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Kapitel: | 5 | |
Sätze: | 1.351 | |
Wörter: | 17.935 | |
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Der Duft nach gebratenem Fleisch, süssem Met und Backwaren streicht durch die Strassen von Seydar und bereits am Stadttor hört man die beschwingliche Musik der Geiger,Bläser und Trommler. Wahrlich ist es eine Freude, durch die Gassen zu schlendern, welche alle samt mit bunten Fahnen und Gaben geschmückt wurden. Wo sonst die Fisch, Fleisch und Gemüsehändler ihre Ware anpreisen, herrscht ein Durcheinander von tanzenden, lachenden, saufenden und essenden Menschen. Mädchen spielen auf den Heuballen mit ihren Stoffpuppen, die Buben kämpfen mit ihren Holzschwertern und die Alten schwingen das Tanzbein. Der fruchtige Wein, welcher von König Reidros höchstpersönlich aus Almor hierher gebracht wurde, fliesst in Strömen und auf dem grossen Scheiterhaufen, der zu Ehren der Götter entfacht wurde, garen die Schweine und Rinder. Es mangelt an nichts und lässt die Leute für einen Tag ihre Sorgen vergessen. Sogar die Reichen, aus dem südlichen Viertel Seydar, sind an das grosse Feste der Ernte gekommen und sitzen ein wenig abseits des Geschehens. Doch so manch einer hat seine goldenen Ketten und Ringe abgelegt, um sich dem Tanz um das Feuer anzuschliessen.
Und mitten in dem Getrubel tanzt Keira Ciallmhar, Tochter des berühmten Heilers Kian, ausgelassen durch die Menge. Ihre hellbraunen Haare glänzen im Licht der Sonne und ihre Wangen sind von der Anstrengung leicht gerötet. Barfuss wirbelt sie über den Boden und ein glückliches Lächeln ziert ihr Gesicht.
Als der letzte Ton des Stückes verklungen ist, stimmt sie strahlend in den Applaus der Menge ein und richtet ihr grünes Kleid zurecht. Wie schön der heutige Tag nur ist!
"Liebe Bürger von Seydar!" Die laute Stimme von König Reidros hallt über den Platz und Keira dreht sich neugierig zu ihm um. Zusammen mit seinen Gefolgsleuten, der Königin und seinem Sohn beobachten sie das Fest vom Balkon des Rates aus. Es ist selten, dass man den König zu Gesichte bekommt, da er sich lieber in seiner Burg aufhält und berauschende Feste feiert und sich mit Frauen vergnügt. Im Gegensatz zu den anderen Könige, die über das Land Siar herrschen, gehört er zu der jungen Generation. Angeblich sollte er nicht einmal 30 Winter gesehen haben.
"Mögen die Götter uns wohl gesinnt sein und unserem Land grosse Ernte schenken! Trinkt auf unser Land und auf unsere Weiber!", ruft der bereits angetrunkene König und erhebt seinen Kelch. Schmunzelt beobachtet Keira, wie seine Frau verächtlich die Nase rümpft und ihrem Gatten einen bitter bösen Blick zu wirft, währenddem die Menge ihrem Herrscher zujubelt. Wie es scheint, ist auch in der adligen Gesellschaft nicht alles so rosig, wie sie es dem Volk immer vorgaukeln. Die lauten Töne der Fanfaren erklingen und der Priester schreitet mit seinen in weiss eingehüllten Gehilfinnen, welche je ein Huhn in den Händen hält, zum Feuer. Der Geruch nach Weihrauch und Drachenblut erfüllt die Luft, welche zur Weihung der Götter verbrannt werden. Leise murmelnd hält der Meister den Kelch, gefüllt mit Pferdeblut und Wein, als Zeichen der Dankbarkeit in den Himmel. "Den ewigen Flammen sollt ihr dienen und jeder Ungläubige in ihnen schmoren. Möge das Feuer eure Gaben annehmen und euch vor Strafen verschonen!", ruft der alte Mann und schneidet den beiden Hühnern die Kehle durch, als Zeichen der Sünde.
Gespannt beobachtet Keira, wie die Menschen nun langsam vortreten und ihre Opfer ins Feuer werfen. Meistens sind es alte oder kranke Leute, deren Leben schon bald in die Hände der Götter gelegt werden und sich vor ihrem Zorn fürchten. Zum Beispiel die alte, blinde Frida, welche bereits seit drei Jahren tot hätte sein müssen und nun jedes Jahr um Erbarmen fleht, dass sie die Götter in das ewige Reich aufnehmen würden.
Natürlich bringen auch die Bauern ihre Geschenke an die brennenden Flammen und bitten um reiche Ernte, mit dem sie den langen Winter überstehen.
"Schön Sie zu sehen, Fräulein Ciallmhar!", ertönt eine helle Stimme hinter ihr und Keira dreht sich erschrocken um.
Eine ältere Frau, mit zwei rothaarigen Mädchen an der Hand, lächelt sie freundlich an.
"Oh, Fàite, Lady Rose. Ich habe Sie gar nicht erkannt!", spricht Keira und verbeugt sich höflich. Lady Rose ist eine gute Freundin von ihrem Vater und schon oft hat er Keira auf die andere Seite der Brücke mitgenommen, wo die Adligen wohnen. Noch nie hat sie so prachtvolle Gärten gesehen mit exotischen Blumen aus fernem Land.
"Werden Sie auch etwas den Götter opfern?", fragt Lady Rose und ihre Kinder kichern leise.
"Ich denke nicht. Ich wüsste nicht, um was ich bitten könnte!", antwortet Keira und schämt sich gleich darauf auf ihr vorlautes Mundwerk. Doch Lady Rose lacht nur amüsiert und mustert sie liebevoll. "So wortgewandt wie dein Vater! Richte ihm freundliche Grüsse aus. Ihr seit zu jeder Zeit herzlich Willkommen in unserem Hause!"
"Ich danke ihnen, Lady Rose." Mit einem freundlichen Nicken verabschiedet sie sich von Keira und begibt sich zum Tisch der Adligen. Lächelnd blickt sie ihnen hinterher, als plötzlich lautes Gemurmel hörbar wird. Die Leute beginnen leise mit einander zu flüstern und man hört Pferdegetrappel. Ein ungutes Gefühl breitet sich in Keira aus und ihr Blick wandert nervös über die Menge. Eine Gasse wird gebildet und zwei Soldaten preschen auf ihren Pferden in Richtung Haus des Rates. Beide tragen das Banner von Seydar - einen goldenen Fasan auf schwarzem Hintergrund, als Zeichen für Reichtum und Wohlstand. Ein Schauer jagt über Keiras Rücken, als sie das frische Blut auf ihren Schwertern sieht, welches im Licht der Sonne rubinrot glänzt. Das Gestüt kommt schnaubend vor dem Gebäude zu stehen und die Wächter verschwinden eilig ins Haus. Eine unangenehme Ruhe breitet sich über den Platz aus, als plötzlich ein altes Weib mit weissen, verfilzten Haaren laut zu schreien beginnt. "Die Götter strafen uns! Unheil wird über die Stadt kommen!" Unruhe breitet sich in den Menschen aus und jeder versucht möglichst weit weg von dem wohl besessenen Weib zu kommen. Vielleicht liegt es an der Hitze, oder auch an dem vielen Alkohol, doch so mancher ruft hasserfüllte Worte und Drohungen zum König hoch und es scheint, als wären viele von unbändige Wut und Hass getrieben. Die verängstigten Leute drängen und drücken sich und so manches Kind droht unter den Schritten tot getrampelt zu werden.
Ein starker Schlag in die Magengrube lässt Keira laut aufkeuchen und Tränen steigen in ihre Augen. Verzweifelt versucht sie die schützende Hauswand zu erreichen, doch immer wieder wird sie von Menschen nach hinten gezerrt. Verängstigt blickt sie um sich und erkennt sie, wie die alte Frau, die immer noch kreischend am Boden liegt, von zwei Soldaten weg gezerrt wird.
Panik breitet sich in ihr aus, als sie eine starke Hand an der Schulter packt und sie durchs Gewühl, in eine sichere Gasse zieht.
Nach Luft schnappend stützt sich Keira an die Wand und streicht sich die Tränen aus dem Gesicht.
"Lasíe! Ihr Vater wünscht sie im Lazarett zu sehen. Es ist dringend!" Ein grosser Mann, auch mit dem Wappen von Seydar auf seinem ledernen Harnisch geschmückt, blickt sie prüfend an. Keira nickt verwirrt und beobachtet, wie Soldaten einige Menschen brutal vom Platz schleifen, ehe sie mit dem Mann den Platz verlässt.
"Hat er gesagt um was es geht?", fragt Keira nach einer Weile, während dem sie durch die engen Gassen von Seydar eilen. Der Mann schüttelt den Kopf und beschleunigt seine Schritte. Der Gestank nach Urin und Verwesung steigt in Keiras Nase und lässt sie würgen. Das Lazarett liegt im ärmsten Teil von Seydar, wo die Strassen so eng sind, dass oft nur ein Mensch durchgehen kann und wo Ratten und Bettler in der selben Ecke schlafen.
Eine Gruppe von Soldaten nähert sich ihnen mit gezückten Speeren und Keiras Augen weiten sich. Die dunkelbraunen, leicht gekrausten Haaren mit dem kantigen Gesicht kommen ihr schrecklich bekannt vor. Zwar wusste sie, dass er als Wächter im Schloss für den König arbeitet, aber das er nun in der Garnison arbeitet, machte ihr Angst.
Sein Blick ist starr nach vorne gerichtet und sein Gesicht zeigt keine Mimik.
Trotzdem erkennt sie in seinen blauen Augen die Spur von Angst und Unsicherheit.
Ohne sie zu beachten, ziehen die Männer an ihnen vorbei und hinterlassen in Keira eine bittere Traurigkeit. Irgendetwas ungutes liegt in der Luft - da ist sie sich sicher!
Schweigend erreichen sie das Lazarett. Erst letzten Sommer wurde es durch einen Grossbrand vollkommen niedergebrannt und mühselig aus Stein wieder aufgebaut. Im Vergleich zu den anderen Krankenstädten, die Keira bereits auf ihren Reisen durch Siar besucht hatte, wirkt es dennoch sauber und ist mit einigen modernen Apparturen ausgestattet.
"Mòran tain! Ich danke euch für eure Hilfe!", murmelt Keira und verneigt sich höflich.
Zögerlich betritt sie das grosse Tor, gespannt was nun auf sie warten wird. Der beissende Geruch nach Alkohol und Blut steigt in ihre Nase und erinnert sie sofort an die langen Nächte, die sie hier verbracht hatte. Im Gebäude herrscht eine drückende Hitze und obwohl wenige Menschen auf den Holzpritschen liegen, ist der Raum erfüllt mit aufgebrachten Stimmen.
Schon von Weitem erkennt sie ihren Vater Kian, welcher sich mit einigen anderen Männer unterhält. Mit seinen breiten Schultern, den kräftigen Armen und seinen zerschundenen Händen wirkt er mehr wie ein Schmied, als wie ein Heiler. Wenn man ihn darauf anspricht, erwidert er lächelnd, dass sich die Schmiedekunst gar nicht so sehr vom Heilen unterscheide. Wie Recht er doch hat!
"Ah Keira! Du kommst gerade rechtzeitig!", ruft er mit gedämpfter Stimme und seine Augen blicken sie besorgt an. Nervös streicht sie sich eine Strähne aus dem Gesicht und verneigt sich höflich vor den fünf Herren, welche sie nur abschätzig mustern. Es müssen wohl wichtige Leute sein, denn sie sind gekleidet mit seidenen Stoffen und goldenen Ketten - womöglich aus der Königsfamilie.
"Ich denke, wir werden nun alleine zu Recht kommen!", spricht Kian kühl und verabschiedet sich mit einem höflichen Händedruck von ihnen. Erst als die Türe krachend ins Schloss fällt, zieht Kian den Vorhang des Bettes beiseite und offenbart ihr den Grund ihres Kommens. Ein junger Mann, ungefähr in ihrem Alter, liegt bewusstlos auf der Pritsche. Sein Oberkörper ist mit tiefen Schnitten verseht und an seinem rechten Oberarm klafft eine grässliche Wunde. Sein ganzes Gesicht ist blutüberströmt, wobei das meiste Blut wohl von seinem linken, zerfetzten Ohr stammt und seiner gebrochenen Nase.
"Wolfsangriff?", murmelt Keira mit klopfendem Herzen. Ihr Vater schüttelt den Kopf.
"Sei nicht dumm, Kind. Wölfe würden ihre Beute nie leben lassen und schon gar nicht zur Schau stellen." Verwirrt blickt ihn Keira an und das ungute Gefühl in ihrem Bauch verstärkt sich. "Einige Soldaten haben ihn nördlich der Burg gefunden. Bestimmt erinnerst du dich an den Steinkreis, wo König Reidros seinen Eid geschworen hatte. Er lag in der Mitte mit ausgebreiteten Armen. In seiner Hand haben sie das hier gefunden.", erklärt Kian und holt eine grosse, weisse Feder hervor. "Eine Schwanenfeder", flüstert Keira erstaunt und ein Schauer durchfährt ihren Rücken. "Was hat das wohl zu bedeuten?"
Für einen kurzen Moment glaubt Keira eine Spur von Trauer und Schmerz in seinen Augen zu erkennen und sie überlegt sich, an was er nun wohl denken mag. "Wir wissen es nicht. Aber die Ältesten deuten es als einen gezielten Angriff an den König.", antwortet er zögernd.
"Aber genug geredet. Ich werde die nächsten paar Tage und Nächte bei ihm bleiben. Vielleicht wird er die Nacht nicht überleben. Deshalb wirst du in nächster Zeit für mich einspringen! " Ein leichtes Lächeln huscht über Keiras Gesicht. Es ehrt sie, dass Vater in ihr Können vertraut. "Ich danke dir!", sagt sie und nimmt das lederne Buch entgegen, welches Kian ihr entgegenstreckt. Es ist voll mit Rezepten, beschriebenen Krankheiten, Skizzen und Einträge und birgt so manch verborgenes Geheimnis. Stolz mustert er seine einzige Tochter, die zu einer jungen, starken Frau heran gewachsen ist und nun sein gesammeltes Wissen in ihren zarten Händen hält. Wie schnell die Zeit doch vergeht.
Glücklich streicht Keira über den wunderschön verzierten Einband mit den geschwungenen Ornamenten und den Blumen. Schon öfters konnte sie heimlich einen kurzen Blick über die verschiedenen Einträge erhaschen, doch Vater hat es ihr immer verboten, in seinen Sachen zu lesen. Zu gefährlich sei das Wissen über manche Sachen.
"So und nun hilft mir den armen Mann zu verarzten!", befielt Kian mit ernster Stimme und beginnt mit einem scharfen Messer die Kleidung vom Leibe des Mannes zu entfernen.
Die Sonne verschwindet bereits hinter den Bergen und die Nacht bricht über Seydar herein, als Keira mit schmerzenden Rücken die Schenke betritt. Fast sechs Stunden waren Vater und sie damit beschäftigt, die Wunden zu säubern und zu nähen, bis Kian sie zufrieden weg geschickt hatte. Sie betet zu den Göttern, dass der junge Mann die Nacht überstehen würde, doch mit solch schweren Verletzungen ist dies fast unmöglich. Keira schüttelt den Kopf und verdrängt diesen düstern Gedanken. Vater wird ihn bestimmt heilen!
