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Des Herrn Professors Abenteuer

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17.08.22 19:03
16 Ab 16 Jahren
Heterosexualität
In Arbeit
Es war so, und ich konnte daran nichts ändern. Jedenfalls nicht im Moment. Wenn sich herausstellen sollte, dass die Chemie nicht stimmte, dann dürfte ich mich selbstverständlich bei der Koordinatorin melden und um einen anderen Mentor bitten. Doch erst einmal sollte ich sehen, wie es sich anließe – mit meinem jetzigen Mentor, den mir das Team sorgfältig, wie die Koordinatorin betonte, ausgesucht hatte. Er entspreche am besten meinen Bedürfnissen. Ja? War das so? Und warum hatte ich dann nicht im Traum daran gedacht, ihn auf meine Wunschliste zu setzen und stattdessen drei Frauen gewählt, die mir aus meinen bisherigen Studien recht vertraut waren und von denen ich sagen konnte, dass sie meine Fragen rund um den weiteren Verlauf meines Promotiopnsstudiums beantworten konnten und auch Hilfe bei der Frage nach einer eventuellen wissenschaftlichen Karriere sowie einer Lebensplanung zwischen Familie und Universität boten. Und nun das? Was sollte ich mit dieser Entscheidung anfangen, für ein Jahr lang einem in die Jahre gekommenen Typen gegenüberzusitzen, der von Frauenquote in der Wissenschaft noch nichts gehört zu haben schien? So zumindest gab er sich laut seiner Homepage: seine zwei Putzerfische – wie die Mitarbeiter des wissenschaftlichen Mittelbaus genannt wurden, weil sie ihren Hai immer umschwärmen mussten – waren Kerle, die nichts Besseres zu tun hatten, als ihre Ergüsse, die geistigen, ganz weit zum Fenster herausspritzen zu lassen, damit sie auch ja jeder wahrnahm. Eine Veröffentlichung nach der anderen – und das in so kurzer Zeit, dass selbst das Universum in seiner Inflationsphase alt aussah. Ok, ich übertreibe! Es reicht auch, die jetzige Expansionsrate als Grundlage zu nehmen. Wenn ich diesem Friedrich-Ludwig Quakenburg, der gerade einmal 25 Jahre alt war, das so sagen würde, also, dass er schneller publizieren würde, als das Universum je expandieren könnte, wäre er wahrscheinlich hocherfreut über diesen Vergleich und fortan mein bester Freund. Mag sein, dass ich an dieser Stelle nicht ganz vorurteilsfrei und wenig sachlich erscheine, doch ich durfte von mir behaupten, dass ich diese kleinen aufgeblasenen Wissenschafts-Blagen hinter ihren klugscheißenden runden Brillen, mit mittelgescheiteltem, leicht angefettetet wirkendem Haar und der professoral anmutenden Fliege um den dicken Hals besser kannte als mir lieb war. Gut, Ausnahmen gab es immer wieder, aber die meisten waren von solch eitler Selbstverliebtheit, dass sie den Herrn Professoren regelrecht Konkurrenz machten und sich, wenn diese nicht anwesend waren, so sehr aufbliesen, dass, wären sie ein Heißluftballon, ein winziges Flämmchen genügen würde … Aber dieses Flämmchen brauchte es im Grunde nicht, denn kaum erschien der Herr Professor, konterkarierten sie ihr Verhalten augenblicklich selbst, indem sie ganz eilfertig Taschen und Gerätschaften des werten Chefs packten und hinter diesem die langen Uniflure zum Seminarraum hergingen – stets mit leicht gekrümmtem Rücken – aber nur, solange der Herr Professor in der Nähe war ... Ich ahnte, dass Quakenburg ganz genauso einer war. Und Philipp Wessels, der zweite Putzerfisch? Ebenfalls Brille, nur eckig, wohl um eine gewisse Strenge zu verbreiten und das Haar im exakten Seitenscheite gelegt. Dazu Anzug und Krawatte wie frisch von einer Tagung kommend. Nun, vielleicht durfte der sich bereits über einen oder zwei taschentragefreie Tage in der Woche freuen, immerhin war er schon 30 Jahre alt, also bereits ein alter Mann im Vergleich zum fünf Jahre jüngeren Quakenburg. Das war ihm wohl auch bewusst, denn seine Homepage las sich in der Tat wie eine Kakophonie an Forschungsinteressen, Konferenzteilnahmen und … natürlich Publikationen. Wieder drängte sich mir der Vergleich mit der Expansionsrate des Universums auf, die ja stetig zunahm. Und eigentlich hätte ich beeindruckt sein sollen, wie es jemand schaffte, mit annähernd Lichtgeschwindigkeit Dinge aus seinem Hirn zu pressen und aufs Papier zu wursten. War ich aber nicht, denn so viel Wurst in so kurzer Zeit ging gar nicht. Selbst bei höchstbegabten Wissenschaftler nicht. Aber: Dr. Philipp Wessels war ein Spezialist auf allen Gebieten. Ein Tausendsassa, der in seiner Freizeit sogar Piano und Violine spielte und auch Querflöte als Solist wohlgemerkt. Nebenbei schreibe er an seiner Habil., hieß es da. Mit zahlreichen Preisen sei er auch schon geehrt worden, zuletzt von der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Klasse! Ach, und nicht zu vergessen, sein Abitur! Das hatte er mit der Note 0,85 bestanden! Was war dem noch hinzuzufügen? Vielleicht, dass Quakenburg, Friedrich-Ludwig, dem Älteren in nichts nachstehen wollte und bald Dr. des. war? Ehrlich? Ich wollte zwischen diesen beiden wissenschaftlichen Pfundskerlen nicht sitzen müssen. Musste ich ja auch nicht. Ich musste nur … Und da war es wieder … Ich musste nur zu deren Chef, dem Hai, der mich mit schiefem Grinsen von seinem Homepagefoto her ansah und so wirkte, als hätte er sich extra Mühe gegeben, um abschreckend zu wirken.

Die Idee, die hinter diesem Mentoring-Programm steckte, war im Grunde ganz einfach und klang verlockend. Die Teilnehmer des Programms – Studenten, die sich in der Endphase ihrer Master-Arbeit befanden über Promovenden bis hin zu PostDocs – sollten die Möglichkeit zur Orientierung in der Wissenschaft erhalten und dazu mit einem – möglichst von ihnen selbst gewählten Mentor! – in Kontakt treten dürfen, um dem all jene Fragen stellen zu können, die sich im normalen Wissenschaftsbetrieb verbaten. Und da ich meine Fragen ganz klar formuliert hatte und eben drei Professorinnen genannt hatte, war ich davon ausgegangen, dass ich eine dieser Damen als Mentorin bekommen würde. Punkt! Aus! Ende! Dass ich nun mit einem Herrn Professor an der Backe dasaß, wollte mir partout nicht ein. Nein, ich war nicht daran interessiert, wie Männer in der Wissenschaft bestanden – und er im Speziellen –, denn das konnte ich mir denken: wenn zum Beispiel die Sekretärin meines ehemaligen Professors darüber klagte, dass sie bis spät in der Nacht sitzen und Manuskripte für ihn tippen musste, die der Herr pünktlich am nächsten Tag zum Verlag schicken lassen wollte, dann musste ich schon sehr an mich halten. Ein Dank wäre nie über seine Lippen gekommen, im Gegenteil: wie oft hätte er sie gefragt, warum sie so müde aussähe und ihr dann vorgeworfen, dass ihre allgemeine Arbeitsorganisation unter aller Sau sei. Und wenn sie ihm dann zu erklären versuchte, dass er ihr die Unterlagen zu spät gegeben hätte, brüllte er, was sie sich einbilde.

Das war nicht das einzige Beispiel, das ich hätte nennen können. Kurzum: ich kannte solche Typen, die sich auf den Rücken anderer, vor allem Frauen, die wissenschaftlichen Lorbeeren ansteckten – möglichst vor ihrem intimen Spiegel im Büro, um zu prüfen, ob sie auch richtig säßen und um sich ein leises: Schade, schade, dass es keinen Nobelpeis für mich gibt!, zuzuflüstern. ... Und zu so einem sollte ich hin?

Das Koordinationsteam hielt den Kerl, Karl-Viktor Friedman hieß er, war 56 Jahre alt und zierte sich sogar mit zwei Doktortiteln, am geeignetsten für mich. Da verbat sich weiteres Fragen, außer, ich hätte mich partout querstellen wollen. Aber ehrlich, eine Weile war ich sogar drauf und dran, die Sache hinzuschmeißen. Ich war wütend. Doch dann sagte ich mir: wenn ich schon nichts für mein weiteres Leben lernen würde, so würde ich doch wieder mal einem dieser Wissenschaftspfeifen gegenüberstehen und könnte endlich einmal zurückfeuern ... Und darauf freute ich mich!

 

 
 
Keine drei Wochen später stieg ich frühmorgens in den Zug, der mich zu diesem Herrn Professor Karl-Viktor Friedman bringen sollte. Vier Stunde würde ich ins schöne München benötigen. Der Termin war für 12 Uhr vereinbart worden – in seinem Büro. Persönlich hatte ich noch nicht mit ihm sprechen können. Das Organisatorische hatten die Koordinatoren vereinbart. Für das erste Treffen, hieß es, war das besser. Warum eigentlich? Ich hatte mir die Frage verkniffen und mich eher an die Vorbereitung des Treffens gesetzt, denn darauf kam es schließlich an. Stumm vor dem Kerl zu sitzen, brachte es ja nicht. Also hatte ich mir eben einige Fragen ausgedacht, die ihn, so meinte ich, des Snobismus und der Kaltblütigkeit überführen sollten. Ganz direkt waren meine Fragen und wenn er auswiche, was er garantiert täte, dann würde ich ihn mir trotzdem packen, Lange genug hatte ich miterleben müssen, wie Frauen unter Männer in der Wissenschaft leiden mussten und von ihnen gedrückt und an den Rand gedrängt wurden. Warum gab es denn so viele Männer mit Professorentitel und nur so wenige Frauen? Und außerdem galt, dass es für einen Mann mit guten Ergebnissen reichen würde, eine Frau hingegen müssen sehr gute und bessere Ergebnisse vorweisen, ehe sie die Chance auf eine Anstellung erhielt. Und warum nahmen diese wenigen Frauen, die es geschafft hatten, immer männlichere Attribute an, je höher sie auf der wissenschaftlichen Leiter stiegen? Klar, weil sie verflucht nochmal in einer männlich dominierten Arbeitswelt agierten und ihnen nichts anderes übrigblieb, als sich durchzuboxen und Ellenbogen zu zeigen. Aber entsprach das weiblichem Denken und Fühlen? Oder verhielt es sich nicht eher so, das Frauen ganz anders tickten als Männer? So jedenfalls hatte es mir die Sekretärin meines damaligen Professor erklärt, die, die Nächte lang hindurch seine Manuskripte abtippte, die, die sich hatte zur Sau machen lassen, wegen ihrer angeblich desolaten Arbeitsorganisation. Mich hatte ihre Sichtweise ganz zu Anfang meines Studiums irritiert. Tickten Männer und Frauen tatsächlich anders? Kamen, um es salopp zu sagen, Männer wirklich vom Mars und Frauen von der Venus? Steckte Männern das kriegerische Potential in den Genen? Sahen sie sich Zeit ihres Lebens in einem Wettstreit mit anderen und waren immer gezwungen zu gewinnen, koste, was es wolle? Und war ihnen letztlich jedes Mittel recht dafür? Und Frauen? Waren sie wirklich immer auf Harmonie aus? Betrachteten sie eine Diskussion – anders als Männer – nicht als Machtkampf, in dem sie die Oberhand haben mussten? Am Anfang,wie gesagt, zweifelt ich an dieser Sichtweise, doch je länger ich studierte, desto häufiger kam es vor, dass es gerade Männer waren, die sich ihren Platz, besser als Frauen, zu sichern wussten, eben weil sie kämpften und das auch unter unfairen Bedingungen. Und wenn man dann im Seminar über Gleichberechtigung fragte, warum es so wenige Frauen auf feste Posten in der Wissenschaft schafften, kam die lapidare Antwort: „Sie geben ja vorher auf.“ Ja, aber warum gaben sie denn auf? Und warum gab es im Verhältnis zu Männern mehr Frauen, die bei gleicher Qualifikation einfach keinen Lehrstuhl erhielten und so in ständiger Abhängigkeit und finanzieller Unsicherheit gehalten wurden. Dass Frauen darauf keine Lust hatten und vorher die Segel strichen, war doch klar. Wie aber könnte man dem beikommen? Was müsste sich ändern? Und wie konnte man es ändern?

Eben diese Fragen hatte ich eigentlich mit einer von diesen drei Professorinnen, die ich in meiner Bewerbung genannte hatte, besprechen wollen. Stattdessen musste ich nun zu diesem Karl-Viktor Friedman. Okay, München war ein schönes Pflaster. Und wenn es mit diesem Typen schieflief, wovon ich ausgehen durfte, dann war da immer noch die Stadt, der Englische Garten zum Beispiel, in dem ich meinen Frust heraus brüllen konnte.

Und so als wolle mich dieser Kerl in meinen Vermutungen bestätigen, empfing er mich in seinem Büro mit den Worten: „Ich will ehrlich zu Ihnen sein, Frau ...“ Er geriet ins Stocken. Verdammt, er wusste noch nicht einmal meinen Namen!

„Hübner“, antworte ich so ruhig ich konnte und versuchte diesen großen dürren Kerl, der es noch nicht einmal für nötig hielt, sich von seinem Schreibtisch zu erheben, genau in Augenschein zu nehmen. Graue kurze Haare, schmales Gesicht, randlose Brille, dazu das gleiche schiefe Grinsen wie auf dem Foto. Deutlich sah ich seine gebleckten Zähne. Mir stieß es sauer auf.

„Hübner, Carolyn“, wiederholte er, nickte dazu und begann wie beiläufig in einem Buch zu blättern, um mir zu zeigen, dass ich störte. „Also, Frau Hübner ...“ Er sah kurz auf und unsere Blicke trafen sich. „Ich will ganz ehrlich zu Ihnen sein.“ Wieder unterbrach er sich und faltete die Hände vor sich auf dem Tisch. Abwehrhaltung, schoss es mir durch den Kopf. „Ich habe heute nur eine halbe Stunde für Sie Zeit ...“

Mir stockte der Atem. Das durfte doch nicht wahr sein. Da ließ mich der Kerl über vier Stunden lang fahren, um mir zu eröffnen, dass er nur 30 Minuten Zeit für das Gespräch eingeplant hatte? Der war ja schlimmer, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Und so als meinte er, dass ich dafür auch noch dankbar war, überhaupt einen Termin bei ihm erhalten zu haben, fuhr er fort: „Ich hoffe, Sie haben sich gut auf dieses Treffen vorbereitet?“

Fast wollte ich fragen: Und Sie? Was ist mit Ihnen, Herr Professor…? Aber das verkniff ich mir. Für’s Erste. Dafür schoss er weiter. „Denn, wie ich Ihren Unterlagen, die man mir leider viel zu spät zugesandt hat, entnehme, sind Sie ja auch nicht mehr ganz jung ...“ Er sah auf, zog eine Mappe zu sich heran – offensichtlich meine – und begann darin zu blättern.

„32, ja“, ließ ich mich vernehmen.

„Und da promovieren Sie noch immer? Oder, wie ich gerade sehe, beginnen gerade. “

Ich schluckte. „Ja, was spricht dagegen?“

„Nun, nichts“, entgegnete er, sah auf, nahm sich die Brille ab und kratzte sich mit ihr in Hand an der Schläfe, ehe er sie sich wieder auf die Nase schob.

„Jeder in seinem Tempo“, brachte ich heraus.

Er nickte, fuhr sich dann mit der Hand durchs kurze graue Haar und spitzte die Lippen, so als überlege er. „Aber“, hob er dann wieder an, „ich sag’s ganz offen und verrate Ihnen damit sicher kein Geheimnis, aber in der Wissenschaft dürften Sie mit diesem Tempo hier in Deutschland keine Chance haben. Wenn ich rechne, dass Sie für Ihre Promotion mindestens 4 Jahre benötigen werden, eher 5, dann weiß ich nicht, wie ich Ihnen werde helfen können.“

Er sah auf, offensichtlich suchte er zu erfahren, wie ich auf seine Worte reagierte. In der Tat begann es in mir zu brodeln, doch ich hielt jegliche Emotion zurück. Sah ihn meinerseits an. Es bestand kein Zweifel, der Kerl wollte mich loswerden und dazu war ihm jedes Mittel recht. Er war in dieser Hinsicht – und es durchzuckte mich wie ein Gedankengewitter – genauso, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Selbstherrlich, abkanzelnd. Meinem ehemaligen Professor in nichts nachstehend.

