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Gods Playground

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27.10.24 16:27
16 Ab 16 Jahren
In Arbeit

Dunkelheit. Man sieht nichts, nicht einmal die eigene Hand vor den Augen. Und obwohl solche Finsternis normalerweise Panik auslösen sollte, bleibt das erwartete erdrückende Gefühl aus. Stattdessen fühlt sich die Dunkelheit beruhigend an.

Plötzlich durchbricht eine Säule aus Licht die Schwärze. Die Quelle bleibt verborgen, doch in der Mitte der Lichtsäule ist ein Busch zu sehen, der von vollkommener Dunkelheit umgeben ist. Jetzt, im Licht, werden die Hände eines Mannes sichtbar – der in schlichter, dunkler Kleidung steht. Schulter lange dunkle Haare, braune Augen und einen drei Tage Bart. Stille herrscht um ihn, und sein Blick bleibt fest auf den Busch gerichtet.

„Hallo? Kann mich jemand hören? Ist da jemand?“ ruft der Mann in die Leere. Doch keine Antwort. Nicht einmal ein Echo kommt zurück.

Er seufzt. „Das soll doch wohl ein Witz sein!“ murmelt er sarkastisch und bewegt sich langsam auf den Busch zu. Als er etwa eine Armlänge entfernt ist, hört er ein dumpfes Geräusch. Anfangs unklar, wird es mit jedem Schritt deutlicher.

„FEUER! Sie kommen! Alle Mann an die Waffen!“ Die Rufe sind ihm nur zu vertraut – sie wecken Erinnerungen an einen Ort, den er am liebsten vergessen würde, an ein Leben, das er hinter sich lassen will. Es sind die Geräusche eines Schlachtfelds. Metall, das auf Metall trifft. Schreie von Männern, die sich als Helden bezeichnen, und das unablässige Dröhnen des Todes.

Plötzlich fängt der Busch Feuer. Doch obwohl er die brennenden Blätter sehen kann, bleibt der Geruch von Rauch aus. Es riecht nach nichts. Der Mann schreckt leicht zurück, unsicher. „Was hat das alles zu bedeuten?“ fragt er sich.

Etwas in diesem Busch ruft ihn – etwas Vertrautes, etwas, das ihn zu brauchen scheint. Er geht näher heran. Normalerweise sollten die Flammen ihn jetzt Hitze spüren lassen, sollten fast unerträglich sein. Doch stattdessen fühlt er nur eine angenehme Wärme. Er steht so nah vor dem Busch, dass er nun spürt, wie etwas ihn zu sich zieht. Der Mann versucht, sich davon zu lösen, sich zurückzuziehen, aber es geht nicht. Die Flammen scheinen ihn einzusaugen.

Er packt mit seiner freien Hand seinen Arm und zieht mit aller Kraft. Doch anstatt sich zu befreien, sinkt seine Hand immer tiefer in den Busch, als würde er in Treibsand geraten. Nun ist sein ganzer Arm darin. Panik. Angst. Reue. All diese Gefühle steigen in ihm auf, als die Flammen bereits die Hälfte seines Körpers verschlungen haben. Instinktiv streckt er seinen Kopf vom Busch weg und versucht, nach Luft zu schnappen, aber es nützt nichts. Sein ganzer Körper wird eingezogen. Das Einzige, was ihm bleibt: die Augen schließen und hoffen, dass es endet.

Stille. Dunkelheit. „Bin ich tot?“ denkt der Mann. „Was ist das für ein Geschmack in meinem Mund? Eisen? Nein... Blut.“ „Mach die Augen auf, Tristan!“ ruft er sich in Gedanken zu.

Als Tristan die Augen öffnet, kehrt sein Gehör zurück, das für einen Moment ausgesetzt hatte. Zuerst sieht er das Schlachtfeld, auf dem er sich erschreckenderweise befindet, und dann hört er es in all seiner ohrenbetäubenden Lautstärke. Die Geräusche sind so laut, dass man sich nie daran gewöhnen könnte. Eine grüne, weite Wiese, jetzt überzogen mit Stahl und Blut. Der Geruch von Tod, Schmerz, Blut und Metall liegt in der Luft. Äxte prallen auf Schwerter, Dolche schneiden Kehlen durch – ein Krieg tobt.

