Kapitel 1 Ein Unglück kommt selten allein…
Bahe rannte geduckt in einer dunklen Sackgasse durch den strömenden Regen. Am Ende der Gasse stapelte er ein paar alte Plastikkisten auf die halb verrosteten Müllcontainer und ermöglichte es sich so, an das vier Meter hohe Ende der Betonmauer zu kommen. Er zog sich mit einem Ruck nach oben und stieß sich gleichzeitig mit den Füßen an der Mauer ab, ehe er sich auf der anderen Seite, vorsichtig auf das Dach eines Bungalows hinunter gleiten ließ. Mit leisen Schritten lief Bahe weiter über die Dächer verschiedener Bungalows und provisorischer Hütten, die gerade in den äußeren Bereichen der Slums zum Alltag geworden waren.
Nach einiger Zeit ging es über den Boden weiter, wo er darauf achtete, den wenigen Menschen auf den vor Matsch triefenden Wegen nie zu nahe zu kommen. Zu dieser Uhrzeit konnte sonst was passieren und es würde niemanden interessieren. Nicht, dass er etwas von Wert bei sich getragen hätte.
Wobei der Begriff Wert relativ war, denn vielleicht gefielen dem ein oder anderen Obdachlosen ja seine Schuhe. Bei dem Gedanken beschleunigte Bahe seine Schritte nochmal und legte die letzten zwei Kilometer, regelrecht um sein Leben rennend, zurück.
Inzwischen waren die provisorischen Hütten und Bungalows verschwunden und hatten Platz für alte, runtergekommene Betonbauten gemacht, die in zahllosen Varianten ineinander verschachtelt dastanden und Zeugnis über vergangene Bausünden ablegten. Bahe lief immer noch durch Seitengassen und hielt sich von den beleuchteten Wegen fern. Er wagte es nicht mehr, sich seinem zu Hause über die von Leuchtreklamen und blinkenden Verkaufsschildern strotzenden Straßen zu nähern.
Mit Anlauf sprang er an eine Mauer und kletterte die letzten Meter auf das Dach eines eingestürzten Gebäudes, das sich direkt gegenüber vom Grundstück seiner momentanen Bleibe befand.
So leise wie möglich hob er einen langen Balken an und wuchtete ein Ende über die dunkle Gasse hinweg auf die Grundstücksmauer der gegenüber liegenden Seite. Der Moment des dumpfen Aufpralls hallte unnatürlich laut durch die Nacht und ließ Bahe in Gedanken an mögliche Folgen erzittern. So schnell er es wagte, huschte Bahe hinüber, kletterte auf einen alten, metallenen Schuppen hinab und zog den Balken zu sich herüber.
Nachdem er den Balken am oberen Ende des Schuppens festgeklemmt hatte, schlich er zum Rand des Schuppens und ließ sich leise zum Boden herab fallen.
Wie der Blitz huschte Bahe anschließend zur Hintertür der Erdgeschosswohnung, öffnete sie langsam, um bloß kein Quietschen zu erzeugen und schloss sie auf die gleiche quälend, langsame Art wieder.
Ein kurzes Rappeln war zu vernehmen als die Tür ins Schloss fiel und Bahe ließ sich vor Schreck instinktiv in die Hocke fallen. Einen Augenblick später hörte er schon hektische Schritte im Matsch und im nächsten Moment schlug jemand hart und laut brüllend an die Tür: „Hey! Ich weiß, dass du da bist! Du weißt, wer wir sind! Mach die Tür auf, sonst wird es nur unangenehmer für dich! Hey! Mach auf!“
Bahe hielt die Luft an und duckte sich noch näher an die Wand, um vom Fenster aus nicht ausgemacht werden zu können. Die Tür musste noch einen Augenblick länger den Schlägen des Mannes standhalten, ehe kurzzeitig Ruhe einkehrte.
„Bist du sicher, dass du was gehört hast?“, fragte eine andere Männerstimme mit starkem Akzent.
„Was soll’s denn sonst gewesen sein?“, blaffte der Mann an der Tür.
„Vielleicht war’s nur ne Ratte.“
„Ach was, ne Ratte?!“, meinte der Mann an der Tür herablassend.
„Man, ich habe doch auch Augen im Kopf. Schau dich doch mal um, wo zum Henker soll der Junge bitte schön hergekommen sein? Wir beobachten das Haus seit Tagen. Es gibt nur die Vordertür und den Weg, den wir gerade genommen haben, um in diesen Hinterhof zu kommen. Beides hatten wir immer im Blick. Hier hinten hat die Oma, der diese Ruine gehört, doch tatsächlich diese drei bis vier Meter hohe Mauer um das Grundstück errichten lassen. Der Junge kommt vielleicht über den alten Schuppen von hier hinüber, aber nicht wieder zurück. Draußen ist überall nur die kahle Wand, das Stück sind wir extra abgelaufen!“
„Fuck! Könnte sein… Der Bastard ist uns nur schon zu lange entwischt. Ich habe kein Bock mehr so ner Rotznase hinterher zu rennen.“, fluchte der Mann an der Tür und Bahe meinte sich entfernende Schritte zu vernehmen. „Lass uns zum Wagen zurück gehen. Ich habe kein Bock bei dem Wetter noch länger im Regen rumzustehen.“
Angespannt blieb Bahe zunächst an der Wand sitzen und lauschte nach draußen. Nachdem er mehrere Atemzüge nichts vernahm, tastete er vorsichtig nach einer Taschenlampe an der Garderobe und machte sich auf den Weg ins Bad. Die Deckenbeleuchtung wagte er auch hier nicht einzuschalten. Im Halbdunkeln entledigte er sich seiner durchnässten Kleidung und machte sich auf ins Schlafzimmer, als er am Spiegel hängen blieb.
Die letzten Monate hatten ihn zunehmend gezeichnet. Im bleichen Schein der Taschenlampe fiel sein abgemagerter Körper noch stärker ins Auge. Die eingefallenen Wangen und wenigen Muskeln ließen ihn immer knochiger und zerbrechlicher wirken. Zudem war Bahe für seine achtzehn Jahre noch immer recht klein und konnte mit 1,68m gerade mit den Mädchen seines Alters mithalten. Um Geld einzusparen, hatte er zunehmend auf regelmäßige Mahlzeiten verzichtet. Man musste kein Genie sein, um zu begreifen, dass sein momentaner Lebensstil alles andere als vorteilhaft in dieser Hinsicht war.
Mit hängenden Schultern ging er ins Schlafzimmer und suchte sich frische Kleidung raus. Angezogen sank er erschöpft am Bettrand zusammen und tastete unter der Matratze nach seinem wertvollstem Schatz. Es war ein altes Foto, dass ihn und seine, damals noch vollständige, Familie zeigte. Das Foto war vor vier Jahren im Wulingyuan Nationalpark aufgenommen worden.
Bahe erinnerte sich noch genau an die ersten Jahre, als er 2046 mit seinem Vater nach China zog, weil dieser hier ein lukratives Jobangebot bekommen hatte. Seine Mutter war ein Jahr zuvor in einem Autounfall gestorben und Bahes Großeltern mütterlicherseits machten ihn und seinen Vater für den Unfalltod ihrer Tochter verantwortlich und hatten jeglichen Kontakt mit ihnen abgebrochen.
Damals war Bahe froh gewesen von all den Dingen fortzukommen, die ihn stets an seine Mutter erinnerten. Sicher, er hatte zunächst seine Freunde vermisst, aber so nach und nach war er damit zu Recht gekommen. Etwa ein Jahr später stellte ihm sein Vater eine neue Frau vor, Sulin Ma, eine warmherzige Chinesin, die er schneller als er sich vorstellen konnte als Mutter akzeptierte. Bahe konnte bisher nicht sagen, woran es gelegen hatte, er fühlte sich einfach wohl in ihrer Gegenwart.
Sie kam aus einer armen Familie und ihre sehr traditionellen Eltern waren durch die hier immer noch als normal geltenden Regeln der Mitgift schrecklich verunsichert, dass ein wohlhabender Ausländer ihre Tochter ohne jeglichen Nutzen ehelichen wollte. Nach zwei Jahren in China war es dann so weit und die Hochzeit lief diesmal nach chinesischen Riten ab. Es war eine besondere Erfahrung gewesen und Bahe erinnerte sich noch immer gern daran. Kurze Zeit später kamen seine beiden kleinen Geschwister, Liana Xue und Leo Xiao, zur Welt. Der Zwillingszuwachs hatte alle überrascht und Bahes Großeltern väterlicherseits kamen an jedem Geburtstag der Kinder extra nach China geflogen. Zwei Jahre später, zu Bahes Geburtstag, dann jedoch zum letzten Mal. Bahe verbrachte eine wundervolle Zeit mit seiner Familie auf einer Rundreise durch China, an deren Ende eine Tour durch den Wulingyuan Nationalpark stand. Tränen standen ihm in den Augen als er an die letzten schönen Momente seines Lebens dachte.
Nach diesen Tagen nahm das Unglück seinen Lauf.
Sein Vater hatte Bahes Großeltern zurück nach Deutschland begleiten wollen, weil er dort Verhandlungen für seine gut laufende, aber neu gegründete Firma führen musste. Der Flug startete ohne irgendwelche Komplikationen, doch irgendwann brachen die Kommunikationssysteme zusammen und letzten Endes verschwand das Flugzeug vom Radar.
Die nachfolgenden Wochen der Ungewissheit waren die schlimmste Zeit gewesen. Irgendwann fand man jedoch das Wrack und nach und nach wurden die Leichen freigegeben.
Letztlich blieb Bahe mit seinen beiden kleinen Geschwistern, seiner Mutter und ihrer Familie zurück.
Seine Mutter tat damals alles Menschenmögliche, um die Firma seines Vaters zu retten, doch zu keinem Erfolg. Bahe musste erkennen, dass im Gegensatz zu Deutschland, hier noch viel größerer Wert auf Beziehungen und Bekanntschaften gelegt wurde. Es ging nicht um Bestechung, mit unbekannten Leuten wurden schlicht weg keine Geschäfte getätigt. Dass die Firma obendrein auch noch von einer Frau geführt wurde, deren Rolle in China in gewissen Positionen noch immer nicht wirklich anerkannt war, sorgte für den Ruin des noch so jungen Unternehmens. Nach und nach gingen die Profite zurück und am Ende musste Sulin Konkurs anmelden. Sulin konnte gerade noch alle Angestellten ausbezahlen und suchte sich einen einfachen Job als Sekretärin, der gerade genug einbrachte, um ihre kleine Familie über Wasser zu halten. Das große Anwesen, in dem sie zu der Zeit lebten, war die einzige Erinnerung an die glücklicheren Tage.
Als ob alles noch nicht schlimm genug gewesen sei, folgte dann der nächste Schicksalsschlag, den sich Bahe bis heute nicht verzeihen konnte. In einem Moment der Unaufmerksamkeit, als er gerade mit ein paar Freunden auf dem Rückweg von der Schule war, wurde er von einem Motorrollerfahrer gestreift, mitgerissen und dadurch auf die Straße geschleudert, wo er schließlich von einem Auto angefahren wurde.
Durch Glück im Unglück hatte er nur einen gebrochenen Arm, unzählige Prellungen und blaue Flecken davongetragen. Doch der teure Krankenhausaufenthalt war mehr als seine Familie aufbringen konnte. Sulin hatte die Zahlungen an die Krankenversicherung vor einigen Monaten einstellen müssen und keine seriöse Bank wollte einen Kredit für seine Behandlung an eine bankrotte Familie genehmigen. Der Verkauf ihres großen Hauses hätte zu lange gedauert und so blieb Sulin letztlich nur übrig sich an einen Kredithai zu wenden, der wuchernde Zinsen verlangte.
Bahe war gesund geworden und tat in der Folge alles, um im Alltag zu helfen. Als er eines Tages seine dreijährigen Geschwister aus dem Kindergarten abgeholt hatte, sah er wie sich seine Mutter gerade gegen drei vierschrötige Kerle erwehrte. Von Weitem hörte er nur, wie sie das Geld verlangten, dass sie ihnen schuldete und wenn sie nicht dazu in der Lage wäre, sollte sie entweder diesen Palast verkaufen, in dem sie lebten oder eben sich selbst.
Als Bahe hörte, wie einer der Männer abschätzig meinte, dass Huren und Organe immer gesucht werden würden, hatte er zu viel bekommen und war seiner Mutter zu Hilfe geeilt. Natürlich war die folgende Auseinandersetzung nicht glimpflich für ihn ausgegangen. Ein Auge, das bereits am Anschwellen war und mehrere Prellungen zeugten von seiner tatkräftigen Unterstützung, die im Grunde darin bestanden hatte, zusammen geschlagen zu werden.
Nachdem er wieder zu Sinnen gekommen war, hatte sich Sulin um Bahes weinende Geschwister gekümmert, die eine solche Gewalt mit angesehen hatten, während er unter Schmerzen die Einkäufe seiner Mutter eingesammelt und in der Küche deponiert hatte. Bahe wollte seine Mutter schließlich zur Rede stellen, wieso sie nicht einfach das Haus verkaufen wollte, um das Geld zurück zu zahlen, als er sie bewusstlos auf dem Fußboden im Flur vorfand.
Es dauerte drei Tage, von denen Sulin zwei bewusstlos zubrachte, ehe die Ärzte feststellten, was ihr fehlte. Bahe erinnerte sich noch zu gut an den Tag als der Arzt mit ernster Miene vor sie trat und die Ursache verkündete…
Die Diagnose: Gehirntumor!
Kapitel 2 Atempause und Hoffnung
Damals war eine Welt für ihn zusammengebrochen. Zusammen mit seinem Großvater hatte er jeden Gegenstand, den man zu Geld machen konnte, verkauft, um seiner Mutter wenigstens die nötigste Behandlung in einer Spezialklinik zukommen lassen zu können. Das Haus stand wenig später letztlich auch zum Verkauf.
Vorübergehend war er zu seinen Großeltern gezogen. Doch die Beiden waren so arm, dass sie gerade seine beiden jüngeren Geschwister mit durchfüttern konnten. Bahe hatte daraufhin die Schule abgebrochen, die billigste Wohnung gesucht, die er finden konnte und sich mit einfachen Gelegenheitsjobs durchgeschlagen.
Während er anfangs guter Hoffnung gewesen war sich selbst versorgen zu können, musste er schließlich einsehen, dass kaum jemand einen achtzehnjährigen, jugendlichen Ausländer ohne Schulabschluss anstellen wollte. Bahe konnte froh sein, wenn er Arbeit auf einer Baustelle fand. Wobei ihm auch dort nur die größte Drecksarbeit zugeteilt wurde, die sonst keiner machen wollte.
Mit seiner Vermieterin hatte er Glück. Sie war eine der wenigen guten Menschen, denen er in seinem kurzen Leben begegnet war und sie erlaubte ihm hier zu leben, auch wenn er mal wieder in Rückstand mit der Miete geraten war. Es war leider schon oft vorgekommen, dass er die Miete nicht pünktlich bezahlen konnte, geschweige denn eine anständige Mahlzeit. Auch heute musste er mal wieder ohne Abendessen auskommen.
Bahe wusste, wenn es so weitergehen würde, könnte er vor Erschöpfung irgendwann nicht mal mehr arbeiten und ohne Arbeit gab es kein Geld, um die wöchentlichen Rechnungen der Klinik für seine Mutter zu bezahlen.
Bahe lachte bitter bei dem Gedanken wie makaber das Gesundheitswesen hier in China war… Sobald die Krankenhäuser Wind davon bekamen, dass die Patienten kein Geld für eine Behandlung hatten, wurden sie vor die Tür gesetzt und zum Sterben zurück gelassen…
Der Verkauf des Hauses brauchte Zeit, um einen vernünftigen Preis zu erzielen, der die notwendige Operation ermöglichen würde.
Bahe hatte sogar schon mal daran gedacht nach Deutschland zurück zu ziehen. Er besaß noch immer die deutsche Staatsbürgerschaft und Sulin und seine Geschwister durch die Heirat ebenfalls. Allerdings hatte er die Idee genauso schnell auch wieder verworfen. Wovon sollte er allein die Flugtickets bezahlen?
Langsam näherten sich seine Gedanken, dem einzig anderen Schatz den er außer dem Foto noch besaß. Im Halbdunkeln schob er das Bett einen halben Meter zur Seite und lockerte mit einem Messer aus der Küche vorsichtig zwei Bretter in der Bodenverkleidung. Anschließend hob er die Balken vorsichtig aus ihrer Verankerung und griff nach der metallenen Box, die unter dem Holzboden versteckt war.
Die Box selbst enthielt nicht viel. Nur einen einzigen Zettel, der Bahe sehr ans Herz gewachsen war. Auf dem Zettel standen die Login-Daten für einen besonderen Charakter im Online-Computer-Spiel Dreamworld. So bescheiden der Titel des Spiels auch in Gamer-Kreisen aufgenommen wurde, umso stärker hatte schließlich das Gameplay überzeugt und sich eine unfassbar große Fanbase in China und anderen Teilen der Welt erarbeitet. Vor sieben Monaten hatte es sogar noch den Titel des beliebtesten Online-Rollenspiels der Welt erlangt, als die aktive Spielerzahl die 3 Milliarden-Marke geknackt hatte.
Zwei Wochen später machte plötzlich der TNL-Konzern Schlagzeilen mit Ankündigung für sein neustes Produkt. TNL stand für The Next Level, einer Ideenschmiede mit enormen finanziellen Ressourcen, die sich in verschiedensten technologischen Bereichen spezialisierte. TNL kündigte das Ende sämtlicher Computer- oder Konsolenspiele der alten Generation an. Der Konzern versprach Raoie, eine neue, einzigartige Welt und ein völlig revolutionäres System, das sämtliche Computer und Konsolen überflüssig machen sollte.
Bahe hatte gehört, dass die Menschen kurz nach der Jahrtausendwende noch vor Bildschirmen gesessen hatten. Eine wirklich merkwürdige Art Computerspiele zu spielen. Heutzutage hatten Kopfinterface und Helme mit eingebauten Displays solche antiken Visualisierungsmethoden längst abgelöst. Kommandos oder Bewegungen wurden durch Gewichtsverlagerungen des Kopfes und dem Einsatz spezieller einhändiger Tastaturmodulen bzw. Handkonsolen ausgelöst.
Die enorme Entwicklung war an dieser Stelle aber schließlich ins Stocken geraten. Und genau dann war TNL aufgetaucht. Zunächst blieb die Gesellschaft natürlich skeptisch, vor allem aufgrund der Art der Weiterentwicklung. War es bislang darum gegangen, die nötigen Bestandteile zur Auseinandersetzung mit virtuellen Spielen jeglicher Art weitestgehend zu reduzieren, ging TNL plötzlich umgekehrt an die Sache heran und stellte ein großes und teures System vor.
Im Grunde glich es einem zylinderförmigen Bett, das eine aufklappbare Funktion aufwies. Man musste sich hinein legen und eine Art Helm anlegen. Der Helm sorgte für eine Synchronisation des Systems mit den Gehirnwellen des jeweiligen Individuums und erlaubte es so, den Spieler, in einen traumähnlichen Zustand, in eine synthetisierte Welt zu versetzen. Vereinfacht ausgedrückt, das neue System projizierte das Bewusstsein des Spielers direkt in die Onlinespielwelt Raoie! Nur durch seine Gedanken sollte der Spieler in der Lage sein, seinen Charakter im Spiel zu lenken und zu bewegen. Von innen war die Apparatur daher zu allen Seiten hin stark gepolstert, um unbewusste Bewegungen abzufangen und ungewollte Verletzungen zu vermeiden.
Gerade in der Gamer-Gemeinschaft wurde die sargähnliche Funktion zunächst nur spöttisch aufgenommen.
– TNL die neuen Sargmacher! –
– Vampirismus und TNL, wann bringt ihr den „neuesten“ Horrorfilm ins Kino?! –
– Vorsicht Gamer, zockt nicht mehr so lange, sonst wird euch das Sonnenlicht rösten! –
Die Medien und digitalen Plattformen waren voll von abschätzigen Kommentaren über das neue Produkt gewesen.
Als dann auch noch der Startpreis des einfachsten Systems mit 15000 Yuan veröffentlicht wurde, glaubten die meisten Leute an einen schlechten Scherz. Der Untergang von TNL und ihrer Entwicklung schien vorprogrammiert zu sein.
Doch das System funktionierte. Es funktionierte nicht nur einfach gut, die Welt Raoie schaffte es doch tatsächlich einen Realitätsgrad von 98-99% zu erreichen und überzeugte damit sämtliche Beta-Spieler[i] dermaßen, dass die kritischen Stimmen bald der Vergangenheit angehörten.
Gerade die zahlreichen Internetcafés investierten zu Beginn in die teuren neuen Systeme und konnten sich vor dem Ansturm begeisterter Spieler schon bald nicht mehr retten. Innerhalb weniger Wochen schossen die Verkaufszahlen der auf den Namen Dimensional Leap getauften Systeme in ungeahnte Höhen.
Mittlerweile war das Spiel Raoie auf einem unaufhaltbaren Siegeszug und TNL hatte umgesetzt was sie versprochen hatten.
Bahe blickte immer noch auf den zerknitterten Zettel mit den Login-Daten zu dem langsam an Beliebtheit verlierenden Spiel Dreamworld. Zusammen mit seinem Vater hatte er vor Jahren einen Charakter erspielt und mit legendärer Rüstung versehen, die den Gipfel der damaligen Zeit darstellte. Bahe hoffte das die Charakterfigur trotz der Zeit nicht zu sehr an Wert verloren hatte, da die Rüstung aus einer bestimmten Storyline hervorgegangen war, die gerade für Sammler von besonderem Interesse sein könnte. Gerade in Asien herrschte ein reger Markt für die verschiedensten Onlinespiele, Ausrüstung einzelner Charaktere oder gar komplette Gamer-Accounts.
Bisher hatte Bahe es einfach nicht übers Herz gebracht, den Charakter zu verkaufen, den er zusammen mit seinem Vater erspielt hatte. Irgendwie war es für ihn lange Zeit die letzte Verbindung zu seinem Vater gewesen.
Doch wenn er noch länger zögern würde und Raoie weiterhin so stark an Beliebtheit gewann, würde er bald wahrscheinlich keinen einzigen Yuan mehr für die geliebte Onlinerollenspielfigur bekommen.