Der allzu bekannte Geruch nach Bier, Schweiss und fettigem Fleisch dringt in ihre Nase und lässt sie angewidert husten. Die Luft ist erfüllt mit lautem Gelächter und den heiteren Klängen der Musikanten. Es scheint so, dass die gesamte Stadt sich hier versammelt hat, um bis in die tiefe Nacht hinein zu feiern, saufen und tanzen. Sogar die Händler, Matrosen und Vagabunden auf der Durchreise haben es sich bei einem Glas Met auf den Holzbänken bequem gemacht und erzählen lautstark von ihren Abenteuern durch die Länder. "Da bist du ja endlich, Weib! An die Arbeit.", befielt Brent mit ruppigem Ton und wendet sich dann wieder den beiden Frauen zu, welche ihm förmlich an den Lippen hängen. Brent ist der Besitzer der Taverne. Ein kleiner, untersetzter Mann mit einem wohlgeformten Bauch und einer Schweinenase, der er den Spitznamen "Muck" zu verdanken hatte. Schmunzeln begibt sich Keira hinter den Schanktisch, wo bereits Birgit mit dem Ausschank von schäumendem Bier beschäftigt ist.
"Viel los hier, was?", sagt Keira und stellt die Gläser auf das hölzerne Tablett ab.
"Kannst du laut sagen. Die Männer aus dem Süden trinken wie ein Fass ohne Boden!", flucht sie und zeigt auf den hintersten Tisch, wo sich eine Gruppe von Soldaten lautstark unterhalten. Es ist selten, dass sich Südländer in die Stadt verirren und wenn sie da sind, verbreiten sie nur Ärger. Doch niemand traut sich ein Wort gegen sie zu sagen, denn obwohl das Volk für ihr sittenloses, törichtes Verhalten bekannt ist, gehören sie zu den besten und gefürchtetsten Krieger. Ihr hitziges, unberechenbares Temperament ist so manchem zum Verhängnis geworden. Keira lacht und beginnt die weiteren Gäste zu bedienen. Sie liebte es hier zu arbeiten. Vor allem haben es ihr die spannenden Abenteuer von nah und fern angetan, die so manch einer zum Besten gibt. Und wo sonst treffen sich Menschen von Nord und Süd, als in einer Taverne?
"Warst du heute beim Fest der Ernte?", fragt Birgit sie, als sie zusammen weiter Krüge voller Wein in die Schenke tragen. Keira nickt und die lauten Schreie hallen ihr wieder durch den Kopf. "Es war aufgregend. Später wurde die alte Frau wegen Besessenheit hingerichtet und einige Männer wegen Betrug ausgepeitscht!", erzählt sie und ihre Augen leuchten. "Und du hast alles natürlich ganz genau beobachtet, was?", murmelt Keira höhnisch und stellt die Kiste auf den Boden ab. Noch nie konnte sie es verstehen, wie solch grässliche Geschehnisse ein Spektakel für die Bewohner von Seydar war und jeder davon erzählte.
"Weib!", ruft der eine von den Südländern plötzlich und hält seinen leeren Krug hoch. "Lass nur, ich mach das schon!", murmelt Keira genervt und begibt sich mit dem Tablett auf der Hand zu ihnen. Gekonnt schlängelt sie sich durch die tanzenden Menschen, ohne dabei einen Tropfen zu verlieren und stellt es auf dem Tisch ab. "Wünschen die Herren sonst noch etwas?", fragt sie höflich und blickt die Männer auffordern an. Doch diese sind zu sehr mit ihren Begleiterinnen beschäftigt, dass sie Keira gar nicht bemerken. Gerade als sie gehen will, spürt sie eine Hand auf ihrem Gesäss und wütend wirbelt sie herum. Ein älterer Mann, mit eiskalten, blauen Augen funkelt sie mit lüsternem Blick an. Seine Haare sind an manchen Stellen bereits ergraut, doch sein gebräuntes Gesicht ist straff, wie das einer Jungfrau. "Sie an, die Tochter von Kian. Schön bist du geworden! Bleib doch noch bisschen bei mir", spricht der Mann höhnisch und mustert Keira von Kopf bis Fuss. Angeekelt wendet sie sich ab, doch der Mann packt sie am Arm und zieht sie wieder zu ihm zurück. Wut durchströmt Keira, doch der feste Griff an ihrem Handgelenk lässt sie inne halten. "Hat dir deine Mutter keine Manieren beigebracht?", knurrt er abschätzig. "Wie können sie es...!" Ein heftiger Schlag trifft Keira im Gesicht und sie keucht schmerzerfüllt auf. Tränen steigen in ihre Augen und ohne sich umzudrehen, verschwindet sie in der Küche. Die Musiker haben aufgehört zu spielen und alle Blicke sind auf den hintersten Tisch gerichtet.
"Verfluchte Giftmischerin! Frauen wie dich sollte man verbrennen! ", schreit der Mann ihr hinter und spuckt verächtlich auf den Boden. Mit einer erzürnten Handbewegung befielt er den angetrunkenen Männer aufzustehen und mit lauten Schritten verlassen sie die Schänke. Für einen Moment herrscht im Raum erstaunte Stille, ehe die Musik wieder beginnt und jeder so tut, als sei nichts geschehen. Nur Keira wischt mit geröteten Augen und Wangen den Tisch sauber. Es war nicht das erste Mal, dass sie jemand als Giftmischerin, Hexe oder Ungläubige beschimpft hatte. Seit dem das jegliche Art von Magie im Lande Siar verboten wurden, wächst der Hass gegen die Heiler, Hebammen und Kräuterfrauen und schon manche Frau wurde deswegen unschuldig hingerichtet.
Aber was soll man machen - es ist nun mal so
Schon als die ersten Sonnenstrahlen den Himmel durchbrechen und die Berge in goldenes Licht gehüllt werden, sitzt Keira mit einer Tasse Kamillentee am Küchentisch und geniesst die Ruhe des Morgens. Sie war schon immer ein Frühaufsteher und liebte es den Tau von den Kleeblättern zu trinken, den frischen Wind auf ihrer Haut zu spüren und barfuss durch die nassen Felder zu rennen. Und obwohl der wolkenlose Himmel einen wunderbaren Tag verspricht, hängen Keiras Gedanken immer noch am gestrigen Abend. Es beschämt sie, dass Menschen so über sie reden und überhaupt so denken. Es wundert sie, dass das wertvolle Wissen über das Heilen verpönt wird, aber die Menschen lieber an Götter und deren Macht glauben, als ihr Glück selber in die Hand zu nehmen.
"Guten Morgen, Schwester." Die Stimme von Bradin, ihrem ältesten Bruder, reisst sie aus ihren Gedanken. "Guten Morgen, Bruder. Gut geschlafen?", murmelt Keira und lächelt ihn müde an. Seine schwarzen Locken stehen ihm wirr vom Kopf und bilden einen schönen Kontrast zu seiner bleichen Haut und den braunen Augen.
Bradin nickt und setzt sich ebenfalls mit einer Tasse Tee zu ihr an den Tisch.
"Was für ein schöner Morgen - und ich muss den ganzen Tag verbringen", murmelt er und streckt sich ausgiebig. Bradin lehrt bei Meister Marton die geheime Kunst der Alchemie und schon oft ist er mit Verbrennungen und schlimmen Husten nach Hause gekommen, doch er liebte seine Arbeit.
"Wieso wurde die Magie eigentlich verboten?", fragt Keira ihn nach einer Weile und blickt ihn neugierig an.
Nachdenklich lehnt er sich in den Stuhl zurück und streicht sich über seinen Stoppelbart.
"Gute Frage. Ich denke weil Magie nicht mehr zu uns gehört. Es ist chaotisch, unberechenbar, fast barbarisch. Sieh dir Almor an!", sagt er und zuckt dann mit den Schultern. Traurig nippt Keira an ihrem Tee. Wie Recht er doch hat! Die grösste Stadt in Siar ist berühmt für seine komplexen Maschinen und Geräten und symbolisiert die Macht der Menschen. Sogar auf ihrem Wappen prangt der Satz: "Agus a chrathú" - Denke und erschaffe!
"Sag mal, wieso interessiert dich das plötzlich. Hat dir Vater gestern etwas von seinem Auftrag erzählt?", fragt Bradin und mustert sie mit besorgtem Blick. "Nein, nur das sie davon ausgehen, dass es eine Botschaft an den König war", nuschelt sie. Mit gerunzelter Stirn und seinem durch dringlichen Blick lehnt er sich zurück.
"Pass bitte auf dich auf, wenn du heute zu den Kunden gehst. Wie du ja weisst...".
"Ja, ich weiss!", unterbricht ihn Keira und steht wütend auf. "Ja ich weiss, dass es gefährlich ist!" Mit Tränen in den Augen packt sie ihre kleine Tasche und ihre Wolljacke und verlässt das Haus. Der kalte Morgenwind peitscht durch ihre Haare und mit geballten Händen rennt sie den kleinen Weg zum Stadttor empor. Vorbei an den Höfen der Bauern, den saftigen Wiesen und goldenen Kornfelder, vorbei an den Wachen und den alten Weibern, die ihre nasse Wäsche zum Trocknen aushängen. Erst als Keira das fröhliche Lachen der Kinder hört, welche am Strassenrand mit Steinen spielen, beruhigt sie sich und freut sich auf ihre bevorstehende Arbeit.
"Dies sollte den Husten lindern!", flüstert Keira mit leiser Stimme und verstreicht die Salbe vorsichtig auf ihrer Brust. Die alte Frau liegt schweissgebadet im Bett und ihre Augenlider flattern, als die kühle Salbe ihre Haut berührt. Der herbe Duft nach Salbei, Fichte und Thymian erfüllt den kleinen Raum und überlagert den beissenden Geruch von Schweiss und Erbrochenem. Obwohl es erst früh am Morgen ist, scheint die Sonne bereits hell ins Zimmer und vertreibt all das Böse. Ein letztes Mal legt sie das kühle Leinentuch auf ihre Stirn, um das Fieber zu senken und wendet sich dann zu der besorgten Tochter zu. "Reiben sie diese Salbe jeden Abend auf ihre Brust und ihrer Mutter wird es bald besser gehen.", flüstert Keira und gibt der jungen Frau das kleine Gefäss. Dankbar blickt sie sie mit geröteten Augen an und drückt ihr zwei Goldmünzen in die Hand. Mit einem höflichen Nicken verlässt Keira das kleine Haus und betritt die Gassen von Seydar. Der kühle Morgenwind weht durch ihre Haare und lässt sie aufatmen. Zufrieden zupft sie ihr Kleid zurecht und schlendert gemütlich die kleine Strasse hoch. Sie mochte diesen Teil der Stadt schon immer. Kleine Geschäfte reihen sich der Gasse entlang, der Boden ist sauber und die Häuser mit bunten Blumen dekoriert. Alles wirkt so friedlich, fast paradiesisch. Der feine Geruch nach duftendem Brot strömt ihr entgegen und lässt ihr Magen knurren. Vor der Bäckerei bleibt sie stehen und spielt unschlüssig mit der Goldmünze. Obwohl das Geld für ihr Vater bestimmt ist, beschliesst sie ein Leib Brot für den Hunger zu kaufen und betritt die kleine Backstube. Sofort erblickt sie Selma, eine rundliche Frau die immer ein Lächeln auf dem Gesicht hat und in der Stadt für ihre Geschichten und Geschwätz bekannt ist. Gerade unterhält sie sich mit einer dürren Frau und währendem Keira ihren Blick über die frischen, knusprigen Brote schweifen lässt, lauscht sie gespannt den Worten der Bäckersfrau. "...mein Mann erzählte mir, dass es wohl düstere Wesen sein sollten. Weisst du, diese aus den uralten Legenden." Verschwörend blicken sich die beiden Frauen an. "Und hast du das Heulen in der Nacht gehört? So schreckliche Geräusche machen keine Wölfe!". "Pah, ich sag dir! Die wollen unsere Stadt besetzten. Aber nicht mit uns! Nicht wahr, Kleines?" Selmas mustert Keira prüfend und wendet sich dann wieder der Frau zu. Leise unterhalten sie sich, ehe die Frau mit grimmigem Gesicht die Bäckerei verlässt und Selma ihr mit einem breiten Lächeln ein Leib knuspriges Brot übergibt.
Als Keira endlich den Laden verlässt, schwirrt ihr Kopf von dem lauten Lachen von Selma und deren vielen Geschichten über ihre Kinder. Glücklich reisst sie sich ein Stück Brot ab und setzt ihren Weg fort. Was die Frau wohl für Wesen gemeint hatte? Wahrscheinlich irgendwelche Ammenmärchen, die sie ihren armen Kinder als Gute Nacht Geschichte erzählen.
Lächelnd biegt sie in eine kleine Seitenstrasse ein, welche hier auch als Werkgasse bezeichnet wird. Bereits von Weitem hört sie das vertraute Hämmern auf Eisen, das Rattern der Steine und der Geruch nach Feuer und Metall dringt in ihre Nase. Sofort erinnert sie sich an die vielen schönen Momenten, die sie hier verbracht und die grossen Abenteuer, die sie mit ihren drei Brüdern erlebt hatte. Mit kleinen Holzbooten haben sie am reissenden Bach gespielt und wie oft flüchteten sie lachend vom erzürnten Müller, bis sie nach Luft schnappend, lachend am Boden lagen. Doch der schönste Ort war immer noch die alte Werkstatt von Meister Iaran. Dort wo das Feuer Tag und Nacht loderte und wo stumpfe Schwerter und Messer gewetzt wurden, bis sie im Licht der Sonne funkelten. Für Keira ist es ein magischer Platz. Auch heute noch liebte sie es, seinen Geschichten über mystische Gestalten oder seinen Reisen durch den Norden zu lauschen. Doch heute hatte sie einen anderen Grund für ihren Besuch.
Der alte Mann erwartet sie bereits mit offenen Armen am Eingang seiner Werkstatt und seine braunen Augen leuchten so hell wie das Feuer in der Schmiede.
"Da bist du ja endlich, Lasie! Komm her mein Kind!", ruft er und zieht Keira in seine stämmigen Arme. "Sei gegrüsst, Iaran. Wie geht es dir?", sagt sie und streicht sich lächelnd den Russ vom Gesicht. "Gross bist du geworden!", brummelt er und mustert sie stolz wie seine eigene Tochter. "Ich danke dir! Aber ich bin wegen etwas anderem gekommen." "Komm, ich muss dir was zeigen!", unterbricht Iaran sie und verschwindet humpelnd in seiner Werkstatt. Keira wusste, dass der alte Mann nicht gerne die Hilfe von anderen annimmt, vor allem wenn es um seine Gesundheit geht. Er war stur wie ein erkaltetes Metall und für seine doch schon 80 Jahre, steckte in ihm der Trotz und die Naivität eines Kindes. Kopfschütteln folgt Keira ihm in die Schmiede, wo er bereits mit strahlendem Gesicht und etwas glänzendem in den Händen auf sie wartet. "Sieh mal, dass habe ich bei den Mienen gefunden.", flüstert er und streckt ihr ein goldenes Horn entgegen. Verwirrt mustert Keira das vergoldete Geweih, welches sich in eleganten Drehungen zu einer messerscharfen Spitze formt. "Ein Widderhorn!", murmelt sie ehrfürchtig und hält es vorsichtig in die Sonne. Als Kind hatte sie in Almor das erste und letzte Mal ein solches Tier gesehen, ehe es den Göttern geopfert wurde - wahrscheinlich eines der letzten seiner Art. In Siar stand der Widder als Zeichen für die Wildheit, das unbändige Chaos und die Finsternis der Magie und galt als schreckliches Vorzeichen für Tod und Verderben. "Als ich es gefunden habe, war es blutverschmiert. Es schien mir so, als hätte es jemand brutal herausgerissen!", murmelt Iaran mit geheimnisvoller Stimme und seine Augen funkeln aufgeregt. Ein Schauer jagt über Keiras Rücken und sie blickt den alten Mann mit gerunzelter Stirn an. "Aber alle Widder wurden doch getötet oder in den Norden geschickt?", murmelt sie und fährt mit ihren Finger über das gerillte Horn. "Ohja, Lasie! Ein grausiges Abkommen war das. Der blutrünstige König Guma forderte damals fünfzig Dutzend von Widder. Genau so viele, wie seine Kämpfer, welche in Kampf gegen das westliche Königsreich gefallen sind. Was war das für eine grässliche Zeremonie, mein Kind! Noch heute siehst du das riesige Feld, welches sich an der Grenze zwischen Siar und Nurba wie eine ockerfarbene Wüste erstreckt. Legenden besagen, dass zu jedem Leermond die Toten aus der Erde steigen und.." "Vater! Was erzählst du wieder für Märchen! Du siehst doch, dass die gnädige Keira wegen etwas anderem gekommen ist!" Die laute Stimme unterbricht die schauderhaften Geschichten von Iaran, welche leise fluchend das Horn in eine Truhe wegsperrt.
