufällig ein Glas Wasser für mich ? Oder könntet mir verraten, wo sich Cyrus jetzt befindet?“

,, Beides.“ , meinte der Mann, ehe er Wasser aus einem Fass hinter der Theke schöpfte und in ein Glas füllte. ,, Wobei ich euch eigentlich nur das weiter trinken empfehlen kann, wenn ich ihr wäre.“

,, Ich muss euch für das alles irgendwie bezahlen.“ Er winkte in Richtung des verwüsteten Schankraums. Erik graute schon bei dem Gedanken, doch der Wirt lachte lediglich.

,, Ich klaube mir meine Bezahlung später vom Boden auf. Ich glaube da liegt genug um das ganze Gebäude neu aufzubauen, wenn ich will.“

,, Nächste Frage… ihr könnt mir nicht auch verraten, wo das ganze Geld herkommt ?“ Erik brauchte nur in seine Tasche greifen um einen Stapel Silber und Goldmünzen zu Tage zu fördern. Das war ein kleines Vermögen… Wenn er ein paar Abstriche machte,  konnte er ein halbes Jahr lang davon leben… Erik stürzte das Wasser in einem Zug runter. Immerhin fühlte sich seine Zunge jetzt nicht mehr an wie Sandpapier, das dröhnen in seinem Schädel jedoch wurde kaum besser.

,, Ich glaube ihr solltet einfach öfter spielen. Keine Ahnung wie ihr das gemacht habt, aber außer euch ist schätze ich gestern jeder hier Ärmer nach Hause gegangen. Na ja und euer Wolffreund, auch wenn das kein Geld war.“

,, Guter Mann ich bin immer noch… furchtbar betrunken fürchte ich. Ich kann grade wirklich keine Rätsel verstehen. Also wo ist er jetzt?“

Der Wirt zuckte mit den Schultern deutete jedoch auf einen Aufgang im hinteren Teil des Schankraums, der wohl zu den Gästezimmern führte. Erik zögerte nicht lange, sondern stieg schlicht die knarzenden Stufen hinauf. Oben gab es einen kurzen Flur, der zu mehreren Zimmern hin abzweigte. Ein verstaubter Teppich bedeckte den Boden und Licht fiel durch ein schmutziges kleines Fenster herein, das sich hoch oben in der Wand gegenüber der Treppe befand. Die meisten Türen standen offen und gewährten einen Blick in die schlicht eingerichteten Räume. Die Betten waren einfache, mit Stroh gefüllte Lage und die Möbel, sofern es überhaupt welche gab, aus ungeschliffenem, groben Holz gefertigt.

Lediglich eine Tür ganz am Ende des Ganges war geschlossen, als Erik davor trat. Ohne zu zögern klopfte er an und wartete kurz, ob sich etwas rührte. Tatsächlich meinte er kurz eine leise Stimme und das Rascheln von Stroh zu vernehmen. Oder waren es zwei? Vielleicht hatte sich der Wirt am Ende auch geirrt und der Wolf war längst irgendwo anders?  Vielleicht hatte er sich auch endlich entschieden zu seinem Clan zurück zu kehren. Nicht dass es Erik stören würde aber… Götter, er würde den Mann doch vermissen, wenn er ehrlich war.

Erneut regte sich irgendetwas hinter der Tür. ,, Cyrus ?“  Erik hatte genug. Noch einmal pochte er mit der Faust gegen das Holz der Tür, dann streckte er die Hand nach dem Griff aus. Abgeschlossen. Der Knauf ließ sich in keine Richtung drehen und dagegen zu drücken brachte genau so wenig etwas.

,, Erik ?“ Endlich Antwortete ihm jemand. Der junge Mann seufzte und lehne sich neben die Tür gegen die Holzwand.

,, Irgendeinen besonderen Grund, warum du dich einschließt ? Falls du Angst wegen der Zeche hast, die habe ich bezahlt. Und  ich bin mir sicher, das war viel zu viel, aber nachdem wir den halben Schankraum zerlegt haben…“ Wieder raschelte etwas und diesmal war Erik sich sogar ganz sicher eine zweite Stimme zu hören. ,, Hörst du mir eigentlich überhaupt zu ?“ Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis der Gejarn sich zeigte. Ungeduldig stippte Erik im Takt  mit dem Fuß gegen die Holzwand und überlegte einen Moment, ob  er es riskieren sollte noch eine Pfeife anzuzünden. Seine Kopfschmerzen hatten mittlerweile  immerhin etwas nachgelassen und wurden langsam durch ein zunehmendes Hungergefühl ersetzt. Endlich jedoch, wurde die Tür geöffnet und ein Sichtlich gehetzt wirkender Cyrus stürzte auf den Flur. Bevor Erik ihn noch Fragen konnte, was vor sich ging, hatte er die Tür auch schon wieder zugezogen und lehnte sich dagegen. Es war nicht immer leicht zu sagen, was der Gejarn dachte oder was in ihm vorging, aber in diesem Augenblick stand ihm die Aufregung geradezu ins Gesicht geschrieben.  Und noch etwas anderes. Erik wusste nicht zu sagen was, aber wäre der Mann ein Mensch gewesen, sein Kopf wäre vermutlich hoch rot angelaufen. Langsam wurde Erik klar, was der Wirt gemeint hatte und ein dünnes Grinsen breitete sich auf seinen Zügen aus.

,, Mir scheint langsam findest du  doch gefallen an den Gebräuchen der  Menschen.“ Falls der Wolf den Wink mit dem Zaunpfahl verstand, so zeigte er es zumindest nicht. Oder vielleicht wollte er es auch einfach nicht, was Erik für wahrscheinlicher hielt.  ,, Der Wirt meinte du hast  genug für deinen  halben Clan getrunken?“

,, Es schmeckt furchtbar aber… Geister es macht Spaß.“ Ein unsicheres Grinsen trat auf die Züge des Gejarn...,, Du hättest mich nur vorwarnen können, das ich mich am nächsten Morgen wie erschlagen

,, Ich schätze mal, daran ist nicht nur der  Alkohol schuld...“ Erik sprach zwar mehr mit sich selbst, aber der Gejarn konnte ihn natürlich unmöglich überhören.

,, Was soll das denn heißen ?“

,, Gar nichts.“ , gab Erik mit einem unschuldigen Grinsen zurück, bevor er an dem Gejarn vorbei trat und die Tür aufzog. Er erhaschte einen kurzen Blick auf blonde Haare und nackte Haut. Weiter  kam er zwar nicht, bevor ihm ein Stroh gefülltes Kissen ins Gesicht flog und Cyrus ihn unsanft wieder zurückzog, trotzdem lachte er lauthals. Nun das war definitiv keine Gejarn gewesen. ,, Aber ich glaube ich habe recht.“

Er grinste immer noch als er sich wieder zu Cyrus umdrehte. Der Wolf lehnte,  den Blick gesenkt und die Arme vor der Brust verschränkt an der Wand.

,, Was auch immer in deinem Kopf vorgeht, ich will es nicht hören.“ Lange jedoch schien auch Cyrus  die einsetzende Stille nicht  zu ertragen. Irgendwann fing er an leise zu lachen und Erik stimmte schließlich lauthals mit ein, bis ein genervtes ,, Kannst du deinem Freund sagen ich versuche noch zu schlafen.“ Sie beide wieder  zum Schweigen brachte.

,, Können wir bitte nicht weiter darüber reden ?“ Der Wolf

,, Nur unter einer Bedingung. Sagt mir nur nie wieder dass du  von Menschen nichts halten würdest. Also, willst du ich noch verabschieden, oder können wir dann?“

Der Wolf zögerte kurz. ,, Ich glaube… ich finde sie wieder.“ , meinte er schließlich , bevor sie sich auf den Weg aus dem Gasthaus hinaus machten. Unten im Schankraum war nach wie vor alles verlassen. Selbst der Wirt war nirgends zu sehen. Rauch hing in der Luft und einen Moment fragte sich Erik ob der Mann grade vielleicht etwas zu Essen in einer angrenzenden Küche zubereitete. Das käme jetzt grade recht um die letzten Spuren des vergangenen Abends abzuschütteln.

,, Du riechst das auch, oder ?“  Cyrus Tonfall jedoch brachte ihn rasch von dieser Vorstellung ab. Angespannt  und misstrauisch.

,, Stimmt etwas nicht ?“ Aber jetzt wo es der Wolf einmal erwähnt hatte… der Rauch war nicht das einzige merkwürdige. Auf den Straßen draußen waren die Geräusche lauter geworden, Menschen riefen durcheinander, manche schrien… Soweit war das nichts Ungewöhnliches für Vara, aber die Panik in ihren Stimmen war schwer zu überhören. Irgendwo wieherte ein Pferd … Und da war noch etwas anderes, kaum wahrnehmbares. Eriks Füße kribbelten, als wären sie Eingeschlafen oder, als würde der Boden darunter vibrieren. Doch um sie herum stand scheinbar alles still.

Er und Cyrus hatten den gleichen Gedanken. ,, Nach draußen !“

Ohne zu zögern folgte der Wolf ihm, während Erik die Türen aufstieß und ins Freie trat. Der Geruch nach brennendem Holz war hier nur stärker und graue Wolken quollen aus dem westlichen Teil der Stadt gen Himmel. Oder dort wo der Himmel sein sollte… Der Gedanke, dass es sich um einen schlichten Brand handeln könnte, löste sich sofort in Wohlgefallen auf, als Erik nach oben sah. Über ihnen war der Himmel noch zu sehen, blau und klar. Wärmend stand die Sonne über ihnen und ließ alles in grellem Licht erstrahlen, machte die Farben überdeutlich klar, beinahe unnatürlich. Doch weiter im Westen, dort wo die Rauchsäulen aufstiegen, hatte sich ein gewaltiger, dunkler Schatten vor das blau geschoben.  Ein Schatten, der trotz seiner Größe Mitten in der Luft zu schweben schien und langsam in ihre Richtung über die Statt hinweg glitt…  Von unten erinnerte die Struktur aus großen, silbernen Brücken und  schwebenden Inseln an ein großes, falsch proportioniertes Spinnennetz. Weißer Marmorbauten, Glas und Gold  blitzen darauf in der Sonne und im Zentrum des ganzen schwebte die größte der Inseln. Selbst die kleinsten waren leicht so groß, wie Varas Universitätshügel. Doch das Ungetüm in ihrer Mitte würde Vara gänzlich in Schatten tauchen, wenn es die Stadt überquerte und sollte es herabstürzen, würde von der Stadt wohl nichts bleiben als Trümmer unter geborstenem Gestein. Erik wich langsam zurück. Er wusste, was er hier vor sich hatte, auch wenn er nie in seinem Leben geglaubt hätte, sie einmal aus solcher Nähe zu sehen. Die fliegende Stadt war hier… Und hinter ihr, im Westen, dort wo die Stadt brannte, schien sich ein Wasserfall aus Feuer aus dem Himmel zu ergießen….

 



Es war ein Alptraum und das nicht nur für ihn. Erik musste einer durchgehenden Kutsche Ausweichen auf deren Kutschbock sich ein verängstigter Mann mit seiner Familie zusammen kauerte.  In der Kutsche wiederum schrie ein Adeliger lauthals, dass sie sich gefälligst beeilen sollten um dem Feuerregen zu entkommen. Ascheflocken wehten durch die Luft, brachten Glut mit sich, die vielerorts Stroh und anders brennbares Material entzündete und die Feuersbrunst noch weiter anheizte. Pferde gingen durch und Leute rannten ziellos über die Straße, warnten Nachbarn oder Schleppten Wassereimer in Richtung der Rauchwolken. Allerdings nur, bis ihr Blick an der Stadt hängen blieb, die dort über ihnen mitten in der Luft schwebte. Beinahe wie der Atem eines gewaltigen, kilometerlangen, Drachen zog sich eine Wand aus Feuer hinter der Zitadelle her und ließ die Welt dahinter in roten und Orangen Flammen versinken.  Was Erik  allerdings im ersten Moment wie ein Wasserfall aus reinem Feuer erschienen war, entpuppte sich beim näheren Hinsehen als nicht endender Regen aus Feuertöpfen und Brandpfeilen und Gefäßen in denen sich Pech und Drachenfeuer befinden mussten. Die Brandgratanten zerschellten in den Straßen und auf den Dächern der Häuser und flammendes Pech ergoss sich auf Gebäude und Menschen gleichermaßen. Nur langsam wurde Erik klar, was das Auftauchen der Stadt wirklich bedeutete. Ja… Varas Verteidigungen waren stark, stark genug, das der Kaiser, so verrückt er vielleicht auch war, niemals einen Angriff über Land riskieren würde. Doch wie wehrte man sich gegen einen Feind, der aus der Luft kam?  Kaiser Caius Ordeal war hier um die Stadt brennen zu sehen…

Über die mittlerweile mit dichtem Rauch verhangenen Straßen kam der Wirt  zu ihnen gelaufen und starrte genauso bleich wie alle anderen auf das Monstrum aus Stein über ihnen. Erik jedoch zögerte nicht lange. Wenn sie hier blieben, wären sie alle tot, das war ihm klar. Und was ihre Chancen anging, die Stadt zu halten, sprach der Feuerregen Bände. Kurzentschlossen kletterte er auf eine zusammengebrochene Kutsche, deren Pferde beim ersten Anzeichen der Feuer ausgebrochen waren.  Einen Moment kämpfte er mit dem Gleichgewicht, dann kam er schließlich sicher zum Stehen und ruderte mit den Armen um die Aufmerksamkeit der Menge auf sich zu lenken.

,, Hört zu : Ich weiß das hört keiner gerne, aber Vara ist verloren. Ich schlage vor,  ihr seht alle zu, dass ihr so schnell wie möglich in Sicherheit kommt. Holt eure Familien, rennt zu den Toren… aber bleibt gefälligst nicht stehen.“

,, Die Stadtwache wird uns doch verteidigen.“ , meinte der Wirt, der sich ihm als einer der ersten Zugewandt hatte. Seine Stimme allerdings verriet bereits, dass er nicht daran glaubte.

,, Ich bezweifle, dass nach diesem Angriff noch viel von der Stadtwache übrig ist. Und wenn doch wird es sicher nicht lange dauern, bis der Kaiser die ersten Männer hier runter schickt. Er wird die Tore abriegeln und dann gibt es kein Entkommen mehr und Vara… wird zu einer großen Pfanne.  Und wir wären dann das Filetstück darin. Ich wäre gerne fort, bevor das passiert. Und ihr sicher auch.“ Seine Worte schienen endlich Eindruck gemacht zu haben, den als er vom Wagen sprang, wendeten sich bereits die ersten um und hetzten die Straße hinab. Dem Wirt jedoch schnippte er im Vorübergehen noch eine Goldmünze zu. ,, Und tut mir einen gefallen und bringt die Dame oben in Sicherheit. Cyrus hier würde mir sicher nie verzeihen wenn ich nicht daran denken würde.“

Der Wolf hielt sich mit einer Antwort zurück, nickte jedoch dankbar, bevor Erik auch ihm ein Zeichen gab, sich in Bewegung zu setzen.