Es war ja nicht so, dass er ein Vermögen erwartete. Wenn genug Geld raussprang um wenigstens eine Woche länger die Klinikrechnungen seiner Mutter zu bezahlen, war er zuversichtlich, dass er das Geld für die letzte Woche zusammenkratzen könnte, ehe das Haus verkauft war und seine Mutter endlich operiert werden könnte.
Vorsichtig verstaute er Zettel und Box wieder unter den Holzbalken, schob das Bett zurück und legte sich Schlafen. Es gab kein Mittel gegen den Hunger, der ihn quälte und umso schneller ihn der Schlaf einholte, desto besser. In Gedanken an die schönen Erinnerungen seiner Familie schlief er schließlich ein.
Mit dem Entschluss, seine letzte Erinnerung an seinen Vater zu opfern, kletterte er am nächsten Morgen mit Hilfe des Metallschuppens wieder über die Mauer und machte sich zu einem Internetcafe auf. Dort angekommen, bezahlte er gequält mit seinen letzten Ersparnissen die Gebühren und loggte sich sofort mit seinen Daten ein.
Zunächst landete Bahe im Menübereich, in dem auch sein Charakter Anael visuell dargestellt wurde. Einen kurzen Moment musste er daran zurückdenken, wie Bahe und sein Vater den Namen damals in Gedenken an seine leibliche Mutter ausgewählt hatten. Anael… Rückwärts gelesen ergab der Name Leana, den Namen seiner leiblichen Mutter.
In Gedanken entschuldigte er sich bei seinen verstorbenen Eltern, aber wenn dieser Charakter helfen konnte, Sulins Leben zu retten, musste er sich von dieser Erinnerung trennen.
Im Menü ignorierte er die Felder zur Änderung seiner Ausrüstung oder der Serverwahl und klickte stattdessen auf das spielinterne Auktionshaus.
Gegen eine Gebühr der spieleigenen Währung, konnte man so ziemlich jeden Spielgegenstand zur Versteigerung anbieten, auch ganze Accounts fanden sich in zahlreichen Varianten. Viele Profispieler verdienten ihr Geld damit, Charaktere für Onlinerollenspiele auf höhere Level hoch zu spielen und boten diese im Anschluss zum Verkauf an.
Auch wenn Bahes Charakter in dieser Masse unterzugehen drohte, setzte er Anael mitsamt seiner ganzen Ausrüstung und einer kurzen Beschreibung ins Auktionshaus, stellte unter den Bedingungen der Gebote die Option auf chinesischen Yuan und legte den Auktionszeitraum auf vierundzwanzig Stunden fest. Anschließend hinterließ er nur noch seine Kontaktdaten und loggte er sich aus.
Auf dem Rückweg zu seiner Wohnung kaufte er noch schnell die Zutaten für ein einfaches Frühstück und bog rechtzeitig wieder in die Seitenstraßen ab, um nicht länger aufzufallen.
Unbemerkt von Bahe spielte sich jedoch hektisches Treiben in den Online-Foren von Dreamworld ab.
- Hey, der Avatar heißt Anael.
- Was, Anael?!
- Das ist doch nicht etwa der Anael, der vor vier Jahren das Phönixfeuerrüstungs-Set im Kampf
gegen Odragon erkämpft hat?
- Er ist es! Seht doch selbst! Es steht in der Beschreibung im Auktionshaus!
- Der verlorene Held ist wieder aufgetaucht! Anael aus der Schlacht um Telrien ist zu ersteigern!
- Ernsthaft? Ich muss bieten!
- Was? Du quatscht doch Blödsinn!
- Er hat Recht! Es ist ganz klar das Phönixemblem am unteren Rand der Rüstung zu erkennen.
- Seht euch nur die Gebote an! Seit der Veröffentlichung von Raoie hat es keine solche
Gebotsschlacht mehr gegeben!
- Nr. 14.567: Das ist meiner! 15000 Yuan!
- Nr. 18.365: Du träumst wohl! 16000 Yuan!
- Nr. 11.984 18000 Yuan!
- Nr. 40.345: Mal schauen wie lange ihr
mithalten könnt 21000 Yuan!
- Nr.14.567: ARG!! Hört auf zu bieten! 25000 Yuan!
- ………… ……………
Ohne von dem Sturm zu wissen, den er ausgelöst hatte, lief der Rest des Tages für Bahe in dem gewohnten Trott ab. Vom Mittag bis zum späten Abend arbeitete er auf einer Baustelle an den Randbezirken der Stadt und schleifte sich im Anschluss völlig erschöpft zurück nach Hause. Zumindest hatte Bahe diesmal insofern Glück, dass er unbemerkt blieb und es nicht regnete als er sich von der U-Bahn in den Slum schleppte.
Noch erschöpfter als am Tag zuvor, putze er sich nicht mal mehr die Zähne und schaffte es gerade noch seine Kleidung zu wechseln, ehe er geschafft auf seinem Bett zusammenbrach.
Am nächsten Morgen wurde Bahe von dem Klingelton seines Smartphones aus dem Schlaf gerissen und brauchte zunächst einen Moment, um zu verstehen, dass es nicht der übliche Klingelton seines Weckers war.
Noch immer etwas benommen, nahm er den Anruf entgegen.
„Hallo?“
„Hallo, Herr Dragon?! Ist da der Spieler, dem der Anael-Account gehört? Die Auktion ist vorbei und ich habe die Hälfte des Betrags bereits überwiesen! Wann bekomme ich endlich die Zugangsdaten?!“, Bahe hielt das Telefon von dem lauten Redeschwall überrumpelt etwas weiter von seinem Ohr weg. „Hallo? Ist da überhaupt jemand?! Herr Dragon?!“
Mit Mühe brachte er schließlich ein paar Worte heraus: „Geben Sie mir 15 Minuten… Ich muss das kurz checken. Kann ich Sie gleich zurückrufen?“
„Ah, da sind Sie ja, Herr Dragon! Aber natürlich, natürlich, ich erwarte Ihren Rückruf! –“, Bahe legte schnell auf und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht, um etwas mehr zu sich zu kommen. Die chinesischen Einheimischen sprachen seinen Nachnamen meistens wie Drache aus und brachten ihn mit ihrer Brüstung, dass sie des Englischen mächtig waren, an den Rand des Wahnsinns… Sein Vater hatte sich immer köstlich darüber amüsiert und gemeint, dass es für die Geschäfte in China durchaus zuträglich wäre einen bedeutungsschweren Nachnamen zu führen. Bahe ging dieses blöde Missverständnis jedoch stets nur auf die Nerven.
Nachdem er wieder vollständig bei Sinnen war, zog er sich schnell an, warf sich eine Jacke über und entfernte sich erneut über die Mauer des Hinterhofs von seinem Zuhause. Im schnellstmöglichen Tempo bewegte er sich durch den Slum, der sein zweites Zuhause geworden war und kam nach gut acht Minuten endlich an einem Geldautomaten an. Fieberhaft steckte er seine Karte ein und tippte seine Geheimzahlen. Als endlich der Betrag zu sehen war, schnappte er hörbar nach Luft.
Das konnte doch unmöglich wahr sein! Benommen fuhr er sich mit der Hand über die Augen und lugte schließlich zwischen seinen Fingern hindurch auf die Anzeige. Der Betrag war gleich geblieben!
Ihr momentaner Kontostand: – 200 000 Yuan –
Bahes Gedanken rasten. Hatte der Mann am Telefon nicht etwas von der Hälfte des Betrags erzählt?
Jetzt wo er darüber nachdachte, kamen ihm wieder die Geschäftsbedingungen des Auktionshauses ins Gedächtnis. Die Gewinner der Auktionen überwiesen zunächst stets die Hälfte des Betrags. Danach findet dann die Übergabe der Objekte statt und die zweite Hälfte des Geldes wurde nach Erhalt der ersteigerten Objekte gezahlt.
Wie zum Henker, war dieser absurd hohe Betrag zustande gekommen?
Bahe überlegte nicht lange und ließ sich erst mal eintausend Yuan auszahlen. Anschließend rannte er zum nächsten Internetcafe und loggte sich in Dreamworld ein. Sein Avatar war bereits aus dem Menüfenster entfernt worden. Bahe schielte sofort auf sein Postfach und entdeckte mehrere ungelesene Nachrichten. Eine war vom Auktionshaus und etwa zweiundzwanzig weitere Nachrichten vom Gewinner der Versteigerung, einem gewissen Alucard.
Bahe schüttelte den Kopf, der Typ musste wirklich Dreamworld versessen sein, um sich so aufzuführen.
Die Nachrichten von Alucard ignorierte er gepflegt und klickte stattdessen auf die Nachricht des Auktionshauses. Er wollte gerade zu lesen beginnen, als ein wiederholtes „DING!“-Geräusch und permanentes Blinken seine Aufmerksamkeit wieder auf das Postfach lenkte. Durch das kurze Streifen des Postfaches mit dem Cursor erfuhr er, dass Alucard scheinbar mitbekommen hatte, dass er online war und ihn seitdem mit Nachrichten bombardierte.
„Der Typ muss wirklich ein völliger Fanatiker sein…“, murmelte Bahe vor sich hin, als er die Nachricht des Auktionshauses überflog.
Die Auktion war in Bahes Augen mehr als erfolgreich gewesen. Er musste mehrmals stutzen als er sich den Verlauf der Gebote ansah. Die Sprünge waren zwischendurch immer mal wieder größer geworden. Scheinbar hatten ein paar ganz besondere Enthusiasten gehofft, so der Versteigerung ein frühes Ende bescheren zu können.
Letztlich blieb Bahes Blick bei dem Endergebnis der Auktion hängen:
- Gewinner Nr. 66.686 400 000 Yuan!
Charakterinformationen für den Auftraggeber:
Alucard
Kontaktcode: 056411
Telefon: ***** *********
E-Mail-Adresse Alucard**********
Ohne noch länger zu zögern schickte er Alucard die Zugangsdaten und entschuldigte sich für sein spätes Reagieren auf Alucards Anfragen. Danach rief er den Onlinedienst seines Konto-Anbieters auf und wartete auf die zweite Zahlung, die wenige Minuten später bereits bei ihm ankam. Eins musste er Alucard lassen, egal was für ein Hardcore-Fan er auch war, er verstand es Geschäfte zu machen.
Bahe lehnte sich zurück und betrachtete versonnen den Bildschirm.
Ihr momentaner Kontostand: – 399 000 Yuan –
Er musste an all die Monate denken, in denen er nicht mal darüber nachgedacht hatte seinen Kontostand zu checken und jetzt das.
Auch wenn viele seiner Probleme damit noch nicht gelöst waren – zum ersten Mal seit Wochen stahl sich ein echtes Lächeln auf sein Gesicht.
Beta-Spieler (auch: Beta-Tester): Unter dem Begriff sind (Test-)Spieler eines Computerspiels zu verstehen, die das jeweilige Spiel vor der eigentlichen Veröffentlichung bereits anspielen dürfen. Die Spielentwickler erhoffen sich so Rückschlüsse über die Funktionalität ihres Spiels und können ggf. noch Fehler korrigieren.[i]
Kapitel 3 Pläne und die Realität
Nach einem Moment der Glückseligkeit, beschäftigte sich Bahe ein Wenig mit den Dreamworld-Foren und stellte zu seinem Erstaunen fest, welch eine Nachrichtenflut seine Versteigerung unter den Fans des Spiels ausgelöst hatte.
Bahe konnte sich noch genau an die Zeit mit seinem Vater erinnern, als sie abwechselnd mit ihrem Charakter ein Verließ oder Labyrinth nach dem Nächsten klärten und am Ende siegreich aus einer unmöglich geglaubten Quest[i] hervor gingen. Er musste immer noch schmunzeln, wie sie sich nach jedem Gegner in der Abschlussphase der Quest abgewechselt hatten und sogar den Boss am Ende abwechselnd bekämpft hatten, weil jeder von ihnen andere Stärken im Spiel hatte.
Scheinbar war der Avatar Anael zur Legende geworden, nachdem er aus dem Nichts gekommen war, den als unbezwingbar geltenden Boss Odragon besiegt hatte und anschließend wieder verschwunden war.
Als auch Monate später immer noch nichts Neues von dem Avatar Anael zu hören war, galt das Phönixfeuerrüstungs-Set als verschollen. Die meisten Spieler fürchteten, dass der Besitzer des Anael-Accounts das Interesse an Dreamworld verloren hatte und es nie wieder eine Möglichkeit geben würde, dass Phönixfeuerrüstungs-Set zu erwerben, das Teil einer fünfteiligen, seltenen Rüstungs-Serie war.
Umso größer war die Aufregung beim plötzlichen wieder Auftauchen des Avatars, zu einer Zeit, als die Rüstung nur noch als Sammlerstück von Nutzen war, da sich ihre Attribute längst nicht mehr gegen die Werte von Rüstungen höherer Ränge durchsetzen konnten.
Bahe konnte von Glück reden, dass die Rüstung ein paar Sammlern so viel Geld wert gewesen war. Andere Rüstungen mit den gleichen Attributen wurden mittlerweile nur noch für wenige hundert Yuan gehandelt. Und sein früherer Avatar Anael hatte mit dem Level 288 nur noch im unteren Mittelfeld gelegen.
Zutiefst zufrieden mit seinem Erfolg löschte Bahe noch schnell seine Benutzerkonten für die Dreamworld-Portale und gönnte sich anschließend zum ersten Mal seit Monaten ein umfangreiches Frühstück in einem Restaurant. Es war ein wunderbares Gefühl sich endlich wieder richtig satt essen zu können.
Danach lief er über die üblichen Umwege durch den slumartigen Vorort schnell nach Hause, wusch sich und machte sich präsentabel, um seine Mutter besuchen zu können. Auch wenn er etwas früher als sonst dran war, konnte er es nicht abwarten die frohen Neuigkeiten zu verkünden.
Zwei Stunden später befand sich Bahe auf dem letzten Stück des Weges zum Krankenhaus seiner Mutter. Er stieg gerade aus der U-Bahn und machte sich schwungvollen Schrittes daran, die Treppen zu erklimmen.
Auf dem Weg hatte er im Geiste bereits Berechnungen angestellt. Die knapp 400 000 Yuan sollten mehr als ausreichen, um die nächsten zwei Wochen vor der Operation und die anschließenden vier Wochen zur Reha im Krankenhaus finanzieren zu können. Außerdem sollte noch ein Teil übrig bleiben, um den Kindergarten seiner Geschwister wieder finanzieren zu können und mehrere Mieten im Voraus zu bezahlen. Er wagte es nicht über zu viel Geld zu verfügen, solange die Schulden bei dem Kredithai noch nicht getilgt waren.
Nach ein paar Gehminuten kam er am Krankenhaus an und fuhr mit dem Fahrstuhl ins vierte Stockwerk zur Abteilung in der seine Mutter untergebracht war. Zweimal musste er noch abbiegen und im letzten Moment einem kleinen Mädchen ausweichen, das ihn mit großen Augen anstarrte.
Natürlich fiel er mal wieder durch sein Aussehen auf. Die Kleine hatte wahrscheinlich noch nie einen Ausländer gesehen, geschweige denn Einen, europäischer Herkunft.
Blind griff er nach der Klinke zum Zimmer seiner Mutter und trat ein, nachdem er das kleine Mädchen umrundet hatte.
„Hallo, Mama!“, rief er leise, um andere Patienten nicht zu stören.
Nachdem er sich von der Tür abwandte, musste er jedoch zu seiner Verblüffung feststellen, dass das Zimmer leer war. Bahe wollte gerade an der Badezimmertür anklopfen als er durch die Verbindungstür zum nächsten Zimmer die gedämpfte Stimme seines Großvaters vernahm.
„Sulin, wir müssen reden!“
Ah, dachte Bahe. Er musste durch das kleine Mädchen abgelenkt gewesen sein und eine Tür zu früh genommen haben.
Mit zwei Schritten war er an der Tür und wollte sie gerade öffnen, als der nächste Satz seines Großvaters ihn innehalten ließ.
„Es kann mit Bahe nicht länger so weiter gehen!“
„Tian, beherrsche dich solange die Kleinen mit im Zimmer sind!“, schimpfte Bahes Großmutter und fuhr an Sulin gewandt fort: „Sulin, ich gehe mit den Kleinen einmal durch den Gang und ihr redet in Ruhe.“
Kurz darauf vernahm Bahe Schritte und ein leises Klacken als die Tür wohl ins Schloss fiel. Bahe überlegte, ob er einfach eintreten sollte. Seine Familie zu belauschen war eigentlich nicht seine Art. Aber die Dringlichkeit im Tonfall seines Großvaters machte ihn stutzig.
„Was willst du mit mir besprechen, Bà?“, hörte Bahe seine Mutter fragen.
„Das weißt du genau! Hast du dir Bahe in den letzten Wochen überhaupt mal angesehen?! Er ist nur noch Haut und Knochen! Die Götter wissen, ob er überhaupt was isst, bei dem ganzen Geld, das er in den letzten Wochen für dich angeschleppt hat.“
„Glaubst du, ich sehe das nicht, Bà?“
„Wieso tust du denn nichts dagegen? Wir waren nie vermögende Leute, aber ich fühle mich beschämt von meinem Enkel Geld annehmen zu müssen, um meine Tochter im Krankenhaus behandeln zu lassen!“
Bahe musste über das Gehörte schlucken. Seine Kehle fühlte sich plötzlich ganz klamm an.
„Was soll ich denn tun, Bà?“, rief Bahes Mutter aufgebracht und steigerte sich zunehmend in eine Redeschwall hinein. „Ich weiß, dass ich keine gute Mutter bin! Erst setze ich die Firma in den Sand, dann mache ich Schulden, weil ich dachte, vorübergehend ohne Krankenversicherung auskommen zu können und kippe am Ende sogar noch bewusstlos um, wenn mich meine Kinder am meisten brauchen! Mir zerreißt es das Herz Bahe so zu sehen! Aber weißt du was noch viel schlimmer ist? Ich weiß nicht mal wo er wohnt! Mein Sohn, der eigentlich noch zur Schule gehen sollte, hat mir gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen! Er würde arbeiten und genug Geld auftreiben! Obwohl es eigentlich umgekehrt ablaufen sollte! Und ich sitze hier… und…“
Die ersten Schluchzer ließen seine Mutter stocken und Bahe traten die Tränen in die Augen.
„Und ich sitze hier, Bà… und kann nichts tun… um ihm zu helfen. Außer Sterben vielleicht…“
„Sulin…“
Es waren ein paar Schritte zu hören und Bettdeckengeraschell. Dann wurde es still, bis auf die immer wiederkehrenden Schluchzer seiner Mutter. Bahe hatte inzwischen von der Klinke abgelassen und ließ sich unter Tränen an der Wand daneben nieder.
„Sulin…“, war sein Großvater erneut zu hören. „Bitte rege dich nicht mehr so auf, das ist nicht gut für dich. Ich habe einen Fehler gemacht. Es ist nicht deine Schuld und bitte denke nie wieder daran deinem Leben ein Ende zu setzen!“ Nach einer kurzen Pause fuhr er fort. „Es ist nur… ich bin so frustriert. Wir haben Bahe mit Fragen durchlöchert, wo er wohnt und ob er anständig isst. Aber er weicht uns immer nur aus…“
„Mir hat er mal erzählt, dass er am Stadtrand eine kleine Wohnung gefunden hat, Bà…“
„Am nordwestlichen Stadtrand?“
„Dazu hat er nichts gesagt, aber wo sonst?“, schluchzte Bahes Mutter verzweifelt.
„Sich vorzustellen, dass er ausgerechnet in dem Betonlabyrinth lebt…“, brachte sein Großvater mit brüchiger Stimme hervor. „Wusstest du… wusstest du, dass er jedes Mal, bevor und nachdem er uns besuchen kommt, eine Stunde mit Bussen und U-Bahnen durch die Gegend fährt? Ich habe zwei Mal versucht ihm zu folgen. Beide Male hat er mich abgeschüttelt. Wieso macht er das wohl? Er will seine Geschwister und uns vor den Schuldeneintreibern schützen… Bisher wissen die den Göttern sei Dank noch nicht wo wir wohnen…“
„Bà, du meinst sie sind hinter ihm her?!“, schreckte seine Mutter hoch.
„Ich weiß es nicht, Sulin“, erklärte Bahes Großvater. „Er kann eigentlich kaum Geld verdienen und schafft es trotzdem jeden Monat mindestens 7500 Yuan aufzutreiben. Ihn alle zwei Wochen abgemagerter zu sehen und dann auch noch Geld von ihm annehmen zu müssen, um die Klinikkosten zu bezahlen… Deine Mutter und ich ertragen das nicht länger…“
Es kehrte kurz Ruhe ein und Bahe musste sich zunehmend beherrschen, nicht laut los zu schniefen.
„Es gibt noch ein weiteres Problem, Sulin. Deine Mutter und ich hatten einige Ersparnisse als die Sache mit deiner Krankheit begann. Damals haben wir Bahe einmal beiläufig erzählt, dass, wenn er sich einen Nebenjob suchen würde, allein schon 7500 Yuan pro Monat reichen würden, damit wir genug Geld zusammen hätten und die andere Hälfte der Kosten für deinen Klinikaufenthalt zahlen könnten. Wir hätten uns nie träumen lassen, dass er doch tatsächlich die Schule abbrechen und verschwinden würde, um das Geld aufzutreiben. Bis heute glaubt er, dass wir wirklich nur die Hälfte dazu geben. Ich will mir nicht vorstellen, wie er reagiert, wenn wir ihm nächste Woche die Wahrheit eröffnen müssen.“
Nein! Das konnte nicht sein! Bahe traute seinen Ohren nicht.
„Diese Fachklinik ist die beste auf ihrem Gebiet, kostet uns aber wöchentlich 45 000 Yuan. Dazu kommen noch die neuartigen Medikamente für 30 000 Yuan. Unsere ganzen Ersparnisse sind mit dieser Woche aufgebraucht…“
Bei den Worten seines Großvaters sackte Bahe endgültig in sich zusammen und begann leise vor sich hin zu schluchzen.