Keira dreht sich zu ihm um und blickt in die blauen Augen von Mael, welcher im glänzenden Harnisch im Türrahmen steht. Höflich verbeugt sie sich, ehe sie mit gespielter Abneigung sich wieder Iaran zuwendet. "Du hast deinen Sohn gehört. Da er nun in der obersten Garnison arbeitet, müssen wir ihm wohl gehorchen!", sagt sie zynisch und ohne Mael einen Blick zu würdigen, verschwindet sie durch die Nebentür in das kleine Haus. Das Feuer knistert im Ofen und ein köstlicher Geruch nach gebratenem Fleisch erfüllt den kleinen Raum. Aus der Küche ertönt das Scheppern von Töpfen und das fröhliche Pfeifen von Berit, welche mit gerötetem Gesicht den dampfenden Eintopf umrührt.
"Sei gegrüsst, Keira. Bleibst du noch zum Mittagessen? Owen hat heute morgen sein erstes Kaninchen erlegt!", ruft sie erfreut. "Fáilte, Berit! Da kann ich nicht nein sagen, bei deinen Kochkünsten!", spricht Keira und Freude durchflutet sie. "Aber zuerst müssen wir deinen Mann verarzten!" Ein hämisches Lachen ertönt aus der Küche und Iaran grummelt missmutig vor sich hin.
"So, Iaran. Nun zeig mir mal deinen Fuss!", befielt sie mit ernstem Ton und kniet sich zu ihm hinunter. Vor ein paar Tagen kehrte er spät Abends, leicht angetrunken, nach Hause zurück und wollte die Hufeisen für die Pferde des Königs noch fertig schmieden. Dummerweise fiel ihm das glühende Eisen auf den Fuss, welcher nun krebsrot glüht und mit Brandblasen übersät ist. Wahrscheinlich hat er mit seinem Fluchen die ganze Nachbarschafts zu Tode erschreckt.
Nachdem Keira die Verletzung mit einer kühlenden Salbe eingerieben und alles in frische Leinentücher eingewickelt hatte, klopft sie ihm aufmunternd auf den Rücken.
"So, ich hoffe du hast was draus gelernt!", sagt sie und lächelt ihn amüsiert an. Iaran bricht in lautes Gelächter aus und erntet von seiner Frau einen verächtlichen Blick.
"Du sprichst wie eine weise Frau, Tochter von Kian Ciallmhar! Dein Vater hat dir viel beigebracht!", grunzt er und mustert Mael, welcher gerade zur Türe herein kommt. "Im Gegensatz zu meinen Söhnen, hast du wenigsten Anstand!"
Ein leichtes Lächeln huscht über Keiras Gesicht, als sie das gerötete Gesicht von Mael sieht und ihr Ärger von gestern verfliegt sofort. "So, jetzt wird nicht gestritten", ruft Birgit und stellt einen grossen Topf auf den Holztisch.
Im Nu haben sich alle versammelt und geniessen den saftigen Kaninchenbraten mit Kartoffeln und Karotten. "Wo ist eigentlich dein Vater?", fragt Berit nach einiger Zeit und alle Blicke richten sich auf Keira. Nervös streicht sie sich eine Strähne aus dem Gesicht und zögert mit ihrer Antwort. "Gestern wurde ein Schwerverletzter ins Lazarett gebracht. Vater muss sich nun um ihn kümmern.", murmelt Keira und wirft einen ernten Blick zu Mael, welcher sie wissend anblickt. "Ich glaube Keira muss langsam gehen!", ruft Mael und erhebt sich, ehe Birgit nachfragen wollte. "Ich danke euch, für eure Gastfreundschaft. Aber er hat Recht, die Arbeit wartet!", sagt Keira entschuldigend und verbeugt sich leicht. "Das ist aber schade! Komm uns bald wieder besuchen.", brummt Iaran und wirft seiner Frau einen bitterbösen Blick zu.
Schweigend verlassen Keira und Mael das Haus und schlendern die Gasse entlang.
"Sag mal, was war das gestern?", fragt Keira nach einiger Zeit ohne ihn anzublicken. Mit einer energischen Bewegung kickt er einen Stein durch die Strassen, eher mit rauer Stimme antwortet. "Ich wurde befördert. Gehöre nun zu der obersten Garnison und es ist mir nicht erlaubt, während der Arbeit mit anderen zu sprechen." Wut keimt in Keira auf und sie fragt sich, seit wann Mael so überheblich und arrogant geworden ist. Missmutig beschleunigt Keira ihre Schritte und hofft, dass er sie nun alleine lassen würde.
Doch wie Mael ist, schliesst er bald zu ihr auf und grinst sie mit dem schelmischen Grinsen an. "Wie geht es dir eigentlich?", fragt er mit sanfter Stimme und kneift ihr freundschaftlich in den Arm. Ein leises Lachen entfährt Keira und sie funkelt ihn gespielt wütend an. "Eigentlich ist gerade sehr viel los. Wahrscheinlich hast du es mitgekriegt, dass ein Schwerverletzter in das Lazarett eingeliefert wurde und Vater muss sich nun um ihn kümmern. So bleibt die ganze Arbeit an mir hängen.", erklärt Keira. "Ein Schwerverletzter so, so. Fast Tod war er, als wir ihn am Waldrand gefunden haben!", murmelt Mael betrübt und fährt sich durch sein braunes Haar. Erstaunt bleibt Keira stehen und blickt ihn entgeistert an. Die dumpfen Schläge der Kirchenglocke hallen über den Marktplatz und läuten den Nachmittag ein. "Du, ich muss gehen. Wir werden später weiterreden. Aber pass auf dich auf! Etwas Ungutes liegt in der Luft!", sagt Mael und blickt sie entschuldigend an. Keira nickt nur und drückt sich an seine warme Brust. Der Geruch nach Leder, Holz und Pfefferminz dringt in ihre Nase und lässt sie beruhigen. Zärtlich streicht er über ihre gekrausten Haare, ehe er sich von ihr löst und den steilen Weg zur Burg erklimmt. Alleine steht Keira mitten auf dem Marktplatz und die kreischenden Rufen der Nebelkrähen, welche haarscharf an ihr vorbei fliegen, verstärken ihr Gefühl, dass sie seit Tagen plagt. Irgendetwas liegt in der Luft!
Mit verschwitztem Gesicht und geröteten Wangen wischt Keira den dreckigen Boden und ihre Glieder schmerzen von der heutigen Anstrengung. Einige Mienenarbeiter, Händler und Fischer sitzen zu später Stunde noch auf ihren Stühlen und geniessen ihren letzten Krug Met nach der harten Arbeit. Die Musiker sind schon vor ein paar Stunden nach Hause gegangen und so herrscht eine angenehme Stille in der sonst so lauten Taverne. Im Hinterraum hört Keira die dumpfe Stimme von Brent, welcher sich mal wieder mit Birgit über ihren Lohn streitet , wie sie es jeden Abend machen. Kopfschüttelnd sammelt Keira einige Münzen von Boden auf und steckt sie in die Taschen ihres Leinenkleides, als sie aus dem Augenwinkel eine dunkle Gestalt wahrnimmt. Im Schatten der hintersten Ecke und mit hinuntergezogener Kapuze sitzt sie da und blickt starr auf das kleine Etwas in ihrer Hand. Ein mulmiges Gefühl breitet sich in Keira aus und verwirrt begibt sie sich hinter den Schanktisch. Wie lange die Gestalt wohl schon da sitzt? Vielleicht ist es ein Bandit oder Vagabund? Doch als eine erzürnte Birgit das Hinterzimmer verlässt und mit geballten Händen sich neben sie stellt, beruhigt sich Keira. Wahrscheinlich nur ein verrückter Landstreicher. "Dieser geizige Hund. Hätte ich nicht zwei Kinder, wäre ich schon längst von diesem stinkenden Ort abgehauen!", flucht Birgit und schenkt sich ein Glas Kräuterschnaps ein. "Sei froh, dass du noch keine Kinder hast. Sie rauben dir die besten Jahre!" Keira mustert sie traurig. Bereits mit zarten fünfzehn Jahren musste sie heiraten und brachte kurz darauf ihr ersten Kind zur Welt. Daraufhin folgten fünf Fehlgeburten, ehe sie letztes Jahr einem kerngesunden Jungen gebar. Wahrlich, Keira war froh, dass ihr Vater ihr die Freiheit liess, selber zu entscheiden, wen und wann sie heiraten möchte.
Gerade als Keira Birgit auf die Gestalt ansprechen wollte, hört sie von draussen die lauten, tiefen Klänge der Kirchenglocken und atmet erleichtert auf. Als wären sie sein Stichwort, betritt Brent mit krachender Türe den Raum und schickt die wenigen Besucher nach Hause. Keira mustert verwirrt die herausgehenden Menschen und stellt mit Erstaunen fest, dass die Gestalt bereits die Taverne verlassen hatte. Still und ungesehen - wie eine Schattenwesen.
"Keira, du siehst aus, als hättest du Geister gesehen!", lacht Brent mit lauter Stimme und drückt ihr zwei mickrige Silbermünzen in die Hand. "Mehr gibt es heute nicht. Wir leben in harten Zeiten!", murmelt er und erntet von Birgit einen bitterbösen Blick. "Alte Schweinebacke!", flucht sie und Keira muss sich ein Lachen verkneifen. Sie war zu müde, um sich noch darüber aufzuregen und so verlässt sie zusammen mit Birgit die Taverne. "Aber wo der Alte Recht hat, hat er Recht. Es sind harte Zeiten. Vor allem wenn man so grässlich aussieht wie er!", witzelt Birgit und die beiden Frauen gehen lachend ihren Weg.
Es war eine kühle Nacht und düstere Wolken verdecken die Sicht auf den Mond und die Sterne. Nur die Laternen an den Hauswänden bieten den beiden Frauen ein wenig Licht und weisen ihnen den Weg durch die menschenleeren Gassen. Keira liebte es in der Nacht draussen zu sein, wenn alles ruhig und friedlich ist und doch ist sie froh, dass Birgit sie heute begleitet. Auf ihrem Weg Richtung Stadttor treffen sie auf einige Vagabunden, die zusammengesunken am Boden liegen und ab und zu hören sie das Quengeln von Kinder.
Plötzlich huscht etwas Dunkles an Keira vorbei und ein leiser Schrei entweicht ihrer Kehle. Birgit, welche einige Meter vor hier läuft dreht sich erschrocken zu ihr um und bricht dann in lautes Gelächter aus. "Du hast dich ernsthaft von einer Katze erschreckt!", prustet sie und Keira blickt verwirrt zu dem schwarzen Viech, welches nun auf der Mauer sitzt und sie hämisch anstarrt. "Ja schon gut. Heute war ein langer Tag!", murmelt Keira genervt und streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht. Missmutig beschleunigt sie ihre Schritte. Sie wünscht sich nichts sehnlicher als endlich in ihr warmes Bett zu fallen und insgeheim hofft sie, dass Vater zu Hause auf sie warten würde. Sie vermisst ihn sehr und vor allem macht sie sich grosse Sorgen um ihn. Irgendetwas stimmt an dieser ganzen Sache nicht.
"Keira, warte Mal! Bleib stehen!" Das leise Flüstern von Birgit reisst Keira aus ihren Gedanken. "Birgit, ich bin müde und nicht für deine Scherze aufgelegt!", murmelt sie erschöpft. "Hör doch!", sagt Birgit mit ernstem Ton und Keira bleibt genervt stehen. Und wirklich! Ein lautes Heulen, ähnlich wie Wolfsgeheule, nur viel schriller und unheimlicher hallt vom Wald über die Stadt und ein Schauer jagt über Keiras Rücken. "Was im Namen aller Götter ist das?", murmelt sie und blickt Birgit mit geweiteten Augen an. Sie schüttelt den Kopf und packt Keira an der Hand. "Das verheisst nichts Gutes! Komm, wir müssen schnell nach Hause!", ruft sie und wirft einen gehetzten Blick nach hinten. Die beiden Frauen rennen so schnell sie ihre Beine tragen über die Pflasterstrasse. Der kalte Wind weht in Keiras Gesicht und lässt ihr die Tränen ins Gesicht steigen. Ihr Atem geht flach und ihr Herz hämmert gegen ihre Brust. Laute Schüsse durchbrechen die Stille und sie zuckt zusammen. Was ist hier los? Der Druck an ihrer Hand nimmt zu und sie blickt in die ängstlichen Augen von Birgit. Die Strasse öffnet sich und das grosse Stadttor mit der imposanten Fasanenstatue steht wie die rettende Sicherheit vor ihnen. Das erste Mal freut sich Keira, die Wachmänner zu sehen, welche mit grimmigem Gesicht und ihren Speeren den Eingang kontrollieren. Nach Luft schnappend bleibt sie kurz stehen und streicht sich den Schweiss von der Stirn, ehe sie sich den Wachen nähert.
"König Reidros hat Ausgangsverbot über die ganze Stadt ausgehängt. Sie kommen hier nicht durch!", ruft der eine Wächter und blickt die beiden Frauen ernst an.
"Mein Name ist Keira Ciallmhar, Tochter von Kian Ciallmhar. Ich wohne beim Kornfeld", spricht Keira mit klarer Stimme und Wut durchströmt sie. Er mustert sie von Kopf bis Fuss und blickt dann Birgit an. "In Ordnung!", ruft er und gibt seinem Partner ein Handzeichen. Mit lautem Quietschen öffnet sich das Nebentor und die beiden Frauen eilen hindurch.
Erst als sie am ersten Bauernhaus angekommen sind, bleiben sie stehen und atmen tief durch. "Danke fürs Begleiten!", murmelt Keira und blickt Birgit dankbar an. "Komm gut nach Hause und pass auf dich auf!", antwortet sie und die beiden umarmen sich, ehe Birgit in eines der Häuser verschwindet. Ohne sich umzudrehen eilt auch Keira nach Hause und stellt enttäuscht fest, dass das Feuer im Ofen bereits erkaltet ist und wo sonst eine leere Tasse von Vater steht, bittere Leere herrscht. Besorgt blickt sie aus dem Fenster in den rabenschwarzen Nachthimmel und betet stumm zu den Göttern. Mögen sie die ganze Stadt vor Unheil schützen!
