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zwischen Schatten, Staub und Sehnsucht

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10.10.25 19:51
16 Ab 16 Jahren
Heterosexualität
In Arbeit

Kapitel 1 – Dry Creek (1887)

Die Sonne hing tief über der Steppe, ein glühender, müder Ball aus Feuer, der den Himmel in rostiges Gold tauchte. Der Staub schwebte in der Luft wie feine Asche, wehte über die Wiesen und über die Felder hinweg, wo die alten Weidezäune längst morsch waren. Ich liebte diesen Geruch — trockenes Holz, Sonne, ein Hauch von Rauch aus der Ferne.

Ich war ein Mädchen vom Lande, ja — aber anders, sagten die Leute. Meine Hände trugen keine Schwielen, so als hätte mich das Leben selbst geschont. Vater meinte oft, ich sei zu fein für die Prärie, Mutter lächelte dann nur und strich mir über das Haar, es war hellbraun, lang, fiel mir weich über die Schultern und schimmerte goldrot im Abendlicht. Meine Haut war zartbraun, von der Sonne geküsst, und meine Augen — hellblau, so klar, dass James manchmal sagte, man könne darin den Himmel sehen.

Mein Vater war ein Mann von der rauen Sorte. Schweigsam, wettergegerbt, mit Händen, die so schwielig waren, dass sie Splitter wie nichts aus Holz zogen. Er sprach selten, und wenn er es tat, war jedes Wort schwer wie Eisen. Ich wusste, dass er uns liebte, auch wenn er es nie sagte.

Mutter war das Gegenteil — eine Frau aus Licht und Sanftmut, mit müden Augen und einem Herzen, das immer noch an Wunder glaubte. Sie roch nach Brot und Rosmarin, nach Wärme und Geduld.

James, mein älterer Bruder, war wie Vater — stark, stolz, aber innerlich zerrissen. Manchmal wirkte er, als wolle er mehr als dieses Leben hergab. Lucy, meine kleine Schwester hingegen war nur Sonne. Sie tanzte durchs Haus, lachte selbst dann, wenn kein Grund dazu war, und brachte uns mit ihren Träumen zum Schweigen.

Das war unsere kleine Welt.

Dry Creek – ein Ort, an dem die Zeit stillstand, an dem der Wind Geschichten erzählte, die keiner hören wollte.

Ich saß auf dem alten Zaunpfahl, die Knie angezogen, und beobachtete, wie der Abend über die Prärie kroch. Der Himmel brannte. Und irgendwo da draußen, hinter den roten Hügeln, lauerten Geschichten. Geschichten über Männer, die ihr Leben im Schatten lebten.

Über eine Bande, die man „Schattenwölfe“ nannte.

Ich hatte von ihnen gehört. Jeder hatte das. Sie kamen mit dem Sturm, sagten die Leute. Sie nahmen, was sie wollten. Und ihr Anführer – so hieß es – sei ein Teufel in Menschengestalt. Dunkel, unberechenbar. Manche schworen, seine Augen wären wie kaltes Eisen, andere sagten, sie hätten darin das Feuer der Hölle gesehen. Ich wusste nicht, was ich glauben sollte.

Bis ich ihn zum ersten Mal sah.

Es war in jener Nacht, als der Wind um unser Haus kreiste, als wäre er lebendig. Die Hunde jaulten. Ich konnte nicht schlafen und trat hinaus, barfuß, nur im Hemd, die Dielen unter mir kühl und vertraut. Ein Blitz zuckte in der Ferne, und für einen Augenblick erhellte er die Ebene — und ich sah sie.

Reiter.

Vier, fünf Schatten, kaum zu erkennen im flackernden Licht des Blitzes.

Mein Herz begann zu schlagen wie ein wilder Trommeltakt. Und dann sah ich ihn.

Den Mann, der voranritt.

Er saß auf einem dunklen Hengst, der schnaubte und den Boden mit den Hufen aufriss. Der Regen begann, feine Linien auf seine Wange zu zeichnen. Sein Blick traf mich. Nicht lange. Nur ein Atemzug.

Doch in diesem Moment fühlte ich etwas — wie ein Messer, das durch meine Brust glitt, scharf, kalt und süß zugleich.

Er wandte sich ab, als hätte ich nie existiert. Und doch blieb etwas zurück.

Etwas, das mich seit jener Nacht nicht mehr losließ.

Am nächsten Morgen fanden wir Spuren im Sand. Hufabdrücke, tief und frisch. Vater schimpfte, James fluchte und Mutter betete leise. Ich schwieg. Ich wusste, sie waren ganz in der Nähe. Und tief in mir wuchs etwas, das ich nicht benennen konnte — eine brennende Neugier oder eine gefährliche Sehnsucht.

Und als Lucy mich später fragte, warum ich so in die Ferne starrte, antwortete ich nur: „Weil der Sturm noch nicht vorbei ist...“

 

Kapitel 2 – Der Sturm über Dry Creek

Der Himmel färbte sich grau wie Blei. Den ganzen Tag hatte sich etwas in der Luft aufgebaut, eine Spannung, die sich nicht abschütteln ließ — als hielte die Welt selbst den Atem an. Der Wind trug den Geruch von Regen und fremden Pferden heran, und in meinem Bauch spannte sich ein unsichtbarer Knoten.

Vater hatte uns früh hereingerufen.„Bleibt im Haus. Schließt die Türen.“ Er sprach selten in diesem Ton. Und wenn er es tat, dann wusste man, dass etwas im Gange war.

Ich half Mutter, die Fensterläden zu verriegeln. Lucy stand zitternd neben mir, ihre Finger klammerten sich an mein Kleid „Glaubst du, sie kommen wirklich?“ flüsterte sie.

Ich antwortete nicht. Ich wusste es längst.

Der Wind jaulte wie ein Tier. Irgendwo in der Ferne knackte Holz, vielleicht ein umgestürzter Zaun. James stand an der Tür, das Gewehr im Anschlag, die Augen wachsam. Mutter betete leise, während sie das Kreuz an der Wand streifte. Vater trat hinaus auf die Veranda, trotz des Sturms.

Und dann hörten wir es.

Hufschläge.

Nicht viele. Aber schwer. Entschlossen.

Der Klang kam näher.

Ich weiß nicht, was mich ritt – vielleicht pure Neugier, vielleicht Dummheit, oder etwas, das noch keinen Namen hatte. Doch als Mutter sich abwandte, schlich ich zur Hintertür, zog den Riegel leise auf und trat hinaus.

Der Regen hatte eingesetzt. Kalte Tropfen brannten auf meiner Haut, ließen das Hemd an mir kleben, und der Wind riss mir das Haar ins Gesicht. Ich hielt die Hand vor die Augen und trat vorsichtig um die Ecke des Hauses.

Dort standen sie.

Vier Männer, nass vom Regen, mit dunklen Tüchern vor dem Gesicht. Pferde dampften unter ihnen, die Sättel glänzten schwarz. Und vorn — er.

Der Mann, den ich in jener Nacht gesehen hatte.

Er saß auf seinem Hengst, als gehörte ihm die ganze verdammte Welt. Der Regen rann über seine Schultern, tropfte von seinem Hutrand, und seine Haltung war ruhig, fast überheblich, als könne ihn kein Sturm der Welt berühren.

Ich wollte mich abwenden. Doch sein Blick traf mich.

Er hatte mich gesehen.

Langsam zog er das Tuch von seinem Gesicht. Blasses Licht fiel über scharfe Züge, über eine Narbe an der Wange, über Lippen, die kein Lächeln kannten. Seine Augen — dunkel, unergründlich — musterten mich. Da war kein Zorn, keine überraschung. Nur etwas, das ich nicht deuten konnte.

Ich wusste nicht, ob ich atmete.

„Was zum Teufel tust du hier draußen?“ Die Stimme kam von James, der plötzlich hinter mir auftauchte. Er packte mich am Arm und zog mich zurück ins Haus. Ich stolperte, spürte den Blick des Fremden noch auf meiner Haut.

Als James die Tür zuschlug, hallte der Hufschlag draußen dumpf durch den Regen. Vater hatte das Gewehr geladen, Mutter drückte Lucy an sich.„Wer sind die?“ fragte Lucy mit zitternder Stimme.

„Banditen“, knurrte Vater. „Wölfe.“

Der Regen fiel die ganze Nacht. Ich lag wach, konnte nicht schlafen, hörte das Prasseln auf dem Dach, das ferne Wiehern der Pferde. Und jedes Mal, wenn der Wind gegen die Scheibe schlug, glaubte ich, seinen Blick wieder zu spüren — dunkel, fest, wie eine unsichtbare Fessel.

Ich wusste nicht, wer er war.

Aber ich wusste, dass er wiederkommen würde..

 

Kapitel 3 – Am Fluss

Am nächsten Morgen war die Welt still. Nur das ferne Rauschen des Flusses brach die Stille, es fiel leichter Regen und der Nebel hing noch schwer über den Feldern. Ich trat hinaus, barfuß auf das feuchte Gras, spürte den Tau zwischen den Zehen und den kalten Hauch des Morgens auf meiner Haut.

Vater und James waren schon fort, um nach dem Zaun zu sehen. Mutter schlief noch, erschöpft von der Nacht, und Lucy saß auf dem Bett, ihre Nase in ein Buch vergraben.

Ich nahm den Eimer und ging hinunter zum Fluss.

Der Weg war schmal und voller Spuren – tiefe Hufabdrücke, die der Regen nicht hatte auswaschen können.

Ich kniete mich neben das Wasser, tauchte den Eimer hinein und sah mein Spiegelbild zwischen den Kräuselungen verschwimmen. Die letzten Nächte hatten mir Schlaf und Farbe geraubt.