„Dann werde ich eben zwei Wochen ohne Behandlung auskommen müssen.“
„Es tut mir so unglaublich Leid, Sulin. Der Verkauf des Hauses sollte spätestens in zwei Wochen abgeschlossen sein und sobald wir das Geld haben, können wir endlich deine Operation finanzieren. Wenn du anfangs doch bloß nicht so gegen den Verkauf des Hauses gewesen wärst…“
„Ich fühle mich immer noch schrecklich damit. Das Haus war das Einzige, das Bahe noch an seinen Vater erinnern konnte. Wie konnte ich zustimmen, es einfach so zu verkaufen?“
Bahe unterdrückte ein Stöhnen. Die Worte seiner Mutter brannten wie Peitschenhiebe auf seiner Seele. Ihm zu Liebe hatte seine Mutter solange gelitten und sich sogar noch gegen den Verkauf gesträubt, als sie mit ihrem möglichen Tod konfrontiert wurde.
„In zwei Tagen, am Montag, werden wir dich abholen. Bis dahin-“, Den Rest verstand Bahe nicht mehr als sich die Tür zum Flur plötzlich öffnete und eine Krankenschwester ihn verdutzt anstarrte. Bahe rappelte sich schnell auf und rannte in den Gang hinaus. Nach den zwei Biegungen lief er diesmal an den Aufzügen vorbei und rannte die Treppen hinunter. Er konnte jetzt einfach nicht seiner Mutter unter die Augen treten.
Wie vom Wahnsinn angetrieben preschte er schließlich aus dem Haupteingang und flüchtete sich in die Zulieferungsstraße des Krankenhauses. Zwischen den Müllcontainern blieb er stehen und reagierte sich ab, indem er auf pralle Müllsäcke und die Container einschlug.
Wie konnte er bloß glauben, dass es einen Unterschied machte, ob er arbeitete oder nicht?! 7500 Yuan! 7500 Yuan, auf die er so stolz gewesen war! Und was kostete der Klinikaufenthalt eigentlich pro Woche? 75 000 Yuan! Verdammte 75 000Yuan!
Bahe schrie ein letztes Mal seine Wut heraus und sackte danach geschafft zusammen. Tränen liefen ihm noch immer übers Gesicht. Wieso musste immer irgendwas schief gehen?!
Er besaß knapp 400 000 Yuan. Das Geld würde nun nicht mal für den Krankenhausaufenthalt seiner Mutter reichen! Hatte sich denn wirklich alles gegen ihn verschworen?
Verzweifelt schluchzte er vor sich hin und schlug zwischendurch immer mal wieder auf die umgebenden Container ein. Die ersten Regentropfen spürte er gar nicht. Erst als der leichte Nieselregen zunehmend vom Himmel prasselte, bekam Bahe wieder einen halbwegs klaren Kopf und bewegte sich zur nächsten Bushaltestelle, um sich unterzustellen.
Es brachte nichts, vor sich hin zu trauern. Bahe zwang sich nach vorne zu schauen. Er konnte etwa fünf Wochen des Klinikaufenthaltes seiner Mutter bezahlen. Das Geld für die letzte Woche würde er noch irgendwie auftreiben. Nur wie?
Bahe zermarterte sich den Kopf darüber, kam aber zu keinem Ergebnis.
Währenddessen nahm der Regen nach und nach an Stärke zu und das erste Donnern war in der Ferne zu vernehmen. Der Regen braute sich offenbar zu einem ausgewachsenen Gewitter zusammen.
Bahes Gedanken rasten noch immer. Verzweiflung spornte ihn an, weiter fieberhaft nach einer Lösung zu suchen. Rein rechnerisch, könnte er fünf Wochen des Klinikaufenthaltes seiner Mutter bezahlen. Danach würden ihm noch etwa 25 000 Yuan bleiben, minus seiner Miete und Lebenshaltungskosten, wären es aber höchstens noch 20 000 Yuan.
Selbst wenn er die nächsten Wochen durchhalten könnte, würde er höchstens 10 000 Yuan erwirtschaften. Auch mit den 20 000 Yuan, die er bereits besaß, war es immer noch zu wenig. Um auf die 75 000 Yuan für die letzte Woche zu kommen, fehlten ihm dann noch 45 000 Yuan. Ein schier unerreichbarer Betrag für ihn.
Gedankenverloren raufte er sich die Haare als ein Blitz vom Himmel zuckte und Bahes Aufmerksamkeit auf sich zog. Für einen kurzen Moment sah er noch das helle Leuchten, ehe es welche im Regelfall von computergesteuerten Figuren (NPC) erteilt werden. Unterschieden wird zwischen Haupt- bzw. Mainquests und Neben- bzw. Sidequests, wobei die Hauptquests in der Regel die Geschichte vorantreiben und die Nebenquests eher dazu dienen, die Charakterwerte des Spielers zu erhöhen, Schätze zu finden und seine Ausrüstung zu verbessern (Mehr Details dazu in den folgenden Kapiteln).verschwand und einem ohrenbetäubenden Donnern Platz machte. Als Bahe seinen Blick wieder senkte, blieb er an einem Bus hängen, der auf der anderen Straßenseite vor einer roten Ampel stand.
Die Längsseite des Busses war mit Werbung zum neuen Onlinespiel Raoie überzogen. Nicht das er sich jemals die 15 000 Yuan für das teure Dimensional Leap-System leisten können würde, dachte er resigniert. Bahe wollte seinen Blick gerade weiter schweifen lassen, als ihm ein absurder Gedanke durch den Kopf schoss!
[i] In Computerspielen sind Quests annehmbare Aufträge, welche im Regelfall von computergesteuerten Figuren (NPC) erteilt werden. Unterschieden wird zwischen Haupt- bzw. Mainquests und Neben- bzw. Sidequests, wobei die Hauptquests in der Regel die Geschichte vorantreiben und die Nebenquests eher dazu dienen, die Charakterwerte des Spielers zu erhöhen, Schätze zu finden und seine Ausrüstung zu verbessern (Mehr Details dazu in den folgenden Kapiteln).
Er hatte es schon einmal geschafft! Wieso sollte es nicht ein weiteres Mal möglich sein? Erst heute, hatte er einen Avatar für 400 000 Yuan verkaufen können! Ihm war klar, dass er einen solchen Betrag kaum ein zweites Mal erreichen würde. Aber dennoch! Nach langer Zeit, sah er endlich eine Möglichkeit dem quälenden Kreislauf der Geldnot zu entkommen.
Zu der Anschaffung eines kompletten Dimensional Leap-Systems gab es noch eine Alternative, die zumindest für den Anfang wesentlich kostengünstiger war. Eifrig kalkulierte er in Gedanken den Kostenaufwand und rannte danach durch den strömenden Regen zu dem Internetcafe, das sich gegenüber vom Krankenhaus befand.
Drinnen angekommen, ging er direkt zum Thekenbereich, an dem die Dimensional Leap-Systeme zu mieten waren. Ein junger Chinese, wahrscheinlich Anfang zwanzig, stand hinter der Theke und stützte sich gelangweilt auf die Oberfläche des Ladentisches ab.
„Ich möchte gerne mit Raoie anfangen und eins der Dimensional Leap-Systeme mieten“, richtete Bahe sich an die gelangweilte Bedienung.
„Einen Account hast du also auch noch nicht, wenn ich das richtig verstehe? Und bist du überhaupt schon sechzehn?“, fragte der junge Chinese genervt.
„Nein, einen Account habe ich nicht und ja, ich bin achtzehn“, antwortete Bahe und musterte die mürrische Bedienung ein Bisschen genauer, während er seinen Ausweis vorlegte. Dem Typen fielen seine fettigen Haare arg ins Gesicht und er schien sich definitiv für etwas Besseres zu halten, wenn Bahe den abschätzigen Blick der Bedienung richtig deutete, als dieser seinen Ausweis begutachtete. Ein kleines Ansteckschild verriet, dass er wohl Ying mit Vornamen hieß.
„Also wären es einmal 400 Yuan für einen neuen Account, 300 Yuan für den 3D-Scan und dann nochmal 18 000 Yuan für die Miete des Systems. Insgesamt macht das 18 700 Yuan. Zahlst du Bar oder mit Karte?“, fragte Ying belustigt.
„Wieso ist die Miete für das System denn so teuer?“, fragte Bahe schockiert. „Und was ist das für ein 3D-Scan?“
Bei Bahes Kommentar fiel Ying vor Erstaunen doch glatt die Kinnlade herab, ehe er ihn lautstark anblaffte: „Lebst du hinter dem Mond oder was? Du weißt nicht, dass du einen 3D-Scan brauchst, um Raoie zu spielen?“
Bahe konnte nur die Schultern zucken.
„Oh man, nicht genug damit, dass es ein Ausländer ist. Er hat nicht mal Ahnung von dem Spiel, das er zocken will. Wieso immer ich…“, fluchte Ying vor sich hin.
Soweit es ging, ignorierte Bahe das abschätzige Gelaber der Bedienung und versuchte stattdessen weiterzukommen: „Lassen wir das mit dem 3D-Scanner erst Mal. Wieso sind denn die Mietkosten so hoch? 18 000 Yuan? Der Kaufpreis eines kompletten Dimensional Leap-Systems liegt doch gerade mal bei 15 000 Yuan…“
„Deswegen sage ich, dass du keine Ahnung von dem Spiel hast, Junge. Der Preis von 15 000 Yuan gilt nur für die billigste Komplettvariante. Das, was du hier mieten würdest, ist ein System mit Luxusausstattung! Der Kaufpreis liegt bei 500 000 Yuan! Wenn wir noch weniger nehmen würden, wäre der Laden bald bankrott.“
Bahe machte große Augen, als er den Preis vernahm.
„Ich brauche nicht die Luxusvariante. Ein einfaches System reicht völlig aus“, versuchte er sich zu erklären.
„Tja, dann kann ich dir nicht weiterhelfen. Davon haben wir keine mehr.“
„Aber ich sehe doch hier überall die einfachen Systeme rumstehen!“
„Schau mal genau hin, siehst du hier noch irgendwo ein offenes System? Nein?! Das liegt daran, dass die Alle bereits belegt sind, du Idiot!“, fuhr Ying ihn an und verdrehte genervt die Augen. „Also, willst du die Luxusvariante?“
Bahe schüttelte nur den Kopf: „Die kann ich mir nicht leisten.“
„Habe ich mir gedacht“, schnaubte Ying und widmete sich einer Zeitschrift auf der Ladentheke.
Mit dem plötzlichen Desinteresse konfrontiert, wandte sich Bahe zum gehen. Scheinbar blieb ihm nur übrig in einem anderen Laden nachzufragen.
Er war gerade auf halben Weg zur Tür als er plötzlich Yings Stimme vernahm: „Hey, du bist knapp bei Kasse, oder?“
„Ja…?“, antwortete Bahe fragend, während er sich umdrehte.
„Komm mal her, vielleicht können wir da was machen“, wurde er von Ying herangewinkt, der sich bereits in Bewegung gesetzt hatte.
Bahe folgte ihm zu einem kleinen Raum im hinteren Bereich des Ladens. Dort angekommen, sah er ein allein stehendes System an der Wand stehen.
„Dieses Dimensional Leap-System, könnte etwas für dich sein“, meinte Ying.
Doch Bahe war skeptisch, der Raum glich eher einer Abstellkammer und dann war da auch noch die Frage, weshalb Ying nicht gleich dieses Gerät in Betracht gezogen hatte. Bahes Unsicherheit musste Ying aufgefallen sein als dieser sich beeilte zu erklären: „Kein Grund mich so anzuschauen. Das Ding funktioniert einwandfrei. Na ja, bis auf eine Sache, irgendwas soll mit der Grafik oder so nicht in Ordnung sein, meinte mein Boss. Die vollen 98-99% der Realitätsnähe erreicht das Ding wohl nicht. Ist ja nicht so, als ob ich es dir jetzt nicht gesagt hätte, oder?“, fügte Ying mit einen Achselzucken hinzu, ehe er fortfuhr. „Eigentlich soll das System nicht mehr vermietet werden. Könnte dem Geschäft schaden, wenn sich ein Kunde beschwert. Aber es ist noch angeschlossen und alles. Für die üblichen Systeme nehmen wir 540 Yuan pro Zyklus. Ich könnte dir das hier für 300 Yuan anbieten. Was sagst du?“
„Nur damit ich das richtig verstehe. Du bietest mir ein defektes System an, was eigentlich nicht mehr vermietet werden darf. Dein Boss scheint nicht da zu sein, sonst würden wir nicht hier stehen und wahrscheinlich wird dieses Dimensional Leap-System nicht mehr im Verwaltungsprogramm der anderen Systeme geführt, was wiederum bedeutet, dass dein Boss keine Ahnung hat, was du hier treibst. Sehe ich das richtig?“
„Hör auf zu labern und sag endlich, ob du es nimmst oder nicht?“, überging Ying Bahes Ausführungen. Die Verärgerung darüber, dass er entlarvt worden war, war ihm jedoch deutlich anzusehen.
„200 Yuan“, antwortete Bahe schlicht.
„Was?“, fragte Ying verwirrt.
„Ich nehme das System für 200 Yuan. Zudem verspreche ich dir, dass dein Boss nichts von mir erfährt.“
„Na gut“, stimmte Ying zähneknirschend zu.
„Hat das System auch wirklich nur einen Grafikfehler?“, verlangte Bahe noch zu wissen. Ihm war immer noch etwas mulmig zu Mute, schließlich nahm das Gerät in irgendeiner Hinsicht Einfluss auf seinen Verstand.
„Keine Sorge, es läuft einwandfrei. Mein Boss hat selbst schon damit gezockt. Ein paar wenige Systeme hatten wohl in der Herstellung eine falsche Konfigurierung, wodurch irgendwas an der Grafik oder so nicht richtig funktioniert. Seitdem zieht TNL diese Dimensional Leap-Systeme nach und nach wieder ein“, tat Ying seine Frage ab und machte sich zurück auf den Weg zur Theke.
Bahe folgte ihm, wenn auch noch immer nicht gänzlich überzeugt. Sofern er allerdings Geld sparen konnte, in diesem Fall sogar mehr als die Hälfte des üblichen Mietpreises, war er bereit das Risiko einzugehen. Ying sah weder ansprechend aus noch war er allzu freundlich, aber Bahe konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er ihm gefährliche Ware vermieten würde. Dafür schien ihm der Reiz, ein Bisschen Geld nebenbei zu verdienen, viel zu sehr zuzusagen.
„Die Preise für den Account und den 3D-Scan bleiben, zusammen mit dem System macht das Ganze dann 900 Yuan. Und bevor du wieder fragst, den 3D-Scan erkläre ich dir gleich“, stoppte Ying jegliche Frage, die Bahe auf der Zunge brannte.
Schweren Herzens trennte sich Bahe von dem Geld und erhielt im Gegenzug von Ying ein eingeschweißtes Heftchen, das seine Account-Nr. beinhaltete.
Anschließend führte Ying ihn erneut in den Raum und schloss die Tür, ehe er zu erklären begann: „Die Account-Nr. musst du gleich erst im Dimensional Leap-System eingeben. Doch dazu kommen wir später. Da du ein totaler Anfänger bist, gebe ich dir jetzt eine kurze Einführung. Alle Einstellungen des Systems, und damit meine ich wirklich Alle, werden über diesen Helm ausgeführt. Für den Anfang gibt es genau zwei Optionen, beide werden über die 3D-Projektion des Helms dargestellt. Zum Einen wäre das der 3D-Scan und dann gibt es natürlich noch den Start des Systems. Privatsysteme unterscheiden sich hier von Verleihsystemen, ihnen steht der 3D-Scan erst nach dem Start des Systems zur Verfügung. Für dich ist Folgendes wichtig; für den 3D-Scan musst du dich mindestens bis auf deine Unterwäsche ausziehen. Anschließend legst du dich ins System und legst den Helm an. Der Helm läuft solange das System noch nicht gestartet ist über Spracherkennung. Du wählst also 3D-Scan, bleibst ruhig liegen und wartest bis die Meldung kommt, dass der Scan abgeschlossen ist. Danach kannst du deine Klamotten wieder anziehen und wählst beim zweiten Mal im Helm den Start des Systems. Der 3D-Scan ist Pflicht, weil er die Grundlage für die Gestalt deines Avatars im Spiel darstellt. Sobald das System hochgefahren ist, läuft die Bedienung nur noch über die Kraft deiner Gedanken ab. Wunder dich nicht, am Anfang fühlt man sich immer ein Bisschen neben sich. Du wirst dann deine Account-Nr. eingeben müssen und kannst anschließend den Instruktionen folgen. Noch Fragen?“
Bahe schüttelte angesichts der Informationsflut den Kopf. Er hatte schon gehört, dass man seine Avatar-Gestalt nicht mehr so frei wählen konnte, wie in anderen bekannten Online-Rollenspielen. Das allerdings der eigene Körper als Vorbild für die Avatare dienen würde, war ihm neu.
„Gut“, sagte Ying und gab die letzten Anweisungen. „Ich mache die Tür hinter mir zu, solange du mit dem 3D-Scan beschäftigt bist. Sobald du deine Klamotten wieder an hast, mach die Tür wieder auf, damit ich hier ein Auge reinwerfen kann. Wenn es das dann gewesen ist, bin ich wieder vorne an der Theke. Viel Erfolg beim zocken, Newbie!“
Abfällig lachend, ließ Ying Bahe allein im Raum zurück und zog die Tür hinter sich zu. Scheinbar hielt Ying nicht viel von Spielanfängern, wahrscheinlich zockte er schon seit der Veröffentlichung des Spiels.
Bahe schüttelte kurz den Kopf und machte sich sofort daran Yings Anweisungen zu folgen. Schließlich hatte er keine Zeit zu verlieren. Jede Minute die er hier verbrachte, hatte er teuer bezahlt.
Im Nu hatte er sich entkleidet und machte sich daran in das Dimensional Leap-System einzusteigen. Aus näherer Sicht betrachtet, konnte Bahe feststellen, dass es tatsächlich wie ein aufklappbarer Zylinder aufgebaut war. Kopf- und Fußende waren flach, während der Rest des Systems einer Röhre ähnelte. Eine weiche Polsterung hieß ihn willkommen als er sich daran machte hinein zu klettern. Allerdings konnte sich Bahe beim besten Willen nicht erklären, aus welchem Material die Polsterung bestand. Es wirkte fast schon ein Bisschen glitschig und durchsichtig, wie Silikon unter einer Gummischicht, fühlte sich dabei aber dennoch geschmeidig und warm auf der Haut an.
Nachdem er eingestiegen war, stieß Bahe zunächst auf ein Problem. Er fand keinen Hebel, um das offen stehende Oberteil zu sich herunter zu ziehen. Bevor er sich abmühte das Oberteil irgendwie manuell herunter zu ziehen, beschloss Bahe zuerst den Helm auszuprobieren. Und tatsächlich war seine Eingebung richtig gewesen. Sobald er den Helm komplett angelegt hatte, aktivierte sich das Projektionsdisplay und eine Stimme kündigte das Zuklappen des Deckenstücks an.
Bahe verfolgte wie sich der Deckel des Systems langsam absenkte und konnte nicht umhin daran zu denken, dass diese Apparatur definitiv nichts, für unter Klaustrophobie leidende, Menschen sei.
Kaum war das System geschlossen, begann die Polsterung irgendwie von innen heraus zu leuchten und nahm der ganzen Apparatur so die bedrohliche Atmosphäre. In seinem Display erschienen zudem die zwei Funktionen, von denen Ying gesprochen hatte.
Willkommen bei Dimensional Leap!
Bitte wählen Sie Ihre gewünschte Funktion
3D-Scan
Start des Systems zur Verbindung mit Raoie
Bahe suchte unterbewusst zunächst nach Tasten, ehe er sich erinnerte, dass der Helm sprachgesteuert war.
„3D-Scan“, sprach er deutlich und das System reagierte auch prompt, indem es ihm die nächste Nachricht anzeigte.
Dimensional Leap wird nun mit Ihrem 3D-Scan fortfahren.
Bitte bleiben Sie ruhig liegen und entspannen Sie sich. Sobald der Scan abgeschlossen ist, werden Sie benachrichtigt.
Bahe konnte nicht umhin, ein Wenig nervös zu sein und versuchte möglichst still liegen zu bleiben, als das Licht im System sich plötzlich abschaltete, um von einem Leuchten an seinem Fußende ersetzt zu werden.
Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete Bahe, wie ein Ring aus Licht im System langsam nach oben wanderte, kurz auf Bahes Augenhöhe zum Stehen kam und schließlich über seinen Kopf hinweg glitt. Für einen kleinen Moment verweilte das Licht über seinen Kopf, ehe es ein weiteres Mal an seinem Körper vorbei fuhr und sich hinter seinen Füßen abschaltete.
Daraufhin wurde es kurz dunkel im System, bis plötzlich der Helm mehrere Sekunden, pulsierend, von innen heraus zu Leuchten begann. Nach diesem Prozess senkte sich erneut Dunkelheit über Bahe, ehe sich der Projektionsdisplay aktivierte und ihm den erfolgreichen Abschluss des 3D-Scans mitteilte.
Bahe legte schnell den Helm ab und das Dimensional Leap-System begann automatisch sich zu öffnen. Zwei Minuten später lag er angezogen bereits wieder im System und wählte die zweite Funktion aus.
Willkommen in den Vorbereitungen zum Dimensional Leap!
Bitte entspannen Sie sich, schließen Sie die Augen und zählen im Geiste von 1-10.
Überrascht über die merkwürdige Anweisung, schloss Bahe schnell die Augen und begann bis zehn zu zählen.
1
2
3
4
…
Weiter kam Bahe nicht als er plötzlich mit dem Gefühl konfrontiert wurde, dass der Boden unter seinen Füßen verschwand. Es wurde pechschwarz um ihn herum und er hatte den Eindruck frei im Raum zu schweben. Keinen Augenblick später veränderte sich die Umgebung auch schon und nahm Gestalt eines Raums mit kahlen Wänden an. Bahe selbst, schien noch immer in der Mitte des Raumes, einen Meter über dem Boden, zu schweben. Sein Körper schien eins zu eins der Realität entnommen zu sein. Zumindest konnte er mit bloßem Auge keinen Unterschied erkennen.
Nachdem sich die Umgebung materialisiert hatte, öffnete sich vor ihm ein Dialogfenster, wie man es aus jeder Art von Onlinespielen kannte. Es wirkte seltsam durchsichtig und doch materiell genug, um es klar erkennen zu können.
Ihr 3D-Scan und Irisabgleich ergab, dass Sie noch keinen Account oder Benutzerprofil erstellt haben. Wollen Sie einen neuen Account erstellen?
