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UNSF Band 1: Anders als gedacht

7
04.01.25 22:31
18 Ab 18 Jahren
Heterosexualität
Pausiert

Hallo und willkommen in meinem UNSF-Universum!

Entstanden aus einem Oneshot ist mir die ganze Sache etwas explodiert.
Herausgekommen ist ein buntes Romance-Suspense-Universum mit einem Hauch Sci-Fi.
Die Pairings sind dabei unterschiedlich. Auch wenn der erste Band ein M/F-Pairing hat, ist dies nicht für alle Folgebände vorgesehen. Es wird auch Slashpairings (MM und FF) und sogar ein Dreiergespann (MMF) geben.

Es wird auch einige nicht so nette Themen geben. Die entsprechenden Warnungen stehen am Anfang der jeweiligen Geschichte im Spoiler-Tag.

Bei Fragen, Unklarheiten oder falls ihr Fehler findet: Schreibt mir einfach :)
Ich bin für alle Anmerkungen dankbar.

So genug geschwafelt. Viel Spaß mit meiner Meute!

Liebe Grüße,
Leena
 

***
 
Hinweis: Tod und Trauer & Erwähnung von: Menschenhandel, Folter, Gewalt gegen Minderjährige

TW:

 

Hinweis: Tod und Trauer & Erwähnung von: Menschenhandel, Folter, Gewalt gegen Minderjährige

Captain Leonie Brandt saß entspannt im Helikopter, der sie zu ihrem nächsten Einsatz brachte. Ihren Kopf hatte sie auf der Schulter von Captain Jarik Koslow abgelegt, der das Team 3-032 der UN Security Forces – kurz UNSF – zusammen mit ihr leitete. Vom Wummern der Rotoren hörte sie dank der isolierenden Kopfhörer nichts, spürte aber die Vibrationen des Convertiplanes, das soeben in Stuttgart abgehoben hatte.

Jarik gab seinem Team zwei Minuten, bis alle bequem saßen, bevor er das Briefing mithilfe des Comm-Moduls, einem implantierten Funkgerät, begann.
   „Falls es irgendwen interessiert, wir fliegen nach Andalusien“, sagte Jarik trocken und erntete amüsiertes Schnauben.
   Wie dem Rest ihres Teams war es Leonie herzlich egal, wo es hinging, aber es war ihr Running-Gag. Als der Einsatzbefehl gekommen war, hatten sie kommentarlos ihre Ausrüstung angezogen, ihre Taschen geschnappt und waren zum Mevac geeilt. Sie liebte den Zwitter aus Helikopter und Flugzeug, der die Vorteile beider Fluggeräte miteinander vereinte. Sie konnten senkrecht starten und landen, hatten aber deutlich mehr Reichweite als ein Hubschrauber, sobald die Rotoren während des Fluges nach vorne gekippt wurden.
   „In den letzten zwei Wochen sind überall in Europa Mädchen verschleppt worden. Zehn davon hat die Polizei jetzt in ner ranzigen Finca lokalisiert. Anscheinend sind es Hayes Leute und die Spanier vermuten Sprengfallen. Wir sollen die Mädels rausholen und den Rest aufräumen.“
   „Hayes im Sinne von Quentin Hayes? Diesem aalglatten, schmierigen Bastard, der einen auf Wohltäter macht und hintenrum seine Finger in sämtlichen dreckigen Geschäften hat, die man finden kann?“, fragte Marc, der Leonie gegenüber saß.
   Er und Gian, welcher ihm beruhigend den Oberschenkel tätschelte, waren die ältesten im Team und ihre Medics. Beide verzogen angewidert das Gesicht.
   „Jepp, genau den meine ich!“ Auch Jarik sah wenig begeistert aus. „Er hat wohl sechs seiner Handlanger vor Ort. Hayes selbst lässt sich auf ner Jacht im Mittelmeer wieder das Hirn wegrösten.“
   „Kann der Kerl nicht einfach über Bord gehen?“ Cam kraulte Merita, seiner Malinois-Hündin, die zu seinen Füßen saß, die Ohren. „Ich geh dann mit Fee und Merita auf die Suche nach den Sprengfallen.“
   Merita legte ihre Schnauze auf seinem Oberschenkel ab und schloss die Augen, als Fee, ihre Sprengstoffexpertin, ihr das andere Ohr kratzte. Deren kurze, weißblonde Haare standen in alle Richtungen ab.
   „Das war der Plan. Sind wohl zehn Mädchen zwischen neun und sechzehn“, sagte Jarik.
   Leonie beobachtete die fünf Teammitglieder ihr gegenüber. Fee stach neben den dunkelhaarigen und gebräunten Männern und besonders Cam, der die dunkelste Haut der Gruppe hatte, ziemlich hervor. Der Ekel war ihnen allen deutlich ins Gesicht geschrieben. Leonie wusste, dass sie nicht anders aussah. Alleine beim Gedanken daran, was mit den Kindern passieren sollte, dreht sie ihr der Magen um.
   „So wie’s klang, planen die scheinbar ne Auktion. Zwei von den Lakaien stehen bei uns auf der Fahndungsliste. Und die Spanier trauen sich bei dem ganzen Sprengstoff, den sie da erwarten, nicht aufs Gelände“, sagte Leonie.
   „Du meinst, sie riskieren lieber unsere Ärsche als ihre eigenen“, grummelte Julien. Ihr bester Freund und Sprachgenie saß auf der anderen Seite von Jarik und hatte seinen Kopf ebenfalls auf dessen Schulter abgelegt. Der Rest des Teams schnaubte.
   „Das ist ja nix Neues. Und wenns um Hayes geht, müssen die eh nix zahlen. Von daher kein Wunder.“ Toni saß zwischen Julien und Milo, weswegen sie ihn nicht sehen konnte, aber sie konnte den Frust deutlich heraushören.
   „Gibts schon was zu den Einsatzregeln?“, fragte Aven, ihr Spotter. Zusammen mit Leonie bildete er das Scharfschützenteam, auch Overwatch genannt.
   Aven saß zwischen Cam und Gian und wirkte im Gegensatz zu den beiden recht schmal, obwohl er ebenfalls aus purer Muskelmasse bestand. Wie Marc und Julien war er eher drahtig als breit. Leonie schmunzelte, alleine der Gedanke, einen der drei als schmal zu bezeichnen, war abstrus.
   „Nö, die Juristen streiten sich noch rum. Die werden sich schon melden, wenn sie sich ausgekaspert haben, sie haben ja mindestens vier Stunden, bis wir da sind“, antwortete Leonie.
   „Bin ich ja mal gespannt. Auf jeden Fall machen Leonie und Aven wieder Overwatch. Die Spanier haben da nen netten Felsvorsprung für euch gefunden.“
   „Ich hoffe, das ist nicht wieder so ein Taubenklo wie vor paar Wochen.“ Leonie rümpfte die Nase und schauderte.
   „Zumindest auf den SAT-Fotos sah’s ganz gut aus. Da könnt ihr dann rumliegen, während wir uns abrackern müssen.“ Jarik grinste und Leonie kniff ihm in den Arm. „Aua! Ich mein ja nur.“
   „Rumliegen, pff! Eher Rücken freihalten, du elendes Grummeltier. Wir können gerne tauschen! Dann legst du dich da hin und frierst dir den Arsch ab. Wir haben Februar.“ Leonie rümpfte die Nase.    

„Das Wetter scheint zu halten. Bewölkt, aktuell sechs Grad, aber trocken. Also heult nicht rum“, frotzelte Jarik, nachdem er den Wetterbericht auf seinem Tablet geprüft hatte.
   „Leg du dich mal drei Stunden bei zwei Grad irgendwo hin, danach hast du auch mit Decke nur noch Eiswürfel in der Unterhose“, maulte Aven.
   „Wärst du so heiß wie ich, hättest du keine Eiswürfel“, antwortete Cam.
   Leonie schüttelte belustigt den Kopf.
   „Ihr könnt euch zuhause über euren Hoseninhalt austauschen“, knurrte Jarik.
   „Jaja Opa, seit wann bist du so prüde?“, stichelte Julien.
   „Nur weil ich mich nicht für Eier, vor allem keine gefrorenen, interessiere?“
   „Hier tun sich wieder Abgründe auf.“ Fee verdrehte die Augen.    

Jarik tippte auf dem Display herum und in der Mitte des Helikopters erschien eine Art Hologramm-Karte des Geländes rund um die Finca. Er hatte ihre HUD-Systeme aktiviert, die über eine Membran in ihrer Augenlinse angezeigt wurden.
   „Schnauze. Das ist die Finca. Das Teil ist wohl ziemlich runtergekommen. Wir haben Glück, es gibt massenhaft Büsche.“ Mit dem Finger fuhr er über das Tablet und im Hologramm wurde eine Linie sichtbar. „Das wird unser Weg rein. Wir landen paar Kilometer südlich, dann holen uns die Spanier ab und bringen uns mit dem Auto näher ran.“
   Er tippte auf einen erhöhten Punkt westlich der Finca. „Hier ist besagter Felsvorsprung für die Faulen.“
   Leonie zwickte Jarik wieder und Aven warf grinsend mit einem Proteinriegel nach ihm.
   „Aua! Ich werde misshandelt“, sagte Jarik lachend und pflückte den Riegel aus der Luft.
   „Dann benimm dich und hör auf, Aven und mich zu nerven. Wir können nix dafür, dass du unbedingt Rambo spielen wolltest.“
   „Jaja, ist ja schon gut, Zicke. Da, iss den Riegel, bevor du noch auf die Idee kommst, mich zu beißen!“ Jarik grinste sie an.
   „Ey! Nehmt euch nen Zimmer!“, meckerte Julien gespielt.
   „Jetzt geht das schon wieder los“, grummelte Jarik. „Können wir mal bitte weitermachen? Dankeschön. Also, ihr legt euch auf den Felsvorsprung. Von da aus sieht man auch die Eingangstür. Das sind knapp 350 Meter Abstand, völlig entspannt. Vom Auto aus sind es ungefähr siebenhundert Meter bis dahin. Der Rest läuft die neunhundert Meter von Süden aus zum Haupthaus mit mir. Wir teilen uns dann auf. Die Mädchen sind vermutlich im Stall, der auf dem Weg liegt.“
   Jarik erläuterte den restlichen Angriffsplan. Sie diskutierten eine Weile die Details, prüften ihre Waffen und ruhten sich den Rest des vierstündigen Fluges noch etwas aus.

Leonie schnallte sich ab und streckt sich, als sie auf der spanischen UN-Außenstation landeten. Auch die anderen nutzten die Pause, um sich etwas zu bewegen. Merita lag leise schnarchend zwischen Cams Beinen und rührte sich kein Stück.
   Als die Rotoren stillstanden, brach um das Convertiplane rege Geschäftigkeit aus. Eine Crew aus Mechanikern, die auf der Basis stationiert war, machte einen kurzen Check, während der Mevac betankt wurde.
   Der Großteil des Hecks war mit vier Intensivpflegeplätzen und zwei dreistöckigen Liegen, die man zu Sitzplätzen umklappen konnte, ausgefüllt. Wenn die Mevacs nicht grade Teams in den Einsatz flogen, wurde sie für Krankentransporte der UN MedEvac benutzt, die gemeinsam von UNSF und UN MED betrieben wurde.
   Leonie schaute aus einem der kleinen Fenster und entdeckte ein Stück weiter einen zweiten Mevac. In ihm waren vermutlich die Guards und die Ärzte und Sanitäter, die sich später um die geretteten Mädchen kümmern sollten.
   Sie sah, wie zwei Guards in voller Montur über das Rollfeld zu ihrem eigenen Mevac eilten. Einer der beiden wurde von einem Hund begleitet. Kaum hatte sich die Heckklappe geöffnet, kamen sie an Bord, stellten sich vor und begrüßten das Team. Auch die Hunde beschnüffelten sich kurz.
   „Hi, wir sind die Rückendeckung für euer Overwatch-Team“, sagte einer der beiden.
   „Perfekt, setzt euch, dann können wir los.“ Leonie lächelte die Guards an.    

Kaum waren alle angeschnallt, hoben sie, nicht mal fünfzehn Minuten nach der Landung, bereits wieder ab.
   Sie nutzen die restliche Flugzeit, um sich zu entspannen. Leonie lehnte ihren Kopf wieder an Jariks Schulter. Er legte ihr die Hand auf den Oberschenkel und drückte leicht zu. Leonie verschränkte ihre Finger. Sie schaute zum einzigen kleinen Fenster des großen Rettungshubschraubers und bedauerte es, nichts von der südspanischen Landschaft zu sehen, welche sie gerade überflogen. Dafür leuchteten die Wolken im Sonnenuntergang blutrot, was sie seufzend beobachtete.    

Kurz darauf flog der Helikopter eine Schleife, um die Finca großräumig zu umgehen, und landete. Cam zupfte an Meritas Leine. Sie sprang auf und schüttelte sich.
   Julien zog Leonie an seine Brust und drückte sie fest an sich. Leonie wünschte sich die BodyArmor weg, die verhinderte, dass sie ihr Gesicht an seinen Hals drücken konnte. Er lehnte seine Stirn an ihren Kopf und sie lächelte.
   Kaum ließ Julien sie los, zog Jarik sie zu sich und umarmte sie ebenfalls. Er drückte seine Lippen auf ihre Stirn und Leonie schloss schaudernd die Augen. Sie ging ihm bis zur Nase, sodass er sich nicht mal hinunterbeugen musste. Sie blieben so stehen, bis Julien sie anstupste, alle anderen hatten den Mevac bereits verlassen. Seufzend gab Jarik sie endgültig frei und Leonie trat einen Schritt zurück.
   Die drei zogen sich die Sturmhauben über, schnappten ihre Rucksäcke, geschlossenen Helme und Sturm- und Scharfschützengewehre. Die schwere BodyArmor, eine maßgefertigte ballistische Weste der höchsten Schutzklasse mit Halsschutz, trugen sie bereits seit dem Abflug. An das hohe Gewicht hatten sie sich lange gewöhnt, zudem war sie erstaunlich bequem zu tragen.
   Auf dem Parkplatz, auf welchem sie gelandet waren, warteten drei schwarze Kleintransporter der Polizei. Als sie den Helikopter durch die Heckklappe verließen, verschwand die Sonne gerade hinter dem Horizont. Leonie war froh, dass sie für später Decken eingepackt hatten, noch war es aushaltbar, aber bald würden die Temperaturen unangenehm fallen.
   Julien und Jarik erläuterten dem Chef der Polizisten grob ihren Plan. Bessergesagt Julien erklärte ihn in akzentfreiem Spanisch und Jarik stand nickend daneben, obwohl er nicht einmal die Hälfte verstand. Leonie versuchte, sich das Grinsen zu verkneifen, es gelang ihre jedoch nur mäßig, weswegen sie sich zu ihrem Team umdrehte.
   Cam prüfte Meritas Weste und schob ihr den Maulkorb auf die Schnauze, was sie ungerührt über sich ergehen ließ. Sie hob artig die Pfoten und wedelte entspannt mit dem Schwanz, als er ihr die Schutzschuhe und -brille anzog. Aven und Fee kontrollierten ihre Westen und wandten sich dann Cam zu.
   Auch die anderen checkten gegenseitig ihre Ausrüstung. Toni half Milo, ihrem stillen Teamküken, der sein Praxisjahr bei ihnen machte und grade erst ein paar Wochen dabei war. Gian und Marc waren bereits fertig und unterhielten sich leise.
   Nachdem Jarik und Julien ihre Besprechung beendet hatten, kamen sie zu Leonie. Sie schloss eine lose Schnalle an Jariks Weste, bevor sie Juliens Sachen kritisch beäugte, aber nichts zu beanstanden fand. Auch ihre Ausrüstung bestand die Inspektion der beiden.    

„Bis nachher“, sagte sie und klopfte den zwei auf die BodyArmor, sie grinsten vergnügt.
   Leonie und Aven verabschiedeten sich mit Umarmungen von den anderen, bevor sie mit den zwei Guards und dem Hund in einen der drei Transporter stiegen. Der Rest des Teams verteilte sich auf die anderen beiden Fahrzeuge.

Die Fahrt verging schnell und schweigend, Aven und Leonie hatten auf dem Flug genug geplant, ihre Aufgabe war klar. Als Overwatch waren sie dafür da, Bedrohungen für ihr Team zu erkennen und auf dem HUD zu markieren. Bei Bedarf würden sie Angreifer mit ihren Scharfschützengewehren unschädlich machen.
Sie stiegen aus und schnappten sich ihre Sachen. Zusammen mit einem Polizisten und den beiden Guards, die ihnen den Rücken freihalten sollten, machten sie sich auf den Weg.
   Damit sie nicht stolperten und sich durch laute Geräusche verrieten, setzten sie ihre Helme auf, um mithilfe der Kameras darauf Nachtsicht zu erhalten. Der Guard mit Hund ging wegen der Sprengfallen voraus, Leonie war direkt dahinter und Aven bildete das Schlusslicht. Um sich nicht zu verraten, blieben sie stumm und liefen fast lautlos in Richtung der Anhöhe.
   Im Gegensatz zum Polizisten atmeten die vier UNSF-Soldaten ruhig und gleichmäßig, als sie die Anhöhe erklommen und nach ein paar Minuten auf dem Felsvorsprung ankamen. Der Weg war frei gewesen. Sie stellten ihre Rucksäcke hin, nahmen die Helme ab und begannen routiniert, sich ihren Ausguck einzurichten. Schweigend legten sie ihre Isomatten aus und bauten die Scharfschützengewehre darauf auf. Geschmeidig ließen sie sich auf den Matten nieder, während die Guards sich neben ihnen hinknieten, der Hund legte sich entspannt zwischen sie.

Aven knurrte angewidert, als er zur Finca schaute. Er fuhr sich ungeduldig über die kurz geschorenen, schwarzen Haare, als Leonie ihn mitfühlend musterte. Er war vor sieben Jahren mit achtzehn zur UNSF gegangen, nachdem seine Cousine von Menschenhändlern entführt und getötet worden war.
   „Wir bekommen sie da raus“, flüsterte Leonie.
   Aven seufzte. „Ich weiß.“
   „Konzentrier dich.“
   Aven packte eine kleine Drohne aus und machte sie für den Start bereit.
   „Aven. Overwatch 3-032 – Drohne bereit zum Start“, meldete er über das Comm-Modul an die Basis.
   „Basis. Übernehme Steuerung der Drohne 3-032 und beginne die Startprozedur.“ Leonie kannte die Stimme. Sie gehörte zu Sammy, einem ihrer liebsten Missionskoordinatoren.
   Aven warf die Drohne auf das Signal der Basis hin in die Luft und sie segelte davon. Er und Leonie begannen ihre Kalibrierungen. Die Entfernungen maßen sie mit einem Laser und berechneten danach den Wind. Ihre gewonnenen Daten spielten sie in das HUD-System und stellten die Gewehre ein. Sie waren fast fünfzig Meter oberhalb der Finca und hatten besten Ausblick, ideale Bedingungen.

Währenddessen vermaß Sammy das Gelände mit Hilfe der Drohne genauer. Er markierte Deckungen für die anderen, welche sie in der Vorbereitung noch nicht gesehen hatten, und die ersten Wächter, die draußen unterwegs waren.
   „Mal schauen, wie kalt es noch wird. Wir sind schon auf zwei Grad runter“, sagte Aven und zog seine Decke aus dem Rucksack. Auch Leonie warf sich ihre über.
   „Heult ihr faulen Säcke etwa rum?“, erklang Cams Stimme in ihren Ohren.
   „Wir sind da. Fresse jetzt!“, fauchte Jarik.
   „Sorry, Cap“, murmelte Cam.
   Jarik schnaubte. Leonie wusste, dass ihm niemand sein Geknurre böse nahm. Als Chef musste er eben hin und wieder den Spielverderber spielen.

„Leonie. Overwatch 3-032 in Position. Erbitte Rules of Engagement“, meldete sie sich und Aven bereit.
   „Basis. Bestätige: Overwatch 3-032 in Position. Schussfreigabe bei Bedarf erteilt. Keine Rückfragen nötig“, hörten sie Sammy über den Funk.
   „Fuck“, stieß Aven auf und schnaubte.
   „Leonie. Verstanden Basis. Freigabe erhalten, wird umgesetzt.“
   Leonie war kein Fan von präventiven Abschüssen, stellte sie aber nicht mehr infrage. Manchmal war es leider nötig, um ihre eigene Sicherheit oder die der Geiseln zu gewährleisten. Sie war froh, im Normalfall nicht entscheiden zu müssen, ob sie jemanden abschoss oder nicht, das nahmen ihr ihre Vorgesetzten und die UN-Justiz ab. Und die gaben solche Anweisungen nicht leichtfertig.    

„Jarik. Assault 3-032 in Position, sitzen direkt am Zaun. Erbitte Freigabe zum Start.“ Er klang tiefenentspannt und Leonie lächelte.
   „Basis. Bestätige: Assault 3-032 in Position. Schussfreigabe bei Bedarf erteilt. Nehmt, wenn es geht, die Wächter gefangen, aber nicht um jeden Preis.“
   „Jarik. Verstanden Basis. Freigabe erhalten. Beginnen Angriff.“    

Leonie und Aven klopften die Fäuste seitlich aneinander und konzentrierten sich dann ganz auf ihren Auftrag. Er nahm das Fernglas und beobachtete, während sie das Gewehr im Anschlag hatte und auf Zielansagen von ihm wartete Den Weg des Teams verfolgten sie mithilfe ihres HUDs. Darüber konnte sie auch Informationen wie Puls und Blutdruck ihrer Teammitglieder sehen, die aus implantierten Sensoren stammten.

Unten gingen Cam und Merita, mittlerweile wieder ohne Maulkorb, voraus. Die anderen folgten im Gänsemarsch. In Zweiergrüppchen, immer mit zehn Metern Abstand zwischeneinander, ging es voran. Sie nutzten die unzähligen Büsche dabei als Deckung. Gian und Marc, die das Schlusslicht bildeten, legten entlang des sicheren Weges kleine Leuchtkugeln aus, die sie später per Funk aktivieren konnten. Sie waren als Orientierung für die Polizisten gedacht, die darauf warteten, dass sie das Gelände gesichert hatten.
   Vorsichtig pirschten sie sich näher heran. Auf dem HUD sah Jarik, wie Aven und Leonie ihnen Hayes’ Schergen markierten, damit sie diesen nicht versehentlich in die Arme liefen. Er behielt Merita aufmerksam im Auge, aber bisher hatte sie noch nichts gefunden. Sie kamen bis auf fünfzig Meter an den Viehstall heran, in dem er die Mädchen vermutete, als sie sich auf den Boden und die Schnauze auf ihre Pfoten legte. Jarik gab das Zeichen zum Anhalten und alle blieben stehen.
   Fee ließ sich neben Merita auf die Knie sinken und studierte die Sprengfalle, welche diese gefunden hatte.
   „Amateure“, murmelte sie, zupfte vorsichtig daran herum und machte sie unschädlich.

Jarik musterte derweil den heruntergekommenen Stall mit einem Fernglas. Die weiße Kalkfarbe war abgeplatzt, die Fenster waren vergittert und so verdreckt, dass er nichts dahinter erkennen konnte. Das große Tor an der östlichen Seite war durch Baumstämme und Schrott verbaut. Hier würde also niemand raus- oder reinkommen.
   „Aven. Vier Tangos sind draußen unterwegs, alle mit Kalaschnikows bewaffnet, aber scheinbar gelangweilt. Einer spielt mit seinem Handy rum, der Rest latscht planlos durch die Botanik ... scheiße, mindestens einer hat so wie es aussieht ne Sprengstoffweste an. Ich kann Kabel erkennen.“
   „Jarik. Entfernungen?“, murmelte er und fluchte innerlich.
   „Basis. Spiel ich euch ein.“
   Zusätzlich zu den nummerierten Punkten erschien nun auch deren Abstand zu ihm auf Jariks HUD. Die Sprengfallen und -westen machten ihm Sorgen. Die Informationen, die er zur Finca und dem Einsatz allgemein erhalten hatte, waren ziemlich dürftig gewesen.
   „Basis. Ich markier euch die Bereiche, in denen die rumlaufen, die sollten dann ja sicher sein.“
   Trotz allem musste Jarik schmunzeln, Sammy schien wie immer Gedanken lesen zu können. Ohne ihn und seine Kollegen wären die Einsätze deutlich schwieriger. Dennoch hatte er ein ungutes Gefühl. Julien, der neben ihm kniete, legte ihm die Hand auf den Unterarm und drückte aufmunternd zu. Jarik atmete mehrmals tief durch, dann nickte er. Julien war, genau wie Leonie, seit dreizehn Jahren sein bester Freund. Die drei konnten sich schon lange ohne Worte verständigen und Jarik spürte, dass auch Julien beunruhigt war. Dennoch mussten sie weiter, die Mädchen brauchten ihre Hilfe.
   Er studierte die Bereiche, welche Sammy ihnen als sicher markiert hatte und überlegte sich, wie sie weiter vorgehen sollten. Er zog sein Tablet aus seiner Weste und aktivierte den Touch-Modus, ohne das Display anzuschalten, was er tat, sah er auf dem HUD. Einer der Wächter umrundete das Nebengebäude und Jarik war froh, dass es bewölkt war. Nur hin und wieder kam ein bisschen Mondlicht durch die Wolken. Wobei der Mann sie wahrscheinlich nicht mal im strahlenden Sonnenschein gesehen hätte. Er schenkte seiner Umgebung keine Aufmerksamkeit, sondern trottete nur gelangweilt an ihnen vorbei. Sein Gewehr baumelte unbeachtet vor ihm herum.
   Jarik schüttelte fassungslos den Kopf und steckte das Tablet wieder ein. Wie konnte man nur so nutzlos sein? Zumindest kam es ihnen zu Gute. Er signalisierte Julien und den anderen ihre Position zu halten. Als Tango One, wie Sammy den Wächter auf dem HUD betitelt hatte, wieder um die Ecke verschwand, schickte er Cam und Merita Richtung Haus. Die beiden fanden keine weiteren Sprengfallen und zogen sich zurück, damit Jarik sich um den Wächter kümmern konnte, sobald dieser erneut vorbei kam. Ehe er sich jedoch bewegen konnte, huschte Julien nach vorne und versteckte sich hinter einem Busch direkt am Laufweg. Jarik schüttelte frustriert den Kopf, sagte aber nichts. Lange mussten sie nicht warten und aufmerksamer war der Mann nicht geworden. Julien hatte sein Kampfmesser in der Hand und ließ diesen an sich vorbeigehen, dann trat er von hinten lautlos an ihn heran. Bevor der Wächter nach seiner Waffe greifen konnte, traf Juliens Messer seinen Hirnstamm und er sackte zusammen.
   „Basis. Tango One durch Julien ausgeschaltet. Markiere Koordinaten.“
   Julien fing ihn auf, bevor er auf dem Boden aufkommen und Lärm machen konnte. Er wischte sein Messer an dessen Hose ab und verstaute es wieder. Dann zog er ihn unter den Busch, hinter welchem er sich zuvor versteckt hatte. Julien nahm das Gewehr, schlich zu Jarik zurück und kniete sich mit gesenktem Kopf neben ihn.
   Jarik nahm Juliens Hand und ließ ihn ein paar Sekunden lang durchatmen, er wusste, wie sehr seinem Freund solche Aktionen an die Nieren gingen. Einen Menschen der einen angriff zu erschießen war das eine, selbst der Angreifer zu sein und einen Arglosen zu töten das andere. Auch wenn derjenige ein räudiger Menschenhändler war. Aber das war ein Preis, den sie manchmal zahlen mussten, sofern sie jemanden retten wollten.
   Und hier war absolute Verstohlenheit gefragt. Niemand wusste, wie viel Sprengstoff versteckt war, und Hayes’ Leute waren für ihre Brutalität und „erst schießen dann fragen“-Mentalität berüchtigt. Zudem belohnte Hayes die Familien, wenn seine Schergen möglichst viele seiner Gegner, wozu sie gehörten, mit in den Tod nahmen. Flüchteten sie oder ergaben sie sich, wurden die Familien hingegen bestraft, weswegen das so gut wie nie vorkam.
   Da Julien seinen Preis gezahlt hatte, war nun Jarik selbst an der Reihe. Nachdem der Weg zum zweiten Wächter, welcher mit seinem Handy spielte, frei war, schlich er sich, trotz seiner Größe lautlos, an diesen heran. Er war kein Fan von Messern und Blut auf dem Kampfanzug. Mit erschreckender Leichtigkeit brach Jarik ihm das Genick und verstaute ihn hinter einem Holzstapel in der Nähe. Er legte die Leiche so, dass die Sprengstoffweste möglichst wenig Schaden anrichten konnte, sollte sie doch ausgelöst werden.
   „Basis. Tango Two durch Jarik ausgeschaltet. Markiere Koordinaten.“
   Julien war ihm dicht auf den Fersen und Jarik reichte ihm das Sturmgewehr des toten Wächters. Julien machte die beiden eingesammelten Waffen unbrauchbar und legte sie neben die Leiche, die Magazine steckte er sich in die Taschen.

So nah am Haus sprachen sie unten nur noch im Ausnahmefall. Aven, Leonie und Sammy informierte sie über Vorkommnisse, die sie nicht sahen, und Jarik gab seine Anweisungen mithilfe seines Tablets oder per Handzeichen.
   Sie rückten weiter zum Nebengebäude vor. Hier schienen die Wege nun sicher zu sein und Toni und Milo gingen auf die Jagd nach den beiden verbliebenen Wächtern. Cam, Fee und Merita untersuchten das Feld südlich des Stalls, um eine Landefläche für den Helikopter zu schaffen. Die anderen blieben neben dem Gebäude hinter den Büschen sitzen. Über das HUD verfolgte Jarik, wie Milo und Toni gemeinsam den dritten Wächter ausschalteten. Toni schlich sich an diesen heran und nahm ihn in einen Würgegriff, Milo entriss ihm das Gewehr und injizierte ein schnell wirkendes Schlafmittel. Innerhalb von fünfzehn Sekunden war der Spuk vorbei, niemand hatte einen Ton von sich gegeben. Jarik atmete erleichtert auf, dass keine der Suizidwesten hochgegangen war. Er würde ein erstes Wörtchen mit den beiden reden müssen.
   „Basis. Tango Three durch Milo und Toni kampfunfähig gemacht.“
   Die beiden schlichen zum nächsten Mann weiter und wiederholten die Prozedur.
   „Basis. Tango Four durch Milo und Toni kampfunfähig gemacht.“
   Toni warf sich den vierten Wächter über die Schulter und trug ihn zurück zum Dritten. Er und Milo fesselten die beiden und versteckten sie in stabiler Seitenlage im Gebüsch.
   „Basis. Tangos Three und Four gesichert, markiere Koordinaten für Abholung später.“
   Laut der Berichte blieben nun also noch zwei Angreifer. Jariks schlechtes Gefühl wollte nicht weichen. Milo und Toni kamen auf leisen Sohlen zurück zum Stall.

Cam, Fee und Merita suchten derweil das Feld methodisch ab, fanden aber glücklicherweise keinen Sprengstoff. Mit Infrarotmarkern bildeten sie ein großes Quadrat. Im Abstand von fünfzehn Metern verankerten sie auf jeder Seite jeweils vier davon im Boden. In die Mitte des so geschaffenen Bereiches steckten sie ebenfalls mehrere der Marker, damit der Helikopter sicher landen konnte.
   „Fee. Landeplatz gesichert.“
   Jarik verfolgte, wie Cam, Fee und Merita zu den anderen zurückkehrten.

Das Haupthaus lag fünfzig Meter nördlich des Stalls und war genauso heruntergekommen wie dieser. Der Platz zwischen den Gebäuden war mit kaputten Agrarmaschinen, Holzstapeln und Büschen übersät. Toni und Milo knieten mit der Waffe im Anschlag neben einem Traktorwrack und behielten die einzig benutzbare Tür des Stalls im Auge. Gian und Marc waren, im Abstand von fast fünfzehn Metern voneinander, an der östlichen Seite des Stalls stehen geblieben und warteten darauf, dass die anderen das Haupthaus einnahmen. Als Medics blieben sie immer ein Stück zurück, damit sie nicht selbst ins Kreuzfeuer gerieten. Zudem waren sie heute dafür zuständig, das Team gegen Angreifer von Osten her abzusichern.

Per Tablet wies Jarik Cam und Fee an, zu prüfen, ob sie den Stall gefahrlos betreten konnten. Merita beschnüffelte die Tür aufmerksam, gab aber kein Zeichen, dass sie Sprengstoff gefunden hatte. Fee prüfte mithilfe eines Videoendoskops, ob auf der Innenseite Kabel oder Sensoren zu finden war.
   „Fee. Tür sauber“, flüsterte sie.
   Nicht nur Jarik atmete erleichtert auf. Auf sein Zeichen öffnete Fee die Tür und Cam betrat mit Merita das Gebäude, hinter ihm folgten Toni und Fee. Milo behielt die Tür mit dem Gewehr im Anschlag im Auge. Jarik konnte nur mittels des HUDs verfolgen, wie sie den Stall durchkämmten.
   „Toni. Ich hab elf Mädchen gefunden, soweit scheinbar unverletzt, aber angekettet. Die haben irgendwas bekommen, die sind komplett zugedröhnt und die meisten pennen. Sind auf zwei Pferdeboxen verteilt.“
   Jarik schnaubte angewidert und Julien tätschelte ihm den Unterarm, er atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Sie hatten keine Zeit für ablenkende Gefühle.
   „Fee. Hier liegen paar halb fertige Sprengsätze, bisschen Plastiksprengstoff, Dieselkanister und Dünger. Scheint wohl auch die Werkstatt zu sein. Ansonsten hat Merita nix gefunden.“
   „Leonie. Um die Mädchen können sich die Sanis später kümmern. Schaut, dass da nix hochgehen kann, dann kommt raus. Wir haben noch mindestens zwei Kidnapper hier rumrennen.“
   „Cam. Verstanden. Sind auf dem Weg.“
   „Fee. Ich hab hier noch ein Fahrradschloss gefunden, damit können wir die Tür zumachen. Wird zwar keinen lange abhalten, aber dann wissen wir wenigstens, dass jemand rein ist.“
   „Leonie. Gute Idee.“

Die drei traten kurz darauf aus dem Stall und verschlossen die Tür. Sie waren grade wieder in Deckung gegangen, da ging die Tür vom Haupthaus auf und ein weiterer Mann trat vor die Tür. Auch er trug eine Sprengstoffweste.
   „Basis. Nächster Wächter ist gerade aus dem Haus gekommen. Markiere Tango Five.“
   Wie angekündigt, erschien er auf ihrem HUD. Leonie nahm ihn ins Visier, drückte jedoch nicht ab. Im Gegensatz zu seinen Kollegen hatte dieser Wächter sein Gewehr sicher in der Hand und schaute sich aufmerksam um. Neben ihm konnte sie hinter den Vorhängen einen Schatten erkennen. Doch als sie genauer hinschaute, war er bereits wieder verschwunden.
   „Leonie. Tango Five ist vor dem Haus, mindestens ein Weiterer drinnen. Aven, pack das Fernglas weg. Falls Tango Six rauskommt, will ich, dass beide gleichzeitig umfallen!“
   Damit informierte sie auch das Team unten, dass sie sich zurückhalten sollten. Sie würden sowieso nicht ungesehen an die beiden herankommen. Aven brummte zustimmend, rutschte zu seinem Gewehr und zielte auf die Tür.
   Sie mussten nicht lange warten, da kam Tango Six ebenfalls heraus, um sich umzusehen. Leonie zählte von drei herunter, dann schickten sie ihre tödliche Fracht auf den Weg und die Getroffenen sackten zusammen. Sie und Aven gratulierten sich grimmig per Fistbump. Auch wenn ihnen das Töten keinen Spaß bereitete, die Kopfschüsse waren einwandfrei platziert gewesen.

Jarik wartete ein paar Minuten, ob sich irgendetwas regte. Zwar waren alle sechs Kidnapper ausgeschaltet, aber man konnte nie wissen. Der Knall der Gewehre war in der Stille des Abends nicht zu überhören gewesen.
   Es passierte jedoch nichts und Jarik gab, nach Leonies Bestätigung, dass alles ruhig war, das Signal zum Ausschwärmen. Toni blieb bei der Stalltür zurück, Gian und Marc sicherten weiterhin nach Osten hin ab.
   Der Rest pirschte sich von einer Deckung zur anderen weiter voran, sie hatten sich rund um das Haus verteilt.
   Jarik ließ sich hinter einem Holzstapel nieder, ein ganzes Stück links vor sich sah er Julien, der neben einem Autowrack kniete. Cam und Fee waren auf der anderen Seite des Gebäudes, er sah ihre Positionen nur auf dem HUD. Milo hingegen war schon fast am Haus und huschte grade, von einem Busch verdeckt, an einer Seitentür vorbei, als die Welt um sie herum unterging.
   Mit einem markerschütternden Donnern und einer meterhohen Feuersäule explodierte das Haupthaus. Jarik bekam außer dem Krach nicht viel mit. Der Holzstapel begrub ihn unter sich und es wurde schwarz um ihn, bevor er überhaupt reagieren konnte.    

Aven und Leonie hatten hingegen Logenplätze und ihnen blieb das Herz stehen. Entsetzt sah Leonie, wie Trümmerteile und Milo durch die Luft schossen und überall einschlugen. Auch die anderen wurden herumgeschleudert wie die Spielzeugpuppen.
   Die Daten ihres HUDs waren niederschmetternd. Milo sendete keinerlei Messwerte mehr, Juliens Blutdruck sank stetig und über das Comm-Modul hörte man Fee wimmern. Dann wurde ihnen der Datenfluss, wie in solchen Situationen vorgesehen, gekappt, sie durften sich nicht davon ablenken lassen.
   Nur mit äußerster Anstrengung schaffte sie es, nicht kopflos loszustürmen, sondern bewegungslos liegen zu bleiben. Leonie wusste, dass es Aven nicht besser ging. Dennoch suchten sie das Gelände aufmerksam nach weiteren Angreifern ab und berichteten der Einsatzzentrale, auch wenn diese mittels der Helmkameras des Teams ja ohnehin alles sahen. Der Rauch machte es jedoch schwer, etwas zu erkennen. Als dann keine Minute später das Haupthaus laut knirschend in sich zusammenbrach, waren sie dank der Staubwolke endgültig blind. Die folgende Stille war ohrenbetäubend.
   „Leonie. Statusbericht?“ Bevor sie jedoch die Antworten der anderen hörte, wurde ihr der Funk gekappt. Sie fauchte frustriert.    

„Basis. Mevac-6887 auf dem Weg. Ankunft: zwei Minuten“, erklang es in ihren Ohren.
   Leonie war dankbar, dass die UNSF-Helikopter, welche sie bei Einsätzen begleiteten, immer Rettungshubschrauber waren. Grade jetzt war es ein Vorteil, dass sie ein Rettungsteam waren. Die Zeit, bis endlich das Wummern der Rotoren zu hören waren, schien sich jedoch zu ziehen wie Kaugummi. Der Hubschrauber setzte zur Landung auf der Wiese an. Noch bevor er aufgesetzt hatte, ging die Heckklappe auf und zwei Teams Guards, mehrere Sanitäter und Ärzte sprangen hinaus, um im Laufschritt zu ihren Patienten zu eilen. Gian und Toni, ihre beiden Medics, halfen, soweit sie konnten. Sie hatten sich zwar hinter den anderen gehalten, waren aber ebenfalls durch die Druckwelle und Trümmer verletzt worden.
   Leonie aktivierte die Leuchtkugeln, um den spanischen Kräften den sicheren Weg zu zeigen. Aven und sie beobachteten, wie diese über den geräumten Weg auf das Gelände schwärmten.    

Da sie nicht helfen konnten und keine Angreifer mehr in Sicht waren, packten Aven und Leonie ihre Sachen zusammen. Unten wurde ihr Team in den Mevac geladen, der dann zügig wegflog. Sorgenvoll schauten sie ihm hinterher. Zu ihrer Erleichterung mussten sie nicht lange warten, bis sie selbst abgeholt wurden. Der Mevac mit dem sie gekommen waren, war nun ebenfalls auf dem Weg.
   „Basis an Overwatch: Abholung in drei Minuten, Aufnahme per Seilwinde.“
   „Aven. Verstanden. Overwatch bereit zur Aufnahme.“
   Beide hängten sich die Gewehre auf den Rücken und setzten ihre Helme auf.
   Auf die Sekunde pünktlich ließ die Besatzung das Seil zu ihnen hinunter und sie klinkten sich ein. Noch während sie nach oben gezogen wurden, flog der Helikopter bereits zur UNSF-Basis. Die beiden Guards blieben mit ihrem Hund und dem Polizisten zurück.

Als sie dreißig Minuten später auf dem Landeplatz aufsetzten, ließen Aven und Leonie ihre Ausrüstung im Hubschrauber liegen. Dessen Besatzung hatte sich bereit erklärt, diese in ihren eigenen Helikopter umzuladen. Im Laufschritt eilten sie zur Krankenstation, in der ein Pfleger sie in einen Warteraum brachte, in dem sie angespannt hin und her stapften. Sie mussten sich über eine Stunde lang gedulden, bis ein älterer Arzt das Zimmer betrat.
   „Captain Brandt, Specialist Hashemi?“, fragte dieser und sie nickten.
   Aven hielt Leonies Hand, während sie den Ausführungen des Doktors lauschten.
   „Tut mir leid, Corporal Archer ist durch die Explosion getötet worden“, eröffnete er ihnen mit mitfühlendem Gesicht.
   Nachdem Leonie gesehen hatte, wie weit Milo geflogen war, hatte sie es befürchtet, jedoch bis zuletzt auf ein Wunder gehofft. Aven zog sie an seine Brust und schlang die Arme um sie. Sie drückte sich fest an ihn, legte ihren Kopf auf seine Schulter. Sie war dankbar, nicht alleine zu sein.
   „Sergeant Dubois wird operiert. Ich hoffe, dass wir ihn durchbekommen. Er hat ein Schädel-Hirn-Trauma, mehrere Brüche und diverse Schnittwunden. Das Hirntrauma macht mir am meisten Sorgen, es gab Blutungen und Schwellungen.“
   Der Arzt sah unglücklich aus und Leonie war sich nicht sicher, wie lange ihre Beine sie noch trugen. Aven bewegte sich mit ihr zu den Stühlen, ließ sich auf einen davon sinken und zog sie auf seinen Schoß.
   „Dem Rest Ihres Teams geht es den Umständen entsprechend aber gut. Sie sind alle stabil und nicht in Lebensgefahr.“
   Aven und Leonie atmeten auf und sie schickte stumm ein Dankesgebet gen Himmel, wenigstens etwas.
   „Sergeant Gunnarsdottir hat einen gebrochenen Arm, der grade im OP gerichtet wird. Captain Koslow ist im CT, scheinbar ist er unter einen Holzstapel geraten, ich will ausschließen, dass er innere Verletzungen hat. Ansonsten hatte ihr Team verdammt viel Glück: Schnittwunden, Prellungen, die ein oder andere angeknackste Rippe, leichte Verbrennungen und Gehirnerschütterungen. Sie werden weiterhin versorgt, ich werde jemanden vorbeischicken, sobald Sie zu ihnen können.“
   Leise verließ der Arzt den Raum. Aven und Leonie klammerten sich aneinander, während sie um ihren verlorenen Bruder trauerten und für Julien hofften.    

Einige Minuten später meldete sich Sammy. „Basis. Wir sind in Gedanken bei euch und drücken die Daumen.“ Er machte eine kurze Pause. „Ich wollte nur Bescheid geben, dass Merita an den Diensthundeführer von 3-014 übergeben wurde. Könntet ihr euch mit ihm in Verbindung setzen?“
   „Leonie. Danke Basis. Wird erledigt.“ Ihre Stimme war brüchig.
   „Basis. Ich schalte euch den HUD-Zugang zu eurem Team außer Sergeant Dubois wieder frei. Der Funk wird reaktiviert, sobald der Arzt fertig ist.“
   „Leonie. Verstanden. Ich melde mich bei 3-014.“
   Fahrig tippte sie auf ihrem Handy herum, um auf deren Funkkanal anzuklopfen. Sie musste kurz warten, bis die Anfrage angenommen wurde.
   „3-014 Keenan. Was kann ich für dich tun?“, fragte der Teamleiter.
   „3-032 Leonie. Ich hab gehört, ihr habt Merita“, sagte sie leise.
   „Jupp, die ist bei uns. Wenns okay ist, würden wir sie gerne zurück nach Stuttgart nehmen. Dann hast du den Kopf für dein Team frei.“ Er klang bedrückt.
   „Danke, Keenan. Wär mir recht.“
   Leonie fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und rieb sich die Augen.
   „Ihr gehts gut, bisschen durch den Wind, paar Kratzer und Brandlöcher im Pelz, aber alles versorgt. Sie hat sich jetzt zu Hektor gekuschelt, der passt auf sie auf. Wie gehts den anderen?“, fragte Keenan besorgt.
   Sie kannten sich seit Langem, sie waren in der gleichen Dienstgruppe und daher häufiger zusammen im Einsatz. Zudem wohnte Keenans Team ein Stockwerk über ihrem und sie verbrachten oft auch ihre Freizeit miteinander.
   „Wir warten grad, dass wir zu ihnen dürfen. Milo hats nicht geschafft, Julien kämpft noch ...“ Sie keuchte gequält auf.
   „Ach du Scheiße!“, fluchte Keenan, scheinbar war die Information, wie schief der Einsatz wirklich gelaufen war, noch nicht weitergegeben worden.
   „Das triffts. Ich bin froh, dass ich Aven da hab. Die anderen sind wohl so weit okay.“ Stockend gab sie ihm eine kurze Zusammenfassung von dem, was ihr der Arzt berichtet hatte.
   „Wir machen ne Kerze für Milo an, wenn wir heimkommen. Sagt den anderen, dass wir an euch denken und Julien alle Daumen drücken.“ Er atmete tief durch.
   „Dank dir. Ich melde mich, sobald ich was hab.“
   „Kein Stress, wenn du was brauchst, sag Bescheid.“
   „Mach ich.“ Leonie kappte die Verbindung.
   Aven hatte still mitgehört und drückte sie an sich. Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter und lenkte sich mit Atemübungen ab, bis sie eine Stunde später von einem Pfleger abgeholt wurden.    

Der Arzt hatte das verbliebene Team in ein großes Krankenzimmer bringen lassen. Aven und Leonie betraten es leise und schauten sich um. Besorgt betrachtete sie Cam, dessen Verbände wegen seiner dunkelbraunen Haut deutlich hervorstachen.
   Bis auf Toni, der am wenigsten zerschunden aussah, schliefen alle. Sie waren von den starken Schmerzmitteln, die sie erhalten hatten, ausgeknockt worden. Jariks und Cams Arme waren bandagiert, Gians und Marcs mit Pflastern beklebt. Die restlichen drei Betten-Stellplätze im Raum waren leer. Aven ließ sich auf dem Stuhl neben Cam nieder und griff nach dessen Hand. Leonie setzte sich zu Toni.
   „Hey, du“, wisperte sie.
   „Hey, Leo“, ächzte Toni. „Was ist mit Julien?“
   „Noch im OP, ... keine Ahnung. Wie gehts dir?“
   „Paar Prellungen und Schrammen, ich hatte Glück. Der ganze Schrott, der da rumgelegen hat, hat das Gröbste abgehalten. Milo ist ...“ Er brach ab.
   Toni war Milos Mitbewohner und Ausbilder gewesen. Leonie wusste, dass die beiden sich gut verstanden und einiges miteinander unternommen hatten.
   Leonie nickte angespannt und nahm seine Hand. „Ich weiß, ... ich weiß. Scheiße!“
   Aven, Leonie und Toni schlossen gequält die Augen und ließen die Köpfe hängen. Es gab nichts weiter zu sagen. Sie saßen lange in der Stille, spendeten sich Trost und hofften, dass Julien durchkam.
   Irgendwann ging die Tür auf und ein Pfleger schob Fee im Bett hinein.
   „Captain“, flüsterte er und nickte Leonie, dann Toni und Aven zu. „Sergeant, Specialist.“
   Er schob Fee auf den freien Platz neben Cam, stöpselte die Geräte an und prüfte ihre Infusion.
   „Alles ist gut gelaufen, sie war schon wieder wach. Um null-neunhundert geht Ihr Flieger nach Stuttgart, der Doc kommt um null-achthundert kurz vorbei. Versuchen Sie zu schlafen.“ Der Pfleger winkte und verschwand.
   Sie folgten seinem Rat, Aven und Leonie schliefen auf den ausklappbaren Sesseln. Leonie hatte sich jedoch nicht die Mühe gemacht, den Sessel umzubauen, sondern den Kopf einfach auf Jariks Matratze abgelegt und hielt seine Hand. Aven lag zwischen Fee und Cam.    

Leonie schreckte aus dem unruhigen Schlaf, als ein junger Arzt bereits drei Stunden später wieder erschien, es war erst kurz nach sechs. Mit einem Kopfnicken winkte er sie vor die Tür. Von der komischen Haltung steif, stakste sie ihm hinterher und streckte sich, als sie in den Flur trat. Ihr Herz sank, als sie seinen ernsten Gesichtsausdruck sah.
   „Captain, Sergeant Dubois ist vor zehn Minuten für tot erklärt worden. Es tut mir leid.“
   Leonie lehnte sich an die Wand und versuchte, sich auf eine ruhige Atmung zu konzentrieren. Ihre Beine waren wie Wackelpudding und sie rieb sich, in der Hoffnung den Schmerz dort lindern zu können, über das Brustbein, aber es half nichts. Es war, als hätte sich ein Stahlband um ihren Brustkorb gelegt, das sie nun am Atmen hinderte. Mühsam sog sie die Luft ein und ließ sie wieder entweichen.
   „Ich lasse alles vorbereiten, damit er und Corporal Archer mit ihnen zurück nach Stuttgart fliegen können.“ Er schaute sie mitfühlend an.
   „Danke, Doktor,“ krächzte sie. Ihr Versuch eines Lächelns scheiterte kläglich.
   „Nicht dafür, das ist selbstverständlich. Gehen Sie zu Ihrem Team, ich komme wie angekündigt später wieder.“
   Er drückte kurz ihre Schulter, drehte sich um und schlappte davon. Leonie schnappte nach Luft und schlich zurück ins Zimmer. Zum Glück war niemand aufgewacht, so konnte sie das Unvermeidliche, ihrem Team und vor allem Jarik von Juliens Tod zu berichten, noch eine Weile vor sich her schieben. Sie setzte sich wieder zu Jarik und legte vorsichtig seine Hand auf ihre Wange. Wie gerne hätte sie sich zu ihm ins Bett gelegt, aber sie wollte ihn nicht wecken.
   Sie stellte ihren Handywecker auf zwanzig vor acht, damit sie genug Zeit hatte, die schlechten Nachrichten zu verkünden, und verlor sich dann in Grübeleien, was sie übersehen hatten. Sie kam auf kein Ergebnis.

Als der Wecker sie aus ihren Gedanken riss, zwang sie sich, tief einzuatmen, sie hatte immer noch Mühe damit. Sie stand auf, streckte sich und streichelte dann Jarik über die Wange, um ihn zu wecken. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis er blinzelte und sie fragend anschaute. Sie lächelte ihn traurig an, ging zu den anderen und stupste sie vorsichtig an. Auch sie waren binnen kürzester Zeit wach und warteten, was sie von ihnen wollte.
   Leonie atmete tief durch, nahm Jariks Hand und drückte sie, um wenigstens ein bisschen Halt zu haben. Es half nichts, sich um die harte Wahrheit herumzudrücken oder sie schönzureden, also ließ sie es bleiben.
   „Milo ist direkt von der Explosion getötet worden und Julien ist heute Morgen gegen sechs Uhr gestorben.“
   Sie biss die Zähne zusammen und ließ den Kopf hängen, als sie die fassungslosen Gesichter der anderen sah und ihr Fluchen hörte. Jarik drückte ihre Finger.
   Nach einigen Minuten des Schweigens durchbrach Toni die Stille. „Wie kommen Milo und Julien heim?“
   „Der Doc kümmert sich drum, dass sie mit uns heimfliegen können. Ich hoffe, das ist für alle in Ordnung, sonst lasse ich einen separaten Transport organisieren.“ Leonie schaute die anderen fragend an.
   „Wir sind zusammen angekommen, wir fliegen zusammen nach Hause“, sagte Jarik leise und alle stimmten zu.
   „3-014 kümmert sich um Merita und nimmt sie mit heim. Ich soll von Keenan ausrichten, dass sie an uns denken.“
   Leonie hörte, wie die Tür hinter ihr aufging und drehte sich um. Der junge Arzt, der zuvor schon da gewesen war, kam herein.
   „Captains, Sergeants, Specialists“, begrüßte er sie und schaute dann fragend zu Leonie, die nickte.
   „Ihr Helikopter ist startbereit. Corporal Archer und Sergeant Dubois wurden bereits an Bord gebracht, ihre Ausrüstung ist auch da. Ich würde Sie gerne noch kurz untersuchen, dann werden Sie verladen und können nach Hause.“
   Sie bedankten sich und er machte sich an die Arbeit, er brauchte nicht lange.
   „Ich sage dem Pflegepersonal Bescheid, dass sie Sie zum Mevac bringen können. Ihnen allen gute Besserung und mein Beileid.“
   „Danke Doc“, sagte Leonie und er schlappte mit hängenden Schultern aus dem Raum.

Ein paar Minuten später erschienen mehrere Pfleger und betteten sie vorsichtig auf Tragen um, nur Toni wurde in einen Rollstuhl gesetzt. In einer Kolonne wurden sie langsam zum Landeplatz und dann in ihren Helikopter geschoben. Ein Arzt und zwei Sanitäter begrüßten sie und halfen, sie für den Flug festzuzurren. Die untersten Plätze der dreistöckigen Liegen waren mit schwarzen Vorhängen verdeckt, dort lagen Julien und Milo. Toni bestand darauf, über Milo zu liegen, und hievte sich selbst vom Rollstuhl auf die Trage. Aven und Leonie verteilte die geräuschabschirmenden Kopfhörer, damit sie später Ruhe hatten und sich unterhalten konnten. Als alle versorgt waren, setzten sich Aven, Leonie, der Arzt und die Sanitäter und schnallten sich für den Start an.    

Der Flug verlief ereignislos und sie sprachen kaum, da die meisten schliefen oder ihren Gedanken nachhingen, der Arzt kontrollierte hin und wieder, ob alles in Ordnung war, schien aber zufrieden. Als sie landeten, war Leonie wie gerädert, sie hatte immer nur ein paar Minuten gedöst, bis sie wieder hochgeschreckt war.
   Leonie und Aven verließen den Mevac als Erstes, um Platz für die Pfleger zu machen, die den Rest des Teams zur Krankenstation bringen sollten. Auf dem Flugfeld wurden sie von den Colonels Briggs und Mays, beide in graugemusterter Urban-Einsatzuniform, bereits erwartet.
   „Captain, Specialist“, sagte Sarah Mays und Jack Briggs nickte ihnen zu.
   „Colonels“, antworteten Aven und Leonie und salutierten.
   „Was für ein Scheißeinsatz“, grummelte Mays und versuchte, ihre schulterlangen blonden Haare zu bändigen, die der Wind eifrig verwirbelte, woran sie kläglich scheiterte.
   Briggs schnaubte abfällig, er war kein großer Redner und überließ das Reden lieber seiner plauderfreudigen Kollegin. Die beiden waren nicht nur optisch wie Tag und Nacht, ergänzten sich aber zu einem effektiven Führungsteam.
   „Specialist Hashemi, begleiten Sie bitte Ihre Kameraden zur Krankenstation. Captain, Sie kommen mit uns“, sagte Colonel Mays.
   Leonie seufzte, schaute zu Jarik, der grade aus dem Helikopter geschoben wurde und ihr aufmunternd zunickte, dann stiefelte sie ihren beiden Vorgesetzten hinterher.
   Sie stiegen in einen der fahrerlosen Transporter und ließen sich damit, durch einen Tunnel unter der Autobahn hindurch, zum unterirdischen Hauptgebäude bringen. Sie waren zwar alleine im Gefährt, schwiegen jedoch.

Im Büro der beiden Colonels angekommen, ließ sich Leonie, nach einem Nicken von Briggs, auf einen der drei Stühle vor den Schreibtischen sinken.
   „Ich habe die Eltern schon benachrichtigen lassen“, sagte Mays, als sie sich setzte.
   „Danke. Ich würde dennoch gerne selbst bei den Dubois’ vorbei, falls das irgendwie möglich ist. Julien war einer meiner besten Freunde und wir waren oft genug bei ihnen“, sagte sie leise.
   „Ich weiß, ich lasse die Tage was organisieren.“ Mays schaute sie traurig an.
   „Danke“, nuschelte Leonie. „Gibts schon ne Info, warum uns das Haupthaus um die Ohren geflogen ist?“
   Briggs verzog verärgert das Gesicht und Leonie rutschte das Herz in die Hose.
   „Drinnen war ein siebter Entführer. Die Infos der Spanier waren fürn Arsch. So wie’s aussieht, hat er gewartet, bis Ihr Team nah genug am Haus war, und sich dann selbst in die Luft gesprengt.“
   Leonie starrte Mays ungläubig an und keuchte auf.
   „Und ich hab die Freigabe gegeben, dass niemand zu sehen ist ...“
   „Captain, ich lasse die Aufzeichnungen grade sichten, bisher war nichts Eindeutiges zu sehen. Auch die Drohne hats nichts angezeigt. Nur einen Schatten drinnen, weil die Vorhänge zugezogen waren. Aber das war, bevor die anderen beiden aus dem Haus gekommen sind.“
   Leonie hatte die Fäuste so fest geballt, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
   „Hören Sie auf sich Vorwürfe zu machen. Wir wissen, dass selbst der am besten geplante Einsatz schief gehen kann. Manchmal stecken wir einfach nicht drinnen“, sagte nun Colonel Briggs energisch.
   Leonie schaute ihn erschrocken an und ließ dann den Kopf hängen.
   „Aber ich hätte wenigstens noch mal sichergehen sollen“, murmelte sie.
   Colonel Mays schaute sie empört an und sie schluckte.
   „Die Mädchen sind so weit in Ordnung?“, fragte Leonie dann.
   „Die Elf, die Sie rausgeholt haben, werden grade noch behandelt. Körperlich sind sie so weit ok, sie hatten nur Beruhigungsmittel bekommen und sind nicht missbraucht worden. Wir benachrichtigen grade die Eltern und fliegen sie dann heim.“ Mays seufzte.
   „Die Elf ... sagen Sie mir jetzt nicht, dass im Haus auch noch Mädchen waren!“ Leonie schaute sie fassungslos an.
   Mays atmete tief durch und Leonie hatte das Gefühl das letzte Fitzelchen Boden unter den Füßen zu verlieren. Was denn noch alles?
   „Zwei. Wir arbeiten grade an der Identifizierung“, antwortete Mays gepresst.
   Leonie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen und ächzte. „Scheiße!“, knurrte sie.
   „Was Sie nicht sagen.“ Briggs sah wütend aus.
   „Captain. Gehen Sie zu Ihrem Team. Bevor sie nicht wieder gesund sind, sind Sie aus der Rotation raus. Ich kümmere mich um alles Nötige.“
   Leonie sah dankbar zu Colonel Mays und stand auf.
   „Colonels“, sagte sie benommen und salutierte.    

Leonie verließ das Büro und schleppte sich wie betäubt zur Krankenstation. Auf dem Weg entschied sie sich jedoch, kurz zu duschen und sich umzuziehen, und wollte schon zu ihrer Wohnung laufen, als sie abrupt stehen blieb, dort war auch Juliens Zimmer. Sie wusste nicht, ob sie damit klarkam, seine Sachen zu sehen, die garantiert überall im Wohnzimmer verteilt waren, ordentlich war kein Wort, mit dem man Julien hatte beschreiben können. Aufgewühlt drehte sie sich um und machte sich auf den Weg zur Wäscherei, wo sie gestern ihre Sachen abgegeben hatte, sie mussten zum Glück nicht selbst waschen. Der ältere Herr an der Ausgabestelle sprach nach einem Blick auf ihre Teamnummer sein Beileid aus. Der Buschfunk war also schon aktiv. Sie bedankte sich und flüchtete in die Trainingshalle.
   Aus ihrem Spind nahm sie sich Duschzeug und ein Handtuch aus dem Waschbeutel. Ihre hellbraun-grün gemusterte Arid-Einsatzuniform, die sie noch anhatte, stopfte sie unten in den Schrank und stellte den Wäschesack drauf. Entgegen ihrer üblichen Gewohnheit nahm sie dieses Mal eine der zwei Einzelduschkabinen, schloss die Tür und machte die Dusche an. Kaum traf sie der Strahl, liefen auch schon die Tränen, die sie bis dato noch hatte zurückhalten können. Wie lange sie unter dem Wasser gestanden hatte, konnte sie nicht sagen. Sie schreckte hoch, als sie mehrere Stimmen draußen hörte. Eilig wusch sie sich und trocknete sich grob ab, bevor sie das Handtuch um sich schlang. Während sie wartete, dass die Gruppe draußen entweder Richtung Dusche lief oder die Umkleide verließ, drückte sie vorsichtig ihre Haare aus.
   Lange musste sie nicht warten, dann hörte sie das Wasser draußen rauschen. Sie schnappte sich ihre Sachen und flitzte, zu ihrer Erleichterung wirklich ungesehen, zur Umkleide. Sie stieg in die grau-gefleckte Urban-Uniform, die alle in der Basis trugen, und machte sich endgültig auf den Weg zur Krankenstation. Ihre Haare drehte sie auf dem Weg zu einem unordentlichen Dutt.    

Ihr Team schaute sie gespannt an, als sie den Raum betrat, in dem alle untergebracht waren. Sie ließ sich neben Jarik auf den Stuhl fallen und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück.
   Besorgt musterte er sie. „Alles ok?“, fragte er und griff nach ihrer Hand.
   Sie schüttelte den Kopf. „Nope. Clusterfuck triffts nicht mal ansatzweise.“
   „Noch schlimmer?“, fragte Cam müde.
   Leonie nickte. „Jap. Im Haupthaus waren zwei Mädchen.“ Sie brach ab und fuhr sich mit der freien Hand übers Gesicht.
   Das Team stöhnte gequält auf. Jarik drückte ihre Finger und streichelte ihr mit dem Daumen über den Handrücken.
   „Und es waren nicht sechs, sondern sieben von den Arschlöchern. Der Letzte hat sich, zusammen mit den zwei Mädels, in die Luft gejagt. So wie es aussieht, haben die Spanier, die Drohne und dann ich ihn übersehen.“
   Im Raum herrschte Totenstille. Die Gesichter aller waren angespannt und die Hände zu Fäusten geballt. Leonie ließ den Kopf hängen.
   „Hast du ihn übersehen, oder gar nicht sehen können?“, fragte Jarik.
   „Keine Ahnung.“ Leonie seufzte. „Mays lässt die Videos auswerten, trotzdem hätte ich die Freigabe nicht geben dürfen, bevor ich nicht alles geprüft hab.“
   Jarik schaute sie mit zusammengekniffenen Augen an. „Die Spanier haben das Haus drei Tage lang beobachtet und waren sicher, dass es nur sechs Kerle waren. Hör auf mit dem Scheiß!“, knurrte er.
   Leonie wollte zum Protest ansetzen, wurde aber unterbrochen.
   „Leo, hör auf Jarik. Niemand von uns hat geglaubt, dass da noch wer drin ist. Wir kennen das Risiko und wissen, dass auch du nicht hellsehen kannst“, meckerte Gian.
   „Aber, ich hätte ja wenigstens ...“, fing sie an.
   „Bei allem Respekt, Leo. Halt die Fresse! Du weißt genauso wie wir auch, dass es kalt war und wir heimwollten. Und dass wir dich und Jarik garantiert angemeckert hätten, wenn ihr mit ‚wir prüfen das noch und das und das‘ angekommen wärt“, schimpfte nun auch Fee los.
   „Abgesehen davon, wenn wir gedacht hätten, dass es zu unsicher ist, hätten wir schon die Schnauze aufgemacht. Das ist also ne Gemeinschaftsleistung. Ja, ich weiß, du und Jarik seid unsere Offiziere und verantwortlich. Aber wir haben noch nie so gearbeitet, dass ihr runterdiktiert, was wir tun und wir blind hinterherlaufen. Wir sind ein Team! Und wenn wir versagen, dann versagen wir auch als Team. Du bist nicht alleine schuld, wenn dann sind wir es alle!“
   Marcs leidenschaftliche Kurzrede ließ die anderen energisch zustimmen. Leonie konnte dank des Kloßes in ihrem Hals nur mit feuchten Augen nicken und brauchte erst einmal ein paar Minuten, um sich wieder zu fangen. Zudem wusste sie, dass sie bei dem Thema auf verlorenem Posten stand.
   „Was ist eigentlich mit den restlichen Mädchen? Die waren ja high wie sonst was“, fragte Toni nach einer Weile.
   „Die sind im Krankenhaus, die Eltern werden grad benachrichtigt. Aber kein Missbrauch und sie haben nur Beruhigungsmittel bekommen. Sie sollten also wieder werden.“ Leonies Stimme war rau und kratzig.
   Sie redeten nicht mehr viel. Das Team war erschöpft, niedergeschlagen und trauerte. Der Preis war einfach zu hoch gewesen.
   Leonie hatte ihren Kopf auf Jariks Bett abgelegt und er streichelte über ihre Wange. Sie umfasste sanft sein Handgelenk und ließ sich von der Berührung trösten. Wenigstens er war noch da. Als abends alle eingeschlafen waren, schlich sich Leonie aus dem Zimmer.    

In Gedanken verloren, wanderte sie ziellos durch die Gänge der Basis. Sie vermisste Juliens Lachen, seine Umarmung, seine wilden Locken, wenn seine Haare wieder zu lang geworden waren. Sein bübisches Grinsen über einen seiner unsagbar dämlichen Witze.
   Leonie seufzte und wich nur knapp einem Corporal aus, der grade um die Ecke geschossen kam. Er entschuldigte sich wortreich, bevor sie ihn ungehalten mit der Hand wegscheuchte und ihren Weg fortsetzte.
   Dreizehn Jahre waren Julien, Jarik und sie zusammen durch die Höllenlöcher der Welt gegangen. Sie hatten sich in der Grundausbildung kennengelernt und waren von Tag eins an beste Freunde gewesen. Julien war derjenige, der Jarik und Leonie überzeugt hatte, die Offiziersausbildung zu machen. Er selbst hatte keine Ambitionen dafür gehabt und sich stattdessen einer der Squads zuweisen lassen und fleißig Sprachen gebüffelt.
   Leonie musste trotz allem lächeln, als sie sich daran erinnerte, wie er ihnen dennoch per Videochat beim Lernen geholfen und sie angefeuert hatte. Wie stolz er gewesen war, als Jarik und sie ihre Abschlusszertifikate entgegengenommen hatten.
   Sie waren danach für ein Jahr auf verschiedene Teams verteilt worden und hatten dort als Stellvertretung der Leiter fungiert. Sie seufzte und öffnete die Tür zum Trainingsraum, vor welchem sie stand. Zum Leidwesen ihrer Chefs waren sie todunglücklich gewesen und hatten sämtliche freie Zeit weiterhin miteinander, statt mit ihren Teams verbracht.
   Leonie starrte auf den Boxsack vor ihr. Frustriert schlug sie darauf ein, während sie weiter in ihren Erinnerungen verloren war.
   Sie dachte an den Tag zurück, als Colonel Briggs und Colonel Mays, sie in deren gemeinsames Büro gerufen hatten. Der Leiter von Jariks Squad war wegen einer Verletzung nicht mehr einsatzfähig gewesen und Leonie hatte das Team mit ihm übernehmen dürfen.
   Gian und Marc waren schon länger dabei gewesen und hatten sie unterstützt. Julien hatte direkt um eine Versetzung zu ihnen gebeten und diese auch erhalten. Der Rest der aktuellen Gruppe war im Laufe der Zeit als Ersatz für ausgeschiedene Teammitglieder dazu gekommen. Bis zu diesem Einsatz hatten sie jedoch noch niemanden im Dienst verloren. Es hatte Verletzungen gebeben, auch schwere, aber keine Toten.
   Ausgepowert, verschwitzt und mit aufgeplatzten Knöcheln, lehnte sich Leonie mit der Stirn an den Boxsack. Dass sie sich das Blut, das sie auf dem Leder hinterlassen hatte, ins Gesicht und die hellbraunen Haare schmierte, bemerkte sie zwar, ignorierte es aber. Ihr Dutt hatte sich aufgelöst und beim Versuch, die Strähnen zusammenzufassen, saute sie sich nur noch mehr ein. Sie duschte sich schnell ab, um den Schweiß abzuwaschen. Ihre Haare ließ sie aus, da sie grade erst trocken geworden waren, das Blut darin hatte sie längst wieder vergessen.
   Sie schlüpfte in eine frische Uniform und wanderte nach draußen auf eine der Dachterrassen, wo sie sich in einer dunklen Ecke ans Geländer stellte und in Richtung Wald ins Leere starrte.
   Als Aven sie zwei Stunden später fand, war sie komplett durchgefroren und zitterte vor sich hin. Die Temperaturen bewegten sich in Stuttgart grade mal um den Gefrierpunkt herum. Aven versuchte mehrfach, sie dazu zu bewegen mit ihm zu kommen, gab dann aber auf. Seufzend hob er sie auf die Arme und trug sie nach drinnen. Sie protestierte nicht, sondern lehnte nur ihren Kopf an seine Schulter.
   Aven brachte sie zur Krankenstation und ließ sie von der Chefärztin Dr. Emery untersuchen. Diese riet ihm, Leonie in ein warmes Bett zu stecken, und verband ihr die Hände. Aven versuchte derweil kopfschüttelnd, ihre blutbesudelten Haare mit einem feuchten Lappen sauber zu machen, gab es dann aber auf. Sie ließ es teilnahmslos über sich ergehen.    

Jarik schreckte hoch und beobachtete alarmiert Aven, als dieser das Krankenzimmer mit Leonie auf dem Arm betrat.
   „Was ist passiert?“, flüsterte Jarik, um die anderen nicht zu wecken, und winkte Aven heran.
   „Sie hat draußen auf Dach gesessen und ist unterkühlt. Und scheinbar hat sie sich am Boxsack ausgetobt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie alleine in der Wohnung lassen will“, wisperte Aven.
   „Sie bleibt bei mir! Gib her.“ Jarik rutschte auf dem Bett zur Seite und verzog das Gesicht, bewegen tat weh! Rechts waren drei Rippen angeknackst, links waren sie zum Glück nur geprellt, aber auch das war schmerzhaft genug. Über die Quetschungen an seinen Armen und Beinen wollte er lieber nicht nachdenken. Er hielt die Luft an und drückte unauffällig auf den Knopf der Schmerzmittelpumpe. Es dauerte zum Glück nur ein paar Sekunden, bis die Wirkung eintrat und er erleichtert aufatmete.
   Aven schaute ihn besorgt an, sagte aber nichts. Er setzte Leonie wie gewünscht ab und zog ihr die Stiefel von den Füßen. Vorsichtig kroch sie unter die Decke und kuschelte sich an Jariks linke Seite. Er brauchte den Kontakt genauso dringend wie sie und legte den Arm um ihre Taille. Er vermisste Julien schrecklich und hatte von ihm geträumt, bis Aven ihn dankenswerterweise geweckt hatte, es war kein schöner Traum gewesen. Leonies Wärme fühlte sich tröstlich an und beruhigte ihn.
   „Danke. Sieh zu, dass du selber ins Bett kommst“, flüsterte Jarik.
   „Wenns ok ist, würd ich gern hierbleiben.“ Aven schaute ihn bittend an und Jarik nickte.
   Aven bezog wieder seinen Posten auf dem Sessel zwischen Fee und Cam, die beide tief und fest schliefen. Leonie war eingedöst und Jarik atmete erleichtert aus. Er lehnte seinen Kopf an ihren und schloss die Augen, kurz danach driftete auch er ins Land der Träume, diesmal waren es angenehmere Gefilde.

Leonie stapfte genervt zur einberufenen Besprechung in einem der Hörsäle. Sie war froh, ein paar Minuten aus der Krankenstation zu kommen, da Jarik nach fünf Tagen vor lauter Frust fast die Wände hochkrabbelte. So sehr sie ihn auch liebte, zum Rumliegen verdonnert war er einfach ungenießbar. Die anderen waren bereits entlassen worden, selbst Fee hatte sich am Vortag von Aven abholen lassen.
   Leonie hatte das Gefühl, zwischen allem aufgerieben zu werden. Abgesehen von ihrem Intermezzo mit dem Boxsack und der Terrasse hatte sie kaum Zeit gehabt, um Julien zu trauern. Sie war damit beschäftigt gewesen, sich um ihr Team und Jarik zu kümmern. Dass sie immer wieder vor Augen hatte, wie Milo weggeschleudert und Julien von einem Trümmerteil getroffen worden war, während sie und Aven nur herumliegen konnten, half ihren angespannten Nerven kein Stück. Sie schauderte und schob das Bild gedanklich weit weg.    

Der Hörsaal war bereits gut mit diversen Offizieren, die meisten davon Teamleiter wie sie selbst, gefüllt. Sie entdeckte Keenan, neben dem noch mehrere freie Plätze waren, und schlängelte sich zu ihm durch. Mids, der zweite Leiter seines Teams war ebenfalls da.
   Keenan lächelte sie freundlich an, als sie ihm auf die Schulter tippte, und stand auf, um sie zu umarmen. Auch Mids erhob sich und drückte sie an sich.
   „Hey, ich hab gesehen, die anderen schleichen schon wieder durch die Gänge?“, fragte Mids.
   „Joa, alle bis auf Jarik. Die olle Brummsocke mault jeden an, der es wagt, den Kopf ins Zimmer zu stecken. Langsam muss ich die Pfleger bestechen, damit sie überhaupt noch reinkommen. Ich würd ihn grad am liebsten erwürgen“, grummelte Leonie leise und setzte sich zwischen die zwei Männer.
   Keenan seufzte. „Ist ja auch beschissen, für euch beide. Aber er war ja noch nie jemand, der gut still sitzen konnte.“
   Leonie schnaubte genervt. „Erzähl mir was. Doktor Lindner kommt jeden Tag für ein, zwei Stunden vorbei. Warum sie ihn noch nicht erschlagen hat, ist mir echt ein Rätsel. Aber sie sitzt da, völlig tiefenentspannt, lächelnd und lässt ihn motzen. Danach ist er wenigstens für paar Stunden erträglich.“
   Keenan tätschelte ihr das Knie. „Psychologen halt, die können das ab. Und wie gehts dir?“
   „Den Umständen entsprechend beschissen?“ Leonie zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Doktor Lindner treibt mich damit auch schon in den Wahnsinn. ‚Wie geht es Ihnen heute? Was fühlen Sie?‘“, äffte Leonie sie nach. „Ich meine, ich mag sie ja wirklich. Aber ich hab grad null Plan. Ist einfach alles Scheiße.“
   Keenan und Mids nickten verständnisvoll. Bevor sie jedoch antworten konnten, wurde das Licht gedimmt und Divisionnaire William Emery trat vor die Leinwand. Wie ihre Kameraden klinkte Leonie sich ins Audio-System des Raumes ein, um den Leiter der Combat-Teams besser zu hören.

Emery gab ihnen ein paar Sekunden, bevor er den Rücken durchdrückte. „Guten Morgen. Ich will gar nicht lange um den heißen Brei herumreden. Von 3-357 gibt es nach der heutigen Nacht keinen einzigen Überlebenden mehr“, sagte er mit Grabesstimme.
   Geschockt starrte Leonie zu ihm. Er stand kerzengrade und mit steinerner Miene da. Leonie hatte das Team zwar kaum gekannt, bei den über fünfhundert europäischen Squads nicht weiter verwunderlich, aber dennoch war es ungewöhnlich, fast ein ganzes Team zu verlieren.
   „3-357 ist heute Nacht zu einem Einsatz in Stockholm gerufen worden, um dort Mädchen aus der Hand von Hayes’ Handlangern zu befreien.“
   Hinter Emery erschien eine Karte, daneben waren zudem Bilder vom Einsatz zu sehen: Leere Patronenhülsen, aufgesprengte Türen, verbrannte Wände, Einschusslöcher, Blut. Leonie wurde kalt, das kam ihr eindeutig zu bekannt vor.
   „Im angegebenen Warenhaus waren wie gemeldet vier Mädchen. Allerdings auch ein Dutzend Schwerbewaffnete, Sprengfallen und Handgranaten. Man hat uns wohl erwartet. Es wurde eine Hinrichtung: 3-357 wurde über den Haufen geschossen und weggesprengt.“ Emerys Stimme war eisig.
   Leonie hatte das Gefühl, von einem Laster überfahren worden zu sein. Keenan nahm ihre Hand und drückte sie, was sie dankbar erwiderte.
   „Die Schweden sagen, sie hätten sich nicht reingetraut. Was auch immer. Sie haben zum Glück aber auch niemanden rausgelassen. Drei andere Teams, 3-087, 3-159 und 3-421, die grade mehr oder weniger in der Nähe waren, konnten das Warenhaus räumen, aber keine Überlebenden von uns mehr finden. Auch die Mädchen sind tot. Wir haben drei Gefangene, die verhört werden, sobald sie eintreffen, und acht tote Angreifer. Dazu vier verletzte Kameraden mehr, zum Glück aber nur Kleinigkeiten.“
   Im Raum hätte man eine fallende Stecknadel hören können, so still war es.
   „Wer jetzt glaubt, ein Deja-Vu vom Einsatz von 3-032 in Spanien zu haben, Sie sind damit nicht alleine.“ Emery sah direkt zu Leonie.
   Leonie spürte, wie sie bleich wurde, als sich Dutzende Augen auf sie richteten, hielt sich aber mit eisernem Willen aufrecht.
   „Auch dieser Einsatz wurde mit von Hayes entführten Mädchen gemeldet. Auch hier waren Sprengstoff und mehr Personen, als angegeben worden waren, vor Ort. Wir gehen daher davon aus, dass der Einsatz in Spanien ebenfalls mit diesem Ergebnis enden sollte. Allerdings waren wir wohl vor Ort, bevor alles vorbereitet war. Trotzdem haben wir zwei Kameraden verloren und sechs Verletzte. Die beiden Gefangenen hüllen sich bis dato in Schweigen.“ Emery schnaubte angewidert.
   „Wir wissen noch nicht, wer oder was dahinter steckt. Es kann sein, dass wir aktuell gezielt angegriffen werden. Gehen Sie also mit absoluter Vorsicht vor. Ich will nicht die Pferde scheu machen, aber ich will auch nicht noch mehr von Ihnen verlieren. Eigenschutz geht vor! Wir wissen alle, dass wir keinen rosa Zuckerwatte-Job haben, aber wer jetzt irgendwelche Kamikaze-Aktionen bringt, dem verpasse ich höchstpersönlich einen Satz heiße Ohren!“ Er schaute einmal streng in die Runde und Leonie nahm die Drohung ernst. Obwohl der Divisionaire bereits über fünfzig war, konnte er es immer noch mit den jüngeren aufnehmen.
   „3-032 wurde außerplanmäßig in Echo versetzt, 3-357 geht in Gruppe zwanzig. Die Gruppen drei und neun in Alpha haben daher je ein Team zu wenig.“
   Leonie zuckte zusammen und rieb sich das Gesicht. Echo war die Bezeichnung für Teams, die nicht für Einsätze bereitstanden, sei es durch Urlaub oder Verletzung. Gruppe zwanzig war die Gruppe für im Einsatz gefallene Teams. Mays hatte ihr bereits mitgeteilt, dass sie aus der Rotation waren. Aber es jetzt vor versammelter Mannschaft zu hören, war mehr als unangenehm, vor allem nach diesen Nachrichten. Keenan tätschelte ihr den Rücken und sie brummte unwillig.

Vorne hatte nun ein Major das Wort, erläuterte Details zu den nächsten geplanten Einsätzen und beantwortete Fragen.
   Leonie hörte nicht mehr zu, stattdessen lehnte sie den Kopf nach hinten an die Lehne und schloss die Augen. Ihrem Team und Jarik jetzt beibringen zu müssen, dass sie womöglich gezielt attackiert worden waren, war der nächste Akt des Grauens, auf den sie sich absolut nicht freute.
   Zwei Stunden später ging das Licht an und der Hörsaal leerte sich zügig. Keenan und Mids verabschiedete sich und Leonie machte sich auf den Weg zum Wohnhaus. Jarik würde warten müssen. Sie gab den anderen Bescheid, sie im Teamraum, der sich auf dem gleichen Stockwerk wie ihre Wohnungen befand, zu treffen.    

Als sie durch die Tür trat, wurde sie erwartungsvoll von ihrem Team, welches auf den Sofas dort saß, angeschaut. Leonie stählte sich und setzte sich zu den anderen. Normalerweise hätte sie gestanden, aber sie hatte Angst, dass ihre Beine versagen würden. Sie hielt sich nicht damit auf, um den heißen Brei herumzureden.
   „Es gab grade eine Info von Div Emery. 3-357 ist heute Nacht in einen Hinterhalt gelockt und komplett ausgelöscht worden. Es gibt Parallelen zu unserem Einsatz.“
   Sie schaute in die geschockten Gesichter, hörte das Japsen. Sah, wie die Information langsam einsickerte, verarbeitet wurde und sich zu Wut wandelte.
   „Warte, ein paar Details mehr, bitte“, sagte Aven, dessen sonst braune Haut, deutlich an Farbe verloren hatte.
   Sie wiederholte, was sie selbst an Informationen erhalten hatte, und ließ dabei nichts aus.
   „Und ich mach mir nen Kopf, obs nicht ne bessere Lösung gegeben hätte, als die Ärsche umzulegen“, schimpfte Marc.
   Es ertönte zustimmendes Gemurmel. Auch Leonie musste zugeben, dass sie nach den heutigen Infos keine Gewissensbisse mehr hatte. Es war nun klar, dass die Männer sie dort ohne zu zögern getötet hätten. Sie hatten also nur weitere Opfer verhindert.
   „Wie gehts jetzt weiter?“, sprach Gian dann die offensichtliche Frage aus.
   „Hm, wir sind aus der Rotation raus, bis alle wieder fit sind. Mehr weiß ich aktuell nicht. Ist mir aber grad auch herzlich egal. Ich werd gleich zurück zu Jarik gehen. Ich hoffe, er hat die Pfleger nicht zu sehr geärgert. Aven und ich machen ab morgen wieder Sportprogramm, ihr geht brav zur Physio. Gebt mir dann bitte die Tage eure Trainingspläne, damit ich schauen kann, wie wir weitermachen. Sobald ich was Neues weiß, sag ich Bescheid.“    

Sie verabschiedete sich und stapfte zur Krankenstation. Dort angekommen, wurde sie von der Chefärztin auf dem Gang abgefangen.
   „Captain Brandt. Gut, dass ich Sie erwische. Ich empfehle, dass Sie Captain Koslow mit nach Hause nehmen. Die Pfleger diskutieren grade, ob sie ihn erschlagen oder ersticken sollen“, meinte Dr. Emery schmunzelnd.
   Leonie stöhnte. „Ach, die auch? Wer sagt, dass ich ihn nicht umbringe?“
   Die Ärztin schnaubte. „Ich bin mir sicher, dass Sie sich besser im Griff haben, als mein Pflegepersonal. Ich schicke jemanden, der ihn in einen Rollstuhl verfrachtet. Wenn was ist, sagen Sie Bescheid oder bringen ihn her.“
   „Der Tag wird besser und besser“, murmelte Leonie und nickte schicksalsergeben.
   Jarik sah auf, als sie seufzend das Zimmer betrat.
   „Wer ist dir denn über die Leber gelaufen?“, fragte er.
   Leonie schaute ihn genervt an. „So ne olle Meckerziege, die gleich nach Hause darf.“
   „Wurde ja auch Zeit“, grummelte Jarik.
   „Ja, ich bin auch voll begeistert. Das Pflegepersonal überlegt wohl grade, ob sie dich ersticken oder erschlagen sollen. Daher dachte sich Doktor Emery, dass es für dich zu Hause sicherer wäre.“ Leonie schnaubte.
   Jarik schmunzelte. „Nett. Ist das der einzige Grund für deine Scheißlaune?“
   Die Tür ging auf und zwei Pfleger kamen herein.
   „Erzähl ich dir später.“
   Jarik ließ sich, erstaunlicherweise ohne weiteres Gemecker, in den Rollstuhl helfen und von Leonie durch die Gänge nach Hause bringen.  

Jarik schluckte, als er und Leonie ihre Wohnung betraten, die sie sich mit Julien geteilt hatten. Da dort nicht wirklich viel Platz war, hatte er den Rollstuhl auf dem Gang stehen lassen. Er ließ den Blick über die schlichte und funktionale Einrichtung streifen: Weiße Wände und Möbel, hellgrauer PVC-Boden. Links waren zwei kleine Badezimmer, geradeaus ihre drei Schlafzimmer. Langsam, da seine angeknacksten Rippen höllisch schmerzten, bewegte er sich um die Schrankwand rechts neben ihm herum, zum schwarzen BigSofa. Er umrundete es und ließ sich stöhnend in die weichen Polster sinken. Leonie holte zwei kleine Wasserflaschen aus dem Kühlschrank links von ihm. Sie setzte sich neben ihn und reichte im eine davon, nachdem sie den Verschluss aufgedreht hatte.
   „Danke. Ich komme mir vor, als wär ich nen Marathon gelaufen.“
   Jariks Blick wanderte zu den Bildern, von ihnen und dem Team, über dem Fernseher an der Wand. Während der letzten Jahre hatten sie es sich wohnlich gestaltet. Juliens Mutter Clarisse hatte sie mit selbst gemachten, bunten Kissen und Decken fürs Sofa versorgt. Auch der sattgrüne, flauschige Teppich davor stammte, wie so vieles anderes, von ihr.
   „Ich hab Maman und Papa schon angerufen“, sagte Leonie leise.
   Jarik schaute sie erstaunt an. „Ohne mich? Was haben sie gesagt?“, fragte er etwas irritiert.
   „Dass sie froh sind, dass wenigstens zwei ihrer drei Kinder bei der UNSF noch leben. Und dass ich mich lieber um dich kümmern soll, statt runterzufliegen, wie ich es eigentlich vorgehabt hab.“
   Jarik spürte, wie ihm der Hals eng wurde. Clarisse hatte sie mit offenen Armen empfangen, als sie noch während der Ausbildung das erste Mal dort gewesen waren und ihn und Leonie kurzerhand zu ihren eigenen Kindern erklärt. Seither waren sie fester Teil der Familie Dubois geworden. Das Verhältnis zu seiner und Leonies Familie konnte man dagegen eher als angespannt bezeichnen, weswegen sie den Kontakt auf ein Minimum beschränkt hatten. Er räusperte sich und Leonie streichelte seinen Arm.
   „Ich soll dir ganz viel Liebe und Küsse ausrichten und du sollst dich geknuddelt fühlen und schnell wieder gesund werden. Wir können sie ja morgen anrufen.“
   Jarik nickte nur, er war nicht mehr in der Lage zu sprechen. Zu viele Emotionen stürzten auf ihn ein: Trauer um Julien, tiefste Dankbarkeit und Freude über Clarisses und Arnauds Liebe, Schuldgefühle, dass er das Unglück nicht hatte verhindern können, Frustration, Wut und noch Diverses mehr.
   Er leerte die Flasche und Leonie stellte diese und ihre eigene auf dem Couchtisch vor ihnen ab, bevor sie ihm half, sich halbwegs bequem hinzulegen. Er stöhnte gequält. Es würde ein paar Wochen dauern, bis er sich wieder ohne Schmerzen bewegen konnte. Im Gegensatz zu Leonie hatte er keine Möglichkeit, seinen Frust am Boxsack auszulassen, mit ein Grund für seine miserable Laune. Er war froh, dass es mittlerweile wenigstens Medikamente gab, die den Muskelschwund fast völlig aufhalten konnten, auch wenn sie Übelkeit verursachten. Aber dafür gab es ja ebenfalls etwas. Einen Drogentest würde er aktuell jedenfalls nicht bestehen.
   Allerdings würde er wohl irgendwann wieder aufstehen müssen, auch wenn es garantiert eine Qual werden würde. Er wollte unbedingt duschen, danach würde er sich bestimmt deutlich menschlicher fühlen. Die Ärztin hatte ihn dafür von den Verbänden befreien lassen. Er hatte zwar Katzenwäschen bekommen, aber die waren nichts gegen fließendes warmes Wasser.
   „Soll ich Aven gleich fragen, ob er dir beim Duschen hilft?“, fragte Leonie leise, als hätte sie seine Gedanken gelesen.
   „Nope. Kannst du mir bitte helfen?“ Jarik seufzte und legte sich seinen Arm vorsichtig aufs Gesicht. „Ich weiß nicht, ob ich ihn grad abkann.“
   Leonie schaute ihn verblüfft an, nickte dann aber. „Okay, sag Bescheid, wenn du ins Bad willst.“
   Sie legte sich seitlich neben ihn und lehnte sich nur sachte an ihn. Jarik brummte unwillig, hob ächzend den Arm und bedeutete ihr knurrend, näher an ihn heran zu rutschen und ihren Kopf auf seine Schulter zu legen.
   „Ich will dir nicht wehtun,“ sagte sie, beugte sich aber seinem Wunsch.
   „Mir grad so scheiß egal, komm ran! Die letzten Nächte hats doch auch funktioniert. Hör auf, dich anzustellen.“ Er legte ihr den Arm um die Taille und steckte seine Nase in ihre Haare. Etwas, das ihm seit Jahren half, sich zu entspannen. Auch jetzt verfehlte es seine Wirkung nicht und er fühlte, wie sich seine Muskeln lockerten. Nur Julien fehlte auf der anderen Seite. Sonst hatten sie zu dritt auf dem Sofa gelegen. Jarik in der Mitte, Julien und Leonie rechts und links von ihm, die Köpfe auf seinen Schultern und die Hände auf seiner Brust abgelegt. Sie hatten immer eine innige, aber nie eine sexuelle Beziehung gehabt, auch wenn viele ihnen eine nachsagten.
   Jarik vermisste ihn schmerzlich. Julien zu verlieren, war für ihn wie eine Amputation. Sie hatten untereinander keinerlei Geheimnisse gehabt. Julien hatte von Anfang an gewusst, dass Jarik sich mit Leonie mehr als nur Freundschaft vorstellen konnte. Da sie jedoch nie Interesse in dieser Richtung signalisiert und eine Beziehung zwischen Jarik und Leonie das empfindliche Gleichgewicht der Gruppe gestört hätte, hatte er es dabei belassen. Sie als beste Freundin zu haben war Geschenk genug. Dennoch hatte er sich mehr als einmal Gedanken darüber gemacht, wie es wohl gewesen wäre. Auch Julien hatte die Meinung vertreten, dass sie ein hübsches Paar abgegeben hätten. Stattdessen hatten sie ihre Bedürfnisse anderweitig gestillt und Jarik war dabei nicht unbedingt ein Kind von Traurigkeit gewesen.    