Ein Mädchen vom Land, dachte ich, und doch fühlte ich mich fremd in meiner eigenen Haut. Ich richtete mich auf, hielt den schweren Eimer in der Hand, da hörte ich es.

Ein Rascheln.

Ein dumpfer Schritt.

Ich fuhr herum – doch niemand war zu sehen. Nur die Bäume, reglos, und das leise Tropfen von Wasser. Ich atmete tief durch, wollte mich gerade wieder bücken, als ich ihn spürte.

Diesen Blick.

Wie eine Berührung, unsichtbar, aber so nah, dass mir der Atem stockte. Langsam hob ich den Kopf.

Er stand da. Nur wenige Schritte entfernt, halb verborgen zwischen den Schatten der Bäume.

Der Mann aus der Nacht.

Sein Pferd stand ruhig neben ihm, dampfend, das Leder glänzend vom Regen. Er hatte den Hut tief ins Gesicht gezogen, aber ich erkannte ihn trotzdem – oder vielleicht fühlte ich ihn einfach.

Sein Blick war fest auf mich gerichtet, durchdringend. Keine Bedrohung, keine Eile – nur dieses stille, unerklärliche Interesse. Mein Herz schlug gegen meine Rippen.

„Was... was willst du?“ fragte ich leise.

Er antwortete nicht sofort. Dann trat er langsam näher, der Boden unter seinen Stiefeln feucht und leise.

„Gestern Nacht“, sagte er schließlich, mit tiefer, rauer Stimme, „du hättest im Haus bleiben sollen.“

„Ich... ich wollte nur sehen, was los ist.“

„Neugier kann gefährlich sein.“ Er blieb stehen, so nah, dass ich seinen Atem spüren konnte. Er roch nach Regen, nach Pferd und nach etwas Metallischem, Dunklem.

„Wie heißt du?“ fragte er plötzlich.

Ich zögerte. „Aurelia.“

Ein kaum sichtbares lächeln. „Schöner Name.“

Er wollte weitergehen, wandte sich halb ab, doch irgendetwas in mir wehrte sich gegen das Ende dieses Moments.

„Und du..?“ fragte ich, bevor ich denken konnte. „Wie heißt du?“

Er hielt inne. Sein Blick ruhte auf mir, als würde er abwägen, ob ich die Antwort verdiente.

Dann sagte er leise, fast rau: „Das spielt keine Rolle.“

Er wandte sich ab, schwang sich auf sein Pferd, und der Wind hob kurz den Saum seines Mantels, als er davonritt.

Ich stand noch lange da, der Eimer vergessen zu meinen Füßen, und sah ihm nach, bis er im Nebel verschwand.

Er hatte mir nicht gesagt, wer er war.

Aber irgendetwas in mir wusste, dass sein Name sich mir eines Tages von selbst offenbaren würde – in einer Nacht, die ebenso stürmisch sein würde wie die, in der ich ihn zum ersten Mal sah..

 

Kapitel 4 – Flüstern in Dry Creek

Eine Woche war vergangen, seit ich ihn am Fluss gesehen hatte. Seit diesem Blick, der mir noch immer unter die Haut kroch, als hätte er dort ein Stück von sich zurückgelassen. Ich hatte versucht, ihn zu vergessen – den Fremden mit den dunklen Augen, dessen Name mir unbekannt blieb. Doch jede Nacht, wenn der Wind über die Felder strich, glaubte ich, seine Stimme darin zu hören.

Dry Creek war in diesen Tagen unruhig geworden. Etwas lag in der Luft – ein Murmeln, ein Wispern, das zwischen den Straßen wie Staub verwehte.

Die Händler sprachen leiser als sonst, und selbst die Kinder, die sonst barfuß durch den Schlamm rannten, warfen verstohlene Blicke über die Schulter.

„Hast du’s gehört?“ fragte Mrs. Whieler, die Frau des Schmieds, als ich eines Morgens über den Marktplatz ging.

„Was denn?“

Sie zog mich beiseite, ihre Augen groß vor Aufregung und Angst zugleich. „Man sagt, die Schattenwölfe sind wieder unterwegs. Letzte Nacht soll man sie am Fluss gesehen haben – fünf Reiter, schwarz gekleidet, wie Geister. Und einer von ihnen... soll den Sheriff beobachtet haben.“ Ich fröstelte, obwohl die Sonne heiß brannte.

Schattenwölfe.

Der Name war mir vertraut, von Geschichten, die man sich nur im Flüsterton erzählte. Eine Bande von Gesetzlosen, kalt und schnell wie der Wind, die Dörfer plünderten und dann im Nichts verschwanden.

„Unsinn“, mischte sich der Schmied ein, der gerade ein Hufeisen im Feuer wendete. „Gerede, mehr nicht. Leute sehen Gespenster, sobald der Mond zu voll wird.“ Aber seine Hände zitterten leicht.

Ich kaufte Brot und Zucker, nickte den Leuten zu, doch jeder schien etwas zu verbergen. Überall dieselben Blicke – vorsichtig, gespannt, als wüssten sie mehr, als sie sagten.

Auf dem Heimweg hielt ich kurz an der alten Kapelle am Hügel. Die Türen standen offen, und Sheriff Harlan sprach mit Sheriff Dykes. Ihre Stimmen waren gedämpft, aber ich verstand genug. „…wir müssen die Männer zusammenrufen… falls sie wirklich nach Dry Creek kommen…“

„Und was dann?“ erwiderte der Sheriff. „Wir haben keine Chance gegen sie.“

Ich trat zurück, bevor sie mich sehen konnten. Mein Herz schlug schneller.

Die Schattenwölfe.

Und unwillkürlich sah ich das Gesicht des Fremden vor mir. Sein Blick, diese kühle Ruhe in seiner Stimme – die Art, wie er sich bewegte, selbstsicher, kontrolliert.

War er… einer von ihnen?

Ich schüttelte den Gedanken ab, doch er blieb, wie ein Splitter unter der Haut. Als ich am Abend nach Hause kam, stand James draußen, die Hände in die Hüften gestemmt.

„Du hast die Gerüchte auch gehört, oder?“ fragte er.

Ich nickte.

„Wenn sie wirklich kommen, müssen wir vorbereitet sein. Vater will, dass du morgen nicht in die Stadt gehst.“ Ich versprach es, doch in mir regte sich etwas anderes – eine Unruhe, die nicht aus Angst kam.

Denn so sehr ich die Schattenwölfe fürchtete, ein Teil von mir hoffte, dass er unter ihnen war..

 

Kapitel 5 – Wenn der Sturm kommt

Der Himmel über Dry Creek war an diesem Abend unnatürlich still. Die Luft war schwer, wie vor einem Gewitter, und selbst die Pferde im Stall scharrten unruhig. Lucy saß am Fenster und beobachtete die Straße, während Vater und James draußen die Türen verriegelten.

„Bleib bei Mutter,“ sagte James leise, bevor er die Winchester durchlud. „Wenn du etwas hörst – kein Licht, kein Laut.“

Ich nickte, aber mein Blick blieb an der Ferne hängen, dort, wo der Horizont brannte. Ein schmaler Streifen aus rotem Staub – Reiter.

Die Schattenwölfe kamen.

Zuerst war da nur das Donnern der Hufe, dann das metallene Klirren, das Aufblitzen von Waffen. Die Männer ritten durch die Hauptstraße, wie ein Sturm aus Leder und Rauch. Schreie, Schüsse, das Splittern von Fenstern.

Dry Creek wurde von Chaos verschluckt.

Ich presste Lucy an mich, während Mutter leise betete. Der Boden vibrierte, jedes Geräusch schnitt mir in die Brust. Doch dann, zwischen all dem Lärm, hörte ich ihn.

Diese Stimme.

Tief. Ruhig. Unnachgiebig.

Ich schlich ans Fenster. Der Mond war aufgestiegen, silbern und kalt, und sein Licht fiel auf ihn.

Den Fremden. Er, der an jenem Tag am Fluss war.

Er saß hoch zu Pferd, das Tier schwarz wie die Nacht selbst, und alles an ihm strahlte Macht aus. Die anderen gehorchten ihm wortlos. Er sprach knapp, seine Befehle messerscharf, und keiner wagte, zu widersprechen. Sein Gesicht war teilweise im Schatten, doch als er den Kopf hob, traf mich dieser Blick.

Eisblau.

Kalt.

Gefährlich schön.

Sein Haar war schwarz, ungezähmt, einzelne Strähnen fielen ihm auf die Stirn. Über seiner linken Wange zog sich eine schmale, helle Narbe – kein Makel, sondern eine Erinnerung an etwas, das ihn noch gefährlicher machte. Seine Züge waren scharf, markant, als wäre er aus Stein geschlagen worden.

Ich konnte den Blick nicht lösen.

Er ritt durch die Straße, der Staub klebte an seinem Mantel, und jeder Schritt seines Pferdes schien das Herz der Stadt zu zerbrechen.

Die Leute flüsterten nur noch:

"Der Anführer."

Er war wild. Ungezähmt. Und so furchtlos, dass selbst der Tod ihm weichen würde. Er brauchte keine Worte, um zu befehlen – seine bloße Präsenz genügte.

Die Schattenwölfe luden die Beute auf, während er alles beobachtete. Keine Hast, keine Reue. Nur diese kalte, berechnende Ruhe.

Dann, für einen flüchtigen Augenblick, drehte er sich um.

Und sah zu mir hinauf.

Unsere Blicke trafen sich durch das zerbrochene Fensterglas.

Mein Atem stockte.

Er sagte nichts, bewegte sich nicht. Aber ich spürte, dass er mich erkannte – dass er wusste, dass ich ihn sah. Ein winziges Zucken seiner Lippen, fast wie ein dunkles Lächeln.

