Storys > Romane > Fantasy > Rote Dämmerung

Rote Dämmerung

12
14.02.25 09:37
16 Ab 16 Jahren
In Arbeit

Ein Regenschauer zog über Blaubergen und mischte sich mit dem Rauch, der noch immer in der Luft hing. Grauer Nebel hüllte die verkohlten Überreste der Stadt ein, ließ sie gespenstisch unwirklich erscheinen. Wo gestern noch Leben herrschte, lagen nun nur noch Trümmer, verkohlte Balken, zerborstene Steinfassaden – und Leichen.

Das gleichmäßige Klappern von Hufen durchbrach die Stille, zwei Reiter tauchten aus dem Nebel auf. Ihre dunkelgrünen Umhänge glänzten vom Regen, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Sie ritten mit bedächtiger Ruhe durch die engen Gassen, ihre Pferde wichen trittsicher den Leichnamen aus, die überall verstreut lagen.

„Was sagst du dazu, Bonhard?“ fragte der eine, seine Stimme klang gedämpft in der feuchten Luft.

Der Angesprochene schnaubte. „Ich sage, dass mir der Regen langsam auf die Eier geht. Eine trockene Schenke mit einem warmen Mahl und einer hübschen Dirne auf dem Schoß wäre mir lieber.“

„Ich meine die Stadt, verdammt.“

Bonhard zuckte mit den Schultern. „Was gibt’s da groß zu sagen? Ein hochnäsiger Lord wollte zeigen, dass er die dickeren Eier hat als sein Nachbar, also ließ er dessen Stadt niederbrennen.“

Sein Begleiter stieß einen missmutigen Laut aus. „Du tust so, als wäre das völlig normal.“

„Und das ist es nicht?“ Bonhard drehte den Kopf und musterte ihn aus dem Schatten der Kapuze heraus. „Lorga, seit Jahren reitest du an meiner Seite. Und du wunderst dich noch immer über die Grausamkeit der Menschen?“

Lorga presste die Lippen zusammen. „Aber wir könnten doch—“

„Wir könnten gar nichts.“ Bonhards Stimme war plötzlich eisig. „Wir sehen, wir verstehen – aber wir greifen nicht ein. Das solltest du mittlerweile wissen.“

Lorga wollte widersprechen, doch dann ließ er es. Stattdessen ritt er schweigend weiter neben seinem Gefährten.

Die Gasse weitete sich zu einem großen Platz. Es musste einmal ein Marktplatz gewesen sein. Jetzt war es ein Meer aus toten Körpern, zertrümmerten Ständen und halb verwesten Lebensmitteln. Das Blut, das der Regen nicht hatte wegwaschen können, rann in dünnen Rinnsalen zwischen den Pflastersteinen hindurch.

Lorga ließ seinen Blick über das Massaker schweifen. „Das hier waren keine königlichen Truppen.“

Bonhard antwortete nicht. Stattdessen lenkte er sein Pferd auf ein Anwesen zu, das sich leicht erhöht über den Platz erhob. Eine Mauer umgab es, überraschend intakt, doch das Tor war nur noch ein verkohltes Gerippe. Lorga fühlte ein Ziehen in der Brust – als würde etwas an ihm zerren, ihn drängen, diesem Ort zu folgen.

„Bonhard…?“

Doch Bonhard war bereits abgestiegen und schritt durch die Toröffnung.

Hinter der Mauer lag ein Hof, in dessen Mitte ein marmorner Brunnen stand. Zwei Bären, im Kampf erstarrt, ragten daraus hervor – ihre Umrisse vom Regen glatt gewaschen, doch unversehrt. Der Rest des Anwesens war nichts als verkohlte Trümmer. Nur ein einzelner Bergfried aus Stein stand noch.

Bonhard blieb vor dem Turm stehen. Sekundenlang herrschte Stille. Dann schüttelte er den Kopf, drehte sich um und schwang sich wieder in den Sattel.

„Komm, Lorga. Hier gibt es nichts mehr.“

Doch bevor sie das Tor erreichen konnten, erklang ein Geräusch.

Ein leises, klägliches Wimmern.

Die beiden Männer hielten inne. Sekundenlang lauschten sie, der Regen tropfte von ihren Umhängen, das Echo ihrer Pferdehufe verklang.

Dann bewegte sich Bonhard.

Er trat durch das zertrümmerte Tor des Bergfrieds, das sich schwer knarrend bewegte. Drinnen war die Luft noch stickig vom Rauch, der Boden mit Asche bedeckt. Ein Raum, der vielleicht einst eine große Halle gewesen war, lag vor ihnen – nun nur noch eine rußgeschwärzte Ruine.

Dann, aus den Schatten, kam das Geräusch erneut.

Ein Schlurfen. Ein wimmernder Laut, erstickt, als hätte sich etwas in den Trümmern verborgen.

Bonhard bewegte sich darauf zu, schob verkohlte Balken und geborstenes Holz beiseite. Etwas regte sich darunter. Lorga erstarrte, als eine bleiche, kleine Hand aus der Asche auftauchte.

Bonhard packte den Balken, zog ihn zur Seite. Darunter lag eine Frau – oder das, was von ihr übrig war. Ihr Körper war verdreht, ihre Augen blickten leer zur Decke.

Doch neben ihr, an sie geklammert, hockte ein Junge.

Seine Kleidung war zerrissen, sein Gesicht mit Ruß und Tränen verschmiert. Er presste eine Stoffpuppe an die Brust, als könnte sie ihn beschützen.

Bonhard hockte sich hin, musterte ihn einen Moment. „Junge?“

Der Kleine zuckte zusammen, als hätte ihn die Stimme aus einem Albtraum gerissen. Seine Augen, so unnatürlich in diesem düsteren Ort, weiteten sich.

„Bist du verletzt?“

Der Junge zögerte, dann schüttelte er langsam den Kopf.

„Dann komm.“

Bonhard streckte eine Hand aus. Der Junge wich nicht zurück. Zögernd löste er sich von der toten Frau, klammerte sich an Bonhards Umhang und an einem kleinen Stofftier, das mitgenommen aussah.

Lorga sah zu, wie Bonhard ihn behutsam auf den Arm nahm und aus der Ruine trug. Der Junge sagte nichts, machte keine Anstalten, sich zu wehren.

Als sie den Hof wieder betraten, klarte der Himmel auf. Die Sonne brach durch die Wolken und tauchte die verbrannte Stadt in gespenstisches Licht.

Doch sie waren nicht allein.

Fünf Männer standen vor dem Tor. Sie grinsten breit, ihre zerlumpten Gewänder ließen keinen Zweifel daran, was sie waren.

Marodeure.

„Was haben wir denn da?“ Der größte von ihnen, ein glatzköpfiger Hüne mit breitem Kinn, trat vor. Seine Hand umklammerte eine rostige Axt.

„Hab ich’s euch nicht gesagt, Jungs? Hat sich gelohnt, hier zu warten. Guckt euch den Bengel an.“ Er deutete auf den Jungen in Bonhards Armen. „Der ist mehr wert als zehn Schlösser zusammen.“

Lorga spuckte aus. „Und wenn wir ihn nicht rausrücken?“

Der Glatzkopf lachte. „Dann nehmen wir ihn. Und alles andere auch.“

„Willst du oder soll ich?“ fragte Lorga leise, ohne den Blick abzuwenden.

Bonhard setzte den Jungen auf den Boden. „Ich kümmere mich darum.“

Die Marodeure lachten.

Ihr Lachen verstummte, als Bonhard das Schwert zog und wichen einen Schritt zurück.

„Sieh gut hin, Junge,“ sagte Lorga mit harter Stimme. „Das ist deine erste Lektion.“

Die Männer fassten wieder Mut und griffen Bonhard frontal an. Das war ein Fehler.

Der erste fiel mit aufgeschlitzter Kehle, bevor sein Schwert auch nur die Hälfte des Weges zu Bonhard gefunden hatte. Der zweite taumelte zurück, hielt seine heraustretenden Eingeweide in den Händen, bevor er zusammenbrach. Die beiden mit Speeren stießen panisch zu, doch Bonhard wich aus, ließ die Klinge kreisen – und trennte ihren Köpfen den Körper ab.

Der letzte rannte.

Bonhard nahm sich einen der Speere und traf den fliehenden zwischen die Schulterblätter.

Lorga wandte sich an den Jungen. „Hast du es verstanden?“

Der Junge schüttelte den Kopf.

„Das wirst du noch.“

Bonhard hockte sich hin, schlug die Kapuze zurück.

Der Junge erstarrte.

Es war kein Gesicht, das ihn ansah. Es war ein Muster aus schwarzen Linien, eine Fratze, gezeichnet mit Tinte und Narben.

„Komm, Junge,“ sagte Bonhard leise. „Wir bringen dich nach Hause.“

Der Junge rührte sich nicht, als sie ihn aufs Pferd setzten. Er klammerte sich nur an seine Stoffpuppe – und ließ es geschehen.

Unbemerkt von Bonhard und Lorga, saß ein Mann auf einem Mauerabschnitt und beobachtete die beiden, die durch das Tor ritten. Sein Blick ruhte vor allem auf dem kleinen Jungen, der regungslos im Sattel saß, nur mit Mühe aufrecht gehalten vom Lorga hinter ihm.

Gemächlich lehnte sich der Beobachter zurück und nahm einen tiefen Schluck aus einem Trinkschlauch. Ein Rinnsal lief sein Kinn hinab, doch es störte ihn nicht. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln – ein Ausdruck leiser, genussvoller Vorfreude.

„Oho… ich sehe es schon vor mir,“ murmelte er mit zitternder Stimme. „Das wird ein Spektakel.“

Er sprang auf, streckte den Arm aus und deutete mit dem Trinkschlauch auf die Reiter.

„Du wirst schon sehen! Dank mir wirst du groß rauskommen – sehr groß!“

Dann brach er in schallendes Gelächter aus, das durch die Stille der verbrannten Stadt hallte.

Doch die Reiter bemerkten nichts.

Als Lorga sich ein letztes Mal umblickte, war niemand zu sehen. Nur der Trinkschlauch lag verlassen auf der Mauer, und ein einzelner Tropfen Flüssigkeit löste sich träge vom Rand, klatschte auf die behauenen Steine.

„Was ist, Lorga?“ fragte Bonhard.

Lorga runzelte die Stirn. „Ich dachte, ich hätte ein Lachen gehört.“

Bonhard sah ihn aus den Augenwinkeln an. „Ich hab nichts gehört. Und ich denke, es reicht für heute mit deiner übernatürlichen Wahrnehmung.“

Lorga seufzte und richtete den Blick wieder nach vorn. „Du hast wahrscheinlich recht. Der Kleine ist genug für heute.“

 

Der Wind heulte durch den schmalen, verschlungenen Pass, peitschte eisige Böen durch die engen Felsspalten und ließ die schwarzen Umhänge der Reiter flattern. Bonhard und Lorga ritten schweigend, den Blick starr nach vorn gerichtet. Hinter ihnen, in eine dicke Decke gehüllt und vor der Kälte geschützt, saß der kleine Junge, stumm und reglos wie ein Schatten.

Plötzlich weitete sich der Weg, öffnete sich zu einem atemberaubenden Panorama: Ein Talkessel, verborgen zwischen schroffen Berghängen, von der Außenwelt abgeschnitten wie ein Relikt vergangener Tage. In der Mitte des Tals lag ein stiller See, sein Wasser schwarz unter dem bleichen Licht des Mondes. Ein dichter Nadelwald zog sich bis an die Felsen, und an die Bergwand geschmiegt erhob sich Karn Atur – die Heimstätte der Auroren.

Die Festung war eine mächtige Bastion aus dunklem Stein, mit niedrigen, massiven Türmen, die nicht für Prunk, sondern für Schutz gebaut waren. Ihre Mauern schienen mit dem Berg zu verschmelzen, als wären sie aus seinem Fleisch gehauen. Rauch stieg aus mehreren Kaminen auf, tanzte im Wind, ein Zeichen von Leben in dieser vergessenen Ecke der Welt.

Bonhard lenkte sein Pferd den steinigen Pfad hinab, Lorga folgte dichtauf. Als sie sich dem Tor näherten, das von einer alten Zwergenkonstruktion aus Zahnrädern und Gegengewichten gehalten wurde, ertönte eine tiefe Stimme.

„Na, sie mal einer an, wenn wir da haben.“

Gundrik stand mit verschränkten Armen am Tor. Der alte Zwerg war gebeugt von den Jahren, doch seine Augen funkelten wachsam unter buschigen Brauen hervor. Sein Bart, einst so schwarz wie der Stein der Festung, war von silbernen Strähnen durchzogen und reichte ihm bis zur Brust.

„Gundrik.“ Bonhard nickte ihm zu.

„Hmpf.“ Der Zwerg spuckte aus und musterte den Jungen auf Bonhards Pferd. „Und was hast du da angeschleppt? Ne neue Katze? Sieht nicht so aus, als würd er viel taugen.“

Lorga verzog das Gesicht. „Du könntest auch einfach mal freundlich sein, alter Griesgram.“

Gundrik brummte, doch ein Schmunzeln zuckte über seine Lippen. „Freundlich? Ich bin freundlich. Immerhin lass ich euch rein.“ Er drehte sich um, schlug mit der Faust gegen eine Metallplatte neben dem Tor, und mit einem tiefen Knarren setzte sich das alte Zwergenwerk in Bewegung.

Hinter den Mauern warteten bereits einige Auroren. Sie hatten die Ankunft der Reiter bemerkt und kamen ihnen entgegen. Ihre schwarzen Linien zeichneten sich in den Fackelschein, Muster aus uralter Kraft, die sich über ihre Arme und Hälse zogen. Sie begrüßten Bonhard mit Respekt, neigten leicht den Kopf oder legten die Faust auf die Brust.

„Willkommen zurück, Hauptmann.“

„Habt ihr es auch gut gehen lassen, dort draußen?“ sprach einer der Auroren.

„Mehr als mir lieb ist,“ gab Lorga trocken zurück.

Das Lachen der Männer hallte von den Mauern wider, rau und ehrlich. Doch ihre Blicke wanderten immer wieder zu dem Jungen, den Bonhard vom Pferd hob. Theron klammerte sich an seine Decke, die Augen groß und wachsam.

„Ein Findelkind?“ Einer der Auroren trat näher.

Bonhard nickte. „Von nun an einer von uns.“

Einige musterten das Kind skeptisch, andere mit stiller Neugier. Vier Jungen, nicht viel älter als Theron, standen in der Nähe, ihre Gesichter ein Spiegel aus verschiedenen Reaktionen – Misstrauen, Gleichgültigkeit, Interesse.

Dann trat einer vor. Ein schmaler Junge mit wachen, klugen Augen. Er musterte Theron kurz, dann grinste er schief und klopfte ihm auf die Schulter.

„Sieht aus, als wären wir jetzt Brüder. Ich bin Ardan und wie heißt du?“ fragte er mit einem Grinsen

Der Junge blinzelte überrascht. Irgendwas schien es in ihm auszulösen und plötzlich antwortet er: „Theron.“

 

Die Sonne senkte sich langsam hinter den Horizont und tauchte die gewaltige Brücke, die vor Theron lag, in ein warmes, goldenes Licht. Eigentlich zu früh, dachte er. Der nahende Winter brachte diese frühen Sonnenuntergänge mit sich, und obwohl er daran gewöhnt sein sollte, fühlte es sich jedes Mal seltsam an. Die Hufe seines Pferdes klapperten rhythmisch auf den alten, glatt geschliffenen Steinen der Brücke. Sie war ein wahres Meisterwerk der Baukunst – eine gewaltige Konstruktion, die das Festland mit der ersten der beiden Inseln verband, aus denen Elenfurd bestand. Theron war beeindruckt, wie etwas so Großes überhaupt erbaut werden konnte. Er war schon oft in der Hauptstadt gewesen, doch der Anblick dieser Brücke verlor nie seine Faszination.

Die Brücke selbst war breit genug, dass zwei voll beladene Wagen nebeneinander fahren konnten, und dennoch wirkte sie, als könne sie die Last mühelos tragen. Theron beobachtete die vorbeiziehenden Menschen: Einige kehrten müde von der Arbeit auf den Feldern zurück, während andere schwer beladene Erntewagen vor ihm polternd über die Brücke rollten.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte er das einzige Tor der Stadt, das den Zugang zu Steintor, der ersten Insel bewachte. Die Wachen dort wirkten müde und unaufmerksam, teils wegen des allgegenwärtigen Geruchs von Alkohol, teils aus reiner Langeweile. Sie schienen sich nicht die Mühe zu machen, jemanden wie ihn genauer zu inspizieren – ein einsamer Reiter mit einfachem Gepäck stellte keine Bedrohung dar. Während sie die vorbeiziehenden Wagen gemächlich auf Schmuggelware kontrollierten, ließ man Theron ohne Einwände passieren.

Kaum hatte er das Tor durchquert, erstreckte sich vor ihm Steintor, die erst der beiden Inseln von Elenfurd. Diese Insel war die größere von beiden, dicht besiedelt und von steilen Klippen umgeben, die wie natürliche Schutzwälle wirkten. Überall standen gedrängte Häuser aus Stein und Holz, deren Dächer sich in einem wirren, chaotischen Muster auftürmten. Schmale Gassen schlängelten sich durch die Stadt, und die Luft war erfüllt vom Klang geschäftiger Händler, vom Klappern der Wagenräder auf Kopfsteinpflaster und vom Lachen spielender Kinder.

Theron ritt die breite Hauptstraße entlang, an dessen Ende sich eine weitere brücke befand – einer ebenso beeindruckenden Konstruktion wie die erste. Diese Brücke spannte sich in einer schwindelerregenden Höhe von zwanzig Metern über das tiefblaue Wasser und verband Steintor mit der kleineren, hinteren Insel. Dort, auch Hochstein genannt, erhob sich majestätisch der kaiserliche Palast mit seinen hohen Türmen und prächtigen Fassaden, flankiert von den Villen der Adeligen.

Er hatte nicht vor, über die Brücke nach Hochstein zu reiten. Stattdessen lenkte er sein Pferd in eine der schmalen Gassen, die sich wie Adern durch die Stadt zogen. Die Geräusche der geschäftigen Hauptstraße wurden mit jedem Moment leiser, und der Trubel der Menge wich einer angenehmen Stille. Nur das gelegentliche Klappern von Hufen oder das Murmeln vereinzelter Gespräche drang an sein Ohr.

Sein Ziel war ein kleines Gasthaus am Rande der Insel, fernab vom Zentrum des Chaos. Der Weg dorthin führte ihn durch eng bebaute Viertel, vorbei an einfachen Steinhäusern und von salziger Seeluft durchdrungenen Höfen.

Das Gasthaus selbst lag abgelegen, fast am Rand der steilen Klippen. Das Zimmer, das man ihm zuwies, war klein, aber sauber, und die Aussicht entschädigte für jede Unannehmlichkeit. Von hier aus konnte Theron das weite Meer überblicken, das im schwachen Licht der Abenddämmerung schimmerte. Das beruhigende Rauschen der Wellen, die sich an den schroffen Klippen brachen, schuf eine Atmosphäre, die ihn regelrecht einlullte.

Er ließ sich auf den schlichten Holzhocker am Fenster sinken, den Kopf an den Rahmen gelehnt. Für einen Moment schloss er die Augen und lauschte dem stetigen Rhythmus des Meeres – ein Klang, der ihm mehr Ruhe brachte, als die ummauerten Städte es je könnten.

Theron hatte kaum das Gefühl, geschlafen zu haben, das lag nicht nur an dem Bett des Gasthauses sondern auch an den gedämpften Stimmen und das Knarren von Stiefeln auf den Holzdielen des Flurs, die in zu früh weckten. Normalerweise hätte er nicht einmal darauf geachtet, doch etwas an diesen Bewegungen ließ ihn innehalten. Sie waren zu schwer, zu gezielt, zu viele.

Er blieb einen Moment reglos im Bett liegen, die Augen geschlossen, die Ohren gespitzt. Drei, vielleicht vier Männer. Sie versuchten, leise zu sein, aber der alte Boden verriet sie. Theron öffnete die Augen, sein Blick huschte durch das schummrige Zimmer. Die Dämmerung, die durch die schmale Fensterluke fiel, ließ den Raum in einem blassen Grau erstrahlen.

Mit einer fließenden Bewegung schwang er sich aus dem Bett, zog rasch seine Kleidung über und griff nach den Schwertern, die er stets griffbereit hielt. Leise stellte er sich hinter die Tür und hielt den Atem an. Seine Sinne waren geschärft, und in der Stille des Zimmers hörte er jede Kleinigkeit: das leise Klicken, als jemand die Klinke drückte, das sanfte Scharren, als die Tür langsam aufgeschoben wurde.

Drei Männer betraten das Zimmer, allesamt in einfache, dunkle Kleidung gehüllt. In ihren Händen hielten sie hölzerne Knüppel, die sie mit einem leichten Schwung an ihren Seiten trugen – bereit zuzuschlagen. Ihre Auren flackerten in einem kalten, grauen Licht, emotionslos und kalkulierend. Theron wusste sofort, dass sie nicht gekommen waren, um friedlich zu verhandeln.

„Hier ist niemand,“ murmelte der Erste und zog die Decke vom Bett.

„Unsinn,“ zischte der Zweite, während er sich zum Fenster begab. „Er muss hier sein. Niemand hat ihn gehen sehen. Wo soll er denn sonst sein? Der kann doch nicht die Klippe runtergesprungen sein.“

Der Dritte schwieg, seine Augen musterten den Raum wachsam.

Theron wartete ab, bis sich die Männer verteilt hatten. Dann trat er, lautlos wie ein Schatten, hinter der Tür hervor. Seine Schwerter zischten aus den Scheiden, und bevor der Erste reagieren konnte, bohrte sich eine der  Klinge bereits in seinen Hals. Ein ersticktes Gurgeln, ein Schwall aus Blut, und der Mann sackte zusammen.

Die beiden anderen wirbelten herum, doch Theron war schneller. Der Zweite, der am Fenster stand, parierte mit dem Knüppel und versuchte mit der anderen Hand sein Schwert zu ziehen. Doch Theron nutzte die kurze Unaufmerksamkeit und versenkte seine zweite Klinge in dessen Bauch. Mit einem heiseren Keuchen ging der Mann zu Boden, während Theron die Klinge mit einem Ruck heraus zog.

Der letzte Mann blieb reglos stehen, seine Augen fixierten Theron mit einer Mischung aus Wut und Wachsamkeit. Seine graue Aura begann zu glühen, durchzogen von roten Fäden. Langsam zog er sein Schwert und sprach mit einer erstaunlich ruhigen Stimme: „Eigentlich wollten wir dich nur wecken. Aber jetzt, wo du meine kameraden getötet hast, wird es mir nicht übel genommen, wenn ich dir ein paar Kerben verpasse.“

Theron blieb ebenfalls reglos stehen, seine Schwerter in beiden Händen, die Augen auf den Mann gerichtet. „Das denke ich nicht. Hau ab oder stirb,“ sagte er kalt.

Der Mann grinste und bewegte sich langsam durch den Raum, suchte nach einer besseren Position. Theron folgte jeder Bewegung mit seinen Augen, ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen.

Plötzlich sprang der Angreifer vor, täuschte einen Schlag von oben an, nur um im letzten Moment auf Therons Hüfte zu zielen. Doch Theron ließ sich nicht täuschen. Er parierte mühelos mit einem seiner Schwerter, während er sich fallen ließ und mit seinem anderen Schwert blitzschnell, die Kniesehne des Mannes durchtrennte. Der Schrei des Angreifers erfüllte den Raum, als sein Bein sofort zusammen klappte, wie ein gefällter Baum und sein Schwert klirrend zu Boden fiel.

Theron setzte rasch die Spitze seiner Klinge an den Hals des Mannes. „Was wollt ihr von mir?“ fragte er mit einer Stimme, die vor gefährlicher Ruhe troff.

Der Mann schluckte, sagte jedoch nichts.

„Also hab ich es mit jemanden zu tun, der bereit ist etwas zu opfern? Was bist du bereit zu opfern,“ sagte Theron höhnisch.

„Wenn nötig alles,“ erklang plötzlich eine neue Stimme hinter ihm. „Er wird nichts sagen.“

Theron drehte sich um und sah einen Mann in der Tür stehen. Er trug eine schlichte aber tadellos gepflegte Uniform, die seinen Rang verriet, und seine Aura pulsierte in einem selbstbewussten Lila. Das graue Haar und die Augenklappe verliehen ihm ein düsteres, fast unnahbares Auftreten. Hinter ihm erkannte Theron zwei weitere Männer, mit düsteren Gesichtern.

„Das reicht,“ sagte der Mann ruhig. „Es würde nicht bringen ihn zu töten. Wir haben keine Zeit für solche Spielchen.“

Theron hielt die Klinge noch einen Moment am Hals des Angreifers, bevor er sie widerwillig sinken ließ. „Und wer zur Hölle seid ihr?“

„Eric,“ stellte sich der Mann vor. „Oberoffizier der Kaiserlichen Spionage. Mein Auftrag ist es, euch zum Kommandanten zu bringen.“

„Ein Spion also. Das erklärt allerdings nicht, warum diese Männer bewaffnet in mein Zimmer eingedrungen sind,“ entgegnete Theron scharf und deutete mit der Klinge auf die Leichen.

„Ein Missverständnis,“ sagte Eric beiläufig, seine Augen musterten die Leichen mit einer kühlen Gleichgültigkeit. „Aber das ist irrelevant. Was zählt, ist, dass ihr mitkommt.“

„Warum sollte ich?“ fragte Theron und verschränkte die Arme. „Nach allem, was hier passiert ist, habe ich wenig Grund, euch zu vertrauen.“

„Vertrauen ist nicht relevant. Ihr habt schlichtweg keine Wahl,“ sagte Eric, sein Tonfall blieb ruhig, fast beiläufig.

Theron hob herausfordernd eine Augenbraue. „Seid ihr euch da sicher?“

„Selbstverständlich. Ihr könntet natürlich versuchen, euch durch die ganze Stadt zu kämpfen. Vielleicht gelingt es euch noch zwanzig Soldaten zu töten. Aber es werden mehr kommen und irgendwann könnt ihr einfach nicht mehr.“

Theron musterte ihn lange, seine Augen suchten nach einem Anzeichen von Unsicherheit in Erics Aura. Doch die blieb unverändert – ein ruhiges, selbstbewusstes Glühen.

Nach einem Moment steckte Theron seine Schwerter zurück in die Scheiden. „Ich komme mit. Aber ich behalte meine Waffen.“

Eric nickte zufrieden. „Einverstanden. Ihr werdet sehen, dass wir nur euer Bestes wollen.“

Mit einer Geste wies er seine Männer an, den Raum aufzuräumen, bevor er sich zum Gehen wandte. Die Männer machten sich gleich an die Arbeit und gingen zu den Leichen hinüber. „Kommt, Herr Theron. Es ist bald Mittag, und der Kommandant mag keine Verzögerungen.“

Theron folgte ihm, die Schritte schwer auf dem knarrenden Boden. Die Toten und der Kampf waren bereits vergessen. Er hatte nur den Verdacht, das es nur der Anfang war.

Sie liefen eine ganze Weile durch die engen Gassen der Stadt. Vorbei an Krämern, die alles Mögliche anboten – von Gewürzen bis hin zu rostigen Klingen –, an heißen Schmieden, aus denen die Hitze und das rhythmische Schlagen von Metall dröhnte, und an Prostituierten, die versuchten, sie ins Innere ihrer Bordelle zu locken. Theron wich ihren gierigen Blicken aus und schnaubte leise, als er an einem Sklavenhändler vorbeikam, der mit gelangweilter Miene Preise aushandelte. In der hellen Mittagssonne wirkte die Stadt noch lauter, dreckiger und chaotischer. Es war alles andere als ein Ort, an dem er sich niederlassen würde.

Zu seinem Erstaunen führte ihn der Oberspion nicht, wie er erwartet hatte, über die Brücke nach Hochstein, wo der kaiserliche Palast und die Villen der Adligen lagen. Stattdessen lotste er ihn immer tiefer durch das dichte Gewirr der Straßen und Gassen, sodass Theron irgendwann Schwierigkeiten mit seiner Orientierung hatte. Die Gebäude wurden schäbiger, die Menschen um sie herum rarer. Schließlich hielt Eric vor einem unscheinbaren Haus, das kaum von den anderen zu unterscheiden war. Über der Tür hing ein schlichtes Holzschild, auf dem „Zum Schneiderlein“ stand.

Theron zog fragend eine Augenbraue hoch. Doch Eric warf ihm nur einen kurzen Blick zu, öffnete dann wortlos die Tür und trat ein. Theron folgte ihm, die Hand unbewusst nah an den Griff seiner Schwerter gelegt. Das Innere des Gebäudes war genau das, was man von einer Schneiderei erwartete: Regale voller Stoffballen in allen erdenklichen Farben, Nähutensilien, die ordentlich auf einer Theke aufgereiht waren, und eine Schneiderpuppe, an der ein halbfertiges Gewand hing. Der Geruch von frisch geschnittenem Stoff lag schwer in der Luft.

Hinter der Theke saß ein älterer Mann mit gebeugtem Rücken, der eine Nadel durch ein Stück fein gewebten Stoff zog. Seine Bewegungen waren routiniert und präzise. Als Eric und Theron eintraten, hob er den Kopf nur für einen flüchtigen Moment, bevor er sich wieder seiner Arbeit widmete, als hätte er nichts gesehen.

Eric ignorierte ihn und ging zielsicher auf eine unscheinbare Tür zu, die halb verdeckt hinter einem Regal lag. „Hier entlang,“ sagte er knapp.

Theron folgte ihm, aber seine Augen huschten zurück zu dem Schneider. Die Art, wie der Mann sie fast beiläufig wahrnahm, war auffällig – zu routiniert, zu unaufgeregt. Das hier war keine gewöhnliche Schneiderei.

Die Tür führte in einen dunklen, engen Gang, dessen steinerne Stufen nach unten führten. Die Luft wurde kühler, und der Geruch von Stoff wich einem muffigen, feuchten Geruch, der an alte Keller erinnerte. Am Ende der Treppe standen zwei Männer Wache, gekleidet in einfache, dunkle Kleidung, ähnlich wie die, die Theron am Morgen überwältigt hatte. Ihre Gesichter waren ausdruckslos, fast wie die Puppe in der Schneiderei, und ihre Auren glühten in einem trüben Grau, das keinen Raum für Emotionen ließ.

„Oberst,“ grüßten sie mit einem knappen Nicken, bevor sie beiseitetraten und die Tür hinter ihnen öffneten.

Als Theron den Raum dahinter betrat, war er für einen Moment überwältigt. Der Kontrast zu der engen, dunklen Treppe war enorm. Der Raum war riesig, fast wie eine unterirdische Kathedrale, und durchzogen von einem Wirrwarr aus kleinen Separées, in denen Männer und Frauen saßen, vertieft in die Arbeit an Papieren, Akten und Karten. Überall summten leise Gespräche, das Kratzen von Federn auf Pergament mischte sich mit dem gelegentlichen Klirren von Metalltassen. An den Wänden hingen Landkarten und Diagramme, teils mit rotem Faden verbunden, und in der Mitte des Raums stand ein großer, massiver Tisch, auf dem eine detaillierte Karte des Kaiserreichs ausgebreitet lag.

Theron blieb stehen und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. In der Ferne konnte er gedämpfte Schreie wahrnehmen. „Das hätte ich so nicht erwartet. Es könnte schwer werden hier wieder herauszukommen,“ dachte er.

Eric ging weiter, ohne zu antworten, und führte ihn zu einem der abgetrennten Bereiche. Dort wartete ein Mann mittleren Alters, der in schlichte, aber fein gearbeitete Kleidung gehüllt war. Sein Haar war kurz geschnitten, und sein scharfer Blick schien Theron sofort zu durchdringen. Seine Aura war ein intensives Violett, das von einem ruhigen, aber autoritären Glühen durchzogen war.

„Willkommen, Herr Theron,“ sagte der Mann mit einer Stimme, die gleichzeitig höflich und streng war. „Ich bin Kommandant Rael von Ennfurd, verantwortlich für die Sicherheit des Kaisers und die Geheimoperationen des Reiches.“

„Ich muss ehrlich gestehen, dass ich ein bisschen überrascht bin.“ Theron verschränkte die Arme vor der Brust, sein Tonfall war herausfordernd.

Rael hob leicht die Augenbrauen, ein Hauch von Neugier in seinem Blick. „Wovon genau überrascht?“

„Na ja, ich hätte erwartet, dass eure Organisation ein riesiges, pompöses Hauptquartier hat – mit goldenen Statuen, Dienern in Uniformen und einem großen Thronsaal. Stattdessen bringt ihr mich in einen düsteren Keller einer Schneiderei.“

Rael lächelte leicht, fast spöttisch. „Interessant. Normalerweise höre ich das Gegenteil: Geschichten über unheimliche Männer in dunklen Gassen, die jeden Schritt beobachten, und über mysteriöse Papiere, die plötzlich auf den Schreibtischen der Mächtigen landen. Unsichtbar und verschwiegen.“

Theron zuckte mit den Schultern, seine Stimme blieb gleichmütig. „Das mag auf die meisten zutreffen. Aber in meiner Erfahrung lieben es Leute mit Macht, diese zu zeigen – Paläste, Prunk, vielleicht sogar ein paar Denkmäler, um die Massen zu beeindrucken.“

Raels Lächeln vertiefte sich, und für einen kurzen Moment flackerte ein Hauch von Gold in seiner Aura auf. Theron registrierte es unbeeindruckt.

„Macht und Symbole gehen oft Hand in Hand,“ räumte Rael ein, während er langsam auf eine große Karte des Kaiserreichs zuging, die an der Wand hing. „Aber wahre Macht liegt nicht in goldenen Statuen, sondern in der Kontrolle über Informationen. Und ich muss sagen, eure Geschichte hat mein Interesse geweckt.“

Theron schnaubte leise. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich geehrt fühlen soll oder ob ich mich besser übergeben sollte.“

Rael drehte sich mit einem amüsierten Blick zu ihm um. „Eindeutig geehrt. Es gibt nur wenige, die es schaffen, meine Neugier so zu wecken wie ihr.“

„Jetzt kommt wirklich der Brechreiz,“ erwiderte Theron trocken. „Das Letzte, was ich brauche, ist das Interesse eines Spions.“

Raels Ton blieb gelassen, aber ein wenig Schärfe schlich sich ein. „Organisator. Ich bevorzuge den Begriff Organisator. Spion klingt so... Einfälltig, jemanden der nicht eigenständig denkt.“

„Nennt es, wie ihr wollt. Es ändert nichts daran, dass ich Spione nicht leiden kann.“

Rael ließ sich davon nicht beirren. „Und woher kommt diese Abneigung gegen loyale Diener des Kaiserreichs? Männer wie ich, die einzig und allein dafür sorgen, dass der Kaiser und das Reich geschützt bleiben?“

Theron lehnte sich ein Stück nach vorne, sein Grinsen war dreckig. „Das ist genau das Problem. Ihr handelt nicht nach Moral, sondern nach Befehlen. Und Befehle kommen immer von jemandem, der euch bezahlt.“

Rael setzte sich langsam wieder an den Tisch und betrachtete ein unscheinbares Stück Papier, das vor ihm lag. Er ließ es einen Moment durch die Finger gleiten, bevor er Theron wieder ansah. „Ihr würdet überrascht sein, wie selten Geld der einzige Grund ist, etwas zu tun.“ Seine Stimme wurde wieder freundlich, fast jovial. „Aber wir verschwenden Zeit. Ihr fragt euch sicher, warum ich ausgerechnet euch hierher berufen habe, oder?“

Theron verschränkte die Arme vor der Brust, ohne zu antworten.

Rael lächelte. „Gut, das hätte mich auch gewundert, hättet ihr es verneint. Also sage ich es euch ganz direkt: Ich brauche eure Hilfe.“

Theron zog eine Augenbraue hoch und antwortete mit gespieltem Desinteresse: „Und warum sollte ausgerechnet ich euch helfen? Ich bin nur ein einfacher Söldner. Was könnte ich schon tun, was eure Armee an Spione nicht könnte?“

„Ihr unterschätzt euch oder ihr wollt mich zum Narren halten, Herr Theron,“ entgegnete Rael ruhig. „Aber wir beide wissen, dass ihr weit mehr seid. Ich habe meine Nachforschungen angestellt. Ihr seid ein Auror. Einer der wenigen, die noch in der Welt Herumwandern.“

Theron lachte bitter auf. „Ein Auror, ein Streuner – ist doch alles das Gleiche. Die Leute nennen uns so, weil wir nur noch Schatten unserer Vergangenheit sind. Relikte, die niemand mehr braucht. Spott oder Mitleid – das ist alles, was wir ernten.“

Rael lehnte sich leicht vor, seine Augen fixierten Theron. „Das mag für die meisten zutreffen. Aber nicht für mich. Ich sehe keine Relikte, sondern Fähigkeiten, die niemand sonst hat. Und genau diese Fähigkeiten brauche ich.“

Theron zuckte mit den Schultern. „Ihr übertreibt. Wie gesagt, ich bin nur ein Söldner, der versucht, in dieser Welt irgendwie zu überleben.“

Rael stand plötzlich auf und schlug mit der Faust auf den Tisch. Seine Stimme wurde schneidend. „Haltet mich nicht zum Narren, Theron. Ein einfacher Söldner hätte meine Männer nicht so leicht überwältigt. Und er würde sicherlich nicht so ruhig vor mir stehen, nachdem er zwei von ihnen getötet hat.“

Theron schwieg, während Rael seine Worte wirken ließ.

„Ich brauche jemanden wie euch für einen Auftrag, den kein anderer übernehmen kann,“ fuhr Rael fort. „Ich will, dass ihr ein Attentat auf den Kaiser verhindert.“

Theron hob abwehrend die Hände. „Ich bin Söldner, kein Leibwächter.“

Rael ließ ein Lächeln aufblitzen, das weder freundlich noch warm war. „Ihr seid vieles, Herr Theron. Aber dumm gehört nicht dazu. Ihr wisst genau, dass ich keine Mittel scheuen werde, um euch zu überzeugen.“

Mit einer beiläufigen Bewegung griff er unter den Tisch und warf einen schweren Geldbeutel darauf. Das leise Klirren von Münzen füllte den Raum. „Das ist euer Vorschuss. Ich bin sicher, eure Ausrüstung könnte eine kleine Auffrischung vertragen und es wäre doch schön eine Zeitlang, nicht in solchen Absteigen oder am Straßenrand zu schlafen.“

Theron ließ seinen Blick auf dem Beutel ruhen. Er spürte das Gewicht förmlich – nicht nur das der Münzen, sondern auch das der Entscheidung, die damit einherging. Er konnte spüren, wie Raels Aura, ein ruhiges Violett, pulsierte, als würde der Mann seine Reaktion regelrecht erwarten.

„Ich nehme an, wenn ich diesen Beutel nicht nehme, wird hier eine Menge Blut fließen.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.

Raels Lächeln wurde breiter. „Hier und im ganzen Kaiserreich. Es hängt nur an euch. Chaos oder Ordnung – die Wahl liegt bei euch.“

Theron schwieg, dann griff er plötzlich zu und ließ den Beutel in seinen Mantel verschwinden.

Raels Augen blitzten auf, und sein Lächeln wurde fast triumphierend. „Sehr gut. Ihr seid doch vernünftiger, als ich dachte.“ Er stand auf und ging zu Theron hinüber. „Folgt mir, ich werde euch unterwegs die Einzelheiten erzählen.“

Theron zögerte nur einen Moment, bevor er dem Mann folgte. Er wusste, dass er kaum eine Wahl hatte. Und zur Not würde er da schon irgendwie raus kommen.

Theron folgte Rael durch die gepflasterten Straßen nach Hochstein. Der Unterschied zu Steintor war wie Tag und Nacht. Während dort das Leben laut, chaotisch und von geschäftigem Treiben erfüllt war, herrschte hier eine fast surreale Ruhe. Die Straßen waren weit und sauber, die Atmosphäre kühl und überheblich. Elegante Villen mit hohen, kunstvoll verzierten Steinfassaden reihten sich aneinander. Zwischen ihnen erstreckten sich geschwungene Brücken und Balkone, die eine zweite Ebene bildeten – fast wie ein Netz aus Verbindungen über den Köpfen der wenigen Passanten.

Je näher sie dem kaiserlichen Palast mit seinen hoch aufragenden Türmen kamen, desto prunkvoller wurden die Häuser. Verzierungen aus Gold und Edelsteinen funkelten in der Nachmittagssonne, und die Villen bekamen immer mehr Farbe. Die wenigen Menschen, die sich auf den Straßen bewegten, trugen prächtige Gewänder aus feinster Seide, begleitet von Bediensteten, die ihre Einkäufe, Fächer oder sogar Schirme trugen. Soldaten mit polierten Brustpanzern und langen Hellebarden patrouillierten in gemächlichem Tempo durch die Straßen. Für Theron war diese Welt so fremd wie die Oberfläche eines anderen Planeten – zu still, zu perfekt, als könnte jeder Laut dieses makellose Bild zerschlagen.

Rael blieb schließlich vor einem imposanten Gasthaus stehen, dessen Fassade mit vergoldeten Ornamenten und kunstvollen Schnitzereien verziert war. Über der schweren Eichentür hing ein Schild mit dem Namen „Der güldene Kelch“, in kunstvollen Lettern geschrieben. Neben der Tür stand eine Wache in einer glänzenden Rüstung. Ihre Haltung war steif, ihre Miene undurchdringlich, doch als Rael wortlos auf sie zutrat, trat sie sofort beiseite.

„Wir sind da,“ sagte Rael über die Schulter und stieß die Tür auf. Seine Stimme klang gewohnt emotionslos, doch Theron bemerkte eine kaum spürbare Veränderung in seiner Aura – ein leichter Impuls, der wie unterdrückte Spannung wirkte.

Das Innere des Gasthauses war noch opulenter als seine Fassade. Wandteppiche in satten Farben hingen von den Wänden, verziert mit Szenen aus mythischen Geschichten. Die Luft war erfüllt von einem subtilen Duft nach Kräutern und teurem Wein. Das Licht von schweren Kronleuchtern spiegelte sich auf den blank polierten Hokzboden. Die Gäste saßen an edlen Tischen, die mit Samt und Kristall dekoriert waren. Ihre Gespräche waren gedämpft, aber Theron hörte genug, um zu erkennen, dass sie über Intrigen und Machtspiele sprachen – über Fehden, Allianzen und Ausschlüsse, die für ihn nichts als leere Worte waren.

Am hinteren Ende des Raumes fiel Therons Blick auf einen Mann, der selbst in diesem prunkvollen Ambiente herausstach. Er war schlank, mit einer Haltung, die gleichzeitig entspannt und erhaben wirkte. Seine Kleidung war exotisch und kunstvoll – ein Gewand aus schwerem, dunkelblauem Stoff, durchzogen von silbernen Fäden, die die Sonne und Monde seines fernen Reiches darstellten. Sein Haar war zu einem kunstvollen Knoten gebunden, und seine scharfen, wachsamen Augen glitten unruhig über die anderen Gäste. In seinem Blick lag eine Mischung aus Missmut und Arroganz.

„Das ist der Gesandte aus Amaran,“ flüsterte Rael, ohne den Blick von ihm abzuwenden. „Ihr werdet sein neuer Leibwächter. Sein vorheriger... ist leider unter mysteriösen Umständen verschwunden.“ Rael drehte sich zu Theron um und lächelte, ein wissendes Lächeln, das Theron mehr über Rael verriet, als ihm lieb war. „Ihr müsst nicht viel sagen. Lasst mich das übernehmen.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, trat Rael näher, sein Gang war zielstrebig und unaufdringlich zugleich. Theron folgte ihm, seine Augen blieben wachsam, während sein Verstand unaufhörlich arbeitete. Er konnte die Frage, ob Rael hier ein doppeltes Spiel spielte, nicht abschütteln.

„Ah, Rael, ihr habt mir gerade noch gefehlt,“ sagte Felipe mit einem verschmitzten Lächeln, das seine Worte kaum verbarg. Seine Aura – eine Mischung aus grünem Misstrauen und violetter Selbstsicherheit – war so widersprüchlich wie seine Worte. „Ich hatte die Hoffnung, das ich euch nicht mehr zu sehen bekomme.“

Rael blieb einen Moment vor dem Tisch stehen, bevor er mit einer knappen Verbeugung antwortete. „Es ist mir ein Vergnügen, Gesandter Felipe.“

„Gesandter Felipe?“ wiederholte Felipe gespielt empört. „So spricht man einen Mann meines Standes an? Ich bin der Vertreter des großen Kaiserreichs Amaran, Rael. Oder habt ihr das vergessen?“

Rael erwiderte den herausfordernden Blick des Diplomaten mit stoischer Gelassenheit. „Natürlich nicht, Felipe Alvares von Cordo Gesandter vom großen Heiligen Amaran.“ Seine Stimme war höflich, aber auch eine Spur zu distanziert, um als aufrichtig durchzugehen.

Felipe lächelte selbstzufrieden, als hätte er einen kleinen Sieg errungen. Doch seine Augen wanderten zu Theron, der stumm neben Rael stand. „Und wer, wenn ich fragen darf, ist dieser grimmig aussehende Mann an eurer Seite?“

„Das?“ Rael warf Theron einen beiläufigen Blick zu. „Das ist nur mein neuer Leibwächter. Nichts, was euch beunruhigen sollte.“

„Euer Leibwächter, sagt ihr?“ Felipe beugte sich leicht nach vorne, sein Interesse war geweckt. „Und warum habt ihr einen Leibwächter nötig, Rael? Fühlt ihr euch etwa unsicher in eurer eigenen Stadt?“

Rael schüttelte nur leicht den Kopf. „Das ist reine Vorsicht. Ich bevorzuge es, vorbereitet zu sein. Ich bin verantwortlich für die Sicherheit, ich bin ein vielversprechendes Ziel.“

Felipe schnaubte spöttisch, lehnte sich zurück und nahm einen Schluck aus seinem Weinkelch. „Interessant. Vorsicht ist natürlich immer lobenswert, Rael. Vor allem, wenn ihr so überzeugt seid, dass ich, ein Gast eures Reiches, absolut nichts zu befürchten habe, trotz des mysteriösen Verschwindens meines Leibwächters. Ich bin ein ebenso vielversprechendes Ziel.“

Rael winkte ab. „Herr Felipe, ich versichere euch, dass euer Leibwächter euch nicht aus Sicherheitsgründen verlassen hat. Er war vermutlich nicht so loyal, wie ihr dachtet. Es könnte gut sein, dass er inzwischen die Vorzüge unserer Hauptstadt genießt.“

„Vorzüge?“ Felipe lachte trocken. „Die einzigen Vorzüge, die ich hier sehe, sind die überfüllten Gassen und der durchdringenden Gestank nach Scheiße. Macht euch nicht lächerlich, Rael. Mein Leibwächter war loyal bis in den Tod – seine Familie, ist seid Generationen mit meiner verbunden.“

Rael schwieg einen Moment, bevor er ruhig antwortete: „Es ist bedauerlich, das er aus irgendwelchen Gründen weg ist. Doch ich versichere euch, dass ihr im allgemeinen hier und auch heute Abend beim Bankett in den kaiserlichen Gärten sicher seid.“

„Eure Versicherungen helfen mir wenig, Rael,“ sagte Felipe mit einem Hauch von Schärfe in der Stimme. „Was ich brauche, ist ein Leibwächter, der mich schützt. Ihr denkt ich bemerke, die Abneigung mir gegenüber nicht, aber da irrt ihr euch.“

Rael hob abwehrend die Hände. „Wenn ich könnte, würde ich euch einen meiner Männer zur Verfügung stellen. Doch alle verfügbaren Soldaten sind mit den Vorbereitungen für das Bankett beschäftigt, abgesehen davon sind es lediglich Soldaten und keine Leibwächter.“

Felipe zog die Augenbrauen hoch, als hätte er eine plötzliche Eingebung. „Und was ist mit ihm?“ Er deutete direkt auf Theron, der versucht hatte, so reglos und unbeteiligt wie möglich zu wirken.