"Und es gab so viele Schiffe! Keira, du hättest die riesigen Segel sehen sollen und die hohen Masten. Die waren so gross wie ein Riese!", ruft Glen und wirft seine kleinen Hände in die Luft. Lächelnd streicht Keira über seine blonden, gelockten Haaren und hört den spannenden Erzählungen über Armor zu. Noch gut kann sie sich an ihren ersten Besuch erinnern. Staunend stand sie am Pier und beobachtete die vielen Schiffen, die mit wehenden Fahnen in den Hafen eintrafen. Majestätisch sahen die grossen Konstruktionen aus, wie sie auf dem endlos scheinenden Meer dahin segelten, sich mutig den Wellen stellten und den reissenden Strömungen trotzen. Wahrlich, damals war das Meer ein Traum für Keira. "Schau mal was ich dir mitgebracht habe!" Die aufgeregte Stimme von Glen reisst sie aus ihren Gedanken, welche ihr mit strahlenden Augen eine Figur entgegen streckt. "Ich hoffe sie gefällt dir!", murmelt er und blickt sie erwartungsvoll an. Gerührt betrachtet sie den Schwan, der aus hellem Birkenholz gefertigt und mit kleinen Steinen verziert ist, welche im Licht der Sonne in allen Farben glitzern. Wenn man auf einen kleinen Knopf drückt, öffnet sich sein Gefieder und ein kleiner Kompass kommt zum Vorschein.
"Danke! Er ist wundervoll!", stottert sie und nimmt ihren kleinen Halbbruder in die Arme. "Eine alte Frau hat ihn mir auf der Strasse gegeben. Sie hat gesagt, dass er mich von allen Gefahren schützt und mich immer nach Hause bringt! Aber ich finde, er passt besser zu dir!", nuschelt er. "Aber jetzt muss ich zu Alan und Marlo. Die werden neidisch auf mein Schiff sein!" Mit lautem Lachen verlässt der kleine Knirps mit seinem neuen Holzschiff in der Hand, das Haus und Keira blickt ihm lächelnd nach. Vater macht ab und zu Andeutungen, dass ihre Mutter genau so fröhlich, aufgestellt und strahlend war, wie Glan. Und obwohl Keira sie nie kennen gelernt hatte, glaube sie den Worten ihres Vaters. Es war das einzige, was er ihr über sie erzählt hatte und obwohl Keira so viele Fragen auf der Zunge brennen, akzeptiert sie seine Verschwiegenheit. Sie ist glücklich hier, mit ihren drei Halbbrüdern und Trista, welche für sie wie eine Mutter ist und manchmal ist es gut, wenn man die Vergangenheit ruhen lässt. Für einem Moment schliesst Keira ihre Augen und ordnet ihre Gedanken wieder, ehe sie ihre kleine Tasche vom Bett schnappt und den hölzernen Schwan sachte hineinlegt. Gestern Abend hat sie sich, trotz den mahnenden Worten von Bradin und Caden, dazu entschieden, Vater besuchen zu gehen. Prüfend blickt Keira aus dem Fenster und stellt missmutig fest, dass der Himmel mit dunklen Wolken bedeckt ist und bereits einige Regentropfen aufs Fenster prallen. Vielleicht schafft sie es noch, bevor das Unwetter über die Stadt einbricht. Mit schnellen Schritten verlässt sie ihr kleines Zimmer und bleibt in der Küche kurz stehen.
"Warst du bereits bei Vater?", fragt Keira Trista, welche am Spinnrad sitzt und die frische Wolle auf die Spule aufwickelt. Ohne von ihrer Arbeit aufzublicken schüttelt sie ihren Kopf. "Nein. Er hat mir nur einen Brief hinterlassen, dass es eine dringende Angelegenheit gab und ich mir keine Sorgen machen muss. Er sei in drei Tagen wieder zurück!" Mit einem leisen Seufzen bleibt Keira unschlüssig stehen. Es sind bereits vier Tage vergangen, seitdem sie ihren Vater im Lazarett besucht hatte. Er hätte sich schon längst bei ihr gemeldet, ausser wenn ihm etwas zugestossen sei. Keira war seit ein paar Tagen nicht mehr in der Stadt gewesen und doch hat sie immer wieder von tödlichen Angriffen und Unruhen gehört. Irgendetwas ungutes geht in der Stadt vor! Hastig verdrängt Keira diesen düsteren Gedanken und blickt Trista besorgt an. "Caden hat mir von deinem Vorhaben erzählt. Geh nur, ich halte dich nur auf. Vielleicht ist es sogar besser, wenn du ihn besuchst!", sagt sie mit leiser Stimme und ihre Augen glänzen traurig. Verwirrt über ihre Reaktion nickt Keira und verlässt eilig das Haus. Erstaunt stellt sie fest, das die braune Stute von Vater bereits gesattelt vor dem Stall steht und unruhig mit den Hufen scharrt. "Ich war mir sicher, dass du dich nicht von deinem Plan abbringen lässt, störrisches Mädchen!", ertönt die höhnische Stimme von Caden, welche mit einem breiten Grinsen hinter dem Pferd hervor tritt. "Dann hättest du mir aber besser einen Esel gegeben!", ruft Keira lachend, währendem sie sich auf den Rücken des Pferdes schwingt. "Dankbarkeit ist wohl auch nicht deine Art, was?", brummt er und reicht ihr die Zügel. "Ich danke ihnen, gnädigster Herr, für ihre Grosszügigkeit!", kichert sie und funkelt Caden glücklich an. "Oh, ehe ich es vergesse. Übergib Vater doch noch diesen Brief!", sagt er und drückt ihr einen kleinen Umschlag in die Hand, welche mit dem Siegel vom König verziert ist. Verwirrt blickt Keira ihn an und Caden zuckt nur mit den Schultern. "Ich weiss auch nicht mehr. Wehe du öffnest ihn, Fräulein. Du kennst Vater ja!", ermahnt er sie und schnalzt dann mit der Zunge. "Pass auf dich auf und sei vor Sonnenuntergang wieder da, ja!"
"Du klingst wie deine Mutter!", ruft Keira ihm zu, ehe sie aus dem Hof prescht. Ein starker Wind weht durch ihre Haare und die Kälte nagt an ihrem Körper. Keira drückt sich an den warme Hals der Braunen, um sich so ein wenig vom stärker werdenden Regen zu schützen. Es ist das erste Mal seit langem, dass sie mal wieder auf dem Rücken eines Pferdes sitzt und sie hat es wirklich vermisst. Als sie klein war, ritt sie fast den ganzen Tag durch die Felder und besuchte ihre Verwandten in den umliegenden Dörfern. Das waren noch schöne Zeiten!
Als Keira sich den Stadttoren langsam nähert, steigt ihr ein widerlicher Geruch nach Verwesung in die Nase und lässt sie würgen. Mit leisem Worten befielt sie der Stute langsamer zu gehen und nimmt die Zügel fester in die Hand. Am Strassenrand erkennt sie dutzende von Männern, welche mit Schaufeln in der Hand wohl irgendwelche Löcher graben und daneben stehen einige hölzerne Ladebarren, die Keira schrecklich bekannt vorkommen. Ein Schauer jagt über ihren Rücken, bei dem Gedanken, was wohl passiert sein könnte und sie überlegt sich, nicht wieder kehrt zu machen. Doch wenn wirklich etwas so derart schreckliches passiert ist, braucht Vater ihre Hilfe!
Tief atmet Keira durch und gibt dem Pferd die Sporen, ehe sich sie mit halsbrecherischen Geschwindigkeit durch das Stadttor prescht. Aus dem Augenwinkel erkennt sie noch einen leichenblassen Körper, welcher mit unnatürlich verformten, blutüberströmten Gliedmassen auf der Ladebarren liegt und die schreckliche Befürchtung befürwortet sich.
Erst als sie den grossen Platz erreicht hat, steigt Keira vom Pferd ab und hastet mit den Zügeln in der Hand durch die Ansammlung von Menschen. Für einen kurzen Moment bleibt sie stehen und lauscht den Worten eines Mannes, wahrscheinlich ein Bote des Königs, welcher mit einem Pergament in der Hand auf dem Podest steht und lautstark die Worte verkündet. "Für die tödlichen Angriffe macht König Reidros die "Scáth Dúil" verantwortlich! Noch heute Abend werden die Schuldigen hingerichtet und bereits morgen brechen hunderte von Soldaten zum Krieg gegen sie auf! Wir werden die Toten rächen!" Die Menge brüllt zustimmend und Fäuste werden in die Luft gestreckt. Nur Keira steht stumm da und blickt den Mann perplex an. Wie kann das sein? Caden hat ihr als klein immer die schrecklichen Geschichten von den berüchtigten Schattenwesen erzählt. Ein Volk aus vergessener Zeit, die in der Wildnis wie Tiere leben. Verwirrt schüttelt sie den Kopf - das sind bloss Geschichten! Doch wenn es so viele Angriffe gegeben hatte, braucht Vater dringend ihre Hilfe!
Voller Sorge wie es ihm wohl ergeht, schwingt sie sich wieder auf ihre Stute und reitet durch die engen Gassen in Richtung Lazarett. Je weiter sie in die ärmere Gegend von Seydar vordringt, desto stärker wird der Geruch nach Verwesung. Schwarz gekleidete Frauen knien mit geröteten Augen und nassem Gesicht auf den Treppen und beten flehend zu den Göttern, dass sie ihre Liebsten zurück bringen. Wo sich sonst die Kinder lachend gejagt oder mit Dosen gespielt haben, herrscht absolute Stille und Leere. Die meisten sitzen nun eingesperrt in ihren Zimmern und zittern voller Angst vor den Schattenwesen. Doch Keira wehrt sich gegen die Worte des Königs. Scáth Dúil galt für sie nur als ein simples Ammenmärchen. Doch wer würde die Stadt Seydar angreifen wollen? Seit Jahrhunderten leben die Königreiche von Siar in Frieden und die meisten Wildlinge und Barbaren wurden in den Norden vertrieben.
Als sie beim Lazarett angekommen ist, herrscht ein Chaos an Menschen, die flehend, weinend und schreiend um Einlass bitten. Viele von ihnen stützen einen Schwerverletzten auf ihren Schultern und diskutieren heftig mit den Soldaten, welche die Tore versperren. Voller Sorge springt Keira vom Pferd und eilt zu einer alten Frau hin, welche blutend auf dem dreckigen Boden liegt. Ohne darüber nachzudenken, reisst Keira ein Stück Stoff von ihrem Rock ab und drückt es auf die Wunde. Die alte Frau keucht leise auf und blickt Keira aus trüben Augen an. "Die Scáth Dúil! Sie kommen uns allen holen!", krächzt sie mit bebender Stimme und ihre Augenlider flackern. Mit blutverschmierten Händen drückt sie Keira einen kleinen Gegenstand in die Hand, ehe sie mit einem letzten Aufbäumen regungslos liegen bleibt. Tränen rinnen über Keiras Wangen und mit zitternden Händen schliesst sie die Augen der alten Frau. Wie konnte sie bloss vergessen, wer sie war. Jeden Tag verkaufte sie auf dem Marktplatz ihre Weidenkörbe und strahlte so viel Freude aus. Sie hatte dieses Schicksal nicht verdient! Wut steigt in Keira auf. Kein Mensch hat es verdient, draussen auf dem dreckigen Boden, zu sterben. Aufgebracht zwängt sie sich durch die Menschen und wird sogleich von einem Soldat brutal nach hinten geschupst.
"Was bilden sie sich eigentlich ein?", schreit Keira mit erzürnter Stimme. "Sehen sie die Verletzten hier nicht? Die brauchen Hilfe!" "Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden, Weib!", ruft der Soldat und verpasst Keira eine heftige Ohrfeige. Ein schmerzerfülltes Keuchen entfährt ihr und für einen kurzen Moment sieht sie nur schwarz. Entgeistert blickt sie den Soldat an, welcher sie mit abschätzigem Blick mustert und seine Hand für einen weiteren Schlag bereit hält. "Möchtest du noch mehr, du dreckiges Stück?", knurrt er und spuckt vor ihre Füsse. Keiras Körper erzittert und ihre Hände ballen sich zu Fäusten.
Mit langsamen Schritten torkelt sie rückwärts und der Soldat blickt seine Kumpanen belustigend an. "Frauen - eine grosse Klappe, aber nicht den Mut mal rein zuschlagen! Hinter den Herd und ins Bett gehören sie. Für etwas anderes sind sie nicht zu gebrauchen. Merk dir das, Süsse!", knurrt er und bricht in lautes Lachen aus. Beschämt blickt Keira zu Boden. "Was ist den hier draussen los?", durchbricht die schneidende Stimme das schäbige Gelächter und er verstummt sofort. "Diese kleine Göre hat sich gegen die Befehle von König Reidros widersetzt!", erklärt er hämisch und zeigt auf Keira. Panik breitet sich in ihr aus. Hätte sie gewusst, das dies ein Befehl vom König war, hätte sie nie so gehandelt. Zu gut weiss sie, was mit Bewohner passiert, die sich dagegen auflehnen. Beschämt senkt sei ihren Kopf. Doch zu ihrem Erstaunen ertönt ein lauter Schlag, gefolgt von einem schmerzerfüllter Aufschrei. "Komm Keira. Dein Vater wird sich über deinen Besuch freuen!", ruft die Stimme und Keira blickt überrascht auf. Nun erkennt sie den älteren Mann, mit den leicht ergrauten Haaren, seinem weissen Stoppelbart und den eisblauen Augen. "Meister Bairre!", wispert Keira erstaunt und verneigt sich leicht. Ihr Blick fällt auf den Soldat, welcher sie mit blutverschmierter Nase hasserfüllt anfunkelt. Voller Genugtuung geht sie mit erhobenem Kopf an ihm vorbei und die schweren Türe schliessen sich knarren hinter ihr. Erstaunt schnappt Keira nach Luft, als sie das Chaos im Lazarett erkennt. Der Raum ist überfüllt mit verletzten Menschen, wobei die meisten am Boden liegen, da sie nicht genug Betten zur Verfügung haben. Schwestern mit blutverschmierten Kleidern und verschwitztem Gesicht eilen ununterbrochen von einem Patient zum Anderen und versuchen die Verletzungen zu heilen. Mitten im Gewühl erkennt sie die schwarzen Haaren von Kian, welcher gerade mit einer blutverschmierten Säge in der Hand am Bett steht. Das verheisst nichts Gutes!
"Keira, du solltest nicht hier sein!", ruft er ernst, als er seine Tochter erkennt, doch sein Lächeln verrät seine Freunde über ihr Kommen. "Vater, was ist hier los?", flüstert sie und ihr Blick fällt auf den Mann, welcher mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Bett liegt und auf seine Beine, wobei das Linke nur noch aus einem Stumpf besteht.