„Und wenn ich nicht in Deutschland bleiben möchte?“, fragte ich so ruhig ich konnte.

„So? Wohin wollen Sie denn gehen?“

Ich verkniff es mir, mit den Schultern zu zucken, denn was hier zählte, war ein geradliniges Auftreten. Das hatten mich die Coachings, die ich an der Uni belegt hatte, gelehrt.

„Nach England oder in die Vereinigten Staaten.“

„Können Sie denn ausreichend Englisch?“

„Ja“, schnappte ich.

„Sie könnten auch in die Schweiz gehen“, hörte ich ihn sagen. „Aber da müssen Sie Schweizerdeutsch beherrschen.“

„Quatsch!“  

„Wie?“, fragte er und ließ meine Mappe sinken.

„Quatsch ist das!“, wiederholte ich.

„Was? Was haben Sie da gesagt?“

„Na ja ...“, beeilte ich mich. Ich wusste seinen Blick auf mich gerichtet, wusste auch, dass er eine adäquate Entschuldigung von mir erwartete. Doch die verkniff ich mir. Solche Typen wie er durften den größten Blödsinn erzählen, aber wehe, jemand sprach dagegen, demaskierte sie. Sollte er das Gespräch doch an dieser Stelle für beendet erklären, sollte er mich doch rauswerfen. Und wenn schon! Vor meinem Koordinatoren-Team konnte ich Rede und Antwort stehen und endlich meine gewünschte Mentorin bekommen. Mit dem hier ging es jedenfalls gar nicht. Also nahm ich meine Tasche auf den Schoss, wollte schon aufstehen, als er mich plötzlich fragte: „Wie also meinen Sie, kann ich Ihnen helfen kann?“

Augenblicklich holte ich tief Luft. Mir war klar, dass das der Rauswurf war, wenn auch positiv formuliert. Doch in der Tat gab es nichts mehr zu sagen.

„Gar nicht. Sie können mir nicht helfen“, erwiderte ich deswegen knapp und zog die Augenbrauen hoch. Er stutzte. Dann stieß er ein verwundertes „Wie?“ hervor und ich nickte. Mit dieser Reaktion hatte er wohl nicht gerechnet.

„Im Grunde bin ich nicht hierher gekommen“, fuhr ich daraufhin fort, „um mit Ihnen eine Strategie für mein wissenschaftliches Fortkommen zu erarbeiten, sondern, um Sie kennenzulernen.“

„Wie?“ Wieder wurde seine Verwunderung deutlich sichtbar, denn er hielt den Mund leicht geöffnet.  

„Ja, aber ich wollte ...“, setzte ich wieder an, wurde aber von ihm unterbrochen. „Haben ich Sie richtig verstanden, dass Sie nur hier sind, um mich kennenzulernen?“

Ich nickte.

„Sie rauben mir meine Zeit, um mir das ...“

„Sie haben doch sowieso keine Zeit für mich“, entgegnete ich rasch.

Einen Moment lang herrschte Schweigen und mir war klar, dass er mich nun rauswerfen würde. Doch wiederum geschah nichts dergleichen. Stattdessen fragte er mich: „Und warum wollten Sie mich kennenlernen?“

„Ich möchte Ihnen eine Frage stellen, die ich Ihnen nur persönlich stellen kann.“

Ich hätte gelogen,wenn ich behauptet hätte, dass mir in diesem Moment nicht das Herz in die Hose gerutscht wäre. Doch nun hatte ich ihn genau an der Stelle, an der ich ihn haben wollte. Ich konnte loslegen, konnte ihn mir vornehmen, ihm auf den Zahn fühlen.

„Also bitte!“

Ich ließ mich von seinem gönnerhaften Tonfall nicht einschüchtern.

„Was, denken Sie, warum gibt es so wenige Frauen in sicheren Positionen in der Wissenschaft? Warum erhalten Sie anders als ihre männlichen Kollegen viel später und auch viel schwerer eine gute Stelle? Sie wissen, auf Ihrem Stuhl könnte auch eine Frau sitzen. Was denken Sie, machen Frauen falsch?“

Ich unterbrach mich, sah ihm in die Augen.