Dann trieb er sein Pferd an, und die Bande verschwand im Staub, den sie hinterließen.

Ich stand lange am Fenster, das Herz raste, die Finger zitterten. Die Wahrheit brannte sich in mich ein, unausweichlich und schmerzhaft klar:

Der Mann vom Fluss – der Fremde mit den blauen Augen – war der Anführer der Schattenwölfe.

Und ich wusste nicht, ob ich ihn fürchten sollte..

 

Kapitel 6 – Zwischen Schatten und Atemzügen

Drei Tage waren vergangen, seit Dry Creek in Atem gehalten worden war. Die Aufregung, die Gerüchte, die Angst – alles begann sich langsam zu legen. Die Leute in der Stadt kehrten zu ihrem Alltag zurück, doch die Unsicherheit blieb in den Gesichtern. In den Gesprächen am Brunnen flüsterten die Frauen noch immer über die Schattenwölfe, über jene Männer, die nachts wie Geister über das Land zogen.

Mein Vater arbeitete wieder draußen am Zaun, James half ihm wortlos. Lucy versuchte, mich aufzumuntern, doch mein Blick schweifte immer wieder zu dem Weg, der hinaus in die Weite führte.

Seit jener Nacht am Fluss war etwas in mir anders. Ich versuchte, den Fremden zu vergessen – sein Blick, seine Stimme, dieses unerklärliche Gefühl, das mich seither nicht mehr losließ.

Doch vergessen war unmöglich.Man vergisst keine Augen wie seine.

Die Nacht lag still über der Ranch, als ich den Stall betrat, um nach den Pferden zu sehen. Das Heu raschelte leise unter meinen Schritten, der Geruch von Leder und Staub hing schwer in der Luft. Ich zog die Laterne näher an mich, das flackernde Licht warf Schatten an die Wände – und plötzlich spürte ich es.

Diese Präsenz. Roh, gefährlich.

Wie ein Sturm, der nicht zu sehen, aber zu spüren war.

„Du solltest nachts nicht allein herumlaufen.“

Seine Stimme kam aus der Dunkelheit. Tief, dunkel, ruhig – und doch vibrierte sie mit einer unausweichlichen Bedrohung. Ich drehte mich um, und da stand er.

Der Fremde vom Fluss, Er, der Anführer.

Das Licht der Laterne traf sein Gesicht – dunkle, zerzauste Haare, einzelne Strähnen fielen ihm in die Stirn. Seine Haut war von Sonne und Wind gezeichnet, eine feine Narbe zog sich über seine Wange. Und diese Augen... dunkelblau, kalt und gefährlich wie ein Gewitter über der Prärie.

Er trat aus dem Schatten, groß, breitschultrig, mit einer Ruhe, die nichts Gutes verhieß. Ich wich einen Schritt zurück, doch er folgte langsam.

„Du hast mich gesehen,“ sagte er leise. „Das hättest du nicht sollen.“

Ich spürte, wie mir das Herz bis in den Hals schlug. „Ich... ich habe niemandem etwas gesagt.“

Ein kurzes, spöttisches Lächeln zuckte über seine Lippen. „Das hoffe ich für dich, Mädchen.“

Er kam näher, und ich roch den Staub seiner Jacke, das Leder, den metallischen Hauch von Schießpulver. Er blieb direkt vor mir stehen – so nah, dass ich seinen Atem an meiner Wange spürte. Seine Stimme war ein gefährliches Flüstern, so tief, dass sie mir unter die Haut kroch. „Vergiss was du gesehen hast. Vergiss mich.“

Doch in diesem Moment wusste ich, dass genau das unmöglich war.

Sein Blick ruhte auf mir, durchdringend, prüfend. Zwischen uns lag etwas, das weder Name noch Erklärung hatte – nur Hitze, Dunkelheit und diese unerträgliche Spannung.

Seine Hand hob sich, fast so, als wolle er mir eine Strähne aus dem Gesicht streichen, doch er hielt inne – und zog sie stattdessen langsam zurück.

Dann drehte er sich wortlos um, verschwand in der Dunkelheit des Stalls, lautlos wie ein Schatten.

Ich stand da, reglos, das Herz hämmernd. Noch Minuten später war die Luft erfüllt von seiner Präsenz – als hätte er sich in die Nacht selbst gebrannt. Und obwohl er gesagt hatte, ich solle vergessen, wusste ich, dass ich nicht vergessen würde.

Nicht sein Gesicht.

Nicht seine Stimme.

Nicht diesen Blick.

 

Kapitel 7 – Flüstern aus der Dunkelheit

Seit jener Nacht im Stall ließ mich das Gefühl nicht mehr los, beobachtet zu werden. Ich wusste, dass ich ihn nicht hätte wiedersehen sollen. Und doch… jede Nacht, wenn der Wind durch die Weiden zog, meinte ich, Schritte zu hören. Ein Schatten, der zu lange blieb. Ein Blick im Dunkeln, den ich nur fühlte, aber nie sah. Dry Creek schien zur Ruhe gekommen zu sein, doch es war diese trügerische Ruhe, die einem Sturm vorausgeht.

Die Männer auf den Straßen trugen ihre Gewehre nun offen, und in der Luft lag eine nervöse Spannung, die selbst die Pferde spürten. Im Saloon wurde wieder gespielt, getrunken und gelacht, doch die Gespräche blieben gedämpft. Niemand traute mehr dem Nachbarn, und jedes Gesicht eines Fremden wurde mit Misstrauen betrachtet.

Mein Vater arbeitete härter als sonst, versuchte die Furcht zu vertreiben, indem er sich in Arbeit verlor. James ritt jeden Tag in die Stadt, um Neuigkeiten zu überbringen, während Lucy und ich halfen, das Haus in Ordnung zu halten. Sie merkte, dass ich stiller geworden war.

„Du träumst in letzter Zeit oft, nicht wahr?“ fragte sie eines Abends leise, während wir die Wäsche am Feuer trockneten. Ich nickte nur. „Manchmal sieht man nachts Dinge, die man nicht sehen sollte.“

Am nächsten Morgen kam James mit ernster Miene zurück. „Zwei Kopfgeldjäger sind in der Stadt,“ sagte er. „Sie suchen nach dem Anführer der Schattenwölfe. Angeblich ist er irgendwo hier in der Gegend.“

Mein Herz setzte einen Schlag aus.

Er.

Ich zwang mich zur Ruhe, während James weiter sprach. „Man sagt, er sei gefährlich. Kaltblütig. Niemand weiß, wie er aussieht – aber sie meinen, er habe eine Narbe im Gesicht.“

Ich drehte mich weg, damit niemand sah, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich.

Am Nachmittag kamen die Kopfgeldjäger tatsächlich auf unsere Ranch. Zwei Männer mit wettergegerbten Gesichtern, vernarbten Händen und kalten Augen. Der ältere von beiden trat einen Schritt vor. „Miss… Aurelia, richtig?“

Ich nickte.

„Man sagt, Sie hätten letzte Woche am Fluss jemanden gesehen. Einen Mann. Können Sie ihn beschreiben?“

Mein Mund wurde trocken. Ich spürte, wie Lucy im Türrahmen erstarrte, und mein Vater trat schützend einen Schritt vor mich. "Meine Tochter hat niemanden gesehen“ sagte er ruhig. Doch der Blick des Kopfgeldjägers blieb an mir hängen – prüfend, misstrauisch. „Sind Sie sicher?“

Ich zwang ein Lächeln auf meine Lippen. „Ganz sicher.“

Er nickte langsam, doch seine Augen verrieten, dass er mir nicht glaubte. „Wenn Sie doch noch etwas hören… oder sehen… kommen Sie in die Stadt. Der Mann, den wir suchen, ist nicht irgendwer. Er ist der Anführer der Schattenwölfe und sehr gefährlich.“ Er wandte sich ab, und ich atmete erst wieder, als sie vom Hof ritten.

Doch tief in mir wusste ich, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis jemand herausfand, was ich gesehen hatte.

In den Nächten darauf blieb ich wach. Jedes Knarzen des Hauses ließ mich zusammenzucken, jedes entfernte Geräusch trieb mir das Herz bis in die Kehle. Und manchmal – wenn der Wind über das Land zog – glaubte ich, ihn in der Ferne zu sehen.

Auf einem Hügel, reglos im Schatten, mit dem Sturm im Rücken.

Er beobachtete.

Er wartete.

Und ich wusste nicht, ob ich ihn fürchtete… oder mir wünschte, dass er zurückkam...

 

Kapitel 8 – Über den Hügeln der Stille

Tage später schien Dry Creek wieder zu atmen. Langsam, vorsichtig, so als traue der Ort dem Frieden nicht ganz. Die Sonne stand warm über den Feldern, das hohe Gras rauschte leise, und unsere kleine Ranch lag wie ein Fleck aus Holz und Staub zwischen Hügeln und endlosen Weiden.

Unser Haus war klein, aber es war unseres. Die Wände aus rauem Kiefernholz, das Dach vom letzten Sturm noch schief an einer Ecke, der Brunnen hinter dem Stall schon alt, aber tief genug, um das Vieh zu versorgen. Morgens roch es immer nach Heu und Kaffee, nach Leben – trotz allem, was draußen lauerte.

James stand früh auf, wie immer. Ich fand ihn im Hof, als er die Sättel prüfte.„Willst du mitkommen?“ fragte er, ohne aufzusehen.

„Wohin?“

„Nach Süden. Da draußen sind wieder Wildpferde gesehen worden.“ Ich zögerte. „Vater wird nicht begeistert sein.“ James grinste. „Vater braucht Holz, keine Sorgen. Außerdem — “ Er sah mich an. „Du könntest etwas frische Luft gebrauchen.“ Er hatte recht. Also nickte ich.