Kian blickt vergewissernd zu Meister Bairre, welcher wissend nickt und er atmet erleichtert aus. "Gut, Keira. Komm mit!", sagt er und packt seine Tochter zärtlich an der Hand. Gemeinsam betreten sie einen kleinen Raum, welcher mit einem langen Tisch und Stühlen ausgestattet ist und an den Wänden hängen vergilbte Pergamentzeichnungen, welche die Anatomie des Menschens darstellen. Fasziniert bleibt Keira stehen und mustert die alten Zeichnungen. "Ein Bote hat sie uns vor Längerem bereits von Armor überbracht. Sie haben uns in den letzten paar Tagen sehr geholfen!", sagt Kian stolz und mustert seine Tochter. "Du hast bestimmt viele Fragen!", sagt er und lässt sich seufzend auf einen Stuhl fallen. Keira tut es ihm gleich und blickt ihn fordernd an. "Stimmen die Gerüchte?", fragt sie zögerlich und spielt nervös mit ihren Haaren. Kian fährt sich zögerlich durch seine Haare. "Es sieht wohl so aus. Es blieb nicht bei einem Angriff, wie du gesehen hast. Dutzende von Bewohner wurden angegriffen und verstümmelt zurück gelassen. Kein Tier würde so etwas mit seiner Beute machen!" Keira nickt zustimmend. "Aber ich dachte, die Scáth Dúil gäbe es nur in Geschichten!", murmelt sie nachdenklich. "Ich glaube das dachte jeder. Auf meinen Reisen habe ich ein einziges Mal ein derartiges Wesen gesehen. Besser gesagt nur seinen Kopf. Aufgespiesst haben sie ihn auf der Mauer. Sein Gesicht erinnerte mich an eine Schlange!", erzählt er mit trüber Stimme. "Aber was wollen sie von uns? Wieso ausgerechnet jetzt?", fragt Keira nach einer Weile und Kian zuckt mit den Schultern. "Ich habe mich mit einigen Gelehrten unterhalten. Sie vermuten, dass die Scáth Dúil nach etwas Wertvollem suchen, was in dieser Stadt zu finden ist. Macht, Geld oder Besitz interessieren sie nicht. Es muss etwas Uraltes sein!" Ein lautes Klopfen unterbricht die Erzählungen von Kian, welcher erleichtert aufatmet. "Ich hoffe ich konnte dir einige Fragen beantworten, aber nun ist Zeit zu gehen! Mach dir keine Sorgen um mich, Keira!", sagt er mit ernster Stimme und öffnet die Tür, wo Mael bereits mit bleichem Gesicht wartet. Verdutzt blickt Keira ihn an. "Aber Vater, ich möchte dir helfen!", ruft sie bockig, doch Kian unterbricht sie. "Du kannst mir nicht helfen. Hör auf deine Brüder und pass auf dich auf!", murmelt er und drückt Keira bestimmt aus dem Zimmer hinaus. "Pass auf dich auf, mein Kind!"
Die lauten Töne der Fanfaren hallen über Seydar und ein Schwarm von Krähen erhebt sich kreischend in die Lüfte. Eine grosse Menge hat sich bereits auf dem grossen Platz versammelt und wartet gespannt auf die bevorstehende Hinrichtung. Nur mit Überzeugungskraft konnte Mael Keira dazu überreden, sich diese anzusehen, ehe sie zur Arbeit muss. Nervös steht sie da und beobachtet, wie der König von der jubelnden Menge Willkommen geheissen wird. Auch Mael stimmt in das Rufen ein und sein Gesicht strahlt voller Bewunderung. "Wir können uns glücklich schätzen, dass wir einen so guten König haben, oder?", ruft er erfreut und blickt Keira prüfend an. Sie nickt zustimmend und verfolgt das Geschehen auf der Tribüne. Obwohl sie solche öffentlichen Hinrichtungen hasste, spürt sie doch eine gewisse Neugier auf die Schattenwesen. Noch nie hatte sie welche gesehen und kannte sie nur aus den Geschichte, die ihre Brüder ihr erzählt haben. Caden hat immer von Missgeburten gesprochen. Gewisse hätten spitze Hörner, scharfe Krallen oder ihre Haut würde aus Schuppen oder Feder bestehen. Die Götter hätten sie so gestraft für ihr sittenloses und bestialisches Verhalten.
Sechs blutverschmierte Männer werden in Handschellen hinauf geführt und die Menschen beginnen voller Hass faules Gemüse zuwerfen. Erstaunt keucht Keira auf, als sie die schlangenähnliche Gestalten erkennt. Ihre Haut hat einen grünlichen Ton, ihre Zunge ist gespalten, ihre Augen glühen gelblich und ihre Pupillen sind zu Schlitzen gefolgt. Das hat Vater gemeint! Voller Grauen schüttelt sie den Kopf. "Es stimmt also! Mael die Geschichten sind wahr!", ruft sie und ihre Hände verkrampfen sich. "Natürlich sind sie wahr. Sieh sie dir an. Gestraft von den Göttern.", antwortet Mael gehässigt. "Wie kann das sein...", murmelt sie und ein Schauer jagt über ihren Rücken. Je länger sie diese unmenschlichen Gestalten anschaut, desto mehr verstärkt sich ihr ungutes Gefühl. Ihr Kopf beginnt zu schmerzen und eine Unruhe breitet sich in ihrem Körper aus.
"Ruhe!", ruft der König mit lauter Stimme und die Menge verstummt. "Diese sechs Kreaturen gehören dem Stamm Scáth Dúil an, welche für die Gräueltaten verantwortlich waren, die uns die letzten Tage geplagt haben!" Erzürnte Rufe ertönen und wüste Beschimpfungen und Flüche werden gegen die Wesen gesprochen. "Und hiermit verurteile ich, König Reidros, die Mörder, Entführer und Vergewaltiger zum Tode durch Erhängen. Ihre Leichen werden beim nördlichen Stadttor als Warnung aufgehängt. Jeder Reisende, jeder Vagabund und jede Missgeburt soll sehen, was mit solchen Kreaturen geschieht!" Tosender Applaus unterstreichen die Worte des Königs und der schwarz gekleidete Scharfrichter betritt die Bühne. Angst steigt in Keira hoch und sie klammert sich an Maels Arm, welcher sie liebevoll mustert. "Sie machen mir Angst. Wir sollten nicht hier sein!", erwidert sie zitternd. Als die Schlingen über die Köpfe der Wesen gezogen werden, ertönt ein lautes, unmenschliches Zischen und so manches Kind beginnt voller Angst zu Schreien. Eine unangenehme Ruhe breitet sich über den Schauplatz aus und alle blicke wie gebannt auf die sechs Kreaturen, welche in einer alten Sprache irgendwelche Worte in den Himmel schreien. Gerade als der Scharfrichter den Hebel betätigt, dreht einer der Wesen den Kopf in Richtung der Menge und Keira hätte schwören können, dass seine gelb leuchtenden Augen auf ihr ruhen und sein Mund sich zu einem hämischen Grinsen formt, ehe er nach unten fällt. Ein lauter Schrei entfährt Keira und sie starrt zitternd auf den leblosen Körper, ehe Mael sie besorgt an der Hand packt und von dem schrecklichen Ort wegzieht.
Ein heftiger Sturm zieht am späten Nachmittag über Seydar und doch herrscht in der Taverne eine ausgelassene Stimmung. Viele Bewohner sind gekommen, um die Hinrichtung von den Scáth Dúil Anhängern zu feiern und Keira war froh über die viele Arbeit. Noch immer sieht sie das grässliche Grinsen vor sich, die toten Körper, die im Winde baumeln und die lauten Schreie hallen durch ihren Kopf. Mit zitternden Händen schenkt sie sich ein Glas Wein ein und trinkt es in einem Zug leer. "Ich habe dich wohl auch noch nie trinken gesehen!", murmelt Birgit und beobachtet Keira argwöhnisch, welche sich ein weiteres Glas Wein einschenkt. "Ach weisst du, manchmal braucht es das!", nuschelt sie und ihre Wangen erröten leicht. "Ich seh doch, dass es dir nicht gut geht. Aber deine Sorgen mit Wein zu ertränken, macht auch keinen Sinn!"
Mit einem aufmunternde Grinsen packt Birgit Keira an den Händen und zieht sie in den Kreis von tanzenden Menschen. Keira blickt sie genervt an, doch nach einige Umdrehungen, lacht auch sie und die beiden jungen Frauen bewegen sich elegant mit den Klängen der Geigen und Bläser. Ausgelassen wirbelt sie über den Boden und klatscht im Takt der Trommeln. Sie schliesst glücklich die Augen und lässt sich für einen Moment von der Musik treiben. Immer schneller werden ihre Schritte und ihr rotes Kleid weht durch die Luft. Plötzlich öffnet sich die Tür und ein kalter Luftzug lässt die Tanzenden innehalten. Verwirrt blickt Keira zu den grossen Gestalten, welche mit triefenden Kleidern und gezückten Schwertern den Raum betreten. Die Musik verstummt und alle Blicke sind auf die drei Männer gerichtet, welche langsam ihre Waffen wegstecken und sich auf die nächstgelegene Bank sitzen. Für einen kurzen Moment herrscht eine unangenehme Stille, ehe die Musiker wieder zu spielen beginnt und die Leute lachend ihre Becher auf König Reidros erheben.
Glück durchströmt Keira, als sie von draussen die Kirchenglocken zwölf schlagen hört. Birgit musste frühzeitig die Taverne verlassen und so blieb die ganze Arbeit an Keira hängen. Müde reibt sie sich die Augen und gesellt sich zu dem jungen Mann, welcher mit glasigem Blick an einem Tisch sitzt. Wage kann sie sich an seinen Namen erinnern und ein leichtes Lächeln huscht über ihr Gesicht. Der arme Mann ist unsterblich in Birgit verliebt und sitzt jeden Abend am gleichen Tisch und schmachtet seine heimlich Geliebte an. Doch Birgit interessiert sich nur für starke und reiche Männer und er war nunmal nur ein Schuhmacher. "Es ist bereits spät draussen und Birgit ist bereits gegangen. Du solltest nun gehen!", sagt sie mit liebevoller Stimme und zieht dem Mann sein noch volles Weinglas weg. Fast drei Krüge hat er alleine getrunken und wenn er nicht gleich auf der anderen Strassenseite wohnen würde, hätte sie ihn natürlich nach Hause begleitet. Ein zustimmendes Gebrummel kommt von ihm und er erhebt sich schwerfällig. Mit schlurfenden Schritten und traurigem Blick torkelt er aus der Taverne heraus und Keira atmet erleichtert auf. Liebe ist schon schmerzhaft. Kopfschüttelnd begibt sie sich hinter den Schanktisch und beginnt die dreckigen Kelche zu waschen.
Als sie endlich den Boden geschrubbt hatte und alles ordentlich wirkte, schnappt Keira ihre Jacke und verlässt mit schweren Herzen die warme Taverne. Draussen regnet es in Strömen und ein eiskalter Wind weht durch die menschenleeren Gassen. Immer wieder erhellen Blitze die rabenschwarze Nacht, gefolgt von ohrenbetäubenden Donnern. Hastig verschliesst sie die Türe, als sich plötzlich eine eiskalte Hand auf ihre Schultern legt. Mit einem leisen Schrei wirbelt sie herum und blickt in die rabenschwarzen Augen einer jungen Frau. Ihre bereits weissen Haare wellen sich über ihre Schultern und nur ein einfaches Leinengewand schützt sie vor dem Regen. Verwirrt macht Keira einige Schritte zurück und ihre Hände verkrampfen sich um das kleine Messer, das sie immer in ihrer Jacke hatte. "Hab keine Angst, inianà!", flüstert die Frau mit heller Stimme und blickt sie voller Liebe an. "Du bist wunderschön geworden, Keira!"
Verwirrt schüttelt Keira den Kopf. "Woher kennen sie meinen Namen?", fragt sie erstaunt und Angst breitet sich in ihr aus. "Ich weiss viel mehr, als du denkst. Aber deswegen bin ich nicht gekommen!", antwortet sie und ein dunkler Schatten legt sich über ihre Augen.
Wie zur Bestätigung hört man von Weiten das laute Krächzen der Raben und die junge Frau blickt besorgt in den Himmel. "Pass auf dich auf, inianà! Beschütz ihn mit deinem Leben! Das Schicksal vieler steht auf dem Spiel", murmelt sie voller Sorge und drückt Keira einen kleinen Beutel in die Hand. Liebevoll streicht die Frau über ihr Haar und haucht ihr einen feinen Kuss auf die Stirn. Verdattert bleibt Keira stehen und beobachtet, wie die Frau sich ein letztes Mal zu ihr umdreht und dann im Schatten der Nacht verschwindet
Würdevoll steht sie auf der Hochebene und lässt ihren Blick über die hohen Berge, die sich mächtig in den feuerroten Himmel wölben, schweifen. Sie lauscht dem Gezwitscher der Vögel, der sich mit dem Plätschern des Wasserfälle zu einem magischen Gesang entwickelt. Ein angenehm warmer Wind weht durch ihr weisses Haar und die letzten Sonnenstrahlen scheinen auf ihr Gesicht. Ein letztes Mal lässt sie sich von dem süssen Duft der Orchideen betören, ehe sie sich zu den anderen gesellt. Ihr Blick wandert ebenfalls auf das grosse Feld im Tal und ihr Gesicht verhärtet sich. Grauer Rauch steigt in den Himmel auf und trägt den Geruch nach verbranntem Fleisch und Asche mit sich. Laute Schreie, wüste Flüche und Beschimpfungen hallen zu ihnen hoch und lässt ihr Herz schneller schlagen. "Es ist soweit.", murmelt er mit rauer Stimme und senkt seinen Kopf. Voller Trauer verharrt sie ruhig und wartet auf die Reaktion des Rates. "Mögen die Götter unsere gefallenen Schwestern und Brüder voller Würde empfangen. Unsere Zeit ist gekommen!", murmelt eine junge Frau neben ihr und kniet zu Boden. Ein Schauer durchfährt ihren Körper und sie macht es ihr gleich. "Mögen unsere Herzen rein gewaschen werden!", flüstert sie leise und senkt ihren Kopf. Die letzten Sonnenstrahlen durchbrechen den Himmel und mit ihnen wächst die Hoffnung, dass das Licht eines Tages zurück kehren würde. Eine unangenehme Stille breitet sich aus, als sich die Finsternis, wie ein Leichentuch, über das Tal legt und mit einem ohrenbetäubendem Knall die ganze Welt in Scherben zerbricht. Eine Welle aus purer Energie ergiesst sich tosend über die Landschaft und reisst jedes Lebewesen mit zu Boden. Mit lautem Gebrüll stürzt sich die Finsternis gierig auf die Erde, zerreisst jedes Herz aus Licht und vollendet so das Schicksal der Vergessenen.
Mit einem lauten Schrei schreckt Keira aus dem Traum hoch. Ihr Herz hämmert gegen ihre Brust und ihr Atem geht schnell. Ihre Haare kleben am Gesicht und das ganzes Bett ist von Schweiss durchtränkt. Tief atmet sie durch und wiegt sich beruhigend hin und her. Es war alles nur ein Traum, die Welt ist noch so, wie sie gestern war. Doch ihr Blick fällt auf den kleinen Beutel, der auf dem Fensterbrett liegt. Die Erinnerungen an den gestrigen Abend kehren zurück und Keira spürt, wie die Angst in ihr hochsteigt. Erschrocken bemerkt sie, dass die Frau ebenfalls schneeweisse Haare hatte, wie die aus ihrem Traum und sie fragt sich, was das wohl zu bedeuten hat. Wer ist diese Frau? Hin und hergerissen überlegt Keira, ob sie den Beutel einfach in den Fluss werfen sollte oder wenigsten nach dem Inhalt sehen sollte. Vielleicht befindet sich darin einfach nur eine tote Ratte und es ist ein schlechter Scherz. Aber wieso sollte sie es mit ihrem Leben schützen? Je weiter sie darüber nachdachte, desto stärker wird ihre Neugier und mit einem genervten Seufzer schwingt sie ihre Beine aus dem Bett. Der fast runde Mond scheint hell in ihr Zimmer und die dürren Äste des Apfelbaumes werfen unheimliche Schatten an die Wand. Ab und zu hört man das Rufen einer Eule, ansonsten herrscht absolute Stille.