„Das waren drei Fragen und eine Feststellung“, bemerkte er ruhig.

„Was denken Sie?“, beharrte ich.

„Nun, nichts. Nichts machen Sie falsch.“

„Was? Was soll das heißen?“, schnappte ich.

„Nichts weiter, als dass Frauen oftmals andere Prioritäten setzen als Männer.“

„Und welche wären das?“

„Nun“, begann er, „das wissen Sie doch als Frau viel besser als ich.“

„Sagen Sie es mir?“

Einen Moment lang tat er nichts, sah mich nur an, dann setzte er wieder die Brille ab, rieb sich die Augen, zwinkerte einige Male. Dann: „Lassen Sie es mich so sagen: An einem bestimmten Punkt im Leben einer Frau stellt sich ihr wohl die Frage, ob Wissenschaft oder Familie den Vorrang hat. Einige entscheiden sich dann für Letzteres, was Sie im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen um Jahre zurückwirft.“

„Und?“,wollte ich wissen, „Wie stehen Sie dazu?“

Er zuckte mit den Schultern. „Da ich ein Mann bin ...“

„Mit anderen Worten: Sie halten es für richtig, dass es Frauen nach der Gründung einer Familie meist sehr viel schwerer gemacht wird, wieder in der Wissenschaft Fuß zu fassen als Männern, ja, dass die Entscheidung für die Familie besser für Frauen ist als im Beruf weiterzukommen?“

„Das habe ich gerade nicht gesagt“, entgegnete er.

„Was dann?“

Er räusperte sich, erwiderte aber nichts.

„Was halten Sie von der Frauenquote?“, fragte ich weiter.

„Sehr viel und gleichzeitig gar nichts“, entgegnete er, lehnte sich in seinem Stuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete mich mit leicht schräg gelegtem Kopf. Mir gefiel diese Geste ganz und gar nicht.

„Würden Sie das bitte weiter ausführen?“, fragte ich.

„Das“, setzte er an, „kann ich Ihnen sehr genau ausführen.“

„Ich bin gespannt.“

„Nun, wie Sie schon richtig festgestellt haben, gibt es zu wenig Frauen in leitenden Positionen – das ist im Übrigen kein Phänomen, was sich allein in der Wissenschaft zeigt. Wohlgemerkt.“

„Ja und?“

Einen Moment lang sahen wir uns in die Augen, dann holte er tief Luft und wirkte so, als müsse er ein Gähnen unterdrücken. Unverschämter Kerl, fand ich.

„Ich wollte das nur klarstellen. Deswegen ist es gut, Frauen zu fördern.“

„Haben Sie deswegen nur männliche Mitarbeiter?“

„Wie?“, fragte er, „Was hat das eine mit dem anderen zu tun?“

„Sehr viel. Oder etwa nicht?“

Er schüttelte den Kopf. „Wollen Sie mir vorschreiben, wen ich einzustellen habe?“ Seinem Ton war eine gewisse Schärfe zu entnehmen. Doch das schüchterte mich nicht ein.

„Nein, ganz bestimmt nicht. Ich frage mich nur, wo ihr Engagement bleibt. Sie sagen, dass Sie dafür sind, Frauen in der Wissenschaft zu fördern. Dann aber frage ich mich, warum Sie nicht wenigstens eine Mitarbeiterin haben?“

„Ganz einfach: weil sich keine um diese beiden Stellen beworben hat.“

„Das könnte auch an Ihnen liegen“, erwiderte ich und spürte, dass mein Herz schneller zu schlagen begann. Aber ich hatte mir ja vorgenommen, diesem Typen auf den Zahn zu fühlen.

„Könnte“, entgegnete er, beugte sich vor und stützte sich mit den Unterarmen auf seinem Schreibtisch ab, während er mich zu fixieren begann. „Und jetzt verrate ich Ihnen mal ein Geheimnis: Das könnte nicht nur so sein, das ist auch so. Ich aber stehe, anders als viele meiner Kollegen, wenigstens dazu, dass ich mit Männern sehr viel besser zusammenarbeiten kann, als mit Frauen.“

Ich hatte das Chauvinist! bereits auf den Lippen, als er fortfuhr: „Da ist mir die Frauenquote vollkommen egal – und solche Frauen, die meinen, sie auf diese Art, wie Sie sie hier an den Tag legen, verteidigen zu müssen, auch. So, und jetzt versuche ich es Ihnen noch einmal zu erklären, wenn Sie mich lassen.“

Ich war baff, obwohl ich gleichzeitig fürchterlich geladen war und ihm am liebsten zig Dinge gleichzeitig an den Kopf geknallt hätte. Aber den Moment meines Schweigens nutzte er aus.

„Ich bin, ebenso wie Sie, für eine Gleichberechtigung von Männer und Frauen in der Wissenschaft, doch wenn diese Gleichberechtigung dann in ihr Gegenteil verkehrt wird ...“

„Wird sie das?“, hörte ich mich fragen und ahnte, dass meine Stimme sich zu überschlagen drohte.

„Ja, das wird sie, wenn man mir plötzlich vorschreiben will, wen ich einzustellen habe und ich mich bei gleicher Qualifikation immer für die Frau zu entscheiden hätte … Ich frage nun Sie: ist das nicht auch eine Art der Diskriminierung?“

Eine Moment lang konnte ich nichts erwidern, doch dann kamen mir die Gedanken wieder.

„Wissen Sie, was Sie hier treiben, Herr Professor Friedman? Sie wollen Frauen in der Wissenschaft ganz einfach nicht und verdrehen dafür die Argumente. Sie sind in meinen Augen ...“, rief ich.

„Na, was bin ich in Ihren Augen?“, unterbrach er mich ruhiger, als ich gedacht hätte. „Das würde mich in derTat interessieren.“ Wieder lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was bin ich in Ihren Augen und in denen all dieser anderen Frauen, die meinen, dass Gleichberechtigung so ausschaut, Männern das Recht auf individuelle Entscheidungen zu nehmen und freie Stellen unter der Hand nur an andere Frauen vergeben? Früher hieß es Frauen müssten doppelt so gut sein wie Männer, um eine Stelle zu kommen. Heute gilt, dass der Mann noch so gut sein kann, er wird trotzdem keine Chance erhalten! So sieht es doch aus! Genau so? Und wenn Sie noch einmal solch eine Art von Gespräch, mit wem auch immer, zu führen beabsichtigen, lege ich Ihnen nah, sich vorher besser darauf vorzubereiten. Guten Tag, Frau Hübner!“
 
 

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Miras Profilbild
Mira Am 13.02.2022 um 14:16 Uhr
Hallo Lehrbuchruine,
Ich finde deinen Stil deshalb so schön, weil er so lebhaft ist und man sich sehr gut hineinversetzen kann. Die Umschreibungen und Charakterisierungen haben mir sehr gut gefallen.
Allerdings finde ich persönlich, dass die Sätze ein wenig kürzer sein könnten. Aber das ist ja Geschmackssache :)
Die Idee dahinter finde ich ganz interessant und bin gespannt, was daraus entsteht.
Viele Grüße
Mira
Klatschkopies Profilbild
Klatschkopie (Autor)Am 17.08.2022 um 18:52 Uhr
Hi Mira, vielen Dank für deine Rückmeldung. Ja, die langen Sätze ... :-) Ich hätte mit einen Review gar nicht gerechnet. Aber wenn dir die Story gefällt, dann lade ich mal die nächsten Kapitel hoch. :-)

Autor

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Bewertung

Eine Bewertung

Statistik

Kapitel: 2
Sätze: 283
Wörter: 3.918
Zeichen: 23.077

Kurzbeschreibung

Caro, eine 30jährige, leicht spinnerte Doktorandin, die mehr Freude daran hat, sich in selbstironischen Betrachtungen zu ergehen, als ihren Weg zu suchen, trifft auf Karl, einen 56jährigen Professor, der sich gestreng gibt, jedoch den Schalk im Nacken trägt, aber ebenso sucht. Zusammen begeben sie sich auf eine (Dienst-)Reise, an deren Ende sie feststellen, dass es nicht nur genügt, allabendlich in den gemeinsamen Kühlschrank zu starren, oder der Hollywood-Schaukel einen Schubs zu verpassen, auch nicht, nur ins Weinglas zu schauen, sondern wirklich und wahrhaftig einen Schritt zu tun, mit dem eigenen Fuß auf einem realen Weg.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Philosophie auch in den Genres Liebe, Entwicklung, Humor gelistet.

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