Rael drehte sich scheinbar überrascht zu Theron um. „Mein Leibwächter? Nun, das wäre... ungünstig. Ich benötige ihn selbst, wie ich bereits erläutert habe.“

„Ungünstig?“ Felipe grinste spöttisch. „Rael, ihr seid doch ein scharfsinniger Mann, der niemandem traut. Und dennoch habt ihr jemanden wie ihn, der offensichtlich jeden Angreifer in Stücke hacken kann. Obwohl ich davon überzeugt bin, das ihr euch ohne einen auskommen würdet. Aber mir, dem Gesandten eures engsten Handelspartners, einen Hochrangigen Gast eures Kaisers verweigert ihr Schutz? Ist das der Umgang, den ihr mir und meinem Kaiser zeigt?“

Rael schien zu überlegen, seine Augen wanderten von Theron zurück zu Felipe. Schließlich seufzte er, als hätte er keine Wahl. „Wenn ihr darauf besteht, Felipe, werde ich ihn euch überlassen. Aber ich warne euch, er ist... eigenwillig.“

Felipe lachte zufrieden. „Eigenwillig? Ich glaube, ich werde mit ihm zurechtkommen.“

Theron sagte nichts, aber in seinen Gedanken tobten bereits Fragen. Rael hatte ihn geradezu absichtlich in diese Rolle gedrängt – und er zweifelte das Felipe das Spiel nicht durchschaut hatte.

„Also gut, dann werde ich mich jetzt verabschieden. Wir sehen uns dann ganz sicher auf dem Bankett,“ sagte Rael mit einem höflichen Lächeln, bevor er sich leicht verbeugte und schnellen Schrittes das Gasthaus verließ. Theron blieb reglos stehen, die Augen wachsam auf den Raum gerichtet, während Felipe in aller Ruhe an seinem Becher nippte.

„Wie loyal steht ihr zum Kaiserreich, Herr Leibwächter?“ fragte Felipe plötzlich, ohne ihn anzusehen, als Rael außer Reichweite war. Seine Stimme klang beiläufig, fast gelangweilt, doch Theron bemerkte den prüfenden Unterton.

Theron runzelte die Stirn. „Wie meint ihr das, Herr?“

„Na, seid ihr loyal gegenüber dem Kaiserreich Fyrendal oder doch... dem Golde?“ Felipe stellte seinen Becher ab und richtete seinen Blick auf Theron. Seine dunklen Augen funkelten herausfordernd.

Theron zögerte kurz, bevor er mit einem leichten Schulterzucken antwortete: „Wenn ihr mich so fragt, dann weder dem einen noch dem anderen.“

Felipe hob überrascht eine Augenbraue. „Wirklich? Was steht ihr dann loyal gegenüber?“

Theron ließ sich Zeit mit der Antwort, bevor er knapp erwiderte: „Mir selbst. Das reicht.“

Felipe klatschte einmal, leise und amüsiert, in die Hände. „Rael hat anscheinend nicht gelogen, als er euch als eigensinnig bezeichnete.“ Er erhob sich langsam, wobei mehrere kleine Glöckchen, die an den Rändern seines prachtvollen Gewandes befestigt waren, leise klingelten. „Solange er mir keinen loyalen Stiefellecker, oder Spion an die Seite stellt, bin ich zufrieden.“

Er griff beiläufig nach einem kleinen Säckchen in seinem Gewand und ließ es mit einem dumpfen Geräusch fallen. „Wenn ich mit euch zufrieden bin, werdet ihr sogar noch mehr erhalten. Ich bezahle gut.“

Theron warf einen skeptischen Blick auf das Säckchen, während Felipe sich mit eleganten Schritten in Bewegung setzte. „Los, kommt! Ich will mich noch ein wenig im Palast umsehen, bevor das Bankett beginnt.“

Theron folgte ihm, einen Schritt hinter ihm, als sie den prunkvollen Eingangsbereich des Gasthauses verließen. Die Sonne spiegelte sich auf den polierten Steinstufen, und die kühle Luft des Tages trug den Klang der fernen Straßenmärkte, auf der ersten Insel zu ihnen herüber. Felipe drehte sich um und murmelte über die Schulter hinweg: „Ich denke wir beide werden gut auskommen, wie heißt ihr eigentlich?“

„Ist mein Name den von Bedeutung?“

Felipe lachte auf. „Nein absolut nicht.“

 

Theron folgte Felipe, der mit müheloser Eleganz durch die hohen Gänge des kaiserlichen Palastes schritt. Die goldgerahmten Porträts früherer Kaiser und die kunstvollen Fresken glorreicher Tage des Reichs erschienen Theron prunkvoll und erdrückend zugleich. Felipe hingegen bewegte sich, als sei er zu Hause – mit der Selbstsicherheit eines Mannes, der wusste, dass seine Anwesenheit Bedeutung hatte, oder zumindest davon überzeugt war.

„Wie wollen sie das als Palast verkaufen?“ höhnte Felipe, ohne langsamer zu werden. „Selbst das Anwesen meiner Familie ist größer als das hier.“

Theron schwieg. Er wusste, dass Felipe seine Zustimmung nicht brauchte.

„Naja, was habe ich auch erwartet von einem Kaiserreich, das durch feigen Verrat unsere großartige Armee zurück hinter das Südkamp treiben konnte,“ fuhr Felipe spöttisch fort. „Wenn das nicht passiert wäre, wäre dieses Reich längst Teil von Amarun – und wäre nicht so zurück geblieben.“

Einige Höflinge huschten an ihnen vorbei, und Theron räusperte sich leise. „Ihr meint die Invasion von Amarun vor etwa hundert Jahren, das gesamt Bergen und teile Almoriens zerstört hat?“

Felipe warf ihm einen kurzen Blick über die Schulter, ein amüsiertes Funkeln in den Augen. „Ihr kennt die Geschichte? Das hätte ich nicht erwartet. Allerdings – korrigiere ich euch ungern – es war keine Invasion. Es war der Versuch, die lang abtrünnigen Provinzen endlich wieder einzugliedern.“

Theron überlegte kurz. „Soweit ich weiß, war Nordwood noch nie Teil von Amarun.“

Felipe lachte leise und schaute wieder nach vorne. „Das muss es auch nicht gewesen sein. Alles gehört von Natur aus zu Amarun – ob es bereits unter unserer Kontrolle steht oder nicht.“

„Das wirft nur eine Frage auf, wenn ihr erlaubt,“ sagte Theron ruhig.

„Ich erlaube es. Ihr scheint zumindest mehr Verstand zu haben als die meisten hier.“ Felipe warf einem kleinen Grüppchen Höflinge einen abschätzigen Blick zu.

„Was würde sich ändern?“ fragte Theron. „Es wäre nur jemand anderes, der die Macht hätte.“

Felipe hielt kurz inne, als ob er über die Frage nachdachte, bevor er antwortete. „Um das zu erklären, müsstest du mit mir nach Amarun kommen, dann wirst du es verstehen.“

Bevor Theron nachhaken konnte, wurden sie von einer kleinen Gruppe gestoppt. Zwei junge Männer, die sich bis aufs Haar glichen, flankiert von drei Wachen, standen vor ihnen. Felipe verneigte sich sofort tief.

„Ah, die Wohlgeborenen Prinzen Edwin und Alaric von Tallwood und Aerdal, Erben des großen Kaisers,“ sagte Felipe mit ausgesuchter Höflichkeit. Theron rührte sich nicht.

Die beiden Prinzen musterten Felipe mit unleserlichen Blicken. Während Alaric eine leichte Rüstung trug und seine Haltung selbstbewusst war, wirkte Edwin nachdenklicher, seine Hände ruhten locker an seinem Gürtel. Der Mann mit der Augenklappe an ihrer Seite starrte Theron eindringlich an. Die Narben auf seinem Gesicht verstärkten seinen grimmigen Ausdruck nur noch. Seine Aura strahlte in einem gefährlichen Türkis. Theron spürte sofort, dass dieser Mann ein Kämpfer war, dem man besser nicht den Rücken zukehrte.

„Herr Felipe,“ begann Alaric, dessen Aura in einem leuchtenden Orange pulsierte, durchzogen von roten Fäden, „es ist mir eine wahre nicht Freude, euch hier zu sehen.“

„Die Freude ist ganz meinerseits, eure Majestät Prinz Alaric,“ erwiderte Felipe diplomatisch. „Und natürlich euch, Majestät Prinz Edwin.“

Alaric ließ ein kurzes Lachen hören. „Immer noch der treue Speichellecker, Felipe? Wir wissen beide, dass ihr uns verachtet.“

„Ich bin dort, wo mein Kaiser mich braucht, selbst wenn es in einem Kuhstall ist,“ antwortete Felipe ruhig.

Alaric grinste. „Der Schmerz über die gescheiterte Invasion sitzt wohl noch tief. Übrigens, ich habe gehört, euer Leibwächter ist euch abhandengekommen?“

„Lass mich euch beruhigen,“ sagte Felipe lächelnd. „Auch wenn mein vorheriger Leibwächter nicht mehr bei mir ist, habe ich sofort Ersatz gefunden. Einen, der ihn vielleicht sogar in seinem können übertrifft.“

Die Prinzen richteten nun ihre Aufmerksamkeit auf Theron. Alaric musterte ihn neugierig, während Edwin ihn eingehender betrachtete, beinahe so, als suche er nach etwas. Der Mann mit der Augenklappe beugte sich zu Alaric hinüber und flüsterte: „Eure Majestät, Felipe spricht die Wahrheit. Der Mann ist ein Auror – seht die Tätowierungen an Hals und Armen, definitiv ein hervorragender Kämpfer.“

Alaric zog die Augenbrauen hoch. „Ein Auror? Was redet ihr da, Lothar?“

„Ein Streuner,“ antwortete Lothar, ohne Theron aus den Augen zu lassen. „Ein Kopfgeldjäger. Ein Monster.“

Ein breites Grinsen erschien auf Alarics Gesicht. „Ein Streuner, sagt ihr? Wie interessant. Wie heißt ihr, Streuner?“

„Theron,“ antwortete er knapp.

„Theron – wie weiter?“ fragte Alaric und beugte sich leicht vor.

„Einfach Theron. Ich besitze keine Titel.“

Alaric lachte laut und klatschte in die Hände. „Aber wie ich sehe besitzt ihr zwei Schwerter. Ich Frage mich nur, ob ihr wirklich etwas drauf hat, wenn selbst mein Fechtmeister euch als Monster beschreibt. Lasst uns kämpfen. Ich will wissen, was ihr könnt.“

Felipe unterbrach sofort. „Sicherlich nicht genug, um euch, eure Majestät, herauszufordern.“

Lothar schüttelte jedoch langsam den Kopf. „Ich rate ab, Prinz. Der Mann ist zu viel für euch, selbst ich hätte meine probleme.“

Alaric funkelte ihn an. „Wenn ich nicht bereit für ihn bin und ihr Probleme mit ihm habt, sollte ich mir wohl einen neuen Fechtmeister suchen. Vielleicht sollte ich ihn,“ er zeigte auf Theron, „zu meinen neuen Fechtmeister machen.“

„Bruder,“ mischte sich Edwin leise ein, „ist das wirklich der richtige Zeitpunkt? Das Bankett beginnt bald.“

„Es gibt immer Zeit, um sich zu messen,“ erwiderte Alaric und wandte sich erneut an Theron. „Nun, Streuner? Ein kleiner Kampf?“

Theron sah die unterschiedlichen Reaktionen. Lothar musterte ihn weiterhin misstrauisch, Edwin wirkte nachdenklich, aber in seiner Aura schimmerten rote Fäden auf – ein Hinweis auf unterdrückte Wut. Doch gegen wen? Schließlich fragte er ruhig: „Wie ihr wünscht, bis auf den Tod?“

Alaric war gerade dabei sein Schwert zu ziehen, als ihn Lothar daran hinderte. „Nicht hier, Prinz. Es gehört sich nicht in einem Palast die Schwerter zu ziehen.“

Alaric riss sich los und wollte etwas entgegen, als Edwin sagte: „Beruhige doch Bruder. Vater würde dir das nicht verzeihen.“

Alaric schien den Worten seines Bruders Beachtung zu schenken und nahm die Hand vom Schwertgriff. „Nein, nicht bis auf den Tod. Dann kommt mit nach draußen Streuner, dann muss ich euch halt draußen Kerben verpassen.“

 

Theron stand in der Mitte des sandbedeckten Platzes und ließ seinen Blick wandern. Es war ein überraschend einfacher Ort – keine Statuen, keine Dekorationen, nur der abgenutzte Sand unter seinen Stiefeln und ein hölzerner Zaun, der die Arena vom Rest des Palasthofs trennte. Ringsherum ragten die imposanten Mauern des kaiserlichen Palastes empor, ihre kunstvollen Steinmetzarbeiten von der Nachmittagssonne nur spärlich beleuchtet. Das warme Licht brach sich in den Fenstern und warf lange Schatten über den Platz.

Doch was ihn am meisten erstaunte, war die Anzahl der Menschen, die sich bereits versammelt hatten. Auf den Balustraden und zwischen den Säulen der oberen Etagen drängten sich Diener, Höflinge und Adlige. Leises Murmeln erfüllte die Luft, begleitet von gelegentlichem Kichern oder dem leisen Klirren von Schmuck. Es hatte kaum zehn Minuten gedauert, und doch schien die Nachricht über den bevorstehenden Kampf wie ein Lauffeuer durch den Palast gegangen zu sein. Theron spürte ihre neugierigen Blicke auf sich brennen, als wäre er eine Kuriosität auf einem Jahrmarkt. „Hätte ich das gewusst, wäre ich einfach an Elenfurd vorbeigeritten,“ dachte Theron.

Sein Blick glitt zu Prinz Alaric, der ihm gegenüberstand. Der Prinz war dabei, sich auf den Kampf vorzubereiten. Er prüfte den Griff seines Schwertes, ein kunstvolles Stück mit einem silbernen Knauf, das zu seiner leichten Rüstung passte. Neben ihm stand Lothar, der grimmige Fechtmeister, und sprach leise auf den Prinzen ein. Theron konnte ihre Worte nicht hören, aber er sah, wie Lothars Finger immer wieder auf Alarics Schwertspitze und Haltung deuteten. Der Mann war sichtlich bemüht, dem Prinzen letzte Anweisungen zu geben.

Am Rand des Platzes, direkt am Zaun, lehnte Prinz Edwin. Seine Hände waren verschränkt, sein Blick schien teilnahmslos in die Ferne zu gleiten, als wäre das, was vor ihm geschah, kaum von Bedeutung. Doch Theron bemerkte die subtile Anspannung in Edwins Haltung, ein kaum wahrnehmbares Zucken in seinen Fingern. In seiner Aura schimmerten feine rote Fäden – Anzeichen eines inneren Konflikts, den er sorgfältig zu verbergen versuchte.

Neben ihm stand Rael, so ruhig und gelassen, dass seine Anwesenheit leicht zu übersehen war. Er hatte die Arme verschränkt und betrachtete das Geschehen mit einem skeptischen, fast amüsierten Ausdruck. Doch hin und wieder bewegten sich seine Lippen, kaum merklich, als ob er leise mit Edwin sprach.

Edwin antwortete ebenso leise, sein Kopf leicht geneigt, sodass es wirkte, als ob er immer noch in Gedanken verloren wäre. Für Außenstehende sah es aus, als stünden die beiden Männer einfach nebeneinander, ohne einander Beachtung zu schenken. Doch Theron bemerkte die subtilen Bewegungen – ein flüchtiges Zucken an Edwins Mundwinkel, ein kurzes Heben von Raels Augenbraue. Was sie besprachen, blieb ein Rätsel, doch es war klar, dass Rael nicht nur beiläufig hier war.

Theron drehte den Kopf leicht und sah Felipe, der hinter ihm stand, außerhalb des Zauns. Der Diplomat grinste breit, seine Haltung entspannt, als hätte er jede Sekunde des Geschehens vorausgeplant. Felipe erwiderte seinen Blick kurz mit einem vielsagenden Nicken, als wolle er sagen: „Ich wusste, dass es so kommt.“

Theron atmete tief ein und schloss für einen Moment die Augen. Der Sand unter seinen Füßen fühlte sich vertraut an, beinahe beruhigend. Er musste versuchen, nicht sein ganzes können preiszugeben.

Ein plötzliches Zischen ließ ihn den Kopf heben. Alaric hatte sein Schwert gezogen, das Sonnenlicht tanzte auf der blanken Klinge. Der Prinz lächelte ihn herausfordernd an, ein selbstbewusstes Funkeln in den Augen. Lothar trat zurück, seine Hände hinter dem Rücken verschränkt, und nickte Alaric mit grimmiger Miene zu.

„Nun denn, Herr Theron,“ sagte Alaric laut genug, dass die Zuschauer es hören konnten, „zeigen wir diesen Zuschauern, ob es stimmt, was über euch Streuner gesagt wird.“

Theron griff an den Griff seines ersten Schwertes und zog es langsam aus der Scheide. Es war eine schlichte Waffe, ohne Schnörkel oder Verzierungen – und doch fühlte es sich in seiner Hand wie eine Verlängerung seines eigenen Arms an.

„Ich bin bereit,“ sagte er ruhig. Er nahm keine besondere Position ein, sondern er stand da, die Klinge des Kurzschwertes nach unten gerichtet.

„Ihr habt euer zweites Schwert nicht gezogen,“ rief Alaric, ein schiefes Grinsen auf den Lippen, das seine Verärgerung verriet.

Therons Blick blieb starr auf Alaric gerichtet, seine Haltung entspannt. „Das brauche ich nicht.“

Mit einem Kampfschrei stürmte Alaric vor. Währenddessen die Zuschauer auf den Balustraden den Atem anhielten und das murmeln verstummte. Alarics Schwert sauste in einem kraftvollen Hieb herab, gezielt auf Therons Schulter. Doch Theron bewegte sich, als wäre er eine Feder im Wind. Er trat leicht zur Seite, ließ Alarics Klinge ins Leere schneiden, und drehte sich geschmeidig um den Prinzen herum.

„Zu langsam,“ murmelte Theron leise, genug, dass nur Alaric es hören konnte.

„Was?!“ fuhr der Prinz auf und drehte sich mit einem weiteren Schlag um. Die Klinge schnitt durch die Luft, zielte auf Therons Brust, doch der Streuner duckte sich. Sein Kurzschwert blitzte kurz auf, nicht zum Angriff, sondern als Gegengewicht, um der Klinge auszuweichen.

Alarics Gesicht wurde dunkelrot. „Hör auf zu tanzen und kämpfe!“ rief er, sein Atem bereits schneller.

„Wenn ihr das wünscht,“ erwiderte Theron ruhig, ohne seine Haltung zu verändern.

Der Prinz setzte eine Reihe schneller Hiebe an, ein Beweis seines Könnens. Die Klinge summte durch die Luft, mal hoch, mal tief, aber Theron wich jedem Schlag aus. Mal drehte er sich geschickt, mal trat er leicht zurück. Seine Bewegungen waren ruhig, kontrolliert – ein Kontrast zu Alarics wachsender Ungeduld.

Mit jedem verpassten Schlag wurde der Prinz ungestümer. Sein Gesicht war vor Anstrengung gerötet, seine Haltung begann, sich zu lockern. Er brüllte wütend auf und griff mit einem wilden Überkopfhieb an. Doch Theron trat zur Seite, ließ Alaric ins Leere schlagen und brachte den Prinzen aus dem Gleichgewicht.

„Zorn ist ein schlechter Meister“ sagte Theron in fast beiläufigem Ton.

„SCHWEIGT!“ brüllte Alaric und stürmte erneut vor.

Doch diesmal war Theron vorbereitet. Mit einer geschickten Bewegung packte er den Arm von Alaric und stieß den Schwertknauf gegen die Rüstung, gerade genug das Alaric zurück taumelte.

Theron trat zurück, ließ sein Schwert sinken, als wolle er Alaric eine Chance geben, zu verschnaufen. Doch der Prinz sah es als Herausforderung. Er stieß ein wütendes Knurren aus und stürmte erneut auf Theron zu, diesmal wild, seine Schläge unpräzise und von Wut getrieben.

Theron wich elegant aus, seine Klinge kreiste mühelos um Alarics, lenkten sie ab, wenn nötig, ohne jedoch ernsthaft zurückzuschlagen. Es war ein Tanz, bei dem nur einer die Musik zu hören schien – und dieser eine war Theron.

Die Zuschauer begannen, murmelnd zu lachen und zu flüstern, ihre Aufmerksamkeit auf Alarics Ungestümheit gelenkt. Der Prinz hörte es, und seine Wut kochte über. Mit einem Schrei hob er sein Schwert für einen verzweifelten Hieb, doch Theron war schneller.

Mit einer flinken Bewegung trat Theron vor, seine Klinge blockierte Alarics Angriff, während er mit einem geschickten Tritt, Alaric das Standbein wegstieß, worauf er wie ein Klappmesser zu Boden ging. Ehe er sich versehen konnte blieb Therons Klinge Zentimeter vor Alarics Kehle stehen und verharte dort, wie eine Stimme Drohung.

„Das reicht!“ rief Lothar, der mit grimmigem Blick und ernsten Schritten näher kam. „Der Kampf ist beendet.“

„Was?!“ keuchte Alaric, während er Therons hasserfüllt ansah ohne sich zu regen. „Das ist noch nicht vorbei!“

„Doch, das ist es,“ sagte Lothar mit harter Stimme und sah den Prinzen direkt an. „Ihr seid außer Kontrolle, Majestät.“

Theron trat einen Schritt zurück, sein Schwert glitt in die Scheide auf seinen Rücken zurück und betrachtete Alaric mit demselben gelassenen Ausdruck, den er den ganzen Kampf über beibehalten hatte.

„Ich kämpfe wie ein Narr!“ schrie Alaric und schleuderte einen wütenden Blick auf Lothar. „Das ist eure Schuld! Ihr solltet mich vorbereiten!“

Felipe, der am Rand stand, lächelte spöttisch. „Nun, das war… unterhaltsam.“

Alaric fuhr herum, seine Wut nun auf Felipe gerichtet. Doch bevor er etwas sagen konnte, legte Edwin eine Hand auf seine Schulter.

„Bruder,“ sagte Edwin leise, sein Blick ernst. „Es reicht.“

Alaric starrte Edwin an, dann Theron, und schließlich Lothar. Mit einem knurrenden Laut wandte er sich ab und stapfte wütend vom Platz.

Theron stand noch immer auf dem sandbedeckten Platz, das Gewicht der neugierigen Blicke von Dienern und Adligen spürbar. Felipe näherte sich langsam, ein zufriedenes Grinsen auf den Lippen, als wäre der Kampf einzig zu seiner Unterhaltung inszeniert worden.

„Nun, das war eine... akzeptable Vorstellung,“ sagte Felipe, während er Theron mit einem abschätzenden Blick musterte. „Ich nehme an, Rael hat sich nicht geirrt, als er Euch als passenden Leibwächter ausgewählt hat.“

Felipe zupfte an seinem Ärmel, als ob das bloße Stehen auf diesem Platz seine Kleidung beschmutzen könnte. „Aber,“ fuhr er fort, „ich erwarte von meinen Leuten, dass sie nicht nur beeindrucken, sondern auch meinen Interessen dienen. Es mag Euch überrascht haben, aber Eure Leistung war nicht allein für den Prinzen oder die Zuschauer gedacht.“

Theron hielt Felipe einen kühlen Blick entgegen, ohne darauf zu reagieren. Er war an die spitzen Bemerkungen des Diplomaten gewöhnt, auch wenn sie selten berechtigt schienen.

„Der Kaiser hat mich gerufen,“ sagte Felipe dann, während er sich elegant abwandte. Seine Stimme war lauter, als nötig, ein klarer Hinweis für die Anwesenden, dass Felipe jemand von Bedeutung war. „Es geht um politische Angelegenheiten, die, wie Ihr Euch denken könnt, weit über Euren Horizont hinausgehen.“

Er machte ein paar Schritte in Richtung des Palastes, bevor er sich halb umdrehte und Theron einen auffordernden Blick zuwarf. „Kommt, Theron. Ihr seid schließlich nicht hier, um mir die Aussicht zu verschönern. Ich bezahle Euch, damit Ihr dort seid, wo ich Euch brauche.“

Theron nickte knapp, seine Miene blieb ausdruckslos. Innerlich fragte er sich jedoch, wie Felipe es geschafft hatte, so viel Arroganz in einem einzigen Satz unterzubringen. Ohne ein weiteres Wort folgte er Felipe, seine Schritte ruhig und gelassen, während der Diplomat in seiner üblichen, überheblichen Haltung voranschritt.

„Es gibt definitiv keinen Grund, Elenfurd noch einmal zu besuchen,“ dachte Theron.

Theron wartete schon eine ganze Weile vor den Gemächern des Kaisers. Die beiden Wachen mit ihren Hellebarden hatten längst aufgehört, ihn zu mustern, und ihre Blicke richteten sich nach vorne in die Leere. Theron lehnte an einer kalten Steinsäule und ließ seine Gedanken schweifen. Er hatte keine Ahnung, was in diesem Raum besprochen wurde, und ehrlich gesagt interessierte es ihn auch nicht. Solche Dinge waren weit entfernt von der Welt, in der er lebte – der Welt der Landstraßen, des staubigen Himmels und der zwielichtigen Tavernen. Doch hier im kaiserlichen Palast war alles durchzogen von Prunk, Machtspielen und einer überheblichen Selbstgefälligkeit, die ihm auf die Nerven ging.

Am Ende des Ganges bemerkte Theron eine Bewegung. Ein Mann näherte sich mit geschmeidigem Schritt. Es war Rael. Sein selbstsicherer Gang und der leichte Schatten eines Lächelns auf seinen Lippen signalisierten, dass er sich in diesen Hallen ebenso sicher fühlte wie ein Adler in seinem Horst.

„Es ist schön, dich zu sehen, Theron,“ begrüßte Rael ihn mit einer Stimme, die die Stille im Gang durchbrach. „Ihr habt wirklich ein Talent dafür, Ärger anzuziehen.“

Theron erwiderte den Blick gleichgültig. „Wie kommt ihr darauf?“

Rael schmunzelte. „Als ob ihr das nicht wüsstet. Aber kommt, lasst uns ein wenig gehen. Das, was dort drinnen besprochen wird, wird noch eine Weile dauern, glaubt mir ich kenne mich damit aus.“

Theron zögerte kurz, dann schob er sich von der Säule weg und folgte Rael durch die langen, stillen Gänge. Ihre Schritte hallten auf dem blank polierten Steinboden, der von hohen Wänden und gelegentlichen Gemälden flankiert wurde.

Nach einer Weile durchbrach Rael die Stille: „Welchen Eindruck habt ihr bis jetzt von Felipe?“ Seine Stimme war leise, fast wie ein Flüstern, und dennoch hatte sie Gewicht.

Theron zog eine Augenbraue hoch. „Den gleichen Eindruck, den ich von allen habe, die sich mit Politik befassen: überheblich, arrogant, und frei von jeglicher Moral.“

Rael lachte kurz und leise, wie ein Mann, der ein gut gehütetes Geheimnis kennt. „Das meinte ich mit Ärger anziehen. Ihr wäret ein miserabler Diplomat, Theron. Subtilität liegt euch nicht, nicht wahr?“

„Subtilität ist für jene, die sich hinter ihren Worten verstecken,“ erwiderte Theron trocken.

Rael blieb vor einem großen Gemälde stehen, das einen imposanten Ritter in einer prachtvollen Rüstung zeigte. Der einen gefallenen Gegner das Schwert in die Brust stieß.

„Ich nehme an, das soll die Niederschlagung der Revolution darstellen?“ fragte Theron nüchtern.

Rael war sichtlich überrascht. „Ihr habt ein gutes Auge und ein beachtliches Wissen, für jemanden, der sich stets als einfacher Söldner ausgibt. Es ist in der Tat der große Kaiser Severin, der gerade dem Zauberer Melor tötet und die Revolution beendet. Was wisst ihr über diese Zeit?“

Theron betrachtete das Bild genauer. „Die Revolution begann im Norden, während Severin im Süden gegen die Invasion von Amarun kämpfte. Melor, der grausame Zauberer, und Valen, der gefallene Adlige, nutzten die Abwesenheit der kaiserlichen Truppen, um ihre Bewegung zu entfesseln. Während der Kaiser seine Feinde im Süden zurückschlug, wuchs die Revolution zu einer Flamme, die beinahe das ganze Reich verschlungen hätte. Erst als Amaruns Streitkräfte zurückgedrängt waren, konnte Severin die vereinten Kräfte seiner Vasallen mobilisieren, um die Revolution zu zerschlagen. Melor wurde schließlich besiegt, aber er erhob sich später als der Eiskönig.“

Rael nickte langsam, sein Blick blieb auf das Gemälde gerichtet. „Eine faszinierende Geschichte, nicht wahr? Zwei Bedrohungen gleichzeitig – eine von außen, eine von innen. Und doch frage ich mich manchmal, ob diese beiden wirklich so unabhängig voneinander waren.“

Theron warf ihm einen seitlichen Blick zu. „Ihr meint, Amarun hätte die Revolution unterstützt?“

Rael drehte sich zu ihm um, ein geheimnisvolles Lächeln auf den Lippen. „Unterstützt? Wer weiß. Aber Amarun hat in dieser Zeit gezeigt, dass es eine gewisse… Effizienz besitzt, wenn es darum geht, Gelegenheiten zu nutzen. Während ihre Soldaten im Süden wüteten, säten sie vielleicht auch Chaos im Norden, ohne dass jemand es bemerkte. Es war schließlich eine Zeit des Chaos.“

Theron blieb ruhig, doch seine Augen verrieten einen Funken Misstrauen. „Ihr glaubt, die Geschichte könnte sich wiederholen?“

Rael zuckte die Schultern. „Vielleicht. Aber denkt nach: Amarun sieht uns immernoch als abtrünniges Reich, das wieder eingegliedert werden muss. Was oft vergessen wurde, ist die Rolle von Rivannon, wo Amarun ihre Finger mit ihm Spiel hatte. Sie wollen ihr Ziel erreichen – sei es durch offene Kriege oder durch das Flüstern im Schatten.“

Theron schwieg, sein Blick ruhte auf dem Bild von Severin und in Gedanken fragte er sich häufig, ob es sich wirklich so zugetragen hat. Oder ob es ein Beispiel davon war, das der Gewinner die Geschichte schreibt.

Rael sprach weiter, seine Stimme klang leise und fast beiläufig: „Ich sage nicht, dass Felipe bewusst eine Gefahr darstellt. Aber Amarun hat eine lange Geschichte darin, seine Botschafter für mehr zu nutzen, als nur Worte zu überbringen. Ihr solltet ihn im Auge behalten, Theron.“

Rael drehte sich um und ging den Gang weiter entlang, Theron folgte ihm.

„Warum habt ihr ausgerechnet mich ausgesucht, um dieses Attentat zu verhindern? Wie ihr euch vorstellen könnt, sind Paläste und deren Intrigen kein Terrain, in dem ich mich gut auskenne.“

Rael lächelte. „Ihr kennt euch doch auf den Landstraßen und in den zwielichtigen Gasthäuser aus, in denen das Recht und Gesetz nicht unbedingt durchgesetzt wird, oder?“

„Ja, aber was hat das damit zu tun?“ antwortete Theron.

Raels Lächeln wurde breiter, wissender. „Ganz einfach. Wir befinden uns hier und jetzt auf einer staubigen Landstraße, auf der alles Mögliche passieren kann.“ Er zeigte auf die kleinen Nischen und Türen, die sich wie Schatten entlang der Wände reihten. „Du kannst nie wissen, was im nächsten Moment passiert. Springt dort gleich ein Attentäter aus dieser Nische? Begegnet dir eine hochrangige Person mit einem schlechten Tag, die einfach jemanden bestrafen will? Das alles kann und ist schon passiert. Was glaubst du, warum die Diener und Höflinge hier immer mit gesenktem Kopf durchhuschen? Sie sind wie Bauern auf einer Staubigen Landstraße. Wer auffällt, verschwindet.“

Theron zog die Stirn kraus. „Und was ist mit den Gasthäusern?“

Raels Lächeln wurde verschmitzt, als sie den Thronsaal betraten.

Der Raum war imposant. Sie befanden sich auf einer der seitlichen Balustraden, und von hier aus bot sich ein umfassender Blick auf den riesigen, fast leeren Saal. Die hohen Säulen, die das Dach trugen, warfen lange Schatten auf den Steinboden, der in der Stille glänzte.

Doch es war der Thron, der den Raum beherrschte. Er erhob sich in der Mitte wie ein Monument, überwältigend in seiner Größe und kunstvollen Gestaltung. Theron fragte sich, wie ein Mensch sich dort nicht verloren fühlen konnte. Doch die Gestalt, die lässig mit einem Bein über die Lehne saß, schien das nicht zu stören.

„Das ist zum Beispiel eins von den unzähligen Gasthäusern hier im Palast,“ flüsterte Rael und stellte sich demonstrativ an die Balustrade.

Theron trat neben ihn, seine Augen fixierten die Person auf dem Thron. Prinz Alaric. Seine Haltung war locker, fast provokant. Neben ihm standen zwei Wachen, die nervös wirkten, als wüssten sie nicht, wie sie sich verhalten sollten.

Dann hörte er Schritte. Dröhnende Schritte, die in der Stille widerhallten. Prinz Edwin trat ein, seine Haltung steif, sein Gesicht eine Maske aus Zorn und Unsicherheit.

„Bruderherz, wie schön dich zu sehen,“ rief Alaric und grinste. Theron konnte nicht sagen, ob diese Selbstsicherheit echt war oder nur eine Maske, um die vorherige Demütigung zu überspielen.

Edwin blieb kurz stehen, bevor er demonstrativ um den Thron herumging, als wolle er ihn von allen Seiten inspizieren. „Du solltest doch wissen, dass Vater es gar nicht haben kann, wenn wir uns auf den Thron setzen. Oder hast du vergessen, wie er darauf besteht, dass dieser Platz nur für den Kaiser bestimmt ist?“

„Vater ist nicht hier,“ erwiderte Alaric gelassen. „Er ist doch nie da. Immer unterwegs, immer Gespräche führen. Vielleicht will er sich einfach nicht der Macht des Thrones stellen. Hast du mal darüber nachgedacht?“

„Er stellt sich der Macht, indem er das Kaiserreich führt,“ entgegnete Edwin, der dabei unwillkürlich die Hände zu Fäusten ballte. „Es ist seine Pflicht, und er tut, was notwendig ist, um unseren Wohlstand zu sichern.“

Alaric lehnte sich lässig auf die Armlehne des Thrones und begann laut zu lachen. Sein Lachen hallte in der Weite des Raumes wider, als würde es die Stille verhöhnen. „Wohlstand? Verantwortung? Bruder, das sind nur hübsche Worte für eine Last, die er zu tragen zu schwach ist. Unsere großen Vorfahren zum Beispiel Urgroßvater Severin, der Eroberer, der seine eigene Mutter in den Kerker geworfen hat, sie hatten keine Angst, die Macht zu nutzen, die ihnen gegeben wurde. Und was tut unser Vater? Er redet. Redet, bis die Welt an ihm vorbeigezogen ist.“

Die Nervosität der Wachen wurde greifbar. Theron konnte sehen, wie ihre Augen nervös zwischen den beiden Brüdern hin und her wanderten. Sie standen stocksteif, aber ihre Haltung verriet, dass sie jederzeit eingreifen würden, wenn die Situation eskalierte.

Edwin trat einen Schritt näher, sein Gesicht angespannt. „Vergiss nicht, Alaric, ich bin der Ältere von uns beiden. Und das bedeutet, dass ich eines Tages derjenige bin, der den Thron besteigt.“

Ein böses Lächeln zog sich über Alarics Gesicht. „Älter?“ Er sprach das Wort, als schmecke es seltsam. „Ein paar Minuten, Edwin. Ein paar Minuten machen dich nicht würdiger. Und selbst wenn...“ Er beugte sich vor, seine Augen funkelten. „Welcher Bauer würde den Unterschied merken? Wir sehen uns zum Verwechseln ähnlich.“

Edwin wirkte, als habe Alaric ihn geschlagen. Er machte einen Schritt zurück, seine Haltung wurde steifer. „Soll das eine Drohung sein?“

„Ich würde dir niemals drohen, Bruder,“ sagte Alaric, während er demonstrativ seinen Blick zur Decke und dann zu den hohen Fenstern des Thronsaals schweifen ließ. „Es ist nur ein Gedanke. Ein ‚Was wäre, wenn...‘“ Sein Lachen dröhnte wieder, diesmal schärfer und lauter.

Theron warf Rael einen Blick zu. Der Beobachter wirkte, als genieße er die Szene wie ein Schauspiel. „Seht ihr, Theron,“ flüsterte Rael leise, „dies ist der Unterschied zwischen uns einfachen Leuten und denen, die geboren wurden, um zu herrschen. Für sie ist der Thron nicht nur ein Sitz – er ist eine Bühne. Und manchmal auch eine Waffe.“

Edwin baute sich vor dem Thron auf, seine Schultern straff und der Blick auf die beiden Wachen gerichtet, die wie Statuen am Rand standen. Doch Theron konnte das leichte Zittern ihrer Hände sehen, das ihnen die Hellebarden beinahe entgleiten ließ.

„Wachen!“ Edwins Stimme schnitt durch die angespannte Luft. „Helft meinem Bruder vom Thron!“

Die beiden Männer warfen sich einen kurzen, nervösen Blick zu, bevor sie wieder starr geradeaus schauten. Ihre Körperhaltung verriet, dass sie die Situation lieber ignorieren wollten.

„Das gehört sich doch nicht, Bruder,“ ertönte Alarics spöttische Stimme vom Thron. Er rührte sich nicht, lehnte nur lässig zurück und schwenkte eines seiner Beine, als ob er sich auf einem bequemen Stuhl in einer Taverne befände. „Du willst die Wachen doch nicht in eine Lage bringen, in der sie zwischen uns beiden wählen müssen. Schließlich sind wir gleichgestellt. Beide Prinzen.“

Edwins Gesicht wurde rot vor Wut und seine Hand schloss sich um den Griff seines Schwertes. „Wachen! Ich habe euch einen Befehl erteilt, der im Sinne des Kaisers ist. Führt ihn aus oder ich melde euren Ungehorsam!“

Einer der Wachen räusperte sich leise, trat dann einen halben Schritt vor und hielt inne. Sein Kollege blieb unbeweglich und starrte auf einen Punkt hinter Edwin. Das Schweigen wurde so drückend, dass Theron unbewusst die Hände zu Fäusten ballte.

„Nun mach schon, Edwin,“ sagte Alaric mit süffisantem Lächeln. „Dein Zorn wird die Sache nicht klären. Aber gut, ich will dir die Peinlichkeit ersparen.“

Mit einer fließenden Bewegung schwang sich Alaric aus dem Thron. Seine Bewegungen waren so elegant, dass es fast wirkte, als tanze er. Er trat dicht an Edwin heran, so nah, dass ihre Gesichter nur wenige Fingerbreit voneinander entfernt waren.

„Du musst das Vertrauen der Menschen gewinnen, Bruder,“ flüsterte Alaric, seine Stimme seidig und voller unterschwelliger Drohung. „Aber Vertrauen... das ist so flüchtig, nicht wahr? Es genügt ein falsches Wort, ein flüchtiger Blick, und schon wenden sie sich ab. Die Leute lieben den, der ihnen Gold gibt und sie nicht in ein Moralisches Dilemma zwingen.“

Edwin verzog das Gesicht, doch bevor er etwas erwidern konnte, setzte Alaric nach: „Wäre ich an deiner Stelle, ich würde mich fragen: Bin ich derjenige der führt oder doch derjenige der verraten wird?“

Dann drehte er sich um und schlenderte aus dem Saal. Seine Schritte hallten mit einer provozierenden Gelassenheit durch den Raum.

Edwin blieb allein zurück, seine Faust so fest geballt, dass die Knöchel weiß hervortraten. Theron bemerkte, wie seine Lippen sich zu einem bitteren Strich verzogen, bevor er sich abrupt zu den verbleibenden Wachen wandte. „Keiner von euch wird darüber sprechen,“ knurrte er leise.

Die Männer nickten hastig, ohne ihn direkt anzusehen, und Edwin atmete schwer aus, als ob er mit jedem Atemzug seine aufkochenden Emotionen niederkämpfen müsste.

Rael wandte sich an Theron, sein Gesicht nun ernst, aber mit einem Anflug von Amüsement. „Verstehst du jetzt, was ich meine, Theron? Egal, ob hier im Palast oder in einem Gasthaus an der staubigen Landstraße – nirgendwo bist du sicher vor Intrigen, Machtspielen und Enttäuschungen. Es gibt niemanden, den man vertrauen kann.“

Theron zuckte mit den Schultern, seine Stimme trocken. „Nicht ganz. Das hier im Palast ist nichts weiter als eine Mischung aus Langeweile und Gold. Reine Dekadenz.“

Rael lachte leise, ein Laut, der fast so wirkte, als würde er durch die Wände hallen. „Und dort draußen, wo du dich so wohlfühlst, ist es nur Gold, das für das Notwendigste eingetauscht wird. Ist das wirklich etwas anderes?“

Theron antwortete nicht sofort. Stattdessen ließ er seinen Blick erneut durch den Thronsaal schweifen. „Welche Intrige plant ihr mit mir zu spielen, Rael? Was ist euer Ziel?“

Raels Lächeln verschwand, und seine Stimme wurde fast flüsternd. „Ich plane viele Intrigen, um den Fortbestand des Kaiserreichs zu sichern. Wenn ich dich in eine davon einweihe, bist du nicht nur eine Schachfigur, sondern ein Spieler. Aber das ist nicht deine Welt, Theron. Du würdest schneller untergehen, als euch lieb ist.“

Theron schnaubte leise.

Rael musterte ihn eindringlich, bevor er weitersprach. „Die Zwietracht zwischen den Prinzen ist eine tickende Zeitbombe, Theron,“ sagte Rael leise, während sein Blick durch die Schatten des Thronsaals schweifte. „Aber weißt du, was mich am meisten interessiert? Es ist nicht, wer zuerst zuschlägt – das ist unvermeidlich. Es ist, wer still bleibt und wartet. Denn derjenige, der schweigt, gewinnt am Ende immer.“

Er wandte sich zu Theron, sein Lächeln wie das eines Lehrers, der einen Schüler prüfen wollte. „Also frage ich dich, Söldner: Bist du jemand, der wartet? Oder jemand, der zuschlägt?“

Theron erwiderte nichts, doch seine Augen verengten sich leicht, während er Rael beobachtete.

Rael lächelte plötzlich wieder, diesmal jedoch kühler. „Natürlich liegt es nicht an mir, das Schicksal des Kaiserreichs zu bestimmen. Aber eines kannst du mir glauben: Wenn der Kaiser stirbt, dann wird es kein Severin geben, der die Ordnung wiederherstellt. Und du wirst mittendrin stehen, sowie alle Einwohner diese Kaiserreichs.“

Er klatschte in die Hände, das Geräusch hallte in der stillen Luft wider. „Aber genug geredet. Ich habe noch Vorbereitungen für das Bankett zu treffen. Wir sehen uns dort. Und vergiss nicht, Felipe im Auge zu behalten. Irgendetwas plant er – und ich bin mir sicher, dass es nicht im besten Interesse des Kaiserreichs liegt.“

Mit diesen Worten wandte er sich ab und verschwand mit einem letzten, wissenden Blick in den Schatten eines Seitengangs.

Theron stand reglos da, den Blick auf den leeren Thronsaal unter ihm gerichtet. Seine Gedanken wirbelten, doch nach außen zeigte er keine Regung. Bis eine bekannte Stimme ihn aus seinen Gedanken riss. „Was macht ihr hier? Ich habe nach euch gesucht.“

Es war Felipe der schnellen Schrittes auf ihn zukam.

„Ich hab mir kurz die Beine vertreten,“ antwortete Theron gleichgültig und schaute sich um, ob Rael noch zu sehen war.

„Was das angeht, solltet ihr noch einiges lernen. Leibwächter haben dort stehen zu bleiben, wo sie abgestellt wurden. Keine Alleingänge, Verstanden?“

Theron nickte genervt. Es war klar, warum er das nicht freiwillig machte, dachte er grimmig.

„Los kommt, heute wird ein bedeutender Abend für uns alle,“ sagte Felipe mit einem Grinsen. Flüsternd fügte er hinzu: „Besonders für mich.“

Obwohl die Abenddämmerung längst vorüber war, erstrahlte der Kaiserliche Garten in einem warmen, fast übernatürlichen Glanz. Hunderte, wenn nicht tausende von Lampions reihten sich an den akkurat gestutzten Hecken und über die weitläufigen Blumenbeete, deren Blüten im flackernden Licht in den verschiedensten Farbschattierungen schimmerten. Einige Lampions schwebten hoch oben, befestigt an unsichtbaren Drähten, während andere die geschwungenen Pfade entlangführten und ein Spiel aus Licht und Schatten warfen.

Theron folgte Felipe schweigend, während ihm die Mischung aus Licht und Geräuschen fast überwältigend vorkam. Die Luft war erfüllt von Musik – Harfen und Geigen, unterbrochen vom rhythmischen Schlag einer Trommel, die irgendwo in den hinteren Reihen erklang. Jongleure warfen funkelnde Kugeln in die Luft, Feuerspieler wirbelten Flammen, die knisternd durch die Dunkelheit schnitten. Doch all das schien Theron wie ein überladenes Bühnenstück, bei dem jeder Akteur darauf bedacht war, die eigene Bedeutung zu übertreiben.

Die Gäste um ihn herum glichen wandelnden Gemälden. Männer und Frauen trugen Gewänder in allen Farben, verziert mit Perlen, Goldstickereien und Edelsteinen, die selbst im Lampenschein zu funkeln schienen. Eine Frau mit einem ausladenden Kopfschmuck, der einer Krone gleichkam, rauschte an ihm vorbei und verströmte einen Hauch von Jasmin und teurem Parfum. Ihre Begleiter waren ähnlich aufwendig gekleidet, ihre Gesichter jedoch hinter maskenhaft höflichen Mienen verborgen.

Theron spürte eine seltsame Unruhe. Die Dekadenz dieser Welt war ihm fremd, und dennoch war es nicht die Pracht, die ihn störte, sondern die Energie der Menge. Die Auren, die diese Menschen umgaben, verschwammen wie Rauch im flackernden Lampenschein, und er konnte keinen einzigen klaren Gedanken fassen. Es war, als würden all diese Individuen ihre wahren Absichten unter zahllosen Schichten aus Masken und Lächeln verbergen.

Zwischen den prächtig gekleideten Gästen huschten Diener in unauffälligen Gewändern, mit Tabletts voller goldener Kelche und silberner Schalen. Die Wachen hingegen, deren Rüstungen in der Dunkelheit matt glänzten, blieben stumm wie Statuen, doch ihre Augen verfolgten jede Bewegung. Theron entging nicht, dass sie sich bevorzugt an strategischen Punkten positionierten – dort, wo die Pfade sich kreuzten, oder nahe den Tischen, an denen die bedeutendsten Gäste saßen.

Felipe war derweil vollkommen in seinem Element. Der Diplomat ließ seine Blicke durch die Menge schweifen, sein Gesicht zeigte einen Ausdruck voll gespielter Gelassenheit. Doch Theron, der ihm nun schon seit Stunden folgte, erkannte die winzigen Anzeichen, die seine wahren Gedanken verrieten: das kaum merkliche Zucken eines Mundwinkels, das kurze Heben der Brauen. Felipe war hier, um mehr zu tun, als nur höflich zu plaudern – er war hier, um die Spieler in diesem überfüllten Garten zu studieren.

Hin und wieder blieb Felipe bei einzelnen Personen stehen und wechselte ein paar höfliche Worte. Theron erkannte jedoch sofort, dass die Gespräche alles andere als herzlich waren. Die Auren seiner Gesprächspartner strahlten Misstrauen und leise Feindseligkeit aus, während auch Felipe selbst keine Sympathie für sie hegte. Doch er überspielte es gekonnt, sein Lächeln schien glatt wie polierter Stein.

„Es sieht nicht so aus, als ob ihr hier gerne gesehen seid,“ bemerkte Theron schließlich, leise genug, dass nur Felipe es hören konnte.

Felipe drehte sich halb zu ihm um, ein spitzbübisches Grinsen auf den Lippen. „Genau das ist die Kunst der Diplomatie,“ sagte er. „Man lächelt, selbst wenn man am liebsten den Dolch zücken würde. Höflichkeit und Etikette sind die Waffen, die Frieden schmieden. Aber ich merke, dass ihr dafür wenig übrig habt. Ihr müsst es auch nicht verstehen – sorgt nur dafür, dass kein echter Dolch mich erwischt.“

Theron grummelte leise, aber er hielt sich zurück. Diplomatie klang für ihn weniger nach einer Kunst und mehr nach einer maskierten Schlacht. Das war nicht seine Welt, und es war wohl besser, wenn er sich nicht einmischte.

Die beiden schritten weiter durch den Garten, vorbei an Schaustellern, Tischen voller Speisen und Gruppen in prunkvollen Gewändern, die in gedämpfter Lautstärke miteinander sprachen. Felipe hielt immer wieder an, beobachtete die Feuerspiele, kostete Speisen oder führte kurze Gespräche, während Theron stumm hinter ihm herging. Die Monotonie wurde nur durchbrochen, als sie zu einem Schausteller kamen, der mit Messern auf eine rotierende Scheibe warf, an der eine Frau befestigt war.

Theron hielt inne und betrachtete das Spektakel. Nicht, weil es ihn faszinierte, sondern weil es eine willkommene Ablenkung von seinem eintönigen Marsch darstellte. Doch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, erklang hinter ihnen eine kräftige Stimme.

„Felipe! Schon euch hier zu sehen!“

Theron wandte sich um und sah einen massigen Mann auf sie zukommen. Der Fremde hatte breite Schultern, sonnengegerbte Haut und einen Bart, der wie ein wilder Sturm aussah. Seine Kleidung – ein edler Mantel, der jedoch den rauen Stil eines Seemanns verriet – unterstrich seine imposante Präsenz.

Felipe drehte sich blitzschnell um, und zum ersten Mal sah Theron einen Hauch echter Freude in seinem Lächeln. „Eryx! Wie wunderbar, ein freundliches Gesicht hier zu sehen. Ich hatte schon die Befürchtung, nur Schlangen anzutreffen.“

Eryx lachte tief, ein donnerndes Geräusch, das die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf sich zog. „Das dachte ich auch, aber dieses Spektakel wollte ich mir nicht entgehen lassen. Obwohl die Blicke um mich herum deutlich sagen, dass ich nicht willkommen bin.“

„Kenn ich, kenn ich,“ sagte Felipe eifrig und deutete mit einer kleinen Geste auf die umstehenden Gäste. „Ihr teilt die Verachtung, die Amarun entgegengebracht wird. Aber glaubt mir, heute wird es ein Spektakel. Ihr werdet schon sehen.“

Eryx grinste breit. „Wenn ihr das sagt, Felipe, dann freue ich mich jetzt schon darauf.“ Sein Blick wanderte zu Theron. „Und wer ist der grimmig aussehende Mann an eurer Seite?“

Felipe winkte ab. „Ach, das ist nur mein neuer Leibwächter.“ Er trat einen Schritt näher an Eryx heran und sprach in einem verschwörerischen Ton weiter: „Passt auf, Eryx. Rael, dieser durchtriebene Bastard, hat meinen alten Leibwächter beiseite geschafft.“

Eryx hob eine Augenbraue. „Und wo habt ihr diesen hier aufgetrieben?“

„Von Rael selbst,“ sagte Felipe mit einem triumphierenden Lächeln. „Ich habe ihn ihm abspenstig gemacht. Und lasst euch gesagt sein, er hat es in sich. Er hat sogar Prinz Alaric im Kampf den Arsch versohlt. Oho, das hättet ihr sehen müssen!“

Eryx’ Gesicht erhellte sich. „Das hätte ich gern gesehen! Aber macht euch keine Sorgen um meine Sicherheit, Felipe. Wenn hier jemand Ärger machen will, werden meine Hände es schon regeln.“ Er hob seine großen Hände und machte eine Drehbewegung, als würde er etwas knicken. Dann brach er in lautes Gelächter aus.

Felipes Ausdruck wurde ernster. „Ich meine es ernst, Eryx. Traut Rael und dem Kaiser kein Wort. Sie verachten uns – das wisst ihr.“

Eryx nickte langsam, sein Lächeln verschwand. „Das ist mir bewusst. Aber wenn sie es darauf anlegen wollen, werden wir nicht kampflos untergehen.“ Nach einer kurzen Pause fügte er mit einem grimmigen Grinsen hinzu: „Aber bis dahin genieße ich das Spektakel und vor allem die Speisen.“

Felipe nickte zufrieden. „Nichts anderes habe ich von dir erwartet. Allerdings muss ich weiter. Ich hoffe, wir sehen uns später.“ Er reichte Eryx die Hand, die dieser fest drückte. Dann wandte Felipe sich um, und Theron folgte ihm wieder in die Menge.

Nach endlosem, monotonem Umherlaufen wurde Theron aus seiner Trance gerissen, als ein Zischen die Stille durchschnitt. Augenblicke später explodierte etwas am Himmel in einem farbenprächtigen Spektakel. Funken sprühten in leuchtendem Rot, Blau und Gold und ließen die Nacht erstrahlen. Die Gäste um ihn herum hielten inne und richteten ihre Blicke ehrfürchtig gen Himmel. Eine weitere Explosion folgte, dann noch eine, jede mit neuen Farben und Formen.

„Was ist das?“ fragte Theron, seine Verwunderung kaum verbergend.

Felipe, der mittlerweile an seiner Seite stehen geblieben war, grinste breit. „Das nennt sich Knallkörper. Ein Geschenk von Amarun. In Amarun gehören sie zu fast jedem Fest. Atemberaubend, nicht wahr?“

Theron nickte knapp, sein Blick blieb auf das leuchtende Schauspiel gerichtet, doch seine Aufmerksamkeit ließ nicht nach. Während der Himmel weiter erstrahlte, bemerkte er, wie sich die Gäste langsam um eine große Bühne versammelten, die inmitten des Gartens aufgestellt war.

„Jetzt wird es interessant,“ murmelte Felipe.

Theron folgte seinem Blick und entdeckte am Rand der Bühne zwei bekannte Gestalten: Rael und Alaric. Die beiden unterhielten sich leise. Rael sprach, während Alaric nur stumm nickte, sein Gesichtsausdruck ernst und angespannt.

Ein donnernder Knall erhellte die Nacht erneut, doch diesmal war es kein Knallkörper. Stattdessen erklomm ein Mann die Bühne, gekleidet in eine prunkvolle Uniform, eine goldene Krone auf seinem Haupt. Obwohl das Licht schwach war, konnte Theron sich denken, wer es war: Der Kaiser.

Mit einer Stimme, die wie eine Klinge durch die Gespräche der Menge schnitt, begann er zu sprechen. „Ich heiße alle Anwesenden willkommen, die den weiten Weg auf sich genommen haben, um an diesem Bankett teilzunehmen.“

Die Gespräche der Gäste verstummten augenblicklich.

„Selbst aus den entferntesten Winkeln unseres Kaiserreichs sind Gesandte angereist,“ fuhr der Kaiser fort, seine Stimme von einer Autorität durchdrungen, die keinen Widerspruch duldete. „Dafür bin ich zutiefst dankbar.“

Die Menge applaudierte, doch Theron bemerkte, dass es mehr aus Pflichtgefühl geschah als aus echter Begeisterung. Der Kaiser wartete, bis das Klatschen abebbte, bevor er mit seiner Rede fortfuhr.

„Es gibt einen wichtigen Grund, dieses Bankett zu veranstalten.“ Er ließ eine bedeutungsschwere Pause. „Es geht um nichts Geringeres als die Zukunft unseres Kaiserreichs.“

Ein betretenes Schweigen trat ein, die Spannung in der Luft war greifbar. Doch bevor der Kaiser weiter sprechen konnte, wurde der Moment jäh unterbrochen.

Mit einem Zischen flog eine Rauchbombe auf die Bühne und explodierte in einer Wolke aus dichtem, grauem Rauch. Die Menge wich erschrocken zurück, Stimmen erhoben sich in Panik. Theron bemerkte sofort, wie Felipe gelassen grinste, als wüsste er genau, was vor sich ging.

„Was …?“ begann Theron, doch Felipe winkte nur ab.

Theron zögerte nicht lange. Während die Wachen rings um die Bühne verwirrt stehen blieben, stürmte er los. Er drängte sich durch die Menge, rempelte Damen und Herren in prächtigen Kleidern an, die entrüstet schrien, und sprang schließlich über einen mit Speisen beladenen Tisch. Platten und Schüsseln flogen in die Luft, verschütteten Wein und Soßen auf die Umstehenden – doch Theron kümmerte sich nicht darum.

Als er die Bühne erreichte, drang er durch den Rauch und erspähte eine dunkle Gestalt. Der Schatten schlich sich hinter den Kaiser und stach zu. Der Kaiser sackte, mit einem stummen Schrei zusammen, während die Gestalt noch mehrmals auf ihn einstach.

Theron knurrte, zog blitzschnell seine Kurzschwerter und mit einem herzhaften Sprung landete er auf der Bühne. Mit einem gezielten Wurf schleuderte er eines seiner Schwerter auf den Attentäter, der sich bereits abwandte. Die Klinge durchdrang das Bein der Gestalt, die daraufhin stolperte und zu Boden fiel. Doch Theron hatte keine Zeit, sich darum zu kümmern.

Aus dem Rauch tauchte plötzlich Alaric auf, offenbar herbeigeeilt, um die Situation zu begutachten. Doch hinter ihm erschien Rael – mit gezogenem Schwert. In einer fließenden Bewegung hob Rael die Klinge, bereit, Alaric niederzustrecken.

Theron reagierte instinktiv. Er warf sich vor und parierte Raels Angriff mit einem lauten Klirren. Funken sprühten, als die Klingen aufeinandertrafen.

„Theron!“ Alaric keuchte überrascht und wich zurück, sein Blick von Schock und Misstrauen geprägt.

„Beweg dich!“ knurrte Theron, während er Raels Gewicht zurückdrängte.

Rael kniff die Augen zusammen, ein höhnisches Lächeln spielte auf seinen Lippen. „Na, na … Ich dachte, ich hätte klar gemacht, dass du hier nicht der Spieler bist.“

Theron antwortete nicht. Mit einer schnellen Bewegung brachte er Rael aus dem Gleichgewicht und zwang ihn zurück. Doch Rael gab nicht so schnell auf und führte eine Reihe von Hieben aus, die Therons Kurzschwert – im schwachen Licht der Laternen blitzend – mühelos parierte.

Im passenden Moment nutzte Theron einen unbedachten Hieb von Rael, um mit einem schnellen Schritt zur Seite dessen Schwung gegen ihn selbst zu wenden, was Rael ins Wanken brachte.

„Du bist schneller, als ich dachte,“ knurrte Rael, bevor er einen weiteren Hieb führte, den Theron mit spielerischer Leichtigkeit abwehrte. Doch bevor Theron zum entscheidenden Schlag ansetzen konnte, erklang das Rufen der Wachen, die sich aus ihrer Starre befreit hatten, und das Chaos brach endgültig auf der Bühne aus.

Alaric, der im dichten Rauch seinen Stand zu verlieren schien, rutschte plötzlich aus und fiel unsanft von der Bühne. Der Aufprall war deutlich zu hören.

„Verdammt!“ murmelte Theron, doch in diesem Moment stürzten die ersten Wachen durch den sich lichtenden Rauch auf ihn zu.

„Waffen nieder!“ brüllte einer von ihnen.

Bevor Theron seinen Fokus auf die Wachen legen konnte, spürte er bereits, wie das Gewicht von zwei schweren Wachen ihn zu Boden drückte. Sein Schwert klirrte beim Herunterfallen. Er hätte sich wahrscheinlich befreien können, doch er wehrte sich nicht. Sein Blick ruhte auf Rael, der sich langsam aufrichtete und theatralisch das Blut auf seiner Kleidung inspizierte.

Der Rauch verzog sich, und das Bild, das sich der Menge bot, war verheerend. Der Kaiser lag reglos auf dem Boden, seine goldene Uniform durchtränkt von Blut. In einer Ecke der Bühne versuchte Prinz Edwin, mit Therons Kurzschwert im Bein, davon zu kriechen. Doch sein Gesicht war vor Schmerz verzerrt. Als er sah, dass Theron am Boden lag, versuchte er, sich unter Schmerzen aufzusetzen.

Rael trat in die Mitte der Bühne und streckte eine Hand aus, um die Menge zur Ruhe zu bringen. Seine Stimme war kalt und voller gespielter Empörung.

„Das ist Verrat!“ rief er laut, und die Menge verstummte. „Der Kaiser wurde ermordet, und der Angreifer hat versucht, auch die Prinzen zu töten! Doch ich habe ihn rechtzeitig gestoppt!“

Seine Hand zeigte dramatisch auf Theron, der von den Wachen auf den Holzboden der Bühne gedrückt wurde. „Das ist der Mörder! Ein Söldner, bezahlt mit Gold aus Amarun, der die Kaiserfamilie töten sollte!“

Ein Raunen ging durch die Menge. Rael ließ seinen Blick über die Gäste schweifen und richtete dann einen vernichtenden Finger auf Felipe, der schnell von Wachen umringt wurde.

„Und seht euch diesen Mann an! Felipe von Amarun, der Diplomat! Er hat das im Namen seines Kaisers eingefädelt. Glaubt ihr wirklich, dass er nur aus guten Absichten hier ist? Nein, liebe Leute, er hat dieses Attentat geplant! Amarun ist ein Feind des Kaiserreiches, und ihre Diplomatie ist nichts als eine List. Wir sollten den Südkamp passieren und sie auslöschen, bevor sie uns ins Chaos stürzen!“

Theron blieb reglos. Er wusste, dass Widerstand die Situation nur verschlimmern würde. Rael trat näher und beugte sich zu ihm hinab, ein triumphierendes Grinsen auf seinem Gesicht. Während die Stimmung in der Menge kippte, wurden bestätigende Rufe lauter.

„Du ziehst Ärger an, Theron. Es war immer so,“ flüsterte Rael leise. „Aber dieses Mal, kommst du da nicht wieder heraus.“

Theron erwiderte nichts. Sein Blick war starr und durchdringend.

Während die Menge zusehends aufgebracht wurde, sprang plötzlich Eryx, der Gesandte von Rivannon, an Felipes Seite. Mit seiner gewaltigen Statur hielt er die Wachen kurzzeitig auf Abstand.

„Haltet ein!“ rief Eryx mit donnernder Stimme. „Felipe hat nichts mit diesem Verrat zu tun! Ich bürge für ihn!“

Doch Rael richtete sich wieder an die Menge und ließ nicht locker. „Natürlich würdet ihr ihn verteidigen, Eryx! Rivannon und Amarun sind sich doch seit jeher einig! Vielleicht seid ihr sogar Mitverschwörer, so wie bereits vor hundert Jahren!“

Die Menge drängte auf Felipe und Eryx zu, wobei die Wachen statt Felipe und Eryx daran hinderten, zu fliehen. Sie bildeten nun einen Puffer zwischen den beiden und der aufgebrachten Menge.

Plötzlich erklang eine klare, aber erschöpfte Stimme: „Genug!“

Alle Augen wandten sich wieder der Bühne zu. Prinz Alaric humpelte auf die Bühne. Sein Gesicht war von Blut und Dreck gezeichnet, doch seine Augen funkelten vor Entschlossenheit.

Rael war sichtlich überrascht. „Prinz Alaric! Ihr lebt! Sprecht, was habt ihr gesehen? Dieser Mann,“ er zeigte auf Theron, „hat den Kaiser ermordet und versucht, euch ebenfalls zu töten! Und seht, was mit eurem Bruder passiert ist!“ Er zeigte auf Prinz Edwin, der sich aufgesetzt hatte und voller Panik auf sein Bein starrte, aus dem das Schwert ragte.

Doch Alaric richtete sich so gut es ging auf und zeigte mit zitternder Hand auf Rael. Seine Stimme brach, als er schrie: „Lüge! Es warst du, Rael! Du hast versucht, mich zu töten!“

Ein Schock ging durch die Menge; die Aufgebrachteren gegen Felipe und Eryx schienen vergessen zu sein. Raels Gesicht versteinerte, und für einen Moment schien es, als suche er nach einer Antwort.

Alaric hob zitternd die Hand und deutete auf Rael. „Wachen! Nehmt ihn fest, für das versuchte Attentat auf mich!“

Rael, der kurz erstarrt war, setzte sich ruckartig in Bewegung und versuchte, unauffällig durch die Menge zu entkommen. Doch vor ihm tauchte plötzlich Eric, flankiert mit zwei schwarzen Gestalten auf. Mit einem knappen nicken, packten die beiden gestalten Rael, der verzweifelt versuchte zu protestieren. „Das kannst du nicht tun, Eric. Ich bin dein Vorgesetzter.“

Eric beugte sich kalt und emotionslos zu Rael hinunter. „Das warst du, Rael. Aber du hast es zu weit getrieben.“ Damit wandte er sich ab und ging auf die Bühne.

Alaric, sichtlich erschöpft, ließ sich von einem Diener stützen, während er erneut sprach. „Lasst den Mann dort los,“ befahl er und deutete auf Theron, der immer noch im Dreck lag, von Wachen umringt.

Die Wachen zögerten einen Moment, bevor sie sich von ihm zurückzogen. Theron konnte endlich wieder frei atmen und richtete sich langsam auf. Seine Augen ruhten auf Alaric, doch dieser erwiderte den Blick nicht. Ohne ein Wort der Anerkennung oder des Dankes wandte sich Alaric ab, als ob Theron nicht existierte. Es war klar, dass die Demütigung ihrer vorherigen Auseinandersetzung noch tief in ihm brannte.

Theron schnaubte leise und richtete seinen Mantel. Doch er sagte nichts, sondern trat zur Seite, um Eric passieren zu lassen, der ihm einen anerkennenden Blick zuwarf, bevor er auf Alaric zuging.

Die Wachen, die sich mittlerweile um Alaric und Edwin geschart hatten, hielten Eric jedoch auf, ihre Speere auf ihn gerichtet. „Zurückbleiben!“ rief einer von ihnen.

Doch Alaric hob die Hand und gebot den Wachen Einhalt. „Lasst ihn durch.“

Eric trat mit völliger Gelassenheit an Alaric heran. Seine Haltung war entschlossen, sein Gesicht angespannt. Als er Alaric erreichte, neigte er sich zu ihm und flüsterte ihm etwas ins Ohr, das Theron nicht verstehen konnte.

Alarics Augen weiteten sich, und er richtete seinen Blick sofort auf seinen Bruder Edwin, der auf der anderen Seite der Bühne saß. Edwin sah zu Alaric auf, doch in seinem Blick lag keine Reue – nur eine Mischung aus Trotz und Resignation.

„Wachen!“ rief Alaric mit einer Stimme, die keine Widerrede duldete. „Nehmt auch Prinz Edwin fest!“

Ein entsetztes Murmeln ging durch die Menge. Edwin machte keine Anstalten, sich zu wehren, oder auch nur etwas zu sagen. Er ergab sich seinem Schicksal.

Die Wachen zögerten, doch schließlich traten sie vor, hoben Edwin hoch und schleppten ihn, mit dem Schwert im Bein, von der Bühne. Edwin kämpfte nicht, sondern ließ es geschehen. Sein Gesicht war bleich und starr.

Die Menge war wie versteinert. Niemand wagte es, auch nur ein Wort zu sagen. Alaric stand inmitten des Chaos, sein Blick schwer und voller Anspannung. Der Kaiser war tot, der Thron stand vor einer ungewissen Zukunft, und nun hatten Verräter aus den eigenen Reihen das Kaiserreich in seinen Grundfesten erschüttert.

Mit einem letzten Blick auf die versammelten Gäste sagte Alaric, seine Stimme fest, aber müde: „Das Bankett ist vorbei. Kehrt in eure Unterkünfte zurück.“

Ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und ließ sich von seinen verbliebenen Getreuen stützen. Eric trat an Theron heran. Sie beide waren die letzten auf der Bühne.

„Kommt, Herr Theron. Das Kaiserreich steht in eurer Schuld.“

Theron knurrte lediglich und folgte Eric von der Bühne. Im Gedanken fragte er sich immer noch, warum er nicht einfach abgehauen war und das Geschehene ihm egal gewesen wäre.

Die ersten Sonnenstrahlen erhellten den Horizont, als Theron frühmorgens die Zügel seines Pferdes aufnahm. Der kräftige Rappe mit dem glänzenden schwarzen Fell setzte seine Hufe gleichmäßig auf das Pflaster von Hochstein, der wohlhabenden Insel und dem Sitz des Kaisers. Die Prachtstraße erstreckte sich vor ihm, gesäumt von kunstvoll verzierten Villen mit Fresken und aufwendig gestalteten Torbögen. Diener kehrten die Höfe, während aus den Küchen der Duft von frischem Brot in die kühle Morgenluft stieg.

Doch Theron fühlte keine Bewunderung für diesen Glanz. Für ihn war es bloß eine glänzende Fassade, die die Risse der Macht und die Schrecken dahinter verbarg. Er zog seinen Mantel enger um sich und lenkte sein Pferd durch die Hauptader der Insel. Sein Ziel lag auf der anderen Seite: Steintor.

Am Übergang änderte sich die Atmosphäre schlagartig. Das massive Tor, das die beiden Inseln voneinander trennte, wirkte wie eine Grenze zwischen zwei Welten. Die Straßen von Steintor waren schmaler, die Häuser einfacher, und die Geräusche des beginnenden Tages deuteten auf das geschäftige Treiben der Händler und Arbeiter hin.

Marktschreier eröffneten ihre Stände mit lauten Rufen. „Frischer Fisch! Direkt aus der Bucht gezogen!“ Ein Mann mit wettergegerbtem Gesicht hielt triumphierend eine Makrele hoch, während ein anderer, dessen Stand von dampfendem Brot erfüllt war, lautstark die Qualität seiner Ware pries. Betrunkene taumelten aus den Tavernen, einige lallend, andere schweigend mit gesenktem Kopf. Ein Kind lief lachend durch die Straßen, verfolgt von einem älteren Mann mit einer schweren Kiste auf einer quietschenden Karre.

Theron ließ seinen Blick über die erwachende Stadt schweifen, während sein Pferd im gemächlichen Schritt weiterritt. Doch als er den großen Marktplatz erreichte, hielt er inne. Vor der Statue des ersten Kaisers wurde ein Galgen errichtet. Männer mit schwieligen Händen zogen Balken und Seile heran, während ein Aufseher laut Anweisungen brüllte.

Ein kalter Schauder lief Theron über den Rücken. Der Anblick war ihm vertraut, aber er ließ ihn jedes Mal aufs Neue schaudern. Es war ein weiteres Zeichen der Herrschaft des neuen Kaisers, der nicht zögerte, Verrat mit einem Strick zu beantworten. Theron verzog das Gesicht.

„Ein Tag zu viel in dieser Stadt,“ murmelte er und gab seinem Pferd die Sporen.

Am Stadttor, einem massiven Bauwerk aus schwarzem Stein, das die mächtige Brücke zum Festland bewachte, hielt Theron erneut an. Die Brücke erstreckte sich wie eine gewaltige Kette über das Meer, doch seine Aufmerksamkeit wurde von einer Gestalt abgelenkt, die an der Mauer des Tores lehnte.

Eric.

Ein Offizier der Kaiserlichen Spionage wirkte wie immer gelassen, doch sein Blick war scharf wie ein Messer.

„Einfach so davonreiten, Theron?“ fragte Eric mit einem schmalen Lächeln. „Das passt gar nicht zu dir.“

Theron richtete sich im Sattel auf und erwiderte den Blick. „Warum nicht? Ich bezweifle, dass der Prinz mir eine Auszeichnung verleihen will. Diese Stadt hat mir mehr aufgebürdet, als ich  wollte.“

Eric grinste, ein Ausdruck, den Theron bei ihm selten gesehen hatte. „Genauer gesagt habe ich dir das aufgebürdet. Aber schon nach einem Tag wieder abzureisen, ist das nicht ein bisschen vorschnell?“

Theron schnaubte und warf einen Blick zurück zur Stadt. Der aufgehende Morgen ließ die Dächer in goldenem Licht erstrahlen, doch für ihn wirkte alles grau und bedrückend. „Ein Tag zu viel. Außerdem will ich nicht riskieren, dass ich plötzlich neben Rael und Edwin am Galgen hänge.“

Eric neigte den Kopf, als ob er diese Möglichkeit ernsthaft abwog. „Ausschließen kann man das nicht. Auch wenn ihr den Prinzen gerettet habt, habt ihr ihn in aller Öffentlichkeit gedemütigt. Und unser baldiger neuer Kaiser ist, sagen wir, nicht gerade für seine Nachsicht bekannt.“

Theron zog eine Augenbraue hoch. „Ich nehme an, der Galgen auf dem Marktplatz ist also für Prinz Edwin und Rael?“

Eric lächelte. „Edwin zunächst nicht. Aber solche Dinge haben eine Art, sich auszuweiten.“

„Und woher wusstet ihr eigentlich, dass Edwin in Raels Pläne verwickelt war?“ fragte Theron.

Eric zuckte mit den Schultern. „Ich hatte schon länger die Vermutung, das Rael nach Macht greifen wollte. Aber es fehlte immer ein Puzzlestück – jemand, der ihm das Blut für seine Machtansprüche liefern konnte. Edwin war dieses Puzzlestück.“

„Und wie lange wusstet ihr davon?“

Eric grinste nur und sagte nichts.

„Verstehe,“ sagte Theron lediglich und richtete sich im Sattel auf, sein Blick auf das Tor gerichtete.

„Wir könnten öfter zusammen arbeiten,“ sagte Eric.

Theron richtete sich im Sattel auf, sein Blick kühl. „Ich verzichte nur zu gerne auf dieses 'zusammenarbeiten'.“

Eric nickte. „Das ist verständlich aber schade – für mich. Leb wohl, Theron.“

Theron gab seinem Pferd die Sporen und ritt durch das Tor. Hinter sich ließ er die Stadt, ihre Intrigen und die Schatten, die sie warfen. Vor ihm lag

die Brücke und die vertraute Staubige Landstraße.

Die Sonne stand hoch am Himmel und brannte auf den sandigen Übungsplatz herab. Die Hitze flirrte in der Luft, ließ den Staub glimmen, der in feinen, goldenen Schlieren über den Boden tanzte. Der Schweiß klebte an Therons Haut, vermischte sich mit dem Schmutz, der ihm an Armen und Beinen haftete.

Er blinzelte, hob den Kopf und versuchte, in die Sonne zu sehen. Doch das Licht war zu grell, zu schmerzhaft. Es zwang ihn, die Augen wieder zu schließen.

Sein Holzschwert lag schwer in seiner Hand. Raues, unbehandeltes Holz, abgenutzt von den vielen Schlägen, die es einstecken musste.

Warum muss ich das tun? Warum müssen Menschen überhaupt kämpfen?

Er wusste nur, dass er kämpfen musste. Dass er stark werden musste. Aber wofür? Damit er eines Tages nicht mehr verlieren würde? Damit er nicht mehr auf dem Boden lag, Staub in der Nase, Schmerzen in den Knochen?

„Los!“

Lorgas Stimme durchschnitt die flirrende Luft wie ein Peitschenhieb.

Theron blinzelte, riss den Blick von der Sonne los – und sah Carad auf sich zurasen.

Sein Gegner war zwei Jahre älter, größer, kräftiger, und er bewegte sich mit der Gelassenheit eines Jungen, der wusste, dass er gewinnen würde.

Theron hob das Schwert, doch bevor er sich richtig in Stellung bringen konnte, spürte er den ersten Schlag. Hart. Direkt auf die Schulter. Schmerz schoss durch seinen Arm, und er stolperte rückwärts.

Er biss die Zähne zusammen, zwang sich, den Griff um das Schwert nicht zu lockern.

„Jetzt komm schon, ich will ein bisschen Spaß,“ sagte Carad hämisch, ließ seine Klinge sinken, trat einen Schritt zurück und grinste. Eine Herausforderung. Eine Demütigung.

Theron wusste, was passieren würde. Er kannte dieses Spiel. Carad tat es jedes Mal.

Er zögerte. Dann packte er das Schwert fester und stieß zu. Irgendwie musste er gewinnen.

Doch Carad wich seinem Schlag aus, als wäre es das Leichteste der Welt. Mit einem einzigen, mühelosen Schritt ließ er Therons Angriff ins Leere gehen. Bevor Theron das Schwert wieder heben konnte, sauste Carads Klinge bereits durch die Luft – und traf ihn hart an der Seite.

Der Schlag ließ ihn keuchen, ein dumpfer Schmerz explodierte in seiner Rippe.

„Nochmal.“ Carads Stimme klang spöttisch, beinahe gelangweilt.

Theron ignorierte das Brennen in seiner Seite und griff erneut an. Ein schneller Hieb, dieses Mal gezielter.

Doch Carad lachte nur. Er ließ Therons Klinge an sich vorbeirauschen, trat zur Seite – und schlug zu.

Sein Holzschwert krachte gegen Therons Bein.

Er keuchte auf, sein Knie gab nach.

„Na los, steh auf,“ höhnte Carad. „Oder war’s das schon?“

Theron wollte nicht aufstehen. Er wollte einfach nur aufgeben, sich in den Staub legen und nicht mehr weitermachen. Doch dann dachte er an Lorga. An Bonhard. Daran, dass sie ihn nicht als Feigling sehen sollten.

Ich darf nicht verlieren, dachte er angestrengt. Ich darf nicht aufgeben.

Er zwang sich auf die Beine, hob das Schwert. Ein letzter Versuch.

Er stürzte sich nach vorne, holte aus – und sah, wie Carads Lächeln breiter wurde.

Dann ein Schlag. Hart, brutal, direkt gegen seine Brust.

Theron flog nach hinten. Der Boden kam zu schnell. Ein dumpfer Aufprall, und die Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst.

Sand und Staub wirbelten um ihn herum, setzten sich in seine Wimpern, brannten in seinen Augen.

Er lag auf dem Rücken. Über ihm spannte sich der Himmel, endlos und tiefblau.

Keine Wolken. Nur die Sonne. Ein gleißender, stechender Punkt, der sich in seine Netzhaut brannte.

Sein Atem ging schwer.

Er hörte das Lachen, hörte, wie die anderen über ihn spotteten.

„Und ich dachte, ich kriege einmal einen richtigen Kampf,“ spottete Carad.

Die anderen Schüler stimmten mit ein. Theron wusste, dass es kommen würde.

Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Er wollte sie wegblinzeln, wollte sie zurückhalten. Aber sie kamen trotzdem.

„Genug.“ Lorgas Stimme durchschnitt das Gelächter wie eine Klinge.

Theron hörte Schritte, hörte, wie sich ein Schatten über ihn legte.

„Das war nicht schlecht, Theron. Du wirst besser, aber du darfst dich nicht provozieren lassen.“

Lorga beugte sich über ihn, streckte ihm eine Hand entgegen.

„Du wirst besser.“

Besser? Theron starrte ihn an.

Er lag im Staub. Sein Körper schmerzte.

Er hatte verloren.

Er hatte sich zum Narren gemacht.

Warum sagte Lorga, dass es besser war?

Er wusste nicht, warum, aber er konnte es nicht mehr ertragen.

Ohne ein Wort sprang er auf.

Drehte sich um.

Rannte.

Er hörte, wie Lorga etwas rief, spürte, wie Blicke ihm folgten.

Doch er rannte weiter.

Hinaus aus dem Übungsplatz.

Hinaus aus der Festung.

Durch den Wald.

Die Äste peitschten gegen sein Gesicht, hinterließen dünne Kratzer auf seiner Haut. Er spürte es kaum.

Er rannte einfach weiter.

Ein Rascheln ließ ihn kurz innehalten. Zwischen den Bäumen stand ein Reh.

Es sah ihn an.

Große, dunkle Augen. Wachsam, aber ruhig.

Dann verschwand es mit einem Satz im Dickicht.

Theron spürte einen Kloß in seiner Kehle.

 

Der See lag still und unbewegt vor ihm, nur hin und wieder kräuselte eine Windböe die Wasseroberfläche. Die Sonne spiegelte sich in den dunklen Wellen, ihr Licht tanzte auf den sanften Bewegungen, als wollte es ihn verspotten. Theron starrte auf das Wasser, doch seine Gedanken waren woanders.

Warum war er so schlecht?

Warum schien alles, seit er hierhergebracht worden war, gegen ihn zu laufen?

Und warum hatte man ihn überhaupt hierhergebracht?

Diese Fragen bohrten sich tief in sein Innerstes, ließen ihn nicht los. Er presste die Arme um seine Knie, zog sie dichter an sich, als könnte er sich so vor den Gedanken verstecken. Doch sie waren da. Immer da.

Hinter ihm knackte ein Ast. Dann eine Stimme.

„Hab ich mir doch gedacht, dass ich dich hier finde.“

Theron erkannte die Stimme sofort, doch er blickte nicht auf. Ardan.

Stattdessen sah er weiter auf das Wasser, beobachtete, wie die Sonne darauf glänzte, so hell, dass es in den Augen brannte.

Ardan ließ sich neben ihm ins Gras fallen, ohne eine weitere Einladung, ohne zu fragen, ob Theron Gesellschaft wollte. Er tat einfach, was er immer tat.

Er nahm einen Stein, wog ihn in der Hand und schleuderte ihn über die Wasseroberfläche. Eins, zwei, drei Sprünge, dann versank er in der Tiefe.

Schweigen.

Das Wasser beruhigte sich wieder, die Sonne spiegelte sich erneut darin, als wäre nichts gewesen.

„Ich hab diesen Carad ordentlich verdroschen,“ sagte Ardan schließlich mit einem Grinsen. „Ha, das hättest du sehen müssen! Er hätte sich fast eingeschissen.“

Theron reagierte nicht.

Das Wasser war wieder glatt, unberührt, als wäre nie ein Stein hineingefallen.

Ardan seufzte leise, nahm noch einen Stein, ließ ihn durch die Finger gleiten, bevor er ihn achtlos ins Wasser warf.

„Wir könnten Carad und den anderen einen Streich spielen, so wie letztes Mal.“ Ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht. „Weißt du noch, das Ding mit den vergammelten Kürbissen? Die haben mindestens zwei Tage danach noch so gestunken.“

Ardan lachte, als wäre es die beste Erinnerung der Welt. Doch Theron blieb still.

Er wollte nicht lachen.

Nicht, weil er sich nicht daran erinnerte – sondern weil es sich jetzt so fern anfühlte.

„Ich hab keine Lust,“ murmelte er schließlich. Seine Stimme klang hohl, leer. „Wenn wir das tun, verprügeln sie mich nächstes Mal nur noch mehr.“

Ardan schwieg.

Dann, nach einer Weile, sagte er ernst: „Das mag sein. Aber je mehr sie dich verprügeln, desto mehr verprügle ich sie.“

Theron blinzelte.

Er wollte nicht weinen. Nicht jetzt.

Doch er konnte es nicht aufhalten.

Die Tränen liefen einfach, lautlos, ohne Schluchzen, ohne ein Geräusch.

Ardan sagte nichts dazu. Tat nichts.

Er ließ ihn einfach.

Theron weinte, und Ardan ließ es geschehen, ohne Spott, ohne Mitleid, ohne ein Wort.

Irgendwann versiegten die Tränen, und Theron wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht.

Ardan saß noch immer da, sah ihn von der Seite an.

„Du bist einfach zu gut für diese Welt,“ sagte er leise. „Und das mag ich an dir.“

Theron blinzelte ihn an. „Warum?“ Seine Stimme war rau. „Warum magst du das an mir? Ich bin doch ein Schwächling.“

Ardan lehnte sich zurück, stützte sich mit den Armen im Gras ab. Sein Blick wanderte über den See, als würde er nach den richtigen Worten suchen.

Dann sagte er ruhig: „Weil ich mich darauf verlassen kann, dass du mir helfen würdest, selbst wenn du weißt, dass du verlieren wirst.“

Theron schnaubte. „Das ist dumm.“

Ardan grinste schief. „Vielleicht. Aber es ist das Richtige.“

Theron drehte den Kopf weg.

„Das Richtige zu tun, tut immer weh,“ murmelte er schließlich.

Ardan war einen Moment still.

Dann nickte er langsam. „Ja. Aber es tut mehr weh, das Falsche zu tun. Und wenn nicht körperlich, dann…“ Er sah Theron an. „…seelisch.“

Theron schwieg.

Ardan auch.

Der Wind strich über das Wasser, ließ kleine Wellen über die Oberfläche tanzen.

Nach einer Weile durchbrach Ardan das Schweigen erneut.

„Ich bin dein Freund, Theron. Und du kannst dir immer sicher sein, dass ich hinter dir stehe, wenn es schwer wird.“

Theron wagte es nicht, ihn anzusehen.

Er hatte Angst, dass Ardan es nicht so meinte. Dass er es irgendwann nicht mehr sagen würde.

„Und was, wenn du nicht mehr da bist?“

Diesmal schwieg Ardan länger.

Dann drehte er sich zu ihm, sein Blick war warm, fest, ehrlich.

„Du bist zwar nicht der, der viele Freunde findet,“ sagte er mit einem Lächeln, „aber ich bin mir sicher, du wirst andere finden. Freunde, die egal was passiert, hinter dir stehen werden.“

Theron musterte ihn.

„Wo soll ich die finden?“

Ardan zuckte mit den Schultern, stand auf und klopfte sich das Gras von der Hose.

„Du wirst es wissen, wenn du sie triffst.“ Er grinste schief. „Und du wirst sie an den unscheinbarsten Orten finden. Vielleicht sogar in einem Freudenhaus.“

Theron zog eine Augenbraue hoch.

Ardan streckte ihm die Hand entgegen.

„Los, komm. Mir fallen noch ein paar Streiche ein, die wir Carad und den anderen spielen können.“

Theron zögerte.

Dann, zum ersten Mal an diesem Tag, lächelte er.

„Und was sind Freudenhäuser?“ fragte er und nahm Ardans Hand.

Ardan grinste. „Dort wo die alten immer hingehen.“

Der Wald endete abrupt und gab den Blick auf endlose Felder frei. Junge grüne Halme sprossen aus der dunklen Erde und breiteten sich wie ein seidiger Teppich über die Ackerfurchen aus. Der Frühling erwachte – und ohne es zu wollen, passte sich auch Theron diesem Wandel an.

Die Wärme der Sonne, die hoch am Himmel stand, war eine Wohltat nach dem längsten und kältesten Winter seit über einem Jahrhundert. Theron erinnerte sich daran, wie noch vor einem Monat überall auf den Eiskönig geschimpft wurde. Die Geistlichen hatten die Menschen regelrecht aufgewiegelt und dazu gedrängt, ihn endlich zu stürzen. Doch der Frühling war ihnen zuvorgekommen – und hatte einen sinnlosen Krieg sowie das unnötige Sterben von Tausenden verhindert.

Ohne Vorwarnung tauchten zehn Gestalten aus den Schatten eines kleinen Weilers auf und blockierten die Straße. Theron zügelte sein Pferd, ohne die Mine zu verziehen. Die Männer musterten ihn wie Wölfe, die einen einsamen Hirsch erspäht hatten – ihre Gesichter ausgemergelt, ihre Blicke gierig. Die Waffen, die sie bei sich trugen, waren nicht mehr als ein Sammelsurium aus rostigen Schwertern, Äxten und Speeren, ihre Rüstungen zusammengestückelte Fetzen. Ohne Zweifel Marodeure, sagte er zu sich selbst.

Der Anführer trat mit gespielter Lässigkeit vor, doch seine lilafarbene Aura flackerte unruhig, durchzogen von dunklen Fäden. Ein Zeichen für Selbstsicherheit – oder für unterdrückte Gewalt.

„Der Zoll für die Benutzung dieser Straße ist fällig, mein Freund,“ erklärte der Mann mit rauer Stimme.

Theron musterte ihn gelangweilt. „Mir ist neu, dass wir uns schon einmal getroffen haben. Wie kann ich dann euer Freund sein?“ antwortete er sarkastisch.

Der Anführer lachte und schien den Sarkasmus nicht zu kümmern. „Ich bin Jedermanns Freund, der den Zoll zahlt, nicht wahr, Jungs?“ Die Männer lachten gröhlend mit.

„Es wäre doch schade, wenn wir keine Freunde sein könnten,“ fügte der Anführer hinzu und legte die Hand auf den Griff seines Schwertes.

Theron zuckte kaum merklich mit den Schultern. „Verstehe. Aber ich bin wissbegierig und würde gerne wissen, seit wann der König von Almorien Zoll auf seinen Straßen erhebt. Soweit ich weiß, ist das im ganzen Kaiserreich nicht üblich.“

Ein anderer Marodeur spottete: „Seit Kurzem ist das so,“ spottete ein anderer Marodeur, mit einer beträchtlichen Zahl an Lücken, zwischen seinen Zähnen.

„Das kommt auch nicht vom König,“ setzte der Anführer nach, sein hämisches Grinsen entblößte gelbe Zähne. „Das ist ein Befehl vom Fürsten von Dvergen. Und da wir, seine treuen Untergebenen sind, setzen wir ihn selbstverständlich durch. Also wäre es ratsam, wenn du bezahlst.“

Theron ließ seinen Blick über die Männer gleiten, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. „Leider habe ich nichts bei mir. Mein ganzes Geld habe ich in der Stadt bei meiner Frau und Kinder gelassen,“ sagte er mit gespielter Nachdenklichkeit.

„Zu schade,“ erwiderte der Anführer, sein Grinsen breitete sich aus. „Aber das Pferd, auf dem du sitzt – das würden ebenfalls ausreichen, wenn du kein Geld bei dir hast.“

Theron hob eine Augenbraue. „Das Bezweifel ich stark. Ihr solltet wissen ,das es besser aussieht, als es eigentlich ist. Es reicht gerade noch, um meine Familie vor dem Hunger zu bewahren.“

„Dann müssen deine kleinen Bengel eben hungern,“ sagte der Anführer mit kaltem Lachen und zog langsam sein Schwert. Seine lilafarbene Aura begann sich mit schwarzen Fäden zu vermischen, die wie Rauch um ihn waberten.

Theron ließ sich nicht beeindrucken. Langsam legte sich seine rechte Hand auf den Griff des Kurzschwertes, das er quer über seinen Rücken trug, während sich seine Augen verengten. „Das ist keine gute Idee,“ sagte er mit eiskalter Stimme.

Innerlich durchlief er bereits die potentiellen Eskalationsszenarien, als Unerwarteterweise, die Waffe eines Marodeuren scheppernd zu Boden fiel. Der Marodeur starrte mit weit aufgerissenen Augen an Theron vorbei, seine Aura flackerte grau-blau, als wäre die blanke Panik in ihm ausgebrochen. Dann drehte er sich um und rannte, so schnell ihn seine Beine trugen.

Seine Kumpanen schauten ihm verblüfft hinterher, bevor ihnen das gleiche Schicksal ereilte. Plötzlich  verzerrten sich ihre Gesichter vor blanker Panik und ihre Waffen fielen ihnen aus den Kraftlosen Händen, während sie wie gejagte Tiere flohen. Der Anführer, nun allein, schaute sich hektisch um, bevor er ebenfalls panisch die Flucht ergriff.

Theron runzelte die Stirn und wandte sich um. Ein einzelner Reiter näherte sich auf einem weißen Schimmel – ein seltsamer Anblick auf dieser staubigen Landstraße. Seine Kleidung war ein wahres Spektakel aus Seide und Brokat, als wäre er geradewegs einem Festbankett entsprungen. Seine Aura – ein lebhaftes Lila – pulsierte vor Selbstbewusstsein, das an Überheblichkeit grenzte.

„Ah! Welch unzivilisierte Szene! Räuber auf offener Straße – eine Schande für die Zivilisation!“ rief der Fremde in überschwänglichem Ton. „Seid gegrüßt, edler Wanderer! Ich hoffe, Ihr seid unversehrt?“

Theron verbeugte sich im Sattel. „Seid gegrüßt. Ich danke Euch für die Hilfe, auch wenn ich nicht weiß, was Ihr getan habt.“

Der Reiter winkte ab. „Ach, das war lediglich eine einfach Illusion. Eine zwanzig Meter Höhe Schlange, nichts außergewöhnliches.“

Ein entwaffnendes Lächeln umspielte seine Lippen. „Entschuldigt, wo bleibt meine Höflichkeit. Ich bin Myrddin, Meister der Zaubererei und der Freuden, zu euren Diensten,“ stellte er sich vor und deutete eine höfliche Verbeugung an, die im Sattel jedoch eher spielerisch wirkte.

Er lächelte breit. „Ich kenne ein Gasthaus in der Stadt, das wirklich ausgezeichnet ist. Ihr solltet mitkommen.“

Theron verschränkte die Arme. „Ich bin Theron, und ich bin mir sicher, dass ein Gasthaus, das Euch zusagt, meine bescheidenen Münzen übersteigt.“

Myrddin schnalzte mit der Zunge. „Münzen! Wie gewöhnlich! Mein lieber Freund, wenn es nach mir ginge, würde man solche lästigen Dinge abschaffen. Essen, Trinken, Vergnügen – all das sollte frei fließen wie der Wind!“

Theron hob eine Augenbraue. „Klingt, als hättet Ihr noch nie Hunger gelitten.“

„Hunger? Oh, ich habe schon viele Hungernde gesehen – und meistens haben sie nicht gezaudert, wenn man ihnen einen Becher Wein und eine schöne Geschichte bot.“ Myrddin grinste. „Aber Euch muss ich nicht überzeugen, oder? Ich sehe es doch in euren Augen: Ihr seid neugierig.“

Sein Lächeln vertiefte sich, und ein Hauch von Amüsement schlich sich in seine Stimme. „Das geht selbstverständlich auf mich. Ich kann es mir durchaus leisten, jemanden wie euch einzuladen, außerdem ist es besser sich in Gesellschaft zu vergnügen, als alleine.“

Theron zog eine Augenbraue hoch. „Jemanden wie mich?“

Myrddin lachte, ein warmer, leichter Klang, der so gar nicht zu der staubigen Landstraße passen wollte. „Seid nicht so bescheiden. Ich habe genug Männer gesehen, die wie diese Marodeure sind, viele Worte, nichts dahinter und dann solche wie du einer bist. Diese Kurzschwerter,“ er machte eine vage Geste in Richtung seines Rückens, „zeigen mir, das ihr wisst wie ihr sie benutzen müsst.“

Theron hielt dem Blick des Zauberers stand, bevor er langsam nickte. „Ihr habt eine gute Wahrnehmung und dazu  seid ihr auch noch großzügig, Meister Myrddin. Ich nehme eure Einladung an, ein solches Angebot kann ich nicht ausschlagen.“

„Das wollte ich hören!“ Myrddin grinste breit und klopfte auf die Satteltasche. „Aber lasst das Meister weg. Unter Freunden braucht man keine Förmlichkeiten.“

Er schloss die Augen, als würde er eine angenehme Erinnerung zurückrufen, und ein zufriedener Ausdruck breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Ach, dieses Gasthaus... Ich sag es Euch, ihr werdet es nicht bereuen, es ist eine Welt für sich. Die erlesensten Weine aus Übersee, von den Ufern des fernen Eron bis zu den verborgenen Tälern der Südlichen Inseln. Die Speisen? Ein Fest für den Gaumen, zubereitet von niemand Geringerem als dem ehemaligen Koch des Kaisers höchstpersönlich. Seine Gewürze allein könnten die müdesten Geister wecken.“

Theron lenkte sein Pferd leicht zur Seite, als ein Hase über die Straße huschte. Myrddin redete weiter, schwärmte von Speisen, Musik und Freuden, doch Theron hörte nur mit halbem Ohr zu. Seine Gedanken waren bereits woanders – bei Dvergen. Ein Ort voller Erinnerungen, nicht alle davon angenehm.

„Oh, dort findet man alles, was das Herz begehren könnte!“ Myrddin ließ sich nicht beirren, seine Stimme voller Begeisterung. „Weine aus Übersee, Tänzerinnen, die selbst Elfen neidisch machen, und einen Koch, der einst für den Kaiser selbst arbeitete! Mein Freund, ihr werdet es nicht bereuen!“

Theron atmete langsam aus. Während sein Blick zu den Feldern am Straßenrand glitt, die unter der warmen Frühlingssonne wogten wie ein lebendiger Teppich. Ein friedlicher Anblick. Er dachte an die mühsame Arbeit der Bauern, die sich durch die langen, kargen Wintermonate gekämpft hatten. Ihre Mühe wirkte im Vergleich zu Myrddins verschwenderischen Schwärmereien plötzlich ehrlicher, greifbarer.

„... Halbelfen mit ihrer...“, fuhr Myrddin fort, doch Theron hörte nicht mehr hin. Die Stimme des Zauberers verblasste zu einem fernen Klang, während die Hufe ihrer Pferde den Staub der Straße aufwirbelten. Sie näherten sich Dritmark, und Theron fragte sich insgeheim, in was er sich diesmal hineingeritten hatte.

Myrddin hatte nicht übertrieben. Das Gasthaus war eine Welt für sich – eine mehrstöckige Oase aus Balkonen, geschnitzten Holzverzierungen und kunstvoll angelegten Gärten, die sich um das Gebäude schlängelten. Goldene Lampions tauchten die Szenerie in ein warmes Licht, und irgendwo in der Ferne erklang leise Musik. Theron hielt sein Pferd an und musterte den Eingang mit gerunzelter Stirn.

Wie zum Teufel konnte mir so ein Ort entgangen sein? Er hatte Dvergen oft besucht, aber stets die billigsten Absteigen am Stadtrand gewählt. Dies hier – das war die Art von Ort, in der sich reiche Kaufleute und Adlige amüsierten, weit weg vom Staub der Straßen.

„Nun?“ Myrddin breitete die Arme aus, als hätte er persönlich jede einzelne Laterne aufgehängt. „Sag nichts, ich sehe es dir an – du bist sprachlos! Ich sage dir, nicht einmal die feinsten Salons der Kaiserstadt können mit diesem Kleinod mithalten.“

Theron schnaubte. „Kleinod? Das ist das protzigste Ding, das ich je gesehen habe.“

Myrddin grinste und klopfte ihm auf die Schulter. „Nur das Beste für meine Begleitung!“

Theron übergab einem jungen Bediensteten die Zügel seines Pferdes. „Nicht schlecht. Mir war nicht bewusst, dass es so etwas hier gibt,“ erwiderte er nüchtern.

Myrddin lachte auf und ging auf den Eingang zu. „Glück für dich, dass ich dich gefunden habe, um dir diese Freuden zu zeigen! Wie konntest du all die Jahre ohne das auskommen? Das ist ein reiner Frevel.“

Theron zuckte mit den Schultern und folgte ihm. „Ob das ein Glück ist, wird sich noch herausstellen.“

Das Innere des Gasthauses war ein sinnliches Chaos. Ein wogendes Meer aus Stimmen, Gelächter und klirrenden Gläsern. Die Luft roch nach gebratenem Fleisch, exotischen Gewürzen und süßem Rauch, der in dicken Schwaden von langen Pfeifen aufstieg. Goldene Kerzenleuchter tauchten den Raum in flackerndes Licht, das sich in den kunstvoll bemalten Decken spiegelte. Überall bewegten sich Menschen – lachende Händler, feine Damen in duftenden Gewändern und leicht bekleidete Tänzerinnen, deren Bewegungen ebenso geschmeidig wie berechnend waren.

Es dauerte einen Moment, bis sich Therons Sinne an die Lautstärke und die Reize angepasst hatten.

Myrddin glitt durch die Menge, als hätte er das Gasthaus selbst gegründet – winkte einem Händler zu, schüttelte einem Musiker die Hand und lächelte einer Tänzerin zu, die ihn nur mit einem Augenrollen bedachte.

Theron ging ihm nach, doch bevor er an einem kleinen Tisch Platz nahm, wäre er beinahe mit einer leicht bekleideten Bedienung zusammengestoßen, die ein schwer beladenes Tablett balancierte und ihm einen vorwurfsvollen Blick zuwarf.

Myrddin ließ sich mit einem zufriedenen Seufzen in die weichen Polster sinken. „Theron, mein Freund, du bewegst dich hier wie ein Bär in einer Porzellanwerkstatt.“

Theron setzte sich mit einer Mischung aus Argwohn und Müdigkeit. „Vielleicht, weil ich mir normalerweise keine Orte leisten kann, in denen das Essen teurer ist als mein Pferd.“

Myrddin winkte ab. „Ach, Münzen sind doch nur Metall. Genuss ist unbezahlbar!“

Myrddin lachte heiter auf und winkte einer Bedienung zu, die sofort zu ihnen hinüberschlenderte. „Das hatte ich zuerst auch gedacht, aber hier gibt es extra Räumlichkeiten, die nur für Stammgäste zugänglich sind. Und ich habe vor, diese nachher zu besuchen,“ sagte er beiläufig mit einem Lächeln und wandte sich dann an die Bedienung: „Wir hätten gerne ein Fässchen Bier, einen Krug von eurem besten Wein und die Empfehlung des Kochs.“ Die Bedienung nickte stumm und zog sich mit ebenso geschmeidigen Bewegungen zurück.

„Allerdings finde ich es komisch, dass du dich als einfacher Mann ausgeben willst,“ sagte Myrddin vorwurfsvoll.

„Also gehst du davon aus, dass Söldner keine einfachen Männer sind?“ fragte Theron und musterte ihn aufmerksam.

Myrddin lächelte, sein Blick schweifte kurz über den Raum. „Dich als einfachen Söldner zu bezeichnen, ist eine Beleidigung sondergleichen.“

Theron verschränkte die Arme vor der Brust und bemerkte, dass Myrddins Aura unverändert blieb – ein ruhiges, türkisfarbenes Leuchten, das wie ein stiller See wirkte. Entweder bluffte er unglaublich gut, oder er wusste tatsächlich, was Theron war.

„Wenn ich tatsächlich nur ein einfacher Söldner wäre,“ begann Theron herausfordernd, „wäre es dann nicht eine Beleidigung, überhaupt mit mir zu sprechen?“

„Ha!“ Myrddin warf den Kopf zurück und lachte. „Wenn du ein einfacher Söldner bist, bin ich ein übergroßer Zwerg. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir beide wissen, dass ich das nicht bin.“

Theron blickte ihn amüsiert an. „Bist du dir da sicher? Viele wissen nicht einmal mehr, dass wir existieren. Selbst viele deiner Kollegen, denen ich begegnet bin, haben keinerlei Ahnung.“

Myrddin lachte erneut kurz auf. „Das liegt daran, dass niemand sich an das erinnert, was außerhalb ihrer kleinen Welt passiert. Kaum jemand weiß noch, wer ihr seid und was eure Tätowierungen bedeuten,“ fügte er hinzu und deutete auf Therons Hand, an der schwarze Linien hervorstachen. „Dazu sind viele meiner Kollegen abgehoben und haben keinerlei Kenntnis davon, was außerhalb von Tref Awyr vor sich geht. Mich würde es nicht wundern, wenn deinesgleichen wieder mehr Einfluss gewinnen könnte.“

Sein Blick glitt durch den Raum, blieb an den Tänzerinnen, an den feinen Damen hängen – bis er an einer Gestalt in der Ecke hängen blieb. Eine Frau. Ihre Bewegungen waren zu kontrolliert, zu bewusst – als wäre sie die einzige, die hier nicht wirklich feierte. Und sie sah ihn an, ihre Aura – ein verworrener Strudel – wechselte ständig die Farbe, was es Theron unmöglich machte, sie einzuschätzen.

„Da muss ich dir ernsthaft die Frage stellen, ob du auf den Kopf gefallen bist,“ sagte Theron schließlich. „Ich gehe eher davon aus, dass der ganze Kontinent im Meer versinkt, als dass meinesgleichen jemals wieder eine einflussreiche Rolle inne haben wird. Oder ist dir unsere Geschichte nicht bekannt?“

Myrddin nahm einen Schluck Bier und nickte. „Vielleicht weiß ich sogar mehr über euch, als ihr es selbst wisst. Ich habe sehr viel über euch gelesen und bin geradezu fasziniert von euch.“

„Und wie kommst du dann auf den absurden Gedanken, dass die Leute uns nicht sofort hängen würden?“ fragte Theron und fixierte ihn mit ernstem Blick.

„Das ist doch ganz einfach. Zeit, mein Freund, einfach Zeit. Ihr habt euch Ewigkeiten in den Bergen vergraben. Niemand erinnert sich mehr an vergangene Tage. Und in dieser Welt voller Intrigen und korrupter Höflinge braucht es jemanden wie euch – jemanden, der keine Spiele spielt.“

Theron schwieg und ließ den Blick über den Raum gleiten. Die Frau in der Ecke hatte sich erhoben und bewegte sich langsam auf ihren Tisch zu. Myrddin grinste breit und fügte hinzu: „Du bist die perfekte Mischung aus dem Vergessenen und dem Notwendigen. Ihr Auroren habt mehr Chancen, als du denkst.“

Theron setzte das Glas an die Lippen, doch der Wein schmeckte plötzlich seltsam bitter. Seine Sinne warnten ihn – nicht wegen des Alkohols, sondern wegen der Frau, die sich ihrem Tisch näherte.

Sie bewegte sich lautlos durch die Menge, als würde sie durch Schatten gleiten. Ihre Aura war ein Chaos – Farben flackerten wie unruhige Flammen, zu schnell, um sich festzulegen. Theron spürte, wie sich der Nacken seiner Instinkte regte.

„Entschuldigt, die Herren. Dürfte ich mich zu euch setzen?“ fragte die Frau sanft. Ihre schulterlangen Haare waren zu einem lockeren Zopf gebunden.

Myrddin sprang auf, als hätte man ihm einen Sack Gold auf den Tisch gelegt. „Ein solches Juwel an unserem Tisch? Welch Glücksfall!“

Die Frau schmunzelte, doch ihre Augen ruhten auf Theron – forschend, beinahe abwägend.

Theron erwiderte den Blick, ruhig, abwartend. Ihr Lächeln war warm, doch ihre Augen waren es nicht. Ein leiser, berechnender Glanz lag darin, verborgen hinter Perfektion. Er lehnte sich leicht zurück, als wollte er Distanz schaffen. Irgendwas schien mit ihr nicht zu stimmen, auch wenn er noch nicht genau sagen konnte, warum.

„Mit wem habe ich denn das Vergnügen?“ fragte sie, nachdem sie sich gesetzt hatte.

Myrddin stand kurzerhand auf und verbeugte sich theatralisch. „Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Ich bin Myrddin, Meister der Zaubererei, zu euren Diensten.“

Ihr Lächeln wurde breiter, und sie nickte. „Es ist mir eine Freude, euch kennenzulernen, Meister Myrddin.“ Dann wandte sie sich an Theron. „Und ihr?“

„Ich bin Theron,“ sagte er knapp. „Kein Zauberer, nur ein einfacher Söldner.“

Darli legte den Kopf schief und musterte ihn eingehend. „Ein Söldner also? Das ist interessant. Also muss euer Körper übersät sein mit Narben,“ sagte sie, ihre Stimme klang neugierig und provozierend.

Theron spürte eine seltsame Unruhe in ihrer Nähe. Sie wirkte zu interessiert, zu berechnend. Er trank einen Schluck Wein, bevor er antwortete. „Ich fürchte, da werde ich euch wohl enttäuschen müssen.“

„Ach ja?“ fragte sie und hob eine Augenbraue. „Ich kenne nur zwei Arten von Söldnern: Die einen, die ihre Narben stolz präsentieren, und die anderen, die darüber schweigen. Aber einer, der keine hat, ist mir noch nicht begegnet.“

„Mein Freund hier verkauft sich mal wieder unter seinen Wert,“ wandte Myrddin ein. „Er ist ein... Ahh!“ Myrddin verstummte abrupt, als Therons Fuß unter dem Tisch seinen Knöchel traf.

„Ich kann einfach verdammt gut mit meinen Schwertern umgehen und meide Kämpfe, die ich nicht führen muss,“ sagte Theron trocken.

„Das macht euch nur noch faszinierender,“ erwiderte Darli mit einem Hauch von Spott, tat aber so, als ob sie die Spannung zwischen den beiden Männern nicht bemerkt hätte.

Die Bedienung unterbrach das Gespräch, als sie viele kleine tönerne Schalen auf den Tisch stellte, in denen sich alles Mögliche befand. Viele der Speisen hatte Theron noch nie gesehen, aber Myrddin betrachtete die Schalen freudestrahlend und griff sofort nach einer, die ein glibbriges, leicht dampfendes Etwas enthielt.

Theron sagte nichts und ließ Myrddin die Unterhaltung übernehmen. Doch Darli schenkte ihm immer wieder kurze, forschende Blicke, als würde sie ihn einschätzen. Ihre Aura blieb ein verworrener Strudel, den Theron nicht entschlüsseln konnte – und das machte ihn nervös.

Myrddin lehnte sich zurück, hob seinen Bierkrug und prostete Darli zu. „Also, werte Dame, wie kann ein Zauberer wie ich euer Herz gewinnen? Ich muss doch gestehen, dass euer Auftauchen meinen Tag erleuchtet hat.“

Darli lächelte, ein warmes, fast scheues Lächeln, das perfekt einstudiert wirkte. „Ihr schmeichelt mir, Meister Myrddin,“ sagte sie, während sie eine Haarsträhne hinter ihr Ohr strich. Ihre Bewegungen waren geschmeidig, fast katzenhaft, doch ihre Augen wanderten immer wieder zu Theron, der schweigend an seinem Wein nippte.

Myrddin bemerkte ihre Blicke nicht oder ignorierte sie bewusst. „Ich muss euch warnen,“ fuhr er fort und beugte sich leicht zu ihr, „ich bin nicht nur ein Meister der Magie, sondern auch ein Meister der Worte. Gebt mir nur eine Gelegenheit, und ich werde euch beweisen, dass es niemanden gibt, der charmanter ist als ich.“

Darli ließ ein leises Lachen hören, eine Mischung aus Amüsement und Höflichkeit, während sie sich eine Weintraube aus einer der Schalen nahm. Doch ihre Augen blieben auf Theron gerichtet, der versuchte, sich auf die laute Geräuschkulisse und das Gespräch zu konzentrieren.

Der Wein war süßer als erwartet. Fast zu süß. Ein seltener, edler Geschmack – doch mit einer seltsamen, betäubenden Tiefe. Erst spürte er nur Wärme, dann ein leises Summen in den Schläfen. Vielleicht war es nur der Wein. Oder vielleicht… etwas anderes?

„Und was ist mit euch, Theron?“ fragte Darli plötzlich, ihre Stimme klang fast besitzergreifend. „Ihr seid so still. Gefällt euch das Gasthaus nicht?“

Theron blickte auf und traf ihren durchdringenden Blick. Für einen Moment fiel es ihm schwer, seine Gedanken zu sammeln. „Es ist… eindrucksvoll,“ murmelte er schließlich und nahm einen weiteren Schluck Wein, um die Unruhe zu überspielen, die in ihm aufstieg.

„Theron ist einfach kein Mann der großen Worte,“ mischte sich Myrddin ein, ohne die Spannung zwischen den beiden zu bemerken. „Aber er hat Qualitäten, die Worte ohnehin nicht beschreiben können. Ein wahrer Krieger, dieser Mann.“

Darli neigte leicht den Kopf und musterte Theron weiter, als würde sie ihn abwägen. „Oh, das habe ich mir bereits gedacht,“ sagte sie leise, beinahe flüsternd.

Theron spürte, wie die Schwere in seinem Kopf zunahm. Der Raum schien sich leicht zu drehen, die Geräusche wurden dumpfer, und die Flammen der Kerzen verschwammen vor seinen Augen. „Ich… brauche einen Moment,“ murmelte er und schob seinen Stuhl zurück. „Frische Luft.“

Theron stand langsam auf, sein Körper fühlte sich schwer und träge an. Der Raum um ihn herum verschwamm, und die Geräusche des Gasthauses wirkten wie gedämpft, als würde er durch einen Schleier hören. Er bewegte sich in Richtung Ausgang, jeder Schritt war mühsam, als ob der Boden unter seinen Füßen nachgab.

Doch bevor er die Tür erreichte, spürte er plötzlich eine sanfte Hand auf seiner Schulter. Die Berührung war federleicht, doch sie ließ ihn innehalten. Ein süßer, blumiger Duft stieg ihm in die Nase, und als er sich umdrehte, stand Darli direkt hinter ihm. Ihre blauen Augen leuchteten im flackernden Licht der Gasthauskerzen, und ihre Lippen formten ein verführerisches Lächeln.

„Geht es euch nicht gut?“ fragte sie, ihre Stimme war weich, fast flüsternd, und hatte etwas Hypnotisches.

Theron wollte protestieren, wollte sagen, dass er einfach frische Luft brauchte, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Stattdessen nickte er langsam. „Vielleicht... ein bisschen viel getrunken,“ murmelte er.

Darli trat näher, ihre Hand glitt von seiner Schulter zu seinem Arm, und ihre Berührung schien eine seltsame Wärme auszustrahlen. „Das dachte ich mir,“ sagte sie leise, ihre Stimme klang beinahe mitleidig. „Ihr solltet euch hinlegen. Es wäre töricht, jetzt nach draußen zu gehen. Ich bringe euch in ein Zimmer.“

„Ich brauche keine Hilfe,“ murmelte er, versuchte, sich aus ihrem Griff zu lösen. Aber sein Körper reagierte nicht so, wie er sollte. Seine Beine waren schwer, sein Kopf dröhnte. Darlis Finger legten sich sanft um sein Handgelenk. „Ich bestehe darauf.“

Theron wollte widersprechen, doch ihr sanfter Ton, ihre Nähe und der süße Duft, der sie umgab, ließen ihn verstummen. Seine Gedanken waren wie Watte, weich und träge, und es fiel ihm schwer, klar zu denken. „Ich... weiß nicht,“ brachte er hervor, doch seine Beine setzten sich bereits in Bewegung, geführt von Darli, die seine Hand nahm.

Sie führte ihn von der Hauptstube des Gasthauses weg, durch einen Gang, der von Kerzen schwach erleuchtet wurde. Die Geräusche aus dem Hauptsaal wurden leiser, und die Welt um ihn herum begann sich immer mehr wie ein Traum anzufühlen. Theron spürte den weichen Teppich unter seinen Stiefeln, die kühle Luft, die durch den Gang strömte, doch alles schien unwirklich, als ob er durch Wasser ging.

Darli war die einzige Konstante. Ihre Hand in seiner, ihre beruhigende Stimme, die sanft auf ihn einredete, obwohl er kaum verstand, was sie sagte. Er sah ihr Haar im Kerzenlicht glänzen, ihre schlanke Gestalt, die vor ihm herging, und spürte eine seltsame Mischung aus Anziehung und Unbehagen.

Schließlich erreichten sie eine schwere Holztür. Darli öffnete sie mit einem Schlüssel, den sie aus ihrem Kleid zog, und führte ihn in ein kleines, gemütlich eingerichtetes Zimmer. Die Vorhänge waren zugezogen, und eine einzelne Kerze auf einem Tisch warf ihr warmes Licht auf das Bett, das in der Mitte des Raumes stand.

„Setzt euch,“ sagte Darli leise und drückte ihn sanft in Richtung des Bettes. Theron ließ sich schwerfällig darauf sinken, sein Kopf dröhnte, und seine Glieder fühlten sich an, als wären sie aus Blei.

Darli kniete sich vor ihn hin, ihre Hände ruhten leicht auf seinen Knien. Ihre Augen suchten seinen Blick, und ihr Gesicht war nah an seinem. „Ihr seht so müde aus, Theron,“ flüsterte sie, ihre Stimme war fast ein Hauchen. „Ihr müsst euch entspannen.“

Theron wollte etwas sagen, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Er fühlte sich merkwürdig benommen, als ob er zwischen Wachen und Schlafen schwebte. Darli begann, seine Arme aus den Ärmeln seines Mantels zu ziehen. Ihre Finger waren sanft, fast zärtlich, und ihre Bewegungen hatten etwas Beruhigendes.

„Ihr habt so viel durchgemacht, nicht wahr?“ sagte sie leise, während sie seinen Mantel abstreifte und ihn vorsichtig zur Seite legte. „Ich sehe es in euren Augen. Ihr seid ein Mann, der zu viel gesehen hat.“

Theron wollte protestieren, doch ihre Stimme und ihre Berührungen ließen ihn verstummen. Er spürte, wie sie seine Tunika löste, und er ließ es geschehen, zu erschöpft, zu benommen, um sich zu widersetzen.

Seine Arme waren schwer. Viel zu schwer. Als hätte jemand Blei in seine Glieder gegossen. Seine Gedanken stolperten, als Darli seine Hände nahm – sanft, fast zärtlich. Dann – ein Ziehen an seinen Handgelenken. Erst sanft, dann fester. Ein Kratzen auf der Haut. Theron blinzelte, doch seine Glieder reagierten nicht mehr richtig. Zu spät.

Mit geübten Bewegungen fesselte sie seine Arme an die hölzernen Bettpfosten.

„Was... machst du?“ murmelte er benommen, doch seine Stimme klang schwach und weit entfernt.

Darli lächelte, ein verführerisches, aber auch kaltes Lächeln. „Entspannt euch, Theron,“ sagte sie leise, während sie sich erhob. „Ihr werdet mir danken.“

Sie trat einen Schritt zurück und begann, sich langsam zu entkleiden. Ihre Bewegungen waren geschmeidig, fast wie ein Tanz, und das flackernde Kerzenlicht ließ ihre Silhouette geheimnisvoll und verführerisch erscheinen. Theron versuchte, sich zu konzentrieren, doch die Benommenheit nahm überhand. Sein Kopf sank auf das Kissen, und seine Augenlider wurden schwer.

Alles, was er noch wahrnahm, war ihr Duft, die Wärme ihres Körpers, die ihn wie ein schwerer Mantel umhüllte. Dunkelheit schloss sich um ihn, warm, einlullend. Und dann… fiel er.

Kaltes Wasser klatschte auf seine Stirn. Theron riss die Augen auf, doch das Licht brannte in ihnen wie glühende Kohlen. Der Schmerz in seinem Schädel war dumpf, pochend – eine Welle, die mit jedem Atemzug schlimmer wurde. Seine Sicht flackerte zwischen Finsternis und verschwommenen Schatten, und seine Glieder fühlten sich an, als hätte jemand Blei in seine Knochen gegossen.

Er spannte die Muskeln an – oder versuchte es zumindest. Ein stechender Schmerz fuhr durch seine Handgelenke, als die Seile sich noch tiefer in sein Fleisch bohrten. Kein Spielraum. Keine Bewegung.

Langsam nahm er seine Umgebung wahr. Dunkelheit umgab ihn, dick und schwer. Der modrige Gestank feuchter Steine drang in seine Nase, ließ ihn fast würgen. Wasser tropfte von der Decke, das Plätschern hallte durch den engen Raum wie das Zählen einer unsichtbaren Uhr. Kälte kroch über den steinernen Boden, biss sich durch seine Kleidung und legte sich wie eine zweite Haut um ihn.

Hinter ihm hörte er ein leises Geräusch, das wie ein Seufzen klang.

„Wo verdammt bin ich?“ murmelte Theron leise, mehr zu sich selbst.

Eine vertraute, sarkastische Stimme erklang von hinten: „Ach, schau an, der Herr ist wach. Das hat ja auch nur ewig gedauert.“

Theron spannte sich an. „Myrddin?“ fragte er ungläubig.

„Wer sonst? Dachtet ihr, ich überlasse euch die alleinige Ehre, hier unten zu verrotten?“ Myrddins Stimme war von trockenem Spott durchzogen.

Theron drehte leicht den Kopf, konnte Myrddin jedoch nicht sehen. „Was zur Hölle ist passiert? Wo sind wir?“

„Das wüsste ich auch gern,“ erwiderte Myrddin, und man hörte, wie er sich auf seinem Stuhl bewegte. „Aber ich kann dir sagen, was ich noch weiß – was ehrlich gesagt nicht viel ist.“

Theron schwieg, wartete, dass Myrddin weitersprach.

„Nachdem du und Darli so plötzlich verschwunden seid und es nicht so aussah, als ob ihr noch einmal wiederkommt,“ begann Myrddin und betonte ihren Namen schwärmerisch, „habe ich beschlossen, den Abend nicht zu verschwenden. Ich meine, was hätte ich auch tun sollen? Euch suchen? Auf so ein Niveau begebe ich mich nicht! Stattdessen habe ich die Dienste einer charmanten kleinen Zwergendame in Anspruch genommen. Sehr charmant, möchte ich betonen.“

Theron schnaubte leise. „Natürlich.“

„Wir hatten gerade… wie soll ich sagen… einen angenehmen Moment der Nähe,“ fuhr Myrddin fort, „als plötzlich – zack! – ich nur noch blaue Augen sah. Keine Ahnung, was danach passiert ist. Ich war weg. Nichts als Dunkelheit, und dann bin ich hier aufgewacht, in diesem Drecksloch. Und du? Woran kannst du dich erinnern?“

Theron dachte einen Moment nach, ließ die letzten Stunden in seinem Kopf Revue passieren. „Ich erinnere mich, dass ich rausgehen wollte, um etwas frische Luft zu schnappen. Aber Darli hat mich abgefangen.“

„Hat sie das?“ Myrddins Tonfall war plötzlich neugierig.

„Ja,“ bestätigte Theron. „Sie hat mich davon abgehalten, rauszugehen, und mich stattdessen auf ein Zimmer gebracht.“

Myrddin keuchte gespielt. „Auf ein Zimmer? Mit ihr?“

Theron ignorierte den Tonfall und fuhr fort: „Sie hat mich ausgezogen und ans Bett gefesselt. Ich erinnere mich noch an ihre warmen Berührungen, und dann…“ Er zögerte, suchte nach den richtigen Worten. „…dann habe ich das Gefühl bekommen, zu fallen. Und als Nächstes wache ich hier auf.“

Einen Moment herrschte Stille. Dann stieß Myrddin einen empörten Laut aus. „Du bist mit ihr auf ein Zimmer gegangen?“ rief er, seine Stimme überschlug sich fast. „Du hast wirklich mit ihr auf ein Zimmer?“

Theron verzog das Gesicht. „Ja, Myrddin. Wie ich gesagt habe.“

„Das ist doch wohl die Höhe!“ Myrddin klang, als hätte ihm jemand die größte Chance seines Lebens genommen. „Das verstößt gegen jede unausgesprochene Regel! Der Zauberer kriegt die Dame, der Söldner das Bier – so läuft das!“

Theron stöhnte leise. „Das war nie eine Absprache, Myrddin. Ich kenne dich doch erst seid heute morgen.“

„Mag sein,“ fuhr Myrddin fort, „aber das ist doch logisch! Überleg mal, was ich ihr alles hätte bieten können! Ich bin ein Zauberer, Theron! Ein Meister der Illusionen, der Worte, der Unterhaltung der Romantik. Und was bietest du? Grunzende Antworten und ein paar Schwerthiebe? Das ist doch lächerlich!“

Theron blieb ruhig, während Myrddin weiterredete.

„Hast du ihre Augen gesehen?“ fuhr Myrddin fort, ohne auf eine Antwort zu warten. „So Blau, wie der Himmel an einen wolkenlosen Tag. Und dieses Lächeln… ich sage dir, Theron, ich hätte sie für mich gewinnen können. Sie und ich – das hätte funktioniert! Aber nein, sie schnappt sich dich.“ Seine Stimme war ein einziges Drama.

Theron seufzte. „Myrddin, vielleicht solltest du dich darauf konzentrieren, wie wir hier rauskommen, anstatt weiter über Darli zu reden.“

„Oh, keine Sorge,“ sagte Myrddin spöttisch. „Ich bin sicher, dein Heldentum wird uns retten. Oder vielleicht kommt Darli zurück und bindet uns los. Warum sollte sie dich auch hierlassen, nachdem sie dir schon… na ja, du weißt schon.“

Theron hörte das rhythmische Klacken von Stiefeln auf den feuchten Stufen. Langsam, gleichmäßig, fast wie das Ticken einer Uhr. Die Schritte wurden lauter, begleitet von einem dumpfen Klirren – Metall, vermutlich Rüstungen. Myrddin spähte zur Treppe, seine Augen weiteten sich vor Anspannung. Theron hingegen blieb regungslos, seine Haltung entspannt, doch seine Augen verrieten, dass er bereits einen Verdacht hatte.

Darli erschien als Erste im Keller. Das verspielte, verführerische Lächeln vom Gasthaus war verschwunden, ersetzt durch einen Ausdruck nüchterner Kontrolle. Ihre Kleidung war praktisch, funktional – eine dunkle Lederweste, darunter ein schlichtes Hemd, robuste Hosen und Stiefel, die Spuren von Reisen trugen. Kein Schmuck, keine Ornamente. Sie sah aus wie eine Frau, die wusste, was sie wollte, und keine Zeit für Nebensächlichkeiten hatte.

Hinter ihr traten zwei grimmig aussehende Soldaten hervor. Ihre Gesichter waren ernst, von Narben gezeichnet, ihre Haltung militärisch. Sie trugen dunkelrote Wappenröcke mit dem Emblem von Dvergen – ein aufgerichteter Wolf mit gezogenen Krallen, eingerahmt von Dornenranken. Einer der Soldaten hielt die Hand fest auf dem Griff seines Schwertes, während der andere mit unbewegter Miene die beiden Gefangenen musterte.

Theron sagte nichts. Seine Augen blieben auf Darli gerichtet, ruhig, abwartend. Er hatte das dumpfe gefühl, das Darli nur eine Rolle war und das diese Frau, eine komplett andere war. Myrddin jedoch keuchte laut, als er sie erkannte.

„Darli?“ rief er ungläubig, seine Stimme überschlug sich fast. „Was... was macht ihr hier?“

Sie ignorierte ihn vollständig. Ihre Schritte waren leise, fast schleichend, während sie sich Theron näherte. Sie blieb vor ihm stehen, ihr Blick bohrte sich in seinen. Langsam hob sie eine Hand und legte sie sanft an seine Wange, eine Geste, die beinahe liebevoll wirkte. Dann beugte sie sich vor und drückte einen Kuss auf seine Lippen, zart, aber bestimmend.

Theron erwiderte nichts. Seine Augen blieben unbewegt, seine Haltung angespannt, doch er zog sich nicht zurück. Myrddin hingegen keuchte erneut, dieses Mal vor Empörung.

„Was zum Henker soll das?“ platzte er heraus. „Was treibt ihr hier? Und was... was macht ihr mit ihm?“

Sie richtete sich langsam wieder auf und ließ ihre Hand auf Therons Wange ruhen, ihre Finger glitten kurz über die Linie seines Kiefers. „Die letzte Nacht war... erregend,“ sagte sie leise, fast schnurrend. Ihre Stimme trug einen Hauch von Ironie, während ihre Augen Therons Gesicht musterten. „Ich kann mir gut vorstellen, das es noch besser sein kann, wenn du... naja aktiver bist.“

Theron blieb still. Sein Blick war kalt, doch seine Gedanken rasten. Er spürte die provokative Absicht hinter ihren Worten, aber er ließ sich nichts anmerken. Stattdessen fixierte er sie, als wollte er in ihre Gedanken eintauchen.

Myrddin, dessen Gesicht eine Mischung aus Verwirrung und Entrüstung zeigte, riss den Mund auf, um etwas zu sagen. Doch sie hob eine Hand, ohne ihn anzusehen. Eine leichte Bewegung, fast beiläufig, doch ihre Finger zeichneten dabei ein unsichtbares Symbol in die Luft. Die Luft um sie herum schien für einen Moment zu flimmern, und ein leises Summen erfüllte den Raum.

„Jetzt können wir reden,“ sagte Tira ruhig und senkte ihre Hand. „Ein kleiner Zauber. Wir können uns frei unterhalten, ohne dass unsere Freunde dort etwas mitbekommen.“ Sie warf einen flüchtigen Blick zu den beiden Wachen, die am Treppenaufgang stehen geblieben waren, ihre Gesichter starr und wachsam. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Theron und Myrddin.

„Was zur Hölle geht hier vor?“ verlangte Myrddin zu wissen. Sein Tonfall schwankte zwischen Empörung und Ungläubigkeit. „Seid ihr das alles... gewesen? Darli – was soll das Ganze? Und warum habt ihr ihn mitgenommen?“

Sie lächelte leicht, ein Lächeln, das keine Wärme hatte. Sie schritt langsam zu Myrddin hinüber, ließ ihre Finger leicht über die Lehne seines Stuhls gleiten, als wollte sie ihn absichtlich provozieren. „Ihr habt viele Fragen, Zauberer,“ sagte sie ruhig, doch in ihrer Stimme lag ein kaum wahrnehmbarer Hauch von Spott. „Und ich habe vielleicht einige Antworten. Aber zunächst...“ Sie blieb stehen und musterte ihn mit einem Ausdruck, der zwischen Neugier und Verachtung schwankte. „...verzeiht mir, dass ich euch enttäuscht habe. Ich hatte nicht vor, eure Erwartungen im Gasthaus zu erfüllen.“

Myrddin schnappte nach Luft, sichtlich getroffen. „Erwartungen? Ihr...“ Er verstummte, als er ihre Augen sah – kalt, berechnend, völlig ungerührt von seiner Reaktion.

„Hört auf, mich wie einen verliebten Narren zu behandeln,“ sagte er schließlich, seine Stimme war leiser, aber angespannt. „Erklärt euch. Was wollt ihr von uns?“

Sie wandte sich wieder zu Theron um, ihre Augen fixierten ihn mit einer Intensität, die beinahe unangenehm war. „Eine sehr gute Frage,“ sagte sie leise. „Und ich denke, es ist an der Zeit, dass wir über genau das sprechen.“

Sie ließ ihre Augen über die beiden gleiten. „Mein Name ist Tira,“ sagte sie schließlich ruhig, ihre Stimme klang wie ein Flüstern, das von den feuchten Wänden des Kellers widerhallte. „Und wie ihr euch schon denken konntet, bin eine Zauberin.“

Myrddin blinzelte ungläubig. „Was... was soll das alles?“ begann er, doch bevor er weiter sprechen konnte, hob Tira eine Hand. Ihre Finger zeichneten ein kurzes Muster in die Luft, und plötzlich verstummte Myrddin, als hätte ihm jemand die Stimme geraubt.

„Ihr redet zu viel, Kollege,“ sagte sie mit einem leichten, melancholischen Lächeln. „Das habe ich in meinem Leben gelernt: Es gibt Menschen, die erst reden und dann denken. Ihr scheint einer von ihnen zu sein.“ Sie musterte ihn einen Moment, während ihre Augen kurz einen Schatten von Traurigkeit widerspiegelten, den sie schnell unterdrückte. Doch Theron bemerkte, wie ihr Blick für einen Moment in die Ferne schweifte, als würde sie in eine andere Zeit zurückkehren.

„Ich werde euch antworten, aber lasst mir Zeit,“ fuhr sie fort, ihre Stimme nun wieder gefasst. Sie sah Myrddin an und setzte einen prüfenden Blick auf. „Wenn ich euch den Mund wieder öffne, versprecht ihr, erst nachzudenken, bevor ihr die nächste Frage stellt?“

Myrddin nickte steif, die Wut in seinen Augen war nicht zu übersehen, doch er wusste, dass er keine Wahl hatte. Mit einer kurzen Geste löste Tira den Zauber.

„Warum habt ihr uns gefesselt?“ fragte Theron mit ruhigem Ton, seine Stimme klang fast beiläufig, doch seine Augen waren wachsam.

Tira lächelte leicht. „Weil ich auf Nummer sicher gehen musste,“ erwiderte sie. „Ich habe... blöde Erfahrungen gemacht, wenn ich Menschen zu viel Vertrauen geschenkt habe.“

Theron zog eine Augenbraue hoch. „Aber ihr könnt uns jetzt lösen,“ sagte er trocken. „Ihr seid eine Zauberin, habt zwei bewaffnete Soldaten an eurer Seite. Ich sehe da wenig Grund für so viel Vorsicht.“

Tira hob eine Augenbraue und antwortete mit einem spielerischen Lächeln: „Halte mich nicht für dumm. Du bist ein Auror, für dich wären die beiden Soldaten nichts. Und außerdem... habe ich vielleicht einfach eine Schwäche dafür, Männer in Fesseln zu sehen.“

Myrddin, der sie immer noch misstrauisch anstarrte, schien plötzlich ein Geistesblitz zu kommen. Seine Augen weiteten sich, und er lehnte sich vor, so weit es seine Fesseln erlaubten. „Moment mal... seid ihr... die Tira? Die ehemalige Großmeisterin der Loge?“

Tira drehte sich langsam zu ihm um, ihr Blick verriet eine Spur von Überraschung. „Das hätte ich nicht erwartet,“ sagte sie leise, ihre Stimme klang fast bewundernd. „Dass jemand wie ihr mich kennt. Ich hatte den Eindruck, die Loge verbringt heutzutage ihre Zeit nur noch damit, sich selbst zu feiern und an ihren eigenen Fürzen zu riechen.“

Theron, der die Unterhaltung aufmerksam verfolgt hatte, runzelte die Stirn. „Warte... du kennst sie?“ fragte er und richtete seine Frage an Myrddin.

Der Zauberer schüttelte den Kopf. „Persönlich kenne ich sie nicht. Aber ich habe einiges über sie gehört und gelesen.“ Er machte eine kurze Pause, als wolle er die richtigen Worte finden. „Tira war zur Zeit des großen Bürgerkriegs die Großmeisterin der Loge. Und sie war die Lehrmeisterin von... Melor dem Grausamen. Heutzutage besser bekannt als der Eiskönig.“

Tiras Gesicht blieb regungslos, doch ihre Augen verengten sich leicht, als sie den Namen hörte. „Melor der Grausame?“ Ihre Lippen verzogen sich zu einem kalten Lächeln. „Nennt ihn, wie ihr wollt. Aber ich war seine Lehrmeisterin – und ich weiß, was er wirklich war.“

Theron verschränkte die Arme vor der Brust, so gut es seine Fesseln zuließen. „Warum eine Beleidigung?“ fragte er skeptisch. „Soweit ich weiß hat er fast das ganze Kaiserreich in Flammen gesetzt. Melor und Valen haben als Anführer eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Und speziell durch den Eiskönig liegen tausende Menschen im ewigen, eisigen Schlaf.“

Tira biss sich kurz auf die Unterlippe, als wollte sie eine scharfe Bemerkung zurückhalten. Schließlich hob sie den Kopf und sah Theron mit einem unergründlichen Blick an. „Ihr habt keine Ahnung, was damals wirklich passiert ist,“ sagte sie leise, ihre Stimme war fest, aber ohne Aggression. „Also urteilt nicht über Dinge, die ihr nicht verstehen könnt.“

Myrddin musterte sie eingehend, seine Neugier schien seinen Misstrauen kurzzeitig zu überwiegen. „Wenn ihr wirklich Tira seid... dann müsst ihr mindestens zweihundert Jahre alt sein,“ sagte er schließlich, seine Stimme klang fast ehrfürchtig.

Tira lächelte leicht, doch es war ein Lächeln voller Bitterkeit. „Die Jahre mögen vergangen sein,“ sagte sie, „aber manche Wunden heilen nie.“ Sie machte eine kurze Pause, bevor sie hinzufügte: „Ihr habt recht. Ich bin einhundertdreiundndunzig Jahre alt. Und in all dieser Zeit habe ich gesehen, wie die Welt sich verändert hat... und wie sie doch gleich geblieben ist.“

Tira richtete sich auf und ließ ihren Blick zwischen Theron und Myrddin wandern. „Ich denke, wir haben genug über die Vergangenheit gesprochen,“ sagte sie schließlich. Ihre Stimme klang jetzt klar und zielgerichtet. „Ich bin nicht hier, um mit euch über historische Ereignisse zu philosophieren. Ich will euch ein Angebot unterbreiten.“

Myrddin hob eine Augenbraue. „Was für ein Angebot?“

„Ich unterbreiten euch die Möglichkeit, mir dabei zu helfen, diese Welt zu verändern,“ sagte sie trocken.

Theron lachte trocken, das Echo seines Lachens hallte in dem kargen Keller wider. „Ihr verzaubert uns, fesselt uns, sperrt uns ein – und jetzt wollt ihr, dass wir euch helfen?“ Er schüttelte den Kopf, seine Augen funkelten vor Ironie.

Tira erwiderte seinen Blick ohne eine Spur von Zögern. „Ja,“ sagte sie schlicht, ihre Stimme so ruhig und fest wie ein Stein.

Myrddin schnaufte empört. „Ihr habt wirklich den Verstand verloren,“ rief er aus. „Kein Wunder, dass man euch aus der Loge geworfen hat!“

Ein kurzes Lächeln spielte auf ihren Lippen, doch es erreichte ihre Augen nicht. „Im Gegenteil, Zauberer,“ sagte sie mit einer kühlen Gelassenheit, die Myrddin innehalten ließ. „Ich habe meinen Verstand nicht verloren. Ich sehe die Welt deutlich klarer, als früher. Ich sehe sie einfach wie sie ist. Und in dieser Welt gibt es nur zwei Möglichkeiten für euch: Entweder ihr helft mir bei großen Veränderungen – oder ich muss eure Gedanken leider löschen und da ich ein bisschen aus der übung bin, kann es passieren das ihr sogar euren eigenen Namen vergesset.“

Theron hob eine Augenbraue. „Veränderungen?“ fragte er. Sein Tonfall war nüchtern, aber hinter seinen Worten lauerte eine klare Skepsis.

Tira verschränkte die Arme vor der Brust und musterte ihn mit einem Blick, der zugleich geduldig und entschlossen war. „Ich werde euch in die Einzelheiten einweihen, sobald ihr das Angebot angenommen habt,“ begann sie, ihre Stimme wurde leiser, fast eindringlich. „Aber so viel sei gesagt: Ich werde etwas neues aufbauen, eine Institution, die nicht von persönlichen Intrigen, Korruption und Macht zerfressen ist, wie es die derzeitigen Herrschenden und die Loge der Zauberer sind.“

Ein Schweigen breitete sich aus, schwer wie ein drohendes Gewitter. Myrddin sah sie mit zusammengekniffenen Augen an, während Theron sie ruhig musterte. Schließlich war es Myrddin, der das Schweigen brach. „Ich weiß selbst, dass die Loge sich nur noch um sich selbst kümmert,“ sagte er, seine Stimme klang bitter, „aber mit den nötigen Reformen, lässt sich das beheben.“

Tira schüttelte leicht den Kopf. „Reformen sind lediglich eine Symptombekämpfung, aber die Ursachen bleiben.“

„Also wollt ihr die Macht zurück, die ihr einst verloren habt?“ fragte Theron mit einem Hauch Sarkasmus in der Stimme.

Tira schüttelte den Kopf, ihre Stimme war fest. „Nein. Ich will keine Macht,“ sagte sie ruhig. „Ich will Veränderung, für jeden.“

Myrddin ließ sich zurück in den Stuhl sinken, als hätte er keine Kraft mehr, sie weiterhin anzusehen. „Und dabei sollen wir euch helfen?“ fragte er, seine Stimme klang müde, fast resigniert. „Wofür? Und mit welcher Armee? Der Kaiser wird das nicht einfach so hinnehmen. Und die Loge? Sie wird uns jagen, sobald sie erfährt, dass ihr noch lebt.“

Tira ließ die Worte einen Moment lang im Raum stehen, bevor sie antwortete. „Ich weiß, wie schwer solche Entscheidungen sind,“ sagte sie leise, fast sanft. „Und ich werde euch Zeit geben, darüber nachzudenken.“

Sie trat zurück, zeichnete eine fließende Bewegung mit der Hand in die Luft und löste den Zauber, der sie abgeschottet hatte. Die Geräusche der Außenwelt kehrten zurück – das Tropfen des Wassers, das Rascheln der Soldaten am Treppenaufgang.

„Ich komme später wieder,“ sagte Tira und warf ihnen einen letzten Blick zu. „Und dann erwarte ich eure Antwort.“

Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und verschwand langsam die Treppe hinauf, während ihre Schritte leise auf den Stufen verhallten. Die beiden Wachen folgten ihr, und der Keller wurde wieder still.

Theron und Myrddin blieben allein zurück. Die Stille zwischen ihnen war zunächst unangenehm, bevor Theron schließlich das Wort ergriff. „Das war... interessant.“

Myrddin seufzte und lehnte den Kopf gegen die feuchte Wand hinter ihm. „Das ist die Untertreibung des Jahres,“ murmelte er, bevor er die Augen schloss, als wolle er einen Moment abschalten.

 

Die schwere Holztür öffnete sich mit einem dumpfen Knarren, und Tira trat mit gemessenen Schritten in den Keller. Sie wirkte gelassener als zuvor, aber ihre Augen musterten Theron und Myrddin aufmerksam. Hinter ihr traten die beiden Soldaten ein, deren grimmige Gesichter in der Fackelbeleuchtung noch finsterer wirkten. Sie blieben reglos an der Tür stehen, während Tira vor die beiden Gefangenen trat.

„Habt ihr euch entschieden?“ fragte sie schlicht, die Stimme ruhig, aber mit einem Hauch von Erwartung.

Theron und Myrddin tauschten einen Blick. Es war Myrddin, der schließlich nickte und als Erster antwortete. „Wir werden dir helfen – weil wir sehen wollen, was du wirklich vorhast. Nicht, weil wir dir trauen.“

Theron ließ sich einen Moment Zeit, ehe er ebenfalls nickte.

Ein amüsiertes Lächeln huschte über Tiras Gesicht. „Das reicht mir fürs Erste,“ sagte sie und machte eine kurze Bewegung mit ihrer Hand. Die Fesseln, die sie gefangen gehalten hatten, lösten sich und fielen zu Boden. Beide rieben sich die Gelenke, während Tira sich abwandte und zur Tür ging.

„Folgt mir,“ sagte sie und hielt inne, bevor sie mit einem leichten Schmunzeln hinzufügte: „Und macht keine Dummheiten.“

Die beiden Soldaten fielen hinter ihnen ein, als sie die Treppe hinaufstiegen. Der Gang war kalt und feucht, doch mit jedem Schritt fühlte sich die Luft schwerer an. Theron wusste: Was auch immer oben auf sie wartete – es würde alles verändern.

Der Raum, in den sie eintraten, war ein Schatten aus Stein. Dunkle Wände schluckten jedes Licht und ein leere in der Mitte des Raumes, dominierten die Szenerie. Ein leises Tropfen hallte von irgendwoher durch die Stille, die nur vom Flackern der Fackeln an den Wänden durchbrochen wurde. Es war ein Ort, der Geheimnisse barg, aber keine Antworten versprach.

Theron ließ seinen Blick durch den Raum gleiten und stand leicht versetzt hinter Tira. Er war angespannt, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ. Die Umgebung, der Raum, das Schweigen – es fühlte sich, nicht richtig an und er fragte sich ernsthaft, wie er wieder in so etwas hinein geraten konnte. Seine Augen ruhten auf dem Mann, der bereits auf sie wartete: Der Fürst von Dvergen.

Der Fürst saß in einem schlichten, aber erhabenen Sessel am Kopfende des Tisches. Er saß reglos wie eine Statue, die Augen scharf wie blanker Stahl. Ein Mann, der Macht nicht zur Schau stellte – weil er es nicht musste. Seine Kleidung war schlicht, aber edel – eine tiefgrüne Tunika, ein schwarzer Umhang, der über die Lehne seines Sessels fiel. Doch es waren seine Augen, die Theron nicht losließen. Kalt, durchdringend, mit einem Hauch von Berechnung. Dieser Mann wollte Macht, um jeden Preis.

Neben ihm stand ein Zauberer, dessen Haltung zunächst unauffällig war. Doch etwas an seiner Präsenz störte Theron. Etwas an ihm stimmte nicht. Seine Aura flackerte zwischen Silber und Gold – Freude und Selbstsicherheit. Doch seine Miene verriet nichts. War das Zufall? Oder genoss er ein Spiel, dessen Regeln nur er kannte?

Theron hielt seinen Gesichtsausdruck neutral, doch innerlich machte er sich bereit. Auch wenn er seine Schwerter nicht hatte und es noch ungewiss war, wie sich die Situation entwickeln würde.

Tira war es, die das Schweigen durchbrach. Sie trat vor, verneigte sich leicht vor dem Fürsten und begrüßte ihn mit einem knappen „Hereward, Fürst von Dvergen.“ Ihr Tonfall war respektvoll, aber ohne Unterwürfigkeit – ein Gleichgewicht, das Theron nicht entging. Als sie sich dem Zauberer zuwandte, nickte sie ihm ebenfalls zu. Doch dieser erwiderte die Geste nicht. Stattdessen studierte er sie mit einem intensiven Blick, der selbst Theron unangenehm war.

„Tira,“ sagte Hereward schließlich. Seine Stimme war ruhig, aber fest, und sie hallte leicht in dem kargen Raum wider. „Ich sehe, ihr habt Begleitung mitgebracht.“ Sein Blick glitt über Theron und Myrddin, ohne dass er ihre Namen nannte. Es war ein Blick, der mehr wog, als er aussprach – ein Blick, der sie nicht als Personen, sondern als Werkzeuge betrachtete.

Tira nickte. „Ja.“ Sie hielt seinen Blick, ohne zu zögern.

Hereward ließ sich in seinen Sessel zurücksinken und trommelte langsam mit den Fingern auf die Armlehne. Das Geräusch hallte unnatürlich laut durch den Raum. „Dann bleibt die Frage: Werden sie unserer Aufgabe gegenüber loyal sein?“

Myrddin trat einen Schritt vor, und sein Tonfall – diplomatisch, fast höflich – stand im Widerspruch zur düsteren Stimmung des Raumes. „Eine Aufgabe also,“ sagte er und bemühte sich um ein freundliches Lächeln. „Dürfen wir vielleicht etwas mehr über diese Aufgabe erfahren? Tira hat uns bisher nur wenig darüber erzählt.“

Hereward ließ seine Finger weiter auf der Armlehne trommeln, sein Blick wanderte langsam zu Myrddin. Einen Moment lang schien er die Worte abzuwägen, bevor er antwortete. „Alles zu seiner Zeit,“ sagte er schließlich, mit einer Stimme, die weder Eile noch Ungeduld verriet. „Die Aufgabe erfordert Vorsicht. Es ist... nicht ohne Risiko, und Diskretion ist entscheidend. Ihr werdet zur rechten Zeit über einzelheiten eingeweiht, wenn es notwendig ist.“

Der Zauberer neben Hereward regte sich leicht, als ob er etwas hinzufügen wollte, doch ein Blick von Hereward ließ ihn verstummen. Stattdessen richtete der Zauberer seinen Blick erneut auf die Ankömmlinge – ein kalter Blick, der Theron innerlich schaudern ließ.

Die Spannung im Raum war fast greifbar. Tira blieb ruhig, doch Theron konnte sehen, dass sie ihre Haltung ein wenig straffer hielt. Myrddin hingegen wirkte, als ob er auf den nächsten Satz von Hereward wartete, doch er sagte nichts mehr. Hereward lehnte sich vor, seine Hände zu einem Zelt gefaltet.

„Du hast sie ausgewählt,“ sagte er schließlich, und seine Stimme hatte einen kühlen, abschätzenden Ton. „Ich gehe davon aus, das sie die richtigen Fertigkeiten haben, die wir benötigen. Oder irre ich mich damit, Tira?“

„Nein, Herr,“ antwortete sie ruhig, ohne den Blick von Hereward zu meiden. „Ich bin überzeugt, dass sie eine gute ergänzung sind.“

„Wir werden sehen,“ murmelte Hereward, mehr zu sich selbst als zu den anderen, während er sich zurücklehnte und seine Augen auf Theron ruhen ließ. Es war ein Blick, der gleichzeitig prüfend und abweisend war. Ein leises Trommeln seiner Finger auf der Armlehne begleitete die Stille, die den Raum zu verschlucken schien. Es war eine absichtlich herbeigeführte Pause, eine, die die Spannung ins Unerträgliche trieb.

„Es ist eine interessante Zeit, nicht wahr?“ begann Hereward schließlich, seine Stimme ruhig, aber mit einem kalten Unterton. „Die Zeiten sind dunkel – und Verräter tragen oft die freundlichsten Gesichter.“

Tira antwortete nicht.

„Verräter,“ fuhr Hereward fort und ließ das Wort genüsslich durch den Raum rollen, „sind wie Unkraut. Sie verbergen sich in den Schatten, der andere, agieren im Verborgenen und hoffen, dass sie nicht entdeckt werden. Solange bis sie groß genug sind um denen, in deren Schatten sie standen zu vernichten.“

Tira blieb ruhig. Ihr Gesicht zeigte keine Regung, doch Theron bemerkte, dass sie ihre Haltung minimal straffer hielt. Sie hatte den Kopf leicht zur Seite geneigt, als würde sie den Fürsten genau analysieren. „Es ist gut, dass ihr wachsam seid, Fürst Hereward,“ sagte sie schließlich, ihre Stimme glatt und höflich. „Solche Zeiten erfordern Vorsicht.“

Hereward musterte sie einen Moment lang, dann schnippte er mit den Fingern. Die Tür ächzte auf, und schwere Ketten rasselten auf dem Steinboden. Zwei Wachen zerrten einen Mann ins Licht der Fackeln – seine Knie gaben nach, sein Gesicht war eine blutige Maske. Der Gefangene war in einem erbärmlichen Zustand – seine Kleidung war zerrissen, sein Gesicht mit Blut und Dreck verschmiert. Er wirkte halb bewusstlos, seine Bewegungen waren schleppend, als die Wachen ihn grob nach vorne zogen und ihn neben Hereward auf die Knie zwangen.

Hereward ließ sich Zeit, bevor er sprach. Seine Augen ruhten auf dem Gefangenen, während er mit der Fingerspitze über die Armlehne seines Sessels fuhr. „Dieser Mann,“ begann er schließlich, „ist der Besitzer einer der Tavernen in der Stadt. Eine einfache Seele, könnte man meinen. Doch wie sich herausstellt, hat er eine... ungewöhnliche Neigung entwickelt.“

Neben Theron blieb Tira äußerlich gelassen, ihre Augen fest auf Hereward gerichtet. Doch es war das kurze Zucken ihrer Lippen, das sie sofort unterdrückte, das für viele unsichtbar war, doch genug um zu erahnen, dass sie diese. Mann kannte.

„Er hat sich darauf spezialisiert,“ fuhr der Fürst fort, „nach Leuten zu suchen, die... besondere Talente haben. In der Zauberei, um genau zu sein. Angeblich um ein Teil, einer großen Veränderung zu werden, das alle Menschen vom Joch befreien wird.“ Seine Stimme war ruhig, fast beiläufig, doch seine Augen musterten die Anwesenden mit einem Blick, der nichts entging.

Tira nickte leicht. „Dann ist es gut, dass ihr ihn enttarnt habt, Fürst Hereward,“ sagte sie kühl. Ihre Stimme war glatt wie Eis, doch Theron spürte die winzige Anspannung in ihrer Haltung. Sie kannte diesen Mann, das war offensichtlich. Doch sie versteckte es gut.

Ein Schweigen legte sich über den Raum. Der Fürst lehnte sich zurück, seine Augen auf Tira gerichtet, während er seine Finger erneut über die Armlehne gleiten ließ. Theron spürte die Spannung in der Luft, die Blicke, die sich über den Raum bewegten, und das leise, unheilvolle Summen, das von den Ketten des Gefangenen ausging. Sein Blick wanderte zu dem Zauberer neben dem Fürsten, dessen Aura sich von einem verwirrenden Silber-Gelb zu einem immer stärkeren Gelb verfärbte – ein Zeichen von Freude, das nicht zu seiner angespannten Haltung passte.

„Also,“ begann Hereward schließlich, sein Blick wanderte zu dem Gefangenen, „sagt mir, in wessen Auftrag ihr gehandelt habt.“

Der Mann hob mühsam den Kopf, seine Lippen zitterten, als er sprach. „Von Niemanden,“ brachte er heraus, seine Stimme war heiser. „Ich habe... ich habe für mich selbst gearbeitet.“

Eine der Wachen, die neben ihm stand, schlug ihm mit der Rückseite der Hand ins Gesicht. Der Mann taumelte, doch die Ketten hielten ihn aufrecht. Blut rann aus seiner Nase, während er keuchend Luft holte.

Plötzlich trat der Zauberer einen Schritt nach vorne, seine Augen halb geschlossen, als würde er über etwas nachdenken. „Wir sollten Schluss machen,“ sagte er beiläufig, fast zu sich selbst. Es war ein Satz, der in seiner Neutralität beunruhigender war als jede Drohung.

Hereward nickte langsam. „Schluss machen, ja,“ wiederholte er leise. Dann wandte er sich an Tira. Sein Blick wurde schärfer, durchdringender, als würde er jede Regung in ihrem Gesicht analysieren. „Ihr seid schlau, Tira,“ begann er mit einem leichten Lächeln, das jedoch keine Freundlichkeit ausdrückte. „Oder sollte ich euch lieber mit eurem alten Titel ansprechen? Großmeisterin?“

Theron spürte, wie sich der Knoten in seinem Magen enger zog. Etwas war hier ganz und gar nicht richtig.

Hereward setzte ein dünnes Lächeln auf und hob langsam eine Hand, als wollte er einen imaginären Faden durchtrennen. Das Knarren der großen Holztür hinter Theron, Tira und Myrddin ließ sie herumfahren. Zwei Dutzend schwer bewaffnete Soldaten strömten in den Raum, ihre Kettenhemden und Metallplatten klirrten bedrohlich. Sie verteilten sich rasch, ihre Schwerter erhoben, und bildeten einen dichten Ring um die Gruppe.

„Aber ihr habt nicht damit gerechnet, dass ich euch nie vertraut habe, nicht wahr?“ sagte Hereward mit eisiger Gelassenheit. Seine blauen Augen funkelten vor Genugtuung. „Für euch bin ich lediglich ein Werkzeug, ein Mittel zum Zweck. Stimmt’s, Großmeisterin? Obwohl ich immernoch nicht genau weiß zu welchen Zweck.“

Tira biss sich auf die Unterlippe. Sie wirkte ruhig, doch Theron bemerkte das kurze Zucken ihrer Finger – ein winziges Zeichen von Anspannung. Sie antwortete nicht.

Das widerwärtige Lachen des Zauberers zerriss die Stille. „Es freut mich, dich so zu sehen, du hinterhältige Schlampe,“ spottete er. Sein Tonfall war so hasserfüllt, dass sogar die Soldaten kurz zu ihm blickten. „Ergebt euch. Dann ist euch lebenfalls ein schneller Tod gewiss.“

Myrddin blickte nervös zwischen den Beteiligten hin und her. Sein Atem wurde schneller, doch er schien einen Entschluss zu fassen, als er Therons Blick auffing. Theron nickte ihm nur knapp zu – ein stummes Zeichen, das sie sich nicht ergeben.

„Zu schade,“ sagte Tira plötzlich. Ihre Stimme war ruhig, fast bedauernd. „Ihr habt gut daran getan, mir nicht zu vertrauen. Denn ich halte Leute wie euch für nichts anderes als Abschaum.

Ihr habt bereits eine gewisse Art von Macht, lediglich weil ihr aus der richtigen Gebärmuter gepresst wurdet und strebt nach noch mehr Macht, um euren gekränkten Ego zu schmeicheln. Aber in einer Sache tut ihr mir unrecht.“

Hereward lehnte sich entspannt zurück und lächelte selbstzufrieden, ungeachtet der Beleidigung. „Aber in einer Sache tue ich euch unrecht, sagt ihr? Welche wäre das wohl?“

Tira hob den Kopf, ihre Augen glitzerten gefährlich. „Mich zu unterschätzen,“ sagte sie kalt.

Bevor Hereward reagieren konnte, hob sie ihre Hände, und eine pulsierende Feuerkugel formte sich zwischen ihren Handflächen. Mit einer fließenden Bewegung schleuderte sie die Kugel quer durch den Raum. Doch anstatt ihn anzuvisieren, zischte sie auf den Zauberer zu, dessen Augen sich vor Überraschung weiteten. Im letzten Moment hob er die Hände und beschwor eine magische Barriere, die die Feuerkugel mit einem gleißenden Knall ablenkte. Die Wucht schleuderte ihn jedoch einen halben Schritt zurück.

Myrddin reagierte ebenfalls. Seine Hände zeichneten ein Muster in der Luft, und plötzlich begann der Boden unter den Soldaten zu schwanken, als wäre ein unsichtbares Erdbeben ausgebrochen. Die Männer taumelten, ihre Formation geriet ins Wanken. Schreie hallten durch den Raum, und einige Soldaten stolperten ineinander.

Theron nutzte die Gelegenheit. Mit einem einzigen, geschmeidigen Sprung griff er nach dem Schwert eines Soldaten, riss es ihm aus der Hand und rammte es dem Mann in den Bauch. Blut spritzte auf den Boden, und der Soldat sackte stöhnend zusammen. Doch die Verwirrung währte nur kurz. Die ersten Soldaten bemerkten, dass der vermeintliche Erdboden eine Illusion war, und richteten ihre Waffen wieder auf die Gruppe.

„Los!“ rief Theron und schwang sein neues Schwert gegen die Angreifer. Zwei Soldaten gingen sofort auf ihn los. Mit blitzschnellen Schlägen parierte er ihre Angriffe, wich einem Streich aus und nutzte die Öffnung, um einem der Männer die Klinge in die Seite zu stoßen. Doch mehr Soldaten strömten in den Raum, und die Übermacht wurde drückend.

Myrddin, der ebenfalls in den Kampf verwickelt war, wirkte hektisch einen weiteren Zauber. Ein blendender Blitz explodierte in der Mitte der Soldaten, die schreiend die Hände vors Gesicht warfen. „Das gibt uns etwas Zeit!“ rief er, doch seine Stimme klang gepresst.

Tira hatte ihren Fokus ganz auf den Zauberer gerichtet, der sich von ihrem ersten Angriff erholt hatte. Mit einem hasserfüllten Grinsen schleuderte er ihr eine grüne Energiewelle entgegen, die sie gerade noch mit einem magischen Schild abfing. „Du bist schneller, als ich erwartet habe,“ spottete er, während er seine nächste Attacke vorbereitete. Tira antwortete nicht, sondern schleuderte ihm eine Serie von Feuerbällen entgegen, die er nur mühsam abwehren konnte.

„Wir müssen hier raus!“ rief Theron, während er einen weiteren Soldaten niederschlug. Sein Atem ging schwer, und er spürte, wie die Überzahl der Gegner ihn langsam überforderte.

„Ich arbeite dran!“ rief Myrddin, während er eine weitere Illusion heraufbeschwor, die ein riesiges, brüllendes Wesen mitten im Raum erscheinen ließ. Die Soldaten wichen kurz zurück, bevor sie die Illusion durchschauten.

„Es werden zu viele!“ rief Theron erneut. Seine Klinge glitt durch die Kehle eines weiteren Soldaten, doch er wusste, dass sie bald überwältigt würden. „Wir müssen einen Ausweg finden!“

Tira warf ihm einen kurzen, intensiven Blick zu. „Da drüben!“ rief sie und deutete auf eine schmale Tür am anderen Ende des Raums. „Lauft!“

Theron nickte und begann, sich einen Weg dorthin zu kämpfen. Myrddin folgte ihm, seine Zauber hielten die Soldaten kurzzeitig auf Abstand.

Doch als sie die Tür fast erreicht hatten, bemerkte Theron aus den Augenwinkel, das der Zauberer sie anvisierte und einen Zauber auf sie schleuderte. „Verdammt,“ dachte Theron und erwartete die Wucht des Angriffes.

Stattdessen erhob sich der Erdboden und blockierte den Angriff. Doch die Wucht der Explosion war so groß das Theron und Myrddin geradewegs durch die Tür geschleudert wurden.

Es dauerte einen kleinen Moment, bis sich Theron wieder aufrappelte und sah das die Tür nun blockiert war.

„Wir müssen hier raus,“ keuchte Myrddin, als er sich aufrichtete.

„Und zwar verdammt schnell,“ stimmte ihn Theron zu.

Sie rannten durch die engen Gänge der Burg, das Geräusch ihrer Schritte hallte von den kalten Steinwänden wider. Theron hielt das Schwert, das er erbeutet hatte, fest in der Hand, sein Atem ging schwer. Die Orientierung in diesem Labyrinth aus Gängen und Korridoren fiel ihnen schwer, und das Adrenalin pochte wie ein Trommelschlag in ihren Ohren.

„Wo… zum Teufel…“ Myrddin rang nach Atem, riss den Kopf herum. „Wo sind wir?!“ keuchte Myrddin, seine Augen huschten rastlos von Wand zu Wand. „Das ist doch keine verdammte Festhalle, irgendwo muss es doch raus gehen!“

„Konzentrier dich!“ zischte Theron zurück. Sein Blick sprang zwischen den Abzweigungen hin und her, suchte nach einem Hinweis, irgendeinem Zeichen. „Wir müssen rausfinden, wo wir sind.“

Das Wappen des Fürsten – der aufgerichtete Wolf mit den Dornenranken – war an den Wänden und Fenstern überall zu sehen. Sie waren definitiv im Sitz des Fürsten von Dvergen, doch wie groß diese verdammte Burg war, blieb unklar.

Ein plötzliches Brüllen erklang hinter ihnen, gefolgt vom Klirren von Waffen. „Sie kommen!“ rief Myrddin und drehte sich panisch um. Eine Gruppe Soldaten, mindestens ein Dutzend, stürmte um eine Ecke und hetzte ihnen hinterher.

„Links!“ rief Theron und zog Myrddin mit sich, bevor ein Pfeil knapp an ihnen vorbeizischte und Funken an der Wand sprühen ließ.

Die Soldaten brüllten Befehle, ihre Rüstungen klirrten, während sie durch die Gänge hetzten. Theron und Myrddin stürmten um eine Biegung, doch weitere Soldaten tauchten vor ihnen auf. Der Weg nach vorne war versperrt.

„Verflucht!“ knurrte Theron, sein Blick flog durch den Raum. Sie waren in einer kleinen Halle mit zwei weiteren Ausgängen. Ohne nachzudenken, stürzte er sich auf den rechten Gang und zog Myrddin mit sich.

„Weißt du überhaupt, wohin du läufst?“ rief Myrddin, seine Stimme zitterte vor Anspannung.

„Nein,“ gab Theron zurück, „aber ich weiß, dass ich nicht sterben will!“

Der neue Gang war schmaler, aber er führte sie nach oben. Eine Wendeltreppe brachte sie in einen weiteren Korridor, der an einer offenen Halle endete. Durch die großen Fenster konnten sie endlich den Hof der Burg sehen – und dahinter, nur wenige hundert Schritte entfernt, das offene Burgtor.

„Da ist unser Ausgang!“ rief Theron, seine Augen funkelten vor Entschlossenheit.

Doch kaum hatten sie die Halle durchquert, hörten sie das Klirren von Rüstungen. Weitere Soldaten stürmten aus einem Nebengang, ihre Schwerter gezückt, ihre Stimmen laut und drohend.

„Bleibt stehen!“ brüllte einer der Männer, doch Theron dachte nicht daran.

„Lauf!“ rief Theron und stürzte sich mit Myrddin die Treppen hinunter in Richtung des Burghofs.

Die Soldaten nahmen die Verfolgung auf, doch Myrddin blieb stehen und hob die Hände. Er murmelte schnell ein paar Worte, und plötzlich flammte ein grelles Licht auf, das die Soldaten zusammenzucken ließ. Einige von ihnen hielten sich die Augen, stolperten, und das Chaos verschaffte ihnen einen kurzen Vorsprung.

Theron zog Myrddin weiter. „Gut gemacht! Aber wir sind noch nicht raus.“

Der Burghof war voller Bewegung – Wachen, die Waffen schärften, und Stallknechte, die Pferde tränkten. Doch als die beiden aus dem Gebäude stürmten, wurde alles wie eingefroren. Die Soldaten starrten sie für einen Moment überrascht an, bevor sie zu ihren Waffen griffen.

„Das Tor!“ rief Theron und zeigte auf den offenen Ausgang.

Die Wächter am Burgtor hatten ihre Anwesenheit bemerkt und riefen laut: „Haltet sie auf!“ Einige stürmten vor, während andere begannen, das schwere Tor langsam zu schließen.

„Sie machen dicht!“ rief Myrddin verzweifelt.

„Nicht, wenn du schneller zauberst!“ bellte Theron und warf sich in Bewegung.

Myrddin hielt die Hände hoch, murmelte hastig einen Zauberspruch, und eine plötzliche Windböe fegte über den Burghof. Die Wachen am Tor wurden zurückgeworfen, stolperten und fielen, während der Mechanismus des Tors ins Stocken geriet.

„Los!“ rief Myrddin, als das Tor wieder einen Spalt offen blieb.

Theron warf einen letzten Blick zurück und sah, wie sich weitere Soldaten näherten. Doch er hatte keine Zeit zum Nachdenken. Zusammen mit Myrddin stürmte er durch das Tor, gerade rechtzeitig, bevor es krachend ins Schloss fiel.

Sie liefen durch die Straßen von Dvergen, ihr Atem ging schwer, und die Schreie der Soldaten hallten hinter ihnen wider. „Fang sie!“ hörten sie einen Befehl, und die Verfolgungsjagd setzte sich fort.

„Kennst du einen Ort außer den Freudenhäusern, wo wir hin können?“ keuchte Theron, während sie durch die dunklen, engen Gassen der Stadt rannten.

„Natürlich nicht!“ antwortete Myrddin ebenfalls außer Atem.

Theron hielt kurz inne, sah sich um und deutete dann auf eine alte Taverne. Das Gebäude war heruntergekommen, die Fensterläden hingen schief, und das Schild über der Tür war fast völlig verblasst.

„Da rein!“ rief Theron.

Sie stürmten hinein, schlossen die Tür hinter sich und schoben einen schweren Tisch davor. Die Luft in der Taverne war abgestanden, aber für den Moment fühlten sie sich sicher.

„Das war knapp,“ keuchte Myrddin und sich erschöpft auf einen der Kaputten Stühle fallen. „Wir müssen schauen, das wir so schnell wie möglich aus der Stadt hinaus kommen.“

Theron schaute sich in der alten Taverne um. „Nein.“

„Die Stadttore müssten noch auf sein...“ begann Myrddin als er die Augenbrauen hob. „Hast du gerade Nein gesagt?“

Theron nickte ernst. „Das habe ich.“

„Wieso?“ fragte Myrddin und schaute ihn ungläubig an. „Willst du sie befreien oder was?“

„Das ist richtig.“

„Du bist doch wahnsinnig!“ brach es aus Myrddin heraus. „Du willst ernsthaft zurück in die Burg, die uns umbringen wollen? Wofür? Für die Frau, die uns erst in diesen Schlamassel gebracht hat? Schon vergessen, das sie nicht nur dich auch noch mich betäubt und verschleppt hat. Uns gezwungen hat bei irgendeiner Verschwörung mit zu machen, wo wir uns beraten haben, das wir bei der erst besten Möglichkeit abhauen? Hast du das alles vergessen?“

„Nein, habe ich nicht.“

„Dann ist ja gut," begann Myrddin. „Dann lass uns verschwinden.“

„Du kannst versuchen abzuhauen, aber ich werde bleiben und sie versuchen zu retten,“ sagte Theron. „Sie hat uns ebenfalls verholfen da überhaupt wieder rauszukommen. Außerdem brauche ich meine Schwerter wieder.“

„Du scheinst echt unbelehrbar zu sein nicht wahr?“ fragte Myrddin resigniert. „Sie musste uns helfen da hinaus zu kommen, weil sie uns erst dahin ein gebracht hatte. Aber schön ich werde ebenfalls helfen. Ich gehe zurück zum Freudenhaus und schaue mal ob sich dort unsere Pferde noch befinden und wer weiß vielleicht auch deine Schwerter.“

Theron nickte.

Die Burg ragte wie ein stummer Koloss in die Nacht. Ihre steinernen Mauern schluckten das Mondlicht, als wollten sie jedes Geheimnis in der Dunkelheit bewahren.

Theron kauerte hinter einem Busch nahe des Torwegs und beobachtete die Wachen. Ihre Auren glühten schwach in der Nacht - ein ruhiges Grau. „Gelangweilt und gleichgültig," dachte Theron. „Perfekt."

Die beiden Wachen stützten sich auf ihre Piken und unterhielten sich leise, scheinbar ohne große Aufmerksamkeit für ihre Umgebung. Doch selbst Desinteresse konnte gefährlich werden. Theron suchte nach einer Möglichkeit, sie abzulenken, und sein Blick fiel auf ein eisernes Schild, das an einem Gebäude gegenüber dem Tor befestigt war. Die Aufschrift war in der Dunkelheit nicht zu erkennen, doch das Metall glänzte im spärlichen Licht.

Er nahm einen kleinen Stein und warf ihn mit voller Wucht dagegen. Ein metallisches Dröhnen hallte durch die Nacht und ließ die Wachen zusammenzucken.

„Was zum...?" Der erste Wächter fuhr zusammen und riss seine Pike fester. Seine Augen huschten über die dunklen Mauern. „Das war nicht nur der Wind."

„Natürlich, du Idiot!" erwiderte der andere gereizt. „Hey, du! Komm raus, wenn du Ärger willst!" rief er laut, während beide langsam auf das Gebäude zugingen, die Piken nun fest in den Händen.

„Was ist da unten los?" rief eine Stimme von den Burgzinnen herab.

Theron nutzte den Moment. Lautlos schlüpfte er durch das Tor, drückte sich gegen die kalte Steinmauer und spähte in den Innenhof. Die wenigen Fackeln an den Wänden warfen flackernde Schatten über den Platz und ließen ihn gespenstisch wirken. Theron ließ seinen Blick wandern, suchte nach Hinweisen auf den Kerker.

„War wahrscheinlich 'ne Katze, diese Mistviecher," hörte er die erste Wache hinter sich murmeln.

„Wenn das so ist, dann kannst du ja alleine nachsehen!" kam die genervte Antwort des anderen, gefolgt von einem leisen Fluchen.

„Seid ihr da unten fertig?" rief die Stimme von oben erneut, diesmal lauter und mit scharfem Tonfall.

„Ja, alles ruhig!" rief einer der Männer zurück. „Nur ein verfluchtes Tier."

Theron atmete leise aus. „Perfekt. Wenn es hier irgendwo einen Kerker gibt," murmelte er leise, „dann vermutlich im Keller. Es war kalt und feucht."

Er schlich am Rand des Hofes entlang, seine Augen suchten ununterbrochen die Auren der Menschen ab. Einige befanden sich in den oberen Stockwerken der Burg, andere bewegten sich in einem Nebengebäude - wahrscheinlich die Wachstube. Theron duckte sich unter einem offenen Fenster hindurch und erreichte schließlich eine kleine Seitentür, die unbewacht war.

Die Tür führte in einen schmalen Korridor, der in ein Gewirr aus Gängen mündete. Theron bewegte sich vorsichtig, seine Schritte lautlos auf dem steinernen Boden. „Verdammt, wo soll ich anfangen?" dachte er und entschied sich für den rechten Korridor, der in einen schwach beleuchteten Raum führte.

Die Luft war schwer und roch nach Fett und altem Essen - eine Küche. Auf einem Tisch stapelten sich schmutziges Geschirr und ein halbleerer Krug Wein. In einer Ecke saß eine beleibte Köchin mit einer Flasche in der Hand, laut schnarchend. Das Geschirr wackelte bei jedem ihrer Atemzüge.

Theron schlich sich an ihr vorbei und entdeckte eine Tür am hinteren Ende der Küche, die nach unten führte. „Das könnte es sein," dachte er und öffnete sie leise.

Die Treppe war steil, und die Luft wurde mit jedem Schritt kälter. Ein modriger Geruch stieg ihm in die Nase. Als er den Fuß der Treppe erreichte, hörte er Stimmen, die näher kamen.

Theron drückte sich in eine dunkle Nische und wartete. Zwei Männer in einfacher Rüstung kamen den Gang entlang. Ihre Auren flackerten in einem stumpfen Orange - Zufriedenheit.

„Hast du die Hexe gesehen?" fragte der eine mit einem anzüglichen Grinsen. „Da würde ich gern mal beigehen."

„Bist du bekloppt," erwiderte der andere. „Du weißt, was man über Hexen sagt. Die verhexen dich, sodass du am Ende sogar ihre Stiefel leckst."

„Ich würde ihr gern was anderes lecken," sagte der Erste und lachte schallend.

Theron spannte sich an, bereit zuzuschlagen, falls sie ihn bemerkten. Doch die Männer blieben in ihrem Gespräch vertieft und gingen an ihm vorbei.

„Wenn würdest du denn gerne mal...," begann der erste Mann, doch seine Stimme verstummte abrupt, als sie die Treppe hinaufgingen. Ihre Schritte wurden leiser, bis nur noch das Tropfen von Wasser die Stille erfüllte.

Theron wartete einen Moment, bis er sicher war, dass sie fort waren, dann trat er aus der Nische. Er folgte dem Gang, aus dem die beiden Wachen gekommen waren.

Die Wände wurden enger, und der Gestank wurde unerträglich. Schließlich sah er Zellen zu beiden Seiten. Die meisten waren leer, doch weiter hinten hockten Gestalten in den Schatten, die Köpfe gesenkt, reglos.

Am Ende des Ganges stand eine schwere Holztür mit einem kleinen Gitter. Theron spähte hindurch und erkannte im Dunkeln eine Gestalt, die mit den Händen in Eisenkugeln an der Wand hing.

„Das muss sie sein," dachte er.

Neben der Tür hing ein Schlüssel. Theron nahm ihn, schloss die Tür auf und trat ein. Die Frau hob langsam den Kopf, und ihr Anblick ließ seinen Magen sich zusammenziehen. Ihre Kleidung war zerrissen, ihr Gesicht blutverschmiert, und sie wirkte entkräftet.

„Willst du eine wehrlose Frau schlagen, Aldemar?" Ihre Stimme war kaum mehr als ein Krächzen, doch ein Hauch von Stärke lag darin.

„Wer ist Aldemar?" fragte Theron verwirrt.

Sie blinzelte, dann weiteten sich ihre Augen. „Theron?" Ihre Stimme war voller Überraschung. „Warum bist du nicht längst über alle Berge?"

„Ich..." Theron zögerte einen Moment, suchte nach den richtigen Worten. „Ich glaube, du kämpfst für das Richtige." Er trat näher und begann behutsam, ihre Fesseln zu lösen.

Tira lachte leise, doch es klang schwach, fast rau. „Du bist wirklich kein Charmeur, Theron. Ich hatte gehofft, du hättest an unsere gemeinsame Nacht im Gasthaus denken."

Er schüttelte leicht den Kopf, während er die letzte Fessel löste. „Schwer, daran zu denken, wenn meine Erinnerungen nur vage sind und damit enden, dass ich in irgendeinen Keller gefesselt wieder aufwache."

Sie schwankte, als ihre Hände frei waren, und er war sofort zur Stelle, um sie aufzufangen. Ihr Körper fühlte sich erschöpft an, als sie in seinen Armen landete. „Das ändert nichts daran," murmelte sie, ein schwaches Lächeln auf ihren Lippen, „dass es mir gefallen hat."

Theron stützte Tira, als sie gemeinsam die Zelle verließen. Ihre Schritte waren wackelig, und ihre blassen Finger krallten sich in seine Schulter, doch ihre Augen funkelten mit ungebrochener Entschlossenheit. Der lange, düstere Gang war still, abgesehen vom Tropfen von Wasser und ihren flüsternden Schritten.

Plötzlich erklang eine Stimme aus der Dunkelheit, ruhig und schneidend: „Ah... der große Retter ist erschienen." Aldemar trat aus den Schatten, ein Grinsen auf den Lippen, doch seine Augen waren kalt. „Und du, Tira... wie oft muss ich dich noch brechen, bis du endlich lernst?"

Theron erstarrte, sein Blick wanderte in die Richtung, aus der die Stimme kam. Der Zauberer trat aus dem Schatten, ein hämisches Grinsen auf seinem Gesicht. Seine Haltung war entspannt, fast lässig, aber seine Augen glühten vor Spott und Hass.

„Theron," flüsterte Tira schwach, als sie sich mühsam auf den Beinen hielt. Sie starrte Aldemar mit einem Blick an, der voller Abscheu und Wut war. „Aldemar du hinterhältiger Bastard...," sagte sie in Richtung des Zauberers, „wie ich es verabscheue, deine hässliche Fratze zu sehen."

Aldemar lachte leise, sein Lächeln wurde breiter. „Tira," sagte er gedehnt, fast genüsslich. „Wie schön, dass du noch Kraft hast, zu reden. Aber du bist in keinem Zustand, um mir Vorwürfe zu machen. Schließlich warst du es doch, der heimlich versucht hat, den Fürsten zu betrügen."

Theron schob Tira vorsichtig an die Wand und trat einen Schritt nach vorne, sein Blick war wachsam. „Hast du ihr das angetan?" fragte er ruhig, doch die Anspannung in seiner Stimme war unüberhörbar.

Aldemar warf den Kopf zurück und lachte schallend. „Oh, spüre ich da eine Form von Mitleid? Oder ist es gar Zuneigung?" Seine Augen verengten sich und glühten förmlich vor Schadenfreude. „Natürlich habe ich es getan, schließlich hat sie es verdient. Sie hat nicht nur die Loge als Großmeisterin verraten, sondern auch mich. Und das meine Liebe werde ich dir nicht verzeihen." Er hielt inne, bevor er sich leicht zurück lehnte. „Deswegen, werde ich dem jetzt ein Ende bereiten."

Bevor Theron reagieren konnte, hob Aldemar die Hände. Magische Energie flimmerte um seine Finger, und in einem Wimpernschlag schoss ein glühender Feuerball aus seinen Handflächen.

„Verdammt!" rief Theron und schubste Tira in eine nahegelegene Zelle, bevor er sich selbst in die gegenüberliegende warf. Der Feuerball huschte durch den Gang und prallte an der Wand ab und ließ Hitze durch den ganzen Gang strömen. Der stechende Geruch von verbranntem Stein und Rauch erfüllte die Luft.

Aldemar lachte, als er einen weiteren Feuerball los ließ. „Ich wede die Kontrolle über die Loge einnehmen, nachdem ich mit dir und deinem Geliebten fertig bin," rief er euphorisch und schleuderte noch einen Feuerball.

Die Hitze, die davon ausging, ließ das Wasser in den Wänden Zischen und im hinteren Gang, dort wo die Zellen waren, erklangen die ersten schrecklichen schreie von brennenden Menschen und der dazugehörige Gestank.

„Theron," rief Tira schwach über das Rauschen des Feuers hinweg, „wir müssen ihn stoppen."

Theron lehnte sich gegen die immer wärmer werdende Wand der Zelle und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Tira hatte Recht. Wenn sie nichts machen, dann werden sie bei lebendigen Leib gebacken. Er musste nur nah genug an ihn heran kommen, dann hätten sie eine Chance. Aber dazu musste Aldemar aufhören jede Sekunde neue Feuerbälle, durch den Gang zu jagen. „Hast du noch genug Energie?" erwiderte er, in der Hoffnung sie würde es verstehen.

Tira atmete schwer, aber ein schwaches, bestimmtes Lächeln erschien auf ihren Lippen. „Für diesen Hundesohn reicht es."

„Gut," murmelte Theron und machte sich bereit, während Aldemar einen weiteren Feuerball schickte. „JETZT," rief er so laut er konnte über das Rauschen hinweg.

Tira hob eine Hand, ihre Finger zitterten, und die Schockwelle, die sie schleuderte war gerade ausreichend, das Aldemar aufgrund der Überraschung taumelte.

„Das reicht," dachte Theron und stürmte aus der Zelle. Der Moment schien sich in Zeitlupe zu dehnen, als Theron die weit aufgerissenen Augen von Aldemar sah. Er richtete sich auf und in seiner Hand wirbelten kleine Flammen, die sich zu einen Schwert formten.

Stahl schlug auf Flammen. Hitze flirrte in der Luft, und der Gestank von verbranntem Leder fraß sich in Therons Lunge. Er taumelte zurück, während Aldemar sein brennendes Schwert in kreisenden Bewegungen führte, ein Raubtier, das mit seinem Opfer spielte.

„So einfach kriegst du mich nicht. Für wenn hälst du mich," höhnte Aldemar und ließ sein Flammenschwert kreisen. „Weißt du das der Vorteil von einem langen leben ist, dass ich nicht nur auf eine Sache beschränkt bin."

Theron hielt sein Schwert fest, seine Finger umklammerten den Griff, während er seinen Gegner abschätzte. „Dann zeig deinen Vorteil," erwiderte er kühl.

Aldemar grinste und schoss nach vorne, das Feuerschwert in einer fließenden Bewegung geschwungen. Theron hob seine Klinge, um den Angriff zu parieren. Das Feuer traf auf den kalten Stahl mit einem gleißenden Aufprall, und ein Schauer aus Funken und Hitze explodierte zwischen ihnen.

Der Schlag ließ Therons Arme zittern, doch er blieb standhaft. Er wich zur Seite aus, als Aldemar erneut zuschlug, und nutzte die Bewegung, um einen Hieb auf Aldemars Seite zu zielen. Doch das Feuerschwert war schneller - Aldemar blockte den Angriff mit Leichtigkeit ab und drängte Theron zurück.

„Du bist schnell," spottete Aldemar, während er seine Klinge schwang und Theron in die Defensive zwang. „Aber du kannst nicht gewinnen und dann werde ich diese Schlampe, solange foltern, bis sie nach Erbarmen winselt."

Theron fühlte, wie die Hitze des Feuerschwerts auf seiner Haut brannte, obwohl er nicht direkt getroffen wurde. Der Raum schien enger zu werden, und der Schweiß lief ihm in Strömen den Rücken hinunter.

Mit einem plötzlichen Ausfallschritt versuchte Theron, Aldemar aus dem Gleichgewicht zu bringen, doch der Zauberer war vorbereitet. Er schwang das Feuerschwert in einem weiten Bogen und zwang Theron, zurückzuweichen. Funken flogen, als das Schwert den Boden streifte.

Aldemar grinste selbstsicher. „Das ist alles, was du zu bieten hat Enttäuschend."

Theron biss die Zähne zusammen und machte einen weiteren Schritt nach vorne, zielte mit einem schnellen, präzisen Schlag auf Aldemars Brust. Doch der Zauberer blockte mühelos ab und konterte mit einem Hieb, der Theron fast aus dem Gleichgewicht brachte.

Im Augenwinkel bemerkte Theron eine Bewegung. Tira, die sich an die Wand stützte, hob schwach die Hand. Ihre Finger zeichneten ein unsichtbares Muster in die Luft, und eine Schockwelle aus Energie löste sich von ihr. Sie traf Aldemar in der Seite, nicht stark genug, um ihn zu Boden zu werfen, aber gerade so, dass er ins Schwanken geriet.

Dieser Augenblick fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Aldemars Feuerklinge flackerte, und sein Grinsen wich einem überraschten Ausdruck, als er taumelte. Theron sah seine Chance.

Mit einem kraftvollen Schritt sprang Theron vor und setzte seinen Schlag. Seine Klinge durchtrennte die Luft und traf Aldemars ausgestreckte Hände.

Aldemar brüllte auf, als Therons Klinge durch seine Hände schnitt. Sein Schrei war nicht nur Schmerz - es war der Klang von purem Entsetzen. Seine Magie erlosch mit dem Blut, das auf den kalten Stein klatschte. Aldemar fiel keuchend auf die Knie. Er hielt die verstümmelten Stümpfe seiner Hände vor sich, während er schmerzverzerrt aufschrie.

„Was... hast du getan?" stieß er hervor, seine Stimme ein ersticktes Wimmern

Theron hielt sein Schwert fest, bereit, den Kampf zu beenden, doch er zögerte, als Tira sich mühsam näherte.

„Das reicht," sagte sie leise, aber bestimmt. Ihre Hand legte sich schwer auf Therons Schulter. „Tod wäre zu einfach. Er wird nie wieder zaubern können."

Aldemar keuchte und sah sie mit einem Blick an, der vor Hass brannte. „Du... du elende Hexe! Das wird euch nicht retten!" schrie er, doch Tira wandte sich bereits ab, ihre Stimme ungerührt: „Das wirst du wohl nie erfahren."

Theron nickte schließlich und ließ das Schwert sinken. Zusammen mit Tira wandte er sich ab. Die Schreie Aldemars begleiteten sie, doch sie warfen keinen Blick zurück. Ihr Ziel lag nun darin, den Weg aus diesem verdammten Kerker zu finden.

Theron stützte Tira, während sie sich durch die dunklen Gänge bewegten. Ihr Körper fühlte sich schwer in seinem Arm an, ihre Beine gaben immer wieder leicht nach. Sie war am Ende ihrer Kräfte, das spürte er mit jeder Faser und euch seine Kräfte waren am Ende.

„Kannst du weiter?" fragte er leise, während er ihr Gewicht ein wenig mehr auf sich nahm.

Tira lachte schwach, ein Hauch von Trotz in ihrer Stimme. „Habe ich eine andere Wahl?" murmelte sie. „Lieber sterbe ich, als in Fesseln diesen Bastarden ausgeliefert zu sein.“

Theron nickte nur. Es gab nichts mehr zu sagen.

Er erwartete, dass ihnen jeden Moment Wachen entgegenkamen - nach dem Lärm ihres Kampfes hätte längst Alarm geschlagen werden müssen. Doch sie erreichten die Küche ohne Zwischenfälle. Keine Soldaten, keine Diener, nichts. Selbst die betrunkene Köchin war verschwunden. Die Reste eines hastig verlassenen Arbeitsplatzes lagen noch auf den Tischen, ein Krug war umgestürzt, Rotwein rann langsam über das Holz.

Mit angespannten Sinnen bewegten sie sich weiter durch die Gänge. Doch je weiter sie kamen, desto merkwürdiger wurde es.

Die Burg war... still.

Zu still.

Theron spürte, wie sich sein Nacken verspannte.

„Wo sind die alle?" murmelte er und zog Tira weiter.

„Besser für uns oder nicht?" versuchte sie ein schwaches Lächeln.

Er antwortete nicht. Seine Gedanken rasten.

Als sie schließlich den großen Durchgang erreichten, der hinaus in den Burghof führte, blieb er einen Moment stehen und lauschte.

Nichts.

Kein lautes Rufen von Wachen. Keine sich hastig bewegenden Schritte.

Nur eine unnatürliche, bedrückende Stille.

Er tauschte einen kurzen Blick mit Tira, dann schob er vorsichtig die schwere Tür auf und trat mit ihr hinaus.

Der Himmel war in sanfte Grautöne getaucht, die Sonne begann gerade über den Horizont zu steigen. Der kalte Morgenhauch kroch über den Burghof.

Und dann hielten sie inne.

Der Hof war voller Soldaten.

Hunderte, vielleicht mehr, standen in geordneter Formation. Ihre Rüstungen glänzten im schwachen Licht des Morgens, die Speere und Schwerter bereit.

Weitere Soldaten Schritten unruhig hin und her und zerrten mehrere Personen vor sich her und sammelten sie an einer Stelle des Hofes.

Sofort wurden sie von schwer Bewaffneten Soldaten umstellt. Ihre Waffen auf sie gerichtet.

Theron spürte, wie sich seine Muskeln anspannten.

Tira atmete schwer neben ihm.

Sie waren umzingelt.

Ohne Fluchtmöglichkeit.

Ohne eine Chance.

„Verdammt," murmelte Theron, als der Ring aus Klingen enger wurde.

Theron starrte auf die Waffen, die gegen ihn gerichtet waren. Sein Griff um das Schwert verhärtete sich, doch irgendetwas an der Situation fühlte sich falsch an. Die Soldaten trugen nicht das Wappen des Fürsten von Dvergen – sondern das des Kaisers. Ein goldener Greif mit Schwert und Schild glänzte auf ihren Rüstungen.

Seine Augen huschten über die Männer. Sie standen diszipliniert, wachsam – aber nicht mit der aggressiven Energie, die er sonst von Stadtwachen oder Söldnern gewohnt war. Kein Spott, kein herausforderndes Knurren. Nur eine bedrohliche Stille.

Dann, mit dem Geräusch schwerer Stiefel auf den marschigen Boden, des Innenhofes, teilte sich die Linie der Soldaten. Ein einzelner Mann trat hindurch. Groß gewachsen, makellose Uniform, ein Hauch von unangestrengter Autorität in jeder Bewegung. Keine Rüstung, nur ein Schwert an der Hüfte. Doch seine Präsenz war schneidend wie eine scharfe Klinge. Sein Haar, einst schwarz, war nun von grauen Strähnen durchzogen, streng zurückgekämmt. Eine Augenklappe verdeckte sein linkes Auge.

Theron fühlte, wie sein Herz für einen Moment aus dem Rhythmus geriet.

„Das kann nicht sein…“

Der Mann blieb stehen, musterte ihn, als wäre er ein Händler, der Ware prüfte. Dann zog ein dünnes, amüsiertes Lächeln über seine Lippen.

„Na sieh mal einer an,“ sagte er. „Wen haben wir denn da?“

Theron brauchte einen Moment, um die Worte zu finden. „Eric?“

Das Lächeln wurde eine Spur breiter. „Es hätte mich gewundert, wenn du mich nicht erkannt hättest.“

Tira, die kaum noch auf den Beinen stehen konnte, hob mühsam den Kopf und musterte ihn misstrauisch. „Wer verdammt ist das?“

Eric richtete seinen Blick auf sie – kühl, berechnend. Er betrachtete sie nicht wie einen Gegner, sondern wie eine Variable in einer Gleichung. Dann deutete er eine Verbeugung an, nicht höflich, sondern mit einem spöttischen Unterton.

„Eric von Dritmark, Kommandant der kaiserlichen Spionage und inneren Sicherheit,“ stellte er sich vor. „Es ist mir eine Ehre, euch endlich persönlich kennenzulernen, Großmeisterin Tira. Ihr habt euch wirklich lange verborgen gehalten, wie lange genau? Neunzig Jahre?“

Tira kniff die Augen zusammen. Eine unmerkliche Spannung durchzog ihren Körper – kaum sichtbar, aber für Theron spürbar.

Theron hingegen hatte keine Geduld für Spielchen. „Erklär mir lieber, was hier los ist,“ sagte er scharf.

Eric schnalzte mit der Zunge. „So ungeduldig warst du bei unserer letzten Begegnung in Elenfurd nicht.“

Er ließ seinen Blick kurz über Theron wandern, als wolle er sichergehen, dass er unverletzt war. Dann seufzte er gespielt.

„Aber ich sollte wohl nicht überrascht sein, dass ich dich hier finde. Du hast anscheinend ein Talent dafür, in die tiefste Scheiße zu treten, mein Freund.“

Theron sagte nichts. Sie hatten sich lange nicht gesehen, aber Eric hatte sich nicht verändert. Er war noch immer dieser ruhige, berechnende Mann, der nie die Kontrolle verlor.

Tira atmete schwer. „Wenn du mich wirklich kennst, dann weißt du auch, warum ich hier bin.“

Eric neigte leicht den Kopf. „Oh, ich weiß sehr genau, warum ihr hier seid.“ Seine Augen verengten sich ein wenig. „Ich Frage mich nur warum Theron, der keinen Sinn für solche Dinge, an deiner Seite macht.“

Theron schnaubte genervt. „Hör auf mit diesem Theater. Sag einfach, was Sache ist.“

„Natürlich,“ sagte Eric ruhig. „Aber erst, nachdem wir die Formalitäten geklärt haben.“

Er nickte, und sofort bewegten sich die Soldaten.

„Nehmt die Gefangenen mit.“

Schwerter blieben gezogen, doch niemand rührte sich grob. Ein paar Soldaten traten an Theron und Tira heran, während Eric sich bereits umdrehte und auf die Burg zuging.

Sie wurden von den Soldaten eskortiert.

Das Sonnenlicht des frühen Morgens fiel gedämpft durch die kleinen Fenster. Lange Schatten zogen sich über den schweren Eichentisch, auf dem Bücher, Karten und Notizen ungeordnet verstreut lagen.

Eric ließ sich in den Sessel sinken, der eigentlich dem Fürsten gehörte, und machte es sich mit einer Selbstverständlichkeit bequem, die keinerlei Respekt verriet. Mit träge wirkender Geste nahm er einen metallenen Rabenschädel von einem Stapel Papieren, drehte ihn in den Fingern – und warf ihn dann achtlos hinter sich. Das dumpfe Klirren auf Stein hallte durch den Raum.

Theron und Tira standen vor ihm, müde, aber angespannt. Zwei Soldaten flankierten sie, die Hände locker an ihren Schwertern. Neben Eric stand ein weiterer Mann – Erics Adjutant, ein hochgewachsener Offizier mit strengem Blick.

Eric betrachtete Theron mit einem nachdenklichen Funkeln in den Augen.

„Also, Theron,“ begann er langsam, als wäre dies ein ungezwungenes Gespräch unter alten Freunden. „Was weißt du eigentlich darüber, was hier vor sich geht? Und viel wichtiger – wie zur Hölle bist du in diese Geschichte hineingeraten?“

Theron seufzte leise. „Ich war nur auf der Durchreise,“ sagte er knapp. „Ich habe nach Arbeit gesucht, vielleicht in Rivenhal oder Dalport. Dann bin ich in einem Freudenhaus auf sie gestoßen.“ Er nickte zu Tira. „Und sie hat mich gezwungen, mit ihr zusammenzuarbeiten.“

Eric hob eine Augenbraue. „Das hat dir gereicht, oder was?“

Theron öffnete den Mund, doch bevor er antworten konnte, mischte sich Tira ein. „Ich habe ihm keine Wahl gelassen.“ Ihre Stimme war ruhig, aber fest.

Eric ließ ein dünnes Lächeln über seine Lippen gleiten. „Interessant.“

„Was passiert mit Fürst Hereward und Aldemar,“ fragte Tira mit leichter sorge in der Stimme.

Erics zuckte mit den Schulter, als wäre es belanglos. „Das was Verrätern immer widerfährt. Sie werden hingerichtet.“

Tiras Kiefermuskeln zuckten. Ihr Blick wanderte zu Theron – dann zu den Soldaten. Für einen kurzen Moment war da etwas in ihren Augen. Erkenntnis.

„Und wir?“ fragte sie schließlich, so ruhig wie sie konnte.

Eric lehnte sich zurück. „Ihr?“

Er musterte sie, als wäre er überrascht, dass sie das überhaupt fragte. Dann schüttelte er langsam den Kopf.

„Euch lasse ich laufen.“

Tira blinzelte, als hätte sie sich verhört. „Aber sind wir in euren Augen nicht auch Verräter?“

Eric hob die Hand und bedeutete den Soldaten, die Tür zu öffnen.

„Ich schulde Theron noch etwas. Außerdem seid ihr sozusagen, die Verräter von den Verrätern. Dazu stellt ihr im Moment keine Gefahr mehr da. Kurz gesagt sehe ich keinen Grund, euch hinzurichten.“

Theron und Tira tauschten einen kurzen Blick. Dann verließen sie das Zimmer, begleitet von den Blicken der kaiserlichen Soldaten.

Als sich die Tür hinter ihnen schloss, trat Erics Adjutant näher und verschränkte die Arme. „Bist du sicher, dass das die richtige Entscheidung war?“

Eric blieb einen Moment lang stehen, seine Augen auf die Tür gerichtet, als könnte er durch sie hindurchsehen. Dann lächelte er schmal.

„Wie ich gesagt habe. Verräter werden immer hingerichtet,“ sagte er leise und ließ sich zurück in den Sessel sinken.

 

Die Mittagssonne wärmte langsam auf der staubigen Landstraße, als drei Reiter langsam den Hügel hinaufritten. Die Stadt Dvergen lag hinter ihnen, ein grauer Fleck in der Ferne, während sich vor ihnen die weiten Straßen des Kaiserreichs erstreckten.

Niemand sprach.

Theron lenkte sein Pferd mit lockeren Zügeln, sein Blick ruhte auf dem Horizont. Myrddin ritt an seiner Seite, ungewöhnlich still für seine Verhältnisse. Und Tira, erschöpft, aber aufrecht, hielt sich leicht an ihrem Sattelknauf fest, während ihr schwarzes Pferd trittsicher über den unebenen Pfad trabte.

Schließlich, als der Wind über die Felder zog, war es Tira, die als Erste sprach.

„Hier trennen sich unsere Wege.“

Theron drehte den Kopf zu ihr. Ihr Blick war fest, aber nicht unfreundlich.

„Du willst in den Norden?“ fragte er.

Tira nickte. „Es gibt Orte, an denen ich noch Verbündete habe. Oder zumindest Leute, die mich nicht sofort ausliefern würden.“ Ein schwaches Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Und ich muss meine Aufgabe erfüllen. Komme was wolle.“

Myrddin schnaubte leise. „Der Norden, hm? Dort, wo die Winter einen Mann in einer einzigen Nacht umbringen können?“

Tira zuckte mit den Schultern. „Besser, als hier zu bleiben und darauf zu warten, dass Eric es sich anders überlegt.“

Myrddin lachte leise. „Da hast du wohl recht.“ Dann deutete er mit einer lässigen Handbewegung nach Nordwesten. „Ich werde nach Trev Awyr zurückkehren. Irgendjemand muss den anderen Zauberern berichten, dass ihre ach so geliebte Großmeisterin noch lebt. Das wird für ordentlich Gesprächsstoff sorgen.“

Tira verzog leicht das Gesicht. „Dann werde ich dich aufsuchen und dein Hirn ordentlich sedieren.“

Myrddin wandte sich zu ihr um und grinste. „Das war doch nur ein Scherz.“

Doch Tiras Gesichtsausdruck zeigte nicht, das sie ihm glaubte.

„Und was ist mit dir, Theron?“ fragte Myrddin plötzlich und wandte sich zu ihm.

Theron schwieg einen Moment, ließ den Wind durch seine Haare streichen. „Ich weiß es nicht.“

Tira musterte ihn. „Du hast keinen Plan?“

Theron zuckte leicht die Schultern. „Ich hatte vor, weiterzuziehen. Arbeit zu finden. Irgendwo. Aber…“ Er zögerte. „Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wohin ich als Nächstes gehe.“

Myrddin grinste breit. „Na, dann ist das ja nichts Neues.“

Theron schüttelte nur den Kopf und sah dann zu Tira. „Wirst du es schaffen?“

Tira hielt seinem Blick stand. „Ich muss es schaffen.“

Ein Moment der Stille.

„Ich habe das Gefühl, das es nicht das letzte Mal war, das wir uns gesehen haben,“ sagte Tira und unterbrach die Stille.

Theron nickte. „Ich freue mich darauf. Aber ich bin kein Freund von Fesseln.“

Ein wissendes Lächeln erschien auf Tiras Lippen. „Zu schade,“ feixte sie. Dann ritt sie ohne ein weiteres Wort los. Der kalte Morgenwind griff nach ihrem Mantel, während ihr Pferd im leichten Galopp in Richtung Norden verschwand.

Theron und Myrddin sahen ihr nach, bis sie nur noch ein Schatten in der Ferne war.

Myrddin atmete tief durch und schnalzte mit der Zunge. „Nun, mein Freund, es war mir ein Vergnügen, fast mit dir hingerichtet zu werden.“

Theron schnaubte. „Ja, das war mal eine Erfahrung.“

Myrddin grinste. „Falls du irgendwann mal wieder Lust auf einem Besuch in einem Freudenhaus, dann frag mich, ich kenne die Besten.“

„Ich werde es mir merken.“

Myrddin legte eine Hand aufs Herz und neigte leicht den Kopf. „Dann bleibt mir nur noch zu sagen: Leb wohl, mein grummeliger Freund.“

Mit einem letzten Blick ritt Myrddin davon, Richtung Westen, bis auch er aus Therons Sicht verschwand.

Nun war er allein.

Theron saß noch eine Weile auf seinem Pferd, die Hände locker am Zügel.

Der Wind wehte über die Straße, und in der Ferne erstreckte sich die Welt vor ihm – voller Möglichkeiten, aber ohne klare Richtung.

 

Er seufzte leise und ritt los.

 

Das Feuer prasselte im riesigen Kamin, dessen flackerndes Licht die groben Steinmauern von Karn Atur in warme, tanzende Schatten tauchte. Der Gesellschaftsraum war ausgelegt für hundert Auroren, doch schon lange waren nie mehr so viele hier gewesen. Der Raum war ungefähr zur hälfte gefüllt und die Auroren saßen an den langen Holztischen, deren dunkles Holz von unzähligen Jahren des Gebrauchs gezeichnet war.

Die Luft war erfüllt vom Duft des brennenden Holzes, vermischt mit dem herben Aroma von Bier und Wein. Ein metallener Kessel hing über den Flammen, und der süßliche von heißen Wein durchzog den gesamten Raum.

Bonhard, Lorga und Gundrik saßen an einem Tisch nahe des riesigen Kamins. Sie tranken aus schweren Bechern, unterhielten sich in gedämpften Tönen. Bonhard hatte eine Hand auf den Tisch gelegt, seine Finger trommelten langsam auf das Holz, während er mit ernster Miene den Gesprächen um sich herum lauschte.

Lorga hingegen lehnte sich entspannt zurück, sein Blick schweifte durch den Raum, als suche er nach einer Ablenkung. Gundrik, der alte Zwerg, saß breitbeinig auf einer niedrigen Bank, seine knorrigen Finger um einen Becher geklammert. Sein silberdurchzogener Bart bewegte sich leicht, als er mit gerunzelter Stirn dem Geschehen folgte.

Am anderen Ende des Raumes war die Stimmung eine ganz andere.

Ein Mann mit einer Laute saß auf einem Hocker, zupfte eine lebhafte Melodie, während einige Auroren den Rhythmus auf die Tischplatten trommelten. Karten und Würfel klackerten über das Holz, begleitet von Gelächter und fluchenden Stimmen, wenn das Glück einem Spieler nicht hold war.

Einige der Auroren rangen miteinander, ihre Arme verkrampft, ihre Gesichter verzerrt von Anstrengung und Ehrgeiz. Andere standen an den Wänden, ihre Becher in den Händen, vertieft in Gespräche oder leises Tuscheln.

Nicht alle dieser Unterhaltungen waren harmlos.

Theron beobachtete, wie einer der älteren Auroren – ein breitschultriger Mann mit kurzgeschorenem Haar – einer weiblichen Aurorin grinsend einen Klaps auf den Hintern gab.

Er erwartete offenbar eine spielerische Reaktion.

Doch stattdessen bekam er eine blitzschnelle Bewegung und fand sich plötzlich auf dem Rücken liegend wieder, seine Arme von kräftigen Fingern auf dem Boden fixiert.

„Lass deine dreckigen Finger lieber bei dir, bevor ich sie dir breche. Hast du das Verstanden?“ fragte die Frau mit gefährlich ruhiger Stimme.

Ein Raunen ging durch die Umstehenden, gefolgt von Gelächter. Doch als die Frau aufblickte und ihr finsterer Blick über die Menge glitt, verstummte das Gelächter sofort.

Theron zog die Beine an sich und beobachtete das Spektakel mit einer Mischung aus Faszination und Unverständnis. Hier waren Frauen keine schwachen Mägde oder höfischen Damen. Sie waren genauso stark, genauso gefürchtet wie die Männer – und sie ließen sich nichts gefallen.

„Warum sind alle heute so gut gelaunt?“ fragte er schließlich.

Ardan, der neben ihm saß, schmunzelte. „Liegt am Alkohol. Wir kriegen ab und zu Fässer aus Nurgaard, und heute hat Bonhard entschieden, das sie sich betrinken können und das tun sie jetzt halt auch.“

Theron runzelte die Stirn. „Und das macht sie so... seltsam?“

Ardan zuckte mit den Schultern. „Es lockert die Zunge. Macht mutiger. Oder dümmer, je nachdem.“

Theron betrachtete die Männer und Frauen, die sich eng zusammensetzten, sich zuzwinkerten, leise miteinander sprachen. Manche von ihnen verließen den Raum, oft paarweise.

„Und was machen die?“ fragte er leise.

Ardan grinste verschmitzt. „Sie tauschen Zärtlichkeiten aus.“

Theron sah ihn ratlos an.

Ardan lachte leise. „Du musst mehr auf deine Umgebung achten, Kleiner.“ Dann beugte er sich verschwörerisch zu Theron. „Vielleicht sollten wir das mit dem Alkohol auch mal ausprobieren. Vielleicht verstehen wir es dann besser."

Theron runzelte die Stirn. „Denkst du wirklich, sie lassen uns einfach so trinken? Wir sind noch keine Auroren."

„Natürlich nicht," grinste Ardan. „Aber ich weiß, wo sie den Alkohol lagern."

Theron schüttelte den Kopf. „Bonhard und Lorga würden es merken. Und dann kriegen wir richtig Prügel."

„Pah, keine Sorge. Der Alkohol wird in der Küche aufbewahrt, und die ist gerade leer." Ardan sprang plötzlich auf und zog Theron mit sich.

Theron war sich nicht sicher, ob das eine gute Idee war. Doch bevor er protestieren konnte, trat ihnen jemand in den Weg.

Lorga.

Mit verschränkten Armen stand er vor der Tür und musterte die beiden mit zusammengekniffenen Augen.

„Ihr führt etwas im Schilde,“ sagte er langsam, seine Arme vor der Brust verschränkt. Sein Blick lag vor allem auf Ardan. „Und ich sehe genau, dass du dahintersteckst.“

Theron zuckte zusammen.

Ardan jedoch lächelte unverschämt. „Wir wollen nur frische Luft schnappen. Hier drinnen stinkt es zu sehr nach Alkohol.“

Lorga zog eine Augenbraue hoch. „Aha. Und warum habe ich das Gefühl, dass das nicht die Wahrheit ist?“

Bevor er weiterreden konnte, legten sich plötzlich zwei schlanke Arme um seine Schultern.

„Ach, Lorga…“

Die Stimme war sanft, fast schnurrend.

Serana, eine kurzhaarige Aurorin mit funkelnden Augen, stand hinter ihm.

„Lass die beiden doch,“ sagte sie verführerisch. „Was sollten zwei kleine Jungs schon aushecken, was wir früher nicht schon getan haben?“

Lorga wollte gerade widersprechen, doch Serana drehte seinen Kopf zu sich – und küsste ihn einfach auf die Lippen.

Theron sah noch, wie sie ihm und Ardan ein spitzbübisches Zwinkern zuwarf.

Ardan ließ sich nicht lange bitten. Er packte Therons Arm und zog ihn mit sich hinaus.

Lorga versuchte noch, nach ihnen zu greifen, doch Serana hielt ihn fest.

„Halt!", rief Lorga leicht unterdrückt, doch Ardan lachte nur und rannte weiter.

Theron stolperte ihm hinterher, während Serana Lorga weiter ablenkte.

Die Luft draußen war kühl und klar. Über dem Talkessel spannte sich ein sternenübersäter Himmel, und der Vollmond tauchte die schroffen Berghänge in silbernes Licht. Der See lag still unter ihnen, seine dunkle Oberfläche spiegelte die Sterne, als würden sie in der Tiefe schlummern. Vom Wald her klang das ferne Heulen eines einsamen Wolfes, durchbrochen vom Rufen einer Eule.

Theron und Ardan saßen auf der Mauer von Karn Atur, die sich wie ein steinerner Schutzwall an die Berghänge schmiegte. Hinter ihnen leuchteten die Fenster der Festung in warmem Rot, und gedämpft drang das Lachen der Auroren an ihre Ohren.

Ardan zog einen Weinschlauch unter seinem Mantel hervor, schüttelte ihn grinsend. „Also gut. Zeit herauszufinden, was daran so besonders ist.“

Er nahm einen ersten, vorsichtigen Schluck.

Theron beobachtete, wie sich Ardans Gesicht verzog. Der ältere Junge hustete, schüttelte sich und starrte den Schlauch an, als enthielte er Gift.

„Götter, das schmeckt schrecklich!“ Er hustete erneut und rieb sich den Mund.

Theron zog die Augenbrauen hoch. „Und das trinken sie freiwillig?“

Ardan nickte langsam, musterte den Schlauch mit einer Mischung aus Misstrauen und Entschlossenheit. „Es brennt... aber irgendwie wärmt es auch.“

Er hielt Theron den Schlauch hin.

Theron nahm ihn zögernd. Er hob ihn an die Nase und verzog sofort das Gesicht. Der Geruch war stark, säuerlich, mit einer brennenden Schärfe, die ihm nicht gefiel.

„Los, probier,“ ermutigte Ardan ihn mit einem schiefen Grinsen.

Theron seufzte und nahm einen kleinen Schluck.

Die Flüssigkeit traf seine Zunge wie ein Feuerstoß. Sein Hals zog sich zusammen, sein Magen rebellierte, und für einen Moment war er sich sicher, dass er gleich würgen musste.

„Pfui!“ Er hustete und keuchte. „Das ist ja furchtbar!“

Ardan lachte schallend. „Ja, oder? Aber angeblich wird es mit jedem Schluck besser.“

Er nahm den Schlauch zurück, trank noch einen Schluck – diesmal etwas größer. Danach schmatzte er nachdenklich und nickte.

„Der zweite ist definitiv besser.“

Theron musterte ihn misstrauisch.

„Hier, probier noch mal.“

Zögernd nahm Theron den Schlauch wieder, setzte an und trank. Diesmal war es nicht ganz so schlimm. Es brannte noch immer, doch es hatte etwas Wärmendes, Beruhigendes.

Er stieß leise den Atem aus.

„Na?“ fragte Ardan grinsend.

Theron überlegte. Dann nickte er langsam. „Es ist… anders.“

Sie tranken weiter, abwechselnd, während der Wind über die Mauer strich und das entfernte Heulen des Wolfes wieder erklang.

Nach einer Weile lehnte sich Ardan gegen die steinerne Brüstung und seufzte zufrieden. „Wir hatten verdammtes Glück, dass Serana Lorga abgelenkt hat. Sonst müssten wir jetzt bestimmt die ganze Küche schrubben.“

Theron kicherte, spürte, wie sich die Wärme des Weins in ihm ausbreitete. „Oder wir müssten die Wäsche von Bonhard und Lorga waschen.“

Ardan riss gespielt entsetzt die Augen auf. „Götter bewahre! Dann doch lieber die Küche.“

Sie lachten beide.

Dann wurde Theron nachdenklich.

Er blickte in den sternenklaren Himmel, nahm noch einen kleinen Schluck Wein und lehnte sich ebenfalls gegen die Brüstung.

„Warum hat sie Lorga eigentlich so aufgehalten?“ fragte er schließlich. „Warum machen sie das? Sich aneinander lehnen, sich küssen?“

Ardan grinste breit. „Du weißt es wirklich nicht?“

Theron schüttelte den Kopf.

„Du musst mehr auf deine Umgebung achten, Kleiner.“ Ardan nahm einen letzten Schluck aus dem Schlauch. „Sie nennen es Bettgeschichten.“

„Bettgeschichten?“ Theron runzelte die Stirn. „Und was soll das sein?“

Ardan zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass es dazu einen Mann und eine Frau braucht.“

Theron dachte nach. Dann sagte er leise: „Ich verstehe es nicht… aber es scheint ihnen ja zu gefallen. Ich hoffe, das irgendwann erfahre, was es bedeuten soll.“

Ardan lachte laut. „Ich auch! Aber ich glaube nicht, dass eine der älteren Aurorinnen Interesse an uns hätte.“

Theron kicherte, vielleicht lag es am Wein, aber plötzlich kam ihm eine Idee.

„Vielleicht sollten wir einfach Serena fragen.“

Ardan verstummte und starrte ihn ungläubig an.

Dann brach er in schallendes Gelächter aus.

„Ich glaube, das war der Wein, der da aus dir gesprochen hat!“

Theron kicherte, dann seufzte er. „Wahrscheinlich. Aber vielleicht auch nicht.“

Sie schwiegen eine Weile, lauschten den Geräuschen der Nacht.

Theron legte den Kopf in den Nacken, betrachtete die Sterne.

„Hast du je eine Elfe gesehen?“ fragte er leise.

Ardan blinzelte überrascht. „Elfen?“

Theron nickte. „Ich frage mich manchmal, wie sie aussehen. Ob sie wirklich so schön sind, wie die Geschichten sagen.“

Ardan verzog das Gesicht. „Ich weiß nicht… Es gibt genug schreckliche Geschichten über sie. Menschenfresser sollen sie sein. Sie stehlen Babys und rauben den Verstand.“

Theron schüttelte den Kopf. „Ich glaube das nicht.“

Ardan musterte ihn. „Warum nicht?“

Theron zuckte mit den Schultern. „Weil es immer Geschichten gibt, die Menschen schlechtmachen. Aber das heißt nicht, dass sie alle so sind. Ich meine über die Auroren, kursieren ähnliche Geschichten und ich denke nicht das die stimmen.“

Ardan schnaubte. „Das stimmt schon, aber Auroren sind letztlich ja auch nur Menschen. Aber Elfen? Ich weiß ja nicht. Ich hoffe, ich muss nie einen von ihnen treffen.“

Theron lehnte sich wieder nach vorne, ließ seinen Blick über das Tal wandern.

„Vielleicht werde ich eines Tages eine Elfe treffen.“

Ardan lachte leise. „Und dann?“

Theron überlegte. Dann zuckte er mit den Schultern.

„Weiß ich nicht.“

Ardan starrte ihn an.

Dann schüttelte er langsam den Kopf. „Du bist wirklich seltsam.“

Theron grinste. „Das sagt der richtige.“

Ardan lachte laut und setzte sich wieder neben ihn.

Der Wind wurde stärker, zerrte an ihren Umhängen.

Ardan nahm noch einen letzten Schluck aus dem Weinschlauch, dann warf er ihn Theron zu.

„Hier. Dein letzter Schluck für heute. Sonst schläfst du noch auf der Mauer ein.“

Theron lachte, hustete dann leicht, als der Wein ihm in den Hals schoss.

Ardan grinste und klopfte ihm auf den Rücken.

„Siehst du? Du bist noch nicht bereit für die großen Gelage.“

Theron atmete tief durch, lehnte sich zurück.

„Vielleicht nicht. Aber irgendwann…“

Ardan nickte. „Irgendwann, ja.“

Die Nacht lag ruhig über Karn Atur.

Und zwei Jungen saßen auf der Mauer, den Blick in die Sterne gerichtet, während die Welt um sie herum ein wenig kleiner und ein wenig wärmer wirkte.

 

Der Graue Berg erhob sich wie ein stiller Koloss über die hügelige Ebene, sein Schatten breitete sich bereits über die Stadt Lysor aus, die sich träge an seinen Füßen ausbreitete. Der Berg dominierte die Landschaft, die ansonsten von endlosem Gras und sanften Hügeln geprägt war – ein Land, das auf den ersten Blick eintönig wirkte, aber eine raue, stille Schönheit besaß. Doch der Graue Berg war weit mehr als nur ein Wahrzeichen.

Theron lenkte sein Pferd langsam weiter, doch sein Blick blieb an dem imposanten Felsen hängen. Bonhard, sein alter Lehrmeister, hatte ihm einmal von der Geschichte dieses Berges erzählt – einer Geschichte, die von Stolz, Verrat und Untergang sprach. Einst war der Graue Berg das Herz des Zwergenreiches Draugnborg gewesen, ein Ort voller Reichtümer und Meisterwerke, tief in die Felsen gehauen. Doch während des Großen Krieges der Völker hatten die Zwerge sich gegen das Kaiserreich aufgelehnt. Alle Zwerge, die an der letzten Schlacht dieses Krieges teilgenommen hatten, waren weit weg vom Grauen Berg gefallen und ließen Draugnborg quasi schutzlos zurück. Die Zwerge von Draugnborg beschlossen, den Grauen Berg aufzugeben, und begaben sich auf den langen Marsch in das noch existierende Zwergenreich Thyrnsten. Doch nur ein Bruchteil von ihnen erreichte die sichere Zuflucht. Währenddessen plünderten die Menschen den Grauen Berg und errichteten Lysor an dessen Füßen. Heute waren die glanzvollen Hallen des Zwergenreichs nur noch ein Gerippe aus Ruinen, ausgebeutet von Menschen, die jeden Stein und jedes Erz dem Berg entrissen.

„Das wird sich nie ändern,“ dachte Theron. Sein Blick blieb einen Moment länger an dem Schatten des Grauen Berges hängen, bevor er resigniert seufzte und über eine der vielen Brücken ritt, die den breiten Fluss Andorin überspannten. Der Fluss, gespeist aus dem Inneren des Grauen Berges, teilte Lysor in zwei Hälften: den geschäftigen Wohnbezirk mit seinen einfachen Häusern und belebten Märkten, und das Eisenviertel, eine Welt aus Hammerschlägen, Feuer und rußverschmierten Gesichtern. Hier, im Eisenviertel, abgeschottet, lebten die Zwerge, die geblieben waren – Meister ihres Handwerks, deren Schwerter und Rüstungen im ganzen Kaiserreich begehrt waren.

Die Geräuschkulisse änderte sich, je näher Theron dem Eisenviertel kam. Das gedämpfte Summen von Gesprächen und die Rufe der Marktschreier wichen dem Takt der Schmiedehämmer und dem Fauchen der Blasebälge. Die Luft wurde spürbar wärmer, erfüllt vom beißenden Geruch nach Rauch und geschmolzenem Metall. Theron zog seinen Mantel enger um sich und lenkte sein Pferd in die engen, verwinkelten Gassen. Überall waren Zwerge in Bewegung – stämmige Gestalten, die schwere Lasten trugen, die selbst den stärksten Menschen wohl in die Knie gezwungen hätten.

Nach einer Weile hielt er vor einer kleinen, unscheinbaren Schmiede in einer schmalen Seitengasse. Ein einfaches Holzschild schwang im Wind, darauf stand „Weid“ in verwitterten Buchstaben. Was das bedeutete, wusste Theron nicht – es war auch nicht wichtig. Wichtiger war die Szene, die sich vor der Schmiede abspielte.

Ein hagerer Mann in einem auffälligen weißen Mantel mit lila Streifen gestikulierte wild vor einem Zwerg mit dichtem weißen Bart, der seine muskulösen Arme vor der Brust verschränkt hatte. Der Zwerg, kaum größer als ein Kind, strahlte dennoch eine solche Autorität aus, dass der hagere Mann trotz seines auffälligen Outfits lächerlich wirkte.

„…wieso ist das nicht möglich?“ fragte der hagere Mann mit einem Tonfall, der irgendwo zwischen Verzweiflung und gespielter Geduld lag.

Der Zwerg, dessen breiter Körper vor der Schmiede wie ein Bollwerk wirkte, verschränkte die muskulösen Arme noch enger vor der Brust und erwiderte trocken: „Weil ich es nicht mache. Punkt.“

Der Mann verzog das Gesicht zu einer Grimasse, die so übertrieben wirkte, dass Theron, der das Geschehen aus der Ferne beobachtete, fast laut aufgelacht hätte. „Aber ihr seid doch ein Handwerker, oder nicht?“ hielt der Mann mit einer Spur von Empörung entgegen.

Der Zwerg ignorierte ihn jedoch demonstrativ und wandte sich stattdessen an Theron, der sein Pferd näher an die Schmiede gelenkt hatte. Ein breites Grinsen erschien auf dem rußverschmierten Gesicht des Zwergs. „Ah, du bist es, Theron. Warte einen Moment, bis ich mit diesem Trottel hier fertig bin.“

„Das wird nicht nötig sein, Gond,“ erwiderte Theron gelassen, während er von seinem Pferd stieg. Sein Blick wanderte kurz zu dem hageren Mann, der auffällig in einem weißen Mantel mit violetten Streifen gekleidet war. „So wie ich das sehe, gibt es hier nur ein Missverständnis, nicht wahr, Myrddin?“

Der Mann – Myrddin – drehte sich mit einem Ruck zu Theron um, und sein Gesicht hellte sich sofort auf. „Theron! Was für eine Überraschung! Was machst du denn hier?“

Der Zwerg, offenbar Gond genannt, grummelte laut und verschränkte die Arme noch enger. „Du kennst diesen Trottel?“

„Ja, klar,“ antwortete Theron mit einem schwachen Lächeln. „Er ist mein Freund – auch wenn er manchmal etwas… speziell ist.“

Myrddin stemmte die Hände in die Hüften und warf Theron einen gespielt beleidigten Blick zu. „Speziell? Das klingt, als wäre ich eine Kuriosität auf einem Jahrmarkt!“

Theron seufzte, ignorierte ihn jedoch und wandte sich an Gond. „Also, wo liegt das Problem?“

„Dein Freund hier,“ begann Gond mit einem genervten Tonfall, „meint, dass ich – nur weil ich ein Zwerg bin – natürlich weiß, wie man eine verdammte Gürtelschnalle repariert.“

„Nicht weil du ein Zwerg bist, sondern ein Schmied! Und ich habe doch gerade gesehen, wie du deine eigene repariert hast!“ warf Myrddin ein und hob demonstrativ das kleine, kaputte Stück Metall in die Luft. „Also warum nicht meine?“

Theron legte kurz die Stirn in Falten und hob dann beschwichtigend die Hände. „Myrddin,“ sagte er mit einem Anflug von Geduld in der Stimme, „Gond ist Schwertschmied, kein Schneider und auch kein Spezialist für Gürtelschnallen.“

„Ich habe bei jedem verdammten Schmied in dieser Stadt nachgefragt!“ rief Myrddin und warf die Hände theatralisch in die Luft. Dabei rutschte seine Hose gefährlich tief, was ihn dazu zwang, sie hastig wieder hochzuziehen. „Alle behaupten, sie machen Schwerter, Rüstungen und Meisterwerke, aber eine simple Gürtelschnalle ist anscheinend zu viel verlangt!“

Theron schüttelte den Kopf, bevor er trocken erwiderte: „Kannst du das Ding nicht einfach mit einem Zauber reparieren? Wofür sind denn sonst eure Zauber da?“

Myrddin verzog das Gesicht, als hätte Theron gerade eine grobe Beleidigung ausgesprochen. „Ich bin ein Meister der Illusionen, Theron, kein Bastler von Haushaltsgegenständen.“

„Außerdem kann ich es nicht,“ fügte er leise hinzu.

Gond spuckte hörbar zur Seite, sein Blick und seine Aura flackerten vor Misstrauen. „Zauberer,“ murmelte er leise, wobei das Wort wie ein Fluch aus seinem Mund klang.

Theron spürte die aufkommende Spannung und hob beschwichtigend die Hände. „Ganz ruhig, Gond. Myrddin ist ein Freund. Ein seltsamer Freund, ja, aber ein Freund. Können wir das nicht irgendwie lösen?“

Gond kniff die Augen zusammen, bevor er schließlich seufzte. „Ich mag’s nicht, Zauberer in meiner Nähe zu haben. Aber für dich, Theron, mache ich diesmal eine Ausnahme.“

Myrddin grinste triumphierend, während er seine Hose festhielt. „Ha, also geht es doch! Vielen Dank, Theron!“

„Warte, warte,“ Gond hob warnend die Hand. „Ich habe gesagt, dass ich dich dulde, nicht dass ich deine verdammte Gürtelschnalle repariere.“

Myrddin setzte zu einem weiteren Protest an, doch Theron schnitt ihm mit einer knappen Geste das Wort ab. „Ich brauche sowieso zwei neue Kurzschwerter, Gond.“ Er griff in seine Tasche, zog einen kleinen Beutel hervor und reichte ihn dem Zwerg. „Das sollte dafür ausreichen. Und auch für die Gürtelschnalle, die mein Freund so dringend repariert haben will.“

Gond zog eine Augenbraue hoch und betrachtete den Beutel, bevor er nickte. „Ich gehe davon aus, ohne Schnickschnack?“

„Genau,“ bestätigte Theron mit einem knappen Nicken.

„Gut,“ sagte Gond. „Ich sehe, was ich machen kann. Aber was die Gürtelschnalle angeht, bin ich Schmied, kein Flickschuster.“ Er warf Myrddin einen scharfen Blick zu, der nur die Augen verdrehte.

Doch bevor Gond den Beutel annehmen konnte, schoss ein Schatten zwischen ihnen hindurch. Etwas Großes, Schnelles – und im nächsten Moment war der Beutel verschwunden. „Hey!“ brüllte Gond mit einer Stimme, die wie ein Donnerschlag durch die Gasse hallte, doch die Gestalt hielt nicht inne und verschwand in der Menge.

Theron reagierte blitzschnell. Mit einem einzigen fließenden Sprung war er auf den Beinen und setzte zur Verfolgung an. „Was soll das?“ dachte er genervt und sprintete los.

Die Gassen des Eisenviertels waren ein Gewirr aus engen Straßen, rauchigen Schmieden und rußgeschwärzten Werkstätten. Der Dieb war flink, bewegte sich mit der Präzision eines erfahrenen Jägers, und Theron erkannte schnell, dass er es mit keinem gewöhnlichen Straßenräuber zu tun hatte. Die Gestalt – groß, schlank und geschmeidig – huschte zwischen den Zwergen hindurch, die schwer beladene Kohlesäcke oder metallene Werkzeuge trugen.

Doch so einfach ließ er sich nicht abhängen. Seine Augen fixierten den Dieb, der sich mit einer fast unnatürlichen Eleganz durch die engen Straßen bewegte. „Halt!“ brüllte er erneut, obwohl er nicht davon ausging, dass es einen Effekt haben würde. Was es auch nicht hatte. Die Gestalt reagierte natürlich nicht und beschleunigte sogar ihren Schritt.

Der Dieb – und jetzt war Theron sicher, dass es ein Elf war – schoss über eine niedrige Steinmauer und kletterte mit beeindruckender Leichtigkeit auf den Sims einer nahen Schmiede. Ohne einen Moment zu zögern, sprang er über das schmale Dach und verschwand auf der anderen Seite. Theron zögerte keine Sekunde. Er setzte über die Mauer, landete hart auf der anderen Seite und spürte den aufsteigenden Schmerz in seinen Knien. „Verdammt,“ knurrte er leise, während er sich durch den Qualm einer nahegelegenen Esse kämpfte.

Die Verfolgung wurde chaotisch. Zwerge fluchten und sprangen zur Seite, als Theron an ihnen vorbeiraste. Zwergenkinder, die zwischen den Schmieden spielten, wichen mit erschrockenen Gesichtern aus, während ein älterer Zwerg lauthals schimpfte, als Theron beinahe einen schweren Korb mit Hufeisen umwarf. „Hast du Tomaten in den Augen, du Riese?!“ brüllte er hinterher.

Die Luft war erfüllt vom rhythmischen Hämmern der Schmiedehämmer und dem Fauchen der Blasebälge, doch all das verschwamm zu einem dumpfen Hintergrundgeräusch, während Theron sich auf den Dieb konzentrierte. Dieser verschwand in einer schmalen Seitengasse, und Theron wusste, dass er aufholen musste.

Plötzlich hörte er hinter sich das Klirren von Rüstungen und laute Rufe. Die Stadtwache! Mindestens vier schwer gepanzerte Männer bahnten sich ihren Weg durch die Menge. „Bleib stehen, du Dieb!“ rief einer von ihnen, während sie sich mit brutaler Entschlossenheit durch die Straßen drängten. Ein Zwerg wurde unsanft beiseite geschoben, ein anderer stolperte mit einem Kohlesack und fluchte lautstark.

„Natürlich,“ knurrte Theron leise, während er sich fragte, ob er selbst jetzt als Verdächtiger galt. Doch wichtiger war es, den Dieb einzuholen.

Die Verfolgung führte weiter durch die Gassen des Eisenviertels. Theron nutzte seinen einzigen Vorteil: Er kannte sich in den Straßen und verwinkelten Wegen aus. Als er sah, dass der Dieb rechts in eine enge Gasse abbog, nahm er eine Abkürzung – einen schmalen Pfad zwischen zwei Schmieden, der ihn direkt vor der Gestalt herausbringen würde.

Und es funktionierte. Als er aus der Seitengasse trat, rannte der Dieb ihn beinahe über den Haufen. Es war eine Elfe. Ihre Augen waren vor Überraschung geweitet. Doch der Moment der Überraschung hielt nur den Bruchteil einer Sekunde. Sie war blitzschnell und versuchte, sich mit einer eleganten Drehung an ihm vorbeizuschlängeln, doch Theron war schneller.

„Nicht so schnell,“ knurrte er und packte ihren Arm mit einem eisernen Griff.

Für einen Moment begegneten sich ihre Blicke. Ihre grün-goldenen Augen funkelten wie ein wilder Wald, und Theron war für einen winzigen Augenblick gefangen von der Intensität, die in ihnen lag. Sie waren voller Stärke, Unbeugsamkeit und einem Schatten von Trauer, der tief im Inneren verborgen war.

Für einen flüchtigen Moment hatte er den Eindruck, dass sie in seinen Augen ebenfalls etwas sah, das nicht einmal er selbst kannte.

Die Überraschung in ihren Augen verschwand so schnell, wie sie gekommen war, und wurde von einem zornigen Glühen ersetzt. Sie zischte etwas in einer fremden Sprache, und bevor Theron reagieren konnte, blitzte ein Dolch in ihrer freien Hand auf.

Theron warf seinen Kopf reflexartig zurück, als die Klinge knapp an seinem Gesicht vorbeizischte. Mit seiner freien Hand packte er ihr Handgelenk und hielt es fest. „Lass den Unsinn!“ zischte er, doch die Elfe reagierte nur mit einem scharfen Fauchen.

„Lass mich los, du Narr!“ fauchte sie, ihre Stimme war tief und rau, mit einem Hauch von Wut, der in ihrem Blick loderte.

„Gib mir den Beutel zurück,“ forderte Theron mit eiserner Ruhe, auch wenn sein Griff stärker wurde.

Doch die Elfe war nicht bereit, sich so leicht geschlagen zu geben. Mit einer geschmeidigen Drehung, die sie fast katzenhaft wirken ließ, entwand sie sich seinem Griff und rammte ihm ihren Ellbogen hart in die Rippen. Theron keuchte und taumelte zurück, der Schmerz raubte ihm für einen Moment den Atem.

Sie nutzte die Gelegenheit und setzte sich in Bewegung. Theron versuchte, sie erneut zu greifen, doch seine Finger schlossen sich nur um ein schmales Armband, das an ihrem Handgelenk baumelte. Es hielt einen kurzen Moment stand, bevor es nachgab und in Therons Hand landete.

Das plötzliche Ungleichgewicht brachte ihn zu Fall. Er stolperte über einen Stapel Kisten, die vor einer Schmiede gestapelt waren, und landete unsanft auf dem harten Boden. Das Armband lag immer noch in seiner Hand, während die Elfe mit einem letzten Blick zurück davonstürmte.

„Verdammt!“ murmelte Theron und richtete sich langsam auf, doch bevor er wieder auf die Beine kam, spürte er eine starke Hand auf seiner Schulter.

„Das war’s für dich,“ knurrte eine tiefe Stimme.

Er wurde grob herumgedreht und sah sich einem breitschultrigen Stadtwächter gegenüber, dessen Gesicht nicht gerade vor Intelligenz strahlte. „Ich bin kein Dieb,“ begann Theron, doch der Wächter ließ ihn nicht ausreden und schlug ihm fest die Faust in die Magengrube.

„Ach ja?“ spottete der Mann, während sein Atem nach abgestandenem Bier roch. „Da haben wir einen Straßenräuber, der aussieht wie der Leibhaftige, und du willst uns weismachen, du bist ein Unschuldslamm?“

Theron biss die Zähne zusammen, als der Griff des Wächters sich verstärkte. „Die Diebin hat mein Gold gestohlen,“ knurrte er. Doch die Wachen lachten nur rau. „Was für ein Zufall,“ sagte einer von ihnen. „Der Schneider schwört, dass einer deiner Freunde ihn fast umgebracht hätte. Und im Pfandleihhaus sabbert der arme Junge noch immer vor sich hin, weil er von euch gegen den Schrank geworfen wurde. Kommt uns nicht mit Märchen, Freund.“

„Also wohin ist dein Komplize? Wo habt ihr die Beute versteckt?“

„Komplize?“ Theron schnaubte und schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Komplizen. Diese verfluchte Elfe hat mein Gold gestohlen!“

Der Wächter lachte bitter. „Das kannst du deiner Großmutter erzählen, Freund. Gleicher Mantel, gleiche Tricks – und woher weißt du, dass es eine verdammte Elfe ist, äh? Du kommst mit.“

Bevor Theron widersprechen konnte, spürte er, wie sie ihm die Arme auf den Rücken drehten und grob fesselten. „Ihr macht einen gewaltigen Fehler,“ murmelte er und biss die Zähne zusammen, als sie ihn unsanft mit sich zogen.

In der Ferne, hinter der Menge, sah er einen letzten flüchtigen Blick der Elfe. Ihre Augen – diese grün-goldenen Augen – schimmerten in der Menge, bevor sie endgültig verschwand. Theron fluchte leise, während die Wachen ihn weiter durch das Eisenviertel führten, vorbei an zwergischen Schmieden und schockierten Gesichtern, die ihm hinterherblickten.

 

Als er schwere Schritte im Gang hörte, ließ Theron seine Finger kurz über das Armband gleiten, bevor er es hastig in seinem Mantel verschwinden ließ. Es bestand aus kunstvoll ineinander verflochtenen Federn, deren Spitzen wie mit Silber bestäubt wirkten, und kleinen, halb durchsichtigen Kugeln, die grün schimmerten wie das Licht durch die Blätter eines Waldes. Es war seltsam – nicht nur wegen seines ungewöhnlichen Aussehens, sondern auch, weil es sich warm anfühlte, fast lebendig. So etwas hatte er noch nie gesehen, nicht bei Händlern, nicht in Juwelierläden. Und erst recht nicht an einer Diebin.“

„Drei,“ dachte er, als er die Schritte zählte. Die Wachen kamen. Wenn sie ihn holen wollten, müsste er schnell handeln. Blitzschnell. Die Schritte hallten schwer und unnatürlich laut im düsteren Kerker, der nach feuchtem Stein und verrottetem Stroh roch. Das Flackern einer Fackel draußen im Gang warf zitternde Schatten an die moosbedeckten Wände.

Die Schritte verstummten. Mit einem klacken drehte sich der Schlüssel im Schloss und die Zellentür schwang, mit den vertrauten Quietschen von Rostigen Eisen auf.

Er schaute nicht auf. Es war besser, sie dächten er sei nicht vorbereitet. Er spannte sich an, bereit zu agieren, doch die erwartete grobe Hand, packte ihn nicht.

„Du siehst ja echt scheiße aus,“ sagte eine vertraute Stimme mit spöttischem Unterton.

Theron blinzelte verwirrt und sah auf. „Myrddin?“

Der Zauberer stand in der offenen Zellentür, lässig, mit seinem weißen Mantel und dem Seil, das anscheinend als Gürtel diente. In dieser dunklen, dreckigen Umgebung wirkte er so deplatziert wie eine Pfauenfeder auf einem Misthaufen. Myrddins Gesicht war von einem breiten, amüsierten Grinsen erhellt, als hätte er gerade den besten Witz der Welt gehört.

„Was machst du hier?“ fragte Theron, der sich halb zwischen Freude und Frustration nicht entscheiden konnte. Während sich die Zellentür wieder schloss.

Myrddin ging langsam zu einem Strohsack in der Ecke und betrachtete ihn kritisch, bevor er sich anders entschied und sich stattdessen an die feuchte Wand lehnte. „Was ich hier mache? Ist das nicht offensichtlich? Ich bin hier, um dich zu retten.“

Theron zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Ach wirklich? Und wie genau stellst du dir das vor? Ich bezweifle, dass die da draußen,“ er deutete mit dem Kopf auf die Wachen. Während die eine Wache nachdenklich in der Nase bohrte und das gefundene skeptisch betrachtete, wie ein Forscher ein unbekanntes Tier, hatte die andere Wache ihre Hose geöffnet und erleichterte sich in die Freie Zelle, ihm gegenüber. „Uns beide einfach rauslässt, als wäre nichts gewesen.“

Myrddin folgte Therons Blick und verzog das Gesicht. „Nun, wenn ich ehrlich bin, würdest du es auch sicherlich alleine schaffen, ohne probleme. Aber ich bezweifle, dass es dann insgesamt gut ausgeht.“

Er wandte sich wieder Theron zu und grinste. „Keine Sorge. Ich werde morgen früh zum Stadtvogt gehen und die Sache klären. Danach wird er dich freilassen müssen. Vertrau mir“

Theron schnaubte ungläubig. „Und warum sollte der Stadtvogt auf dich hören? Ich erinnere dich daran, dass mir schwerer Diebstahl, in zwei Fällen , genauso wie schwere Körperverletung vorgeworfen werden.“

„Ach, das ist nichts, was man nicht erklären könnte,“ sagte Myrddin nonchalant und winkte lässig ab. „Du scheinst vergessen zu haben, das ich immerhin ein angesehenes Mitglied der Loge der Zauberer bin.“

Theron stützte die Ellenbogen auf die Knie und sah ihn trocken an. „Myrddin, wir beide wissen, dass das heutzutage kaum noch etwas bedeutet. Eure Loge mag in Tref Awyr und den Königreichen Eldor und Almorien noch ein bisschen Einfluss haben, aber hier in Caldir? Am anderen Ende des Kontinents? Du könntest genauso gut behaupten, du wärst ein weltberühmter fahrender Barde.“

Myrddin zog eine theatralische Schmollmiene, die in dieser dunklen Umgebung fast grotesk wirkte. „Du bist wirklich ein Meister darin, die Dinge Pessimistisch zu sehen.“

„Ich bin ein Realist,“ erwiderte Theron nüchtern. „Also wie willst du zum Stadtvogt kommen, ohne das du ausgelacht wirst bevor und nachdem du mit einem Fußtritt hinaus befördert wurdest?“

Myrddin richtete sich auf, sein Grinsen wurde breiter. „Du scheinst zu vergessen, dass ich ein Meister der Illusionen bin. Ein bisschen Blendwerk, vielleicht eine kaiserliche Robe, und schon denkt der Stadtvogt, dass er es mit einem Abgesandten des Kaisers zu tun hat.“ Er zwinkerte, als wäre das völlig unproblematisch. „Aber das brauche ich nicht einmal. Der entscheidende Punkt ist: Der Stadtvogt ist mein Schwager.“

Theron blinzelte überrascht. „Du hast einen Schwager?“

„Nicht nur einer, mein Lieber,“ begann Myrddin und hob eine Hand, als wollte er etwas Großes ankündigen. „Ich habe vier Schwager, zwei Schwägerinnen, fünf Tanten, vier Onkel und so viele Cousins ersten und zweiten Grades, dass ich irgendwann aufgehört habe zu zählen.“

„Ich wusste nicht mal, dass du noch eine Familie hast. Und dann gleich so eine riesige,“ bemerkte Theron trocken.

„Und das nennt sich Freundschaft,“ sagte Myrddin gespielt enttäuscht. „Du weißt nicht mal etwas über meine Familie.“

„Du weißt doch nicht mal, wie alt ich bin,“ schoss Theron zurück.

„Natürlich weiß ich das. Du bist... zweiundvierzig?“ Myrddin zog die Augenbrauen hoch, als würde er überlegen.

Theron sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Ich bin dreiunddreißig.“

„Oh, naja, nur knapp daneben,“ sagte Myrddin unbekümmert und wischte mit der Hand durch die Luft. „Aber immerhin stimmt die Quersumme!“

„Die Quersumme?“ Theron runzelte die Stirn.

„Ja, drei und drei ergibt sechs. Eine wundervolle Zahl, wenn du mich fragst.“ Myrddins Gesicht erhellte sich, als hätte er etwas Tiefgründiges gesagt. „Aber gut, das tut hier nichts zur Sache.“

Theron musterte ihn skeptisch. „Das hast du schon mal gesagt,“ erwiderte Theron trocken. „Erinnerst du dich an deine ‚geniale‘ Idee, die Überfahrt von Calchhorn nach Eldara nicht zu bezahlen? Du hast dem Kapitän eine Illusion vorgespielt, und wir wären fast über Bord geworfen worden, als sie aufflog. Ich habe eine Menge Gold verloren, damit wir nicht schwimmen mussten.“

„Das war ein anderes Mal,“ protestierte Myrddin mit einem schelmischen Lächeln. „Außerdem ist es ja gut ausgegangen.“

„Naja,“ sagte Myrddin schließlich und stieß sich von der Wand ab. „Es wird Zeit zu gehen. Wir sehen uns dann morgen ganz sicher.“

„Warte,“ sagte Theron während einer der Wachen, die Zellentür aufschob.

Myrddin wandte sich fragend um.

„Was ist mit meinen Pferd und meinen Sachen?“

„Ach die,“ sagte Myrddin. „Die sind bei dem Zwerg Gond. Er hat sich ebenfalls schon an die Arbeit gemacht deine beiden Schwerter zu schmieden.“

„Sehr gut,“ erwiderte Theron, „dann werde ich mich wohl bei ihm bedanken müssen. Achja und was ist mit deiner Gürteschnalle?“

Die Miene von Myrddin verdüsterte sich. „Er hat gesagt, erst die Schwerter dann die Schnalle, obwohl ich ihn versucht habe zu erklären, das die Schnalle deutlich schneller geht. Aber er hat darauf bestanden und wollte nicht mehr darüber diskutieren.“

„Verstehe, also brauche ich das Gold auf jedenfall zurück,“ merkte Theron an.

Myrddin wandte sich mit einem lockeren Lächeln ab und trat durch die Zellentür, die die Wache langsam hinter ihm schloss. „Mach dir keine Sorgen, Theron. Morgen bist du ein freier Mann. Solange du dich nicht wieder in etwas hineinreitest.“ Seine Stimme war heiter, doch in den Schatten des Gangs verlor sie sich wie ein Hauch von Rauch. Theron hörte die Schritte der Wachen, die ihn begleiteten, bis sie schließlich im dumpfen Hall des Kerkers verstummten.

Er zog das Armband wieder aus seinem Mantel hervor und betrachtete es eingehend. „Wieso ziehe ich immer Ärger an,“ sagte er leise zu sich selber.

 

Theron wurde von einem leisen Geräusch geweckt. Es war dumpf und metallisch, wie ein Schlüssel, der auf den Boden fiel, oder das Rutschen eines schweren Gegenstands über Stein. Sein Nacken schmerzte von der unbequemen Haltung und der stinkenden Strohmatratze, die hier bestimmt schon Jahre im nassen herumlag. Er rief sich müde die Augen und für einen Moment war er sich nicht sicher, ob es einer dieser albtraumhaften Träume war, die ihn schon seit Jahren plagten. Doch das Geräusch wiederholte sich, und diesmal war es näher.

Er setzte sich auf und lauschte, während die Dunkelheit der Zelle ihn wie ein Mantel umhüllte. Sein Blick wanderte instinktiv zur Zellentür. Die Fackeln im Gang warfen flackernde Schatten auf die moosigen Wände, und dann sah er es: Eine Gestalt sackte lautlos vor der Tür zusammen. Es war eine der Wachen.

Theron runzelte die Stirn, als ihm die Szenerie klar wurde. Der Mann lag auf dem Bauch, und seine leeren Augen starrten ihn aus einem blassen Gesicht an. Blut sickerte aus einer Wunde in seinem Hals und bildete eine schmale Lache, die langsam unter der Tür hindurchlief. Die zitternden Flammen der Fackel ließen das Blut wie schwarzen Teer glänzen.

Noch bevor Theron die Situation ganz erfassen konnte, trat eine weitere Gestalt ins Licht. Sie war schlank und gehüllt in einen schwarzen Umhang, der fast lautlos mit jeder Bewegung fließend schwang. Es dauerte nur einen Augenblick, bis Theron sie erkannte – oder vielmehr ihre Augen. Grün und Gold wie ein unruhiger Wald, voller Leben, aber auch mit einer Trauer, der ihm fast den Atem nahm.

„Du!“ zischte Theron, mehr überrascht als wütend.

Die Elfe sagte nichts. Ihre gold-grünen Augen musterten ihn, während sie ein blutverschmiertes Schwert in der Hand hielt, dessen Spitze träge auf den Boden zeigte. Sie trat näher an die Tür und sprach mit einer Stimme, die messerscharf und kontrolliert klang: „Das Armband. Gib es mir.“

Theron zog eine Augenbraue hoch. „Welches Armband?“

Die Elfe kniff die Augen zusammen, und in ihrer Haltung war eine Mischung aus Wut und Verachtung zu erkennen. „Spiel nicht den Dummen, Mensch. Ich weiß, dass du es hast. Die Wachen hatten es nicht, und vor unserer kleinen Verfolgungsjagd hatte ich es noch.“

Theron lehnte sich mit verschränkten Armen zurück, als wäre er von ihrer Behauptung völlig unbeeindruckt. „Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.“

Ihre Finger umklammerten den Griff des Schwertes fester, und sie machte einen Schritt nach vorn. „Ich warne dich, ich reiße es dir zur Not aus deinem toten Körper!“ fauchte sie, ihre Stimme wurde dabei tiefer und von einem Hauch purer Verachtung begleitet. „Ihr Menschen seid allesamt die gleiche abscheuliche Brut. Erst tut ihr auf gut, dann lügt ihr, beutet aus und schließlich mordet ihr, wenn es euch passt.“

Theron blieb ruhig, auch wenn er die Anspannung in ihrem Blick nicht ignorieren konnte. „Wenn es dir so wichtig ist,“ sagte er langsam, „könntest du mir vielleicht erklären, warum.“

Sie zögerte und hob ihr Kinn angriffslustig. „Das geht dich nichts an.“

„Oh, ich denke doch,“ erwiderte Theron und setzte ein spöttisches Lächeln auf. „Wenn du schon bereit bist, mich zu töten, nur um es zurückzubekommen, dann muss es ja einen guten Grund geben. Also, warum ist es dir so wichtig?“

Die Elfe presste ihre Lippen zusammen, und für einen Moment flackerte etwas in ihren Augen auf, das wie Schmerz aussah. „Es ist... bedeutend,“ sagte sie schließlich, ihre Stimme leiser, aber immer noch voller Schärfe.

„Bedeutend?“ Theron zog eine Augenbraue hoch. „Klingt nach einer schwachen Erklärung. Ich denke, ich behalte es, bis du mir sagst, was es damit auf sich hat.“

Er hatte es zu weit getrieben und das wusste er als er ihre hasserfüllten Augen sah. Es wäre hilfreich gewesen, wenn er ebenfalls die Auren von Elfen sehen könnte. Aber aus irgendein Grund, den er nicht kannte, konnte er es nicht.

Sie presste die Lippen zusammen, sie schien sich stark zurück halten zu müssen. „Es gibt zwei Möglichkeiten, entweder du gibst mir mein Armband wieder oder ich werde dich ebenso aufschlitzen, wie diese Wachen hier.

Er blickte sie herausfordernd an. „Wenn du dich traust, diese möglichkeiten auch umzusetzten.“

Die Elfe zischte. „Jederzeit. Wenn ich könnte, würde ich jeden einzelnen von euch töten.“

„Du bist die einzige Elfe, die ich kenne, die so radikal ist. Obwohl ich nachvollziehen kann, wo dein Zorn herkommt,“ sagte Theron ruhig.

„Nichts kannst du nachvollziehen!“ zischte sie. „Ihr Menschen habt uns Elfen alles genommen. Unser Land, unsere Freiheit, unsere Leben! Also sprich nicht so, als könntest du unser Leid nachvollziehen, oder gar verstehen.“

Theron schwieg für einen Moment. Vielleicht hatte sie Recht. Es war schwer das zu verstehen, wie die Elfen sich gefühlt haben müssen, als sie beraubt wurden und als sie sich auf lehnten schließlich mit dem Tod bestraft wurden.

„Warum hast du mich bestohlen?“ fragte er schließlich, ruhig und ohne Vorwurf.

„Das geht dich nichts an,“ erwiderte sie scharf und machte eine abwehrende Geste. „Es war nur eine flüchtige Notwendigkeit. Und jetzt ist es ohnehin irrelevant.“

„Irrelevant?“ Theron neigte den Kopf. „Du bist wegen mir hier. Du hast mich in diese Zelle gebracht, und jetzt tauchst du plötzlich mit einem Schwert auf und tötest einfach ein paar Wachen. Das klingt nicht gerade nach Irrelevanz.“

Sie starrte ihn an, unsicher, wie sie darauf antworten sollte. Schließlich seufzte sie und sagte: „Menschen interessieren mich nicht. Und du interessierst mich nicht. Ich will lediglich das zurück, was mir gehört.“

„Wie ist dein Name?“ fragte Theron ohne auf das vorherige einzugehen.

„Schluss mit den Spielchen. Mensch. Ich habe nicht vor, hier zu warten, bis verstärkung kommt.“

„Dann hör endlich auf, mich für das verantwortlich zu machen, was die Menschen, euren Volk früher angetan haben. Ich habe zwar nicht so eine leidvolle Geschichte, wie du sie anscheinend hast. Aber ich weiß ganz genau was leid bedeutet.“

„Warum, sollte ich das tun?“ Fragte sie mit einer gewissen neugier.

Anstatt zu antworten, begann Theron, seine Tunika zu öffnen. Die Elfe zog misstrauisch eine Augenbraue hoch. „Was machst du da?“

Er entblößte seinen Oberkörper, und sie sog scharf die Luft ein, als sie die Tätowierungen sah. Sie waren schwarz wie Tinte und breiteten sich wie ein lebendiges Netz von seiner Brust aus, als ob sie ihn umklammern würden. Ihre Augen weiteten sich. „Du bist ein Auror?“ fragte sie ungläubig.

„So nannte man uns Früher,“ erwiderte Theron, während er sich wieder anzog. „Jetzt sind wir Streuner. Relikte aus vergangenen Tagen. Ich will dir helfen.“

Ein Moment des Schweigens folgte. Die Elfe schien nachzudenken, ihr Blick wanderte zwischen Therons Gesicht und den Tätowierungen hin und her. Schließlich richtete sie sich auf und sagte leise, fast widerwillig: „Ich brauche keine Hilfe. Aber wie kommst du auf die dumme Idee, mir helfen zu wollen?“

Theron zögerte. „Ich weiß nicht, warum ich dir helfen will,“ sagte Theron ruhig, „aber ich habe das Gefühl, dass ich es muss.“

Ihre Augen fixierten ihn, als suchte sie nach einer Lüge, doch sie fand keine. Schließlich nickte sie knapp. „In Ordnung. Aber wenn du mich verrätst, schwöre ich, dass du es bereuen wirst.“

„Abgemacht,“ antwortete Theron. „Ich brauche allerdings noch meine Schwerter.“

Sie zog einen kleinen Schlüssel hervor, der an ihrem Gürtel hing, und öffnete die Zellentür. „Komm. Ich weiß, wo sie sind.“

Theron folgte ihr hinaus in den düsteren Kerker. Der Gestank von Blut und Tod hing schwer in der Luft. Sie bewegten sich geduckt durch die Gänge, ihre Schritte kaum hörbar. Mehrere Wachen lagen tot am Boden, ihre Gesichter verzerrt im Todeskampf.

Theron musterte die Szene mit einem neutralen Ausdruck. „War das wirklich nötig?“ fragte er schließlich.

„Ja,“ antwortete sie knapp, ohne sich umzudrehen.

Er schwieg. Sie erreichten einen kleinen Raum, in dem eine Truhe stand. Die Elfe öffnete sie, und Theron holte seine beiden Kurzschwerter heraus. Er überprüfte ihre Klingen, bevor er sie mit einem zufriedenen Nicken wieder anlegte.

„Hier,“ sagte er und reichte ihr das Armband. Ihre Augen weiteten sich leicht, als sie es nahm. Kaum hatte sie es übergestreift, begann es zu pulsieren, als ob es lebendig wäre. Theron beobachtete fasziniert, wie das Licht in den grünen Kugeln aufflammte und sich in sanften Wellen durch die Federn zog.

„Das ist... interessant,“ murmelte er.

Sie sagte nichts, aber ihr Gesicht war plötzlich weicher, weniger feindselig. Schließlich fragte er: „Hast du ein Versteck oder einen sicheren Ort?“

„Nein,“ antwortete sie knapp.

Theron nickte. „Dann kenne ich jemanden, der uns helfen kann. Ein Zwerg. Gond. Bei ihm werden wir nicht auffallen.“

Sie zögerte, bevor sie schließlich nickte. „In Ordnung.“

Zusammen schlichen sie hinaus in die dunkle Nacht, die von den fernen Geräuschen der Stadt erfüllt war. Der Kerker lag bald hinter ihnen, und ihre Silhouetten verschwanden im Schatten der Gassen.

„Bumm, bumm, bumm.“ Das Hämmern hallte durch die schmalen, verwinkelten Gassen des Eisenviertels. Am Tag wäre es untergegangen, übertönt vom Rhythmus der Schmiedehämmer, vom Fauchen der Blasebälge und den Rufen der Händler. Doch jetzt – in der Stille der Nacht – klang es wie der dumpfe, insistierende Schlag eines gigantischen Herzschlags.

Die Luft war schwer vom Geruch nach Ruß und Rauch, Relikte des Tages, an dem die Schmelzöfen ihr heißes, rotes Licht über das Viertel geworfen hatten. Nun war es kühl, und die vereinzelten Lichter in den niedrigen Fenstern warfen schwache Lichtflecken auf das Kopfsteinpflaster. Von den Schmieden kamen nur noch vereinzelt metallische Klänge – die letzten, die bis spät in die Nacht arbeiteten, um ihre Aufträge zu erfüllen.

Ein metallisches Klacken ertönte, und der Türschlitz vor ihnen wurde zurückgeschoben. Dahinter blitzten zwei gelbe Augen, die misstrauisch und mürrisch in die Dunkelheit spähten. „Wer in den Tiefen von Hallaborg hämmert mitten in der Nacht an meine Tür?“ Die Stimme war tief und brummte wie ein ferngrollender Donner.

„Bumm, bumm, bumm.“ Das Klopfen wurde lauter, ungeduldiger.

Der Türschlitz öffnete sich erneut, und diesmal schien der Blick der gelben Augen vor Zorn zu glühen. „Noch einmal, und ich breche dir beide Hände, dann kannst du sehen, wie du klopfst!“

„Ich bin es, Gond,“ sagte Theron ruhig, die Hände in seinem schwarzen Mantel vergraben, bevor der Schlitz wieder zugeschoben wurde.

Ein leises Murmeln hinter der Tür, dann ein Knarren, als die Tür sich langsam öffnete. Gond stand in der Öffnung, rußverschmiert, mit einem dichten weißen Bart, der bis zu seiner Brust reichte. Er trug eine einfache, mit Fettflecken übersäte Schürze, und seine buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen, als er Theron musterte.

„Theron?“ fragte Gond und schüttelte den Kopf. „Was in den Tiefen des Berges machst du mitten in der Nacht hier? Solltest du nicht…“ Er hielt inne und zog die Augenbrauen hoch.

„Wir brauchen einen Unterschlupf für die Nacht,“ sagte Theron knapp.

Gond schnaubte, trat aber widerwillig zur Seite. „Na gut, komm rein, bevor noch jemand auf uns aufmerksam wird.“

„Vielen Dank,“ sagte Theron, doch Gond hob plötzlich eine Hand und hielt die Tür halb geschlossen.

„Moment. Was meinst du mit, wir‘?“

Hinter Theron trat die Elfe aus der Dunkelheit. Die Kapuze ihres schwarzen Mantels rutschte leicht zurück und gab den Blick auf ihr Gesicht frei. Die Narbe, die ihre Wange entlanglief, wirkte im flackernden Licht des Hauses wie ein dunkler Schnitt durch glatte Haut. Doch es waren ihre Augen, die Gond zum Verstummen brachten – gold-grün, wie das Licht, das durch die Blätter eines Waldes bricht, intensiv und unnachgiebig.

„Ich bin Lyara,“ sagte sie, ihre Stimme war ruhig, aber fest. „Vom Volk der Elfen. Es freut mich, jemanden vom ältesten Volk zu treffen.“

Gond starrte sie an, als wäre sie ein Geist aus alten Legenden, der vor ihm aufgetaucht war. Schließlich schüttelte er den Kopf und murmelte etwas Unverständliches in seiner eigenen Sprache.

„Theron, bist du verrückt?“ fragte er dann. „Du bringst eine Elfe mitten in die Nacht nach Lysor? Weißt du überhaupt, wie gefährlich das ist? Was glaubst du, wie viele Leute sie hier lebend sehen wollen?“

Theron zuckte mit den Schultern. „In der Stadt niemanden aber hier unter Zwergen, sollte das kein Problem sein.“

„Freundschaft hin oder her,“ brummte Gond, „ich sollte dich rausschmeißen.“ Doch er trat dennoch zur Seite. „Na gut. Kommt rein. Aber wenn ihr Ärger macht, seid ihr schneller draußen, als ihr ‚Bergwerk‘ sagen könnt.“

Der Flur war breit, aber die niedrigen Holzbalken zwangen sowohl Theron als auch Lyara, sich leicht zu ducken. Der Geruch von verbranntem Holz und geschmolzenem Metall hing noch immer in der Luft, und der Boden knarzte unter ihren Schritten. Es war eine typische zwergische Behausung – funktional, robust und doch mit einer gewissen heimeligen Wärme, die Menschenbauten oft fehlte.

Am Ende des Flurs öffnete sich der Raum in eine große, gemütliche Stube. Ein Kamin war das Zentrum der Aufmerksamkeit, in dem ein prasselndes Feuer tanzte. Direkt daneben stand ein eiserner Ofen, auf dem ein großer Topf vor sich hin köchelte. Der kräftige Duft von Pilzsuppe und Kräutern vermischte sich mit dem leichten Rußgeruch des Kamins. Eine Zwergin mit breiten Schultern und einem festen Blick rührte mit einer großen Holzkelle im Topf, während sie leise vor sich hin summte.

Doch es war die Gestalt am niedrigen Holztisch, die Therons Aufmerksamkeit auf sich zog – groß, schlaksig und eindeutig fehl am Platz in dieser Umgebung. Der weiße Mantel mit den violetten Streifen war unverkennbar.

„Theron!" prustete Myrddin plötzlich los, als er den Kopf hob und seinen Freund entdeckte. Dabei verschluckte er sich an seinem Getränk, hustete und wischte sich hastig den Mund mit dem Ärmel ab. „Was in den Namen der Götter machst du denn hier?"

Theron blieb einen Moment stehen, verwirrt von der unerwarteten Begegnung. „Das könnte ich dich genauso fragen, Myrddin. Was machst du hier, bei Gond? Letztes Mal hatte ich die Befürchtung, dass Gond dir noch eins auf den Deckel gibt."

Myrddin grinste, lehnte sich zurück und nahm noch einen Schluck aus seinem Becher. „Man könnte sagen, ich schätze die Gastfreundschaft der Zwerge. Betunia hier war so freundlich, mich aufzunehmen. Vorübergehende finanzielle Engpässe, verstehst du?" Er nickte in Richtung der Zwergin, die ihn mit einem skeptischen Blick maß.

Theron verzog das Gesicht, als er näher trat und sich neben Lyara an den Tisch stellte. „Ich hätte dich eher in einer Taverne erwartet, nicht in Gonds Haus. Aber jetzt, wo wir schon dabei sind – Myrddin, das ist Lyara."

Lyara nickte knapp und hielt sich im Hintergrund, ihre gold-grünen Augen musterten Myrddin mit offener Skepsis. Myrddin hingegen schien sich über die Vorstellung zu freuen. Er sprang förmlich auf, machte eine theatralische Verbeugung und sagte mit einem charmanten Lächeln: „Eine Ehre, euch kennenzulernen, meine Dame."

Lyara erwiderte nichts, doch ihre Augen verengten sich leicht, als sie ihn musterte. „Was auch immer du willst, Mensch," begann sie kühl, „lass es. Ich habe keine Geduld für Spielereien."

„Spielereien?" Myrddin setzte sich wieder, als hätte er gar nicht gehört, was sie sagte. „Nein, nein, ich meine es ernst! Eine Elfe hier im Eisenviertel zu sehen, ist eine Seltenheit. Und eine so anmutige Elfe erst recht."

Lyara spannte sich merklich an. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, und Theron konnte sehen, wie sie sich beherrschen musste, nicht sofort auf den Zauberer loszugehen. „Lass gut sein, Myrddin," sagte Theron warnend und legte eine Hand auf ihren Arm. „Sie ist nicht hier, um sich mit dir zu streiten."

Gond trat in diesem Moment mit einem kleinen Fass Bier in den Raum, das er mit einer Leichtigkeit trug, die Theron beeindruckte. „Wenn ich noch mehr von deinem Geschwätz hören muss, Myrddin, spucke ich dir persönlich in deinen Becher," brummte er und stellte das Fass mit einem dumpfen Knall auf den Tisch. „Theron, setz dich. Lyara, du natürlich auch. Betunia, bring die Schüsseln rüber."

Betunia stellte dampfende Schüsseln vor die Gäste, die den Tisch umgaben, und servierte jedem großzügig von der Pilzsuppe. Gond füllte die Krüge mit dunklem Bier, bevor er sich selbst auf einen massiven Holzstuhl niederließ.

Doch die Atmosphäre war angespannt. Myrddin starrte Lyara unverhohlen an, und sie ignorierte ihn demonstrativ, während sie langsam die Suppe löffelte.

„Was glotzt du mich die ganze Zeit an?" fragte Lyara schließlich und legte den Löffel ab. Ihre Stimme war wie ein scharfes Messer, das durch die gemütliche Atmosphäre schnitt. „Habe ich Dreck im Gesicht, oder was?"

„Habe ich euch etwa beleidigt?" erwiderte Myrddin mit gespielter Unschuld. „Ich bin lediglich fasziniert. Eure Schönheit ist wahrhaft beeindruckend. Und eure Augen – sie erinnern mich an das grüne Leuchten eines Waldes bei Sonnenuntergang. Tief, geheimnisvoll und voller Magie." Er lächelte süffisant.

„Hör auf damit," fauchte Lyara und lehnte sich nach vorne, ihre Hände ballten sich auf dem Tisch. „Ich brauche keine Komplimente von einem Menschen."

„Aber ich kann doch nicht anders," fuhr Myrddin unbeirrt fort. „Wenn ich euch so sehe, fühle ich mich gezwungen, die Götter dafür zu danken, dass ich einem so wundervollen Wesen begegnen durfte."

Bevor Lyara etwas erwidern konnte, sprang Gond ihr zur Seite. „Schluss jetzt, Myrddin. Ansonsten kannst du draußen in der Kälte schlafen." Seine Stimme war ruhig, aber bestimmt.

Theron nickte zustimmend. „Ja, lass es, Myrddin. Du treibst es mal wieder zu weit."

„Fein, fein," sagte Myrddin und hob die Hände, als wollte er seine Unschuld beteuern. „Ich wollte nur etwas Leben in die Runde bringen."

„Dann halt lieber den Mund," grummelte Gond und lehnte sich zurück. „Stattdessen will ich wissen, warum ihr hier seid. Es ist mitten in der Nacht, und du kommst hierher, Theron, mit einer Elfe im Schlepptau. Was ist los?"

Theron nahm einen Schluck Bier, bevor er antwortete. „Lyara hat mich aus dem Kerker befreit. Ich habe ihr versprochen, ihr zu helfen."

„Einfach so?" Gond sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. „Einfach so hast du zugestimmt? Ohne zu wissen, worum es geht?"

„Er wollte unbedingt helfen," warf Lyara ein, ihre Stimme scharf. „Obwohl ich gesagt habe, dass ich das allein schaffe, ich wollte lediglich etwas, was er mir genommen hat."

„Ich will einfach helfen," murmelte Theron und nahm noch einen Schluck Bier. Seine Stimme klang ruhig, fast unbeteiligt, doch Lyara sah, dass seine Augen auf ihr ruhten, forschend, wie immer.

Betunia, die schweigend zugehört hatte, trat vor und sprach mit sanfter, mütterlicher Bestimmtheit: „Kindchen, wenn dir jemand Hilfe anbietet, solltest du sie annehmen. Es gibt nicht viele, die so etwas tun würden. Schon gar nicht hier in Lysor. Diese Stadt ist grausam, wenn du keiner Gruppe angehörst."

Lyara straffte die Schultern und hob das Kinn. „Das ist nicht eure Angelegenheit," entgegnete sie kühl. Doch ihre Stimme war nicht so fest wie zuvor – eine Nuance von Unsicherheit schlich sich ein.

„Doch, ist es," brummte Gond und verschränkte die Arme. Seine Augen funkelten hart im flackernden Licht des Kamins. „Wenn ihr unter meinem Dach seid, will ich wissen, was vor sich geht."

Ein Moment der Stille trat ein. Die Flammen im Kamin warfen tanzende Schatten auf die grob gezimmerten Wände. Schließlich seufzte Lyara und sah Gond direkt an. „Ich muss zwei meiner Kameraden befreien. Sie wurden von einer Bande verschleppt und in den alten Zwergenruinen gefangen gehalten."

Die Atmosphäre im Raum änderte sich spürbar. Theron bemerkte die plötzliche Schwere in der Luft, und selbst Myrddin, der sonst nie still war, hielt den Mund.

„Oh," sprach Myrddin schließlich, während Gond sie mit grimmigem Gesicht beobachtete, Theron in die Gegend starrte und Betunia sie mitfühlend anblickte.

„Wenn du mir die Frage erlaubst. Würde ich gerne wissen, wieso ihr überhaupt erst hier seid und eure Kameraden gefangen genommen wurden?"

Lyara schaute auf ihre Hände, die sie unruhig auf ihrem Schoß verschränkte. „Der Grund, warum wir hier sind spielt keine Rolle," sagte sie schließlich. Ihre Stimme war fest, ließ jedoch für einen kurzen Moment eine Spur von Unsicherheit durchscheinen. „Auf jeden Fall wurden wir in unserem Nachtlager von einer Bande Banditen überfallen. Seitdem suche ich nach einem Weg, sie zu retten."

„Und wofür brauchst du dann das Gold, was du gestohlen hast?" fragte Myrddin mit einem skeptischen Unterton. „Ich habe den Eindruck, dass dich Mauern oder sonst etwas nicht davon abhalten würden."

„Relativ simpel," mischte sich Gond ein, seine Stimme war ernst, und er sah Lyara dabei durchdringend an. „Wenn sie sich wirklich in der alten Stadt im Berg aufhalten, sind sie dort sicher wie nirgendwo sonst."

„Das verstehe ich nicht," entgegnete Myrddin.

„Du warst noch nie in einer Zwergenstadt, oder, Myrddin?" fragte Theron und wandte sich zu dem Zauberer.

„Nein," antwortete Myrddin gedehnt.

Theron nickte und fuhr fort: „Es gibt einen guten Grund, warum noch nie ein Mensch oder Elf, einen fuß in einen der Zwergenstädte gesetzt hat, ohne das die Zwerge das wollten. Der riesige Haupteingang ist durch Meter dicke Steinerne Wände geschützt, während das Tor aus einem Riesigen Stein besteht, den selbst tausend Bergarbeiter nicht innerhalb von einer Woche wegschaffen können. Dazu ist er tief im Berg und ununterbrochen regnen Armbrustbolzen auf einen nieder."

Lyara musterte Theron einen Moment lang. „Wart ihr jemals in einer?"

Theron sah sie an, seine Augen wurden für einen Moment schwer, als hätte die Frage etwas in ihm berührt. „Ja," sagte er schließlich. „In Hallaborg. Es war beeindruckend, aber..." Er hielt inne, als würde er den Satz nicht zu Ende sprechen wollen.

„Aber Caldir betreibt doch effektiven Bergbau im Grauen Berg," widersprach Myrddin.

Gond, der bisher schweigend zugehört hatte, schnaubte leise. „Der Bergbau beschränkt sich noch weit vor dem Tor. Bevor wir die Stadt verlassen haben, brachten wir den Eingangsbereich zum Einsturz. Selbst nach all den Jahren sind die Menschen noch nicht bis zum Eingang durchgedrungen.“

„Also, wie genau wollt ihr in die Zwergenstadt, Lyara?" fragte er direkt. Seine Stimme war nicht unfreundlich, aber durchdrungen von Skepsis.

Lyara hob den Kopf und sah Gond direkt in die Augen. „Ich habe einen Zwerg gefunden, der mich für eine hohe Summe hineinbringen will. Er sagt er kenne einen Nebeneingang."

Ein schweres Schweigen folgte, das nur vom leisen Knistern des Feuers durchbrochen wurde. Gond kniff die Augen zusammen, als würde er Lyara durchschauen wollen.

„Aber warum?" fragte Myrddin schließlich ungläubig. „Wieso will er denn Gold dafür haben? Es war doch früher euer Zuhause oder nicht?" Er schaute Gond fragend an.

Gond richtete sich auf und verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust. „Es ist nicht mehr unser Zuhause," sagte er grimmig. „Nicht seit dem Großen Krieg. Die Ruinen sind nicht nur gefährlich - sie sind ein Ort des Schmerzes, deswegen nennen wir sie nur die Große Halle, der Tränen. Ein Mahnmal an das, was wir verloren haben. Viele von uns können nicht einmal daran denken, dorthin zurückzukehren. Selbst die Zwerge, die hier in Lysor geblieben sind, meiden die alten Hallen wie die Pest."

Lyara schwieg, ihre Augen funkelten im Licht der Feuerstelle, und für einen kurzen Moment wirkte sie beinahe verletzlich. Doch dann straffte sie die Schultern und sprach mit ruhiger, harter Stimme: „Es spielt keine Rolle, warum er es tut. Wichtig ist nur, dass ich dorthin muss. Und das Gold war der einzige Weg."

„Du brauchst es also, um einen Zwerg dazu zu bringen in die Hallen des Schmerzes zurück zu kehren zu," stellte Gond mit bitterem Nachdruck fest.

„Es ist meine einzige Chance," entgegnete Lyara scharf. „Ich komme hinein, und das ist alles, was zählt."

„Es ist wichtig einen guten Führer zu haben. Einen loyalen Führer durch die Hallen. Für meine Brüder und Schwestern in den anderen Städten lege ich meine Hand ins Feuer, aber ein Zwerg hier in Lysor." Er schüttelte den Kopf.

„Aber wieso für die Zwerge hier nicht in Lysor?“ fragte Myrddin neugierig.

Statt Gond antwortete Betunia auf seine Frage, mit einer fürsorglichen mütterlichen Ruhe. „Du musst wissen, das wir in unseren Städten eine Mentalität, der Gleichheit aller und der Hilfe für jeden haben. Aber hier...“ sie schwieg kurz. „...Diese Stadt verändert uns. Es wird nur noch auf sein eigenes Wohl geachtet, ungeachtet der Folgen für andere.“

„Das heißt, es ist dem Zwerg nicht unbedingt zu vertrauen, das er dich nicht verpfeift,“ fasste Theron die Situation zusammen.

„Ganz genau.“ stimmte ihn Gond zu.

Lyara antwortete nicht sondern schaute auf ihre Hände. Theron sah es und wusste das sie es dennoch

„Es gibt nur einen Haupteingang in die alten Ruinen," fuhr Gond fort und deutete mit einer Hand in die allgemeine Richtung des Grauen Berges. „Unter der Kontrolle der Soldaten von Caldir. Sie holen die letzten verbliebenen Rohstoffe heraus, die der Berg noch hergibt. Aber die Nebeneingänge..."

Er hielt inne und sah Lyara eindringlich an. „Die Nebeneingänge sind verborgen. Sie fügen sich nahtlos in den Stein ein, sodass nur Zwerge sie finden können. Und wenn du wirklich glaubst, dass dieser Zwerg dich da reinbringen wird, dann hoffe ich, dass du ihm sehr genau auf die Finger schaust."

„Ich werde niemandem blind vertrauen," erwiderte Lyara kalt.

Theron musterte sie aus den Augenwinkeln. Trotz ihrer Härte konnte er die flüchtige Unsicherheit in ihrem Blick erkennen. Sie war nicht unverwundbar - nur gut darin, es zu verstecken.

Gond lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und brummte nachdenklich. „Es ist ein großer Berg, Lyara. Selbst mit einem Zwerg, der die Eingänge kennt, wirst du in den Ruinen auf Probleme stoßen. Sie sind ein Labyrinth, gebaut, um Angreifer zu verwirren und in die Irre zu führen. Ohne einen erfahrenen Führer wirst du dich verlaufen."

Lyara funkelte ihn an. „Ich habe keine andere Wahl."

„Vielleicht hast du eine," sagte Gond langsam und sah sie mit einem Blick an, der gleichzeitig prüfend und nachdenklich war. „Ich kenne die alten Hallen. Nicht alle, aber genug, um dich zu führen. Wenn deine Kameraden dort sind, kann ich helfen."

Lyara wirkte überrascht, fast ungläubig. „Du würdest das tun? Warum?"

Gond schnaubte und sah sie mit einer Mischung aus Mitleid und Trotz an. „Weil es unser Berg ist, auch wenn wir ihn verloren haben. Und ich werde verdammt sein, wenn ich zulasse, dass irgendjemand ihn weiter entweiht - auch nicht eine Bande von Banditen. Außerdem," fügte er mit einem schiefen Grinsen hinzu, „habe ich einen Sinn für Gerechtigkeit."

Theron hob eine Augenbraue. „Großzügig von dir."

„Nenn es, wie du willst," brummte Gond. „Aber wenn wir das machen, dann richtig. Keine halben Sachen. Wir planen das gründlich, und ich führe euch."

Lyara schwieg einen Moment, dann nickte sie langsam. „Gut. Aber ich werde nicht auf dich warten, wenn du zurückbleibst."

Gond grinste breit. „Darauf kannst du dich verlassen, Kindchen."

Myrddin, der das Gespräch schweigend verfolgt hatte, räusperte sich schließlich. „Ein faszinierender Plan," sagte er trocken. „Aber bevor ihr eure edle Rettungsmission startet, sollten wir darüber nachdenken, wie wir nicht alle dabei draufgehen."

Lyara rollte mit den Augen. „Du brauchst nicht mitzukommen, Mensch."

Myrddin grinste und lehnte sich zurück. „Oh, ich komme nicht mit. Ich genieße meine Zeit hier bei Betunia. Außerdem muss ja einer erklären, warum der Gefangene nicht mehr da ist und es keine Verbindung zu der Person gibt, die die Wachen getötet hat.“

 

Seit dem frühen Nachmittag wanderten sie schweigend den schmalen Pfad entlang, der sich durch die hügelige Landschaft zog und immer näher an den imposanten Grauen Berg heranführte. Die massiven Felswände ragten wie die stummen Überreste eines längst vergangenen Zeitalters über ihnen empor, von Narben durchzogen und von der Zeit gezeichnet. Umhüllt von schwarzen Mänteln waren sie unauffällig aus Lysor verschwunden, als das geschäftige Treiben im Eisenviertel auf seinem Höhepunkt war. Nun, in der Einsamkeit der Natur, war das hektische Leben der Stadt nur noch eine ferne Erinnerung, einzig durch die Rauchschwaden unter ihnen in der Stadt noch sichtbar.

Die Schatten des Berges hatten sich wie kalte Finger über die Landschaft gelegt. Der Wind wehte schneidend durch die Schluchten, trug den Geruch von altem Stein mit sich, und die Kälte kroch durch die dicken Stoffmäntel, die sie trugen.

„Wie lange noch?“ fragte Theron schließlich, seine Stimme unterbrach die drückende Stille. Er sprach absichtlich leise, als wolle er die mächtige Präsenz des Berges nicht stören.

Gond, der vorneweg marschierte, drehte sich halb um, ohne sein Tempo zu verringern. „Nicht mehr lange,“ brummte er. „Der Eingang ist nah. Aber haltet euch bereit – er ist schwer zu finden, selbst für einen Zwerg.“

Lyara warf Theron einen flüchtigen, leicht genervten Blick zu. „Wenn dir der Weg zu anstrengend ist, hättest du auch in der Stadt bleiben können.“

Theron zuckte mit den Schultern und schmunzelte. „Ich will nur sicherstellen, dass wir nicht den halben Berg umrunden, bevor wir ankommen.“

„Der halbe Berg wäre mir lieber, als dein Gejammer,“ murmelte Lyara, richtete ihren Blick jedoch wieder auf Gond, der plötzlich anhielt.

„Seid still,“ befahl der Zwerg leise. Er ging in die Hocke und ließ seine fingerlosen Handschuhe über den Fels gleiten. Seine Bewegungen waren präzise, fast andächtig, während er die raue Oberfläche abtastete. „Hier irgendwo…“ murmelte er und runzelte die Stirn.

„Ich sehe nur Steine,“ murmelte Lyara skeptisch.

„Das ist der Punkt,“ erwiderte Gond trocken. „Wäre der Eingang leicht zu erkennen, hätten wir ihn genauso gut mit einem Schild markieren können.“

Theron unterdrückte ein Lächeln, während Lyara Gond einen mürrischen Blick zuwarf.

Theron und Lyara schwiegen und beobachteten, wie Gond mit geübten Händen den Stein untersuchte. Nach einem Moment zog er einen kleinen, mit Runen versehenen Stein aus seiner Tasche und ließ ihn in langsamen Kreisen über die Felswand gleiten. Es war, als ob der Berg den Zauber des Steins erkannte – ein leises Klicken ertönte, gefolgt von einem tiefen Grollen. Ein quadratischer Umriss erschien auf der Felsoberfläche, und langsam glitt der Stein in sich zusammen, bevor er zur Seite schob und einen dunklen Durchgang freigab.

„Bleibt dicht bei mir,“ sagte Gond und trat in den dunklen Durchgang. „In den Hallen kann man sich schneller verirren, als ihr glaubt.“

Theron und Lyara zögerten nur kurz, bevor sie ihm folgten.

„Brauchen wir keine Fackeln?“ fragte Theron, als das letzte Tageslicht hinter ihnen verschwand und der Fels sich mit einem donnernden Knall schloss. Dunkelheit verschlang sie, so dicht, dass Theron nicht einmal seine eigenen Hände vor Augen sehen konnte.

Gond lachte leise. „Geduld, Mensch.“

Ein bläulicher Schimmer begann plötzlich, den Gang vor ihnen sanft zu erhellen. Zarte Pilze, die an den Wänden und auf dem Boden wuchsen, tauchten die Umgebung in ein geisterhaftes Licht. Der Anblick war zugleich beruhigend und unheimlich.

„Beeindruckend,“ sagte Theron leise, während sein Blick über die leuchtenden Pilze wanderte.

„Zwerge denken an alles,“ erklärte Gond mit einem Anflug von Stolz. „Diese Pilze wachsen nur in völliger Dunkelheit. Wir haben sie kultiviert, um unsere Wege auch ohne Feuer zu erhellen.“

Lyara musterte die Umgebung mit einem gemischten Ausdruck aus Faszination und Vorsicht. „Nicht schlecht,“ gab sie zu.

„Kommt,“ drängte Gond. „Es ist noch ein weiter Weg bis zu den Großen Hallen. Und seid leise – die Gänge tragen jedes Geräusch.“

Sie folgten Gond durch den gewundenen Pfad, der sich durch den Berg zog. Die Stille war erdrückend, unterbrochen nur vom leisen Knirschen ihrer Schritte auf dem Fels. Die Gänge waren schmal, und Theron fiel auf, wie unregelmäßig sie verliefen – sie wand sich in Kurven und Spiralen, ohne ersichtlichen Grund.

Nach einiger Zeit erreichten sie eine größere Halle. Eine glatt polierte Wand aus Stein erhob sich auf einer Seite, während der Rest des Raumes grob behauen war. Das schwache, blaue Licht der Pilze reichte kaum aus, um die Decke zu erahnen.

„Sind wir schon da?“ fragte Lyara leise, ihre Stimme klang aber hier unnatürlich laut.

Gond lachte leise, ein bitteres, fast melancholisches Geräusch. „Nein. Das hier sind die kleinen Hallen des Clans Silarg – meines Clans. Wir gehen noch ein stück bis zu den Großen Hallen .“

Lyara runzelte die Stirn. „Warum habt ihr nicht nur die Großen Hallen?“

Gond hielt inne und drehte sich zu ihr um. „Unsere Städte waren immer zweigeteilt. Die Großen Hallen gehörten allen Zwergen – ein Ort der Gemeinschaft. Die Kleinen Hallen jedoch… das waren unsere Heimstätten, die Städte der einzelnen Clans. Jeder Clan hatte seinen Bereich, und jeder Bereich war einzigartig.“ Seine Stimme war leise geworden, fast wehmütig. „Doch jetzt… jetzt sind es nur noch Ruinen.“

Theron musterte die glatte Wand, die sich vor ihnen erstreckte. „Wie viele Clans lebten hier?“ fragte er schließlich.

„Drei große,“ antwortete Gond. „Silarg, Cairnac und Gearan. Dazu kamen noch mehrere kleinere Clans die aber in den Großen integriert waren.“

Gond wandte sich ohne ein weiteres Wort wieder dem Gang zu und schritt voran. „Kommt, es dauert noch ein bisschen, bis wir da sind,“ murmelte er über die Schulter.

Theron und Lyara folgten ihm, während der Gang sich allmählich veränderte. Die rau behauenen Wände, die bisher den Weg gesäumt hatten, gingen in glatt polierte Steinflächen über. Fresken und kunstvolle Reliefs, die direkt in den Fels gehauen worden waren, erstreckten sich entlang der Wände. Einige waren so groß, dass sie ganze Abschnitte bedeckten und Geschichten aus einer längst vergangenen Zeit zu erzählen schienen – Darstellungen von Zwergenkriegern in Schlachten, von feiernden Festen und der Errichtung prächtiger Hallen.

Theron beobachtete Gond, der beim Anblick der alten Kunstwerke innehielt. Die Augen des Zwergs wirkten schwer, und seine Aura, die Theron leicht wahrnehmen konnte, leuchtete in einem melancholischen Blau. Es war, als würde Gond in den Abbildungen seiner Ahnen für einen Moment verloren gehen.

Plötzlich weitete sich der Gang und gab eine atemberaubende Szenerie preis. Mehrere schmale Brücken überspannten einen reißenden Fluss, der tief unter ihnen durch die Schlucht donnerte. Das Wasser sprühte weiße Gischt, während es über die Steine schoss, und das Geräusch des tosenden Stroms wurde von den Wänden zurückgeworfen, sodass es wie ein mächtiges Echo klang, das den gesamten Raum erfüllte.

Lyara blieb stehen, ihre grünen Augen weiteten sich, als sie die imposante Szenerie betrachtete. Die Brücken schienen wie Kunstwerke aus Stein zu sein – meisterhaft gefertigt, ohne erkennbare Nähte oder Schwachstellen. Sie wirkten so schmal, dass sie wie feine Fäden über den Abgrund gespannt schienen, und doch strahlten sie eine Aura von Stabilität aus, die unerschütterlich war.

Gond bemerkte ihr Zögern und hielt an. „Beeindruckend, nicht wahr?“ sagte er mit einem Hauch von Stolz in der Stimme. „Das ist nur ein Bruchteil, was meine Vorfahren erschaffen haben.“

„Wie ist das möglich?“ fragte Lyara, ihre Stimme klang fast ehrfürchtig.

Gond grinste breit, als würde er die Frage erwartet haben. „Zwergenhandwerk,“ sagte er schlicht und trat auf eine der Brücken zu.

Theron und Lyara folgten ihm vorsichtig. Die Brücke, auf die Gond zusteuerte, führte zu einem höher gelegenen Eingang, der in der gegenüberliegenden Wand verborgen war. Das Rauschen des Flusses unter ihnen war so laut, dass es fast alle anderen Geräusche übertönte, und der Boden vibrierte leicht unter der unbändigen Kraft des Wassers.

Lyara blickte sich noch einmal um, bevor sie Gond folgte. Ihre Bewegungen waren geschmeidig und sicher, aber in ihrem Blick lag immer noch ein Hauch von Verwunderung. Theron hingegen war weniger beeindruckt von der Aussicht und hielt seine Augen auf den schmalen Weg vor sich gerichtet. „Lasst uns das schnell hinter uns bringen,“ murmelte er, mehr zu sich selbst als zu den anderen, während sie vorsichtig die Brücke betraten.

Die drei traten vorsichtig auf die Brücke. Sie war schmal, aber mit meisterhafter Präzision gefertigt. Jede Platte aus poliertem Stein war nahtlos in die nächste eingefügt, ohne dass ein Übergang zu erkennen war. Das Rauschen des reißenden Flusses unter ihnen dröhnte in ihren Ohren, und die Feuchtigkeit in der Luft ließ die Steine leicht glitzern.

Lyara ging als Erste und bewegte sich mit der Geschmeidigkeit einer Katze. Ihr Blick huschte immer wieder zur anderen Seite der Schlucht, als wolle sie sicherstellen, dass der Eingang, den sie erreichen mussten, nicht plötzlich verschwand. Gond folgte ihr mit schweren, gemessenen Schritten, sein Gesicht war konzentriert, und er murmelte etwas auf Zwergisch, das wie ein Gebet klang. Theron hielt sich hinten, seine Augen wanderten nervös über die Brücke und die dunklen Wassermassen darunter.

Plötzlich hörte man ein leises Knirschen.

„Was war das?“ fragte Theron angespannt und blieb stehen.

Gond hielt inne und sah sich um. „Nichts, was nicht normal wäre,“ murmelte er, aber in seiner Stimme schwang eine leichte Unsicherheit mit. „Die Brücken hier sind jahrhundertelang ohne Pflege geblieben. Sie sind stabil, aber… selbst Zwergenarbeit hat ihre Grenzen.“

„Das beruhigt mich nicht gerade,“ brummte Theron, doch er setzte seinen Weg fort.

Sie hatten die Mitte der Brücke fast erreicht, als ein lautes Knacken die Luft durchdrang. Theron spürte plötzlich, wie der Boden unter ihm nachgab. Ein Teil der Brücke brach mit einem scharfen Riss weg, und er fiel, bevor er überhaupt reagieren konnte.

Reflexartig griff Theron nach dem Rand der Brücke und schaffte es, sich mit den Fingerspitzen an einer herausragenden Kante festzukrallen. Der reißende Fluss rauschte unter ihm, und kalter Schweiß lief ihm über die Stirn. Seine Arme zitterten unter der Anstrengung, und die Feuchtigkeit der Luft machte den Stein rutschig.

Lyara war blitzschnell. Sie warf sich flach auf die Brücke, packte Therons Handgelenk und zog mit aller Kraft. Ihre Stärke überraschte ihn, und für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Er spürte ihre Wärme, ihre Finger, die fest und doch überraschend sanft waren. Ihr Duft – eine Mischung aus frischen Kräutern und Wald – wirkte völlig deplatziert in dieser Welt aus Stein.

„Konzentrier dich, Mensch!“ fauchte sie, als sie bemerkte, dass Theron für einen Moment innegehalten hatte. „Zieh mit!“

Mit einem letzten Kraftaufwand zog sie ihn nach oben, und er schaffte es, wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen. Beide atmeten schwer, während sie einen Moment lang still nebeneinander knieten.

„Danke,“ murmelte Theron schließlich, seine Stimme leise.

Lyara erwiderte nichts. Sie richtete sich nur auf, klopfte sich den Staub von den Händen und drehte sich um, als wäre nichts geschehen. Doch Theron bemerkte, dass sie ihn für einen kurzen Moment mit einem weichen Ausdruck in den Augen ansah, bevor sie ihren üblichen, harten Blick wieder aufsetzte.

„Keine Zeit für Pausen!“ rief Gond, der bereits weiter vorne stand. Doch plötzlich erklang ein weiteres Knacken – diesmal lauter, gefolgt von einem tiefen Grollen.

„Die Brücke!“ murmelte Gond.

Der Boden begann unter ihren Füßen zu beben, und Risse zogen sich mit alarmierender Geschwindigkeit über die restlichen Steinplatten.

„Lauft!“ brüllte Gond und begann zu rennen.

Theron und Lyara setzten sich sofort in Bewegung. Die Brücke hinter ihnen brach nun Stück für Stück weg, und der Abgrund schien sie zu verfolgen. Die großen Steine fielen auf die Brücken unter ihnen und Rissen sie ebenfalls in die Tiefe. Der Lärm des brechenden Steins mischte sich mit dem Dröhnen des Flusses, während der Boden unter ihren Füßen immer instabiler wurde.

Lyara überholte Gond und erreichte das Ende der Brücke als Erste und sprang mit einem geschmeidigen Satz auf festen Boden. Theron folgte dicht hinter ihr, seine Beine schmerzten von der Anstrengung, doch er ignorierte es und konzentrierte sich auf den rettenden Vorsprung.

Gond hinkte leicht und war langsamer als die beiden. Als er sich dem Ende der Brücke näherte, brach der letzte Abschnitt direkt hinter ihm weg. Theron, der gerade den sicheren Stein erreichte, drehte sich um und streckte dem Zwerg die Hand entgegen.

„Komm schon, Gond!“ rief er und beugte sich gefährlich weit nach vorne.

Gond sprang mit einem tiefen Brummen, und Theron packte ihn im letzten Moment am Arm. Der Schwung riss Theron fast mit, doch er stemmte sich gegen den Boden und zog Gond mit einem letzten Kraftaufwand nach oben. Beide landeten schwer atmend auf dem festen Stein.

Die Brücke hinter ihnen war verschwunden. Nur noch vereinzelte Steinsplitter hingen an der Felswand, und das Rauschen des Flusses schien für einen Moment das einzige Geräusch zu sein.

„Das… war knapp,“ keuchte Theron.

Gond saß schwer atmend neben ihm und nickte. „Ohne Wartung…“ begann er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Selbst die stabilsten Brücken geben irgendwann nach. Nichts hält ewig – nicht einmal Zwergenarbeit.“

Lyara stand etwas abseits, ihre Arme verschränkt, während sie die beiden betrachtete. „Das nächste Mal wählt ihr einen stabileren Weg,“ sagte sie trocken, doch ein flüchtiges Lächeln huschte über ihre Lippen.

„Das nächste Mal?“ fragte Theron mit einem müden Grinsen, während er sich langsam aufrichtete. „Ich hoffe, das bleibt uns erspart.“

Gond schnaubte, stand schwerfällig auf und deutete auf den Gang vor ihnen. „Wir sind fast da. Noch ein Stück, und wir erreichen die Großen Hallen.“

Theron und Lyara nickten. Gemeinsam setzten sie ihren Weg fort, das Echo ihrer Schritte hallte durch die leeren Gänge, während das Abenteuer tief im Herzen des Grauen Berges weiterging.

Als sich der Gang vor ihnen vollends in die Großen Hallen hin öffnete, blieb Theron und Lyara nichts anderes übrig als stehen zu bleiben und den Anblick erstmal zu verarbeiten.

Die Großen Hallen waren eine gigantische Kaverne, in der sie lediglich wie ein Sandkorn wirkten. Aus der elliptischen Form erhob sich im Zentrum eine Gigantische Säule, die sich von dem glühenden Lavafluss weit unten, bis zu den dunklen decken der Kaverne erstreckte. Die komplette säule war mit gigantischen Fresken übersät, die hauptsächlich normale Zwerge darstellte. Von der riesigen Säule gingen unzählige Brücken ab, die zum Rand der Kaverne oder zu kleineren Säulen oder Plattformen führte. Es wirkte wie ein gigantisches Spinnennetz aus Stein. Das durch das glühen der Lava in ein Warmes gelbliches Licht getaucht würde.

„Unglaublich,“ war das einzige was Lyara herausbrachten, mit einer Miene wie ein erstaunt es Kind, was zum ersten Mal eine große Brücke sah.

Theron konnte es durchaus nachvollziehen. Obwohl er schon einmal in Hallaborg, in einen der kleinen Hallen war, war dieser Anblick etwas anderes. Er sah zu Gond hinüber, in dessen Gesicht Tränen erschienen.

„Wie sollen wir die Banditen hier überhaupt finden?“, fragte Theron und unterbrach damit die Faszination.

Gond wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und schaute Theron entschlossen an. „Ich werde sie finden, selbst wenn es das letzte ist, was ich tue. Ich kann es nicht ertragen, das ein paar räudige Banditen diesen Ort weiter entweihen.“ Er zog eine alte Axt aus seinem Gürtel, die schon bessere Tage gesehen hatte. Aber Theron war sich sicher das die schneide mindestens so scharf wie seine Schwerter waren.

„Und ich werde helfen und sie zur Rechenschaft ziehen, das sie meine Kameraden entführt haben,“ stimmte ihn Lyara zu.

„Seht gut, dann lass uns auf die Suche gehen,“ sagte Gond entschlossen.

„Ich glaube, das brauchen wir nicht mehr,“ sagte Theron unverblümt.

Die beiden schauten ihn fragend an. „Weißt du etwas wo sie sind?“

Theron schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht aber dort oben,“ er zeigte auf die Hauptsäule, „in einem kleinen Fenster sehe ich ein kleines Licht. Ich kann mir nicht vorstellen, das dort ebenfalls Lava sein sollte.“

„Du hast Recht,“ bestätigte Lyara. „Da scheint wirklich ein Licht zu sein.“

„Dann mal los,“ sagte Gond und stapfte auf einer der Brücken zu. „Kommt schon.“ Er drehte sich zu den beiden um.

Lyara und Theron schauten sich unsicher an. Bis Lyara nur mit den Schultern zuckte. „Bringt ja nichts, ich kann schließlich nicht fliegen und sonst sehe ich keine möglichkeit, dort hinüber zu kommen.“

Theron lächelte schief. „Ich hoffe du musst mich dann nicht wieder retten.“

Sie schenkte ihm ein leichtes lächeln, bevor Gond, der bereits schon zu hälfte auf der Brücke war, wild mit den händen gestikulierte.

Während sie auf den Brücken, der hauptsäule immer näher kamen, versuchten sie soweit wie möglich sich an den Brückengeländer zu orientieren um nicht plötzlich entdeckt zu werden. Sie sahen auch ein gutes Dutzend von Menschen in der Ferne die ebenfalls auf den Brücken hin und her liefen. Was sie genau machten, war schwer auszumachen aber Theron bemerkte wie sich Gonds Aura immer mehr rot färbte.

„Warum hast du eigentlich keinen Bogen,“ flüsterte Theron Lyara zu.

Sie bedachtete ihn mit einem wütenden Blick. „Meinst du, nur weil ich eine Elfe bin, kann ich automatisch Bogen schießen oder was? Ich gehe ja auch nicht davon aus, nur weil du ein Mensch bist, das du sofort alle Elfen töten willst.“

„Ich bin nicht wirklich ein Mensch,“ entgegnete Theron trocken.

Lyara setzte einen Blick auf, der töten konnte.

„Psst,“ unterbrach Gond die beiden. „Ihr könnt euch nachher hauen, wenn ihr das wollt.“

Sie schwiegen und gingen weiter, bis sie den Eingang der Säule erreichten.

Am Ende der Brücke führte ein imposantes Steintor, das übersät mit Zwergeninschriften war, in das innere der gigantischen Säule. Es war einen Spalt geöffnet, aus dem schwaches Licht drang.

Theron blickte zu Gond und Lyara. Sie nickten ihm zu, und gemeinsam traten sie vorsichtig durch den Spalt.

Der Raum dahinter war gewaltig. Es war eine große, runde Kammer, die von kunstvollen Zwergensäulen getragen wurde. Zur Mitte hin senkte sich der Raum ab, wo ein steinernes Pult stand, umgeben von kreisförmigen Sitzstufen – ein Clanversammlungssaal, wie Gond später erklärte. An den Wänden gingen vereinzelte Fackeln, die den Raum spärlich beleuchteten. Doch ihre Aufmerksamkeit wurde sofort von den zwei Banditen erregt, die direkt hinter dem Tor standen.

Die Männer schienen überrascht, sie zu sehen, doch bevor sie Alarm schlagen konnten, steckte bereits eines von Therons Kurzschwertern dem einen Banditen im Hals, der gurgelnd zu Boden ging und dem anderen Banditen steckte Gond Axt mitten im Gesicht und teilte es so förmlich in zwei hälften.

„Das war knapp,“ sagte Theron trocken und zog sein Schwert aus dem Hals des Banditen.

„Ein Glück, dass sie unaufmerksam waren,“ stimmte Lyara zu. „Aber wir sollten uns beeilen.“

Die drei gingen vorsichtig weiter, schlichen die Treppen hinauf, die spiralförmig und kunstvoll nach oben führten. Teilweise, waren sie mitten im Raum platziert und boten einen guten Ausblick, um nach potentiellen Banditen ausschau zu halten.

Dann in einem der oberen Gänge entdeckten sie vier weitere Banditen, die sich gerade besauften und laut lachte. Theron, Lyara und Gond wechselten wortlos einen Blick, dann schlichen sie sich leise an.

Theron übernahm den Ersten, dessen Rücken ihm zugewandt war. Mit einem schnellen Stoß rammte er ihm das Schwert in den Rücken, bevor er ihn lautlos zu Boden gleiten ließ.

Lyara sprang geschmeidig auf den Nächsten zu. Ihr Schwert durchtrennte seine Kehle, und er fiel mit einem dumpfen Laut zu Boden.

Gond schnitt mit einem wuchtigen Hieb seiner Axt durch die Brust eines weiteren Mannes, während der letzte Bandit die Augen weit aufriss und nach seinem Schwert griff. Doch bevor er es ziehen konnte, hatte Lyara ihm ihre Klinge in den Bauch gerammt.

„Gut gemacht,“ sagte Gond leise. „Aber jetzt müssen wir uns beeilen.“

Doch plötzlich ertönte ein tiefes Horn aus den unteren Ebenen der Säule.

„Verdammt,“ fluchte Gond. „Sie wissen, dass wir hier sind! Sie haben wahrscheinlich ihre toten Kameraden gefunden.“

Von unten hörten sie bereits Schreie der Banditen und das laute Stampfen von schweren Stiefeln.

„Wir müssen hoch!“ rief Lyara und rannte die Treppe weiter hinauf.

Die kunstvollen Treppen, die teilweise frei in den Raum ragten, schienen immer steiler zu werden, während das Echo ihrer Verfolger lauter wurde. Das Geräusch von Schritten, die in Eile die Stufen erklommen, hallte ihnen bedrohlich hinterher.

„Schneller!“ rief Gond, während sie um eine weitere Wendung liefen.

Die Schreie und Rufe der Banditen wurden immer lauter. Es waren deutlich mehr als Theron mit gerechnet hat. Doch es brachte nichts darüber nachzudenken. Sie erreichen eine kleinere, meisterlich gearbeitete Tür, die offensichtlich zu einem weiteren Raum führte.

Ohne zu warten drückten sie die Tür auf, die Waffen in ihren Händen und für alles Bereit.

Der Raum war im Vergleich zu den weitläufigen Hallen, die sie zuvor durchquert hatten, klein. Doch vielleicht wirkte er nur so, weil er vollgestellt war. Die Wände waren übersät mit Insignien und Bannern, die die Symbole der zwergischen Clans trugen, daneben hingen Waffen und Werkzeuge – Erinnerungen an eine einst stolze und blühende Gemeinschaft. Der Mittelpunkt des Raums wurde von einem massiven Steintisch dominiert, der den Grauen Berg in feinster Kartografie abbildete. Um den Tisch herum standen sieben kunstvoll gemeißelte Steinthrone, die jedoch nicht mehr von Zwergen besetzt waren.

Auf einem der Throne saß ein Bandit, leger zurückgelehnt, die Beine über eine der Armlehnen geworfen. Sein Grinsen war breiter als es sein sollte, und seine Augen funkelten vor unverhohlener Boshaftigkeit. Um den Tisch herum standen sechs weitere Banditen, ihre Gesichter grimmig, und die Hände an ihren Waffen.

Als die Gruppe eintrat, griffen die Männer sofort nach ihren Schwertern, doch der Anführer hob gelassen eine Hand, um sie zurückzuhalten. „Wartet, wartet, Jungs,“ sagte er in einem schmierigen Ton und stand langsam auf. „Seht euch das an. Was für ein interessanter Haufen. Eine Elfe, ein Zwerg und…“ Sein Blick blieb auf Theron hängen. „Einfacher Mensch.“

Er schlenderte gelassen durch den Raum und tat so, als würde er die Waffen an den Wänden inspizieren, doch seine Augen lagen die ganze Zeit wachsam auf den Eindringlingen. „Ich wusste, dass du irgendwann kommen würdest, Elfe,“ sagte er mit einem hässlichen Grinsen. „Aber ich hätte nicht gedacht, dass du dir solch seltsame Gesellschaft ausgesucht hast.“

Hinter ihnen wurden die Schritte und das Brüllen der Banditen lauter.

„Das ist gut,“ fuhr der Anführer ungeachtet fort. „Jetzt seid ihr in der Falle.“

„Ihr werdet bezahlen,“ zischte Lyara. Ihre Stimme bebte vor Wut, doch sie hielt sich zurück, ihre Hand zitterte leicht über dem Griff ihres Schwertes.

Der Anführer zog eine Augenbraue hoch und lächelte höhnisch. „Oh, wirklich? Oder endet es wie bei deinen Freunden?“ Mit einem Kopfnicken wies er auf die Wand hinter ihnen.

Theron folgte seinem Blick, und sein Magen zog sich zusammen. Auf blutigen Haken hingen drei Gestalten. Zwei Elfen und ein Zwerg, ihre Körper entstellt und verstümmelt, ihre Gesichter kaum noch erkennbar. Das getrocknete Blut auf der Wand hinter ihnen schien wie ein schauriges Gemälde, das die Grausamkeit dieser Männer in aller Deutlichkeit zeigte.

Theron sah, wie die Auren von Lyara und Gond blutrot aufflammten. Ihre Körper spannten sich an, und es war nur seinem schnellen Handeln zu verdanken, dass sie nicht sofort losstürmten.

„Nicht jetzt,“ flüsterte er scharf und legte eine Hand auf Gonds Schulter. „Ihr könnt nicht blind in den Tod rennen.“

Hinter ihnen verstummten die Schritte, als ein gutes Dutzend Banditen den Raum betrat und die Tür hinter sich blockierte. Sie grinsten widerwärtig.

„Oh, oh,“ sagte der Anführer in einem spöttischen Tonfall. „Das sieht gar nicht gut für euch aus, nicht wahr? Ihr dachtet wirklich, ihr könntet euch hier hereinschleichen, eure Kameraden befreien und dann still und heimlich verschwinden? So naiv.“

Lyara und Gond schauten ihn an, ihre Gesichter vor Zorn verzerrt. „Bastard,“ fauchten sie gleichzeitig.

Der Anführer schüttelte den Kopf, als wäre er enttäuscht. „Ihr habt ja keine Ahnung, mit wem ihr es hier zu tun habt. Ich bin ein Geschäftsmann, versteht ihr? Ich biete… einzigartige Dienstleistungen an, und es gibt Leute, die gut dafür zahlen.“

„Einfach Nichtmenschen zu töten? Das bedeutet nur das du ein Hundesohn ohne Ehre hast,“ spie Lyara aus. Ihre Stimme war voller Abscheu.

Der Mann lächelte schmieriger denn je. „Oh, und das von einer Elfe zu hören, die gerne Menschen tötet. Ehre gibt es nicht genauso wenig wie Moral. Ich habe sie getötet, weil sie mir kein Geld einbringen. Es gibt genug Leute da draußen, die gewisse… Neigungen haben, versteht ihr? Nichtmenschen, besonders Elfen und Zwerge, sind da eine exquisite Ware, aber Männliche zählen meistens nicht dazu.“

Sein Grinsen war abstoßend, und seine Worte ließen die Luft im Raum noch schwerer werden. Theron spürte, wie die Spannung um ihn herum unerträglich wurde. Er wusste, dass es jeden Moment eskalieren würde.

Der Anführer grinste breit, als er einen Schritt zurücktrat, um sich einen Überblick zu verschaffen. „Allerdings habe ich schon genug geredet. Na, worauf wartet ihr noch?“ rief er und deutete auf seine Männer. „Bringt mir die Elfe lebend und tötet die beiden anderen!“

Die Banditen zögerten nur einen Moment, bevor sie brüllend nach vorne stürmten. Die scharfen Klingen ihrer Schwerter und Äxte blitzten im flackernden Licht der Fackeln auf, während Lyara, Gond und Theron ihre Waffen zogen und sich in einer schnellen Bewegung kampfbereit machten.

Theron duckte sich geschickt unter einem Hieb hinweg, der auf seinen Kopf zielte, und seine beiden Kurzschwerter blitzten in einem tödlichen Halbkreis auf. Der Bandit vor ihm keuchte überrascht, als die Klinge durch seine Seite schnitt. Noch bevor er zu Boden sackte, wirbelte Theron herum und parierte einen zweiten Schlag mit seinen gekreuzten Schwertern, bevor er seinem Gegner mit einem schnellen Stoß die Kehle durchtrennte.

Lyara bewegte sich mit einer katzenhaften Eleganz durch das Chaos. Ihr Schwert war wie eine Verlängerung ihres Körpers, und sie wirbelte in einer tödlichen Choreografie durch die Banditen. Einer der Männer schrie auf, als sie ihm die Beine wegzog, bevor sie ihm mit einer schnellen Bewegung die Klinge in die Brust stieß. Ein anderer stürmte von der Seite auf sie zu, doch sie trat ihm mit einer schnellen Bewegung gegen das Knie, woraufhin er schreiend zusammensackte. Mit einem präzisen Hieb beendete sie sein Leid.

Gond hingegen war ein Sturm aus roher Kraft. Seine Axt zerschmetterte das Schwert eines Angreifers, als wäre es aus Glas, bevor sie mit einem dumpfen Geräusch dessen Schädel spaltete. Ein weiterer Bandit versuchte, ihn von hinten zu überraschen, doch Gond drehte sich mit einem wütenden Brüllen um und ließ die Axt in einem weiten Bogen durch die Luft sausen. Der Bandit wurde von der Wucht des Schlags zur Seite geschleudert und blieb reglos liegen.

Doch die Überzahl der Banditen machte die Situation gefährlich. Zwei Männer griffen gleichzeitig Theron an, der geschickt auswich und ihre Schwerter aneinander abprallen ließ. Ein dritter sprang hinzu, und Theron musste zurückweichen, als die drei ihn in die Enge trieben. Doch bevor sie zuschlagen konnten, wirbelte Lyara heran und stach einem der Männer ins Bein. Der Bandit schrie vor Schmerz auf, und Theron nutzte die Ablenkung, um einen zweiten Mann mit einem schnellen Hieb zur Strecke zu bringen.

„Vorsicht!“ rief Lyara, als der Anführer plötzlich vortrat. Er hatte bisher zugesehen, doch nun zog er ein beeindruckendes Schwert aus seinem Gürtel – eine elegante, geschwungene Klinge, die eindeutig nicht von gewöhnlicher Hand geschmiedet war.

Theron wirbelte herum, gerade rechtzeitig, um den ersten Schlag des Mannes zu parieren. Die Wucht des Aufpralls ließ seine Arme zittern, und er wusste sofort, dass dieser Gegner anders war als die anderen. Der Anführer bewegte sich mit der Geschicklichkeit eines erfahrenen Schwertkämpfers und griff Theron mit präzisen, tödlichen Hieben an.

Theron wich aus und blockte so gut er konnte, doch der Anführer war schnell und unbarmherzig. Ihre Schwerter klirrten laut aufeinander, während sie sich durch den Raum bewegten. Theron versuchte, die Doppelung seiner Kurzschwerter zu seinem Vorteil zu nutzen, doch der Anführer war zu geschickt, um sich leicht aus der Fassung bringen zu lassen.

In der Hitze des Gefechts stieß der Anführer Theron zurück, sodass dieser gegen die Brüstung eines Balkons stolperte, der an den Raum grenzte. Die Luft war kühl und die Lava tief unten, trug den schwefeligen Geruch bis zu ihnen hinauf.

„Ich werde dir zeigen, was es heißt, mir in die Quere zu kommen!“ knurrte der Anführer, während er auf Theron zustürmte.

Theron wich knapp einem weiteren Schlag aus, der ihn fast von den Beinen gerissen hätte. Er konterte mit einem schnellen Stoß, doch der Anführer blockte die Klinge mit einer eleganten Drehung ab. Ihr Kampf verlagerte sich weiter auf den Balkon, wo sie sich gegenseitig immer näher an den Rand drängten.

In einem verzweifelten Moment wich Theron einem weiteren Hieb aus und trat nach vorne, um den Mann zu rammen. Doch der Anführer war schneller. Mit einem gezielten Tritt brachte er Theron aus dem Gleichgewicht, und er stürzte über die Brüstung.

Doch der Sturz war schnell vorbei. Er spürte schnell harten Boden unter sich -  er war auf einer der unteren Brücken gelandet, die die Säule mit dem Rand der Halle verbanden und vielleicht fünf Meter unter dem Balkon lag. Der Aufprall ließ ihn dennoch keuchen, doch er rollte sich ab und kam gerade noch rechtzeitig wieder auf die Beine, um den nächsten Schlag des Anführers zu parieren, der zu ihn herunter gesprungen kam.

„Du bist zäher, als ich dachte,“ gab der Mann zu, während er Theron weiter mit geschickten Angriffen unter Druck setzte.

Theron war inzwischen außer Atem, doch er bemerkte, dass der Mann sich immer weiter an den Rand der Brücke bewegte. Theron wusste, das er es beenden sollte, die anderen brauchen sicherlich noch seine Hilfe.

Er täuschte einen Angriff von links an, doch im letzten Moment zog er die Klinge zurück und stieß mit seinem rechten Schwert nach vorne. Der Anführer wich aus, doch das Manöver brachte ihn weiter aus dem Gleichgewicht. Theron nutzte die Gelegenheit und trat mit aller Kraft gegen die Knöchel des Mannes.

Der Anführer stolperte, ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten, doch es war zu spät. Sein Fuß rutschte über den Rand der Brücke, und mit einem letzten, wütenden Aufschrei stürzte er in die Tiefe. Theron sah, wie die Silhouette des Mannes immer kleiner würde und von dem gelblichen Licht der Lava verschluckt wurde, bevor er schließlich vollständig verschwand.

Keuchend ließ Theron die Schwerter sinken und drehte sich um. Er rannte die Brücke zur Säule entlang und versuchte so schnell wie möglich Lyara und Gond zu unterstützen, aber vor allem Lyara.

Theron stürmte über die Brücke zurück zur Säule, sein Atem schwer und seine Beine brennend. Das Klirren von Stahl und die erstickten Schreie der Banditen hallten immer noch durch die riesige Halle.

Als er den Eingang des Raumes erreichte, bot sich ihm ein Bild des Grauens. Blut bedeckte den Boden wie ein dunkler Teppich, und die Wände schienen vom Kampf gezeichnet. Überall lagen reglose Körper – einige der Banditen stöhnten leise, während andere in unnatürlichen Positionen still lagen. Doch inmitten dieses blutigen Chaos standen Lyara und Gond.

Lyara stützte den schwer verletzten Zwerg, dessen Gesicht aschfahl war. Eine Hand presste er fest gegen seine Seite, wo dunkles Blut durch die Finger sickerte. Trotz der Erschöpfung funkelte in seinen Augen ein sturer, unbeugsamer Blick.

„Das sieht schlimmer aus, als es ist,“ keuchte Gond, seine Stimme brüchig, doch voller Trotz.

„Wo warst du?“ fuhr Lyara ihn an. Ihr Gesicht war rot vor Zorn, ihre Haare klebten ihr an der Stirn, und ihre Brust hob und senkte sich in schnellen Atemzügen. Doch hinter ihrer Wut lag etwas anderes – Sorge.

„Ich musste mich um etwas kümmern,“ antwortete Theron knapp, während er auf die beiden zuging. Seine Augen suchten unwillkürlich Lyara, und er fühlte einen Anflug von Erleichterung, sie unverletzt zu sehen. „Was ist mit ihm?“

„Er hat eine tiefe Wunde, ich habe die Blutung gestoppt, aber er braucht einen Arzt,“ sagte Lyara. Ihre Stimme hatte ihren harten Ton verloren und klang beinahe besorgt. „Hilf mir, ihn zu stützen. Ich hab kein Bock, dass er uns hier abkratzt und vor allem nicht Betunia erklären, warum er nicht mehr wiederkommt.“

Theron nickte, schob sich unter Gonds anderen Arm und half, ihn aufrechtzuhalten. Der Zwerg grunzte leise vor Schmerz, doch er lehnte sich schwer auf die beiden.

„Wir haben es diesen Misskerlen gezeigt,“ murmelte er schwach.

„Spar deine Kraft,“ sagte Theron und warf ihm einen schiefen Blick zu. „Du musst uns noch hier heraus führen.“

Lyara lächelte flüchtig und warf einen traurigen Blick auf die Wand, wo ihre Kameraden hingen. „Dann kommen wir wieder und würdigen unseren Kameraden.“

Theron nickte und zusammen bewegten sie sich, langsam aber stetig, durch den Raum, während die Überreste des Kampfes wie ein stiller Zeuge hinter ihnen zurückblieben.

Theron lag allein im Bett des kleinen Zimmers. Die kühle Nachtluft strömte durch das leicht geöffnete Fenster herein, und die Flamme der Kerze warf unruhige, tanzende Schatten an die niedrige Holzdecke. Seine Gedanken kreisten um die Ereignisse der letzten Tage. Trotz der Müdigkeit fand er keinen Schlaf. Das Abenteuer – wenn er es so nennen konnte – lag hinter ihnen, doch die Erinnerungen ließen ihn nicht los.

Nach ihrer Rückkehr aus den Ruinen hatten sie Gond in Betunias Obhut gelassen. Der Zwerg war schwer verletzt gewesen, doch seine Entschlossenheit hatte ihn bis in die Stadt getragen. Betunia hatte ihn zuerst wüst beschimpft, bevor sie in Tränen ausbrach und sich voller Zuneigung um seine Wunden kümmerte. Theron hatte das Bild in seinem Kopf behalten – ein Moment, der gleichermaßen herzzerreißend wie warm gewesen war.

Doch die Erleichterung währte nur kurz. Myrddin hatte bereits auf sie gewartet, seine Haltung war eine Mischung aus Gereiztheit und Besorgnis gewesen.

„Ich habe mit Aldren gesprochen,“ hatte er gesagt, kaum dass sie das Haus betreten hatten. „Ich dachte, ich könnte ihn überzeugen, die Sache mit den toten Wachen… und euch,“ sein Blick war kurz zu Theron und Lyara gewandert, „unter den Teppich zu kehren. Aber er hat mich abblitzen lassen.“

Theron erinnerte sich an den verächtlichen Unterton in Myrddins Stimme, als er „unter den Teppich kehren“ sagte. Der Zauberer hatte lautstark geklagt, wie Aldren – sein eigener Schwager – ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte.

„Er würde uns alle am liebsten am Galgen sehen,“ hatte Myrddin mit einem bitteren Lächeln hinzugefügt. „Lediglich die Liebe zu meiner Schwester – Lina – hat ihn zurückgehalten. Er hat uns zwei Tage gegeben, um Caldir zu verlassen. Danach setzt er ein Kopfgeld auf uns aus.“

Zwei Tage. Kaum genug Zeit, um Luft zu holen und ein so großes Königreich wie Caldir zu verlassen.

Doch bevor sie die Stadt verließen, mussten sie noch einmal zurück in den Grauen Berg. Sie hatten etwas zu erledigen. Gond, dessen Verletzungen ihn ans Bett fesselten, musste zurückbleiben – ein Umstand, der ihn sichtlich quälte. „Wenn ich könnte, würde ich euch begleiten,“ hatte er gesagt, doch Betunia hatte ihn mit einem entschlossenen Blick zurückgehalten.

Gemeinsam mit einem Dutzend zwergischer Helfer, die Betunia organisiert hatte, kehrten sie in die Ruinen zurück. Die Mission war still und düster. Die toten Banditen wurden aus dem Ratssaal geschleppt und einer nach dem anderen in die Lava geworfen. Das Zischen und Knacken des schmelzenden Fleisches hallte durch die Hallen, während die Zwerge in einer leisen, gesungenen Sprache Worte des Abschieds murmelten.

Doch die Stille veränderte sich, als sie die entstellten Körper der beiden Elfen und des Zwerges von den Haken nahmen. Theron erinnerte sich an Lyaras harte Miene, als sie mit zittrigen Händen die Toten von den blutigen Eisenhaken löste. Keine Träne war über ihre Wange gelaufen, doch ihre Finger hatten kurz über die knochigen, blutverkrusteten Hände eines der Elfen gestrichen. Es war eine stille, zärtliche Geste, die Theron mehr über sie verriet, als sie je mit Worten hätte ausdrücken können.

In einer abgelegenen Kammer begruben sie die drei schließlich. Die Zwerge arbeiteten schweigend, mit schwerer Ehrfurcht in jeder Bewegung. Theron stand neben Lyara, während die Gräber geschlossen wurden. Sie hatte kein Wort gesprochen, doch ihre Lippen bewegten sich lautlos, als spräche sie ein stilles Gebet. Theron hatte unschlüssig überlegt, ob er etwas sagen sollte, doch schließlich hatte er geschwiegen. Als Lyara ihm einen kurzen, flüchtigen Blick zuwarf, lag ein Hauch von Dankbarkeit in ihren grünen Augen.

Auf dem Rückweg hatten die Zwerge darauf bestanden, die letzten Nebeneingänge zu den Ruinen zu versiegeln. „Niemand wird diesen Ort jemals wieder entweihen,“ hatte einer der älteren Zwerge gesagt, und Theron hatte keinen Grund, daran zu zweifeln.

Zurück in der Stadt hatte Betunia ihnen angeboten, noch eine Nacht bei ihr zu verbringen. Doch sie hatten abgelehnt. Zwei Tage waren knapp bemessen, und Theron wusste, dass es sicherer war, die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen. Myrddin hatte es treffend zusammengefasst:

„Aldren mag uns zwei Tage gegeben haben, aber ich würde nicht darauf wetten, dass er uns nicht schon vorher jagen lässt.“

Am Abend des Tages hatten sie die Stadt durch ein wenig bewachtes Tor verlassen. Lyara, die kein eigenes Pferd hatte, war bei ihm mitgeritten. Ihr Duft – eine Mischung aus Erde und Wald – hatte ihn die Strapazen für einen Moment vergessen lassen. Doch ihre Nähe hatte auch etwas in ihm ausgelöst, das ihn bis jetzt nicht losließ.

Das Gasthaus, in dem sie schließlich untergekommen waren, war schlicht, fast anonym. Die Wirtin hatte keine Fragen gestellt, und der Schankraum war kaum mehr als drei wackelige Tische. Sie hatten gemeinsam geschwiegen, jeder in seine eigenen Gedanken versunken.

Schließlich hatte Theron Myrddin angesprochen. „Warum bist du überhaupt zu Aldren gegangen? Ich hatte dir gesagt, dass es nichts bringt.“

Myrddin hatte nur mit den Schultern gezuckt. „Weil ich dachte, ich könnte nützlich sein,“ hatte er geantwortet, trocken und nüchtern. „Ich meine, wir haben diese Banditen ausgeschaltet, nicht wahr? Aber Aldren… er hat mich nie gemocht.“

„Warum?“ hatte Theron gefragt, ohne nachzudenken.

Myrddin hatte einen tiefen Schluck von seinem Bier genommen, bevor er antwortete. „Weil ich ein Zauberer bin. Die Akademie hat mich von meiner Familie abgekauft, als ich noch ein Kind war. Aber als ich sie einmal besuchen wollte…“ Er hatte kurz gelacht, ein bitteres, schmerzliches Lachen. „Da haben sie mich behandelt, als wäre ich tot. Oder schlimmer – ein Monster. Lina ist die Einzige, die mich noch als Menschen sieht.“

Theron hatte nichts darauf gesagt, weil er nicht wusste, was er hätte sagen sollen. Auch Lyara hatte den Abend über geschwiegen, ihre Gedanken schienen weit entfernt. Sie hatte immer wieder mit ihrem Armband gespielt, dem gleichen, das sie immer trug.

Schließlich waren sie auf ihre Zimmer gegangen, und nun lag Theron wach, allein mit seinen Gedanken.

Ein leises Knarren ließ Theron den Blick zur Tür wenden. Sie öffnete sich ohne ein Klopfen, und Lyara trat ein, lautlos wie ein Schatten. Sie trug ihre Straßenkleidung – einen schlichten schwarzen Mantel, der ihre schlanke Gestalt umhüllte. Ihr Gesicht war im Dämmerlicht halb verborgen, doch ihre grünen Augen leuchteten wie ein tiefer, unruhiger Wald.

Theron sagte nichts. Ihr unangekündigtes Erscheinen hätte ihn überraschen sollen, doch er war nur leicht verwundert darüber, dass er sich nicht überraschen ließ. Vielleicht lag es daran, dass Elfen anders waren – sie lebten anders, dachten anders, fühlten anders. Privatsphäre war für sie offenbar ein Konzept, das nicht viel zählte.

Lyara schloss die Tür hinter sich und blieb einen Moment lang stehen. Ihre Augen wanderten über seinen Oberkörper und blieben an den Linien seiner Tattoos hängen, die sich von seiner Brust bis zu den Armen zogen. Schließlich trat sie näher und blieb am Fußende des Bettes stehen. Ihre Stille war nicht unangenehm, aber sie war schwer, wie eine Frage, die keiner laut aussprechen wollte.

„Wieso ist dir das Armband so wichtig?“ fragte er, um die Stille zu brechen.

Sie blickte auf das Armband an ihrem Handgelenk und drehte es vorsichtig, bevor sie schließlich antwortete. „Alles,“ sagte sie knapp. „Es ist die Verbindung zu meiner Heimat. Und zu mir selbst.“

„Verstehe,“ erwiderte Theron, und wieder trat Schweigen ein.

„Hat es wehgetan?“ fragte sie schließlich, ihre Stimme leise, aber klar. Ihre Augen hingen weiterhin an den schwarzen Linien auf seiner Haut, während sie mit ihrem Armband spielte.

Theron hielt ihren Blick stand und zuckte dann mit den Schultern. „Nur das erste Mal,“ antwortete er ruhig. „Danach… haben sie sich von selbst ausgebreitet. Geräuschlos. Schmerzlos.“

Sie neigte leicht den Kopf, als hätte sie seine Worte nicht ganz verstanden, und trat einen Schritt näher. „Sie… wachsen?“ fragte sie, ein Hauch von Neugier und Bewunderung in ihrer Stimme.

Theron nickte. „Ja. Mein Lehrmeister sagte, es sei etwas Besonderes. Nur für besondere Menschen.“ Ein bitteres Lächeln zuckte über seine Lippen. „Aber ehrlich gesagt fühle ich mich nicht besonders. Eher wie ein Relikt – ein Überbleibsel aus einer Zeit, die längst vergangen ist.“

Lyara blieb stehen, ihre Augen fixierten die Linien auf seiner Haut. Das Mondlicht, das durch das Fenster fiel, ließ ihre Narbe aufleuchten – eine scharfe, unregelmäßige Linie, die sich über ihre Wange zog. „Ich weiß, wie sich das anfühlt,“ sagte sie schließlich, ihre Stimme war leise, beinahe tonlos. „Ich bin auch ein Relikt. Elfen, Zwerge und Auroren – wir stammen aus einer Zeit, die längst vorbei ist. Nichts ist mehr wie damals. Nur die Erinnerungen bleiben.“

Theron sah sie an, ihre Worte hallten in ihm wider. „Und was bringt es?“ fragte er nach einer langen Pause. „Was bringt es, als Relikt zu existieren?“

Lyara schwieg einen Moment, bevor sie sich langsam setzte. Ihre Bewegungen waren kontrolliert, doch sie wirkte fast zögerlich, als sie sich neben ihn auf das Bett niederließ. „Was bringt es, nicht zu existieren?“ erwiderte sie schließlich, ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Sie drehte sich leicht zu ihm, ihre Augen suchten die seinen. „Relikte erinnern die Welt daran, was einmal war. Sie sind… Zeugnisse von etwas, das die Menschen vergessen wollen, das sie verdrängen. Aber wir sind noch da.“

Theron konnte nicht antworten. Ihre Worte schienen etwas in ihm zu berühren, das er selbst nicht greifen konnte. Ihre Nähe ließ ihn die feine Wärme spüren, die von ihr ausging, und ihr Duft – eine Mischung aus Erde und frischen Kräutern – ließ die Welt um ihn herum kleiner und stiller werden.

Lyara hob ihre Hand und ließ ihre Finger zögernd über die schwarzen Linien auf seiner Brust wandern. Die Berührung war leicht, fast vorsichtig, aber sie hinterließ eine Spur aus Hitze auf seiner Haut. „In meiner Heimat gibt es eine besondere Blüte. Sie vergeht nur scheinbar, aber wenn die Lebensbedingungen wieder erfüllt sind, erblüht sie in ihrer alten Pracht.“ Sie schwieg einen Moment. „Vielleicht ist unsere Existenz die Hoffnung auf ein erneutes Aufblühen,“ sagte sie schließlich. „Vielleicht gibt es bis dahin die kleinen Freuden, denen man sich hingeben kann.“ Ihre Stimme war weich, doch ihre grünen Augen, die ihn jetzt fixierten, hatten etwas Herausforderndes.

Theron hielt ihrem Blick stand, sein Atem ging schwerer. „Die kleinen Freuden?“ fragte er schließlich.

Lyara nickte kaum merklich und sah ihn eine Sekunde lang an, bevor sie sich langsam zu ihm beugte. Ihre Lippen berührten die seinen, vorsichtig, tastend, und doch war es ein Moment voller Intensität. Ihre Wärme hüllte ihn ein, und er spürte, wie er fiel – fiel in den Moment, in ihre Gegenwart, in etwas, das er nicht benennen konnte.

Er hob eine Hand und berührte ihre Wange, seine Finger glitten über die Narbe, die ihr Gesicht durchzog. Sie zuckte leicht zusammen, doch sie zog sich nicht zurück. Ihre Augen schlossen sich langsam, und sie ließ ihn gewähren.

Es war dieser Augenblick, in dem Theron spürte, dass es vielleicht doch einen Sinn gab, zu existieren – zumindest für diesen Moment, diesen Atemzug, diese Berührung.

 

Theron zog den Mantel enger um seine Schultern. Der kalte Morgenwind von Caldir schnitt durch die Ebene, die nur aus Hügeln, Gräsern und vereinzelten Sträuchern bestand. Es gab keine Bäume, die den Wind brechen konnten, keine Wärme, die den Tag einleitete – nur die trostlose Weite eines Landes, das ihm ebenso leer vorkam wie seine Gedanken. Die Kälte war nicht das, was ihn störte. Es war das Plappern von Myrddin, der mit freudestrahlender Begeisterung von irgendwelchen Vorzügen sprach, als wäre die Welt in bester Ordnung.

Therons Blick glitt kurz zurück zum Gasthaus, das hinter ihnen immer kleiner wurde. Dort, in der Ferne, stand sie. Lyara. Ihr schlanker Umriss hob sich gegen das fahle Licht des beginnenden Tages ab, während sie ihm stumm nachsah. Ein Teil von ihm wollte umdrehen, doch er wusste, dass er es nicht tun würde. Er konnte es nicht. Ich glaube nicht an die Blüte und daran, dass Relikte eine tiefere Bedeutung haben, dachte er bitter. Wir sind nichts weiter als Überbleibsel. Verdammte Schatten einer Vergangenheit, die bald endgültig erlischt.

Er sah, wie Lyara sich abwandte und schnellen Schrittes davonging. Ihr Ziel war klar: Coille Solais, ihre Heimat. Ein Relikt, das vielleicht genauso kurz davor stand, zu verschwinden wie sie selbst. Theron richtete seinen Blick wieder nach vorne, doch der Kloß in seiner Brust blieb.

Ich hasse mich dafür, dachte er. Ich hasse mich dafür, dass ich sie einfach zurückgelassen habe. Doch ein anderer Teil von ihm wusste, dass er sich ebenso gehasst hätte, wäre er geblieben. Es war nicht so, dass er sie nicht wollte. Im Gegenteil. Aber er wusste, dass er ihr nicht das geben konnte, was sie brauchte. Und noch weniger, was er selbst brauchte.

„Hörst du mir überhaupt zu, Theron?“ Myrddins Stimme durchbrach seine Gedanken wie ein Stein, der ins Wasser geworfen wird.

Theron blinzelte und sah zur Seite. „Nein, natürlich nicht. Oder hast du tatsächlich etwas Wichtiges gesagt?“

Myrddin pfiff leise und machte einen Schmollmund, der seine ohnehin seltsame Mimik noch exzentrischer wirken ließ. „Ich erzähle dir gerade von den vielen Vorzügen, die Trev Awyr als Stadt der Zauberer zu bieten hat, und du hörst einfach nicht zu.“

Theron verzog kaum merklich die Mundwinkel. „Wahrscheinlich, weil die Vorzüge hauptsächlich aus den diversen Freudenhäusern bestehen, die du besuchen willst.“

„Es sind nicht nur die Freudenhäuser,“ entgegnete Myrddin, gespielte Entrüstung in seiner Stimme. „Aber mal abgesehen davon – wohin genau soll es jetzt gehen? Wir sollten schließlich immer noch so schnell wie möglich aus Caldir verschwinden.“

Theron schwieg. Die Landstraße vor ihnen schien sich endlos durch die Hügel zu winden, ein schmaler Streifen aus festgetretenem Lehm und Schotter, der irgendwo im Horizont verschwand.

„Einfach der Landstraße entlang,“ sagte er schließlich. Seine Stimme klang fest, doch in seinem Inneren spürte er nur Leere.

Feedback

Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!

Autor

Myelcors Profilbild Myelcor

Bewertung

Eine Bewertung

Statistik

Kapitel: 19
Sätze: 4.134
Wörter: 54.222
Zeichen: 321.384

Kurzbeschreibung

Einst waren die Auroren angesehene Berater der Mächtigen, doch nun nennt man sie verächtlich „Streuner“. Theron, einer von ihnen, hat sich mit diesem Schicksal abgefunden. Mit der Fähigkeit, die Auren der Menschen zu sehen, schlägt er sich als Söldner durch eine Welt voller Machtspiele, Verrat und Blutvergießen. Doch egal, wie sehr er sich aus den großen Geschehnissen heraushalten will – Intrigen und Konflikte finden ihn. „Rote Dämmerung“ ist eine Sammlung lose verbundener Novellen, die Therons düstere Reise durch eine mittelalterliche Fantasywelt voller Gefahren, Geheimnisse und verlorener Ideale erzählen.