Mit zitternden Händen öffnet Keira vorsichtig den Beutel und leert den Inhalt auf ihr Bett. Mit einem ehrfürchtigen Raunen starrt sie auf den ungeschliffenen Stein, welcher ungefähr so gross wie ihre Hand ist und im Mondlicht bläulich schimmert. Noch nie hatte sie so etwas schönes gesehen. Kleine Zeichen sind auf der unebenen Oberfläche eingeritzt und sein Inneres sieht aus, als wäre es mit waberndem Nebel gefüllt. Fasziniert lauscht Keira dem leisen Gesang, das ihr Zimmer erfüllt und sie hätte schwören können, dass es vom Inneren des Steines ausgeht. Je länger sie ihn betrachtet, desto mehr beginnt ihr Körper zu kribbeln und sie spürt einen leichten Druck in ihrer Brust. Zögerlich berührt sie den kalten Stein und eine unbeschreibliche Wärme durchströmt ihren Körper. Erregt fährt sie über seine kantige Oberfläche, als ein stechender Schmerz ihre Handfläche durchströmt und etwas Rotes auf den Kristall tropft. Erschrocken zieht sie ihre Hand zurück und beobachtet, wie das purpurfarbene Blut langsam durch die feinen Ritzen fliesst und sich im Innere des Steines ausbreitet. Mit angehaltenem Atem starrt Keira auf das immer heller werdende Licht und spürt, wie das Stechen in ihrer Brust immer stärker wird. Verzweifelt ringt sie nach Luft, doch ihre Lungen sind wie zugeschnürt und ihre Muskeln verkrampfen sich. Ein ohrenbetäubendes Donnern hallt durch Keiras Kopf, als sich eine bleierne Dunkelheit über sie legt und sie bewusstlos zu Boden fällt.
"Aufstehen, Keira!". Das laute Rufen reisst Keira aus dem Schlaf und erschrocken öffnet sie ihre Augen. Das grelles Licht blendet sie und ein stechender Schmerz jagt durch ihren Kopf. "Wo bin ich?, murmelt sie und blickt in die strahlend blauen Augen von Glan. "Zuhause! Wo den sonst?", lacht er und zieht die Decke von ihr weg. "Wir gehen heute in die Kirche!" Verdutzt runzelt Keira die Stirn und ihr Blick fällt auf den kleinen Beutel auf der Fensterbank. "Geh, Glan. Ich komme gleich!", murmelt sie und drückt ihren kleinen Bruder unsanft aus dem Zimmer. Tief atmet sie durch und versucht ihren aufgewühlten Geist zu beruhigen. Zögerlich geht sie zum Fenster und starrt argwöhnisch auf das unheilbringende Geschenk. Eine unangenehme Kälte strömt von ihm aus und sie hätte schwören können, dass sie leise Stimmen flüstern hört. "Es war nur ein Traum!", murmelt sie leise vor sich hin, währendem sie mit zitternden Händen die blaue Kordel vorsichtig löst. Ein leises Keuchen entfährt ihr, als sie tatsächlich den leicht hellblauen Stein erkennt, wobei sein Inneres nun nicht mehr weiss, sondern rötlich schimmert. Fasziniert starrt sie auf den wabernden Nebel und wieder überkommt sie den Drang, ihn anzufassen. Er ist einfach nur wunderschön. "Keira, was dauert denn so lange?" Die schneidende Stimme von Trista reisst sie aus ihrem Bann und sie zuckt erschrocken zusammen. "Komme gleich!", ruft sie laut und verschliesst den Beutel hastig. Der Stein ist ohne Zweifel von hohem Wert und er gehört ihr alleine!
"Du bist ganz bleich, Kind! Geht es dir gut?", sagt Trista besorgt, als Keira die Treppe hinunter kommt. "Ja. Habe nur schlecht geschlafen!", murmelt sie und spürt die prüfenden Blicke von Caden und Bradin in ihrem Rücken. Den Stein hatte sie noch schnell unter ihrer Matratze versteckt, wo ihn vorerst niemand finden sollte. Eilig zupft sie ihr Kleid zurecht, währendem Trista ihre braune Haaren zu einem langen Zopf bindet. Wäre Vater hier, müsste sie nicht die Messe besuchen. Im Gegensatz zu Kian, ist Trista eine fromme Gläubige der ewigen Flammen und besteht deshalb auf den sonntäglichen Kirchenbesuch mit ihren Kindern. Keira glaubte zwar an die Götter, doch was die Menschen daraus machen, findet sie insgeheim einfach nur widerlich. Doch wer sich gegen den Glauben ausspricht, wird als Ketzer beschimpft und den ewigen Flammen übergeben. Schon des öfteren kam es zu Verfolgungen von Frauen und Männer, die sich den magischen und rituellen Praktiken verschrieben haben, welche allesamt auf dem Scheiterhaufen ein schreckliches Ende fanden. "Und vergiss nicht Keira. Hüte deine spitze Zunge!", witzelt Caden und erntet von Trista einen bösen Blick. "Geht doch schon mal raus. Die Kutsche sollte bereit stehen!", befielt sie und knöpft dem quengelnden Glan sein weisses Hemd zu. Lächelnd verlässt Keira mit ihren Brüdern das Haus und schwingt sich auf die schwarze Kutsche, welche Vater Trista zur Hochzeit geschenkt hatte. "Was hast du eigentlich an deiner Hand gemacht?", fragt Bradin besorgt und Keira blickt erstaunt auf ihre Handfläche, wo ein langer, roter Striemen zu sehen ist. Ein Schauer jagt über ihren Rücken und ihr Herz beginnt schneller zu pochen. "Nichts. Muss wohl bei der Arbeit passiert sein!", lügt sie und vergräbt ihre Hand in den feinen Stoff ihres Kleides. Caden mustert sie argwöhnisch, ehe er sich gähnend seinem Bruder zuwendet. "Hoffentlich schlafe ich nicht ein!", brummt Bradin und lehnt sich müde zurück. Tiefe Augenringe unterstreichen sein eingefallenes Gesicht und lässt ihn viel älter aussehen, als er es ist. "Auch nicht gut geschlafen?", fragt Keira besorgt und wippt nervös mit ihren Füssen. Bradin blickt sie nachdenklich an und nickt dann. "Es muss unter uns bleiben - aber König Reidros hat Meister Marton den Auftrag für ein spezielles Elexier gegeben. Der Meister wollte mir zwar nicht genau sagen, was es für eine Wirkung hat, aber ich habe natürlich nachgeforscht!" Die Türe fliegt krachend ins Schloss und Trista setzt sich mit genervter Miene und einem weinenden Glan an den Händen neben sie. Bradin wirft Keira einen verschwörenden Blick zu und formt mit seinen Lippen das Wort "Schattenwesen".
"Was habt ihr schon wieder zu flüstern? Keine Dummheiten!", ermahnt Trista mit harschem Ton und die Kutsche setzt sich in Bewegung.
Die alte Kirche steht in Mitten von Seydar und ist neben dem Schloss das älteste Gebäude. Gross und mächtig ragen seine spitzen Zinnen in den bewölkten Himmel und mit dem grossen Tor, erinnert es Keira an ein gehörntes Monster, das jeden Moment zum Leben erwacht. Zögerlich bleibt sie stehen und beobachtet die vielen, schwarz gekleideten Menschen, die mit bitterer Miene die Kirche betreten. Die lauten Kirchenglocken übertönen das laute Geschrei der Kinder, welche von den Erwachsenen an den Ohren hinein gezogen werden. "Augen zu und durch!", murmelt Caden. Gemeinsam betreten sie das Gebäude und werden sogleich auch von den gefürchteten Kirchenweibern empfangen. "Ach welch eine Freude! Die ganze Familie Ciallmhar hat sich versammelt!", gurrt die eine und mustert Keira spöttisch. "Auch die liebe Keira! Schon lange nicht mehr gesehen!" Keira lächelt aufgesetzt und verneigt sich leicht. "Geht sie immer noch ihrem Vater zur Hand?", fragt die Andere mit den blonden Haaren Trista, welche mit zusammengepressten Lippen dasteht. "Ja. Aber das macht..."
"Ich werde zu der ewigen Jungfrau beten. Möge die verlorene Seele zurück ins Licht finden!", unterbricht das blonde Weib Keira und funkelt sie böse an. Keiras Hände ballen sich zu Fäuse und sie ist kurz davor, der alten Schachtel, zu widersprechen, doch Bradin packt sie an der Schultern und drückt sie an den Weibern vorbei.
"Dumme Ziegen sind das!", zischt Keira und hört noch, wie die andere Frau, sich bei Trista über ihren Anstand beklagt. Genervt setzt sie sich in einer der Bänke und lässt ihren Blick über das Innenleben der Kirche schweifen. Zuvorderst, dort wo sich der Gabentisch befindet, brennt ein grosses Feuer und darum herum stehen fünf grosse Figuren - die Götter der ewigen Flammen. Der Herrscher mit seinem Stab und dem Adler auf seinem Kopf, das alte Weib mit ihrer Sichel und dem Raben auf der Schultern, die Jungfrau, welche auf einem Schwan dahin reitet und der Krieger , ummantelt von einem Wolf und mit seinem Speer in der Hand. Keiras Blick bleibt auf der letzten Figur der mächtigen fünf haften. Der Tod, dargestellt durch ein Skelett, welches in seinen Händen ein Vogel, fast so gross wie er selber, hält. Mächtig entfaltet der majestätische er seine Flügel, stolz reckt er seinen geschmeidigen Hals und seine langen Krallen leuchten im Licht des Feuers.
"Was ist das für ein Vogel, beim Tod?", fragt Keira leise Bradin, welcher sie erstaunt anblickt. "Ein Feuervogel - auch Phoenix genannt. Bei jedem Neumond geht er in Flammen auf und zerfällt zu einem Haufen Asche. Doch er stirbt nicht - er wird wiedergeboren und wächst zu einem neuen Vogel heran, bis er wieder stirbt. Ein ewiger Kreislauf von Tod und Leben!", erzählt Bradin lächelnd. "Das ist schön!", murmelt Keira und blickt wie gebannt auf den wunderschönen Vogel. Das helle Klingen der Glocken ertönt und die Menschen erheben sich. Widerwillig macht es Keira ihnen gleich und mustert den alten Mann, welcher mit hoch erhobenem Kopf den Gang entlang schreitet. Sein Körper bedeckt ein feuerrotes Gewand und auf seinem Kopf trägt er eine fünfzackige, goldene Krone. Der intensive Duft nach Drachenblut steigt in ihre Nase und lässt sie leise husten, wobei sie einen ermahnenden Blick von Trista erntet.
"Brüder! Mögen die Flammen der Götter unsere Zungen reinigen und unseren erbarmen!", ruft der Priester mit lauter Stimme und kniet vor dem grossen Feuer nieder. Nur leise vernimmt man sein Raunen, ehe er wieder aufsteht und sich den Anwesenden zuwendet. "Wir habe die Dunkelheit so nahe gespürt wie noch nie. Grosses Unheil sucht unsere Stadt heim. Die Zeit der Feuerbrunst kommt immer näher. Ungläubige, Ketzer und Heuchler werden in den ewigen Flammen brennen. Brüder, es ist Zeit sich dem Licht zuzuwenden!"
Mael, welcher auf der anderen Seite mit seiner Familie sitzt, wirft Keira einen spöttischen Blick zu und nickt mit dem Kopf in Richtung seines Vaters. Ein leichtes Lächeln huscht über ihr Gesicht, als sie Iaran mit geschlossenen Augen, zurück gelehnt und wohl schlafend, erkennt. "Schau nicht hin! Genau diese Familie sollte den Worten des Priesters glauben! ", befielt Trista mit verächtlichem Ton und ihre Hände verkrampfen sich um ihren Arm. Ärger steigt in Keira hoch und sie funkelt ihre Stiefmutter wütend an. Diese Abneigung, die Trista zu der Familie von Mael hegt, nervt sie gewaltig. Keira hat keine Ahnung, was zwischen ihnen vorgefallen sein könnte, dass Trista sie so sehr meidet. Schon als sie klein war, konnte sie sich daran erinnern, dass ihre Stiefmutter sie nur widerwillig zu der Schmiedfamilie lies und sie durfte auch nie bei ihnen übernachten. Genervt wendet sie sich wieder dem Priester zu, welcher gerade über die Versuchung und das Böse predigt, doch ihre Gedanken schweifen immer wieder zu ihrem Traum und der merkwürdigen Frau. Auf einmal spürt sie einen leichten Schmerz an ihrer Hüfte, als würde etwas spitzes in ihr Fleisch stechen. Vorsichtig tastet Keira nach dem Schmerz, als sie tatsächlich etwas spitzes in ihrer Rocktasche spürt. Unauffällige nimmt sie es heraus und mustert es erstaunt. Das schwarze, spitz zulaufende Stück eines Schnabels, wahrscheinlich eines Rabens, liegt auf ihrer Hand und schimmert im Licht der Kerzen. Verwirrt runzelt sie die Stirn, als ihr die Erinnerungen wieder in den Sinn kommen. Wie konnte sie es nur vergessen! Die alte Frau, die in ihren Armen gestorben ist, hat ihr doch etwas in die Hand gedrückt. Aber wieso ein Rabenschnabel?
"Mögen sie nun vortreten und den Segen der Götter empfangen!" Die laute Stimme des Priesters reisst sie aus ihren Gedanken und schnell lässt sie den Schnabel in ihre kleine Tasche fallen. Zusammen mit den anderen Leuten stellt sich Keira der Reihe an, sodass der Priester ein wenig Asche auf ihre Handflächen streut, als Symbol für die Reinigung.
Als Keira an der Reihe ist, verbeugt sie sich leicht vor dem Priester und legt ihre Hände in seine. "Sei gesegnet. Möge das Feuer dich reinigen!", murmelt er, doch seine Stimme bricht abrupt ab. Verwirrt blickt Keira auf und bemerkt seinen starren Blick auf ihrer verwundeten Hand. "Von wo hast du das?", flüstert er mit bedrohlicher Stimme. "Ich weiss es nicht!", antwortet Keira mit zitternden Stimme und versucht sich aus seinem festen Griff zu befreien. "Lüg nicht!", zischt er und seine Finger drücken immer stärker auf die Wunde, wobei bereits einige Blutstropfen heraus perlen, welche im Licht des Feuers leicht bläulich schimmern. "Lassen sie mich los!", keucht Keira mit schmerzerfüllter Stimme und reisst sich aus seiner Umklammerung. Mit eiligen Schritten und Tränen in den Augen verlässt sie die Kirche, wo ihre Familie bereits auf sie wartet.
"Was hat denn so lange gedauert?", fragt Trista und mustert sie prüfend. "Nichts. Ich habe nur zu den Götter gebetet!", antwortet Keira und streicht sich die Tränen aus dem Gesicht. "Du bist heute ziemlich schlecht drauf, was? Geh am besten Kräuter sammeln - das wird dich beruhigen. Vater kann bestimmt Nachschub gebrauchen!", spricht Bradin liebevoll und drückt sie aufmunternd. Keira nickt abwesend, währendem ihre Hand den Rabenschnabel krampfhaft umschliesst.
Erst als es eindunkelt merkt Keira, wie weit sie in den immer dichter werdenden Wald vorgedrungen ist. Am Nachmittag brannte die Sonne unbarmherzig auf die Felder nieder und so beschloss sie, lieber den Schatten der Bäume zu suchen, wo es schön kühl war. Immer weiter verlor sie sich in dem satten Grün der Pflanzen und sie genoss die Stille. Ab und zu kreuzten wilde Tiere ihren Weg und in der Ferne sah sie sogar einen Dachs, was sie besonders freute. Der kleine Korb ist randvoll gefüllt mit Arnika, Spitzwegerich, Ringelblume und Schlafmohn - alles wichtige Heilkräuter, welche Vater für seine Arbeit sicherlich braucht. Für einen Moment bleibt sie stehen und lauscht dem Gesang der Vögel und dem Knarren der Bäume. Und wie sie so da steht, ganz still und andächtig, lösen sich all ihre Gefühle, die sich in den letzten Wochen aufgestaut hatten und sie setzt sich schweigend auf den Moos bedeckten Boden. Beruhigend umschlingt sie mit den Armen ihre Beine und stützt ihr Kinn auf die Knie ab. So viel ist in letzter Zeit passiert, so viele merkwürdige Ereignisse sind geschehen. Noch nie fühlte sich Keira so alleine und verwirrt. Und alles hat begonnen mit dem verletzte, jungen Mann - wie könnte sie es jemals vergessen. Plötzlich zuckt Keira zusammen und greift hastig nach ihrer Tasche. Ihr Herz hüpft vor Freude, als sie den zerknitterten Brief heraus holt und ihn glatt streicht. Das Siegel des Königs prangt ungebrochen auf der Rückseite und weist auf die Wichtigkeit dieser Nachricht hin. Wenn ihr niemand sagt, was hier vor sich geht, dann holt sie sich die Informationen selber. Mit diesem Gedanken reisst sie den Brief, welcher eigentlich an ihren Vater adressiert war, auf und beginnt neugierig darin zu lesen.