Ja / Nein
Irisabgleich? Bahe staunte nicht schlecht. Das TNL dermaßen viele persönliche Daten erheben würde, war ihm nicht wirklich klar gewesen. Dennoch, er war nicht umsonst so weit gekommen und konzentrierte sich auf die Antwort Ja.
Zehn Sekunden später passierte immer noch nichts…
Bahe war baff… Was zum Henker, machte er falsch? Sobald das System gestartet war, sollte er doch Kraft seiner Gedanken voran kommen…
Einen Moment später bemerkte er seinen Fehler und lachte über sich selbst, bevor er diesmal die Antwort mündlich gab: „Ja!“
Kopfschüttelnd belächelte er seine eigene Dummheit. Das System arbeitete schon längst und somit war jedes Wort, das er von sich gab, nur Ausdruck seiner Gedanken.
Ehe er sich jedoch länger mit diesen philosophischen Fragen auseinandersetzen konnte, erschien das nächste Fenster.
Wählen Sie den Namen für Ihren Avatar und geben Sie Ihre Account-Nr. ein.
Nickname: _____________ Acount-Nr.: _____________
Beachten Sie bitte, dass es keinerlei Einschränkungen bezüglich eines Nickname gibt. Auch Mehrfachbelegungen des gleichen Nickname sind in Raoie erlaubt. Es empfiehlt sich daher einen individuell angepassten Nickname zu wählen, anstatt gängiger Formate wie z. B.: „Ace“, „Shadow“ oder „Muhaha!“
Bahe hatte sich noch keine Gedanken zu seinem Nickname gemacht. Nach kurzem Überlegen entschied er sich dazu, den Namen seines alten Avaters erneut zu verwenden und den Nachnamen seinem Vater zu widmen. Anschließend nannte er noch seine Accountnummer.
Registrierungsprozess abgeschlossen!
Charaktername: Anael
Geschlechtserkennung: Männlich
Alter: 18 Jahre (der Account-Nr. entnommen)
Körperbau: Schmächtig / Abgemagert (Mögliche Ursache: Unterernährung -- oncontextmenu="return false;" onmousedown="return false;" onmousemove="return false;" oncopy="return false;" unselectable="on"> TNL empfiehlt eine Ernährungsumstellung (Für weitere Informationen sagen Sie: HILFE))
Anpassung der Startattribute entsprechend der körperlichen Verfassung
Volkszugehörigkeit: Mensch
Bahe fiel aus allen Wolken, als er den Kommentar zu seinem Körperbau zu Gesicht bekam. Würde das bedeuten, dass seine Startattribute unter seiner körperlichen Verfassung im realen Leben leiden würden?!
Wäre das nicht die reinste Diskriminierung sämtlicher, körperlich, in irgendeiner Hinsicht benachteiligter, Menschen?
Bevor Bahe sich jedoch in einen regelrechten Wutanfall hinein steigern konnte, klappte bereits das nächste Fenster auf
Wählen Sie Ihren Ausgangspunkt:
Trachtenburg, Müllersdorf oder Waldenstadt
und überprüfen Sie Ihre Spieleinstellungen.
Wählen Sie OK, wenn Sie nichts verändern wollen.
Realitätsgrad der Grafik: 98-99%
Realitätsgrad des Sounds: 98-99%
Uhrfunktion im Spiel: Aus
… …
„Ausgangspunkt: Waldenstadt.“
„Spieleinstellungen: OK.“
Bahe hatte inzwischen genug von dem ganzen Registrierungsprozess und wollte nur noch ins Spiel. Die drei Startpunkte wurden auf einer Kartenansicht veranschaulicht und er wählte mit Waldenstadt kurzerhand den nordöstlichsten Bereich aus.
Da die Spieleinstellungen scheinbar im Standardmodus voreingestellt waren, machte er sich nicht die Mühe, die ganze Liste durchzugehen.
Ausgangspunkt festgelegt!
Avatar wird materialisiert und Attribute werden berechnet!
Endlich!
Bahe konnte nicht umhin, eine gewisse Aufregung zu verspüren, als sich seine Umgebung auflöste. Im Hintergrund vernahm er noch die Meldung, dass seine Spieleinstellungen übernommen wurden und im nächsten Moment tauchte er in die Welt Raoie ein.
–
–
–
–
–
Spieleinstellungen werden übernommen!
Realitätsgrad der Grafik: 98-99%
Realitätsgrad des Sounds: 98-99%
Uhrfunktion im Spiel: Aus
… …
… …
… …
Schmerzempfinden: 100% (Empfohlen: maximal 20%)
Nach einer ersten Orientierungsphase begann er die Gegend zu erkunden und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Alles wirkte so realistisch, dass er zunehmend Probleme bekam, die Umgebung als ein künstlich synthetisiertes Spiel anzusehen.
Während er sich über den Marktplatz bewegte, fielen ihm vor allem die unterschiedlich gekleideten Menschen ins Auge. Egal ob Schmied, Bäcker oder andere Handwerke, die verschiedenen Aufmachungen nahmen kein Ende. Um einen Zierbrunnen in der Mitte des Marktplatzes tummelten sich zudem Ritter und andere Gestalten in den unterschiedlichsten Rüstungen und Gewändern.
Bahe fragte sich nur langsam, wie er die Spieler jemals von den NPCs[i] unterscheiden können sollte, als sich ein Fenster des Systems vor seinen Augen öffnete.
Willkommen in der Welt Raoie!
Ihren Avatar und seine Statistiken können Sie über das Menü-Feld aufrufen. Sagen Sie dazu „Menü“ und wählen Sie die entsprechende Option aus oder nennen Sie den Kurzbefehl „Charakterprofil“.
Eine Kartenfunktion gibt es nicht. Sie müssen sich selbst zurechtfinden. Es gibt allerdings Landkarten für einen gewissen Betrag der spieleigenen Währung zu erwerben.
Die wichtigsten Informationen zum Gesundheitsstatus und Ihrem Energielevel können Sie durch im Spiel erwerbliche Ausrüstungsgegenstände visualisieren. Eine kostenlose Alternative ist das Aufrufen Ihres Charakterprofils.
Sagen Sie „Überprüfen“, während Sie ein Monster oder eine Person im Blick behalten, um Informationen über andere Spieler, NPCs oder andere Wesen zu erhalten, sofern sie dazu berechtigt sind. Es handelt sich hierbei um eine beschränkte Funktion, die ausschließlich in Ihrer Anfangsstadt + 1 KM Umgebungsradius aktiviert werden kann. Die Fähigkeit wird deaktiviert sobald Sie Level 5 erreicht haben!
TNL empfiehlt dringend die Durchführung der Tutorials, um sich mit dem Gameplay vertraut zu machen!
Fortfahren mit den Tutorials
Tutorials später durchführen und Fenster schließen
Ohne zu Zögern schloss Bahe das Fenster und schaute sich seinen Körper und Kleidung genauer an. Er trug nur einfache Kleidung aus Leinen und Wolle, die in Erdfarbtönen gehalten waren. Wenigstens hatte er eine Hose an, die von einem Gürtel gehalten wurde und keine für das Mittelalter typischen Strumpfbeine. Andererseits fehlten auch jegliche Taschen oder Verzierungen an seiner Kleidung. Einzig ein zweischneidiger Dolch hing lose in seinem Gürtel und seine Füße steckten in alten und gebraucht aussehenden Lederstiefeln. Bei dem Zustand seiner Kleidung sollten andere Spieler ihn wohl leicht als Spielanfänger ausmachen können.
Wahrscheinlich handelte es sich bei der Menschenansammlung am Brunnen, um andere Spieler, wenn er die Kleidungsvielfalt der Personen in Betracht zog.
Durch seine Kleidungsmusterung kam Bahe nicht umhin, verstärkt auf seine Bewegungen zu achten. Es war wirklich verblüffend wie lebensecht sich jede seiner Bewegungen anfühlte. Voller Enthusiasmus führte er ein paar einfache Schlag- und Trittkombinationen in der Luft aus, ehe ihn abschätziges Gelächter wieder zur Besinnung brachte.
„Schau dir mal den Newbie an.“
„Haha, er ist bestimmt zum ersten Mal online. Hast du gesehen, wie er in der Luft rum boxt?“
„Ja, genau! Ist jedes Mal das Gleiche mit denen.“
„Schaut ihn euch mal genauer an, seht ihr wie klein der Typ ist? Er hat bestimmt Abzüge in seinen Statistiken bekommen!“
Die abfälligen Bemerkungen und das schadenfrohe Gelächter in der Nähe des Brunnens ließ Bahe so gut es ging von sich abprallen. Auch wenn der letzte Sprecher genau seinen wunden Punkt getroffen hatte.
Um sich nicht länger zum Affen zu machen, beschloss Bahe sich einen Bereich mit weniger Spielern zu suchen und rannte zum nördlichen Rand der Stadt.
Auf dem Weg dorthin, lief er durch Gassen mit Essensständen, bei deren Gerüchen ihm das Wasser im Munde zusammen lief. Eine Straße weiter musizierten Spielleute auf den unterschiedlichsten Instrumenten und umso schneller er rannte, umso mehr spürte Bahe den Zugwind auf seiner Haut. Es war ein unglaubliches Gefühl sich in solch einer Welt zu bewegen, die sich so sehr von allem Bekannten unterschied. Im Grunde hatte er das Gefühl durch einen mittelalterlichen Fantasy-Film zu laufen.
Am Rande der Stadt angekommen, lief er noch ein paar Schritte in den Wald hinein und besah sich zum ersten Mal sein Charakterprofil.
Charakter: Anael Level: 0
Beruf: – Erfahrungspunkte: 0/1000
Titel: – Gesundheit / HP[ii]: 100/100
Fraktionszugehörigkeit: Neutral Energie / Mana: 0/0
Volkszugehörigkeit: Mensch Ruhm: 0
__________________________________________________________________________________
Spielerstatistiken:
Kraft: 02/10 Physische Konstitution / Statur: 01/10
Intelligenz: 10/10 Gelehrtheit: 10/10
Schnelligkeit: 06/10 Geschicklichkeit: 10/10
Ausdauer: 10/10 Widerstandsfähigkeit: 05/10
__________________________________________________________________________________
Willensstärke: 10/10 Konzentration: 10/10
Reflexe: 10/10 Glück: 05/05
Charisma: 05/05
__________________________________________________________________________________
Angriff: 1 Energietoleranz: 0
Verteidigung / Rüstung: 1 Energieresistenz: 0
___________________________________________________________________________
Weitere Charakterinformationen:
Attribute wurden den Ergebnissen des 3D-Scans angepasst.
Bahe hätte kotzen können, angesichts der Bestätigung seiner schlimmsten Befürchtungen. Mit einem Kraftwert von 2 und der Degradierung in Schnelligkeit, konnte er froh sein, dass sein Angriffswert nicht auf 0,5 gesunken war, dachte er resigniert. Mit dem schwachen Wert seines Angriffs, war er in PvP-Situationen[iii] arg im Nachteil und was noch viel schlimmer war: Er würde zu Beginn nur wesentlich langsamer Erfahrungspunkte sammeln können. Inwieweit seine physische Konstitution eine Rolle spielte war ihm schleierhaft. Schlechter konnte sie allerdings kaum sein.
Das seine Ausdauer als einziger Wert durchschnittlich ausgeprägt war, versöhnte ihn angesichts der übrigen starken Defizite in keinster Weise.
„Fuck! Wie soll man mit solchen Stats[iv] zocken können…“, machte Bahe seiner Wut Luft.
Tief ein- und ausatmend schloss er sein Charakterprofil und widmete sich wieder seiner Umgebung. Sein Jammern brachte ihn nicht weiter. Er musste schlicht weg nach vorne blicken und sich an die Arbeit machen.
Als erstes musste er ein Gespür für seine körperlichen Fähigkeiten entwickeln. Er wurde aber von den Details eines Baumes abgelenkt und strich voller Bewunderung über die Rinde.
„Selbst an solch kleine Einzelheiten hat TNL gedacht…“
Irgendwann hatte er die Genialität von TNL genug bewundert und entschloss sich einen einfachen Schlag gegen den Baum auszuführen. Irgendwie musste er ja schließlich seine Stärke testen.
Bahe trat einen Schritt zurück und schlug dann mit aller Kraft seine Faust gegen den Baumstamm.
„Oh, scheiße! Ahhh… verdammt!“, fluchte Bahe vor Schmerzen, während er sich seine rechte Hand hielt.
Törichtes Verhalten: -1 HP
„Ernsthaft?!“
Die Meldung des Systems brachte für Bahe das Fass zum überlaufen und resultierte darin, dass er wahllos auf nahestehende Bäume eintrat und sich in einen Schreianfall hinein steigerte.
Als er sich einige Augenblicke später wieder beruhigt hatte, schaute er sich seinen in Mitleidenschaft gezogenen Handrücken an. Er blutete leicht und hatte sich ordentlich die Haut aufgeschürft. So viel zum Realitätsgrad von Raoie… Hätte TNL nicht wenigstens das Schmerzempfinden etwas absenken können?!
Na gut, seine Idee war bescheuert gewesen, musste Bahe sich eingestehen. Er hatte schlicht weg nicht nachgedacht. Bei dem Level an Perfektion von dem Raoie nur so strotzte, hätte er sich denken können, dass 10/10 Punkte in Kraft wohl dem normalen Durchschnittsmenschen in der Realität entsprach.
Seine lächerlichen 2 Punkte konnte er sich vorläufig sonst wohin stecken. Da er mit seinen bloßen Fäusten nicht weiterkommen würde, widmete er sich im Folgenden seiner Startwaffe.
Soweit Bahe wusste, erhielt jeder Spieler zu Beginn des Spiels eine Waffe nach dem Zufallsprinzip. Er war der Meinung, dass er mit seinem zweischneidigen Dolch zufrieden sein konnte.
Nachdem Bahe den Dolch in die Hand nahm, öffnete sich ein Benachrichtigungsfenster und wies einen Angriff von 6-7 für den Dolch aus. Bahes Angriffspotenzial hatte sich somit auf maximal 7 gesteigert.
Bahe konnte nur den Kopf schütteln.
Nicht drüber nachdenken… Nicht drüber nachdenken… Dachte er im Stillen.
Ein paar Minuten probierte Bahe verschiedene Angriffsbewegungen aus und musste sich schließlich eingestehen, dass er ohne einen Gegner wohl nicht weiter kommen würde. Da ihm nichts anderes übrig blieb, entfernte sich mit raschen Schritten weiter von der Stadt, auf der Suche nach den ersten Monstern, gegen die er kämpfen könnte.
Wenige Augenblicke später trat er auf eine Lichtung und sah in gut fünfzig Metern zwei Spieler sich gegen eine Horde von kleinen, pelzigen Gestalten erwehren, die ziemlich stark an zu groß gewachsene Kaninchen erinnerten.
„Überprüfen!“, gab Bahe das Kommando und vor ihm öffnete sich auf halber Höhe ein Fenster mit den Informationen der Kreaturen.
Wildwurzelkaninchen
Beschreibung: Wildwurzelkaninchen, die Plagegeister einfacher Bauern, sind relativ harmlose Geschöpfe, die allerdings in ihrer Zahllosigkeit an Kraft gewinnen. Wird nicht regelmäßig Jagd auf sie gemacht, können sie ganze Landstriche verwüsten.
Level: 0 HP: 40/40
Angriff: 4 Verteidigung: 3
Intelligenz: 1 Schnelligkeit: 10
Besondere Fähigkeiten: Blutrausch à Sterben zu vieler ihrer Artgenossen, kommt ihre blutrünstige Natur zum Vorschein à Angriff und Verteidigung +1
Bahe leckte sich die Lippen. Vor ihm befanden sich genau die richtigen Monster, um sich auszuprobieren.
Im Laufschritt lief er auf die Monster zu, die bisher ihren Focus auf die anderen beiden Spieler gelegt hatten. Ohne viel Zeit zu verlieren näherte er sich den ersten Kreaturen von hinten und stach mit seinem Dolch auf das erste Monster ein, das ihm etwas über die Knie reichte. Eine -3 materialisierte sich unmittelbar über der Kreatur als Bahe seinen Dolch zurück zog und gab Bahe die Bestätigung, dass sein Angriff erfolgreich gewesen war.
Die Kreatur sprang mit einem Fauchen herum und entblößte zu Bahes Schrecken ein verdammt furchteinflößendes Gebiss. Im Anbetracht der Tatsache, wie realistisch Raoie gestaltet war, lief Bahe ein Schauer über den Rücken und er stolperte instinktiv ein paar Schritte rückwärts.
Das Wildwurzelkaninchen ließ sich davon aber nicht abhalten auf ihn zu zustürmen. Mit zwei schnellen Sätzen hatte es ihn eingeholt und schnappte mit einem Sprung nach seinem Schienenbein. Noch immer nicht wieder ganz bei sich, taumelte Bahe noch weiter nach hinten, wich zur Seite aus und atmete einmal konzentriert aus. Er konnte es sich ja wohl kaum erlauben, direkt in seinem ersten Kampf zu verrecken. Als das Monster landete und zum Sprung in seine Richtung ansetzte, bewegte er sich diesmal auf die Kreatur zu und stieß ihr seinen Dolch entgegen. Mit etwas Glück fand der Dolch sein Ziel und fraß sich bis zum Griff in das rechte Auge des Monsters.
Kritischer Treffer! -21 HP
Du hast ein Wildwurzelkaninchen erfolgreich erlegt! Exp[v] +1
Bahe atmete erleichtert aus. So kurz der Kampf gewesen war, so nervenaufreibend war er definitiv auch. Scheinbar hatte das Wildwurzelkaninchen bereits vorher schon ein paar Verletzungen durch die beiden Spieler in der Nähe erlitten. Andernfalls wäre er in seiner Panik vielleicht nicht so glimpflich davon gekommen.
Und was war das bitte mit dem lächerlichen Erfahrungsgewinn im Vergleich zum Aufwand? Nur +1 Exp pro Wildwurzelkaninchen? Er würde Stunden brauchen, um auch nur hundert der Kreaturen zu erlegen, ganz zu schweigen von eintausend…
Nachdem er sich vollends beruhigt und seine Gedanken geordnet hatte, zog er etwas angewidert seinen Dolch aus der nun erloschenen Augenhöhle der Kreatur und wischte die eklige Mischung aus Blut und Augensekreten am Fell des Monsters ab. Die entsprechenden Gerüche sorgten dafür, dass Bahe stark mit seinem Würgereiz zu kämpfen hatte.
Raoie war wirklich etwas völlig anderes als jedes Spiel, das er bisher gespielt hatte. Die Gewalt die er hier selbst zu spüren bekam, schockierte ihn. Er konnte sich gut vorstellen, dass viele Leute Probleme damit hatten, einen solch echt wirkenden Kampf aufzunehmen. Trotzdem, er musste sich zusammen reißen, schließlich hatte er Geld hierfür ausgegeben. Er konnte nicht mit leeren Händen nach Hause gehen.
Mit neuer Entschlossenheit rannte er erneut auf die Kreaturen zu, deren Aufmerksamkeit noch immer auf den beiden Spielern lag, die ein Monster nach dem Nächsten nieder metzelten. Diesmal tat er es den Spielern nach und kämpfte sich ein gutes Stück zwischen einige der Kreaturen und hielt sie durch Tritte und schnelle Dolchvorstöße von sich fern, während nach und nach ihre HP-Werte abnahmen. Er musste dieses Risiko eingehen, wenn er weiterhin nur jedes Monster einzeln erledigen würde, wäre er Jahre damit beschäftigt sein Level zu erhöhen. Die beiden anderen Spieler schauten nur kurz zu ihm hinüber, ließen sich aber ansonsten nicht von ihm stören. Die Wildwurzelkaninchen waren nur Level 0 Monster und damit nun wirklich keine Seltenheit.
Nach fünf Minuten hatte Bahe seine ersten Erfolgserlebnisse als zwei Kreaturen unter seinen Dolchhieben zusammensackten und Bahe ließ den Dolch gleich noch eifriger auf seine Gegner niederfahren.
Was zunehmend zu einem Problem für ihn wurde, war seine schlechte Angriffsgeschwindigkeit. Bahe hatte feststellen müssen, dass sein schlechter Schnelligkeitswert durchaus relevant war. Die Wildwurzelkaninchen machten ihm mit ihrer Geschwindigkeit das Leben von Sekunde zu Sekunde schwerer.
Durch den Tod zwei ihrer Artgenossen, waren fünf weitere Wildwurzelkaninchen dazu gestoßen und Bahe geriet zunehmend aus der Puste und entging nur noch um Haaresbreite einigen ihrer Angriffe.
Bahe beschloss sich nach und nach in die nördliche Richtung aus der Menge der Kreaturen zu kämpfen, da dort ihre Konzentration am Niedrigsten war. Die beiden anderen Spieler, die etwas weiter südlich standen, schlugen sich bei weitem besser und zogen so einen Großteil der Aufmerksamkeit der Wildwurzelkaninchen sich.
Nach ein paar Minuten war er nur noch zwei, drei Schritte vom Rand der Meute entfernt und in seinem Eifer sich aus der Menge zu lösen, bemerkte er ein Monster zu spät. Mit einem Satz schnappte es nach seinem Bein und verbiss sich regelrecht in seinem unteren Schienenbein.
„Ahhh, fuck!“, vor Schmerz aufschreiend ignorierte Bahe kurzzeitig die anderen Kreaturen und hieb mit seinem Dolch mehrmals auf das Monster ein, das sich durch bloßes Schütteln des Beines nicht von seinem Schienenbein lösen wollte.
Schwerer Treffer: -14 HP
Schwerer Treffer: -14 HP
.
.
.
Du hast ein Wildwurzelkaninchen erfolgreich erlegt! Exp +1
Dadurch, dass er vorübergehend mit einem einzelnen Monster zu kämpfen hatte, schaffte er es jedoch nicht mehr sich der übrigen Kreaturen zu erwehren. Kaum war er das erste Monster losgeworden, bissen sich bereits Weitere an seinen Beinen und seinem linken Arm fest und sorgten dafür, dass er das Gleichgewicht verlor.
Zu seinem Entsetzen stellte Bahe fest, wie er mitten in die Meute fiel und im nächsten Moment blendete der aufkommende Schmerz jeglichen Gedanken aus. Zwölf Wildwurzelkaninchen verbissen sich in seinem Fleisch und rissen an seinen Extremitäten.