,, Wir könnten sie selbst mit nehmen…“ , warf er jedoch noch kurz ein.

,, Was und dann muss ich euch beide den ganzen Rest der Flucht ertragen ? Nein danke… Du gehst mir genug auf die Nerven ohne, dass du versuchst den Held zu spielen. Und jetzt los  mein Großer, bevor dir noch das Fell verbrennt.“

Der Gejarn folgte ihm  schließlich, wenn auch etwas wehleidig. Götter, da war er wirklich noch mal einer Kugel ausgewichen, dachte er grinsend. Andererseits wäre es vielleicht gar nicht so schlimm, wenn Cyrus eine andere Beschäftigung hatte, als ihm auf Schritt und Tritt zu folgen…

So schnell sie konnten suchten sie sich einen Weg durch die rauchverhangenen Straßen. Das Feuer hatte mittlerweile bereits weiter um sich gegriffen und zog sich wie die Finger einer brennenden Hand an den Häuserzeilen entlang. Und wie Erik bereits befürchtet hatte, waren es mittlerweile nicht nur die Flammen, die sie bedrohten. Mehrmals konnte er Flüchtig einige Stadtwachen ausmachen, die in den Straßen Aufstellung genommen hatten. Manche halfen bei den vergeblichen Löscharbeiten, die nur dazu führten, das brennende Ölpfützen durch die Gassen trieben und die Flammen sich noch weiter ausbreiteten. Andere jedoch hielten Schlüsselpositionen, Kreuzungen und wichtige Straßen und öffentliche Plätze besetzt. Immer wieder wurden Cyrus und er von bewaffneten Angehalten, genauso wie die anderen Flüchtigen, bevor sie nach kurzer Begutachtung weiter gewinkt wurden, hinter die vermeintlich sicheren Reihen der Stadtgarde. Das hieß, bis sie sich schließlich auf dem großen Platz vor Varas Universität wiederfanden.

Die Gärten mit ihren Wasserströmen boten wohl einen sicheren Schutz gegen das Feuer, genau wie die Brunnen, deren Seitenwände die Wachen teilweise eingerissen hatten, so das sich nun Wasserströme über das Pflaster ergossen und einen flachen Teich zwischen ihnen und der brennenden Stadt erschufen. Währenddessen wurden Erik und die anderen die Treppe des Hügels hinauf gescheucht. So hatte er sich seine nächste Rückkehr an diesen Ort sicher nicht vorgestellt, dachte Erik. Insgeheim fragte er sich, ob Abalain auf seinen Verweis bestehen würde. Der Gedanke sich seine Arbeit zurück zu holen, schlich sich kurz in seinen Verstand, aber in dem allgemeinen Chaos schien ihm diese Idee schnell närrisch. Sie hatten größere Probleme. Und doch war die Universität vermutlich der sicherste Ort in der ganzen  Stadt.  Selbst wenn das Feuer bis an den Platz heran kam, dort oben wären sie wohl vor den Flammen geschützt. Sein eigener Plan war gewesen, irgendwie aus der Stadt zu fliehen, aber vielleicht waren die Tore auch längst besetzt? Die Antwort auf diese Frage, erhielt er schließlich früher, als ihm lieb war. Unten am Fuß der Treppe hatten sich mittlerweile wieder die Stadtwache formiert und einen Halbkreis vor den Stufen gebildet. Vereinzelt rannten noch Bürger durch ihre Reihen hindurch. Die letzten Nachzügler jedoch, wurden Urplötzlich von einer Salve Bolzen in den Rücken getroffen, als gut dreißig Mann in schwarzer Panzerung aus dem Rauch auftauchten. Erik lief ein kalter Schauer über den Rücken, als er den in Silber gehaltenen Drachen sah , der auf ihrer Rüstung und auf dem Banner prangte, das einer der Männer vor ihnen her trug. Die dunklen Rüstungen und die schwarzen Umhänge ließen sie wirken, als seien sie tatsächlich eben dem Feuer entstiegen und die geschlossenen Helme nahmen ihnen das letzte Menschliche. Prätorianer… Die Leibgarde des Kaisers. Auch wenn sie dem Ring aus Stadtwachen eins zu zwei unterlegen waren, schien das keinen der Männer groß zu kümmern. Nicht einmal den Bannerträger, der außer seiner Fahne gar keine Waffen trug. Eine Pfeilsalve aus der zweiten Reihe des Rings ging über sie nieder, prallte jedoch wirkungslos an ihren Panzerungen ab. Das Geräusch, als die Schäfte der Pfeile einfach brachen zehrte an Eriks Nerven. Ihrerseits trugen die vorderen Männer der Prätorianer schwere Armbrüste mit denen sie auf den Ring aus Verteidigern anlegten… und feuerten. Die Wirkung und Präzision der Bolzen war verheerend. Die Projektile durchschlugen die Panzerung der Stadtwache an den Gelenken , trafen ungeschützte kehlen und Gesichter, während die erste Reihe der Verteidiger übereinander stürzte, Tot, verwundet oder von ihren verletzten Kameraden zu Boden gerissen.

Die Prätorianer ihrerseits setzten ihren Weg unbeirrt fort, langsam zwar, doch unaufhaltsam. Die abgefeuerten Armbrüste warfen sie schlicht weg und zogen Schwerter oder ließen sich Hellebarden und Speere reichen, die ihre Gefährten für sie gehalten hatten. Wie eine stählerne Faust brachen sie in die in Unordnung geratenen Reihend er Stadtwache, die daraufhin endgültig auseinander brachen. Dass sie in der Überzahl waren, war plötzlich bedeutungslos, als die Prätorianer anfingen, eine blutige Schneise durch sie zu schlagen. Und, wo bereits über zwei Dutzend Stadtwachen am Boden lagen, war bisher kein einziger der dunklen Krieger, unter dem Drachenbanner, gefallen.

Erik wartete nicht darauf, ob die Wachen die Treppe halten würden. Mit einem Wink gab er Cyrus ein Zeichen ihm erneut zu golfen und damit auch jedem Bürger Varas, dem ebenso klar war, das die Universität soeben zur Todesfalle geworden war. Mit einem Satz war er über das aus Marmor geschlagene Treppengeländer hinweg und landete in den Gärten, die etwas darunter lagen. Und dann gab er Fersengeld, während der Schatten des Wolfs neben ihm auftauchte. Ein paar weitere folgten seinem Beispiel, andere drängten weiter zum Tor auf dem Gipfel des Hügels. Und einige Narren stürzten sogar den Prätorianern entgegne, die mittlerweile ihr Massaker an der Stadtwache beendet hatten und im gleichen, langsamen aber stetigen Tempo wie zuvor die Stufen erklommen. Zuerst sah es tatsächlich so aus, als würden sie die Leute einfach ignorieren, die an ihnen vorbei drängten. Bis der erste das Schwert zog und einen Mann im Vorübergehen enthauptete ohne dabei auch nur langsamer zu werden. Der kurze Moment der Hoffnung schlug in Panik um…

Erik bekam nur noch die fernen Schreie mit, als er und  der Wolf durch die Gärten rannten und schließlich am anderen Ende des Platzes wieder daraus hervor kamen.

Also gut, überlegte er, die Universität war keine Option mehr. Und wenn die Prätorianer hier waren, mussten die Tore bereits gefallen sein. Also fiel auch die direkte Flucht weg. Und die fliegende Stadt  schwebte immer noch über ihnen. Was immer sie getan hatten um den Zorn des Kaisers auf sich zu ziehen, er war offenbar fest entschlossen, Vara gänzlich zu Tilgen. Noch immer strömten Vorhänge aus Feuer aus dem Himmel und hatten weite Teile der Stadt bereits in ein tosendes Inferno gewandelt.

Aber einen Ausweg gab es noch, dachte Erik, auch wenn es wohl gefährlich wäre, sich der Stadtmauer zu nähern, wenn die Prätorianer bereits die Tore kontrollierten. Wenn sie auch auf dem Wall Späher hätten, wären sie erledigt. Wenn nicht, gab es jedoch vielleicht noch einen Fluchtweg…

Sie mussten zu seinem Haus. Erik warf noch einen letzten Blick zurück in Richtung der Treppe, wo nun auch die letzten Bürger Varas entweder geflohen waren oder tot am Boden lagen. Die Prätorianer hatten unterdessen die verschlossenen Tore erreicht und hämmerten mit Schwertern und Lanzen auf das Holz ein. Ob es halten würde oder ob auch die Universität ein Opfer der Flammen werden würde, stand wohl in den Sternen. Und es lag nicht in seiner Macht, irgendetwas an dem hier zu ändern, erinnerte er sich. Manche Dinge musste man hinnehmen ob man wollte oder nicht.

Vorsichtig geworden tauchten er und Cyrus erneut in die Straßen Varas ein. Rauch erschwerte das Atmen und machte es fast unmöglich weiter als ein paar Schritte zu sehen. Aber vielleicht war das auch gut so, dachte Erik hustend. Er konnte die Hitze der Feuer spüren und sah ab und an das Aufflackern roter Flammen im dichten Nebel. Er wollte gar nicht sehen, wie dieser Ort unterging. Mehrmals mussten sie stehenbleiben, wenn Cyrus Schritte hörte. Meistens waren es nur andere Flüchtige, die durch den Rauch stolperten, doch ein, zwei Mal hörte auch Erik der Geklapper von Panzern und Waffen.  Und einmal wären sie fast in einen der, in schwarz gerüsteten, Männer hinein gelaufen. Der Mann stand auf einem kleinen Platz, der noch nicht vollständig vom Rauch eingehüllt war. Auf den ersten Blick unterschied er sich nicht von den anderen Prätorianern an der Treppe. Der Umhang, der ihm über die Schultern fiel, war allerdings rein weiß und mit Gold bestickte und den schweren Helm trug er unter dem Arm, so dass die Watte und die Kettenhaube darunter sichtbar waren. Ein paar andere umringten ihn und er gab ihnen scheinbar Anweisungen, ehe sie sich wieder zerstreuten. Erst dann drehte er sich ganz um und schien  einen Moment genau in Eriks Richtung zu sehen. Er war bereits älter, aber noch nicht alt. Strähnen grauer Haare ragten unter der Kettenhaube hervor. Und in einer Faust hielt er einen Speer. Goldene Verzierungen zogen sich über den Schaft, Symbole der alten Sprache und statt einer normalen Klinge glitzerte an seiner Spitze ein violett schimmernder, tränenförmiger Kristall. Es schien Erik mehr wie ein Zeichen von Autorität und weniger eine echte Waffe. Doch die Art wie die anderen Prätorianer davor zurück schreckte, wenn der Mann mit dem Speer in ihre Richtung deutete gab ihm zu denken. Und das war bei weitem nicht das einzige Rätsel. Die Prätorianer waren nicht nur hier um sicher zu stellen, dass niemand entkam, so viel stand für Erik mittlerweile fest. Es schien Wahnsinn, dass der Kaiser seine Elite einfach so in die Flammen schicken sollte. Es sei denn das hatte einen guten Grund. Einen Grund, der diesem ganzen Irrsinn aus Feuer und Rauch irgendeine Rechtfertigung geben könnte. Sie suchten irgendetwas… oder irgendwen. Langsam zogen Cyrus und er sich wieder in den Rauch zurück. Die Prätorianer zu umgehen würde sie Zeit kosten, aber alles war besser, als entdeckt zu werden…

 

Kapitel 9

 

Im Vergleich zu den prunkvollen Universitätsgebäuden wirkte die Villa des Patriziers von Vara fast unscheinbar.   Es war größer, als die meisten anderen Gebäude in der Stadt, aber nicht dekadent und auch die großen Gärten, die das zweistöckige Haus umgaben, waren zwar gepflegt aber keine offene Zuschaustellung von Macht. Ein schmiedeeiserner Zaun etwa doppelt so hoch wie eine ausgewachsene Person umlief das gesamte Gelände. Erik warf immer wieder eilige Blicke durch das Gatter, während er und Cyrus sich beeilten, das Anwesen zu passieren. Flammen schlugen aus dem einst mit grauem Schiefer bedeckten Dach und tauchten die Welt um sie herum in rötliches, flackerndes Licht. Er konnte die Hitze der Flammen selbst hier spüren und einen Moment fragte er sich, ob Patrizier Gavion dem Feuer entkommen war oder nun irgendwo unter den Trümmern des Daches begraben lag. Wie so viele andere… Zwei tote Stadtwächter lagen am Haupttor des Anwesens in ihrem eigenen Blut.

Erik beeilte sich an den Toten vorbei zu kommen.  Bis zu seinem eigenen Haus und damit hoffentlich einem möglichen Fluchtweg, wäre es jetzt nicht mehr weit. Rauch und Asche trieben mit dem vom Feuer angeheizten Wind durch die Luft und machten das Atmen schwer. Schwarzer Dunst quoll aus den Seitengassen hinaus auf die große Straße, die das Patrizieranwesen umlief. Wie viel von Vara mittlerweile vom Feuer verschlungen worden war, konnte er nur abschätzen, doch die fliegende Stadt verdunkelte noch immer den Himmel über ihnen , so dass das wenige Licht, das durch die Aschewolken drang, zusätzlich gedämpft wurde.

Erik hatte das große Eingangstor bereits fast passiert, als plötzlich die Türen der Villa aufflogen. Funken und Ruß stoben daraus hervor und hüllten die vier Gestalten, die ins freie Stürzten einen Moment ein. Eriks Herz schlug bis zum Hals, als er schwarzen Stahl durch die Asche hindurch schimmern sah. Einen Moment stand er wie erstarrt da. Bis zu den Häusern schafften sie es niemals ohne gesehen zu werden und hier standen sie fast völlig offen. Schließlich war es Cyrus, der ihn schlicht mit sich zu Boden riss, so dass sie direkt an dem niedrigen Fundament kauerten, das den Zaun stützte. Erik versuchte seinen Fall noch mit den Händen zu bremsen, was nur dazu führte, das er sich die Haut aufschürfte. Immerhin war er geistesgegenwärtig genug keinen Laut von sich zu geben und drückte sich stattdessen näher an den Stein. Cyrus ihm gegenüber tat das gleiche und legte einen Finger auf die Lippen.

Erik wagte es einen Moment nicht, aufzusehen oder zur Kante des Tores zu robben. Stattdessen lauschte er ob sich etwas rührte, auf das Klirren von Stahl oder Worte oder auch nur lauten Atem, der sich näherte. Erst als alles eine eile ruhig blieb wagte er es vorsichtig über die Kante ihre dürftigen Verstecks hinweg zu spähen.

Vier Männer standen im Aufgang zur Villa, deren westliche Fassade soeben krachend in sich zusammen fiel. Funken stoben auf und rieselten auf die drei stehenden und den einen knienden Mann herab. Am Boden kniete Agrippa Gavion. Erik erkannte den goldenen Ornat und den Umfang des Mannes sofort.