Sehr geehrter Meister Ciallmhar
Wie sie sicherlich bereits zur Kenntnis genommen haben, steht Seydar vor einem Krieg gegen uralte Mächte. Sie, als geschätzter Hüter der Magie und Heilkunst, haben sicherlich Informationen, die für uns sehr wertvoll sein könnten. Aufgrund der aktuellen Lage wäre es von mir nur unklug, die Details in einem solchen Brief zu beschreiben, doch wie ich sie kenne, möchten sie Informationen. Ich und meine Berater sind uns sicher, dass die Scáth Dúil nicht nach Macht, Geld oder Land dürsten. Sie suchen etwas bestimmtes. Etwas uraltes, mächtiges, das vor langer Zeit, als Seydar noch die Hochstadt der Magie war, hier versteckt wurde. Zwar wissen wir zum aktuellen Zeitpunkt nicht genau was es ist, aber so viel sei gesagt - gerät es in die falschen Hände, wird nichts mehr so sein, wie zuvor. Die Welt ist in Unruhe. Meine Burgtore steht ihnen jeder Zeit offen!
Gezeichnet
König Reidros
Überwältigt von den so eben erfahrenen Informationen lässt Keira den Brief fallen und vergräbt ihr Gesicht in ihren Händen. Vater hatte also Recht! Sie sind nicht an die Eroberung von Seydar interessiert - sie suchen etwas. Aber was könnte es sein? Keira schüttelt ungläubig den Kopf, als eine schreckliche Vermutung, die so makaber, wie wahr sein könnte, sich in ihren Gedanken festsetzt. Voller Entsetzten springt sie auf, packt ihre Tasche und rennt in die Richtung, von der sie gekommen ist. Immer schneller hastet sie durch das Unterholz, springt über umgefallene Baumstämme und Wurzeln. Ihr Atem geht flach und immer wieder peitschen ihr Tannenzweige ins Gesicht, welche blutige Striemen auf ihrer Haut hinterlassen. Doch das stört sie nicht. Immer weiter kämpft sie sich durch den Wald und je näher sie sich der Stadt nähert, desto mehr verstärkt sich ihr ungutes Gefühl. Endlich erreicht sie den Waldrand und bleibt für einen kurzen Moment stehen, um Luft zu schnappen. Ihr Blick wandert über die kleinen Bauernhäuser, deren Lichter so friedlich in der immer dunkler werdender Nacht, scheinen, als würde ihnen keine Gefahr drohen. Wie als Antwort durchbricht ein lautes, schrilles Heulen die Stille und ein Schwarm von Raben fliegt kreischend über ihren Kopf hinweg. Panik durchströmt sie und mit einem lauten Keuchen setzt sie ihren Weg fort.
Nur noch wenige Meter trennen sie vom ersten Bauernhof, als ein gellender Schrei ertönt. Voller Entsetzten bleibt sie stehen und blickt sich panisch um. "Keira, flieh! Schnell!" Das schmerzerfüllte Rufen von Birgit lässt Keira das Blut in den Adern gefrieren. "Birigt? Wo bist du? Was ist los?", schreit sie verzweifelt und rennt in die Richtung, wo sie ihre Freundin vermutet. Gerade als sie um die Ecke abbiegt, bleibt sie abrupt stehen und ein leiser Schrei entfährt ihrem Mund. Eine dunkle Gestalt, sein Gesicht im Schatten der Dunkelheit verdeckt, hält Birgit ein Messer an die Kehle und ihr weisses Kleid ist bereits Blut besudelt. "Geh!", schreit sie flehend und Tränen rinnen über ihre Wangen. Doch Keira bleibt wie angewurzelt stehen und starrt ihre blutverschmierte Freundin voller Entsetzen an. "Nicht! Lasst sie frei!", ruft Keira mit zitternden Stimme und zieht ihr kleines Messer aus der Tasche. Ein kehliges Lachen erklingt aus dem Mund der Gestalt und im selben Moment scheint der Vollmond auf sein Gesicht. Ein Schauer jagt über Keiras Körper, als sie seine beharrte Haut, die gelb funkelnden Augen und seine rasiermesserscharfen Zähne sieht, welche zu einem grässlichen Lächeln verzogen sind. Was zuvor wie ein Messer ausgesehen hatte, sind seine langen, messerscharfen Krallen, welche er in Birgits Haut drückt. "Du hast etwas, was mir gehört, Schlampe!", knurrt der Mann und ohne mit den Wimpern zu zucken, schneidet er Birgit die Kehle durch. Mit einem schrillen Schrei beobachtet Keira, wie sie leblos in sich zusammen fällt und sich um ihren Leiche eine Blutlache bildet. Mit zitterndem Körper übergibt sich Keira und fällt ebenfalls schwach zu Boden. Mit Tränen verschmierten Augen nimmt sie nur noch schwach war, wie der Mann mit blutverschmierten Krallen auf sie zu kommt, ehe ein stechender Schmerz durch ihre Brust jagt und sich die Finsternis über sie legt.
Kaltes Wasser perlt über ihre erhitzte Stirn und ihre Augen flackern. Ganz leise nimmt sie die Stimmen war, die wohl auf sie einreden. Vorsichtig versucht sie ihren Kopf zu heben, doch er fühlt sich so schwer an. Angst steigt in ihr hoch und sie versucht um Hilfe zuschreien, doch nur ein jämmerliches Krächzen ertönt. Warme Hände legen sich auf ihre Wangen und ihr Mund wird vorsichtig geöffnet. Keira möchte sich wehren, doch egal wie sehr sie es versucht, sie kann sich nicht bewegen. Verzweifelt versucht sie, die zähe, bittere Flüssigkeit auszuspucken, wird aber durch das zuhalten ihrer Nase, dazu gezwungen.
Zu ihrem Erstaunen breitet sich eine wollige Wärme in ihrem Körper aus und schon bald hört sie die besorgte Stimme ihres Vaters. Mit einem lauten Keuchen reisst sie ihre Augen auf und spürt sofort ein stechender Schmerz an ihrer Brust. "Wo bin ich?", keucht sie mit zitternder Stimme und ihre Hand klammert sich um die ihres Vaters. "Zuhause, in Sicherheit. Wie fühlst du dich?", murmelt Kian und streicht sich die Tränen aus dem Gesicht. Verwirrt blickt Keira ihn an - es war das erste Mal, dass sie ihn weinen sah. "Was ist passiert?", fragt Keira und richtet sich vorsichtig auf. "Kannst du dich an nichts erinnern?", ertönt eine weibliche Stimme und Keira zuckt erschrocken zusammen. "Keine Sorge. Mein Name ist Asmodia und ich möchte dir helfen!", antwortet die fremde Frau und gesellt sich vorsichtig zu ihr ans Bett. Sie hat lange, schwarze Haare, smaragdgrüne Augen und auf ihrer Stirn prangt eine wohl tätowierte Sonne. "Wer sind sie?", murmelt Keira und ihre Augen starren auf das merkwürdige Symbol. Die Frau wirft Kian einen vielsagenden Blick zu, ehe sie in die Hände klatscht. Die Tür zu Keiras Zimmer öffnet sich und eine weitere, deutlich jüngere Fraue betritt das Zimmer. Wie Asmodia sind alle in schwarze Kleider gehüllt und auf ihrer Stirn prangt ebenfalls das Zeichen der Sonne. "Das ist Taiana. Sie wird dich auf deinem Weg begleiten." Höflich nickt Keira ihr zu. "Ich möchte ja nicht frech sein, aber was hat das alles zu bedeuten?", murmelt sie und streicht sich nervös eine Strähne aus dem Gesicht. "Du kannst dich also an nichts erinnern?", fragt Asmodia nochmal, diesmal mit einem strengerem Ton. Keira schüttelt den Kopf und runzelt die Stirn. "Das letzte woran ich mich erinnern kann, ist der Besuch in der Kirche. Als der Priester meine Hand..." Keira bricht erschrocken ab und ihre Augen weiten sich. "Der Stein! Und Birgit, die Wolfsgestalt!", stottert sie und Tränen steigen in ihre Augen. "Was deine Freundin angeht, wir konnten sie nicht mehr retten. Dein Vater wird sie morgen im Wald vergraben!", spricht Asmodia kühl. Wieder klatscht sie in die Hände und Taiana überreicht ihr eine kleine Schatulle. Mit einer Handbewegung befielt sie ihr das Zimmer zu verlassen und blickt Keira dann ernst an. "Bezüglich des Steines - meinst du den hier?", sagt sie und öffnet die kleine Kiste, wo sich der hell leuchtende Kristall auf rotem Samt gebetet, befindet. "Du wirst bestimmt viele Fragen haben, aber es ist Zeit aufzubrechen! Dein Vater hat bereits zugestimmt!", fährt sie mit ernster Stimme fort. Verwirrt blickt Keira ihren Vater an, welcher beschämt zu Boden blickt. "Es ist das beste für dich, Keira. Du bist hier nicht mehr sicher!", murmelt er mit leiser Stimme. "Ich verstehe nichts mehr. Was ist hier genau los?", ruft Keira überfordert und das Stechen in ihrem Kopf wird stärker. "Darf ich einen kurzen Moment alleine mit meiner Tochter sprechen?", bittet Kian und Asmodias Gesicht verhärtet sich. "Natürlich. Wir werden draussen auf sie warten!", sagt sie und wirft Kian einen verächtlichen Blick zu.
Erst als die Türe ins Schloss fällt, wirft sich Keira in die Arme ihres Vaters und vergräbt ihr Gesicht in seiner Brust. Tränen rinnen über ihr Gesicht und ihr Körper zittert. "Was passiert hier?", schluchzt sie überfordert. "Hör mir zu Liebes!", flüstert Kian liebevoll und streicht seiner Tochter über ihr Haar. "Du musst mir jetzt vertrauen. Geh mit diesen Frauen mit. Sie bringen dich an einen sicheren Ort, wo sie all deine Fragen beantworten werden!", erklärt er und streicht ihr zärtlich eine Strähne aus dem Gesicht. "Aber wieso? Ich möchte bei dir bleiben!", stottert Keira und klammert sich an seinen Arm fest. "Das geht nicht. Keira, es ist schwierig zu erklären. Aber das hier ist nicht mehr der richtige Ort für dich", antwortet er und sein Gesicht verhärtet sich. "Es ist Zeit. Deine Sachen sind bereits gepackt. Mein Entschluss steht fest!" "Aber Vater!", ruft Keira mit zitternden Stimme.
"Du musst mir vertrauen, mein Kind!", fleht er und drückt ihr einen Kuss auf die Stirn.
Der Vollmond leuchtet hell am Himmel und ein eiskalter Wind zerrt an Keiras Kleider, als sie das Haus verlässt. Draussen stehen bereits vier Stute, welche nervös mit den Hufen scharren. "Gut - dann können wir endlich gehen!", ruft Asmodia ungeduldig und drückt packt Keira grob am Arm. "Sag Bradin, Caden und Glan das ich sie liebe. Trista natürlich auch! Und sag Mael, dass er sich keine Sorgen machen muss!", ruft Keira weinerlich, währendem sie sich mit schwerem Herzen auf das Pferd schwingt. "Pass auf dich auf, Kleines!", spricht Kian und seine Stimme zittert.
"Brechen wir nun endlich auf!", ruft Asmodia mit lauter Stimme und die Pferde setzen sich bei ihren Worten in Bewegung. Ein letztes Mal dreht sich Keira um und winkt ihrem Vater zu, welcher im Licht des Mondes so zerbrechlich und alt wirkt. Hoffentlich wird sie ihn bald wieder sehen!
Erst als die Sonne am Horizont aufgeht und sie in der Ferne den See von Claíbás erblicken, lässt Asmodia die Pferde langsamer gehen. Schweigend reitet Keira hinter ihr her und ihre Augen schweifen über die hohen Berge und die dichten Wälder, die sich im Osten erstrecken. Unruhig spielt sie mit den Zügeln in ihrer Hand und immer wieder huscht ihr Blick zu Asmodia, welche mit hoch erhobenem Kopf vor ihr reitet. Ihre mächtige, kühle und zugleich energiegeladene Ausstrahlung, fesselt Keira und sie hätte sie am liebsten mit Fragen durchlöchert. Selten hat sich Keira so unwohl und alleine gefühlt wie jetzt und sie hofft die ganze Zeit, dass das alles nur ein Albtraum ist und sie gleich von Glan aufgeweckt werden würde. Wenn ihr doch nur jemand erklären könnte, was los ist!
Als hätte Asmodia Keiras Gedanken gelesen, schnalzt sie mit der Zunge und Keiras Pferd schliesst zu ihr auf. "Die Pferde hören nur auf dich, oder?", murmelt Keira zögerlich und blickt in die funkelnden Augen von ihr. "In der Tat. Wenn ich ihnen befehle, euch ans Ende der Welt zu bringen, würden sie euch so weit tragen, bis sie Tod umfallen!", erklärt sie mit ruhiger Stimme und doch löst diese Aussage, Unbehagen in Keira aus. "Treffen wir eine Abmachung, Keira Ciallmhar. Du befolgst auch meine Befehle, dafür werde ich dir jede deiner Frage beantworten, so weit mein Wissen und die Zeit es zu lässt!" Unschlüssig rutscht Keira auf ihrem Sattel herum. "Natürlich werde ich dich nicht in den Tod schicken!", spricht sie und Keira lacht nervös, verstummt aber sofort unter ihrem ernsten Blick. "In Ordnung!", murmelt sie und Asmodia nickt zufrieden. "Was war das für ein Tier - das Birgit getötet hatte?", fragt Keira und nur schon bei dem Gedanken wird ihr eiskalt.
"Ihr nennt sie wohl Schattenwesen - wir nennen sie Kinder der Götter!", antwortet sie und auf Keiras verwirrtem Schweigen fährt sie fort. "Nicht die albernen Götter, an die das Volk glaubt. Hast du jemals schon in Erwägung gezogen, dass es nur ein Scheinbild ist, dass euch die Herrscher vorspielen? Die wahren Götter sind pure Magie, der Ursprung von allem. Aber genug - ich werde dir, wenn wir angekommen sind, mehr davon erzählen!"
"Wohin gehen wir denn genau?", fragt Keira zögerlich.
"In den Norden. Mehr kann ich dir noch nicht sagen!", antwortet sie und klatscht in die Hände. Das jüngere Mädchen, Keira erinnert sich an den Namen Taiana, schliesst zu ihnen auf und senkt höflich ihren Kopf. "Sie wird sich in den nächsten paar Tage um dich kümmern!", erklärt sie und blickt Taiana prüfend an. Diese nickt und lächelt Keira aufmunternd an. "Kümmer dich um sie!", spricht sie kühl und wendet sich dann von ihnen ab. "Wie fühlst du dich?", fragt Taiana nach einer Weile und blickt Keira besorgt an. "Wie soll es mir schon gehen? Ich habe keine Ahnung wer ihr seit, wohin wir gehen und was gerade los ist!", murmelt Keira und versucht ihre Tränen zurück zuhalten. "Ich weiss wie du dich fühlst. Als sie mich abholten, war ich auch total verwirrt und verstand die Welt nicht mehr. Du wirst dich aber bald daran gewöhnen!", antwortet sie und ihre warme Art lässt Keira beruhigen. "Wer seit ihr denn?" Für einen Moment scheint Taiana mit sich zu ringen, ehe sie sich zu Keira lehnt. "Ich darf es dir noch nicht sagen, da du zuerst deinen Eid schwören musst. Aber wir sind, wie soll ich es sagen - Diener der Götter und Behüter der Magie !", flüstert sie leise und ihre Stimme bebt aufgeregt. Keiras Augen weiten sich und sie blickt Taiana erstaunt an. "Magierinnen?" Ein leichtes Lächeln huscht über Taianas Lippen und sie nickt. "Ja, so kann man es auch sagen!" "Aber ich bin doch keine Magierin!", erwidert Keira mit gerunzelter Stirn. "Das werden wir morgen sehen. Es gab aber eine grosse Diskussion im Rat wegen dir. Du scheinst eine grosse Gabe in dir zu tragen und wichtig für die Götter zu sein!", erzählt Taiana fröhlich. "Schweigt! Zieht eure Kapuzen ins Gesicht!", befiehlt Asmodia plötzlich und wirft Taiana einen ernsten Blick zu. "Halte dich gut an den Zügeln fest und verhalte dich unauffällig!", flüstert sie leise und Keiras Blick wandert nach vorne. Fünf Soldaten versperren den Weg und im Licht der Sonne glänzen ihre Schwerter. Auf ihrer Brust prangt das Wappen von Claíbás, zwei gekreuzte Schwerter über einem Bärenkopf und ein ungutes Gefühl breitet sich in Keira aus. Mael erzählte ihr, in der Stadt werden die besten Schwertkämpfer ausgebildet und der König Godhá dürstet angeblich nur nach einem neuen Krieg. "Im Namen des Königs - halten sie an!", ruft der eine laut und hält sein Schwert in der Hand bereit. "Wir haben es eilig. Aus welchem Grund versperrt ihr uns den Weg?", sprich Asmodia mit kühler Stimme und rümpft angeekelt die Nase. "Nicht mit diesem Tonfall, altes Weib! Steigt ab!", knurrt der grösste von ihnen und packt Asmodia am Bein. "Nehmen sie die Hand weg!", zischt sie langsam und die Luft beginnt bei ihren Worten zu flimmern. Der Mann scheint es auch zu bemerken und lässt sie mit wutverzerrter Miene los. Laut ruft er in einer fremden Sprache seinen Kameraden Befehle zu und alle zücken ihre Schwerter. "Scheiss Magiergesindel. Ergebt euch oder wir töten euch!", ruft er und erntet von Asmodia nur einen abschätzigen Blick. "Seht ihr Schwestern, die Männer sind schwache Geschöpfe. Ihre Existenz ist belangloser, als das Leben einer Küchenmaus. Schwach und so berechnenbar!", verspottet Asmodia höhnisch und mit einer schnellen Handbewegung zerspringen die Schwerter in den Händen der Krieger. "Ohne ihre Schwerter sind sie nichts und niemand. Nicht einmal ein Hase würde sich vor ihnen fürchten! Aber nicht mehr lange!", zischt Asmodia und mit einer weiteren Bewegung fallen die Männer zu Boden. Amüsiert beobachtet Keira, wie die Krieger verwirrt im Schlamm liegen und vor Wut zittern. Unbeirrt schnalzt Asmodia mit der Zunge und die Pferde setzten sich in Bewegung. Mit hoch erhobenem Kopf reitet sie an den Soldaten vorbei, welche mit geballten Fäuste ihnen wüste Flüche hinterher rufen. Voller Bewunderung starrt Keira auf Asmodia, welche mit einem weissen Tuch ihre Hände säubert, ehe sie ihre schwarzen Haare zurück wirft, welche im Licht der Sonne glänzen. "Sie ist unglaublich!", murmelt Keira ehrfürchtig. "Ist es dein erstes Mal? Das du Magie gespürt und gesehen hast?", fragt Taiana und Keira nickt lächelnd. "Ich habe es mir immer anders vorgestellt. Mit grossen Ritual und langen Sprüchen - aber es sah so einfach aus!" "Einfach ist es nicht, das kann ich dir sagen. Ich würde dir so gerne alles darüber erzählen was ich weiss, aber es braucht seine Zeit!", spricht Taiana und lacht leise. "Ausserdem bin ich auch noch ein Anfänger. Asmodia ist eine der grössten Magierinnen, die es seit dem Tag der Flammen, jemals gegeben hat!", erklärt sie und die Bewundern von Keira steigt. "Sie dir den See an, ist er nicht schön?", murmelt Taiana nach einer Weile und Keira folgt ihrem Blick. Tatsächlich sind sie bereits am Ufer angekommen und das türkisfarbene Wasser funkelt im Licht der Sonne.
Die Stadt Claíbás, mit ihren pechschwarzen Hausdächern und der grossen, steinernen Burg erstreckt sich vor ihnen und in der Ferne sieht man die hohen Berge vom Norden.
"Am besten du denkst nicht zu viel darüber nach!", murmelt Taiana traurig, ehe sie in eine Seitenstrasse einbiegen und die Stadt zurück lassen.
Als es eindunkelt liegt der See bereits weit hinter ihnen und die nördlichen Berge erstrecken sich immer höher in den Himmel. Keiras Körper schmerzt vom ewigen Reiten und sie spürt, wie sie langsam müde wird. Ihre Augen brennen und ihr Magen knurrt vor Hunger. Seit ihrem Aufbruch hat sie nichts gegessen, was ihr langsam zum Verhängnis wird. Erschöpft lässt sie ihren Blick über die immer karger werdende Landschaft schweifen. Die saftigen Wiesen, Kornfelder und Weingüter sind verschwunden und der zuvor gepflasterte Weg ähnelt nun einem Feldweg. Dichte Tannenwälder erstrecken sich über die hügelige Landschaft und ein kalter Wind weht vom Norden her. Plötzlich hält Asmodia die Pferde an und dreht sich zu ihnen um. "Wir reiten nun ein wenig in den Wald und suchen uns einen geeigneten Schlafplatz. Es ist zu gefährlich in der Nacht durch Nurba zu reiten!", erklärt sie und Keira atmet erleichtert aus.
Das Feuer flackert und wärmt die steifen Glieder von Keira. Ein umgefallener Baum, welcher sie mit Tannenäste und Gras abgedeckt haben, dient ihnen heute als Unterschlupf und laut Taiana, hätten sie nichts besseres finden können. Hungrig beisst Keira in das erlegte Kaninchen und eine angenehme Wärme breitet sich in ihrem Körper aus. Aus dem Augenwinkel bemerkt sie, wie Asmodia mit erhobenen Händen um ihr Nachtlager herum schreitet und leise flüstert. "Sie zieht einen Schutzkreis, damit uns unsere Feinde nicht finden!", erklärt Taiana, die wohl ihr skeptischen Blick bemerkt hat. "Haben wir den Feinde?", fragt Keira und lehnt sich näher ans Feuer. "Wir wissen es nicht. Es ist alles im Umbruch. Freuden werden zu Feinde und Feinde zu Freunde. Das Gleichgewicht zerfällt immer mehr!",murmelt sie und knetet nervös ihre zarten Hände.
"Kannst du noch Brennholz für die Nacht sammeln?", ruft Asmodia und blickt Taiana ernst an. "Ich mach es schon. Ich bin es nicht mehr gewohnt, so lange zu reiten!", erwidert Keira und Taiana lächelt sie dankbar an. Als sie den Schlafplatz verlässt, spürt sie den prüfenden Blick von Asmodia auf ihrem Rücken und Keira beschleunigt ihre Schritte. Immer weiter dringt sie in den Tannenwald vor und ab und zu sammelt sie einige Stücke Holz auf. Starke Kopfschmerzen plagen sie schon die ganze Reise und der unangenehme Druck an ihrer Brust ist auch noch nicht verschwunden. Müde reibt sie sich ihre Augen und versucht ihre Gedanken zu ordnen. Sie hat aufgehört zu hinterfragen und obwohl sie keine Ahnung hat, was alles mit ihr zu tun hat, vertraut sie ihrem Vater. Tränen steigen in ihre Augen, bei dem Gedanken, dass nun die ganze Familie am Küchentisch sitzt und Abendbrot isst. Und Mael - sie konnte sich nicht einmal von ihm verabschieden. Wann wird sie ihn wohl wiedersehen? Auf einmal durchbricht ein lautes Knacken die Stille und Keira zuckt erschrocken zusammen. Angestrengt versucht sie in der Dämmerung etwas zu erkennen und sie hätte schwören können, einen Schatten zwischen den Baumstämmen durchhuschen zu sehen. Angst steigt in ihr hoch und sie packt das wenige Holz das sie gesammelt hatte und macht sich auf den Rückweg. Wahrscheinlich war es nur ein wildes Tier, ein Fuchs oder vielleicht sogar ein Reh. Keira schüttelt genervt den Kopf, wie oft war sie nachts im Wald und hat merkwürdige Geräusche gehört. In der Dunkelheit erkennt sie bereits das helle Licht des Feuers und Keira spürt, wie die Müdigkeit in ihren Knochen steckt. Gerade als sie unter einen umgefallenen Baumstamm hindurch kriechen wollte, hört sie einen lauten Knall, als wäre etwas von grosser Höhe auf den Boden geprallt und sie dreht sich erschrocken um. Ein weisser Schwan liegt mitten auf der Lichtung und sein Gefieder glänzt rot. Hilflos reckt er seinen langen Hals in die Luft und windet sich vor Schmerzen. Eine Gestalt löst sich aus dem Schatten der Bäume und Keira drückt sich ängstlich an die feuchte Erde. Wie gebannt starrt sie auf die Kreatur, wie es in bedrohlichen Schritten auf den ausgelieferten Vogel zu schreitet und herablassend auf sie hinunter blickt. Ein heller Lichtstrahl durchbricht die Dunkelheit und wo zuvor ein Schwan war, sitzt nun eine Frau zusammengesunken, mit schneeweissen Haaren und entblösstem Körper. Die Gestalt kniet sich zu ihr nieder, ehe ein schmerzerfülltes Keuchen zu hören ist und sie leblos zu Boden fällt.
Ein leiser Schrei entfährt Keira und ihr Herz beginnt schneller zu schlagen. Die Gestalt dreht sich langsam zu ihr um und breitet wie ein Vogel seine Flügel aus. Rabenschwarz verschmelzen seine Schwingen mit der Dunkelheit und ein kehliges Lachen erklingt aus seiner Richtung. "Anaiona!", flüstert er und schreitet bedächtig auf sie zu. Wie angewurzelt bleibt Keira stehen, gelähmt vor Angst. "Anaiona!", wiederholt er und packt mit einer schnellen Bewegung Keiras Hand und fährt erregt über ihre Wunde. "Anaiona!", ruft er diesmal lauter und kräftiger und seine Augen funkeln bedrohlich. Gerade als er sich vor ihr hinknien will, durchbohrt seine Lungen ein Pfeil und er fällt röchelnd zu Boden. Blut fliesst aus seinem Mund und seine Augen flattern. "Anaiona!
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MarcENicollson • Am 03.10.2017 um 18:24 Uhr | |
Okay, ich bin etwas aus der Übung, aber ich versuche mich dennoch mal an einer Kritik. Also zuerst gilt zu sagen, dass ich natürlich nach dem ersten Kapitel zum Inhalt noch nicht viel sagen kann. Was auffällig ist, ist die Zeitform. Präsens ist, meiner Meinung nach, für einen klassischen High-Fantasy Roman doch eher ungewöhnlich und wird normalerweise nicht verwendet. Auch, dass sich in einem an das MA angelehnten Roman die Leute siezen statt "Ihren" finde ich merkwürdig. Zumal Keira Lady Rose siezt, später aber den Soldat, der sie zu ihrem Vater bringt, mit "Ihr" anredet. Im ersten großen Absatz, also bis zu der Stelle, an der Keira ihrem Vater hilft, baust du schon einmal in groben Zügen die Umgebung und die Atmosphäre auf. Der Leser stellt sich viele Fragen - zu viele, meiner Meinung nach. Dadurch wirkt die Erzählung undurchsichtig und sehr verworren, was den Lesefluss stört, da man oft noch einmal von vorne beginnen muss. Ein paar Dinge irritieren mich: 1. Zwei Soldaten (die dann auf einmal "Wächter" sind, was mich stutzen ließ, weil ich dachte, jetzt ist wieder von jemand anderem die Rede), die ganz offensichtlich der Stadt angehören, kommen mit blutigen Schwertern angeritten und auf einmal rastet die Menge vollkommen aus und beschimpft auch noch den König! Finde ich seltsam, denn welchen Grund haben sie dafür? Ihnen wurde ja kein Unrecht getan, oder? Trotzdem entsteht eine Massenpanik und Massenhysterie, die sich gegen den König wendet. 2. Auf einmal wird Keira Lasíe genannt, keiner weiß warum. Da wäre eine kurze Erklärung vermutlich wichtig. 3. Eine GRUPPE von Soldaten kommt an; plötzlich wird aber nur noch einer beschrieben, ohne dass der Leser darüber in Kenntnis gesetzt wird, dass Keiras Blick auf nur einen einzigen gefallen ist (das ist nur 'ne Kleinigkeit). Dass jemand in der Garnison arbeitet, macht ihr Angst? Warum das? Die Soldaten sind doch keine Feinde, oder? Auch hier bräuchte der Leser eine Erklärung. 4. Nächste Erklärung wäre für die Behauptung wichtig, Schmiede- und Heilkunst wären sich sehr ähnlich. Auch hier wieder: Warum? 5. Was ist mit der Schwanenfeder? Warum hat Keira deshalb ein ungutes Gefühl? Wofür ist sie Symbol? Puh, so viel zum ersten Teil. Vielleicht war es auch deine Absicht, so viele Fragen aufkommen zu lassen, aber bei mir sorgte es, wie gesagt, für reichlich Verwirrung. Zweiter Teil (sorry deswegen, aber wenn ich schon mal drüber bin, dann mach ich es auch ausführlich) 1. "Muck" schnauzt Keira erst einmal volle Kanne an, aber sie schmunzelt nur darüber. Das klingt jetzt so, als würde ihr das gefallen. Zumindest solltest du eine Erklärung für dieses Verhalten geben zB 'sie weiß, dass er es nicht so meint' ... das musst du wissen. 2. Tipp: Mach während eines Dialoges jedes Mal, wenn eine neue Person redet, einen Absatz. Sonst verliert der Leser leicht den Überblick, was wer sagt. 3. Der Grapscher, offensichtlich Anführer der Südländer, die ja nicht aus der Stadt sind, kennt die Tochter des dort ansässigen Heilers. Sie kennt ihn aber nicht, das finde ich merkwürdig. 4. 'Aber was soll man machen - es ist eben so.' Keira scheint das ja vollkommen egal zu sein, dass sowohl ihr Vater als auch sie selbst eigentlich ständig in Angst leben müssen, selbst hingerichtet zu werden. So, bevor das noch mehr ausartet, lasse ich dich jetzt in Ruhe. MfG Marc Mehr anzeigen |
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Kapitel: | 5 | |
Sätze: | 1.351 | |
Wörter: | 17.935 | |
Zeichen: | 102.915 |