„Aaaaaaargghhhhh!“
[i] NPC = non-player charakter à Der Begriff fasst prinzipiell alle in einer Geschichte vorkommenden Figuren zusammen, die nicht direkt von einem Spieler, sondern vom Computer, geführt werden. Im Bereich der Computerspiele werden vor allem diejenigen Figuren als NPCs bezeichnet, die sich dem Spieler gegenüber freundlich oder neutral verhalten, in Unterscheidung zu den vom Computer gesteuerten Gegnern oder Monstern.
[ii] HP = Health Points à englische Kurzform der Lebenspunkte oder Gesundheit à Computerspieljargon
[iii] PvP / PvsP = Player versus Player à Computerspieljargon
[iv]Stats = Player Stats à Kurzform für den englischen Begriff der Spielerstatistiken à Computerspieljargon
[v] Exp = Experience Points à englische Kurzform für Erfahrungspunkte à Computerspieljargon
„Aaaaaaargghhhhh!“
Bahe schrie vor Schmerzen und schlug verzweifelt mit seinem Dolch um sich. Seine Arme und Beine brannten unter den immer wieder kehrenden Attacken der Monster, während er um sich schlug und trat und dabei noch versuchte wichtige Stellen seines Körpers zu schützen. Zwischen den Attacken sah er beständig negative Werte über seinen Verletzungen aufleuchten. Mit jedem Biss der Monster verlor er -3 HP und Bahe wusste auch ohne auf seine Gesundheitsanzeige zu schauen, dass er nicht mehr lange durchhalten würde.
Das Fauchen der Kreaturen verschwamm mit seinen Schmerzensschreien und mit einer letzten Mobilisierung seiner Kraftreserven rappelte er sich auf, sprang über zwei Wildwurzelkaninchen hinweg und rannte so schnell er konnte Richtung Norden. Der Horror, lebendig gefressen zu werden, verlieh ihm ungeahnte Kräfte als er durch das hohe Gras voran preschte und auf den nahen Waldrand zu lief.
Die beiden anderen Spieler, schauten Bahe einen Augenblick lang hinterher, wie er von einigen der Wildwurzelkaninchen verfolgt wurde und schüttelten entgeistert die Köpfe.
„Was für ein Looser!“
„So ein Noob[i]…“
Damit war für sie die Angelegenheit erledigt und sie widmeten ihre volle Aufmerksamkeit wieder dem Gemetzel der Level 0 Monster.
Zehn Minuten später hockte Bahe auf einem Baum und wagte es nicht sein Versteck zu verlassen. Wie ein Wahnsinniger war er vor den Monstern geflohen, hatte aber zu seiner Bestürzung feststellen müssen, dass sie ihn verfolgten. Hinzu kam noch, dass die Viecher schneller als er waren und ihn in regelmäßigen Abständen einholten, egal wie viele Haken er schlug.
Mit dem Dolch hatte er zwischenzeitlich einzelne Kreaturen abgewehrt, während er nach einem sicheren Versteck Ausschau gehalten hatte. Letzten Endes hatte er diesen leicht zu erklimmenden Baum gefunden und sich in ausreichender Höhe vor den Monstern in Sicherheit gebracht.
Anfangs hatten die Wesen noch böse gefaucht und versucht den Stamm empor zu springen. Nur mit der Zeit legte sich langsam das aggressive Verhalten der Kreaturen und vor zwei Minuten waren sie endlich weiter gezogen.
Bahe wartete noch weitere zehn Minuten und lauschte angestrengt in den Wald hinein, ehe er sich vorsichtig daran machte den Baum hinunter zu klettern. Jede Bewegung schmerzte seinen geschundenen Körper und ließ ihn umso vorsichtiger agieren. Durch den Adrenalinschub auf seiner Flucht, hatte er die Schmerzen größtenteils ausblenden können. Inzwischen musste Bahe jedoch die Zähne zusammen beißen und er fragte sich, wie zum Henker er es trotz seiner Verletzungen geschafft hatte, diesen Baum zu erklimmen.
Die Attacken der Wildwurzelkaninchen waren nicht ohne Folgen geblieben. Insgesamt war seine Gesundheit mit 53 auf knapp über die Hälfte gesunken und seine Bewegungsgeschwindigkeit war durch ein verletzungsbedingtes Hinken noch weiter reduziert worden.
Zu allem Überfluss regenerierten sich seine HP nur unglaublich langsam. In den ganzen zwanzig Minuten, die er auf den Baum verbracht hatte, stieg seine Gesundheit lediglich um einen Punkt.
Unten angekommen, besah er sich seine Wunden das erste Mal etwas genauer. Seine Arme und Beine waren übersät von Kratzern und Bissen, die höllisch brannten. An manchen Stellen, glaubte Bahe doch tatsächlich fehlendes Fleisch auszumachen und wandte schnell seinen Blick ab. Je länger er darüber nachdachte, desto mulmiger wurde ihm. Dann gab es noch die Fetzen seiner Kleidung, die lose an ihm herab hingen und vor Blut trieften. Allein der Gedanke damit nach Waldenstadt zurückkehren zu müssen… Er konnte nur hoffen, dass ihn niemand bemerkte.
Bahe wollte lieber nicht den gleichen Weg zurück nehmen, den er gekommen war und entschied sich, ein kurzes Stück weiter Richtung Norden zu gehen, ehe er sich östlich wenden würde, um später in einem großen Bogen zurück nach Waldenstadt zu laufen. Vor ihm wurde das Dickicht aber zunehmend dichter und Bahe hatte in seinem geschundenen Zustand arge Mühe, sich hindurch zu kämpfen.
Ein unheimliches Rascheln in seinem Rücken ließ ihn vor Schreck herum fahren, während er sich nervös ein paar Schritte rückwärts durch die Büsche drängte. Zu seiner Erleichterung fand er jedoch kein Monster vor. Beruhigt wandte er sich wieder um und machte einen Schritt nach vorne, als er plötzlich ins Leere trat und hektisch um sich griff. Die dünnen Zweige zerbrachen jedoch unter seiner Last und mit einem Schreckensschrei stürzte er in die Tiefe.
Dünne Zweige und Blätterwerk begrenzten seine Sicht bis er sich unverhofft, drei oder vier Meter über einem kleinen See wiederfand. Schnell die Arme und Beine anlegend, platschte er im nächsten Augenblick ins Wasser.
Wenig später kroch er prustend und mit schmerzverzehrtem Gesicht an den Rand des Sees. Das Wasser war in seine Wunden eingedrungen und abgesehen von der Reizung, die das Seewasser mit sich brachte, hatte es auch die erste Schorfbildung wieder aufgeweicht. Mürrisch ließ er sich am Rand des Sees nieder und betrachtete erstaunt seine Umgebung.
Vor ihm eröffnete sich regelrecht ein kleines Paradies, dessen Mittelpunkt der See darstellte. Auf der gegenüber liegenden Seite befand sich ein kleiner Wasserfall, der über eine natürliche Treppe aus Felsen prasselte. Vereinzelte Sonnenstrahlen schienen durch das dichte Blätterdach der Bäume und ein Lichtstrahl brach sich im Sprühnebel des Wasserfalls. Ein kleiner Regenbogen war die Folge, der sich knapp über den See erstreckte.
An anderer Stelle plantschten ein paar Enten im Wasser und zwanzig Meter zu seiner Rechten, dort wo ein kleiner Bach dem See entsprang, erhaschte Bahe noch einen kurzen Blick auf ein Reh, ehe es im angrenzenden Wald verschwand. Mit den blühenden Blumen am Seeufer entstand so eine wundervolle, friedliche Atmosphäre, die Bahe mit großen Augen in sich aufnahm.
Du hast ein verborgenes Stück unberührter Natur entdeckt!
Ruhm +10
Du hast den ersten Kathar-See entdeckt!
Ruhm +100
Beschreibung: Der Kathar-See läutert die Seele von allen irdischen Zwängen und befreit einen von psychisch-seelischen Konflikten jeder Art.
Auswirkungen des Sees:
-- oncontextmenu="return false;" onmousedown="return false;" onmousemove="return false;" oncopy="return false;" unselectable="on"> Ein Bad im See beruhigt das Gemüt und schafft klare Gedanken.
-- oncontextmenu="return false;" onmousedown="return false;" onmousemove="return false;" oncopy="return false;" unselectable="on"> Jegliche, geistige Beeinflussung kann durch das Wasser des Kathar-Sees bereinigt oder unterbunden werden!
-- oncontextmenu="return false;" onmousedown="return false;" onmousemove="return false;" oncopy="return false;" unselectable="on"> Ein Bad im Wasser des Kathar-Sees reinigt die Seele von allen irdischen Zwängen. Jegliche Berufszugehörigkeit wird aufgehoben!
-- oncontextmenu="return false;" onmousedown="return false;" onmousemove="return false;" oncopy="return false;" unselectable="on"> Ein Bad im Wasser des Kathar-Sees reinigt den Körper von allen Unreinheiten, stärkt so die physische Konstitution und bringt dich vorüber gehend der Natur ein Stück näher!
Dein Körper wurde gereinigt und deine körperliche Konstitution hat sich verbessert!
Physische Konstitution +1
Kraft +1
Max. HP +10
Bahe machte beinahe Luftsprünge vor Freude über den unerwarteten Glücksfall! Seine physische Konstitution hatte sich verbessert! Und scheinbar hatte der Prozess positive Auswirkungen auf seine Muskelkraft und seine Gesundheit! Mit einem schnellen Blick in sein Charakterprofil, stellte er zufrieden fest, dass sich sein Angriff damit sogar bereits auf 2 erhöht hatte.
Die übrigen Funktionen des Sees waren für ihn nicht weiter von Bedeutung. Er hatte leider noch keine Fläschchen, in denen er etwas Wasser hätte abfüllen können. Ein Mittel gegen eine geistige Beeinflussung zu besitzen konnte irgendwann bestimmt nützlich werden.
Bahe war froh, dass er so früh im Spiel auf den See gestoßen war. Denn die Wirkungen des Sees waren im Grunde ein zweischneidiges Schwert. Hatte man mit seinem Charakter schon einen Beruf gewählt und dessen Fähigkeiten ausgebildet, konnte die Wirkung des Sees verheerend sein. Wirklich nutzen, konnten ihn im Grunde nur Spielanfänger oder vielleicht hochrangige Spieler mit besonderen Artefakten.
Kaum hatte die erste Begeisterung nachgelassen, öffnete sich das nächste Fenster.
Willst du diesen Ort geheim halten?
Wählst du ja, wird vorläufig niemand von diesem Ort erfahren. Auf diese Weise wirst du auch keinen Ruhm erlangen. Die erhaltenen 110 Punkte Ruhm werden negiert.
Wählst du nein, wird die Position des Sees unter allen Menschen Raoies bekannt werden. Die erhaltenen 110 Punkte Ruhm bleiben.
„Nein“, Bahe brauchte gar nicht darüber nachzudenken. Sämtliche Punkte, egal in welchem Bereich seiner Statistiken, stellten so früh im Spiel einen Schatz dar, den er nicht bereit war aufzugeben.
Du hast dich dafür entschieden ein Geheimnis nicht für dich zu behalten und der Allgemeinheit einen Dienst erwiesen, indem du ein neues Pilgerziel zur Reinigung der Seele entdeckt hast.
Deine Entdeckungen werden sich rumsprechen und dafür sorgen, dass dein Name mit Ehrfurcht ausgesprochen wird, wenn das einfache Volk vor deinen Taten hört.
Bahe schloss das Benachrichtigungsfenster und begann sich in Ruhe das Blut vom Körper zu waschen. Er legte die Fetzen seiner Oberbekleidung ab und schwamm ein paar Meter in den See hinaus, so dass er gerade noch stehen konnte. Danach begann er vorsichtig seine Haut zu schrubben und entfernte nach und nach sämtlichen Schmutz und angetrocknetes Blut von seinem Körper.
Es dauerte nicht lange und er war gerade dabei wieder ans Ufer zurück zu schwimmen, als ihm ein Funkeln auf dem Grund des Sees ins Auge fiel. Er tauchte kurz unter und erkannte, dass er sich tatsächlich nicht geirrt hatte. Mitten im See war eindeutig ein metallisches Schimmern zu erkennen! Aufregung packte ihn, denn ein solches Schimmern konnte nur eins bedeuten: Ein Schatz war hier tief unten am Grund des Sees verborgen!
Wieder auftauchend atmete er tief ein und wollte sich gerade dazu aufmachen mitten auf den See hinaus zu schwimmen, als er einen merkwürdigen Schatten auf der Seeoberfläche wahrnahm. Sein Blick folgte dem Schatten und was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
„Oh, Scheiße…“
[i] Noob -- oncontextmenu="return false;" onmousedown="return false;" onmousemove="return false;" oncopy="return false;" unselectable="on"> wird je nach Kontext mehr oder weniger abwertend im Sinne von „blutiger Anfänger mit absolut keiner Ahnung“ gebraucht. In Online-Computerspielen wird dem Adressaten damit oftmals die Kenntnis grundlegender Spielregeln oder die Befähigung zum hilfreichen Mitspielen abgesprochen.
In anfängerfreundlichen Umgebungen wird der Terminus Noob in der Regel zugunsten des neutraleren Newbie vermieden.
Ganz langsam, begann er rückwärts auf das Ufer zu zugehen, während er sein Gegenüber musterte.
Nahe dem Wasserfall, auf der anderen Seite des Sees, stand eine wolfsähnliche Kreatur am Seeufer und fixierte Bahe mit ihrem Blick. Die Kreatur war gigantisch in ihren Ausmaßen. Selbst ein ausgewachsener Löwe würde nur als Zwischenmalzeit für dieses Monstrum enden. Ein robuster Körperbau in blaugrauem Fell, thronte mit kräftigen Pranken auf einem Felsen am Seeufer und ließ das Monster so noch imposanter erscheinen als es eh schon war.
Doch was Bahe die Haare zu Berge stehen ließ, waren nicht etwa die vor Kraft strotzenden Muskeln oder das außergewöhnlich anmutende Horn mitten auf der Stirn des Wesens, sondern die Augen, die von einer Intelligenz geprägt zu sein schienen, die ihm das Fürchten lehrte.
Bahes Kopfbewegung war der Kreatur nicht entgangen und sobald die Kreatur Bahes Aufmerksamkeit spürte, verlagerte sie sich in eine Kampfstellung und ließ ein Ohren betäubendes Brüllen vernehmen, dass über den See hinweg hallte.
In diesem Moment ließ Bahe alle Vorsicht fallen und kämpfte sich aus dem Wasser auf das Ufer zu. Ein schneller Blick über seine Schulter, ließ sein Herz einen Schlag aussetzen! Das Monster hetzte bereits hinter ihm her! Ohne anzuhalten, rannte Bahe in den Wald hinein und ließ die Fetzen seiner Kleidung am Ufer zurück.
Haken schlagend, raste er durch das Dickicht des Waldes, sprang über umgefallene Baumstämme und änderte immer wieder die Richtung, in der Hoffnung die Monstrosität hinter ihm abzuhängen. Kurz bevor ihm die Puste ausging, entschloss er sich es zu riskieren und versteckte sich oben auf einem Baum, hoch im Baumwipfel.
Keine Sekunde später, krachte die wolfsähnliche Kreatur aus dem Unterholz hervor und hetzte an Bahes Versteck vorbei. Das Krachen und Bersten von Ästen und Gestrüpp war noch einen kurzen Moment zu hören, ehe es in der Ferne verschwand.
Bahe überlegte nicht länger, ignorierte seine Schmerzen und stürmte den Baum regelrecht hinab. In Windeseile schlug er sich nach links durch Büsche und weiteres Dickicht und kratze sich seine eh schon geschundenen Extremitäten noch weiter auf. Nach knapp fünfzig Metern stieß er auf einen kleinen Bach, den er sich direkt zu Nutze machte und nach rechts mit der Strömung durch das Wasser hechtete.
Nach gut zweihundert Metern, die Bahe wie eine Ewigkeit vorkamen, verließ er den Bach zur linken Seite und versuchte so einen größeren Abstand zwischen sich und die Kreatur zu bringen. Es begann erneut das mühselige Vorankommen durch dichtes Buschwerk und unwegsames Gelände. Das Blut pochte Bahe in den Ohren, während er sich in seiner Hektik keine Pause gönnte und sich stetig weiter kämpfte.
Eine viertel Stunde später lichtete sich die umgebende Vegetation zunehmend. Bäume und Sträucher fanden sich nur noch vereinzelt, als felsiger Untergrund den weichen Waldboden ablöste. Die spärliche Deckung nutzend, schlich sich Bahe weiter vorwärts, anstatt zu einer Seite auszuweichen. Die Angst vor dem Monster saß ihm noch zu tief in den Knochen, er konnte einfach noch nicht weiter im Waldgebiet verweilen.
Nachdem er über einen weiteren Felsvorsprung geklettert war, kam Bahe in seinen Bewegungen plötzlich ins Stocken. Er traute seinen Augen nicht… Vor ihm eröffnete sich eine gigantische Schlucht, deren Ende er von seinem Standort noch nicht ausmachen konnte. Wie in Trance lief er zum Rande des Abgrunds und kam dort völlig verblüfft zum Stehen.
Die Schlucht erstreckte sich soweit das Auge reichte nach rechts und links und schien kein Ende zu nehmen. Die Felswand auf der gegenüberliegenden Seite war mindestens mehrere Hundert Meter entfernt und beraubte Bahe jeglicher Hoffnung einen Weg hinüber zu finden. Als Bahe hinunter blickte, taumelte er kurz und zog sich dann lieber schnell einen Schritt von dem unmittelbaren Abgrund zurück. Die Tiefe der Schlucht war beängstigend und ließ sich nicht klar erkennen. Nebel und Dunkelheit verschluckten die Felswände in der Tiefe und ließen nur Vermutungen zu, wie weit die Schlucht wohl in das Erdreich reichen konnte.
Bahe schreckte plötzlich aus seinen Gedanken und duckte sich sofort hinter einen Baum, als er in der Ferne ein Fauchen vernahm. Panisch blickte er hin und her und suchte nach einem Ausweg. Er befand sich nur wenige Meter von der Schlucht entfernt, die Felswände hinunter zu klettern, war unmöglich für ihn. Er glaubte nicht, dass er mehrere hundert Meter in die Tiefe klettern konnte, ohne dass ihm die Kräfte ausgingen. Abgesehen davon hatte er keine Erfahrung in Felskletterei. In den Wald zurück konnte er nicht. Das Fauchen und Brüllen der Kreatur kam aus dieser Richtung und wurde stetig lauter. Es blieben ihm also nur zwei Möglichkeiten, entweder links oder rechts über das felsige Terrain an der Schlucht entlang. Mit der geringen Deckung standen seine Chancen aber mehr als schlecht lebend zu entkommen.
Als Bahe seinen Blick an der Schlucht links entlang wandern ließ, entdeckte er in hundert Metern Entfernung plötzlich einen schmalen Pfad, am unteren Ende einer sechs Meter hohen Felsformation. Zwischen Schlucht und Felsformation befand sich ein winziger Felsvorsprung, gerade breit genug für einen schmalen Menschen. Die Kreatur würde ihm dorthin nicht folgen können. Doch das Problem bestand darin, überhaupt erst dorthin zu kommen.
Wie um diesen Gedanken zu untermauern, krachte es in plötzlich im nahe gelegenen Wald und mit einem Brüllen erschien das Monster auf einem weit entfernten Felsen. Bahes Atem beschleunigte sich, als er sah, wie die Kreatur versuchte seine Witterung aufzunehmen.
Ohne noch länger zu zögern schnappte er sich einen am Boden liegenden Stein und schleuderte ihn soweit er konnte hinter sich. Beim Klacken des Steins auf dem Felsboden zuckten die Ohren des Monsters und es preschte in die entsprechende Richtung.
Bahe nutzte seine kreierte Chance und lief im Zickzack von einer Deckung zur Nächsten. Er nutzte all sein Wissen zum erfolgreichen unbemerkt bleiben, dass er sich über die letzten Monate angeeignet hatte, um den Geldeintreibern zu entfliehen. Er verschmolz mit den Schatten der Bäume und Felsen und achtete sogar auf die Windrichtung, um es der Kreatur zu erschweren, seine Witterung aufzunehmen.
Wie erwartet, blieb das Monster nicht lange verschwunden und machte sich anschließend sofort daran Bahes ursprünglicher Fährte zu folgen.
Die Zähne zusammen beißend, entschied sich Bahe lieber einen Umweg in Kauf zu nehmen, ehe die Kreatur zu schnell seiner Fährte folgen könnte. Die folgenden Minuten wurden zu einem nervenzerrenden Katz-und-Maus-Spiel, indem Bahe jeden Schritt sorgsam wählen musste, um seinen Vorteil zu bewahren. Trotzdem verringerte sich sein Vorsprung zunehmend und befeuerte seine unterdrückte Panik gefressen zu werden.
Am Ende kam er schließlich zwanzig Meter von dem Felsvorsprung entfernt hinter einem Baum zum Stehen. Vor ihm gab es keine Deckung mehr. Das letzte Stück würde er nur im Rennen zurück legen können. Das Monster lief schräg hinter ihm noch immer erregt seiner Fährte nach und würde ihn bald einholen. Trotzdem musste er den Zeitpunkt genau wählen und noch ein wenig abwarten. Sobald die Kreatur mit ihrem Kopf hinter einem Felsen verschwand, sprintete er auf Zehenspitzen so leise wie möglich auf den Felsvorsprung zu.
Doch das Glück sollte ihm nicht treu bleiben. Bahe hatte gerade zwei Schritte gemacht, als der Wind seine Richtung änderte.
„Fuck!“
Ein Windzug kam plötzlich von der Schlucht und trug seinen Geruch in die Richtung des Monsters! Panisch beschleunigte Bahe seine Schritte und bemühte sich nicht länger leise zu sein.
Er vernahm ein ohrenbetäubendes Brüllen in seinem Nacken und rannte ohne sich umzublicken auf den Felsvorsprung zu. Zehn Meter, fünf Meter… Das dumpfe Aufsetzen schwerer Pfoten wurde zunehmend deutlicher… vier Meter, drei Meter… Er war fast da! Zwei Schritte noch! Feuerte Bahe sich gedanklich an, während er seine letzten Kräfte mobilisierte.