Sie waren eingeschlafen. Als Jarik aufwachte, zeigte die Uhr unter dem Fernseher bereits kurz nach acht. Er gähnte und ächzte schmerzerfüllt auf, was Leonie weckte. Sie schreckte hoch und schaute ihn besorgt an.
   „Alles gut, ich sollte einfach nicht zu tief einatmen. Die Schmerzmittel sind durch.“
   „Soll ich dir was geben?“
   „Ja, bitte. Und dann duschen. Ich hab das Gefühl, dass ich immer noch nach Rauch stinke.“
   Sie nickte, brachte zwei Tabletten und gab sie ihm zusammen mit einer geöffneten Wasserflasche. Er schluckte die Pillen und schloss die Augen. Leonie räumte die Flaschen weg, half ihm vom Sofa und Jarik schlurfte ins Bad. Sie holte ihnen frische Sachen aus ihren Schränken, schlüpfte in ihren Sportbikini und folgte ihm.
   Leonie legte die Kleidung auf den geschlossenen Toilettendeckel und schälte ihn aus dem losen Hemd und der Jogginghose, in die sie ihn auf der Krankenstation gesteckt hatten. Sie kniete sich hin, um ihm die Socken auszuziehen, lehnte sich zurück und musterte seinen geschundenen Körper mit gepeinigtem Blick, während sie sich langsam erhob. Den Regenbogen, der auf seiner Haut schillerte, die frischen Schnitte, mit denen seine Arme und Beine übersät und die mit durchsichtigem Sprühpflaster versiegelt waren. Ihre Finger glitten sachte über die alten Narben auf seiner breiten Brust, was ihm eine Gänsehaut bescherte und ihre Fingerspitzen kribbeln ließ. Aus seinen grauen Augen starrte er sie durchdringend an, sagte aber nichts, sondern schluckte nur.
   Seufzend schüttelte Leonie den Kopf und ließ die Hand fallen. Das war kein Weg, den sie weiter verfolgen wollte oder konnte. Sie holte den Klapphocker neben dem Waschbecken hervor und stellte ihn in die Dusche. Dass der Hocker zur Standardausstattung gehörte, stimmte sie traurig. Sie wurden eindeutig zu oft verletzt. Seine Boxershorts behielt er an, die Atmosphäre war geladen genug. Jarik machte das Wasser an, wartete kurz, bis es warm war, und setzte sich mit ihrer Hilfe hin.
   Er schloss die Augen, während Leonie ihn vorsichtig aber gründlich wusch, seinen Intimbereich ignorierte sie dabei. Danach massierte sie sanft seine Schultern. Er hatte seine Stirn an ihren Bauch gelehnt, die Ellbogen lagen auf seinen Knien. Das warme Wasser prasselte auf seinen Rücken. Leonie ließ sich Zeit, sie wusste, dass die Realität sie einholen würde, sobald sie das Bad verließen. Da Jarik aktuell keine Möglichkeit hatte sich auszutoben, war das ein guter Weg, ihm etwas Entspannung zu verschaffen.
   Keiner der beiden wusste, wie lange sie in der Dusche gestanden hatten. Leonie half ihm beim Aufstehen und gab einen Klecks Duschgel in seine Hand, damit er sich fertig waschen konnte. Sie hatte vor der Besprechung bereits kurz geduscht, daher trat sie aus der Kabine und wickelte sich ins Handtuch. Als er das Wasser ausstellte, drehte er sich von ihr weg, da er die Boxershorts hatte fallen lassen.
   „Kommst du da jetzt raus, damit ich dich abtrocknen kann, oder willst du in der Dusche trocknen?“, fragte Leonie schmunzelnd. „Ich kann auch gerne noch eine Weile deinen blanken Hintern anstarren, aber ich würde es bevorzugen, wenn du dich bewegst, ich bekomme Hunger. Oder bist du seit Neustem schüchtern geworden?“
   Er schnaubte amüsiert und drehte sich um. „Ich wollte nur höflich sein.“
   Sie verdrehte die Augen. „Blubb, das kannst du gar nicht. Und ist ja nicht so, als ob ich dich das erste Mal ohne Klamotten sehe. Jetzt auf.“
   Jarik ließ sich abtrocknen und anziehen, dann schlurfte er zurück zum Sofa und bestellte in der Kantine Pizza. Diese hatte rund um die Uhr offen und selbst nachts noch ein großzügiges Angebot. Leonie schlüpfte derweil in eine frische Uniform und band sich die feuchten Haare zum Dutt zusammen. Sie flitzte die drei Stockwerke nach unten ins Erdgeschoss des Hauses, wo sie in eines der dort geparkten Elektro-Autos stieg, um ihr Essen abzuholen. Fünfzehn Minuten später war sie wieder zurück.

Jarik hatte den Fernseher angemacht und schaute einen UNSF-internen Nachrichtensender. Dort lief eine Sondersendung über den „Hinterhalt von Stockholm“ getauften Vorfall. Die Sprecherin berichtete grade von den Parallelen zu ihrem eigenen Einsatz.
   „War es das, was dir die Laune versaut hat?“, fragte er mit rauer Stimme, als sie die beiden Pizzakartons auf den Couchtisch abstellte.
   Leonie nickte und ließ den Kopf hängen. „Ja, wollte ich dir eigentlich selbst sagen. Aber irgendwie ist es untergegangen.“ Seufzend plumpste sie neben ihm aufs Sofa.
   „Wissen die anderen es schon?“
   Sie ahnte, wie sehr ihm die Sache an die Nieren ging und hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie sich davor gedrückt hatte, es anzusprechen.
   „Ja, ich habs ihnen gesagt, bevor ich dich aus der Krankenstation abgeholt hab. Sie sind stinkwütend.“
   „Nicht nur die.“ Er atmete gepresst aus. „Aber alles gut, ich bin nicht auf dich sauer. Du hast die letzten Tage auch genug mitgemacht.“ Er nahm ihre Hand und drückte sie.
   „Tut mir trotzdem leid, ich hätts dir gleich sagen sollen“, murmelte sie verlegen.
   „Ehrlichgesagt bin ich grad gar nicht böse drum, ich weiß nicht, ob ich dann eben hätte schlafen können. Und jetzt gib mir meine Pizza, bevor ich dich fresse.“
   Leonie starrte ihn an und musste dann trotz allem lachen. „Sofort, Meister.“
   Erleichtert reichte sie ihm den Karton, den er sich auf den Bauch legte und ein Stück Pizza herausnahm, welches er gierig verschlang. Einige Minuten aßen sie stumm und lauschten den Ausführungen der Nachrichtensprecherin.
   Nachdem Leonie später die Kartons kleingemacht und in den Mülleimer gesteckt hatte, schaltete Jarik den Fernseher aus. Sie legte die große flauschige Decke über ihn und kuschelte sich zu ihm darunter. Zu aufgewühlt, um zu schlafen, unterhielten sie sich noch lange, bevor sie irgendwann doch vor Erschöpfung einschlummerten. Die letzten Tage hatten sie beide viel Kraft gekostet.

In den zwei Wochen seit dem Vorfall waren Milo und Julien obduziert, genaustens katalogisiert und danach eingeäschert worden. Der Tagesablauf des Teams war während dieser Zeit eintönig gewesen. Gemeinsames Frühstück in der Kantine, Sport oder Physiotherapie, Psychologentermin, zusammen Mittagessen, wieder Fitness, Entspannung und Massagen für die Verletzten, miteinander Abendessen. Und am nächsten Tag ging das Ganze von vorne los. Während die anderen sich nachmittags erholen duften, nutzten Aven und Leonie die Zeit stattdessen für Schießtrainings in der Halle.

Am Morgen von Milos Beerdigung stand Leonie in der Badezimmertür und schaute Jarik kopfschüttelnd dabei zu, wie er versuchte, sich zu rasieren. Das Duschen hatte er alleine geschafft, aber sie hatte ihm wieder die Haare waschen müssen, weil er die Arme immer noch nicht so weit heben konnte, ohne Schmerzen zu haben. Was seine Laune nicht gesteigert hatte. Nun stand er mit einem Handtuch um die Hüften vor dem Spiegel und mühte sich recht erfolglos mit dem mittlerweile dichten, dunkelblonden Bewuchs in seinem Gesicht ab. Seine wuscheligen Haare waren noch kurz genug, um unter dem hellblauen Barret nicht aufzufallen, daher hatte er einen Friseurbesuch grummelnd abgelehnt. Der Bart hingegen musste dringend ab.

„Soll ich dir helfen? Sonst sitzen wir ja in drei Stunden noch da und du siehst immer noch aus wie nen zerpflückter und fusseliger Yeti“, sagte sie traurig lächelnd.
   Jarik schnaubte frustriert und Leonie zupfte ihm das Rasiermesser aus der Hand. Julien hatte ihr das Rasieren mit dem Messer beigebracht und sie hatte Spaß daran gehabt, die beiden Männer hin und wieder damit zu verwöhnen. Jarik ließ sich grummelnd auf den geschlossenen Toilettendeckel sinken.

„Hör auf zu schmollen und lass dich betüddeln. Du darfst früh genug wieder den großen starken Kerl raushängen lassen. Außerdem hab ich dich schon ewig nicht mehr rasieren dürfen.“ Nachdenklich strich sie ihm über die Wange und verteilte noch etwas Rasierschaum.
   „Ich hasse es. Ich komme mir vor wie ein kleines Kind. Und ich hab das Gefühl, bald zu platzen. Ich lieg‘ seit zwei Wochen nur rum, kann mich immer noch kaum bewegen und würd‘ grad ein Königreich dafür hergeben, einfach nur ein paar Stunden lang den Boxsack zu verprügeln, bis ich mich nicht mehr rühren kann.“
   Leonie seufzte und begann vorsichtig, ihn zu rasieren. „Ich weiß. Und ich würd‘ ein zweites Königreich dafür hergeben, es dir zu ermöglichen.“

Jarik ließ die Rasur widerstandslos über sich ergehen und hielt ihr das Gesicht so hin, dass sie vernünftig überall hinkam. Nach kurzer Zeit entspannte sich sogar und schloss die Augen.
   „Ich bin ja dankbar, dass du dich als Krankenschwester aufopferst. Vor allem weil ich ein Arsch bin“, sagte er traurig lächelnd, als sie fertig war.
   „Ich opfer‘ mich nicht auf. Ich kümmer‘ mich gerne um das Wohlbefinden meines besten Freundes. Und du bist kein Arsch, es ist halt einfach scheiße.“

Sie wischte die Reste des Schaumes mit einem Handtuch weg und strich ihm mit dem Daumen über die nun babyweiche Wange. Er lehnte sich in die Berührung hinein, schloss die Augen und drehte dann den Kopf, um ihr die Handinnenfläche zu küssen und dort zu verweilen. Leonie schluckte. Die Geste war so unschuldig, wie intim und fuhr ihr durch sämtliche Glieder. Nur mit Mühe konnte sie ein wohliges Schaudern unterdrücken. Seit Juliens Tod reagierte sie plötzlich immer intensiver auf Jariks Nähe und hatte keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollte. Jahrelang war die Anziehungskraft nie ein Problem gewesen, nun wurde es täglich schlimmer. Sie zwang sich dazu, ruhig weiter zu atmen, und war froh, dass die HUDs nur im Einsatz aktiv waren, ihr Herz raste.

Jarik blieb einige Sekunden regungslos sitzen, dann öffnete er die Augen und schaute sie so durchdringend an, dass sie das Gefühl hatte, dass er genau wusste, was in ihr vorging. Er sagte aber nichts, sondern küsste ihre Handinnenfläche erneut und seufzte dann. Sie ließ die Hand fallen und verteilte parfumfreies Rasierwasser in seinem Gesicht, was ihn zum Ächzen brachte.
   „Ich hasse das Zeug. Du brauchst mich nicht noch mehr quälen“, maulte er.
   „Olles Weichei, hör auf zu jammern. Es muss halt sein“, neckte sie ihn und tätschelte seine Wange.
   Leonie machte einen Schritt zurück, damit er aufstehen konnte, und ging hinter ihm her, um ihm beim Anziehen zu helfen.

Es war eine Qual, Jarik in die schmucklose dunkelblaue Ausgehuniform zu bekommen. Im Gegensatz zu den Militärs der Länder trugen sie keine Auszeichnungen, Medaillen oder Ähnliches. Auf der Lasche der linken Brusttasche war sein Name mit hellblauem Faden aufgestickt, an den Oberarmen waren die UN-Patches aufgenäht. Nur seine Schulterklappen wurden von den zwei silbernen Sternen verziert, die ihn als Captain auswiesen. Das war alles. Die Hose und das Oberschenkelholster waren noch die leichteste Übung. Ihm das dazugehörige ballistische Shirt überzuziehen, erwies sich dagegen als für ihn schmerzhaftes Drama. Es lag eng an und er musste die Arme weit heben, um hinein zu kommen. Als sie endlich die Knopfleiste der hochgeschlossenen Uniformjacke geschlossen hatte, atmeten beide erleichtert auf. Sie richtete seine Schulterklappen und strich behutsam den Stoff über seiner Brust glatt. Das hellblaue Barett steckte sie ihm in die Jackentasche.
 
Leonie drehte sich um und verschwand in ihrem eigenen Zimmer, um sich anzuziehen. Es dauerte keine fünf Minuten, bis sie in ihrer Uniform, die seiner glich, zurück ins Wohnzimmer stapfte. Sie seufzte, als sie sah, wie Jarik sich damit abmühte, in seine Stiefel zu kommen. Er konnte sich jedoch nicht weit genug vorbeugen.
   „Du könntest ja auch einfach warten“, sagte sie leise.
   „Ich könnte auch einfach aufhören mich anzustellen“, fauchte er frustriert.

Leonie seufzte und lehnte sich gegen die kleine Küchenzeile links neben ihm, von wo aus sie ihn besorgt musterte.
   „Sorry“, murmelte Jarik und atmete langsam aus. „Ich weiß, dass du es nur gut meinst.“
   „Kein Stress. Darf ich dir jetzt die Schuhe anziehen?“
   „Ja bitte, bevor ich sie anzünde.“ Grummelnd schob er den Stiefel mit dem Fuß weg.
   „Abgelehnt, das stinkt!“

Kopfschüttelnd kniete sich Leonie vor ihm auf den Boden. Mit wenigen Handgriffen half sie ihm in die schwarzen Stiefel, steckte das Kampfmesser vom Couchtisch in den Stiefelschaft und ließ die Hose darüber fallen. Auf dem Weg aus der Wohnung holte sie ihre Pistolen aus dem Waffentresor im Flur und steckte sie in ihre Holster. Die Waffen würden sie auf der Basis zwar nicht brauchen, aber sie gehörten nun mal zur Uniform.
 
***
 

Leonie beobachtete den grauen Himmel, als sie über den Friedhof der Stuttgarter Basis schritten. Das Wetter passte zu ihrer Stimmung: Es war unangenehm kühl, nieselig und trist. Das Team war schon da. Fee hatte den Arm immer noch in der Schlinge, die anderen waren zwar deutlich fitter, aber absolut nicht auf dem Höhepunkt ihrer Kräfte. Besorgt beobachtete sie Jarik, dem bereits der Weg zur Aussegnungshalle zugesetzt hatte, auch wenn er es nicht zugab. Jetzt noch lange auf den harten Stühlen zu sitzen und danach am Kolumbarium zu stehen, war nichts, was ihm guttun würde. Aber für Milo hielt er sich tapfer und litt stumm. Leonie hatte für ihn Tabletten und sogar einen Autoinjektor organisiert, mit denen sie ihm das Schmerzmittel zur Not schnell und unauffällig spritzen konnte.

Die Beerdigung zog wie ein Film an ihr vorbei. Die Andacht wurde von dem Pfarrer gehalten, bei dem Milo einige Male im Gottesdienst gewesen war. Leonie hatte eine Gänsehaut, weil der Geistliche Milo wirklich gut beschrieb, obwohl er ihn nur kurz gekannt hatte.
   Nach dem Gang zum Grab pikste sie Jarik den Autoinjektor unauffällig ins Gesäß. Er fuhr zusammen und schaute sie empört an. Sie zuckte unschuldig lächelnd mit den Schultern, steckte das Corpus Delicti weg und konzentrierte sich wieder auf den Redner.

   Als die Urne von einer Ehrengarde in die Steinnische des Kolumbariums gestellt wurde, begann es zu regnen. Leonie seufzte innerlich, starrte aber weiter stoisch geradeaus, als sich das eiskalte Wasser langsam seinen Weg durch ihre Uniform bahnte. Normalerweise störten sie solche Unannehmlichkeiten nicht, aber die Sorge um Jarik wuchs minütlich. Er war bleich und Leonie wusste, dass er sich nur mit purer Willenskraft aufrecht hielt. Zum Glück waren sie als Erstes an der Reihe, Milos Vater und seinen drei Schwestern ihr Beileid auszusprechen. Steif stakste Jarik zu ihnen und scheuchte Aven weg, der schon Anstalten machen wollte, ihn zu stützen. Leonie hielt sich nahe bei ihm, falls er doch ins Stolpern kommen sollte.

Jarik sprach kurz mit Milos Familie, bevor Leonie ihr Team heranwinkte.
   „Aven, könntest du bitte Jarik helfen, die anderen nach Hause zu bringen? Sie sollten bei dem Wetter nicht draußen bleiben“, sagte sie unschuldig.
   „Natürlich, Ma’am.“ Er drehte sich zu Milos Vater um. „Mein Beileid. Es war mir eine Ehre, Milo an meiner Seite gehabt zu haben.“

„Hör auf, dir Sorgen zu machen, mir gehts gut“, murrte Jarik leise, während die anderen sich mit Milos Familie unterhielten.
   „Klar, deswegen könnte ich dich auch problemlos an ne Geisterbahn vermieten. Tu mir den Gefallen und kümmer dich um dein Team, statt ne Szene zu veranstalten“, fauchte Leonie leise und starrte ihn durchdringend an. „Die anderen sollen auch nicht im Regen stehen bleiben.“

Jarik schnaubte wütend, er hasste es, wenn sie ihn ausspielte. Aber er wusste, dass sie nicht locker lassen würde, und er würde auf dem Friedhof keinen Streit anfangen. Zumal es ihm wirklich miserabel ging. Die Kälte und der Regen setzen ihm deutlich mehr zu, als ihm lieb war. Er verabschiedete sich höflich und verließ mit Aven und den anderen frustriert den Friedhof.

Leonie wäre am liebsten mit ihm gegangen, aber persönliche Befindlichkeiten hatten heute keinen Platz. Mit Mühe hielt sie sich davon ab, ihrem Team hinterher zu starren. Sie und die Colonels sprachen noch fast eine Stunde mit Milos Verwandtschaft, die unter Schirmen stand, während sie selbst weiter durchgeweicht wurden. Leonie bedankte sich zudem bei der Familie, dass sie Milo dabei unterstützt hatten, sein Leben der UNSF zu widmen.

Als Leonie später die Wohnung betrat, schlief Jarik auf dem Sofa. Vermutlich hatte Aven ihm beim Umziehen geholfen. Auf dem überdachten Balkon schälte sie sich aus der klatschnassen Uniform und hängte sie dort auf. Wieder zurück in ihrem Zimmer trocknete sie sich ab und schlüpfte in eine lange Sporthose, ein T-Shirt und warme Socken. Jarik regte sich nicht mal, als sie sich im Wohnzimmer zu ihm unter die Decke kuschelte. Normalerweise hatten sie beide einen sehr leichten Schlaf.
 
***


Zwei Tage später standen Leonie und Jarik neben dem Flugfeld und wartete auf den Mevac, eine Chimäre aus Helikopter und Flugzeug und Standardflieger der UNSF, der Juliens Familie brachte. Dessen Abschiedsfeier fand ebenfalls auf dem Friedhof in der Stuttgarter Basis statt. Allerdings war das Wetter deutlich besser als bei Milos Beisetzung. Die Sonne schien und es war trocken.

Leonie hatte überlegt, ihre eigene Familie anzurufen und zur Beerdigung einzuladen, aber dann beschlossen es sein zu lassen. Sie hatte sich an Mattis Geburtstag vor drei Wochen wieder einmal mit ihrer Mutter wegen der Gefährlichkeit ihres Jobs massiv gestritten und war von einigen der Aussagen immer noch zutiefst verletzt. Leonie wusste, dass ihre Mutter es nicht böse meinte und sich Sorgen machte, aber es war grade das Letzte, was sie brauchen konnte. Von daher hatte sie nur ihren Bruder Matti und ihren Vater informiert. Sie hoffte, dass ihre Mutter ihr irgendwann verzeihen würde, dass sie ihre Anrufe grade ignorierte.
    Leonie hatte den Arm um Jariks Taille gelegt, damit er etwas Halt hatte, weswegen er ihr Schaudern mitbekam und sie fragend anschaute.
    „Hab über Mama nachgedacht“, murmelte Leonie.
    „Du hörst grad in Gedanken ihren Vortrag über die Gefährlichkeit unseres Jobs?“
    „Hmhmm. Genau das.“
    Jarik schnaubte kopfschüttelnd.
    Er und Julien hatte sich mehr als einmal mit Leonies Mutter angelegt, weil sie Leonie mit ihrem Verhalten verletzte. Aber Hannelores Angst ihre Tochter zu verlieren war so massiv, dass sie nicht sehen konnte, dass sie Leonie dadurch bereits vor Jahren verloren hatte. Leonie liebte ihre Mutter, aber sie lebte für ihren Job und brauchte ihn. Dass Jarik und Julien absolut hinter Leonies Berufswahl standen, hatte den Männern bei Leonies Mutter keine Bonuspunkte eingebracht. Sie hatte beide toleriert, aber eher kühl und abweisend behandelt. Am Anfang hatten sie noch versucht, die Wogen zu glätten, später waren die drei nur noch zu Leonies Familie gefahren, wenn ihre Anwesenheit dringend erwünscht war. Da Leonie darauf bestanden hatte, beide Männer mitzubringen, ebenfalls ein Punkt der Hannelores Wunsch nach Anstand widersprach, war das eher selten vorgekommen.
    Jarik drückte Leonie an sich und küsste ihre Stirn. Sie kuschelte sich seufzend an ihn.
    Auch Jarik hatte darauf verzichtet, seine Eltern einzuladen, und sie nur über Juliens Tod informiert. Sie wollten mit der UNSF nichts zu tun haben und hätten sich sowieso geweigert, die Basis zu betreten. Sie verstanden es bis heute nicht, warum er nicht zur russischen Armee gegangen war. Er drückte Leonie fester an sich und genoss ihre Wärme.

Leonie beobachtete schmunzelnd zwei Privates weiter vorne, die sich angestrengt gegen den starken Abwind der beiden seitlich angebrachten und für die Landung nach oben gekippten Rotoren stemmten. Sie und Jarik standen dagegen so weit weg, dass sie bequem stehen konnten.
   Die Rotoren kamen langsam zum Stillstand und Clarisse erschien als Erstes, als die Heckklappe sich öffnete. Die resolute und athletische Fünfzigjährige trug ein knöchellanges schwarzes Kleid, hatte einen strengen Dutt und hielt sich mit geradem Rücken am Arm ihres Mannes Arnaud fest. Leonie sah den Gram und die Trauer in ihren Gesichtern deutlich. Clarisse löste sich von Arnaud und kam auf Leonie und Jarik zugeeilt, als diese ihnen langsam entgegenkamen, sie begrüßte die beiden besorgt. Da die Familie nur teilweise Englisch sprach, wechselten sie ins Französische, was die zwei Soldaten akzentfrei beherrschten.

„Hey, Maman“, murmelte Jarik, drückte sie vorsichtig an sich und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
   Sie drückte ihn ein Stück weg, nahm sein Gesicht in ihre Hände und musterte ihn traurig. „Mon Cher, du siehst schrecklich aus.“
   „Merci, Maman. Ich seh so aus, wie ich mich fühle: Beschissen“, grummelte er leise. Er vermisste Julien wie wahnsinnig.
   Sie seufzte, wandte sich Leonie zu und nahm sie in eine schraubstockartige Umarmung.
   „Ma Chère, wenigstens ist dir nichts passiert“, sagte Clarisse und drückte noch etwas fester zu.
   Leonie ächzte leise. „Maman, Luft.“
   Clarisse ließ sie los und drehte sich zu Arnaud um, der Jarik gerade umarmte. Auch Leonie war an der Reihe.
   „Hey, Papa“, murmelte sie in seine Halsbeuge und legte ihren Kopf auf seiner Schulter ab. Sie genoss den Trost der vertrauten Berührung und drückte sich an ihn.

Clarisse und Arnaud waren die Einzigen ihrer Eltern gewesen, die nie ein Problem mit der unkonventionellen Dreiergruppe gehabt hatten. Daher hatten sie ihre rare Freizeit lieber entspannt auf dem Hof der Dubois‘ verbracht, auf dem die Familie Landwirtschaft betrieb und Pferde züchtete.

Sie umarmten den Rest der umfangreichen Familie, der nach und nach aus dem Mevac stieg. Alle achteten penibel darauf, Jarik nicht wehzutun, Leonie liebte sie nur noch mehr dafür. Nicola, mit siebzehn das jüngste Dubois-Kind, beanspruchte den Platz an Leonies Seite. Für sie war Leonie ihre große und einzige Schwester. Auch Fabrice und Mattéo, die mittleren Brüder gesellten sich zu ihnen. Jarik wurde hingegen von Clarisse, deren zwei Schwestern und beiden Großmüttern belagert, die sich um ihn sorgten. Arnaud und die anderen Ehemänner der Damen hielten sich im Hintergrund und beäugten das Spektakel kopfschüttelnd.
   Nachdem klar war, dass Jarik nicht in den nächsten Minuten umfallen würde, lotse Leonie die Gruppe zu den bereitstehenden Autos, die sie zum Friedhof bringen würden. Das Gepäck wurde von den Privates aus dem Mevac gehievt, die es zum Gästehaus transportieren würden, wo die Familie heute Nacht schlafen würde.

Leonie vermutete, dass sie zu der Gruppe von Securitys im Praxisjahr gehörte, die seit Monaten Strafdienst leisten durften, weil sie Colonel Briggs Auto zu Halloween mit Tonnen an Klopapier und Farbe dekoriert hatten. Dass sie dabei sturzbetrunken gewesen waren, etwas das auf der Basis sehr ungern gesehen wurde, hatte ihrem Fall nicht geholfen. Nur der Tatsache, dass sie sich am nächsten Morgen selbst gestellt, gebeichtet und um eine Strafe gebeten hatten, war zu verdanken, dass sie nicht in hohem Bogen rausgeflogen waren. Und vermutlich auch Briggs, der davon, natürlich nur hinter verschlossenen Türen, durchaus erheitert berichtet hatte. Als er die Geschichte gehört hatte, war Julien vor Lachen fast vom Sofa gefallen. Leonie musste schmunzeln, als sie sich daran erinnerte.
 
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Gemeinsam betraten sie die Aussegnungshalle. Jarik, der wie Leonie bei der Familie sitzen sollte, wurde direkt auf einem weichen Kissen platziert, welches Clarisse aus ihrer Handtasche zauberte. Er grummelte innerlich, Leonie hatte also gepetzt. Aber er versuchte erst gar nicht, zu protestieren, er wusste es besser, als mit Clarisse zu diskutieren.
   Clarisse setzte sich neben ihn und er nahm ihre Hand, die er sanft drückte. Er schaute sich um und entdeckte den Rest des Teams, das einige Reihen weiter hinten, auf der anderen Seite des Ganges saß, und sich leise unterhielt. Gian schaute auf und nickte ihm zu, Jarik erwiderte die Geste und sah sich weiter um.
   Wie schon zwei Tage zuvor, war die Halle aufwendig mit frischen Blumen geschmückt und neben dem Rednerpult vorne stand ein großes Bild von Julien, auf dem er grinste wie ein Honigkuchenpferd. Jarik lächelte, Leonie hatte es letztes Jahr im Urlaub fotografiert, es hing auch an ihrer Wand über dem Fernseher.

Als die Halle voll war, begann einer der Seelsorger seine Rede. Julien war wie Jarik und Leonie nicht wirklich religiös gewesen, gab es keinen Gottesdienst wie bei Milo. Dafür wurde die Rede zweisprachig, in Englisch und Französisch gehalten, damit alle folgen konnten. Als Clarisse ihm stillschweigend ein Taschentuch zuschob, merkte Jarik, dass ihm die Tränen liefen. Auch Leonies Wangen glänzten feucht, sie war allerdings schon von Nicola versorgt worden.
   Er überlegte kurz, wie er die Tränen unauffällig wegwischen konnte, verwarf den Gedanken aber wieder. Julien war sein bester Freund gewesen, wer da meckerte, dass selbst ihm das Wasser lief, der konnte ihm wirklich gestohlen bleiben. Leonie streichelte ihm sanft über den Oberschenkel, ob sie ihn oder sich selbst damit beruhigen wollte, war ihm jedoch nicht ganz klar. Vermutlich war es beides und zumindest bei ihm verfehlte es seine Wirkung nicht. Er steckte das nun feuchte Taschentuch in seine Jackentasche und legte seine Hand auf Leonies.

Nach der Rede hatten Fabrice und Mattéo sich das Recht gesichert, die Urne ihres großen Bruders zum Kolumbarium zu tragen. Die Ehrengarde ging vor ihnen, hinter ihnen folgten die Familie, das Team und ein riesiger Tross an Soldaten in Ausgehuniform. Jarik sah viele bekannte Gesichter, aber auch einige, die er nicht zuordnen konnte. Er hatte gewusst, dass Julien bei ihren Kameraden beliebt gewesen war, aber so? Er schluckte gerührt. Als sie vor dem Kolumbarium stehen blieben, stimmte die Truppe „Ashes“ an und sangen es aus vollem Hals, wenn auch etwas schräg und deutlich tiefer als das Original. Garantiert hatte Julien auf seine Beerdigungswunschliste gesetzt, da es eines seine Lieblingslieder gewesen war, und das Seelsorgekorps hatte seine Bitte weitergegeben. Es klang absolut nach ihm, ihnen damit auszurichten, dass aus Tragödien wieder neue, schöne Dinge entstehen konnten, wenn sie es zuließen. Die Verbindung zur Explosion entging Jarik jedoch nicht. Er bekam eine Gänsehaut und ihm liefen erneut die Tränen. Neben ihm wimmerten Clarisse und auch Leonie auf. Arnaud hatte seine Frau an sich gezogen und Jarik drückte Leonie an seine Brust, sie vergrub ihren Kopf in seiner Halsbeuge. Zwischen sie hätte kein Blatt mehr gepasst und er streichelte ihren Rücken, als sie von Schluchzern geschüttelt wurde. Er brummte mit, er hatte das Lied dank Julien oft genug gehört, um es auswendig zu können. Als es zu Ende war, brauchte nicht nur er ein paar Minuten, um sich wieder zu fangen. Nicola hatte es trotz Tränen irgendwie geschafft, für den Teil der Familie zu übersetzen, der kein Englisch konnte.

    Fabrice und Mattéo stellten die Urne in die dafür vorgesehene Nische und hängten dann, mithilfe einer der Ehrenwachen, die schwere Platte davor, auf der Juliens Name und Daten standen. Die Colonels traten an die Familie heran, um ihnen die Ehrenabzeichen zu überreichen, und Jarik übersetzte mit kratziger Stimme.
   Kaum waren sie zurückgetreten, wurden sie fast von ihren Kameraden überrannt, die ebenfalls ihr Beileid bekunden wollten. Diesmal dolmetschte Cam für diejenigen, die kein Französisch sprachen. Es dauerte über eine Stunde, bis nur noch die Familie und das Team, was sich dann auch verabschiedete, auf dem Friedhof standen.
   Jarik war mittlerweile wieder bleich geworden und Leonie sah ihm die Schmerzen deutlich an. Diesmal hielt sie ihm den Autoinjektor jedoch unauffällig vor die Nase und wartete, bis er dankbar genickt hatte, bevor sie damit pikste.
 
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Den Rest des Tages verbrachten Leonie und Jarik mit der Familie im Gästehaus, wo sie sich ein frühes Abendessen genehmigten. Mattéo half Jarik dabei, die Uniform gegen bequeme Sachen zu tauschen, die Leonie ihm aus ihrer Wohnung mitgebracht hatte, nachdem sie sich selbst umgezogen hatte.
   Sie gingen erst spät ins Bett, da sie sich noch lange über Julien unterhielten und sich dabei prächtig amüsierten. Leonie wusste, dass er nicht gewollt hatte, dass sie in Gram vergingen. Er hatte das Leben gefeiert und, wie der Rest der Familie, die Meinung vertreten, dass die beste Methode die Toten zu ehren war, sich mit Freuden an sie zu erinnern, auch wenn es wehtat. Wären sie Trübsal blasend umeinander herumgeschlichen, Leonie war sich sicher, Julien hätte irgendeinen Weg gefunden, ihnen Vernunft einzutrichtern.

Nach dem ausgiebigen Frühstück in einer kleineren, auch für Gäste geöffneten Kantine im Obergeschoss des Gästehauses, begleiteten Jarik und Leonie die Familie zum Flugfeld, wo der Mevac bereits wartete. Die beiden starrten dem Fluggerät noch eine Weile nach, bevor sie sich auf den Weg zurück in ihre Wohnung machten.
 
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Am nächsten Tag bekamen sie die Info, dass Colonel Mays derweil ihre Helmkameras Bild für Bild auswerten hatte lassen, diese zeigten aber zweifellos, dass der siebte Mann nirgendwo sichtbar war. Das Gefühl versagt zu haben, blieb jedoch nicht nur bei Leonie.

Zwei Tage nach Juliens Beisetzung trafen sie sich in ihrem Teamraum. In einer Ecke hingen Hunderte Bilder ihrer Squad an der Wand. Darunter standen drei dunkelblaue Sofas in U-Form, auf welche sie sich setzten. Die mattschwarzen Hundemarken von Julien und Milo legte Jarik in die Mitte des Couchtisches. Er hatte daran je eine silberne Plakette mit ihrem Todesdatum befestigt und dafür die Halskette entfernt.
   Entsprechend den Traditionen, die sich in der internationalen UNSF-Truppe gebildet hatten, erzählten sie sich von den beiden. Dabei wurden selbst die peinlichsten Geschichten ausgepackt und ausgiebig gelacht. Das war mit den noch heilenden Rippen zwar schmerzhaft, aber das war egal. Sie bedankten sich bei ihren Kameraden für die tolle Zeit, die sie miteinander gehabt hatten. Jarik hatte ihnen Pizza, Snacks und Getränke organisiert, die sie nebenbei vernichteten.
   Mitten in der Nacht machten sie sich dann gemeinsam auf den Weg zur Eingangshalle der Basis. Dort hingen bereits Erkennungsmarken anderer Gefallener an einigen der vielen Haken an der Wand. Jarik stapfte zu einer Stelle, an der schon die Erinnerung an ein anderes Teammitglied war, und hängte die beiden Hundemarken daneben. Sie salutieren vor dem Ehrenmal und schlurften zurück in ihre Wohnungen.
 
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Einige Tage nach ihrer Abschiedszeremonie stiegen Gian und Marc in den Flieger nach Neuseeland, wo sie sich einen längeren Entspannungsurlaub gönnten. Sie hatten acht Wochen frei bekommen, eine Außergewöhnlichkeit, die sie direkt nutzen wollten. Aven, Cam, Fee und Toni flogen zu ihren Familien. Nur Leonie und Jarik blieben zurück.
Seit dem verhängnisvollen Einsatz waren vier Wochen vergangen. Jariks Rippen waren mittlerweile soweit verheilt, dass er sich zumindest wieder schmerzfrei bewegen konnte, sofern er es nicht übertrieb. Mit dem Boxsack konnte er sich immer noch nicht anlegen, aber das leichte Sportprogramm und entspannte Schießtraining hoben seine Laune deutlich.    

Nach dem Abendessen in der Kantine saßen Jarik und Leonie auf ihrem Sofa und unterhielten sich gedämpft. Vor sich hatten sie die Infomappen zu den Privates, die im Juli ihr Praxisjahr beginnen sollten. Julien und Milo brauchten Nachfolger, auch wenn es ihnen nicht passte. Sie waren sowieso schon eines der kleineren Teams, die meisten anderen hatten bereits zwölf Mitglieder. Zudem benötigten sie dringend jemanden mit Sprach- und Diplomatieausbildung, Julien war der Einzige mit dieser Spezialisierung gewesen.    

Jarik genoss es sehr, dass Leonie sich mit dem Kopf an seine Schulter gelehnt hatte, während sie konzentriert in einem der Dossiers blätterte.
   Sie diskutierten eine Weile die Vorzüge der einzelnen Anwärter und sortierten sie auf die entsprechenden Stapel. Als er genug hatte, zupfte er ihr die Mappe aus der Hand und warf sie zu den anderen auf den Couchtisch. Er legte sich aufs Sofa und zog sie mit dem Rücken an seine Brust.
   „Keine Lust mehr. Ich will kuscheln“, murrte er scherzhaft und drückte sie sanft.
   Leonie lachte. „Manchmal bist du so ein Plüschteddy“, neckte sie ihn.
   „Lass mich!“ Er drückte die Nase in ihre Haare. Er mochte den Geruch, der ihn wie immer beruhigte.
   „Ich mein ja nur.“ Sie kicherte.
   „Hmhm. Gib Ruhe!“ Er brummte und schmiegte sich weiter an sie.
   Aneinandergekuschelt schliefen sie ein. Seit sie nach dem Vorfall festgestellt hatten, dass die heftigen Albträume, die sie plagten, sich so in Schach halten ließen, nächtigten sie nebeneinander.
 
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Diesmal war allerdings irgendetwas anders. Als Jarik mitten in der Nacht aufwachte, lag Leonie mit dem Gesicht zu ihm und musterte ihn gedankenverloren. Sachte fuhren ihre Finger über seine Stirn und Wangenknochen zu seinem Kinn. Er schaute sie fragend an, aber statt ihm eine Antwort zu geben, machte sie einfach weiter. Still blieb er liegen, ließ sie gewähren und streichelte ihren Rücken. Er genoss das wohlige Gefühl, welches sie mit ihrer Berührung in ihm auslöste. Er traute sich nicht, sich zu bewegen, da er merkte, dass Leonie unsicher war. Als sie ihre Finger über seinen Hals streifen ließ, bekam er eine Gänsehaut und konnte das leichte Zittern, das ihn durchlief, nicht aufhalten.    

Sie erstarrte und betrachtete ihn verwundert. „Was würdest du machen, wenn ich sagen würde, dass ich mit dir schlafen will?“
   Jetzt war er es, der erstaunt war. Es musste ein Traum sein. Aber wie sie sich an ihn geschmiegt hatte, fühlte sich zu real an. Und die Antwort war ihm seit Jahren klar, sie hatte die Frage nur nie gestellt. Ein Lächeln stahl sich in seine Mundwinkel.
   „Dir sagen, dass du haben kannst, was du willst.“
   Sie blinzelte, rutschte näher, bis sich ihre Nasenspitzen berührten, und lehnte ihre Stirn an seine. Jarik schloss die Augen, als sie mit dem Daumen über seine Lippen fuhr.    

Zaghaft küsste sie ihn und sein Herz, das normalerweise kaum aus der Ruhe zu bringen war, begann zu rasen. Ihr Kopf lag auf seinem Oberarm, ihre Oberkörper waren aneinandergedrückt und er hatte ein Bein zwischen ihre geschoben. Er zog sie an sich und seine freie Hand lag nun seitlich an ihrem Gesicht. In dem Moment, in dem Jariks Zunge auf ihre traf, warf Leonie scheinbar die letzten Zweifel über Bord. Sie vergrub ihre Finger in seinem T-Shirt und ergab sich dem Kuss. Dieser war nicht wild und zügellos, sondern sanft - und doch von einer nicht zu verleugnenden Intensität, die ihn berauschte.

Er hatte es nicht eilig und sie atmeten beide schwer, als er sich ihr entzog. Leonie öffnete die Augen, um ihn fragend anzuschauen.
   „Bist du dir sicher?“, fragte er. Das würde alles zwischen ihnen ändern.
   Leonie musterte ihn ernst und nickte dann lächelnd. „Ja. Du?“
   „Aber so was von.“ Er grinste und küsste sie wieder.
   Jarik merkte, wie der letzte Rest Anspannung aus ihr wich. Ohne den Kuss zu unterbrechen, rollte er sich auf sie und lehnte, auf die Unterarme gestützt, über ihr. Leonies Hände wanderten unter sein Shirt und kurz darauf landete es auf dem Boden. Sachte fuhr sie die alten Narben auf seiner Brust und die grade verheilten auf seinen Armen entlang. Er erschauderte unter der Berührung.    

Jarik schob ihr Oberteil nach oben und ließ die Hände über ihren Bauch gleiten, was ihr eine Gänsehaut bescherte, wie er zufrieden feststellte. Er zupfte am Stoff und sie richtete sich auf, um sich das Kleidungsstück ausziehen zu lassen. Er schälte sie auch direkt aus ihrem Sport-BH, nahm sich die Zeit, sie zu betrachten, und begann seine Erkundungstour mit den Fingern. Federleicht fuhr er damit zur Unterseite ihrer Brüste, dann mit den Daumen über ihre Brustwarzen. Sie seufzte leise und schloss die Augen. Jarik schmunzelte und machte sich mit Mund und Händen daran, genauestens herauszufinden, was ihr gefiel. Er lauschte ihren verzückten Geräuschen, ihrem immer stockenderen Atem und ihrem Stöhnen, als sie kam.    

„Jarik, hör auf zu spielen!“ Sie keuchte.
   „Kondome?“, fragte er unschlüssig.
   Leonie schüttelte den Kopf. „Unnötig. Ich will dich ohne.“
   Jarik grinste und nickte dann, noch besser. Er küsste sie und drang in sie ein. Es fühlte sich unglaublich an. Langsam begann er, sich in ihr zu bewegen, und hatte das Gefühl gleich zu zerbersten.
   „Ich bin nicht aus Zucker“, murmelte Leonie keuchend.
   Der letzte Rest seiner Selbstbeherrschung verpuffte. „Zu Befehl, Ma’am.“
   Schmunzelnd packte Jarik ihre Hüften und stieß schnell und hart in sie. Leonie stöhnte begeistert und er machte weiter. Einer seiner Daumen fand ihren Kitzler und massierte ihn, was Leonie wimmern ließ. Die andere Hand reizte eine ihrer Brustwarzen und es dauerte nicht lange, bis sie ein zweites Mal kam. Er stieß noch einige Male in sie, dann legte er stöhnend den Kopf in den Nacken, als er ebenfalls seinen Höhepunkt erreichte. Sein Herz raste und sie atmeten beide schwer. Grinsend öffnete er die Augen und schaute zu ihr. Ihre Wangen waren rot, ihre Haare zerzaust und sie hatte einen glückseligen Gesichtsausdruck.
   „Wir hätten das schon viel früher machen sollen“, sagte sie völlig außer Atem.
   Jarik konnte nur nicken, er kam sich vor wie high, so euphorisch war er. Er lehnte sich nach vorne und Leonie erwiderte seinen Kuss, ohne zu zögern.

Als er sich aus ihr zurückzog, verzog Leonie das Gesicht und er schaute sie fragend an.
   „Nass, bäh, Bad!“, murrte sie und rümpfte die Nase.
   Lachend ließ er sich neben sie aufs Sofa fallen und schaute ihr beim Aufstehen zu. Er wartete eine Minute, dann folgte er ihr, um sich ebenfalls sauber zu machen.

Danach legten sich in Leonies Bett und sie legte ihren Kopf auf seinen Oberarm und ihr Bein über seines. Jarik zog die Decke über sie beide und war einfach nur glücklich, es fühlte sich wundervoll an, Haut an Haut mit ihr dazuliegen. Lächelnd streichelte er ihr über die Wange und sie schloss genießerisch die Augen.
   „Weißt du, wie lange ich hiervon geträumt habe?“, fragte er nach einer Weile.
   Leonie öffnete die Augen und musterte ihn nachdenklich. „Zu lange, genauso wie ich. Aber können wir einfach die Klappe halten und kuscheln?“
   Jarik schnaubte belustigt und nickte dann. „Klingt perfekt“, sagte er und küsste sie.

Irgendwann waren sie eingeschlafen. Am Morgen wachte Leonie als Erstes auf und musste kurz überlegen, ob sie die Sache mit Jarik nur geträumt hatte. Aber seine nackte Brust an ihren Rücken und die Erektion, die sich an ihren unbedeckten Hintern drückte, verrieten ihr recht schnell, dass das nicht der Fall gewesen war. Leonie kuschelte sich näher an ihn und grinste, als er leise brummte und ihr dann den Hals küsste. Sie erschauderte wohlig, was ihn glucksen ließ.
   „Guten Morgen“, sagte er mit kratzig verschlafener Stimme und fuhr mit der Liebkosung fort.
   „Guten Morgen.“ Leonie seufzte angetan. „So darfst du mich gerne öfter wach machen.“
   „Klingt nach nem guten Plan. Was hältst du von Duschen und Frühstück?“
   „Mach Duschen plus draus und du hast nen Deal.“
   „Hmm, guter Deal!“
   Damit war alles gesagt. Jarik genoss das warme Gefühl, das sich in ihm breitmachte, als er Leonie betrachtete, die ihn verträumt anschaute.    

Sie lachte, als er sich aufrappelte, sie vom Bett zog und sie sich über die Schulter warf. „Jarik! Du Neandertaler!“
   Er gab ihr einen Klaps auf den Hintern. „Ha! Hab Beute gemacht!“
   „Du bist so doof!“ Lachend patschte sie ihm ebenfalls auf die Kehrseite.
   Jarik schnaubte nur amüsiert. Unter der Dusche angekommen, machte er das Wasser an und zog Leonie von seiner Schulter, stellte sie aber nicht ab. Sie legte ihm die Arme um den Hals, die Beine um die Taille und küsste ihn. Sie brauchten eine Weile, um wieder aus dem kleinen Badezimmer herauszukommen.
 
***


Zwei Tage später wurden sie von Mays und Briggs in einen der Besprechungsräume beordert. Es hatte einen weiteren Anschlagsversuch auf ein UNSF-Team durch Hayes‘ Lakaien gegeben, dieser war jedoch nicht erfolgreich gewesen. Es waren noch ein Analyst und ein Detective im Raum. Leonie und Jarik setzten sich und warteten auf die Info, worum es ging.    

Nachdem alle saßen und sie sich kurz vorgestellt hatten, landete Hayes Bild per Beamer an der Leinwand. Detective Jelena Misova führte sie durch die bisherigen Ermittlungsergebnisse zu Hayes‘ Unternehmungen und Verbindungen. Tatsächlich waren massenhaft Daten zusammengekommen, die zu Hayes führten, aber er war vorsichtig gewesen und seine Beteiligung an den Geschäften beruhte auf Hörensagen, aber nichts, was vor Gericht Bestand gehabt hätte. Zudem waren die Strukturen unklar, und mittlerweile deutete einiges darauf hin, dass Hayes nicht wie bisher angenommen der ganz große Fisch, sondern nur ein Kartell-Leutnant war.    

Leonie fragte sich, was sie hier sollten, die Informationen waren zwar spannend, aber sie und Jarik waren Soldaten, keine Analysten. Als jedoch ein Bild der Geschäftsführung einer der beteiligten Finanzverwalter auftauchte, saß sie in Sekundenbruchteilen kerzengrade im Stuhl. Die Firma befand sich im Norden von Stuttgart und der stellvertretende Chef war niemand anderes als Mattis bester Freund Benny, der CEO war sein Vater. Sie und Jarik starrten die Bilder der beiden ungläubig an.    

„Was zum Henker?“, murmelte Leonie.
   „Was weißt du über die beiden?“, fragte Jelena.
   „Benny kenn ich. Das ist der beste Freund von meinem Bruder.“ Leonie blinzelte verwundert.
   „Und weiter?“ Mays schaute sie erwartungsvoll an.
   „Ich weiß nicht mehr viel, ich hab ihn seit Jahren nicht gesehen, aber wenn er nicht grad ne komplette Persönlichkeitstransplantation erhalten hat, leg ich meine Hand ins Feuer, dass er nichts von Hayes Machenschaften weiß. Götz Senior hingegen trau ich alles zu. Die beiden sind das absolute Gegenteil voneinander. Hans Götz ist ein skrupelloses Arschloch, Benny dagegen gibt einem das letzte Hemd. Der Kerl ist zu nett für diese Welt und konnte seinen Vater nie leiden. Dass die beiden überhaupt zusammenarbeiten, wundert mich bis heute.“    

„Was meinst du?“ Detective Misova legte den Kopf schief.
   „Naja, Senior vögelt wohl fröhlich in der Gegend rum und wenn er dann doch aus Versehen mal eine von seinen Gespielinnen schwängert, nötigt er sie zur Abtreibung. Es ging das Gerücht um, dass es Benny nur gibt, weil seine Mutter Senior nichts gesagt und sich bei ihren Eltern versteckt hat, bis es zu spät war. Sie wollte nicht mal, dass er Kontakt zu Benny hat. Die ersten Jahre ging es gut, aber irgendwann hat er Wind davon bekommen und einen Vaterschaftstest durchgedrückt. Danach musste Benny ein Wochenende im Monat und hin und wieder in den Ferien zu ihm. Er war jedes Mal todunglücklich, weil er die Ansichten seines Vaters gehasst hat. Benny war immer der Erste, der sich freiwillig gemeldet hat, wenns was zu helfen gab. Der Kerl ist die Personifikation von aufopfernd.“ Leonie schüttelte verwirrt den Kopf.    

„Hm, vielleicht hat er sich doch von seinem Vater einlullen lassen?“, fragte Detective Misova.
   Leonie schaute sie entrüstet an. „Nope. Seine Mutter leitet eine Hilfsstelle für Opfer von häuslicher Gewalt in Mannheim. Soweit ich weiß, nimmt er seinen Vater in Kauf, um sie finanziell zu unterstützen. Aber das müsstest du doch eigentlich wissen?“
   Robert, ein Analyst, nickte und klapperte auf seinem Notebook herum, bis er die gewünschten Informationen fand und sie präsentierte.

„Er arbeitet seit acht Jahren bei seinem Vater, verdient gutes Geld, hat bestens investiert und schaufelt das meiste in die Stiftung“, fasste Jelena zusammen.
   „Ach“, sagte Leonie spöttisch und starrte sie triumphierend an.
   „So wie es aussieht, nutzen einige von Hayes‘ Unternehmen die Dienste von Götz Financials. Und zahlen dafür nicht grade wenig Geld. Allerdings verzweifeln unsere Admins daran, unbemerkt in die Server zu kommen. Wir brauchen also jemanden, der sich da lokal reinmogeln kann.“
   Leonie schaute Jelena fragend an. „Und das heißt?“
   „Wir haben an Dich gedacht. Wir haben nach Stellenanzeigen geschaut, aber da ist nichts offen.“
   „Und wie soll ich das machen? Benny weiß, dass ich zur UNSF gegangen bin. Meine Mutter hat zu Hause ja kein Geheimnis draus gemacht, was sie von meiner schrecklichen Berufswahl hält.“
   „Du könntest sagen, dass Du aussteigen willst und Hilfe brauchst?“, fragte Jelena und erntete einen bösen Blick von Jarik, den sie gekonnt ignorierte.

Leonie überlegte eine Weile und nickte dann.
   „Ich werde ihn nicht anlügen. Und ich denke, wenn er wüsste, was Sache ist, würde er uns helfen. Außerdem ist der Kerl viel zu clever, um nicht zu wissen, dass was faul ist, sobald ich bei ihm auf der Matte stehe.“
   „Du wirst nichts sagen. Wenn er was ahnt, müssen wir damit arbeiten, aber ich wüsste nicht, wie wir sonst schnell jemanden dort reinbekommen können“, sagte Jelena.
    „Okay, einen Versuch ist es wert. Mit Glück finden wir auf den Servern ne Goldgrube und weitere Beteiligte. Und falls wir ans Geld rankommen, dürfte das verdammt wehtun. Außerdem freuen sich die Chefs wieder, wenn wir davon noch was konfiszieren können.“
   Jelena lachte auf und auch Mays und Briggs schmunzelten amüsiert.
   Jarik grummelte. „Fuck. Ich mag die Idee nicht, auch wenn sie sinnvoll ist.“
   Leonie tätschelte ihm den Oberschenkel. „Sollte ja hoffentlich nicht allzu lange dauern.“
   Die Colonels verabschiedeten sich und den Rest des Tages planten sie, welchen Hintergrund sie Leonie für ihre neuen Kollegen verpassen wollten und wie sie auf Benny zugehen sollte.
 
***
   

Am nächsten Morgen rief Leonie bei Benny an und verabredete sich mit ihm zum Abendessen. Die Zeit bis dahin verbrachte sie mit Jarik beim Sport.
   Am Nachmittag stellten sie sich zusammen unter die Dusche. Aus den anfänglich unschuldigen Küssen wurde jedoch schnell eine explosive Mischung und Leonie fand sich lustvoll stöhnend und mit der Wange an die Wand gedrückt wieder, während Jarik heftig in sie stieß. Sie hatte schnell herausgefunden, dass sie es liebte, wenn er die Kontrolle verlor.
   Nachdem sich ihr Atem langsam wieder normalisiert hatte, wuschen sie sich gegenseitig die Spuren von Sport und Liebesspiel ab.    

Jarik legte sich, nur mit dem Handtuch bekleidet, auf Leonies Bett und beobachtete, wie sie sich erst quälend langsam abtrocknete und dann anzog. Er hatte sie schon seit Längerem nicht mehr in Zivilkleidung gesehen und genoss den Anblick, den sie in der anliegenden Jeans, dem langärmligen schwarzen Shirt und ihrer Lederjacke bot. Ihre ballistische Unterziehweste und das Steißholster waren nicht zu erkennen. Geschickt fasste sie ihre langen hellbraunen Haare zu einem eleganten Dutt zusammen.    

„Du bringst mich um“, maulte er leise.
   Sie drehte sich um und musterte ihn amüsiert. „Warum?“
   „Zu sexy! Ich würde dich am liebsten wieder ins Bett zerren. Das eben war ja nur ein Appetithäppchen.“
   Leonie lehnte sich über ihn und rieb seine Erektion, die sich unter dem Handtuch befand, was ihn zum Stöhnen brachte.
   „Hm, und was soll ich sagen, wenn du hier fast nackt liegst? Ich hätte nichts dagegen, dir mit deinem Problem hier zu helfen, aber die Uhr sagt Nein.“

Sie küsste ihn. „Müssen wir wohl beide ein paar Stunden leiden.“
   „Ich mag den Kerl nicht“, grummelte er und genoss die Massage.
   „Weil er dich davon abhält, dass du mich ins Bett zerrst?“ Leonie grinste.
   „Das und weil ich weiß, dass du ihn früher toll fandest!“
   „Eifersüchtig auf meinen Jugendschwarm?“
   Jarik schnaubte nur verächtlich. „Ich bin nicht eifersüchtig!“
   „Hmhm. Aber keine Sorge, ich würde nicht mal im Traum drauf kommen dich einzutauschen. Viel zu heiß und talentiert.“
   „Das wollte ich hören“, sagte er selbstgefällig und küsste sie wieder.    

Sie gönnte ihm noch einige Küsse, bevor sie sich losmachte. „Muss los. Und Pfoten weg von deinem Problem hier.“ Sie drückte sachte seinen Penis und er keuchte. „Das ist meins und darum kümmere ich mich später.“
   „Ja, Ma’am“, sagte er mit rauer Stimme und küsste sie nochmals.    

Leonie zwinkerte ihm zu und verließ den Raum. Jarik starrte frustriert seufzend an die Decke und lauschte ihrem Geklapper im Flur, bis die Tür hinter ihr zufiel. Nachdem seine Erektion sich wieder gelegt hatte, zog er sich an und machte sich auf die Suche nach Keenan, um sich abzulenken. Er und sein Team waren heute Nacht im Einsatz gewesen, hatten daher frei, und waren garantiert für irgendwelchen Unsinn zu haben.    
 
***
   

Leonie nahm die Bahn, um in die Stadt zu kommen. Die Haltestelle war nicht weit weg und in der Innenstadt einen Parkplatz zu ergattern war ein Drama.
   Am Charlottenplatz stieg sie aus und fluchte erst einmal. Die U-Bahn-Station war ein unübersichtliches Chaos. Treppe runter, Treppen hoch, gefühlt fünfmal im Kreis laufen, dann stand sie endlich vor der Tür des Weltcafés. Trotz der vielen Stufen atmete sie kaum schneller, als sie sich ihren Weg zu Benny bahnte, der einen Tisch an der Wand in Beschlag genommen hatte.    

Benny stand auf, strahlte sie freudig an und schloss sie zur Begrüßung in die Arme. Sie erwiderte die Umarmung und schmunzelte, als sie sah, wie rot er geworden war. Er bot ihr den Platz an der Wand an und zog auf den Stuhl mit dem Rücken zum Raum um.
   „Du kennst mich zu gut“, sagte Leonie und nahm den Platz dankbar an. Von dort aus hatte sie alles im Blick und fühlte sich deutlich wohler.
   „Ja, und ich bin ein ganz passabler Beobachter.“ Er zwinkerte. „Schön, dich mal wieder zu sehen.“
   Leonie lächelte ihn an. „Ja, wurde Zeit. Wir haben uns viel zu lange nicht mehr gesehen.“    

Sie wurden von der Bedienung unterbrochen, der der sie sich Wasser und die Tagessuppe mit Brötchen bestellten.
   „So, jetzt erzähl. Wie kann ich dir helfen?“ Benny hatte noch nie lange um den heißen Brei herumgeredet.
   „Ich brauch nen Job.“ Leonie schaute ihn ernst an.
   Er schnaubte amüsiert und zog erstaunt die Augenbraue hoch. „Ich dachte, du hast einen auf Lebenszeit?“
   Sie zuckte nur mit den Schultern, um ihn nicht anlügen.    

„Hat es was mit Julien zu tun?“, fragte Benny.
   Leonies Gesichtsausdruck wurde hart. „Jupp.“ Sie atmete einmal durch. „Und ich wäre dir extrem dankbar, wenn du mir helfen könntest.“ Das war keine Lüge. Hayes hatte ziemlich sicher mit Juliens Tod zu tun.
   Benny drückte ihre Hand und seufzte. Er kannte sie noch gut genug, um nicht weiter nachzubohren, wofür sie dankbar war. „Du weißt, dass ich für dein Skill-Portfolio nicht unbedingt ein passendes Angebot hab? Was schwebt dir vor?“
   „Wenns nicht grad Buchhaltung, Finanzen und Steuern sind, sollte ich mich eigentlich recht zügig einarbeiten können.“
   „Hm. Unsere Chefsekretärin, bzw. Hausverwalterin hat nach Unterstützung gefragt. Sie hat grad drei Sekretärinnen und zwei Hausmeister, die sie durch die Gegend scheucht, aber es wird nicht weniger Arbeit. Wär das was?“
   „Klingt doch nach ner Idee“, sagte Leonie und lächelte ihn an.    

Die Bedienung brachte ihnen ihr Wasser und sie warteten, bis sie sich wieder entfernt hatte.
   „Kannst du dafür bis übermorgen ne Initiativbewerbung schicken? Neue Bewerbungen landen nach dem Aussortieren des Bockmists bei mir, dann sollte das passen. Ich denke, es wäre sowieso besser, wenn wir uns offiziell nicht kennen.“ Benny musterte sie nachdenklich.
   „Meinst du?“, fragte Leonie.
   „Jupp. Du wirst viel besser integriert werden, wenn wir keine Verbindung haben. Mein Vater hat dich nie gesehen, das sollte also kein Problem sein. Und vor allem wird er in dir dann keinen Spion für mich sehen, auch die anderen nicht. Du kannst dich also deutlich freier bewegen und stehst nicht unter Generalverdacht.“ Er zwinkerte ihr zu.    

Leonie schüttelte grinsend den Kopf. Der Mann war eindeutig zu aufmerksam und zu clever. Sie hatte die anderen vorgewarnt, dass das passieren konnte, aber sie hatten ihr nicht geglaubt. Dennoch hatte sie keine Bedenken, dass er die Ermittlungen behindern würde.
   „Ich vermute mal, dass du mit Jasmin, das ist die Chefsekretärin, und mit Elin, unserer IT-Verantwortlichen, im Büro sitzen wirst. Die können dich dann nach Herzenslust ausbeuten und rumscheuchen.“ Benny lachte.
„Ach, wie nett. Ich nehme an, ich darf mich dann auch durchs Vorstellungsgespräch quälen?“ Leonie verzog das Gesicht.
   „Ja, darum kommen wir nicht rum. Ich lass dir die Stellenbeschreibung der letzten Ausschreibung zukommen, dann kannst du dich vorbereiten. Ansonsten schau ich mal, ob ich noch paar Insider-Infos für dich bekomme.“
   Leonie schmunzelte. „Ach ja? Bist du jetzt ins Spion-Business eingestiegen?“
   „Hm, undercover bin ich doch so gesehen schon lange unterwegs. Wenn der Alte rausbekommen würde, dass das meiste Geld, was ich bekomme, in Mamas Stiftung fließt, der würde mich erschlagen. Ich hoffe ja, dass er bald aussteigt, dann kann ich das Portfolio umstellen und mich auf den Stiftungsbereich und Firmen, die diese unterstützen wollen, konzentrieren. Der Kerl macht mich einfach nur krank“, flüsterte Benny.
   „Ich weiß, Benny. Ich weiß. Wie gehts deiner Mama?“ Leonie tätschelte ihm den Arm.    

Das Essen kam und sie machten sich darüber her.
   „Mama gehts gut, sie hat da scheinbar jemanden kennengelernt, sie will mir aber noch nichts Genaues sagen. Ich lass mich mal überraschen.“ Er lächelte.
   „Ich drück ihr die Daumen, dass es was wird.“
   „Sie würde sich bestimmt auch freuen, wenn du sie mal wieder anrufst. Sie fragt immer bei Matti nach dir. Er hat den Auftrag bekommen, dich ganz fest zu drücken, wenn er dich wieder sieht.“
   „Ja, das darfst du jetzt übernehmen. Und ich ruf sie an, sobald ich mich sortiert hab.“
   Sie unterhielten sich noch eine Weile über alles Mögliche, dann verabschiedeten sie sich, da Benny am nächsten Morgen wieder früh raus musste.

Leonie fuhr nachdenklich zurück zur Basis und pingte dann Jarik an, der mit Keenans 3-014-Team in deren Teamraum pokerte.
   Leonie setzte sich dazu, bis der Gewinner, ein Teamkollege von Keenan, feststand. Er bekam das schwarze Gummiarmband mit dem „King of Poker“-Aufdruck überreicht, die einzige Belohnung. Sie spielten nie um Geld, nicht nur, weil es ihnen verboten war, sondern auch, weil sie Geld nicht als Motivator zum Gewinnen brauchten und wollten.
   
***
   

Die nächsten zwei Wochen verbrachte Leonie damit, die Grundlagen für ihren Einsatz beigebracht zu bekommen. Mays hatte sie dafür zur UNSF-Verwaltung geschickt. Gängige Abkürzungen, Aufgaben, Rechtliches wurde ihr von den beiden Sekretärinnen, die sich ihr angenommen hatten, in Windeseile eingetrichtert.    

Zwischendurch brachte sie ihr Vorstellungsgespräch bei Jasmin, der Chefsekretärin, mit Erfolg hinter sich. Leonie war überrascht, dass Jasmin einige Jahre jünger war als sie, aber sie war sympathisch und schien kompetent. Die restliche Zeit verbrachte sie mit Jarik, Schießen und Sport. Am vorletzten Tag vor ihrem ersten Arbeitstag bezog sie die Wohnung, die ihr die UNSF als Tarnung vorbereitet hatte.

Ihre Papiere hatte sie am Morgen bereits erhalten. Diese bestanden unter anderem aus einem deutschen Ausweis der sie als Eleonora Köhler auswies, Waffenschein, Waffenbesitz-, Bank- und Versicherungskarte. Die möblierte Wohnung war schlicht, aber elegant und der Kleiderschrank mit passender Kleidung bestückt. Die Oberteile waren langärmlig und ohne Ausschnitt, um die markanten Schnitt- und Schussnarben auf Leonies Oberkörper zu verdecken. Auf dem Couchtisch lag ein bereits ausgefüllter Mitgliedsantrag für das Fitnessstudio um die Ecke.
 
***
 

Ihr erster Arbeitstag verlief weitestgehend unspektakulär. Sie lernte Elin und einige weitere Kollegen kennen und erhielt ihre Zugangskarte und Arbeitsmaterialien. In den Tagen darauf zeigte Jasmin ihr alles und begann mit der Einarbeitung.

Als Leonie am Dienstag nach Ostern das Büro betrat, waren Elin und Jasmin, bereits da und begrüßten sie fröhlich. Sie ließ sich in den Stuhl plumpsen und startete den Rechner.
    „Na Leo, hast dein langes Wochenende gut überstanden?“, fragte Elin und stellte Leonie eine Kaffeetasse und einen Schokomuffin auf den Tisch. Die schwarzhaarige Administratorin konnte verdammt gut backen, wie Leonie begeistert festgestellt hatte.

„Du bist die Beste. Und ja, war entspannt.“ Leonie lächelte beim Gedanken an das Wochenende, das sie zusammen mit Jarik bei den Dubois‘ verbrachte hatte. Es hatte gut getan, wieder bei der Familie zu sein.
    „Was hast du gemacht?“, fragte Jasmin neugierig und rollte hinter ihrem Schreibtisch hervor, um Leonie anzusehen.
    „Bin bisschen gewandert und so was.“ Den Ausritt mit der Familie und dass sie in Südfrankreich und nicht der Stuttgarter Umgebung unterwegs gewesen war, unterschlug sie gekonnt.
    „Bei dem Nieselwetter?“ Jasmin schüttelte sich und die langen blonden Haare flogen in alle Richtungen.
    Leonie lachte auf und zuckte mit den Schultern. „Von bisschen Regen lass ich mir doch die Laune nicht verderben. Solange es nicht grad wie aus Kübeln schüttet, bin ich da recht entspannt.“
    Elin schaute sie ungläubig an. „Du bist doch verrückt.“      

„Hey, dann kannst sie ja mit Nate und David losschicken, wenn sie wieder Anwandlungen haben“, scherzte Jasmin.
    „Nate und David?“, fragte Leonie und gab vor verwundert zu sein. Sie wusste von Elins beiden Lebensgefährten, alle Mitarbeiter und deren Umfeld waren durchleuchtet worden. Jasmin hingegen schien Single zu sein.
    Elin wurde rot und starrte Jasmin anklagend an, die lachte jedoch nur.
    „Ihre Freunde, mit denen sie zusammenwohnt. So, ich hab gehört, wir gehen heute das Material durch und bestellen dann nach?“
    Leonie lehnte sich bei dem offensichtlichen Themenwechsel grinsend zurück, nahm einen Schluck Kaffee und biss genüsslich in ihren Muffin. Sie mochte die beiden Frauen.      

„Du bist die Chefin, gebiete über mich“, sagte Leonie lachend.
    „Trink aus, dann gehts los.“
    Leonie steckte sich den Rest den Muffins in den Mund und leerte die Kaffeetasse. „Fertig.“
    Jasmin und Elin starrten sie völlig perplex an.
    „Das war keine Aufforderung zum Schlingen gewesen“, murmelte Jasmin.
    „Oh. Naja, jetzt ist der Kaffee alle. Wollen wir?“ Leonie schmunzelte.
    Jasmin schüttelte den Kopf und machte sich mit Leonie zu ihren Kontrollgang durchs Haus auf, um zu schauen, was nachbestellt werden musste. Die beiden unterhielten sich dabei über alles Mögliche und Leonie schloss ihre quirlige Chefin immer mehr ins Herz.
 

***

     
Eine Woche später wurde Jarik bei den Colonels einbestellt, während Leonie sich weiter einarbeitete und hoffte, bald endlich auch die Zugänge zum Serverraum zu bekommen.
    Als Jarik das Büro betrat, wartete dort neben Mays und Briggs auch ein ihm unbekannter Corporal. Dieser salutierte und ließ dann betreten den Kopf hängen, um seine Schuhspitzen zu mustern. Jarik ignorierte ihn und trat vor den Schreibtisch.
    „Colonels“, grüßte er die beiden und salutierte ebenfalls.
    „Captain Koslow, setzen Sie sich“, sagte Mays und die Colonels nickten ihm zu.
    Jarik folgte der Aufforderung und wartete darauf, dass die zwei ihn aufklärten, was er hier sollte.      

„Corporal Ferro hier benötigt ein neues Team, nachdem er so clever war, mit der grade achtzehn gewordenen Schwester eines seiner Teamkameraden Sex zu haben, und sie dann direkt danach rauszuwerfen. Ich brauche nicht erwähnen, dass sein Alkoholpegel und das gelallte ‚ich weiß nicht, was ihr habt, die war scheiße‘, nicht zur Entspannung der Situation beigetragen hat.“ Colonels Mays schaute scharf zum Corporal, dessen Wangen knallrot geworden waren und der weiterhin stumm Löcher in den Teppich starrte.      

Jarik biss wütend die Zähne zusammen und atmete tief durch. „Und was soll ich hier?“ Er hasste solche Arschlöcher. Wenn er dran dachte, dass jemand das mit seiner Wahl-Schwester Nicola, die ja im selben Alter war, abzog, alleine der Gedanke trieb ihn in die Verzweiflung.
    „Corporal Ferro wurde Ihrem Team zugeteilt und ist ein Combat Engineer. Allerdings wird er zur Strafe noch ein weiteres Jahr Corporal bleiben und in seiner Freizeit auf dem Flugfeld und im Service aushelfen. Zudem hat er ein Alkoholverbot für diese Zeit bekommen. Die Basis darf er nur mit Genehmigung von Ihnen und Captain Brandt verlassen.“ Mays reichte ihm die Personalakte rüber.
    Jarik blinzelte irritiert. „Okay, mal bitte für mich zum Mitschreiben. Der Corporal hier ...“, er deutete mit dem Daumen auf ihn. „... hat sich benommen wie das hinterletzte Arschloch und ich soll jetzt Kindergärtner spielen?“
    „Gut erkannt, Captain. Sie können ihn gleich mitnehmen. Seine Sachen kann er holen, sobald Sie ihm ein Zimmer zugewiesen haben. Ich überlasse es Ihnen, wann Sie ihr Team und Captain Brandt informieren“, fauchte Colonel Mays.      

Jarik hatte Mühe, den Mund zu halten. Was sollte der Scheiß denn nun? Er konnte verstehen, dass Mays genervt war, weil sie sich mit so einem Dreck rumärgern musste, aber er konnte auch nichts dafür. Und jetzt hatte er diesen Vollidioten an der Backe.
    Mit zusammengebissenen Zähnen stand Jarik auf und salutierte. Er wusste, dass es ihm nur Ärger bringen würde zu protestieren. Schnaubend bedeutete er seinem neusten Projekt, mitzukommen. Ferro folgte ihm schweigend.
    Auf dem Weg zurück zum Wohnhaus überlegte Jarik, wo er ihn hinstecken sollte, und entschied sich dann für eine der leeren Wohnungen auf ihrem Stockwerk. Bei Toni war zwar noch Platz, aber er wollte erst mit ihm reden, bevor er ihm jemanden in die Wohnung steckte.      

Im Teamraum, der sich direkt am Treppenaufgang auf ihrem Stockwerk befand, richtete er Ferro die nötigen Zugangsberechtigungen ein und fügte ihn im Team-Comm-Kanal hinzu. Ferro hatte immer noch keinen Ton von sich gegeben, starrte wieder auf seine Schuhe und hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt.      

„Und jetzt hätte ich gerne ne Erklärung, was passiert ist und wen ich überhaupt vor mir habe. Ich bin lesefaul.“ Jarik gab sich keine Mühe, seinen Ärger zu verbergen. Er musterte den Corporal, den er um fast zehn Zentimeter überragte, intensiv. Jetzt fiel ihm auch das bereits verblassende Veilchen auf, das er zuvor vermutlich wegen Ferros etwas dunklerer Hautfarbe übersehen hatte.
    Dieser schluckte und schien noch weiter zu schrumpfen. „Corporal Ricardo Ferro, kurz Rico, zweiundzwanzig, Sommerjahrgang, aus Portugal. Und was genau passiert ist weiß ich nicht mehr, ich war zu betrunken. Ich trinke sonst nie und hab mich völlig verschätzt. Keine Entschuldigung, Sir.“
    Ricos kleinlautes Auftreten und das Eingeständnis, Mist gebaut zu haben, besänftigen Jarik ein wenig. Zumindest schien Rico ein ehrlich schlechtes Gewissen zu haben. Dennoch war Jarik angefressen. Und er hoffte, dass Rico niemals auf die Idee kommen würde, Nicola anzubaggern, sonst würde er ihn vermutlich einfach irgendwo vergraben.      

Jarik rieb sich frustriert übers Gesicht. „In welchem Team warst du vorher?“, grummelte er.
    „In 3-211, Sir“, antwortete Rico, ohne den Blick vom Boden zu heben.
    „Hm, sagt mir jetzt spontan nix. Was weißt du über uns?“
    „Nicht viel, außer dass das Team in Spanien angegriffen wurde, es zwei Tote und mehrere Verletzte gab. Deswegen ist das Team grad in Echo, Sir.“
    „Okay. Ich teile mir die Teamleitung mit Captain Brandt. Ansonsten geht die Reihenfolge nach Rang. Du bist das kleinste Licht und aktuell in Ungnade, wirst also ohne Widerspruch tun, was die anderen dir sagen. Das Team kommt am Wochenende aus dem Urlaub, Captain Brandt ist aktuell im Undercovereinsatz, ich weiß also nicht, wann sie wieder da ist. Und falls du es noch nicht getan hast, wirst du dich bei der Dame entschuldigen, sofern sie überhaupt was davon hören will.“
    „Ja, Sir.“
    Jarik seufzte. „Komm, du beziehst erst mal ne Wohnung für dich, eventuell kannst du später zu Toni umziehen.“      

Nachdem er Rico dessen Zimmer gezeigt und diesen angewiesen hatte, seine Sachen zu holen, ließ sich Jarik in seiner Wohnung mit dem Gesicht voraus aufs Sofa fallen. Er vermisste Leonie schmerzlich. Sie sprachen zwar morgens und abends miteinander, aber ihm fehlte die Nähe. Auch Juliens Abwesenheit machte ihm weiterhin schwer zu schaffen. Jarik hätte in diesem Moment fast alles gegeben, um seinen besten Freund jetzt neben sich zu haben. Gereizt schlug er auf ein Kissen, rappelte sich auf, zog sich um und machte sich auf den Weg zur Sporthalle im Keller, wo er seinen Frust an einem arglosen Boxsack ausließ.      
 

***

     
Ihren Geburtstag verbrachte Leonie im Büro. Das Team und Jarik hatten ihr am Morgen bereits gratuliert und so schräg gesungen, dass ihr selbst drei Stunden später noch die Ohren klingelten. Corporal Ferro hatte sich in den letzten zwei Wochen wohl halbwegs eingelebt und befolgte brav alle Anweisungen, die man ihm gab. Das Team war seit einer Woche wieder aus dem Urlaub zurück und war genauso erstaunt und unbegeistert gewesen wie Leonie. Da Eleonora Köhler ein anderes Geburtsdatum hatte, war sie aber wenigstens im Büro vor garstigen Sing-Attacken sicher gewesen.      

Womit sie allerdings nicht gerechnet hatte, war, dass Jarik am Abend in der Wohnung auf sie wartete.
    „Was machst du denn hier?“, fragte Leonie verwundert, als sie ihn auf dem Sofa entdeckte. In der Jeans und dem T-Shirt, das sich an seinen Oberkörper schmiegte, sah er zum Anbeißen aus.
    Jarik grinste und musterte sie von oben bis unten. „Die Aussicht genießen?“
    Sie schaute verwundert an sich herunter, die Stoffhose mit weißer Bluse und Blazer waren in ihren Augen nichts Aufregendes. Sie schüttelte fragend den Kopf.
    „Du siehst heiß aus. Komm her“, sagte Jarik und streckte die Hand nach ihr aus.
    Leonie erschauderte unter seinem intensiven Blick. Verwegen lächelnd schlenderte sie auf ihn zu. „Dann sind wir schon zwei, die heiß aussehen.“      

Sie reichte ihm die Hand und ließ sich bereitwillig auf seinen Schoß ziehen. Bevor er noch etwas sagen konnte, küsste Leonie ihn. Was unschuldig anfing, verwandelte sich jedoch schnell in ein loderndes Feuer. Sie waren beide völlig außer Atem, als sie sich eine Weile später voneinander lösten.
    „Ich hab dich vermisst“, sagte Jarik und drückte sie an sich.
    „Ich dich auch. Nur Quatschen ist einfach kein Ersatz.“ Leonie kuschelte sich an ihn und legte ihren Kopf auf seiner Schulter ab. „Darfst du überhaupt hier sein?“, fragte sie verwundert.
    „Ich hab Mays und Briggs solange genervt, bis sie ja gesagt haben. Und nach der Attacke mit Rico hatte ich scheinbar noch was gut.“
    Leonie konnte Jariks Grinsen an ihrer Wange spüren und musste ebenfalls schmunzeln. Sie war glücklich, ihn wieder anfassen zu können, und nutzte die Möglichkeit ausgiebig. Auch seine Hände gingen auf Wanderschaft.      

Sie blieben lange so sitzen, streichelten und küssten sich und genossen einfach die Zweisamkeit. Sie hatten sich in den letzten dreieinhalb Wochen nur gehört.
    Später bestellte Jarik Chinesisch, da keiner der beiden Lust hatte zu kochen oder noch mal raus zu gehen. Nach dem Essen verschwanden sie im Schlafzimmer.      

Am nächsten Morgen kam Leonie fast zu spät zur Arbeit, da sie und Jarik es kaum aus dem Bett geschafft hatten. Leonie war extrem froh, dass sie schon lange kein Problem mehr mit Schlafmangel hatte, sie hatten Besseres zu tun gehabt.
 

***  


Zwei Tage später wunderte sie sich, was die Techniker im Büro nebenan machten. Das Geklapper und Gegacker sprach jedenfalls nicht für ernsthafte Arbeit. Elin war bereits im Wochenende und Jasmin gurkte irgendwo im Haus herum. Damit musste sie wohl selbst herausfinden, was die Männer machten.
    Als sie durch die Tür trat, landete sie mitten in einem Nerfgun- und Softair-Krieg. Sie wich einem Schaumstoffpfeil aus, der neben ihr am Türrahmen kleben blieb, und schüttelte amüsiert den Kopf. Überall auf dem Boden waren die gelben Softair-Kügelchen verteilt.

„Wasn hier los?“, fragte sie lachend.
    Die drei jungen Männer stellten das Feuer ein und schauten sie verlegen an.
    „Öhm, Pause?“, fragte Johann, einer der Techniker, mit rotem Kopf.
    „Das seh ich, was sagt Jasmin dazu?“
    „Nix, solange wir uns nicht erwischen lassen. Aber sind eh alle weg, wer außer uns ... und dir ist so blöd freitags um kurz vor vier noch auf der Arbeit zu sitzen?“
    „Hm, habt ihr noch eine?“, fragte Leonie amüsiert und nickte in Richtung von Lennards Softair.
    Dieser schaute sie an, als wäre sie ein Alien. „Weißt du, was du damit machen musst?“, fragte er skeptisch und Leonie brach in Gelächter aus.      

Sie brauchte ein paar Augenblicke, um sich wieder in den Griff zu bekommen.
    „Gib mir das Ding und finds heraus“, sagte sie grinsend.
    Lennard griff in seine Schreibtischschublade und holte eine weitere Softair-Pistole heraus, die er ihr reichte. Sie nahm sie und prüfte das Magazin, es war voll. An der Wand hinter Johann hing eine Klebezielscheibe, die sie anvisierte und abdrückte. Sie streute die Schüsse ein wenig um die Mitte. Nah genug dran, um als gut zu gelten, aber zu unregelmäßig, um als Profi durchzugehen.
    „Scheiße. Jetzt versteh ich, warum du gelacht hast. Woher kannst du so gut schießen?“, fragte Lennard.
    „Ich liebe Paintball, Softair und falls du am Arsch der Welt wandern gehst, solltest du treffen, auf was du schießt, wenn du nicht grad als Bärenmahlzeit oder sowas enden willst.“ Leonie grinste.
    „Ha! Komm mit, ich hab da was für dich!“, sagte Michi, ein weiterer Techniker, und sprang auf.      

Sie und die anderem folgten ihm in den Serverraum. Als die Tür hinter ihnen zugefallen war, zog Michi aus einem der Serverschränke die Airsoft-Version eines G36 und reichte sie Leonie.
    „Nice! Das macht ihr also, wenn ihr euch hier verbuddelt!“, sagte sie lachend und inspizierte die Waffe.
    „Pscht! Erzähls nicht den Chefs.“ Johann grinste.      

Lennard hatte in der Zwischenzeit die Klebezielscheibe an die Wand am anderen Ende des Raumes gehängt.
    „Mal schauen, wie du mit dem Ding klarkommst“, sagte Michi.
    „Sind ja nur zehn Meter.“
    Sie legte an, zielte und streute die Kugeln diesmal etwas weiter auf der Scheibe, dennoch waren sie nach genug an der Mitte, um die anderen staunend den Kopf schütteln zu lassen.
    „Alter, du bist doch kaputt“, sagte Johann.
    Sie reichte ihm das Gewehr. „Na dann zeig mal, was du kannst.“
    Er nahm es entgegen und Michi pflückte die Kügelchen von der Zielscheibe. Sie probierten reihum, und hatten alle ein ähnliches Ergebnis.

Leonie witterte ihre Chance, endlich den Zugang für Intelligence zu bekommen, als Johann eine SMS von Jasmin bekam, dass er sich irgendwelche Kabel anschauen sollte und dann mit Michi verschwand. In dem offenen Serverschrank, in dem sich das Gewehr befunden hatte, waren mehrere Switches und zwei Server.
    Als Lennard losging, um die nächste Kügelchen von der Scheibe zu zupfen, zog sie einige winzige und unauffällige USB-Dongles aus der Tasche, mit denen sie die beiden Server und drei Switches bestückte. Sie war fertig, bevor Lennard sich umgedreht hatte und wieder zu ihr zurückkam. Die Dongles würde sie am Montag aktivieren, um keinen Verdacht zu erregen.      

Sie schossen noch jeweils eine Runde, dann kamen Michi und Johann wieder.
    „Ey Leo, Jasmin sucht nach dir. Und wir wollten langsam mal Feierabend machen“, sagte Michi.
    Sie räumten das Gewehr weg, hängten die Zielscheibe ab und verließen den Raum.
    „Na, ich hab gehört, du hast die Jungs beeindruckt?“, sagte Jasmin lachend, als Leonie zurück ins Büro kam.
    „Elende Petzen. Und ja, ich glaube, das haben sie nicht erwartet.“ Leonie schnaubte.
    „Gut so. Das kann ich ihnen noch ewig unter die Nase reiben, wenn sie wieder angeben, wie toll sie am Wochenende beim Paintball waren.“
    Leonie war erleichtert, sie hatte schon befürchtet, Ärger von Jasmin zu bekommen. Aber die Gelegenheit war zu gut gewesen.      

„Na komm, wenn die faulen Säcke abhauen, machen wir uns auch vom Acker. Nach der Woche haben wir uns das Wochenende verdient, meinste nicht?“ Jasmin holte ihre Tasche aus dem Schrank.
    „Oh ja, guter Plan. Ich hab noch beim Sport aufzuholen, die Woche war ich bisschen faul und morgen muss ich dann den Rest Haushalt fertigmachen, der hat die Woche auch gelitten.“ Leonie schnappte sich ebenfalls ihre Sachen und machte sich mit Jasmin auf den Weg nach draußen.
    „Na dann viel Erfolg. Ich darf morgen bei meiner Tante antanzen, die wird fünfzig und hat ein riesen Fest geplant. Heißt, am Sonntag lieg ich wahrscheinlich immer noch mit Fressbauch rum und kann mich nicht bewegen.“ Jasmin rümpfte die Nase.
    „So schlimm kanns nicht sein“, sagte Leonie lachend.
    „Du hast doch keine Ahnung, Leo. Meine Familie spinnt! Nach so nem Fest kann ich erst mal ne Woche fasten, damit ich wieder in meine Klamotten reinpasse.“
    „Komm Montag mit mir zum Sport, dann brauchste dir keinen Kopf machen.“ Leonie grinste gemein.
    „Pah! Du bist garantiert der reinste Drill-Instructor und rächst dich dann dafür, dass ich dich hier die ganze Zeit in der Gegend rumscheuche.“
    „Nö, ich feuer dich nur an“, sagte Leonie lachend.
    „Na mal sehen, wenn ich Montag morgen die Hose nicht zubekomme, überleg ich es mir.“
    Sie waren am Parkplatz angekommen, wo sie sich verabschiedeten und Jasmin in ihren roten Twingo stieg. Leonie lief die zehn Minuten bis zu ihrer Wohnung.
 

***

     
Leonie saß immer noch an der Bestellliste, die sie schon seit Stunden hatte fertig haben wollen. Allerdings war ständig irgendwer ins Büro gekommen und hatte irgendwas gebraucht. Druckerpapier, Kaffee, Umschläge, Kugelschreiber, aber bitte nur ganz bestimmte. Manche der Mitarbeiter waren echte Dramaqueens. Und grade heute war Jasmin früher gegangen. Erschöpft rieb Leonie sich übers Gesicht und starrte den Bildschirm vor sich an. Warum mussten diese schmierigen Ekel sich unbedingt von Bennys Firma betreuen lassen? Wenigstens war Elin noch da und machte ihren IT-Kram, während sie auf ihren Freund wartete.      

Allerdings war Intelligence erfolgreich gewesen. In den vier Tagen, seit Leonie die Dongles aktiviert hatte, hatten sie einiges an Material zu Hayes und den mit ihm in Verbindung stehenden Unternehmen sammeln können. Elin und ihre Admins schienen nichts davon mitbekommen zu haben, was Leonie erleichterte.      

Leonie hörte leise Schritte auf dem Gang und schaute zur Tür, als ein blonder Mann, dessen Statur und Ausstrahlung geradezu „Soldat“ schrie und den sie als David identifizierte, ins Zimmer kam. Er stockte kurz, musterte Leonie abschätzend und schüttelte amüsiert den Kopf, als er zu Elin schaute.
    „Naaa, bist du fertig?“, fragte er Elin breit grinsend.
    Elins Kopf ruckte hoch und sie starrte David ein paar Sekunden an, bevor sie vom Stuhl hochschoss und zu ihm rannte. Er fing sie auf, schloss sie in seine Arme und küsste sie innig.
    Leonie schmunzelte und starrte wieder auf ihre Liste. Vor ein paar Tagen hatte Elin ihr von ihrer Beziehung mit David und Nate erzählt und war von Leonies völlig entspannter Haltung dazu ziemlich erstaunt gewesen. Aber Leonie verstand, wie es war zwei Menschen zu lieben.      

„Leo, das ist David“, sagte Elin und strahlte übers ganze Gesicht.
    Leonie drehte sich zu ihnen und stand auf, eine kleine Pause konnte nicht schaden. „Hi. Schön, dich endlich kennenzulernen, Elin hat schon ein einiges von dir erzählt.“ Sie reichte ihm die Hand und er erwiderte die Geste fest, aber nicht schmerzhaft.
    „David. Ich hoffe, nur Gutes.“ Er schaute Elin liebevoll an und sie wurde rot.
    „Natürlich, was auch sonst?“, fragte Leonie erheitert.
    Er schnaubte. „Natürlich. Elin, hast du alles da? Ich will nach Hause, ich hab Hunger.“
    „Kocht Nate?“, fragte Elin strahlend und David nickte.
    „Ich muss aber eben noch fix runter in den Keller. Fünf Minuten.“ Elin reichte ihm ihre Sachen, tätschelte seinen Arm und verließ beschwingt das Büro.

David schaute ihr hinterher, bis sie außer Hörweite war, und fixierte dann Leonie.
    „Wie wird aus einer Soldatin eine Sekretärin?“, fragte er unverblümt.
    Leonie seufzte. „Wie kommst du drauf?“
    „Ich bin ganz gut im Gesichter merken. Ich sag nur Bagram.“
    „Shit. Keine Frage, die ich beantworten kann“, antwortete Leonie verdrossen.
    David nickte unglücklich. „Muss ich mir Sorgen um Elin machen?“, fragte er angespannt.
    „Nein. Aber falls sich daran was ändern sollte, sag ich Bescheid.“ So viel konnte sie ihm zugestehen. Sie wusste, wie ihre Kollegen tickten. Sie mussten ihre Liebsten einfach beschützen.
    „Danke.“ David überlegte einige Sekunden und musterte sie nachdenklich. „Ich weiß von nichts.“
    „Weiß ich zu schätzen.“ Leonie war erleichtert.
    „Kein Ding.“ Er nickte ihr zu.
    Elin erschien wieder im Türrahmen. „Ich hab alles, wir können los.“
    David legte ihr den Arm um die Schultern, sie verabschiedeten sich und verließen das Büro.
    Leonie blieb alleine zurück und finalisierte ihre Liste, bevor sie eine halbe Stunde später ebenfalls Feierabend machte.      