Aber was waren das für Wesen? Tristan traut seinen Augen kaum. Er sieht humanoide Gestalten, nicht mehr als Schatten, ohne Gesicht. Nur gepanzert und einander bekämpfend. Ihre Rüstungen sind verschieden gefärbt: Rot, Blau, Weiß und Schwarz. Auf den schwarzen Rüstungen prangen zwei Raben, die sich gegenüberstehen, auf den blauen ein durchgeblättertes Buch. Die rote Rüstung trägt das Symbol einer Axt, von der Blut tropft, und die weiße Rüstung ist mit Engelsflügeln geschmückt. Vier Fraktionen, die sich gegenseitig zerfleischen... „Wo bin ich?“

Ein schweres Gefühl lastet auf seinem Körper. Er schaut hinunter und bemerkt eine Rüstung, golden und mit einem brennenden Busch als Wappen verziert, die auf ihm liegt. Sein Überlebensinstinkt setzt ein, und er sucht verzweifelt nach jemandem mit der gleichen Rüstung, einem Verbündeten. Plötzlich greift ein Schattenwesen mit schwarzer Rüstung und Schwert nach ihm. Erst jetzt bemerkt Tristan, dass er selbst ein Schwert in der Hand hält, das er instinktiv hebt und den Angriff abwehrt.

Ein stechender Schmerz fährt in seine Brust, ein brennender Schmerz in seinen Arm. Seine Beine fühlen sich schwer an, sein Körper erschöpft, als hätte er unzählige Kämpfe hinter sich. Er schmeckt das Blut in seinem Mund und spürt zahlreiche Wunden und blaue Flecken an seinem Körper. Der Schmerz dieser Verletzungen durchzuckt ihn erst, als er das Schwert mit einer gezielten Drehung nutzt, um dem Schattenwesen die Kehle durchzuschneiden.

Das Schattenwesen fällt regungslos zu Boden. Keuchend sucht Tristan weiter nach Verbündeten, irgendetwas, das ihm helfen könnte, den Wahnsinn um ihn herum zu begreifen. Da erblickt er etwas, das er nie auf einem Schlachtfeld erwartet hätte – ein Anblick, so absurd, dass er fast glaubt, sich zu täuschen.

Inmitten des Getümmels sitzt ein Kind, vielleicht fünf oder sieben Jahre alt. Es hat keine Angst, zeigt keine Furcht. Es versucht weder zu entkommen noch sich zu verstecken. Seitlich zu Tristan gewandt, sitzt das Kind ruhig auf einer Kiste und angelt. Geduldig, als wäre nichts um es herum von Bedeutung.

Tristan kneift die Augen zusammen und reibt sie. Das kann nicht echt sein. Er schaut sich um, doch es sieht nicht danach aus, dass das Kind bemerkt oder angegriffen wird. „Pass auf!“ ruft Tristan, oder zumindest versucht er es. Doch die Worte klingen wirr und verwaschen, wie ein Flüstern unter Wasser. „Was ist das hier?“ fragt er sich laut, aber wieder vernehmen seine eigenen Ohren nur verzerrte Laute.

Obwohl er nichts versteht, weiß Tristan doch instinktiv, was er tun muss. Seine Haltung ändert sich, wird entschlossener. Er bringt sich in eine Kampfpose und bewegt sich so schnell wie möglich auf das Kind zu. Mit jedem Schritt fühlt er ein Stechen im gesamten Körper, doch er läuft weiter, weicht Angriffen aus, streckt weitere Schattenwesen nieder. Ein entschlossener Ausdruck tritt auf sein Gesicht – nicht länger verwirrt, sondern klar und skrupellos.

Die Schattenwesen lassen ihm keine Wahl. „Lauf! Schnell lauf weg!“ will er rufen, doch die Worte klingen, als würden sie unter Wasser gesprochen. Das Kind schenkt ihm keine Beachtung, angelt weiter. Nur ein Gähnen ist die einzige Reaktion, die er bekommt. Nun fällt Tristan auf, dass keines der Schattenwesen das Kind anzugreifen scheint. Es ist, als sei es unsichtbar für alle außer ihm.