Bahe war gerade dabei den letzten Schritt zu machen, als eine gewaltige Pfote seine linke Schulter rammte. Durch die Wucht des Stoßes verlor er sein Gleichgewicht und drohte in den Abgrund hinab zu stürzen. In einem Ansatz verzweifelter Wut, stieß er sich noch mehr vom Boden ab und nutze den Schwung, um eine Drehung in der Luft durchzuführen.
Vor ihm erschien die Kreatur, die mit aufgerissenem Maul nach ihm schnappte. Durch einen reflexartigen Ellbogenstoß zur Seite des Kiefers, wehrte er die scharfen Zähne ab. Die nachfolgende Pranke des Monsters war jedoch zu schnell und erwischte ihn an der linken Seite unterhalb der Rippen. Sämtliche Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst, während er voller Zorn die Pranke des Monsters mit seinen Armen umschlang und mit sich riss.
Er hatte einen Entschluss getroffen. Wenn er schon nicht entkommen konnte, dann sollte diese verfluchte Monstrosität wenigstens mit ihm untergehen!
Die plötzliche Last seines Gewichts erwischte die Kreatur unerwartet und unter einem wütenden Fauchen wurde sie von Bahe mit in den Abgrund gerissen!
Im freien Fall kämpfte Bahe weiterhin darum zumindest nicht gefressen zu werden und erwehrte sich gegen das Monster, das wütend nach ihm schnappte. Es wurde zu einem tödlichen Spiel, bei dem der kleinste Fehler sein Verderben bedeuten würde. Die Kreatur versuchte mit allen Mitteln an ihn heran zu kommen und Bahe mühte sich verzweifelt ab, so gut es ging den tödlichen Krallen und Zähnen auszuweichen. Unkontrolliert überschlugen sie sich dabei immer wieder, während sie tiefer in den Abgrund stürzten.
Der Zugwind pfiff ihm in den Ohren, als er ein ums andere Mal die Vorstöße der gefährlichen Krallen des Monsters abwehrte. Nach wenigen Sekunden trübte plötzlich Nebel Bahes Blick. Durch die eingeschränkte Sicht konnte er eine Pranke nicht mehr rechtzeitig parieren und sein Versuch, ihr durch eine Körperdrehung auszuweichen, scheiterte kläglich. Ein Schmerzensschrei löste sich aus seiner Kehle, als sich die Krallen von hinten in seine linke Schulter bohrten!
Bahe verlor die Kontrolle über seinen Körper, als die Kreatur ihre Krallen dazu nutze ihn an sich heran zu ziehen. Kopfüber wurde er durch die Luft gewirbelt.
Im gleichen Moment lichtete sich der Nebel und ermöglichte Bahe, einen Blick in den Abgrund zu werfen.
Wenige Meter unter ihm entdeckte er zwei Felsvorsprünge!
Blitzschnell fasste er einen Entschluss, griff nach der Pranke an seiner Schulter und riss sich in einem Kraftakt los. Die Schmerzen ignorierend, zog er sich mit einem Ruck zur Schulter der Kreatur heran, wich dem schnappenden Maul aus und wuchtete sich hockend auf den oberen Rücken des Monstrums. Mit aller Kraft drückte er sich daraufhin ab und sprang nach oben!
Die Kreatur wurde indes im freien Fall herum gewirbelt und schlug senkrecht, mit dem Kopf voran, auf den ersten Felsvorsprung auf!
Kaum eine Sekunde später prallte Bahe mit den Füßen voran auf den weichen Unterleib des Monsters, dessen Körper sich gerade im Umkippen befand. Sämtliche Luft wurde ihm beim Aufschlag aus den Lungen gepresst und sein Versuch sich abzurollen scheiterte an der schieren Gewalt des bisherigen freien Falls. Er schaffte es gerade noch seine Arme vor seinem Gesicht zu positionieren, um wenigstens noch einen Teil des Schwungs abzufangen, ehe er mit seinem Oberkörper und Kopf gegen den Rumpf der Kreatur prallte.
Benommen verlor Bahe für einen kurzen Moment sämtliche Orientierung. Zwischenzeitlich glaubte er sich zu überschlagen, knallte dann aber abrupt mit dem Rücken auf einen harten Untergrund, der ihn Sterne sehen ließ.
Irgendwo erfolgte ein dumpfer Aufschlag von etwas großem, Bahe konnte in seinem benebelten Zustand allerdings zunächst nichts damit anfangen.
Nach ein paar Atemzügen, die er nur unter schmerzverzehrtem Stöhnen zu Stande brachte, klappten plötzlich mehrere Benachrichtigungsfenster auf:
Du hast eine dir unbekannte Kreatur auf unkonventionelle Art und Weise erlegt!
Der Erfahrungsgewinn ist 200% höher, da es sich um eine geheime Lebensform mit großem Level-Unterschied handelt!
Exp +1500
Du bist auf Level 1 aufgestiegen!
Verfügbare Attributpunkte: +2
HP-Maximum durch Level-Aufstieg auf 110 erhöht!
HP +10/10
HP-Regenerationsgeschwindigkeit durch Level-Aufstieg erhöht!
HP-Regenerationsgeschwindigkeit für 10 Sekunden bei 200%!
Bahe schloss die Fenster und nach und nach schlich sich ein Grinsen auf sein Gesicht. Er war zu Level 1 aufgestiegen!
Eifrig öffnete er sein Charakterprofil und schaute sich seine veränderten Gesundheitswerte an. Schock war die erste Reaktion, als er die geringe HP-Zahl registrierte.
Charakter: Anael Lerua Level: 1
Beruf: – Erfahrungspunkte: 1503/2050
Titel: – Gesundheit / HP: 19/120
Fraktionszugehörigkeit: Neutral Energie / Mana: 0/0
Volkszugehörigkeit: Mensch Ruhm: 110
__________________________________________________________________________________
Spielerstatistiken:
Kraft: 03/11 Physische Konstitution / Statur: 02/11
Intelligenz: 10/10 Gelehrtheit: 10/10
Schnelligkeit: 06/10 Geschicklichkeit: 10/10
Ausdauer: 10/10 Widerstandsfähigkeit: 05/10
__________________________________________________________________________________
Willensstärke: 10/10 Konzentration: 10/10
Reflexe: 10/10 Glück: 05/05
Charisma: 05/05
__________________________________________________________________________________
Angriff: 1 Energietoleranz: 0
Verteidigung / Rüstung: 1 Energieresistenz: 0
_________________________________________________________________________________
Bedürfnisse:
Hunger gestillt: 000/100 Durst gestillt: 030/100
_________________________________________________________________________________
Weitere Charakterinformationen:
19 HP?!
Ohne die zusätzlichen 10 HP die er soeben durch den Level-Aufstieg erlangt hatte, wären es nur 9 HP gewesen! Verdammt, er wäre fast verreckt!
Er brauchte einen Moment um den Schrecken zu verarbeiten, ehe er sich aufsetzte und sein Profil gründlicher musterte. Unter seinen weiteren Charakterinformationen waren die Attributpunkte verfügbar, die er auf seine Stats aufteilen konnte und blinkten in regelmäßigen Abständen immer wieder auf. Was ihn jedoch stutzig machte, war ein neuer Bereich zu seinen Bedürfnissen, der bisher noch nicht da gewesen war, sowie die dazu passende Mitteilung über seinen verfügbaren Attributpunkten.
Hunger gestillt: 0/100
Ihm schwante Böses…
Prompt erschienen auch schon die nächsten Fenster:
Der lange Verletzungsstatus und der hohe Regernationsprozess deines Körpers haben die körpereigenen Ressourcen schneller als gewöhnlich aufgebraucht. Dein Körper verlangt nach sofortiger Nahrungsaufnahme!
Hunger gestillt: 0/100
Dein Hungerbedürfnis ist auf den absoluten Tiefpunkt gefallen!
Solange dein Hungerwert bei 0/100 verbleibt, sinkt deine HP jede Minute um 1!
HP -1
Geschockt schaute Bahe in sein Charakterprofil: 18 HP!
„Fuck!“
Bekamen Spielanfänger normaler Weise nicht ein paar Ressourcen, um am Anfang wenigstens ein paar Tage ohne Nahrungssuche überleben zu können?
Mit einem Griff an seinen Gürtel merkte er zudem, dass ihm sogar sein zweischneidiger Dolch fehlte, den er noch vorhin bei sich getragen hatte! Scheinbar hatte er ihn beim Sturz verloren…
So ein Mist!
Nach einem Moment des Zögerns stand er auf und blickte sich zum ersten Mal richtig um. Unwillkürlich wich er näher an die Felswand zurück und brachte ein Bisschen Abstand zwischen sich und den Abgrund.
Er befand sich auf dem unteren der beiden Felsvorsprünge, die er vorhin im freien Fall ausgemacht hatte. Der leblose Körper der Kreatur lag unmöglich verdreht am Rande des Felsvorsprungs. Ansonsten gab es nichts bis auf blanken Fels in der Nähe. Rundum erstreckte sich der Abgrund und die Felswand. Noch immer war kein Boden in der Tiefe zu erkennen und Bahe musste schlucken.
Wie zum Henker, sollte er jemals von hier runter kommen?!
HP -1
Bahe musste sich selbst korrigieren. Es musste lauten: Wie sollte er jemals rechtzeitig von hier runter kommen?!
Ihm blieben noch siebzehn Minuten! Danach würden seine HP auf 0 fallen und er würde das erste Mal in Raoie sterben. Bahe war sich nicht sicher, worin genau die Konsequenzen bestanden, aber üblicher Weise wurde man mindestens ein Level degradiert und verlor Ausrüstungsgegenstände, die man zu dem Zeitpunkt am Körper trug.
Da er sprichwörtlich nichts bei sich trug, war die zweite Sache die geringste seiner Sorgen. Eine Degradierung zu Level 0 wollte er aber wenn möglich vermeiden. 1503 Exp ließen sich im Normalfall nur durch tagelanges Farmen[i] erwirtschaften.
Die Umgebung diesmal genauer betrachtend, blickte Bahe an der Felswand hinauf. Auch wenn das Felsgestein zwischendurch einige Einkerbungen aufwies, war es nahezu unmöglich für ihn, wieder empor zu klettern. Er machte sich keine Illusionen, seine Arme würden längst erlahmen ehe er auch nur die Nebelwand durchquert hätte.
Bei diesem Gedanken wurde ihm zum ersten Mal klar, was für ein unglaubliches Glück er gehabt hatte. Ironischer Weise hatte er es nur dieser Monstrosität zu verdanken, dass er den tiefen Sturz überlebt hatte.
Mit einem Ruck wanderte Bahes Blick zu dem Kadaver zu seinen Füßen. Er hatte noch gar nicht überprüft, ob das Monster irgendwelche Gegenstände fallen gelassen hatte! In sämtlichen Computerspielen der Art von MMORPG[ii], die sich mit dem Bekämpfen von Monstern für besondere Artefakte und andere Ausrüstungsgegenstände beschäftigten, ließen die Kreaturen eben solche Gegenstände mit ihrem Tode fallen.
Raoie ging noch einen Schritt weiter und war das erste MMORPG in einer virtuellen Realität, quasi ein VRMMORPG[iii]. Ansonsten sollte es jedoch alle Gegebenheiten eines typischen Online-Rollenspiels aufweisen.
Einen Augenblick später atmete Bahe resigniert aus. Er hatte nichts gefunden. Andererseits fragte er sich auch, wie es überhaupt mit dem großen Realitätsgrad von Raoie zusammenpassen sollte, wenn aus dem Nichts Waffen und wertvolle Gegenstände erschienen, sobald gewisse Monster starben.
Da es also keinen besonderen Ausrüstungsgegenstand gab, der ihn wundersamer Weise aus seiner Lage befreien konnte, blieb Bahe nur übrig weiter nach einer anderen Lösung zu suchen.
Rechts und links an befanden sich nur die nackten Felswände der Schlucht. Wenn man mal von dem zweiten Felsvorsprung absah, der sich etwas versetzt, etwa auf Kopfhöhe, an der Felswand zu Bahes Rechten befand.
So oder so blieb also nur der Weg nach unten…
Bahe schaute sich zunächst die Felswand zu beiden Seiten des Felsvorsprungs an und entschied sich dann für die Seite, an der noch immer der Kadaver der Kreatur lag. Die ersten paar Meter sollten hier leichter zu bewerkstelligen sein. Ob er es schaffen konnte ganz hinunter zu klettern, war jedoch eine ganz andere Sache.
Zumindest wollte er es versuchen.
Sich vorsichtig über den Körper des Monsters hinweg bewegend, wollte sich Bahe gerade an der Felswand hinunter lassen, als sein Blick auf den Kopf der Kreatur fiel.
Das Horn des Monsters war am unteren Ende abgeknickt und hing nur noch mit einem Bruchteil seines Umfangs an dem dicken Hornursprung fest. Es sah relativ stabil aus und würde sich bei der Kletterei für einen Novizen wie ihn vielleicht als nützlich erweisen.
Mit einem raschen Schritt war er am Kopf der Kreatur und zog an dem Bruchstück des Horns. Dabei bewegte sich der Kopf des Monsters seitlich und rosa-weißliche Gehirnmasse trat aus zwei Rissen des Schädels aus. Bahe konnte nur angewidert den Blick verziehen und zerrte weiter am Horn der Kreatur, dessen letzte Verbindungsstücke immer noch nicht nachgeben wollten.
-1 HP
„Scheiße!“, fluchte Bahe vor sich hin.
Ihm blieben nur noch sechzehn Minuten. Er musste sich beeilen!
Mit einem kräftigen Ruck löste sich das Horn endlich und Bahe gab den Befehl: „Identifizieren!“
Du hast das Horn eines dir unbekannten Wesens an dich genommen. Obwohl du nichts über die Kreatur oder ihren Ursprung weißt, spürst du wie sich eine angenehme Wärme von deinen Händen bis zu deinem Kopf ausbreitet. Deine Gedanken werden seltsam klar und du fühlst dich jeder Situation gewachsen.
Willensstärke +2
Konzentration +2
Horn eines unbekannten Wesens
Artefakt der Klasse: GOLD
Solange du das Horn bei dir trägst erhöhen sich deine Willensstärke und deine Konzentrationsfähigkeit:
Willensstärke +20
Konzentrationsfähigkeit +20
Bahe staunte nicht schlecht.
Das Horn war ein Artefakt! Noch dazu eins in der GOLD-Klasse!
Zwar hatte er sich im Vorhinein nicht darüber informiert, welche Klassenabstufungen es gab, allerdings wurde der Ausdruck GOLD selten für die ersten Stufen irgendeiner Rangfolge benutzt. Ein selbstgefälliges Grinsen stahl sich auf sein Gesicht, als er darüber nachdachte, dass er als absoluter Spielanfänger direkt am ersten Spieltag ein Artefakt der GOLD-Klasse entdeckt hatte!
Besonders geschockt war Bahe, als er tatsächlich eine gewisse Wärme in seinen Händen spürte, die an seinen Armen empor wanderte und sich schließlich in seinem Kopf breit machte.
Mit einem schnellen Blick in sein Charakterprofil stellte er fest, dass sich die entsprechenden Attribute tatsächlich dauerhaft um 2 erhöht hatten!
Charakter: Anael Level: 1
Beruf: – Erfahrungspunkte: 1503/2050
Titel: – Gesundheit / HP: 16/110
Fraktionszugehörigkeit: Neutral Energie / Mana: 0/0
Volkszugehörigkeit: Mensch Ruhm: 0
__________________________________________________________________________________
Spielerstatistiken:
Kraft: 03/11 Physische Konstitution / Statur: 02/11
Intelligenz: 10/10 Gelehrtheit: 10/10
Schnelligkeit: 06/10 Geschicklichkeit: 10/10
Ausdauer: 10/10 Widerstandsfähigkeit: 05/10
__________________________________________________________________________________
Willensstärke: 12 (+20) /12 Konzentration: 12 (+20) /12
Reflexe: 10/10 Glück: 05/05
Charisma: 05/05
__________________________________________________________________________________
Angriff: 1 Energietoleranz: 0
Verteidigung / Rüstung: 1 Energieresistenz: 0
_________________________________________________________________________________
Bedürfnisse:
Hunger gestillt: 000/100 Durst gestillt: 030/100
_________________________________________________________________________________
Weitere Charakterinformationen:
Der zusätzliche, passive Bonus durch das Artefakt wurde ihm in Klammern hinter dem jeweiligen aktiven Attributwert angezeigt.
Bahe hätte vor Freude Luftsprünge gemacht, wenn die Zeit nicht so dringlich gewesen wäre. Er setzte seine beiden verfügbaren Attributpunkte noch schnell zu seinem Attribut Kraft und ließ die Anzeige so auf 05/13 ansteigen.
Ganz egal welche Berufszugehörigkeit er später wählen würde, mit solch einem niedrigen Kraftwert würde er auf Dauer kaum voran kommen. Abgesehen davon konnte er zusätzliche Attributpunkte in Kraft für den langen Abstieg mehr als gut gebrauchen.
Im Nu war er wieder am Fels und suchte mit seinen Füßen nach Einkerbungen, die ihm genug Halt für den Abstieg gaben. Bahe kam ganze zwei Meter tief, ehe er feststellen musste, dass er die Felskletterei unterschätzt hatte. Das Horn war ihm zudem überhaupt keine Hilfe gewesen. Er hatte es längst in seinen Gürtel gesteckt und war lieber nur mit den Händen und Füßen weiter geklettert.
Mit Mühe kam er noch einen Meter tiefer, musste dann aber erst mal verschnaufen, während er versuchte seine Arme zu entlasten.
Sein Blick wanderte indessen nach unten und er war sich sofort im Klaren darüber, dass es ein Fehler gewesen war. Völlig erstarrt, verkrampften sich seine Muskeln in dem unbändigen Willen bloß nicht loszulassen und Bahe liefen die Schweißtropfen regelrecht die Stirn hinunter.
„Verdammt, ist das hoch!“
Er musste wahnsinnig gewesen sein…
Ohne Nachzudenken hatte er sich einfach auf den Weg gemacht. Klar, er hatte keine Wahl gehabt und die Freude über den unerwarteten Fund hatte das ihre dazu getan. Dennoch, solche Höhen waren definitiv nichts für ihn!
-1 HP
Auch das noch! Nicht das ihn die Höhe nicht schon genug fertig machen würde!
Bahe blickte ein weiteres Mal nach unten und bereute es sofort. Seine Finger schwitzten zunehmend und im Glauben jeden Moment abzurutschen, versteifte er sich nur noch mehr. Tief ein- und ausatmend versuchte er sich zu beruhigen, wären ihn nach und nach immer mehr die Kräfte verließen.
Als er nach einem kurzen Moment endlich wieder klar denken konnte, fasste er neue Entschlossenheit. Egal, ob er abstürzen würde oder nicht, am Ende war es nur ein Spiel. Wirklich sterben würde er nicht! Auch wenn es schon relativ heftig war, dass ein Computerspiel Panik und Todesangst in ihm auslösen konnte.
In Anbetracht, dass Raoie bisher allerdings so lebensecht war, vor allem auch im Hinblick auf die Schmerzen, wollte er lieber nicht riskieren in die Tiefe zu stürzen.
Zurück konnte er nicht, er musste nach unten! Wenn in beiden Richtungen der Tod wartete, sollte er sich besser für die Variante entscheiden, die zumindest eine kleine Aussicht auf Erfolg versprach.
Mit schwindenden Kraftreserven tat er also das einzig Mögliche und kletterte weiter. Die nächste Schadensmeldung ignorierte er gepflegt und fand nach und nach in einen Rhythmus. Fuß für Fuß, Hand für Hand, suchte er Erhebungen, Ausbuchtungen oder kleine Felsspalten die ihm Halt gaben. Nach zwei weiteren Metern merkte Bahe jedoch wie hoffnungslos es war. Seine Finger zitterten bereits. Lange würde er sich nicht mehr halten können. Panisch suchte Bahe nach irgendeiner Lösung, während er weiter nach unten kletterte.
In seiner Hektik rutschte er plötzlich mit seinem Fuß ab und fing sich gerade noch, indem er mit seiner rechten Hand einen tieferen Felsspalt ergriff.
Er suchte sofort nach einer neuen Trittmöglichkeit, als sein Blick an einer neuen Felsausbuchtung hängen blieb. Wenn ihn nicht alles täuschte befand sich unter dem Felsvorsprung, von dem er soeben geklettert war eine weitere ebene Fläche!
Neue Hoffnung schöpfend, mobilisierte er seine letzten Kräfte und ließ sich Schritt für Schritt weiter hinab. Nach ungefähr zwei Metern trat der Felsvorsprung eindeutig zu Tage und Bahe stutzte kurzzeitig. Irgendeine Art Blume mit großen, gelb-orangen Blüten wuchs auf dem Felsvorsprung und schlängelte sich teilweise an der Felswand darüber entlang.
Das Gewächs vorerst ignorierend, kletterte Bahe so nah es ging an den Felsvorsprung heran, musste aber schließlich schräg oberhalb des Felsvorsprungs zum Halten kommen. Er befand sich noch ca. eineinhalb Meter von der geraden Oberfläche entfernt. Diese Entfernung würde er springend zurücklegen müssen. Die horizontale Oberfläche des Felsvorsprungs sollte mit ungefähr zwei Quadratmetern ausreichen, um seinen Schwung abzufangen. Das Problem stellte für ihn viel mehr der Sprung an sich dar.
Er war erschöpft. Noch dazu konnte er keinen Schwung holen. Bahe war sich nicht sicher, dass er den Sprung wirklich bewältigen konnte…
„Schluss damit!“, redete er sich selbst Mut zu und konzentrierte sich.
Er atmete zweimal tief ein und aus und stieß sich dann mit aller Kraft von der Felswand ab. Nicht nur der Zugwind rauschte ihm in den Ohren, als er durch die Luft flog und sein Herz regelrecht aus seiner Brust zu springen drohte.
Im nächsten Moment stellte sich jedoch heraus, dass er sich umsonst Sorgen gemacht hatte. Seine Füße landeten auf dem relativ ebenen Felsen und mit zwei kleinen Ausweichschritten hatte er den übrigen Schwung abgefangen.
Völlig erschöpft ließ er sich auf den Hintern fallen und versuchte wieder Luft zu bekommen.