In der Wohnung angekommen, erstattete sie Jelena Bericht und erzählte davon, dass David sie wohl erkannt hatte. Die Nachricht sorgte wie erwartet nicht für Begeisterungsstürme und es dauerte keine zehn Sekunden, bis sie auch die Colonels im Ohr hatte, die sie ausquetschten. Sie gab ihnen das wenige an Informationen, das sie hatte. Aber die Gefahr, dass jemand erkannte, dass sie nicht diejenige war, die sie vorgab zu sein, war von Anfang an hoch gewesen. Nicht umsonst hatte die UNSF eine eigene Abteilung mit Undercover-Agenten.
    Leonie verstand bis heute nicht, warum sie den Job unbedingt hatte machen müssen, aber die Colonels hatten entschieden und Leonie war brav gefolgt. Sollten sie sich also nicht beschweren, wenn irgendwas schief ging.      

Als Jelena und die Colonels sie endlich in Ruhe ließen, schnappte sie sich ihre Sporttasche und machte sich auf den Weg zum Fitnessstudio. Sie wollte einfach nur noch zurück in die Basis, sich an Jarik kuscheln und nichts mehr von irgendwelchen dämlichen Undercovereinsätzen hören. Stattdessen versuchte sie, den Frust nur mäßig erfolgreich mit Sport zu bekämpfen.

Leonie steckte sich den Kopfhörer ins Ohr, machte sich Musik an und startete Excel mit dieser verflixten Tabelle, welche sie seit Tagen nervte. So langsam wurde sie hier wirklich wahnsinnig! Seufzend wünschte sich zurück an den Schießstand. Ein paar Scheiben zu zerlöchern würde ihre Laune garantiert deutlich heben. Kaum hatte sie einen Schluck von ihrem frisch aufgebrühten Früchtetee getrunken und die Tasse abgestellt, da hörte sie das vertraute Knacken in ihrem Ohr.
    „Jarik. Kommst du aufs Dach?“
    Seine Stimme in ihrem Ohr jagte ihr einen Schauer über den Rücken und sie ließ seufzend den Kopf in den Nacken fallen. Das klang nach Komplikationen, für die sie doch keine Zeit hatte.
    Leonie aktivierte ihr Mikrofon mithilfe ihres Handys.
    „Gib mir ne Minute“, murmelte sie, um Jasmin, die ihr gegenüber saß, nicht aufzuschrecken. Elin war irgendwo im Haus unterwegs.      

Leonie schaute seufzend zur Uhr. „Hey, Jasmin. Ich bin dann mal im Mittag.“
    Jasmin schreckte hoch und blinzelte Leonie an. „Was?“
    Leonie lachte. „Ich geh Mittag machen.“
    „Oh, schon wieder so spät?“, fragte Jasmin und schüttelte, über sich selbst amüsiert, den Kopf. „Ja, guten Hunger, bis später. Ich mach das eben noch fertig. Miss Sekretärin des Oberchefs braucht ihren Kram, für den sie zu dumm ist, ja wieder gestern.“
    „Erzähl mir was. Falls du sie verbuddeln willst: Ich helfe gerne“, sagte Leonie grinsend.
    „Ich komm garantiert drauf zurück!“, rief Jasmin ihr hinterher.      

Leonie grinste, als sie in den Flur trat, und sich auf den Weg zur Treppe machte. Sie hatte keine Sorge, auf den Überwachungskameras aufzutauchen. Sie war sich sicher, dass diese bereits von einem der UNSF-Techniker übernommen worden waren.
    Nachdem sie die vier Stockwerke nach oben gestiegen war, ohne jemandem zu begegnen, klopfte sie an der Tür, die aufs Dach führte. Jarik öffnete ihr, ließ sie durch und verkeilte dann die Tür, damit niemand sie überraschen konnte.      

Jarik sah aus, wie sie befürchtet hatte: Einsatzuniform, Kampfstiefel, ein gut gefülltes Beinholster und die BodyArmor, alles im grauen Urban-Muster. Dazu kamen Handschuhe und eine weiche Sturmhaube, die außer seinen ebenfalls grauen Augen nichts frei ließ. Sein Helm hing an seiner Schulter und in der Hand hatte er sein Sturmgewehr.
    Ein paar Meter von der Tür weg, entdeckte sie auf einem der Lüftungskanäle ihre BodyArmor mit Helm und eine Sporttasche. Es war ihr ein Rätsel, wie er es mit dem ganzen Kram ungesehen aufs Dach geschafft hatte.

„Ich ahne Böses“, sagte Leonie seufzend, als sie die Tasche öffnete und hineinschaute.
    „Lass dich überraschen.“ Jarik zog sich die Sturmhaube vom Kopf und grinste. Verdrossen betrachtete Leonie seine wieder militärisch kurz geschnittenen Haare. Jarik fuhr sich verlegen über den Kopf und zuckte mit den Schultern.
    Leonie schaute sich um, das Rohrgewirr der Klimaanlage und eine Wand gaben ihr Schutz vor Blicken und dem Wind. Sie schälte sich aus ihrer Bürokleidung, legte sie zusammen und packte sie in die Tasche. Ihr Steißholster mit Pistole reichte sie Jarik. Sie schlüpfte in die Einsatzuniform und band ihre hellbraunen Haare zu einem neuen Dutt. Nachdem sie ihre Kampfstiefel geschnürt hatte, zog sie die BodyArmor mit Jariks Hilfe über. Dazu kamen Ohrstöpsel, Schießbrille, ihr Beinholster und die Handschuhe.
    Das Gewicht und die Vertrautheit der Ausrüstung fühlte sich gut an und und Leonie lächelte versonnen. Um einiges besser als Exceltabellen im Büro.
    Jarik gab ihr ihre Pistole zurück, die sie ins Holster steckte. Den Helm mit der Sturmhaube darin behielt sie in der Hand.      

„3-032 Leonie. Bereit für Anweisungen“, meldete sie sich über ihr Comm-Modul fertig.
    „Basis. Bestätigt, Leonie. Anweisungen erfolgen durch Jarik. Stand-by“, erklang eine männliche Stimme kristallklar in ihrem Ohr.      

Sie schaute Jarik ungeduldig an. „Bekomm ich jetzt ne Antwort, was das werden soll?“
    „Outdoor-Schießtraining?“ Er grinste und hob dann abwehrend die Hände, als sie ihn anfunkelte. „Okay, okay! In zwanzig Minuten fährt unser 'Freund' Hayes hier vorbei und man möchte die Gelegenheit nutzen, ihn einzusacken. Gepanzerte Limousine, mehrere Bodyguards. Du darfst an der Kreuzung den Motor killen und zusammen mit den Snipern von 3-439 und 3-216 Overwatch machen.“
    „Fuck!“, entfuhr es ihr und sie fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. „Seid ihr noch ganz dicht? Da unten sind Leute! Ihr wisst hoffentlich, dass der Wind hier echt scheiße ist?“
    Hayes war ein guter Grund, das Risiko einzugehen, aber dennoch konnte einfach so viel schiefgehen. Um Hayes oder seine Lakaien machte sie sich dabei keinen Kopf. Wer mit ihm in die Kiste stieg, hatte es nicht besser verdient. Aber sie wollte nicht, dass unbeteiligte Passanten ins Kreuzfeuer gerieten.      

Jarik zuckte ungerührt mit den Schultern. „Ist nicht meine Idee gewesen. Und wir brauchen Hayes. Abgesehen davon, keine Ahnung was die anderen drauf haben, aber was machst du dir Gedanken um deine Schießkünste? Das sind keine hundert Meter. Auf die Entfernung schießt du ja selbst besoffen ner Fliege die Eier ab.“
     „Haha, dafür bräuchte sie welche. Und wenns was zum Snipern gibt, wo ist Aven?“, grummelte sie ihn an.
    Jarik schmunzelte. „Entspann dich. Aven sitzt vorne an der Dachkante und bereitet alles vor. Und ich hab die Arschloch-Chefkarte gezückt und beschlossen, dass ich euch persönlich Rückendeckung gebe, weil ich dich sehen wollte.“
    Sie kapitulierte seufzend und ließ den Kopf hängen. Jarik trat an sie heran, legte seine Hände an ihren Hals und drückte mit den Daumen ihr Kinn nach oben, sodass sie ihn ansehen musste, und küsste sie.
    Es war ihr Ritual, um sich Glück zu wünschen oder zumindest einen vernünftigen Abschied zu haben, falls sie nicht zurückkamen. Sie schluckte, als sie an Julien denken musste, sie vermisste ihn einfach wahnsinnig. Der Kuss wurde jedoch schnell deutlich feuriger und sie verdrängte ihre Wehmut.      

„Ey Leute, wenn ihr mit Rumknutschen fertig seid, können wir dann mal anfangen?“, maulte Aven und schaute grinsend um die Hausecke, die ihn bis eben noch verdeckt hatte.
    Leonie zeigte ihm den Mittelfinger und Aven lachte auf. Ein paar Sekunden standen sie und Jarik noch Stirn an Stirn, bevor sie einen Schritt auseinandertraten und Aven anfunkelten. Dieser zuckte jedoch nur unschuldig mit den Schultern.
    „Wurde ja Zeit“, sagte Aven grinsend.
    „Was meinst du?“, fragte Leonie verwirrt.
    „Euch beide, das Umeinandergeschleiche konnte man sich ja nicht mehr mit anschauen.“
    „Na super.“ Leonie seufzte. Sie kannte ihr Team, wenn es scheinbar so offensichtlich gewesen war, lief garantiert eine Wette. „Will ich es wissen?“
    Aven grinste, er wusste genau, was sie meinte. „Der Zeitpunkt. Das ‚ob‘ stand nie zur Debatte.“
    „Alleine dafür sollte ich euch zwanzigmal in Sibirien durch eisige Schlammpfützen jagen“, murrte Jarik gutmütig.
    „Ey! Was können wir dafür? Beschwer dich bei Julien, er hat damit angefangen!“ Aven schaute Jarik empört an.
    Leonie schüttelte fassungslos den Kopf und musste dann trotz aller Wehmut grinsen. Wie gerne hätte sie Julien jetzt die Ohren lang gezogen, der Kerl war einfach unmöglich.
    „Ey! Was kann ich dafür, dass wir das ganz dringend trainieren müssen?“, fragte Jarik unschuldig.
    „Du bist ein sadistischer Arsch“, grummelte Aven.
    „Stets zu Diensten. Und jetzt schwingt die Hufe, wir haben Ungeziefer zu fangen.“ Jarik zwinkerte und gab Leonie noch einen Kuss.
    „Aye, Sir. Aber jetzt lass mich erst mal Leonie umarmen, wir haben uns zwei Monate nicht gesehen.“
    Aven breitete die Arme aus und Leonie stapfte grinsend zu ihm. Er zog sie an seine Brust und schaute Jarik herausfordernd an, der zu Avens Verdruss aber nur lächelnd den Kopf schüttelte und die Augen verdrehte.
    „Keine Chance, Aven“, sagte Jarik.
    Leonie schaute hoch und schlug Aven auf den Oberschenkel. „Unmöglich!“, schimpfte sie lachend.
    Aven gab ihr einen Kuss auf die Wange und zwinkerte ihr zu.      

Alle drei zogen sich die Sturmhauben über und setzen ihre Helme auf. Sie machten sich auf den Weg zur Brüstung, wo Aven das großkalibrige Anti-Material-Gewehr und ihre beiden Scharfschützengewehre aufgebaut hatte. Auch die Matten waren bereits ausgebreitet, zwei Ferngläser und Munition lagen darauf.

„3-032 Leonie. Overwatch 3-032 bereit zum Einsatz. Erbitte Rules of Engagement.“
    Jarik zwinkerte Leonie zu, als sie sich hinlegte. Damit sich niemand an sie anschleichen konnte, setzte sich Jarik mit dem Rücken zu ihr und Aven. Der Wind zupfte an ihnen, aber sie ignorierten es.
    „Basis. Bestätigt. Schussfreigabe bei Sichtkontakt. Kein Risiko eingehen. Ich schalte Sie auf den Einsatz-Channel.“
    „... sobald der Motor durch ist, gehts los.“, sagte eine männliche Stimme.
    „3-032 Leonie. Wer killt den Motor?“
    „3-439 Ioannis. Immer die, die doof fragen. Schön, dass ihr auch langsam mal auftaucht“, sagte er amüsiert.
    Leonie kannte ihn bestens. Der Major war mit Ende vierzig einer der ältesten aktiven Teamleiter und sie schätzte seine besonnene Art. Sie und Jarik hatten trotz des Altersunterschieds auch außerhalb der Einsätze häufig mit ihm zu tun und waren seit Jahren gute Freunde. Wie vermutet, war er im HUD auch als Einsatzleiter markiert.
    „Leonie. Wer kann auch damit rechnen, um die Mittagspause gebracht zu werden.“ Sie schnaubte.
    „Ioannis. Hör ich da ein leises Mimimi?“
    „Leonie. Nicht dass ich daneben schieße, weil ich Hunger hab“, sagte sie grinsend.
    „Ioannis. Als ob, du triffst doch selbst sturzbesoffen noch ins Schwarze.“
    „Leonie. Was habt ihr eigentlich immer alle damit, dass ich auch betrunken schießen könnte?“, fragte sie verständnislos, erntete aber nur Gelächter.
    „3-216 Mirco. Sieben Minuten.“
    Ihr HUD zeigte ihn als Lieutenant an. Mit ihm hatte sie noch nicht viel zu tun gehabt. Dafür aber mit seinem Co-Teamleiter, Aidan, mit dem sie und Jarik ebenfalls befreundet waren.
    „Ioannis. Danke für die Erinnerung. Fresse jetzt und konzentrieren!“

In kurzen Sätzen sprach Leonie sich mit Aven und den anderen beiden Overwatch-Teams ab. Sie maßen die Windgeschwindigkeit, scannten die Kreuzung, spielten die Daten ins HUD und stellten die Gewehre ein. Als sie fertig waren, legte sie sich an das Anti-Material-Gewehr und Aven übernahm das Fernglas. Mit Atemübungen verlangsamten die zwei Scharfschützen ihren Herzschlag.
    Jarik saß so dicht links neben ihr, dass sie die Wärme, die von ihm ausging, spürte. Kurzzeitig beschleunigte sich ihr Puls, bevor sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Aven kicherte und ächzte dann, als er dafür von einem schmunzelnden Jarik einen Stoß in die Rippen bekam. Sie hatten beide den kurzen Ausreißer ihres Pulses im HUD gesehen und Leonie verdrehte die Augen. Das konnte ja noch lustig werden.      

Leonie schob alle Gedanken zur Seite, atmete kontrolliert und konzentrierte sich auf die Anzeige in ihrem HUD, die das Ziel-Fahrzeug bereits als entfernten roten Punkt anzeigte, der sich jedoch zügig näherte. Auf zwei weiteren Dächern sah sie die grünen Punkte, die ihre Overwatch-Kollegen darstellten.      

In ihren Kopfhörern knackte es kurz. „Basis. Wir versuchen, die Ampel so zu schalten, dass er an zweiter oder dritter Stelle hält. Wir haben ihn mit unseren Autos eingekesselt, das sollte also passen. Eine Minute bis Sichtkontakt erwartet.“
    Nach vierzig Sekunden konnte sie den Wagen erkennen. „Leonie. Bestätige Sichtkontakt, Ziel erfasst.“
    Das Auto, eine schwere schwarze Limousine, kam heran und wurde langsamer, als die Ampel auf Rot schaltete.      

Leonie zählte von drei herunter. Genau als das Fahrzeug zum Stehen kam, drückte sie den Abzug, es knallte und aus der Motorhaube kam Qualm.
    „Leonie. Fahrzeug deaktiviert“, sagte sie ruhig und rutschte zu ihrem Scharfschützengewehr.
    Die Türen der UNSF-Autos rings um Hayes‘ Limousine gingen auf und die zwei schwer bewaffneten Assault-Teams quollen heraus. Sie umstellten das Fahrzeug mit gezückten Waffen. Die Passanten rundherum flüchteten panisch. Ein Autotransporter kam aus der Seitenstraße gefahren, um die Limousine aufzuladen.      

Leonie achtete nicht auf das Chaos, sondern scannte mit Aven die Umgebung. Er wies sie auf einen klapprigen Van etwas weiter hinten hin, bei dem sich gerade die Tür öffnete und ein Mann mit einem Sturmgewehr ausstieg, welches er auf ihre Kameraden richtete. Leonie zögerte sie keine Sekunde. Er schaffte es nicht mehr, das Gewehr anzulegen, da lag er schon tot auf dem Asphalt. Aven schnaubte.
    „Leonie. Ein Angreifer ausgeschaltet. Graue Schrottschüssel sechs Autos hinter Hayes.“ Sie lud die nächste Patrone.
    „Ioannis. Verstanden. Mehr Angreifer zu erwarten?“
    „Leonie. Vermutlich, der kam von der Beifahrerseite.“
    „Samir. 3-439 hat keine freie Schussbahn ohne Passanten zu gefährden.“
    „Finn. 3-216 hat ebenfalls keine freie Schussbahn."
    Der Fahrer und zwei weitere Fahrzeuginsassen stiegen mit Gewehren aus. Leonie fragte sich, wie dämlich man sein konnte. Aven packte das Fernglas weg und legte sich ebenfalls an sein Gewehr.
    „Leonie. Verstanden. Drei weitere Angreifer, bin dran“, sagte sie, bevor sie zielte und den Fahrer ausschaltete.
    „Leonie. Zwei.“ Das Nachladen ging jetzt schnell. „Einer.“
    Drei Soldaten unten trennten sich von der Gruppe, um das Auto zu sichern. Bevor sie erneut abdrücken konnte, fiel auch der vierte Gegner.
    „Aven. Alle Angreifer ausgeschaltet.“
    „Leonie. Den musstest du jetzt haben, oder?“, fragte sie trocken.
    „Aven. Jepp, sonst heißt's nur wieder, ich wär faul“, maulte er.
    Amüsiertes Schnauben und Lachen kam durch den Funk und Leonie schüttelte grinsend den Kopf.      

Hayes hatte wohl eingesehen, dass er chancenlos war, und sich ergeben. Auch seine beiden Bodyguards und sein Fahrer ließen sich widerstandslos festnehmen. Ioannis legte ihm Handschellen an und verfrachtete den scheinbar zeternden Hayes in den schwarzen SUV, der neben ihnen gehalten hatte. Kaum waren die Türen zugefallen, waren sie auf dem Weg zurück in die Basis. Der Rest wurde von den Assault-Teams durchsucht und in die verbliebenen Autos verteilt.
    Die Overwatch-Teams blieben wachsam, während die Limousine verladen und die Toten eingesammelt wurden. Aber es passierte nichts mehr. Der Transporter fuhr weg und auch die Assault-Teams machten sich auf den Weg zurück. Einer der Soldaten stieg in den Van und fuhr damit weg. Sie überließen es der grade eingetroffenen Polizei und Feuerwehr, die Flecken von der Straße und den Verkehr wieder in den Griff zu bekommen.      

„Basis. Overwatch-Teams, Sie können abbauen und zurückkommen. Einsatz ist beendet.“
    Sie verabschiedeten sich voneinander und verließen den Einsatzfunkkanal.
    Aven und Leonie bauten die drei Gewehre auseinander und verstauten die Teile in der großen Tasche, die Jarik ihnen reichte. Er half Aven und ihr, die restlichen Sachen einzupacken.
    Leonie schaute nach unten zur Straße, wo die Polizei grade die linke und mittlere Spur absperrte, damit die Feuerwehr ihre Arbeit machen konnte. Die ersten Passanten waren bereits wieder unterwegs und zumindest auf der rechten Spur rollte der Verkehr langsam wieder voran.
    „So und was mach ich jetzt?“, fragte Leonie.
    „Du gehst wieder runter und machst weiter? Ich hol dich nach Feierabend ab, du hast ein Date mit Dr. Lindner und Debriefing.“ Jarik zog sich den Helm und die Sturmhaube vom Kopf und rieb sich über die Haare.
    „Ist das euer Ernst?“ Leonie schaute Jarik ungläubig an.
    „Willst du gleich zu ihr?“, fragte Jarik verwirrt.
    „Nicht deswegen, ich hatte gehofft, ich darf heim.“ Leonie knurrte unwillig und entledigte sich ebenfalls ihrer Kopfbedeckung.
    „Sorry, aber sie wollen dich weiter hierbehalten.“
    Leonie ließ enttäuscht die Schultern hängen. Jarik trat zu ihr, zog sie in seine Arme und sie lehnte ihren Kopf an seinen Hals.
     „Dann muss ich erst mal wieder ungesehen ins Büro zurückkommen“, murrte sie.
    „Du kommst mit runter in die Tiefgarage, ziehst dich im Auto um und wir lassen dich um die Ecke raus. Dann kannst du sagen, dass du in den Weinbergen spazieren warst und nicht wirklich was mitbekommen hast.“
    „Hm. Warum bin ich da nicht drauf gekommen?“, fragte Leonie seufzend.
    „Weil du von mir abgelenkt warst.“ Jarik schnaubte belustigt.
    „Hmhm. Das wird's gewesen sein.“ Sie verdrehte die Augen, grinste aber.
    Aven stöhnte. „Boah, könnt ihr rummachen, wenn ich nicht grad daneben stehe?“
    „Gewöhn dich dran“, sagte Jarik und küsste Leonie.
    Aven grummelte irgendwas vor sich hin, aber Leonie wusste, dass er es nicht ernst meinte.

„Ich will ja nicht nerven, aber wir sollten los“, sagte Aven einige Minuten später.
    Jarik drückte Leonie noch einen Kuss auf die Stirn und ließ sie dann los. Sie setzten sich die Sturmhauben und Helme wieder auf, schnappten sich die Taschen und machten sich mit ihren Pistolen in der Hand auf den Weg in die Tiefgarage.
    Auf der Treppe kamen ihnen einige Menschen entgegen, die bei ihrem Anblick entweder panisch das Weite suchten oder sich mit aufgerissenen Augen an die Wand pressten. Auch zwei von Leonies Kollegen waren dabei, aber sie schienen sie zum Glück nicht unter der Sturmhaube zu erkennen. Leonie seufzte erleichtert und Aven frustriert.

In der Tiefgarage räumten Aven und Leonie die Sachen ins Auto, während Jarik es auf Manipulationen und Sprengstoff untersuchte. Ihren Helm und die BodyArmor packte Leonie direkt in den Kofferraum, die Männer behielten ihre Sachen an. Jarik setzte sich auf den Fahrersitz, Aven neben ihn und Leonie nahm die Rückbank, damit sie sich umziehen konnte. Die getönten Scheiben boten genügend Sichtschutz.
    „Wann hast du Feierabend?“, fragte Jarik, während Leonie sich aus ihren Sachen schälte.
    „Denke so siebzehnhundert bin ich fertig. Wobei es länger dauern könnte, wenn gleich die Tratschwelle ausbricht.“
    „Gut, dann bin ich siebzehnhundert-dreißig da.“
    „Ich will endlich zurück nach Hause“, murrte Leonie.
    „Glaub mal, wir sind alle glücklich, wenn du wieder da bist. Dann ist Mister Grummelvieh, der sein armes Team bis zur Erschöpfung drillt, vielleicht mal wieder bisschen entspannter!“, maulte Aven.
    „Hör auf zu heulen, irgendwie muss ich euch faulen Säcke ja wieder in Form bekommen. Außerdem ist Trainingsmonat!“
    Die beiden beharkten sich freundschaftlich weiter, während Leonie sich schmunzelnd fertig umzog.
    „So ihr Zicken, ich habs. Wir können los“, unterbrach sie sie.

    Routiniert steuerte Jarik den schweren SUV aus der Tiefgarage, fuhr einen Bogen und blieb dann am Fuß des Weinbergs an einer etwas geschützten Stelle stehen.
    Leonie lehnte sich nach vorne und küsste Jarik zum Abschied. Sie drehte sich zu Aven um, der sich ein Stück zur Seite gelehnt hatte, um aus dem Weg zu sein.
    „Und du! Benimm dich und hör auf, Jarik auf den Sack zu gehen!“ Sie zog grinsend an seinem Ohr.
    „Aua! Ich werde misshandelt!“, quengelte Aven lachend.
    „Blödvieh!“, sagte Leonie amüsiert, küsste Jarik nochmals und stieg dann aus.
    Jarik fuhr mit Aven davon und Leonie wartete noch einige Minuten hinter einer Hecke, dann machte sie sich auf den Rückweg ins Büro.

Dort angekommen, war die Tratschmaschinerie natürlich in vollem Gange. Als Leonie ins Zimmer kam, staunte sie nicht schlecht. Elin und Jasmin waren nicht im Raum. Dafür zwei Kolleginnen aus dem Nachbarzimmer, Götz Seniors Privatsekretärin, Michi, Lennard und die beiden Hausmeister, die munter durcheinander plapperten.
    „Wasn hier los?“, fragte sie irritiert.
    „Hast du nicht mitbekommen, dass die hier auf der Kreuzung wen eingesackt haben?“ Lennard wedelte aufgeregt mit den Händen herum und Leonie schaute ihn fragend an.
    „Ey, das war voll krass! Ich sitz so an meinem Rechner und auf einmal knallts. Ich schau raus, kommt da voll der Rauch aus so ner fetten Limousine und dann war auf einmal die ganze Straße voll mit Bewaffneten! Und das waren sogar die von der UNSF! Das war voll krass!“ Michi war äußerst aufgedreht und schwatzte munter weiter. Wäre Leonie nicht selbst dabei gewesen, sie hätte geglaubt, dass mitten in Stuttgart der Krieg ausgebrochen wäre.
     Corinna, Seniors Sekretärin, schniefte vernehmlich und schaute Michi missbilligend an. „Ich weiß nicht, was du daran so toll findest. Wie kann man solche Barbaren nur gutheißen?! Die können doch nicht einfach wahllos Menschen mitten auf der Straße abschlachten!“ Ihre Stimme wurde immer schriller.      

Leonie verkniff sich den Kommentar. Sie hatte die aufgetakelte und überhebliche Endzwanzigerin schon lange gefressen. Leonie drückte sich zu ihrem Schreibtisch durch und versuchte, die aufgeheizte Diskussion zwischen Corinna und Michi auszublenden.
    Leonie erweckte ihren PC wieder zum Leben und meldete sich an. Es war ihr klar, dass manche Leute ihre Methoden ablehnten, aber wenn sie sich zwischen der Sicherheit für ihre Kameraden und Passanten und der von Angreifern entscheiden musste, sie zerbrach sich den Kopf schon lange nicht mehr darüber.      

„Du kannst mir doch nicht erzählen, dass diese Brutalos noch ganz richtig in der Birne sind“, ätzte Corinna nun.
    Leonie schluckte und musste an sich halten, nichts zu sagen. Trotz ihrer Überzeugung, das Richtige zu tun, kratzte die Bemerkung erstaunlicherweise doch an ihr.
    „Diese Brutalos, wie du sie nennst, machen das garantiert nicht zum Spaß, sondern um zu verhindern, dass irgendwelche Arschlöcher uns was tun können, du Hohlbirne“, fauchte Michi.
    Leonie hätte ihn knutschen können. Sie hasste es zu töten, aber sie tat es, um Menschen zu beschützen, auch solche Undankbaren wie Corinna.      

Die Diskussion wurde hitziger und die anderen beteiligten sich ebenfalls fleißig, sie waren jedoch neutral oder auf Michis Seite.
    Leonie steckte sich demonstrativ ihre Kopfhörer in die Ohren. Sie wollte einfach nur noch weg. Bisher hatte sie die Abschüsse eigentlich immer ganz gut weggesteckt, aber die Abscheu, die ihr von Corinna entgegenkam, drehte ihr den Magen um. Sie lehnte sich zurück, kontrollierte ihre Atmung und trank einen Schluck Wasser.      

Elin und Jasmin kamen ins Büro und starrten die Meute fassungslos an. Leonie zog die Stöpsel wieder aus den Ohren, die Show wollte sie sich nicht entgehen lassen.
    „Kann mir mal einer verraten, was das hier werden soll? Ist das hier der neuste Basar? Habt ihr alle nichts zu tun?“, fauchte Jasmin wütend und die anderen zogen die Köpfe ein.
    „Aber Jasmin, hast du nicht mitbekommen, was da draußen passiert ist?“ Corinna klimperte affektiert mit den Wimpern und schürzte die Lippen.
    Jasmin musterte sie abschätzig. „Doch, aber ich wüsste nicht, warum ich deswegen hier rumstehen und tratschen müsste. Vor allem nicht, wenn ich so viel Kram zu tun hab, dass ich andere schon bitten muss, mir zu helfen!“
    Corinna wurde rot.
    „Aber da du ja scheinbar genügend Zeit hast, um zu labern, kannst du den Kram dann auch alleine machen. Und jetzt alle raus aus meinem Büro, bevor ich mich vergesse!“
    Alle stoben panisch aus dem Zimmer und Leonie musste grinsen. Jasmin machte ihrem Spitznamen „Hausdrache“ wirklich alle Ehre.
    Corinna schnappte zweimal nach Luft, dann stöckelte sie mit hochrotem Kopf ebenfalls aus dem Raum, sie wusste es besser, als sich mit Jasmin anzulegen.
    Jasmin warf die Tür lautstark zu und stapfte wütend zu ihrem Stuhl, auf den sie sich seufzend fallen ließ. Auch Elin setzte sich, starrte Jasmin und Leonie an und begann dann schallend zu lachen. Dann fielen Jasmin und Leonie mit ein. Langsam löste sich der Knoten in Leonies Magen wieder etwas.      
„Hat sich Miss Bettwärmer wieder drüber ausgelassen, wie grausam das doch war? Und dass Soldaten ja ganz böse Menschen sind“, fragte Elin angewidert.
    „Japp“, murrte Leonie.
    „Irgendwann geb ich ihr ihre High Heels zu fressen!“, schimpfte Elin.
    Leonie schaute sie fragend an und grinste.
    „Ach, irgendwie hat sie mitbekommen, dass ich drüber geredet hab, dass Davids nächster Einsatz ansteht und ich mir Sorgen mache, und dann total losgelegt. Dass Soldaten ja nur Mörder wären. Und dass wir ja Weltfrieden hätten, wenn die nicht immer so hirnlos rumballern würde, laberlaberlaber. Ihr üblicher Stuss halt.“
    „Ja. Und sie wär die Erste, die losbrüllen würde, dass man sie doch zuerst retten muss, wenn mal irgendwas passiert. Naja, noch maximal zwei oder drei Monate, dann fliegt sie eh, weil der Chef was Neues braucht. Und so ätzend er ist, er weiß es besser, als sie bei mir parken zu wollen.“ Jasmin seufzte. „Mal schauen, wie lange der noch macht, ich freu mich echt, wenn Junior den Laden übernimmt.“ Sie streckte sich, schaute auf die Uhr und dann zwischen Elin und Leonie hin und her.
    „Wisst ihr was Mädels? Es ist grad mal zwei und der Tag ist fürn Arsch. Ich geh uns Eis holen!“, sagte Jasmin und stand auf.
    Elin und Leonie bestellten sich beide einen Schokoeisbecher mit Himbeeren und Jasmin verschwand mit einer kleinen Kühlbox im Flur.      

Der Rest des Tages verlief zu Leonies Erleichterung unspektakulär. Auch das Eis half ihr, sich etwas zu entspannen. Von den anderen war niemand wieder aufgetaucht und laut Jasmin taten sie alle schwerst beschäftigt. Sie wussten es besser, als den Zorn ihrer Chefin noch mehr auf sich zu ziehen.      

Pünktlich um siebzehn Uhr dreißig traten Jasmin und Leonie auf dem Parkplatz.
    Elin war schon seit einer Stunde weg, David hatte sie abgeholt. Leonie hatte ihm angesehen, dass er nicht glücklich war und vermutete, dass sie am Einsatz am Mittag mit beteiligt gewesen war. Als sie ihm das Handzeichen für „sichere Umgebung“ gegeben hatte, hatte er sich jedoch etwas entspannt und genickt, bevor er mit Elin verschwunden war.      

Leonie lächelte, als sie Jarik sah, der an einem schwarzen SUV lehnte und sie intensiv beobachtet.
    „Kennst du den?“, fragte Jasmin leise neben ihr.
    „Ja, warum?“ Leonie schaute sie fragend an.
    „Der sieht voll unheimlich aus. Als ob er gleich losspringt und uns frisst!“, flüsterte Jasmin.
    Leonie musterte Jarik nachdenklich und er zog fragend eine Augenbraue nach oben. Nachdem Jasmin die darauf hingewiesen hatte, fiel auch ihr auf, dass Jarik, selbst so entspannt wie jetzt, auf Fremde durchaus bedrohlich oder sogar aggressiv wirken konnte. Er war aufmerksam, hatte alles im Blick und sein Körper zeigte eine gewisse Grundspannung und -haltung, die jedem signalisierte, sich bloß nicht mit ihm anzulegen. Sie liebte es, sehr.
    „Solange man ihn nicht ärgert, tut der nix“, sagte Leonie und zwinkerte Jasmin zu.
    „Hmhm, ist klar.“ Jasmin und beäugte ihn skeptisch.
    Leonie drehte sich zu ihr, um sie zu umarmen. „Bis morgen.“
    „Wenn du morgen nicht pünktlich bist, geb ich ne Vermisstenmeldung raus“, grummelte Jasmin.
    Leonie lachte. „Keine Sorge.“
    Grinsend stapfte sie zu Jarik, ließ sie sich von ihm in die Arme ziehen und winkte Jasmin hinterher, die in ihren roten Twingo davonbrauste.
    Sie stiegen ebenfalls ins Auto und fuhren zurück zur Basis. Leonie saß gedankenverloren auf dem Beifahrersitz und starrte nach draußen. Sie fragte sich, wie lange sie sich den Bürounsinn noch antun musste. Jetzt stand aber erst mal das Debriefing an.

Trotz des Feierabendverkehrs fuhr Jarik entspannt, aber zügig durch die Stadt. Als Leonie fertig geschmollt hatte, unterhielten sie sich den Rest der dreißig Minuten langen Fahrt hauptsächlich über Jasmin und Elin. Nachdem er die Kontrolle am Tor passiert hatte, parkte Jarik und beugte sich dann zu ihr hinüber, um sie zu küssen, was Leonie gierig erwiderte. Nach ein paar Minuten war er es, der sich löste und seine Stirn an ihre lehnte, während er seine linke Hand um ihren Nacken geschlungen hatte. Beide atmeten schwer.      

„Na los, Debriefing und deinen Termin überstehen. Du bleibst heute Nacht hier, ich fahr dich morgen früh wieder rüber“, sagte er mit rauer Stimme.
    Leonie schaute ihn an und grinste. „Ach ja? Hast du mich etwa vermisst?“
    „Jap. Und wenns nach mir ginge, würde ich dich direkt ins Bett schleifen“, antwortete er schmunzelnd und küsste sie wieder, allerdings viel zu kurz. „Na los, je schneller wir durchs Debriefing kommen, umso eher haben wir Ruhe.“
    Er öffnete seine Tür und stieg aus. Leonie nickte und verließ dann ebenfalls das Auto. Jarik hielt ihr den Arm entgegen und sie schmiegte sich dankbar an seine Seite. Er legte seinen Arm um ihre Schulter und drückte ihr einen Kuss auf den Kopf.      

Als sie die Einsatzzentrale betraten, wurden sie bereits erwartet. Die Wände des großen, abgedunkelten Raumes waren mit Bildschirmen vollgepflastert. Sie zeigten Weltkarten mit bunten Punkten, diverse Video-Feeds, stummgeschaltete Nachrichten, Fahndungsbilder und Notizen. Auf vielen der Nachrichtensender liefen die immer selben wackligen Handyvideos von Hayes’ Verhaftung.
    Leonie studierte die Laufschriften und schnaubte abfällig, als sie „UN dreht durch? Hinrichtung auf offener Straße bei Festnahme von erfolgreichem Geschäftsmann“, las. Jarik schaute sie fragend an. Wortlos nickte sie in Richtung des Lauftexts. Er folgte ihrem Blick und verdrehte die Augen.      

Logischerweise gingen die Medien von Willkür oder Ähnlichem aus. Hayes war erfolgreich und sah gut aus, zudem war er beliebt. Dass er sich zusätzlich eine goldene Nase mit Waffen- und Menschenhandel der übelsten Sorte verdient hatte, hatte er bestens unter Verschluss halten können. Diese Informationen waren nur hinter verschlossenen Türen ausgetauscht worden, da er nie vor Gericht verwertbare Beweise hinterlassen hatte. Was sich durch Leonies Hilfe und den Einbruch in die Götz-Server nun wohl geändert hatte.      

Die Einsatzzentrale war mit Dutzenden großen Schreibtischen gefüllt, an denen jeweils ein Missionskoordinator saß und die zwölf Monitore anstarrte, die sich in drei Reihen auf jedem der Tische stapelten. Dazu kamen mehrere Tastaturen, Mäuse, Papierstapel und, über den Raum verteilt, genug Süßkram, um einen Kindergarten tagelang in einen Zuckerrausch zu befördern. Leonie beobachtete einen der Koordinatoren. Er griff er blind in die Schale mit den Gummibärchen, nahm sich eine Handvoll und ließ dann eines nach dem anderen in seinem Mund verschwinden. Dabei starrte er völlig gebannt auf die Karte auf dem Monitor und machte sich Notizen. Sie kicherte leise und drückte sich an Jarik, während sie sich den Weg durch den Raum bahnten.      

An der Stirnseite stand ihr Kommandant, Colonel Briggs, und hörte einer Missionskoordinatorin zu. Dass der gut gebaute, dunkelhäutige Mann bereits über fünfzig war, sah man ihm nicht an. Die Tür zum Besprechungsraum neben ihm war offen und darin brannte Licht. Respektvoll salutierten sie, als sie vor ihm zu stehen kamen. Er antwortete mit einem Nicken, bevor er sie mit einem Schwenk seines kahlen Kopfes in den Raum schickte. Jarik wunderte sich nicht mehr darüber, die meisten von Briggs Anweisungen bestanden aus kurzen Sätzen oder Gesten. Er war kein Mensch vieler Worte, das Reden überließ er lieber Colonel Mays.      

Jarik und Leonie betraten den Besprechungsraum und nickten den Anwesenden zu, die um den Tisch herum saßen. Das waren Aven, Ioannis und Mirco mit ihren Stellvertretern, mit denen sie einen Fistbump austauschten, zwei Analysten und Colonel Mays. Jarik und Leonie salutierten vor ihr, bevor Mays sie mit einem „Captains, setzen Sie sich!“, auf ihre Plätze schickte.
    Sie folgten den Anweisungen und ließen sich auf ihre Stühle fallen. Jarik legte Leonie dabei eine Hand in den Nacken und knetete diesen leicht, was sie mit einem fast lautlosen Brummen kommentierte. Aven und Ioannis grinsten breit, sagten aber nichts. Mays beobachtete sie stumm und Jarik meinte, den Hauch eines Lächelns erkennen zu können.      

Colonel Briggs betrat nach einigen Minuten den Besprechungsraum und schloss die Tür hinter sich. Er setzte sich dicht neben Mays an den Tisch, was den optischen Kontrast zwischen den beiden nur noch mehr hervorhob. Einer der Analysten startete seine Präsentation und sie arbeiteten den Ablauf der Mission sekündlich durch. Der Beamer projizierte sämtliche aufgezeichneten Daten ungeschönt auf die weiße Wand. Außer den Bildern ihrer Helmkameras, auch die kurze Beschleunigung ihres Herzschlages und Jarik, der Aven geknufft hatte. Irgendwer kicherte leise und Leonie wurde rot. Jarik drückte sanft ihren Nacken. Briggs und Mays waren mit ihren Leistungen jedoch mehr als zufrieden.      

Auch die Festnahme selbst war bestens verlaufen. Ioannis hatte Hayes nach der Ankunft direkt in eines der Vernehmungszimmer bringen lassen, wo er bereits von einigen der Vernehmungsspezialisten verhört wurde.
    „Aber ey, die Hohlbratze kreischt schlimmer als so nen Kastrat!“, beschwerte sich Ioannis. „Der hat mir die ganze Fahrt über die Ohren vollgejault. Dass wir das doch nicht machen könnten, und überhaupt und blablabla!“ Er schüttelte angewidert den Kopf. „Erst als ich ihm angedroht hab ihn mit dem Panzertape ruhig zu stellen, hat er die Fresse gehalten. Die Sackratte weiß ganz genau, wie scheiße der Dreck wieder runter geht.“
    „Woher er das bloß weiß?“, grummelte Mirco.
    „Wahrscheinlich von den Mädchen, die 3-439 letzte Woche gefunden hat. Ich hab mir die Arztberichte angeschaut, da hatten einige offene Stellen, weil jemand den Scheiß einfach runtergerissen hat“, fauchte Aven.
    „Ey Aven, sei froh, dass du nicht dabei warst. Ich hab schon echt viel gesehen, aber das war richtig übel. Die offenen Stellen waren noch harmlos. Hast du dir den Rest auch angeschaut?“, fragte Ioannis mit Grabesstimme. Seine Gesichtsfarbe hatte einen kalkigen Ton angenommen.
    Aven wurde ebenfalls bleich und schüttelte den Kopf. „Nope. Keine Chance.“
    Verwirrt schaute Leonie zwischen den anderen hin und her. „Was zum Henker hab ich verpasst?“
    „Die Finanzinfos haben geholfen, einige bisher unbekannte Verbindungen aufzudecken, und wir konnten in der letzten Woche in sechsundzwanzig Einsätzen über zweihundert ‚Sklaven‘ retten. Manche von ihnen waren bereits seit Jahren in Gefangenschaft. Jungen, Mädchen, Männer, Frauen. Die haben vor nichts Halt gemacht, das war teilweise richtig übel.“ Mays sah aus, als würde sie gleich einen Mord begehen wollen und Jarik konnte es ihr nicht verdenken.
    Leonie schaute ihn scharf von der Seite an. „Ach, hast du irgendwie vergessen zu erwähnen?“
    „Nein, dir mit Absicht vorenthalten. Du hättest die Berichte haben wollen und da sind Bilder drin. Und die schaust du dir mit Sicherheit nicht an, wenn du alleine in irgendeiner Bude hockst. Falls du drauf bestehst, können wir sie nachher durchgehen, aber ich würde gerne drauf verzichten, mir das noch mal antun zu müssen. Und das sollte dir einiges sagen.“ Jarik musterte sie eindringlich.
    Leonie schluckte, überlegte kurz und nickte dann. „Okay“, sagte sie leise.
    „Danke“, murmelte Jarik, nahm ihre Hand und verschränkte ihre Finger.
     Er brauchte die Berührung. Ihn konnte mittlerweile nicht mehr viel schocken, aber einige von Hayes’ Lakaien und Kumpanen waren Monster. Jarik war froh, bei Ioannis’ Einsatz nicht dabei gewesen zu sein, er und sein Team hatten den Schlimmsten erwischt.      

Es herrschte einige Minuten Schweigen im Raum, bis sich alle wieder halbwegs sortiert hatten.
    „Na ja, zurück zu Hayes. Es kann Tage, Wochen, Monate dauern, bis der bricht. Aktuell meint er noch mit einer Unschuldsnummer punkten zu können und denkt, dass er mit irgendwelchen Anwaltsdrohungen Eindruck schinden könnte.“ Mays Stimme war rau. „Soll er toben und sich auspowern, wenn er erst mal merkt, dass er aus der Chose nicht mehr rauskommt, wird er hoffentlich versuchen, sich nen Deal zu erkaufen.“
    „Den er niemals bekommen wird, Sarah!“, fauchte Briggs und alle starrten ihn erschrocken an.
    „Natürlich wird er keinen Deal bekommen, Jack. Aber das wird er noch früh genug rausfinden.“ Mays tätschelte ihm den Oberschenkel.
    Briggs Kiefer mahlten, aber er sagte nichts mehr.      

„Wir wären dann soweit durch. Falls sich mit Hayes irgendwas ergibt, werde ich Sie informieren lassen. Alle bis auf Captain Brandt und Captain Koslow können gehen“, sagte Mays.
    Die anderen verabschiedeten sich und zurück blieben nur Jarik, Leonie und die Colonels.      

Mays schaute zu Leonie. „Sie gehen morgen zurück ins Büro. Götz Senior und ein Daniel Keller stecken da auch ordentlich tief mit drin. Schauen Sie, ob Sie noch paar Infos mehr zu den beiden finden können. Und es kann sein, dass die Schüsse vom Dach von Götz’ Gebäude heute zum Problem werden. Ich kann aber keine Guards abstellen, ohne dass wir Verdacht erregen.“
    Leonie ließ seufzend den Kopf hängen und sackte in sich zusammen. „Ja, Ma’am.“
    „Ich würde Sie auch lieber zurückholen, aber aktuell keine Chance. Da wir durch die Einsätze ein paar Ausfälle haben und Ihr Team sowieso schon involviert ist, habe ich Master Sergeant Carter und Sergeant Bellini im allgemeinen Hausdienst unterbringen lassen. Die zwei sprechen neben Master Sergeant Rossi und Ihnen beiden noch am besten Deutsch.“
    Leonie blinzelte Colonel Mays verwundert an. „Ausfälle? So schlimm? Und was ist mit Jarik?“
    „Bei den Ausfällen nichts Ernsthaftes, aber wir gehen ja lieber auf Nummer sicher. Und Captain Koslow brauchen wir hier.“
    „Yeah, noch mehr Excel. Ich bin begeistert.“ Leonie ließ den Kopf in den Nacken fallen und starrte frustriert an die Decke.      

Jarik sah ihr die Erschöpfung an und musterte sie besorgt.
    Ihren letzten echten Urlaub hatte sie vor sechseinhalb Monaten gehabt. Sie waren zwar den halben Februar und März aus der Rotation gewesen, aber im Februar hatte Leonie sich alleine um ihr Team und ihn gekümmert, weil er außer Gefecht gewesen war. Und er hatte ihr das Leben nicht leicht gemacht. Dazu war die Trauer um Julien gekommen. Im April hatten sie planmäßig Urlaubsphase gehabt, aber da war ja ihr Undercovereinsatz gestartet.
    Er hatte gehofft, für sie wenigstens noch einige freie Tage zu bekommen, bevor sie in anderthalb Woche wieder in die Unterstützungsrotation wechseln würden.      

„Captain Brandt, ich weiß, dass wir Ihnen einiges abverlangen. Und im Anbetracht der Tatsache, dass ich Sie grade nicht abziehen kann, ...“ Mays seufzte. „Würde es helfen, wenn Captain Koslow zumindest abends und nachts bei Ihnen bleiben kann?“
    Jarik und Leonie schauten sie verblüfft an und Briggs schmunzelte.
    „Was? Ich weiß, dass Sie beide ein enges Verhältnis haben. Auch mit Master Sergeant Dubois, was die Situation für Sie nicht einfacher macht. Ich mag vielleicht manchmal wie eine eiskalte Schreckschraube rüberkommen, aber ob Sie es glauben oder nicht, meine Leute liegen mir am Herzen.“ Mays zwinkerte ihnen zu.
    Da Leonie nichts sagte und Mays immer noch verwundert anstarrte, ergriff Jarik das Wort.
    „Danke, Ma’am. Ich denke, da werden wir nicht Nein sagen. Ich bringe Leonie gleich zu Dr. Lindner. Und morgen fahre ich sie zur Arbeit.“
    „Danke, Ma’am“, sagte nun auch Leonie.
    „Dann ab mit Ihnen.“ Mays schaute auf die Uhr. „Es ist schon spät genug. Schauen Sie, dass Sie genügend Schlaf bekommen. Und vor allem, dass sie nicht allzu offensichtlich UNSF schreien, wenn Sie morgen zu Götz Financials fahren. Wir müssen davon ausgehen, dass der Laden beobachtet wird.“      
    Auch Jarik schaute nun auf die Uhr und erschrak, sie hatten über zweieinhalb Stunden hier gesessen.
    „Colonels“, sagten er und Leonie, während sie salutierten und sich dann zügig auf dem Weg in Richtung Psychologin machten.      

„Ich organisiere uns was zum Essen, während du bei ihr bist. Irgendwelche Wünsche?“, fragte er Leonie und legte ihr den Arm um die Schultern.
    „Mir so egal. Ich will einfach nur schlafen.“ Sie kuschelte sich an ihn.
    Sie waren vor der Tür von Dr. Lindner angekommen. Trotz der späten Uhrzeit herrschte auf dem Gang der Psychologie noch reges Treiben. Die UNSF war rund um die Uhr im Einsatz, das erstreckte sich auch auf ihre Seelsorge. Hier bekam man selbst um drei Uhr morgens noch einen Spontantermin.
    „Du schaffst das.“ Jarik küsste Leonie und drückte sie fest an sich.
    „Bis in ner Stunde.“ Sie lächelte ihn tapfer an, klopfte und verschwand dann im Zimmer.      

Seufzend ging Jarik das Essen besorgen. Er war froh, dass Beziehungen zwischen ihnen nicht, wie sonst üblich, verboten waren und niemand etwas gesagt hatte. Aber die UNSF-Truppe war keine normale Einheit und sie wussten, dass sie im Notfall das Wohl ihres Teams immer über den anderen stellen würden. Egal wie schwer es war.
Nachdem er zwei große Portionen einer asiatischen Gemüse-Pfanne besorgt hatte, brachte er diese in die Wohnung, bevor er sich auf den Weg zurück zu Dr. Lindner machte, um Leonie abzuholen.
    Als sie aus der Tür trat, reichte Jarik ihr die Hand und zog sie an seine Brust. Er vergrub seine Nase in ihren Haaren und küsste sie auf die Stirn, während sie sich umarmten. Sie blieben einige Augenblicke so stehen, bevor sie sie sich zügig auf den Weg in ihre Wohnung machten. Er hatte ihr den Arm wieder um die Schultern und sie ihren um seine Taille gelegt.      

Nach dem Essen auf dem Sofa hatte sich Leonies Laune wieder deutlich gebessert.
    Sie stellten ihre leeren Schalen auf den Tisch und kuschelten sich in die Polster. Leonie legte sich dabei auf ihn und bette ihren Kopf auf seine Schulter. Er umarmte sie und schob die Nase in ihre Haare.
    „Alles ok?“, fragte er leise und besorgt.
    Sie blieb einige Minuten stumm, um ihre Gedanken zu sammeln. Er ließ ihr die Zeit und streichelte ihr gemächlich über den Rücken.
    Nach einer Weile seufzte sie. „Ich hatte gehofft, wieder heimzukönnen, aber, ...“ Leonie zuckte mit den Schultern. „Dr. Lindner hat mir ein bisschen was zusammengefasst. Ich verstehe bis heute nicht, wie Menschen so grausam sein können.“
    Jarik seufzte schwer und rieb sich übers Gesicht. „Umso wichtiger, dass es uns gibt.“
    „Ich weiß.“ Sie rieb ihre Wange über sein Schlüsselbein und drückte ihre Nase an seinen Hals. Jarik brummte nur zustimmend und streichelte weiter.
    „Und ich weiß, dass es gut ist, dass ich noch im Büro bleiben muss, aber es ist scheiße! Es ist langweilig, nervig und dieses Gekeife killt mich einfach. Ich meinte ernsthaft, wir haben schlimmere Probleme als eine Sekretärin, die zu doof ist das Papier richtig in den Drucker zu legen“, murrte Leonie.
    Er schmunzelte und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Er fand eine grummelige Leonie sehr amüsant und niedlich. Aber er würde einen Teufel tun, ihr dies zu sagen, sie würde ihn im Schlaf ersticken und irgendwo vergraben, wo ihn niemand finden würde.      

„Soll ich dich ablenken?“, fragte er stattdessen, ließ seine Hand zu ihrem Po wandern und drückte zu.
    Leonie starrte ihn ein paar Sekunden an und nickte dann eifrig. „Ja, bitte. Ausgiebig!“
    Er lachte und drehte sie so, dass er auf ihr zu liegen kam. Mit einem Arm stützte er sich neben ihrem Kopf ab, damit er sie nicht zerquetschte, und die freie Hand ließ er über ihren Körper wandern. Sie schloss die Augen, entspannte sich endlich und erwiderte seinen Kuss leidenschaftlich.
    Nach einer Weile lehnte sich Jarik zurück auf die Knie und musterte sie zufrieden. Leonies Dutt hatte sich aufgelöst und ihre Wangen waren gerötet. Verträumt schaute sie ihn an und leckte sich die Lippen. Mit beiden Händen fuhr er ihre Seiten auf und ab.
    „Was hältst du von 'ner ausgiebigen Dusche? Tag abwaschen und so was?“, fragte er lächelnd und mit rauer Stimme.
    Sie grinste ihn schelmisch an. „Sehr viel, trägst du mich?“
    Er lachte auf und schüttelte amüsiert den Kopf. Leonie legte ihm die Arme um den Hals und schob die Beine um seine Hüften. Trotz des zusätzlichen Gewichts stand er auf, zog sie hoch und trug sie ins Bad.      

In dem kleinen, weiß gefliesten Bad stellte er sie ab. Beim Entkleiden ließen sie sich Zeit, küssten und streichelten sich dafür jedoch ausgiebig. Er löste die Reste ihres Dutts und fuhr vorsichtig mit den Händen durch ihre Haare, um sie zu entwirren, während sie sich an seine Brust gekuschelt hatte und sanfte Küsse darauf verteilte.
    Als sämtliche Kleidung ihren Weg auf den Boden gefunden hatte, machte Jarik die Dusche an. Er wartete die paar Sekunden, bis das Wasser warm war, bevor er Leonie hochhob und sie beide unter den Strahl stellte.
    Sie hatten es nicht eilig. Gegenseitig schäumten sie sich ein, wuschen sich die Haare und Jarik massierte Leonies Schultern, die dabei völlig verzückt brummte. Zum Glück konnte das Wasser hier nicht kalt werden.
    Seine Finger glitten über ihre Schlüsselbeine nach vorne und umschlossen ihre Brüste. Sie ließ sich mit dem Rücken an seine Vorderseite sinken, schloss die Augen und lehnte ihren Kopf an seinen Hals. Ihr Ohrläppchen küssend, reizte er ihre Brustwarzen und Leonie stöhnte leise auf. Ihre eigenen Hände wanderten zu seiner Erektion, die er fest an ihre Pobacken gepresst hatte. Er machte ihr etwas Platz und sie umfasste und massierte seinen Penis. Genießerisch brummend, schob er seine Finger zwischen ihre Beine und in sie hinein, sein Daumen umspielte ihre Klitoris.
    Jarik musste sich an der Wand abstützen, als er sich einige Minuten später über ihren Rücken ergoss. Er brauchte ein paar Augenblicke, um sich zu fangen, und widmete sich dann wieder eifrig Leonies Streicheleinheiten. Er hielt sie sicher in seinen Armen, bis auch sie stöhnend in sich zusammensackte.
    Schwer atmend lösten sie sich voneinander und wuschen sich ein zweites Mal gegenseitig, um die Spuren zu beseitigen. Er stellte das Wasser aus und sie verließen die Dusche, um sich abzutrocknen. Ein Handtuch wickelte er um Leonies Haare, die anderen ließen sie einfach auf den Boden fallen.      

Gemeinsam wanderten sie den kurzen Weg zum Bett und legten sich nackt hinein. Jarik zog Leonie mit ihrem Rücken an seine Brust und deckte sie zu. Er kuschelte sich an, legte den Arm um sie und es dauerte nur ein paar Sekunden, bis Leonie eingeschlafen war. Sie musste wirklich völlig erschöpft sein. Jarik beobachtete sie noch einige Minuten, dann schloss er ebenfalls die Augen.
 

***


Leonie gähnte herzhaft, als sie sich am nächsten Morgen, mit der Kaffeetasse in der Hand, auf ihren Stuhl fallen ließ.
    „Na, lange Nacht gehabt?“, fragte Jasmin süffisant grinsend.
    Elins Kopf ruckte hinter ihrem Monitor hoch und sie starrte Leonie neugierig an. „Was hab ich verpasst?“
    „Leo wurde von einem Typen abgeholt, der etwas breiter als David ist und der richtig böse schauen kann.“
    „Der hat doch gar nicht böse geschaut?“ Leonie zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck Kaffee.
    „Was hast du geraucht? Ich mein, er war ja sexy, aber ne Gänsehaut macht er mir trotzdem! Ich hab gedacht, der frisst mich gleich!“, sagte Jasmin und schauderte.
    Verwirrt schaute Elin zwischen den beiden hin und her.
    „Warum?“ Leonie starrte Jasmin verständnislos an.
    „Ernsthaft? Hast du dir den Kerl mal genauer angeschaut? Groß, breit, muskelbepackt und eine Ausstrahlung, da will man sich irgendwo verstecken. So richtig ‚leg dich mit mir an und du wirst es bereuen!‘.“
    Leonie zuckte verlegen mit den Schultern, unrecht hatte Jasmin ja nicht. „Hm. Zu mir ist er nett.“
    „Der ist aber nicht in irgendwelchen grusligen Mafia-Sachen verstrickt, oder?“, fragte Jasmin argwöhnisch.
    Leonie starrte sie einige Sekunden an, dann konnte sie sich nicht mehr halten und fing schallend an zu lachen. Jarik und Mafia, das war der beste Witz des Tages. Hätte er das gehört, er wäre ausgerastet, was Leonie nur noch heftiger kichern ließ, während ihre beiden Kolleginnen sie verständnislos beäugten.      

Leonie brauchte einige Minuten, bis sie sich wieder gefangen hatte, Tränen liefen ihr die Wangen hinunter und sie japste nach Luft. „Alleine die Vorstellung, dass er ..., nope! Voll nicht!“
    Jasmin schüttelte nur irritiert den Kopf, grinste aber. „Manchmal bist du echt komisch. Egal. Bestellst du heute das Büromaterial nach? Ich glaub, die haben es schon wieder geschafft, den Toner für den Farblaser fast leer zu bekommen. Wahrscheinlich wieder zu viele nackte Kerle ausgedruckt.“      

Eine Stunde später lauscht Leonie amüsiert, wie Elin und Jasmin begeistert über eine neue Netflix-Serie „Melodie des Chaos“ plauderten. Es war wohl eine Fantasy-Serie und ging um eine Meerjungfrau und einen Hexerich, die von ihrer Fantasywelt in die reale Welt geworfen worden und nun hier gestrandet waren. Leonie stutzte verwirrt, was war denn ein Hexerich? Kopfschüttelnd ließ sie ihre beiden Kolleginnen weiter schwatzen und ging die Bestelllisten durch.      

In der Mittagspause saßen Elin, Jasmin und Leonie mit einigen anderen in der Kaffeeküche. Leonie hatte sich am Morgen noch eine Lasagne in der Kantine geholt, die sie sich in der Mikrowelle aufgewärmt hatte.
    „Also die komischen UN-Pfosten sind doch jetzt wohl völlig durchgedreht!“, keifte Corinna los, kaum, dass sie sich gesetzt hatte.
    Leonie verdrehte die Augen, konzentrierte sich aber auf ihre Lasagne.
    „Ich meine wie kann man bitte Quentin Hayes so schändlich behandeln? Der Mann ist soo sexy und heiß!“, fuhr sie fort.

Leonie legte die Gabel in die Lasagneschale und musste erst mal durchatmen. Hayes mochte zwar gut aussehend sein, aber eklig war er dennoch.
    „Was werfen die ihm überhaupt vor? Dass er zu gut aussieht oder zu erfolgreich ist?“, quengelte Corinna weiter.
    Dass alle am Tisch ruhig geworden waren, bekam sie nicht mit.
    „Die werden sich schon was dabei gedacht haben, du Hohlbirne“, meckerte Michi los.
    „Nur weil jemand sexy ist, heißt das noch lange nicht, dass er kein Arschloch sein kann“, pflichtete Jasmin ihm bei.
    „Hallo? Ich hab ihn jetzt zweimal zusammen mit Götz Senior getroffen und der Mann ist ein Traum! Höflich, zuvorkommend, elegant, der hat einfach Klasse! Und er ist immer so gut gekleidet!“ Corinna war ins Schwärmen geraten.
    Leonie horchte auf. Das war interessant. „Echt? Wie kommen die beiden denn zusammen?“, fragte sie unschuldig.
    Elin und Jasmin starrten Leonie an, als wäre sie ein Alien.
    „Ach, das eine Mal war letztes Jahr im Sommer auf einem Schiff auf dem Bodensee. Das war ne private Veranstaltung, jede Menge bekannter Businessmänner. Und das Essen war der Hammer.“

Leonie machte sich geistig Notizen, als Corinna ihren Monolog über ihre Begegnungen mit Hayes fortführte. Die anderen unterbrachen sie nicht, da ihre Stimme jetzt wenigstens nicht mehr diesen schrillen Kreischton hatte. Und Corinna war extrem informativ, Intelligence würde sich darüber garantiert sehr freuen.      
„Er hat sogar gesagt, dass ich gerne bei ihm anfangen kann, wenn ich auf Götz keine Lust mehr hab“, sagte Corinna verschwörerisch.    

Leonie konnte sich das Schnauben kaum verkneifen. Sie wusste, dass Hayes auf hübsche Blondinen stand, Jasmin würde ihm ebenfalls gefallen. Nachdem, was sie gehört hatte, war Hayes sich auch nicht zu schade, einige seiner Neuerwerbungen persönlich mit ihrer neuen Lebensrealität bekannt zu machen. Und für Corinna würde er garantiert einen guten Preis bekommen.
    „Na ja, wie auch immer. Mittagspause ist vorbei!“, sagte Jasmin, stand auf und räumte ihr Geschirr in die Spülmaschine.
    Die anderen folgten ihrem Beispiel und einige Minuten später sah die Kaffeeküche wieder aus, als wäre niemand da gewesen.
    Leonie folgte Elin und Jasmin zurück in ihr Büro, aber einige der Namen, die Corinna genannt hatte, hatten ihre Alarmglocken schrillen lassen. Leonie gab sie per Handynachricht an Jelena weiter und hoffte, dass die Anwesenheit gewisser Leute bei diesen Veranstaltungen reiner Zufall gewesen war.

Zwei Wochen nach dem Hayes-Einsatz saß Leonie gähnend auf ihrem Stuhl. Sie starrte ihren Monitor an, der die Abrechnung des Büromaterials anzeigte, die allerdings vorne und hinten nicht passte. Warum hatte sie noch nicht herausgefunden. Leonie seufzte schicksalsergeben und trank einen Schluck Kaffee. In Gedanken ging sie ihren Trainingsplan für den Abend durch: Laufband, eine Runde Zirkel, ... Weiter kam sie nicht, denn sie wurde von Jasmin unterbrochen.      

„Du klingst wieder so hoch motiviert. Was hast du nach Feierabend vor?“, fragte diese und rollte etwas zur Seite, um Leonie direkt anzuschauen.
    „Ach, die Rechnung passt vorne und hinten nicht und ich hab keine Ahnung warum. Aber ich komme noch dahinter, irgendwann.“ Leonie gähnte in ihre Tasse und nahm einen weiteren Schluck, „Und heute Abend das Gleiche wie immer: Sport, Essen, Duschen, Schlafen. Du?“ Jarik ließ sie mit Absicht aus.      

„Du bist doch irre. Und: Mir was Schönes kochen, in der Badewanne rumgammeln und lesen. Beautykur, meine Nägel lackieren und anderen Mädchenkram, von dem du nichts verstehst.“ Sie grinste Leonie breit an, welche amüsiert schnaubte. „Und mich dann in mein Prinzessinnenbett kuscheln und von heroischen Prinzen träumen.“
    „War ja klar. Man könnte glatt meinen, du wärst Barbie“, sagte Elin grinsend.
    Die drei Frauen lachten herzhaft, als Jasmin schwungvoll ihre langen Haare nach hinten warf und affektiert mit den Wimpern klimperte.      

„Hast du Lust, am Wochenende mit uns Feiern zu gehen?“, fragte Elin. „David und Nate kommen auch mit.“ Sie setzte ihren besten Dackelblick auf.
    „Wo wollt ihr denn überhaupt hin? Auf Kinderdisco hab ich keine Nerven ...“, grummelte Leonie.
    „Perkins Park.“ Elin grinste wie ein Honigkuchenpferd und Leonie verdrehte die Augen.
    „Solange ihr nicht versucht, mir irgendeinen Typen anzudrehen.“ Leonie schaute die beiden streng an.
    Jasmin winkte ab. „Nein, einfach einen netten Abend. Nimm deinen geheimnisvollen Mann mit.“ Sie wackelte schelmisch mit den Augenbrauen.
    Leonie prustete in ihre Tasse, verspritze aber zu ihrer Freude nichts von ihrem Kaffee, als sie sich Jarik in der Disco vorstellte. „Oh ja, er wird begeistert sein. Wie wär’s mit Samstag?“ Freitag konnte sie nicht, weil Jarik Geburtstag hatte.
    Jasmin und Elin nickten.
    „Sehr gut, das wird super!“, quietschte Jasmin begeistert und Leonie seufzte. Worauf hatte sie sich nur eingelassen?      

Sie plauderten eine Weile, bis David und Nate auftauchten, um Elin zum Mittagessen abzuholen. Leonie lehnte sich zurück und starrte frustriert den Monitor an. Plötzlich erklang Jariks Stimme in ihrem Ohr. Sie schauderte, erst wohlig, dann wurde ihr kalt.      

„Jarik. Hey Leo, Marc, Toni? Schlechte Nachrichten. Zieht euch an und macht euch bereit, Götz Financials wird wohl gleich angegriffen. Scheinbar ist das jetzt die Rache für Hayes. Was habt ihr an Ausrüstung da?“, fragte er. Er klang wie immer unerschütterlich, aber sie hörte die Dringlichkeit heraus.
    Sie hatte Marc und Toni in den letzten Tagen nicht gesehen, da sie für die Hausverwaltung des gesamten Hauses arbeiteten und nicht direkt bei Götz Financials.      

„Leonie. Öhm und was ist mit hier? Ich hab mein Sturmgewehr, zehn dreißiger Magazine, drei Pistolen mit insgesamt zwanzig Magazinen, meine BodyArmor und zwei normale ballistische Schutzwesten“, antwortete sie unaufgeregt.
    Davids und Nates Köpfe ruckten hoch und die beiden starrten sie angespannt an. Elin und Jasmin blinzelten verwirrt.
    Leonie sprang auf und lief zu ihrem Schrank. Nach der Aktion mit Hayes und der Befürchtung einer Racheaktion, hatte sie einen Safe mit einem Satz Ausrüstung im Büro deponieren lassen. Marc und Toni gaben ebenfalls ihren Status durch.      

„Jarik. Ungefähr zwanzig Angreifer! Fuck, die fahren grad in die Tiefgarage! Zieht euch jetzt an! Scheißt auf eure Cover. Wir kommen! Zehn Minuten! Wie zum Geier sind die uns schon wieder durchgerutscht!?“ Er klang äußerst verärgert und seine Stimme hatte den autoritären Einsatzton angenommen.      

„Leonie. Bin dabei.“ Sie öffnete den Aktenschrank hinter ihr und gab den Blick auf eine schwere Panzertür mit Retina- und Fingerabdruckscanner frei. Sie autorisierte sich mit beidem und zog die Tür auf. Jasmin japste erschrocken.
    „Leo, was soll das werden?“, fragte David verärgert.
     Leonie holte ihre Einsatzkleidung heraus und warf sie auf den Stuhl.
    „Scheint, als ob Hayes’ Kumpels beschlossen haben, Götz auszuräuchern.“
    „Was zur Hölle?“, schimpfte Nate entgeistert.
    Leonie ignorierte ihn „Ich hab für euch je eine Pistole mit acht Magazinen und ne Schutzweste. Angekündigt sind zwanzig Angreifer. Keine Angaben über Bewaffnung oder Ausrüstung. Gehen wir vom Schlimmsten aus. Ich brauche euch als Backup, ihr seid hiermit temporär requiriert.“ Sie legte ihnen die Sachen auf den Tisch.
    „Fuck“, sagten David und Nate im Chor.
    Leonie sah, wie die beiden wissende Blicke austauschten, sie wussten nun ganz genau, zu wem Leonie gehörte.

Flink, und völlig ohne Schamgefühl, schälte sich Leonie aus ihren Klamotten und ließ diese einfach auf den Boden fallen. Die Glock, welche sie normalerweise verdeckt im Steißhalfter trug, packte sie auf den Tisch. Sie stieg in ihre Einsatzkleidung, schnürte die Stiefel und zog ihre BodyArmor an. Zügig schloss sie die Schnallen, die alles an seinem Platz hielten.
    David und Nate zogen sich kopfschüttelnd die beiden Schutzwesten über. Leonie war froh, dass sie wussten, dass jetzt nicht die Zeit für Diskussionen war.
    „Jasmin, Elin, ruft die Kollegen auf dem Flur an. Sie sollen die Türen abschließen und zur Seite gehen“, sagte Leonie beherrscht und band sich ihr Beinholster um.
    Elin schaute zu David, der angespannt nickte und griff dann zum Telefon, um ihre Kollegen anzurufen. Jasmin tat es ihr gleich.      

„Das kann doch nur nen schlechter Scherz sein“, grummelte David.
    „Seh ich aus, als würde ich Witze machen?“, fauchte sie. Sie lud ihre Pistole durch und steckte sie energisch ins Beinholster. Beide Männer zuckten zusammen und schüttelten dann den Kopf.
    „Wir haben beide eigene Pistolen“, sagte Nate und holte seine aus dem Steißholster.
    „Nehmt die nur als Backup, ansonsten wird sie zum Abgleich später konfisziert. Und ich hab für die auf dem Tisch vermutlich mehr Magazine.“
    Besorgt nickend steckte Nate seine Pistole wieder ein und nahm die von Leonie Angebotene. David griff sich die Zweite. Geübt prüften sie die Sicherung und luden eine Kugel in den Lauf. Die Magazine verstauten sie in ihren Westentaschen.
    Elin und Jasmin starrten Leonie verängstigt an. Diese wusste, dass sie in ihrer Ausrüstung ziemlich furchterregend aussah und zuckte entschuldigend mit den Schultern. Sie hängte sich das Sturmgewehr um, der Helm mit dem ballistischen Visier und Mandibel lag noch vor ihr auf dem Tisch.      

„Leonie. Bereit zum Einsatz. Erbitte Erlaubnis für tödlichen Schusswaffeneinsatz“, sagte sie auf Englisch.
    „Basis. Bestätige: Leonie zum Einsatz bereit. Erlaubnis für tödlichen Schusswaffeneinsatz erteilt, gehen Sie auf Nummer sicher“, antwortete der Missionskoordinator. Der Colonel würde vermutlich wie ein Panther neben ihm auf- und abmarschieren und die Video-Feeds beobachten.
    „Leonie. Verstanden. Erlaubnis für tödlichen Schusswaffeneinsatz erhalten. Gehe in Position. Ich hab David Collins und Nate Shepard temporär requiriert.“
    „Basis. Bestätige: Sergeants First Class Collins und Shepard sind temporär requiriert, ich informiere den US-Ansprechpartner. Aufzüge sind unter Kontrolle.“
    Auch Marc und Toni meldeten sich fertig.      

„Leonie. Gehe im ersten Stock in Position. Wie ist euer Status?“ Sie war nun voll fokussiert.
    „Toni. Bin in der Lobby in Position. Haupteingang ist dicht, nur der Weg zum Treppenhaus ist noch offen.“
    „Marc. Sitze zwischen dem zweiten und dritten Stock im Treppenhaus.“ Er schnaubte.
    „Leonie. Ich hoffe, du hast da vernünftige Deckung, Marc.“
    „Marc. Sollte passen.“
    „Basis. Schließe alle anderen Zugänge, offen bleiben die Lobby und der erste Stock.“
    „Leonie. Verstanden. Passt auf euch auf, Jungs“, sagte sie angespannt, setzte ihre Sturmhaube und den Helm auf und schloss das Visier. Sie verließ das Büro, mit der Waffe im Anschlag und David und Nate im Schlepptau.      
    „Ihr auch, Tür abschließen und dann seitlich weg davon. Nicht aufmachen, bevor wir Entwarnung geben!“, wies sie Elin und Jasmin an, die eifrig nickten und dem Befehl nachkamen.      

Sie hetzten den Gang entlang, um zur Kaffeeküche zu kommen. Diese war an der Ecke des Flurs und Leonie wusste, dass die Position ihnen Deckung und einen strategischen Vorteil geben würde. Von dort hatten sie die Tür zum Treppenhaus bestens im Blick.
    Leonie war erleichtert, dass der Flur leer war, dank der Pfingstferien war zum Glück kaum jemand da. Sie kniete sich an die Ecke der Kaffeeküche, David ihr gegenüber, wo der Gang zu ihrem Büro hin abknickte, und Nate hatte sich neben ihr hinter der Küchentheke verschanzt. Das war für Nate nicht die beste Position, da er nur einen schmalen Winkel abdecken konnte, aber besser als nichts.      

Kaum saßen sie, ging die Tür zum Treppenhaus auf und der erste Bewaffnete schob sich vorsichtig in den Gang. Seine abgewetzte Weste war nur mittlerer Schutzklasse und die Kalaschnikow, die er in der Hand hatte, sah reichlich ramponiert aus. Er trug Jeans, aus deren Tasche zwei Magazine schauten, kein Beinholster, ein T-Shirt und eine Sturmhaube. Keinesfalls professionell, sie atmete auf.      

Leonie bedeutete David und Nate mit einem Handzeichen zu warten. „Ihr schießt nur, falls ich nicht mehr kann“, flüsterte sie und schaute sie streng an.
    Die beiden sahen nicht glücklich aus, nickten jedoch. Zur Passivität verdonnert zu werden widersprach ihrem Wesen, aber sie waren wirklich nur als Backup gedacht. Leonie entsicherte ihr Sturmgewehr und zielte auf den Mann im Flur, der sie zum Glück noch nicht entdeckt hatte.
    „Leonie. In Position. Ein Ziel in Sicht. Halte Feuer, warte auf mehr“, teilte sie der Basis und ihren Kameraden leise mit. „Mittlere Weste, ranzige AK, keine Profis“, ergänzte sie.      
    „Jarik. Verstanden. Ankunft Backup in fünf Minuten.“

Drei weitere vermummte Gestalten, mit ebenfalls räudiger Ausrüstung, traten in den Flur. Leonie stellte ihr Gewehr auf Einzelfeuer und zielte sorgfältig auf die Köpfe. Die Westen würden unter Umständen einer ihrer Kugeln standhalten. Sie wollte jedoch niemandem eine Gelegenheit geben, zurückzufeuern. Nachdem die Tür hinter ihnen zugefallen war, drückte Leonie ab. Einige Sekunden später, lagen die vier Männer mit Kopfschüssen tot im Gang. Sie waren chancenlos gewesen. Allerdings wurde die Theke neben ihr von zwei neuen Löchern verziert, da einer es geschafft hatte, zurückzuschießen. Leonie lehnte sich etwas aus der Deckung, um sich die Sauerei anzuschauen. Ihre Begleiter taten es ihr gleich und nickten anerkennend. David hielt den Daumen hoch und entspannte sich etwas.      

„Leonie. Erster Stock: Vier Angreifer ausgeschaltet“, sagte sie kühl und sicherte ihr Gewehr vorerst wieder, hatte es aber weiterhin auf die Tür gerichtet.
    „Toni. Lobby: Zwei Angreifer ausgeschaltet. Bestätige ranzige AKs und mittlere Westen.“
    „Marc. Treppenhaus vierter Stock: Drei Angreifer ausgeschaltet, mindestens zwei auf der Flucht.“ Er klang angespannt.
    „Jarik. Verstanden. Neun der zwanzig Angreifer am Boden. Ankunft Backup: Drei Minuten. Position halten! Nicht nachsetzen!“, befahl er.      

Marc grummelte kurz weiter, sagte aber nichts mehr. Leonie hörte Gebrüll und Schüsse aus dem Treppenhaus und entsicherte ihre Waffe wieder. Eine Minute später wurde die Tür aufgerissen und ein Mann in deutlich besserer Ausrüstung schaute in den Flur. Er hatte eine tadellos aussehende MP5-Maschinenpistole und eine Weste höherer Schutzklasse, zudem ein Beinholster, in dem eine Pistole steckte. Leonie seufzte, das würde ihm nicht helfen. Wie seine Kollegen zuvor, hatte er nur eine Sturmhaube übergezogen. Sie zielte auf seinen Kopf und feuerte. Er brach zusammen und blockierte die Tür, sodass sie nicht mehr zufallen konnte.      

„Leonie. Ein weiterer Angreifer am Boden, deutlich besser ausgerüstet. Schwere Weste und MP5“, teilte sie mit. David und Nate tauschten besorgte Blicke.
    „Jarik. Ankunft Backup: Eine Minute!“ Leonie zählte in Gedanken die Sekunden herunter. Sie konnte leise das Wummern der Mevac-Rotoren hören, welches immer lauter wurde. Bei vier meldete er sich wieder: „Jarik. Backup eingetroffen. Kommen jetzt von oben rein.“      

Keine zehn Sekunden später hörte sie die ersten Schüsse von oben aus dem Treppenhaus.
    „Hey ihr zwei, Backup ist da“, sagte Leonie zu David und Nate und klappte ihr Visier hoch.
    „Wofür brauchst du Backup?“, fragte Nate und zwinkerte ihr zu.
    Sie schnaubte belustigt.      

Als Jarik nach weiteren zwei Minuten in den Flur trat und über den dort liegenden Mann und die Blutlache hinwegstieg, senkte sie ihr Gewehr und ging ihm entgegen. Jarik hatte zusätzlich zur BodyArmor ebenfalls einen geschlossenen Helm an, sodass sie sein Gesicht nicht sehen konnte, seine Bewegungen waren ihr jedoch bestens vertraut. Er klappte das abgedunkelte Visier hoch und sie sah seine Erleichterung. Sie erreichte ihn und er zog sie, soweit es mit den Westen möglich war, in seine Arme. Jarik legte seinen Kopf auf ihrem Helm ab und drückte sie fest an sich. Im Flur knallte es mehrfach und über den Funk plätscherten permanent Statusupdates herein.      

„Hey Leo“, sagte er leise. Dann schaute er auf die vier toten Angreifer vor sich. Hinter ihm räumte grade ein Guard den Mann aus dem Türbereich und nahm dessen Waffen an sich. Leonie hob grüßend die Hand und erhielt zur Antwort ein Nicken.
    Jarik sah sich um und betrachtete die unappetitlichen Flecken an der Wand und auf dem Boden.
    „Das nenn ich gründlich.“
    Ungerührt inspizierte er die Toten und zog ihnen die Sturmhauben vom Gesicht.
    „Und wie immer perfekt getroffen“, sagte er lobend, als er die meisterhaft zentrierten Schusswunden sah.
    Mit seinem Handy fotografierte er die Eindringlinge und schickte die Bilder direkt zu den Analysten in die Zentrale.      

„Gian. Gebäude gesichert. Fünfzehn Angreifer ausgeschaltet. Neun Gefangene, vier davon verwundet. Die anderen bringen sie zu den Autos runter, ich kümmer mich um Marc“, hörten beide über den Funk. Draußen wurden die Sirenen immer lauter.
    „Leonie. Was ist mit Marc?“, fragte sie besorgt.
    „Hat zwei in die Weste bekommen, aber er sollte okay sein“, maulte Gian.
    Sie rieb sich übers Gesicht. „Leonie. Scheiße! Und ich sag noch, such dir vernünftig Deckung.“
    „Marc. Alles gut, nur ein paar blaue Flecken“, grummelte er.
    „Leonie. Strafe muss sein!“ Sie atmete durch, um sich zu beruhigen. Das hätte durchaus auch anders ausgehen können.      

Jarik richtete sie auf und zwinkerte ihr zu. „Wir dürfen Götz Senior und Daniel Keller gleich mit einkassieren, ich nehme an, du willst mit?“
    Leonie nickte eifrig. „Keller? Aber so was von! Der ist auch ein Arschloch wie Götz. Und als rechte Hand ist der vermutlich genauso verwickelt.“
    Gemeinsam stiefelten sie die Treppe hinauf. Eine Etage weiter oben trafen sie auf Marc und Gian, die von zwei Guards bewacht wurden. Marc saß mit blankem Oberkörper an die Wand gelehnt da und Leonie erschauderte beim Anblick des großen Hämatoms auf seiner Brust, das bereits sichtbar wurde.
    „Hey. Ich vermute, es ist nur geprellt, aber er wird ein paar Tage Spaß dran haben. Geht ihr Götz einsammeln?“ Gian schaute sie fragend an, zog sich die Latexhandschuhe aus und schnappte sich seine Erste Hilfe-Tasche.
    „Jap, willst du auch mit?“, fragte Jarik schmunzelnd.
    „Aber hallo. Das lass ich mir doch nicht entgehen!“ Gian grinste. „Und die doofe Socke hier schafft’s auch paar Minuten ohne mich. Und glaub erst gar nicht, dass du mitdarfst!“ Er funkelte Marc böse an, der abwehrend die Hände hob und den Kopf hängen ließ.
    „Na dann, auf, auf!“, sagte Jarik und zu dritt stapften sie die restlichen zwei Stockwerke nach oben, wo der Rest des Teams vor der verschlossenen Tür bereits auf sie wartete.
    „Ich hab ne Schlüsselkarte, ihr braucht also keine Sauerei machen!“, sagte Leonie und hielt die Karte an den Leser.
    Toni zog die Tür auf und ließ die anderen passieren. Jarik ging mit erhobenem Sturmgewehr voran, Cam folgte ihm mit Merita, die fröhlich mit dem Schwanz wedelte. Der Rest des Teams hatte die Waffen auf den Boden gerichtet und gingen hinterher, wobei Rico und Toni sie nach hinten absicherten.      

Vor Hans Götz’ geschlossener Bürotür blieben sie stehen und teilten sich auf. Aven, Rico und Toni bogen zu Kellers Büro ab und postierten sich vor dessen Tür. Cam löste Meritas Leine und packte sie fest am Halsband. Leonie schob sich, mit der gezückten Zugangskarte, an Jarik vorbei. Dieser hob die Hand, damit sie alle sehen konnten, und zählte mit den Fingern runter.
    Bei eins hielt sie die Karte an den Leser, griff bei null an die Klinke und gab der Tür einen kräftigen Schubs. Jarik war der Erste im Zimmer, Fee folgte direkt dahinter. Parallel dazu hatte Toni Kellers Tür geöffnet und Aven und Rico hatten dessen Büro gestürmt.

Götz Senior schien allerdings mit unangenehmem Besuch gerechnet zu haben und hatte sich hinter seinem Schreibtisch verschanzt. Corinna hatte er wie einen Schutzschild vor sich geschoben und hielt ihr ein Messer an den Hals. Ihre schlanke Gestalt konnte Götz’ Massen nicht verdecken, von daher war Leonie nicht klar, was er sich davon erhoffte.
    Leonie sicherte ihr Sturmgewehr und betrat seufzend den Raum. Gian, Rico, Toni und Cam blieben mit Merita im Gang. Der Rest hatte die Gewehre weiterhin auf Götz gerichtet, die Finger aber nicht direkt am Abzug.
    „Gehen Sie weg oder ich stech sie ab!“, keifte Götz. Sein Gesicht war rot und seine Hand zitterte leicht.

Leonie trat an ihren Kollegen vorbei und nahm den Helm ab. „Herr Götz, wir wollen Ihnen doch nur einige Fragen stellen. Ersparen Sie sich und uns den Stress. Lassen Sie Frau Maier gehen und machen sich das Leben nicht selbst schwer.“
    „Ich hab gar nix gemacht! Hauen Sie ab!“ Schweißperlen bildeten sich auf Götz’ Gesicht und das Messer drückte sich fester an Corinnas Haut.

Corinna war kreidebleich und zitterte am ganzen Körper. Von ihrem Hals lief ein dünnes Rinnsal Blut hinunter und verschwand im Ausschnitt ihrer weißen Bluse, wo sich langsam ein roter Fleck bildete.
    „Herr Götz. Wir wollen Ihnen wirklich nur ein paar Fragen stellen.“ Leonie gab ihrem Team das Zeichen, die Waffen etwas herunter zu nehmen, um die Situation zu entschärfen.
    Jarik schaute sie an und senkte auf ihr Nicken hin gehorsam das Gewehr, die anderen taten es ihm gleich.
    „Lassen Sie mich in Ruhe! Hauen Sie ab! Verpissen sie sich!“ Er war aufgebrachter, als sie erwartet hatten, und schwitzte stark.

Leonie schaute unglücklich zu Jarik und dann zu Corinna, welche sie mit aufgerissenen Augen anstarrte. Auch Jarik nahm den Helm und legte ihn auf den Besucherstuhl vor dem Schreibtisch.
    „Herr Götz, ich bitte Sie. Lassen Sie Frau Maier laufen, ihnen passiert nichts“, sagte Jarik angespannt.
    Verhandlungen waren Juliens Stärke gewesen und Leonie hörte Jarik die Frustration an. Sie brauchten Götz dringend, ihn einfach zu erschießen war also nur das Mittel letzter Wahl. Jarik hängte sich das Sturmgewehr auf den Rücken und sicherte es dort, um die Hände frei zu haben. Falls Götz irgendwas machen würde, würde Fee sich um ihn kümmern.

Jarik probierte noch einige Minuten, Götz zur Aufgabe zu bewegen, aber ihnen war allen klar, dass sie nicht weiterkamen. Er wurde immer aufgebrachter und das Rinnsal an Corinnas Hals war größer geworden, da Götz sie in seiner Rage weiter verletzt hatte.
    Jarik hatte sich in der Zeit langsam um den Schreibtisch herumbewegt und nun freie Bahn. Er gab Leonie das Zeichen dafür, dass er gleich losschlagen würde. Es war riskant, aber schien ihre einzige Möglichkeit zu sein. Sie antwortete mit dem Verstanden- und dem Ablenkungs-Zeichen.
    „Herr Götz, ich würde mich wirklich gern um Frau Maier kümmern“, sagte Leonie, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.      

Aber sie hatten zu lange gewartet. Bevor Jarik bei ihm war, hatte Götz das Messer tief in Corinnas Hals gerammt. Jariks Griff um Götz’ Handgelenk ließ dies mit einem grauenhaften Knirschen brechen und er gab das Messer frei.
    Götz’ kreischte vor Schmerzen und taumelte gegen die Wand hinter ihm, während Jarik Corinna in Leonies Richtung schubste. Er griff nach Götz, trat ihm die Beine unter dem Körper weg und kniete auf dessen Rücken, kaum dass dieser mit einem dumpfen Aufschlag auf dem Bauch gelandet war.      

Leonie zog Corinna nach von Götz weg und in Richtung Gian, der in diesem Moment durch die Tür kam. Als hätte er es geahnt, hatte er seine Einsatzhandschuhe bereits gegen die Latexvariante getauscht und seine Erste Hilfe Tasche geöffnet. Er half Leonie, die hyperventilierende Corinna auf den Boden zu legen und versuchte, die Blutung an ihrem Hals zu stoppen.
    Leonie blieb nicht viel mehr, als Corinnas Hand zu halten, während diese sie angsterfüllt anschaute. Aber Gian hatte keinen Erfolg, die Verletzung war zu schwerwiegend, sie verlor viel zu viel Blut. Corinnas hektischer Atmen stockte und verebbte dann ganz. Gian und Leonie schluckten beide, als Corinna nun blicklos Richtung Decke starrte.      

Hinter ihnen heulte und kreischte Götz weiter herum. Leonie war froh, gerade nicht in Gians Haut zu stecken. Dieser stand mit zusammengebissenen Zähnen auf und stakste zu Götz’, um dessen Handgelenk zu schienen. Leonie wusste, dass sich alles in ihm dagegen sträubte, aber er war Medic und in ihrem Job hatten Gefühle keinen Platz. Jarik brauchte allerdings die Hilfe von Aven und Toni, die zwischenzeitlich hereingekommen waren, um den tobenden Mann soweit still zu halten, damit Gian seine Arbeit machen konnte. Er gab sich jedoch keine Mühe, besonders vorsichtig zu sein, sondern erledigte seinen Job schnell und effizient.      

Als Gian fertig war, winkte Jarik die Guards ins Zimmer, die bereits im Flur gewartet hatten. Leonie zog die blutbesudelten Handschuhe aus und stopfte sie dankbar in einen Beutel, den ihr einer der Guards hinhielt. Sie musterte ihre Hände, diese waren aber zum Glück sauber geblieben. Das Team räumte das Zimmer und überließ den Guards und Intelligence das Feld. Daniel Keller war nicht in seinem Büro gewesen. Somit hatten sie nur Götz Senior festnehmen können. Gian hatte Fee, die den Kopf hängen ließ, den Arm um die Schultern gelegt und redete beruhigend auf sie ein.

Im Flur schlug Jarik vor Wut brüllend gegen die Wand und hinterließ ein Loch darin. Leonie trat zu ihm, streichelte ihm über den Arm und zog seine Hand aus der bröseligen Gipskartonplatte. Er drückte sie an sich und lehnte seine Stirn an ihre.
    „Komm, lass uns runtergehen und schauen, dass wir hier wegkommen“, sagte sie leise.
    Jarik nickte angespannt. „Ich hoffe, wir finden nicht noch mehr unliebsame Überraschungen“, murrte er und folgte ihr in Richtung Treppenhaus.