Gerade als Tristan sich seinen Gedanken widmet, reißen ihn zwei Schattenwesen zu Boden. Eines mit schwarzer Rüstung steht direkt über ihm und hebt das Schwert, bereit, es herabsausen zu lassen und ihn zu töten.

Das Schwert des Schattenwesens sauste auf Tristans Hals zu, bereit, seinen Kopf vom Körper zu trennen. „Hier darf ich noch nicht sterben.“ Der Gedanke schoss unbewusst durch Tristans Kopf, gefolgt von einem stärkeren, drängenden Ruf: „Ich muss leben!“ Obwohl der Hieb in Bruchteilen einer Sekunde ihn treffen sollte, schien die Zeit für ihn selbst in diesem Moment zu stocken. Erst spürte er Entschlossenheit – dann, am Boden liegend, blitzte Angst in ihm auf. Und doch verwandelte sich diese Angst erneut in pure Entschlossenheit. „Ich muss ihn finden, bevor ich sterbe!“ Der Gedanke, den Tristan sich über die Jahre immer wieder ins Gedächtnis gerufen hatte, kehrte in diesem Augenblick wie selbstverständlich zurück.

Er griff nach seinem Schwert, um den Angriff abzuwehren, doch plötzlich konnte er es nicht mehr heben. Es war, als hätte es das Gewicht eines Berges angenommen. Nicht aus Furcht; es war einfach schwer. Das Schwert, das er eben noch mühelos geführt hatte, ließ sich jetzt nicht mehr bewegen. Entsetzen durchflutete ihn, und in diesem kurzen Moment, am Rande des Todes, dehnte sich die Zeit unendlich. Man sagt, in Todesnähe erfasst man die tiefsten Sehnsüchte – und obwohl er sein Leben oft genug als wertlos angesehen hatte, merkte er jetzt: Im Angesicht des Todes wollte er leben.

Stille. Dunkelheit. Der Geruch von Blut und Metall. Der metallische Geschmack von Blut füllt seinen Mund, und ein stechender Schmerz zieht sich durch seinen Körper. Tristan öffnet langsam die Augen. Um ihn herum: keine Schattenwesen, keine Waffen, nur eine blutgetränkte Wiese.

Etwa zwei Meter entfernt sitzt das Kind weiterhin und angelt, völlig ungestört. Tristan richtet sich langsam auf und atmet schwer, zwischen Erleichterung und Fassungslosigkeit. Er lebt. Oder so versucht er es sich einzureden, während er sich sammelt.

Gedämpfte Laute dringen zu ihm, verschwommen, wie Worte, die durch Wasser gesprochen werden. Er hebt den Kopf und sieht, dass das Kind zu ihm spricht, gelassen und ruhig.

Das Kind trägt einen grünen Hut mit zwei spitzen Enden an den Seiten. Dazu eine lange, dünne Weste im selben Grünton, verziert mit feinen goldenen Mustern, die Tristan noch nie gesehen hat. Unter der Weste ein schlichtes, weißes Shirt und eine grüne Hose, die ebenfalls mit goldenen Mustern versehen ist. Barfuß und unbeschwert wirkt das Kind fast unirdisch. Ob es ein Junge oder ein Mädchen ist, kann Tristan nicht sagen.

Obwohl er die Worte nicht versteht, erkennt Tristan am Ausdruck des Kindes und seinem energischen Winken, dass es versucht, mit ihm zu kommunizieren. Es scheint zu sagen: „Haaaalloooo? Kannst du mich überhaupt verstehen?“

Tristan schüttelt verwirrt den Kopf. Das Kind seufzt und zeigt auf einen Teich, den Tristan bisher kaum bemerkt hatte. Als er hineinschaut, fährt er erschrocken zurück. Wo jeder normales Wasser erwarten würde, sieht er einen tiefen Sternenhimmel.

„Wie ist das möglich?“ denkt er sich ungläubig und sieht verwirrt zu dem Kind zurück. Das Kind zeigt auf ihn, dann auf den Teich, in dem es immer noch angelt, und faltet die Hände so, als wolle es ihm klarmachen, er solle hineinspringen. Tristan starrt auf den Teich, dessen himmlische Schönheit ihn fast in seinen Bann zieht. Doch er blickt wieder zu dem Kind und schüttelt den Kopf.