Nachdem er sich beruhigt hatte, schaute er sich seinen neuen Rastplatz an und ihm stockte plötzlich der Atem. Die Pflanze, die hier wuchs, hatte nicht nur wunderschöne Blüten, sie trug auch eine Frucht!
Bahe traute seinen Augen kaum. Die Frucht ähnelte einer Mango, war jedoch länglicher und knallgelb. Im Nu stand er vor der Pflanze und rang mit sich selbst.
Sollte er sich an der Frucht versuchen? Vielleicht war sie giftig? Vielleicht war sogar die ganze Pflanze giftig…?
Er konnte sich nicht mal sicher sein, die Pflanze ohne Gefahr anfassen zu können!
-1 HP
„Fuck!“, fluchte Bahe.
Damit sanken seine HP gerade auf magere 13 herab. Er hatte nur noch dreizehn verdammte Minuten! Was überlegte er hier überhaupt noch? Ohne Nahrung würde er es niemals rechtzeitig diese Felswand hinunter schaffen!
Seinen Entschluss gefasst, trat er einen letzten Schritt auf die Pflanze zu und pflückte vorsichtig die Frucht.
Du hast eine dir unbekannte Frucht gefunden.
„…“
[i] Farmen = Farmen wird, vorzugsweise in Onlinerollenspielen, die andauernde, routinierte und monotone Tätigkeit des Sammeln und Suchen bestimmter Gegenstände, Geld oder Punkten genannt. Der Begriff rührt aus dem landwirtschaftlichen Bereich, in dem der Farmer „sammelt und sucht“ (seinen Anbau oder sein Vieh). Der Begriff tauchte in seiner jetzigen Bedeutung als erstes in Newsgroups zu Rogue-likes auf, wo er hauptsächlich das dauerhafte Töten von sich vermehrenden Monstern bezeichnete.
[ii] MMORPG = Massively Multiplayer Online Role-Playing Game
[iii] VRMMORPG = Virtual Reality Massively Multiplayer Online Role-Playing Game
Bahe verdrehte angesichts des unnötigen Benachrichtigungsfensters genervt die Augen und tastete die Frucht behutsam ab.
Die Frucht fühlte sich viel weicher als eine Mango an. Eher vergleichbar mit einer Khaki.
Mit der Frucht in der Hand setzte er sich vorsichtig auf den Boden und gab den Befehl: „Identifizieren!“
Du hast eine dir unbekannte Frucht gefunden. Name, Art, Klasse und Wirkung der Frucht sind nicht identifizierbar!
„Wofür ist die Fähigkeit „Identifizieren“ überhaupt von Nutzen…“
Es war ja nicht so, als ob er etwas anderes erwartet hätte. Üblicherweise brauchte man in dieser Art Computerspiele zusätzlich eine extra Identifikations-Fähigkeit, um unbekannte Gegenstände identifizieren zu können. Einfache und alltägliche Gegenstände konnten durchaus noch von normalen Scan-Funktionen erkannt und identifiziert werden. Umso seltener oder ungewöhnlicher die Gegenstände jedoch waren, umso eher waren spezielle Identifikations-Fähigkeiten von Nöten. Auch hier kam es auf die verschiedensten Bedingungen an. So spielten neben dem Rang der entsprechenden Fähigkeit, auch das Level der jeweiligen Person, sowie die Seltenheit bzw. die Klasse des Gegenstandes eine Rolle. Identifikations-Fähigkeiten waren keineswegs allmächtig.
Da Bahe so oder so keine weiteren Informationen herausfinden konnte und ihm seine HP regelrecht davon liefen, biss er schließlich in die Frucht hinein. Sie war angenehm saftig und schmeckte leicht süßlich.
Nachdem er einen Bissen runter geschluckt hatte, wartete Bahe kurz ab. Als ein paar Augenblicke später immer noch keine Schadensmeldung kam, machte er sich eifrig daran die Frucht zu verspeisen und strich sich die klebrigen Finger an den Fetzen seiner Hose ab.
Du hast eine dir unbekannte Frucht gegessen und dein Körper reagiert mit Wohlwollen auf die nötige Nahrungszufuhr.
Hunger vorerst gestillt
Hunger 15/100
„15/100, huh?“
Allzu lange würde auch das nicht reichen. Aber wenigstens hatte er den stetigen HP-Verlust unterbrechen können. Ohne die schöne Pflanze noch länger zu betrachten, ging er vorsichtig den Felsvorsprung ab und suchte nach der bestmöglichen Stelle sich hinab zu lassen.
Zu seiner Freude fand er, der Seite von der ursprünglich gekommen war gegenüber liegend, lianenartiges Gewächs an der Felswand. Es wirkte zudem relativ dick und stabil an das Felsgestein gewachsen.
Bahe musste zunächst zwei Meter horizontal über den nackten Fels klettern und ließ sich diesmal Zeit. Er war viel zu erschöpft. Ein weiterer Fehltritt würde ihn vermutlich das Leben und somit den Level-Abstieg kosten.
Trotzdem kam er mit einer knappen Minute relativ schnell an dem Gewächs an und atmete erleichtert auf, als seine Hände die lianenartigen Pflanzen ergriffen. Zum ersten Mal in seiner Kletterpartie konnte er mit seinen Händen vernünftig zugreifen und fühlte sich gleich viel sicherer.
Mit neuer Zuversicht kletterte er so zügig er sich traute an den Pflanzen hinunter. Dennoch war es ein langwieriger Prozess und Bahe musste zwischendurch kurze Pausen einlegen. Ab und an fand er eine Stelle, an der die Pflanzen etwas vom Fels weggewachsen waren und nutze die Gegebenheit, um seinen Ellenbogen um das Gewächs zu haken und so seine Finger entlasten zu können.
Es ging eine ganze Weile so weiter. Die lianenartigen Gewächse nahmen in ihrer Zahl an der Felswand auch stetig zu und ermöglichten Bahe es ab und an sogar zu einer leichteren Route zu wechseln.
Nach gut zweihundert Metern, die Bahe wie eine Ewigkeit vorgekommen waren, stieß er plötzlich auf ein Problem und musste anhalten.
Die Lianen unter ihm waren allesamt durchtrennt!
Zwischen dem Endstück seiner jetzigen Pflanze und den Gewächsen unter ihm befand sich eine ca. drei Meter breite Einkerbung im Fels, die sich in schräger Form soweit er sehen konnte über die Felswand erstreckte.
Der Fels unter ihm war merkwürdig glatt und wirkte seltsam unnatürlich. Bahe würde sich niemals an dem Felsbereich festhalten können. Ihm blieb nur die Option sich fallen zu lassen und nach einer der unteren Lianen zu greifen.
In der Hoffnung, dem Boden wenigstens ein Bisschen näher zu sein, machte er sich Mut und schaute nach unten.
Ah, diese Höhen!
Bahe tat sein Bestes, um die aufkommende Panik zu unterdrücken. In etwa fünfzig Metern bahnte sich wieder eine undurchsichtige Nebelwand an. Zumindest ersparte ihm diese Tatsche einen womöglich noch schlimmeren Blick in die Tiefe.
Die Felswand schien unter ihm jedoch in eine Art Überhang überzugehen, so dass er nicht genau beurteilen konnte, wie groß die Entfernung wirklich war.
Tief durchatmend brachte er sich schließlich in Position, schaute nach unten, um sein Ziel anzuvisieren und ließ sich fallen.
Die Luft rauschte kurz in seinen Ohren, dann griff er auch schon nach seiner anvisierten Pflanze und kam mit kurzem Rutschen an dem Gewächs zum Stillstand.
„Perfekt!“, jubelte Bahe.
Oder doch nicht! Schrie er im nächsten Augenblick innerlich. Mehrfaches Knacken und verschiedene Reißgeräusche kündigten sein kommendes Unheil an und ehe er nach einem Ersatz greifen konnte, löste sich das lianenartige Gewächs von der Felswand.
Hektisch griff er bereits im Fallen an der Liane um und vermied so zumindest kopfüber an der Pflanze zu baumeln, als es auch schon hinab ging.
Mit lautem Geschrei fiel Bahe schräg nach hinten rechts. Die Liane spannte sich mit einem Ruck und im nächsten Moment schwang Bahe, an der Liane baumelnd, mit zunehmender Geschwindigkeit in den Abgrund hinunter.
„Oooh, Scheeeeeeißeeee!“
Er schrie sich förmlich die Seele aus dem Leib, während er sich krampfhaft an der Pflanze festhielt. Der Nebel kam unfassbar schnell näher und einen Moment später war er praktisch blind. Die Luft zischte an seinen Ohren vorbei, während er sich innerlich auf einen harten Aufprall vorbereitete. Er fürchtete jeden Moment gegen harten Fels zu prallen, als er plötzlich spürte, wie sich Schwungrichtung änderte und er wieder nach oben pendelte.
Im Nu schoss er wieder aus der Nebelbank heraus und erhaschte so einen Blick auf das andere Ende seiner Rettungsleine. Die Liane hing noch gerade eben mit vier Metern an der Felswand an einem enormen Überhang, der es überhaupt erst möglich gemacht hatte, dass er nicht unmittelbar gegen die Felswand geprallt war.
Der Schwung, den er inne gehabt hatte, ebbte aus und Bahe fiel mit der Pflanze wieder zurück zur Nebelbank. In den folgenden Nerven zerrenden Minuten pendelte Bahe stetig hin und her, bis er irgendwann fast zum Stillstand kam.
Anfangs hatte er noch erkennen können, dass er mit fast zwanzig Metern verdammt weit von der Felswand entfernt war. Die letzten beiden Male, bei denen er über der Nebelbank eine klare Sicht gehabt hatte, ließen ihn zu seiner Bestürzung feststellen, dass die Liane inzwischen nur noch mit zwei Metern an der Felswand hing. Schlussendlich bedeutete dies, dass er inzwischen jeden Moment abstürzen konnte. Abgesehen davon ging seine Kraft zur Neige. Schwung zu holen, um einen Abstand von zwanzig Metern zu überwinden schien ihm in Anbetracht der Tatsachen irrsinnig.
Die andere Möglichkeit bestand darin, an der Liane wieder empor zu klettern und am Überhang entlang die Felswand weiter hinab zu klettern. So sehr es sich Bahe auch durch den Kopf gehen ließ, dort standen seine Chancen nicht viel besser…
Andererseits, was blieb ihm sonst schon übrig? Er musste es versuchen!
Bahe holte vorsichtig mit seinen Beinen Schwung, als ein Rück durch die Liane ging und er schockiert feststellte, dass er sich im Fallen befand!
Schreiend ließ er die Liane los und ruderte hektisch mit den Armen, um nicht kopfüber in den Abgrund zu stürzen. Der freie Fall dauerte zwei Sekunden, ehe seine Füße auf einen Widerstand trafen und sein Hintern unsanft auf einen harten Untergrund prallte.
Für einen kurzen Moment verlor er jegliche Orientierung, bis er merkte, dass er auf einem starken Gefälle gelandet war und über den Boden rutschte. Im Reflex fuhr er seine Arme aus und versuchte mit Händen und Füßen seine Rutschpartie zu stoppen. Durch die starke Neigung des Untergrunds wurde dies jedoch zunehmend schwieriger. Panisch presste er seine Füße mit aller Kraft auf den Boden und machte sich so schwer, wie es ihm möglich war.
Nach einigen qualvollen Sekunden verlor er endlich an Geschwindigkeit und kam in halb sitzender Position zum Ruhen. Seine hektische Atmung legte sich langsam wieder und ließ ihn seine unmittelbare Umgebung näher in Augenschein nehmen.
Der Nebel beschränkte seine Sicht noch immer enorm und verhüllte hinter der drei Meter Grenze alles mit zunehmender Dichte. Der Untergrund war sehr abschüssig. Bahe vermutete die Neigung bei ca. fünfunddreißig Grad. Die Oberfläche des Bodens war eindeutig felsigen Ursprungs, allerdings so unnatürlich glatt, dass Bahe sich noch immer bemühen musste an Ort und Stelle zu bleiben. Wie war so etwas zu Stande gekommen?
Bahe verwarf den Gedanken schnell wieder und machte sich daran Stück für Stück den Abhang hinunter zu rutschen. Die Kletterei zuvor war schon eine langwierige Arbeit gewesen, stellte aber keinen Vergleich zu Bahes momentaner Situation dar. Die geringen Distanzen, die Bahe sich vorschieben konnte ohne ins Rutschen zu geraten, raubten ihm aber allmählich den letzten Nerv. Sowohl der Nebel als auch der felsige Abhang schienen kein Ende zu nehmen. Zwischendurch checkte Bahe vor Langeweile sogar sein Charakterprofil und musste zu seinem Leidwesen feststellen, dass sein Hungerbedürfnis nur noch zu zwölf Prozent gestillt war. Es war erschreckend wie stark sich Bahes Verletzungsstatus auf sein Hungerbedürfnis auswirkte.
Bahe kämpfte sich für unzählige Minuten stetig im gleichen Trott weiter voran. Es war ermüdend und einige Male ertappte Bahe sich dabei, wie er zu nachlässig die Füße nach vorne schob und ein paar Meter unkontrolliert hinunter rutschte.
Einige Minuten später lichtete sich endlich der Nebel und gab den Blick auf die endlose Schlucht frei. Trotz des Nebels drang noch immer genügend Licht nach hier unten vor, um in der Ferne die Biegungen der Schlucht auszumachen. Allerdings wirkte alles relativ diesig wie an einem stark bewölktem Sommertag.
In zwanzig Metern endete der Abhang und gab den Blick auf eine weite Ebene am Fuße der Schlucht frei. Große Erleichterung machte sich in Bahe breit. Der ganze Aufwand hatte sich gelohnt!
Aufgeregt legte er so schnell es ging die letzten Meter zurück und kam am Rande des Hangs zum Ruhen. So nah der Boden zunächst auch gewirkt hatte, so befand er sich noch immer knappe hundert Meter über den Boden. Die Felswand unter ihm verlief senkrecht nach unten. Bahe machte sich keine Illusionen. Seine Hände und Unterarme waren noch immer leicht verkrampft, ein Abstieg an dieser Stelle war für ihn unmöglich.
Zu Bahes Rechten befand sich jedoch vielleicht eine Möglichkeit zum Boden zu kommen. Der Fels verlief am Boden mit einer flachen Neigung, die sich mit zunehmender Höhe stetig steigerte, bis die Felswand wieder eine senkrechte Form annahm. Mitten drin, grub sich am Erdboden eine gigantische Höhle in die Felswand und ragte knappe fünfzig Meter in die Höhe. Über der Höhle war die Felswand brüchig und von zahlreichen Vorsprüngen und Einbuchtungen durchzogen. Dort würde sein Abstieg die besten Erfolgsaussichten haben.
Trotz der Freude, endlich einen Ausweg gefunden zu haben, ließ sich Bahe Zeit und näherte sich langsam dem Bereich oberhalb der Felsvorsprünge. Mit äußerster Vorsicht ließ er sich schließlich auf den ersten Vorsprung hinab, setzte sich auf die leicht unebene Fläche und atmete tief durch.
„Den schlimmsten Teil habe ich geschafft!“, motivierte er sich selbst und suchte nach der besten Route für seinen Abstieg.
Keine Minute später schüttelte er seine Hände kurz aus und ließ sich zum nächsten Felsvorsprung hinab. Von dort aus sprang er einen Vorsprung weiter und kletterte in einer Felsspalte weiter nach unten.
Der gleiche Prozess wiederholte sich immer wieder, stets mit kleinen Pausen, in denen Bahe seine nächsten Schritte plante. Zwischendurch wagte er sogar mal den ein oder anderen Sprung nach unten.
Insgesamt stellte dieser Teil die schnellste Etappe in seiner langwierigen Reise zum Grund der Schlucht dar.
Nach kaum fünf Minuten kam er bereits unmittelbar über der Höhle an und kletterte daraufhin am rechten Rand der Höhle weiter hinab.
Mit zunehmender Neigung des Felsen gewann Bahe an Sicherheit, bis er schließlich ab und an die Hände von den Felsen löste und in einer Mischung aus Sprüngen und schnellen Klettereinlagen hinunter eilte.
Vier Meter über dem Boden sprang er zu einem Felsen, der neben der Höhle vier Meter in die Höhe ragte, um dort den letzten Rest des Weges zurück zu legen. Von Oben hatte er gesehen, dass sich die Seite des Felsens hervorragend zum Festhalten eignete und so ersparte er sich die letzten zweihundert Meter über blanken Fels zu steigen.
Mit einem Satz war er drüben und einige Handgriffe später kam er endlich am Erdboden der Schlucht an.
Bahe brauchte einen Moment, um seinen Erfolg zu verdauen, doch dann brachen all seine Dämme.
„Ich hab es geschafft!“, schrie er aus Leibeskräften, während er erfolgstrunken seine Hände in die Luft streckte.
„Letztendlich habe ich dich doch bezwungen“, meinte Bahe glücklich, während er zweimal mit der linken Hand auf den Fels klatschte und sich anschließend umdrehte. Vor ihm erstreckte sich der Boden der Schlucht als eine weite Ebene.
Er wollte gerade anfangen sich genauer umzuschauen, als der Boden unter seinen Füßen mit einem lauten Grollen zu beben begann.
Ein Erdbeben?! Schoss es ihm durch den Kopf, als die Erde abrupt zum Erliegen kam. Das Beben war genauso schnell verschwunden, wie es gekommen war.
Misstrauisch drehte sich Bahe um und wollte die Felswand über ihm mustern, als sein Blick schockiert am Felsen vor ihm hängen blieb! Er blickte mitten in ein grünes Auge der Größe seines Torsos!
Vor Schreck machte er unwillkürlich einen Schritt zurück und blieb dann wie angewurzelt stehen. Ihm schwante langsam, dass der Felsen vor ihm gar keiner war…
Das Auge blinzelte zweimal und fokussierte sich dann auf Bahe. Ihm lief ein eisiger Schauder über den Rücken, als er den Blick der gigantischen Kreatur auf sich spürte.
„Ähm… hi?“
Kapitel 10 Kampf der Giganten
Bahe zögerte nicht länger und nahm die Beine in die Hand.
Wie ein Wahnsinniger rannte er über die Ebene der Schlucht hinweg. Er hatte sich nach links gewandt. Zu seiner Rechten war kilometerweit nichts außer Erde, Gestein und dem ein oder anderen Grasbüschel zu sehen gewesen. Zu seiner Linken gab es auch keine Deckung die er nutzen konnte, allerdings machte die Schlucht in dreihundert Metern eine Biegung. Er konnte nur hoffen, dass sich dahinter irgendeine Fluchtmöglichkeit offenbarte.
Nachdem es zweihundert Meter lang ruhig geblieben war und sich Bahe mit schnellen Blicken zurück davon überzeugt hatte, dass die Kreatur noch immer am selben Platz verweilte, begann plötzlich wieder die Erde zu beben. Schockiert darüber, dass die Auswirkungen der Kreatur noch immer zu spüren waren, riskierte er einen Blick über die Schulter.
Der Anblick ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren! Der vier Meter hohe Felsen, den er zuvor genutzt hatte, um auf den Boden zu klettern, war nur der Stirnbereich eines gigantischen Kopfes, der inzwischen aus dem Boden ragte!
Unter einem lauten Grollen erhob sich die Kreatur vom Boden und Bahe wollte seinen Augen nicht trauen. Ein etwa fünfzig Meter langer Abschnitt löste sich von der Felswand und gab den Blick auf einen gewaltigen Körper frei!
Gestein und Staub wirbelte durch die Luft als sich gigantische Schwingen über dem Rücken der Kreatur streckten und ein mindestens dreißig Meter langer Schwanz krachend auf den Boden schlug. Voll aufgerichtet erlangte die Kreatur eine Höhe von gut fünfundzwanzig Metern!
Bahe lief ein eisiger Schauder über den Rücken, als sich die Augen des reptilienhaften Kopfes auf ihn richteten. Er wusste verdammt genau um was für eine Kreatur es sich hinter ihm handelte!
Es war ein Drache!
Ein verdammter Drache dessen Haut eins zu eins der verdammten Felswand glich!
Wieso musste ausgerechnet ihm sowas passieren?!
Bahe schaute wieder nach vorne. Noch dreißig Meter und er hatte die Biegung in der Schlucht erreicht. Er konnte nur hoffen, dass er sich dort irgendwo verstecken konnte, wenn der Drache hinter ihm herjagen würde.
Er legte nochmal an Geschwindigkeit zu.
Fünfundzwanzig Meter…
Zwanzig Meter…
Fünfzehn Meter…
Ein gewaltiges Brüllen erschütterte die Schlucht und Bahe glaubte doch tatsächlich die Erde unter seinen Füßen beben zu spüren. Schockiert warf er einen Blick zurück und sah, wie sich der Drache zum Sprung bereit machte.
Panisch beschleunigte Bahe seine Schritte zur Höchstgeschwindigkeit und bemerkte aus dem Augenwinkel heraus, wie sich der Drache mit einem Sprung nach vorne katapultierte!
Zehn Meter…
Bahe konnte nicht fassen, wie schnell der Drache die Strecke von mehreren hundert Metern hinter sich brachte. Mit allein zwei Sätzen hatte ihn der Drache fast schon eingeholt!
Sieben Meter…
In heilloser Panik riskierte Bahe einen letzten Blick über die Schulter und warf sich abrupt zu Boden.
Geifernde Zähne schossen im nächsten Moment haarscharf über ihn hinweg!
Bahe rollte sich schnell ab, blendete die Schmerzen seines geschundenen Körpers aus und preschte die letzten Meter um die Biegung herum.
Der Drache war durch seinen enormen Schwung knappe hundert Meter weiter geflogen, ehe er unter lautem Krach und bebender Erde über den Boden rutschte und sich stoppen konnte. Bahe wusste, dass er die gewonnene Zeit nutzen musste und steckte alle Kraft in sein Vorwärtskommen.
Er hatte die Biegung der Schlucht hinter sich gelassen und nur wenige Meter vor ihm einen enorm breiten Fluss entdeckt, der teils unter dem Felsgestein der Schlucht zu verlaufen schien. Ohne eine bessere Alternative blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Flucht im Wasser zu suchen.
Die knapp zwanzig Meter bis zum Wasserlauf kamen Bahe wie eine Ewigkeit vor. Der Drache hatte sich inzwischen abgefangen und setzte gerade zum erneuten Sprung an, als Bahe mit zwei letzten Schritten ins Wasser eintauchte.