Schweigend und frustriert stapfte das Team die Treppen nach unten. Sie sammelten Marc ein, der mittlerweile sein T-Shirt wieder anhatte. Gemeinsam ging es in den ersten Stock, in dem Guards und Intelligence ebenfalls ausgeschwärmt waren. Sie steuerten die Kaffeeküche an, wo sich Jarik und Leonie an die Wand lehnten. Gian half Marc, sich hinzusetzen, der Rest ließ sich auf die Stühle fallen. Sie zogen die Helme aus und legten sie vor sich auf den Tisch. Die Sturmhauben behielten sie auf.
    Ein Teamleiter der Guards kam auf Leonie und Jarik zu. Er nickte grüßend, als er sie erreichte, und sie erwiderten die Geste. Dank ihres HUDs wusste Leonie, dass er Simon Weber hieß. Er trug, wie alle anderen auch, nur sein Rangabzeichen und die Teamnummer, aber kein Namensschild an der grau gemusterten Einsatzuniform.
    „Captains, wir haben erst mal alle in den Zimmern festgesetzt. Collins und Shepard wurden ins Büro von Miss Hoffmann und Miss Marquardt gebracht. Die Colonels wollen, dass wir alle vier zum Debrief mit zurück in die Basis bringen. Soll ich sie holen?“
    „Danke, aber das mach ich lieber selber. Ich möchte nicht, dass sie das Gefühl bekommen, was falsch gemacht zu haben“, sagte Leonie.
    „Wie du willst, in der Tiefgarage warten vier Autos auf euch. Ich geh’ dann mal die Wunschliste der Colonels für die Befragungen einsacken.“ Simon nickte ihnen zu und verschwand im Gang.
    Sie legte ihr Sturmgewehr vor Aven auf den Tisch, drehte sich dann besorgt zu Jarik um und musterte ihn kritisch. „Kann ich dich alleine lassen, ohne dass du was zerlegst?“
    Jarik schaute sie mit zusammengekniffenen Augen an und hob dann abwehrend die Hände. „Versprochen“, murrte er.
    Leonie nickte nachdenklich und klopfte ihm mit der flachen Hand auf die Brust. „Bis gleich.“      

Neben der Bürotür standen zwei Guards in voller Montur und Bewaffnung Wache.
    Leonie schüttelte seufzend den Kopf, sagte aber nichts. Als ob die vier einfach weglaufen würden. Einer der beiden öffnete ihr die Tür und sie nickte ihm dankend zu.
    „Hey ihr, alles gut?“, fragte Leonie.
    Nate und David saßen aneinandergelehnt auf dem kleinen Sofa neben Elins Schreibtisch. Elin saß auf den Oberschenkeln der beiden und hatte ihren Kopf an Nates Hals geschmiegt.
    Jasmin kauerte neben David, der ihr den Arm um die Schultern gelegt hatte, und hielt Elins Hand. Beide Frauen waren kreidebleich und sichtlich aufgelöst.
    „Leo, was geht hier ab?“, fragte Jasmin verunsichert.
    Leonie lehnte sich an Elins Schreibtisch und seufzte. „Da wollte jemand Götz Senior ne Lektion erteilen.“
    „Aber warum?“, schniefte Jasmin.
    Leonie zuckte schmunzelnd mit den Schultern. „Weil er sich mit Arschlöchern eingelassen hat, da kommt so was leider vor.“
    „Was hast du damit zu tun? Und warum hast du solche Sachen im Schrank?“ Elin zeigte auf Leonies grau-gemusterte Einsatzuniform, die sie aussehen ließ, als wäre sie einem Action-Film entsprungen.
    „Kleines, Leonie macht was Ähnliches wie Nate und ich“, sagte David.
    „Heißt das, dass du auch nix sagen kannst?“, fragte Elin und rümpfte die Nase.
    Leonie nickte verdrießlich. „Sorry. Nur, dass die Situation unter Kontrolle ist. Ich muss euch aber für ein Debrief mit zur Basis nehmen. Ich lasse euch drüben aber erst mal Essen organisieren. Nach dem Debrief habt ihr zwei“, sie zeigte auf David und Nate, „dann noch ein Date mit dem Doc.“
    Die beiden Männer schauten sie fragend an. „Wofür zum Doc? Wir haben doch nix gemacht.“
    „Auf die Couch. Und wir müssen nach nem Einsatz alle dahin. Spart euch den Protest.“ Leonie zuckte mit den Schultern.
    „Warte. Du willst mir sagen, dass ihr nach jedem Einsatz zum Psychodoc müsst? Warum?“ Nate schaute sie verwundert an.
    Leonie schmunzelte. „Im Gegensatz zu anderen Vereinen liegt unserem was an seinem Personal. Und ich würde Elin und Jasmin auch gerne hinschicken, während ihr beim Debrief seid.“
    „Meh, Psychotypen“, grummelte David.
    Elin streichelte ihm übers Gesicht. „Wenn ihr geht, geh ich auch hin.“
    Er starrte sie mürrisch an, nickte dann aber. Leonie musste lächeln, Elin wusste genau, wie sie ihre beiden Männer zu händeln hatte.
    „Dann los. Packt, was ihr braucht, und auf gehts.“
    Leonie half Jasmin, ihre Sachen zusammenzusuchen, während David und Nate Elin unterstützten. Nachdem sie alles hatten, gingen die vier mit Leonie zur Kaffeeküche. Die beiden Guards folgten ihnen mit etwas Abstand.      

„Wir können los“, sagte Leonie, als sie in die Kaffeeküche kamen, und löste damit reges Treiben aus. Ihr immer noch vermummtes Team sammelte die Helme vom Tisch und setzte sie auf. Aven reichte Leonie ihr Gewehr und sie hängte es sich um. Um zumindest beim Rest der Firma anonym zu bleiben, zog sie sich die Sturmhaube über.
    Elin und Jasmin drängten sich beim Anblick der Meute verängstigt zusammen. David und Nate waren, vermutlich weil sie die Einzigen ohne Waffen waren, aufmerksam und angespannt, aber ruhig und nahmen die beiden Frauen zwischen sich in die Mitte.      

Simon, der Guard-Teamleiter, mit dem sie zuvor schon gesprochen hatten, kam mit zwei Privates im Schlepptau auf sie zugeeilt.
    „Captains, wir haben die restliche Chefetage eingesammelt und auf den Weg geschickt. Benjamin Götz hat gefragt, ob wir die Mitarbeiter zügig rausgeleiten und ihnen sagen können, dass sie den Rest der Woche frei haben. Er meinte, dass du bestimmt nix dagegen hast?“
    Leonie nickte. „Könnt ihr machen, sobald alle befragt sind und Gelegenheit hatten, mit ’nem Doc zu quatschen. Checkt alles durch, Unterlagen, Notebooks und Firmenhandys bleiben hier.“ Sie überlegte kurz. „Elin, was brauchst du, um uns vollen Zugriff auf die Server hier zu geben? Soweit ich weiß, haben es die Techies nur teilweise reingeschafft.“
    Elin starrte sie überrumpelt an. „Wie jetzt? Ich kann doch nicht ...“
    „Junior wird nix dagegen haben, das kann er dir dann aber später selbst sagen. Ich muss nur wissen, ob du was von hier dafür mitnehmen musst.“
    „Mein Notebook und die VPN-Tokens, aber die hab ich in der Tasche“, sagte Elin.
    „Okay, dann können wir los. Du koordinierst den Rest?“, fragte Leonie Simon.
    „Ja, Ma’am. Wir sammeln alles ein und bringen es rüber.“
    „Danke. Und falls euch wer komisch vorkommt, sackt ihn ein. Bis später.“
    Simon nickte ihnen zu und stapfte mit seinen beiden Privates und den zwei Guards, welche die vier im Büro bewacht hatten, den Gang hinunter.      

Das Team nahm David, Elin, Jasmin und Nate in die Mitte, als sie die Treppen zur Tiefgarage hinunter stiegen.
    Jemand war bereits fleißig gewesen und hatte das meiste Blut weggewischt. Nur hier und da konnte Leonie noch einige Schlieren und Spritzer auf dem Boden und an den Wänden sehen. Dafür stapelten sich überall Kisten mit Unterlagen, die Intelligence beschlagnahmt hatte.      
    Unten angekommen, wurden sie von mehreren Guards erwartet, die an einigen schwarzen Minibussen lehnten. Die für sie vorgesehenen Fahrzeuge hatten jedoch nur vier Sitzplätze hinten, sodass sie sich aufteilen mussten.
    Nach einer kurzen und etwas emotionalen Debatte einigten sie sich darauf, dass Elin und Jasmin mit Leonie und David und Nate mit Rico und Toni fahren würden. Jarik würde mit Gian und Marc den dritten Bus nehmen, Aven, Cam, Fee und Merita den vierten.      

Leonie drehte sich um, als es hinter ihr plätscherte. Amüsiert starrte sie Merita an, die sich grade neben Götz Seniors Sportflitzer erleichterte. Trotz der Sturmhaube konnte Leonie Cams breites Grinsen bestens erkennen.
    „Ernsthaft?“, fragte sie.
    Cam hob abwehrend die Hände. „Was denn? Sie musste mal.“
    „Hmhm, und du wusstest natürlich nicht, dass das Seniors Wagen ist.“
    „Was? Oh nein, wie ungeschickt von mir“, sagte Cam theatralisch und schnaubte dann. „Schade, dass sie ein Mädchen ist.“
    Leonie seufzte. „Ab ins Auto, ich will hier einfach nur noch weg. Ihr macht mich fertig.“
    Sie ließ Elin und Jasmin vor sich einsteigen, nahm den Sitzplatz mit Rücken zur Fahrtrichtung und zog sich die Sturmhaube wieder vom Kopf. Auch die anderen verteilten sich auf die Autos und ließen sich von den Guards zur Basis chauffieren. Elin und Jasmin waren nachdenklich und ruhig, was Leonie ein wenig Sorgen machte.      

Bei der Ankunft wartete Jarik nicht, bis alle ausgestiegen waren, sondern stürmte direkt in Richtung Sporthallen davon. David, Elin, Jasmin und Nate kletterten als Letztes aus den Fahrzeugen und schauten sich neugierig auf dem Parkplatz um. Außer Autos, jeder Menge Grünzeug und dem großen Besucherzentrum war jedoch nicht viel zu sehen.
    Gian überlegte kurz, seufzte genervt und übergab Marc an Toni und Rico. Zusammen mit Aven eilte er hinter ihrem übel gelaunten Chef her.
    Mays, die auf dem Parkplatz auf sie gewartet hatte, starrte den dreien irritiert nach und schaute dann fragend zu Leonie.
    „Colonel.“ Sie nickte Mays höflich zu. „Schlechte Laune. Aber der kriegt sich schon wieder ein.“
    „Männer, dass die immer so empfindlich sein müssen“, murmelte Mays leise und verdrehte die Augen.
    Leonie nickte grinsend und gab ihr Gewehr an Fee, die ihre Hand danach ausgestreckt hatte, ihre Weste wanderte zu Rico. „Bringt bitte Meister ‚Ich brauche keine Deckung‘ in die Krankenstation und seht dann zu, dass ihr was zu essen bekommt. Und bringt den Babysittern auch was vorbei!“ Ihr Team nickte nur und stapfte davon.      

„Willkommen bei der UNSF. Miss Hoffmann, Miss Marquardt, Sergeants. Es tut mir leid, dass Sie in die ganze Sache verwickelt worden sind. Ich möchte Ihnen versichern, dass Sie hier nichts zu befürchten haben. Reine Standardprozedur.“ Mays lächelte die Vier an, die nur nickten, und drehte sich dann zu Leonie. „Captain, Sie können erst mal in die Besucherkantine. Melden Sie sich, wenn Sie fertig sind, es wurde alles für das Debrief vorbereitet. Aber bitte keine Eile, Sie hatten heute schon genug Stress.“ Mays lächelte Elin und Jasmin entschuldigend an.
    „Danke, Colonel.“ Leonie nickte Mays zu. „Dann kommt, ich hab Hunger“, sagte sie zu den vieren.      

Sie folgten Leonie in das große Besucherzentrum, das direkt am Parkplatz gelegen war. Mit dem Aufzug fuhren sie ins oberste Stockwerk, in dem sich die Kantine und eine große Dachterrasse mit Ausblick auf den Stuttgarter Flughafen befand.
    Nach dem Essen ging es in den zweiten Stock, wo sie aufgeteilt wurden. Auf Elin und Jasmin warteten zwei Psychologen, auf David und Nate Colonel Mays mit Detective Misova. Leonie übergab die Vier und versprach, noch mal vorbei zu kommen, bevor sie gehen würden.
    Sie stieg die Treppen zwei Stockwerke höher. Dort angekommen, fragte sie einen der wachhabenden Guards nach Benny, er nannte ihr die Raumnummer.
    Benny stand am Fenster und schaute zu ihr, als sie den kleinen, aber freundlich gestalteten Raum betrat, in den man ihn gebracht hatte.
    „Hey, alles gut? Brauchst du was?“, fragte sie und ging auf ihn zu, um ihn zu umarmen.
    Er erwiderte die Geste und lächelte sie an. „Nein. Ich hab Wasser und Essen bekommen, aufs Klo durfte ich auch schon, also alles gut. Die Stühle könnten etwas bequemer sein und mir ist langweilig, aber dafür trete ich meinem Erzeuger in den Hintern, falls ich ihn noch mal sehen muss.“
    „Sorry. Aber da wirst du dich hintenan stellen müssen.“ Sie setzte sich an den kleinen Besprechungstisch, er ließ sich ihr gegenüber nieder.      

Die Tür zum Raum ging auf und ein, ihr unbekannter, junger Intelligence-Corporal betrat den Raum. „Captain“, sagte er und nickte ihr höflich zu.
    „Detective“, erwiderte sie die Geste, stand aber nicht auf.
    Er musterte sie kurz und setzte sich dann neben sie.
    „Ich bin Detective Roth, Herr Götz“, sagte er freundlich.
    „Ich würde Ben oder Junior bevorzugen, falls es keine Umstände macht.“ Benny lächelte freudlos.
    „Natürlich, Ben, wie Sie möchten. Ich nehme an, du willst dabei bleiben, Captain?“
    Leonie nickte stumm. Der Detective fasste die Geschehnisse des Tages für Benny zusammen. Als er von Corinnas Tod berichtete, erbleichte Benny deutlich und Leonie nahm seine Hand.
    „Warum tut der Arsch so was?“, flüsterte Benny entsetzt.
    „Ich weiß es nicht, Benny. Aber ich hatte den Eindruck, dass er komplett neben sich stand, würde mich nicht wundern, wenn er high war.“ Leonie streichelte mit dem Daumen über seinen Handrücken.
    Benny starrte sie mit großen Augen an. „Du warst dabei? Oh mein Gott. Sorry!“, stammelte er. Fahrig stand er auf und kam um den Tisch herum, um sie in den Arm zu nehmen.
    Leonie drückte ihn fest an sich und streichelte ihm beruhigend über den Rücken. „Alles gut, Benny. Mach dir um mich keine Gedanken.“
    „Aber ...“ Er brach ab und sie drückte ihn ein Stück von sich weg, um sein Gesicht zwischen ihre Hände zu nehmen.
    Sie lächelte ihn traurig an. „Benny, mein Job ist nicht schön. Das war nicht das erste und nicht das letzte Mal, dass so was passiert. Wenn du was für mich tun willst, hilf Detective Roth dabei, deinen Vater und den ganzen Dreck dahinter ein für alle Mal aus dem Verkehr zu ziehen.“
    Benny nickte. „Darauf kannst du wetten, sag mir, was du brauchst und du bekommst es. Aber das stand nie zur Debatte.“ Er setzte sich zurück auf seinen Stuhl.
    Leonie lehnte sich dagegen ans Fenster. „Ich weiß und ich habe nie daran gezweifelt. Du hast mich reingelassen, obwohl du wusstest, dass da mehr dahinter steckt.“ Warmherzig lächelte sie ihn an.
    „Nicht obwohl. Weil ich weiß, was du machst und nicht ohne Grund zu mir gekommen bist. Du hättest auch einfach fragen können“, grummelte Benny.
    Leonie schmunzelte. „Weiß ich. Aber wir wussten nicht, ob dein Vater dich überwacht. Es wäre viel zu auffällig gewesen, wenn du Elin angewiesen hättest, irgendwem Zugang zu geben. Apropos, wir brauchen vollen Zugang zu allen Unterlagen und den Servern. Und Elin traut sich nicht, uns ohne deine Zustimmung reinzulassen.“
    „Kein Thema. Willst du was Schriftliches oder soll ich sie anrufen?“, fragte er.
    „Du kannst es ihr gleich selbst sagen. Sie und Jasmin sind beide unten.“
    „Aber warum das?“, fragte er verwirrt.
    „Weil sie mich direkt mit der UNSF verbinden können, zwar mit einem falschen Namen, aber trotzdem. Elins Mitbewohner sind auch da, die waren grade im Büro, als der Überfall kam.“ Sie seufzte. „Dir brauch ich ja nicht erzählen, dass du von mir nichts weißt, du hast die passenden Unterlagen schon unterschrieben.“
    Benny nickte nachdenklich.
    „Ich würd ihn dann gerne kurz mit runternehmen, damit die anderen heimkönnen. Danach gehört er wieder ganz dir, Detective.“
    „Wie du willst, Captain“, sagte Detective Roth und zuckte mit den Schultern.
    Gemeinsam machten sie sich auf den Weg nach unten, um sich mit den anderen zu treffen. Sie mussten ein paar Minuten warten, bis sich alle in einem der etwas größeren Besprechungsräume eingefunden hatten.      

Leonie wollte sich grade neben Elin setzen, da kam Aven in den Raum geplatzt. Er hatte seine Sturmhaube wieder angezogen. Leonie stand auf und ging eilig zu ihm.
    „Sorry, wenn ich störe. Aber ich glaub, du solltest nach ihm schauen“, sagte er leise.
    Leonie verzog das Gesicht. „Wo ist er?“
    „Julien.“ Was sie von Avens Mimik sehen konnte, drückte Besorgnis aus.
    „Fuck.“ Sie drehte sich zu den anderen um. „Ich muss mal eben was erledigen, ich hoffe, es dauert nicht allzu lange. Elin, du kannst ja schon mal einem der Techies die Zugänge geben. Falls ihr irgendwas braucht, sagt den Guards Bescheid.“
    Sie wartete nicht auf eine Antwort, sondern sprintete in Richtung des Friedhofs los.      

Sie brauchte einige Minuten, um über das weitläufige Gelände dorthin zu kommen. Jarik saß, mit angezogenen Beinen und den Rücken an einen Baum gelehnt, auf dem Rasen vor Juliens Grabfach und starrte dieses gedankenverloren an.
    Als sie an ihn herantrat, legte er die Beine flach auf den Boden, schaute aber nicht auf. Sie setzte sich auf seinen Schoß und legte ihm die Arme um den Hals.
    „Ich vermisse ihn auch“, sagte sie leise.
    „Wenn er da gewesen wäre, hätten wir sie vielleicht retten können.“ Jarik legte seine Stirn auf ihre Schulter.
    Leonie schnaubte. „Wenn er grade da wäre, würde er dir in den Arsch treten. Wir wissen alle, dass wir keine Wunder vollbringen würden.“
    Jarik schaute sie an. „Hm, wenn er da wäre, würde er mir in den Arsch treten, mich dann in den Arm nehmen und mir irgendwelchen schwülstigen Bullshit ins Ohr flüstern, um mich abzulenken.“ Er ließ den Kopf gegen den Baum fallen. „Scheiße, wie ich ihn vermisse.“
    Leonie lächelte ihn traurig an und strich ihm über die Wange. „Nicht nur du.“
    Jarik legte ihr die Hand in den Nacken, zog sie zu sich und küsste sie verzweifelt, was Leonie bereitwillig erwiderte.      
    Einige Augenblicke später lehnte er seine Stirn gegen ihre und nahm ihr Gesicht in seine Hände. „Du weißt gar nicht, wie sehr ich dich liebe“, sagte er mit brüchiger Stimme.
    Leonie lächelte ihn hingebungsvoll an. „Ich denke, ich hab ne Ahnung. Und du weißt, dass ich dich liebe.“
    Nickend schlang er seine Arme um Leonie und drückte sie an sich. Sie kuschelte sich an ihn.

Nach einigen Minuten machte sich Leonie los, küsste ihn und klopfte ihm lächelnd auf die Brust. „Komm, bevor noch irgendwer meckert, dass wir unsere Pflichten vernachlässigen.“
    „Scheiße“, sagte er zerknirscht und stöhnte unwillig.
    Sie standen beide auf und klopften sich die Grashalme von den Uniformen.
    Leonie lächelte ihn an. „Mach dir keinen Kopf. Wir haben alle mal nen beschissenen Tag.“
    Er legte ihr den Arm um die Schultern und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe, dann machten sie sich auf den Weg zurück zum Besucherzentrum.      

Als sie gemeinsam den Besprechungsraum betraten, saß Elin mit einer der Techies, auf der anderen Seite des Raumes an der Fensterfront, vor mehreren Notebooks und diskutierte angeregt mit ihr. David und Nate beäugten die beiden aufmerksam und Jarik grinste.
    Jasmin und Ben standen nebeneinander am Fenster und unterhielten sich leise.
    „Ah, da bist du ja wieder“, sagte Elin und lächelte Leonie an.
    Leonie ging zu ihr, während Jarik sich neben der Tür an die Wand lehnte und die Arme verschränkte. Auf die Sturmhaube hatte er verzichtet, wenn alle im Raum Leonie kannten, war es egal, wenn sie sein Gesicht auch noch sahen.
    Während David und Nate ihn misstrauisch beäugten, grinste Ben ihn breit an.
    Jasmin schaute irritiert, dann riss sie die Augen auf. „Hey, den kenn ich! Du hast doch Leo mal abgeholt!“
    Jarik nickte nur und musterte amüsiert Ben, der zu überlegen schien, ob er zu ihm rüberkommen konnte. „Ich beiße nicht, komm rum“, sagte er trocken.
    Ben wackelte ungläubig mit dem Kopf, kam aber hinüber. Jasmin setzte sich zu den drei Frauen. Jarik sah die verwirrten Blicke von Leonies Kolleginnen, reagierte aber nicht darauf.      

Nach einem freundlichen Handschlag lehnte Ben sich neben Jarik an die Wand und folgte dessen Blick zu Leonie. Diese schaute auf, lächelte Jarik liebevoll an und zwinkerte Ben zu, bevor sie sich Jasmin zuwandte.
    „Hm, habt ihr euch endlich ausgekaspert?“, fragte Ben leise.
    Der Raum war groß genug, dass sie von den anderen nicht gehört werden konnten.
    Jarik schaute ihn erstaunt an und schüttelte dann amüsiert den Kopf. „So offensichtlich?“
    „Nope, aber ich kenne sie schon eine ganze Weile und dich hab ich auch paar Mal gesehen. Sagen wir, ich hab ein Gespür für Stimmungen.“
    „Hm, ich bin mir sicher, dass die Detectives dich gerne nehmen, falls du die Firma aufgeben willst.“
    „Danke, aber ich glaube, ich bleibe erst mal und schaue, ob in dem Laden noch irgendwas zu retten ist. Mama braucht das Geld für die Stiftung.“ Ben seufzte.      

Jarik nickte und sie schwiegen einige Minuten, während sie die Frauen beobachteten. Elin und Jasmin sahen bereits deutlich entspannter aus, als am Mittag im Büro.
    „Sie wird die beiden vermissen“, sagte Ben leise.
    „Auf jeden Fall. Sie hat die Zwei in den letzten Wochen echt ins Herz geschlossen. Ich hoffe, wir finden eine Möglichkeit, dass sie sich zumindest hin und wieder mal sehen können. Es tut ihr gut, mal aus der UNSF-Blase rauszukommen.“, antwortete Jarik nachdenklich.
    „Falls sie ne Auszeit braucht, ich bin mir sicher, dass sie immer einen Platz im Büro haben wird.“ Ben grinste.
    „Damit du doch noch versuchen kannst, sie dir unter den Nagel zu reißen?“, scherzte Jarik.
    Ben lachte lauthals los und wurde rot, als ihn alle fragend anstarrten. Er schüttelte den Kopf und die anderen kehrten zu ihren Gesprächen zurück.
    „Sie ist wie meine kleine Schwester, das wäre eklig! Außerdem nicht mein Beuteschema“, sagte er grinsend. „Und ihr passt viel zu gut zueinander. Freut mich wirklich, dass das Warten ein Ende hat.“
    „Okay, das hab ich nicht erwartet“, sagte Jarik erstaunt.
    Ben grinste. „Wir haben früher immer so getan, als wären wir interessiert, damit ihre Mutter uns in Ruhe lässt. Sie wollte mich unbedingt als Schwiegersohn und hat gehofft, dass ich Leonie bändigen könnte. Matti wäre aber der Einzige gewesen, der infrage gekommen wäre. Der ist aber hetero, nicht mein Typ und wie mein Bruder, also nein!“
    „Leonie wusste davon, oder?“, fragte Jarik.
    „Ich glaube, sie hats noch vor mir gewusst. Und mir später geholfen, es Matti beizubringen, der war am Anfang nicht wirklich sicher, wie er damit umgehen sollte. Aber er hat sich erstaunlich schnell dran gewöhnt.“
    Jarik schüttelte ungläubig den Kopf. „Sie hat mich immer im Glauben gelassen, du wärst ihr Jugendschwarm gewesen.“
    Er und Ben grinsten nun beide. „Klingt nach ihr.“      

Ben wurde wieder ernst und schien mit sich zu hadern. Jarik musterte ihn verwundert, ließ ihm aber seine Zeit. Es dauerte einige Minuten, bis Ben sich sortiert hatte.
    „Ich hab noch was von Julien für dich“, sagte er unsicher.
    Jarik starrte ihn entgeistert an. „Du hast was?“, fragte er heiser.
    „Julien hat mir letztes Jahr ein kleines Paket für euch beide gegeben, für den Fall, dass ihr endlich zusammenfindet, er aber nicht mehr da ist.“ Ben musterte seine Schuhspitzen.
    Jarik fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Was hattest du mit Julien zu tun?“, fragte er, war sich aber fast sicher die Antwort bereits zu kennen.
    „Wir haben uns hin und wieder für gewisse Dinge getroffen“, sagte Ben verlegen und bestätigte damit Jariks Vermutung.
    Jarik rutschte an der Wand hinunter und setzte sich. Ben folgte ihm und knetete nervös seine Hände.
    „Wie lange?“ Jariks Stimme war rau und brüchig geworden.
    „Seit wir uns das erste Mal gesehen haben, also fast zehn Jahre. Wir waren uns aber beide einig, dass es rein körperlich bleiben würde.“ Benny seufzte.
    Jarik lehnte den Kopf gegen die Wand. „Dann ist er also immer zu dir verschwunden. Warum hat er nix gesagt?“
    „Hast du ihm was von deinen Betthäschen erzählt?“, fragte Ben schmunzelnd.
    „Nein, weil ich meistens nicht mal den Namen kannte“, grummelte Jarik.
    Nach einer kurzen Pause sagte Ben: „Wir haben nie viel geredet. Wir haben gegessen, uns ausgetobt und hin und wieder ein bisschen Smalltalk gehalten. Das war, was wir beide wollten.“ Er holte Luft und schien sich zu sammeln. „Julien hat mir letztes Jahr das Päckchen gegeben und gesagt, dass er es entweder selber holt, oder ich es dir geben soll, falls ihm was passiert. Seither liegt es zu Hause in meinem Tresor. Sobald ich hier rauskomme, bring ich es her.“      

Jarik überlegte kurz, stand dann auf und hielt Ben die Hand hin. Dieser ließ sich aufhelfen und schaute Jarik irritiert an.
    „Wir gehen jetzt!“ Jarik gab Ben mit einem Nicken zu verstehen, ihm zu folgen. Er gab Leonie das Handzeichen für ‚Alles in Ordnung‘, damit sie sich keine Gedanken machte. Sie schaute zwar verwundert, nickt jedoch.
    Draußen auf dem Flur winkte Jarik einen der Guards zu sich. „Sag bitte den anderen Bescheid, dass Ben Götz und ich einen kurzen Ausflug machen und in spätestens anderthalb Stunden wieder da sind.“
    „Aber Captain, Detective Roth wartet auf ihn“, sagte der Guard unsicher.
    „Dann hol den Detective her, dann sag ich es ihm selbst.“      

Fünf Minuten später saßen Ben und Jarik im Auto und waren auf dem Weg zu Bens Wohnung. Der Detective war nicht begeistert gewesen, hatte aber zugesagt, als Ben meinte, dass er weitere Unterlagen mitbringen würde.
    Zwei Fahrzeuge mit Guards folgten ihnen, damit niemand auf die Idee kommen würde, Jarik oder Ben anzugreifen. Sie holten das Päckchen und Jarik verstaute es sicher in der großen Seitentasche seiner Cargohose. Er würde es nachher gemeinsam mit Leonie öffnen.
    Ben nahm noch die versprochenen Unterlagen, sowie ein Notebook von seinem Couchtisch mit und reichte beides an die Guards weiter. Knapp eine Stunde später betraten sie das Besucherzentrum wieder.      

Jarik lehnte erneut neben der Tür an der Wand, während Leonie sich von ihren beiden Freundinnen, und nun Ex-Kolleginnen, und Elins Männern verabschiedete. Er sah ihr an, dass ihr der Abschied nicht leicht fiel.
    Ben war nach dem Ausflug direkt mit Detective Roth in einem der anderen Zimmer verschwunden, um endlich die Befragung hinter sich zu bringen.
    Nachdenklich befühlte Jarik die Schachtel in seiner Tasche und wunderte sich immer noch, warum Julien nie etwas über Ben gesagt hatte.      

Als David, Elin, Jasmin und Nate von den Guards nach draußen gebracht wurden, damit man sie nach Hause fahren konnte, kuschelte Leonie sich an Jarik.
    „Was habt ihr zwei da so aufmerksam miteinander geplaudert?“, fragte Leonie neugierig.
    „Erzähl ich dir heute Abend in Ruhe. Komm, lass uns rüber, die warten garantiert schon auf uns, ist ja fast Zeit fürs Abendessen.“ Jarik legte ihr den Arm um die Schultern und küsste sie, bevor sie sich in Richtung Einsatzzentrale aufmachten.
    Das Päckchen fühlte sich wie ein glühender Ziegelstein in seiner Tasche an.

In der Einsatzzentrale wurden sie bereits erwartet. Jarik vermutete, dass einer der Guards aus dem Besucherzentrum Bescheid gegeben hatte, dass sie unterwegs waren.
    Briggs und Mays sprachen noch mit zwei Missionskoordinatoren, weswegen Leonie und Jarik direkt in den Besprechungsraum gingen, in den ein weiterer Guard sie wies.
    Ihr Team war bereits da und hatte sich um den großen Konferenztisch auf die Stühle gefläzt. Jarik hatte den Arm immer noch um Leonies Schultern und sie ihren um seine Taille gelegt.
    „Naaw, schaut mal, wie süß die zwei aussehen“, sagte Fee grinsend, als sie den Raum betraten.
    Die anderen lachten leise. Jarik verdrehte die Augen und drückte Leonie einen Kuss an die Schläfe, bevor er sie losließ und sich setzte.
    Leonie griff sich zwei der Wasserflaschen vom Tisch und ein paar Proteinriegel aus der Schale neben diesen. Sie ließ sich auf ihren Stuhl fallen und reichte die Hälfte ihrer Beute an Jarik weiter. Dankbar leerte er die Flasche und stellte sie zurück auf den Tisch. Neben ihm riss Leonie die Packung eines Riegels auf und biss herzhaft in diesen hinein. Er verzog das Gesicht, auch nach jahrelanger Gewöhnung schmeckten die gefriergetrockneten Energiespender immer noch wie Pappe. Aber sie machten zumindest satt.      

Cam setzte zum Sprechen an, schloss den Mund aber wieder, weil die beiden Colonels in den Raum kamen.
    Ihnen folgten Detective Misova und eine junge Analystin, die Jarik nicht kannte. Das Team stand auf und salutierte, bevor Briggs sie mit einer Handgeste zurück auf ihre Plätze schickte.
    Die Analystin stellte sich als Selene Weller vor. Sie übernahm die Steuerung des Beamers und Jelena das Reden, nachdem sich alle gesetzt hatten. Gemeinsam präsentierten die beiden Frauen die Bilder der Angreifer, ihren Zustand und die kilometerlangen Vorstrafenregister.
    Leonie atmete auf und Jariks Hand wanderte in ihren Nacken, den er sanft massierte. Er wusste, wie sehr es ihr zusetzte, jemanden zu töten, auch wenn sie es sich nicht anmerken ließ. Dass es ekelhafte Arschlöcher gewesen waren, machte es für sie zumindest etwas leichter.
    Einer der Angreifer war auf dem OP-Tisch gestorben, blieben ihnen also noch acht und Götz Senior zum Verhören. Jarik war sich sicher, dass diese sich bald wünschen würden, erschossen worden zu sein. Die UNSF-Verhörspezialisten waren effektiv, aber rücksichtslos. Jarik hatte im Rahmen seiner Aufklärungsspezialisierung – kurz Recon genannt – viel von ihnen gelernt. Zudem waren alle im Team zu Trainingszwecken selbst ausgiebig verhört worden. Sie hatten eine ganze Weile gebraucht, um sich davon zu erholen.      

Dann wurden die Einsatzvideos aus den Helmkameras gezeigt und ausgewertet. Daneben sah man Karten mit Bewegungsdaten und Infos der Körpersensoren. Die Colonels und auch Jarik waren mit Leonies und Tonis Leistungen sehr zufrieden. Bei Marcs Aufnahmen hatte Jarik jedoch das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, und ihm wurde eiskalt. Marc hatte sich, auch durch die miserable Deckung im Treppenhaus, von den Angreifern komplett überrumpeln lassen und sie sogar mehrfach verfehlt. Erst nachdem er selbst zweimal getroffen worden war, hatte er es geschafft, drei seiner Gegner unschädlich zu machen, die anderen waren wieder nach unten geflüchtet. Dass Marc überlebt hatte, schien angesichts der Bilder ein Wunder zu sein. Seine Gesundheitsdaten sahen zudem extrem ungewöhnlich aus.      

Bevor Jarik jedoch etwas sagen konnte, kam ihm Mays zuvor: „Master Sergeant Carter, können Sie mir zur Hölle erklären, was das war?“, herrschte sie ihn an.
    Marc starrte betreten auf den Tisch und schüttelte den Kopf.
    Jarik sprang auf. „Dann denk dir verdammt noch mal eine aus! Bist du seit Neustem der Rookie? Hab ich bei deiner letzten scheiß Untersuchung irgendein Ergebnis verpasst? Demenz oder so was?“, blaffte Jarik los. „Willst du Arsch mir ernsthaft erzählen, dass du ohne Deckung da rumhockst, danebenschießt und mir noch nicht mal sagen kannst, warum? Falls ja, sitzt du auf der Bank, bis dir eine eingefallen ist!“
    Er fluchte auf Russisch vor sich hin und im Raum wurde es still. Jarik sprach seine Muttersprache normalerweise nur, wenn er musste oder wie jetzt wirklich aufgewühlt war. Er konnte nicht noch einen Freund und Teamkollegen verlieren. Schweratmend stützte er die Hände auf der Lehne seines Stuhls auf und funkelte Marc wütend an.      

Leonie griff nach Jariks Hand und drückte leicht zu. Er schaute dankbar zu ihr und atmete mehrmals tief durch, bis er sich halbwegs beruhigt hatte. Die Blicke der anderen ignorierte er geflissentlich. Der ganze Tag war absolut beschissen. Briggs fixierte ihn mit hochgezogener Augenbraue. Jarik schüttelte den Kopf, setzte sich wieder hin und griff nach einem der Proteinriegel. Ein Gespräch mit den Colonels war ihm in jedem Fall sicher. Jarik verkniff sich den Seufzer und schälte stattdessen mürrisch den Riegel aus der Verpackung.      

Marcs Gesicht hatte bei Jariks Ausbruch Ähnlichkeit mit einer Tomate angenommen. Seine Hände lagen, zu Fäusten geballt, auf seinem Oberschenkel. Sein Kiefer mahlte und er schloss die Augen, um sich zu sammeln.
    „Schwindel und verschwommene Sicht, Sir“, sagte er leise und sank in sich zusammen.
    „Wie zum Henker kanns dann sein, dass du überhaupt draußen warst?“ Jarik biss energisch in seinen Riegel.
    „Weils erst seit heute Morgen ist.“ Marc lehnte sich ächzend nach vorne und fuhr sich durch die dunkelbraunen Haare.
    „Wie jetzt?“ Jarik schnaubte und steckte sich den Rest des Snacks in den Mund.
    „Ich hab unten im Keller was rumgeräumt und bin mit dem Kopf gegen die Wand geknallt“, sagte Marc beschämt.
    „Und dann denkst du, dass es ne super Idee ist, einfach weiterzumachen wie bisher? Meine Fresse! Du bist der Zweitälteste im Team und Medic! So einen Rotz erwarte ich wenn überhaupt von Rico, nicht von dir!“ Jarik warf die Verpackung auf den Tisch, stand wieder auf und tigerte hinter Leonie hin und her.
    Rico lief rot an und zog den Kopf ein. Briggs und Mays lehnten sich zurück und beobachteten das Schauspiel.
    „Marc, was soll der Scheiß? Ernsthaft?“ Jarik starrte ihn bestürzt an. „Mit Kopfverletzungen ist nicht zu spaßen, das solltest grade du am besten wissen! Warum zur Hölle sagst du nichts? Keiner von uns will dich wegen so ner Scheiße verlieren!“ Seine Stimme brach und er fuhr sich übers Gesicht.
    „Keine Ahnung, ich hatte nur leichte Kopfschmerzen und wollte heute Abend zum Doc. Der Schwindel hat erst angefangen, als ich die Treppe hoch bin“, antwortete Marc kleinlaut.
    Jarik stöhnte frustriert. „Scheiße!“ Er ließ den Kopf in den Nacken fallen. „Was hat der Doc eigentlich gesagt?“
    „Leichte Gehirnerschütterung, die Rippen sind nur geprellt.“
     „Wenigstens was. Du wirst aber keinen Einsatz mitmachen, bevor ich nicht die Bestätigung habe, dass du komplett okay bist! Haben wir uns verstanden, Master Sergeant?“ Jarik blieb stehen, stemmte die Hände in die Hüften und starrte Marc an.
    „Ja, Captain“, antwortete dieser schuldbewusst und ließ den Kopf hängen.
    Gian nahm Marcs Hand und verschränkte ihre Finger auf dessen Oberschenkel. Die beiden lächelten sich traurig an.
    Jarik schüttelte frustriert den Kopf und drehte sich dann zurück zu den anderen. „Noch jemand mit irgendwelchen News, die er vergessen hat, zu erwähnen?“
    Alle verneinten und er atmete erleichtert auf, bevor er sich wieder setzte.      

Mays musterte Jarik und nickte dann Selene zu, welche die Aufzeichnungen von der Verhaftung von Götz Senior startete. Sie stoppte, als er und Corinna das erste Mal zu sehen waren.
    Jelena räusperte sich. „Bevor wir weitermachen, möchte ich anmerken, dass Hans Götz auf Drogen getestet wurde. Gefunden haben die Ärzte außer diversen Medikamenten für seine unzähligen Gesundheitsprobleme keine, allerdings scheint er miserabel eingestellt zu sein. Er ist stark verwirrt und hat bis jetzt noch nicht verstanden, dass er bei der UNSF in Gewahrsam ist. Er hat Beruhigungsmittel bekommen und schläft aktuell.“ Sie seufzte. „Ich hoffe, dass wir ihn in den nächsten Tagen vernehmen können.“
    Mays nickte Selene zu, die das Video fortsetzte. Jarik knirschte mit den Zähnen, als er das Drama aus fünf verschiedenen Perspektiven, Gian hatte in der Tür gestanden, erneut erleben musste. Wegen Götz‘ fahrigen und ruckartigen Bewegungen hatte Fee keine Chance gehabt ihn zu treffen ohne Corinna in Gefahr zu bringen.
   Jarik war dankbar, dass Leonie ihm sanft über den Oberschenkel streichelte, ansonsten wäre er vermutlich aus der Haut gefahren. Es nagte sehr an ihm, dass er Corinna Maiers Tod nicht hatte verhindern können. Fee sah man die Frustration ebenfalls an. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt und die Zähne zusammengebissen.

Als das Ende der Aufzeichnung erreicht war, atmete nicht nur er erleichtert auf.
    „Jetzt verstehe ich, was sie meinen, Detective Misova“, sagte Mays nachdenklich.
    „Ich hab eher vermutet, dass er high wäre.“ Leonie zuckte mit den Schultern.
    Mays schüttelte unglücklich den Kopf. „Sie ziehen grad echt nur die Nieten in der Lostrommel.“ Sie tippte hart auf ihrem Tablet herum. „Bis Sonntag sind sie wieder aus der Rotation. Montag morgen will ich einen Bericht, bis wann Master Sergeant Carter wieder einsatzfähig ist.“
    Jarik und Leonie nickten nachdenklich.    

„Sonst noch was?“, fragte Mays.      
    „Ich hätte gerne noch ne Erklärung, wie euch der scheiß Angriff durchrutschen konnte!“, sagte Jarik nachdrücklich zu Jelena und Selene und starrte sie an.
    Beide erblassten. „Sir.“ Selene schluckte. „Ähm. Wir hatten zwar danach Ausschau gehalten, aber die Infos zu spät bekommen und verbunden, Sir“, stammelte sie.
    Briggs legte grübelnd den Kopf schief und die berüchtigte Zornesfalte erschien auf seiner Stirn.
    „Sie wollen also sagen, dass sie gepennt und deswegen fast ne Katastrophe produziert haben?“, fragte Mays mit gefährlich sanfter Stimme. Jarik sah, dass Leonie sich die Arme rieb. Mays sah zwar harmlos aus, war es aber absolut nicht und wer ihren Zorn auf sich zog, konnte nur zu bemitleiden sein. Auch Briggs legte sich nicht freiwillig mit ihr an.
    „Ma’am, es gab Kompetenzgerangel. Wir mussten auf ein paar Füße steigen, um an die Infos zu kommen. Ich denke, nun sind wieder alle in der Spur“, sagte Jelena mit eingezogenem Kopf.
    „Ich will es für sie hoffen, Detective“, fauchte Mays und Jelena nickte eifrig.      

„Bis auf Captain Brandt und Captain Koslow können alle gehen. Sie haben morgen ihre Termine auf der Couch, schauen Sie in ihre Kalender!“ Mays schaute zu, wie alle salutierten und zügig den Raum verließen.
    „Und jetzt Klartext Captain! Was zum Henker war das heute Mittag?“, fragte Mays, nachdem die Tür hinter den anderen zugefallen war.
    Jarik biss frustriert die Zähne zusammen. „Ein Clusterfuck war das! Die angeblich weltbeste Intelligence-Einheit verkackt es, nen erwarteten Angriff zeitnah aufzudecken, einer meiner Master Sergeants ‚vergisst‘ Bescheid zu sagen, dass er nicht fit ist, und bringt damit sich und andere in Gefahr! Und die tote Sekretärin hat auch nicht geholfen!“ Er schnaubte.
    Mays musterte ihn eingehend. „Das war nicht, was ich meinte, Captain.“
    Jarik schaute sie zerknirscht an. „Was dann, Ma’am?“
    „Ich hätte gerne eine Antwort, warum Sie nach einen Einsatz wutentbrannt wegstürmen, einen Boxsack und ihre Knöchel zerlegen und dann erneut abhauen, nachdem Ihnen Ihr Medic die Finger versorgt hat! Und ihr Team dabei so besorgt zurücklassen, dass sie Captain Brandt aus einer Besprechung holen, bei der Sie auch hätten dabei sein sollen!“
    „Es war ein Scheißtag“, murmelte Jarik verlegen.
    „Ach, nein. Aber wenn Sie glauben, dass Sie damit hier rauskommen, kennen Sie mich schlecht oder brauchen wohl auch ein CT!“ Mays fixierte ihn und Jarik ließ den Kopf hängen.
    „Julien. Ich hatte den Eindruck, dass Miss Maier noch leben würde, wenn er da gewesen wäre. Er hätte Götz garantiert zur Aufgabe überredet. Und ich habs nicht hinbekommen. Dass Marc beinahe draufgegangen wäre, kam noch dazu“, antwortete Jarik kleinlaut.
    „Ich weiß, dass Sie Ihren besten Freund und Bruder verloren haben. Aber ich muss mich drauf verlassen können, das Sie ihren Kopf im Einsatz haben“, sagte Mays seufzend.
    Jarik schnaubte wütend. „Julien war viel mehr als das! Und verzeihen Sie, dass ich etwas gereizt bin, wenn der erste richtige Einsatz seit Februar so eine Scheiße ist! Ich bin auch nur ein Mensch!“ Er atmete schwer und Leonie nahm seine Hand, die er dankbar drückte.

Er schluckte und fixierte die Tischplatte, während er kontrolliert durchatmete. Mays und Briggs schauten Leonie besorgt an.
    Diese musterte die Zwei unglücklich. „Gab’s am Einsatz irgendwas auszusetzen? Bis wir zurück in der Basis waren, war er, bis auf das Loch in der Wand, komplett fokussiert. Und das hätte jeder von uns in seiner Situation hinterlassen. Von daher sehe ich das Problem nicht. Ma’am, Sir.“
    Mays nickte nachdenklich. „Okay. Aber eine Frage noch: Was haben Sie mit Benjamin Götz besprochen und warum haben Sie ihn in seine Wohnung gefahren, obwohl er befragt werden sollte?“
    Jarik schluckte und sah zu Leonie, die ihn neugierig anschaute. „Ben Götz hatte ein Paket für Leonie und mich. Von Julien, mit dem er sich wohl regelmäßig getroffen hat.“
    Leonie starrte ihn mit großen Augen an. „Wie jetzt?“
    „Und da haben Sie gedacht, es wäre eine super Idee, direkt loszufahren, ohne Bescheid zu geben?“ Mays sah nicht begeistert aus.
    „Ich hab nicht wirklich viel drüber nachgedacht, ich wollte das Päckchen und er konnte noch Unterlagen holen.“
    Briggs und Mays schauten sich kurz an, seufzten beide und nickten. „Was ist in besagtem Päckchen?“, fragte Mays.
    „Ich hab keine Ahnung, ich wollte es gleich mit Leonie zusammen aufmachen. Privat.“
     „Hmpf! Dann tun sie das. Aber wenn was nicht rein Privates drinnen ist, erwarte ich sofort eine Info! Und denken Sie an Ihre Termine auf der Couch morgen! Null-achthundert! Und dann Dreizenhundert bei uns im Büro. Und jetzt gute Nacht!“
    Beide seufzten, nickten aber folgsam. Sie standen auf, salutierten und ließen ihre Vorgesetzten im Besprechungsraum zurück.
     
***


Als Jarik und Leonie zurück zu ihrer Wohnung kamen, hing eine Tüte mit Essen aus der Kantine an der Türklinke. „Damit ihr nicht verhungert! Gian“, stand auf einem kleinen Zettel, der an der Tüte befestigt war. Lächelnd nahm Jarik ihr Essen mit nach drinnen. Er stellte es, zusammen mit der Schachtel, auf den Couchtisch, nachdem er und Leonie im Flur ihre Stiefel ausgezogen hatten.      

Leonie schälte sich in ihrem nun gemeinsamen Schlafzimmer aus ihrer Uniform. Jarik lehnte sich in den Türrahmen und beobachtete sie besorgt, sie sah erschöpft aus. Dennoch lächelte sie ihn verwegen an, als sie sich das langärmlige T-Shirt langsam über den Kopf zog und es auf den Boden fallen ließ. Ihre Hose, der Sport-BH und die Shorts folgten zügig. Sein Herzschlag beschleunigte sich, als er ihren Anblick genoss.
    „Erst duschen, essen und dann die Box!“, sagte Leonie gespielt streng und stolzierte, mit wiegenden Hüften, an ihm vorbei ins Bad.
    Jarik schaute ihr hinterher und ächzte frustriert. Das war gemein! Zügig zog er sich ebenfalls aus und folgte ihr. Leonie stand bereits unter dem Wasser und lächelte ihn an, als er sich zu ihr gesellte. Sie lehnte sich mit geschlossenen Augen an seine Brust, als er ihr die Haare wusch. Er liebte ihre lange Mähne, welche sie zu seinem Leidwesen viel zu oft zusammenband, und ließ sich nur selten eine Gelegenheit entgehen, seine Finger darin zu vergraben. Dass sie es ebenfalls genoss, machte die Sache nur besser.      

Kurz drauf saßen sie beide in frischen Shorts und Shirts auf dem Sofa und aßen den Nudelauflauf, den Jarik aufgewärmt hatte. Dazu gab es den obligatorischen Kräutertee, mit dem Gian sie seit Jahren versorgte. Jarik hatte keine Ahnung, was sich genau darin befand, aber es schmeckte und er vertraute Gian.
    Nach dem Essen drehte Jarik die unscheinbare Pappschachtel von der Größe eines Taschenbuchs unschlüssig in den Händen.
    „Na komm, irgendwann müssen wir sie aufmachen“, sagte Leonie leise und nahm sie ihm ab.
    Sie löste das blaue Band um die Schachtel und hob den Deckel an. Die kleine Speicherkarte, die auf ein Stück Karton gesteckt war und obenauf lag, reichte sie an Jarik. Leonie musterte die Schachtel, in der noch etwas lag, das Jarik aber nicht erkennen konnte, und stellte sie dann zu ihrem Essen auf den Tisch.      

Jarik schob die Speicherkarte in sein Tablet, lehnte sich zurück und rief den Inhalt auf. Leonie kuschelte sich seitlich an ihn, sodass sie bequem mitschauen konnte. Ihren Kopf bettete sie auf seine Brust.
    Auf der Karte war ein einzelnes Video. Es war laut dem Dateidatum zwischen Weihnachten und Silvester des Vorjahres aufgenommen worden. Jarik verband ihre Comm-Module mit dem Tablet und startete es.      

Juliens Gesicht erschien auf dem Bildschirm. Er saß auf seinem Bett und hatte sich ans Kopfteil gelehnt. Jarik schloss kurz die Augen, wie er Julien vermisste.
    „Hey ihr zwei! Okay. Lacht nicht: Das ist der keine Ahnung wievielhunderste Versuch das hier aufzunehmen und ...“ Die Kamera schwenkte auf einen mit Papierbällen überquellenden Papierkorb. „... Na ja, das mit dem Briefeschreiben wollte auch nicht so richtig.“ Sein Gesicht kam wieder ins Bild und er grinste verlegen.
    Jarik und Leonie lachten. Es war einfach typisch Julien, Chaos war sein zweiter Vorname gewesen.
    „Wie auch immer. Da Ben euch meine Box gegeben hat, nehme ich an, dass ihr euch endlich ausgekaspert habt. Es wurde ja auch Zeit, stures Pack!“ Julien seufzte. „Ich weiß, dass ich da irgendwie im Weg rumgestanden hab, sorry. Aber ich möchte, dass ihr wisst, dass ich mich wirklich freue. Ich mach mich dafür sogar hier extra zum Affen. Boah, wie dämlich es sich anfühlt mit dem Handy zu reden!“ Er lachte und schüttelte über sich selbst den Kopf. „Egal, für euch tu ich mir den Unsinn gerne an.“
    Jarik schaute grinsend zu Leonie, die leise vor sich hin kicherte.
    „Oh! Und seid nicht böse auf Ben, wir waren uns beide einig, dass wir nichts sagen, damit ihr nicht auf komische Ideen kommt. Er ist nen echt cooler Kerl, aber es hat einfach nicht gefunkt. Schade.“ Julien zuckte mit den Schultern. „Naja, wie auch immer, ich hab euch da noch was mit in die Box gepackt, viel Spaß damit.“ Julien grinste breit. „Und bevor ich jetzt anfange rumzuschnulzen: Ich liebe euch beide! Passt mir auf unsere Familie auf! Und ... habt Spaß!“      

Das Video endete und Jarik legte das Tablet neben sich aufs Sofa. Leonie beugte sich vor, griff die Schachtel und setzte sich dann im Schneidersitz neben Jarik. Sie nahm die etwas kleinere Box darin heraus und schaute ihn fragend an.
    „Was meinst du, ist drin?“, fragte Leonie grinsend.
    Jarik lachte. „So, wie ich Julien kenne: nichts Vernünftiges!“
    Vorsichtig hob Leonie den Deckel und fing dann schallend an zu lachen. Jarik schaute fragend und sie kippte den Inhalt auf seinem Bauch aus. Er griff nach einem der vielen Päckchen, die auf ihm gelandet waren, und prustete ebenfalls los. Auf der gelben Kondomverpackung, die er nun in der Hand hielt, stand in Juliens krakeliger Schrift: „Damit die Banane auch nach Banane schmeckt!“
    „Ernsthaft?“, fragte Jarik, ließ das Päckchen fallen und stöhnte belustigt.
    Leonie bekam sich vor Lachen gar nicht mehr ein. Er griff nach ihrem Arm, damit sie nicht vom Sofa fiel.
    Sie griff sich ein regenbogenfarbenes Kondom. „Das Leben ist bunt! Macht das Beste draus!“, las sie kichernd vor und nahm das nächste, diesmal eins in Tarnfarben. „Im Dschungel gut getarnt.“
    „Der Kerl killt mich!“ Jarik schüttelte amüsiert den Kopf.
    Leonie sammelte die Päckchen von seinem Bauch und warf sie grinsend zurück in die Box. „Schon fast schade, dass wir die nicht brauchen.“
    „Die anderen können damit garantiert was anfangen.“
    Nickend stellte Leonie die Schachtel auf den Tisch. „Davon gehe ich aus.“ Sie schaute auf die Uhr und stöhnte. „Schon halb drei, das wird ne kurze Nacht!“
    „Dann sollten wir langsam mal ins Bett.“
    „Ach sollten wir das?“ Leonie setzte sich auf Jariks Schoß und beugte sich zu ihm hinunter. Seine Hände wanderten zu ihrem Po und streichelten diesen, während sie sich küssten.
    „Hmhm. Wir haben morgen einiges vor. Ich bin gespannt, was die Colonels diesmal wollen und was die Befragungen ergeben. Aber!“ Er nutzte seine Kraft, um sich aufzusetzen, obwohl sie auf ihm lag. „Ich glaub’, wir haben uns noch ein bisschen Entspannung verdient und ich hab da schon ne super Idee.“
    Leonie schlang ihre Beine um seine Taille. „Uuuh, da bin ich ja mal gespannt.“
    Lächelnd stand Jarik mit ihr auf und trug sie ins Schlafzimmer.
Um wenigstens vier Stunden Schlaf zu bekommen, ließen Jarik und Leonie ihre sonst übliche Laufrunde ausfallen. Als sie nach ihren Psychologenterminen in den Teamraum kamen, waren bis auf Toni und Marc bereits alle da und saßen entspannt auf den Sofas.
    Aven, Cam und Gian hatten in einer der Kantinen alles für einen ausgiebigen Brunch besorgt und auf dem großen Couchtisch ausgebreitet.      

Gian sprang auf und zog Leonie in eine Bärenumarmung. „Ich hab dich vermisst!“ Er hob sie hoch und drückte sie an sich.
    „Ich hab dich auch vermisst, Großer. Bin ich froh, dass das durch ist.“
    „Hey, her mit ihr!“ Aven und Cam streckten die Arme nach ihr aus.
    Gian drehte sich mit ihr von den beiden weg. „Meine!“
    Aven und Cam umarmten Gian einfach mit. Leonie ächzte.
    „Platz da, Jungs!“ Fee stieß Aven den Ellbogen in die Seite und zog Leonie dann selbst in eine feste Umarmung. „Endlich bist du wieder da. Die haben mich in den Wahnsinn getrieben!“
    Aven und Cam zogen Grimassen und gingen dann in Deckung, als Fee nach ihnen schlug.
    „Schön, wieder da zu sein. Und wenigstens eine, die mich vor den Knochenbrechern hier rettet.“ Leonie starrte zu Jarik. „Ja, dich mein ich! Fauler Sack!“
    Jarik hatte sich mit ausgestreckten Beinen und hinter dem Kopf verschränkten Händen aufs Sofa gefläzt und grinste.      

Toni kam in den Raum, steuerte zielsicher auf Leonie zu und umarmte sie ebenfalls. „Mein Lieblingscaptain ist wieder da!“ Er hob sie hoch und drehte sich einmal mit ihr Kreis.
    „Hey! Und was ist mit mir?“, murrte Jarik vom Sofa.
    Toni schnaubte amüsiert. „Ist das ne ernst gemeinte Frage?“
    Leonie strampelte und Toni stellte sie wieder ab. „Benimm dich! Sonst quält er dich mit Begeisterung noch mehr. Und ich werd ihn nicht davon abhalten!“
    „Na toll, jetzt wirst du auch noch gemein“, maulte Toni.
    „Verdient ist verdient!“, sagte Marc, als er zur Tür reinkam.
    Er bewegte sich vorsichtiger als sonst und Leonie musterte ihn besorgt. Er ließ es sich jedoch nicht nehmen, sie ebenfalls an sich zu ziehen und zu umarmen.
    „Tu dir nicht weh“, nuschelte Leonie, deren Gesicht an Marcs Brust gedrückt war.
    „So schlimm isses nicht.“
    Die anderen hatten sich auf den Sofas ausgebreitet und beluden sich die Teller.
    „Beeilt euch, bevor alles weg ist!“, sagte Jarik und legte Leonie ein Schokocroissant hin.
    Marc ließ sie los und setzte sich zu Gian, der ihn küsste. Lächelnd ließ Leonie sich neben Jarik aufs Sofa fallen und lehnte ihr Gesicht an seine Schulter.      

Leonie war glücklich, endlich wieder zurück bei ihrem Team zu sein. Sie hatte sie fast drei Monate kaum gesehen. Die Ereignisse des Vortages waren an niemandem spurlos vorbeigegangen, dennoch war die Laune gut. Um sie herum brach das übliche Chaos aus, sie neckten sich und machten Scherze. Für Leonie war es eine Wohltat. Auch wenn sie und Jarik die Chefs waren, ihr Team war ihre Familie.      

„Wie lange geht das eigentlich schon mit euch zwei?“, fragte Cam.
    Jarik verdrehte die Augen. „Warum? Damit ihr endlich rausfinden könnt, wer eure Wette gewonnen hat? Und jetzt tut nicht so unschuldig. Aven hat sich schon verplappert. Also, wer ist am nächsten an der ersten Märzhälfte dran?“
    Jubelnd streckte Gian die Faust in die Luft. „Yes! Ich bin so gut!“ Die anderen stöhnten auf.
    „Hattet ihr eigentlich vor uns das zu sagen?“, fragte Cam freudlos.
    Jarik seufzte. „Jupp, heute. Aber Aven konnte ja die Klappe wieder nicht halten, obwohl ich ihn drum gebeten hab.“ Jarik funkelte ihn an und Aven wurde rot. „Wir wollten es euch zusammen und vor allem persönlich sagen, ist ja nicht grade ne Kleinigkeit.“      

Leonie wurde nervös, als niemand sprach und Cam sie und Jarik nachdenklich musterte. Sie spürte, wie Jarik sich neben ihr anspannte. Wenn ihr Team ein Problem damit hatte, konnte es durchaus sein, dass sie und Jarik auf verschiedene Teams verteilt werden würden. Beziehungen zwischen ihnen waren nicht verboten, aber wenn es Probleme gab, wurden diese recht zügig von oben gelöst.
    Gian verzog missmutig das Gesicht. „Ganz ehrlich? Ich bin bisschen beleidigt, dass ihr Schiss habt, dass irgendwer was dagegen haben könnte! Ihr seid seit Jahren unzertrennlich. Es macht für uns doch überhaupt keinen Unterschied, ob ihr miteinander ins Bett geht oder nicht.“
    „So siehts aus“, sagten Aven und Toni gleichzeitig.
    Die anderen nickten. Cam zwinkerte ihr zu und Leonie fiel ein Stein vom Herzen.
    „Es wurde Zeit.“ Fee lächelte versonnen.
    Leonie schaute an Jarik vorbei zu Rico, der neben diesem saß. „Was ist mit dir?“
    Rico zuckte unbehaglich mit den Schultern. „Ich hab keine Ahnung? Und ehrlichgesagt: Wenn die anderen kein Problem haben, warum sollte ich eins haben? Die kennen euch deutlich besser als ich.“
    „Aber auch du bist ein Teil von diesem Team und darfst ne Meinung dazu haben.“, sagte Jarik.
    „Dann hab ich die Meinung, dass ich keine Ahnung hab und mir das Ganze lieber erst anschaue, bevor ich irgendeinen Bullshit von mir gebe.“ Rico wurde rot.
    Cam nickte ihm anerkennend zu. „Weise Worte junger Padawan!“
    „Danke.“ Jarik  entspannte sich langsam wieder.

„Wir haben im Übrigen ein Päckchen von Julien bekommen“, sagte Jarik nach einer kurzen Pause.
    „Wie jetzt?“, fragte Cam.
    „Julien hats bei Ben, mit dem er wohl seit Jahren immer mal wieder ins Bett gehüpft ist, für uns deponiert“, sagte Leonie grummelig.
    „Warte, Ben im Sinne von bester Kumpel von deinem Bruder? Und ihr wusstet nix davon?“, fragte Toni.
    Leonie schüttelte den Kopf. „Nope, er hat nie was gesagt. Im Päckchen war ne Videobotschaft. Er wollte nicht, dass wir uns Hoffnungen machen. Für mehr als ne lose Bettgeschichte hats wohl nicht gereicht. Schade eigentlich.“
    „Immer wieder Überraschungen mit Julien“, sagte Fee.
    Das Team lachte. Julien hatte sie mehr als einmal sprachlos hinterlassen, weil er irgendwelche völlig verrückten Dinge gemacht hatte.
    „Oh ja. Dafür hat er uns alles Gute gewünscht. Und wir haben noch ein Geschenk von ihm bekommen.“ Jarik warf die Schachtel in die Mitte des Tisches.
    Aven, neugierig wie er war, stürzte sich direkt drauf und öffnete sie. Er stutzte, als er hineinschaute und schüttete die farbenfrohen Kondome auf den Tisch. „Dafuq?“ Er nahm eines und starrte Juliens Gekritzel darauf an. „Was? ‚Willys bester Anzug‘? Sein Ernst?“ Der Rest griff lachend nach den anderen.      

„Ey, das ist wieder so typisch Julien!“ Fee hatte das gelbe Bananenkondom erwischt, das Jarik und Leonie bereits kannten.
    „Das will ich haben!“ Cam versuchte, es Fee aus der Hand zu nehmen. Diese hielt es allerdings aus seiner Reichweite.
    „Bedient euch ruhig“, sagte Leonie.
    „Wollt ihr die nicht?“, fragte Toni.
    Jarik grinste ihn verwegen an. „Für was? Ich find das ohne viel angenehmer.“
    Aven starrte ihn verwirrt an und verzog dann das Gesicht. „Man! So genau wollte ich das gar nicht wissen!“
    „Nu hab dich nicht so, du vögelst genug in der Gegend rum“, sagte Leonie.
    „Ich binde euch aber nicht die Details auf die Nase“, murrte er.
    „Immer dieses Mimimi! Nu nehmt euch, was ihr wollt. Dann wird das Zeug wenigstens sinnvoll verwendet“, sagte Jarik.      

Aven teilte den Haufen in fünf gleich große Teile und schob den ersten zu Rico.
    „Was soll ich damit?“, fragte Rico verwirrt.
    „Dir über den Schwanz ziehen, wenn du ihn irgendwo reinsteckst?“ Aven schaute ihn verständnislos an.
    Leonie schüttelte angesichts Avens Wortwahl den Kopf und versteckte ihr Schmunzeln dann hinter ihrer Kaffeetasse.
    „Als ob ich den in nächster Zeit irgendwo reinpacke“, murmelte Rico und wurde rot.
    „Warum nicht? Seit Neustem das Zölibat gewählt?“, fragte Cam.
    „Du weißt schon, wie ich zu euch gekommen bin, oder? Glaubst du wirklich, dass ich nach der Aktion so schnell wieder ne Frau anfasse?“ Rico schaute verlegen auf seinen Teller.
    Jarik lehnte sich zurück und legte Leonie den Arm um die Schultern. Sie kuschelte sich an seine Seite und lauschte neugierig. Jarik hatte ihr von Ricos Zurückgezogenheit erzählt. Dass Aven ihn nun zum Reden brachte, war ein gutes Zeichen. Vielleicht taute er dann doch langsam auf.
    „Du hast dich bei ihr entschuldigt, oder?“, fragte Aven.
    Rico nickte. „Sie hat’s sich angehört und dann gesagt, dass ich trotzdem ein Arschloch bin. Unrecht hat sie nicht.“
    „Warum hast du sie überhaupt rausgeworfen?“, fragte nun Gian.
    „Ich war sturzbetrunken und hab Panik bekommen. Abgesehen davon hätte ich sie nie anfassen sollen! Die ist grade erst achtzehn geworden und die Schwester von meinem Teammate! Naja, mein besoffenes Hirn war danach dann irgendwie der Meinung, dass ich so tun könnte, als wär’s nie geschehen.“ Rico ließ den Kopf hängen.
    „Japp. Du hast’s echt verkackt!“, sagte Aven trocken.
    Rico schob ihm den Kondomhaufen wieder zu. „Dementsprechend verzichte ich glaub’ noch ’ne Weile.“      

Aven zuckte mit den Achseln und verteilte Ricos Anteil auf die anderen vier Haufen, von denen er je einen zu Cam, Fee und Toni schob.
    Leonie starrte Toni irritiert an. „Heißt es das, was ich denke?“
    „Jupp. Ich hab das Drama mit Isabella endlich beendet.“ Toni seufzte.
    „Wie jetzt? Im Januar warst du doch noch am überlegen, wie du ihr am besten einen Antrag machst.“
    Toni schnaubte. „Seien wir doch ehrlich, Leo. Sie wäre nie hergekommen. Und ja, vielleicht bin ich egoistisches Arschloch. Aber ich hätte meine Freundin oder Frau dann doch gerne hier bei mir und nicht in Spanien. Wenn sie nach zwei Jahren keinen Bock hat, wie soll denn das funktionieren? Sie würde hier problemlos nen Job finden. Ich dafür kann hier nicht einfach weg und alle paar Wochen die Pendelei ist doch für’n Arsch!“
     Gian legte Toni den Arm um die Schultern und zog ihn an sich. „Dann kannste dich ja jetzt austoben!“
    Toni schnaubte. „Oh ja. Mit dem Sauhaufen unterwegs zu sein hat was.“ Er grinste Aven, Cam und Fee an, die vergnügt nickten.      

„Ihr macht mir Sachen. Da lässt man euch einmal alleine und ihr stellt schon wieder alles auf den Kopf.“ Leonie seufzte. „Was hab ich sonst noch so verpasst?“
    „Melina hat am Wochenende beim Reitturnier den zweiten Platz gemacht.“, erzählte Gian stolz. Melina war Gians und Marcs zwölfjährige Tochter, die im Stuttgarter Stadtteil Degerloch bei ihrer Mutter Miriam lebte.
    „Beim Springen?“, fragte Leonie.
    „Jepp. Und am Ersten ist sie nur ganz knapp vorbeigerauscht.“ Marc lächelte.
    „Sehr schön. Ich hoffe, sie kommt bald mal wieder vorbei, ich hab sie viel zu lange nicht mehr gesehen.“ Leonie seufzte.
    „Mal schauen, wie es passt. Vielleicht nächstes Wochenende. Donnerstag hat sie ja Feiertag.“
    „Das klingt doch nach nem Plan. Mal schauen, ob wir da was drehen können.“ Jarik zwinkerte Marc zu.      

Den Rest des Frühstücks verbrachten sie damit, sich gegenseitig weiter auf den neusten Stand zu bringen. Leonie nutzte die Zeit, um Rico besser kennenzulernen.      

Um Viertel vor eins verabschiedeten sich Jarik und Leonie. Sie machten sich auf den Weg durch die zahllosen Gänge und erreichten das Büro der Colonels neben der Einsatzzentrale pünktlich. Jarik klopfte und sie wurden hineingerufen.
    „Ah, da sind Sie ja. Sehr gut“, sagte Mays lächelnd. „Und, was war in der Box?“
    Leonie versuchte, sich das Lachen zu verkneifen, scheiterte aber. Auch Jarik hatte Mühe, ernst zu bleiben. Die Colonels musterten sie verwundert.
    „Eine Videobotschaft von Julien und der übliche Julien-Unsinn“, antwortete Jarik.
    Briggs schmunzelte. „Also nichts Vernünftiges.“, sagte Mays. „Wie auch immer. Ich hab Sie beide wegen was anderem einbestellt. Sie haben vor einer Weile ja ihre Auswahlliste der Privates fürs Praxisjahr eingereicht.“
    Leonie schaute sie fragend an. „Was ist damit?“
    „Ich hab Ihnen eine weitere Auswahl an Privates zusammengestellt, schauen Sie bitte drüber und sagen sie mir, wen sie noch haben wollen.“ Mays schob mehrere Mappen über den Tisch.
   „Was ist mit den beiden, die wir uns ausgesucht haben?“, fragte Leonie.
   „Die zwei Privates waren vorzugsweise im Doppelpack zu haben. Den Combat Engineer brauchen Sie nicht mehr, dafür haben Sie ja Corporal Ferro. Daher haben die beiden gefragt, ob es eine Möglichkeit gibt, dass Sie sich einen anderen Verhandler aussuchen und wir die zwei zusammen woanders hinstecken können. Ich hätte einen Platz für beide, vorausgesetzt Sie stimmen zu.“
   „Und wen bekommen wir dann?“, fragte Jarik.
   „Ich hab schon eine neue Auswahl zusammengestellt und für Sie freigeschaltet.“ Mays tippte auf ihrem Tablet herum.
   Jarik schnaubte. „Lassen Sie mich raten, wieder irgendwelche Querschläger? Ich brauch jemanden, auf den ich mich verlassen kann und keinen weiteren Klassenclown.“
   Leonie legte ihm die Hand auf den Unterarm. „Jetzt komm, Rico ist doch eigentlich voll okay.“
   Mays funkelte Briggs an, der schadenfroh grinste, und seufzte dann frustriert. „Nein, keine Klassenclowns. Schauen Sie sich die Mappen an, da sind durchaus brauchbare Kandidaten dabei.“
   „Wir werden sehen. Wie gehts eigentlich mit der Befragung voran?“, fragte Leonie.
    Colonel Mays starrte sie unleidlich an und Leonie hob abwehrend die Arme. „Doch so gut?“
    „Hören Sie mir auf! Götz ist immer noch nicht vernehmungsfähig, ich hoffe, dass wir ihn morgen oder übermorgen endlich bekommen. Mal schauen was die Ärzte heute Abend sagen. Der Rest ist bisher stur.“ Mays nahm die Mappen wieder an sich und ließ sie im Schrank hinter sich verschwinden.
    „Klingt super.“ Jarik seufzte.
    „Total. Zumal auch Hayes bis dato schweigt. Und grade wird diskutiert, ob wir ihn nach Den Haag bringen oder hier verhandeln. Er scheint ja doch nur einer der kleineren Fische zu sein. In den nächsten Tagen wissen wir mehr. Solange wird er weiter gegrillt. Aber, ich will Sie nicht aufhalten, Montag null-achthundert wieder hier. Und viel Spaß morgen.“ Mays grinste.
    Jarik und Leonie salutierten und verließen das Büro.      

Das Team saß an der Seite ihrer üblichen Sporthalle und schaute sie erwartungsvoll an. Ihre Uniformjacken lagen auf einem Haufen, den Merita als Kopfkissen nutzte.
    „Na, was wollten sie von euch?“, fragte Toni.
    „Ach, die beiden Privates, die wir uns ausgesucht hatten, gab’s nur im Doppelpack“, antwortete Jarik.
    „Verdammt. Und jetzt?“, fragte Aven.
    „Suchen wir uns nen neuen Verhandler aus. Und du wirst trotzdem warten müssen, bis der oder die da ist.“ Leonie zwinkerte Aven zu, der eine Schnute zog.
    „Weniger quengeln, mehr bewegen. Sitzt da nicht so faul in der Gegend rum, hoch mit euch!“ Jarik und Leonie zogen sich die Jacken aus und ließen sie auf den Haufen fallen.
    Marc blieb grinsend sitzen. Merita streckte sich, gähnte herzhaft und begab sich an ihren Platz an Cams linkem Bein. Auch für sie gab es einen straffen Trainingsplan.      

Juri, einer von Jariks liebsten Sparringspartnern kam in die Halle gejoggt. Er hatte die gleiche Haarfarbe wie Jarik, war aber ein Stück größer und schwerer als dieser.
    „Ha! Hab ich doch richtig gesehen.“ Juri grinste Leonie verlegen an und begrüßte sie per Fist-Bump. „Hey, Ma’am! Darf ich ihn haben?“
    Leonie schaute ihn gespielt finster an und pikste ihm dem Finger in die Seite. „Wehe du machst ihn kaputt! Montag muss er wieder fit sein!“
    „Hey! Ich bin auch noch da!“, maulte Jarik und begrüßte Juri ebenfalls per Fist-Bump.
    „Keine Panik, ich pack ihn ordentlich ein.“ Juri zwinkerte Leonie zu.
    „Hmhm, ich wills für dich hoffen!“ Leonie drehte sich zu Jarik. „Übertreibt’s nicht“, sagte sie und schnaubte.
    Jarik zog sie am Kragen zu sich und küsste sie. „Jaja. Kümmerst du dich um den Sauhaufen?“ Leonie nickte und Jarik verließ mit Juri die Halle.      

Gian legte Leonie, die den beiden kopfschüttelnd hinterherschaute, den Arm um die Schultern. „Lass ihn spielen, dann ist er wenigstens wieder friedlich. Und sei froh, dass er Juri und nicht uns auseinandernimmt. Wobei. Ich glaube, niemand von uns ist mehr so dämlich, mit ihm in den Ring zu steigen, wenn er Frust hat. Den Fehler hat bis auf Julien jeder nur einmal gemacht.“
    Leonie schnaubte amüsiert. „Julien war manchmal aber auch echt bescheuert. Trotzdem. Mir reichts, dass Marc aussieht wie Sau.“
    Gian lachte lauthals los und drückte sie an sich. „Nu stell dich nicht so an und gibs einfach zu: Der Kerl ist scheiße heiß, wenn er im Ring steht. Und du maulst doch grad nur rum, weil du nicht zuschauen kannst!“
    „Gar nicht wahr!“ Leonie fühlte, wie ihre Wangen warm wurden.
    „Hmhm. Ist klar!“ Gian grinste vergnügt.
    „Halt die Klappe!“ Leonie knuffte ihm mit dem Ellbogen in die Seite.
    Gians keuchte auf. „Ha! Erwischt!“
    „Du weißt, dass das mindestens fünfzig Liegestütze extra waren?“
    Gian zuckte amüsiert mit den Schultern. „Portokasse.“
    Leonie verdrehte die Augen und begann mit ihrer Aufwärmroutine. Nach einigen Minuten zog sie die Gewichtsweste über, die Aven ihr hinhielt, und arbeitete sich mit den anderen durch ihr Trainingsprogramm. Sie feuerten sich gegenseitig zu Höchstleistungen an. Als Leonie sie nach drei Stunden in die Dusche schickte, trieften sie alle vor Schweiß. Merita trottete hechelnd hinter ihnen her.      

Zum Abendessen trafen sie sich in der Kantine. Leonie schnaubte, als Jarik aufkreuzte. Er stellte sein Tablett auf den Tisch und setzte sich neben Leonie. „Bevor du fragst: Mit mir ist alles gut.“
    „Und wie sieht Juri aus?“, fragte Aven frech.
    Jarik hustete und steckte sich eine große Gabel voll Salat in den Mund. Leonie seufzte kopfschüttelnd.
    „Was? Er weiß es besser als mir absichtlich auf den Sack zu gehen!“, nuschelte Jarik mit halb vollem Mund.
    Leonie legte sich die Hand über die Augen und seufzte gequält. Gian fing an zu glucksen und der Rest fiel mit ein. Leonie kämpfte, konnte sich das Grinsen aber doch nicht verkneifen.
    „Was machen wir eigentlich morgen?“, fragte Aven aufgeregt.
    „Wir werden wie immer schwitzen, fluchen, leiden und Spaß haben“, antwortete Jarik.
    Aven seufzte leidend, während der Rest herzhaft lachte.      

Nach dem Abendessen wanderten Jarik und Leonie zum Zellentrakt, in dem die Verhöre stattfanden.
    Als sie ankamen, liefen sie Mays und Briggs in die Arme, die sich eine der Befragungen durch eine Spiegelscheibe anschauten. Der Vernommene war an dem am Boden festgeschraubten Stuhl gefesselt und in sich zusammengesackt. Sie hatten ihn scheinbar den ganzen Tag bearbeitet. Physisch war er unversehrt, aber die Verhörspezialisten waren Meister der Psychologie.      

„Captain, Lieutenant. Sie beide hätte ich heute nicht mehr hier erwartet.“ Mays schaute sie verwundert an und rückte zur Seite, damit die zwei ebenfalls Platz vor dem Glas fanden.
    „Ma’am. Sir“, sagten sie im Chor und salutierten, bevor sie sich neben ihre Vorgesetzten stellten.
    „Wir waren neugierig. Was haben wir verpasst?“, fragte Jarik.
    „Nicht viel. Die Herren sind bisher leider stur.“ Mays nickte zum Gefangenen. „Der hier scheint aber langsam aufzutauen. Er behauptet, er wäre nur der unwissende Fahrer.“ Colonel Briggs schnaubte abfällig. „Ja, Jack. Ich weiß.“ Mays tätschelte seine Schulter und er brummte unwillig.
    Jarik und Leonie schmunzelten bei der vertrauten Geste. Es war bekannt, dass die beiden anderweitig glücklich verheiratet waren, ansonsten hätten sie geschworen, dass die zwei ein Paar waren.
    „Verschwenden Sie bloß keinen Gedanken an die Vögel“, sagte Mays energisch.
    Im Verhörraum ging das Interview weiter. Leonie hatte eine Gänsehaut, als sie den auf Englisch gestellten Fragen und Ausführungen des Befragers zuhörte. Der Gefangene schluchzte nun irgendetwas auf Spanisch, wovon sie jedoch nur Bruchstücke verstand.
    Mays rollte gähnend mit den Augen und stieß Briggs, den sie um drei Zentimeter überragte, mit der Schulter an. „Komm, Jack. Wir hauen ab, ich hab keine Lust mehr auf das Gesabbel.“
    Er hielt Mays den Arm hin und sie hakte sich ein. Die beiden spazierten mit einem „Schönen Abend noch“, aus dem Raum. Sie waren verschwunden, bevor Leonie und Jarik ihr „Ihnen auch!“, geschafft hatten.
    „Die Zwei, ey.“ Leonie lehnte sich wieder an Jarik. Sie schauten dem Verhör einige Minuten länger zu, dann beschlossen sie, für heute ebenfalls den Feierabend einzuläuten.
    Sie wollten etwas früher ins Bett, um für den nächsten Tag fit zu sein. Jariks Liebe für Sport und Spiele hatte sich auch in der Planung für seinen Geburtstag niedergeschlagen.

Jarik hatte überlegt, ob er statt zum Rest des Teams in die Kantine zu gehen, lieber mit Leonie alleine frühstücken sollte. Aber Leonie hatte nur den Kopf geschüttelt und ihn vor die Tür gezerrt, wo ihn die anderen schon erwartet hatten.
   Nun stand er mit blutenden Ohren im Flur und wünschte sich zurück ins Bett. Das Team hatte grade ein schaurig schräges Geburtstagsständchen geschmettert. Auch Merita hatte fleißig mitgeheult.
   Jarik schüttelte leidend den Kopf und rieb sich das Ohr. „Boah, ihr werdet von Jahr zu Jahr schlechter.“
   Leonie strahlte ihn begeistert an. „Ich dachte, das gehört so?“
   „Wir sollten das mal aufnehmen und für Verhöre nutzen, ich bin mir sicher, dass die dann ganz schnell klein beigeben.“ Jarik schauderte, musste aber grinsen.
    „Wir können es ja mal für Hayes vorschlagen“, sagte Leonie schmunzelnd. „Auf, auf. Ich hab Hunger!“    

Kurz darauf saßen sie mit voll beladenen Tellern an einem der Tische in der Kantine.
   „Was machen wir jetzt eigentlich heute?“ Aven strahlte Jarik aufgeregt an.
   Jarik verdrehte die Augen. „Na was wohl? Paintball. Was auch sonst?“
   „Wohoooo!“, rief Aven und erntete einige verwunderte Blicke. Merita, die unter dem Tisch lag, hob ebenfalls den Kopf und starrte ihn verschlafen an.
   Cam patschte ihm auf den Hinterkopf. „Jetzt hast du Merita geweckt!“
   Der Rest des Teams beobachtete die beiden schmunzelnd.
   „Na und? Die macht doch eh gleich wieder die Augen zu und pennt weiter. Außerdem ...“ Aven reichte ihr ein großes Stück Rührei von seinem Teller. „... muss sie zum Essen eh wach sein.“ Er grinste Cam vergnügt an.
   Dieser seufzte schwer und schüttelte den Kopf. „Irgendwann erwürg ich dich einfach, Aven. Irgendwann.“
   „Als ob, dafür magst du mich viel zu gerne. Auch wenn du das nie zugeben würdest.“ Vergnügt steckte Aven sich ein Stück Rührei in den Mund.
   Jarik beobachtete die beiden und fragte sich zum tausendsten Mal, was er verbrochen hatte. Aven und Cam beharkten sich derweil fröhlich weiter.
   „Wenn ihr mit dem Frühstück fertig seid, können wir los. Wir haben das Kill-House ...“ Jarik schaute auf seine Uhr. „... in zehn Minuten den ganzen Tag für uns.“
   Die Kill-Houses waren ihre Trainingshäuser, in denen sie, meist mit scharfer Munition, übten. Darin waren Hunderte Kameras verbaut, damit sie danach alles bis ins kleinste Detail analysieren und verbessern konnten. Häufig wurden diese aber auch für Paintballspiele verwendet.    

Gian, Leonie und Marc ließen sich Zeit und schlenderten gemächlich hinter den anderen her, die zusammen mit Jarik aus der Kantine eilten. Die beiden Männer hatten sie in die Mitte genommen und sie hatte sich untergehakt.
   „Hach ja, diese Kinder“, murmelte Gian und lachte.
   „Ja, du bist mit deinen siebenunddreißig natürlich schon voll der Opa“, antwortete Leonie neckisch.
   „Manchmal fühl ich mich wirklich so. Ich glaub, ich hab genug für ein paar Leben gesehen. Und ich hab ne Tochter, an die ich auch denken sollte.“ Er seufzte und fuhr sich mit der freien Hand durch die schwarzen Haare, in die sich langsam das erste Grau mogelte.
   „Erzähl mir was“, murmelte Marc.
   Leonie legte den Kopf schräg und schaute zwischen den beiden hin und her. Gian und Marc waren die Größten im Team, Leonie ging ihnen grade mal bis ans Kinn. Marc war jedoch schmaler als Gian und auch Jarik.
   „Was ist denn mit euch los?“, fragte Leonie besorgt.
   Marc seufzte. „Scheiße geschlafen und Mist geträumt.“
   „Von Dienstag?“ Leonie lehnte ihren Kopf an seine Schulter.
   Gian brummte verdrießlich. „Ich bin aufgewacht, weil er sich so rumgewälzt hat. Das hatten wir echt schon lange nicht mehr.“
   „Manchmal überleg’ ich, ob ich einfach die vier Jahre noch vollmache und mir dann irgendwas Ruhigeres suche. Search and Rescue, ohne dass einem die Kugeln um die Ohren fliegen. Oder ich mach noch die letzten Kurse und werd’ Arzt.“ Marc zuckte mit den Schultern. Er und Gian hatten über die Jahre immer wieder Lehrgänge zur Unfallchirurgie gemacht.
   Leonie nickte. Sie konnte seine Gedanken verstehen. So kurz nach Juliens und Milos Tod selbst fast zu sterben würde sie wohl auch zu solchen Überlegungen treiben. „Falls du jetzt rauswillst, wir finden ne Möglichkeit“, sagte sie leise.
   „Nope, ich lass euch nicht sitzen. Aber ich wäre ehrlichgesagt nicht böse, wenn ihr für nächstes Jahr nen Medic fürs Praxisjahr holt.“ Marc ließ den Kopf hängen.
   Leonie streichelte ihm über den Rücken. „Ich denke, da lässt sich was machen. Was ist mir dir?“ Sie schaute zu Gian.
   „So schnell wirst du mich nicht los. Und sobald Marc daheimbleibt, bin ich auch wegen Melina wieder entspannter. Seit Februar hab ich immer im Hinterkopf, was mit ihr ist, wenn uns beiden was passiert.“
   „Puh. Was ist mit Miriam?“, fragte Leonie.
   Gian knurrte. „Ach. Sie hat nen neuen Freund. Aber irgendwie ... er ist komisch. Und Melina ist von ihm auch nicht grad begeistert.“ Sie traten nach draußen in die Sonne.
   „Wirst du auf einmal eifersüchtig?“, fragte Leonie schmunzelnd.
   Gian starrte sie verständnislos an. „Warum sollte ich eifersüchtig sein? Melina war ein Unfall. Ich hab einmal mit Miriam geschlafen. Mir doch egal, mit wem sie zusammen ist. Mir gehts um Melina. Und ich will den Typen einfach nicht in ihrer Nähe haben.“
   Marc nickte zustimmend und Leonie nachdenklich.
   „Aber genug Trübsinn geblasen. Ich will jetzt irgendwen abballern und Spaß haben. Nach dem letzten Drama hab ich mir das so was von verdient!“ Gian grinste.
   Leonie und Marc schnaubten. Dampf ablassen war auch die Intention von Jarik bei der Planung gewesen.
   „Ich will auch! Aber ich zock’ dann halt ein bisschen am Tablet und hör Merita beim Schnarchen zu.“ Marc seufzte.
   Leonie tätschelte ihm mitfühlend den Rücken.    

Als sie an der Waffenkammer neben den Kill-Houses ankamen, waren die anderen bereits in schwarze Overalls und Schutzausrüstung gekleidet.
   Irgendjemand hatte einen bequemen Liegestuhl für Marc und eine Wasserschüssel für Merita organisiert und beides in die Sonne gestellt. So früh am Morgen war es noch kühl. Der strahlend blaue Himmel und der Wetterbericht versprachen jedoch spätestens zum Mittag Temperaturen um die dreißig Grad.
   Leonie und Gian zogen sich ebenfalls um und nahmen die Paintballgewehre entgegen, die ihnen die anderen reichten.

Jarik erklärte die Regeln für den Tag. Sie würden vier gegen vier, und pro Runde so lange spielen, bis eine Gruppe komplett ausgelöscht war. Alle grölten enthusiastisch. Jarik und Leonie spielten mit Gian und Rico. Das zweite Team wurde von Aven, Cam, Fee und Toni gebildet.    
   „Warum hat Gian eigentlich beide Chefs?“, fragte Toni.
   „Zum Ausgleich! Er hat auch Rico!“ Fee grinste.
   Rico kniff die Augen zusammen. „Was soll’n das jetzt heißen?“
   „Das, mein lieber portugiesischer Zwerg, wirst du schon noch sehen“, sagte Aven und lachte.
   Rico plusterte sich auf und funkelte nun Aven an. „Zwerg? So viel größer bist du auch nicht!“ Er schnaubte.
   Die anderen amüsierten sich prächtig über Rico, der vier Zentimeter kleiner als Aven und Fee war, was ihm absolut nicht passte.
   „Hey, ich kann nichts dafür, dass deine Mama dich so klein gebaut hat!“
   „Hast du grade meine Mama beleidigt?!“ Rico sprang Aven an und sie rollten raufend über den Boden, bis sie vor Jariks Stiefeln liegen blieben. Dieser räusperte sich und sie schauten nach oben.
   „Seid ihr dann fertig mit Spielen oder braucht ihr ne Dusche?“, fragte er und seufzte.
   Die beiden zuckten zusammen, sprangen auf und standen stramm. „Wir sind fertig, Sir!“ Sie klopften sich den Staub ab.
   „Hebt euch die Energie fürs Spielen auf.“ Jarik schmunzelte.
   Aven und Rico strahlten. „Ja, Sir!“
   Jarik lächelte vergnügt. „Na los, Bewegung!“, bellte er los.    

Sie luden ihre Paintballwaffen durch und sammelten sich teamweise an der ihnen zugewiesenen Eingangstür des Kill-Houses. Jarik setzte derweil die HUDs und Comm-Module in den Trainingsmodus. Nun hörten und sahen sie ausschließlich ihr eigenes Team. Marc hatte er als Trainer eingetragen, so konnte dieser nebenbei Schiedsrichter spielen.    

„Jarik. Auf mein Zeichen. 3 – 2 – 1 – Go!“, rief er und eröffnete das Gemetzel.
   Beim Paintball schenkten sie sich nichts. Und sie hatten dabei einen Heidenspaß. Jarik amüsierte sich prächtig, als Leonie Cam umnietete, während der grade ein Freudentänzchen darüber aufführte, dass er Rico erwischt hatte. Kurz darauf feierte Aven einen Treffer auf Jariks Rücken. Nach einer Weile mischten sie die Teams immer wieder neu durch. Die Durchläufe dauerten nicht lange. In den meisten Fällen schossen sie sich einfach ungeachtet der Teams gegenseitig über den Haufen und blieben dann lachend liegen.    

Nach vier Stunden ordnete Jarik eine kurze Pause an. Er hatte einen Private aus der Kantine beauftragt, Essen und Getränke für alle zu bringen. Sie setzten sich zu Marc und Merita. Die hungrige Meute fiel über die gebrachte Kiste her und verschlang den Inhalt in Rekordzeit. Nebenbei neckten sie sich, wie üblich.
   Fee hatte es geschafft, sich Gians rote Paintballfarbe in die kurzen, weißblonden Haare zu schmieren, und sah aus wie Rotkäppchen. Toni hatte Cam ein grünes Herz auf die Weste geschossen, was dieser stolz präsentierte. Aven rieb sich über seinen nun hellblauen Schritt und starrte Rico irritiert an.
   „Wenn du in meine Hose willst, dann kannst du auch einfach fragen, statt mir in die Eier zu schießen! Oder hast du etwa Angst vor der imposanten Kobra?“ Aven grinste und alle prusteten los.
   Rico errötete. „Weder noch. Das war die Rache dafür, dass du mir in den Arsch geschossen hast!“, maulte er.
   Leonie kippte japsend zur Seite um, während der Rest sich weiterhin neckte. Nach der kurzen Pause spielten sie weiter.    

Weitere vier Stunden später waren alle von oben bis unten kunterbunt mit Farbe eingesaut, die sich mittlerweile auch ihren Weg unter die Overalls gesucht hatte. Saubere Stellen hatte der schwarze Stoff kaum noch. Müde, lachend und scherzend ließen sie sich vor dem Kill-House auf den Boden fallen. Ihre Helme und Paintball-Gewehre lagen um sie herum verstreut auf dem Rasen. Sie schauten Jarik an, der breit grinsend zu ihnen hin stapfte und auf sie heruntersah. Auch er war komplett eingefärbt. Am Ende hatten er und Leonie zu zweit gegen die sechs anderen gespielt. Und die hatten einen Heidenspaß gehabt, sie zu jagen und mit Farbe zu beschmieren. Er wollte gar nicht wissen, wo das Teufelszeug mittlerweile überall hingelaufen war, seine Hose fühlte sich jedenfalls unangenehm feucht an.
   „Na meine Schweinchen! Hattet ihr Spaß?“, fragte er amüsiert.
   Die Meute nickte und grölte, wenn auch nicht mehr so laut wie am Morgen. Sie waren ausgelaugt. Acht Stunden Paintball im Kill-House, noch dazu in voller Montur und bei knapp dreißig Grad, waren anstrengend. Dennoch waren alle mit Feuereifer dabei gewesen. Leonie und Jarik waren stolz auf sie.    

„So! Waffen putzen und wegräumen, Overalls aus und in die Wäsche. Dann machen wir Feierabend!“ Jarik war zufrieden.
   Der müde Haufen klaubte sich vom Boden und folgte seinen Anweisungen. Sie putzten und räumten die Gewehre weg, schälten sich aus der eingesauten Ausrüstung und warfen sie in einen Wäschewagen, den ein Private zwischendrin gebracht hatte. In Unterwäsche schrubbten sie sich mit feuchten Handtüchern grob ab, bevor diese ebenfalls im Wagen landeten.    

Fees Haare blieben rosa, was ihr ordentlich Spott einbrachte.
   „Wir sollten mal Farbe benutzen, die bei den Jungs auch hängen bleibt“, meinte Leonie zu Jarik, der losprustete.
   „Wird schwer, irgendwie haben wir ja ne fast komplett dunkelhaarige Männer-Meute erwischt. Ich sollte dann jetzt mal was anderes bestellen, ich fühl mich so einsam.“ Jarik kratzte sich am Kopf.
   „So ne dralle Rothaarige wärs“, warf Rico ein, was ihm amüsierte Blicke vom Team einbrachte.
   „Warum? Ich dachte, du wolltest erst mal verzichten?“, feixte Fee.
   „Einfach so. Schauen darf ich ja!“ Ricos Wangen waren dunkelrot und er schmollte.
   „Wenn du wen zum Kuscheln willst, kannst auch Aven fragen. Der ist zwar nicht drall und rothaarig, aber wir finden bestimmt ne Perücke.“ Cam grinste.
   „Na, wie wär’s mit uns?“ Aven wackelte mit den Augenbrauen.
   Rico winkte ihn weg und errötete noch mehr. Der Rest amüsierte sich prächtig.    

Barfuß und in Unterwäsche marschierte die Gruppe durch die Gänge zu ihren Zimmern, um sich anständig zu duschen und anzuziehen. Marc trottete mit Merita gemächlich hinterher, da Cam sie nicht in der Nähe der Farbe haben wollte. Niemand schaute sie irritiert an, es kam häufiger vor, dass Soldaten nach dem Training so durch das Hauptquartier stapften. Ein paar amüsierte Blicke gab es jedoch.
   Jarik und Leonie stiegen wieder gemeinsam in die Kabine, um sich gegenseitig sauber zu schrubben, was lange genug dauerte. Danach gönnten sie sich noch ein wenig Spaß und Entspannung.    

Die Partyeinladung von Elin und Jasmin sagte Leonie nach dem Abendessen ab. Die beiden waren absolut nicht böse. Der Vorfall hatte sie ziemlich mitgenommen und keiner der Frauen war nach Partymachen zumute. Sie einigten sich aber darauf, den Abend zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen.
 

***



Am folgenden Montagmorgen setzten sich Jarik und Leonie neben Keenan und Mids an den Tisch im Besprechungsraum. Außer ihnen waren die Teamleiter von acht weiteren Teams und Selene, die Analystin, anwesend. Auch Ioannis und sogar sein neuer Co-Leader waren dabei, obwohl sie eigentlich Urlaub hatten, was Leonie erstaunte.
   Jarik griff sich eine der Kaffeekannen auf dem Tisch und füllte zwei Becher für sich und Leonie.
   „Ich bin mal gespannt, was das hier wird“, sagte Leonie und nahm dankend den Kaffeebecher von Jarik entgegen. „Wir waren eben bei den Colonels, aber die haben uns nur kommentarlos hergeschickt.“
   Keenan zuckte mit den Schultern. „Ich hab auch nur ne Nachricht bekommen, dass Mids und ich herkommen sollen.“
   Bevor sie jedoch weiterrätseln konnten, betraten die Detectives Jelena Misova, Jan Roth und Joshua Weiss den Raum. Letzterer zwinkerte Leonie zu, als er sich am Kopfende des Tisches neben Jelena setzte. Sie waren gemeinsam in einem Team gewesen, bevor Leonie zu Jarik hatte wechseln können.
   Leonie lächelte ihn an und konzentrierte sich auf Jelena, die stehen geblieben war und die Gruppe nun aufmerksam musterte.

„Bevor ihr mir vor Neugierde umfallt, fangen wir an. Kann bitte wer die Tür schließen?“, sagte Jelena.
   Einer der anderen Teamleiter, der direkt neben der Tür saß, schloss diese wie gewünscht.
   „Ihr seid hier, da ihr ein Teil der neuen Taskforce Stockholm seid. Ihr wart bereits alle an einem oder mehreren Einsätzen in Verbindung mit den Ermittlungen zu Quentin Hayes und Götz Financials beteiligt. Da nicht ganz klar ist, wie weit das Netzwerk um Hayes und dessen Obere reicht, haben wir um zehn Teams gebeten, die uns exklusiv für weitere Festnahmen zur Verfügung stehen. Das sind dann immer noch über hundert Personen, aber wir wollen vermeiden, dass die Infos die Runde machen. Heißt, die Informationen, die ihr hier erhaltet, teilt ihr mit niemandem, auch nicht mit euren Vorgesetzten. Stellt bei Unterhaltungen untereinander und mit eurem Team also sicher, dass niemand mithören kann.“ Jelena nickte Selene zu, die pflichtbewusst die Präsentation auf dem Beamer startete. „Kurze Vorstellung vorab. Ich bin Jelena Misova und leite die Taskforce. Neben mir sitzt Joshua Weiss, ein Detective aus meinem Team.“ Sie deutete auf ihn und er nickte einmal grüßend in die Runde, die die Geste erwiderte. „Major Ioannis Stavros wird die Leitung der Combat-Teams übernehmen.“ Jelena zeigte auf ihn und Ioannis grinste, als die meisten der Teamleiter die Hände hochrissen und jubelten.

Jelena wartete, bis wieder Ruhe einkehrte. „Gut, da wir die Personalien geklärt haben und alle zufrieden sind, nun zum spannenden Teil. Ich bin mir nicht sicher, wie viel jeder von euch mitbekommen hat, daher geb ich einfach mal ne kurze Zusammenfassung, damit dann auch alle auf dem aktuellen Stand sind.“ Sie machte eine kurze Pause. „Im April haben wir Captain Leonie Brandt ...“ Jelena zeigte auf sie. „... mehr oder weniger undercover bei Götz Financials einschleusen können. Leonie kennt Ben Götz seit ihrer Kindheit. Er hat die Ermittlungen nach der Festnahme seines Vaters auch nach Kräften unterstützt. Es deutet absolut nichts darauf hin, dass er irgendwie an den Geschäften seines Vaters beteiligt war, im Gegenteil. Bens Mutter leitet eine Hilfsstelle für Opfer von häuslicher Gewalt in Mannheim und wird von ihm großzügig finanziell unterstützt. Zudem steht er aufgrund seiner Beziehung zum im Februar im Einsatz getöteten  Sergeant First Class Julien Dubois seit Jahren unter Beobachtung. Was der Grund war, warum wir die Verbindung von Hayes zu Götz Financials überhaupt gefunden haben, auch wenn wir eher zufällig drüber gestolpert sind.“
   Leonie verschluckte sich an ihrem Kaffee und begann zu husten. Jarik nahm ihr die Tasse ab und klopfte ihr auf den Rücken. Jelena schaute sie fragend an, Jarik winkte jedoch ab und Jelena fuhr fort.
   „Die geschäftliche Beziehung von Hayes und Hans Götz kam letztes Jahr im November ans Licht. Die beiden Einsätze in Spanien und Schweden, bei denen 3-032 und 3-357 herbe Verluste erlitten haben, gehen auf diese Ermittlungen zurück. Und ja, uns ist bekannt, dass 3-032 ein persönliches Interesse daran hat, das Konglomerat um Hayes zur Strecke zu bringen. Ioannis und auch Joshua haben mir aber versichert, dass sie euch unbedingt mit dabei haben wollen und ich mir keine Sorgen um irgendwelche Rachefeldzüge machen muss.“ Jelena musterte Jarik und Leonie scharf.
   „Keine Sorge. Ich kann euch versichern, dass wir Ioannis Vertrauen in uns nicht enttäuschen werden. Dasselbe gilt auch für unser Team“, sagte Jarik und nickte Ioannis dankbar zu. Dieser antwortete auf dieselbe Weise.
   „Gut. Ich will das Dreckspack vor ein Gericht bringen und nicht meine eigenen Leute wegen Mordes verfolgen müssen.“
   „Dann sind wir uns einig“, sagte Leonie mit fester Stimme.
   Jelena musterte sie kurz und nickte. „Gut. Weiter im Text. Durch Leonies Einsatz bei Götz Financials haben wir Mitte Mai zumindest teilweise Zugriff auf die Serverdaten bekommen. Aus den Ergebnissen wurden in der Woche drauf, in sechsundzwanzig Einsätzen, bei denen die meisten von euch dabei waren, zweihundertelf Personen gerettet. Diese waren in teilweise erbärmlichen Zustand. Zwei davon sind trotz intensivmedizinischer Bemühungen gestorben. Bei dreien ist die Sachlage noch unklar, dreiundfünfzig weitere brauchen weitreichende medizinische Versorgung. Alle müssen vermutlich über Jahre psychologisch betreut werden.“
   Nicht nur Jelena schluckte. Leonie war froh, dass sie keine Bilder zeigten. Jarik hatte ihr in den letzten Tagen doch noch einen groben Abriss über die Einsätze und das, was sie vorgefunden hatten, gegeben.
   „Während der Einsätze sind uns mehrere Videos von Hayes in die Hände gefallen. Ein Studienfreund von Hayes, der bei diesem wohl gerne einkauft, hat Hayes mit versteckter Kamera gefilmt. Es sieht so aus, als ob er Hayes bei Privatpartys wohl mehrfach Mädchen zur Verfügung gestellt hat. Und Hayes hat sich an ihnen ausgetobt. Sie wurden brutal vergewaltigt, misshandelt und mindestens eine hat die Begegnung mit ihm nicht überlebt.“ Jelena schnaubte. „Das war die Grundlage, um Hayes endlich festnehmen zu können. Die oberen Herrschaften fanden das aber wohl nicht so lustig und haben einen Putztrupp zu Götz Financials geschickt. Den wir ja zum Glück aufhalten konnten.“
   Jelena schaute zu Joshua. „Willst du weitermachen?“

„Gerne.“ Joshua stand auf. „Bei den Einsätzen haben wir insgesamt über einhundertfünfzig Personen festnehmen können. Der Großteil wurde an die lokale Justiz übergeben, zweiunddreißig haben wir behalten. Ich war an allen Vernehmungen beteiligt. Wer mich nicht kennt, ich war Recon bei 3-204, bevor ich vor fünf Jahren wegen einer Verletzung im Einsatz zu Intelligence gewechselt bin. Hat sich angeboten, Informationsbeschaffung und Verhöre hab ich ja vorher auch gemacht.“
    Mehrere der Teamleiter, inklusive Jarik und Leonie lachten leise.
    „Hayes weigert sich bis heute zu reden. Hans Götz ist dagegen relativ schnell zusammengeklappt. Er ist allerdings ein verdammt guter Schauspieler. Es hat eine Weile gedauert, bis er zugegeben hat, dass er wusste, dass die UNSF versucht, ihn festzunehmen. Er hatte Video-Kameras im Gang, die nicht am Hauptsystem hingen, sondern nur ihm zur Verfügung standen. Und Jarik, ihr hattet wegen Miss Maier nie eine Chance. Ihr hättet ihn sofort erschießen müssen, damit er sie nicht tötet, was ihr aber nicht durftet. Sie wusste wohl viel zu viel.“ Er nickte Selene zu. „Und damit kommen wir zur nächsten spannenden Person: Daniel Keller. Eines unserer neuen High-Valuable-Targets. Miss Maier hat sich im Studium als hochpreisige Escort-Dame verdingt, um damit ihren ausschweifenden Lebensstil zu finanzieren. Keller war einer ihrer Kunden und hat sie mit zu Götz gebracht, wo sie weiterhin fürstlich entlohnt worden ist. Dafür durfte sie dort die Businesspartner bei Laune halten. Wie kann sich wohl jeder denken.“ Joshua verzog das Gesicht. „Unsere Suche konzentriert sich nun auf Daniel Keller. Er war am Tag des Überfalls nicht da, wir gehen also davon aus, dass er davon wusste und sich abgesetzt hat. Daneben werten wir natürlich auch die Daten, die wir bei Götz Financials gefunden haben, weiter aus. Ioannis? Willst du den Plan für die Combat-Teams einmal durchgehen?“ Joshua setzte sich.

Ioannis nickte, stand aber nicht auf. „Da ihr aus unterschiedlichen Gruppen seid und einige schon ein paar Tage keinen Urlaub mehr hatten, nutzt diese Woche, um euch zu erholen. Wir werden ab nächster Woche ein paar Übungen zusammen machen, da einige der Teams noch nie zusammengearbeitet haben. Ich möchte, dass ihr euch bei großen Festnahmen wie ein einzelnes Team bewegen könnt. Während der Taskforce steht ihr nicht für reguläre Einsätze zur Verfügung. Wir gehen davon aus, dass wir die Einsätze mit ein bis zwei Tagen Vorlaufzeit planen können. Den Rest der Zeit nutzen wir für weitere Teamtrainings. Immer die Hälfte der Teams bleibt aber in Bereitschaft. Wir wechseln durch, damit nicht ständig dieselben Leute zusammen üben.“ Er schaute in die Runde der nickenden Teamleiter. „So. Noch Fragen? Oder haben wir euch erfolgreich mit Infos überladen?“    

Nach einigen Sekunden Stille folgte eine Frageflut. Es dauerte über zwei Stunden, bis sie alle Fragen abgearbeitet hatten. Leonie streckte sich und stöhnte, als sie endlich aufstehen konnte. Jarik legte ihr den Arm um die Taille und zog sie schmunzelnd an seine Seite. Sie folgte bereitwillig und lehnte sich an ihn.
   „Was hältst du nachher von ’nem Ausflug in die Therme? Schön heißes Wasser und entspannen?“, fragte er leise.
   „Klingt nach einer genialen Idee. Vielleicht will der Rest ja auch mit?“
   Jarik schnaubte. „Ich muss Gian dann mal fragen, ob er Beruhigungsmittel für Aven hat.“
   Leonie lachte leise und schaute dann zu Joshua, der auf sie zukam.
   „Hey, lange nicht gesehen. Was macht dein Bein?“, fragte Leonie.
   „Selber hey. Solange ich keine zig Kilo Ausrüstung und Gepäck durch die Gegend schleppe gehts mittlerweile wieder super.“ Er lächelte und wurde dann ernst. „Tut mir leid wegen Julien und Milo.“
   Leonie tätschelte ihm den Arm. „Danke. Und danke dafür, dass du und Ioannis uns ermöglichen hier dabei zu sein.“
   „Es war die einzig logische Entscheidung. Grade du hast wahnsinnig viel zu den Ermittlungen beigetragen. Und ich hab dich nicht als kopflose Rächerin, sondern als besonnene und vernünftige Offizierin im Kopf. Ich gehe also davon aus, dass du das Pack genauso hinter Gitter bringen willst wie ich. Und ich hab den Eindruck, dass das auch für Jarik gilt“, sagte Joshua.
   Jarik nickte. „Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich ihnen nicht den Hals umdrehen will. Aber ich kann auch damit leben, dass sie bis an ihr Lebensende in Sibirien  vor sich hinschimmeln werden.“
    „Das wollte ich hören!“ Joshua lächelte Leonie an. „Falls du Zeit und Langweile hast, können wir uns auch gerne mal wieder abseits der Arbeit treffen.“
   Leonie lachte lauthals los, als Jarik neben ihr belustigt schnaubte. „Danke für das Angebot, aber ich passe. Ich bin kein Fan davon zweigleisig zu fahren.“
   „Ach, wer hat dich mir denn weggeschnappt?“, fragte Joshua neugierig.
   Leonie tätschelte Jarik die Brust und lächelte ihn liebevoll an. „Der hier.“
   „Echt jetzt? Wow! Damit hätte ich ja nie gerechnet. Ich dachte, ihr seid ‚nur‘ beste Freunde?“
   „Waren wir ja auch ewig. Bis wir eingesehen haben, dass das Leben viel zu kurz ist, um sich gegen die Anziehung zwischen uns zu wehren.“ Jarik küsste Leonie die Stirn.
   Joshua seufzte theatralisch. „Ach verdammt, was soll ich denn jetzt nur tun?“
   Sie lachten alle drei und Jarik klopfte Joshua aufmunternd auf die Schulter.
   „Ich bin mir sicher, dass du genügend Damen hast, die nur auf nen Anruf von dir warten“, sagte Leonie.
   Joshua grinste. „Die ein oder andere. Aber ich muss leider los. Wir sehen uns ja spätestens nächste Woche! Genießt den Urlaub!“    

Sie verabschiedeten sich und Joshua joggte davon, während Jarik ihrem Team eine Textnachricht schickte, dass sie sich im Teamraum treffen würden. Er und Leonie schlenderten gemütlich dorthin, um dem Rest die Neuigkeiten zu überbringen.
   „So, du und Joshua also? Wann hab ich das denn verpasst?“, fragte Jarik.
   „Als ich 3-032 mit dir zusammen übernommen hab. Davor ging’s ja nicht wirklich. Auch wenn sie vieles großzügig übersehen, Offizier mit Untergebenem in einem Team ist immer noch ein No-Go. Wir haben uns fast ein Jahr hin und wieder getroffen, aber nie exklusiv. Dann hatte er ne Freundin und irgendwann kam seine Einsatzverletzung. Seit er bei Intelligence ist, hab ich gar nicht mehr gesehen. Warum fragst du eigentlich?“
   Jarik zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, so langsam verstehe ich, warum wir nie was von Julien und Ben mitbekommen haben.“
   „Na ja, wir haben nie wirklich drüber geredet, wer da grade mit wem rummacht. Ich hab es auch nie wissen wollen. Klar, hin und wieder hat man mal was am Rande mitbekommen, aber mehr als lose Affären waren es ja nie. Seien wir mal ehrlich, wie hätte das funktionieren sollen? Wir drei und dazu dann noch irgendwelche Partner?“
   Jarik schnaubte amüsiert. „Auch wieder wahr. Ich hatte gar kein Bedürfnis, da noch irgendwen reinzuholen.“
   „Same. Und Julien wird's vermutlich genauso gegangen sein.“
   „Hmhm. Aber nun komm, die Meute will bestimmt in den Urlaub.“ Jarik drückte Leonie an sich.
   „Faules Pack“, sagte Leonie schmunzelnd.    

Sie erreichten ihr Wohngebäude und stapften die drei Stockwerke nach oben. Im Teamraum wartete ihr Team bereits auf sie. Jarik und Leonie brachten ihre Kollegen auf den neusten Stand.    
 

***

   

Ihre freie Woche nutzten alle für Urlaub. Aven, Cam, Fee, Rico und Toni mieteten sich kurzfristig eine Hütte am Bodensee und fuhren mit Merita noch am selben Nachmittag los. Jarik und Leonie hatten Ricos Ausgang genehmigt, da er sich in den letzten Wochen vorbildlich verhalten hatte und die vier Ricos Geburtstag feiern wollten. Sein Alkoholverbot blieb jedoch bestehen. Jarik und Leonie flogen zu Jariks Familie, wo sie bis zum Wochenende bleiben wollten. Gian und Marc fuhren am nächsten Morgen mit Melina zu Gians Eltern.

Es hatte keine zwei Tage gedauert, bis es Jarik zu Hause zu bunt geworden war. Montag Abend war entspannt gewesen. Nachdem sie seiner Familie beim Frühstück erzählt hatten, dass sie zusammen waren, hatte seine Mutter Natasha sie den ganzen Tag mit Enkelwünschen und Hochzeitsplänen genervt. Jarik hatte versucht, Natasha klarzumachen, dass sie an beidem kein Interesse hatten, aber sie war nicht zu stoppen gewesen. Irgendwann war Leonie wütend nach draußen verschwunden, während Natasha völlig verständnislos hinterhergeschaut und sich über die Unhöflichkeit beschwert hatte. Jarik hatte Mühe gehabt, Leonie zu überreden, wenigstens zum Abendessen und Schlafen wieder ins Haus zu kommen. Am nächsten Tag hatten sie nach dem Frühstück ihre Sachen gepackt und sich von Jariks Vater Ivan zurück zum Flughafen fahren lassen.      

Leonie ließ ihre Stiefel und Tasche mitten im Gang stehen und stapfte zum Bett, auf das sie sich mit dem Gesicht voraus einfach fallen ließ. Jarik schob die Schuhe zur Seite und räumte ihre Rucksäcke aus, bevor er ihr folgte.
    Er legte sich neben sie und zog sie an sich. Leonie kuschelte sich an ihn und bettete ihren Kopf auf seine Brust. Sie blieben lange so liegen und genossen die Ruhe und Zweisamkeit.
    „Magst du als Ablenkung was mit Elin und Jasmin machen?“ Jarik hatte gesehen, dass Leonie auf dem Flug mit beiden geschrieben hatte.
    „Was hältst du davon, wenn sie David und Nate noch mit einpacken und wir zusammen hier ins Q gehen? Einfach einen gemütlichen Abend machen?“
    „Wenn ich nicht tanzen muss, meinetwegen.“
    Leonie grinste. „Nope, ich hab Elin und Jasmin. Und wie ich gehört habe, tanzt David auch ziemlich gerne, ich hab also mehr als genug willige Auswahl.“
    „Ziehst du dann dein schwarzes Kleid an, das ich so mag?“ Jarik setzte seinen besten Dackelblick auf.
    Leonie küsste ihn. „Weil du so nett fragst. Du müsstest mir nur mein Handy geben, damit ich den beiden schreiben kann.“
    Er reichte ihr das Telefon vom Nachttisch und schloss die Augen, während Leonie Elin anschrieb.      

Am nächsten Abend trafen sie sich mit David, Elin, Jasmin und Nate an einem Seiteneingang der Basis, um sie dort mit Besucherausweisen in Form von Armbändern auszustatten. Leonie hatte Fee gefragt, ob sie mitwollte, aber diese war bereits anderweitig verabredet.
    Nate stellte das Auto auf dem Besucherparkplatz vor dem Tor ab. Jarik legte seinen Arm um Leonie Schultern, und wartete, bis die vier auf sie zukamen. Leonie hatte Jariks Kleiderwunsch erfüllt, dazu jedoch Ballerinas angezogen, während Elin und Jasmin in High Heels unterwegs waren.
    „Hey, du schon wieder!“, sagte Jasmin zu Jarik, der ihr zuzwinkerte. „Bekomm ich dann endlich einen Namen zum Gesicht?“
    „Jupp. Ich bin Jarik. Und nein, ich bin nicht bei der Mafia!“ Er grinste breit und Jasmin wurde rot.
    Elin und Leonie lachten, während David und Nate etwas verwundert schauten.
    „Jasmin hatte vermutet, dass Jarik bei der Mafia ist, nachdem sie ihn das erste Mal unten auf dem Parkplatz gesehen hat. Leo hat sich vor Lachen kaum noch eingekriegt“, erklärte Elin amüsiert.
    David zuckte schmunzelnd mit den Schultern. „Da kann ich Leo voll verstehen. Wobei ich mich grad frage, ob Leo wirklich Leo heißt.“
    „Ich heiße Leonie. Leo passt also perfekt. Aber wollen wir?“
    Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zum Q, welches sich in einem unscheinbaren, fabrikähnlichen Gebäude auf dem UN-Gelände verbarg.      

Die vier Besucher staunten nicht schlecht, als sie den geräumigen Club betraten. Jarik hatte im etwas ruhigeren Barteil eine gemütliche Sitzecke reserviert, damit sie sich bequem unterhalten konnten. Nachdem sie ihre Getränke bestellt hatten, schauten sich Elin und Jasmin neugierig um. Zwischen dem weißen Fliesenboden, hellen Holzmöbeln und schwarzen Polstern standen überall Leuchtwürfel, die in allen Farben des Regenbogens erstrahlten. Da es grade erst kurz vor zehn war, waren noch nicht sehr voll.
    „Wow. Ich hab ja schon bisschen was gehört, aber das übertrifft sämtliche Beschreibungen echt um Längen“, sagte Elin fasziniert.
    „Jepp. Und die Sofas hier sind verdammt gemütlich!“ Jasmin rutschte herum und sank noch tiefer in die Polster.
    Die Bedienung brachte ihre Getränke und verschwand, ohne abzukassieren.
    „Öhm, wie bezahlen wir hier eigentlich?“, fragte David verwundert.
    Jarik grinste. „Ihr seid eingeladen. Und wir machen hier das meiste elektronisch. Der Tisch ist auf mich gebucht, ich bekomm dann irgendwann die nächsten Tage die Rechnung. Falls ihr was an der Bar bestellen wollt, nehmt einfach die Armbänder.“
    Nate machte den Mund auf, schloss ihn aber wieder, als Elin ihm den Ellbogen in die Rippen stieß. Leonie hatte sie bereits vorgewarnt, dass Diskussionen diesbezüglich zwecklos waren.
    „Dankeschön“, sagte Elin und lächelte Jarik an, der ihr zunickte.
    Sie erhoben die Gläser und prosteten sich zu.
    „Auf einen entspannten Abend!“
    „Ha! Michi wird so neidisch sein, wenn wir ihm erzählen, dass wir hier waren“, sagte Elin aufgeregt.
    „Stimmt, der versucht ja seit Monaten irgendwen zu finden, der ihn mit hierher nimmt. Aber ohne UN-Kontakte wird das wohl nix“, antwortete Jasmin.
    „Ne, wir bleiben irgendwie ganz gerne unter uns.“ Leonie grinste.
    „Wie ist man eigentlich auf die Idee gekommen, hier auf dem Gelände ne eigene Disco aufzumachen?“, fragte Nate.
    Leonie zuckte mit den Schultern. „Die gibts schon seit Jahren. Es war der Wunsch nach einem geschützten Raum zum Entspannen da. Wo man sich eben nicht mit dem Rücken an die Wand setzen oder irgendwie Stress erwarten muss. Klar, hin und wieder gibts mal kleinere Streitereien, aber ich glaub, die letzte ernsthafte Prügelei ist anderthalb Jahre her. Zudem braucht mal sich hier eher weniger Sorgen drum machen, dass man blöd von der Seite angelabert oder ungefragt betatscht wird.“
    „Hm, klingt traumhaft“, sagte Elin strahlend.
    „Jetzt weißt du, warum ich gesagt hab, dass wir hierher gehen.“ Leonie zwinkerte ihr zu.      

Kurz darauf verschwanden David, Elin, Jasmin und Leonie in Richtung Tanzfläche. Jarik und Nate blieben zurück.
    „Ich wollte nicht vor Elin und Jasmin fragen, aber ist aus den Serverdaten, die Elin euch gegeben hat, noch was Sinnvolles rausgekommen?“, fragte Nate.
    „Soweit ich mitbekommen hab, war das ne absolute Goldgrube.“
    „Viel war in der Zeitung ja nicht zu finden. Die haben sich ja eher drüber zerrissen, dass ihr Hayes einkassiert habt.“
    Jarik zuckte mit den Schultern. „Joa, wir bekommen auch nur am Rande was mit. Um die Ermittlungen kümmern sich andere. Wir kommen nur ins Spiel, wenns wen zum Festnehmen oder Rausholen gibt.“
    „Arbeitet ihr eigentlich häufiger zusammen?“
    Jarik legte den Kopf schief. „Leonie und ich?“ Nate nickte und Jarik fing schallend an zu lachen. „Sie hat euch nicht verraten, dass wir in einem Team sind?“
    Nate starrte ihn perplex an. „Wie? Ich dachte, ihr wärt ...“
    „Zusammen? Ja. Wir haben ein paar mehr Freiheiten als ihr. Solange es auf der gleichen Ebene ist und es im Team keinen Stress gibt, wird recht großzügig drüber weg geschaut.“
    „Wow. Seid ihr dann bei der Guard? Ich dachte, Leo wäre irgendwie so ne Undercover-Agentin. Zumindest hab ich mal gehört, dass es bei euch so was gibt.“
    Jarik schnaubte amüsiert. „Joa, wir haben so was Ähnliches. Aber nein, wir leiten eins der Assault-Teams zusammen.“
    „Ein Assault-Team? Wow. Dann brauch ich mich auch nicht mehr wundern, warum Leonie so gut schießen kann.“
    „Pff. Du solltest sie mal am Scharfschützengewehr sehen.“ Jarik grinste verträumt.
    „Okay, jetzt bin ich neugierig.“
    „Pro-Tipp: Versuch erst gar nicht, sie herauszufordern. Du kannst nur verlieren!“
    „Ich werd’s mir merken.“      

David kam auf sie zugeschlendert und ließ sich neben Nate aufs Sofa fallen. Er drehte sich zu Nate, um ihn zu küssen, erstarrte dann aber und räusperte sich verlegen.
    „Ihr braucht euch hier absolut keine Gedanken drum machen. Sofern ihr nicht übereinander herfallt und euch auszieht, wird sich niemand beschweren. Wenn ihr euch küssen oder ankuscheln wollt, machts einfach.“ Jarik lächelte.
    „Oh.“ David drehte sich zu Nate und küsste ihn.
    „Noch ein Grund, warum viele gerne hierher kommen. Hier mischt sich niemand ins Liebesleben von anderen ein. So lange alle Beteiligten freiwillig dabei und zufrieden sind, kann sich hier jeder frei ausleben.“
    „Klingt ja paradiesisch“, sagte David.
    Jarik wackelte mit dem Kopf. „Dafür haben wir andere Macken. Reich wird man hier auf jeden Fall nicht. Und wenn du dich einmal für den Laden entschieden hast, ist es verdammt schwer hier noch mal rauszukommen. Wobei man auch sagen muss, dass sich die UNSF um einen kümmert, egal was ist. Und man muss hier keine Sorge haben, dass Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Ich bin nicht dran interessiert, der Folterknecht für irgendwen zu sein.“
    „Hör auf, ich werde neidisch.“ David schnaubte.
    „Warum?“, fragte Jarik.
    „Ach, wir haben seit ein paar Monaten nen neuen Commander. Sagen wir es so, wir werden keine Freunde mehr.“
    Nate seufzte. „Sag doch einfach, dass der Kerl ein absolutes Arschloch ist.“
    „Ja, aber können wir über was anderes reden? Ich will mir von dem Pfosten nicht den Abend verderben lassen.“ David schaute Nate bittend an, bis dieser nickte.      

„Hast du gewusst, dass Leo mit Jarik eins der Assault-Teams leitet?“, fragte Nate David.
    Dieser schaute erst ihn, dann Jarik ungläubig an. „Ernsthaft? Ich dachte, das wären die Special Operation Forces der UNSF?“
    Jarik musterte David scharf. „Und?“
    David hob abwehrend die Hände. „Nichts, wundert mich nur. Bei uns findest da ja eher selten Frauen. Und eigentlich keine im Rang eines Captains. Ich hätte eher auf Undercover-Teams oder so was getippt.“
    „Das hab ich auch gedacht. Aber cool, dass die UN da nicht ganz so arschig ist und es Frauen gefühlt extra schwer macht.“
    „Es wird ihnen aber auch nicht einfacher gemacht. Entweder du bringst die geforderte Leistung oder du bist raus. Kein Unterschied zu euch. Leonie hat sich ihren Platz hart erarbeitet. Aber es wird halt anerkannt, dass es mehrere Wege gibt, die zum Ziel führen.“
    „Aber wer von euch ist dann der Chef?“, fragte David.
    „Wir beide? Die Combat-Teams werden bei uns immer von zwei Offizieren geleitet. Und selbst wenns Rangunterschiede gibt, sind die innerhalb des Teams gleichberechtigt. Nur im Praxisjahr nach der Ausbildung kann dich der andere überstimmen.“
    „Interessantes Konzept. Und das funktioniert auch bei Stress?“, fragte David.
    „Sogar ziemlich gut. Wenn du ne Weile zusammenarbeitest, weißt du, was der andere denkt. Und ich weiß, dass ich mich auf Leonie verlassen kann. Warum sollte ich ihre Entscheidungen anzweifeln? Wir sind ein Team, keine Horde aus Ego-Einzelkämpfern.“
    „Wie lange kennt ihr euch eigentlich schon?“, fragte Nate.
    Jarik grinste. „Seit dreizehn Jahren. Wir haben die Ausbildung zusammen gemacht.“
    „Wart ihr die ganze Zeit zusammen?“
    Jarik schüttelte den Kopf. „Nein. Ich bin fürs Praxisjahr ins jetzige Team gekommen, sie und Julien, unser bester Freund, in andere. Nach dem Jahr haben Leonie und ich zusammen die Offiziersausbildung gemacht, danach sind wir wieder aufgeteilt worden. Aber wir haben alles an Freizeit zusammen, statt wie gewünscht mit unseren Teams verbracht. Als dann mein Teamleiter wegen ’ner Verletzung aufgehört hat, durften Leonie und Julien zu mir wechseln. Das ist sechs Jahre her.“
    „Julien grad unterwegs?“, fragte Nate.
    Jarik biss die Zähne zusammen und schüttelte dann den Kopf. „Nein. Er ist Anfang des Jahres nicht mehr von einem Einsatz heimgekommen.“
    „Scheiße. Sorry!“, sagte Nate zerknirscht.
    Jarik winkte ab. „Kannst du ja nicht wissen.“ Er rieb sich über die Brust und lächelte traurig.

Elin, Jasmin und Leonie kamen in diesem Moment wieder. Als Leonie sich neben ihn fallen ließ, zog Jarik sie an sich und lehnte seine Stirn gegen ihren Kopf.
    Sie streichelte ihm über den Oberschenkel. „Alles gut?“, fragte sie leise.
    „Jetzt ja. Wir sind grad auf Julien gekommen.“
    Leonie nickte und lehnte sich an Jarik.
    Elin saß zwischen David und Nate und schien verwundert, dass beide sie küssten. Jasmin saß daneben und grinste, während sie zwischen allen hin- und herschaute.
    Den Rest des Abends widmeten sie sich leichteren Themen. Sie scherzten herum und lernten sich besser kennen. Leonie brachte Jarik sogar dazu, mit ihr zu tanzen.      

Später liefen sie gemeinsam zum Tor, um die vier wieder zum Auto zu bringen. Jarik und Leonie hatten zwar angeboten, dass sie im Gästehaus schlafen konnten, aber David, Elin und Nate wollten am nächsten Tag ausschlafen und das Bett nicht verlassen müssen.      

Am nächsten Abend waren Fee, Jarik und Leonie grade mit dem Abendessen fertig geworden, als Jariks Handy klingelte. Es war David. Verwundert nahm er das Gespräch an.
    „Hi.“ David seufzte. „Ich wollte fragen, ob du paar Minuten Zeit für mich hast. Ich steh vorm Haupttor.“
    „Natürlich. Soll ich Leonie mitbringen?“
    „Ist es in Ordnung, wenn ich Nein sage?“, fragte David leise.
    „Völlig. Gib mir fünf Minuten, ich muss einmal übers Gelände, aber ich sag den Guards schon mal Bescheid, dass sie dich reinlassen sollen. Sag ihnen, dass du zu mir willst.“
    „Danke.“
    „Bis gleich.“ Jarik legte auf und schaute zu Leonie, die ihn verwundert ansah.
    „Das war David, der ziemlich scheiße klang, und gefragt hat, ob ich Zeit für ihn hab“, beantwortete Jarik die unausgesprochene Frage.
    Leonie nickte. „Wir gehen dann den Vierzehnern alleine auf den Sack. Viel Spaß.“ Sie küsste Jarik und schlenderte mit Fee in Richtung der Wohngebäude.
    „David wie in Elins David?, hörte Jarik Fee fragen, bevor die beiden Frauen außer Sicht verschwanden.
    Jarik meldete David beim Haupttor an und machte sich auf den Weg.

David sah müde und abgekämpft aus. Jarik lotste ihn auf die Restaurantterrasse auf dem Dach des Besucherzentrums. Dort setzen sie sich in eine der ruhigen Lounge-Ecken. Jarik bestellte Tee, David Bier.
    Als die Bedienung ihre Getränke gebracht hatte, beobachtete Jarik David, der gedankenverloren mit seiner Flasche spielte.
    „Willst du reden oder noch eine Weile nachdenken?“, fragte Jarik nach einigen Minuten.
    David schreckte hoch und schaute ihn verlegen an. „Sorry. Ich hab grad nicht so richtig Ahnung, wie ich anfangen soll.“
    „Irgendwas ist zwischen gestern Abend und jetzt passiert. Wie wär’s damit?“
    „Ich bin heute Morgen in die Base beordert worden. Als ich angekommen bin, hat man mich zum Commander geschickt. Er hat zusammen mit meinem Teamleiter auf mich gewartet. Sie wollten wissen, was ich denn jetzt schon wieder mit der UN zu schaffen hätte. Sie waren extrem pissig, dass ihn ihnen nicht gesagt habe, was mit euch im Büro passiert ist.“
    Jarik schnaubte. „Sie wissen aber schon, dass sie sich damit auf verdammt dünnem Eis bewegen, oder? Die Abkommen haben klar definiert, dass alle Requirierten über ihre Missionen und Erfahrungen zu schweigen haben. Und auch, dass Fragen dazu verboten sind.“
    „Ich weiß. Wurde mir vom Detective eindrücklich eingetrichtert.“ David seufzte. „Sie haben auch nicht direkt gefragt. Aber es war verdammt nahe dran. Und danach hat der Commander losgelegt, dass ich froh sein soll, dass man so großzügig über meinen abartigen Lebensstil hinwegsehen würde. Wäre ich kein so guter Operator, hätte man mich schon längst rausgeworfen. Und wenn ich meinen Job behalten will, sollte ich mich von euch ganz weit fernhalten.“
    Jarik kochte vor Wut. „Dein abartiger Lebensstil? Was zur Hölle?“
    „Die Worte von meinem Commander. Mein Teamleiter hat mich später zur Seite genommen und sich dafür entschuldigt. Aber der Commander ist halt nicht der Einzige, der so denkt. Zwei aus meinem Team sind, seit es irgendwer rausgefunden hat, auch recht zurückhaltend, was mich angeht. Und ich frage mich halt, wie ich so vernünftig meinen Job machen soll. Zumal ich schlecht zu Elin oder Nate sagen kann und es auch nicht will, dass wir uns nicht mehr mit euch treffen können.“
    „Scheiße“, murrte Jarik.
    „Das trifft’s perfekt. Ich hab keine Ahnung, warum ich damit zu dir komme, aber du warst der Einzige, der mir eingefallen ist.“
    „Was ist mit Nate?“, fragte Jarik verwundert.
    David seufzte. „Wenns nach Nate ginge, wäre ich schon lange bei der Army raus. Er hat nach zwölf Jahren nicht mehr verlängert. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber im letzten Jahr vor Ablauf seines Vertrags gab’s wohl im Team riesig Stress. Ich weiß, dass ich in der Firma sofort nen Job hätte, aber ...“ David ließ den Kopf nach hinten fallen und starrte in den Himmel.
    „... du magst das, was du da machst. Du lebst für den Job.“, beendete Jarik den Satz.
    „Ja. Zumal ich noch mindestens drei Jahre hab. Und für Pensionsansprüche noch fünf. Ich hab keine Lust, Bodyguard für irgendwelche High-Society-Töchter zu spielen, die mich dann ständig antatschen. Ich hab keine Ahnung, wie Nate den Scheiß aushält.“
    „Ich kann dich absolut verstehen. Ich würd meinen Job nicht freiwillig eintauschen und versuche, so lang wie möglich drin zu bleiben.“
    „Vermutlich bin ich deswegen zu dir gekommen.“
    Jarik nickte. „Klingt logisch. Bleibt aber die Frage: Was jetzt?“
    David lachte freudlos. „Ich hab keinen blassen Schimmer. Ich muss mich Montag morgen auf der Base melden, vermutlich werden wir wieder irgendwohin geschickt. Aber was dann? Was sag ich Elin und Nate, wenn sie was mit euch machen wollen? Abgesehen davon, was passiert, wenn mich heute wieder jemand gesehen hat?“      

Jarik lehnte sich mit seinem Teeglas zurück, streckte die Füße aus und musterte David einige Minuten nachdenklich. „Du könntest versuchen, zur UNSF zu wechseln.“
    Davids Kopf schoss hoch und er starrte Jarik an. „Was meinst du?“
    „Wir haben einige Soldaten bei uns, die nicht von Anfang an dabei waren. Grade die Älteren waren eigentlich alle bei ihren Landesmilitärs, bevor sie mit Gründung der UNSF vor fünfundzwanzig Jahren zu uns gewechselt sind. Und auch heute gibts immer noch Wechsler. Es wird nicht an die große Glocke gehängt, aber möglich ist es.“
    Während David nachdachte, orderte Jarik neue Getränke.      

David trank einige Schlucke von seinem frischen Bier. „Wie würde das ablaufen?“, fragte er.
    „Du kannst dich bewerben oder jemand empfiehlt dich. Dann werden deine Unterlagen geprüft, du wirst vermutlich mehrere Tage interviewt und durchleuchtet. Wenn sie zufrieden sind, kannst du direkt anfangen. Du musst auf jeden Fall eine Menge Gesetze auswendig lernen, dich den Menschenrechten verpflichten und zum Abschluss deine Staatsbürgerschaft abgeben. Dazu kommt entsprechendes Training für den Zweig, in den du willst, und die Eignungsprüfung.“
    „Hätte ich Chancen auf die Combat-Teams?“
    Jarik grinste. „Davon gehe ich bei ’nem Green Beret aus. Alles andere würde mich doch sehr enttäuschen.“
    „Wo ist der Haken?“, fragte David nach einer Weile.
    Seufzend stellte Jarik den Tee auf dem Tisch ab. „Solange du im Training bist, verlässt du das UN-Gelände nur für Einsätze und niemals ohne Begleitung. Und du kannst dein Heimatland erst wieder betreten, sobald du deine alte Staatsbürgerschaft abgegeben hast. Du verpflichtest dich auf Lebenszeit. Du unterwirfst dich den Gesetzen der UN, die teilweise deutlich schärfer sind als anderswo. Aber wenn du nicht grad ein Arsch bist, ist Letzteres kein Problem.“
    „Wie siehts mit Besuch aus?“, fragte David unsicher.
    Jarik schmunzelte. „Wenn du hier bist, kannst du entweder hier im Besucherzentrum oder im Gästehaus Besuch empfangen. Sobald du aus dem Training raus bist, kann deine Familie nach einer gründlichen Überprüfung und Freigabe auch ins normale Wohngebäude. Wenn sie wollen, können sie dort sogar mit dir wohnen. Während der Einsatzmonate wird erwartet, dass du hier schläfst. Wenn du später Training hast, darfst du auch raus, solange zu den Trainingszeiten anwesend bist. Im Urlaub kannst du sein, wo du willst. Ich empfehle, für Reisen die UN-Linienflüge zu nehmen, die sind für uns kostenfrei.“
    „Heißt die erste Zeit würde ich Elin und Nate vermutlich eher nicht sehen, danach theoretisch sogar während der Einsatzmonate, sofern sie hier schlafen.“
    „Ja, das trifft’s ganz gut. Alle drei Jahre sind wir vier Monate in irgendwelchen Krisengebieten, ansonsten sind wir hier stationiert. Hin und wieder sind wir für ne Woche auf Abruf in einer der kleineren Basen, aber wir sind nicht ständig draußen.“
    „Was passiert, wenn ich verletzt werde oder so was? Was ist dann mit Elin und Nate?“ David fummelte am Etikett der Flasche herum.
    „Du wirst rundum versorgt. Klar, mit dem Ziel dich wieder einsatztauglich zu bekommen, aber wenns nicht geht, gibts tausend andere Möglichkeiten. Auf die Straße gesetzt wirst du nicht. Und solange die beiden als Familie gelistet sind, werden sie unterstützt, wenn sie das brauchen.“      

David stand auf und ging zur Brüstung der Dachterrasse, wo er gedankenverloren in die Ferne starrte. Jarik ließ ihn gewähren, lehnte sich entspannt in seinem Sessel zurück und holte sein Handy heraus. Per Textchat unterrichtete er Leonie über sein bisheriges Gespräch mit David.      


    Leonie: Wenn er rein will, würd ich auch mit Mays reden, damit er zu uns ins Team kommt.
    Jarik: Auf den letzten freien Platz?
    Leonie: Wohin sonst? :p
    Jarik: Dafür müsste er aber als Verhandler durchgehen.
    Leonie: Du weißt schon, wo er jetzt ist? Als Green Beret ist er perfekt dafür geeignet.
    Zudem weiß er, wie es in nem richtigen Einsatz abgeht und was wichtig ist.
    Und ich bin mir sicher, dass er auch charakterlich bestens passt.
    Jarik: Wahr. Willst du Mays fragen, bevor er sich entschieden hat?
    Leonie: Ich bin schon auf dem Weg. :D
    Jarik: Warum frag ich eigentlich?
    Leonie: Keine Ahnung. Bin da, melde mich, sobald ich ne Antwort hab.


Jarik steckte das Handy grinsend in die Tasche. Als Leonie dreißig Minuten später antwortete, dass sie ihn haben könnten, sofern er die Zugangsvoraussetzungen erfüllen würde, stand David immer noch grübelnd an der Brüstung.
    Jarik stand auf und stellte sich neben David. „Du musst dich nicht heute entscheiden.“
    „Ich weiß, aber ich hab das Gefühl, dass ich es sollte. Keine Ahnung warum.“
    Jarik sah in von der Seite her an. „Ich schmeiß mal in den Überlegungspot rein, dass du unserem Team zugewiesen werden würdest, sofern du die Zugangsvoraussetzungen erfüllst. Aber was hältst du davon, wenn wir ne Runde laufen gehen? Alternativ setzt du dich neben die Bahn und trinkst weiter Bier und ich laufe. Aber so langsam schläft mir der Arsch ein.“ Jarik grinste und David lachte auf.
    „Müssen wir dafür vors Tor?“
    „Nope. Solange du in meiner Nähe bleibst, können wir auch auf eine der Laufbahnen.“
    „Dann auf. Bewegung hilft beim Denken.“
    „Ich sehe schon: Wir werden beste Freunde.“ Jarik grinste und schlug David freundschaftlich auf den Rücken.      

Sie machten sich auf den Weg zum Sportplatz. Sie passierten ein Tor, das den Besucherteil von der eigentlichen Basis trennte, wo David ein Trackerarmband bekam. Den restlichen Weg zur Laufbahn joggten sie.
    Nach anderthalb Stunden ließen sie sich neben Leonie aufs Gras fallen, die ihnen Wasserflaschen hinhielt. Sie hatte sie bereits eine Weile beobachtet.
    „Hast du schon mit Elin und Nate geredet?“, fragte sie.
    David leerte die halbe Flasche und legte sich auf den Rücken. „Nein. War aber mein nächster Schritt. Sie vor vollendete Tatsachen zu stellen wäre arschig.“
    Jarik und Leonie nickten versonnen.
    „Willst du gleich anrufen oder noch bisschen Zeit schinden?“, fragte Leonie.
    David überlegte einige Sekunden. „Ich ruf gleich an. Die fragen sich garantiert schon, was so lange dauert. Es ist ja schon fast Mitternacht.“
    „Na dann auf. Ich hab dir ein Zimmer im Gästehaus und frische Klamotten organisiert. Morgen um acht ist dein erstes Interview.“
    David lachte. „Ich hab doch noch gar nicht gesagt, was ich vorhabe?“
    „Alleine, dass du noch da bist, beantwortet mir alle Fragen. Oder liege ich falsch?“ Leonie grinste ihn verwegen an.
    „Der Punkt geht an dich.“ David atmete tief durch. „Also los.“
    Sie standen auf. Jarik und Leonie brachten David zu seinem Zimmer in den Gästequartieren und verabschiedeten sich, damit er in Ruhe telefonieren konnte.      

Als sie sich frisch geduscht in ihr eigenes Bett legten, war es bereits nach eins.
    Leonie kuschelte sich an Jariks Seite und legte ihren Kopf auf seine Schulter. „Ich muss gestehen. Damit hab ich nun wirklich nicht gerechnet, als ich heute Morgen aufgestanden bin.“
    „Ich auch nicht. Aber ich glaube, er wird sich gut im Team machen. Und fit ist er auf jeden Fall. Solange er sich bei den Interviews nicht als Psycho rausstellt, sollte er auch problemlos durch alle Tests kommen.“
    „Mays hat jedenfalls erstaunlich wenig Widerstand geleistet, als ich ihn vorgeschlagen hab.“
    Jarik schmunzelte. „Das will was heißen. Aber jetzt schlafen. Ich hab das Gefühl, dass wir morgen Elin und Nate auf der Matte stehen haben und sie bespaßen dürfen.“      

Jarik behielt recht. Während David sein erstes Interview hatte, saßen Jarik und Leonie mit Elin und Nate auf der Terrasse, auf der er am Abend zuvor mit David gesessen hatte. Die beiden waren skeptisch, aber Leonie konnte sie recht zügig beruhigen. Zudem hatte Nate sich schon länger Sorgen wegen Davids neuem Commander gemacht.
    Sie aßen gemeinsam mit David zu Mittag. Danach fuhren Elin und Nate nach Hause, während David weiter interviewt wurde.      

Zum Abendessen war das Team dann wieder vollständig in der Basis. Jarik und Leonie informierten sie darüber, dass David mit großer Wahrscheinlichkeit bald zu ihnen gehören würde.
    „Uffz. Meinst du, das passt?“, fragte Gian skeptisch.
    „Sonst hätte ich es nicht vorgeschlagen. Und wir bekommen damit einen erfahrenen Operator“, antwortete Leonie.
    „Ich hab bei ihm ein gutes Gefühl“, sagte Jarik.
    Nachdenklich musterte Gian seine beiden Chefs und zuckte dann mit den Schultern. „Okay. Geben wir ihm ne Chance.“
    Der Rest nickte und widmete sich dann ihren Urlaubserlebnissen.
    Noch während sie zusammen in der Kantine saßen, kam Mays zu ihnen. „Bleiben Sie sitzen.“ Sie setzte sich ebenfalls. „Ich nehme an, Sie haben Ihr Team schon unterrichtet?“
    „Haben wir, Ma’am“, sagte Leonie.
    „Gut. Da wir Sergeant Collins ja vorab schon unter die Lupe genommen haben, hat Intelligence bereits ihr Go gegeben. In den Interviews heute hat er sich auch gut gemacht, die Docs waren zufrieden und bei der Fitness hab ich keine Bedenken, er ist ja aktiv im Einsatz gewesen. Alles in allem können Sie ihn also haben. Wie haben Sie sich vorgestellt, dass er den rechtlichen Kram lernt?“ Mays grinste.
    Jarik schaute sie perplex an. „Kann er das nebenbei lernen?“
    „Sie haben ganz schön viele Sonderwünsche. Aber ich will mal nicht so sein. Sie können die Verstärkung dringend brauchen. Sehen Sie zu, dass er das Wichtigste bis Ende Juli drin hat. Sobald alle Tests abgeschlossen sind, bekommt er seine Technik. Vermutlich ab nächster Woche können Sie ihn dann haben.“ Mays stand auf und klopfte auf den Tisch. „Bleiben Sie sitzen. Schönen Abend noch.“
    „Danke, Ma’am! Ihnen auch!“, sagten sie im Chor.      

Als Mays verschwunden war, herrschte einige Minuten fassungslose Stille.
    Aven war der Erste, der seine Stimme wieder fand. „Okay. Noch mal für mich zum Mitschreiben. Ihr wart Freitag mit David weg. Er hat dafür gestern von seinen Chefs auf die Fresse bekommen, ist dann direkt zu dir gekommen und ist seit heute Morgen eigentlich schon in der Übergangsphase und gab nächster Woche uns. Heilige Scheiße!“
    Cam drückte Aven den offenstehenden Mund zu.
    Leonie lachte los. „Ja, das war ne gute Zusammenfassung. Aber ich würde sagen, wir hauen uns heute früh ins Bett. Ab morgen darf Ioannis uns quälen. Und wir wissen alle, dass er das verdammt gut kann. Null-sechshundert auf Sportplatz vier.“
    Bis auf Rico und Jarik stöhnten alle auf. Rico blieb stumm, weil er noch nicht in den Genuss von Ioannis’ Trainingseinheiten gekommen war. Jarik, weil er das Training liebte und Spaß daran hatte, selbst wenn es wehtat.
    „Mist, da war ja was“, sagte Gian und ächzte. „Zum Glück hab ich nen großen Vorrat Eispacks und letztens erst wieder neue Sportsalbe bestellt.“
    Aven strahlte ihn an. „Ha! Ich weiß, an welcher Tür ich dann morgen klopfen komme.“
    Sie räumten ihre Tabletts weg und scherzten auf dem Weg zum Wohnhaus miteinander herum. Auf dem Flur sagten sie sich gute Nacht und verschwanden in ihren Wohnungen.

Müde rieb Leonie sich das Gesicht, als sie sich, zusammen mit den anderen, um fünf vor sechs auf dem Sportplatz einfand und teamweise aufstellte. Die Tasche mit ihrer Ausrüstung legte sie vor sich auf den Boden. Punkt sechs Uhr erschienen Ioannis, Joshua und Jelena und stellten sich vor die Gruppe.
    Joshua trat einen Schritt nach vorne. „Einen wunderschönen guten Morgen. Ich hoffe, ihr habt gut geschlafen, wir haben einiges vor. Ich nehme an, alle wurden von ihren Teamleitern informiert. Aber noch mal zum Mitschreiben: Egal was im Rahmen der Taskforce besprochen wird, es bleibt in dieser Runde. Mir scheißegal wer fragt, und wenn es der Marshal persönlich ist, kein Wort nach außen! Ansonsten viel Spaß mit dem Muskelkater! Sie gehören dir, Ioannis.“
    Die Menge lachte, als Joshua und Jelena einmal in die Runde winkten und dann verschwanden.
    Ioannis wartete, bis wieder Ruhe eingekehrt war. „So, jetzt gehört ihr ganz mir!“ Er grinste wölfisch. „Wir fangen simpel an. Jedes Team wird halbiert und mit der Hälfte eines anderen Teams zusammengepackt. Danach gehts ins Killhouse. Ziel ist es, Geiseln zu befreien, nehmt die Angreifer nach Möglichkeit gefangen. Für jeden toten Angreifer gibts fünf Punkte Abzug, für jede tote Geisel zwanzig. Für jedes tote Teammitglied fünfzig. Für jeden der lebend rauskommt, gibt es fünf Punkte. Und nein, ihr dürft euch nicht aussuchen, wie ihr die Teams teilt. Ihr habt die Einteilung auf dem HUD. Macht euch fünfzehn Minuten warm und zieht eure Ausrüstung an. In dreißig Minuten gehts los.“
    Ioannis ging zu seinem Team, um sich mit ihnen aufzuwärmen.    

Jarik, Leonie und ihr Team gingen ein Stück zur Seite, um genügend Platz zu haben.
    „Oh man, ich ahne Böses“, sagte Cam und seufzte.
    Gian nickte. „Nicht nur du.“
    „Ich merk schon, ich muss euch in Zukunft härter rannehmen, damit ihr aufhört, über Ioannis zu heulen.“ Jarik grinste.
    Aven starrte ihn empört an. „Als ob du nicht schon schlimm genug wärst!“
    „Weniger Mimimi, mehr Aufwärmen. Los jetzt!“, sagte Jarik.
    Sie arbeiteten ihre übliche Aufwärmroutine durch. Danach halfen sie sich gegenseitig in ihre Ausrüstung und überprüften, ob alles richtig saß. Ioannis hatte Leonie mit Toni, Gian und Cam in eine Gruppe gesteckt. Jarik hatte Aven, Marc, Fee und Rico. Sie waren beide anderen Teamhälften zugeteilt worden, die sie bisher nur flüchtig kannten. Sie holten sich die Airsoft-Waffen, die sie für das heutige Training nutzen würden und machten sich auf den Weg zum zugewiesenen Kill-House. Cam übergab Merita an einen der anwesenden Hundetrainer.
    Sie würden heute erst mal ohne die Hunde üben. Die Geiselnehmer wurden von Guards gespielt. Nicht nur Leonie hatte am Anfang den Fehler gemacht, die Guards zu unterschätzen. Aber während die Combat-Teams Experten des Angriffs waren, waren die Guards Meister der Verteidigung. An ihnen vorbeizukommen war so gut wie unmöglich.

Nachdem sie sich mit dem anderen Team-Teil abgestimmt hatten, ging es los.
    Wie Leonie schon vermutet hatte, waren die ersten Durchläufe deutlich verbesserungswürdig. Innerhalb ihres Teams waren sie aufeinander eingespielt, wussten intuitiv, was die anderen machen würden. Mit fünf Unbekannten wurde das Ganze deutlich anspruchsvoller.
    Die Guards erzielten zu Leonies Verdruss einige Treffer.      

Einige Stunden später ließ sich das Team neben dem Sportplatz für ein schnelles Mittagessen ins Gras fallen. Joshua setzte sich zu Leonie, die sich an Jariks Seite gelehnt hatte und ihre Spaghetti aß.
    „Ich hab gehört, ihr bekommt einen Neuen“, sagte Joshua und grinste.
    „Hmhm. Tu nicht so unschuldig. Du könntest mir aber mal verraten, warum er so schnell freigegeben wurde? Das dauert doch sonst Wochen.“
    Joshua zuckte mit den Schultern. „Wir hatten da mal was vorbereitet.“
    „Willst du mich verarschen?“ Leonie schnaubte.
    „Ist ja gut. Wir hatten ihn schon auf der Beobachtungsliste, weil du dich mit Miss Marquardt so gut verstanden hast. Die vier sind alle bis auf die Unterhose durchleuchtet worden. Und nach eurem gemeinsamen Einsatz hat man selbst da reingeschaut.“
    „Ihr habt ihre Handys verwanzt, als sie beim Debriefing waren“, sagte Leonie missmutig.
    Joshua wurde rot und nickte dann. „Unter anderem. Aber sei froh, so kannst du ihn direkt haben und musst nicht noch ewig warten. Wobei die Interviews gestern extrem fix gingen. Er hat mir jede Frage, ohne zu zögern und ehrlich, beantwortet. Egal wie unangenehm es war. Sonst dauert das ja immer so lange, weil die Leute ewig überlegen und rumeiern. Er hat zweimal gefragt, ob er die Frage wirklich beantworten muss. Als ich ihm gesagt hab, dass es leider sein muss, gab’s ein Seufzen und danach hatte ich meine Antworten.“
    „Löblich. Ich kann mich erinnern, dass ich nicht so freigiebig war“, sagte Jarik.
    „Die ganzen Fragen waren ja auch megapeinlich!“ Marc wurde rot. „Ich hab mit süßen achtzehn grade massiv damit rumgehadert, dass ich Männer interessanter finde als Frauen und dann kamen die mit Fragen an, was ich von Homosexualität und so was halte. Ich bin fast gestorben!“
    Die anderen lachten leise.
    Gian massierte Marc den Nacken. „Damit hast du heute ja zum Glück keine Probleme mehr.“
    „Warum auch?“ Marc lehnte sich zurück und sah Gian lächelnd an. „Dich würd ich gegen nichts eintauschen wollen.“
    „Das wollte ich hören.“ Gian beugte sich zu ihm und küsste ihn liebevoll.
    Aven rümpfte die Nase. „Boah, bei so viel Zucker werde ich neidisch. Hört auf!“
    Gian lachte leise, ließ sich aber nicht beirren.
    „Dann such dir halt auch mal wen, statt nur durch die Gegend zu vögeln. Ist ja nicht so, als ob du nicht genügend Auswahl hättest.“ Cam schüttelte den Kopf.
    „Aber ich kann mich nicht entscheiden!“ Aven seufzte.
    Jarik warf ihm eine leere Wasserflasche an den Kopf. „Hör auf zu heulen und gönn den beiden die Streicheleinheiten. Ich bin mir sicher, dass wir in den nächsten Wochen kaum Zeit für so was haben.“ Er zog Leonie zwischen seine Beine, sodass sie mit dem Rücken an seiner Brust lehnte, und legte seine Arme um ihren Bauch.
    Leonie drückte ihre Wange an seine. „War das jetzt der dezente Hinweis, dass wir die Zeit auch nutzen müssen?“, fragte sie leise.
    „Hmhm.“ Jarik küsste ihren Hals.
    Leonie drehte den Kopf und zwickte ihm mit den Zähnen vorsichtig ins Ohrläppchen. „Wenn du brav bist und dich in der nächsten Runde anstrengst, gibts später eine nette Belohnung“, flüsterte sie.
    Schaudernd drückte Jarik sie fester an sich. „Bring mich doch um“, sagte er und stöhnte gequält.
    „Scheiße, Aven, du hattest recht! Auf den beiden kann man Spiegeleier braten! Halleluja!“ Cam lachte.
    „Und du wolltest mir nicht glauben!“ Aven warf die leere Wasserflasche weiter zu Cam.
    „Ich glaube, wir brauchen gleich nen Feuerlöscher“, sagte Toni trocken.
    Fee zeigte zu Ioannis, der sich auf eine Kiste gestellt hatte. „Ich glaube, Ioannis taugt ganz gut dafür.“
    Alle stöhnten gequält auf, als Ioannis das Ende der Pause verkündete.
    Joshua lachte dreckig und stand auf. „Viel Spaß, ich setz mich jetzt nach drinnen und gönn mir ne kalte Cola.“
    „Du Arsch!“, maulte Leonie.
    Joshua schnaubte und grinste dann. „Sorry, nach der Nummer brauch ich eindeutig ne Abkühlung.“
    „Sieh zu, dass du Land gewinnst, bevor ich dir die Ohren lang ziehe!“, schimpfte Leonie.
    Lachend hob Joshua die Hände. „Ich bin ja schon weg. Viel Spaß!“ Er drehte sich um und joggte in Richtung der Büroräume.
    Das Team erhob sich ächzend, räumte ihre Teller und Flaschen in die dafür vorgesehenen Kisten und ließ sich dann von Ioannis zur nächsten Trainingsrunde scheuchen.      

Den Rest des Tages und die folgenden verbrachten sie mit einem heftigen Trainingsprogramm. Danach duschten sie, fielen über ihr Abendessen her und gingen ins Bett. Aber das Training hatte sich gelohnt. Egal wie man die Teams nun mischte, sie bewegten sich als Einheit. Natürlich fehlte die jahrelange Erfahrung miteinander, aber dennoch war Leonie erstaunt und beeindruckt. Und sie hatten wahnsinnig viel voneinander gelernt. Auch ihr Team war begeistert und Jarik hatte Ioannis schon gefragt, ob sie solche Trainings in Zukunft häufiger machen konnte. Ioannis und die anderen Teamleiter hatten sofort zugesagt.    
 

***



Am Montag Mittag konnten Jarik und Leonie David endlich abholen. In Jeans und T-Shirt saß er in der Cafeteria des Besucherzentrums und tippte auf einem Tablet herum.
    David stand grinsend auf und salutierte, als er die beiden entdeckte. „Captains. Melde mich bereit zum Dienst.“
    Jarik nickte und schmunzelte dann. „Sehr gut, Sergeant. Aber zuerst bekommst du vernünftige Klamotten.“
    „Und danach zeigen wir dir dein Zimmer. Und dann werfen wir dich der Meute zum Fraß vor.“ Leonie lachte.
    David wurde rot. „Ich hoffe, sie mögen mich und haben kein Problem mit Elin und Nate.“
    „Entspann dich. Auf, auf. Wir haben einiges vor. Morgen steht dein erstes Training an. Mal schauen, ob ihr Green Berets wirklich so harte Kerle seid, wie ihr immer behauptet.“ Jarik Grinsen ließ nichts Gutes erahnen.
    Leonie hieb ihm den Ellbogen in die Seite. „Benimm dich! Ansonsten sag ich Ioannis, dass du gerne ne Extrabehandlung haben willst.“
    Jarik hob die Hände und stöhnte. „Ist ja gut. Ich bin ja schon brav.“      

Zu Fuß machten sie sich auf den Weg zur Armory. Auf beiden Seiten des Weges war eine fast hüfthohe Wildwiese, die vor lauter Bienen und anderer Insekten summte. Überall waren große Büsche und Bäume, die Schatten spendeten, und man konnte den Bach hören, der sich irgendwo zwischen dem dichten Gras befand.
    David schaute sich neugierig um. „Wow. Also den Preis für den besten englischen Rasen gewinnt ihr garantiert nicht.“
    „Nein, aber dafür haben wir ein wunderschönes Biotop mit seltenen Pflanzen, Insekten und anderen Tieren. Das sieht hier eigentlich überall so aus. Ist Teil von irgendeinem UN-Umweltschutzprojekt. Aber frag mich nicht nach dem Namen.“ Leonie lachte.
    Davids Blick blieb an den mit Holz verkleideten und begrünten, sechsstöckigen Wohnblöcken hängen, die fast das gesamte Gelände einnahmen. „Wie bekommt ihr hier eigentlich alles unter? So riesig ist die Anlage doch gar nicht?“
    „Der größte Teil der Basis liegt unterirdisch. Überirdisch sind nur die Wohngebäude, das Besucherzentrum, Sportanlagen und noch paar andere Sachen“, antwortete Jarik.
    „Hm. Platzsparend seid ihr also auch noch. Und vermutlich kommt man bei Regen trocken von A nach B?“, fragte David.
    Leonie nickte. „Ja, das ist manchmal ganz praktisch. Außerdem gibts unten ein fahrerloses Transportsystem, mit dem man recht zügig von einer Ecke in die andere kommt. Aber das wirst du alles noch kennenlernen.“
    Jarik legte seine Hand auf einen Leser an der Tür eines der Wohnhäuser und zog nach einem leisen Pieps die Tür auf. „Jetzt gehts erst mal runter. Wenn wir deine Ausrüstung haben, gehen wir rüber in deine neue Wohnung. Und danach darfst du dann das Team kennenlernen.“    

In der Schneiderei lagen Davids neue Uniform und Schuhe schon bereit, da er in der Woche zuvor vermessen worden war. Unter den wachsamen Augen einer älteren Schneiderin probierte David alles an, was sie ihm reichte. Jarik und Leonie saßen auf zwei Sesseln an der Seite des Raumes, an dessen Wänden sich Uniformen in den Regalen stapelten, und amüsierten sich prächtig. Die resolute kleine Frau mit dem strengen Haarknoten zupfte und zerrte an David herum, bis sie zufrieden war, während er sie unbehaglich beobachtete. Als sie endlich fertig war und ihn in die Umkleidekabine schickte, um seine graue Basisuniform anzuziehen, konnte er sich ein erleichtertes Seufzen nicht verkneifen. Die Schneiderin schüttelte schnaubend den Kopf und legte den Berg an Uniformen und Ausrüstungsteilen zusammen und steckte alles in zwei große Taschen.
    „Dankeschön, Sergeant“, sagte Leonie lächelnd.
    Die Schneiderin zwinkerte ihr zu und verschwand im Nebenraum. Als sie keine Minute später wiederkam, hatte sie eine weitere Tasche dabei, die sie Leonie grinsend in die Hand drückte. „Wie bestellt, Captain.“
    Leonie schaute hinein und strahlte. „Ha! Du bist ein Schatz! Vielen Dank!“
    „Viel Spaß damit!“, sagte die Schneiderin und wackelte mit den Augenbrauen.
    Jarik schaute verwirrt zwischen den beiden Frauen hin und her, aber die lächelten ihn nur fröhlich an. „Jetzt bin ich neugierig.“
    Leonie tätschelte ihm den Oberschenkel. „Später.“
    Brummend sah Jarik zu David, der aus der Umkleidekabine kam und sie erwartungsvoll anschaute. Er nahm die beiden Taschen und bedankte sich bei der Schneiderin. Jarik und Leonie standen auf und sie verabschiedeten sich.    

Die nächste Station war die Waffenkammer. David seufzte leidend, als er sich in den Fängen zweier Quartiermeister wiederfand, die seine BodyArmor anpassten. Immer wieder tauschten sie einzelne Teile aus und zupften an den Schnallen.
    „Wie viel Kram muss ich eigentlich noch anprobieren?“, fragte er und verzog das Gesicht.
    Leonie lachte los. „Nur noch die BodyArmor. Das Ding muss vernünftig passen. Ansonsten kannst du dich nicht ordentlich bewegen und das wäre scheiße.“
    „Was ist da eigentlich genau drin?“ Er schaute an sich hinunter und zupfte an der BodyArmor, die seinen kompletten Oberkörper umschloss. „Das fühlt sich zu weich an, um aus Platten zu bestehen.“
    Die Quartiermeisterin grinste ihn an. „Ha! Und doch halten die Dinger mehr aus als die normalen Platten. Und du musst dir keine Sorgen machen, dass dich ne Kugel in die Seiten trifft. Jetzt noch die LegArmor, dann bist du entlassen.“
    „LegArmor? Was zum Henker?“, fragte David.
    Jarik lachte. „Die zieht selten wer an. Aber bei High-Risk-Missionen ist sie vorgeschrieben. Und ich vermute, in der nächsten Zeit werden wir einige davon haben. Also rein da.“
    David seufzte schicksalsergeben und ließ die Quartiermeister weiter an ihm herumziehen.      
 

***

   

Eine Stunde später konnte David endlich seine neuen Sachen in die Schränke räumen. Er würde sich die Wohnung erst mal mit Rico und Toni teilen.
    Jarik hatte sich aufs Sofa im Wohnzimmer gefläzt und wartete, bis David alles weggepackt hatte.      

Jarik schüttelte den Kopf, als er und David den Teamraum betraten. Aven lag strampelnd, mit dem Gesicht nach unten, auf einem der Sofas. Cam und Rico saßen auf seinem Rücken, Toni auf seinen Beinen und Fee versuchte schimpfend, die drei von Aven zu ziehen. Gian hatte den Arm um Marc gelegt, der sich an ihn anlehnte. Beide beobachteten das Spektakel amüsiert. Von Leonie fehlte jede Spur.
    „Mag mir mal einer verraten, was in euren Spatzenhirnen eigentlich schon wieder los ist?“, fragte Jarik gereizt.
    „Hi!“, japste Aven und gab das Strampeln auf. Jarik steckte die Hände in die Hosentaschen und schaute sein Team mit gehobener Augenbraue an. Niemand von ihnen bewegte sich mehr.
    „Wie du siehst, hochprofessionelles Team“, sagte Jarik trocken. „Also?“
    „Äh, wir haben nur ne neue Festnahmetaktik versucht, Captain“, antwortete Toni scheinheilig. Gian und Marc schüttelten die Köpfe. Leonie schob sich hinter Jarik und David in den Raum und grinste.
    „Mhmhm.“ Jarik seufzte. „Festnahmetaktik am Arsch. Setzt euch vernünftig hin, bevor ich mir ne Taktik für euch ausdenke.“, knurrte er.
    Binnen Sekunden saßen alle fünf kerzengrade auf den Sofas.
    „Wie ich schon sagte: Todernst und hochprofessionell.“ Jarik seufzte erneut. „So, Hirne wieder am richtigen Platz und angeschaltet oder soll ich schütteln?“
    „Meins bitte nicht schütteln, sonst meckert der Doc wieder“, sagte Marc.
    Jarik schaute ihn durchdringend an. „Noch irgendwer mit nem dummen Kommentar?“ Alle schüttelten die Köpfe. Sie merkten, dass seine Geduld sich zu Ende neigte. Er machte zwar einiges an Scherzen mit, aber war diese Grenze überschritten, wurde er verdammt ungemütlich.      

Leonie streichelte Jarik über den Rücken, ging an ihm vorbei, ließ sich neben Fee aufs Sofa fallen und streckte die Füße unter dem Tisch aus.
    „So, nachdem dann jetzt alle aufmerksam zuhören. Das ist Sergeant First Class David Collins. Er gehört ab heute als Verhandler zum Team.“ Jarik drehte sich zu David. „David. Dein neues Team.“ Jarik stellte ihm alle namentlich vor und nannte auch ihre Ränge und Teamrollen. „Nur damit du dich nicht wunderst, sie wissen so gut wie nichts über dich. Du darfst dich also selbst vorstellen.“ Jarik grinste und setzte sich neben Leonie, die sich an ihn lehnte.
    David blieb vor dem Couchtisch stehen und atmete tief durch. Man konnte ihm ansehen, dass er sich unwohl fühlte. „Hi. Ihr könnt mich David oder Dave nennen, wie ihr wollt. Ich bin zweiunddreißig und war bis vor ein paar Tagen noch als Green Beret bei der US Army. Ich war seit fast fünfzehn Jahren da, aber es gab in der letzten Zeit etwas Stress. Unter anderem, weil ich Leonie bei Götz Financials geholfen hab.“
    Aven kniff die Augen zusammen. „Warum gab’s deswegen Stress? Kannst du ja nix für, wenn Leonie dich einkassiert?“
    „Ich hab mich trotz mehrfacher Aufforderung geweigert, was zum Einsatz und drumrum zu sagen. Fanden meine Vorgesetzten scheiße.“ David zuckte mit den Schultern.
    „Sie sind also Idioten?“ Toni grinste.
    David nickte verlegen. „Scheint so.“
    „Und weswegen haben sie sonst noch Stress gemacht?“, fragte Cam.
    Seufzend schaute David auf seine Stiefel. Es dauerte einige Sekunden, bis er wieder aufsah. „Sie fanden meinen Lebensstil verwerflich und haben mir nahegelegt, doch bitte mein Privatleben auf die Reihe zu bekommen, wenn ich meinen Job behalten will.“
    Cam legte den Kopf schief. „Inwiefern verwerflich?“
    David schluckte. „Ich bin mit einem Mann und einer Frau zusammen“, sagte er leise.
    Im Raum wurde es totenstill.
    „Du willst mir also sagen, dass sie von dir verlangt haben deine Beziehung zu beenden, wenn du weiter als Green Beret arbeiten willst?“ Gians Stimme war eisig.
    „Joa, so kann man’s sagen.“ David schaute wieder auf seine Stiefel.
    „Was für Arschlöcher!“ Gian klopfte auf den Platz neben sich. Er wartete, bis David sich gesetzt hatte, und legte ihm den Arm um die Schultern. „Dann freu dich jetzt, dass dir hier niemand nen Strick draus dreht, mit wem du ins Bett steigst. Aber erzähl mal was, was wir nicht schon wussten. Elin und Nate sind ja als News ja eher olle Kamellen.“
    David sah Gian verwirrt an. „Wie jetzt?“
    „Wir waren dabei, als ihr nach dem Einsatz bei Götz mit in die Basis gefahren sind? Und bisschen was zu deinem Hintergrund gab’s als Info dazu. Aber halt nicht wirklich was Persönliches.“ Aven grinste.
    „Oh.“ David fuhr sich verlegen über die kurzen, blonden Haare. „Ich bin aus Detroit, mit siebzehn zur Army, bastle in meiner Freizeit gerne mit Holz und gehe ansonsten Elin und Nate auf den Keks. So was?“
    Cam grinste. „Wir kommen der Sache näher. Hund oder Katze?“
    „Eindeutig Hund“, antwortete David.
    „Ha! Bonuspunkt für dich. Aber wehe du überfütterst Merita. Da ist Aven schon Weltmeister drin!“ Cam starrte Aven gespielt böse an. Der grinste jedoch nur vergnügt.
    „Merita?“, fragte David verwirrt.
    Meritas Kopf erschien zwischen Cams Beinen und sie gähnte herzhaft. Cam zeigte auf die verschlafene Hündin und kraulte ihr die Ohren. „Die hier. Teammitglied Nummer elf. Unser Sprengstoff- und Schutzhund. Und so ein braves Mädchen.“ Cam lehnte seine Stirn an Meritas und knuddelte sie. Merita drückte sich an ihn und man konnte das dumpfe Klopfen hören, das ihr Schwanz verursachte, als er gegen den Tisch schlug.
    „Was haben Elin und Nate eigentlich zu deinen Wechselplänen gesagt?“, fragte Fee.
    David verzog das Gesicht. „Am Anfang waren sie nicht sehr begeistert. Ich glaube, sie sind es immer noch nicht so richtig. Viel sagen konnte ich ja nicht, ich bin mir selber noch nicht hundertprozentig sicher, auf was ich mich eingelassen habe.“ Er grinste verlegen. „Aber das, was ich über die Jahre mitbekommen hab, war im Gegensatz zur Army eigentlich nur positiv. Und auch die letzten Tage waren voll okay.“
    „Trotz der ganzen komischen Fragen und Tests?“ Toni grinste.
    „Mein Befrager war verdammt nett. Gründlich und es war teilweise wirklich peinlich und unangenehm, aber er war nie herablassend oder so was.“
    Leonie grinste. „Tja, Joshua ist halt ein Zuckerstückchen.“
    „Hmhm“, grummelte Jarik und Leonie lachte los. „Was denn?“, maulte er.
    „Och, nix. Alles gut, du Brummbär.“ Sie küsste Jarik auf die Wange und strahlte ihn an, bis er mit den Augen rollte und sie küsste.
    „Jetzt geht das Rumgeknutsche ja schon wieder los“, quengelte Aven.
    „Wenn du weiter rummaulst, kannst du morgen mit Rico aufs Flugfeld.“ Jarik schnaubte.
    „Nein!“ Aven schaute ihn entsetzt an. „Ich hab heute Abend nen Date. Ich will nicht morgen früh um sechs auf dem Flugfeld stehen, da hab ich andere Sachen zu tun.“
    Toni atmete erleichtert auf. „Na endlich! Mit blauen Eiern bist du echt nicht zu ertragen!“
    „Pff! Frag mal mich? Ich teil mir mit dem Vollpfosten ne Wohnung!“ Fee funkelte Aven an, der sie breit angrinste.
    „Selbstgewähltes Elend! Du hättest auch zu mir ziehen können, aber du wolltest ja zu den beiden Chaoten!“ Toni lachte.
    Cam hieb ihm den Ellbogen in die Seite. „Hey! Ich bin kein Chaot!“
    „Natürlich nicht. Deswegen kann man deine Schränke ja auch aufmachen, ohne dass man von irgendwas erschlagen wird.“ Marc schnaubte.    

David schaute irritiert zu Leonie. „Ist ja gut jetzt! Ihr könnt später weiterdiskutieren. Ihr müsst David nicht gleich am ersten Tag völlig verstören“, sagte sie.
    „Meinst du, es ist besser, wenn wir damit bis morgen warten?“ Aven grinste.
    „Ihr könntet euch zur Abwechslung auch einfach mal wie Erwachsene verhalten und nicht wie ne Horde Kleinkinder!“, murrte Jarik gutmütig.
    Cam schaute ihn fassungslos an. „Aber wo bliebe da der Spaß?“
    „Leute! Schnauze jetzt!“ Jarik rieb sich übers Gesicht. „Ich wollte noch den Plan für diese Woche durchgehen. Laut Ioannis gehts ab nächster Woche raus und David hat keinen blassen Schimmer, was ihn erwartet. Ich wäre euch also verdammt dankbar, wenn ihr euch mal noch ein paar Stunden konzentrieren könntet. Ansonsten können wir auch gerne so lange sitzen bleiben, bis wir fertig sind. Aber dann wird das mit Avens Date nix mehr.“      

Den Rest des Nachmittags verbrachten sie damit, David die Situation zu schildern und die Taskforce zu erklären. David lauschte aufmerksam und stellte ansonsten Dutzende Fragen, die sie ihm geduldig beantworteten. Drei Stunden später verabschiedete sich Aven, um sich für sein Date fertigzumachen. Der Rest aß mit David in der Kantine zu Abend, bevor dieser von Toni und Rico in ihre Wohnung geschleppt wurde.    

Als Aven am nächsten Morgen um acht zum Rest des Teams stieß, das bereits in der Kantine frühstückte, sah er nicht besonders fit, dafür aber ziemlich entspannt aus. Er stellte sein Tablet auf den Platz neben Cam und ließ sich dann auf den Stuhl fallen.
    „Na, gehts dir jetzt besser?“, fragte Fee grinsend.
    „Jupp. Aber so was von.“ Aven schob sich eine Gabel voll Rührei in den Mund und kaute zufrieden.
    Jarik grinste. „Sehr gut. Dann geh ich mal davon aus, dass du deine Trainingsleistung heute noch mal überbietest? Bist ja jetzt wieder bester Laune.“
    Aven starrte ihn mit großen Augen an. „Ich hab nicht geschlafen!“
    „Und? Du wusstest, dass heute Training ist. Seit wann nehm’ ich Rücksicht?“ Jarik strahlte ihn fröhlich an und Aven stöhnte. Leonie zwickte Jarik unter dem Tisch in die Seite und er zwinkerte ihr zu.
    David verfolgte den Austausch zwischen dem Team aufmerksam. Aven fütterte Merita wieder mit Rührei, was Cam ein Seufzen entlockte. Den Rest des Frühstücks unterhielten sie sich über den neusten UN-Klatsch und Tratsch.    

Nach dem Essen holten sie ihre Ausrüstung und machten sich auf den Weg zu den Kill-Houses. Aven und Rico verteilten die AirSoft-Waffen, die sie für ihr Training nutzen wollten. Leonie hatte noch eine kleine Schachtel dabei, die sie David reichte.
    „Was ist das?“, fragte er verwundert und öffnete die Box.
    „Trainingsmaterial? Du kannst dich entscheiden, ob du lieber die Brille oder die Kontaktlinsen nimmst, ich rate dir aber zu den Linsen. Ansonsten musst du noch das Headset mit deinem Handy koppeln. Das zeig ich dir dann gleich. Du kannst sie aber schon mal reinstöpseln.“ Leonie nahm die Schachtel, damit David sich die beiden Kopfhörer in die Ohren stecken konnte. „So. Brille oder Linsen?“
    David überlegt kurz. „Warum meintest du, dass die Linsen besser sind? Und wofür brauch ich die?“
    „Weil du dich dann schon mal an die Optik gewöhnen kannst. Und darüber bekommst du das HUD angezeigt. Sobald wir wieder Ruhe haben, stecken wir dich unters Messer. Dann brauchst du keine Linsen und kein Headset mehr.“ Leonie grinste.
    „Äh? Ernsthaft jetzt? Ich bekomm das Zeug eingebaut?“ David blinzelte sie irritiert an.
    „Ja. Das und dazu noch Sensorik und einen Tracker. Aktuell hast du einen im Armband. Aber da man den ja entfernen kann, werden die später implantiert.“
    „Ich werd also zum Cyborg?“ David schüttelte den Kopf.
    Leonie nickte. „Ja, so kann man das sagen. Aber immer noch die Frage: Brille oder Linsen?“
    David nahm die Kontaktlinsen entgegen und setzte sie ein. „Und jetzt?“
    „Jetzt hebst du noch brav dein T-Shirt an, dass ich dir paar Sensoren aufkleben kann. Dann ziehst du deine Weste an und setzt dich, damit du mir nicht umfällst, wenn ich dir das erste Mal das HUD anschalte.“ Leonie wedelte mit einigen Elektroden.
    David hob artig das Shirt, damit Leonie ihm die Sensoren aufkleben konnte. Dann ließ sie sich sein Handy geben und koppelte alles daran. Nachdem er seine BodyArmor darüber gezogen und Leonie diese festgezurrt hatte, setzte er sich hin.
    „Na dann wollen wir mal.“ Leonie hatte ein kleines Tablet aus ihrer Cargohose gezogen und tippte darauf herum.
    „Woah!“, sagte David erstaunt, als seine Kontaktlinsen endlich das HUD anzeigten. „Das ist ja genial!“ Er drehte den Kopf und schaute sich um. „Das zeigt mir ja die Namen und ... sogar den Puls an? Wie cool ist das denn?“
    Der Rest des Teams, der etwas weiter wegstand, begann zu lachen.
    „Willkommen im einundzwanzigsten Jahrhundert!“, sagte Toni.
    David grinste. „Sicher, dass es nicht das Zweiundzwanzigste ist?“
    „Ja! Wir können ja nix für, dass dein alter Laden noch im Mittelalter feststeckt. Nicht nur technologisch“, antwortete Fee amüsiert.
    Immer noch breit grinsend stand David auf und schaute sich um. Er schwankte etwas und nahm dann die Hand, die Leonie ihm anbot. „Woah, das ist echt ungewohnt.“
    „Deswegen meinte ich, dass du dich hinsetzen solltest. Bleib mal paar Minuten stehen, dann sollte es gehen. In paar Tagen hast du dich dran gewöhnt und weißt nicht mehr, wie du davor ohne ausgekommen bist.“ Leonie lachte.    

„Na ihr faulen Drückeberger? Ihr habt heute aber ganz schön lange geschlafen“, sagte Ioannis, als er um die Ecke des Kill-Houses kam.
    „Wir nutzen nur die Pause von deinem grausamen Training“, antwortete Jarik trocken.
    Ioannis schnaubte erheitert. „Du stehst doch drauf!“
    „Ich hab aber hin und wieder auch nix dagegen, ein paar Minuten länger im Bett liegen zu bleiben.“ Jarik zwinkerte Leonie zu.
    „Bei der Gesellschaft wundert mich das nicht. Aber!“ Ioannis tippte Jarik mit dem Finger an die Brust. „Ihr entkommt mir heute trotzdem nicht. Ich weiß, dass ihr David neu dabei habt und erst mal für euch trainieren wolltet. Ist mir aber völlig egal. Ihr bleibt heute im Team, aber ihr macht das Training normal mit. Ich muss wissen, ob er ab nächster Woche in der Rotation dabei sein kann, das kann ich nicht, wenn ihr für euch irgendwo rumeiert. Also auf, die Guards warten schon.“ Nicht nur Jarik stöhnte gequält auf. „Hört auf zu heulen!“ Ioannis drehte sich zu David um, stapfte auf ihn zu und reichte ihm die Hand. „Hi. Ich bin Ioannis. Ich leite die Taskforce, zu der du seit heute ebenfalls gehörst. Ich bin ehrlich, ich bin nicht besonders glücklich, plötzlich jemanden Neuen von außerhalb dabei zu haben. Aber ich war auch mal an deiner Stelle und hab ein bisschen was mitbekommen, warum du wechseln wolltest. Gute Entscheidung. Häng dich rein, mach, was dir deine Captains sagen, und ich gehe davon aus, dass wir miteinander auskommen.“
    David schluckte. „Ich hoffe, dass ich Ihren Ansprüchen genügen werde, Sir.“
    Ioannis starrte ihn finster an. „Das mit dem Sir und Major gewöhnst du dir mir gegenüber ganz schnell wieder ab. Damit kannst du ankommen, wenn du Scheiße gebaut hast oder du mit der Etage über mir redest. Im Training und Einsatz bin ich Ioannis.“
    „Sorry, S..., Ioannis.“ David räusperte sich.
    Grinsend klopfte Ioannis ihm auf die Schulter. „Du wirst es noch lernen.“ Er drehte sich wieder zu den anderen. „Auf! Bewegt euch. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!“ Er stapfte davon.
    „Na dann. Ihr habt den Mann gehört. Ausrüstung prüfen und los gehts“, sagte Leonie und das Team brach in rege Geschäftigkeit aus.
 

***



    Als sie am Abend zurück in ihre Wohnungen stiefelten, um sich zu duschen, und danach essen zu gehen, legte Jarik David den Arm um die Schultern. „Na, wie schlimm wars?“
    „Ich vermute mal, dass ich morgen Muskelkater hab, aber ich bin beeindruckt.“ David grinste verlegen. „Ich hoffe, ich hab mich dafür nicht allzu dämlich angestellt.“
    „Für den ersten Tag völlig brauchbar. Aber schön, dass du auch den Fehler gemacht hast, die Guards zu unterschätzen.“ Jarik lachte.
    „Wer kann denn ahnen, dass die so krank drauf sind? Ich bin fasziniert, dass wir überhaupt an denen vorbeigekommen sind.“ David schüttelte fassungslos den Kopf.
    Leonie schob sich an die andere Seite von David. „Wir sind die Profis im Angriff, die in der Verteidigung.“
    „Ja, so langsam begreif ich, warum sich niemand mit euch anlegen will“, sagte David angetan.
    Leonie schnaubte. „Naja. Erzähl das den Idioten um Hayes. Aber egal, den Haufen räumen wir auch noch auf.“
    „Davon geh ich aus. Aber wirklich gute Leistung heute, David. Ich bin mir sicher, in ein paar Monaten merkt niemand mehr, dass du nicht von Anfang an dabei warst.“ Jarik klopfte ihm auf den Rücken.
    „Danke“, antworte David und lächelte dann.
    Sie waren am Wohnhaus angekommen und stiegen die Treppen nach oben in den dritten Stock. Nachdem sie die beiden gesicherten Glastüren passiert hatten, trennten sich ihre Wege und alle verschwanden in ihren Wohnungen.      
 

***

   

Den Rest der Woche verbrachten sie erneut mit Training von morgens bis abends. So langsam bekam David auch die Funksprüche auf die Reihe, die so anders waren, als das, was er gewöhnt war, und passte sich immer mehr ins Team ein. Jarik und Leonie waren mit ihm ziemlich zufrieden. Als sie am Freitag das letzte Training für die Woche beendeten, bekam David auch die Freigabe von Ioannis, ab der nächsten Woche bei den Einsätzen dabei zu sein. Was David am Sonntag stolz Elin und Nate berichtete, die er das erste Mal seit seinem Wechsel anrufen konnte. Er wusste, dass jemand mithörte, weil er immer noch unter Aufsicht stand, aber dennoch war er glücklich, seine beiden Liebsten endlich wieder zu hören. Er bedankte sich danach Dutzende Male bei Leonie und Jarik, die ihm den Anruf ermöglicht hatten.

Am folgenden Mittwoch stand Davids erster UNSF-Einsatz an und er war aufgeregt. Das 3-032er-Team sollte einen Business-Mann in dessen Villa, die sich mitten in einem kleinen Dorf im Elsass befand, festnehmen. Da sie vermuteten, dass er dort auch ein Bordell betrieb und dementsprechend viele Personen anwesend waren, würden Ioannis und sein 3-439er-Team sie begleiten. Gemeinsam mit ihnen hatten sie den Einsatz bereits den ganzen Tag in deren Teamraum geplant. Um kurz vor elf Uhr abends packten sie in Ruhe ihre Ausrüstung zusammen. Sie trafen sich mit Ioannis und seinem Team auf dem hell erleuchteten Flugfeld, wo dieser sie bereits neben einem Convertiplane erwartete. Nach einer kurzen Begrüßung verteilten sie sich etwas um den Dragon. Dieser war eine Variante des Mevacs, ohne medizinische Ausrüstung, dafür mit schwerer Bewaffnung und mehr Sitzplätzen.

Ioannis grinste David an. „Na, aufgeregt?“
    „Ein bisschen. Aber ich freu mich auch, dass ich so schnell wieder losdarf. Danke dafür.“ David lächelte.
    Ioannis klopfte ihm auf die Schulter und drehte sich dann zu Jarik und Leonie, die einige Meter weiter zusammen mit Sykes, seinem Co-Lead, auf dessen Tablet starrten. „Denkt bitte dran, eure Ausrüstung ordentlich zu prüfen, bevor es losgeht!“
    Leonie hob den Kopf und schaute ihn verwirrt an. „Wie lange machen wir das schon?“
    „Ein paar Jahre, warum?“, fragte Ioannis.
    Jarik und Leonie starrten ihn einige Sekunden an und fingen dann an zu lachen.
    „Was?“ Ioannis schnaubte missmutig.
    „Du tust wieder so, als wären wir blutige Rookies. Entspann dich. Das Junggemüse ist nicht so planlos, wie du manchmal befürchtest. Aber um dich zu beruhigen: Ja, Papa, wir denken immer dran! Gewissenhaft!“ Jarik schüttelte, weiterhin breit grinsend, den Kopf und konzentrierte sich wieder aufs Tablet.
    „Aufmüpfiges Pack“, murrte Ioannis.
    „Wir haben dich auch lieb!“, antwortete Leonie. Die beiden Teams lachten leise.
    Ioannis schüttelte seufzend den Kopf und wandte sich wieder zu David. „Irgendwas hab ich falsch gemacht.“
    „Nein. Ich glaube, du hast was verdammt richtig gemacht. Ich kenn dich ein paar Tage und weiß, dass ich dir ohne nachzudenken folgen kann. Nicht weil ich muss, sondern weil ich es will. Und weil ich mir sicher bin, dass du mir den Rücken freihältst. Und dasselbe Gefühl hab ich auch mit Leonie und Jarik. Danke, dass ihr mir die Gelegenheit gebt, mit euch zusammen dienen zu dürfen.“ David lächelte ihn an.
    Ioannis Wangen wurden leicht rosa. „Hör auf, ich werde gleich rot. Und wir machen alle nur unseren Job.“ Er winkte ab.
    David grinste. „Im Gegensatz zu vielen anderen macht ihr aber nen verdammt guten Job. Und ich freu mich das erste Mal seit Ewigkeiten wieder auf einen Einsatz. Ich hoffe, ich mach keinen Unsinn.“
    „Wenn du dich nur halb so gut anstellst, wie im Training, hab ich keine Bedenken. Bleib in meiner Nähe, mach was man dir sagt und das passt schon.“ Ioannis nickte ihm zu und ging dann zu Jarik, Leonie und Sykes.
    Toni winkte David zu sich. Er folgte und stellte sich zu seinem Team. Merita hatte ihre Schnauze auf Cams Fuß abgelegt und schnarchte leise.
    „Macht sie eigentlich noch was anderes als schlafen?“, fragte David grinsend.
    Cam schnaubte. „Oh ja. Aber sie hat gelernt, die Zeiten vor den Einsätzen zum Schlafen zu nutzen. Und keine Sorge, die dreht nachher richtig hoch.“
    „Dass sie hochdrehen kann, hab ich gesehen. Ich möchte nicht auf ihrer ‚mag ich nicht‘-Liste stehen.“ David lachte.
    „Niemand von uns“, antwortete Fee grinsend.

Während sie sich unterhielten, schlenderten zwei Pilotinnen auf sie zu. Beide waren in graue Fliegerkombis gekleidet und hielten ihre Helme in der Hand. Fees Blick fiel auf die Kleinere der beiden, deren langer roter Flechtzopf über ihrer Schulter hing. Die Pilotinnen nickten ihnen zu und die Rothaarige reichte ihren Helm an ihre blonde Kollegin, die damit im Inneren des Convertiplanes verschwand. Fee gab vor ihren Kameraden weiter zuzuhören, aber sie konnte ihren Blick nicht von der kleinen Frau lösen, die ihr Fluggerät von außen inspizierte. Sie würde Fee vermutlich grade mal bis ans Kinn geben, aber sie strahlte eine Selbstsicherheit aus, die Fee beeindruckte. Und ihre anmutigen Bewegungen, ließen darauf schließen, dass sich unter der Uniform neben wohlgeformten Kurven auch einiges an Muskeln verbarg.

„Fee? ... Hey! Fee?“ Aven stieß Fee den Ellbogen in die Seite und sie schaute ihn erschrocken an.
    „Was?“, fragte sie. Fees Wangen waren gerötet.
    Aven grinste. „Ich hab gefragt, ob du dich mit Dejan abgestimmt hast, wie ihr euch aufteilt.“
    Fee blinzelte ihn verwirrt an. „Äh ...“ Sie schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. „Dejan geht mit Sykes und Rosi, ich mit Cam und Merita. Was auch sonst?“
    „Ich würde ja sagen, ein Penny für deine Gedanken, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich weiß, woran du grad gedacht hast.“ Cam lachte.
    „Hmpf.“ Fee schmollte, als der Rest ihres Teams loslachte. „Ihr seid kacke.“
    Aven legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie zu sich. „Kommt nicht alle Tage vor, dass du dich ablenken lässt. Und nachdem du uns sonst immer auslachst, nutzen wir halt mal die Chance.“
    Fee kniff ihm in die Seite und lehnte ihren Kopf an Avens. Da sie gleich groß waren, ging das problemlos. „Sei froh, dass ich dich mag.“
    „Mich kann man nur mögen!“ Aven gab ihr einen Kuss auf die Wange und zwinkerte ihr zu.
    „Eingebildeter Vogel!“ Fee musste dennoch lachen. Ihr Blick wanderte wieder zur rothaarigen Pilotin, die grade ins Convertiplane stieg.
    „Einer, der zugibt, dass du einen verdammt guten Geschmack hast“, sagte Aven.
    „Weil ich dich mag?“, fragte Fee.
    „Das auch, aber ich meinte was anderes.“ Aven nickte in Richtung des Convertiplanes.
    Fee wurde rot. „Hm.“

Die Heckklappe ging auf und die Rothaarige streckte den Kopf aus der Seitentür. „Edle Herrschaften, ihre Kutsche ist bereit, bitte betreten Sie den Dragon durch den Hintern“, sagte sie breit grinsend. Sie verschwand wieder im Inneren und verriegelte, dem Geräusch nach zu urteilen, die Tür.
    Aven und Fee schauten sich an und prusteten los.
    „Humor hat sie auch noch. Wenn sie dich nicht will, ich nehm sie“, sagte Aven.
    Fee stieß ihm den Ellbogen in die Rippen. „Pfoten weg!“
    Abwehrend hob Aven die Hände. „Ich mein ja nur!“
    Gemeinsam mit den anderen machten sie sich auf den Weg zur Heckklappe. Die rothaarige Pilotin stand im Inneren und musterte Fee genaustens, als diese den Dragon betrat. Sie legte den Kopf schief und schien zu überlegen.
    Fee wurde rot. „Alles okay?“
    Die Pilotin, die Fee tatsächlich nur bis ans Kinn ging, lehnte sich zu ihr und Fee beugte den Kopf. „Ja. Aber gleiches Recht für alle. Du hast vorher geschaut, jetzt darf ich. Du darfst dich auch gerne mal umdrehen.“
    Fee starrte die Pilotin mit offenem Mund an, während Aven und Cam sich hinter ihr vor Lachen nicht mehr einkriegten.
    „Ah, ich seh schon. Du bist schüchtern. Na, wir wollen mal nicht so sein. Ich bin im übrigen Isobel. Guten Flug.“ Sie zwinkerte Fee zu, drehte sich um und verschwand im Cockpit.
    Fee schaute ihr mit großen Augen und knallroten Wangen hinterher. Erst als Aven sie anstupste, kam wieder Leben in sie. Sie schüttelte den Kopf. „Ist das grade wirklich passiert?“
    „Jepp. Und es war großartig.“ Aven klopfte Fee auf den Rücken und schob sich an ihr vorbei.
    Fee stakste ihm hinterher und ließ sich neben ihm auf den Sitz fallen. „Ich bin knallrot, oder?“
    Cam, der sich auf ihre andere Seite gesetzt hatte, lachte. „Wie eine Tomate. Perfekt!“
    „Die Frau bringt mich um. Wie soll ich mich so konzentrieren“, fragte Fee leise.
    Leonie schaute die Drei fragend an, als Aven und Cam wieder anfingen zu lachen. „Bei euch ist aber schon alles in Ordnung, oder?“
    Fee nickte und schaute zum Cockpit. „Hmhm.“
    „Was auch immer. Konzentriert euch!“ Leonie grinste. Sie hatte eine Ahnung, was oder bessergesagt wer Fee so aus der Bahn geworfen hatte.
 

***



Den kaum zwanzigminütigen Flug bis in die Nähe von Strasbourg im Elsass behielt Leonie Fee im Auge. Auch wenn sie ihr den Flirt gönnte, Ablenkung konnten sie so kurz vor dem Einsatz nicht brauchen. Aber Aven und Cam hatten beste Arbeit geleistet, Fee von ihrer Pilotin abzulenken und wieder in die Spur zu bringen.
    Leonie hatte sich an Jariks Schulter gelehnt und ging den Plan noch mal im Kopf durch. Sie hatten nur einen Platz im Glockenturm der Kirche gegenüber gefunden, an denen sie Scharfschützen positionieren konnten. Zudem waren die meisten Fenster mit Milchglas versehen, sodass sie beschlossen hatten, dass nur Mamad, der Sniper aus Ioannis‘ Team, sich auf die Lauer legen würde. Aufgrund der geringen Entfernung brauchte er keinen Spotter. Daher würden Aven, Samir und sie selbst mit ins Haus kommen. Nicht ihr liebster Platz im Einsatz, aber es gab Schlimmeres.
    Um sich dem Farbschema des scheinbar größtenteils aus Sandstein bestehenden Dorfes anzupassen, hatten sie ihre hellbraun gemusterte Arid-Einsatzuniform gewählt. Damit würden sie nicht ganz so herausstechen, aber wenn die Dorfbewohner sie sahen, würden sie dennoch auffallen.
    Jarik, der ihre Anspannung bemerkte, nahm ihre Hand und drückte sie. „Was grübelst du?“, fragte er über einen privaten Funkkanal. Im Inneren des Dragons war es so laut, dass sie Ohrschützer trugen.
    Leonie seufzte. „Ich mag die Lage immer noch nicht. Aber es hilft nix.“
    „Dann sind wir schon zwei. Hoffen wir mal, dass niemand zurückschießt und irgendwelche Nachbarn trifft.“ Jarik seufzte ebenfalls.
    „Hmhm.“ Sie schwiegen die restlichen Minuten des Fluges.

Auf dem kleinen Regionalflughafen standen mehrere Kleintransporter und ein Kleinwagen für sie bereit. Als Fahrer hatten sie dieses Mal Guards, die zwei Stunden vor ihnen gelandet waren, um alles vorzubereiten. Es war mittlerweile schon kurz vor Mitternacht und stockdunkel. Das Wetter war gnädig, es war trocken und trotz der späten Stunde immer noch ziemlich warm. Leonie schwitze jetzt schon unter ihrer Ausrüstung.
    Mamad war der Erste, der nach der Landung, zusammen mit drei Guards, in dem unscheinbaren Kleinwagen wegfuhr. Zwei davon würden ihn auf den Kirchturm begleiten und ihn beschützen.
    Die anderen prüften gegenseitig gewissenhaft ihre Ausrüstung, bevor Ioannis irgendetwas sagen konnte. Merita und Rosi, Sykes’ Hund, wurden in Westen und Hundeschuhe gesteckt, was sie entspannt über sich ergehen ließen. Die Schutzbrille würden sie erst kurz vor der Ankunft aufgesetzt bekommen. Leonie und Jarik, sowie Gian und Marc standen jeweils ein Stück abseits und umarmten sich.
    David ließ seine Ausrüstung von Ioannis überprüfen, der ihm dabei noch ein paar wertvolle Tipps gab. Sie zogen ihre Sturmhauben über und setzten die geschlossenen Helme auf. Ioannis half ihm, über das Handy seine Technik zu starten. Nachdem sein HUD und Comm-Modul liefen, aktivierte David den Nachtsichtmodus.
    „Das ist so cool. Keine komischen Dinger mehr vor den Augen, bei denen man ständig aufpassen muss, nicht irgendwo anzustoßen. Und man sieht sogar noch deutlich besser.“ David schaute sich um.
    Ioannis lachte. „Schön, dass man dich damit so begeistern kann.“

„Mamad. Overwatch angekommen. Wir verlassen das Auto und machen uns auf den Weg zum Kirchturm.“
    „Basis. Verstanden. 3-032 und 3-439: Anfahrt beginnen!“ Leonie schmunzelte, sie hatten also wieder Sammy in der Einsatzzentrale sitzen.
    „Ioannis. Verstanden.“ Er drehte sich zu den anderen. „Ihr habt die Basis gehört. Bewegt eure Hintern!“
    Seufzend verabschiedete Leonie sich mit einem Kuss von Jarik. Beide zogen nun ebenfalls die Sturmhauben zurecht und setzten die Helme auf.
    In drei Fünfer- und einer Vierergruppe verteilten sie sich auf vier Transporter. Der Rest war für die Guards, die ein Stück außerhalb des Dorfes warten würden, bis sie das Gelände gesichert hatten.
    „Ioannis. 3-439 und 3-032 auf dem Weg zum Einsatz. Erbitte Rules of Engagement.“
    „Basis. Einsatz freigegeben. Nicht letale Gewalt autorisiert, tödliche Schussfreigabe nur im Notfall.“
    „Ioannis. Verstanden, tödliche Schussfreigabe nur im Notfall.“

Die Fahrt dauerte genauso lang wie der Flug. Leonie saß zusammen mit Cam, Merita, Fee, Gian und Toni im Auto. Sie waren Gruppe 4. Ein Stück außerhalb des Dorfes hielten sie an und warteten auf die Meldung von Mamad.
    „Mamad, Overwatch 3-439 bereit. Position im Kirchturm eingenommen und gesichert.“
    „Basis. Verstanden. Overwatch in Position.“
    „Mamad. Überwachungsdrohne gestartet.“
    „Basis. Übernehme Steuerung Überwachungsdrohne. Markiere Wachen.“
    „Mamad. Exploitingdrohne eins gestartet.“
    „Techy One. Übernehme Steuerung Exploitingdrohne eins.“ Das war einer der Techniker in der Basis.
    „Mamad. Exploitingdrohne zwei gestartet.“
    „Techy Two. Übernehme Steuerung Exploitingdrohne zwei. Starten Angriff auf Kamerasystem.“
    „Basis. Wärmebild zeigt zwölf Tangos. Keine Hunde.“

Leonie atmete auf, schloss die Augen und lehnte den Kopf zurück. Sie mussten ein paar Minuten warten, bis die Techniker sich wieder meldeten.
    „Techy One. Kamerasystem mithilfe der Exploitingdrohnen übernommen und alles auf Loop gesetzt. Funkzelle wird überwacht. Anrufe nach draußen werden abgefangen.“
    „Basis. 3-032 und 3-439 Anfahrt fortsetzen.“ Die Transporter setzen sich wieder in Bewegung. Kurz darauf kam die nächste Ansage. „Basis. ETA zwei Minuten.“
    Alle prüften noch mal ihre Waffen und Munition. Leonie atmete tief durch und nickte dann den vier Mitgliedern ihrer Gruppe zu. Sie nickten zurück.

Als die Transporter an verschiedenen Stellen rings um das weitläufige Gelände sanft zum Stehen kamen, öffnete Gian die Tür. Leise stiegen sie aus und stellten sich an einer dunklen Stelle neben die zwei Meter hohe Steinmauer des Anwesens. Einer der Guards, schloss die Tür und der Transporter rollte langsam davon. Gian machte eine Räuberleiter für Toni. Dieser kletterte flink die Mauer nach oben und setzte sich auf die Krone. Es folgte Cam, der sich auf der anderen Seite ins Grad fallen ließ. Gian hob Merita hoch und reichte sie an Toni weiter, der sie mit geübtem Griff an der Weste nach oben zog, sie über die Mauer hob und an Cam weitergab. Nachdem auch Leonie auf der anderen Seite angekommen war, kniete sie sich neben Cam ins vertrocknete Gras. Fee saß nun ebenfalls auf der Mauer und half Toni, Gian noch oben zu ziehen. Nicht mal zwei Minuten nachdem sie den Transporter verlassen hatten, schlichen sie nun über das weitläufige Gelände.

Cam ging mit Merita voraus. Die anderen folgten. Sie hatten zwei Wächter in ihrer Nähe zugeteilt bekommen, die sie überwältigen und fesseln sollten.
    Leonie schaute sich um. Auf dem HUD konnte sie ihre Kameraden als blaue und die Wächter als rote Punkte sehen. Jarik schlich in einiger Entfernung mit seiner Gruppe 3 in Richtung der Garage, wo sie drei Wächter als Ziel hatten. Ioannis und David waren mit drei weiteren Mitgliedern ihrer Gruppe 1 auf der anderen Seite des Hauses. Gruppe 2 war im hinteren Teil des Grundstücks. Auf den Bildern hatte die Anlage herrschaftlich ausgesehen. Soweit sie es in der Dunkelheit sehen konnte, waren die Kieswege jedoch mit Zigarettenstummeln der Wächter übersät. Der Teich war dreckig und die Pflanzen ließen die Blätter hängen. Leonie hoffte, dass sie trotz des ausgedörrten Grases leise genug waren um die Wächter zu überraschen.

„Basis. Tangos Four und Five durch Gruppe 1 kampfunfähig gemacht. Markiere Koordinaten.“
    Sie schlichen sich näher an die Wächter heran. Merita hatte nirgends Anzeichen gemacht, dass sie Sprengstoff gerochen hätte. Keiner der beiden Wächter hatte eine Waffe in der Hand, das machte die Sache deutlich einfacher.
    „Basis. Tangos One, Two und Three durch Gruppe 3 kampfunfähig gemacht. Garage gesichert und übernommen.“
    Mittels Handzeichen teilten sie sich auf. Fee und Toni übernahmen den linken Wächter, Gian und Leonie den rechten. Cam blieb mit Merita zurück und überwachte das Ganze.
    Zeitgleich stürzten die Vier sich auf die Wächter. Gian drehte ihm den rechten Arm auf den Rücken und hielt ihm den Mund zu, während Leonie einen Autoinjektor zückte und dem Wächter auf den Oberschenkel drückte. Er wehrte sich, aber gegen Gian, der ihn um mehr als eine Handbreit überragte, hatte er keine Chance. Nach einer halben Minute wurden die Bewegungen des Wächters schwächer. Einige Sekunden später sackte er in sich zusammen. Gian ließ ihn auf den Boden gleiten und prüfte seinen Puls. Leonie fesselte ihm mit Kabelbindern die Hände und knebelte ihm mit einem speziellen Klebeband. Im Gegensatz zu Panzertape lies es sich, mit einem ungiftigen Lösungsmittel, problemlos wieder von der Haut ziehen.
    Toni legte den zweiten Wächter neben ihrem ab.
    „Basis. Tangos Six und Seven durch Gruppe 4 kampfunfähig gemacht. Markiere Koordinaten.“
    Gian überprüfte auch diesen. Sie legten beide in eine stabile Seitenlage.
    „Basis. Tangos Eight und Niner durch Gruppe 1 kampfunfähig gemacht. Markiere Koordinaten.“
    Leonie wartete angespannt auf die Meldung der letzten Gruppe. Bisher war es ruhig geblieben und sie hatten noch keinen einzigen Schuss abgegeben.
    Einige Minuten später kam endlich die erlösende Meldung. „Basis. Tangos Ten, Eleven und Twelve durch Gruppe 2 kampfunfähig gemacht. Markiere Koordinaten. Guards sind zur weiteren Sicherung auf dem Weg.“
    Leonie atmete erleichtert auf. Einige Minuten später hörten sie ein Auto und dann dessen Tür. Kurz darauf schwärmten zwei Guard-Teams über das Gelände und nahmen ihnen die Gefangenen ab.      

Leonie und ihre Gruppe machte sich auf den Weg zum Haus. Hinter den hell erleuchteten Milchglasfenstern konnte man immer wieder Schatten ausmachen. Sie wussten nicht genau, wie viele Personen sich im Gebäude befanden.
    Sie trat dicht neben Jarik und nahm seine Hand. Er verschränkte ihre Finger und drückte sie, schaute aber weiterhin zu Ioannis. Beide Teams standen in einer dunklen Ecke im Halbkreis um ihn herum. Mit Handzeichen und mithilfe seines Tablets gab er die letzten Instruktionen.

Sie teilten sich wieder in ihre Gruppen auf. Jarik drückte Leonies Finger nochmals, nickte ihr zu und stellte sich zu Aven, Marc und Rico. Zu ihnen und den anderen drei Gruppen gesellten sich jeweils fünf Guards, die mit ihnen ins Haus gehen, und die bereits geräumten Zimmer und ihre Gefangenen sichern würden.
    Zusammen mit Leonies Gruppe 4 hatte Jariks Gruppe 3 den Keller zugewiesen bekommen. Ioannis‘ Gruppe 1 übernahm das Erdgeschoss und Sykes‘ Gruppe 2 das Obergeschoss. Nach einem Handzeichen von Ioannis verteilten sie sich ums Haus herum an vier Türen.
    Leonies Gruppe stand an einem Seiteneingang, Jariks vor dem direkten Eingang zum Keller. Fee klebte einen Streifen Sprengstoff an die Tür und Gian, Leonie und Toni griffen ihre Sturmgewehre fester. Cam zog Merita den Maulkorb ab und prüfte nochmals, ob ihre Schutzbrille noch korrekt saß.

Auf Ioannis Kommando hin wurden an allen vier Zugangspunkten die Sprengladungen gezündet. Toni war als Erster durch die rauchenden Reste des Türrahmens und warf zwei Blendgranaten rechts und links in die Räume. Hinter ihm folgte Cam mit Merita, die sich von dem Geknalle nicht aus der Ruhe bringen ließ. Dann kamen Leonie, Fee und zuletzt Gian.
    „UNSF – auf die Knie!“, brüllte Toni und richtete sein Gewehr auf eine nur spärlich bekleidete, junge Frau, die ihn panisch anstarrte. „Hände hoch und auf den Boden!“
    Zwei Guards schoben sich an ihm vorbei, als sie sich nicht rührte, drückten sie auf den Boden und fesselten ihr mit Kabelbindern die Hände.
    Die Gruppe schob sich weiter voran zur Kellertreppe. Im Haus waren überall Rufe sich auf den Boden zu legen, die Waffen fallen zu lassen oder sich zu ergeben zu hören. Dazu kam Rosis Gebell.
   
Als Toni die Kellertreppe erreichte, verlangsamte er seinen Schritt nur minimal. Mit gezückter Waffe eilte er die Stufen hinunter. Der Rest folgte ihm aufmerksam. Zwei Guards blieben oben am Treppenabsatz stehen, um ihnen den Rücken freizuhalten.
    Cam hatte Meritas Leine entfernt und hielt sie nur noch an einer Schlaufe ihrer Weste, um sie bei Bedarf schnell losschicken zu können. Aufgeregt, endlich loslegen zu dürfen, stemmte sie sich gegen seinen Griff. Der Keller war mit dunklem Holzboden und Vertäfelungen ausgekleidet. Dazu kamen dunkelrote Wände und jede Menge Goldverzierungen. Einige Türen standen offen, andere waren geschlossen. Mittels des HUDs konnte Leonie Jariks Positionen im hinteren Teil des Kellers auch durch die Wände sehen. Sie schauten in zwei Räume mit offenen Türen, die zu ihrer Freude leer waren. Zwei ihrer verbliebenen drei Guards prüften, ob man von dort aus in andere Räume konnte, aber es waren Sackgassen.

Toni positionierte sich neben der ersten geschlossenen Tür. Cam, Fee und Leonie huschten daran vorbei. Leonie stellte sich auf die andere Seite der Tür, Fee und Cam eilten weiter zur nächsten. Dort positionierten sie sich ebenfalls auf beiden Seiten der Tür.
    Leonie nickte Toni zu, der die Geste erwiderten, und drückte die Klinke nach unten. Die Tür schwang auf und Toni warf eine Blendgranate in den Raum. Toni wartete die zwei Sekunden, bis sie explodiert war, und stürmte dann ins Zimmer. Leonie folgte ihm mit ihrem Gewehr im Anschlag. Im anderen Raum schickte Cam Merita los, nachdem die Granate detoniert war, und verschwand dann mit Fee darin. Bei Leonie und Toni stand, hinter einem opulenten Bett, ein Mann im Anzug mit erhobenen Händen an der Wand. Seine offene Hose und Unterwäsche hing ihm um die Knöchel. In der Ecke kauerte eine nackte junge Frau. Leonie war sich nicht sicher, ob sie überhaupt volljährig war. Die Augen der beiden waren weit aufgerissen und sie starrten die Eindringlinge panisch an. Angeekelt bedeutete Leonie einem der Guards per Handzeichen beide zu sichern. Er bestückte den Mann mit Kabelbindern, wickelte der Frau eine Decke um und fesselte sie dann ebenfalls. Auch Cam, Merita und Fee hatten Beute gemacht. Die anderen beiden Guards brachten ihre Gefangenen zu denen von Leonie und Toni.

Die zwei Guards, die an der Treppe Wache gehalten hatten, kamen nach unten. Sie waren wohl oben von ihren Kollegen abgelöst worden. Einer der Guards blieb bei den Gefangenen, der Rest bewegte sich mit ihnen zügig voran.
    Leonie und ihre Gruppe sicherten zwei weitere Räume auf dieselbe Art und brachten die Gefangenen von dort ebenfalls in den ersten Raum. So mussten sie nicht zu viele Guards abstellen.

Sie gingen an einer weiteren offenen Tür vorbei. Nachdem sie sicher waren, dass dort niemand lauerte, und nahmen sich das nächste Zimmer vor. Es war das Letzte ihnen Zugeteilte.
    Aus einem der Stockwerke über ihnen kamen Schüsse und weiter hinten im Keller brüllte Jarik. Doch niemand aus der Gruppe ließ sich ablenken.
    Nachdem Leonie die Klinke heruntergedrückt und die Tür geöffnet hatte, warf Toni die Blendgranate in den Raum. Sie stürmten hinein, aber außer einer leblosen Gestalt auf dem Bett befand sich niemand darin.
    „Shit“, fluchte Leonie leise und schüttelte seufzend den Kopf.
    Auf dem Bett lag ein nacktes, junges Mädchen, das Leonie auf maximal fünfzehn schätzte. Ihre blicklosen und blutunterlaufenen Augen waren, ebenso wie ihr Mund, weit aufgerissen, ihr Gesicht und Körper voller Hämatome und an ihrem Hals konnte man die dunkelblauen Handabdrücke bestens erkennen.
    „Das triffts noch nicht mal ansatzweise“, murmelte Fee mit Grabesstimme.
    Leonie nickte und musterte das Mädchen. „Deckt sie bitte zu“, sagte sie zu einem der Guards.
    „Natürlich, Ma’am“, antwortete er. Er zog ein dünnes schwarzes Tuch aus einer Seitentasche seiner Cargohose, schüttelte es aus und legte es mithilfe seines Kollegen vorsichtig über den geschundenen Körper.

Cam leinte Merita an und verschwand mit ihr im Gang. Als Leonie ihm folgte, stand Jarik neben der Tür und spähte in den Raum. Er hatte sein Visier hochgeklappt und die Augen zusammengekniffen. Aber schon alleine an seiner Körperhaltung hätte Leonie seine Anspannung, seinen Frust und die massive Aggression erkannt, die er ausstrahlte. Hinter ihm stand schweigend der Rest ihres Teams.
    Leonie schob ihr Visier ebenfalls nach oben und legte ihm die Hand auf die Brust. Er legte seine Hand über ihre und atmete mehrmals tief durch, als er sie ansah.
    „Danke“, sagte Jarik leise und nickt Leonie zu.
    Leonie drehte sich zu ihrem Team und den Guards. „Bringt alle nach oben und stellt sicher, dass wir niemanden übersehen haben. Wir treffen uns dann im Foyer.“
    Jarik drehte sich wortlos um und stapfte zurück zum Raum, in dem seine Gruppe ihre Gefangenen gelassen hatte. Rico und Aven schlossen sich ihm an und Leonie sah ihm besorgt hinterher. Seufzend folgte sie und der Rest ihres Teams den Guards ihrer Gruppe, die ihre Gefangenen brachten. Vier Männer und drei Mädchen. Schweigend eskortierten sie die sieben nach oben.
Das Team überließ die Gefangenen den Guards, die diese in zwei Nebenräume lotsten. Die Männer in den einen, die Mädchen in einen anderen. Gian und Marc folgten den Mädchen. Unten im Keller wurde es laut, aber Leonie achtete nicht darauf, Jarik würde sich melden, wenn er Hilfe brauchte.

Ioannis stand mit David, Sykes und dem Rest seines Teams in der großen Eingangshalle im Erdgeschoss. Sie hatten die Helme abgenommen, die Sturmhauben aber aufgelassen. Einer der Medics kümmerte sich um Conall, der mit geschlossenen Augen auf einem Sessel saß. Seine Weste lag, zusammen mit dem zerschnittenen und blutigen Hemd, neben ihm auf dem Boden. Leonie machte einen Schritt zur Seite, um besser sehen zu können. Soweit Leonie es unter der Sturmhaube erkennen konnte, war Conalls Gesicht bleich und seine Brust gerötet, aber nicht blutig.
    „Einen in die Weste, ein Streifschuss am Arm“, sagte Ioannis grollend und beantwortete damit Leonis ungestellte Frage.
    Conall öffnete ein Auge und knurrte schmerzerfüllt. „Ich werds überleben, Ioannis. Und nein, du hättest nicht wissen können, dass das Arschloch durch die geschlossene Tür ballert“, sagte er leise.
    Ioannis starrte ihn an und knirschte mit den Zähnen.
    „Sonst alle okay?“, fragte Leonie und zog ebenfalls den Helm ab.
    „Von uns schon“, antwortete Ioannis.
    „Es könnte sein, dass ich dem Arsch, der durch die Tür geschossen hat, die Pistole etwas zu enthusiastisch abgenommen hab“, sagte David.
    Leonie hob die Augenbraue und schaute ihn an.
    David zuckte mit den Schultern. „Er lebt noch, aber es kann sein, dass er einen Schönheitschirurgen brauchen könnte.“
    Schnaubend klopfte Ioannis ihm auf den Rücken. „Das nächste Mal vielleicht etwas weniger Schwung, wir wollen die Leute noch verhören und das geht nicht, wenn sie durch nen Strohhalm essen. Aber ...“, er seufzte wieder. „... verdient ist verdient.“
    „Die Alternative wäre gewesen, ihn über den Haufen zu schießen, aber das stand ja nicht zur Debatte“, sagte David trocken.
    Leonies Hand schloss sich so fest um den Griff ihres Sturmgewehrs, dass ihre Knöchel weiß wurden. „Wir haben ein totes Mädchen gefunden. Vielleicht fünfzehn, blaugeprügelt und erwürgt“, sagte sie leise. David und Sykes schüttelten frustriert die Köpfe.
    Ioannis schloss die Augen und seufzte. „Scheiße.“
    „Japp“, antwortete Leonie. Betreten starrten sie auf ihre Stiefel und schwiegen.

Aven und Rico kamen aus dem Keller und setzten sich zu Cam, Fee und Toni auf die opulenten Ledersofas, die überall in der pompösen Halle verteilt waren. Merita hatte sich neben Cam auf dem Sofa ausgesteckt und den Kopf auf seinem Oberschenkel abgelegt. Ihre Füße baumelten in der Luft und sie schloss die Augen, als Cam ihr den Bauch kraulte. Dejan, Kris und Samir, alle drei aus Ioannis‘ Team, inspizierten scheinbar beeindruckt die Inhalte der Bar. Sykes‘ Hund Rosi lag neben ihm auf dem Boden.
    Aven legte den Helm neben sich aufs Sofa, schob sein Gewehr zwischen seinen Beinen zurecht und schaute sich aufmerksam um. „Der ganze Luxus ist doch barbarisch.“
    „Passt zu seinen Besitzern. Was ein ekelhaftes Pack“, murrte Rico, der neben ihm saß.

Aus Richtung der Kellertreppe kam lautes Gewimmer, französisches Gebettel und Flehen von einem der männlichen Gefangenen. Leonie drehte sich um, als Jarik die Treppe hinauf stapfte. Auf seiner hellbraunen Uniform waren mehrere Blutspritzer und -schmierer. Jariks linke Hand war in den schulterlangen Haaren eines ziemlich ramponiert aussehenden, riesigen Mannes vergraben, der auf Knien hinter ihm herkrabbelte. Dessen Gesicht sah aus, als wäre er mehrfach mit Anlauf gegen die Wand gelaufen. Sein weißes Hemd war zerrissen, blutverschmiert und er strauchelte, als sie den Treppenabsatz erreichten. Jariks eiserner Griff zog den Mann unerbittlich vorwärts und er musste sich mehrfach mit den Händen abstützen, um schnell genug hinter Jarik herzukommen.
    „Was zur Hölle? Hat Mr. Grizzly grade nach Mutti geweint?“, fragte David.
    Jarik zerrte den weiterhin lautstark wimmernden Mann in Richtung des Raums mit den Gefangenen.
    „Mr. Grizzly?“ Toni sah David irritiert an.
    „Hast du dir das Monster mal angeschaut? Der ist garantiert doppelt so schwer wie ich.“ Fee schauderte.
    „Wenn du jetzt nicht gleich deine Fresse hältst, stopf ich sie dir mit deinem jämmerlichen Würstchen“, brüllte Jarik auf Französisch im Nebenraum und es wurde still.
    „Hach ja, ist er nicht ein Sonnenscheinchen?“, fragte Ioannis trocken.
    Fee kniff irritiert die Augen zusammen „Was hat er gesagt? Mein Französisch ist etwas rostig.“ David ließ sich neben sie aufs Sofa fallen und übersetzte.
    Aven schnaubte amüsiert. „Wie poetisch.“

Jarik kam aus dem Nebenraum gestapft und stellte sich zu Ioannis, Sykes und Leonie. Er legte ihr den Arm um die Schultern und sie ihm ihren um die Taille. Sie konnte seine Anspannung spüren und lehnte sich an ihn.
    Ioannis musterte ihn einige Sekunden lang.
    Jarik starrte zurück und seufzte. „Er hat gemeint, sich im Schrank verstecken und mich anspringen zu müssen. Ich hab ihm höflich erklärt, dass das ne scheiß Idee ist, auch wenn er nen halben Kopf größer und gefühlt ne Tonne schwerer ist als ich.“ Er knirschte mit den Zähnen. „Das Mädchen im Zimmer war vielleicht elf oder zwölf.“ Leonie drückte sich fester an ihn.
    „Er hätte dir ins Messer springen sollen.“ Ioannis seufzte, schüttelte den Kopf und schaute dann auf die Uhr. „Aber gute Arbeit. Keine fünfzehn Minuten. Ich bin dafür, wir lassen die Guards aufräumen und fliegen nach Hause. Die Bude hier ist mir zu creepy.“ Er schauderte.
    Hinter ihnen klirrte es und die vier Teamleiter drehten sich um. Dejan zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Ups? Sorry!“
    „Und die Flaschen bleiben hier!“, sagte Sykes streng.
    „Spielverderber!“, murrte Kris und stellte die Flasche in seiner Hand aber zurück auf die Bar.
    „Na los, bewegt eure haarigen und unhaarigen Ärsche, ich will nach Hause!“, sagte Aven. Er stand auf, streckte sich und nahm seinen Helm.
    Auch die anderen packten ihre Sachen und machten sich auf den Weg nach draußen. Ioannis‘ zwei Medics trugen Conall. Gian und Marc halfen ihnen dabei. Die Mädchen wurden inzwischen von mehreren Ärzten versorgt, die mit der zweiten Welle Guards gekommen waren. Bald würde Intelligence das Anwesen übernehmen und Beweise sichern.

Leone schaute sich um, als sie nach draußen traten. Viele Fenster um sie herum waren hell erleuchtet oder es waren Schatten von Anwohnern zu erkennen, die durch den Lärm aufgeschreckt worden waren.
    Sie verteilten sich wieder auf die Autos, mit denen sie gekommen waren. Leonie saß neben Jarik und hatte ihren Kopf an seine Schulter gelehnt. Seine Hand lag auf ihrem Oberschenkel und er streichelte sie gedankenverloren mit seinem Daumen. Die Fahrt zum Flughafen und den Flug verbrachten sie schweigend.    

Als sie landeten, wurde Conall direkt auf die Krankenstation gebracht. Der Rest der beiden Teams folgte ihren Teamleitern zu ihren Wohnungen. Auf dem Weg dorthin gaben sie ihre Waffen und Westen zur Überprüfung in der Armory ab und gingen dann Duschen. Mit frischen Uniformen ausgerüstet stapften sie kurz danach zur Einsatzzentrale, wo Jelena und Joshua bereits mit grimmigem Gesichtsausdruck auf sie warteten.

Nachdem beide Teams saßen, dimmte Joshua das Licht. Er setzte sich neben Selene, die wieder die Herrschaft über den Beamer hatte. Conall war nicht dabei, er war noch in der Krankenstation.
    Leonie angelte sich zwei Proteinriegel aus der Schale auf dem Tisch und nahm eine Wasserflasche von Jarik entgegen. Nachdem sie die Hälfte der Flasche geleert hatte, verputzte sie einen der Riegel. Ein richtiges Essen wäre ihr lieber gewesen, aber sie nahm, was sie bekam. Noch besser wäre es, mit Jarik im Bett liegen, es war mittlerweile schon kurz nach drei, aber das würde noch eine Weile dauern. Sie seufzte, lehnte ihren Kopf an seine Schulter und lauschte Jelena, die den Einsatz zusammenfasste, wobei sie sich mehrfach verhaspelte. Nicht nur Leonie schien davon verwundert. Gian schaute mit gerunzelter Stirn zu Leonie, aber sie konnte nur mit den Schultern zucken.
    Es gab nicht viel mehr zu berichten als das, was sie ohnehin schon wussten. Alle Mädchen hatten Hämatome, aufgerissene Handgelenke und Platzwunden, einige auch Knochenbrüche und Gehirnerschütterungen. Keines der insgesamt fünfzehn Mädchen war über achtzehn, das jüngste, nach eigener Aussage, grade mal elf. Leonie knirschte mit den Zähnen und schluckte. Sie wollte gar nicht wissen, was sie alles erlebt hatten. Jarik drückte ihre Hand und sie lächelte ihn dankbar an.

„Wir haben insgesamt dreißig Personen festgenommen. Bis auf zwei Zwischenfälle gab es kaum Gegenwehr. Einmal der Kerl, der durch die Tür geschossen hat. Du hast ihm übrigens erfolgreich den Kiefer und die Nase gebrochen, David. Wir werden ein paar Tage brauchen, um ihn zu vernehmen.“ Jelena schaute ihn missfällig an und schnaubte, bevor sie sich auf Jarik konzentrierte. „Und den Herrn, der Jarik angesprungen hat. Mehrere gebrochene Rippen, das linke Handgelenk, die Nase und das Jochbein sind durch und ihm fehlen einige Haare.“ Jelena schürzte die Lippen. „Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt, als ich gesagt hab, dass ich keine Racheaktionen für Julien will! Und du, Leonie und Ioannis habt mir alle versichert, dass ich mir keine Sorgen machen müsste!“
    Jarik schnaubte. „Das hatte nichts mit Julien zu tun.“
    „Ach nein?“, fragte Jelena scharf.
    Irritiert schaute Jarik sie an. „Hundertprozentig nein! Was soll ich denn machen, wenn der Typ mich anspringt? Ihn zum Picknick einladen?“
    „Du hättest ihn ja nicht gleich halb tot prügeln müssen. Ein bisschen mehr Beherrschung hätte ich dir schon zugetraut!“, fauchte Jelena.
    „Bitte was?“ Jarik stand auf. Er stapfte auf Jelena zu und starrte sie an.
    Leonie überlegte, ebenfalls aufzustehen, ließ es dann aber bleiben. Jarik würde Jelena niemals angreifen und sie konnte seinen Ärger verstehen. Im Raum hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Alle waren erstarrt und beobachteten Jarik und Jelena.
    Jelena schluckte, wich aber nicht zurück, als Jarik nur wenige Zentimeter von ihr entfernt stehen blieb und entgeistert auf sie heruntersah. „Du hast mich schon gehört“, sagte sie langsam und funkelte ihn an.
    „Du glaubst also wirklich, dass ich zu heftig reagiert hab, als mich das Vieh angesprungen hat?“, fragte Jarik kalt. Sein Tonfall ließ selbst Leonie die Haare zu Berge stehen und sie sah, dass sich einige der anderen die Arme rieben. Er stemmte die Hände in die Hüften. „Ein Typ, der mindestens zehn, wenn nicht sogar fünfzehn Zentimeter größer ist als ich und locker zwanzig Kilo mehr wiegt? In Muskeln wohlgemerkt, falls es dir nicht aufgefallen ist! Nicht, dass es ihm was genutzt hätte, aber bei der Statur muss ich davon ausgehen, dass er mir gefährlich werden kann! Und dafür, dass er gemeint hat, mich anzugreifen, ist er noch verdammt gut weggekommen! Und dann möchtest du mir erzählen, dass ich mich nicht im Griff hätte?“
    Jelenas Hände zitterten und sie machte einen Schritt von ihm weg. Sie schluckte erneut und leckte sich über die Lippen. Bevor sie jedoch antworten konnte, sprang Ioannis auf, legte Jarik die Hand auf die Brust und tätschelte diese. „Nu komm, setz dich hin, du wirst mir hier ein bisschen zu intensiv“, sagte Ioannis ruhig.
    Jarik schnaubte und verschränkte, nun deutlich gelassener, die Arme vor der Brust, rührte sich jedoch nicht. Stattdessen legte er den Kopf schief und musterte Jelena, die ihn nun mit aufgerissenen Augen anblickte. „Ich würde wirklich gerne mal wissen, wie unser Master Chief hier auf solche Ideen kommt.“
    Seufzend schüttelte Ioannis den Kopf. „Das können wir später klären. Und ich hab gesagt, du sollst dich hinsetzen Captain!“, sagte Ioannis nun nachdrücklich.
    Jariks seufzte, als er zu Ioannis sah, der etwas kleiner war als er. Es dauerte einige Augenblicke, bevor Jarik den Kopf senkte, Ioannis aber weiter ansah, und einen Schritt zurücktrat. „Ja, Sir“, murrte Jarik und stapfte zurück zu seinem Stuhl, auf den er sich sinken ließ. Er musterte Jelena, die seinem Blick betont auswich. Leonie legte ihm die Hand in den Nacken und massierte ihn.    

Ioannis sah Jarik einige Sekunden nachdenklich an und wandte sich dann schnaubend an Jelena. „Wenn Jarik dir sagt, dass es nichts mit Julien zu tun hat, dann ist das so! Wir drei haben dir versichert, dass es kein Problem ist. Und du solltest du dir verdammt gut überlegen, ob ein Captain die richtige Wahl für diesen Tonfall ist, Master Chief! Zumal er absolut angemessen reagiert hat. Wenn sich hier einer von euch beiden im Griff hat, dann ja wohl Jarik!“ Jelena wurde rot, senkte den Blick und schluckte schwer. Ioannis schaute zurück zu Jarik. „Wie gesagt, wir unterhalten uns später noch mal!“
    „Ja, Sir“, antwortete Jarik leise.
    Auch Jelena, deren Gesicht und Ohren mittlerweile einer Tomate glichen, nickte. „Verstanden, Major“, sagte sie leise. Sie sah Ioannis nicht an, sondern starrte auf ihre Hände.
    „Gut. Können wir dann jetzt weitermachen? Ich hab keine Lust, in fünf Stunden immer noch hier zu sitzen. Mein Bett ruft verdammt laut nach mir und der Affenzirkus hier versaut mir die Laune!“ Ioannis schnaubte und schaute in die Runde. Als niemand antwortete, nickte er. „Schön, dass wir das geklärt haben.“

Jelena fuhr fort. Sie brauchte eine Weile, um sich zu fangen, und verhaspelte sich mehrfach. Der Rest der Besprechung verlief halbwegs jedoch ruhig, aber angespannt. Leonie war froh, dass sie zügig vorankamen und sich nicht wie sonst mit blöden Sprüchen aufhielten. Sie konnte sehen, dass Jarik weiterhin mit den Zähnen knirschte. Viele Erkenntnisse gab es jedoch nicht. Es waren bisher noch nicht mal alle Mädchen und Festgenommenen identifiziert worden. Leonie vermutete, dass es Wochen dauern würde, alle zu vernehmen und Beweismittel auszuwerten. Der Einsatz war aber, bis auf die beiden Vorkommnisse, gut gelaufen.    

Als sie endlich fertig waren, eilten die anderen aus dem Raum. Nur Ioannis, Jarik, Jelena, Leonie und Sykes blieben zurück.
    Ioannis schaute frustriert zwischen Jarik und Jelena hin und her. „Kann mir jetzt mal jemand verraten, was das sollte?“
    Jarik schwieg und starrte Jelena an. Leonie legte ihm die Hand auf den Rücken und er lehnte sich in die Berührung.
    „Woher soll ich denn wissen, dass es nichts mit Julien zu tun hat?“, murrte Jelena.
    „Weil der Captain es dir gesagt hat? Wenn du ihm nicht glaubst, kommst du zu mir und fängst nicht vor versammelter Mannschaft so einen Bockmist an!“, fauchte Ioannis. „Mit so einer Aktion verspielst du deine Glaubwürdigkeit! Abgesehen davon, dass es dich deinen Posten kosten kann, wenn Jarik es wirklich drauf anlegen würde! Das war so was von daneben! Ich weiß noch nicht mal, was ich dazu sagen soll!“
    Jelena senkte den Kopf. „Sorry, ich ...“
    „Du bist lange genug dabei, dass du es besser wissen solltest, als so einen Unsinn zu fabrizieren! Mit einem einfachen Sorry kommst du mir hier also nicht raus!“ Ioannis musterte Jelena durchdringend.
    „Ich ...“ Jelena schluckte und griff dann in ihre Hosentasche. Sie holte einen leicht verknitterten Zettel raus und reichte ihn Ioannis.
    Stirnrunzelnd nahm er den Zettel entgegen, entfaltete ihn und las. „Hm. ‚Du solltest dir gut überlegen, was du tust. Oder du endest wie dein Kumpel hier.‘ Welcher Kumpel?“
    Jelena rang die Hände. „Der Zettel klebte heute ...“ Sie schüttelte den Kopf. „... gestern Morgen an meiner Balkontür. Drunter lag eine tote Ratte.“
    „Und da kommt dir nicht in den Sinn mit mir zu reden?“, brauste Ioannis auf. Jelena zuckte zusammen und er seufzte. „Jelena, ich muss mich drauf verlassen, dass ich alle Infos bekomme! Und wenn du von irgendwem bedroht wirst, dann muss ich das wissen!“
    „Ich ...“, Jelena ließ den Kopf hängen.
    Jarik musterte sie aufmerksam. „Das war nicht der erste Vorfall, oder?“
    Beschämt schüttelte Jelena den Kopf. „Nein. Vor ein paar Tagen bin ich abends draußen abgefangen worden. Zwei Männer, sie waren beide in Schwarz gekleidet und hatten Sturmhauben auf. Ich hab vom HUD keine Info zu ihnen bekommen, also sind sie entweder von außerhalb oder haben ihre Signaturen abgeschaltet. Was aber heißen würde, dass da noch mehr involviert sind.“ Sie atmete tief ein und aus. „Einer hat mich festgehalten und mir ein Messer an den Hals gehalten, der andere ...“ Sie schloss die Augen.
    „Ganz in Ruhe, okay?“ Ioannis legte ihr den Arm um die Schultern und sie lehnte sich an ihn. Jelena war nur wenige Jahre jünger als er und normalerweise nicht leicht aus der Fassung zu bringen. Die Vorfälle mussten sie wirklich bis ins Mark erschüttert haben.
    „Danke. Der andere hat mir mehrfach in den Bauch geboxt.“ Sie schluckte. „Und sie haben gesagt, dass ich aufpassen sollte, wo ich grabe, ansonsten würden sie das nächste Mal wirklich das Messer nehmen, um mit mir zu spielen ...“ Jelena war bleich.
    „Shit.“ Ioannis zog sie an seine Brust und legte die Arme um sie. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter, während er ihr über den Rücken streichelte.
    Sykes, der das Ganze bisher nur ruhig beobachtet hatte, seufzte. „Ich wäre dafür, dass wir gleich zu dir gehen, dir ne Tasche packen und du die nächsten Tage bei uns bleibst. Wir haben noch ein Zimmer frei. Rosi kann bei dir schlafen, an dem kommt niemand ungesehen vorbei.“
    Ioannis nickte. „Gute Idee.“
    „Und wir sollten nicht außer Acht lassen, dass wir mindestens zwei, wenn nicht sogar mehr Maulwürfe haben. Und wir müssen in Betracht ziehen, dass es jemand aus der Taskforce gewesen sein könnte.“ Jarik fuhr sich mit der Hand über den Kopf.
    Gedankenverloren nickte Ioannis. „Das wäre ein Clusterfuck! Aber ja, ausgeschlossen ist es nicht. Heißt, wir sollten uns dringend was überlegen, wie wir damit umgehen. Aber, ich brauch trotzdem erst mal Schlaf.“
    Leonie tätschelte Jelena den Rücken. „Wir passen auf dich auf. Jetzt schau erst mal, dass du zur Ruhe kommst.“
    Jelena nickte. „Dankeschön.“ Sie machte sich von Ioannis los und drehte sich zu Jarik. „Tut mir leid.“
    Jarik musterte sie besorgt und schüttelte den Kopf. „Kein Ding. Komm her.“ Er hielt ihr die Hand hin. Jelena nahm sie und er zog sie in eine Umarmung. „Wir bekommen das schon aufgedröselt. Aber das nächste Mal, wenn was ist, rede mit uns! Du bist Ermittlerin, keine Superheldin! Niemand erwartet von dir, dass du plötzlich Wonder Woman bist.“ Jarik ließ sie los und legte ihr lächelnd die Hände an die Schultern. Er wartete, bis sie ihn anschaute. „Wir arbeiten am Besten als Team. Du bist das Hirn, wir die Muskeln. Nutze uns!“
    Jelena nickte verlegen und lächelte schüchtern zurück. „Dankeschön“, murmelte sie.
    Ioannis trat zu ihr und legte ihr wieder den Arm um die Schultern. „Na komm, ich will ins Bett. Wir können uns später oder morgen oder wann auch immer wir ausschlafen weiter Gedanken machen.“ Sanft steuerte er Jelena Richtung Ausgang. Sykes nickte Jarik und Leonie zu und folgte Ioannis und Jelena mit Rosi.

Lächelnd lehnte sich Leonie an Jariks Seite. „Du bist so ein Marshmallow.“
    Jarik grinste sie an. „Pscht! Du versaust mir den Ruf!“, murmelte er und küsste sie.
„Hm, das schaffst du schon ganz alleine.“ Sie tätschelte seinen Bauch. „Komm, ich will auch ins Bett. Ich bin hundemüde.“ Leonie überlegte kurz. „Aber erst noch was essen, ich hab Hunger.“

Gemeinsam machten sie sich auf den Weg in die Kantine. Als sie nach dem Umweg endlich in ihrer Wohnung ankamen, war es bereits halb sechs. Jarik lehnte sich müde an die Wand, als er die Stiefel auszog und sie in die Schuhschale neben der Tür warf. Auf dem Weg zum Schlafzimmer zog er sein langärmliges Uniformshirt aus, ließ es achtlos auf den Boden fallen und fiel dann Gesicht voraus aufs Bett. Leonie hob das Shirt auf und legte es auf den Hocker neben dem Schrank.
    Schmunzelnd schloss sie die Schlafzimmertür und schaltete das kleine Licht auf dem Nachttisch an. Sie zog sich aus und stellte sich dann zwischen Jariks Unterschenkel, die noch über die Matratze ragten.
    Mit den Händen fuhr sie langsam seine Waden entlang nach oben. Jarik seufzte in die Bettdecke, als sie seinen Hintern erreichte. Leonie setzte sich auf seine Oberschenkel und massierte ihm den Rücken.
    „Du bist die Beste“, nuschelte er und brummte leise.
    Lächelnd beugte sich Leonie nach vorne und verteilte Küsse zwischen seinen Schulterblättern. „Natürlich!“
    Jarik schnaubte belustigt. „Und so bescheiden. Hey!“ Leonie hatte ihn mit den Zähnen ins Schulterblatt gezwickt.
    „Sei nicht so frech.“ Leonie rutschte ein Stückchen nach oben und knetete seine immer noch verkrampften Schultern und seinen Nacken mit festem Griff durch.
    Jarik stöhnte leise. „Du bist zu gut zu mir.“
    „Du hattest nen beschissenen Tag. Und ich liebe es, dich anzufassen“, sagte Leonie lächelnd.
    Jariks Muskeln lockerten sich langsam „Und ich liebe es, dass du es liebst mich anzufassen. Scheiße tut das gut.“ Er lehnte sich in die Berührung.

Leonie massierte ihn noch einige Minuten länger. Dann setzte sie sich neben ihm auf die Matratze. „Dreh dich um.“
    Jarik rollte sich ächzend auf den Rücken, legte sich zurecht und blinzelte sie an. Leonie streichelte ihm über den Bauch und die Brust. Lächelnd schloss er die Augen.
Leonies Finger wanderten zu seinem Hosenbund. Geschickt öffnete sie den Knopf und den Reißverschluss. „Na los, hilf mir“, sagte sie und kniete sich hin, um ihm beim Ausziehen der Hose zu helfen. Jarik hob den Hintern. Statt nur der Uniformhose zog sie seine Boxershorts gleich mit aus. Zusammen mit seinen Socken flog beides in Richtung des Hockers.
    „Ich glaube mir gefällt, was du vorhast.“ Jarik grinste.
    Belustigt schnaubte Leonie. „Oh, ich bin mir ganz sicher, dass es dir gefällt.“ Sie setzte sich wieder auf Jariks Oberschenkel, beugte sich nach vorne und bedeckte seine Brust mit Küssen. Ihre Hände wanderten über seinen Bauch und er stöhnte leise. Sie patschte ihm auf die Finger, als er diese langsam über ihren Oberschenkel gleiten ließ und er schnaubte. „Nope. Finger weg, jetzt darf ich spielen. Einfach genießen.“
    „Spielverderberin“, murrte er. Er legte jedoch brav die Hände unter den Kopf, sodass er sie beobachten konnte, und überließ sich ganz Leonie.
    Sie lächelte und rutschte ein Stück weiter nach unten, um nun seinen Bauch zu küssen und zu streicheln. Sie achtete darauf, seine Erektion nicht zu berühren.
    Jariks Atmung wurde schneller. Er schnaubte frustriert, als sie seinen Oberschenkel küsste. „Leo. Hör auf mich zu quälen“, sagte er keuchend.
    Kichernd küsste Leonie seine Leiste. „Ich weiß nicht, wovon du redest.“ Sie machte noch einige Sekunden weiter, bevor sie dann doch Erbarmen mit ihm hatte. Sie legte ihre Hand um seine Erektion und drückte leicht zu.
    Jarik stöhnte auf, schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. „Oh, fuck!“
Lächelnd bewegte Leonie ihre Hand auf und ab und leckte dann über Jariks Eichel. Er keuchte auf und seine Hüfte zuckte nach oben. Grinsend machte sie weiter. Jarik atmete schwer und als er seinen Blick wieder auf sie richtete, musste Leonie schlucken, so intensiv war er. Sie hielt den Blickkontakt, als sie ihre Lippen betont langsam um seine Eichel schloss und dann tiefer sank.
    Jariks Kiefer spannte sich an und seine Nasenflügel bebten. Er schluckte schwer und stöhnte auf. Eine Hand vergrub er in der Decke und drückte zu. Leonie summte leise und trieb Jarik dann saugend, leckend und streichelnd in den Wahnsinn.
    Es dauerte nicht lange, bis Jariks Hand in ihren Nacken wanderte. Seine Finger schoben sich in ihren mittlerweile aufgelösten Dutt, er griff vorsichtig zu und zog sie zu sich nach oben. „Genug“, sagte er mit rauer Stimme und presste seinen Mund auf ihren.
    Leonie drückte sich an ihn und erwiderte den Kuss nur allzu gern. Jariks Hände wanderten über ihren Rücken zu ihrem Po und dann zwischen ihre Beine. Er ließ seine Fingerspitzen über ihre Klitoris streifen und Leonie keuchte. Ein Finger der anderen Hand fand seinen Weg in ihre Vagina und sie stöhnte.
    Der Finger verschwand wieder. Bevor Leonie reagieren konnte, lag sie auf dem Rücken. Jarik kniete zwischen ihren gespreizten Beinen und leckte über eine ihrer Brustwarzen. Sein Daumen kam auf ihrem Kitzler zu liegen, wo er sanfte Kreise zog. Leonie drückte sich ihm entgegen, ließ den Kopf nach hinten fallen und schloss die Augen. Nun war sie es, die stöhnte, keuchte und sich unter ihm wand. Und Leonie genoss es in vollen Zügen. Ihre Hände krallten sich in seinen Nacken und seine Haare. „Jarik!“, japste sie.
    „Hm?“ Er wechselte die Seite und saugte nun an der anderen Brustwarze.
    Leonie wimmerte. „Genug gespielt!“
    Leise lachte Jarik. „Ungeduldig?“
    „Ja, verdammt!“
    Jarik schob sich ein Stück nach oben und küsste sie. Seine Erektion drückte sich zwischen ihre Schamlippen und drang dann in sie ein. Leonie legte ihre Beine um seine Hüften und verkreuzte ihre Knöchel. Er bewegte sich einige Sekunden langsam in ihr, damit sie sich an ihn gewöhnen konnte.
    „Jarik, bitte“, flehte Leonie zwischen zwei Küssen.
    Wie gewünscht steigerte er das Tempo und stieß dann schon fast brutal in sie. Seine Unterarme hatte er neben ihr abgestützt, eine Hand lag in ihrem Nacken und sein Kopf auf ihrer Schulter. Leonie bog den Rücken durch und ließ sich von ihm mitreißen. Sie liebte, dass sie selbst so muskulös war und er sich nicht zurückhalten musste. Es dauerte nicht lange, bis Leonie kam. Jarik ließ das scheinbar letzte bisschen Selbstbeherrschung sausen und zog das Tempo nochmals an. Als er kurz darauf ebenfalls kam, sank er auf Leonie zusammen und blieb auf ihr liegen. Sie ließ ihre Beine auf die Matratze sinken.
    Sanft küsste Leonie sein Ohr. „Na, wieder entspannt?“, fragte sie nach einigen Minuten und lächelte.
    „Hmhm. Ich glaub, ich bin tot“, nuschelte Jarik und drückte sein Gesicht an ihren Hals.
    Leonie streichelte ihm über den Rücken. „Na dann kannst wenigstens gut schlafen.“
    „Hmhm. Kann ich einfach so liegen bleiben?“
    „Auf Dauer geht mir wahrscheinlich die Luft aus“, antwortete Leonie amüsiert.
    Jarik brummte unwillig. „Verdammt.“ Er stemmte sich hoch, legte sich auf den Rücken und zog Leonie mit dem Kopf auf seine Brust. Er musterte sie einige Augenblicke. „Ich hab keine Ahnung, wie ich ausdrücken kann, wie sehr ich dich liebe“, sagte er leise und streichelte über ihren Rücken.
    Leonie lächelte ihn liebevoll an. „Du hast dich doch grade ziemlich gut ausgedrückt. Und ich hab auch keine Ahnung, wie ich in Worte fassen soll, wie sehr. ‚Ich liebe dich‘ fühlt sich nach nicht genug an.“ Sie streckte sich und küsste ihn.
    „Hmhmm. Dann lassen wir das mit dem Quatschen halt. ich bin so auch mehr als zufrieden.“ Jarik drückte sie an sich. „Und mir ist es scheiß egal, dass wir klebrig und nass sind. Wir können später duschen und sauber machen.“ Er zog die Decke über sie beide.
    Schmunzelnd kuschelte sich Leonie an ihn. „Guter Plan. Schlaf schön.“ Sie küsste seinen Brustmuskel und schloss die Augen.
    „Schlaf du auch schön.“ Er lehnte seinen Kopf an ihren, streckte sich, um die Nachttischlampe auszumachen, und schloss dann ebenfalls die Augen.

Einige Stunden später wachte Leonie leise stöhnend auf. Sie lag mit dem Rücken an Jariks Brust gepresst und seine Erektion drückte sich gegen ihr Steißbein. Eine seiner Hände spielte mit ihrer Brustwarze, die andere mit ihrem Kitzler und Jarik verteilte sanfte Küsse auf ihrem Hals, von denen sie eine Gänsehaut bekam.
    „Guten Morgen“, sagte er leise, ohne seine Liebkosungen zu unterbrechen.
    Leonie lächelte und rieb ihren Po über seine Erektion. „Guten Morgen“, murmelte sie. Sie bewegte sich ein wenig, damit Jarik besser überall hinkam, entspannte sich und ließ Jarik einfach machen.
    Nach einer Weile rutschte er ein Stück nach unten und drang von hinten in sie ein. Während er sich langsam in ihr bewegte, streichelte und küsste er sie weiter. Leonie konzentrierte sich nur auf seine Berührungen und es dauerte nicht lange, bis sie kam. Sie keuchte auf, als er seinen Griff um sie festigte und dann einige Male fest in sie stieß, bis auch er kam.
    Jarik legte seine Arme um Leonie und drückte sie an sich. „Weckdienst“, sagte er leise und küsste ihre Wange.
    „Hm. Guter Weckdienst. Kann ich empfehlen. Zehn von zehn.“ Sie lächelte und drehte den Kopf, um sich einen Kuss abzuholen.
    Er gewährte ihr den Wunsch. „Nicht zu langweilig?“, fragte er schmunzelnd.
    „Nope. Das war genau das, was ich jetzt gebraucht hab.“ Sie drehte sich ein wenig und er glitt aus ihr heraus.
    „Ich glaub, wir sollten später das Bett neu beziehen“, sagte Jarik belustigt.
    Leonie schnaubte. „Meinst du?“
    Jarik grinste sie an und küsste sie. „Jap, ich steh nicht so drauf, an der Bettdecke festzukleben.“
    „Gutes Argument.“
    Sie brauchten eine Weile, um aus dem Bett hinaus und unter die Dusche zu kommen. Sie kuschelten, küssten und streichelten sich die ganze Zeit.

Nach dem Duschen beschlossen sie, zur weiteren Entspannung eine Runde wandern zu gehen, da es erst kurz vor siebzehn Uhr war. Bis zum Sonnenuntergang hatten sie noch einige Stunden. Sie zogen sich Unterziehwesten, schwarze Cargohosen und T-Shirts an. Leonie befüllte zwei Wasserblasen, nahm ein paar Proteinriegel und steckte beides in ihre Rucksäcke.
    Jarik schickte derweil eine Nachricht an die anderen, dass sie eine Weile weg sein würden. Sie hatten zwei Tage freibekommen, um sich zu erholen, und wollten diese nutzen. Ihren obligatorischen Psychologentermin hatten sie beide erst am nächsten Morgen. Im Flur zogen sie ihre Stiefel an und steckten ihre Pistolen in die Steißholster. Keiner von ihnen würde die Basis ohne Waffe verlassen. Sie holten sich in der Kantine noch einige Sandwiches und machten sich dann auf den Weg zu einem der Ausgänge.
    Als sie fünfzig Meter vor dem inneren Tor waren, hörten sie einen lauten Knall. Sie konnten nichts sehen, da zwischen ihnen und dem Tor noch ein Lagerhaus stand, aber beide waren sich ziemlich sicher zu wissen, was das Geräusch zu bedeuten hatte. Sie schauten sich an, zogen die Waffen und eilten in Richtung Tor.
    Als sie um die Hausecke bogen und die Verwüstung sahen, wurde aus der Vermutung Gewissheit. In der Schleuse war eine Bombe explodiert und der Rauchsäule und Zerstörung nach zu urteilen war es keine Kleine gewesen.

Während Jarik und Leonie geduckt auf die Schleuse zu rannten, um sich einen Überblick zu verschaffen, aktivierten sie ihre Comm-Module.
    „3-032 Jarik und Leonie auf dem Weg zum Tor“, sagte Jarik leise. „Wir versuchen, auf den Parkplatz zu kommen. Wir wollen unsere Ausrüstung aus den Autos holen.“
    „Basis. Verstanden. Nähert euch nur mit äußerster Vorsicht. Mehrere Guards und Assaulter sind auf dem Weg. ETA zwei Minuten.“

Als sie sich dem Parkplatz, der sich einige Meter neben der Schleuse befand, näherten, wurde das Ausmaß der Zerstörung immer deutlicher. Die Fenster des Lagerhauses waren in tausend Teile zersprungen. Die Bäume drumherum waren blattlos und kohlten vor sich hin. Das schwere Metalltor, das die Schleuse vom Inneren der Basis trennte, war verbeult und hing schräg in der Verankerung. Mehrere der massiven Stahlbetonsegmente, die den Schleusenbereich zum Schutz umgaben, waren geborsten und eines sogar umgefallen.
    Jarik und Leonie eilten weiter. Auf dem Parkplatz trafen sie auf Aidan und Mids, die wohl dieselbe Idee gehabt hatten. Die beiden hatten ihre BodyArmors bereits angezogen und packten sich grade mehrere Magazine in die Taschen.
    Sie begrüßten sich per Handzeichen, da die Kakofonie diverser Alarmanlagen jegliche Unterhaltung unmöglich machte. Jarik und Leonie eilten zu ihrem Auto. Unter ihren Füßen knirschten Unmengen an Glassplittern. Keines der Fahrzeuge auf dem Parkplatz hatte noch Scheiben.
    Jarik deaktivierte den Alarm, zog die Heckklappe ihres SUVs auf und seufzte erleichtert, als er sah, dass der Tresor unbeschädigt war. Mittels Fingerabdruck und Retinascan öffnete er ihn und holte ihre BodyArmors hervor. Sie halfen sich gegenseitig hinein und rüsteten sich ebenfalls mit Sturmgewehren und Magazinen aus. Jarik verschloss den Tresor wieder und sie setzten ihre Atemschutzmasken und die Helme auf. Nach einem kurzen Ausrüstungscheck verbanden Jarik und Leonie ihre Comm-Module mit denen von Aidan und Mids und eilten gemeinsam mit ihnen zur Schleuse.

Durch die Lücke, die durch das umgekippte Betonsegment entstanden war, schauten die vier in die Schleuse.
    Das massive Stahltor zur Straße hin war bei der Explosion wohl noch teilweise geöffnet gewesen. Es war verschmort und nach außen geknickt. In den nun schwarzen Betonwänden steckten Metallstücke, die vom ausgebrannten Transporterwrack stammen mussten, in dem sich wohl die Bombe befunden hatte. Überall lagen Trümmer-, Ausrüstungs- und auch Leichenteile, die teilweise brannten oder vor sich hin kohlten. Dichte Rauchschwaden reduzierten die Sichtweite deutlich und Leonie war froh, dass sie die Atemschutzmasken aufgesetzt hatten, die sie auch vor dem Geruch schützten. Sie schluckte und konzentrierte sich auf ihre Aufgabe.

Die vier eilten durch die glücklicherweise noch funktionierende Personenschleuse einige Meter weiter und sondierten die Lage auf der Straße vor dem Tor. Genau wie auf dem Parkplatz jaulten hier die Alarmanlagen der zerstörten und ausgebrannten Autos wild durcheinander. Die Bäume und Büsche schwelten und überall lagen Trümmer und Leichen. Sämtliche Oberflächen waren mit Ruß, Dreck und Staub bedeckt. Auch hier erschwerten Rauchwolken die Sicht.
    Ein Stück weiter irrten einzelne Menschen mit blutiger und zerrissener Kleidung ziellos durch das Chaos. Grade im Sommer waren auf den Wegen rechts und links der vierspurigen Straße viele Studenten der nahe gelegenen Universität, Spaziergänger und Jogger unterwegs, die in das Waldstück und die Schrebergärten westlich der Basis wollten. Nun lagen sie reglos und zerschmettert auf der Straße. Jarik knirschte mit den Zähnen und griff sein Gewehr fester.

Die angekündigten Guards und Assaulter waren mittlerweile eingetroffen und schwärmten aus. Im Schlepptau hatten sie Dutzende Medics und Ärzte mit Rucksäcken und Tragen, die nun an der Vierergruppe vorbeieilten. Die Vier ging Richtung Osten, um zu helfen, das Areal abzusichern. Ein Guard drückte ihnen jeweils einen Stapel der dünnen Leichentücher und eine Handvoll Funkmarker für die Verletzten in die Hand. Über ihnen kreisten nun auch Dutzende Drohnen, die mit ihren hochauflösenden Kameras und Lasern alles vermaßen und der Einsatzzentrale bei der Koordination halfen.

Ein Stück die Straße herunter war ein junger Mann gegen einen Baum geschleudert worden und ein Ast hatte sich durch seinen Hals gebohrt. Sein vermutlich einmal rotes T-Shirt war angesengt, zerrissen und blutbesudelt. Die blattlosen, brennenden Äste und seine aufgerissenen Augen ließen Leonie einen Schauer über den Rücken laufen.
    Neben dem Baum lag ein umgefallener Kinderwagen, der vor sich hin qualmte.
    „Fuck“, sagte Leonie leise.
    Aidan schüttelte angewidert den Kopf. „Hmhm. Was für eine Scheiße.“

Jarik stieg über ein am Boden liegendes Schild. „Homosexualität ist Sünde“, stand darauf. Er schüttelte seufzend den Kopf. „Hm, da war heute wohl jemand anderer Meinung“, sagte er leise.
    Aidan schaute nachdenklich das Schild an und schnaubte. „Offensichtlich.“
    Den älteren Mann mit Rauschebart, der mit verdrehten Gliedmaßen daneben lag, beachteten sie nach einem kurzen Blick nicht weiter. Seine glasigen Augen zeigten, dass ihm nicht mehr zu helfen war.
    Er hatte wohl zu den Demonstranten gehört, die immer wieder vor der Basis standen und gegen alles Mögliche protestierten. Gegen den offenen Umgang der UN mit diversen Sexualitäten, Geschlechtsidentitäten und Polyamorie. Gegen Waffengewalt und für Weltfrieden. Gegen Religionsfreiheit, Minderheiten, dieses, jenes oder einfach die UN an sich. Dazu kamen Weltuntergangsprediger.
    Hin und wieder standen aber auch Unterstützer der UN und UNSF daneben. Die Guards hatten jedes Mal Mühe, die Gruppen auseinanderzuhalten.

Sie kamen an einem „Das Ende ist nah!“-Schild vorbei. Auch dessen Träger, diesmal ein junger Mann, war jenseits aller Hoffnung. Er lehnte an einem der zerstörten Autos. Sein Kopf war ihm auf die Brust gesackt und ein Metallteil steckte in seiner Seite. Unter ihm hatte sich eine Lache seines Blutes gebildet. Die angekohlte Pappe des Schildes saugte sich langsam damit voll.
    „So ganz unrecht hatte er heute ja nicht“, murmelte Mids.
    Schweigend gingen sie weiter.
    Die Szenerie war unwirklich. Guards und Assaulter halfen den Medics dabei, die in den Autos eingeschlossenen Menschen zu überprüfen und ihnen gegebenenfalls zu helfen. Allzu häufig konnten sie diese aber nur noch mit schwarzen Leichentüchern bedecken.
    Mitglieder der Basis-Feuerwehr eilten heran und begannen, die Brände mit Feuerlöschern zu bekämpfen. Andere von ihnen trugen Schläuche, weitere hebelten die schweren Eisenplatten aus der Straße, unter denen sich die Anschlüsse für die Hydranten befanden.

„Was zur Hölle sucht ihr da draußen?“, hörte Leonie plötzlich Divisionnaire Emery über ihr Comm-Modul.
    „Hey, Dad. Wir wollten in die Stadt, ein Geschenk für Mama kaufen, und waren grad in der Nähe, als die Bombe hochgegangen ist. Da das Auto eh Schrott ist und wir nicht wegkommen, dachten wir, wir machen uns nützlich“, antwortete Aidan.
    Leonie hörte Divisionnaire Emery schnauben. „Passt bloß auf euch auf! Und das gilt auch für Sie, Captains!“
    „Jarik. Verstanden, Sir!“
    „Eure Mutter springt da auch irgendwo rum.“ Emery seufzte. „Ich lass euch für den Einsatzkanal freischalten. Bis später.“
    Leonie sah auf dem HUD, dass ihr Chef ihren Funkkanal wieder verlassen hatte.
    Mids schnaubte. „Manchmal frag ich mich, wer die schlimmere Glucke ist. Er oder Mama.“
    „Die schenken sich beide nix“, murrte Aidan.
    „Wollt ihr in den Einsatzkanal wechseln?“, fragte Jarik.
    Leonie nickte langsam. „Wir können ja zumindest reinhören. Ich hätte gesagt, wir laufen jetzt noch bis zur Biegung und dann machen wir uns wieder auf den Rückweg. Mittlerweile wimmelt es hier ja eh vor Guards und allem.“
    „Klingt nach nem Plan“, antwortete Mids.
    Jarik schaltete den Einsatzfunkkanal für sie hinzu, stellte ihn aber so ein, dass sie nur zuhörten. So konnten sie sich untereinander immer noch unterhalten, ohne die anderen zu stören.
    Wo immer sie Verletzte fanden, halfen sie Aidan bei der groben Grundversorgung und Triage. Sie markierten die Verwundeten mit den Funkmarkern, um so die Medics zu ihnen zu lotsen.

Vierhundert Meter vom Eingang der Schleuse entfernt, sah es fast aus, als wäre nichts geschehen. Die Bäume, Büsche und hohen Gräser auf den beiden Seitenstreifen wiegten sich sanft im Wind. Irgendwo dazwischen gurgelte auf der einen Seite ein Bachlauf. Einzig das Hupen der Alarmanlagen, Schreien und Wimmern der Verletzten hinter ihnen machte deutlich, was passiert war. Die Betonmauern hatten die schlimmsten Auswirkungen auf einen kegelförmigen Bereich rings um die Schleuse beschränkt. Dennoch hatte die enorme Sprengkraft der Bombe auch darüber hinaus ihre Spuren hinterlassen. Vor allem die vielen Unfälle, da die Fahrer, durch die durch die Explosion die Kontrolle über ihre Autos verloren hatten, hatten zusätzlichen Schaden angerichtet.
    Die sonst viel befahrene vierspurige Straße war fast leer. Wer konnte, hatte sein Auto gewendet und war weggefahren. Hier und da steckte ein Fahrzeug im Grünstreifen fest oder war gegen einen Baum gefahren. Bei den meisten Autos standen die Insassen jedoch bereits daneben und schüttelten fassungslos die Köpfe. Einige Guards sprachen mit ihnen und leisteten Erste Hilfe.
    Aidan und Jarik halfen einem betagten Paar, das erschüttert auf dem breiten Fußweg zwischen Straße und dem äußeren Zaun der Basis saß, aufzustehen. Die beiden waren vermutlich vor Schreck gestürzt. Leonie und Mids hielten mit der Waffe im Anschlag Wache.
    Die ältere Dame hatte sich den Knöchel verletzt und quietschte erschrocken, als Jarik sie kurzerhand auf die Arme hob und zu einer nahe gelegenen Sitzbank trug. Ihr Mann trottete an Aidans Arm geklammert hinterher. Er redete beruhigend auf die beiden ein und Leonie lächelte. Aidan heftete ihnen Funkmarker an die Kleidung, damit sie später von den Medics gefunden wurden, und sie verabschiedeten sich.

Die vier gingen noch ein Stück weiter. Währenddessen kontrollierten sie alle Ecken und Schlupfwinkel, falls sich dort jemand in seiner Panik verkrochen hatte. Die vielen Büsche, Sträucher und das hohe Gras auf den breiten Seitenstreifen bot unendliche viele Versteckmöglichkeiten. Sie begegneten allerdings niemandem mehr. Der Einsatzfunkkanal plätscherte im Hintergrund leise vor sich hin, aber sie achteten nicht wirklich darauf.
    „Ich glaub, nach der Aufregung geh ich zurück ins Bett“, sagte Leonie und seufzte.
    „Hmhm. Ich komm mit, ich hab so was von keinen Bock mehr auf die Scheiße. Erst das Elend gestern und heute das hier“, antwortete Jarik wütend.
    Aidan drehte sich zu ihnen. „So schlimm gestern?“
    „Frag nicht ...“ Jarik schnaubte. „Jelena hat mich vor versammelter Mannschaft angeschissen, weil ich den Typen der mich angesprungen hat, etwas unsanft behandelt hab.“
    „Meinst du den Riesen, den sie gestern mit Rippenbrüchen und so was auf die Krankenstation gebracht haben?“, fragte Mids.
    Jarik schnaubte erneut. „Woher weißt du das schon wieder? ... Ach warte, lass mich raten, Familienbuschfunk?“
    Mids zuckte mit den Schultern. „So was in der Richtung. Aber er wird's verdient haben.“
    „Sie war der Meinung, es hatte was mit Julien zu tun“, murrte Jarik.
    Aidan schüttelte seufzend den Kopf. „Was für ein Bullshit. Man merkt, dass sie dich nicht kennt. Abgesehen davon, vor versammelter Mannschaft? Aber sonst geht’s ihr noch gut, oder?“
    „Ja, das hat Ioannis ihr auch gesagt. Aber es ist für sie wohl schwer vorstellbar, dass nicht alle hirnlose Idioten auf dem Rachetrip sind“, sagte Leonie frustriert.
    Mehrere gepanzerte UNSF-Autos mit angeschaltetem Blaulicht fuhren in Richtung der Schleuse an ihnen vorbei.
    Knurrend kickte Mids einen Stein weg. „Für was hält die uns? Blutrünstige Zombies oder was? Ich meine gut, paar vielleicht. Aber niemand aus der Taskforce. Und du? Im Leben nicht!“
    Jarik klopfte ihm auf den Rücken. „Danke. Das geht runter wie Öl. Wobei, Gian hat vorhin auch schon getobt und gefragt, ob sie den Arsch offen hätte.“
    „Recht hat er. Beliebt gemacht hat sie sich damit auf jeden Fall nicht“, murrte Aidan.

Über siebenhundert Meter von der Schleuse entfernt, entdeckten sie zwischen zwei hohen Sträuchern ein kleines Auto, dessen Vordertüren offen standen. Von den Insassen gab es keine Spur. Aidan schaute ins Innere, während Jarik das Fahrzeug umrundete und sich hinkniete, um darunter zu schauen.
    Mids blieb stehen und hielt Wache. In diesem Abschnitt der Straße waren sie alleine. Die verfügbaren Guards, Medics und anderen Assaulter bemühten sich an der Schleuse nach Kräften, die vielen Verletzten zu bergen und zu versorgen. An der Biegung fünfhundert Meter vor ihnen standen zwar auch einige Guards, die die Zufahrt bewachten, aber man konnte ja nie wissen, was sich noch so alles im Gras versteckte.
    Leonie schaute sich um und entdeckte ein Stück weiter das Heck eines anderen Fahrzeugs. Sie joggte hin und fand einen SUV, der an einen Baum gefahren war. Der riesigen Delle in der Motorhaube nach zu urteilen mit voller Geschwindigkeit. Leonie seufzte, als sie durch das Fenster und in die leeren Augen des Fahrers schaute. Noch ein Toter, als ob es heute nicht schon genug gewesen waren. Sie beugte sich über den Mann und schaltete den Motor ab. Danach zog sie eines der Leichentücher aus ihrer Hosentasche, die sie früher von einem der Guards erhalten hatten.
    Aus den Augenwinkeln sah sie eine Bewegung hinter dem Beifahrersitz. Eilig umrundete sie das Auto und versuchte, die Tür zur Rückbank zu öffnen. Sie bewegte sich jedoch nicht, da der Rahmen des Fahrzeugs wohl zu stark verzogen war. Leonie lehnte sich durch das gesplitterte Fenster hinein. Unter einer Decke, die mit Glassplittern übersäht war, fand sie einen kleinen Jungen. Sein Kindersitz lag seitlich zwischen Vordersitz und Rückbank und war dort eingekeilt worden. Was sie von seinem Gesicht sehen konnte, war tränen- und blutverschmiert und er starrte sie aus großen Kulleraugen an.
    „Aidan! Jarik! Ich hab hier ein kleines Kind“, sagte sie. Durch das Comm-Modul verstanden die beiden sie auch, ohne dass sie herumbrüllte. Und sie wollte den Jungen nicht erschrecken.
    „Hey du. Ich bin Leonie, wie heißt du?“, fragte sie ihn auf Deutsch. Ein kleiner Lautsprecher am Helm übertrug ihre Stimme verzerrungsfrei nach draußen. Er schniefte und starrte sie weiter an. „Ah, verdammt“ Sie tippte sich an den Helm und die verspiegelte Atemschutzmaske wurde nun auch von außen durchsichtig. „Sorry, ausziehen darf ich den Helm nicht. Aber so etwas besser?“, fragte sie ihn leise.
    Der Junge nickte. „Maxi“, murmelte er.
    „Tut dir was weh, Maxi?“ Sie schaute ihn besorgt an. Er schüttelte den Kopf.
    Aidan und Jarik versuchten gemeinsam, die hintere Tür auf der Fahrerseite aufzustemmen, aber sie rührte sich nicht. Maxi wimmerte.
    „Das sind meine beiden Freunde. Wir versuchen, dich hier so schnell wie möglich rauszubekommen, okay?“, sagte Leonie.
    „Okay“, murmelte Maxi.
    Die Männer versuchten ihr Glück nun an der hinteren Tür bei Maxi, aber auch hier hatten sie keinen Erfolg.
    Unzufrieden starrte Jarik das Auto an. „Das wird so nix. Ich schau mal, dass ich wen von den Feuerwehrleuten organisiere, die dürften das passende Gerät haben.“ Er joggte zurück in Richtung Schleuse.
    „Gute Idee. Aidan, komm hier auf die Seite, da kommst du besser an ihn ran“, sagte sie auf Englisch und wechselte dann zurück ins Deutsche. „Ich krabbel durchs Fenster bei dir und leiste Maxi ein bisschen Gesellschaft.“ Maxi wimmerte, als sie aus seinem Sichtfeld verschwand. „Ich bin gleich wieder bei dir, Maxi.“ Sie eilte ums Auto.
    Aidan untersuchte Maxi so gut es ging, während Leonie sich durch das Autofenster quetschte, die Scherben so gut wie möglich vom Sitz wischte, und ihren Kopf wieder in Maxis Sichtfeld bewegte. Sie hielt ihm die Hand hin, die er ergriff und festhielt. Ihr Gewehr legte sie so neben sich auf den Sitz, dass Maxi es nicht sehen konnte.
    „Ich denke, er hat verdammt viel Glück gehabt. Er muss auf jeden Fall in die Krankenstation, aber es sieht grad nicht so aus, als ob er schwer verletzt wäre“, sagte Aidan.
    „Aidan! Ich brauch dich hier hinten!“, kam Jariks Stimme über den Funk.
    Leonie nickte ihm zu. „Geh! Ich bleib bei Maxi.“
    Zügig packte Aidan seine Sachen in den Rucksack und rannte dann zu Jarik. Auf dem HUD sah sie, wie Aidan fünfzig Meter entfernt anhielt und Jarik sich weiter in Richtung Schleuse bewegte. Leonie streichelte Maxi über den Kopf und überlegte, wie sie ihm die Wartezeit ein wenig angenehmer machen konnte. Sie tippte auf ihrem Handy herum und fand eine deutsche Kindergeschichte, die sie sich aufs HUD spielte und begann dann, sie ihm vorzulesen. Maxi lauschte andächtig. Sie schaute nach draußen. Mids stand weiterhin Wache und unterhielt sich mit einer Joggerin.

Ein ganzes Stück entfernt von ihnen donnerte es. Maxi begann zu weinen und Leonie beugte sich über ihn. „Sch. Alles gut, ich pass auf dich auf“, murmelte sie. Sie drehte die Lautstärke des Einsatzfunkkanals hoch und streichelte nebenbei Maxis Kopf.
    „... grade neben dem Nordtor ne zweite Autobombe hochgegangen. Der Fahrer hat versucht, die Absperrung zu durchbrechen, und hat gezündet, als er in die Stahlpoller gefahren ist. Zwei tote, vier verletzte Guards und drei verletzte Zivilisten.“
    „Div Emery. Wir müssen davon ausgehen, dass wir noch mehr fahrende Bomben haben. Wenn Sie irgendwelche komischen Aktivitäten bemerken, schießen Sie nach eigenem Ermessen. Da hat sich jemand Mühe gegeben, die Bomben haben eine enorme Sprengkraft. Ich lasse den gesamten Bereich um die Basis abriegeln.“
    „Na super“, murmelte Leonie und drehte die Lautstärke wieder runter.

Hinter sich hörten Leonie quietschende Autoreifen und das Aufheulen eines Motors. Irritiert schaute sie durch die Öffnung des Heckfensters und sah, dass ein Auto auf sie zugerast kam. Mids schubste die Joggerin zur Seite und hob das Gewehr. Er zielte auf den Fahrer und drückte mehrmals ab, das Fahrzeug kam ins Schleudern. Leonie beugte sich über Maxi und hoffte, dass ihre BodyArmor ihm so genügend Schutz bieten würde.
    Sie hörte metallisches Scheppern und dann ein lautes Donnern. Der SUV bebte und Leonie war froh, dass sie den Helm anbehalten hatte. Eine Welle heißer Luft fegte über sie hinweg.
    „Mids? Leonie?“, rief Aidan panisch.
    „Leonie. Ich bin okay.“ Sie schüttelte den Kopf und schaute nach Maxi. Er weinte, schien jedoch soweit in Ordnung.
    Mids keuchte. „Alles dran. Ein Hoch auf den Bach. Aber lieber nass als gegrillt.“
    „Maxi ist auch in Ordnung. Was ist passiert?“, fragte Leonie.
    „Scheinbar noch ne Autobombe, aber die hier war zum Glück wohl deutlich kleiner, ansonsten wären wir vermutlich nur noch Grillkohle. Was zum ...?“ Mids brach ab.
    Es fielen mehrere Schüsse und Leonie griff nach ihrem Gewehr.
    „Mids?“, fragte Aidan energisch.
    „Scheiße. Arm“, bekam er von Mids, zusammen mit einem gequälten Stöhnen, zur Antwort.
    „Maxi. Kannst du ganz leise sein? Ich bin gleich wieder da.“ Zögerlich nickte Maxi und Leonie kletterte auf der Beifahrerseite aus dem Auto. Sie verspiegelte ihre Atemschutzmaske wieder und eilte um den SUV herum, um die Lage besser einschätzen zu können. Mids lag auf der Seite. Neben ihm kniete die Joggerin, die eine Pistole fest in den Händen hatte und auf jemanden zielte, den Leonie nicht sehen konnte. Bevor Leonie etwas sagen konnte, drückte die Frau zweimal ab.
    Leonie hob das Gewehr und trat auf die Straße, damit sie den Angreifer ins Schussfeld bekam. Drei weitere Schüsse fielen und die Frau stürzte getroffen neben Mids ins Gras.
    Zwei Schritte weiter sah Leonie den Mann mit dem Gewehr in der Hand endlich, der garantiert nicht zur UNSF gehörte. Sie zielte auf seinen Kopf und drückte ebenfalls ab. Er sackte zusammen.
    „Aidan! Ich brauch dich und mindestens noch einen Medic. Mids ist getroffen und ich hab ne angeschossenen Zivilistin.“
    Im Hintergrund hörte sie, wie Jarik die Informationen an die Einsatzzentrale weitergab. Mehrere Guards erreichten sie endlich und begannen die Umgebung abzusichern. Aidan kam angerannt, musterte Mids, der sich auf den Rücken gerollt hatte, und die Frau drei Sekunden lang und ließ sich dann neben der Frau ins Gras fallen.
    „Kümmer du dich um Mids!“, wies Aidan Leonie an. Er riss sich den Rucksack von den Schultern, ließ ihn neben sich auf den Boden fallen und zog die Reißverschlüsse auf.
    Leonie kniete sich neben Mids und untersuchte ihn kurz. Sie war zwar kein Medic, aber alle von ihnen hatten eine umfangreiche Erste-Hilfe-Ausbildung genossen. Er hatte eine Schusswunde im linken Oberarm, die stark blutete, und in seiner BodyArmor steckte ein weiteres Projektil. Sie zog eines ihrer beiden Tourniquets aus ihrer Ärmeltasche, schlang es um Mids‘ Arm und zog es direkt unter seiner Achsel fest. Mids stöhnte. Der Blutfluss versiegte und Leonie atmete auf. Sie öffnete seine Weste, um zu schauen, ob ein Projektil diese durchschlagen hatte. Mithilfe ihres Messers zerschnitt sie sein Shirt. Auf seiner Brust war jedoch nur ein geröteter Fleck zu sehen.
    „Helm“, keuchte Mids.
    Leonie löste die Verschlüsse und zog Mids den Helm vom Kopf. Sein Gesicht war bleich und schmerzverzerrt. Sie tastete ihn einmal von oben bis unten ab, um sicherzustellen, dass sie keine Verletzung übersehen hatte.

„Mama! Ich brauch dich hier!“, rief Aidan.
    Gian und Carolin Emery, die Chefärztin der Traumatologie, kamen herangeeilt. Doktor Emery ließ sich auf der anderen Seite der Joggerin auf den Boden sinken. „Was ist mit Mids?“, fragte sie, nahm ihren Blick aber nicht von der Frau vor ihr.
    „Er hat ne Schusswunde im Arm, Tourniquet ist dran und hält“, antwortete Leonie und rutschte zur Seite, um Platz für Gian zu machen, der sich nun neben ihr hinkniete.
    Gian zog einen Autoinjektor aus seinem Rucksack. „Na dann guten Flug“, murmelte er, drückte Mids den Injektor auf den Oberschenkel und löste ihn aus. Es dauerte einige Sekunden, bis Mids sich entspannte.
    Leonie winkte zwei Guards mit einer Trage heran. Sie luden Mids auf und schnallten ihn dann auf den Anhänger eines der beiden Quads, die grade angerollt kamen. Ein Medic setzte sich neben ihn und sie fuhren davon.
    Dankbar nahm Leonie die Reinigungstücher von Gian entgegen und wischte sich Mids Blut von den Händen. Im Gegensatz zu Aidan oder Gian hatte sie sich nicht die Mühe gemacht, sich Handschuhe anzuziehen. Mids wurde, wie sie auch, ja regelmäßig auf alle möglichen Krankheiten getestet. Hätte er irgendwas gehabt, hätte Aidan etwas gesagt. Als Leonies Hände wieder sauber waren, stopfte sie die Tücher in einen der Mülleimer am Straßenrand.

Jarik kam angerannt und zog Leonie an sich. Sie keuchte, als er ihr dabei die Luft aus den Lungen drückte. „Ich bin okay“, nuschelte sie.
    „Mir ist das Herz stehen geblieben“, sagte er leise.
    Leonie legte ihm die Hände um die Taille. „Nicht nur dir.“ Sie lehnte sich etwas zurück und sah sich um. Das brennende Wrack der dritten Autobombe steckte im Maschendrahtzaun der Basis, beziehungsweise dem, was davon übrig war. Laut ihrem HUD war es siebzig Meter entfernt.
    „Ganz ehrlich? Mir scheiß egal, was hier noch zu tun ist. Es sind genug Leute da. Ich will nur noch unter die Dusche und dann ins Bett. Und du kommst mit!“ Jariks Stimme war kratzig.
    „Ich lotse noch jemanden zu Maxi. Und dann machen wir genau das, okay?“ Sie streichelte ihm über die Oberarme.
    „Okay.“ Jarik ließ sie los.
    Leonie drehte sich zu Gian um. „Komm, ich kann deine Hilfe brauchen.“

Zehn Minuten später war Maxi endlich aus dem Auto befreit worden und kuschelte sich in Gians Arme, der ihn mit in die Krankenstation nehmen würde. Gian wollte sowieso dorthin, um die Pfleger bei der weiteren Versorgung der Verwundeten zu unterstützen. Dort würde Maxi untersucht werden. Sie würden später versuchen, Angehörige von ihm zu finden. Aidan und seine Mutter waren auf dem Anhänger des zweiten Quads mit der Joggerin weggefahren. Um das brennende Autowrack tummelten sich Guards und Dutzende Feuerwehrleute, die das Feuer löschten, das die dritte Bombe verursacht hatte. Gian hob zum Abschied die Hand und bestieg mit Maxi einen Kleinbus, der sie und weitere Medics zur Krankenstation bringen würde.

Jarik und Leonie trotteten zurück zur zerstörten Schleuse. Die meisten Verletzten waren bereits abtransportiert worden. Geblieben waren nur die mit schwarzen Tüchern bedeckten Toten, Wracks und Trümmer. Guards brachten Leichtverletzte zu Bussen, die sie zur Behandlung in die umliegenden Krankenhäuser bringen würden.
    Die Krankenstation der Basis war zwar groß, aber das überforderte selbst sie. Und sie lag im nicht öffentlichen Teil, weswegen die Verletzten von Guards bewacht werden müssen, damit sie nicht in Bereiche abwanderten, in denen sie nichts verloren hatten. Normalerweise konnte die Mehrzweckhalle neben der Schleuse innerhalb kürzester Zeit in ein Feldlazarett umgewandelt werden. Aber da diese ja durch die Explosion stark beschädigt worden war, fiel diese Option weg.
    Die Guards, die die Personenschleuse bewachten, ließen sie durch und Leonie atmete auf. Sie war froh, dass sie nicht den Umweg um die halbe Basis machen oder sich irgendwie eine Mitfahrgelegenheit zum nächsten Tor organisieren mussten. Beide zogen sich erleichtert die Helme vom Kopf, kaum hatten sie das Innere der Basis betreten. Es roch jedoch verbrannt und sie rümpften die Nasen.
    Als ihr Wohnhaus in Sichtweite kam, beschleunigten ihre Schritte. Leonie wollte nur noch Duschen, Essen und dann Schlafen. Sie hoffte, dass es Mids gut ging und die Joggerin durchkam.

Während Jarik und Leonie geduckt auf die Schleuse zu rannten, um sich einen Überblick zu verschaffen, aktivierten sie ihre Comm-Module.
    „3-032 Jarik und Leonie auf dem Weg zum Tor“, sagte Jarik leise. „Wir versuchen, auf den Parkplatz zu kommen. Wir wollen unsere Ausrüstung aus den Autos holen.“
    „Basis. Verstanden. Nähert euch nur mit äußerster Vorsicht. Mehrere Guards und Assaulter sind auf dem Weg. ETA zwei Minuten.“

Als sie sich dem Parkplatz, der sich einige Meter neben der Schleuse befand, näherten, wurde das Ausmaß der Zerstörung immer deutlicher. Die Fenster des Lagerhauses waren in tausend Teile zersprungen. Die Bäume drumherum waren blattlos und kohlten vor sich hin. Das schwere Metalltor, das die Schleuse vom Inneren der Basis trennte, war verbeult und hing schräg in der Verankerung. Mehrere der massiven Stahlbetonsegmente, die den Schleusenbereich zum Schutz umgaben, waren geborsten und eines sogar umgefallen.
    Jarik und Leonie eilten weiter. Auf dem Parkplatz trafen sie auf Aidan und Mids, die wohl dieselbe Idee gehabt hatten. Die beiden hatten ihre BodyArmors bereits angezogen und packten sich grade mehrere Magazine in die Taschen.
    Sie begrüßten sich per Handzeichen, da die Kakofonie diverser Alarmanlagen jegliche Unterhaltung unmöglich machte. Jarik und Leonie eilten zu ihrem Auto. Unter ihren Füßen knirschten Unmengen an Glassplittern. Keines der Fahrzeuge auf dem Parkplatz hatte noch Scheiben.
    Jarik deaktivierte den Alarm, zog die Heckklappe ihres SUVs auf und seufzte erleichtert, als er sah, dass der Tresor unbeschädigt war. Mittels Fingerabdruck und Retinascan öffnete er ihn und holte ihre BodyArmors hervor. Sie halfen sich gegenseitig hinein und rüsteten sich ebenfalls mit Sturmgewehren und Magazinen aus. Jarik verschloss den Tresor wieder und sie setzten ihre Atemschutzmasken und die Helme auf. Nach einem kurzen Ausrüstungscheck verbanden Jarik und Leonie ihre Comm-Module mit denen von Aidan und Mids und eilten gemeinsam mit ihnen zur Schleuse.

Durch die Lücke, die durch das umgekippte Betonsegment entstanden war, schauten die vier in die Schleuse.
    Das massive Stahltor zur Straße hin war bei der Explosion wohl noch teilweise geöffnet gewesen. Es war verschmort und nach außen geknickt. In den nun schwarzen Betonwänden steckten Metallstücke, die vom ausgebrannten Transporterwrack stammen mussten, in dem sich wohl die Bombe befunden hatte. Überall lagen Trümmer-, Ausrüstungs- und auch Leichenteile, die teilweise brannten oder vor sich hin kohlten. Dichte Rauchschwaden reduzierten die Sichtweite deutlich und Leonie war froh, dass sie die Atemschutzmasken aufgesetzt hatten, die sie auch vor dem Geruch schützten. Sie schluckte und konzentrierte sich auf ihre Aufgabe.

Die vier eilten durch die glücklicherweise noch funktionierende Personenschleuse einige Meter weiter und sondierten die Lage auf der Straße vor dem Tor. Genau wie auf dem Parkplatz jaulten hier die Alarmanlagen der zerstörten und ausgebrannten Autos wild durcheinander. Die Bäume und Büsche schwelten und überall lagen Trümmer und Leichen. Sämtliche Oberflächen waren mit Ruß, Dreck und Staub bedeckt. Auch hier erschwerten Rauchwolken die Sicht.
    Ein Stück weiter irrten einzelne Menschen mit blutiger und zerrissener Kleidung ziellos durch das Chaos. Grade im Sommer waren auf den Wegen rechts und links der vierspurigen Straße viele Studenten der nahe gelegenen Universität, Spaziergänger und Jogger unterwegs, die in das Waldstück und die Schrebergärten westlich der Basis wollten. Nun lagen sie reglos und zerschmettert auf der Straße. Jarik knirschte mit den Zähnen und griff sein Gewehr fester.

Die angekündigten Guards und Assaulter waren mittlerweile eingetroffen und schwärmten aus. Im Schlepptau hatten sie Dutzende Medics und Ärzte mit Rucksäcken und Tragen, die nun an der Vierergruppe vorbeieilten. Die Vier ging Richtung Osten, um zu helfen, das Areal abzusichern. Ein Guard drückte ihnen jeweils einen Stapel der dünnen Leichentücher und eine Handvoll Funkmarker für die Verletzten in die Hand. Über ihnen kreisten nun auch Dutzende Drohnen, die mit ihren hochauflösenden Kameras und Lasern alles vermaßen und der Einsatzzentrale bei der Koordination halfen.

Ein Stück die Straße herunter war ein junger Mann gegen einen Baum geschleudert worden und ein Ast hatte sich durch seinen Hals gebohrt. Sein vermutlich einmal rotes T-Shirt war angesengt, zerrissen und blutbesudelt. Die blattlosen, brennenden Äste und seine aufgerissenen Augen ließen Leonie einen Schauer über den Rücken laufen.
    Neben dem Baum lag ein umgefallener Kinderwagen, der vor sich hin qualmte.
    „Fuck“, sagte Leonie leise.
    Aidan schüttelte angewidert den Kopf. „Hmhm. Was für eine Scheiße.“

Jarik stieg über ein am Boden liegendes Schild. „Homosexualität ist Sünde“, stand darauf. Er schüttelte seufzend den Kopf. „Hm, da war heute wohl jemand anderer Meinung“, sagte er leise.
    Aidan schaute nachdenklich das Schild an und schnaubte. „Offensichtlich.“
    Den älteren Mann mit Rauschebart, der mit verdrehten Gliedmaßen daneben lag, beachteten sie nach einem kurzen Blick nicht weiter. Seine glasigen Augen zeigten, dass ihm nicht mehr zu helfen war.
    Er hatte wohl zu den Demonstranten gehört, die immer wieder vor der Basis standen und gegen alles Mögliche protestierten. Gegen den offenen Umgang der UN mit diversen Sexualitäten, Geschlechtsidentitäten und Polyamorie. Gegen Waffengewalt und für Weltfrieden. Gegen Religionsfreiheit, Minderheiten, dieses, jenes oder einfach die UN an sich. Dazu kamen Weltuntergangsprediger.
    Hin und wieder standen aber auch Unterstützer der UN und UNSF daneben. Die Guards hatten jedes Mal Mühe, die Gruppen auseinanderzuhalten.

Sie kamen an einem „Das Ende ist nah!“-Schild vorbei. Auch dessen Träger, diesmal ein junger Mann, war jenseits aller Hoffnung. Er lehnte an einem der zerstörten Autos. Sein Kopf war ihm auf die Brust gesackt und ein Metallteil steckte in seiner Seite. Unter ihm hatte sich eine Lache seines Blutes gebildet. Die angekohlte Pappe des Schildes saugte sich langsam damit voll.
    „So ganz unrecht hatte er heute ja nicht“, murmelte Mids.
    Schweigend gingen sie weiter.
    Die Szenerie war unwirklich. Guards und Assaulter halfen den Medics dabei, die in den Autos eingeschlossenen Menschen zu überprüfen und ihnen gegebenenfalls zu helfen. Allzu häufig konnten sie diese aber nur noch mit schwarzen Leichentüchern bedecken.
    Mitglieder der Basis-Feuerwehr eilten heran und begannen, die Brände mit Feuerlöschern zu bekämpfen. Andere von ihnen trugen Schläuche, weitere hebelten die schweren Eisenplatten aus der Straße, unter denen sich die Anschlüsse für die Hydranten befanden.

„Was zur Hölle sucht ihr da draußen?“, hörte Leonie plötzlich Divisionnaire Emery über ihr Comm-Modul.
    „Hey, Dad. Wir wollten in die Stadt, ein Geschenk für Mama kaufen, und waren grad in der Nähe, als die Bombe hochgegangen ist. Da das Auto eh Schrott ist und wir nicht wegkommen, dachten wir, wir machen uns nützlich“, antwortete Aidan.
    Leonie hörte Divisionnaire Emery schnauben. „Passt bloß auf euch auf! Und das gilt auch für Sie, Captains!“
    „Jarik. Verstanden, Sir!“
    „Eure Mutter springt da auch irgendwo rum.“ Emery seufzte. „Ich lass euch für den Einsatzkanal freischalten. Bis später.“
    Leonie sah auf dem HUD, dass ihr Chef ihren Funkkanal wieder verlassen hatte.
    Mids schnaubte. „Manchmal frag ich mich, wer die schlimmere Glucke ist. Er oder Mama.“
    „Die schenken sich beide nix“, murrte Aidan.
    „Wollt ihr in den Einsatzkanal wechseln?“, fragte Jarik.
    Leonie nickte langsam. „Wir können ja zumindest reinhören. Ich hätte gesagt, wir laufen jetzt noch bis zur Biegung und dann machen wir uns wieder auf den Rückweg. Mittlerweile wimmelt es hier ja eh vor Guards und allem.“
    „Klingt nach nem Plan“, antwortete Mids.
    Jarik schaltete den Einsatzfunkkanal für sie hinzu, stellte ihn aber so ein, dass sie nur zuhörten. So konnten sie sich untereinander immer noch unterhalten, ohne die anderen zu stören.
    Wo immer sie Verletzte fanden, halfen sie Aidan bei der groben Grundversorgung und Triage. Sie markierten die Verwundeten mit den Funkmarkern, um so die Medics zu ihnen zu lotsen.

Vierhundert Meter vom Eingang der Schleuse entfernt, sah es fast aus, als wäre nichts geschehen. Die Bäume, Büsche und hohen Gräser auf den beiden Seitenstreifen wiegten sich sanft im Wind. Irgendwo dazwischen gurgelte auf der einen Seite ein Bachlauf. Einzig das Hupen der Alarmanlagen, Schreien und Wimmern der Verletzten hinter ihnen machte deutlich, was passiert war. Die Betonmauern hatten die schlimmsten Auswirkungen auf einen kegelförmigen Bereich rings um die Schleuse beschränkt. Dennoch hatte die enorme Sprengkraft der Bombe auch darüber hinaus ihre Spuren hinterlassen. Vor allem die vielen Unfälle, da die Fahrer, durch die durch die Explosion die Kontrolle über ihre Autos verloren hatten, hatten zusätzlichen Schaden angerichtet.
    Die sonst viel befahrene vierspurige Straße war fast leer. Wer konnte, hatte sein Auto gewendet und war weggefahren. Hier und da steckte ein Fahrzeug im Grünstreifen fest oder war gegen einen Baum gefahren. Bei den meisten Autos standen die Insassen jedoch bereits daneben und schüttelten fassungslos die Köpfe. Einige Guards sprachen mit ihnen und leisteten Erste Hilfe.
    Aidan und Jarik halfen einem betagten Paar, das erschüttert auf dem breiten Fußweg zwischen Straße und dem äußeren Zaun der Basis saß, aufzustehen. Die beiden waren vermutlich vor Schreck gestürzt. Leonie und Mids hielten mit der Waffe im Anschlag Wache.
    Die ältere Dame hatte sich den Knöchel verletzt und quietschte erschrocken, als Jarik sie kurzerhand auf die Arme hob und zu einer nahe gelegenen Sitzbank trug. Ihr Mann trottete an Aidans Arm geklammert hinterher. Er redete beruhigend auf die beiden ein und Leonie lächelte. Aidan heftete ihnen Funkmarker an die Kleidung, damit sie später von den Medics gefunden wurden, und sie verabschiedeten sich.

Die vier gingen noch ein Stück weiter. Währenddessen kontrollierten sie alle Ecken und Schlupfwinkel, falls sich dort jemand in seiner Panik verkrochen hatte. Die vielen Büsche, Sträucher und das hohe Gras auf den breiten Seitenstreifen bot unendliche viele Versteckmöglichkeiten. Sie begegneten allerdings niemandem mehr. Der Einsatzfunkkanal plätscherte im Hintergrund leise vor sich hin, aber sie achteten nicht wirklich darauf.
    „Ich glaub, nach der Aufregung geh ich zurück ins Bett“, sagte Leonie und seufzte.
    „Hmhm. Ich komm mit, ich hab so was von keinen Bock mehr auf die Scheiße. Erst das Elend gestern und heute das hier“, antwortete Jarik wütend.
    Aidan drehte sich zu ihnen. „So schlimm gestern?“
    „Frag nicht ...“ Jarik schnaubte. „Jelena hat mich vor versammelter Mannschaft angeschissen, weil ich den Typen der mich angesprungen hat, etwas unsanft behandelt hab.“
    „Meinst du den Riesen, den sie gestern mit Rippenbrüchen und so was auf die Krankenstation gebracht haben?“, fragte Mids.
    Jarik schnaubte erneut. „Woher weißt du das schon wieder? ... Ach warte, lass mich raten, Familienbuschfunk?“
    Mids zuckte mit den Schultern. „So was in der Richtung. Aber er wird's verdient haben.“
    „Sie war der Meinung, es hatte was mit Julien zu tun“, murrte Jarik.
    Aidan schüttelte seufzend den Kopf. „Was für ein Bullshit. Man merkt, dass sie dich nicht kennt. Abgesehen davon, vor versammelter Mannschaft? Aber sonst geht’s ihr noch gut, oder?“
    „Ja, das hat Ioannis ihr auch gesagt. Aber es ist für sie wohl schwer vorstellbar, dass nicht alle hirnlose Idioten auf dem Rachetrip sind“, sagte Leonie frustriert.
    Mehrere gepanzerte UNSF-Autos mit angeschaltetem Blaulicht fuhren in Richtung der Schleuse an ihnen vorbei.
    Knurrend kickte Mids einen Stein weg. „Für was hält die uns? Blutrünstige Zombies oder was? Ich meine gut, paar vielleicht. Aber niemand aus der Taskforce. Und du? Im Leben nicht!“
    Jarik klopfte ihm auf den Rücken. „Danke. Das geht runter wie Öl. Wobei, Gian hat vorhin auch schon getobt und gefragt, ob sie den Arsch offen hätte.“
    „Recht hat er. Beliebt gemacht hat sie sich damit auf jeden Fall nicht“, murrte Aidan.

Über siebenhundert Meter von der Schleuse entfernt, entdeckten sie zwischen zwei hohen Sträuchern ein kleines Auto, dessen Vordertüren offen standen. Von den Insassen gab es keine Spur. Aidan schaute ins Innere, während Jarik das Fahrzeug umrundete und sich hinkniete, um darunter zu schauen.
    Mids blieb stehen und hielt Wache. In diesem Abschnitt der Straße waren sie alleine. Die verfügbaren Guards, Medics und anderen Assaulter bemühten sich an der Schleuse nach Kräften, die vielen Verletzten zu bergen und zu versorgen. An der Biegung fünfhundert Meter vor ihnen standen zwar auch einige Guards, die die Zufahrt bewachten, aber man konnte ja nie wissen, was sich noch so alles im Gras versteckte.
    Leonie schaute sich um und entdeckte ein Stück weiter das Heck eines anderen Fahrzeugs. Sie joggte hin und fand einen SUV, der an einen Baum gefahren war. Der riesigen Delle in der Motorhaube nach zu urteilen mit voller Geschwindigkeit. Leonie seufzte, als sie durch das Fenster und in die leeren Augen des Fahrers schaute. Noch ein Toter, als ob es heute nicht schon genug gewesen waren. Sie beugte sich über den Mann und schaltete den Motor ab. Danach zog sie eines der Leichentücher aus ihrer Hosentasche, die sie früher von einem der Guards erhalten hatten.
    Aus den Augenwinkeln sah sie eine Bewegung hinter dem Beifahrersitz. Eilig umrundete sie das Auto und versuchte, die Tür zur Rückbank zu öffnen. Sie bewegte sich jedoch nicht, da der Rahmen des Fahrzeugs wohl zu stark verzogen war. Leonie lehnte sich durch das gesplitterte Fenster hinein. Unter einer Decke, die mit Glassplittern übersäht war, fand sie einen kleinen Jungen. Sein Kindersitz lag seitlich zwischen Vordersitz und Rückbank und war dort eingekeilt worden. Was sie von seinem Gesicht sehen konnte, war tränen- und blutverschmiert und er starrte sie aus großen Kulleraugen an.
    „Aidan! Jarik! Ich hab hier ein kleines Kind“, sagte sie. Durch das Comm-Modul verstanden die beiden sie auch, ohne dass sie herumbrüllte. Und sie wollte den Jungen nicht erschrecken.
    „Hey du. Ich bin Leonie, wie heißt du?“, fragte sie ihn auf Deutsch. Ein kleiner Lautsprecher am Helm übertrug ihre Stimme verzerrungsfrei nach draußen. Er schniefte und starrte sie weiter an. „Ah, verdammt“ Sie tippte sich an den Helm und die verspiegelte Atemschutzmaske wurde nun auch von außen durchsichtig. „Sorry, ausziehen darf ich den Helm nicht. Aber so etwas besser?“, fragte sie ihn leise.
    Der Junge nickte. „Maxi“, murmelte er.
    „Tut dir was weh, Maxi?“ Sie schaute ihn besorgt an. Er schüttelte den Kopf.
    Aidan und Jarik versuchten gemeinsam, die hintere Tür auf der Fahrerseite aufzustemmen, aber sie rührte sich nicht. Maxi wimmerte.
    „Das sind meine beiden Freunde. Wir versuchen, dich hier so schnell wie möglich rauszubekommen, okay?“, sagte Leonie.
    „Okay“, murmelte Maxi.
    Die Männer versuchten ihr Glück nun an der hinteren Tür bei Maxi, aber auch hier hatten sie keinen Erfolg.
    Unzufrieden starrte Jarik das Auto an. „Das wird so nix. Ich schau mal, dass ich wen von den Feuerwehrleuten organisiere, die dürften das passende Gerät haben.“ Er joggte zurück in Richtung Schleuse.
    „Gute Idee. Aidan, komm hier auf die Seite, da kommst du besser an ihn ran“, sagte sie auf Englisch und wechselte dann zurück ins Deutsche. „Ich krabbel durchs Fenster bei dir und leiste Maxi ein bisschen Gesellschaft.“ Maxi wimmerte, als sie aus seinem Sichtfeld verschwand. „Ich bin gleich wieder bei dir, Maxi.“ Sie eilte ums Auto.
    Aidan untersuchte Maxi so gut es ging, während Leonie sich durch das Autofenster quetschte, die Scherben so gut wie möglich vom Sitz wischte, und ihren Kopf wieder in Maxis Sichtfeld bewegte. Sie hielt ihm die Hand hin, die er ergriff und festhielt. Ihr Gewehr legte sie so neben sich auf den Sitz, dass Maxi es nicht sehen konnte.
    „Ich denke, er hat verdammt viel Glück gehabt. Er muss auf jeden Fall in die Krankenstation, aber es sieht grad nicht so aus, als ob er schwer verletzt wäre“, sagte Aidan.
    „Aidan! Ich brauch dich hier hinten!“, kam Jariks Stimme über den Funk.
    Leonie nickte ihm zu. „Geh! Ich bleib bei Maxi.“
    Zügig packte Aidan seine Sachen in den Rucksack und rannte dann zu Jarik. Auf dem HUD sah sie, wie Aidan fünfzig Meter entfernt anhielt und Jarik sich weiter in Richtung Schleuse bewegte. Leonie streichelte Maxi über den Kopf und überlegte, wie sie ihm die Wartezeit ein wenig angenehmer machen konnte. Sie tippte auf ihrem Handy herum und fand eine deutsche Kindergeschichte, die sie sich aufs HUD spielte und begann dann, sie ihm vorzulesen. Maxi lauschte andächtig. Sie schaute nach draußen. Mids stand weiterhin Wache und unterhielt sich mit einer Joggerin.

Ein ganzes Stück entfernt von ihnen donnerte es. Maxi begann zu weinen und Leonie beugte sich über ihn. „Sch. Alles gut, ich pass auf dich auf“, murmelte sie. Sie drehte die Lautstärke des Einsatzfunkkanals hoch und streichelte nebenbei Maxis Kopf.
    „... grade neben dem Nordtor ne zweite Autobombe hochgegangen. Der Fahrer hat versucht, die Absperrung zu durchbrechen, und hat gezündet, als er in die Stahlpoller gefahren ist. Zwei tote, vier verletzte Guards und drei verletzte Zivilisten.“
    „Div Emery. Wir müssen davon ausgehen, dass wir noch mehr fahrende Bomben haben. Wenn Sie irgendwelche komischen Aktivitäten bemerken, schießen Sie nach eigenem Ermessen. Da hat sich jemand Mühe gegeben, die Bomben haben eine enorme Sprengkraft. Ich lasse den gesamten Bereich um die Basis abriegeln.“
    „Na super“, murmelte Leonie und drehte die Lautstärke wieder runter.

Hinter sich hörten Leonie quietschende Autoreifen und das Aufheulen eines Motors. Irritiert schaute sie durch die Öffnung des Heckfensters und sah, dass ein Auto auf sie zugerast kam. Mids schubste die Joggerin zur Seite und hob das Gewehr. Er zielte auf den Fahrer und drückte mehrmals ab, das Fahrzeug kam ins Schleudern. Leonie beugte sich über Maxi und hoffte, dass ihre BodyArmor ihm so genügend Schutz bieten würde.
    Sie hörte metallisches Scheppern und dann ein lautes Donnern. Der SUV bebte und Leonie war froh, dass sie den Helm anbehalten hatte. Eine Welle heißer Luft fegte über sie hinweg.
    „Mids? Leonie?“, rief Aidan panisch.
    „Leonie. Ich bin okay.“ Sie schüttelte den Kopf und schaute nach Maxi. Er weinte, schien jedoch soweit in Ordnung.
    Mids keuchte. „Alles dran. Ein Hoch auf den Bach. Aber lieber nass als gegrillt.“
    „Maxi ist auch in Ordnung. Was ist passiert?“, fragte Leonie.
    „Scheinbar noch ne Autobombe, aber die hier war zum Glück wohl deutlich kleiner, ansonsten wären wir vermutlich nur noch Grillkohle. Was zum ...?“ Mids brach ab.
    Es fielen mehrere Schüsse und Leonie griff nach ihrem Gewehr.
    „Mids?“, fragte Aidan energisch.
    „Scheiße. Arm“, bekam er von Mids, zusammen mit einem gequälten Stöhnen, zur Antwort.
    „Maxi. Kannst du ganz leise sein? Ich bin gleich wieder da.“ Zögerlich nickte Maxi und Leonie kletterte auf der Beifahrerseite aus dem Auto. Sie verspiegelte ihre Atemschutzmaske wieder und eilte um den SUV herum, um die Lage besser einschätzen zu können. Mids lag auf der Seite. Neben ihm kniete die Joggerin, die eine Pistole fest in den Händen hatte und auf jemanden zielte, den Leonie nicht sehen konnte. Bevor Leonie etwas sagen konnte, drückte die Frau zweimal ab.
    Leonie hob das Gewehr und trat auf die Straße, damit sie den Angreifer ins Schussfeld bekam. Drei weitere Schüsse fielen und die Frau stürzte getroffen neben Mids ins Gras.
    Zwei Schritte weiter sah Leonie den Mann mit dem Gewehr in der Hand endlich, der garantiert nicht zur UNSF gehörte. Sie zielte auf seinen Kopf und drückte ebenfalls ab. Er sackte zusammen.
    „Aidan! Ich brauch dich und mindestens noch einen Medic. Mids ist getroffen und ich hab ne angeschossenen Zivilistin.“
    Im Hintergrund hörte sie, wie Jarik die Informationen an die Einsatzzentrale weitergab. Mehrere Guards erreichten sie endlich und begannen die Umgebung abzusichern. Aidan kam angerannt, musterte Mids, der sich auf den Rücken gerollt hatte, und die Frau drei Sekunden lang und ließ sich dann neben der Frau ins Gras fallen.
    „Kümmer du dich um Mids!“, wies Aidan Leonie an. Er riss sich den Rucksack von den Schultern, ließ ihn neben sich auf den Boden fallen und zog die Reißverschlüsse auf.
    Leonie kniete sich neben Mids und untersuchte ihn kurz. Sie war zwar kein Medic, aber alle von ihnen hatten eine umfangreiche Erste-Hilfe-Ausbildung genossen. Er hatte eine Schusswunde im linken Oberarm, die stark blutete, und in seiner BodyArmor steckte ein weiteres Projektil. Sie zog eines ihrer beiden Tourniquets aus ihrer Ärmeltasche, schlang es um Mids‘ Arm und zog es direkt unter seiner Achsel fest. Mids stöhnte. Der Blutfluss versiegte und Leonie atmete auf. Sie öffnete seine Weste, um zu schauen, ob ein Projektil diese durchschlagen hatte. Mithilfe ihres Messers zerschnitt sie sein Shirt. Auf seiner Brust war jedoch nur ein geröteter Fleck zu sehen.
    „Helm“, keuchte Mids.
    Leonie löste die Verschlüsse und zog Mids den Helm vom Kopf. Sein Gesicht war bleich und schmerzverzerrt. Sie tastete ihn einmal von oben bis unten ab, um sicherzustellen, dass sie keine Verletzung übersehen hatte.

„Mama! Ich brauch dich hier!“, rief Aidan.
    Gian und Carolin Emery, die Chefärztin der Traumatologie, kamen herangeeilt. Doktor Emery ließ sich auf der anderen Seite der Joggerin auf den Boden sinken. „Was ist mit Mids?“, fragte sie, nahm ihren Blick aber nicht von der Frau vor ihr.
    „Er hat ne Schusswunde im Arm, Tourniquet ist dran und hält“, antwortete Leonie und rutschte zur Seite, um Platz für Gian zu machen, der sich nun neben ihr hinkniete.
    Gian zog einen Autoinjektor aus seinem Rucksack. „Na dann guten Flug“, murmelte er, drückte Mids den Injektor auf den Oberschenkel und löste ihn aus. Es dauerte einige Sekunden, bis Mids sich entspannte.
    Leonie winkte zwei Guards mit einer Trage heran. Sie luden Mids auf und schnallten ihn dann auf den Anhänger eines der beiden Quads, die grade angerollt kamen. Ein Medic setzte sich neben ihn und sie fuhren davon.
    Dankbar nahm Leonie die Reinigungstücher von Gian entgegen und wischte sich Mids Blut von den Händen. Im Gegensatz zu Aidan oder Gian hatte sie sich nicht die Mühe gemacht, sich Handschuhe anzuziehen. Mids wurde, wie sie auch, ja regelmäßig auf alle möglichen Krankheiten getestet. Hätte er irgendwas gehabt, hätte Aidan etwas gesagt. Als Leonies Hände wieder sauber waren, stopfte sie die Tücher in einen der Mülleimer am Straßenrand.

Jarik kam angerannt und zog Leonie an sich. Sie keuchte, als er ihr dabei die Luft aus den Lungen drückte. „Ich bin okay“, nuschelte sie.
    „Mir ist das Herz stehen geblieben“, sagte er leise.
    Leonie legte ihm die Hände um die Taille. „Nicht nur dir.“ Sie lehnte sich etwas zurück und sah sich um. Das brennende Wrack der dritten Autobombe steckte im Maschendrahtzaun der Basis, beziehungsweise dem, was davon übrig war. Laut ihrem HUD war es siebzig Meter entfernt.
    „Ganz ehrlich? Mir scheiß egal, was hier noch zu tun ist. Es sind genug Leute da. Ich will nur noch unter die Dusche und dann ins Bett. Und du kommst mit!“ Jariks Stimme war kratzig.
    „Ich lotse noch jemanden zu Maxi. Und dann machen wir genau das, okay?“ Sie streichelte ihm über die Oberarme.
    „Okay.“ Jarik ließ sie los.
    Leonie drehte sich zu Gian um. „Komm, ich kann deine Hilfe brauchen.“

Zehn Minuten später war Maxi endlich aus dem Auto befreit worden und kuschelte sich in Gians Arme, der ihn mit in die Krankenstation nehmen würde. Gian wollte sowieso dorthin, um die Pfleger bei der weiteren Versorgung der Verwundeten zu unterstützen. Dort würde Maxi untersucht werden. Sie würden später versuchen, Angehörige von ihm zu finden. Aidan und seine Mutter waren auf dem Anhänger des zweiten Quads mit der Joggerin weggefahren. Um das brennende Autowrack tummelten sich Guards und Dutzende Feuerwehrleute, die das Feuer löschten, das die dritte Bombe verursacht hatte. Gian hob zum Abschied die Hand und bestieg mit Maxi einen Kleinbus, der sie und weitere Medics zur Krankenstation bringen würde.

Jarik und Leonie trotteten zurück zur zerstörten Schleuse. Die meisten Verletzten waren bereits abtransportiert worden. Geblieben waren nur die mit schwarzen Tüchern bedeckten Toten, Wracks und Trümmer. Guards brachten Leichtverletzte zu Bussen, die sie zur Behandlung in die umliegenden Krankenhäuser bringen würden.
    Die Krankenstation der Basis war zwar groß, aber das überforderte selbst sie. Und sie lag im nicht öffentlichen Teil, weswegen die Verletzten von Guards bewacht werden müssen, damit sie nicht in Bereiche abwanderten, in denen sie nichts verloren hatten. Normalerweise konnte die Mehrzweckhalle neben der Schleuse innerhalb kürzester Zeit in ein Feldlazarett umgewandelt werden. Aber da diese ja durch die Explosion stark beschädigt worden war, fiel diese Option weg.
    Die Guards, die die Personenschleuse bewachten, ließen sie durch und Leonie atmete auf. Sie war froh, dass sie nicht den Umweg um die halbe Basis machen oder sich irgendwie eine Mitfahrgelegenheit zum nächsten Tor organisieren mussten. Beide zogen sich erleichtert die Helme vom Kopf, kaum hatten sie das Innere der Basis betreten. Es roch jedoch verbrannt und sie rümpften die Nasen.
    Als ihr Wohnhaus in Sichtweite kam, beschleunigten ihre Schritte. Leonie wollte nur noch Duschen, Essen und dann Schlafen. Sie hoffte, dass es Mids gut ging und die Joggerin durchkam.

Ich habe ein Bonuskapitel extra hochgeladen, weil es aus Davids Sicht erzählt. Es spielt vor diesem hier, sollte wenn also vorher gelesen werden. Er sieht das erste Mal, seit er bei der UNSF angefangen hat, seine Liebsten wieder. UNSF Bonus 1.1: Erstes Wiedersehen
***



Die Einsätze verliefen erfreulich gut. Bis auf ein paar blaue Flecken und Kratzer gab es keine Verletzungen. Zudem hatten sie viele Entführte retten, weitere Beweise sammeln und einige Festnahmen vornehmen können.

Am Samstag, zweieinhalb Wochen nach dem Anschlag, trafen sich die Teams 3-032, 3-014 und 3-439 zum gemeinsamen Barbecue auf der Dachterrasse des Q. Somit hatten sie auch Freunde von außerhalb einladen können. Ioannis, Keenan und Sykes hatten sich um die Organisation gekümmert. Sie alle konnten die Ablenkung mehr als gebrauchen. Auch das Wetter war ihnen wohlgesonnen, es war angenehm warm und kein Wölkchen in Sicht.
    Das Q befand sich im Nordteil der Basis. Die Schäden im Bereich der Nordschleuse daneben waren bereits wieder behoben worden. Lediglich die verbrannten Stellen an den meterhohen Stahlbetonwänden, welche die ganze Basis umgaben, erinnerten noch an die Anschläge. Die Elektroverkabelung daran und der Maschendrahtzaun davor waren bereits erneuert worden. Die Schleuse selbst war nicht beschädigt.

Gegen halb zwölf schlenderten Jarik und Leonie zur Nordschleuse, um dort Jasmin und Ben abzuholen, die sie für das Barbecue eingeladen hatten. Elin und Nate waren zu Davids Freude bereits am Vorabend eingetroffen und er hatte die beiden mit ins Gästehaus nehmen dürfen. Es war das erste Mal, seit er zur UNSF gewechselt war, dass er sie sehen konnte. Die Tage davor war er zum Amüsement seiner Kameraden ein einziges Nervenbündel gewesen.
    Jarik hatte schwarze Shorts und ein helles T-Shirt, Leonie ein knöchellanges buntes Sommerkleid an. Statt des sonst eher strengen Dutts waren Leonies Haare locker geflochten. Beide trugen Flip Flops.
    Sie mussten nicht lange warten, bis Ben auf den Parkplatz gefahren kam. Ben und Jasmin stiegen aus, nachdem er geparkt hatte. Sie kamen auf Jarik und Leonie zu. Ben umarmte die beiden ohne Scheu. Jasmin zögerte bei Jarik einen Moment, umarmte ihn dann aber ebenfalls.
    „Schön, dass ihr da seid“, sagte Leonie.
    Plaudernd machten sie sich auf den Weg zum Q.

Auf der ausladenden, mit Palmen begrünten und teilweise mit Sand bedeckten Dachterrasse des Q trafen sie auf Aven, Fee, Marc, Rico und Toni. Ben kannte das Team bereits und wurde freudestrahlend umarmt. Jasmin wurde vom Team ebenfalls herzlich willkommen geheißen, war aber von der Menge der Anwesenden völlig überwältigt.
    Und dabei waren noch nicht mal alle da. Die drei Teams mit Anhang waren weit über fünfzig Erwachsene und einige Kinder. Dazu kamen mehrere Hunde, darunter drei Diensthunde. Im Hintergrund lief leise Lounge-Musik.

Leonie drehte mit den Gästen eine kurze Runde, um ihnen alles zu zeigen. Sie holten sich Getränke und ließen sich dann bei ihrem Team unter einem der großen Sonnenschirme auf den Outdoor-Sofas nieder. Jarik legte Leonie den Arm um die Schultern und sie lehnte sich an ihn. Sie schaute auf, als sie David entdeckte, der zusammen mit Elin und Nate auf sie zukam.
    „Na, ihr seid aber früh dran“, sagte Leonie nach einem Blick auf die Uhr lachend. Es war bereits zwanzig nach zwölf.
    Elin und Nate hatten David in die Mitte genommen, sie schienen etwas verunsichert.
    „Hier gilt dasselbe wie im Q. Entspannt euch einfach“, sagte Jarik. Er grinste, als David die Arme um seine Liebsten legte und beide sich an ihn lehnten.
    Jasmin sprang auf, um die drei mit einer herzlichen Umarmung zu begrüßen. Auch Leonie war aufgestanden und zog Elin in ihre Arme, als Jasmin sie endlich losließ. Nate blieb ebenfalls nicht verschont.
    David sah sie, nun deutlich entspannter, an und breitete die Arme aus. „Was ist mit mir?“
    Leonie schaute ihn eine Sekunde lang verwirrt an, begann dann lauthals zu lachen und umarmte ihn ebenfalls.
    Jarik, der mittlerweile hinter Leonie stand, schnaubte belustigt. Elin sah ihn etwas unsicher an. Nach einem aufmunternden Stups von David ging sie auf Jarik zu und umarmte ihn.
    „Sorry, dass wir euch euren Mann so unverhofft geklaut haben“, flüsterte Jarik. „Aber ich kann dir versprechen, dass wir unser Bestes geben, um auf ihn aufzupassen.“
    Elin nickte. „Das hat Leo gestern auch schon zu Nate gesagt. Ich halte euch zu Gute, dass er deutlich besser aussieht, als in den letzten Wochen bei der Army.“
    „Es hat ein Weilchen gedauert, aber mittlerweile ist er ziemlich entspannt.“ Jarik zwinkerte Nate zu, der sich hinter Elin geschlichen und mitgehört hatte. „Wenn du mir eine reinhauen willst, musst du bis nach dem Barbecue warten. Es sind Kinder anwesend und hier oben ist so was nicht gerne gesehen.“
    Nate schnaubte und Elin zuckte zusammen. Sie drehte sich zu Nate um, der ihr einen Kuss gab und sie dann grinsend zur Seite schob. „Los, geh zu David, ich hab hier ein Hühnchen zu rupfen“, sagte er leise zu ihr.
    „Mach bloß keinen Unsinn!“ Elin und pikste Nate den Finger in die Brust.
    „Ich darf mich also nachher mit dir prügeln?“, fragte Nate amüsiert.
    Jarik zuckte mit den Schultern. „Wenns dir dann besser geht.“
    Kopfschüttelnd trat Nate auf Jarik zu und umarmte ihn stattdessen. „Danke, dass du ihn da rausgeholt hast. Ich hätte mir zwar mehr Vorwarnung gewünscht, aber nach dem, was er gestern erzählt hat, kann ich die Entscheidung nachvollziehen. Und Elin hat recht, er sieht deutlich besser aus, als vorher. Von daher: Danke.“ Er ließ Jarik los und trat einen Schritt zurück.
    „Na dann können wir ja endlich mit dem spaßigen Teil des Tages beginnen. Ich hoffe, ihr habt Hunger mitgebracht, es gibt mehr als genug zu Essen, Getränke gibts da drüben. Mit Alkohol kann ich leider nicht dienen, da die meisten im Dienst sind und daher eh keinen trinken dürfen, haben wir keinen bestellt. Aber ich glaube, es geht auch bestens ohne.“ Jarik grinste.
    „Ich dachte, ihr habt heute frei?“, fragte Nate verwundert.
    „Ja, heute. Aber außer in den Urlaubsmonaten haben wir Alkoholverbot. Auch Medikamente, selbst irgendwelche Kleinigkeiten gibts nur nach Absprache mit den Docs. Wir werden auch regelmäßig getestet“, antwortete Jarik.
    „Wow, bei uns hat es kaum wen interessiert, was wir in unserer Freizeit machen“, sagte Nate beeindruckt.
    „Ja, hier läuft einiges ziemlich anders. Aber komm, David schaut schon so fragend. Nicht, dass er denkt, dass wir uns doch gleich noch prügeln.“ Jarik lachte, legte Nate den Arm um die Schultern und zog ihn zurück zu den anderen und sie holten sich Getränke.
    Jarik ließ sich neben Leonie auf das Outdoor-Sofa sinken, während Nate sich neben David und Elin setzte.

Gian kam mit Maxi auf dem Arm auf sie zugelaufen. Melina, die aufgeregt auf und ab sprang, folgte ihm. Gian setzte sich neben Marc, der ihn zur Begrüßung kurz küsste und Maxi durch die Haare wuschelte. Melina ließ sich auf Marcs Schoß nieder und kuschelte sich an ihn.
    „Hast du Maxi wieder geklaut?“, fragte Leonie grinsend auf Deutsch, da Maxi bisher kaum Englisch konnte.
    Gian wurde rot und streichelte Maxi, der sein Gesicht in Gians Halsbeuge vergraben hatte, sanft über den Rücken. „Nein?“
    Leonie zog die Augenbraue hoch.
    „Na gut, ich könnte seine Pflegemama überzeugt haben, dass er doch sicher Spaß am Barbecue hat. Sie hüpft hier auch noch mit zwei anderen Kids und ihrem Mann rum.“ Gian grinste verlegen. Er, Melina und Marc hatten sich in den letzten viereinhalb Wochen einen Narren an dem Vierjährigen gefressen. Was auf Gegenseitigkeit beruhte. Maxi liebte die Drei und es war jedes Mal ein riesen Theater, wenn ‚Onkel‘ Gian und ‚Onkel‘ Marc ihn zurück zu seinen Pflegeeltern bringen musste. „Oh und äh, hi! Ich bin Gian, das ist Maxi und die Prinzessin neben mir ist Melina.“ Er winkte Ben, Elin, Nate und Jasmin zu. Diese erwiderten die Begrüßung.

Die vier Gäste fügten sich problemlos in die Gruppe ein. Es dauerte nur wenige Minuten, da scherzten sie, nun wieder größtenteils auf Englisch, mit den anderen herum, als würden sie sich schon jahrelang kennen. Leonie schaute sich zufrieden um.
    David, Elin und Nate strahlten wie die Honigkuchenpferde, hatten die Köpfe zusammengesteckt und unterhielten sich leise.
    Jasmin saß bei Aven und Fee und diskutierten angeregt über die Fernsehserie mit der Meerjungfrau und dem Hexerich. Jarik schaute Leonie verwirrt an. Sie zuckte nur lachend mit den Schultern und er schüttelte amüsiert den Kopf.
    Ben, Rico und Toni unterhielten sich über Autos.

Als Cam mit Merita ankam, riss Aven die Hände in die Luft und johlte.
    Cam schaute ihn irritiert an. „Was stimmt nicht mit dir? Ach warte, dumme Frage. Alles natürlich.“
    Die Runde lachte, als sich Cam unzeremoniell auf Avens Schoß fallen ließ, weil dieser nicht schnell genug Platz machte.
    Aven stöhnte gequält auf. „Hey du Walross. Willst du mich umbringen?“
    Cam legte ihm den Arm um den Hals und grinste ihn an. „Hör auf zu heulen.“ Er stand auf, schob Aven zur Seite und setzte sich dann neben ihn. Merita stand vor ihm und schaute ihn bettelnd an. Cam verdrehte die Augen und löste ihre Leine. „Na los, geh spielen!“
    Merita bellte, drehte sich um und schoss schwanzwedelnd in Richtung der anderen Hunde davon.

Nach einer Weile verteilte sich die Meute etwas. Aven, Cam und Fee nahmen Jasmin und Melina mit, als sie zu den Hunden gingen, die im hinteren Bereich der Dachterrasse miteinander spielten.
    Ben, Rico und Toni verschwanden in der Menge.
    An der Seite war ein riesiges Buffet mit diversen internationalen Gerichten aufgebaut und zwei Köche standen an großen Grills, auf denen weitere Köstlichkeiten vor sich hin brutzelten.
    Gian stand mit Maxi auf, um sich etwas zum Essen zu holen. Marc folgte ihnen. Jarik und Leonie blieben noch eine Weile sitzen und redeten mit David, Elin und Nate, bevor auch sie ebenfalls zum Buffet gingen.
    Mit voll beladenen Tellern kamen sie wieder zurück und machten es sich auf den Sofas bequem.
    Mids, der den Arm in der Schlinge hatte, setzte sich grinsend auf ein weiteres Sofa und schaute dann amüsiert zu David. „Na, haben sie endlich Erbarmen mit dir gehabt?“
    David wurde rot. „Jap. Wurde ja auch Zeit. Ich bin’s zwar gewohnt gewesen, länger weg zu sein, aber da war ich ja weit weg. Hier zu sein und die zwei nicht sehen zu können war dann doch noch mal was anderes.“ Er lächelte erst Elin, dann Nate liebevoll an.
    „Hi, ich bin Mids. Schön, euch kennenzulernen.“ Mids grinste breit.
    Aidan kam mit zwei Tellern an und stellte sie auf dem Tischchen vor sich ab. „Hi, ich bin Aidan. Ich nehme mal an, ihr seid Elin und Nate?“ Die beiden nickten und lächelten zurück. „Willkommen im Chaos!“ Aidan machte sich daran, das Essen auf dem einen Teller in mundgerechte Stücke zu schneiden. Als er damit fertig war, grinste er Mids an. „Na, soll ich dich noch füttern?“
    „Du bist ein Arsch“, murrte Mids. Er nahm den Teller von Aidan entgegen, stellte ihn auf seinem Schoß ab und begann zu essen.
    „Lass mir meinen Spaß! Das ist die Strafe dafür, dass du mich so erschreckt hast“, antwortete Aidan.
    Mids verdrehte die Augen, sagte aber nichts.
    „Was hast du eigentlich angestellt?“, fragte Elin. „Äh, falls ich fragen darf.“ Sie wurde rot.
    Aidan schnaubte. „Er war zu langsam.“
    „Gar nicht wahr.“, maulte Mids.
    „Kinder! Seid friedlich sonst bekommt ihr beide keinen Nachtisch!“ Leonie schüttelte den Kopf.
    Mids schaute sie entrüstet an. „Hey! Kein Nachtisch? Hallo? Ich bin ganz krank und schwach! Mein Arm muss heilen, ich brauch alle Nährstoffe, die ich bekommen kann!“ Er zwinkerte Elin zu und grinste. „Ich hab mir im Einsatz den Arm gebrochen. Aber er sollte wieder werden.“
    „Und bis dahin lässt du dich von vorne bis hinten bedienen. Faules Stück!“ Aidan schüttelte den Kopf.
    „Natürlich! Ich muss die Gelegenheit nutzen und das Beste aus der Situation machen.“ Mids strahlte ihn an.
    Leonie konnte sich das Grinsen nicht ganz verkneifen. „Du bist unmöglich! Warte nur ab, bis du wieder fit bist. Ich bin mir sicher, wir bekommen Ioannis dazu, dich extra hart ranzunehmen.“
    „Ich hab meinen Namen gehört? Wen soll ich rannehmen?“, erklang Ioannis Stimme hinter ihnen und Mids stöhnte laut.
    Leonie schaute zu David, Elin und Nate, die das Schauspiel fasziniert beobachteten. „Mids will extra Training, wenn sein Arm verheilt ist, damit er schnell wieder fit wird“, antwortete sie lachend.
    Ioannis ließ sich neben Mids auf das Sofa fallen und legte ihm strahlend den Arm um die Schultern. „Aber mit größtem Vergnügen! Wir bekommen dich so schnell wieder auf die Beine, du weißt gar nicht, was mit dir geschieht.“
    Wimmernd ließ Mids seine Stirn gegen Ioannis Schulter fallen und schluchzte. „Was hab ich dir getan?“
    David fing, genauso wie Aidan, Jarik und Leonie an, zu lachen. Elin und Nate blinzelten verwirrt.
    „Ioannis ist ein Fitness-Folterknecht“, erklärte David.
    Nate grinste. „Army-Style?“
    Ioannis schaute ihn beleidigt an und Aidan, Jarik und Leonie lachten nur noch lauter. Auch Mids grinste wieder breit.
    „Jarik ist wahrscheinlich schlimmer als die Army. Und Ioannis bringt sogar Jarik zum Maulen.“ David schüttelte schnaubend den Kopf.
    „Ernsthaft? Aua!“ Nate schauderte.
    Neugierig musterte Ioannis ihn. „Du warst also auch so ne Army-Socke?“
    „Ja. Ich bin aber vor fünf Jahren raus, weil ich mir den Scheiß nicht mehr antun wollte. Ich hatte leider das Pech, dass einige meiner Teamkameraden nicht wirklich sauber waren.“ Nate ließ den Kopf hängen.
    David drückte Nates Schulter und küsste seine Schläfe. Elin streichelte Nates Hand, die auf Davids Oberschenkel lag. Nate schaute seine beiden Liebsten wehmütig an und lehnte seinen Kopf an Davids.
    „Deswegen ist es ja gut, dass David jetzt hier ist. Und hier interessiert es außerdem keine Sau, was ihr hinter verschlossenen Türen macht. Pech für die Army, Glück für uns. Haben wir schon einen guten Mann mehr.“ Ioannis grinste.

Bevor sie das Thema weiter vertiefen konnten, kamen Gian und Marc mit Maxi und Melina zurück und setzten sich zu ihnen.
    „Na, du kleines Klammeräffchen, alles gut?“, fragte Leonie lächelnd auf Deutsch.
    Maxi vergrub sein Gesicht in Gians Halsbeuge, drehte den Kopf dann aber doch und grinste Leonie verlegen an.
    „Magst du nachher mit Leonie dein Buch weiterlesen?“ Gian streichelte Maxi sanft den Rücken.
    Maxi schüttelte den Kopf. „Jetzt.“
    Leonie lachte, stand auf und streckte die Arme nach ihm aus. „Na dann komm her, wir suchen uns ein ruhiges Fleckchen und lesen weiter.“ Maxi legte ihr die Arme um den Hals und klammerte sich an Leonie fest. Gian reichte ihr das Buch. Die beiden setzten sich einige Meter weiter auf einen Sitzsack. Maxi kuschelte sich auf Leonies Schoß. Sie klappte das Buch auf und begann zu lesen.
    „Ich nehme an, er gehört jetzt zur Familie?“, fragte Ioannis schmunzelnd wieder auf Englisch.
    Gian wackelte mit dem Kopf. „Wir arbeiten dran. Aber sagt ihm nichts, das dauert noch eine ganze Weile und ich will nicht, dass er enttäuscht ist.“
    „Ich schaue, dass ich nächstes Jahr im April rauskomme. Dann mach ich die restlichen Lehrgänge und geh danach hoffentlich als Arzt in die Krankenstation.“ Marc drückte Melina, die auf seinem Schoß saß, an sich. „Und dann bekommst du deinen Wunsch. Wir schauen, dass du dauerhaft zu uns und du deinen Bruder bekommst.“
    Strahlend küsste Melina ihm die Wange. „Voll super.“ Sie kräuselte die Nase. „Aber warum müssen wir noch so lange warten?“
    „Weil ich deinen Papa und den Rest von der Meute garantiert nicht ohne zweiten Medic im November in den Einsatz schicke. Und so schnell bekommen wir keinen Ersatz für mich“, antwortete Marc.
    „Hm, nein, das kann man wirklich nicht verantworten, ich mag Papa und die anderen. Du musst danach aber schauen, dass du einen vernünftigen Ersatz bekommst!“ Melina nickte verdrossen.
    Jarik grinste sie an. „Wir passen schon auf, dass wir uns nen ordentlichen Ersatz suchen. Wobei es echt schwer wird, Marc zu ersetzen.“
    „Ich hab euch lang genug zusammengetackert, jetzt ist die Familie dran“, sagte Marc.
    „Hey! Ich hab mich nicht beschwert, dass du aufhören willst! Ich versteh dich völlig. Würde ich an deiner Stelle auch nicht anders machen. Trotzdem hätte ich dich gerne länger behalten“, antwortete Jarik.
    Marc rieb sich verlegen über den Kopf.

Der Nachmittag verlief entspannt. Jarik hatte Leonie den Arm um die Schultern gelegt und sie lehnte sich an ihn, während sie sich zufrieden umsah.
    Gian lag auf einem der Sofas. Maxi lag auf seinem Bauch, Melina neben den beiden. Mids saß auf einem Sessel daneben, sein Kopf war ihm auf die Brust gesunken. Alle vier schliefen. Merita und Rosi lagen auf dem Boden vor ihnen und bewachte sie.
    Elin und Nate hatten David wieder in die Mitte genommen, sich an ihn gekuschelt und sie unterhielten sich leise.
    Aidan, Aven, Cam, Fee, Rico, Toni und Sykes spielten mit ein paar der anderen im hinteren, abgezäunten Teil des Daches Beachvolleyball.
    Ben saß mit einem quietschbunten Schirmchendrink neben Sammy und unterhielt sich angeregt mit ihm. Izan, einer der Medics aus Ioannis Team hatte Leonies liebsten Missionskoordinator mitgebracht. Izan selbst diskutierte ein Stück weiter mit Marc, vermutlich über irgendwas Medizinisches.
    Jasmin stand mit Keenan am Buffet und stellte ihnen Obstsalat zusammen, während er ihr die Schalen hielt.
    Der Rest saß oder stand in kleinen Grüppchen verteilt herum, unterhielt sich, spielte Kartenspiele oder sah den anderen beim Volleyball spielen zu.

„Schön zu sehen, wie sich alle endlich mal wieder entspannen können“, sagte Jarik leise.
    „Jepp. David strahlt richtig. Er wirkt fast niedlich.“ Leonie lehnte ihren Kopf an Jariks Schulter.
    „Niedlich? Bist du dir sicher, dass deine Drinks alkoholfrei waren?“ Jarik schnaubte.
    „Sehr sicher.“ Sie lachte.
    „Manchmal bist echt komisch“, murrte Jarik, konnte sich das Grinsen jedoch nicht völlig verkneifen.
    Leonie küsste ihn auf die Wange. „Du magst mich trotzdem.“
    Er drückte sie etwas an sich, hob die freie Hand und drehte ihren Kopf, um sie zu küssen. Es war ein sanfter, aber gleichzeitig auch ausdrucksvoller Kuss, der Leonie fast schmelzen ließ. Als sie sich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder voneinander lösten, lächelten sie sich liebevoll an. Jarik streichelte ihr über die Wange und sie schmiegte sich an seine Hand.
    „Ich liebe dich“, murmelte Jarik und küsste sie wieder, diesmal aber nur kurz.
    „Ich liebe dich auch“, antwortete Leonie ebenso leise.
    Nach einigen Sekunden ließ Jarik die Hand sinken und Leonie kuschelte sich wieder an ihn. Als sie aufsah, zwinkerte Ioannis ihnen zu und hob das Glas. Sie grinste ihn an.

Eine Weile später saß David wieder mit Elin auf dem Sofa gegenüber von Jarik und Leonie. Auch Mids hatte sein Mittagsschläfchen beendet und schaute erwartungsvoll zu Sykes, der grade mit drei großen Kaffeebechern auf ihn zukam. Sein Hund Rosi trottete hinter ihm her.
    Sykes reichte Mids eine der Tasse, stellte eine auf den Tisch und ließ sich neben ihm aufs Sofa fallen. Rosi drehte den Kopf und schaute sich um.
    „Na los, Rosi, geh Hallo sagen.“ Sykes schmunzelte und Rosi drehte sich zu David, Elin und Nate.
    Elin strahlte und hielt die Hand mit der Handfläche nach oben hin, damit Rosi sie beschnüffeln konnte. „Na du bist aber ein hübsches Mädchen“, sagte sie leise.
    Sykes grinste und Mids lachte los. Auch Leonie und Jarik entwich ein belustigtes Glucksen.
    Elin schaute sie verständnislos an. „Was?“
    „Ha! Siehst du! Es geht also nicht nur mir so!“, sagte Aven, der grade ankam.
    Sykes grinste nur breiter.
    „Aber ernsthaft? Wer nennt seinen männlichen Hund bitte Rosi?“, maulte Aven.
    Rosi schaute Aven verächtlich an und schniefte, als Elin ihm tröstend den Kopf streichelte.
    „Sorry, Rosi. Aber du hättest einen deftigeren Namen verdient. Rambo oder so! Ich meine hallo, du bist voll hardcore!“ Aven strahlte Rosi an, der den Kopf schief hielt und zu überlegen schien, was er von Avens Aussage halten sollte.
    Nach einigen Sekunden wedelte er zaghaft mit dem Schwanz. Als Aven sich zu ihm beugte und ihm energisch die Ohren kratzte, wurde das Wedeln kräftiger und Rosi ächzte glücklich.
    „Jetzt hast dich aber grade noch mal gerettet.“ Sykes trank einen Schluck Kaffee.
    Aven schmollte. „Wer kommt auch auf so was? Herkules wäre auch passender gewesen.“
    „Beschwer dich bei der Tochter von Rosis Ausbilder. Die war der Meinung, dass er Rosi heißen muss. Und scheinbar fand er den Namen super. Alle Versuche, ihn an andere Namen zu gewöhnen sind kläglich gescheitert. Er hat einfach auf Durchzug geschaltet und nur auf Rosi gehört.“ Sykes nahm lächelnd einen der Kuchenteller, die Aidan ihm hinhielt, den anderen bekam Mids. „Danke.“
    Aidan setzte sich, mit dem dritten Teller, den er mitgebracht hatte, neben Sykes und streckte die Beine aus. „Verulkst du wieder die Leute mit Rosis Namen?“ Er nahm sich die Kaffeetasse vom Tisch.
    „Ich kann auch nix dafür, dass er Rosi heißt“, murmelte Sykes.
    „Das nicht, aber du hast eindeutig zu viel Spaß daran, die Leute deswegen zu verarschen.“ Aidan schaute zu Sykes Kuchen. „Hast du dir den Kuchen so überhaupt verdient?“
    „Hey! Das ist jetzt meiner!“ Sykes leckte einmal drüber. „So, angeleckt. Pech gehabt!“
    Aidan schüttelte den Kopf. „Du bist manchmal echt genauso schlimm wie Mids.“
    „Hey!“, maulte Mids, grinste aber.
    „Gekonnt ist gekonnt!“ Sykes steckte sich ein großes Stück Kuchen in den Mund und kaute andächtig.

Jarik und Leonie hatten die Szene amüsiert verfolgt. Aven verschwand, wohl um sich ebenfalls ein Stück Kuchen zu holen, und David und Elin kraulten einen davon sehr begeisterten Rosi, während Nate sie dabei liebevoll beobachtete.
    Aidan, Mids und Sykes neckten sich derweil weiter.

Das Barbecue war ein voller Erfolg gewesen. Leonie war dankbar, dass Ioannis sich die Mühe gemacht hatte, ihnen trotz der ganzen Einsätze ein entspanntes Wochenende zu ermöglichen. Alle drei Teams sahen glücklich aus.
    Bereits am Montagabend würden sie wieder auf dem Weg zum nächsten Einsatz sein. Für die anderen Teams hatte er an den kommenden Wochenenden ähnliche Feste organisiert.

Ihr Einsatz am Montag führte das Team am späten Abend in die Südschweiz, wo sie zwei Brüder in einem Industriegebiet festnehmen sollten. Intelligence vermutete, dass die Baustoffhändler in ihrer Lagerhalle mehrere Jugendliche gefangen hielten und die Halle auch als Auktions- und Umschlagplatz nutzten. Aidans Team hatte das Wohnhaus im Visier, welches sich einige Kilometer weiter befand.    

Nach der Landung teilten sie sich auf und trafen sich neben dem Flugfeld mit den beiden Guards-Teams, die sie unterstützen sollten. Ein Team war für das 3-032-er Team, das andere würde 3-216 begleiten.
    Zwei Guards würden Aven und Leonie während des Einsatzes bewachen, der Rest danach das Gebiet sichern und sich um die Gefangenen und Befreiten kümmern. Zudem hatten sie bereits die Autos abgeholt, die sie zum Einsatz bringen würden.
    Nach einem kurzen Ausrüstungscheck verabschiedeten sich Aven und Leonie, um mit ihren beiden Bewachern ihre Overwatch-Posten zu beziehen. Der Rest ihres Teams genoss noch ein wenig die warme Nachtluft und scherzte mit den Guards herum. Merita lag wie immer schnarchend auf Cams Stiefeln.

Nachdem sie Aven und seinen Guard abgesetzt hatten, fuhren Leonie und Sal, ihr Guard, weiter zu ihrem Posten. Einige Querstraßen entfernt ließen sie das Auto stehen und machten sich zu Fuß auf den Weg. Sorgenvoll betrachtete Leonie den Vollmond, der ihnen den Weg leuchtete. Es war keine einzige Wolke in Sicht. Sie hoffte, dass niemand mitten in der Nacht auf die Idee kam aus dem Fenster zu schauen und sie so entdeckte. Zu ihrem Glück erreichten sie das fünfstöckige Bürogebäude ohne Probleme.
    Mithilfe einer Teleskopstange hängte Leonie eine Strickleiter an die untere Ebene der Feuertreppe. Lautlos kletterten sie daran hoch und schlichen dann die restlichen vier Stockwerke die Treppe hinauf. Oben angekommen, krochen sie auf Knien zur Dachkante, da ihnen das Dach kaum Deckung bot. Leonie breitete ihre Matte aus und legte sich darauf. Sal setzte sich so neben sie, dass er ihren Rücken im Blick hatte, aber von unten nicht gesehen werden konnte. Gewissenhaft justierte sie ihr Gewehr und richtete es auf die Tür der Lagerhalle, in der sie die Jugendlichen und ihre Händler vermuteten.
    „Leonie. Overwatch One in Position.“
    „Aven. Overwatch Two ebenfalls in Position. Starte Drohnen.“
    Aven saß mit seinen Guard fast dreihundert Meter weiter auf dem Dach eines Fabrikgebäudes auf der andern Seite der Halle.
    „Basis. Übernehme Steuerung Überwachungsdrohnen. Scanne das Gebiet.“      

Während Aven und Leonie die Lage von oben erkundeten, gab Jarik dem Rest das Signal zum Aufbruch. „Jarik. Assault ist unterwegs. Erbitte Rules of Engagement.“
    „Basis. Einsatz freigegeben. Nicht-letale Schussfreigabe bei Bedarf“
    „Jarik. Verstanden, nicht-letale Schussfreigabe bei Bedarf.“ Er nickte den anderen zu und sie verteilten sich auf die beiden Transporter, die noch neben dem Flugfeld standen. 3-216 war bereits einige Minuten vor ihnen losgefahren.
    Die Guards fungierten als Fahrer und sprachen sich mit dem anderen Team ab, damit sie gleichzeitig an beiden Einsatzorten ankamen. Zwischen den Combat-Teams selbst gab es keine direkte Kommunikation, um nicht durcheinander zu kommen.

Zehn Minuten später war das Assault-Team um Jarik fast in der Nähe der Lagerhalle angekommen. Da ihnen die Vollmondnacht und die Gegebenheiten kaum Deckung gaben, mussten sie diesmal schnell agieren.
    „Basis. Assault-Team ETA eine Minute. Bereitmachen. Keine Wachen außen zu sehen. Kein Zugang der Drohne ins Innere der Halle möglich. Ihr müsst eine starten, sobald ihr drinnen seid.“
    „Jarik. Verstanden.“ Er atmete mehrmals tief durch und nickte dann David, Gian und Rico zu, die mit ihm im Auto saßen. Cam, Fee, Marc und Toni würden die Halle von der anderen Seite aus betreten und waren im zweiten Transporter.
Einige Sekunden bevor sie ankamen, legte Gian seine Hand auf den Türgriff. Kaum war der Transporter zum Stehen gekommen, zog er die Schiebetür auf und Jarik, David, Rico und zum Schluss Gian sprangen hinaus. Der Transporter fuhr davon, die Guards würden später wieder zu ihnen stoßen. Sie griffen ihre Waffen fest und eilten zur Tür auf der Rückseite der Halle.
    Jarik klebte die von Fee vorbereitete Sprengladung auf, während der Rest in Deckung wartete, bis auch die anderen ihre Position eingenommen hatten.
    „Jarik. Assault One bereit.“
    „Toni. Assault Two bereit.“
    „Leonie. Overwatch One bereit.“
    „Aven. Overwatch Two bereit.“
    Leise zählte Jarik von drei herunter. Bei null drückte er den Zünder. Zeitgleich ging auch Fees Ladung auf der anderen Seite der Halle hoch.

Gemeinsam stürmten sie die Halle und fächerten sich auf. Drinnen war es ruhig. Die Hochregallager waren voll. Auch in den Gängen stapelten sich Kartons und Paletten mit Papier und Pappe.
    „Rico. Zwei Drohnen gestartet.“
    „Basis. Steuerung Überwachungsdrohnen innen übernommen.“
    „Fee. Äh, Jungs. Wir haben ein Problem. Merita schlägt an.“
    Jarik wurde es kalt. „Jarik. Kannst du was erkennen?“
    „Fee. Hier stehen einige Paletten mit Böllern, aber ich trau dem Ganzen nicht.“
    „Jarik. Mir ist es hier auch eindeutig zu ruhig.“
    „Basis. Die Drohnen haben eure Kids entdeckt. Sieht aus, als wären sie in der hinteren Ecke in einem Käfig. Es sind fünf Stück. Ansonsten ist nichts zu sehen. Weder draußen noch drinnen.“
    Unbehaglich sah Jarik in Richtung der im HUD markierten Jugendlichen. „Jarik. Kommt, wir schauen, dass wir die Kids rausbekommen, dann hauen wir ab.“
    Die anderen bestätigten. Gemeinsam eilten sie zum Käfig. Toni zückte einen Bolzenschneider, um das schwere Schloss daran zu knacken. Die fünf Jugendlichen sahen sie verschreckt an. Eins der drei Mädchen hatte eine gesprungene Lippe, einer der beiden Jungs ein blaues Auge. Ansonsten schienen sie in halbwegs guter Verfassung, wenn auch etwas dreckig.
    Gian und Marc beeilten sich, die fünf aus dem Käfig zu lotsen. Sie schluchzten leise, als die beiden Medics ihnen vorsichtig die Hände mit Kabelbindern fesselten. Jarik drehte sich bei dem Anblick der Magen um, aber sie konnten kein Risiko eingehen. Zu oft schon hatten sich Geiseln, real oder vermeintlich, plötzlich gegen ihre Retter gewandt.
    Jarik und die anderen hatten sich in einem schützenden Halbkreis um Gian, Marc und die Jugendlichen gestellt und beobachteten mit erhobenen Waffen aufmerksam die Umgebung. Mit einem Nicken gab Jarik das Zeichen zum Aufbruch und sie nahmen die sieben in ihre Mitte.

Sie kamen zwei Schritte weit. „Basis. Achtung, mehrere Fahrzeuge nähern sich euch mit hoher Geschwindigkeit. ETA fünfzig Sekunden.“
    „Jarik. Verstanden.“
    „Leonie. Erbitte Änderung der Rules of Engagement zu letale Schussfreigabe nach eigenem Ermessen.“
    Es folgten einige Augenblicke Stille. „Div Emery. Freigabe nach eigenem Ermessen erteilt.“
    „Jarik. Verstanden, Freigabe nach eigenem Ermessen erhalten.“ Etwas erleichtert atmete er aus. Hieß, sie konnten zur Not auch ohne vorherige Ankündigung schießen.
    „Basis. Fahrzeuge haben das Gelände erreicht. Mindestens zwanzig Personen. Sie umstellen die Lagerhalle. Eindeutig Hostiles, schwer bewaffnet.“
    Aufmerksam sah Jarik sich um. „Gian, Marc, Rico, Toni. Ihr verschanzt euch mit den Kids hinter den Blechplatten da drüben.“
    Die vier nickten und scheuchten die Jugendlichen an die angewiesene Stelle.
    „Cam, Fee? Ihr sichert mit Merita links, David und ich rechts.“
    Dutzende Stahlblechplatten sollten ihnen halbwegs gute Deckung geben. Durch ihre Position in der Ecke der Halle konnte ihnen zumindest niemand in den Rücken fallen. Allerdings kamen sie so auch nicht mehr heraus. Entweder kämpften sie sich durch oder sie mussten auf Unterstützung warten.
    „Basis. 3-216 ist unterwegs. Sobald sie angekommen sind, gehen sie mit eurem Support-Team rein. ETA zwölf Minuten.“
    „Jarik. Verstanden.“ Er ließ langsam die Luft aus seinen Lungen entweichen. Zwölf Minuten waren eine verdammt lange Zeit, wenn einem die Kugeln um die Ohren flogen. „Wir halten die Stellung.“ Er hoffte, dass die Munition reichte und dass er überzeugender klang, als er sich grade fühlte.
    David, der neben ihm hinter einer Palette Fliesen kniete, musterte ihn von der Seite und hielt ihm dann die Faust hin. Jarik klopfte seine dagegen und nickte ihm zu. Er packte sein Gewehr und konzentrierte sich auf das, was vor ihm lag.    

Dank Drohnen und HUD sah er, wie fünf Hostiles die Lagerhalle betraten.
    „Leonie. Warnschüsse?“
    „Jarik. Nein. Das sind zu viele. Die werden schnell raushaben, wo ihr liegt. Und wir sitzen hier fest.“
    „Leonie. Verstanden. Aven! Wir legen los.“
    „Aven. Verstanden.“
    Doch der erste Schuss fiel nicht draußen, sondern drinnen und traf die Palette hinter der David und Jarik saßen. Es folgten Dutzende mehr, aber Jarik konnte den Schützen noch nicht anvisieren. Er hoffte nur, dass genügend Fliesen zwischen ihnen und den Kugeln übrig waren.
    Von draußen hörte er nun das charakteristische Geräusch von Avens und Leonies Gewehren und Gebrüll.
    Auch David schoss nun und traf. Per HUD sah Jarik, wie zwei der Angreifer drinnen zu Boden gingen.
    Mehr Hostiles stürmten in die Halle und eröffneten das Feuer. Nun hatten auch Jarik und die anderen freie Sicht auf die Angreifer.
    Mit gezielten Schüssen setzte das Team drinnen diejenigen außer Gefecht, die nicht schnell genug Deckung gesucht hatten.
    „Basis. Draußen fünf Hostiles neutralisiert. Drinnen sieben. Verbleibend draußen: drei. Drinnen: neun. ETA Team 3-216 acht Minuten.“
    Jarik nahm den nächsten Angreifer ins Visier und schickte ihn mit einem Schuss in die Schulter zu Boden. Sie hatten zwar die Freigabe für Kopfschüsse, aber Verwundete banden Kräfte und waren so die deutlich bessere Variante.    

„Leonie. Wir werden von hinten angegriffen.“
    Jarik wurde es kalt. „Jarik. Was meinst du?“
    „Basis. Mehrere Angreifer bei Leonie auf dem Dach. Kommen aus dem Inneren des Gebäudes.“ Jarik hielt die Luft an. „Präzisiere: Acht Angreifer auf dem Gebäude. Zwei bereits neutralisiert.“
    „Aven. Ich schau, dass ich sie erwische. Aber dann seid ihr unten am Boden alleine.“
    „Jarik. Verstanden, Aven. Wir kommen hier unten klar. Unterstütz Leonie.“ Er schoss auf einen weiteren Angreifer, dieser duckte sich jedoch noch rechtzeitig und der Schuss traf nur die Wand.
    „Basis. Eine Drohne draußen wurde abgeschossen. Korrigiere: Beide Drohnen draußen sind außer Betrieb.“
    Fluchend griff Jarik sein Gewehr fester.
    „Leonie. Sal ist getroffen. Ich versuche sie weiter abzuwehren.“
    „Aven. Ich bekomm sie kaum ins Visier. Soweit ich es sehe, sind noch vier über. Leo, kommst du da irgendwie weg?“
    „Leonie. Negativ. Und ich kann Sal nicht bewegen.“
    Jariks Herz schlug so schnell, dass er das Gefühl hatte, dass es ihm gleich aus der Brust sprang. Seine Gedanken rasten. Wie konnten sie Leonie am besten helfen? In der Halle waren mittlerweile nur noch fünf Angreifer übrig.
    „Aven. Shit. Ich hab hier plötzlich auch Besuch.“
    „Jarik. Sieh zu, dass du da wegkommst!“
    „Aven. Dann hat Leonie aber gar keine Unterstützung mehr.“
    Er hörte Leonie über ihren privaten Kanal leise seufzen. „Jarik ...“
    Jarik schluckte und biss die Zähne zusammen. Er hasste sich jetzt schon für das, was er sagen musste. Aber er hatte es Leonie versprochen. „Jarik. Sieh zu, dass du da wegkommst!“ Mehrere Kugeln schlugen in der Palette und der Wand hinter ihm ein.
    „Aven. Verstanden“, sagte er mit scheinbar zusammengebissenen Zähnen.
    Jarik konnte ihn bestens verstehen. Er schoss zurück und traf einen der Angreifer in den Unterarm. Dieser ließ seine Maschinenpistole fallen und hielt sich schreiend den Arm.
    „Leonie. Mich hat irgendwas getroffen. Ich glaube, das war Beruhigungs- ... Shit.“
    „Jarik. Was war das?“ Es folgte nur Stille. „Leo?“ Er wartete einige Sekunden, die sich wie Stunden anfühlten? „Leonie!?“
    „Aven. Ersatzdrohne ist auf dem Weg. Wir sind vom Dach runter und kommen in eure Richtung.“
    „Basis. Drohne übernommen.“
    Angespannt wartete Jarik auf weitere Informationen.
    „Basis. Keine Sicht auf Leonie.“
    „Jarik. Was sagt der Sender?“
    „Basis. Wir empfangen keine Daten mehr.“
    Wie betäubt setze Jarik sich hinter der Palette hin und lehnte sich mit dem Rücken daran. David drückte seine Schulter.
    „Jarik. Bitte wiederholen.“
    „Basis. Wir empfangen keine Daten mehr von Leonie. Der Sender wurde deaktiviert.“
    „Jarik. Was heißt das?“, fragte er mit brüchiger Stimme und erwartete das Schlimmste. Das war sein größter Albtraum. Julien zu verlieren war der Horror gewesen, Leonie zu verlieren wäre sein Ende.
    „Basis. Das heißt, dass es irgendwer geschafft hat, den Sender zu deaktivieren. Was darauf hindeutet, dass sie vermutlich entführt wurde und noch lebt.“ Ein kleiner Funke Hoffnung keimte auf. Trotzdem hatte Jarik Mühe zu atmen. „ETA 3-216 zwei Minuten.“
    „Jarik. Verstanden.“ Er räusperte sich. „Aven? Wie siehts bei dir aus?“
    „Aven. Schaffen wir. Wir haben uns hier ganz gut eingegraben.“    

Die zwei Minuten fühlten sich wieder an wie eine Ewigkeit.
    „Basis. 3-216 eingetroffen. Beginnen Angriff.“
    Draußen fielen Schüsse.
 
***


Zehn Minuten später stand Jarik mit Aidan und David ein Stück abseits der anderen vor der Halle und starrte zum Dach, wo Leonie das letzte Mal gesehen worden war. Die Hände hatte er in den Hosentaschen vergraben.
    „Ich versteh’s nicht. Das macht alles vorne und hinten keinen Sinn!“, sagte Aidan und schüttelte den Kopf.
    Hinter ihnen versorgten die Medics die verwundeten Angreifer und die Jugendlichen. Die Guards standen Wache, während Aidans Team die Umgebung nach weiteren Angreifern durchsuchte.
    Jarik sah besorgt zu Aven, der mit blassem Gesicht zwischen Cam und Fee saß und Merita geistesabwesend streichelte. Er hoffte, dass die drei Aven ein wenig Trost schenken konnten. Rico und Toni saßen daneben und starrten auf ihre Stiefel. Gian und Marc halfen mit den Verwundeten.
    „Wer wusste alles von dem Einsatz?“, fragte David leise.
    Aidan seufzte. „Unsere beiden Teams, Ioannis, Jelena, Joshua, die zwei Guard-Teams und sonst niemand. Für die Piloten war’s ein Standard-Transportflug.“
    David fuhr sich mit der Hand über den Kopf. „Ich sag’s ja nur ungern. Aber ich bin mir sicher, dass einer davon ein Maulwurf ist.“
    Stumm nickte Aidan. „Dann sind wir schon zwei. Die Frage ist nur: Wer?“
    „Wer hatte genug Zeit, den Hinterhalt hier vorzubereiten? Die waren unter Garantie schon vor uns da, wie sonst hätten sie ungesehen durch die Gebäude auf die Dächer kommen können?“ David musterte die Umstehenden.
    Aidan sah fragend zu Jarik, der einige Sekunden brauchte, um zu verstehen, was Aidan wollte, und dann nickte. „Eigentlich nur Ioannis, Jelena, Joshua, Leonie, Jarik, Mirco und ich. Alle anderen haben ja erst kurz vor dem Abflug den genauen Einsatzort bekommen.“
    Fragend sah David zu Jarik.
    Jarik seufzte. „Bleiben also nur Jelena, Joshua und Mirco.“
    „Mirco ist raus!“, sagte Aidan energisch. „Aber scheiße!“
    „Ich will einfach nur Leonie finden“, sagte Jarik leise.
    David legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte zu. Jarik sah ihn an und ließ dann den Kopf hängen.
    „Wir finden sie, Jarik“, sagte Aidan leise aber bestimmt.
    „Ja. Die Frage ist nur wann und in welchem Zustand“, antwortete Jarik mit rauer Stimme.
    Aidan seufzte. „Ich kann dir versprechen, dass wir alles dransetzen, sie so schnell wie möglich zu finden.“

„Ioannis. Wie ist die Lage? Div Emery ist auch da.“
    Jarik schaute aufs HUD und sah, dass nur er, Aidan, Ioannis und Div Emery im Funkkanal waren.
    „Aidan. Beschissen. Wir wissen von mindestens achtunddreißig Hostiles. Davon sind jetzt zwölf tot und siebzehn verwundet. Neun oder mehr sind auf der Flucht. Dadurch, dass die Drohnen abgeschossen worden sind, sind wir uns aber nicht ganz sicher.“
    „Emery. Ja, wir haben die aktuellen Aufnahmen und Infos auch hier. Habt ihr schon angefangen, die Gefangenen zu befragen?“
    „Aidan. Ja, Mirco ist dran. Aber bisher noch nichts.“ Er seufzte. „Wir vermuten aber, dass einer der beiden Intelligence-Leute die vom Einsatz wussten, die Infos durchgestochen haben.“
    „Ioannis. Was?“, fragte er wütend.
    „Aidan. Alternativ wären es du, ich, Jarik, Leonie oder Mirco. Für alle anderen war der Zeitrahmen zu knapp, um so eine Menge an Leuten zusammenzubekommen und sich auf die Lauer zu legen.“
    „Ioannis. Shit.“ Er knurrte. Es herrschte einige lange Sekunden Stille. „Will? Wir müssen Jelena und Joshua einkassieren.“
    „Emery. Ich sag der Dienstaufsicht Bescheid. Was für ein Clusterfuck.“
    „Jarik. Was ist mit Leonie?“, fragte er mit brüchiger Stimme.
    „Ioannis. Wir haben alle verfügbaren Ressourcen drauf angesetzt, sie zu finden. Aber ihr Sender ist deaktiviert. Heißt, jemand wusste A, dass sie einen hat und B, wie man das Ding abschaltet.“
    „Aidan. Hol mal David mit dazu.“
    „Ioannis. Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist?“
    „Aidan. Machs einfach“, sagte er ungeduldig.
    „Emery. Okay, wenn du meinst. Ich vertraue dir.“
    „Aidan. Danke, Dad.“ Er lächelte.
    „David hört.“ Er schaute Aidan verwirrt an.
    „Aidan. Okay. Ich brauch mal deinen Input. Leonies Sender wurde deaktiviert. Was ungewöhnlich ist, weil eigentlich niemand genau weiß, wie die Dinger funktionieren und wie man sie zuverlässig abschirmen kann.“
    „David. Uffz. Ich kenn unsere Strukturen noch nicht wirklich. Aber kann man die Dinger von intern her abschalten? Und wenn ja, wer kann so was anordnen?“
    „Emery. Ich lass das mal prüfen. Guter Hinweis.“
    „David. Die Frage, die sich mir stellt, ist: Warum Leonie? Und warum wurde sie entführt?“ Er begann, auf und ab zu laufen. „Ich hab mir in den letzten Wochen mal die Unterlagen alle durchgeschaut, damit ich halbwegs auf dem Stand bin. Was ist, wenn es mit dem Einsatz bei Götz Financials zu tun hatte?“
    „Ioannis. Aber warum dann Leonie entführen?“
    „David. Haben wir Daniel Keller schon gefunden?“
    „Ioannis. Nein?“
    „David. Ich nehme an, dass du von ihm außer Papier und ein paar Aufnahmen nichts kennst, oder?“
    „Ioannis. Und ein paar Aussagen zu ihm. Aber sonst nichts, warum?“
    „David. Weil das ein ekelhaftes, arrogantes Arschloch ist! Und er hätte auf jeden Fall einen Grund, Leonie zu entführen und nicht einfach nur umzubringen.“
    „Ioannis. Ich komme immer noch nicht mit.“
    „David. Ich hab mich mal auf ner Firmenfeier mit ihm unterhalten. Jasmin hatte sich als mein Date ausgegeben, aber egal. Der Typ ist gierig, schmierig und ich wette mir dir: rachsüchtig ohne Ende! Und ihr habt ihm mit Götz Financials richtig in die Suppe gespuckt!“
    „Ioannis. Ooooh, scheiße! Dann macht das verdammt viel Sinn! Und der Maulwurf hat ihm vermutlich verraten, dass Leonie einen nicht unerheblichen Anteil hatte!“
    „David. Korrekt. Sieh mal zu, dass du Ben ans Telefon bekommst! Und sag Nate Bescheid, dass er den Schutz von Ben verstärken soll!“
    „Ioannis. Warum Nate? Was hat dein Mann damit zu tun?“
    „David. Weil Nate Ben nach dem Vorfall mit zwei Bodyguards versorgt hat.“
    „Ioannis. Aber warum? Intelligence wollte ihm doch Guards schicken?“
    „David. Oh? Dann haben wir ein Problem! Die sind nämlich nicht da!“
    „Emery. Was?“, rief er fassungslos.
    „David. Die waren drei Tage da und wurden dann abgezogen. Von daher hat Nate den Schutz übernommen.“
    „Emery. Dann ist es Detective Misova. Sie ist als Ermittlungsleiterin die Einzige, die so was anordnen kann. Detective Weiss hat nicht die Befugnis. Die Guards hätten den Befehl von ihm nicht angenommen. Ich lass das mal eben prüfen. Bin gleich wieder da. Fuck, fuck, fu...“
    Jarik sah David fassungslos, aber auch dankbar an. Dieser zuckte verlegen mit den Schultern.
    „Aidan. Wie machen wir jetzt weiter?“ Er nickte David anerkennend zu.
    „Ioannis. Es sollten gleich noch mehrere Guard-Teams bei euch eintreffen. Sobald die da sind, fahren euch ein paar zurück zum Flughafen.“
    „Aidan. Alles klar, ich geh den Rest zusammentrommeln.“ Er drehte sich um und ging zu den anderen.
    „Jarik. Aber was ist mit Leonie?“, fragte er panisch.
    „Ioannis. Ich hab die anderen Taskforce-Teams in Bereitschaft versetzt. Sobald wir was haben, fliegen sie los.“
    „Aber ... Ich kann doch nicht einfach hier weg und sie alleine lassen!“, antwortete Jarik leise. Er ließ den Kopf hängen.
    „Ioannis. Jarik! Du weißt so gut wie ich, dass sie vermutlich schon wo völlig anders ist. Und ich kann mich deutlich besser konzentrieren, wenn ich weiß, dass ihr sicher hier seid.“
    „Jarik. Verdammt. Ich kann grad einfach nicht denken!“
    „Emery. Völlig verständlich. Sehen Sie zu, dass Sie ihr Team heimbekommen, Captain. Und wir finden Captain Brandt. Hier glühen gleich die Tastaturen durch, so wie alle drauf rumklopfen und die Dienstaufsicht marschiert grad mit ner halben Footballmannschaft ein.“
    „Jarik. Ja, Sir“, antworte er trübsinnig.
    „Emery. Wir finden sie!“
    „Jarik. Okay.“
    „Emery. Melden Sie sich bei mir, sobald Sie gelandet sind. Ich geh bis dahin zusammen mit der Dienstaufsicht Maulwürfe ausräuchern.“
    „Aidan. Bis dann!“

Jarik sah auf, als sein Team auf ihn zukam. Gian lächelte ihn traurig an und schloss ihn dann in seine Arme. Der Rest verteilte sich darum und legte die Arme ebenfalls um sie, sodass Jarik und Gian in der Mitte waren. Jarik legte seinen Kopf auf Gians Schulter ab.
    „Wir finden sie“, murmelte Gian.
    „Wir müssen“, sagte Jarik mit erstickter Stimme. „Ich brauch’ sie.“
    Aven, der hinter ihm stand, drückte seine Stirn an Jariks Nacken. „Sorry, dass ich ... nicht ...“ Seine Stimme brach.
    Jarik machte sich los und drehte sich um, damit er Aven umarmen konnte. „Hör auf, dir Vorwürfe zu machen. Leonie wollte, dass du von dem Dach runterkommst. Es war ihre Entscheidung.“
    „Aber ...“, murmelte Aven.
    „Nichts aber.“ Er griff Aven am Nacken. „Wir fliegen jetzt nach Hause. Und dann finden wir Leonie. Und wenn wir sie gefunden haben, holen wir sie wieder. Und wehe denen, die dabei im Weg stehen.“ Jarik versuchte damit, auch sich selbst aufzumuntern.
    Aven hob den Kopf und sah ihn zweifelnd an. Aber Jarik sah das Fünkchen Hoffnung, dass in ihm keimte und lächelte zaghaft.
    „Komm. Je schneller wir hier weg sind, umso schneller sind wir zurück und können Leonie suchen.“
    Scheu nickte Aven. Jarik ließ ihn los und Cam legte Aven den Arm um die Taille, um ihn zu den Autos zu ziehen.
    „Gut gemacht“, murmelte Gian und drückte Jariks Schulter.
    David kam auf Jariks andere Seite und sah dann zu Gian. „Wenn wir im Dragon sitzen, solltest du dir Jarik aber auch noch mal genau anschauen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er einiges an Splittern abbekommen hat.“
    „Mach ich“, antwortete Gian.
    Jarik kniff die Augen zusammen und funkelte ihn an. „Verräter“, murrte er leise.
    David zwinkerte ihm zu. „Nur zu deinem Besten. Kaputt bringst du Leonie nichts.“
    „Hmpf.“
    „Hör auf zu quengeln. Alternativ kannst du auch in die Krankenstation, wenn wir zurück sind“, sagte Gian.
    Schnaubend drehte Jarik sich zu Gian. „Wie wäre es mit nein? Und David kannst du dann aber auch anschauen!“
    „Jupp. Wir haben dann gleich ein Date im Dragon.“ Gian eilte zu Marc und setzte sich mit diesem ins Auto.
    „Super.“ Jarik seufzte.
    David legte ihm den Arm um die Schultern und schob ihn in Richtung Auto.      

Den Heimflug verbrachten sie größtenteils schweigend. Gian pulte diverse Keramik- und Metallsplitter aus Jariks Armen und reinigte die Wunden. Marc machte dasselbe bei David.
    Merita ging von einem zum nächsten und legte ihnen tröstend die Schnauze auf den Schoß. Sie spürte, dass ihre Menschen litten. Jarik beugte sich zu ihr, als sie bei ihm ankam und streichelte ihr die Ohren. Im Gegenzug dafür leckte sie ihm über die Nase und Wange. „Gutes Mädchen“, murmelte er. „Pass mir auf Aven auf.“ Merita wedelte mit dem Schwanz und gab Jarik noch ein Küsschen, bevor sie weiterging.
    Kraftlos lehnte Jarik seinen Kopf an die Lehne hinter sich und schloss die Augen. David drückte sein Knie gegen Jariks und Jarik öffnete die Augen, um ihn anzusehen.
    „Wir sind alle für dich da“, sagte David leise.
    „Ich weiß. Kommst du gleich mit zu den Chefs?“, fragte Jarik.
    „Natürlich. Ich hatte nicht vor, dich alleine zu lassen. Und das wird sich nicht ändern, bis wir sie gefunden haben“, antwortete David leise.
    „Danke“, murmelte Jarik.
    David lächelte. „Nicht dafür.“

Als sie in Stuttgart landeten, ging gerade die Sonne auf und auf dem Flugfeld warteten zwei Teams Guards auf sie.
    „Herzlichen Glückwunsch. Ihr habt jetzt Bodyguards“, sagte Aidan freudlos.
    „Yeah“, murmelte Jarik. Er umarmte sein Team und schickte sie dann zur Krankenstation, um sich durchchecken zu lassen. „Sobald ich was Neues weiß, sag ich Bescheid“, versprach er.
    „Wenn du irgendwas brauchst, sag auch Bescheid!“, antwortete Toni.
    „Euch zu Hause und in Sicherheit.“ Jarik drehte sich zu den Guards. „Passt mir auf meine Familie auf.“
    Die Guards nickten und folgten dann Jariks Team zur Krankenstation. Nur David blieb bei ihm.
    „Wollen wir?“, fragte Aidan.
    Jarik nickte. Gemeinsam mit Aidan und seinem Team gingen er und David Richtung Einsatzzentrale, um dabei zu helfen, Leonie zu finden.

In der Einsatzzentrale wurden Aidan, David und Jarik bereits von Ioannis und Divisionnaire Emery erwartet. Gemeinsam gingen sie in einen der Besprechungsräume und Ioannis schloss die Tür hinter ihnen.
    Während die anderen sich setzten, blieb Jarik stehen und schaute dann erwartungsvoll zu Ioannis und ihrem Chef. „Gibts schon Neuigkeiten, Sir?“
    Emery sah zu Ioannis. „Ja, gibt es. Die Dienstaufsicht hat die Detectives Misova und Weiss eingesammelt. Während Weiss sofort kooperiert hat, schweigt Misova und spielt beleidigte Leberwurst.“
    „Was gibt es? Haben Sie sie schon gefunden?“ Jarik schluckte. „Sorry, Sir.“
    Div Emery winkte ab. „Machen Sie sich keinen Kopf.“ Er nickte Ioannis zu.
    Ioannis sah ihn, Aidan und David ernst an. „Ben Götz wurde ebenfalls angegriffen. Allerdings konnten seine beiden Bodyguards den Angriff abwehren. Einer der beiden ist von mehreren Kugeln getroffen worden und liegt grade im OP, es sieht aber gut aus. Der andere wurde zum Glück nur leicht verletzt. Von den fünf Angreifern sind zwei tot und drei auf der Flucht. Ben selbst ist nichts passiert.“
    Jarik sah Ioannis entsetzt an. David sog scharf die Luft ein.
    „Wir haben zwei Teams Guards ins Krankenhaus geschickt, um die beiden Bodyguards zu bewachen. Zur Sicherheit sind Mr. Götz, Mr. Shepard, Miss Marquardt und Miss Hoffmann auf dem Weg in die Basis. Ich habe euer Stockwerk komplett abriegeln lassen. Sie werden auch dort untergebracht. Ihr habt ja noch ein paar Zimmer frei und ich will kein Risiko eingehen“, ergänzte Emery.
    David seufzte erleichtert. „Danke, Sir!“

Die Tür wurde aufgerissen und Joshua kam hereingestürmt. Zwei junge Soldaten rannten hinter ihm her und wollten ihn greifen, stoppten aber auf ein Handzeichen von Divisionnaire Emery. Sie blieben mit rotem Kopf in der Tür stehen. Joshua eilte auf Jarik zu und umarmte ihn. Jarik versteifte sich und brauchte einige Sekunden, bis er sich entspannen und die Umarmung erwidern konnte.
    Joshua ließ ihn los und drückte ihn ein Stück von sich, um Jarik in die Augen sehen zu können. „Hey, wir finden sie! Und dann helf ich dir dabei, jeden zu vergraben, der sie angefasst oder was damit zu tun hatte. Versprochen!“, sagte er leise aber kraftvoll.
    Jarik musterte ihn und nickte dann, als er sah, wie ernst es Joshua mit der Aussage war. „Okay.“
    Joshua räusperte sich, als er Emery sah, der den Austausch aufmerksam verfolgt hatte. „Ah, sorry, Sir. Aber Leonie ist meine Freundin und ich will helfen, sie wiederzufinden.“
    Mit schiefgelegtem Kopf musterte Emery ihn. „Und warum sollte ich das zulassen? Noch hab ich Sie nicht von meiner Maulwurfliste gestrichen. Wer sagt mir, dass Sie sich nicht in die Ermittlungen reinhängen, um sie zu behindern? Dass Sie vor der Dienstaufsicht flüchten, spricht nicht grade für Sie!“
    „Wer sagt, dass Sie nicht der Maulwurf sind? Oder Ioannis? Aidan? David?“, fragte Joshua provokant.
    Jarik sah ihn missbilligend an. „Joshua!“
    Überrascht schaute Emery Joshua an. „Mutig“, sagte er. „Aber in Anbetracht der Tatsache, dass Captain Brandt vermisst wird und die Zeit drängt grade absolut nicht förderlich. Und im Gegensatz zu Ihnen wusste ich von den Einsatzplänen nichts.“
    Joshua machte den Mund auf, wurde aber von Jarik unterbrochen. „Nicht hilfreich!“
    „Sorry. Aber ich bin immer noch angepisst, dass ihr vermutet, dass ich Leonie verraten würde“, antwortete Joshua mürrisch.
    „Sie müssen zugeben, dass die Idee recht naheliegend ist. Sie waren eine von sieben Personen, die von den Einsatzplänen früh genug wussten, um die Aktion vorzubereiten.“ Emery sah ihn durchdringend an.
    Joshua schnaubte. „Ändert aber immer noch nichts daran, dass ich mir eher mein gesundes Bein abhacken würde, als Leonie zu verraten! Und wie Sie sagten, die Zeit drängt!“
    Emery knirschte mit den Zähnen.
    „Sir, hören Sie ihn wenigstens an“, sagte Jarik flehentlich.
    Joshua sah ihn dankbar an.
    „Sind Sie sich sicher, dass Sie das Risiko eingehen wollen, Captain?“, fragte Emery ernst.
    Jarik sah zu Joshua, der ihn bittend anblickte und nickte nach dann.
    Emery überlegte einige Sekunden, bevor auch er verdrossen nickte. Er sah zu den Soldaten, die Joshua begleitet hatten und unbehaglich in der Tür warteten. „Sie können dann gehen.“
    „Sir, die Dienstaufsicht wollte mit ihm reden. Er ist aber einfach abgehauen, als er Captain Koslow gesehen hat“, antwortete einer der Soldaten mit hochrotem Gesicht.
    „Dann sollten Sie sich überlegen, wie das passiert ist! Und die Dienstaufsicht kann ihn später bei mir abholen. Aber wir haben Dinge zu besprechen und ich bevorzuge es, dies hinter verschlossenen Türen zu tun!“ Emery sah sie streng an.
    Der ältere Soldat nickte unglücklich. „Ja, Sir. Ich richte es aus.“ Die beiden verließen den Besprechungsraum und schlossen die Tür hinter sich.
    Jarik sah zu David. „Willst du ihn auf den Stand bringen?“
    „Kann ich machen.“
 

***


Leonie stöhnte leise, als sie langsam wieder zu Bewusstsein kam. Ihr Mund fühlte sich pelzig an und ihr Kopf dröhnte. Der Boden unter ihr war hart, kalt und rau.
    Sie brauchte einige Minuten, bis sie blinzelnd die Augen öffnen konnte. Zu erkennen war jedoch im Halbdunkel nicht viel mehr als ein großer Käfig aus Drahtgeflecht, in dem sie lag, Plastikvorhänge, die den Bereich darum begrenzten, ein Holzstuhl und der dreckige Betonboden. Leonies Ausrüstung lag auf einem Haufen außerhalb des Käfigs. Von ihren Waffen war allerdings nichts zu sehen. Wenigstens hatten sie ihr ihre Uniform gelassen.
    Frustriert schloss Leonie die Augen wieder und konzentrierte sich auf ihre Atmung. Das Denken fiel ihr schwer. Erst nach und nach schien ihr Körper wieder online zu kommen, als die Wirkung des Betäubungsmittels nachließ, das sie scheinbar erhalten hatte.
    Eine Weile später fühlte sie sich klarer. Ihr Oberschenkel und ihre Rippen schmerzten. Sie versuchte, ihre Arme zu bewegen, was aber nur dazu führte, dass ein stechender Schmerz ihre Schultern durchzuckte. Ihre Hände waren auf dem Rücken gefesselt und ihre Muskeln durch die Haltung bereits völlig verkrampft. Auch ihre Beine waren zusammengebunden.
    „Shit“, murmelte sie leise.
    Sie gab den Versuch sich anders hinzulegen auf und fokussierte sich auf ihr HUD. Sie war froh, dass sie es zur Not auch mit Bewegungen ihrer Zunge an ihrem Gaumen bedienen konnte, selbst wenn das extrem umständlich war.
    An der Stelle, an der normalerweise die Stärke ihrer Verbindung angezeigt wurde, stand stattdessen ein U.
    ‚Undercovermodus? Was zur Hölle?‘, dachte Leonie. ‚Ich bin doch gar nicht undercover? Oder doch? Was ist passiert?‘ Dieser Modus war normalerweise den echten Undercoverleuten vorbehalten, damit diese auch intern abgeschirmt blieben.
    Erst nach und nach erinnerte sie sich an das Geschehen. ‚Oh ... Shit.‘
    Sie schaute auf die Uhr auf ihrem HUD und starrte diese dann ungläubig an. Der Einsatz war über zwölf Stunden her! Sie rief die Aufzeichnungen ihrer Körpersensoren auf. Scheinbar war sie einige Male kurz wach gewesen und hatte sich auch bewegt.
    Als sie zur Ortungsfunktion weiternavigierte, wurde ihr schlecht. Wenn das, was dort angezeigt wurde, stimmte, war sie irgendwo in einer ehemaligen Fabrik- oder Lagerhalle im südfranzösischen Nirgendwo.

Etwas klackte und einige Neonröhren über ihr gingen brummend und flackernd an.
    „Ah, ich sehe, die Dame ist wach“, sagte eine männliche Stimme auf Deutsch aus dem Bereich hinter ihr.
    Leonie reagierte nicht. Die Stimme kam ihr bekannt vor, aber sie konnte sie nicht einordnen. Lange musste sie jedoch nicht auf die Auflösung warten. Ein paar Beine in einer teuren schwarzen Anzughose und Füße, die in ebenfalls schwarzen Designerschuhen steckten, tauchte auf der anderen Seite des Gitters vor ihr auf. Ihr Blick wanderte über ein weißes Hemd ohne Krawatte weiter nach oben zu Daniel Kellers Gesicht. Seine Arme hatte er hinter dem Rücken verschränkt und er grinste böse.
    „So sehen wir uns wieder. Welch glücklicher ... Zufall. Für mich. Nicht für dich. Aber ich bin mir sicher, wir werden noch ein Weilchen Spaß haben.“
    Leonie blieb stumm und sah ihn nur ausdruckslos aus. Innerlich erschauderte sie jedoch. Das konnte nichts Gutes bedeuten.
    Keller musterte sie. „Es ist unhöflich, nicht zu antworten. Aber keine Sorge. Wir bringen dich schon noch zum Reden. Ich freue mich auf den Punkt, an dem du mich anbettelst, dich endlich umzubringen!“ Sein Grinsen wurde noch bösartiger. „Oh, und bemüh dich nicht, zu versuchen, deine Freunde anzurufen! Du steckst nicht nur in einem faradayschen Käfig, du wurdest auch in eurem ach so tollen System deaktiviert!“
    Nur mit Mühe konnte Leonie sich davon abhalten zusammenzuzucken. Die Vermutung mit Maulwürfen war also korrekt. Zudem hatte ihm irgendwer Informationen über das HUD-System gegeben.
    Mühselig navigierte sie sich durch ihr HUD, um zu versuchen, den Undercovermodus zu deaktivieren. Derweil schwadronierte Keller, wie viel Geld sie ihn gekostet und wie viele Unannehmlichkeiten sie ihm bereitet hatte. Sie blendete ihn aus, als er anfing zu erklären, was er alles mit ihr vorhatte, und konzentrierte sich aufs HUD.      

Es dauerte einige Minuten, bis sie es geschafft hatte, sich wieder in den normalen Modus zu schalten. Allerdings hatte Keller recht, sie hatte dennoch keinen Empfang. Fieberhaft überlegte sie, bis ihr ein Trick einfiel, den ihr ein Ausbilder im Überlebens-Training beigebracht hatte. Bei dem SERE genannten Kurs hatten sie neben dem Umgang mit Folter auch das Entkommen aus Gefangenschaft geübt. Und dazu gehörte auch die Situation, keinen HUD-Empfang zu haben.
    Das HUD bezog seine Energie aus ihrem Körper. Im Normalmodus reichte es genau aus, um das System am Laufen zu halten. Im Survivalmodus konnte sie jedoch Energie abzweigen und mit dieser einen kleinen Akku laden. War er voll genug, konnte sie damit ihr Notfallsignal verstärken und dann nur hoffen, dass es reichte, um die Abschirmung zu durchbrechen.    

Vor dem Käfig gesellten sich zwei bullige Männer zu Keller, einer hatte einen Polsterstuhl dabei, den er Keller hinstellte, der andere trug mehrere Seile. Keller setzte sich, lehnte sich zurück und rieb sich freudig die Hände. „Ah. Das Unterhaltungsprogramm ist da.“
    Schläger A, wie Leonie den Mann mit den Seilen getauft hatte, hob den Holzstuhl an und wartete, bis Schläger B das Vorhängeschloss zu Leonies Käfig geöffnet hatte und die Tür aufhielt. Er trug ihn hindurch und sein Kollege ging ebenfalls hinein.
    Der Stuhl wurde abgestellt und die beiden kamen auf Leonie zu. Sie hoben sie auf und setzten sie auf dem Stuhl ab. Stumm starrte Leonie Keller an, während seine beiden Schläger sie mit dem Seil am Stuhl festbanden, erst danach ihre bisherige Fesselung lösten und sie vollends am Stuhl fixierten. Leonie musste missmutig anerkennen, dass das von ihnen cleverer war, als sie erwartet hatte.
    „Na, dann wollen wir doch mal sehen, wie hübsch unser Vögelchen singen kann“, sagte Keller gehässig.
    Leonie flüchtete sich geistig in ihr Inneres und dachte an Jarik, als der erste Schlag ihre Rippen traf.

***


Jarik war mittlerweile seit weit über vierzig Stunden wach. Seine Haare standen in alle Richtungen ab, seine Augen waren blutunterlaufen und seine zu Fäusten geballten Hände zitterten. Frustriert tigerte er in einem der Besprechungsräume in der Einsatzzentrale auf und ab und wurde immer gereizter.
    Aidan hatte sich zwischenzeitlich hingelegt und geschlafen. David war verschwunden, nachdem Ben, Elin, Jasmin und Nate in der Basis angekommen waren, und erst ein paar Minuten zuvor wieder aufgetaucht. Auch Joshua war vor einiger Weile losgegangen, um sich auszuruhen.
    Ioannis und Divisionnaire Emery waren vor zwei Stunden zu einer Besprechung mit Divisionnaire Risch und den Generals gerufen worden und bisher noch nicht wieder zurückgekommen.
    Das Team hatte mehrfach vorbeigeschaut und ihnen Essen gebracht. Gian hatte auch mehrere Male versucht, Jarik zum Schlafen zu bewegen, dann aber aufgegeben.

Aidan und David saßen an einem der Tische und sahen Jarik beim Herumtigern zu. Im Kopf ging Jarik alles durch, was sie bisher zusammengetragen hatten. Sie hatten immer noch keine Ahnung, wo Leonie sein könnte. Alle Spuren, die sie bisher verfolgt hatten, waren ins Leere gelaufen.    
    „Jarik?“, fragte David, aber Jarik ignorierte ihn und tigerte weiter. „Jarik?“ Keine Reaktion. „Jarik!“
    „Was?“, fauchte Jarik und blieb stehen.
    David sah ihn durchdringend an. „Wir gehen jetzt in die Sporthalle!“
    „Was? Warum? Was will ich da?“, fragte Jarik irritiert.
    „Wir gehen in den Ring“, antworte David ruhig.
    Jarik sah ihn mit gerunzelter Stirn an. „Ich geh doch nicht trainieren, wenn wir Leonie suchen.“
    Aidan seufzte. „Jarik. Du bist ein Wrack! Geh dich mit David austoben, damit du wenigstens ein paar Stunden schlafen kannst!“
    „Aber ...“, setzte Jarik an.
    „Nichts aber!“, unterbrach ihn Aidan harsch. „Sobald wir Leonie finden musst du fit sein! Du glaubst doch nicht im Ernst, dass du im jetzigen Zustand nen Flieger betrittst, oder?“
    Jarik sah ihn fassungslos an.
    Aidan hob die Augenbraue. „Was? Ich hab auch kein Problem damit, mal eben in mein spezielles Köfferchen zu greifen und dir ne Ladung ‚Schlafrechtgut‘ zu verpassen.“
    Jarik knurrte. „Aidan!“
    Der ließ sich davon jedoch nicht beirren. „Es bringt nichts, wenn du dich bis in die Besinnungslosigkeit antreibst! Und du wärst der Erste, der mich anmeckern würde, wenn ich in der Situation wäre!“, sagte er streng. Dann wurde er milder. „Jarik. Leonie braucht dich topfit und nicht als lebende Leiche! Lass dich von David auspowern, schlaf ne Runde und dann machen wir Vollgas weiter!“
    Stöhnend griff Jarik sich in die Haare und verstrubbelte sie noch mehr. Er ließ den Kopf nach hinten sinken und rieb sich dann übers Gesicht. Mit dem Rücken lehnte er sich an die Wand hinter sich und ließ den Kopf hängen. „Shit! Du bist ein Arschloch, Aidan! Hör auf, vernünftig zu sein!“, sagte er gereizt.
    Aidan und David schnaubten belustigt.
    Schicksalsergeben stieß Jarik sich von der Wand ab und machte sich auf den Weg Richtung Ausgang. Als er merkte, dass Aidan und David ihm nicht folgten, drehte er sich um. „Was jetzt? Kommt ihr?“
    „Schon unterwegs“, antwortete David. Er und Aidan setzten sich in Bewegung.    

In der Sporthalle angekommen, zogen sie sich um. Aidan wedelte mit gerümpfter Nase den Geruch weg, der von Jariks Sachen kam, die neben ihm auf der Bank lagen. Er hatte immer noch die Uniform vom Einsatz angehabt.
    „Tu David wenigstens den Gefallen und nimm vorher ne Dusche. Du stinkst!“, murmelte Aidan und schüttelte sich. „Ich geh derweil mal nen Gefahrgutcontainer für deine Sachen holen.“ Aidan drehte sich um und verschwand um die Ecke.
    Jarik sah ihm hinterher und dann zu seinen Sachen. Er reckte den Hals, schnüffelte und zuckte zurück. Er musste Aidan recht geben. Aus seinem Spind holte er sein Duschzeug und ein Handtuch und eilte zu den Duschen.    

Nachdem er sich in Rekordzeit abgeschrubbt hatte, kam er zurück, um sich seine Trainingssachen anzuziehen. David war bereits umgezogen und stand in schwarzen, knielangen Trainings-Shorts und T-Shirt da, während er schmunzelnd Aidan dabei zusah, wie er Jariks Sachen in einen Wäschesack steckte.
    „Trägst du grade ernsthaft Handschuhe?“, fragte Jarik irritiert.
    Aidan sah ihn an. „Hast du mal dran gerochen? Ich will außerdem gar nicht wissen, was da noch so alles dran klebt.“
    „Lass Aidan machen und geh dich umziehen.“ David bedeutete ihm mit den Händen, sich zu beeilen.
    Kopfschüttelnd warf Jarik sein Duschzeug in den Spind, trocknete sich ab und zog seine Trainingssachen an.
    Aidan nahm das Handtuch und steckte es zu den anderen Sachen in den Sack. „Ich geh das mal wegbringen. Bis gleich.“
    Während Jarik David in den Ring folgte, um sich warm zu machen, verschwand Aidan.    

David und Jarik einigten sich darauf, nicht gegen den Kopf, sondern nur auf den Körper zu gehen. Jarik war normalerweise froh, dass David im Nahkampf auf demselben Niveau war wie er. Er nutzte andere Techniken, aber das war gut fürs Training.
    Jarik merkte jedoch schnell seine eigene Erschöpfung. Während er am Anfang kein Problem damit hatte, Davids Angriffe abzuwehren und zu kontern, hatte er bereits nach wenigen Minuten immer mehr Mühe und steckte einiges ein. Und das, obwohl David sich zurückhielt.
    Als David ihm nach fünfzehn Minuten zum wiederholten Mal die Beine wegtrat, blieb Jarik völlig ausgelaugt liegen. Schwer atmend verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und schloss die Augen. David reichte ihm eine Wasserflasche, die er dankbar annahm. Als er wieder halbwegs zu Atem kam, richtete Jarik sich ein wenig auf und trank dann gierig. Müde ließ er die Hand mit der Flasche sinken und machte die Augen wieder zu.

 

***


   

Abermals kam Leonie ächzend und nur langsam wieder zu Bewusstsein. Als sie die Augen einen Spalt breit öffnete, war es dunkel. Von Keller und seinen beiden Schlägern war nichts zu sehen.
    Leonie saß immer noch auf dem Stuhl und ihr pochender Kopf lag auf ihrer Brust. Sie versuchte, sich irgendwie so zu positionieren, dass ihr Körper nicht wehtat, aber das war ein Ding der Unmöglichkeit. Jeder Atemzug ließ einen scharfen Schmerz durch ihren Brustkorb zucken. Die Muskeln in ihren Armen und Beinen brannten. Ihre Hände und Füße waren hingegen taub.
    Es dauerte eine Weile, bis Leonie ihre Gedanken halbwegs sortiert hatte. Dann begann sie langsam eine Bestandsaufnahme und versetzte ihr HUD wieder in den Normalmodus. Der Akkustand sah gut aus. Ihre Körperwerte dagegen nicht. Ihr Puls war zu hoch, ihre Sauerstoffsättigung zu niedrig und auch der Rest gab keinen Grund zum Jubeln.
    Der Verbindungsstatus sah ebenfalls noch aus wie zuvor. Sie stoppte die Wiederverbindungsversuche. Dann richtete sie ihr System so ein, dass sie das Notsignal blitzschnell schicken konnte, sobald die Käfigtür aufging.
    Nachdem das erledigt war, versuchte sie, sich ein wenig auszuruhen.
    Sobald die Tür aufging, konnte sie nur hoffen, dass das Notsignal durchgehen würde. Und dass die anderen sie danach schnell genug erreichen würden.
 

***

Jemand rüttelte an seiner Schulter. „Jarik? Wach auf!“, sagte Aidan energisch.
    Blinzelnd öffnete Jarik die Augen. „Was ist?“, fragte er mit rauer Stimme.
    Aidan reichte ihm die Wasserflasche und Jarik trank gierig. Er lag immer noch mitten im Boxring. Irgendwer hatte eine Decke auf ihn gelegt.
    „Wir haben sie! Geh duschen. Ich hab dir ne frische Uniform geholt. Sobald du geduscht und angezogen bist, gehen wir zum Flugfeld. Die anderen machen sich grade fertig.“
    Jariks Oberkörper schoss nach oben und seine Stirn verfehlte Aidans Nase nur um wenige Millimeter. „Ihr habt sie? Und ich darf mit?“ Er wickelte sich aus der Decke, stand auf und eilte Richtung Umkleide.
    Aidan eilte ihm hinterher. „Sofern du geduscht und umgezogen bist, ja. Du kannst im Dragon essen.“
    Murrend nahm Jarik das Duschzeug und Handtuch entgegen, das Aidan ihm hinhielt. Erneut duschte er in Rekordzeit. Aidan reichte ihm nach und nach seine Uniformteile, während er sich anzog. Danach half er ihm in seine BodyArmor und machte die Schnallen zu.      

Auf dem Weg zum Flugfeld ließ Jarik sich von Aidan auf den neusten Stand bringen. Die Sonne war bereits aufgegangen, es war aber noch kühl.
    „Leonie hat es irgendwie geschafft, ein Notsignal zu senden. Es waren nur ein paar Sekunden, aber es hat gereicht“, sagte Aidan.
    „Wo ist sie?“ Jarik sah aus den Augenwinkeln zu ihm.
    Aidan seufzte. „In Südfrankreich. Irgendwo in der Pampa in ’ner Fabrikhalle.“
    „In Südfrankreich? Was zum Henker?“ Jariks Schritte wurden schneller.
    „Keine Ahnung. Aber da kam das Signal her.“
    Jarik knurrte. „Wer geht alles mit?“
    „3-439, 3-014, 3-216, 3-343 und 3-507. Dazu noch vier Teams Guards und ein paar Medics.“
    „So viele?“, fragte Jarik ungläubig.
    Aidan schnaubte. „Zum einen ist Leonie eine von uns und zum anderen haben wir absolut keine Ahnung, was uns da erwartet. Auf den Überwachungsbildern waren draußen einige Wachen zu sehen. Wer weiß, wie es drinnen aussieht. Wir können Glück haben und es sind drei Leute, wir können Pech haben und es sind fünfzig. Nach Spanien, Stockholm und jetzt Schweiz gehen wir garantiert kein Risiko ein.“
    Schweigend nickte Jarik.      

Auf dem Flugfeld warteten sechs Dragons, drei Mevacs und jede Menge Soldaten auf sie. General Brouwer, General Okyar, Divisionnaire Emery und Divisionnaire Risch waren auch da. Sie standen mit den Teamleitern etwas abseits. Zwischen den Mevacs sah Jarik Aidans Mutter, Dr. Emery, mit ihren Medics. Jarik wusste nicht so recht, was er davon halten sollte, dass sie da war. Einerseits war er dankbar, weil sie eine herausragende Ärztin war, andererseits hatte er Angst davor, in welchem Zustand sie Leonie finden würden.
    Emery winkte Aidan und Jarik heran.
    „Sirs“, begrüßten die beiden ihre Chefs und nickten dann ihren Teamleiterkollegen zu. Sie lächelten Jarik aufmunternd an und nickten zurück.
    „Man könnte meinen, wir ziehen in den Krieg“, sagte Jarik leise zu Keenan, als er ihn erreicht hatte und sich neben ihn stellte. Aidan stellte sich zwischen Jarik und Sykes.
    Keenan legte ihm den Arm um die Schultern und brummte zustimmend.
    „Man könnte nicht nur meinen! Die Arschlöcher haben uns den Krieg erklärt! Wir antworten angemessen drauf!“, sagte Emery, der ihn wohl gehört hatte, energisch.
    Brouwer nickte verdrossen und sah dann zu Jarik. „Captain Koslow. Mir wurde mitgeteilt, dass Sie die Teams begleiten werden.“
    „Ich hoffe doch, Sir“, antwortete Jarik unsicher.
    Brouwer legte den Kopf schief und musterte Jarik kritisch. „Und ich kann mich drauf verlassen, dass Sie keinen Unsinn anstellen?“
    „Ja, Sir!“ Jarik hielt dem Blick stand.
    „Hm. Was meinst du?“, fragte er General Okyar.
    Dieser taxierte Jarik ebenfalls und nickte dann. „Er hat es hinbekommen, sich auf sein Team zu konzentrieren und es heil nach Hause zu schaffen, obwohl seine Freundin grade entführt wird. Dann wird er es wohl jetzt auch auf die Reihe kriegen, sich auf seine Freundin und sonst nichts zu konzentrieren. Nicht wahr, Captain?“
    „Korrekt, Sir. Ich will nur zu Leonie.“ Jarik schluckte. Seine Hände, die er hinter dem Rücken verschränkt hatte, waren feucht.
    „Ich denke, es ist gut, wenn sie ihn sieht“, sagte Emery.
    Okyar nickte. „Ja, ich denke auch.“ Er wandte sich an Ioannis. „Und geben Sie dem Mann wenigstens seine Pistole.“
    „Natürlich, Sir“, antwortete Ioannis. Mit dem Kopf winkte er Jarik zu sich.
    „Danke, Sirs“, sagte Jarik erleichtert und eilte zu Ioannis.
    Ioannis reichte Jarik dessen Pistole und mehrere Magazine. Er prüfte sie gewissenhaft und steckte sie dann ins Holster. Die Magazine verstaute er in den Taschen seiner BodyArmor.
    „So, Leute! Wir teilen uns wie besprochen auf! Jarik kommt bei mir mit!“ Ioannis drehte sich zu Jarik. „Deine Aufgabe ist es, mir am Arsch zu kleben, bis wir Leonie gefunden haben! Verstanden?“
    „Ja, Sir“, antwortete Jarik ernst.
    „Gut! Sammelt eure Teams ein! Abflug in zehn Minuten! Noch Fragen?“ Ioannis sah sich in der Runde um, erntete aber nur Kopfschütteln.
    Brouwer räusperte sich und rief dann laut: „Bringen Sie uns Captain Brandt wieder! Und räumen sie diesen Sauhaufen auf!“
    Alle Anwesenden auf dem Flugfeld, darunter auch Jarik, reckten eine Hand in die Höhe und brüllten: „Huzzah!“
    Mehrere kleine Vögel, die in der Wiese neben dem Flugfeld gesessen hatten, flatterten laut zeternd auf und flogen davon.    

Aidan legte Jarik die Hand auf die Schulter. „Na komm. Wir sind im selben Dragon. Du kannst Ioannis noch früh genug am Hintern kleben. Du sitzt bei mir und Keenan.“
    Jarik ließ sich von den beiden zum Dragon begleiten und setzte sich wie gewünscht zwischen die zwei. Ioannis, Sykes und Aidans Co-Lead Mirco nahmen gegenüber von ihnen Platz. Der Rest der beiden Teams verteilte sich auf den anderen Plätzen im Dragon.
    Als sie endlich abhoben, lehnte Jarik seinen Kopf an die Lehne hinter sich und schloss die Augen. Er war unruhig und versuchte, sich zu entspannen. Der Flug würde fast zwei Stunden dauern und wenn er den Dragon verließ, musste er sich auf den Einsatz konzentrieren. Er konnte es nicht riskieren, durch Ablenkung seine Kameraden oder Leonies Leben aufs Spiel zu setzen.
    Aidan stupste ihm mit dem Ellbogen an und hielt ihm dann eine Dose mit zwei Sandwiches vor die Nase. „Iss. Ich hab noch mehr, falls du willst.“
    Dankbar nahm Jarik ein Sandwich und konzentrierte sich aufs Kauen. Er schmeckte nichts, aber die monotone Bewegung half ihm dabei, seine Gedanken zu beruhigen.
    Nachdem Jarik beide Sandwiches gegessen und eine Flasche Wasser getrunken hatte, lehnte er sich wieder zurück und schloss die Augen. Er ließ die Gespräche der anderen an sich vorbeiziehen, ohne zuzuhören, aber das Gemurmel beruhigte ihn. Er wusste, dass er sich darauf verlassen konnte, dass sie alles tun würden, um Leonie zurückzubekommen.

Als der Dragon endlich landete, folgte Jarik den anderen angespannt nach draußen aufs Flugfeld. Die Sonne brannte trotz der frühen Stunde bereits vom strahlend blauen Himmel.
     Es folgte eine kurze Einsatzbesprechung. Die angeblich stillgelegte ehemalige Parfümfabrik war nicht so verlassen, wie sie zuerst vermutet hatten. Sie war vor einer Weile zur Veranstaltungslocation umgebaut worden, weswegen sie spontan ein wenig umplanen mussten.
     Als der neue Plan eine halbe Stunde später endlich stand, ging es los und alle verteilten sich auf die bereitgestellten Transporter. In einer schier endlosen Blechkolonne fuhren sie los. Da es helllichter Tag und das Gelände kaum bewachsen war, konnten sie sich nicht anschleichen. Also blieb nur, die Halle einzukreisen und schnell von mehreren Seiten zuzuschlagen.
     Jarik war froh, dass Ioannis sich erbarmt, und ihm doch noch sein Gewehr in die Hand gedrückt hatte. Er griff es fest und starrte nach draußen, wo die Lavendelfelder schnell an ihm vorbeizogen.
     „Basis. ETA dreißig Sekunden.“
     Ioannis, der neben Jarik saß, schaute zu ihm. „Alles gut?“
     „Ja“, antwortete Jarik und nickte.
     „Denk dran, ...“
     Jarik seufzte. „Ja, ich weiß. Ich bleib dir am Arsch kleben. Keine Sorge.“
     „Gut!“ Ioannis tätschelte Jarik den Oberschenkel. „Bereitmachen!“, sagte er laut.

Mit quietschenden Reifen hielt der Transporter vor der großen Fabrikhalle. Ioannis, Jarik und der Rest ihrer Gruppe verließen ihn innerhalb weniger Sekunden und fächerten sich dann auf. Wie versprochen blieb Jarik bei Ioannis, hatte aber das Gewehr gehoben und zielte auf einen der Wächter. Angesichts der Übermacht, die auf ihn zustürmte, ließ der Wächter sein Gewehr fallen und hob mit aufgerissenen Augen die Hände.
     Juri eilte auf den Wächter zu und fesselte ihm die Hände mit Flexicuffs auf den Rücken. Er übergab ihn an einen der Guards, die ihnen folgten, während die anderen bereits weitereilten. Weitere Wächter ergaben sich und wurden von den Guards gefesselt. Jarik achtete nicht weiter auf sie. Sein Blick war nach vorne gerichtet und er folgte Ioannis, als sie durch den Haupteingang ins Gebäude vordrangen.

Drinnen flogen die ersten Blendgranaten und explodierten. Gebrüll, Gekreische und Gebell mischte sich dazwischen. Nur am Rande nahm Jarik den prunkvollen Ballsaal wahr. Er konzentrierte sich lieber auf die beiden Männer in Anzügen, die von der Empore, die ihnen direkt gegenüber lag, mit Pistolen auf sie schossen. Er, Ioannis und der Rest ihrer Gruppe gingen im Garderobenbereich neben dem Eingang in Deckung. Mehrere Kugeln schlugen ein, wo sie eben noch gestanden hatten.
     „UNSF! AUF DEN BODEN!“, brüllten mehrere von Jariks Kameraden, die ihre Sturmgewehre auf die Männer oben gerichtet hatten.
     Aus einer Tür unter der Treppe zur Empore rechts neben der Bühne quoll ein halbes Dutzend Anzugträger mit Pistolen, die das Feuer eröffneten.
     Sie standen nicht lange. Gegen die schwer gerüstete UNSF-Mannschaft mit ihren Sturmgewehren hatten sie keine Chance. Blendgranaten ließ den Großteil der Männer im Erdgeschoss zu Boden gehen, ein paar gezielte Schüsse setzte einige außer Gefecht, der Rest ergab sich. Die Männer auf der Galerie traten die Flucht an und verschwanden im hinteren Abschnitt der Empore, wo sie von einem anderen UNSF-Team in Empfang genommen wurden.
     „Basis. Drohnen innen übernommen. Markiere weitere Hostiles und beginne Suche nach Leonie.“
     Auf Jariks HUD leuchteten die ersten roten Marker für die Hostiles auf. Dazwischen sah er immer wieder die grünen Punkte seiner Kameraden, die die Halle von anderen Stellen aus gestürmt hatten. Die Punkte der bereits gefangen genommenen Hostiles waren pink. Die Guards kümmerten sich um sie, legten ihnen Flexicuffs an und sammelten sie in einer Ecke, um sie dort zu bewachen und ihre Wunden zu versorgen, bis sie abgeholt wurden.
     Ioannis’ Team und Jarik eilten weiter. Das Erdgeschoss und die Empore waren soweit gesichert. Nun kam das Untergeschoss an die Reihe. Durch die Tür links neben der opulenten Bar, die gegenüber dem Eingang war, kamen sie in die Ladezone. Rechts neben ihnen war die Küche. Durch die geöffnete Tür konnten sie Guards sehen, die das gefesselte und fluchende Küchenpersonal bewachten. Links neben ihnen war die Laderampe. Ein halb ausgeladener Lkw, in dem sich Paletten mit Gemüse stapelten, stand dort mit offener Ladeklappe. Mehrere Männer saßen mit auf den Rücken gefesselten Armen an der Wand daneben und starrten die Guards die sie bewachten böse an.
     
Aidan und sein Team standen neben dem Lastenaufzug an der Kellertreppe. Keenans Team stieß aus der Küche zu ihnen.
     „Ioannis. Habt ihr Leonie schon gefunden?“
     „Basis. Nein. Aber wir sind mit einer Drohne im Keller, die zweite folgt gleich. Es sind zwei Stockwerke. Wirklich weit kommen wir aber nicht, die Türen sind zu. Von daher keine Ahnung, was euch erwartet.“
     „Ioannis. Verstanden.“ Er schaute zu Sykes. „Wir teilen uns dann auf. Keenan, eine Hälfte von deinem Team geht mit Aidan und Mirco ins erste Untergeschoss. Die andere kommt mit mir ins zweite.“
     Keenan nickte und machte sich dran, sein Team aufzuteilen. Er selbst, sein Hundeführer und zwei Weitere würden Ioannis begleiten, der Rest ging zu Aidan. Kaum waren alle verteilt, machte sich Ioannis’ Team auf den Weg nach unten. Aidans Team folgte ihnen zügig.
     Sykes, Rosi, Lasse und Hektor gingen voraus. Im zweiten Untergeschoss angekommen, standen sie vor einer verschlossenen doppelflügligen Stahltür. Jarik wartete ungeduldig, bis Dejan eine kleine Sprengladung daran angebracht hatte, um das Schloss zu knacken. Sykes und Lasse hielten ihren Hunden die Ohren zu. Es gab zwar keine große Explosion, aber der Knall hallte im Untergeschoss deutlich wieder.
     Kaum war das Schloss offen, riss Dejan die Tür auf und die beiden Hunde schossen hindurch. Sykes und Lasse rannten mit erhobenen Gewehren hinterher und der Rest folgte ihnen. Ioannis und Jarik bildeten zusammen mit Keenan und Ioannis’ Medics den Schluss.

Rechts von ihnen waren mehrere schwere Holztüren, links von ihnen eine Wand und ein breiter Durchgang. Jarik folgte Ioannis nach rechts in einen der Räume, die zu ihrem Glück nicht abgeschlossen waren. Darin befanden sich ein großes Bett, ein Schrank und daran angeschlossen ein kleines Bad. Ioannis übernahm das Bad, Jarik den Schrank. Als er ihn öffnete, starrte er auf ein fein säuberliches Sammelsurium an Seilen, Ledermanschetten, Peitschen und diversem Sexspielzeug. Schaudernd schloss er den Schrank.
     Da auch das Bad leer war, verließen sie den Raum wieder. Sie trafen sich im großen Nebenraum auf der linken Seite des Ganges. Dort waren Dutzende Käfige, die aussahen aus wie Hundezwinger. Der Boden war weiß gekachelt, genauso wie die Zwischenwände. Statt Hunden starrten ihm jedoch Jungen und Mädchen, Männer und Frauen unterschiedlichen Alters entgegen. Die meisten von ihnen waren nackt oder hatten nur Unterwäsche an.
     „Heilige Scheiße“, murmelte irgendwer.
     Jarik konnte ihm nur zustimmen. Fassungslos starrte er in die angsterfüllten Gesichter der Menschen in den Käfigen.
     „Sykes. Hey, Jarik! Wir haben sie!“, kam es über den Funk.
     Jariks Kopf ruckte hoch und er suchte Sykes auf dem HUD. Als er ihn gefunden hatte, eilte er zusammen mit Ioannis zu ihm. Keenan und die beiden anderen Medics folgten ihnen.

Durch eine Stahltür kamen sie in einen Raum mit blankem Betonboden und Wänden. Die Neonröhren über ihnen flackerten und brummten. In der Mitte des Raumes war ein Bereich mit Plastikplanen abgetrennt. Sykes hob ein Stück der Plane zur Seite, sodass er durchgehen konnte. Dahinter war ein Drahtkäfig, in dem Leonie auf einem Stuhl saß.
     Ihr Kopf war ihr auf die Brust gesunken, ihre Uniform war zerrissen und blutig. Jarik schluckte, als er durch die geöffnete Tür auf sie zuging und neben ihr auf die Knie sank. Vorsichtig strich er ihr die Haarsträhnen, die sich aus ihrem Dutt gelöst hatten, aus dem Gesicht. Auch sie waren blutverkrustet. Leonies Gesicht war angeschwollen und größtenteils dunkel verfärbt. Sie hatte mehrere Platzwunden.
     „Leo ...“, sagte Jarik gequält.
     Leonie keuchte leise.
     Sanft streichelte Jarik ihr über die Wange. „Leonie, wach auf.“
     „Jarik?“, murmelte sie.
     „Ja. Wir haben dich gefunden.“
     Sie keuchte wieder und stöhnte. „Wurde ja auch Zeit.“
     Kopfschüttelnd starrte Jarik sie an, während die anderen lachten.
     „Du bist echt der Hammer, so was kann wieder nur von dir kommen“, meinte Ioannis belustigt.
     Leonie brummte und hob den Kopf ein Stück an. „Wasser wäre super. Und der Stuhl wird unbequem.“ Sie klang heiser und kratzig.
     Keenan reichte Jarik eine Wasserflasche. Jarik setzte sie vorsichtig an Leonies aufgesprungene Lippen. Gierig trank Leonie einige Schlucke, bevor Jarik ihr die Flasche wieder wegnahm. „Langsam.“
     Leonie knurrte unwillig.
     „Komm, wir holen dich jetzt mal von diesem Stuhl“, sagte Ioannis.
     Während Ioannis sich daran machte, Leonies Fesseln durchzuschneiden, hielten Jarik und Keenan sie fest, damit sie nicht umkippte.
     Izan und Bastien, Ioannis’ Medics, entfalteten die Trage, die sie mitgebracht hatten. Vorsichtig hoben sie Leonie vom Stuhl und betteten sie darauf. Jarik kniete am Kopfende, streichelte Leonies Haare und versuchte, den Medics nicht im Weg zu sein. Ioannis stand hinter ihm und hatte Jarik die Hand auf die Schulter gelegt, während er Wache hielt.
     „Wie gehts den anderen?“, fragte Leonie besorgt. Sie klang, als hätte sie Sandpapier im Hals.
     Jarik lächelte. „Alle gesund und munter und vermissen dich wie sonst was. Wir haben uns Sorgen gemacht! Und Sal kommt durch.“
     Erleichtert schloss Leonie die Augen. „Dann ist gut.“
     „Puls schwach, aber regelmäßig“, sagte Keenan.
     Leonie öffnete ihre Augen wieder ein kleines Stück und sah ihn an. „Unkraut und so!“
     „Du machst mich fertig“, murmelte Keenan. „Ich weiß, du wirst mich doof finden, aber ich würd dich gern aus der Uniform bekommen, damit ich dich untersuchen kann.“
     Leonie schnaubte. „Wusste ich doch, dass du mir an die Wäsche willst.“ Sie keuchte. „Aber ich will nur noch da raus. Ich will gar nicht wissen, wie ich rieche.“
     Schmunzelnd schüttelte Keenan den Kopf. „Jedenfalls nicht nach Rosen.“
     „Eau de Güllegrube triffts wahrscheinlich besser“, murmelte Leonie.
     „Das hast du jetzt gesagt. Aber ich kann dir nicht wirklich widersprechen“, antwortete Keenan.
     Bevor er jedoch etwas machen konnte, raschelte der Plastikvorhang und Carolin Emery kam mit zwei ihrer Krankenpflegerinnen zum Vorschein. „Jungs, weg da! Lasst mal die Damen hier ran!“
     „Na gut. Gegen die Chefin hab ich keine Chance“, sagte Keenan belustigt und stand auf.
     „So ist es! Seht zu, dass wir hier ein bisschen Privatsphäre bekommen, muss ja nicht jeder Captain Brandt begaffen, wenn wir sie aus der Uniform schälen“, sagte Doc Emery bestimmt.
     Leonie gluckste. „Ich weiß, warum ich Sie mag, Doc!“
     Doc Emery zwinkerte ihr zu. Bis auf Jarik standen alle auf und begaben sich auf die andere Seite des Plastikvorhangs.
     Ungeduldig starrte Doc Emery Jarik an. „Sie auch, Captain! Geben Sie uns ein paar Minuten, bis wir Captain Brandt ein bisschen aufgehübscht haben, dann können Sie wieder zu ihr.“
     „Ist okay, Jarik. Bis gleich“, sagte Leonie.
     Jarik biss die Zähne zusammen.
     „Geh. Doc Emery passt schon auf mich auf“, murmelte Leonie.
     „Ich bin gleich hinterm Vorhang“, antwortete Jarik und stand widerwillig auf.

Jarik ging zu Ioannis, der auf der anderen Seite des Vorhangs stand und durch die Tür in den Nebenraum sah.
     „Kann ich dich ne Weile alleine lassen? Ich könnte die Medics drüben brauchen und muss mich um paar Sachen kümmern.“ Ioannis sah Jarik besorgt an.
     „Geh! Und wenn du Keller findest hau ihm von mir eine rein!“, antwortete Jarik.
     Ioannis grinste. „Ich schau mal, was ich tun kann.“ Er klopfte Jarik auf die Schultern und verschwand mit seinen beiden Medics und Keenan im Nebenraum.
     Unruhig tigerte Jarik vor dem Plastikvorhang auf und ab. Er lauschte den leisen Unterhaltungen von Leonie, Doc Emery und den beiden Pflegerinnen. Wann immer Leonie gequält ächzte, schauderte er und wäre am liebsten zu ihr geeilt, riss sich aber zusammen.
     Es dauerte gefühlt eine halbe Ewigkeit, bis Doc Emery ihn wieder zu Leonie rief.
     Unsicher spähte er durch den Plastikvorhang. Doc Emery lächelte ihn an und nickte ihn zu sich. „Sie dürfen wieder. Setzen Sie sich einfach ans Kopfende, dann sind Sie nicht im Weg.“
     Jarik nickte und kniete sich hin, sein Gewehr hatte er sich auf den Rücken geschoben, damit es nicht störte. Vorsichtig streichelte er über Leonies Haare.
     Sie hatten Leonie wie angekündigt aus ihrer Uniform geschnitten, die nun, zusammen mit einigen blutigen Tüchern, in einem zugeknoteten Plastikbeutel an der Seite lag. Leonie hatte ein sauberes und locker anliegendes Sportbustier bekommen, das vorne einen Reißverschluss hatte. Untenherum trug sie nun eine Jogginghose, deren seitliche Knöpfe aktuell noch geöffnet waren und Blick auf ihre völlig blauen Oberschenkel gab. Auch ihr Bauch und ihre Arme waren ein einziger Bluterguss. In ihrer Hand steckte eine Infusion. Die Platzwunden im Gesicht waren mit kleinen Schmetterlingsbandagen geklebt.
     Jarik beugte sich über Leonie und legte beide Hände vorsichtig an ihre Wangen. „Es tut mir leid“, flüsterte er.
     „Was? Warum?“, fragte Leonie verwirrt.
     „Weil wir dich in der Schweiz nicht retten konnten und so lange gebraucht haben, dich zu finden. Wenn du das Notsignal nicht geschickt hättest, wir hätten Wochen gebraucht.“ Jariks Stimme brach.
     Leonie schnaubte. „Was hättest du machen sollen? Aven opfern? Oder die anderen? Garantiert nicht! Und mit hätte, könnte, sollte halten wir uns erst gar nicht auf! Ihr habt mich gefunden! Ich lebe noch! Und damit ist gut! Du hast gemacht, was du konntest!“
     Seufzend streichelte Jarik weiter über Leonies Wangen. „Trotzdem sorry.“ Vorsichtig küsste er ihre Stirn.
     „Halten wir uns dran fest, dass alles gut gegangen ist.“ Leonie drehte den Kopf zu Doc Emery. „Hey, Doc, wie gehts Sal?“
     „Solange keine Komplikationen dazwischen kommen, stehen die Chancen gut, dass er auch wieder in den Einsatz zurückkann.“ Doc Emery zwinkerte. „Heute Morgen hat er zumindest brav sein Frühstück gegessen und blöde Witze gerissen.“
     „Ein Glück“, antwortete Leonie erleichtert.
     „Ja. Und jetzt schauen wir, dass wir Sie auch noch hier raus und auf die Beine bekommen“, sagte Doc Emery.
     Fragend sah Leonie zu ihr. „Meinen Sie, dass ich auch hier rauslaufen kann?“
     Nachdenklich musterte Doc Emery Leonie. „So als Mittelfinger an die Idioten da draußen?“
     Leonie nickte, während Jarik besorgt aussah.
     Doc Emery überlegte kurz, tippte auf ihrem Tablet herum und nickte dann. „Ich denke, das bekommen wir hin. Wir tapen Ihnen die Rippen und ich hab da noch so das ein oder andere in meiner Ampullenbox das hilft.“ Sie zwinkerte und begann in ihrer Tasche zu kramen.

Kurz darauf waren Leonies dunkel verfärbte Rippen quietschbunt getapet, ihre Knie und Handgelenke bandagiert und Jarik half ihr in eine weite Uniformjacke. Eine der Pflegerinnen steckte Leonie einfache Stoff-Slipper an die Füße und schloss die seitlichen Knöpfe von Leonies Jogginghose.
     Doc Emery injizierte Leonie etwas über den Port, der in ihrer Hand steckte, wartete kurz und klemmte dann die Infusion ab. „Die bekommen Sie oben gleich wieder.“
     Erleichtert lächelte Leonie sie an. „Was auch immer das war, danke!“
     „Das gute Zeug!“, antwortete Doc Emery belustigt. „Na dann auf mit Ihnen.“     

Vorsichtig ließ sich Leonie von den beiden Pflegerinnen beim Aufsitzen helfen. Jarik beäugte das Ganze kritisch.
     „Schau nicht so böse“, sagte Leonie.
     „Tu ich doch gar nicht“, grummelte Jarik.
     Alle vier Frauen grinsten ihn an.
     „Hmpf!“, murmelte Jarik. „Ich mach mir halt Sorgen!“
     Leonie lächelte. „Und ich liebe dich dafür!“
     Gequält sah Jarik Leonie an und beugte sich zu ihr. „Ich liebe dich auch. Daher wäre es nett, wenn du nicht wieder verschwindest“, murrte er leise und küsste sie vorsichtig.
     „Ich bemühe mich“, antwortete Leonie. „Und jetzt komm! Ich will hier raus und nach Hause!“
     Jarik stand auf und stellte sich an die Seite, damit er den beiden Pflegerinnen, die Leonie beim Aufstehen halfen, nicht im Weg war.
     Doc Emery beobachtete sie ganz genau. „Der Puls sieht okay aus. Wie fühlen Sie sich?“
     „Beschissen! Aber ich glaube, paar Meter schaffe ich“, antwortete Leonie mit zusammengebissenen Zähnen.
     „Wir nehmen den Aufzug oder ich trag dich die Treppe rauf“, sagte Jarik bestimmt.
     Leonie nickte nur. Mit Jarik auf der einen und einer der Pflegerinnen auf der anderen Seite, machten sie sich auf den Weg nach draußen.      

Sie kam an den Käfigen vorbei, in denen die Gefangenen immer noch saßen und verängstigt das Treiben draußen beobachteten. Sie waren scheinbar nicht offensichtlich verletzt und hatten Essen, Trinken und Kleidung bekommen. Aus Sicherheitsgründen würden sie aber erst herausgelassen und weiter versorgt werden, wenn das restliche Gebäude geräumt war.
     Entsetzt schnappte Leonie nach Luft und ächzte dann gequält. „Was zum ...?“, murmelte sie.
     „Das ist hier scheinbar einer der größeren Umschlagplätze“, antwortete Jarik leise.
     Leonie schüttelte den Kopf. „Was für Arschlöcher!“
     „Du sagst es. Ich hoffe, die haben die Idioten bald alle raus und können sich dann um die Gefangenen kümmern.“ Jarik sah sich angewidert um und streichelte Leonie über den Rücken.     

Langsam gingen sie weiter. Als Jarik und Leonie in den Flur traten, schaute Daniel Keller, der mit auf dem Rücken gefesselten Händen neben Aidan kniete, auf und sein Gesicht verzog sich zu einer hasserfüllten Grimasse.
     „Du dreckiges Miststück!“, brüllte Keller. Er sprang auf und rannte auf Leonie zu.
     Jarik ließ Leonie los, schob sich vor sie und hob dann das Bein. Die Wucht von Jariks Oberschenkel, der auf Kellers Bauch traf, trieb Keller sämtliche Luft aus den Lungen und ließ ihn zurückstolpern. Keller fiel auf den Boden und rutschte noch einen Meter weiter nach hinten, bevor er sich stöhnend zusammenrollte. Jarik hatte derweil sein Gewehr vom Rücken nach vorne gezogen und hielt es nun sicher in den Händen. Er richtete es auf Keller und drückte ihm den Lauf hart auf die Brust.
     Keller, der scheinbar völlig jenseits von gut und böse angekommen war, fing an zu lachen. Keuchen mischte sich mit darunter, hielt ihn aber nicht davon ab, weiter vor sich hinzugackern. „Ach Soldier-Boy. Als ob du mir irgendwas tun könntest!“, sagte Keller auf Deutsch.
     Jarik musterte ihn einige Sekunden lang kalt und fing dann an, breit und böse zu grinsen. Mit absichtlich schwerem russischen Akzent antwortete er ebenfalls auf Deutsch. „Oh glaub mir, Arschloch! Wenn sie mit dir fertig sind, wirst du dir wünschen, dass ich so gnädig gewesen wäre und dir das Hirn rausgeblasen hätte! Wahrscheinlich noch lange vorher!“
     Unsicherheit schlich sich in Kellers Züge.
     „Ich meine in so einem Bunker gibt es viele dunkle Ecken, da kann schon hier und da das ein oder andere passieren. Und niemand hat was gesehen. Wir könnten deine Gefangenen da drüben ja mal fragen, was du so mit ihnen angestellt hast. Ich bin mir sicher, der ein oder andere von ihnen hätte garantiert nichts dagegen, sich zu revanchieren!“ Jarik lächelte Keller fröhlich an.
     Der Geruch von Urin breitete sich aus und Keller war kreidebleich geworden. Mit aufgerissenen Augen starrte er Jarik an.
     Jarik hob seine Waffe und machte einen Schritt zurück. Er zwinkerte Keller zu. „Ich würde aufpassen, wenn es dunkel wird!“ Er drehte sich um, ging zurück zu Leonie und legte ihr den Arm um die Taille. „Komm! Wir überlassen den Abschaum anderen.“

Im Aufzug drehte Leonie sich zu Jarik und musterte ihn amüsiert. „Man merkt, dass du Recon bist. Das war ja wirklich Mindfuck der besten Art.“
     Jarik grinste. „Wenn ich ihm schon nichts tun darf, kann ich ihm wenigstens ein bisschen Angst machen. Er kann ja aktuell noch nicht wissen, dass das völliger Unsinn war. Und der hat sich ein paar Tage schlechten oder gar keinen Schlaf so was von verdient.“
     Doc Emery lachte. „Der hätte noch so einiges mehr verdient! Aber sein Gesicht!“
     Auch die beiden Pflegerinnen grinsten vor sich hin.
     „Und wie er sich in die Hose gemacht hat! Danke dafür!“, sagte Leonie und drückte sich an Jarik.
     „Für dich immer wieder gerne“, antwortete Jarik und küsste ihre Stirn.
     Leonie schmunzelte. „Und du wunderst dich, warum alle immer denken, du wärst so ein Mafia-Gangster.“
     „Keine Ahnung, wovon die reden? Ich bin doch ganz nett?“ Jarik sah Leonie unschuldig an. Sie schüttelte nur amüsiert den Kopf.     

Sie traten aus dem Aufzug und Leonie sah sich aufmerksam um. Als sie im Veranstaltungssaal ankamen, musterte Leonie die Gefangenen, die vor der Bühne auf dem Boden knieten.
     „Hey, da sind ja auch Schläger eins und Schläger zwei“, murmelte sie.
     Jarik drehte den Kopf zu ihr und sah sie fragend an. „Wer?“
     „Kellers Schläger, die mich so zugerichtet haben. Du glaubst doch nicht, dass der sich selber die Hände dreckig gemacht hätte.“ Leonie schnaubte.
     „Welche waren es?“, fragte Jarik mit zusammengebissenen Zähnen.
     Leonie deutete auf sie und beide wurden bleich.
     „Hey, Ioannis?“, rief Jarik.
     Ioannis sah auf und ihn fragend an. „Was denn?“
     „Leonie hat die beiden Schläger erkannt, wegen denen sie so aussieht. Ich glaube, die haben sich ne extra Behandlung verdient. Meinst du nicht auch?“, fragte Jarik grinsend.
     Nachdenklich sah Ioannis die beiden Männer an, auf die Leonie deutete, und nickte dann lächelnd. „Ich denke, da lässt sich was machen.“
     „Wir sind dann mal weg. Viel Spaß!“ Jarik hob die Hand zum Salut und begleitete Leonie dann weiter nach draußen.     

Drei Mevacs standen mittlerweile mit etwas Abstand voneinander um das Gebäude herum. Sie gingen darauf zu.
     „Du hast heute echt deinen Mindfuck-Tag, oder?“, fragte Leonie amüsiert.
     „Hast du dich mal angeschaut? Wenn ich könnte, wie ich wollte, würd ich es garantiert nicht bei Mindfuck belassen! Aber man nimmt, was man kriegen kann“, antwortete Jarik und seufzte.
     „Kommen Sie, Captains. Das da ist unserer“, sagte Doc Emery und zeigte auf den Mevac, der ihnen am nächsten war.
     Vorsichtig half Jarik Leonie die Rampe hinauf und dann, sich auf die Liege zu legen.
     Erleichtert seufzte Leonie und schloss erschöpft die Augen, als ihr Kopf auf dem Kissen ruhte. „Das tut gut.“
     Jarik setzte sich auf den Platz an ihrem Kopfende und streichelte Leonies Haare.
     Auf einer der anderen Tragen saß einer ihrer Kameraden aus 3-507 mit einem bandagierten Knöchel und las etwas.
     Doc Emery hängte Leonie die Infusion wieder an und schnallte Leonie auf der Trage fest. „So, wir fliegen dann los. Es sind noch mehrere Mevacs für die Gefangenen hierher unterwegs und ich will Sie so schnell wie möglich in der Krankenstation haben, Captain.“
     Die beiden Pflegerinnen und Doc Emery schnallten sich für den Start an ihren Sitzen fest und auch Jarik schloss seine Gurte.
     Einige Minuten später waren sie in der Luft und flogen nach Hause.

Kurz nachdem der Mevac abgehoben hatte, schliefen Jarik und Leonie vor Erschöpfung ein. Jarik, der am Kopfende von Leonies Trage saß, hatte seine Hand auf ihre Schulter gelegt.
    Doc Emery weckte Jarik sanft, als sie landeten. „Gehen Sie sich umziehen, essen Sie in Ruhe was und dann können Sie zur Krankenstation kommen.“
    Jarik rieb sich noch etwas verschlafen übers Gesicht und nickte. „Gute Idee, Doc.“
    Sie grinste breit. „Ich hab meistens gute Ideen.“
    „Da werde ich jetzt nicht widersprechen“, antwortete Jarik amüsiert.
    „Schlauer Mann!“ Doc Emery zwinkerte ihm zu.
    Jarik beugte sich zu Leonie und strich ihr sanft über die Wange. „Leo?“
    „Hm? Jarik?“, murmelte sie, ohne die Augen aufzumachen.
    „Ja, genau der. Doc Emery hat mir aufgetragen, mich umzuziehen und was zu essen. Ich nehme an, dass ich eh nicht bei den Untersuchungen dabei sein kann. Wenn du aber irgendwas brauchst, pieps mich an. Ansonsten komm ich nach dem Essen rüber.“ Jarik nahm Leonies Hand und küsste ihre Knöchel.
    Leonie blinzelte. „Nach dem Essen reicht. Schläfst du bei mir?“
    Doc Emery grinste. „Ich bin mir sicher, dass wir ein Bett für ihn finden.“
    „Okay. Dann bis später.“ Leonie machte die Augen wieder zu.
    Jarik küsste ihre Stirn. „Bis später.“    

Jarik verließ den Mevac und machte sich auf den Weg zu den Wohnhäusern. Mit einem der selbstfahrenden Kleinbusse ließ er sich zum Wohnbereich der Basis bringen und lief dann die letzten Meter.
    Er zog seine Stiefel aus, warf sie in die Stiefelkiste neben der Tür und danach seine Uniform in die Kisten daneben. Er griff sich seine Waffen und eilte in Socken, Unterwäsche und T-Shirt die Treppe nach oben. Im dritten Stock angekommen, hielt er sein Handgelenk an den Leser neben der Tür zum Vorraum.
    Gian kam grade aus dem Teamraum und sah ihn freudig an. „Na schon wieder da?“
    „Jupp. Ich will eben duschen, mir was anziehen, was Essen und dann geh ich rüber zu Leonie. Ich bring euch beim Essen auf den Stand“, antwortete Jarik.
    „Mach das. Ich hab Bolognese gemacht und Toni hat Mandeltorte gebacken. Ich glaube, du kannst die Kalorien ganz gut vertragen“, sagte Gian.
    Begeistert grinste Jarik. „Ihr seid die Besten! Bis gleich!“
    „Stets zu Diensten!“ Gian zwinkerte ihm zu und ging zurück in den Teamraum.
    Jarik hielt sein Handgelenk wieder an den Leser, zog die Zwischentür zum Flur auf und wiederholte das Spiel dann nochmals an seiner Wohnungstür. Als er sie hinter sich zugemacht hatte, schloss er das Gewehr und seine Pistole in den Waffentresor im Flurschrank.
    Er zog sich seine restlichen Sachen aus und warf sie in den Wäschekorb im Bad. Seufzend machte er das Wasser in der Dusche an und stellte sich darunter, als es warm genug war. Jarik schloss die Augen, legte den Kopf nach hinten und ließ das Wasser das Gefühl von Dreck und Ekel wegspülen, das er hatte, seit er die Käfige und ihre Insassen gesehen hatte. Und Leonie so zu sehen, an den Stuhl gefesselt, blutig, zusammengesunken und misshandelt, hatte das Gefühl nur verstärkt.
    Aber er war glücklich, dass sie noch lebte. Das war auch das Einzige gewesen, was ihn davon abgehalten hatte, Keller zu Matsch zu verarbeiten. Hätten sie Leonie nicht mehr lebend gefunden, Keller hätte das Haus in einem Leichensack verlassen. Die Konsequenzen wären Jarik egal gewesen.
    Jarik schob die trüben Gedanken von sich weg und konzentrierte sich darauf, dass Leonie wieder da war. Und bei Doc Emery war sie in besten Händen.
    Er schüttelte den Kopf und wischte sich das Wasser aus dem Gesicht, um sein Duschgel zu finden. Nachdem er sich gründlich eingeseift und abgewaschen hatte, schnappte er sich sein großes und flauschiges Lieblingshandtuch, trocknete sich ab und stapfte ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen.    

Kurz darauf saß Jarik mit dem Rest des Teams am Tisch im Teamraum und aß die Spaghetti mit Bolognese, die Gian gekocht hatte. Merita saß zwischen Jariks Beinen und hatte ihren Kopf auf seinem Oberschenkel abgelegt. Er selbst saß zwischen Gian und David.
    „Wie gehts Leonie?“, fragte Aven.
    Jarik kaute seine Nudeln und schluckte dann. „Zumindest psychisch scheinbar halbwegs okay, aber die haben sie echt übel bearbeitet. Fast ihr ganzer Körper ist blau, Rippen mindestens angeknackst und was weiß ich noch alles. Ich bin froh, dass Doc Emery mit dabei war. Bei der ist sie wenigstens in den besten Händen.“
    „Das ist gut. Ich hoffe mal, dass sie keine bleibenden Schäden hat“, murmelte Marc besorgt.
    „Da sind wir schon zwei.“ Jarik seufzte. „Aber ich bin froh, dass wir sie überhaupt zurückholen konnten. Keine Ahnung, was ich gemacht hätte, wenn sie nicht lebend aus dem Keller gekommen wäre.“
    Gian legte Jarik den Arm um die Schultern und drückte ihn an sich. „Denk am besten erst gar nicht drüber nach. Sie ist wieder da und sie lebt.“ Er knetete Jariks Schulter, der sich an ihn lehnte. „Aber war schön, wie sich Keller in die Hose gepinkelt hat.“
    Erstaunt sah Jarik ihn an. „Woher weißt du?“
    „Wir haben aus der Einsatzzentrale zugeschaut. Sammy hatte uns reingelassen. Die Videoaufnahmen von Leonie haben sie aber ausgeblendet, keine Sorge“, sagte Toni.
    Aven schmunzelte. „Ich glaube, Keller wird noch sehr sehr lange ganz komisch schauen, wenn plötzlich irgendwo das Licht ausgeht.“
    Die anderen lachten leise. Auch Jarik musste grinsen. „Ich hoffe es doch.“    

Als die Schüsseln mit Spaghetti und Bolognese restlos ausgeputzt waren, holten Toni und Aven die Mandelkuchen. Toni verteilte die Stücke auf die Teller, damit alle etwas abbekamen. Jarik grinste, als er sah, wie alle brav auf ihr Stück Kuchen warteten. Das Team hatte lange gelernt, dass sie nichts bekamen, wenn sie meinten, sich selbst zu bedienen.
    „Du gehst gleich rüber zu Leonie, oder?“, fragte Cam.
    Jarik nickte mit vollem Mund. „Hmhm.“
    „Was denkst du, wann wir sie besuchen können?“ Rico sah ihn verlegen an.
    „Kann ich euch wahrscheinlich morgen sagen. Ich geh gleich rüber. Doc Emery hat mir ein Bett bei Leonie versprochen. Ich nehme an, die Dienstaufsicht und die Chefs wollen auch noch mit ihr reden, vielleicht übermorgen?“, antwortete Jarik.
    Aven schniefte. „So lange?“
    „Wenn da morgen die halbe Chefetage durchrennt, dürfte sie viel zu müde sein, um noch irgendwas zu machen. Ich sag ihr auf jeden Fall, dass ihr sie ganz doll vermisst.“ Jarik lächelte Aven an.
    Wieder schniefte Aven und zog eine Schnute. „Na gut. Will ja nicht, dass mein Schwesterherz überbeansprucht wird.“
    Fee zog Aven an sich und legte ihm den Kopf auf die Schulter. „Du darfst sie schon noch früh genug wieder in den Wahnsinn treiben.“
    „Würd ich doch niemals machen“, murmelte Aven, grinste dann aber.
    Jarik prustete los. „Du? Natürlich nicht. Glaub ich dir sofort. Nicht!“
    „Pah! Du weißt meine Aufmunterungsversuche einfach nur nicht zu schätzen“, antwortete Aven gespielt empört.
    Das Team lachte und Fee gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Alles Frevler.“
    Aven strahlte sie an. „Wenigstens eine die mich liebt!“
    Amüsiert beobachtete Jarik sein Team, das nun wieder munter durcheinander schwatzte, und entspannte sich langsam. Nebenbei kraulte er Merita die Ohren, die die Streicheleinheiten mit geschlossenen Augen genoss und leise brummte. Auch Rico hatte sich mittlerweile eingefunden. Fee hatte ihn lachend im Schwitzkasten und rieb ihre Knöchel über seinen Kopf. Als sie Rico wieder losließ, waren seine Wangen rot und er grinste breit. Sie kabbelten sich über irgendwelche Chipssorten.
    Neben Jarik zog David ein kleines gehäkeltes Bärchen aus der Brusttasche seiner Uniform. „Von Elin für Leonie“, sagte er leise und hielt es Jarik hin.
    Dieser nahm es lächelnd an. „Danke, da wird sie sich sicher drüber freuen.“ Jarik steckte das Bärchen so in seine Brusttasche, dass der Kopf noch herausschaute. „Wo sind eigentlich Elin und Nate?“
    „Die sind grad mit Ben und Jasmin im Gästehaus und helfen Ben beim Überlegen, was er mit Götz Financials macht. Ich glaube, aktuell steht hoch im Kurs, dass er das ganze in eine Finanzberatung für gemeinnützige Stiftungen umwandeln will“, antwortete David.
    Jarik nickte. „Klingt doch eigentlich nach ’ner guten Idee.“
    „Jupp. Aber ist wohl verdammt viel Arbeit und sie wollten in Ruhe planen. Nate ist mit rüber, um ein Auge auf sie zu haben. Wobei es mich nicht wundern würde, wenn Nate und Ben sich am Ende irgendwie zusammenschließen, um auch Sicherheitsleistungen für soziale Einrichtungen anzubieten.“ David grinste.
    „Hm. Ich glaube, Netti würde sich über so eine Unterstützung garantiert freuen. Und es würde den Bewohnern vermutlich auch helfen, sich sicherer zu fühlen. Gefällt mir.“ Jarik lächelte.      

Nachdem Jarik sein zweites Stück Kuchen verputzt hatte, stand er auf und streckte sich. „So. Ich geh mal rüber zu Leonie und hoffe, dass sie nicht allzu maulig von den ganzen Untersuchungen ist.“
    Gian lachte. „Wenn wir dich vor einer tobenden Löwin retten sollen, schick einfach ein Notsignal.“
    Schmunzelnd schüttelte Jarik den Kopf. „Lass das bloß nicht die Chefin hören, sonst frisst sie dich wahrscheinlich.“
    „Ach, du magst mein Essen viel zu sehr, um mich zu verpetzen!“ Gian grinste und Jarik fing schallend an zu lachen.      

Immer noch grinsend verabschiedete Jarik sich von allen und machte sich auf den Weg zur Krankenstation, wo er sich zu Leonies Zimmer durchfragte. Sie war nicht da, also war sie wohl noch bei einer Untersuchung. Im gemütlich eingerichteten Raum stand neben zwei Sesseln und einem Tisch nur ein Bett, auf dem eine Packung Schokokekse lag, der zweite Platz war leer.
    Amüsiert zog er die Stiefel aus, holte sein kleines Tablet aus einer der vielen Taschen seiner Uniformhose und setzte sich aufs Bett. Er schnappte sich die Kekspackung, legte sich bequem auf die Decke und verband sein Tablet dann mit dem Fernseher, um es als Fernbedienung zu nutzen.
    Er suchte sich eine Naturdoku heraus und knusperte seine Kekse, während er auf Leonie wartete.    

Als die Tür nach einer Weile aufging, blinzelte er und setzte sich auf. Er war wohl weggedöst. Die leere Kekspackung lag auf dem Tischchen neben dem Bett.
    Eine sehr grummelige Leonie wurde von einer amüsiert grinsenden Pflegerin auf ihrem Bett ins Zimmer geschoben.
    „Na, fertig?“, fragte Jarik und stand auf.
    „Hmhm“, brummte Leonie. „Zum Glück, ich war kurz davor, irgendwen zu erschlagen.“
    Die Pflegerin, die das Bett schob, grinste noch breiter. Jarik erkannte sie wieder, es war eine der beiden Pflegerinnen, die Doc Emery geholfen hatten, sich um Leonie zu kümmern. „Nu stell dich nicht so an. Ich bring dir sogar morgen ein paar Zitronenkekse zum Frühstück.“
    Leonie knurrte. „Du wärst auch angepisst, wenn dich zwanzig Leute ständig dieselben Sachen fragen würden. ‚Wie fühlen Sie sich?‘, ‚tut das weh, wenn ich hier drücke?‘. Ja natürlich tut das weh, wenn du auf meinen kaputten Rippen rumdrückst, du Arsch!“, maulte Leonie vor sich hin.
    Jarik schmunzelte und Leonie sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Ich sag doch gar nix!“, murmelte er und nahm vorsichtig ihre Hand.
    „Hmhm. Besser ist das!“ Leonie schnaubte. „Nadica? Bekomm ich jetzt endlich das gute Zeugs?“, quengelte sie.
    Nadica lachte. „Jupp. Einmal Vollrausch kommt sofort.“ Sie nahm eine kleine Spritze und eine Ampulle aus der Tasche, die am Fußende von Leonies Bett befestigt war. Sie prüfte gewissenhaft das Etikett, zog die Spritze auf, klopfte die Luftblasen heraus und injizierte den Inhalt dann in Leonies Infusionsschlauch.
    „Ooooh, das ist gut“, murmelte Leonie und grinste. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann war sie eingeschlafen.

Jarik setzte sich vorsichtig auf Leonies Bett und streichelte ihr sanft übers Gesicht. Nadica lächelte ihn von der anderen Seite des Bettes aus an.
    „Sie wird wieder“, sagte sie leise.
    „Was sagen die Docs?“, fragte Jarik und setzte den Häkelbären von Elin auf Leonies Tischchen.
    Nadica zog ihr Tablet heraus, um in Leonies Akte nachzuschauen. „Ah. Hier. Schwere Gehirnerschütterung, Dehydratation, die ganzen Hämatome hast du ja gesehen, vier angeknackste Rippen und mehrere geprellte. Sie hat eine geprellte Niere, aber glücklicherweise keine Risse oder andere innere Verletzungen und auch keine Hinweise auf Hirnblutungen oder sonstige Schäden. Die Platzwunden sind alle gereinigt und geklebt, die Rippen getapt und wir haben ein paar größere Hämatome punktiert, damit sie schneller abheilen.“ Sie seufzte. „Alles in allem hat sie aber verdammt viel Glück gehabt. Ja, sie hat heftige Schmerzen, aber die haben wir im Griff und sie sollte in paar Wochen wieder fit sein.“
    Erleichtert stieß Jarik die Luft aus.
    „Du solltest dich auch gleich hinlegen und schlafen. Du siehst ziemlich fertig aus.“ Nadica zwinkerte ihm zu.
    „So fühl ich mich auch. Wie einmal vom Lkw überfahren und danach ist noch eine Dampfwalze drüber gerollt.“ Jarik seufzte.
    Nadica lächelte ihn an. „Was hältst du davon, wenn ich euch die Betten zusammenschiebe, sodass du heute Nacht Händchen halten kannst? Kuscheln wird nicht drin sein, dafür hat sie zu viele Hämatome. Aber ich denke, ein bisschen Kontakt wird euch beiden guttun.“
    Dankbar nickte Jarik. „Das klingt gut. Dankeschön.“ Er setzte sich auf einen der beiden Sessel, damit er Nadica nicht im Weg war.
    „Nur das Beste für euch. Wir brauchen euch putzmunter, da darf man auch bisschen was in die Pflege investieren.“ Nadica hantierte mit den Betten, schob sie zusammen und arretierte sie, damit sie nicht auseinander rutschen konnten. „So der Herr, einmal ein großes Doppelbett. Falls ihr irgendwas braucht, einfach klingeln. Leonies Sensoren sind auch mit dem System verbunden, sollte was sein, bekommen wir einen Alarm im Schwesternzimmer. Du brauchst also nicht aufpassen, jetzt sind wir dran.“ Sie zwinkerte ihm zu und ging zur Tür. „Gute Nacht!“
    „Dankeschön! Und gute Nacht.“ Er sah Nadica nach, als diese das Zimmer verließ und die Tür hinter sich zuzog. Jarik zog seine Uniform und Socken aus, legte beides auf dem Sessel aus und schlüpfte in T-Shirt und Boxer-Shorts in sein Bett unter die Decke. Es war grade mal acht Uhr abends, aber er war hundemüde. Er griff nach Leonies Hand, die neben ihr auf dem Bett lag, und machte die Augen zu. Es dauerte nur wenige Sekunden, da war er eingeschlafen.
 

***


Am nächsten Morgen kamen Aidan, Ioannis und Div Emery nach dem Frühstück, mit den von Nadica versprochenen Keksen, in Leonies Zimmer. Jarik hatte Leonie geholfen, sich auf dem Bett etwas zurechtzusetzen, und hatte sich dann ebenfalls auf seinem Bett ausgestreckt. Ioannis und Div Emery nahmen die beiden Sessel, Aidan setzte sich einfach auf den Tisch und baumelte mit den Beinen.
    „Schön, dass wir dich wiederhaben“, sagte Ioannis lächelnd.
    Leonie grinste ihn und die anderen beiden Männer müde an. „So leicht werdet ihr mich nicht los.“ Sie spielte mit Elins Häkelbärchen, das sie beim Frühstück entdeckt hatte.
    Unglücklich sah Jarik zu ihr. Leonies Gesicht schillerte in allen Farben und war geschwollen. Sanft drückte Leonie seine Hand.
    „Und das ist auch gut so! Wie fühlen Sie sich?“, fragte Emery.
    „Als hätte mich eine Dampfwalze überfahren, Sir“, antwortete Leonie.
    „Gut, dass Sie gewonnen haben und nicht die Dampfwalze.“ Emery lächelte.
    Aidan und Ioannis lachten leise.
    Leone grinste. „Danke, dass Sie mich da rausgeholt haben.“
    „Nicht ich. Ihre Kameraden. Und ich denke, viele Menschen und Familien dürften Ihnen verdammt dankbar sein“, antwortete Emery.
    Irritiert sah Leonie ihn an. „Warum? Ich hab doch nichts gemacht.“
    „Immer so bescheiden.“ Emery schüttelte amüsiert den Kopf. „Sie haben in dieser Situation einen kühlen Kopf bewahrt, haben Ihr Notsignal geladen und aktiviert und somit vielen Menschen das Schicksal erspart, verkauft zu werden.“
    „Wie viele?“, fragte Leonie.
    Ioannis rieb sich übers Gesicht. „In den 64 Käfigen waren 97 Menschen im Alter zwischen 4 und 26.“
    Leonie keuchte. „Vier Jahre?“
    „Hmhm. Die meisten waren unter achtzehn.“ Ioannis seufzte. „Wir haben im Kellergeschoss über dir einige Server gefunden. Was die Analysten und Techies da rausgezogen haben sieht richtig gruselig aus.“
    „Na los.“ Leonie sah ihn aufmerksam an.
    Ioannis atmete durch. „Wir haben Auktionsdaten gefunden. Sie haben da in den letzten Jahren Tausende Menschen verkauft. Und nicht nur als Haussklaven, sondern auch für Organe, Snuff-Spiele, und was weiß ich noch alles. Zudem haben sie in den ‚Schlafzimmern‘ wohl auch diverse Livestreams und Videos für den Verkauf produziert. Intelligence nimmt die Hütte grad auseinander und sammelt alles ein, was sie finden können.“
    „So makaber es klingt. Intelligence war begeistert, was sie da alles ausgegraben haben. Sie grade mal einen Bruchteil angeschaut und das scheint ne wahre Goldgrube zu sein. Die waren sich wohl sehr sicher, dass niemand den Laden findet. Keller wird auf jeden Fall in Einzelhaft und Dauerüberwachung bleiben. Sobald seine Chefs rausfinden, was er mit seinen Rachegelüsten angestellt hat, ist der so was von tot. Und ich bin mir sicher, sie werden es denkwürdig machen.“ Aidan schauderte.
    Jarik schnaubte. „Er hats ja nicht besser verdient. Aber ich will nicht wissen, was passiert, wenn jemand an ihn rankommt, wenn er bei uns in der Zelle sitzt. Das dürfte riesig Ärger geben.“
    „Ich will gar nicht drüber nachdenken. Deswegen fliegt er in zwei Stunden nach Den Haag, da ist er aus unserer Verantwortung. Soll sich der UN Gerichtshof um ihn kümmern. Die wissen schon, dass er ein High-Risk-Gefangener ist“, sagte Emery.
    Leonie brummte zustimmend und spielte mit ihrem Häkelbärchen. Langsam wurde sie müde. „Gibts eigentlich schon Neuigkeiten zum Maulwurf und so was? Und wie haben die mich eigentlich wegbekommen?“
    „Willst du oder soll ich?“, fragte Ioannis.
    Sanft streichelte Jarik Leonies Hand und drückte sie leicht. „Mach du!“
    Ioannis seufzte. „Jelena war einer der Maulwürfe.“
    Leonie riss die Augen auf und starrte Ioannis fassungslos an. „Jelena? Ernsthaft?“
    „Jupp.“ Ioannis seufzte wieder. „Aber sie ist ziemlich sicher nicht die Einzige. Dein Sender wurde im System deaktiviert, heißt, mindestens ein Techy ist auch mit drin oder irgendwer weiter oben. Allerdings haben sie sich viel Mühe gegeben, ihre Spuren zu verwischen. Sie haben dich einfach zum Auto getragen und sind weggefahren.“
    „Die Dienstaufsicht ist hier mit ner halben Footballmannschaft aufgeschlagen und nimmt grade alles auseinander. Die wollen auch noch mit Ihnen reden. Ich hoffe, die finden diese Arschlöcher! Es ist ein ekliges Gefühl, nicht zu wissen, wer einen auf Freund macht, nur um einem dann bei der nächsten Gelegenheit mit dem Messer in den Rücken zu springen!“ Emery ballte die Hände zu Fäusten.
    Aidan drückte ihm beruhigend die Schulter. „Chill, Dad. Die finden die Maulwürfe.“
    Frustriert schnaubt Emery. „Ich hoffe bald! Ich bin mir sicher, auch die Aktionen in Spanien, Stockholm und die Bomben in den Schleusen gehen auf deren Kappe! Und die Dienstaufsicht sollte aufpassen, dass ich die nicht in die Finger bekomme!“, grollt er.
    „Nope, Will! Das sind die Arschlöcher einfach nicht wert! Wir brauchen unseren Chef! Wage es bloß nicht, uns für die sitzen zu lassen!“ Ioannis sah Emery scharf an.
    Emery seufzte leidend. „Du gönnst einem wieder gar nichts.“ Er schüttelte den Kopf. „Hoffen wir, dass du neben mir stehst, wenn sie diejenigen finden und mir dabei hilfst, sie nicht umzubringen.“
    Aidan tätschelte Emery den Rücken. „Ich wäre dir auch sehr verbunden, wenn du dich zusammenreißen könntest.“
    „Ihr seid eindeutig zu vernünftig. Aber gut, ich bemühe mich.“ Emery sah zu Jarik und Leonie, die den Austausch interessiert beobachtet hatten. „Und Sie sehen zu, dass Sie sich in Ruhe erholen. Nehmen Sie sich die Zeit! Keine voreiligen Turneinlagen oder anderen Unsinn! Ich weiß, dass es beschissen ist, im Bett herumzuliegen! Aber ich brauche Sie in Topform und das wird nichts, wenn sie sich zu früh ins Training werfen.“ Er sah Leonie streng an.
    „Ja, Sir. Ich bemühe mich“, antwortete Leonie ernst.
    In diesem Moment ging die Tür auf und Doc Emery kam hinein.
    „Und hören Sie auf meine Frau! Die weiß, wie sie Sie am schnellsten wieder auf die Beine bekommt.“ Div Emery zwinkerte Leonie zu.
    Doc Emery stellte sich neben ihrem Mann und küsste ihm lächelnd die Wange, als dieser aufstand. „Na du oller Charmeur? Was hast du wieder ausgefressen?“ Als Div Emery sie nur unschuldig ansah, wandte sich zu Leonie. „Wir bekommen Sie schon wieder fit. Keine Sorge. Aber Sie müssen ihrem Körper doch ein paar Tage Ruhe und Zeit geben, zu heilen und sich zu erholen. Versuchen Sie es zu schnell, dauert es am Ende nur umso länger.“
    Leonie nickte. „Ich weiß. Und ich bemühe mich, den Plan einzuhalten. Ich will zurück zu meinem Team.“
    Zufrieden lächelte Doc Emery sie an. „Das wollte ich hören. Aber ...“ Sie wandte sich an Aidan, Ioannis und ihren Mann. „... die Besuchszeit für euch ist rum. Ihr habt bestimmt noch andere Sachen zu tun, als hier rumzusitzen und meine Patienten zu belästigen.“ Sie grinste. „Husch, husch! Raus mit euch!“
    „Ja meine Herrin!“, feixte Div Emery.
    „Daaad!“, meckerte Aidan und wurde rot.
    Ioannis und Doc Emery lachten lauthals, während Div Emery Aidan breit angrinste. „Was denn?“, fragte er unschuldig.
    „Du bist peinlich!“, maulte Aidan.
    Div Emery zuckte mit den Schultern. „Das ist mein Privileg als Vater. Aber komm, wir gehen lieber, bevor deine Mutter uns rauswirft.“ Er wandte sich an Leonie. „Werden Sie gesund!“
    „Ja, Sir!“, antwortete Leonie erneut.
    Als sich die Tür hinter Aidan, Ioannis und Div Emery schloss, gingen Jarik und Leonie mit Doc Emery die weitere Planung durch.
    Nach einem ausgiebigen Mittagsschlaf wurde Leonie von der Dienstaufsicht befragt, bis diese von Doc Emery aus dem Raum gescheucht wurden.      
 

***


In den nächsten Tagen bekam Leonie immer wieder Besuch, während Jarik sich tagsüber um das Team und diverse Besprechungen kümmerte. Neben der Dienstaufsicht, die immer wieder vorbeischaute und weitere Fragen hatte, kamen hauptsächlich ihr Team und ihre Freunde vorbei.
    Sammy brachte ihr ein Blech Cupcakes und einen großen Becher ihres Lieblingskaffees.
    Gian und Marc kamen mit Melina und sogar Maxi, denen Leonie eine Geschichte vorlas, während sie sich vorsichtig an ihre Seiten gekuschelt hatten.
    Aven, Cam und Fee schmuggelten Merita in einer Tasche in Leonies Zimmer, wurden dann aber von Nadica erwischt und bekamen von ihr ordentlich Ärger. Jarik und Leonie konnten sie jedoch mit dem Versprechen besänftigen, dass Aven, Cam und Fee ihr ihre Lieblingsschokolade besorgen würden. Und so wurde Merita später wieder aus der Krankenstation geschmuggelt, ohne dass Doc Emery etwas mitbekam. Hofften sie jedenfalls.
    David kam mit Ben, Elin, Jasmin und Nate. Elin brachte Leonie noch ein weiteres Häkelbärchen und einen kleinen gehäkelten Löwen, über die Leonie sich sehr freute. Von Ben bekam sie eine große Packung Zitronenkekse, die sie noch am selben Abend bereits verputzt hatte.
    Rico und Toni kamen fast täglich mit diversen Köstlichkeiten vorbei.
    Auch Aidan, Keenan, Ioannis, Mids und weitere ihrer Kameraden schauten bei ihr ins Zimmer.
    Als Leonie die Krankenstation nach zehn Tagen endlich verlassen durfte, war sie dennoch dankbar. Sie kam genau pünktlich zu Nates Geburtstagsfeier nach Hause, die sie einem gemütlichen Relaxsessel verbrachte, den Aven extra für sie besorgt hatte.      

In den nächsten Wochen kümmerte Leonies Team sich bestens um ihre Chefin. Leonie wurde bekocht, zur Physiotherapie begleitet, sie spielten Brett- und Kartenspiele mit ihr oder unterhielten sich einfach nur mit ihr.
    Vor allem Aven saß häufig bei Leonie. Sie sprachen lange, bis Leonie Aven endlich davon überzeugen konnte, dass seine Schuldgefühle nicht nötig waren.
    Und obwohl sie vom Rumsitzen mehr als genervt war und hin und wieder auch mal vor Frustration fauchte, hielt Leonie sich strikt an den Plan von Doc Emery und ihrer Physiotherapeutin. Sie wollte so schnell wie möglich wieder zurück in den Dienst.

Autorennotiz

Die Geschichte ist aktuell pausiert.
Ja, sie wird fortgeführt, ich weiß nur nicht, wie lange das dauert xD

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Kapitel: 26
Sätze: 9.907
Wörter: 101.028
Zeichen: 608.805

Kurzbeschreibung

Jarik und Leonie leiten als Captains der UN Security Forces gemeinsam eines der europäischen Combat-Teams. Als sie für einen Rettungseinsatz nach Spanien gerufen werden, ahnt niemand von ihnen, dass der Einsatz völlig anders als gedacht verlaufen wird. Verletzt und trauernd kehrt das Team in die Basis zurück. Nachdem sie sich erholt haben, machen sie sich auf die Jagd nach den Hintermännern. Nebenbei erkennen Jarik und Leonie, dass zwischen ihnen noch mehr als ihre jahrelange Freundschaft ist.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Liebe auch in den Genres Krimi, Action, Drama und Freundschaft gelistet.