Mit einem weiteren Seufzen und Augenroller stellt das Kind die Angel beiseite. Es steht auf der Kiste auf, streckt die Arme und Beine und verschwindet einfach.

Im selben Moment spürt Tristan eine kleine Hand an seinem Rücken, die ihn kräftig nach vorne stößt. Er kann sich nicht wehren und stürzt in den Teich voller Sterne.

Tristan schreit, als er fällt, unter ihm nur ein Meer aus leuchtenden Sternen. Nach einem kurzen Fall von kaum einem Meter trifft er plötzlich auf festen Boden. Zu seinem Erstaunen steht er nun wie auf einer unsichtbaren Fläche, während unter und über ihm der Sternenhimmel weiter glüht.

Vor ihm steht die Person in grüner Kleidung, jetzt um zehn Jahre älter wirkend, und kramt in einer Kiste. Sie zieht einen blauen Kristall hervor und zerdrückt ihn in der Hand. „Jetzt solltest du mich verstehen können, oder?“ fragt sie mit einem leichten Lächeln.

Tristan will antworten: „Ja. Was ist hier los? Wo bin ich?“ Doch seine Stimme klingt seltsam gedämpft, verzerrt, als spräche er durch eine dicke Wand aus Wasser. Die Person seufzt und sieht ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Er hätte jede andere Seele wählen können, und doch hat er sich für dich entschieden?“

Noch bevor Tristan sich äußern kann, verschwindet die Person, und eine genervte Stimme ertönt hinter ihm: „Warum muss ich mich damit herumschlagen?“ Als Tristan sich umdreht, steht dort dasselbe Wesen, nun deutlich älter, etwa wieder 10 Jahre älter. „Ja, ich habe zu viel Einhornblut getrunken,“ sagt es beiläufig, als wäre das die normalste Erklärung der Welt. „Und ja, vielleicht habe ich mein Reich verspielt.“

Wut steigt in Tristan auf. „Was soll das alles? Wenn du mir nicht sofort sagst, was hier los ist, dann werde ich...!“ Doch auch jetzt, trotz seines Zorns, klingt seine Stimme, als würde sie unter Wasser verloren gehen. Die Worte kommen nur gedämpft und wirr hervor. Tristan erkennt, dass er hier keine Kontrolle hat. Größere Mächte scheinen am Werk zu sein.

Die Person, nun sichtbar weitere zehn Jahre älter, bewegt sich wie ein Schatten um ihn herum. In einem Moment steht sie an einem Ort, dann blinzelt Tristan – und sie ist plötzlich woanders, als würde sie mühelos durch den Raum gleiten.

„Wenn ich das hier erledigt habe, ist meine Schuld beglichen,“ sagt die Person ruhig.

„Dann wollen wir mal!“ In diesem Moment beginnen ihre Augen in einem intensiven Lila zu leuchten. Der Boden bebt, und Blitze zucken um sie herum. Tristan kann kaum fassen, was er sieht. Die Person schwebt nun und sieht dabei amüsiert auf Tristan hinab, dessen Gesicht von nackter Angst gezeichnet ist. „Vergiss niemals, nach oben zu blicken, junger Tristan,“ sagt die Person. „Dort findest du die wahren Wunder der Welt.“

Mit diesen Worten findet sich Tristan plötzlich auf der grünen Wiese wieder. Keine Waffen, kein Blut, keine Schattenwesen. Nur er allein. Ein kräftiges Beben erschüttert den Boden, kurz darauf ein weiteres. Ein gewaltiger Schatten erstreckt sich über die Wiese, und als Tristan hinaufblickt, sieht er einen Riesen, so groß wie ein Berg. Der Riese hat langes, goldenes Haar und trägt eine goldene Rüstung, verziert mit demselben Wappen, das auch Tristan auf seiner Rüstung trägt: ein brennender Busch.

Vor dem riesigen Krieger stehen drei weitere Riesen. Einer von ihnen trägt eine blutrote Rüstung mit dem Wappen einer Axt, von der Blut tropft, und hält eine gewaltige Axt in der Hand. Mit einem mächtigen Hieb trifft er den goldenen Riesen und bringt ihn zu Fall. Tristan hat keine Zeit, auszuweichen; alles passiert so schnell, dass er sich hilflos fühlt.

Er versucht, fortzulaufen, doch der fallende Riese stürzt genau vor ihm zu Boden, das Gesicht direkt vor Tristan. Die Augen des Riesen, groß wie Häuser, blicken ihn an. In der Iris des Giganten glitzert ein Sternenhimmel, atemberaubend und unbegreiflich.

Die drei anderen Riesen nähern sich. Einer trägt eine silberne Rüstung mit dem Wappen gefalteter Engelsflügel und ein schimmernder Helm verdeckt sein Gesicht. Neben ihm steht ein weiterer Riese, gehüllt in einen langen Mantel mit dem Wappen eines aufgeschlagenen Buches auf der Brust. Alle drei blicken auf den gefallenen Riesen herab. Der Riese in der blutroten Rüstung hebt seine Axt, bereit, sie auf den Kopf des gefallenen Kriegers herabsausen zu lassen.

Tristan sieht das Geschehen und ruft verzweifelt: „Stopp!“ Doch wieder dringt kein Laut nach außen; die Worte verlieren sich, als wären sie unter Wasser gesprochen.

Der goldene Riese richtet seinen Blick auf ihn. „Ein Sterblicher, der mir helfen will?“ sagt er mit einem Hauch von Neugier.

„Was ist hier los?“ formt Tristan die Worte, doch erneut verschwinden sie ungehört, als würden sie von der brodelnden Atmosphäre verschluckt.

„Du bist auf der Suche nach deinem Sinn,“ sagt der Riese, seine Stimme lässt die Luft um sie vibrieren. Tristans Gedanken kehren zurück zu den letzten Worten, die er vor seinem Aufbruch hörte: „Tristan, finde deinen Sinn.“

„Ich kann dir helfen, ihn zu finden…wirst du mir helfen?“ Tristan, dem bewusst ist, dass seine eigenen Worte unverständlich bleiben, nickt. „Finde den ungekrönten König und setze ihn auf den Thron,“ fährt der Riese fort. „Dann wirst du deinen Sinn finden.“

Gerade, als die Axt des Riesen in der blutroten Rüstung mit vernichtender Wucht herniedersaust, beginnt die Szenerie vor Tristans Augen zu zerbersten – als würde die Welt um ihn in Scherben zerspringen.

„Neeiiin!“ schreit Tristan und setzt sich abrupt auf. Sein Hemd ist durchnässt von Schweiß. Unter ihm knarrt ein Holzboden, über ihm weht eine weiße Plane. Sonnenstrahlen dringen durch die Spalten und beleuchten den heruntergekommenen Wagen, in dem er sich befindet.

Er atmet schwer, entsetzt über das, was auch immer das gerade war. „Ein Traum?“ murmelt er laut, um zu prüfen, ob seine Worte normal klingen – und das tun sie.

Er wischt sich den Schweiß vom Gesicht und späht durch einen Schlitz in der Plane. Draußen zieht ein lichter Wald vorbei, die Bäume stehen immer spärlicher, und der Boden ist bereits von trockenem, rissigem Sand durchsetzt.

Die grüne Welt weicht langsam einer kargen Einöde – ein Vorbote der Wüste, die sich am Horizont abzeichnet.

„Hatten Sie etwa einen Albtraum, Herr?“ sagt ein junger Mann neben Tristan. Der Junge ist in einfachen, schmutzigen Kleidern gekleidet, mit dunklem Haar und großen, neugierigen Augen. Dünn und mit Armen wie Zahnstocher, trägt er einen abgenutzten, zu großen Helm und einen kleinen Beutel auf dem Rücken.

„Ich habe dir doch schon tausendmal gesagt, du sollst mich nicht so nennen“, murmelt Tristan genervt.

„Ja, Herr. Aber ich werde es trotzdem tun.“ Der Junge grinst leicht, und Tristan seufzt. „Mach doch, was du willst.“

„Das gehört nun mal zu den Aufgaben eines Ritters, Herr.“ Der Junge sieht ihn ernst an, während er in seinem Beutel nach etwas wühlt und schließlich ein trockenes, modriges Stück Brot hervorholt. „Frühstück?“

Tristan mustert das Brot skeptisch, nimmt es aber dankbar an. „Danke.“

„Sehr gerne, mein Herr.“ Das Brot schmeckt erdig und hart, als hätte es nie Feuchtigkeit gekannt. Verglichen mit dem, was er die letzten Wochen essen musste, ist es dennoch eine Delikatesse.

Die Kutsche wird allmählich langsamer, bis sie schließlich zum Stillstand kommt.

„So, wir sind da“, sagt der Fahrer. Tristan nimmt seinen Beutel und steigt aus dem Wagen. Das grelle Sonnenlicht blendet ihn, und er hebt die Hand, um sich die Augen zu beschatten. Sein schulterlanges, dunkles Haar ist zerzaust, und sein Drei-Tage-Bart juckt leicht. Rasch schiebt er eine Kette unter sein Hemd zurück, an der ein Anhänger baumelt: Zwei gekreuzte Schwerter auf einem Schild, über dem ein goldener Hammer prangt.

Er nimmt sein Schwert und bindet es sich mit einem Ledergürtel um die Hüfte. Ihm entgegen kommt ein Mann, der ihm kaum bis zur Brust reicht, mit Halbglatze, rundem Bauch und einem beeindruckend gepflegten Schnurrbart.

„Das macht dann zwei Silberdublonen“, sagt der Kutscher, ohne viel Aufhebens. Tristan greift in den kleinen Lederbeutel an seinem Gürtel, zieht zwei Silberstücke heraus und drückt sie dem Mann in die Hand.

„Vielen Dank! Willkommen in Manaratan.“ Der Kutscher wirft noch einen letzten Blick auf ihn, steigt dann wieder auf seinen Wagen und fährt in Richtung des Waldes zurück, aus dem sie gekommen sind.

Der Junge mit dem großen Helm reicht Tristan einen Brief. „Wir sollten hier richtig sein. Es geht zum königlichen Bankett.“

Tristan seufzt und kratzt sich nachdenklich den Kopf. „Ich kann es kaum erwarten, was für Delikatessen dort auf uns warten.“

Der Junge mit dem schief sitzenden Helm beginnt zu strahlen. „Endlich mal was anderes als Insekten und verschimmeltes Brot! Glaubst du, sie haben Hähnchenschenkel? Oder frisches Obst, vielleicht sogar Kuchen?“ Sein Blick ist hoffnungsvoll.

„Vergiss nicht, dass ich nicht zum Vergnügen hier bin“, mahnt Tristan ihn. „Es soll einen Auftrag geben, und du …“

„Ganz genau, Herr! Ich bin hier, um Sie zu beschützen. Das ist die Pflicht eines Ritters! Ich, Ritter Bim Bap, werde immer an Ihrer Seite sein.“ Der Junge hebt stolz das Kinn, was ihn gleichzeitig etwas albern und entschlossen wirken lässt.

Tristan verdreht die Augen und setzt sich in Bewegung, während Bim Bap ihm eifrig folgt.

Als sie an den riesigen, strahlend weißen Mauern der Stadt vorbeikommen, eröffnet sich ihnen der Blick auf eine Stadt von unvergleichlicher Schönheit. Die Häuser leuchten in den schillerndsten Farben, geschmückt mit edlen Steinen, die in den Fassaden eingearbeitet sind: Rubine, Berylle, Saphire und unzählige weitere Edelsteine funkeln im Licht und heben die Architektur in eine neue Dimension. Der Sand in den Straßen glitzert wie Goldstaub, und obwohl die Hitze für Tristan und Bim Bap fast unerträglich ist, schlendern die Bewohner entspannt und fröhlich umher.

Überall auf den Straßen sieht Tristan Menschen in prächtigen Gewändern, deren Farben wie Gemälde von großen Künstlern anmuten. Auf dem Marktplatz herrscht ein lebhafter Handel, die Energie der Stadt ist beinahe greifbar, als wollte sie jedem Besucher zurufen: „Schaut her, hier sind wir!“

Vielleicht, so denkt Tristan, nennt man diese Stadt deshalb Manaratan, die Stadt des Leuchtturms.

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Jeromeboes Profilbild Jeromeboe

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