Hektisch brachte er sich mit ein paar Tauchzügen tief unter Wasser und tauchte hinter einen Felsvorsprung, der bis über das Wasser ragte. Selbst hier unten im Wasser ließ sich noch der laute Aufprall des Drachen am Flussufer ausmachen.
Bahes Herz pochte in seiner Brust, während er sich tief unter Wasser an den Felsen krallte. Zwischendurch glaubte er noch das gedämpfte Brüllen der Kreatur zu vernehmen. Das erwartete Durchbrechen der Wasseroberfläche blieb jedoch aus.
Krampfhaft bemühte sich Bahe die Luft anzuhalten, musste nach einem viel zu kurzen Augenblick aber einlenken und sich zur Wasseroberfläche vorarbeiten. Als er schließlich den Kopf aus dem Wasser streckte, füllte er seine brennenden Lungen hektisch mit frischer Luft und unterdrückte sein Keuchen soweit es ging.
Ein fauchendes Brüllen hallte über das Wasser hinweg und wurde von lauten, stampfenden Schritten des Drachen begleitet.
Neugierig lugte Bahe vorsichtig um den Felsen herum und entdeckte den Drachen nicht unweit von ihm am Ufer. Die Kreatur lief das Flussufer auf und ab und musterte genau die Wasseroberfläche.
Ganz langsam zog Bahe seinen Kopf zurück und atmete angespannt aus. Er hatte gar nicht gemerkt wie er die Luft angehalten hatte.
Seine Situation war immer noch nicht viel besser. Er befand sich nun im Fluss und aus irgendeinem Grund scheute der Drache das Wasser. Ein Ausweg war der Fluss aber auch nicht wirklich. Bahe musste permanent gegen die Strömung ankämpfen, um allein hinter dem Felsen zu bleiben. Das Wasser des Flusses strömte leider der Felswand entgegen und beraubte ihn der Möglichkeit sich im Wasser weiter voran zu kämpfen. So entkräftet wie er war, würde ihm bereits nach kurzer Zeit die Puste ausgehen. Ganz abgesehen davon, dass am Flussufer noch immer ein Drache auf ihn wartete und er entgegen der Strömungsrichtung überhaupt keine Deckung ausmachen konnte.
Irgendetwas streifte unter Wasser plötzlich sein Bein und ließ Bahe vor Schreck zusammen zucken. Er nahm den Kopf unter Wasser und machte unzählige Fische aus, die sich gegen die Strömung voran kämpften. Es war wahrscheinlich irgendein Paarungsritual. Bahe hatte mal irgendwo davon gelesen, dass bestimmte Fischarten dafür weite Strecken zurücklegten.
Er wollte es gerade mit dieser Begründung abtun, als er in einiger Entfernung gerade noch ein Schemen unter Wasser ausmachte. Was auch immer es war, es kam schnell näher und wurde vor allem wesentlich größer! Es dauerte noch einen Lidschlag, ehe Bahe endlich erkennen konnte, mit was er es zu tun hatte.
Der verdammte Drache war doch noch ins Wasser gesprungen!
Panisch durchstieß er die Wasseroberfläche und begann den kleinen Felsen empor zu klettern. Er kam gerade oben an, als ihn ein gewaltiges Brüllen eines Drachen am Ufer erzittern ließ. Bahe spürte sogar noch den heißen Atem der Kreatur auf seiner Haut!
Wie zum Henker, war der Drache so schnell wieder ans Ufer gekommen?! Er hatte ihn doch gerade noch im Wasser gesehen!
Seine Gedanken rasten, als er sich mit schrecklicher Vorahnung plötzlich zum Fluss hinter ihm wandte. Ein enormer Schatten zeichnete sich unter der Wasseroberfläche ab und schnellte auf ihn zu!
Ihm blieb nicht viel Zeit!
Vor ihm der Drache am Flussufer und hinter ihm konnte jeden Moment ein weiterer Drache aus dem Wasser schnellen. Er hatte keinen Ausweg!
Fieberhaft überlegte Bahe und kam zu einer wahnwitzigen Idee. Er fuchtelte mit seinem Fuß im Wasser rum und wartete bis der Drache unter Wasser fast Bahes Felsen erreicht hatte. Dann nahm er die Beine in die Hand und sprang dem Drachen am Flussufer entgegen.
Die nächsten Sekunden vergingen für Bahe unendlich langsam. Der Drache am Ufer blickte ihn überrascht an und Bahe glaubte ein belustigtes Glitzern in dessen Augen zu erkennen.
Keinen Wimpernschlag später durchbrach der Drache aus dem Wasser die Oberfläche und sprang Bahe brüllend hinterher. Wenn Bahe nicht in einer so aussichtslosen Situation gewesen wäre, hätte er vermutlich über den Drachen am Ufer gelacht, der vor Schreck zusammen zuckte und sich sofort in Lauerstellung auf einen Kampf bereit machte.
Mit einem letzten Blick sah Bahe noch das weit aufgerissene Maul des Drachens hinter ihm, als dieser über ihn hinweg flog. Dann krachte Bahe in den Fluss.
Unter Wasser vollbrachte er so schnell es ging eine halbe Drehung und erhaschte gerade noch einen Blick auf den Zusammenprall der Giganten.
Die zwei massiven Körper der Kreaturen prallten gegeneinander, wobei der Drache am Ufer zunächst die Oberhand gewann und den anderen Drachen zurück ins Wasser schleuderte.
Bahe riss seine Augen weit auf, als er die Gefahr erkannte und begann hektisch in tieferes Wasser zu tauchen!
Diesmal schaffte er es jedoch nicht zu entkommen und wurde von dem Schwanz des zunächst unterlegenden Drachens erfasst. Sämtliche Luft entwich seinen Lungen, als er gewaltsam durch das Wasser gepresst wurde! Keine Sekunde später, schnellte er durch die Wasseroberfläche und wurde regelrecht davon geschleudert!
Zwanzig Meter flog er knapp über den Boden hinweg! Wie durch ein Wunder, konnte er zunächst die Füße auf den Boden bringen, wurde im nächsten Moment jedoch schon durch den ganzen Schwung fortgerissen. Verzweifelt versuchte er sich abzurollen und überschlug sich so oft, dass er vollkommen die Orientierung verlor. Steine schnitten ihn und prellten seine Knochen und ab und an, meinte Bahe negative Zahlen über ihn aufsteigen zu sehen.
Irgendwann kam er letztlich zum Liegen und keuchte vor Schmerzen in den staubigen Untergrund.
Irgendwann rüttelte ihn das Beben der Erde wieder zu Bewusstsein und Bahe drehte sich unter Schmerzen auf den Bauch. Die Drachen kämpften immer noch miteinander und der Kampf der Kreaturen war die reinste Naturkatastrophe!
Felsen, Gestein und Wasser flog in Massen durch die Luft, während sich die Giganten gegenseitig Hiebe und Schläge verpassten und gegeneinander anrannten.
Bahe traute kaum seinen Augen, als er das Ausmaß der Zerstörung in sich aufnahm. Die Drachen hatten in ihrem Kampf verstrickt kontinuierlich den Abstand zu ihm vergrößert und bekämpften sich inzwischen gute zweihundert Meter weit entfernt am Rande des Flusses.
Zum ersten Mal bekam Bahe eine Gelegenheit die Wesen genauer zu mustern und musste sich wegen der offensichtlichen Unterschiede innerlich ohrfeigen. Der eine Drache hatte eine felsenartige Haut, wirkte stämmiger als sein Gegenpart und hatte zahllose Stacheln auf dem Rücken und am Schwanz. Die andere Kreatur wirkte im Vergleich wesentlich eleganter, aber auch schmächtiger. Sie war etwa einen Kopf kleiner und ihr Körper knapp vierzig Meter lang. Zumindest, wenn man vom Schwanz absah. Die Kreatur unterschied sich durch ihren Schuppen bedeckten Körper stark von der anderen Monstrosität. Außerdem war ihr Rücken und Schwanz nur an der Oberseite mit nach hinten verlaufenden Stacheln besetzt.
Es handelte sich scheinbar um einen Erddrachen und einen Wasserdrachen.
Seine Vermutungen wurden weiter bestätigt, als die Pranken des Erddrachen schwach zu leuchten begannen und nach ihrer nächsten Erdberührung zahllose Gesteinsspieße aus dem Boden schossen!
Der Wasserdrache wich den Felsspitzen durch zwei kräftige Flügelschläge aus und klatschte ins Wasser.
Bahe beschloss, dass er genug gesehen hatte und lief zur gegenüber liegenden Seite der Schlucht, in der Hoffnung irgendwo ein Versteck oder einen Weg hinaus zu finden. Die Felswand erstreckte sich jedoch auch hier ohne größere Einkerbungen nahezu senkrecht nach oben. Als sich Bahe gerade darüber Gedanken machte, in welche Richtung er fliehen sollte, krachte der Erddrache vor ihm in die Felswand!
Geschockt taumelte Bahe ein paar Schritte zurück und beobachtete wie der Wasserdrache seinen Kopf unter Wasser steckte und anschließend sein Maul in hellblauem Licht zu leuchten begann. Im nächsten Moment spie er das Wasser in einem Strahl über hundert Meter dem Erddrachen entgegen, der sich gerade erst aufgerappelt hatte.
Unter lautem Donnern und Staubwirbel wurde der Erddrache wieder zu Boden und gegen die Felswand geschleudert!
Der Wasserdrache neigte seinen Kopf gen Himmel und brüllte seinen Triumpf hinaus. Dabei hinterließ er mit den letzten Zügen des Wasserstrahls eine so tiefe Einkerbung im Felsgestein, dass Bahe schlucken musste.
Hatte er sich nicht weit oben an der Felswand gefragt, wie die großen Einkerbungen am Fels entstanden waren?
Furcht packte ihn, als er sich der unglaublichen Macht dieses Wasserstrahls bewusst wurde.
Der Erddrache hatte scheinbar selbst den zweiten Wasserstrahl aushalten können, denn er kämpfte sich wieder auf die Beine.
Beide Kreaturen starrten einander an und stürmten dann erneut aufeinander zu.
Bahe kam sich an diesem Ort unglaublich klein vor. Er musste von hier verschwinden. Er war nichts weiter als ein Wurm, den die Drachen jederzeit zerquetschen konnten.
Vor ihm hatte der Erddrache eine tiefe Mulde ins Erdreich geschlagen und auch die Felswand war stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Zahlreiche Einkerbungen zeichneten den Fels bis in zwanzig Metern Höhe und bereits auf vier Metern Höhe begann die tiefe Druckspur, die der Wasserstrahl ins Gestein gefräst hatte. Dort sollte er genügend Platz haben, um sich bequem hinlegen zu können und nicht weiter aufzufallen. Wenn er sich seine Kräfte gut einteilte, sollte er es schaffen können.
Ohne noch länger zu warten, machte sich Bahe an den Aufstieg. Zwischendurch beäugte er noch ab und an den Kampf der Giganten, der zunehmend gewalttätiger wurde, ehe er sich in der Felsspalte klein machte.
Während am Boden der Schlucht der Kampf der Kreaturen weiter tobte, versuchte Bahe seine Atmung zu beruhigen und schaute sich nervös sein Charakterprofil an.
Charakter: Anael Level: 1
Beruf: – Erfahrungspunkte: 1503/2050
Titel: – Gesundheit / HP: 2/110
Fraktionszugehörigkeit: Neutral Energie / Mana: 0/0
Volkszugehörigkeit: Mensch Ruhm: 0
__________________________________________________________________________________
Spielerstatistiken:
Kraft: 05/13 Physische Konstitution / Statur: 02/11
Intelligenz: 10/10 Gelehrtheit: 10/10
Schnelligkeit: 06/10 Geschicklichkeit: 10/10
Ausdauer: 10/10 Widerstandsfähigkeit: 05/10
__________________________________________________________________________________
Willensstärke: 12/12 Konzentration: 12/12
Reflexe: 10/10 Glück: 05(+50)/05
Charisma: 05/05
__________________________________________________________________________________
Angriff: 1 Energietoleranz: 0
Verteidigung / Rüstung: 1 Energieresistenz: 0
_________________________________________________________________________________
Bedürfnisse:
Hunger gestillt: 009/100 Durst gestillt: 056/100
_________________________________________________________________________________
Weitere Charakterinformationen:
à Attribute wurden den Ergebnissen des 3D-Scans angepasst.
à Du bist verletzt und kannst dich deswegen nur unter Schmerzen bewegen. Solange der Verletzungsstatus andauert, wird dein Hungerbedürfnis strapaziert.
à Eine dir unbekannte Macht hat dein Glück für 24 Stunden phänomenal erhöht!
„Fuck!“
Er hatte nur noch zwei HP? Scheinbar hatte er unglaubliches Glück gehabt, als er über den Boden geschleudert wurde.
Bahe ging seine Statistiken noch schnell weiter durch und blieb beim Attribut Glück hängen.
„WTF! +50 in Glück!“, stieß Bahe leise hervor.
Er konnte es nicht fassen!
Weiter unten entdeckte er die Nachricht, dass der Wert wohl vorübergehender Natur war. Dennoch, er konnte froh sein, ihn zu haben.
Außerhalb der Felsspalte krachte es weiterhin und Bahe riskierte vorsichtig einen Blick auf den Boden der Schlucht. Schwindel packte ihn kurz und ließ ihn sich verkrampfen. Er musste unwillkürlich in sich hinein lachen, dass er noch immer Angst vor der Höhe hatte!
Dann fiel sein Blick endlich auf die Drachen und er zog scharf die Luft ein. Beide Kreaturen waren inzwischen Blut überströmt und atmeten schwer!
Sie umkreisten sich unmittelbar unter ihm am Rand der Felswand. Ihr Blut triefte in Massen von ihren Körpern und lief in der Erdmulde zusammen, die der Erddrache vorhin zurückgelassen hatte. Der Anblick glich einem kleinen Teich aus Blut.
Es war unfassbar, dass sich die Kreaturen noch immer gegenüber standen!
Durch seine ganze Kletterei, währenddessen er seine schmerzenden Glieder den Felsen hochgeschleppt hatte, war der übrige Kampf der Drachen an ihm vorbei gegangen. Er bedauerte es fast ein Bisschen sich den Kampf nicht genau angesehen zu haben.
Gleichzeitig gingen die Drachen plötzlich wieder in Lauerstellung und begannen am gesamten Körper zu leuchten. Der Erddrache in hellen Erdfarbtönen und der Wasserdrache in verschiedenen Blautönen.
Dann geschah alles auf einmal!
Felsen wuchsen aus dem Boden und wurden von dem Erddrachen dem Wasserdrachen entgegen geschleudert. Gesteinsspieße schossen aus der Felswand und dem Boden, während das Erdreich unter den Füßen des Wasserdrachens schlammig wurde und diesen bis zum Bauch im Boden versinken ließ.
Der Wasserdrache blieb indes aber nicht untätig und beschwor das Wasser des Flusses herbei! Als ob der Fluss plötzlich lebendig geworden wäre, floss das Wasser über den Boden der Schlucht hinweg zum Wasserdrachen und hüllte ihn in eine gigantische Kugel aus Wasser. Aus dem Wasserball lösten sich aus Wasser gebildete Seeschlangen die den Gesteinsbrocken begegneten und diese zu den Seiten ablenkten, während das Wasser der Kugel die Beine des Drachens aus dem Boden löste.
Blitzschnell schwamm der Wasserdrache durch sein Element und wich den Gesteinsspitzen ein ums andere Mal aus. Bis plötzlich ein steinender Speer vom Himmel fiel, den der Erddrache in einem unbeobachteten Moment beschworen hatte und sich durch das schützende Wasser in den rechten Flügel des Wasserdrachens bohrte!
Die unerwartete Verletzung lenkte den Drachen kurz ab und schon bohrten sich zwei weitere Felsspitzen in seinen Unterleib und rechte Flanke!
Mit einem Aufschrei bäumte sich der Wasserdrache ein letztes Mal auf, leuchtete am Maul hell auf und Bahe glaubte die Wasserkugel, die den Drachen umgab, rapide schrumpfen zu sehen. Im nächsten Augenblick, schoss dem Erddrachen ein äußerst dünner Wasserstrahl entgegen, der ihn regelrecht durchbohrte und mit sich riss!
Der Wasserdrache gab erst auf, als sämtliches Wasser, das ihn zuvor umgeben hatte, aufgebraucht war. Dann sackte er über den Felsspitzen zusammen und die Wasser des Flusses kehrten in ihre natürlichen Bahnen zurück.
Es dauerte eine Weile bis sich der feine Sprühregen gelegt hatte, der durch den Wasserdrachen verursacht worden war. Und auch das Krachen des zurück geschleuderten Erddrachen verklang in der Ferne.
Bahe wagte es zunächst kaum zu atmen, so angespannt war er durch den Furcht einflößenden Kampf. Als einige Minuten später noch immer nichts zu vernehmen war, lugte er vorsichtig weiter aus seinem Versteck.
Weit und breit regte sich nichts mehr.
Es war an der Zeit aus seinem Versteck zu kommen.
Sein Körper brannte an so vielen Stellen vor Schmerzen, dass er sich nur mit Mühe bewegen konnte. Krampfhaft biss Bahe die Zähne zusammen und atmete mehrmals tief durch.
Er musste nur vier Meter hinunter klettern. Auch wenn seine Kräfte am Ende waren, konnte er es schaffen!
Quälend langsam ließ er sich mit den Füßen voran die Felswand hinab. Das Gestein war durch den Kampf unglaublich glitschig geworden und Bahe musste jeden Tritt und Griff mit Bedacht wählen.
Doch scheinbar sollte das Glück nicht mehr auf seiner Seite sein. Als er mit seiner rechten Hand nach einer neuen Einkerbung greifen wollte, rutschte er plötzlich mit seiner linken Hand ab!
„Oh, Scheiße!“, fluchte Bahe, ehe er vollends den Halt verlor und schreiend die Felswand hinunter stürzte!
Der Wind pfiff ihm in den Ohren, als er klatschend in die Erdmulde fiel, die mit einer Mischung aus Wasser und Drachenblut gefüllt war.
Prustend kämpfte er sich zurück an die Luft und griff nach dem Horn, das sich aus seinem Gürtel gelöst hatte und auf der Oberfläche schwamm.
Seine Umgebung musternd, wollte Bahe gerade die Erdmulde verlassen, als heiße, stechende Schmerzen seine Gliedmaßen durchzuckten!
Entsetzt starrte er auf seine Arme. Jede Schnittwunde war angeschwollen! Dunkle, wulstige Adern oder Geschwüre breiteten sich zunehmend von den Schnittwunden aus und verursachten Schmerzen, die Bahe laut aufschreien ließen.
Drachenblut ist in deine Adern gelangt und bekämpft deinen Körper von innen heraus!
Dein Körper ist zu schwach, um das Drachenblut zu unterdrücken.
Du hast nur zwei Möglichkeiten:
Du stirbst!
Du machst dir das Drachenblut zu eigen! Dies wird unfassbare Schmerzen verursachen und du darfst nicht das Bewusstsein verlieren.
Das Schmerzempfinden liegt vorübergehend bei 100%!
„Sterben?! Pah!“
Schmerzen würden ihn nicht umbringen!
Ohne zu zögern, wählte er sofort die zweite Option. Doch auf das was dann kam, hätte ihn niemand vorbereiten können.
Sengende Schmerzen durchzuckten seinen gesamten Körper und ließen Bahe laut aufschreien: „Ooaaaaahhh!“
Wie im Wahn krümmte er sich und fiel bis zum Hals zurück in die Mischung aus Wasser und Drachenblut, während er sich die Seele aus dem Leib schrie!
Jeder noch so kleine Quadratzentimeter seines Körpers strahlte inzwischen solche Schmerzen aus, dass er fürchtete jeden Moment den Verstand zu verlieren.
Unter seiner Haut kroch das Drachenblut wie von einem Eigenleben getrieben umher, während er panisch mit den Händen über seinen Körper schrubbte.
Sein Fleisch pochte und seine Muskeln zuckten unkontrolliert. Bahe war schlichtweg am Ende. Dann sprang das erste Benachrichtigungsfenster auf:
Dein Körper kämpft nun gegen das Drachenblut!
Prozessfortschritt:
1% von 100%
Unmöglich! Er musste noch 99% schaffen?!
Bevor er jedoch vollends verzweifelte, öffneten sich weitere Fenster:
Deine Willenskraft und Konzentrationsfähigkeit sind durch ein Artefakt außerordentlich erhöht. Die Geschwindigkeit der Drachenblutintegration erhöht sich!
Dein Körper kämpft nun gegen das Drachenblut!
Prozessfortschritt:
2% von 100%
Bahe schöpfte neuen Mut und schrie gegen die Schmerzen an. Er musste einen klaren Kopf behalten! Auf keinen Fall durfte er ohnmächtig werden.
Dein Körper kämpft nun gegen das Drachenblut!
Prozessfortschritt:
3% von 100%
Deine Willenskraft und Konzentrationsfähigkeit wurden dauerhaft stark beansprucht!
Willenskraft vorübergehend -1
Konzentrationsfähigkeit vorübergehend -1
Dies war vorerst das letzte Fenster, dem Bahe noch Beachtung schenkte.
In den folgenden Minuten wurde er vor Qual schreiend hin und her gerüttelt. Immer wieder wurden ihm neue Prozentzahlen genannt, die er jedoch kaum noch wahrnahm. Sein einziges Ziel bestand nur noch darin bei Sinnen zu bleiben.
Gedanken nach einer Log-out-Funktion zu suchen, kamen ihm zwischendurch, wurden genauso schnell aber auch wieder verworfen. Er war nicht umsonst so weit gekommen! Wozu hatte er all die Strapazen auf sich genommen, wenn er an rein körperlichen Schmerzen scheitern würde?!
Kurzzeitig biss er die Zähne zusammen, ehe er einen Moment später wieder die Beherrschung verlor und laut aufschrie.
Irgendwann versagte ihm die Stimme und er wimmerte nur noch mit einem zuckenden Körper leise vor sich hin. Die Minuten kamen Bahe inzwischen so endlos lang vor, dass er vollends das Zeitgefühl verloren hatte. Dann öffneten sich plötzlich wieder mehrere Benachrichtigungsfenster: