Storys > Romane > Liebe > Die Welt und Elliot und Leonard

Die Welt und Elliot und Leonard

2
23.07.25 20:03
16 Ab 16 Jahren
Homosexualität
In Arbeit

Das Gebrülle vor seiner Zimmertür wurde immer lauter. Leo ließ den Stift fallen und fuhr sich einmal mit beiden Händen durchs Gesicht. Er wollte eigentlich nicht aufstehen und hingehen, aber er wollte auch seine nervigen Hausaufgaben endlich erledigt bekommen und bei dem Geschreie konnte er sich absolut nicht konzentrieren. Also seufzte er einmal tief, ging zur Tür und riss sie auf.

„Hört endlich auf, hier rumzuschreien!“ rief er wütend. „Ich mach Hausaufgaben!“

„Aber Tim will mir nicht mein Auto geben,“ rief Henrik mit schwimmenden Augen und wies anklagend auf seinen Bruder, der das Objekt der Begierde an seine Brust drückte. „Das ist mein Auto! Ich hab das zu Weihnachten bekommen!“

„Nein, ich hab das gekriegt!“ Henrik versuchte, Tim das Auto zu entreißen, erfolglos, worauf das furchtbare Gebrülle wieder losging.

„Haltet endlich den Mund!“ versuchte Leo es noch einmal, diesmal noch lauter, aber inzwischen wurde er überhaupt nicht mehr beachtet. Er seufzte wieder. Ein Bruder wäre in Ordnung gewesen, aber es mussten dann ja gleich zwei auf einmal werden, die gefühlt den ganzen Tag nichts anderes machten, als zu streiten.

Und während er noch darüber nachdachte, ob er weiter versuchen sollte diesen Streit hier zu schlichten und ob es was bringen würde, wenn er ihnen einfach das Auto wegnahm, hörte er seine Mutter von unten seinen Namen rufen und als er die Treppe halb heruntergestiegen war, stand sie da mit einem Päckchen in der Hand und lächelte ihm entgegen. „Hättest du vielleicht Lust, mit mir für ein Stündchen zu Charlie zu gehen?“

„Ja!“ antwortete Leo sofort ohne, dass er auch nur eine Sekunde drüber nachdenken musste, während sich das Geschreie hinter ihm in immer neue Höhen hinaufschraubte. Aber auch, wenn das Geschreie nicht gewesen wäre, wäre er auf jeden Fall mitgekommen. Bei Charlie war es immer entspannt, kein Vergleich mit Zuhause. Er würde mit Mark Karten spielen, während seine Mutter und Charlie im Wohnzimmer quatschen und Kuchen essen würde, so, wie sie es immer machten.

Leo beeilte sich, seine Schuhe anzuziehen um schnell hier rauszukommen. Eine Jacke brauchte er nicht, es war immer noch sommerlich warm, auch, wenn man inzwischen schon merkte, dass es nicht mehr lange so bleiben würde.

Zu Charlie war es ein zehnminütiger Fußweg und nachdem sie losgegangen waren, hakte sich seine Mutter bei ihm ein. „Ich find dieses Geschreie übrigens auch furchtbar und bin immer froh, wenn ich mal für n Moment davon wegkomme.“

„Und wieso sagst du ihnen nicht einfach, dass sie damit aufhören sollen?“ wollte Leo wissen. Seiner Meinung nach mischten sich seine Eltern sowieso viel zu selten ein und am Ende blieb es dann oft an ihm hängen, die Streitereien zu beenden.

Seine Mutter lachte einmal. „Du bist dreizehn und die beiden sind zehn, da solltet ihr langsam lernen, sowas alleine hinzubekommen. Das müsst ihr später doch sowieso, ich kann doch wenn ihr zwanzig seid solche Sachen immer noch für euch regeln. Das wäre dann doch ziemlich peinlich, oder?“

„Hm,“ machte Leo nur. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte seine Mutter sich ruhig noch einmischen können, aber er hatte ja jetzt grade gelernt, dass er damit nicht mehr rechnen musste. Und er wusste auch, dass er ihr zwar sagen konnte, dass er das absolut nicht gut fand, sich dadurch aber nichts ändern würde. Also versuchte er es auch gar nicht erst.

Charlie öffnete ihnen direkt die Tür, nachdem sie geklingelt hatten, begrüßte sie beide herzlich und während Leos Mutter und er in die Küche gingen, wo es schon nach Kaffee roch, suchte Leo nach Mark, fand ihn aber nirgendwo. Als er wieder in die Küche kam, war seine Mutter dabei, den Kuchen anzuschneiden, während Charlie Kaffee eingoss.

„Ist Mark gar nicht da?“ fragte Leo und da er die Antwort schon ahnte, konnte er seine Enttäuschung nicht verbergen.