,, Ihr habt uns angelogen. Sie war nicht im Haus.“, stellte einer seiner drei Wächter fest. Zwei waren Prätorianer, einer im schlichten schwarz, der andere mit einem weißen Umhang und einem kristallinen Speer in der Hand. Erik erkannte  ihn als den Kommandanten von zuvor wieder auch wenn er jetzt den Helm trug und scheinbar ungeduldig Auf und an ging.

,, Macht endlich Schluss.“ , verlangte er mit einer Stimme, die kaum Wiederrede duldete.

Der dritte Mann, der, der zuvor gesprochen hatte, trug keine Rüstung, sondern war in tiefschwarze Roben gehüllt. Doch auch auf seiner Brust und auf dem Umhang prangte der silberne Drache der Ordeal. Und sein Anblick machte Erik mehr Angst als der, der zwei anderen Männer zusammen. Auch bei dem vermummten Mann handelte es sich um einen Prätorianer. Aber er war kein Krieger wie die anderen… Nein. Die neben den schwer gerüsteten Männern so kümmerlich und eingefallen wirkende Gestalt war ein Zauberer im Dienste des Kaisers.  Das Erbe des alten Volkes war nur in wenigen Menschen noch lebendig und weniger wussten wirklich mit dieser Gabe umzugehen. Doch in einem Magier war die Blutlinie der Alten noch lebendig und mit ihr die Macht über die diese verfügte… Erneut duckte Erik sich weg, als der Mann langsam an dem Patrizier vorbei trat.

,, Sie ?“ Gavion schien verwirrt, während er mit den Händen in seinen Taschen wühlte. Die zwei Prätorianer kamen einen Schritt näher, doch der kaiserliche Zauberer gab ihnen ein Zeichen zurück zu bleiben. ,, Ich dachte ihr seid deshalb hier ? Nehmt es von mir aus… ich weiß nicht was ihr sonst wollen würdet. Aber lasst meine Stadt  und meine Leute in Frieden.“

Erik musste dem Patrizier zumindest soweit Respekt zollen, dass seine Stimme nicht zitterte, als er seine Leute verteidigte. Langsam zog der Mann die Hände aus den Taschen und hob etwas hoch, das aussah, wie eine Spielfigur. Ein Narr. Eine kleine Marmorstatuete für Königsstein…. Erik runzelte die Stirn und auch die drei Männer des Kaisers wirkten alles andere als begeistert.

,, Was will ich mit irgendeinem Tand, verratet ihr mir das ?“ Der Magier schlug dem Patrizier die Staute aus der Hand, die daraufhin mit einem Klirren auf dem Pflaster landete. Die Überreste landeten nur wenige Schritte von Eriks Versteck entfernt. Was einst der Kopf der kleinen Statuette gewesen war, war nur noch ein scharfkantiges Bruchstück aus geborstenem Marmor.  Doch im inneren schien etwas zu glitzern, etwas Gelbes. Erik kam es vor wie ein Kristall, dessen einzelne Spitze dem vorstehenden Bruchstück folgte. Er warf einen Blick zurück zu den vier Gestalten auf dem Platz, die ihn nach wie vor nicht beachteten. Das hieß bis auf Gavion. Einen Moment schien er direkt in Eriks Richtung zu sehen, während dieser die Hand nach der kaputten Figur ausstreckte. Und dann nickte er. Ein wissendes Nicken aber auch eines mit einer stummen bitte. Nimm es. Seine Finger schlossen sich um den Marmor. Erik zog die Statue zu sich heran und ließ sie in seiner Manteltasche verschwinden.

Auf dem Platz jedoch, nahmen di Dinge mittlerweile eine Wendung. Der Magier, der Gavion die Statue aus der Hand geschlagen hatte, gab den zwei Prätorianern ein Zeichen. Der Mann im schwarzen Umhang trat dem Patrizier in den Rücken, so dass er gänzlich zu Boden stürzte… Und der Kommandant hob den Speer.  Erik sah das Kristall glitzern und hörte den Luftzug, als die Waffe herabsauste, den Hals des Patriziers durchbohrte und die Knochen des Genicks brach. Die Spitze trat an der Kehle wieder aus und bohrte sich mit einem hörbaren Donnerschlag in den Boden. Blitze zuckten über den Stein und lösten sich wieder auf, als der Prätorianer den Speer schließlich  aus dem Körper zog. Doch noch lebte der Patrizier anscheinend. Blut gurgelte mit jedem angestrengten Atemzug in seiner Kehle, während der Prätorianer erneut die Waffe hob.  Erik sprang auf ohne darüber nachzudenken und Cyrus tat es ihm schließlich mit einem leisen Fluch gleich.

,, Du legst es wirklich darauf an das ich meine Schuld begleiche.“ , rief ihm der Gejarn hinterher. Entdeckt waren sie jetzt sowieso. Der Prätorianer hielt in der Bewegung inne, während er sich langsam zu ihnen umdrehte. Sein Gefährte tat es ihm gleich. Nur der Magier stand auf einmal wie erstarrt da und gab einen erstickten Laut von sich. Dann stolperte er langsam Rückwärts, während sich ein Blutfleck auf seiner Brust ausbreitete. Ein Blutfleck in dessen Zentrum kalter Stahl glitzerte. Das Messer, das ihn in den Rücken getroffen hatte, hatte den schmächtigen Körper des Hexers glatt durchdrungen. Als die zwei Prätorianer sich wieder zu ihm umdrehten, sackte er langsam in sich zusammen. Noch ehe sie ganz verstanden hatten, was vor sich ging, segelte eine zweite Klinge heran und traf die dünne Lücke zwischen Helm und Halsberge des Prätorianers im schwarzen Umhang.  Mit einem röcheln ging der Mann zu Boden, während ihr letzter stehender Gegner langsam Rückwärts ging und dabei den Speer hob. Ein drittes Messer blitzte auf, so schnell der Erik erst gar nicht verstand, was da an ihm vorbei segelte. Der Prätorianer jedoch rammte nur den Speer in den Boden. Licht stieg um ihn herum auf und formte scheinbar eine hauchdünne Kuppel, die schimmerte, wie eine Seifenblase. Das Messer prallte davon ab, als wäre es auf massiven Fels getroffen.  Magie, dachte Erik und ein ehrfürchtiger Schauer überlief ihm.  Was hier grade geschehen war, war Zauberei. Und auch wenn der Magier tot war, die Waffe die der Prätorianer führte musste offenbar ebenfalls über ihre ganz eigenen Kräfte verfügen. Dieser riss den Speer aus der Erde und kam nun langsam auf Erik und Cyrus zu. Doch Augen hatte er dabei nur für die Rauchverhangenen Straßen hinter ihnen.

Eine einzelne Gestalt löste sich aus dem dunklen Nebel und trat langsam ins Licht. Sie schien Erik selber im ersten Moment aus Nebel zu bestehen. Dünne Fäden davon schienen ihr zu Folgen und sie zu umschweben, troff scheinbar wie Wasser aus ihrer Kleidung… und ihrem Fell, das genau den gleichen Farbton wie die Aschewolken hatte. Dunkelgrau und mit helleren Sprenkeln und Streifen durchsetzt. Eine Gejarn… Eine Löwin wenn er sich nicht täuschte, so ungewöhnlich sie auch aussah. Selbst ihre Kleidung war grau und bestand aus einem von einem Seil gehaltenen Rock und einem formlosen Überwurf. Doch so schlicht diese Kleidung auf den ersten Blick wirkte, fehlte es der Fremden nicht an Eleganz. Sie ging vollkommen sicher, ohne zu zögern und mit großen Schritten. Ihre Augen, die ebenfalls die Farbe von Nebel hatten, blieben dabei die ganze Zeit auf den Prätorianer fixiert. Erik schien es, als würde die Luft einen Moment kälter, als sie an ihm und Cyrus vorbei trat, als wären sie nicht einmal da. In einer Hand hielt die Erscheinung einen simplen Kampfstab aus hellem Holz und an einem Gurt um ihre Hüften schimmerten noch zwei weitere Messer neben den Schlaufen für die, die sie bereits geworfen hatte.

Auch der Prätorianer schien nur noch Augen für die Fremde zu haben, doch anstatt sie sofort zu attackieren, blieb er stehen und stützte sich auf den Speer in seiner Hand. Selbst der Ausdruck in seinen Augen schien sich geändert zu haben, als er den Helm abnahm. Das Gesicht das darunter zum Vorschein kam, gehörte tatsächlich dem Hauptmann, den Erik zuvor gesehen hatte. Nur wirkten seine Züge nicht mehr ernst und… geradezu tot. Nein . Neugier, Angst, Zorn, Bedauern, all dies schien in einer einzigen Sekunde auf dem Gesicht des Prätorianers aufzublitzen. Die Züge der Gejarn hingegen blieben angespannt und kalt. Jedoch nur, bis sie wenige Schritte entfernt von ihm stehen blieb.

 ,, Ich wusste du würdest kommen.“ , meinte der Prätorianer. Erik jedoch kam es einen Moment vor, als würde jemand völlig anderes Sprechen. Seine Worte kamen langsam, belegt, als müsste er sich auf jedes einzelne davon konzentrieren. Seine Stimme klang sogar anders, wie Erik erstaunt feststellte. Auch wenn ab und an noch der strenge Ton des Prätorianers zu hören war, das hier vor ihm hätte genauso gut auch eine völlig andere Person sein können.  Als wäre der Mann vor ihnen kaum mehr als eine Hülle gewesen… Erik wusste selber nicht woher dieser Gedanke kam, aber er schien ihm passend. Ja… eine Hülle. Eine, in der jetzt irgendein anderes Ding steckte und sich mit der fremden Gejarn aus dem Nebel unterhielt.

Wusstest du es, oder hattest du es nur gehofft?“  Die Stimme der Gejarn klang spöttisch, aber nicht auf eine bösartige Weise. Mehr so, als würde sie einen alten Freund begrüßen. Und doch hielten ihre Hände den Kampfstab umklammert. Und doch lagen zwei der Begleiter des Prätorianers tot am Boden… Ihre Stimme gab Erik nicht mehr Aufschluss über sie, als alles andere.  Sie klang ein wenig rauchig, was Anbetracht dessen, das sie durch die brennenden Straßen gelaufen sein musste, kaum verwunderlich war, doch er hätte nicht einmal zu sagen gewusst, wie alt diese Frau wohl war. Alles an ihr wirkte irgendwie Zeitlos. Sie ging grade und hoch aufgerichtet, das war aber auch alles, was auf irgendetwas schließen ließ. Und noch immer standen sie und der Prätorianer sich regungslos gegenüber, jener ein mildes Lächeln auf den Lippen, die Fremde nach wie vor ernst und unnachgiebig.

,, Du musst auch gewusst haben, das ich dich erwarte.“ Der Mann in seiner schwarzen Rüstung schüttelte langsam den Kopf. ,, Und doch bist du einfach gekommen…“

,, Nein. Wenn du mich wirklich erwartet hättest wärst du mir persönlich gegenüber getreten. Wir kennen uns beide viel zu gut…“

,, Wie wahr Mhari… wie wahr. Es ändert leider nichts daran, das nur einer von uns seinen Weg fortsetzen wird, nicht?“  Das traurige Lächeln verschwand vom Gesicht des Prätorianers. ,, Es tut mir leid.“

 

 



 

Die fliegende Stadt schwebte unbewegt fast direkt über ihnen. Noch immer ergossen sich Ströme aus Feuer von den Rändern der fliegenden Inseln und fanden Nahrung in den Straßen und auf den Dächern der Häuser Varas. Flugasche und Funken trieben durch die Luft und bedeckten alles mit einem feinen grauen Schimmer, der fast genau der Kleiderfarbe der Fremden zu entsprechen schien. Mhari, dachte Erik. So hatte der Prätorianer sie genannt. Die Gejarn und der in schwarz gerüsteten Mann standen sich nach wie vor unbeweglich gegenüber.

,, Dir tut es leid , ja ?“ Die Bitterkeit in der Stimme der Frau überraschte Erik, hatten sie sich doch zuvor noch beinahe wie alte Freunde begrüßt. Und gleichzeitig sprachen sie nur von Tod und Verrat, schien es ihm… ,, Wie tief bist du gefallen Corvus ? Das stiehlst den Körper eines Toten, als ob dir einer nicht reichen würde…“

,, Und du ?“ , fragte der Prätorianer kalt. ,, Warum bist du hier ? Warum tust du das alles? Weil ich dich zurück gelassen habe?“

,, Du hast mich zurück gelassen ?“ Sie schüttelte langsam den Kopf. Ihre silbergrauen Haare folgten der Bewegung wie ein schwach schimmernder Heiligenschein.

,, Mhari… tritt bei Seite. Ich will dich nicht töten müssen, aber wenn du nicht gehst…“

,, Nein.“ Die Stimme der Gejarn war jetzt wieder fest und unnachgiebig und verriet kaum, was in ihrem Inneren vorgehen mochte.  ,, Du weißt das was du tust Wahnsinn ist. Und irgendjemand muss dich stoppen.“

,, Und ich im Gegenzug dich…“

Erik spürte die plötzliche Veränderung die Spannung die mit einem Mal in der Luft lag, war drückend, fast wie vor einem Gewitter. Und seine Füße kribbelten, als wären sie eingeschlafen. Ohne lange darüber nachzudenken, nutzte er die Gelegenheit und packte Cyrus um ihm mit sich aus der Schusslinie zu ziehen. Sie kamen grade noch rechtzeitig fort, den im nächsten Moment hatte die Gestalt des Prätorianers bereits den Speer gehoben und ihn auf die Frau gerichtet. Ein Donnerschlag erschütterte die Erde. Staub und Asche wurden in einem Ring um die beiden Kontrahenten fortgeblasen. Ein gleißender Lichtblitz löste sich aus dem Kristall. Erik spürte die Schockwelle wie die Faust eines Riesen in seinem Rücken und wurde zu Boden gerissen. Cyrus strauchelte noch kurz, dann erging es ihm nicht besser und sie landeten beide im Dreck.

Mhari jedoch trat schlicht Beiseite, als der gleißend helle Blitz auf sie zu jagte, schneller als Erik sich je einen Menschen hatte bewegen sehen. Oder einen Gejarn was das anging. Das Projektil verfehlte sie knapp und durchschlug stattdessen die Hauswand eines Gebäudes auf der anderen Straßenseite. Das entstandene Loch war so groß wie das Stadttor. Steintrümmer wurden hoch in die Luft geschleudert und gingen als  Regen auf die Umgebung nieder, während das Haus bedrohlich schwankte, ehe es langsam in sich zusammen fiel.

Mhari war allerdings völlig unverletzt geblieben. Statt sich vor der todbringenden Magie in Sicherheit zu bringen, trat sie ihrem Gegner unbeeindruckt entgegen.  Speer und Kampfstab trafen aufeinander, als sie den Prätorianer in den Nahkampf zwang. Erik hätte es nicht für möglich gehalten, aber der hoch gerüstete Mann strauchelte tatsächlich, während er Versuchte, die Schläge abzuwehren. Die Gejarn war nach wie vor unglaublich schnell und was ihr an Rüstzeug fehlte, machte sie damit mehr als wett. Sie schien nur Nebel zu sein, nie greifbar, doch immer da, wenn der Prätorianer sich eine Blöße gab. Bloß sie kämpfte mit Holz gegen geschmiedeten Stahl und die meisten ihrer Schläge glitten ohne jede Wirkung von der Panzerung des Mannes ab. Lediglich einmal erwischte sie ihn mit voller Wucht am Kopf. Der Schlag warf den Prätorianer rückwärts und Erik war bereits halb überzeugt, der Kampf wäre vorbei. Doch der Mann schien die Verletzung nicht einmal zu spüren.  Nur einige wenige Blutstropfen, schwarz und halb geronnen, traten aus der Platzwunde hervor während er nun selber wieder zum Angriff überging. Die Speerklinge brachte die Luft zum Singen, als der Mann die Waffe in einem Bogen schwang. Magische Blitze entluden sich, schlugen um die beiden Kontrahenten in die Erde, ehe Mhari den Schlag blockierte. Oder es zumindest versuchte. Der Stab in ihrer Hand zerbrach kranend und Splitter und Holzfasern gingen über sie nieder, als sie zurückstolperte. Die beiden Stabhälften fielen nutzlos zu Boden, Mhari stolperte ebenfalls, während der Prätorianer sofort nachsetzte und sich über ihr Aufbaute. Der Mann zögerte nicht, trotz allem, obwohl sie möglicherweise alte Bekannte waren, sondern stieß einfach mit der Waffe zu.

Erik hatte sich mittlerweile wieder auf die Füße gekämpft und sah einen Moment nur wie erstarrt zu. Sie mussten hier weg, das war sein erster Gedanke.  Was immer hier vorging, es war vorbei und der Prätorianer hatte gewonnen und wenn er sich wieder an ihn und Cyrus erinnerte, wären sie genauso verloren wie die Gejarn. Bevor er jedoch dazu kam, auch nur einen Schritt zu machen, traf die Speerspitze. Doch das Geräusch war falsch, dachte Erik. Ein hoher, fast singender Laut…  Er wusste wie es klang, wenn Metall auf Fleisch traf. Nicht so jedenfalls.

Auch auf dem Gesicht des Prätorianers zeigte sich jetzt Überraschung, bevor er plötzlich bleich wurde. Mhari hatte einen der Dolche, die sie trug gezogen und den Speer abgefangen. Die Klinge des Messers bestand jedoch nicht aus Metall. Weißer Kristall schimmerte im Licht der Feuer, schien die Blitze, die sich aus der Speerspitze lösten anzuziehen und zu reflektieren. Mit einem Aufschrei und mehr Kraft, als sie haben dürfte, stieß sie den Prätorianer zurück. Der Mann wankte, seine Rüstung erledigte den Rest und zog ihn zu Boden, während die Gejarn sofort aufsprang und mit dem Dolch zustieß, dessen kristalline Klinge mittlerweile blau leuchtete und von Elektrizität umgeben schien.

Die Rüstung des Prätorianers gab mit einem Knacken nach, als die Klinge herabfuhr und sich in sein Herz bohrte. Im gleichen Moment schien der ganze Mann zu erstarren, nicht so, als wäre das Leben aus ihm gewichen, sondern, als sei er zu einer Statue geworden. Und genau so grau und fahl schien seine Haut, bis sie langsam begann sich aufzulösen und die Flocken vom Wind zerstreut wurden. Als wäre er nur Staub und Asche und poröse Knochen, die genauso dahinschwanden.

Alles was von ihm blieb, waren seine Rüstung und der Kristallspeere, auf den die Gejarn sich stützte, als sie sich schließlich wieder aufrichtete.

,, Versucht in Frieden zu Ruhen , Lionel Belfare. Die Götter wissen ihr hättet es zumindest verdient…“
Es lag kein Mitleid in ihrer Stimme, geschweige denn irgendeine sonstige Emotion. Langsam wendete sie sich zu Erik und Cyrus um, die nach wie vor beide wie erstarrt dastanden.

,,Was… was war das eben ?“  Erik fand seine Stimme als erster wieder. ,, Und ich schätze mal… wir schulden euch dank ?“

Einen Moment lang musterte die Gejarn sie nur schweigend. Ihre Finger hielten den Schaft des Speers umklammert und einen Moment fragte Erik sich, was er eigentlich tun würde, wenn sie die Waffe jetzt auf ihn richtete. Doch nichts dergleichen geschah. Er erhielt auch keine Antwort. Ein ersticktes Gurgeln war es, das ihn schließlich in die Wirklichkeit zurückholte.

Der Patrizier… Erik zögerte nicht, sondern stürzte an die Seite des tödlich verwundeten Mannes. Nach wie vor lag er dort, wo er gefallen war. Blut sprudelte aus der Wunde an seinem Hals und tränkte das Pflaster und seine Kleidung. Er musste etwas tun, dachte Erik. Aber was ? Die Blutungen, schoss es ihm als erstes durch den Kopf. Wenn der Mann noch mehr Blut verlor wäre alles verloren. Ohne nachzudenken riss er einen Stoffstreifen aus der Kleidung des Ordeal-Magiers, der nur ein Stück neben dem Patrizier gefallen war und drückte es auf die Wunde, so gut es eben ging, ohne Gavion dabei zu ersticken. Und das war im Augenblick ohnehin sein geringstes Problem. Der Stoff in Eriks Händen war innerhalb weniger Augenblicke durchtränkt. Die Augen des Mannes flackerten als er versuchte Erik abzuwehren. Dann jedoch schien er ihn zu erkennen und sich sogar etwas zu entspannen. Eine seiner Hände legte sich auf Eriks Manteltasche, ertastete die zerbrochene Spielfigur darin. Dann nickte er… und sackte langsam zurück.

Erik verstand. Irgendetwas an der kleinen Statue war dem Patrizier wichtig. Oder vielleicht auch nur, das sie nicht hier blieb und von den Flammen verschlungen wurde. So oder so. Er würde darauf achten, bis er herausfand, was es damit auf sich haben mochte.  Und dennoch hielt er das Tuch weiter auf die Wunde gepresst, während das Blut zwischen seinen Fingern hervor sickerte und der Atem des Patriziers langsamer wurde. Und er saß noch immer an Seite, als sein letzter Atemzug längst getan war.

,, Ich glaube nicht, das du ihm noch helfen kannst.“ , meinte Cyrus leise. Der Wolf war ohne einen Laut an seiner Seite aufgetaucht, löste seine Hände von dem toten Körper.

Die fremde Gejarn sah ihnen nur wortlos dabei zu. Erik wusste nach wie vor nicht zu sagen, was sie denken mochte. Nur in Lebensgefahr waren sie wohl fürs erste nicht mehr. Cyrus half ihm auf, während er sich die Hände mit einem zweiten Stoffstreifen reinigte, so gut es eben ging. Mhari stand nach wie vor nur auf den Speer gestützt da. In der anderen Hand hielt sie noch den weißen Kristalldolch. Immerhin worum es sich dabei handelte, das wusste Erik auch wenn er bisher nur in legenden darüber gehört hatte. Sterneneisen. Metall, das auf der Insel Hamad vom Himmel gefallen war. Fast unzerstörbar, kaum zu bearbeiten… aber jeder Gegenstand, der daraus gefertigt wurde, hatte die Macht Magie zu negieren oder auf den Anwender zurück zu werfen. Und genau das war eben geschehen, dachte er. Die Magie mit der der Speer versehen war hatte sich kurzfristig auf den Dolch übertragen und ein Faustgroßes Loch in der leeren Rüstung des Prätorianers hinterlassen.

,, Seid ihr ein Heiler ?“

Die Frage traf Erik überraschend. Er hatte schon nicht mehr damit gerechnet, dass sie überhaupt etwas sagen würde. Und vor allem nicht mit so etwas… Warum sollte sie das wissen wollen?

,, Seid ihr verletzt ?“

Seltsamerweise entlockte diese Frage ihr ein dünnes Grinsen. Und dann lachte die Gejarn tatsächlich. Es war ein seltsamer Laut. Ansteckend, dachte Erik als er selber lächelte. Aber es klang irgendwie falsch. Als wäre das letzte Mal, dass sie ernsthaft gelacht hatte, so lange her,  dass sie es schlicht verlernt hatte.

,,Nein.“ , antwortete sie schließlich, aber in ihren Augen blitzte immer noch etwas Schalk, als hätte die Frage tatsächlich etwas urkomisches für sie.  ,, Ich nicht, aber viele meines Clans. So wie ich das sehe brauche ich einen Arzt… und ihr schuldet mir etwas, seid ihr nun einer?“

Erik wollte protestieren, hielt dann jedoch den Mund. Vermutlich würde Cyrus meinen, das sei seine weiseste Entscheidung heute gewesen. Einen Moment lang wägte er seine Chancen ab.  Durch den Wolf wusste er um das Ehrgefühl der Gejarn in diesen Dingen. Aber das hieß nicht, dass er es teilen musste. Und doch… Er sah auf die brennende Stadt, auf die Silhouette, die nach wie vor den Himmel über ihnen verdunkelte. Es gab hier nichts mehr für ihn, selbst wenn Vara nicht untergehen würde. Als Arzt hatte er hier keine Chance mehr.  Aber diese seltsame Frau bat ihn grade darum, genau das zu tun und zu sein, was er sein Leben lang werden wollte. Ein Heiler. Ob die Universität ihn akzeptierte spielte dabei keine Rolle. Er könnte sein Wissen zum ersten Mal anwenden, sehen ob er wirklich so ein Narr war, wie ihn seine Prüfer schimpften…. Mharis Bitte… oder besser ihre Forderung war im Augenblick die beste Gelegenheit die er hatte. Neben der, hier vielleicht doch noch Lebend heraus zu kommen. Und so  überraschte ihn sein eigenes Grinsen kaum, als er schließlich nickte… und ihr die Hand hinhielt. Und seltsamerweise lächelte auch die Gejarn. Beinahe, als hätte sie mit dieser Antwort ohnehin gerechnet.

,, Erik Flemming. Arzt der Universität zu Vara.“ Zumindest sah er sich immer noch als genau das. Das Wort eines Diebes konnte daran nichts ändern. ,, Und das hier ist Cyrus.“
,, Das ist nicht mein Name.“ , protestierte der Wolf lauthals.

,, Hört nicht auf ihn, er ziert sich nur. Also… wie genau meint ihr das, euer Clan braucht Hilfe?“
,, Wir bekämpfen den Kaiser nun schon eine Weile… und unsere letzten Versuche haben viele Verletzte gefordert. Unsere eigenen Heiler sind überfordert. Und ich kann mich nicht m alle kümmern. Aber die Ärzte  der Menschen abreiten anders. Vielleicht könnt ihr helfen, wo wir es nicht können, wer weiß…“

Damit schien das Gespräch für sie bereits beendet, den sie drehte sich ohne ein Wort um und ließ ihnen damit nur die Wahl, ihr entweder zu folgen oder inmitten des Infernos stehen zu bleiben, das die Stadt immer noch im Griff hatte.

,, Wartet. Ihr müsst mir schon etwas mehr verraten als das. Wo müssten wir dafür überhaupt hin? Wie viele verletzt habt ihr? Und… was bei allen Göttern ist da eigentlich eben passiert? Mhari ?“

Die Gejarn drehte sich Ruckartig um. ,, Später.“ , war alles was sie sagte, Erik jedoch blieb plötzlich mit vor der Brust verschränkten Armen stehen. Wie er gehofft hatte, blieb Mhari ebenfalls stehen und drehte sich wieder zu ihm um.

,, Man hat mir immer gesagt, ich soll nicht mit Fremden mitgehen.“ , meinte er grinsend.

Die Gejarn sah ihn einfach nur fassungslos an, aber Erik wusste, dass er gewonnen hatte. Sie brauchte ihn, das hatte sie deutlich gemacht. Sonst würde sie nicht einfach so jemand Wildfremden um Hilfe bitten… Die meisten Gejarn waren Isolationisten und die wenigsten würden sich freiwillig auf einen Menschen verlassen, wenn sie die Wahl hatten. Auch wenn Mhari wohl kaum als typische Vertreterin ihrer Art herhalten würde dachte er bei sich.

,, Eure Eltern müssen sicher seltsam gewesen sein.“ Ihre Stimme verriet eine leichte Spur Humor, der jedoch sofort wieder von bitterem ernst überdeckt wurde. ,, Hört zu… Ich verspreche euch,  euch so viel zu erklären wie ich kann, aber sicher nicht hier. Vorher müssen wir aus der Stadt raus.“

,, DU hast die Dame gehört Cyrus. Aber wenn ihr wirklich vorhabt, Vara Lebend zu verlassen, sollten wir uns besser von den Toren fern halten. Mittlerweile sind die Prätorianer sicher längst dort. Aber es gibt vielleicht noch einen anderen Weg. Wir waren grade auf dem Weg dorthin bevor… nun ja… ihr aufgetaucht seid und alles drunter und drüber ging.“

Einen Moment schien Mhari misstrauisch. Ihren Augen verengten sich zu dünnen, grauen Schlitzen, die sowohl ihn als auch den Wolf eindringlich musterten. Erik war sich selten so vollkommen… schutzlos vorgekommen wie in diesem Moment. Noch immer hielt die Gejarn den Speer des Prätorianers in einer Hand. Kleine Lichtblitze lösten sich davon und wanderten das Relief auf dem Waffenschaft hinab. Er wusste nicht was sie war oder zu was sie mit dieser Waffe in der Lage wäre… aber wenn sie einen Prätorianer bezwingen konnte, hatten im Zweifelsfall wohl weder er noch der Wolf eine Chance. Doch schließlich, nickte sie nur.

,, Dann zeig mir den Weg.“ Sie schien das du einfach so zu übernehmen, nachdem sie sich entschieden hatte, ihnen zu trauen. Erik hingegen war sich nach wie vor nicht sicher, ob es eine gute Idee wäre, dieser Frau länger den Rücken zuzudrehen als nötig… Trotzdem gign er schließlich voran und führte ihre kleine Gruppe durch die brennenden Straßen Varas…

 

 

 

Erik führte sie so schnell er konnte zwischen den brennenden Häusern hindurch. Jetzt wäre es nicht mehr weit, dachte er, während er über die Schulter zu seinen beiden Begleitern zurück sah. Cyrus war ihm dicht auf den Fersen. Mhari hingegen folgte ihnen in einigem Abstand, so als wäre sie nach wie vor nicht sicher, wie weit sie ihnen trauen konnte. Nun was das anging, hatte Erik nach wie vor seine ganz eigenen Bedenken. Aber für den Moment waren sie aufeinander angewiesen, wie es schien.

,, Du bist kein Arzt. Das weißt du selber.“ , flüsterte der Wolf leise , als er schließlich zu ihm aufschloss.

,, Also aus meiner Sicht bin ich besser als die restlichen Pfuscher in dieser Stadt.“ , erwiderte Erik säuerlich aber gedämpft. ,, Dein Bein hat das sicher noch nicht vergessen.“

,, Ich vergesse anscheinend immer wieder wie Bescheiden du doch bist. Es ist nicht so, dass du mich nach meiner Meinung gefragt hättest.“

Erik stieß ein entnervtes seufzen aus, während vor ihnen die Stadtmauern aus dem Dunst auftauchten. Vorsichtig duckte er sich in den Schatten der letzten Gebäude und spähte hinauf zu den Doppelreihen aus Zinnen an jeder Seite des Walls. Doch anscheinend hatten sie Glück. Nichts rührte sich und die an die Mauer angrenzenden Häuser schienen soweit fast unbeschädigt. Erik konnte bereits den mit Schiefer gedeckten Giebel seiner eigenen Behausung erkennen. Noch ein paar Meter, höchstens.

,, Zwingt dich deine Schuld mir gegenüber eigentlich auch mir auf die Nerven zu gehen ?“

,, Nein aber es zwingt mich auch nicht meine Meinung für mich zu behalten.“

,, Kann ich dir das nicht auch befehlen ?“

,, Ich schulde dir mein Leben nicht meinen Willen.“ Der Wolf grinste. ,, Aber wenn du höflich darum bittest…“

Er sah den Wolf einen Moment nur irritiert an. Das wäre ja noch schöner.. ,, Ich habe jedenfalls nicht um einen Flohfänger gebeten. Und jetzt habe ich zwei von eurer Sorte auf den Fersen. Ich schätze mal es kann immer schlimmer kommen…“

Cyrus grinste. ,, Das muss ich mir merken.“

,, Etwas das ich wissen sollte ?“ Mhari hatte mittlerweile zu ihnen aufgeschlossen und spähte über ihre Schultern die Straße hinab in Richtung von Eriks Haus. Als würde sie den Weg schon kennen. Ihre Stimme klang jedoch nicht wirklich interessiert. Und wenn Erik ehrlich war, wäre es wohl kaum eine gute Idee, ihr zu sagen, dass er sie eben noch als Flohfänger bezeichnet hatte…

,, Es gibt wohl eher so einige Dinge, die ich wissen sollte.“ , meinte Erik, als er schließlich ein Zeichen gab und sie ihren Weg die Straße hinab fortsetzten. ,, Der Hauptmann dieser… wie habt ihr ihn genannt ?“ Wenn er sich richtig erinnerte, hatte sie ihn sogar mit zwei Namen bedacht. Zu Anfang nannte Mhari ihn Corvus. Und dann später… ,, Lionel Belfare ?“

,, Ich glaube nicht, das man ihn noch so nennen konnte. Lionel Belfare war lange tot, als wir ihm begegnet sind. Nur noch eine Hülle, eine Marionette des Kaisers…“

,, Der Kaiser betreibt Nekromantie ? Wollt ihr mir sagen, dieses… Ding, dem ihr da gegenüber gestanden habt, war Caius Ordeal ?“ Aber so hatte sie ihn nicht genannt…

,, Auf eine weiße. Und wenn ihr es so nennen wollt, ja, man könnte es wohl als Nekromantie bezeichnen. Aber die Toten kann man nicht zurück bringen. Wie gesagt, es war nur eine Hülle, ein Ding, das einem Zweck diente.“ Und warum hatte Erik das Gefühl, das sie im Augenblick auch nicht mehr für sie waren? Mhari blieb ihm ein Rätsel und obwohl sie ihm Antwortete, trugen ihre Worte nicht dazu bei, die Rätsel aufzulösen die sie darstellte. Oder auch der Mann den sie getötet hatte. Nach wie vor hielt die Gejarn den Speer in der Hand, den sie dem Prätorianer abgenommen hatte.

,, Was hat es damit auf sich ?“ , fragte Erik schließlich und blieb erneut stehen.

  • Nicht hier, sagte ich das nicht bereits ?“ Mhari schien nun tatsächlich verärgert und blieb ebenfalls stehen, nur wenige Schritte von ihm entfernt. Ihr Blick traf sich und einen Moment wäre Erik tatsächlich einfach umgedreht und wäre weiter gegangen. Das grau in ihren Augen schien sich zu wandeln wie Nebel und umfloss zwei gelbliche Pupillen, die ihn ohne zu blinzeln anstarrten. Zorn funkelte darin, Wut über die Verzögerung und scheinbar auch darüber, dass er es wage, ihr zu wiedersprechen. Ein anderer Mann hätte sicher nachgegeben, dachte Erik. Und selbst ihn überlief ein kleiner Schauer. Aber er wäre nicht er, wenn er sich durch unausgesprochene Drohungen einschüchtern ließ. Stattdessen erwiderte er den Blick einfach und ließ ihn über sich ergehen, unwillig als erster nachzugeben .Stumme Wut verfinsterte die Mine der Gejarn zunehmend. Mhari gefiel das offenbar gar nicht und Erik konnte das offene Gefühl der Bedrohung, das von ihr ausging längst nicht mehr leugnen. Ihn jedoch bestätigte das nur. Er musste wissen, was hier gespielt wurde, wenn es nicht wichtig war, warum würde sie sich sonst so sehr dagegen sträuben. Wie lange ihr kleines Duell dauerte, wusste er später nicht zu sagen. Auch nicht, welchen Ausgang es genommen hätte. Im Zweifelsfall hätte er nichts um sich zu verteidigen, falls das überhaupt möglich war.

Es war Cyrus, der sie schließlich beide aus ihrer Erstarrung riss. ,, Ich unterbreche euch ja nur ungern bei, was immer ihr da auch grade tut, aber die Stadt brennt noch immer, falls ihr das vergessen haben solltet…“
Mhari gab einen entnervten Laut von sich. Offenbar bereute sie es jetzt schon, sie mitnehmen zu wollen. Aber das beruhte immerhin auf Gegenseitigkeit, dachte Erik.

,, Und genau deshalb haben wir keine Zeit für so etwas…“

,, Verzeiht, aber ich muss zumindest wissen, worauf ich mich hier grade einlasse. Wer seid ihr, was tut ihr… Und was genau habt ihr eigentlich vor? Ihr habt gemeint ihr bekämpft den Kaiser, also…“

,, Wenn ihr unbedingt meine ganze Lebensgeschichte hören wollt, könnte das etwas dauern.“

,, Fangen wir doch mit diesem Speer ab. Was ist das? Warum habt ihr es mitgenommen?“

,, Ich brauchte eine neue Waffe.“

Götter sie konnte schlecht Lügen, dachte Erik und ein dünnes grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Ein Teil von ihm mochte sie, auch wenn er es ungern zugab. Sie war nicht wie irgendein Mensch, den er kannte, nicht einmal wie Cyrus. Und ganz sicher auch nicht wie irgendeine Frau die er kannte.

,, Sagt mir wenigstens wie weit ihr in das alles hier verwickelt seid. Ihr seid doch nicht einfach nur zufällig genau dann hier aufgetaucht, als der Kaiser beschloss, das er was gegen Bücherwürmer hat?“

,, Nein. Um genau zu sein bin ich der Grund aus dem die fliegende Stadt hier ist.“

,, Wie meint ihr das ?“

,, Sie suchen mich, was glaubt ihr wohl.“

,, Ihr wollt mir erzählen, das der Kaiser nur um euch auszuschalten bereit ist eine ganze Stadt niederzubrennen ?“

,, Nicht nur eine.“ , erwiederte die Gejarn trocken.

,, Das ist Wahnsinn.“
,, Wenn ihr meint. Es ändert nichts an den Tatsachen. Können wir jetzt gehen?“

Nein, hätte Erik am liebsten erwidert. Aber er sah ihr an, dass ihre Geduld endgültig eine Grenze erreicht hatte. Eine, die selbst er nicht zu übertreten wagte. Aber er war auch nicht bereit, aufzugeben. Doch für den Moment mussten sie weiter. Sein Haus tauchte nun hinter den letzten Gebäuden auf, scheinbar vom Feuer unberührt. Und solange nur der Keller unversehrt blieb, wäre das alles, was sie brauchten. Mhari schien überrascht, als er ihnen bedeutete, ihm auf das Grundstück und hinter das Wohnhaus zu folgen. Vermutlich hatte sie gedacht sie würden sich eher einen Weg über die Mauer suchen. Nun, da würde sie eine Überraschung erleben dachte er, als er vor dem Kellereingang stehen blieb und die Türen aufzog. Plötzlich schien die Gejarn erneut von misstrauen gepackt zu werden und nun war sie es die mit einem mal stehen blieb.

,, Was wollen wir da unten ?“

,, Das ist unser Weg über die Stadtmauern.“ , erklärte Erik lediglich. Wenn sie geheimnisse hüten konnte, konnte er das auch.

,, Ihr müsst verrückt sein, wenn ihr glaubt, dass ich darauf hereinfalle…“
,, Also gut… mir reicht’s.“ Erik schlug die Kellertüren mit einem Ruck wieder zu. Das Holz schepperte hörbar und eines der Scharniere verzog sich, aber das war ihm im Augenblick egal. Er hatte genug. ,, Ihr verratet uns nicht das geringste, wir haben keinen Grund euch zu trauen und eigentlich wollen wir alle nur aus dieser Todesfalle entkommen. Aber ihr habt im Gegenzug nichts Besseres zu tun als an allem zu Zweifeln was ich sage aber wehe ich wage es eine Frage zu stellen. Wisst ihr was? Ich verzichte auf euer Angebot. Oder darauf irgendeine Schuld bei euch zu begleichen. Und ich verzichte darauf mich an irgendetwas herein ziehen zu lassen über das ihr mir nichts verraten wollt. Und von mir aus könnt ihr mich jetzt wieder ansehen als ob ihr mich am liebsten umbringen würdet, es ist mir egal. Geht, sucht euch euren eigenen Weg ich und Cyrus verabschieden uns hier.“

Mit diesen Worten zog er die Kellertür wieder auf und stieg ohne sich noch einmal umzudrehen, die ersten Stufen hinab. Er wusste nicht einmal, ob Cyrus ihm folgte, doch weit kam er nicht, bevor ihn eine Stimme innehalten ließ.

,, Wartet.“

,, Warum sollte ich ?“ Und doch blieb er stehen und drehte sich wieder zu ihr um. ,, Ihr habt euren Standpunkt klar gemacht, ich meinen.“

,, Weil ich euch darum bitte ? Verzeiht ich… bin es nicht gewohnt jemanden so einfach zu trauen.“

,, Das merkt man überhaupt nicht.“ Als sie den Zynismus in seiner Stimme hörte, zeigte sich erneut dieser misstrauisch-mörderische Ausdruck in ihren Augen. Doch nur einen Moment.

,, Ich gebe es ganz ehrlich zu ich brauche eure Hilfe. Aber ich kann euch nicht alles verraten was mich angeht. Oder meine Ziele. Ich habe euch bereits gesagt, dass der Kaiser mich jagt. Aber würdet ihr zu viel erfahren, könnte euch das nur ebenfalls zu Zeilen machen.“

,, Es wäre schon freundlich genug, wenn ihr aufhören würdet in Rätseln zu sprechen.“ Erik gab sich selbst einen Ruck. Und wenn es nur der Neugier geschuldet war, er wollte wissen, was es nun mit all dem hier auf sich hatte. Daran konnte auch sein Stolz nichts ändern. ,, Fangen wir noch mal damit an, wieso der Kaiser euch kennt…“

,, Als ein Kaiser kennt man seine Feinde besser oder man herrscht nicht lange.“ Wieder nur eine halbe Antwort, doch als Erik schon zu einem Protest ansetzen wollte, fuhr Mhari schließlich fort. ,, Ich habe ihm einige Dinge gestohlen, an denen ihm sehr viel liegt. Dinge wie das hier.“ Sie hob den Speer ein Stück wie um zu verdeutlichen was sie meinte.

,, Und was macht die Waffe so wertvoll für ihn ?“ Erik hatte die Magie gesehen über die der Speer verfügte. Aber das Kaiserhaus hatte ganze Schatzkammern voll mit magischen Artefakten und Zaubern, manche davon so uralt oder mächtig, das die Herrscher selbst nicht wagten sie einzusetzen. Geschweige denn, dass sie sie immer verstanden.

,, Die Waffe selbst ist nur ein Gefäß. Das hier ist, was er nicht verlieren will.“ Mhari tippte auf den tropfenförmigen, violetten Kristall an der Spitze des Speers. Funken stoben davon auf, folgten der Bewegung ihres Fingers. ,, Die Sturmschwinge.“

,, Ihr macht Witze.“ Erik kannte den Namen. Oh ja, er hatte davon gehört, genau wie von den anderen acht. Aber bis zu diesen Moment hatte er geglaubt es handle sich dabei um Gerüchte oder Übertreibungen aus der Zeit, als die Kaiser noch ihre voll Macht selbst in die Schlacht trugen. ,, Ihr wollt mir sagen, das ihr grade eine Träne in eurem Besitz habt ?“

Mhari zuckte mit den Schultern. ,, Glaubt es oder lasst es, aber ihr wolltet die Wahrheit. Versteht ihr jetzt warum ich das nicht einfach herausposaunen möchte?“

Erik grinste. ,, Und wie.“ Ja das ergab tatschlich Sinn. Götter, es gab genug Leute auf dieser Welt die ihre eigene Sippe umbringen würden, und das nur für die Chance einen dieser Steine in ihrem Besitz zu bringen. Er selbst war eher allein von der Möglichkeit fasziniert, grade einen direkt vor sich zu haben.

,, Erik… was ist eine Träne ?“ , fragte Cyrus vorsichtig. Sowohl er als auch Mhari beachteten den Wolf gar nicht.

,, Das sind nur Legenden.“ , meinte er ungläubig.

,, Ihr habt gesehen, was dieser Stein kann. Und das ist in der Hand eines normalen Menschen. Könnt ihr euch das Unheil vorstellen, dass ein Zauberer damit anrichten könnte?“

Der Wolf sah nach wie vor ratlos zwischen ihnen hin und her. ,, Könnte mich… vielleicht mal jemand aufklären über was ihr zwei da grade redet ?“

 

 

 

 

 

Kapitel 12

 

,, Die Tränen Falamirs auch bekannt als die Gottsteine, die Sternenscherben und unter einem Dutzend anderen Namen. Sie sind eines der Dinge auf dieser Welt von denen man sich gefälligst fern hält, wenn man beabsichtigt noch etwas länger zu Leben.“ , erklärte Erik an den Wolf gerichtet. Mhari jedoch, die nach wie vor den Speer mit der Sturmschwinge festhielt war es, die ihm daraufhin einen säuerlichen Blick zuwarf. ,, Die meisten Menschen, die je einen dieser Steine in ihrem Besitz hatten, sind keines natürlichen Todes gestorben. Macht weckt Begehrlichkeiten… und die Steine selbst haben ihren ganz eigenen Fluch. Der Legende nach handelt es sich dabei um die versteinerten Tränen eines Magiers des alten Volkes, aber ob dies nun stimmt oder nicht, es war jedenfalls Kirus Ordeal , Caius Vorfahr und der erste Kaiser Cantons, der die Tränen als erster alle in seinen Besitz brachte. Wie genau, ich habe keine Ahnung, aber mit ihrer Hilfe baute er das a, was heute das cantonische Kaiserreich ist, überhaupt erst auf. Jedenfalls ließ er sie alle in eine Rüstung und Waffen für ihn selbst einfassen, deren Macht durch die neun Tränen gespeist wurde. Mit dieser Macht in seinem Rücken und einer beträchtlichen Anzahl Anhänger, begann er bald die damals verstreuten menschlichen Stämme in einem großen Kriegszug zu einen und sich dann den Ländern jenseits der öden berge zuzuwenden, die damals die eigentliche Heimat der Menschheit darstellten. Und so kamen diese frühen Stämme unter einem Banner zuerst nach Immerson und schließlich in die fruchtbareren und wärmeren Ebenen von Hasparen. Was Kirus Ordeal selbst anging, so herrschte er angeblich für weit über zweihundert Jahre, vermutlich haben die Tränen also auch sei n Leben verlängert. Seinen Verstand jedenfalls haben sie ganz sicher nicht bewahrt, den am Ende seiner Regentschaft wendete er sich angeblich gegen seine eigenen Erben und hetzte sie gegeneinander auf, bis nur noch einer übrig war… der schließlich den Vater erschlug und die Krone übernahm. Und von da an breitete sich das Kaiserreich langsam aber stetig über die Herzlande bis an die Grenzen der freien Königreiche aus. Ihr seht also, diese Steine, ob nun Legende oder nicht, sind eng mit der Geschichte des Kaiserhauses verwoben.“ , erklärte Erik weiter, während sie die Stufen der Kellertreppe hinab stiegen. Hinter ihnen viel Licht durch die offene Luke herein und sorgte dafür, dass ihre eigenen Schatten es schwer machten, zu erkennen, was vor ihnen lag. Kerzen und Laternen waren bereits lange kalt tasteten sie sich mehr voran, als das sie gingen.

,, Langsam verstehe ich wieso viele meiner Art die Menschen als kriegerisch bezeichnen…“

,, Kriegerisch ist nicht, das Wort, das ich benutzen würde, mein wölfischer Freund. Wir saßen in einer verdammten gefrorenen Hölle fest. Und die Eisnomaden tuen das heute noch. Ich denke Kirus hatte erkannt, dass es für uns stagnieren und möglicherweise zu Grunde gehen oder uns ausbreiten hieß. Mein Volk hat sich für letzteres entschieden. Genau wie das alte Volk vor ihm.“

,, Und was hat euer altes Volk davon gehabt ?“ Mharis Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und erneut wusste Erik nicht zu sagen ob oder welche Emotion überhaupt darin lag. Es schien, diese Frau wechselte zwischen völliger, nüchterner Ruhe und Aufbrausendem Temperament hin und her wie es ihr beliebte, als seien ihre Gefühle für sie nur Werkzeuge.

,, Ich würde sagen ein schönes Begräbnis.“ , erwiderte Erik bissig und zu seiner Zufriedenheit sah er tatsächlich kurz, wie die Gesichtszüge der Löwin entgleisten. So unter Kontrolle wie sie tat hatte sie sich gar nicht… Irgendwie war das beruhigend zu wissen. ,, Und wir sind nicht das alte Volk, das solltet ihr nicht vergessen. Wir haben ihr Imperium nicht geerbt sondern es langsam aus der Asche und dem Staub wieder aufgebaut, die nach ihrem Verschwinden blieben. Und zwar während ihr in den Wäldern gesessen und Däumchen gedreht habt. Oder was immer es war, das euer Volk die letzten tausend Jahre getrieben hat.“

,, Ist er immer so ?“ , fragte Mhari lediglich kühl an Cyrus gewandt.

,, Meistens.“ Der Wolf grinste. ,, Aber er meint es nicht so. Ihr gewöhnt euch daran.“

,, Manchmal erinnerte er mich wirklich ein wenig an einen alten Freund von mir.“

,, Ja ?“

,, Ja… Er konnte auch nur schwer seine Meinung für sich behalten. Und musste sie auch immer unbedingt durchsetzen.“

Nun war es an Erik, die Gejarn schief anzusehen. Eine Weile blieb Mharis Gesicht einfach völlig entspannt. Sekunden verstrichen. Erik grinste. Die Gejarn lächelte vorsichtig.

,, Um ehrlich zu sein vielleicht hätten sich manche Menschen an euch besser ein Beispiel genommen. Ich glaube wir haben alle auf dem falschen Fuß angefangen.“

,, So kann man das auch nennen wenn man um sein Leben rennt. Was ist das hier?“ Sie hatten mittlerweile den Fuß der Treppe erreicht und die Löwin sah sich in dem kleinen, von Brettern abgestützten Raum um. Erik war selten so froh gewesen, aufgeräumt zu haben auch wenn der Blutgeruch immer noch kaum wahrnehmbar in der Luft hing. Und der feinen Nase eines Gejarn würde er schwer entgehen.

,, Man könnte es mein Arbeitszimmer nennen. Ist so eine Art Zeitvertreib von mir. Ich verbringe mehr Zeit hier unten, als ich zugeben möchte.“

,, Ihr seid ein seltsamer Mann, Erik Flemming. Und mir scheint mit seltsamen Vorlieben.“

Cyrus grinste. ,, Das sage ich ihm seit mehreren Monaten.“

,, Was bei allen Göttern habe ich nur getan um zwei von euch zu verdienen ? Und was Vorleiben angeht, könnt ihr unseren Herrn Wolf hier gerne nach seiner letzten Nacht fragen. Die war für ihn um einiges kürzer als für mich, das könnt ihr mir glauben.“ Den düsteren Blick, den er drauf hin erntete, ignorierte er geflissentlich, während er rasch einen der Holzverschläge an den Wänden des Kellers bei Seite zog.

,,Wenn ich ihm nicht mein Leben schulden würde, manchmal…“ , flüsterte der Wolf, während Erik arbeitete.

Dahinter kam ein niedriger Tunnel zum Vorschein, der sich nach einigen Schritten im Dunkeln verlor. Die groben Erdwände waren hier und da mit Stützen abgesichert, trotzdem wirkte die ganze Konstruktion mehr behelfsmäßig als sicher. Und das war sie auch, dache Erik. Rasch zog er eine der Öllampen aus ihrer Halterung an der Wand und entzündete den Docht wieder, bevor er sie in den Gang hinein schob. Das flackernde Licht der Flamme enthüllte ein weiteres Stück des Durchgangs. Und die in den Fels gehauene Leiter am anderen Ende.

,, Ich schätze jetzt bin ich mit Fragen dran…. Wozu genau braucht ein Arzt Varas einen geheimen Fluchttunnel?“

,, Man kann ja nie wissen, wann man vor einem aufgebrachten Mob davon rennen muss, weil man die Kirchengärten umgegraben hat.“

,, Und mit Kirchengärten meint er Friedhöfe.“ , rief Cyrus über die Schulter, bevor er mit einem schadenfrohen Zwinkern als erster im Tunnel verschwand. Erik seinerseits sah sich ein letztes Mal im Keller um. Da waren nur leere, blanker Stahl und verstaubte Bücher. Er fühlte nichts bei dem Gedanken, diesen Ort zurück zu lassen. Es gab nichts hier, das ihm wichtig war, das Gebäude hatte einem Zweck gedient nicht mehr. Außer einer Sache vielleicht.

Sein Blick fiel auf seine Werkzeuge, die auf einem kleinen Lederetui ausgebreitet dalagen. Die versilberten Klingen und Zangen schimmerten im rasch schwächer werdenden Licht der Öllampe. Cyrus musste den Ausstieg fast schon erreicht haben. Kurz entschlossen, faltete Erik das Etui um seine Instrumente zusammen und machte sich dann daran, dem Gejarn zu folgen. Mhari blieb dabei dicht hinter ihm und duckte sich elegant ohne anzuhalten unter der Decke des Tunnels weg.

,, Wer hat das hier gebaut ?“ , wollte sie wissen. Wasser war in den Gang eingedrungen und hatte aus dem losen Erdboden Schlamm gemacht, der ihre Kleider verdreckte.

,, Den Tunnel ? Ich schätze irgendein Schmuggler, wem auch immer dieses Haus früher gehörte. Aber er war eingestürzt als ich eingezogen bin. Mit Cyrus Hilfe habe ich ihn wieder frei gemacht und einige neue Stützbalken eingezogen. Um ehrlich zu sein, dass ich diesen Gang entdeckt habe, war der Hauptgrund aus dem ich dieses Haus gekauft habe. Hier hinauf“

Sie hatten die steinerne Leiter erreicht, die, von Regen glatt gewaschen, direkt in den Fels geschlagen worden war. Es war nicht weit bis nach oben, in etwa doppelter Mannshöhe fiel Tageslicht durch eine offene Luke herein. An deren oberen Ende wartete bereits Cyrsu, geduckt in eine Hecke knapp unterhalb der Stadtmauern. Der Tunnel war nicht lang oder stabil genug um ihn weiter vorantreiben zu können und so hatten sie sich damit zufrieden geben müssen, noch im Schatten des Walls wieder ans Tageslicht zu kommen. Wenigstens bot das umgebende Gestrüpp etwas Schutz, trotzdem war Erik froh, dass sich nach wie vor keine Prätorianer auf dem Wall zeigten.

Cyrus packte seine Hand und zog ihn das letzte Stück ins Freie, während Mhari, geschickt wie zuvor, aus eigener Kraft nach oben kletterte. Sturmschwinge hatte sie sich dabei mit einem einfachen Seil auf den Rücken gebunden, auch wenn Erik sich fragte, wie sie da sin der kurzen Zeit, die er sie aus den Augen gelassen hatte, fertig gebracht hatte. Allerdings stellte diese Frau ihn auch so immer noch vor genug Rätsel.

Ohne sich noch einmal nach der Stadt umzudrehen, bedeutete sie ihnen einfach nur, ihr zu folgen, immer im Schatten der wenigen Vegetation bleibend, die diese Seite der Stadt bot. Aber immerhin waren sie nicht bei den Farmen heraus gekommen, die das Land auf der anderen Seite Varas bedeckten. Die Felder waren vor wenigen Tagen abgeerntet worden und nun gab es dort nur noch von Stoppeln bestandene Äcker ohne jede Deckung. So konnten sie wenigstens irgendwie außer Sicht bleiben…

Ihre Sorgen sollten sich jedoch ohnehin als Grundlos erweisen. Es gab keinen Alarmruf, keine Bewegungen auf den Mauern, nur das Rascheln des Grases unter ihren Füßen und das tosen der Feuer, die immer noch in den Straßen Varas wüteten. Trotzdem ließ Mhari sie erst anhalten, als sie bereits ein gutes Stück zwischen sich und die Stadt gebracht hatten. Der Waldrand lag nun direkt vor ihnen und mit ihm Sicherheit und Versteckmöglichkeit, falls ihnen doch jemand folgen sollte. Und davor, auf dem Gipfel eines der Hügel, die die gesamte Talsenke umgaben, in der Vara lag, ragte einer der gewaltigen Monolithen auf, die Erik bereits so vertraut waren. Niemand wusste genau, wozu die großen Runensteine einst gedient haben mochten, die die Stadt in einem Kreis umgaben und fragte man die Gejarn, waren sie sogar schon länger hier als die Clans sich zurück erinnern konnten. Unter ihnen lag nun Vara, oder das was nach den Ereignissen der letzten Stunden noch davon geblieben war. Noch immer schwebte die fliegende Stadt über den qualmenden Ruinen, doch es fielen keine Brandgranaten mehr. Noch immer loderten Brände in den Straßen und stiegen dichte Rauchwolken zum Himmel auf. Nichts schien unberührt geblieben zu sein, schwarze Asche hatte sich auf die Dächer aller Häuser gelegt die noch standen und ihre Fassaden grau gefärbt. Lediglich die Universität ragte halbwegs unbeschädigt aus all der Zerstörung auf, doch Erik wollte nicht wissen, für wie viele die vermeintlich sicheren Hallen zur Todesfalle geworden waren.

Langsam drehte er sich zu Mhari um, die den Blick fest auf die Zitadelle über Vara geheftet ließ. Als ob sie irgendwie hoffte, den Kaiser zu erspähen.

Das alles um einer Person habhaft zu werden ? Es schien so seltsam, so absolut unnötig. Wahnsinnig oder nicht, wie konnte man so viele Leben wegwerfen für nichts? Erneut fragte er sich, wer Mhari eigentlich war, das Caius bereit war so viel zu Opfer um ihrer habhaft zu werden. Oder ging hier vielleicht noch etwas ganz anderes vor sich?

Erik tastete nach der kleinen Statue in seiner Manteltasche und stellte erleichtert fest, dass sie immer noch da war. Einen Moment überlegte er, sie aus der Tasche zu ziehen und Cyrus zu zeigen aber… Mhari würde dann auch erfahren, was ihm der Patrizier anvertraut hätte. Nicht, das er wirklich wüsste, ob es sich dabei um etwas besonders oder nur ein simples Kleinod handelte. Aber wenn sie Geheimnisse hatte, durfte er sicher auch einige behalten. Vielleicht würde er ja noch herausfinden,

was es damit auf sich hatte, wenn er sich die Figur in Ruhe ansehen konnte. Fürs erste mussten sie sehen, das sie noch etwas Abstand zwischen sich und die fliegende Stadt brachten. Und sie mussten irgendwo her Vorräte nehmen. Sie hatten nur das, was sie am Leib trugen, keine weitere Kleidung kein Essen… aber immerhin trug er noch ein paar Goldmünzen mit sich herum. Vielleicht würden sie damit bei den umliegenden Bauernhöfen etwas bekommen. Doch es gab noch eine wichtigere Frage, die ihn umtrieb

,, Wohin gehen wir jetzt eigentlich ? Ihr habt gemeint einige Mitglieder eures Clans seine Verletzt…“

Mhari nickte, während der Arzt den kleinen Ranzen mit seinem Besteck schulterte. ,, Unser Ziel ist das rote Tal.“

,, Ihr macht Witze.“ Erik suchte nach einer Spur Humor auf ihrem Gesicht, fand jedoch nur stoische Kälte. ,, Wir werden Monate unterwegs sein…“

Mhari lächelte nur verschwörerisch. ,, Lasst euch überraschen.“

 

 

Tatsächlich kamen sie überraschend schnell voran, wie Erik fand. Was auch daran liegen mochte, das Mhari ein schnelles Tempo vorlegte und wo der Wolf noch leicht mit ihr mithalten konnte, fiel er selbst schon bald hinter die beiden zurück und trottete als Schlusslicht ihrer Gruppe hinterher.

Weit allerdings kamen sie am ersten Tag zum Glück eh nicht mehr. Einige Stunden nach dem sie Aufgebrochen waren, begannen die Wälder langsam dunkel zu werden und sie mussten sich wohl oder übel damit abfinden, sich im freien einen Platz zum Schlafen zu suchen. Immerhin war der Herbst bisher relativ mild geblieben, dachte Erik, als sich die kleine Gruppe im Schutz einiger niedriger Tannen zusammen kauerte. Trotzdem hätte er am liebsten ein Feuer entfacht, aber das ließ Mhari nicht zu und obwohl der Wolf nichts sagte, konnte Erik ihm ansehen, dass er wohl das gleiche dachte. Noch waren sie nicht außer Gefahr, sollte man nach ihnen suchen. Und ein Feuer mitten in der Finsternis würde jeden Verfolger im näheren Umkreis sofort auf sie aufmerksam machen. Also fügte er sich schließlich in sein Schicksal, hüllte sich so gut es ging in seinen Mantel und lehnte sich an einen Baumstamm. Der dünne Stoff bot allerdings nicht wirklich viel Schutz vor der Kälte und das er seit einem Tag nichts gegessen hatte machte die Sache auch nicht besser. Missmutig sah er zwischen den zwei Gejarn hin und her, denen zumindest die Witterung kaum etwas auszumachen schien. Oder besser dem einen. Mhari jedenfalls konnte er nicht mehr erkennen, auch wenn das bei dem schwindenden Licht nichts hieß. Vielleicht war er ja auch wirklich kurz weg genickt. Jedenfalls war im Augenblick nur noch der schwarze Wolf da, der ihn durch das Halbdunkel musterte.

,, Was denn ?“ fragte er als er Cyrus fragenden Blick des Wolfs nicht länger ertrug. ,, Da man mir ja leider Verboten hat Feuer zu machen bin ich leider der einzige hier, der frieren muss. Du musst dir keine Sorgen mehr um deine Schuld machen wenn ich bis morgen erstarrt bin. Ansonsten findest du besser was warmes, das wäre jetzt ein Lebensretter…“

Mit diesen Worten lehnte er sich wieder zurück und versuchte halb liegend zumindest so etwas wie Ruhe zu finden. Schlafen würde er jedenfalls nicht, so viel stand fest. Als Erik ein entnervtes Seufzten hörte, öffnete er die Augen allerdings wieder einen Spalt breit und bekam grade noch mit wie sich ein großer, schwarzer Schatten neben ihn setzte.

,, Weißt du man könnte fast meinen du meinst so was ernst, wenn man dich so reden hört. Du hast mir mal gesagt du hältst mich für intelligenter als das was ich.. darstelle könnte man wohl sagen. Das gleiche gilt für dich. “

,, Ich halte die Leute ebne gerne fern.“ , meinte Erik. ,, Jemanden der mich versteht finde ich ja doch nicht. Selbst du glaubst doch das ich verrückt bin.“ Wenigstens war ihm mit dem großen Fellknäul neben sich nicht mehr ganz so kalt.

,, Ein wenig seltsam ja. Aber nicht verrückt.“ Der Wolf grinste. ,, Ich glaube du willst den Leuten wirklich helfen. Und würde ich das nicht glauben wäre ich kaum so lange bei dir geblieben. Meine Schuld zwingt mich nicht anderen zu Schaden. ,, Aber warum ?“

,, Warum was ?“

,, Warum liegt dir so viel daran zu helfen obwohl du immer nur abweisend bist ? Du willst keinen Dank, darum geht es dir nicht. Und wenn es dir um Anerkennung gehen würde, hättest du Aufgegeben nachdem man dich in Vara abgewiesen hat. Du wirst jetzt nie offiziell als Heiler arbeiten. Und seien wir ehrlich es wird dir nicht die Sympathie deines Volkes einbringen, Gejarn zu retten.“

,,Nein. Das kaum. Die Leute verurteilen was der Kaiser tut, aber wenn sie ein paar Wälder für Ackerland niederbrennen und niemand die ansässigen Clans auch nur warnt nun… das scheint ihnen nicht verwerflich. Der Großteil aller Menschen und Gejarn ist dumm, Cyrus. Sie suchen sich gegenseitig zu überforteilen und zu vernichten nur aus Angst, jemand anders könnte sonst mehr bekommen als sie. Selbst wenn dieses mehr für denjenigen grade genug zum Leben bedeutet. Und ich habe akzeptiert, dass ich daran nichts ändern werde. Oder will. Aber ich kann meinen Teil tuen, das sie sich dabei nicht gegenseitig in Stücke reißen.“

,, Oder du flickst sie zumindest wieder zusammen.“

Erik grinste. ,, Ich kann es versuchen , ja.“

,, Auch wenn das meine Frage nicht wirklich beantwortet, oder ? Das warum ? Was bringt einen Menschen dazu so zu denken? Du willst helfen… aber du magst die Menschen nicht?“

,, Ich mag nicht, was sie tun, Cyrus. Aber Menschen selber sind etwas Wundervolles. Das Leben ist es. Wir alle können Dinge schaffen, wir haben ein Imperium geschmiedet, einheitliche Rechte, Künste… Wie kann ich den hassen, was ich selbst bin? Manchmal wünschte ich nur ich hätte die Möglichkeit oder Macht ihnen den richtigen Weg zu zeigen. Eines Tages werde ich es vielleicht erklären.“ Und eines Tages mochte weit in der Zukunft liegen. Das war nichts, was Cyrus etwas anging. Oder irgendjemanden sonst außer ihm. Trotzdem entspannte er sich etwas. Die Kälte war nicht ganz so drückend und das Gespräch lenkte ihn von Hunger und Müdigkeit ab. Eine Weile saßen sie nur in freundschaftliches Schweigen gehüllt nebeneinander Erik konnte nur raten, was der Wolf denken mochte. Aber er war selten so froh gewesen, nicht ganz alleine zu sein. Und vielleicht ging es Cyrus ganz ähnlich? Er wusste es nicht. Aber der Mann war für ihn in den letzten paar Monaten mehr als nur eine Hilfe gewesen. Ein Freund… Erik grinste über diesen Gedanken. Auch ein Freund musste einen nicht unbedingt verstehen. Aber er konnte einen akzeptieren und genau das tat der Wolf.

Ein Rascheln im Unterholz riss ihn aus seinen Gedanken. Erik wollte aufspringen nur hatte Cyrus dummerweise wohl die gleiche Idee. Ihre Köpfe prallte mit einem hörbaren Knall aufeinander und sowohl er als auch der Wolf sackten wieder nebeneinander zurück, beim anderen noch im Sturz nach halt suchend.

,, Störe ich ?“ Erik erkannte Mhari nur als grauen Schatten, der zwischen den Bäumen auftauchte, die Hände voll mit irgendetwas und die Taschen ihrer Kleidung ausgebeult. Das dünne Grinsen auf ihrem Gesicht strahlte hell wie Mondlicht. Er wusste genau was sie grade dachte. Statt irgendetwas zu erwidern, wie Cyrus es sicher getan hätte, machte er lediglich eine einladende Geste.

,, Ihr könnt euch gerne dazu setzen.“

Und zu Eriks Überraschung tat sie das tatsächlich. Ganz unelegant ließ sich die Löwin einfach neben ihm zu Boden fallen und ließ ein paar kleine, runde Gegenstände vor ihnen auf die Erde rieseln. Und sie waren blau.

,, Ich dachte ich sehe mich ein wenig um und bin auf dem Rückweg über ein paar Beerenbüsche gestolpert.“ , erklärte Mhari . ,, Ist in jedem Fall besser als nichts.“

Mit diesen Worten begann sie ein Stück vor ihnen einige Zweige und trockenes Laub aufzuschichten, bevor sie diese mit einer kurzen Berührung der Speerspitze in Brand setzte. Danach ließ sie die Waffe wieder achtlos neben sich fallen, während die Flammen langsam zu lodern anfingen. Erneut fragte Erik sich, wer diese Frau eigentlich war oder wieso sie so intuitiv mit einer Träne umgehen konnte. Falls es sich bei dem Kristall um eine solche handelte.

,, Ich dachte ihr wolltet kein Feuer ?“ , fragte Erik, der sich die Finger einer Hand wärmte, während er mit der anderen ein paar Beeren stibitzte.

,, Wie gesagt ich habe mich umgesehen. Und folgt niemand. Jedenfalls niemand den ich hätte entdecken können.“

,, Und da seid ihr euch ganz sicher ?“ , fragte der Wolf, der sich allerdings ebenfalls über das Essen her machte. Die Gejarn hatte mittlerweile einen ganzen Berg essbare Beeren und Nüsse aus ihren Taschen zu Tage gefördert und innerhalb weniger Minuten waren ihre Finger und Münder allesamt blau.

,, Sehr. Glaubt mir, wäre man uns auf der Spur, würden wir nicht hier sitzen. Und essen.“ So ernst das Thema war, Mhari schien ihre nichtssagende Art zumindest für den Moment etwas abgelegt zu haben. Die Löwin schien sich sogar regelrecht zu entspannen, an einem Baum gelehnt und mit einem Ast in den Flammen stochernd. ,, Auch wenn mir Fleisch Leiber wäre, aber das einzige, was ich zum Jagen habe wäre der Speer. Und ich glaube der Geist von Kirus Ordeal wird uns für den Rest unserer Tage heimsuchen wenn ich es wage eine Träne zu nutzen um ein Reh zu erlegen.“ Das verschmierte Grinsen auf dem Gesicht der Gejarn erinnerte Erik tatsächlich kurz mehr ganz ein kleines Kind und nicht an die ernste Frau, die sie in Vara kennen gelernt hatten. Falls man das überhaupt so nennen konnte, sie waren wohl alle etwas überfallen worden. Im wahrsten Sinne des Wortes. Der Eindruck hielt jedoch nur kurz. Bis kurz vor der Dämmerung saßen sie zusammen um das Feuer herum, bis Erik schließlich doch irgendwann der Schlaf übermannte. Und als die ersten Strahlen der Sonne die Finsternis vertreiben, war es Mhari, die sie bereits hellwach aus dem Schlaf rüttelte und zum Aufbruch drängte. Da sie nicht viel hatten, dauerte es auch nicht lange, bis sie wieder unterwegs waren. Es war noch früh genug, das dichter Nebel die Wälder einhüllte und es fast unmöglich machte, weiter als ein paar Schritte zu sehen. Die Umrisse der Bäume zeichneten sie Phantomhaft darin ab, ihre Zweige von grauen Tautropfen bedeckt. Mhari schien in ihrer Kleidung fast von der wabernden Masse verschluckt zu werden, als sei sie ein Teil von ihr und Erik fühlte sich an ihr Auftauchen in Vara erinnert. Auch damals hatte es so gewirkt, als würde sie einfach direkt aus dem Rauch auftauchen. Fast, als wäre sie ein Geist. Ein kaltes, abweisendes Wesen. Nun spätestens seit gestern wusste er dass das nicht ganz stimmte, aber er war sich sicher, nie jemanden begegnet zu sein, der seine Emotionen so gut beherrschte wie Mhari. Wenn man nicht wissen sollte, was sie dachte, erfuhr man es auch nicht. Was ihn zu der Frage brachte, ob das gestern nicht sogar geplant gewesen sein mochte. Nach wie vor wusste er schlicht zu wenig über sie oder diesen seltsamen Krieg den sie gegen den Kaiser führte.

Wenigstens bedeutete der Nebel, dass auch ihre Verfolger, wenn es denn welche gab, Schwierigkeiten haben würden, ihnen zu folgen. Und Mhari führte sie nach wie vor sicher über die Waldpfade, ohne sich von der schlechten Sicht bremsen zu lassen. Gegen Mittag schließlich, löste sich der Nebel langsam auf und auch die Wälder wurden weniger dicht. Vereinzelt standen zwar noch Baumgruppen beieinander, doch dazwischen erstreckte n sich nun rechteckige Felder aus goldenen oder braunen Flächen. Manche waren bereits abgeerntet und nur noch Stoppeln bedeckten den nackten Boden, auf anderen jedoch wiegten sich nach wie vor die schweren, reifen Ähren im Wind. Und inmitten der Felder ragte ein kleines Gehöft auf, an dem sie schließlich Rast machten. Der Besitzer, ein hoch gewachsener Bauer, der Erik mit seiner spindeldürren Gestalt ein wenig an eine Vogelscheuche erinnerte, war beim Anblick zweier Gejarn und eines Menschen zwar zuerst etwas misstrauisch, doch nachdem Erik ihm heimlich eine der Goldmünzen zusteckte, die er nach wie vor mit sich trug, konnte er sie plötzlich gar nicht mehr schnell genug herein bitten.

Und so verbrachten sie zumindest ein paar Stunden vor einem prasselnden Feuer und mit einem Dach über den Kopf. Es dauerte jedoch nicht lange, bis Mhari erneut zum Aufbruch drängte, als ob sie keine Zeit verschwenden wollte. Auch wenn Erik sich fragte wieso. Sie würden Monate unterwegs sein, wenn ihr Ziel wirklich das rote Tal war. Die freien Königreiche lagen an der Ostküste des Kontinents und Vara lag näher an der westlichen. Immerhin gab ihnen der Farmer noch einige Vorräte mit, so dass sie fürs erste nicht mehr hungern müssten. Als sie das Gehöft jedoch bereits eine Weile hinter sich gelassen hatten und die Gebäude hinter dem Horizont verschwunden waren, wurde Erik auf einmal klar, das damit etwas nicht stimmte. Wenn Mhari wirklich aus dem roten Tal stammte, dann hatte sie auch Ausrüstung und Vorräte für die Reise gebraucht, nicht? Und wo waren die dann? Aufgebraucht oder vom Feuer in Vara verzehrt ? Sie hatte jedenfalls keine Taschen mit sich getragen, als sie ihr zuerst begegnet waren. Vielleicht hatte sie sie also wirklich nur verloren ? Es schien die einzige Antwort, die ihm einfallen wollte. Alles andere würde bedeuten, dass sie sich Wochenlang ohne Hilfe durch die Wildnis gekämpft hatte nur um nach Vara zu kommen. Alleine die Vorstellung war lächerlich… Allerdings sollte er bald erfahren, dass es möglicherweise noch eine dritte Antwort gab.

 

Kapitel 14

 

Die wahre  Überraschung kam erst, nachdem sie bereits drei  Tage unterwegs waren.  Die Reise kam Erik mehr wie ein verschwommener Traum vor. Landschaften zogen an ihnen vorbei, verschwommene Schatten mehr, als das er sie lange betrachtete. Die letzten zwei Tage hatten sie erneut in den dichten Wäldern verbracht und nur ab und an einen Blick auf ihre Umgebung erhascht. Erik hatte zeitweise das Gefühl, das Mhari sie absichtlich auf einem Umweg durch die Bäume führte, sei es um weiterhin nicht existente Verfolger abzuschütteln, sei es, dass sie die Schatten schlicht vorzog. Letzteres jedenfalls konnte er ihr nicht verübeln, war es während ihres Wegs doch beständig wärmer geworden. Und schnell. Mittlerweile wollte Erik nicht einmal mehr glauben, dass es Anfang Herbst war. Die Temperaturen waren bei weitem zu sommerlich dafür und selbst die Bäume hatten sich verändert. Statt Eichen und Buchen und gelegentlichen Nadelbäumen ragten jetzt Akazien und dichtes Gestrüpp  um sie herum auf. Hätte Erik gewusst, dass es welche so nah an Vara gab, hätte er sich schon früher einmal hier umgesehen. Grade weil man aus Rinden und Früchten einige wirksame Medikamente herstellen konnte, das hatte zumindest einst ein alter Botaniker der Universität behauptet. Normalerweise wuchsen diese Bäume aber viel weiter südlich, das war jedenfalls was er gehört hatte. Offenbar mussten wohl einige Bücher in den Bibliotheken Varas überarbeitet werden…

Und dann traten sie das erste Mal seit langem wieder zwischen den Bäumen heraus und Erik wäre beinahe rückwärts wieder in ihren Schutz zurück gestolpert. Das war nicht möglich, war sein einziger Gedanke. Vor ihnen breiteten sich nicht etwa die Felder und Wiesen der Herzlande aus, sondern eine schier endlose Eben aus hohem, strohgelben Gras, das lediglich von Tafelbergen und einer gepflasterten Händlerstraße unterbrochen wurde.  Direkt an dem Weg  und im Schutz eines hohen Sandsteinblocks gelegen, gab es anscheinend ein kleines Gasthaus, mit einer Stallung davor, in der mehrere Karren untergestellt waren. Vermutlich die Karawane eines Händlers, der sich in die freien Königreiche aufmachte. Oder schon da war…

Das Gasthaus selbst schien halb in den Stein eingelassen. Ein halbes, abgewinkeltes Dach schloss nahtlos mit dem Felsen ab und auch die Mauern waren scheinbar direkt aus dem Sandstein geschlagen worden. Roter Wein überwucherte diese und  Gedieh auch  auf auf einigen Terrassen, die in den Fels über dem Gasthaus geschlagen worden waren.  Zypressen spendeten in den Gärten darunter Schatten und irgendwo in dem Felsen musste sich wohl auch eine Quelle verbergen, den Erik konnte das glitzern von Wasser sehen, das in einer Rinne am Gasthaus vorbei und zu einem Brunnen hinter den Stallungen floss. Direkt an der Straße gelegen, fand der Wein vermutlich auch reißenden Absatz bei sämtlichen Händlern, die den langen aber lukrativen Weg nach Osten und vielleicht auch weiter nach Süden hinab wagten, wo Gewürze, Tabak und Edelsteine in rauen Mengen gewonnen und gehandelt wurden.  Erik war nur zu klar, wo er sich befand und was er vor sich hatte, er fragte sich nur, wie es möglich war. Das war die Steppe Erindals, der größten Stadt der freien Königreiche… Aber sie hätten Monate bis hierher brauchen müssen, sie… sie durften, nein konnten, nicht hier sein. Und doch waren sie es….

Die freien Königreiche waren ein  loser Verbund aus Stadt und Kleinstaaten, die sich die gesamte Ostküste des Kontinents hinab erstreckten und damit fast eine Fläche umfassten, die der des Kaiserreichs gleich kam. Allerdings war dieser Verbund nur dann wirklich stark, wenn es darum ging, eventuelle Vorstöße des Kaisers aufzuhalten und selbst dann mochte ein Stadtkönig  den anderen im Regen stehen lassen, wenn er sich davon einen Vorteil erhoffte. So gesehen waren sie kaum mehr als unwillige Vasallen Cantons auch wenn ihnen das besser wohl nicht ins Gesicht sagte. Und sie führten untereinander noch mehr Konflikte als mit dem Kaiser, der auf die kleinen Grenzverletzungen schon kaum mehr reagierte, da die freien Reichen ohnehin untereinander so lange die Schuld zuschoben, bis dem Kaiser nur noch blieb, die Sache fallen zu lassen oder eine Strafexpedition gegen das gesamte Kollektiv zu entsenden, die ihn am Ende mehr kosten würde, als die Sache Wert war. Und er hatte gar kein Interesse daran, die freien Königreiche auszulöschen, dachte Erik. Dazu stellten sie ein viel zu gutes Schild gegen Laos da, ein Land, von dem bestenfalls Gerüchte bis nach Canton drangen. Das… und der düstere Ruf, den seine Krieger hatten. Männer, die sich selbst in der kochenden Hitze der Wüste komplett in roten Stoff und Stahl hüllten und dabei den Tod brachten, während die meisten normalen Klingen an ihren Panzerungen abglitten. Manche behaupteten sogar es handle sich bei diesen Fremden gar nicht um Menschen sondern um die Geister einer antiken Expeditionslegion, die ein lange vergessener Vorfahr von Caius einst nach Süden entsendete. Ein wahnwitziger Kriegszug von zehntausend Mann, der von der Wüste verschlungen wurde und das Reich damit  auf Jahrzehnte Militärisch schwächte… Ob nun Geister oder Menschen, solange es die freien Königreiche gab, musste der Kaiser keine Truppen auf dieses Problem aufwenden. Nicht, bis er nicht glaubte, bereit dafür zu sein. Die Stadtstaaten wären leicht zu erobern, doch der Krieg, der dann folgen würde, war nur schwer einzuschätzen.

Was aber nicht seine Frage beantwortete, wie sie hier sein konnten…

Mhari schien seinen fragenden Blick zu bemerken, während sie eine ausladende Handbewegung in Richtung des Gasthauses und  der Ebenen dahinter machte. ,, Willkommen in den freien Königreichen.“
,, Das ist unmöglich. Wir waren nur drei Tage unterwegs… wir…“ Erik schüttelte den Kopf und rieb seine schmerzende Stirn mit den Fingern. Nichts hiervon ergab Sinn. ,, Wir müssten zumindest den Grenzfluss überquert haben , und…“

,, Das haben wir erinnert ihr euch nicht ?“ Mhari sprach, als sei es das normalste der Welt , das sie grade eine Distanz innerhalb weniger Tage überbrückt hatten, die normalerweise Monate in Anspruch nehmen sollte.

Tatsächlich konnte er sich dumpf an einen  Fluss erinnern, an große Brückenbögen, die sich darüber spannten und das Rauschen des Wassers in der Tiefe. Doch all dies war so schnell an ihm vorbei gezogen, dass er davon kaum Notiz genommen hatte. Genau wie vom Rest der Reise. Es schien mehr ein Traum gewesen zu sein, als ein echtes Erlebnis. 

,, Aber… wie ? Ich meine… selbst mit einem Pferd wären wir Wochen unterwegs gewesen. So betrunken habe ich mich in Vara nun auch wieder nicht, dass ich mein Zeitgefühl verloren hätte. Cyrus ?“ Er sah flehentlich zu den Wolf. Er war doch nicht verrückt…

,, Erik hat recht. Wir sind erst kurz unterwegs. Ich meine…  wo sind wir hier? Alles hier  riecht fremd, selbst die Luft…“

,, Das habe ich euch eben gesagt. Das wie ist schwerer zu erklären.“

,, Magie ?“ Cyrus kniff misstrauisch die Augen zusammen.

Mhari grinste. ,, Ihr wisst genau so gut wie ich, dass  es unter den Gejarn keine Zauberer gibt. Die einzige Magie die ich habe,  steckt in der Träne. Ich weiß zwar wie man die Magie nutzt, die in den Speer gewoben ist, aber das heißt nicht, das ich uns einfach an einen anderen Ort bringen kann. Aber es gibt andere Möglichkeiten diese Welt zu durchqueren, Cyrus. Der kürzeste Weg zwischen zwei Orten ist nicht immer eine grade Linie, sondern der, bei dem der Weg verschwindet. Statt vieler Schritte, macht man einen, aber werden die Schritte zu groß, verliert man sich vielleicht dabei. “

,, Selbst wenn ich wüsste, was das nun wieder bedeuten soll, bin ich mir unsicher, ob ich es auch verstehen könnte. „ , meinte Erik. ,,Ihr neigt dazu in Rätseln zu sprechen, Mhari. Eines Tages werden wir einmal lange miteinander reden müssen.“

,, Aber nicht heute.“ Die Löwin nickte hinab in Richtung des Gasthauses. ,, Die Sonne wird bald untergehen und ich glaube, noch eine Nacht im Freien braucht niemand von uns.“

,,Nein.“ Tatsächlich war die Aussicht mal wieder in einem richtigen Bett zu schlafen verlockender als vieles andere. Hungern hatten sie auf dem Weg nicht müssen, doch der bloße Boden war alles andere als bequem und nach drei Tagen konnte er jeden einzelnen Muskel in seinem Rücken spüren.

Beim Näherkommen wurde Erik klar, dass das Gasthaus sogar um einiges größer war, als er anfangs Gedacht hatte. Zwei Stockwerke hoch, erhob sich der vordere, an den Felsen angrenzende Teil des Bauwerks über den Boden und  durch die offenen Fenster drangen von drinnen drangen bereits die Stimmen der Gäste nach draußen. Er schnappte ein paar fetzen der Amtssprache auf, aber wenn er noch mehr Beweise dafür gebraucht hätte, das sie nicht mehr innerhalb der Grenzen des Kaiserreichs waren, so fand er sie hier.  Zwar verstanden oder sprachen auch die meisten Menschen in den freien Reichen die Amtssprache Cantons, doch mischte sich diese meist mit lokalen Dialekten und den Überresten der alten Sprachen, die vor dem Aufstieg Cantons existiert hatten. Manche sprachen sogar Fragmente der Sprache des alten Volkes, Mitglieder einstiger Sklaven oder Vasallenvölker des vergangenen Zauberer- Imperiums.

Mhari jedenfalls hielt nicht an, um zu lauschen, sondern  trat durch die einfache Holztür, welche den Eingang des Gasthauses darstellte. Dahinter erstreckte sich ein kleiner Flur, von dem ein offener Durchgang in den eigenen Schankraum führte. Davor jedoch hatte sich eine große Gestalt aufgebaut, die wohl entweder dem Wirt oder einem  seiner angestellten gehörte. Der Mann war schon älter und seine Haare ergraut, die Haut wettergegerbt und von der Sonne  dunkel gebrannt. Als er die drei Neuankömmlinge sah, wendete er sich fast sofort wieder ab. Bis sein Blick auf die Waffe der Gejarn fiel.  Er sagte etwas in einem Dialekt, den Erik nur halb verstand, Mhari erwiderte etwas in der gleichen Sprache und der Mann nickte zur Rückwand des Flurs, wo sich hinter einem großen Tresen dutzende von Schwertern, Dolchen Bögen und Köchern voller Pfeile und Wurfspeere aufreihten. Auch ohne die Sprache zu verstehen wusste Erik, was der Mann ihnen sagen wollte. Keine Waffen. Da das Gasthaus direkt an einer Händlerstraße lag kamen hiervermutlich  Leute aus dem ganzen Imperium und darüber hinaus zusammen. Verständlich, dass man nicht wollte, dass diese ihre Konflikte ausgerechnet hier austrugen. Mhari funkelte den Wirt nur düster an. Erik hatte diesen Ausdruck bei ihr schon gesehen, in den Straßen Varas. Irgendetwas Gefährliches lag darin, ein Nein, das schlicht keinen weiteren Wiederspruch dulden würde.  War sie verrückt geworden? Erik sah einen Moment zwischen ihr und dem anderen Mann hin und her unsicher ob oder was er tun sollte. Er würde jedenfalls nicht dabei stehen, und ihr erlauben irgendjemanden zu verletzen weil er um die Sicherheit seiner Kundschaft besorgt war. Halb stellte er sich bereits darauf ein, zwischen die beiden zu gehen und schob sich langsam an Mhari vorbei in den Flur.  Die Gejarn jedoch, schien erraten zu haben, was er vorhatte. Blitzschnell wirbelte sie herum, dass selbst der angespannte Wirt nur irritiert blinzeln konnte. Erik stand ihr nun Auge in Auge gegenüber. Augen, in denen ein Sturm aus grau und Gelb tobte . Und dann entspannen sich ihre Züge unmerklich zuerst, dann schneller, wurden sanfter bis Erik den Ausdruck darin nicht länger zu deuten wusste. Fast meinte er, dass es sich um Wiedererkennen handeln musste. Und Überraschung. So als hätte sie seine Gedanken gelesen.  So irrwitzig diese Vorstellung auch war, es schien tatsächlich so, als ob sie schließlich nur nachgab, weil er da war und weil ihr klar war, was er davon hielt. Als würden sie sich bereits seit Jahren kennen und Mhari seine Meinung achten. Wieder ein neues Rätsel und keine Antworten, dachte er, als Mhari schließlich die Waffe abgab und auch Cyrus dem Wirt ein Messer in die Hand drückte. Erik überlegte kurz, behielt die Ledermappe mit seinen Instrumenten dann doch lieber bei sich. Das waren keine Waffen, sondern Werkzeuge. Und er hatte nicht vor, für Ärger zu Sorgen.

,, Warum ?“ , wagte er es leise zu Fragen. Er musste nicht erklären was er meinte. Als hätte sie tatsächlich gewusst, was er dachte.

,, Ihr  habt mich an jemanden erinnert… das ist alles.“ , erklärte sie, bevor sie sich wieder dem Wirt zuwendete, der plötzlich lächelte.

,, Canton also.“ , stellte er in fast fehlerfreier Amtssprache fest. ,, Dann habt ihr einen weiten Weg hinter euch, schätze ich. Wir haben noch Zimmer frei, falls ihr welche wollt.“

,,Gerne.“ , warf Erik sofort ein und hielt eine der Goldmünzen hoch, die er nach wie vor mit sich trug. Geschickt schnipste er sie dem Mann zu, der sie Blitzschnell aus der Luft fischte. ,, Seht den Rest als kleine Entschädigung.“

,, Nehmen wir drei oder teilt ihr euch einen Raum ?“ , fragte Mhari an ihn und Cyrus gerichtet.

Der Wolf sah nur verwirrt zwischen ihnen hin und her. ,, Erik… warum genau sollten wir uns ein Zimmer teilen wollen ?“

Der Arzt musste ein kichern unterdrücken, als ihm die Antwort klar wurde.  Vielleicht sollte er eher darüber mit Mhari reden, ehe er noch in Verruf geriet. Grinsend schlug er dem Wolf auf den Rücken während sie zu dritt den Schankraum betraten.

,, Ich glaube, mein Freund, die Antwort darauf würde dich nur zutiefst verstören. Drei Zimmer.“ , rief er dem Wirt noch zu. ,, Und wie gesagt, behaltet den Rest.“

 

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Kapitel: 14
Sätze: 2.187
Wörter: 35.493
Zeichen: 206.256

Kurzbeschreibung

Das Kaiserreich Cantons im Jahr 735 der Herrschaft des Hauses Ordeal : Das einst stabile und prosperierende Reich wird von Zwietracht zerrissen. Kaiser Caius Ordeal hat seine eigenen Erben hinschlachten lassen und das Land so in einen blutigen Bürgerkrieg gestürzt. Machthungrige Adelige und Fürsten lauern nur darauf, dass der alte Monarch stirbt und der Kampf um den Thron beginnen kann. Währenddessen durchwandern Kriegstruppen der Ordeal-Dynastie das Land um die schwindende Ordnung aufrecht zu erhalten und jeden Befehl Herrn auszuführen. Städte und Provinzen brennen im Feuer von Rebellion und Vergeltung.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Abenteuer auch in den Genres Fantasy, Mystery und Humor gelistet.