Charlie sah ihn entschuldigend an. „Er muss heute länger arbeiten, tut mir Leid. Aber du kannst dich doch auch gerne zu uns setzen, wenn du möchtest.“

Leo dachte einen Moment drüber nach und wenn schon allein die Vorstellung, hier zu sitzen und zuzuhören, wie seine Mutter und Charlie über total uninteressante Dinge redeten, langweilig war, dann würde es in Wirklichkeit bestimmt noch langweiliger sein. „Nein,“ sagte er deswegen. „Ich geh nach draußen.“

„Hast du eine Uhr dabei?“ fragte seine Mutter und nachdem Leo seine Hand gehoben und sie ihr gezeigt hatte, „Gut, dann sei bitte in einer Stunde wieder da.“

Leo nickte als Antwort nur, ging in den Flur und zog sich seine Schuhe, die er vor ein paar Minuten erst ausgezogen hatte, wieder an, seufzte einmal, öffnete die Haustür und trat nach draußen. Glücklicherweise musste er jetzt nicht lange überlegen, was er machen sollte. Er kannte die Gegend, er war hier schon öfters herumgestreunt, wenn Mark entweder keine Zeit oder keine Lust zum Kartenspielen gehabt hatte.

Er war erst zwei- oder dreimal bei dem kleinen Bach gewesen und hatte niemals andere Menschen gesehen, noch nichtmals jemanden, der einfach nur vorbeigegangen war. Und da man vorher einige Zeit durch den Wald laufen musste, war Leo eigentlich davon ausgegangen, dass er der einzige Mensch auf der Welt war, der wusste, dass es diesen Bach gab.

Doch als er links an der großen Eiche abgebogen war sah er dann nicht nur den Bach vor sich, sondern auch eine Gestalt, die genau da am Ufer saß, wo er bis jetzt immer gesessen hatte, die einzige Stelle, an der die Sonnenstrahlen es durch die dichten Baumkronen schafften.

Leo hatte eigentlich geplant, sich dort in der Sonne auszustrecken und ein bisschen seinen Gedanken nachzuhängen und dem Rauschen des Wassers zuzuhören. Und nachher hätte er vielleicht wieder ein paar Fische beobachten können. Aber das würde ja jetzt nicht gehen und er fühlte sich für einen Moment von der Realität betrogen.

Und als das Gefühl verschwunden war, überlegte er, was er jetzt machen sollte. Hierbleiben würde er auf keinen Fall, er hatte grade keine Lust auf Gesellschaft, schon gar nicht von jemandem, den er nicht kannte. Er wollte einfach nur die Ruhe genießen, bevor er in einer Stunde wieder zurück nach Hause zu seinen schreienden Geschwistern und seinen nervigen Hausaufgaben musste. Aber leider hatte er zu lange nachgedacht und vielleicht auch unbewusst irgendwelche Geräusche gemacht, denn plötzlich drehte sich die Gestalt um, es war ein Junge in seinem Alter, der einen Stock in der Hand hielt, und ihre Blicke trafen sich.

Jetzt wäre die letzte Gelegenheit gewesen, zu verschwinden, die Leo aber einfach verschwendete, in dem er gar nichts machte, und nachdem der Junge „Hallo,“ gesagt hatte, wäre es dann absolut unhöflich gewesen, einfach zu gehen, ohne auch etwas zu sagen.

„Hallo,“ erwiderte Leo deswegen und steckte die Hände in die Taschen seiner Jeans. Er wusste nicht, wieso er sich auf einmal verlegen fühlte. Vielleicht, weil er nicht damit gerechnet hatte, dass der Junge ihn ansprechen würde. Und der war auch noch gar nicht fertig damit. „Wie heißt du?“ wollte er wissen und Leo, der einsah, dass er hier wohl erst mal nicht mehr wegkommen würde, ging auf ihn zu während er „Leonard und du?“ antwortete.

„Elliot,“ erwiderte der Junge und grinste schief.

Leo war inzwischen bei ihm angekommen und nachdem er kurz gezögert hatte, setzte er sich, mit einigem Abstand neben ihn, was sich zwar komisch anfühlte, aber es wäre noch komischer gewesen, einfach stehen zu bleiben. „Elliot ist irgendwie ein merkwürdiger Name,“ meinte er, ohne vorher darüber nachzudenken, dass das nicht sehr nett war.

Aber Elliots schiefes Grinsen wurde danach nur noch schiefer, vermutlich weil Leo genau so reagiert hatte, wie er es wartet hatte. „Es ist echt ein komischer Name,“ sagte er dann und seufzte einmal. „Meine Mutter hat damals irgendein Buch gelesen, das sie dann ganz toll gefunden hat und deswegen heiß ich jetzt Elliot.“ Er sah Leo von der Seite an. „Und wieso heißt du Leonard?“

Leo, der sich darüber noch nie Gedanken gemacht hatte, zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, ich glaub, der Name hat meinen Eltern einfach gefallen.“

Danach schwiegen sie eine Weile und Leo sah zu, wie Elliot mit dem Stock im Bach herumstocherte, dabei ziemlich viel Zeug am Grund aufwirbelte und sehr wahrscheinlich sämtliche Fische verscheuchte.

Die Leo vermutlich eh nicht hätte beobachten können, denn er fühlte sich grade alles andere als entspannt, hier schweigend mit Elliot zu sitzen und inzwischen bereute er es, sich überhaupt hingesetzt zu haben, was die Angelegenheit zu gehen noch etwas komplizierter machte.

Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, er hatte noch eine halbe Stunde und musste sich jetzt entscheiden, ob er die lieber hier oder mit Charlie und seiner Mutter auf der Couch verbringen wollte. Natürlich hätte er auch nach Hause zu seinen schreienden Geschwistern und seinem anstrengenden Vater gehen können, aber das schied schon mal direkt aus. Also musste er sich zwischen den ersten beiden entscheiden und eigentlich wäre er ja lieber hier geblieben.

„Bist du auch hier weil deine Eltern doof sind?“ fragte Elliot auf einmal unvermittelt und riss Leo damit nicht nur mitten aus seinen Überlegungen, er war über diese Frage gleichzeitig auch noch so überrascht, dass er einen Moment brauchte, bis er antworten konnte.

„Nein,“ antwortete er dann nur. Er fand seine Eltern zwar ziemlich oft ziemlich doof, vorallem seinen Vater, aber deswegen war er ja nicht hier und selbst, wenn er es gewesen wäre, würde er nicht mit jemandem, den er gar nicht kannte, darüber sprechen.

Elliot hatte da weniger Skrupel. „Sie wollen nicht, dass ich einfach von zuhause weggehe und jetzt bin ich eine Stunde gelaufen bis hierher. Mal sehen, was sie sagen, wenn sie mich suchen und mich nicht finden...“

Er redete noch weiter aber was er sagte, rauschte ungehört an Leo vorbei, der versuchte, sich einen Plan zurecht zu legen, mit dem er vielleicht doch noch für ein paar Minuten die Ruhe genießen konnte, wegen der er hergekommen war.

Aber dann wurde ihm klar, dass er hier gar nicht versuchen musste, irgendwie diplomatisch zu sein. Er würde einfach sagen, wie es war und entweder Elliot war dann wütend und würde abhauen oder er war wütend und würde ihn in Ruhe lassen, so oder so, Leo würde bekommen, was er wollte. Er wartete deswegen auch nicht, bis Elliot fertig geredet hatte, sondern nur, bis er eine Pause zwischen zwei Sätzen machte.

„Ich hab zwei zehn Jahre alte Brüder, die die ganze Zeit nur rumbrüllen und ich bin eigentlich nur hier, um endlich mal ein bisschen Ruhe zu haben,“ sagte er dann und war danach ein bisschen gespannt, was jetzt passieren würde.

Zuerst einmal sah Elliot ihn für ein paar Sekunden überrascht an und runzelte die Stirn und Leo machte sich innerlich darauf gefasst, dass es gleich unschön werden würde. Aber dann lächelte er plötzlich und zog den Stock aus dem Wasser. „Wusstest du, dass es hier Fische gibt? Ich hab vorhin welche gesehen und ich wette, wenn wir jetzt ganz ruhig sind, dann kommen sie bestimmt wieder.“

Feedback

Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!

Autor

Fennis Profilbild Fenni

Bewertung

Noch keine Bewertungen

Statistik

Sätze: 85
Wörter: 1.915
Zeichen: 10.902

Kurzbeschreibung

Leo und Elliot lernen sich durch Zufall kennen aber aus dem Zufall wird schnell eine enge Freundschaft, in der sie füreinander da sind; sei es, wenn Elliots Eltern seine Beziehungen sabotieren oder Leo auf einmal feststellt, dass er auf Jungs steht. Das ändert sich auch nicht, als sie älter werden. Was sich aber ändert, ist, dass sie auf einmal erkennen, dass da eigentlich mehr als Freundschaft zwischen ihnen ist und beide haben keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollen. Ganz besonders Elliot nicht, der es nie geschafft hat, sich von seinen Eltern zu lösen - langsames Erzähltempo

Kategorisierung

Diese Story wird neben Liebe auch in den Genres Entwicklung, Freundschaft und Schmerz & Trost gelistet.