Der Himmel war klar, als wir losritten. Meine Stute, eine braune mit weißer Blesse, schnaufte zufrieden, und der Wind griff in mein Haar, trug es hinter mir her wie einen hellen Schleier. Ich fühlte mich zum ersten Mal seit Tagen frei.

James ritt voran, ruhig, sicher, die Sonne glitzerte auf dem Lauf seines Gewehrs. Hinter den Hügeln, wo das Gras höher stand und das Land sich senkte, fanden wir sie. Eine kleine Herde Wildpferde – schlanke, stolze Tiere mit glänzendem Fell, die nervös die Köpfe hoben, als sie uns bemerkten. Ich hielt mein Pferd an und sah sie staunend an. „Sieh nur, James…“

Er nickte. „Wunderschön, oder?“

Doch eines von ihnen bewegte sich nicht. Am Rand der Herde stand eine hellgraue Stute, schwer atmend, mit geschwollenem Bauch – hochträchtig. Ihr rechtes Bein war verletzt, blutig und geschwollen. Ich rutschte sofort aus dem Sattel. „Sie ist verletzt!“

„Aurelia, bleib bei deinem Pferd,“ warnte James, aber ich ging schon näher. Langsam, mit leiser Stimme, damit sie sich nicht fürchtete. Das Tier schnaufte, die Ohren nach hinten gelegt, doch es flüchtete nicht. Ich kniete mich hin, sah mir das Bein an – ein Schnitt, tief, wahrscheinlich von einem alten Stacheldraht oder einem Stein. „Wenn sie ein Fohlen bekommt, schafft sie es so nicht,“ flüsterte ich.

James kam näher, beugte sich über mich. „Wir holen Wasser, verbinden es und bringen sie morgen zum Stall.“Ich nickte, atmete auf. Für einen Moment war alles friedlich.

Der Wind legte sich.

Dann hörte ich es – Hufschläge.Von der anderen Seite des Hügels. James spannte sofort die Schultern, griff nach seinem Gewehr.

Zwei Reiter tauchten zwischen den Felsen auf – staubige Männer mit zerschlissenen Westen, ihre Gesichter von Sonne und Dreck gezeichnet. „Na, wen haben wir denn da?“ rief einer und lachte rau. Mir gefror das Blut in den Adern.

James stellte sich sofort vor mich. „Wir wollen keinen Ärger.“

„Dann seid ihr hier falsch,“ sagte der andere, zog das Gewehr vom Rücken.

Ich griff instinktiv nach James’ Arm. „Lass uns gehen,“ flüsterte ich.

Aber es war zu spät.

Sie waren schneller.

Zwei Schüsse rissen durch die Luft – einer traf James in die Schulter, er schrie auf und stürzte ins Gras. Ich schrie seinen Namen.

Bevor ich zu ihm laufen konnte, war einer der Männer schon bei mir. Er packte mich am Arm, riss mich herum, und sein Atem stank nach Whisky.„Schönes Kleid… wär’ doch schade drum.“

Ich schlug nach ihm, trat, schrie – doch er lachte nur. Seine Finger gruben sich in meine Haut, hart und gierig. Ich versuchte, mich loszureißen, doch er zerrte mich gegen sich, so fest, dass mir die Luft wegblieb.

„Still jetzt, Hübsche,“ zischte er, und ich spürte, wie seine Hand über meinen Rücken glitt, gierig nach dem Stoff griff, der meinen Körper schützte. Ich wand mich, trat mit aller Kraft, traf ihn am Knie – er fluchte, riss mich wütend wieder an sich. „Na warte…“

Das Geräusch, als der Stoff meines Kleides riss, war laut in der Stille.Ich stieß einen Schrei aus, schlug mit den Fäusten, biss, so wie ein Tier beißt, das weiß, dass es sonst verloren ist. Der zweite Bandit lachte irgendwo hinter uns. „Halt sie fest, dann bin ich als Nächster dran!“

Panik schnürte mir die Kehle zu. Ich sah kurz James am Boden liegen, sein Gesicht bleich, Blut an der Schulter – und dann wieder den Mann vor mir, der mich gegen die Erde drückte. Der Himmel über mir war grell und leer, der Staub schmeckte nach Eisen.

Er roch nach Schweiß, Leder, und diesem schmutzigen Triumph. Seine Hand glitt wieder an meinem Kleid hinab … und ich wusste, dass gleich alles zu spät wäre.

Dann — ein Laut.

Dumpf, tief. Ein Pferd, irgendwo hinter dem Hügel. Der Mann erstarrte.

Noch ehe ich verstand, warum, flog etwas durch die Luft: ein Messer, blank im Sonnenlicht. Es schlug dicht neben ihm in den Boden, so tief, dass der Griff vibrierte.

Ich drehte den Kopf – und sah ihn.

Der Fremde - der Anführer der Schattenwölfe - stand auf der Anhöhe, reglos, der Wind trieb Staub über seine Stiefel. Die Augen – kalt, dunkel, gefährlich ruhig. Er sagte kein Wort. Doch der Blick, mit dem er den Banditen ansah, ließ selbst den Wind verstummen..

 

Kapitel 9 – Im Schatten der Wölfe

Der Wind schwieg. Nur das Flattern eines losgerissenen Mantelrands, irgendwo über mir, und das hastige Atmen des Mannes, der mich eben noch im Griff gehabt hatte.

Dann die Bewegung – blitzschnell. Er glitt den Hang hinab wie ein Schatten, der plötzlich Gestalt annimmt. Bevor der Bandit reagieren konnte, traf ihn der erste Schlag. Kein Wort, kein Zögern – nur eine präzise, kalte Gewalt. Der zweite Mann zog sein Gewehr, kam kaum dazu, den Abzug zu berühren. Ein dumpfer Knall, ein Stöhnen – und dann war es still.

Der Geruch von Schießpulver hing in der Luft, heiß und metallisch. Ich saß noch auf dem Boden, die Hände zitterten. Das Geräusch meines Herzschlags war lauter als alles um mich herum.

Er stand da, über mir, und wischte das Blut von seiner Klinge – ganz ruhig, als hätte er bloß Staub entfernt.

Sein Blick glitt zu mir. Dunkel. Unruhig. „Steh auf,“ sagte er leise. Die Stimme tief, rau, wie aus der Erde selbst gegraben. Ich wollte etwas sagen, aber kein Wort kam heraus. Stattdessen nickte ich stumm und rappelte mich auf.

James lag ein paar Schritte entfernt, blass, das Hemd an der Schulter dunkel vor Blut. Ich stolperte zu ihm, sank neben ihn auf die Knie. „Bleib bei mir, James, hörst du?“ Der Fremde trat näher. Ich spürte seine Präsenz noch bevor ich ihn wirklich sah – die Hitze seines Körpers, das gleichmäßige, kontrollierte Atmen.

„Er lebt,“ murmelte er. „Die Wunde ist nicht tief.“

Ich sah zu ihm auf. Jetzt erst, in der Nähe, konnte ich die Details erkennen: das schwarze Haar, in Strähnen über die Stirn gefallen; die Narbe, die sich wie ein schmaler Blitz über seine Wange zog; die Augen, dunkelblau, so kalt, dass sie brannten.

Er, der Anführer der Schattenwölfe, war gefährlich schön. Und das wusste er.

„Kannst du ihm helfen?“ fragte ich.

„Ich kann ihn heimbringen,“ sagte er schlicht. Dann, nach einem Atemzug: „Aber du wirst mir vertrauen müssen.“

Er beugte sich hinunter, hob James auf, als wöge er nichts. Die Muskeln unter seinem Hemd spannten sich, als er die Last auf seine Schultern nahm. Ich sah, wie sich sein Kiefer verhärtete, wie sein Blick kurz über mein Gesicht glitt, bevor er sich abwandte.

Wir gingen nebeneinander, die Pferde führend, der Weg zurück über die Hügel. Die Sonne sank langsam, tauchte die Landschaft in ein rostiges Gold. Kein Wort fiel. Nur das Rascheln des Grases, das Knirschen der Stiefel im Staub.

Ich beobachtete ihn heimlich. Die Art, wie er sich bewegte – ruhig, kraftvoll, ganz in Kontrolle. Manchmal fiel das Licht so, dass ich die Narbe über seiner Wange glänzen sah. Ich fragte mich, wer sie ihm zugefügt hatte. Und ob der Mann, der das gewagt hatte, noch lebte.

Er bemerkte meinen Blick. „Hör auf, mich so anzusehen,“ sagte er ohne aufzuschauen.

Ich zuckte zusammen. „Ich habe gar nicht—“

„Doch.“ Sein Ton war ruhig, fast amüsiert. „Und du solltest es lassen.“

Ich schwieg. Aber innerlich wurde mir heiß. Nicht vor Scham. Sondern weil etwas in seiner Stimme vibrierte – etwas Unausgesprochenes, Dunkles.

Als wir den Rand der Ranch erreichten, war der Himmel bereits violett. Mein Vater stürzte heraus, als er uns sah, und nahm James aus den Armen des Fremden. Lucy kam hinterher, die Hände vor den Mund geschlagen. „Er braucht Ruhe,“ sagte der Mann. „Kein Arzt aus Dry Creek. Die reden zu viel.“ Mein Vater wollte danken, doch der Fremde hob nur kurz die Hand. „Nicht nötig.“ Ich blieb stehen, als er sich umdrehte. Der Wind spielte mit einer Strähne seines Haares.

„Warum… hast du uns geholfen?“ fragte ich leise.

Er hielt inne. „Weil du nicht auf mich gehört hast,“ sagte er schließlich. „Und weil du trotzdem geschwiegen hast.“

Seine Augen fanden meine. „Vergiss, was du heute gesehen hast, Aurelia.“

Ich erstarrte. Er erinnerte sich an meinen Namen.

Doch ehe ich etwas erwidern konnte, hatte er sich schon in den Sattel geschwungen. Das Pferd wandte sich, der Staub stieg auf, und er war fort.

Ich stand noch lange dort, während die Dämmerung über das Land schimmerte. In meiner Hand klebte James’ Blut, auf meiner Haut der Abdruck seiner Finger, rau und warm. Und tief in mir wusste ich, dass ich ihn nicht vergessen konnte – selbst wenn ich es wollte.

 

Kapitel 10 – Zwischen Donner und Atem

James’ Wunde hatte sich entzündet. Sein Atem ging flach, die Haut brannte unter meinen Fingern, während ich ihm das Tuch auf die Stirn legte. Vater stand am Fenster, stumm, die Hände auf dem Rahmen. Lucy weinte leise. Der Arzt aus Dry Creek durfte nicht gerufen werden – zu viele Fragen, zu viele neugierige Ohren. Also blieb nur eines: Saint Deny.

Drei Meilen.. Drei Meilen durch Wildnis, Regen und Dunkelheit. Ich sattelte Copper, unser zuverlässigstes Pferd. Der Himmel war grau, die Luft stand still. „Ich bin bald zurück,“ sagte ich zu Vater, doch er antwortete nicht – nur ein stummes Nicken. James wimmerte im Hintergrund, und dieses Geräusch trieb mich an.

Der Weg nach Saint Deny führte durch die alten Weiden am Fluss. Copper’s Schritte klangen dumpf auf dem nassen Boden, während der Wind langsam auffrischte. Ich zog den Mantel enger um mich, spürte den Druck des Sturms in der Luft, wie ein leises Grollen in der Ferne.

Saint Deny war groß und lebendig. Der Geruch nach Brot, Regen und Pferden hing zwischen den Gassen. Ich kaufte, was ich brauchte – Verbände, Alkohol, ein kleines Fläschchen Laudanum. Der Apotheker war ein alter Mann mit grauem Bart, der mich kaum ansah.

Als ich den Ort wieder verließ, war der Himmel schwarz geworden.

Der erste Donner traf wie ein Schuss.

Copper schnaubte, und ich spürte, wie die feinen Haare in meinem Nacken sich aufstellten. Dann kam der Regen – prasselnd, kalt, gnadenlos. Ich trieb Copper an, aber die Sicht war schlecht. Wasser schlug mir ins Gesicht, die Straße verwandelte sich in Schlamm. Der Sturm wurde stärker, der Wind heulte durch die Bäume wie ferne Stimmen.

Dann sah ich sie: eine alte Hütte, halb eingestürzt, zwischen den Fichten verborgen. Ich ritt näher. Das Dach war schief, das Holz grau und rissig, aber es bot Schutz. Copper drängte sich zitternd in den Schatten, während ich die Tür aufstieß.

Drinnen roch es nach Staub und altem Holz. Eine kaputte Lampe hing von der Decke, ein umgestürzter Tisch lag in der Ecke. Ich entzündete eine kleine Kerze, das Licht flackerte schwach und zeichnete goldene Schatten an die Wände. Ich atmete tief ein, ließ mich auf den Boden sinken. Das Fläschchen klirrte leise in meiner Tasche.

James.

Ich durfte keine Zeit verlieren. Doch der Regen schlug nun mit solcher Wucht gegen die Bretter, dass ich wusste – hinaus konnte ich nicht mehr. Ich zog die nassen Stiefel aus, rieb meine Hände aneinander. Der Sturm draußen schien zu leben, zu atmen, wie etwas Wildes, Ungezähmtes. Und dazwischen – für einen Moment – glaubte ich, Schritte zu hören.

Leise.

Langsam.

Vor der Tür.

Mein Herz stockte. Ich griff instinktiv nach dem Messer an meinem Gürtel. Das Feuer flackerte, als ein Windstoß durch die Ritzen drang.

Dann – nichts. Nur Regen.

Ich schloss die Augen, zwang mich, ruhig zu atmen. Vielleicht war es nur der Wind gewesen. Vielleicht auch nicht. Die Nacht kroch langsam heran, das Licht der Kerze wurde kleiner, flackernder. Ich lehnte mich an die Wand, spürte die Kälte durch den Stoff meiner Kleidung dringen. Draußen donnerte es erneut – dumpf, tief.

Ein Schatten glitt am Fenster vorbei. Und für den Bruchteil einer Sekunde war ich mir sicher – ich war nicht allein.

 

Kapitel 11 – Kael (Ka-el)

Der Regen hatte nicht aufgehört. Er prasselte gegen die morschen Bretter wie ein Herz, das nicht zur Ruhe kam. Ich saß zusammengerollt im schwachen Kerzenlicht, das über den Boden kroch wie flüssiges Gold. Copper stand draußen im Unterstand, unruhig, stampfte manchmal mit den Hufen.

Ich hörte wieder Schritte.

Diesmal war ich sicher, dass sie echt waren. Langsam, schwer, wie das Gewicht eines Mannes, der keine Eile kennt – aber auch keine Furcht. Mein Herz klopfte so laut, dass ich glaubte, er könne es hören.

Dann öffnete sich die Tür.

Er stand im Rahmen – groß, durchnässt vom Regen, die Schultern breit, der Blick kalt und undurchdringlich. Wasser tropfte von seinem Mantel, seine schwarzen Haare klebten in Strähnen an der Stirn. Eine Narbe zog sich von seiner Wange bis fast zum Kiefer hinab – blass und doch irgendwie… schön. Er sagte nichts. Nur dieser Blick – dunkelblau, fast schwarz im Schein der Kerze. Ein Blick, der mich gleichzeitig frösteln und brennen ließ. Ich stand auf, das Messer fest in der Hand.

„Bleib wo du bist,“ flüsterte ich.

Er trat einen Schritt näher, und das Holz unter seinen Stiefeln knarrte. „Wenn ich gewollt hätte, dass du Angst hast,“ sagte er ruhig, mit einer Stimme, die tief und gefährlich klang, „wärst du schon tot.“

Ich schluckte. Mein Arm zitterte leicht, aber ich ließ das Messer nicht sinken. Er kam noch näher – bis der Schatten seiner Gestalt mich beinahe berührte. Der Geruch von Regen, Leder und Rauch umgab ihn, und plötzlich erschien mir die Hütte viel zu klein.

„Du… du warst es,“ flüsterte ich. „Am Fluss.. der Überfall auf Dry Creek und als mich der Bandit...“ Er sah mich an, die Muskeln in seinem Kiefer spannten sich. „Ja.“

„...Du bist der Anführer der Schattenwölfe.“

Sein Mund verzog sich kaum merklich zu einem dunklen Lächeln. „Und du hast ein Talent dafür, dich in Dinge einzumischen, die dich das Leben kosten könnten.“

Ich wich einen Schritt zurück, aber er folgte, langsam, bedacht – wie ein Raubtier, das weiß, dass seine Beute nirgendwo mehr hin kann.

„Sag mir deinen Namen,“ flüsterte ich.

Er hielt inne. Für einen Moment war nur der Regen zu hören.

Dann trat er noch einen Schritt näher, beugte sich leicht zu mir herunter, bis seine Lippen fast mein Ohr streiften.

„Kael.“

Sein Atem war warm an meiner Haut, und mein Herz stolperte. Ich hätte zurückweichen sollen. Ich hätte schreien sollen. Aber stattdessen blieb ich stehen. Gefangen zwischen Furcht und diesem gefährlichen, brennenden Etwas, das ich nicht benennen konnte.

Er sah mir in die Augen – lange, prüfend, als würde er etwas suchen. Dann hob er eine Hand und strich eine nasse Haarsträhne aus meinem Gesicht. Seine Fingerspitzen waren rau, kalt vom Regen, und die Berührung ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen.

„Du solltest mich vergessen,“ sagte er leise. „So wie ich’s dir gesagt hab.“

„Ich kann nicht,“ hauchte ich.

Etwas in seinem Blick veränderte sich. Nicht weicher – nur tiefer. Gefährlicher. Er berührte mein Kinn, zwang mich, ihn anzusehen.

„Dann wirst du daran zugrunde gehen, Mädchen vom Fluss.“

Ich spürte, wie seine Hand zögernd, beinahe widerwillig über meine Wange glitt, und doch war da etwas in seiner Geste – so viel Zorn, so viel Kontrolle, und zugleich ein Hauch von...Sehnsucht.

Draußen heulte der Wind, riss an der Tür, aber drinnen war alles still, bis auf unseren Atem.

„Kael…“ Ich sprach seinen Namen zum ersten Mal laut aus – und der Klang schien ihm zu gefallen. Ein dunkles, fast gefährliches Lächeln zuckte über seine Lippen.

„Geh nicht in die Dunkelheit, Aurelia,“ flüsterte er. „Dort lauern Männer wie ich.“

„Vielleicht ist es dort… gar nicht so dunkel,“ antwortete ich, bevor ich wusste, was ich da sagte.

Für einen Herzschlag sah er mich an – wirklich an – als hätte ich ihn aus dem Gleichgewicht gebracht. Dann drehte er sich abrupt um, zog den Mantel enger und trat in den Regen hinaus.

Ich blieb zurück, das Herz wild, die Haut noch warm von seiner Berührung. Und während der Sturm über die Ebene zog, wusste ich, dass etwas in mir unwiderruflich zerbrochen war – oder endlich zum Leben erwacht.

 

Kapitel 12 – Das erste Licht

Der Morgen kam grau und zerrissen über die Hügel. Der Sturm hatte nachgelassen, aber in der Luft hing noch der Geruch von Regen und Erde. Ich hatte kaum geschlafen – jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, sah ich sein Gesicht. Diese dunklen Augen, die Art, wie er meinen Namen gesagt hatte, als würde er ihn schmecken wollen.

Ich riss mich los aus dem Bann der Erinnerung.

James.

Ich durfte keine Zeit verlieren. Copper stand schon bereit, unruhig, als wüsste er, dass Eile geboten war. Ich schwang mich in den Sattel, die kleine Hütte blieb hinter mir zurück wie ein Traum, halb süß, halb bitter.

Der Boden war nass, die Hufe spritzten Schlamm, und der Wind zerrte an meinem Mantel. Ich trieb Copper an, bis die Landschaft an mir vorbeiflog – Bäume, Felsen, das endlose Grau des Himmels. Als ich endlich die Ranch sah, stieg mir der Rauch aus dem Kamin entgegen. Vater stand auf der Veranda, bleich, die Hände verschränkt. Als er mich sah, rief er meinen Namen, und ich sprang schon ab, bevor Copper ganz zum Stehen kam.

„Hast du was gefunden?“

Ich nickte, hielt ihm das kleine Päckchen mit den Medikamenten hin, meine Finger zitterten.

„Er ist schwächer geworden,“ flüsterte Lucy, die mir entgegenkam. Ihre Augen waren rot vor Tränen. Ich rannte hinein.

James lag auf dem Bett, das Gesicht fahl, Schweiß stand auf seiner Stirn. Er murmelte etwas Unverständliches, wand sich unter der Decke. Ich legte ihm die Hand auf die Brust – sie hob und senkte sich schwach, aber regelmäßig.

„Halte durch, Bruder,“ flüsterte ich. „Ich bin da.“

Ich kochte Wasser, desinfizierte die Wunde so gut ich konnte, band frische Verbände um seine Schulter. Der Geruch von Alkohol und Blut hing in der Luft. Lucy stand neben mir, stumm, hielt die Lampe. Vater ging draußen auf und ab, als könne er die Zeit damit schneller machen. Die Stunden vergingen zäh wie Honig.

Draußen brach die Sonne durch die Wolken, und das Licht fiel warm auf James’ Gesicht. Ich wischte ihm den Schweiß von der Stirn, flüsterte leise Worte, die ich selbst kaum hörte. Dann, ganz plötzlich, atmete er tiefer. Ruhiger. Ich hielt inne, lauschte.

Er öffnete langsam die Augen – müde, glasig, aber lebendig.

„Aurelia…?“

Ich schluckte hart, und die Tränen, die ich so lange zurückgehalten hatte, brachen hervor. „Ich bin hier,“ flüsterte ich, „du wirst wieder gesund.“ Vater kam herein, blieb im Türrahmen stehen, und für einen Augenblick schien er zehn Jahre jünger. Lucy begann leise zu schluchzen, und ich lächelte durch meine Tränen.

James würde überleben.

Und doch… inmitten dieser Erleichterung, zwischen Atemzügen und Hoffnung, spürte ich etwas anderes. Etwas, das tief in mir weiterbrannte, obwohl es nicht sollte.

Kael.

Sein Name hallte in mir nach, wie das ferne Grollen eines Donners nach dem Sturm. Ich wusste, dass er fort war – aber irgendwo da draußen, in den Wäldern oder über den Hügeln, sah er vielleicht in diesem Moment denselben Sonnenaufgang.

Und ein Teil von mir – ein törichter, gefährlicher Teil – hoffte, dass er mich nicht vergessen würde..

 

Kapitel 13 – Unter Wölfen

(Aus Kaels Sicht)

Der Morgen roch nach Eisen, Rauch und Pferd. Ich war schon vor Sonnenaufgang wach, wie immer. Schlaf war ein Luxus, den ich mir längst abgewöhnt hatte. Das Lager lag still, nur das Knistern der Glut war zu hören und das dumpfe Stampfen der Tiere unten am Fluss.

Meine Männer waren schon auf den Beinen. Jack saß am Feuer, polierte sein Gewehr mit einer Geduld, die man bei einem Mann mit seinen Händen nicht erwarten würde. Mason spaltete Holz, als würde er es für alte Schulden bestrafen. Ryder, der Jüngste, versuchte, seinen Sattel zu flicken, fluchte dabei leise vor sich hin.

Sie waren roh, zäh, brutal. Männer, die nichts zu verlieren hatten außer ihrer Ehre – und selbst die war angekratzt.

Ich ging schweigend an ihnen vorbei. Ich musste nichts sagen. Sie spürten meine Gegenwart, wie man den Wind spürt, kurz bevor ein Sturm losbricht. Manche richteten sich unbewusst auf, andere hielten den Atem an. Das war gut so. Respekt war die einzige Sprache, die diese Welt verstand.

„Boss,“ sagte Jack schließlich, ohne aufzusehen. „Die Späher waren zurück. Kopfgeldjäger in der Gegend. Wieder.“

Ich nickte knapp. „Wie viele?“

„Fünf. Vielleicht mehr.“

Ich zog den Mantel enger, blickte in den grauen Himmel. „Dann sollen sie kommen. Vielleicht brauchen sie was, woran sie sterben können.“

Ein paar der Männer lachten kurz, nervös. Ich nicht. Ich hatte schon zu oft gesehen, wie schnell Lachen im Dreck erstickt.

Ich ging ans Feuer, ließ mich auf einen alten Holzkasten sinken. Der Rauch brannte in meinen Lungen, aber ich mochte das Gefühl. Es erinnerte mich daran, dass ich noch lebte. Und manchmal, wenn ich vergaß, wofür ich überhaupt kämpfte, half mir dieser Schmerz zu wissen, dass ich noch Blut in mir hatte.

Aber heute war der Schmerz anders. Still. Weich.

Ich hasste es, dass ich sie noch immer sah, wenn ich die Augen schloss. Dieses Mädchen vom Fluss - Aurelia. Ihr Blick – hell, klar, mutig, obwohl sie Angst hatte. Ihre Stimme, dieses Zittern, das mich damals mehr gereizt hatte, als mir lieb war.

Ich hätte sie vergessen sollen. Verdammt, ich wollte sie vergessen.

Ich zog an meiner Zigarette, blies den Rauch in die Kälte.

„Verdammt, Mädchen“, murmelte ich leise.

„Was hast du gesagt, Boss?“ rief Ryder vom Fluss her.

Ich drehte mich langsam zu ihm. Ein einziger Blick reichte – der Junge verstummte sofort. Ich brauchte keine Worte, um Autorität durchzusetzen. Sie wussten alle, dass ich gefährlich war. Dass ich töten konnte, ohne zu zögern. Aber was keiner wusste – ich konnte nicht vergessen.

„Pack die Vorräte,“ befahl ich rau. „Wir brechen bei Dämmerung auf.“

„Wohin?“ fragte Mason.

Ich zog meinen Hut tiefer in's Gesicht, schwang mich auf meinen Hengst. „Dorthin, wo uns das Schicksal noch nicht kennt.“

Der Wind fuhr mir durchs Haar, wehte ein paar Strähnen in mein Gesicht. Die Sonne stieg über den Bergen, und für einen Moment sah alles ruhig aus. Doch in meinem Kopf war Sturm. Ich dachte an ihre Augen, ihre Stimme, an das Zittern ihrer Hände, als ich ihr zu nah kam.

Und ich wusste – ich konnte tausend Meilen reiten, tausend Männer töten –

aber sie würde bleiben.

Wie ein Schatten, der meinen Namen flüsterte...

 

Kapitel 14 – Wenn der Wind seinen Namen trägt (Aurelias Sicht)

Zwei Wochen waren vergangen, seit jener Nacht, die sich unauslöschlich in mein Herz gebrannt hatte. Seit der Sturm mich in diese verlassene Hütte getrieben hatte. Seit ich ihn – den Fremden, den ich nun mit Namen kannte – nicht mehr vergessen konnte.

Kael.

Ich versuchte, meinen Alltag zurückzufinden, doch er fühlte sich an, als gehöre er längst jemand anderem. Die Sonne stieg wie immer über Dry Creek auf, das Zwitschern der Vögel mischte sich mit dem Muhen der Rinder und dem leisen Knarren des Zauntors. Alles schien normal – und doch war in mir nichts mehr, wie es war.

James ging es besser. Seine Schulter war noch schwach, aber das Fieber war gebrochen. Ich hatte unzählige Nächte an seinem Bett gewacht, ihm die Stirn getupft, seine Hand gehalten, während er im Delirium wirres Zeug murmelte. Jetzt saß er wieder aufrecht am Küchentisch, trank langsam seinen Kaffee und tat so, als wäre nichts gewesen.

„Du siehst müde aus,“ meinte er an diesem Morgen, sein Blick prüfend.

„Ich bin nur froh, dass du wieder gesund bist,“ antwortete ich und zwang mich zu einem Lächeln.

Er nickte, aber in seinem Blick lag etwas, das mir sagte, dass er mir nicht glaubte.

Lucy summte leise, während sie Brot schnitt, ihre langen blonden Haare zu einem losen Zopf gebunden. Sie sprach von Kleinigkeiten – vom neuen Fohlen, das gestern Nacht geboren worden war, vom Regen, der die Erde endlich weicher gemacht hatte. Vater flickte das Dach der Scheune, und Mutter spann Wolle, als wäre das Leben nie aus dem Takt geraten.

Und doch war er da. In allem, was ich tat. Wie ein Schatten, der mich nie verließ.

Wenn der Wind über die Felder zog, glaubte ich manchmal, das Knarren eines Sattels zu hören. Wenn ich am Brunnen Wasser schöpfte, meinte ich, den Geruch von Leder und Rauch zu spüren. Und nachts, wenn alles still war, lag ich wach und starrte in die Dunkelheit, als würde er dort stehen – irgendwo zwischen Traum und Erinnerung.

Ich hasste mich dafür.

Aber ich konnte nicht anders.

Manchmal fragte ich mich, was er gerade tat. Ob er lachte – falls ein Mann wie er überhaupt lachte. Ob er schlief, ob er ritt. Ob er.. an mich dachte.

Ich wischte mir über die Stirn, während ich auf der Veranda stand und in die untergehende Sonne blickte. Der Himmel brannte in Farben, die so wild waren wie er selbst. James trat neben mich, den Arm in der Schlinge, sein Blick ernst.

„Ich weiß nicht, was du da draußen gesehen hast, Schwester. Aber was immer es war – lass es los. Diese Welt ist schon gefährlich genug, ohne dass du dir Gespenster suchst.“

Ich wollte ihm sagen, dass er sich irrte. Dass es kein Gespenst war. Dass ich seine Stimme noch in meinem Ohr hören konnte. Doch ich schwieg. Der Wind wehte durch die Felder, trug Staub und Abendkühle mit sich. Ich zog mein Tuch enger um die Schultern.

„Ich versuch’s ja“, flüsterte ich leise, aber der Wind trug die Worte fort, als hätten sie nie existiert.

Und irgendwo, jenseits der Hügel, dort, wo der Tag in Dunkelheit versank – war ich sicher, dass er sie gehört hatte..

 

Kapitel 15 – Staub im Blut

(Aurelias Sicht)

Der Tag begann mit Staub. Feiner, grauer Staub, der sich über alles legte – über die Felder, die Fensterbänke, selbst über meine Gedanken. Vater hatte schon seit dem Morgengrauen draußen gearbeitet, als wolle er das Land mit bloßen Händen wieder schuldenfrei machen. Mutter war still, stiller als sonst. Nur Lucy summte leise, eine Melodie, die sie irgendwo aufgeschnappt hatte, doch selbst ihr Gesang klang heute dünn und traurig. Ich schöpfte Wasser am Brunnen, das Seil quietschte leise, und in der Ferne hörte ich Hufschläge.

Fremde.

Zwei Reiter näherten sich dem Hof. Ihre Silhouetten zeichneten sich gegen das gleißende Licht ab – groß, schwer, mit langen Schatten. Als sie näher kamen, sah ich, dass der eine einen schwarzen Mantel trug, der Staub bei jedem Schritt aufwirbelte. Der andere hatte ein Notizbuch in der Hand. Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug – nicht aus Angst, sondern aus dieser instinktiven Unruhe, die man fühlt, wenn sich etwas ändern wird.

Vater trat ihnen entgegen, die Schultern angespannt, die Hände schmutzig von der Arbeit. Ich blieb in der Tür stehen, das Schöpfseil noch in der Hand.

„Mr. Blake“, sagte der Mann mit dem Notizbuch, seine Stimme glatt und unbarmherzig. „Ich komme im Auftrag der Stadtverwaltung von Dry Creek. Es geht um die ausstehende Grundsteuer für Ihr Land.“

Vater wischte sich über die Stirn, der Schweiß hinterließ dunkle Spuren auf seiner Haut. „Ich hab’s nicht vergessen“, knurrte er. „Ich brauch nur noch etwas Zeit.“

Der Mann nickte, ohne jedes Mitgefühl. „Sie haben zwei Wochen. Danach wird das Land gepfändet.“

Er schloss das Buch, drehte sich um und stieg wieder auf sein Pferd. Kein Blick zurück. Der andere Reiter folgte ihm, und schon wenige Minuten später waren sie nur noch Staub in der Ferne.

Niemand sagte etwas. Nur der Wind rauschte durch die Zypressen.

Mutter stand reglos neben dem Brunnen. „Zwei Wochen,“ flüsterte sie. „Wie sollen wir das schaffen?“

Ich spürte, wie mir das Seil aus der Hand glitt und in den Eimer fiel. Das Wasser spritzte über meine Finger, kalt und scharf.

Später, beim Abendessen, war die Luft schwer. James versuchte, Stärke zu zeigen – redete davon, dass er zur Stadt reiten würde, nach Arbeit suchen, irgendetwas tun. Vater schwieg. Lucy starrte auf ihr Brot, ohne zu essen.

„Vielleicht kann ich was tun“, sagte ich schließlich leise.

Alle sahen mich an. Ich wusste selbst nicht, was ich meinte – vielleicht, dass ich helfen wollte, dass ich nicht tatenlos zusehen konnte. Oder vielleicht dachte ich an etwas anderes. An jemand anderen.

Kael.

Sein Name flackerte wie ein verbotener Gedanke durch meinen Kopf. Ich schob den Teller weg und stand auf, bevor jemand meine Unsicherheit bemerkte.

Draußen färbte die Sonne den Himmel in brennendes Rot. Ich trat auf die Veranda, atmete den Geruch von Staub, Holz und nahendem Regen ein. Der Wind trug das ferne Echo eines Hufschlags über die Felder. Vielleicht war es Einbildung. Vielleicht auch nicht.

Ich legte die Hand an mein Tuch, hielt es fest, als könnte ich mich daran verankern.

Zwei Wochen.

Zwei Wochen, um alles zu retten, was wir hatten – und um nicht wieder alles zu verlieren. Doch tief in mir wusste ich, dass alles längst miteinander verbunden war.

Der Hof. Meine Familie. Und er.

Denn wo Staub war, war auch Blut. Und wo Blut war – da würde Kael nicht weit sein.

 

Kapitel 16 – Schatten in Dry Creek

(Aurelias Sicht)

Dry Creek roch an diesem Abend nach Staub, Whisky und Regen, der nicht fiel.

Die Sonne stand tief über den Hügeln, und der Wind trug die letzten, trockenen Töne des Tages durch die Straßen. Ich war in die Stadt geritten, um etwas Mehl zu kaufen – doch schon beim Betreten der Hauptstraße wusste ich, dass etwas anders war.

Die Männer vor dem Saloon redeten leiser als sonst. Frauen, die sonst tratschten, warfen verstohlene Blicke über ihre Schultern. Und vor dem Sheriffbüro stand ein Pferd, das ich noch nie gesehen hatte – mit einer Narbe an der Flanke und Augen so wachsam, dass es wirkte, als würde es alles durchschauen.

Daneben stand sein Reiter.

Er war groß, breitschultrig, und trug einen langen Mantel, der im Wind leicht flatterte. Der Hut war tief ins Gesicht gezogen, doch selbst im Schatten sah man, dass seine Augen hell waren – ein stechendes Grau, das kein Mitgefühl kannte. An seinem Gürtel hingen zwei Revolver, blank poliert, sorgfältig gepflegt. Seine Bewegungen waren ruhig, kontrolliert – zu ruhig.

Ich hatte schon viele Kopfgeldjäger gesehen, aber dieser … er war anders. Er trug Gefahr wie ein zweites Hemd. Ich hörte, wie jemand seinen Namen flüsterte. “Dawson.“ Keiner sprach den Namen laut aus, aber jeder kannte ihn.

Ich blieb im Schatten des Ladens stehen, die Hände fest an meinem Rock. Er ging zum Saloon hinüber, trat durch die Schwingtüren, und für einen Moment kehrte in der Straße absolute Stille ein.

Dann Stimmen. Leise, doch eindringlich.

Ich schlich näher, bis ich neben dem offenen Fenster stand. Der Wind trug Gesprächsfetzen zu mir herüber.

„Ich suche einen Mann,“ sagte Dawson. Seine Stimme war tief, dunkel, beinahe ruhig – und gerade das machte sie gefährlich. „Anführer einer Bande. Nennen sich die Schattenwölfe.“

Ein anderer lachte unsicher. „Diesen Bastard jagt halb Texas, Dawson. Warum ausgerechnet du?“

„Weil ich ihn finde.“ Ein metallisches Klicken, als er den Revolver drehte. „Und wenn ich ihn finde, wird er gehängt. Dry Creek bekommt seine Gerechtigkeit.“

Mir gefror das Blut in den Adern. Gehängt.

Er sprach von Kael. Von ihm.

Ich wich zurück, das Herz hämmerte in meiner Brust. Alles in mir schrie, dass ich mich heraushalten sollte. Dass ich nicht wieder zwischen Gesetz und Schatten geraten durfte. Aber in meinem Inneren war da dieser andere Teil – leise, hartnäckig, wild. Der Teil, der Kaels Stimme im Dunkeln kannte.

Der Teil, der wusste, dass er mir einmal das Leben gerettet hatte.

Ich sah zum Horizont. Die Sonne verschwand gerade hinter den Hügeln, das Licht wurde golden, dann rot.

Ich wusste, was ich tun würde.

Noch in derselben Stunde sattelte ich mein Pferd. Mutter rief mir etwas hinterher, aber ich antwortete nicht. Ich konnte nicht. Der Wind brannte in meinen Augen, während ich über den trockenen Boden jagte – fort von Dry Creek, hinein in die Wildnis.

Jeder Hufschlag hallte in meinem Kopf wider wie ein Vorwurf. Du solltest ihn nicht warnen. Er ist gefährlich. Ein Gesetzloser. Doch in meinem Inneren brannte nur ein Gedanke:

Wenn sie ihn hängen, dann nicht, ohne dass er es weiß.

Der Himmel verdunkelte sich, und über den Bergen flackerte das ferne Licht eines Gewitters. Ich wusste nicht, ob ich ihn rechtzeitig finden würde. Ich wusste nur – ich musste es versuchen.

Denn egal, was er getan hatte …

ich konnte nicht zulassen, dass Kael stirbt.

 

Kapitel 17 – Feuer und Schatten

(Aurelias Sicht)

Der Tag war lang gewesen. Staub und Sonne hatten mich ausgezehrt, der Weg war endlos, und jedes Geräusch in der Ferne ließ mich zusammenzucken. Ich hatte gehofft, irgendeine Spur von ihm zu finden – ein altes Lager, Hufabdrücke, irgendetwas. Aber die Wildnis schwieg.

Als die Dunkelheit fiel, suchte ich Schutz in einer kleinen Senke zwischen den Hügeln. Ich band mein Pferd an einen verwitterten Baum, sammelte dürres Holz und entzündete ein kleines Feuer. Das Flackern war das Einzige, was mich noch wach hielt.

Die Flammen warfen goldene Linien auf meine Hände. Ich dachte an Kael – an sein Gesicht im Schein des Sturms, an die Ruhe in seinen Augen, an den Ton seiner Stimme, wenn er meinen Namen sprach. Und an das, was Dawson gesagt hatte.

Gehängt.

Ich konnte das Wort nicht vergessen. Es hallte in meinem Kopf wie ein Urteil.

Irgendwann wurde mir schwer vor Müdigkeit. Ich zog meine Decke enger um mich und ließ die Augen zufallen, während das Feuer leise knisterte. Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen hatte, als mich ein Geräusch weckte.

Ein Knacken, ganz leise – und dann der Geruch von Rauch, stärker als zuvor.

Ich blinzelte. Das Feuer brannte heller. Und gegenüber, im Licht der Flammen, saß er.

Kael.

Er hatte sich nicht angekündigt. Er saß einfach da – mit diesem stillen, selbstverständlichen Ausdruck, als hätte er nie etwas anderes getan, als über mich zu wachen. Seine Stiefel waren staubig, das Hemd offen am Kragen, der Schatten seines Kiefers scharf im Licht.

„leichter Schlaf, hm?“ murmelte er, ein kaum sichtbares Lächeln spielte um seine Lippen. Mein Herz schlug so heftig, dass mir der Atem stockte.

„Kael…“ Ich setzte mich auf, die Decke glitt von meinen Schultern. „Wie… woher wusstest du—“

„Du bist nicht gerade leise geritten.“ Er grinste, aber in seinen Augen lag etwas anderes – Wachsamkeit, Neugier, vielleicht auch ein Rest Misstrauen.

Ich schluckte, versuchte, meine Stimme ruhig zu halten. „Ich musste dich finden.“

Er lehnte sich zurück, sah ins Feuer. „Warum?“

Ich zögerte. Dann kam alles auf einmal. „Weil… jemand nach dir sucht. Ein Kopfgeldjäger. Er nennt sich Dawson. Er ist gefährlich, Kael. Ich habe ihn in Dry Creek gehört – er weiß, wer du bist. Und…“

Ich sah ihn an, suchte einen Hauch von Reaktion in seinem Gesicht.

„…er will dich hängen sehen.“

Ein Windstoß fuhr durch die Nacht, und die Flammen zuckten. Kael blieb still. Nur sein Blick wurde dunkler. Dann – ganz ruhig – zog er ein Stück Holz aus dem Feuer, stieß es in die Erde und sah mich an.

„Sollen sie’s versuchen.“

Seine Stimme war leise, aber so sicher, dass sie mir durch Mark und Bein ging.

„Du nimmst das zu leicht,“ flüsterte ich. „Er ist nicht wie die anderen, Kael. Ich hab’s gesehen – in seinen Augen. Der Mann ist…“

„Wie ich?“ Er grinste schief. „Oder schlimmer?“

Ich wich seinem Blick aus, doch er lachte leise. Das Feuer spiegelte sich in seinen Augen, gold und gefährlich.

„Ich weiß, was ich tue, Aurelia,“ sagte er, und mein Name klang in seiner Stimme wie ein Versprechen. „Wenn er mich will, muss er mich erst finden. Und wenn er das schafft… dann sollte er sich besser von dir fernhalten.“

Ich spürte, wie mein Atem schneller ging. Kael sah mich noch immer an – dieses unerschütterliche Selbstvertrauen, diese Ruhe vor dem Sturm.

Sein Blick glitt über mein Gesicht, blieb kurz an meinen Lippen hängen. Ich wollte etwas sagen – doch die Worte verließen mich nicht.

Das Feuer knackte, und in der Stille dazwischen war alles, was blieb: der Wind, der unsere Haut streifte, und das ungesagte Ziehen zwischen uns. Er beugte sich leicht vor, die Schatten spielten über seine Züge.

„Du hättest nicht kommen sollen,“ murmelte er.

„Ich weiß.“ Ich hob den Blick, zwang mich, ihn anzusehen. „Aber ich konnte nicht anders.“

Ein kaum wahrnehmbares Lächeln erschien in seinen Augen. Er streckte die Hand aus – nicht, um mich zu berühren, sondern um ein Stück Holz nachzulegen. Doch die Bewegung kam so nah an meine Hand, dass ich die Wärme seiner Haut spürte.

Es war nichts weiter als ein Atemzug, ein Moment zwischen Feuer und Dunkelheit und doch fühlte es sich an, als könnte die ganze Welt darin verbrennen.

 

Kapitel 18 – Zwischen Zähnen und Feuer

(Aurelias Sicht)

Die Nacht war still geworden. Nur das Knistern der letzten Glut und das leise Schnauben der Pferde mischten sich in die Dunkelheit. Kael saß noch immer da, die Schultern vom Flammenschein gerahmt, als wäre er selbst Teil der Wildnis.

Ich wollte etwas sagen – doch bevor ich den Mut fand, drang ein Laut durch die Stille.

Ein tiefes, kehliges Knurren.

Kael erstarrte. Sein Kopf fuhr herum, seine Hand glitt wie von selbst an das Messer an seiner Hüfte.

„Bleib ruhig,“ flüsterte er. Seine Stimme war kaum hörbar, aber sie schnitt scharf durch die Luft.

Ich hielt den Atem an. Das Knurren kam näher – dumpf, schwer, begleitet von dem Brechen von Ästen.

Dann sah ich ihn.

Ein Bär. Groß, dunkel, mit nassem Fell, das im Feuerschein glänzte. Seine Augen funkelten bernsteinfarben, und das Geräusch seines Atems klang wie das Grollen eines nahen Gewitters.

Ich spürte, wie mir das Blut in den Adern gefror.

„Kael…“ flüsterte ich.

„Langsam,“ zischte er. „Keine Bewegung.“

Der Bär trat ins Licht, die Schultern mächtig wie Fels, das Maul halb geöffnet. Der Geruch von Erde und Tier mischte sich mit Rauch.

Kael stand auf, langsam, kontrolliert. Zwischen uns und dem Tier. „Geh zum Pferd,“ murmelte er kaum hörbar.

Ich schüttelte den Kopf, unfähig, mich zu rühren.

Der Bär brummte, schnüffelte in der Luft. Dann richtete er sich auf – zwei Meter groß, vielleicht mehr. Das Feuer spiegelte sich in seinen Augen.

„Jetzt, Aurelia!“ Kaels Stimme war tief, befehlend.

Ich riss mich los, rannte zu meinem Pferd – doch das Tier schnaubte panisch, riss sich los.

Der Bär brüllte, ein Laut, der den Boden vibrieren ließ. Kael griff nach dem brennenden Holz im Feuer und schleuderte es dem Tier entgegen. Funken stoben in die Dunkelheit. Der Bär wich zurück, brüllte wütend – dann sprang er nach vorn.

Ich schrie. Kael zog sein Messer, der Bär riss die Pranken hoch.

Ein Augenblick, ein Herzschlag – und dann ein gleißender Blitz aus Bewegung. Kael wich im letzten Moment aus, das Messer blitzte in seiner Hand, schnitt durch die Dunkelheit, traf Fell. Ein dumpfer Laut, ein Aufbäumen.

„Lauf!“ brüllte Kael.

Ich rannte, stolperte über Wurzeln, hörte das Donnern der Hufe – Kaels schwarzer Hengst stand ein Stück abseits, wie aus Schatten gemeißelt.

„Rauf!“

Ich spürte seine Hand an meiner Taille, den Ruck, als er mich in den Sattel hob. Dann sprang er hinter mich, der Hengst bäumte sich auf – und wir rasten davon.

Der Wind peitschte mir ins Gesicht. Hinter uns hörte ich noch das Brüllen, dann nur noch den galoppierenden Rhythmus, das Pochen in meinem Brustkorb. Kael lenkte das Tier sicher durch das unwegsame Gelände, als würde er den Weg im Schlaf kennen. Erst, als die ersten grauen Linien des Morgens den Horizont färbten, ließ er den Hengst langsamer werden.

Ich drehte mich halb zu ihm um, atemlos. „Du… hast ihn—“

„Nein,“ murmelte er. „Nur verwundet. Aber er folgt uns nicht.“

Seine Stimme war rau, sein Atem heiß an meinem Hals. Ich merkte erst jetzt, wie nah er war – wie seine Brust gegen meinen Rücken stieß, wie seine Hände fest den Zügel hielten, dicht an meinen Hüften.

Keiner sagte etwas. Der Wind trug den Geruch von Rauch, Fell und Erde mit sich – und die unausgesprochene Hitze zwischen uns.

Nach einer Weile tauchten Schatten in der Ferne auf – Zelte, Pferde, eine Feuerstelle.

Kaels Lager.

Als wir einritten, wandten sich Köpfe. Männer traten aus dem Dämmerlicht – rau, verwittert, Narben im Gesicht, Waffen an den Hüften.

Jack war der Erste, der sprach. „Boss? Wer zum Teufel ist das?“ Sein Blick glitt zu mir, misstrauisch, forschend.

„Sie gehört zu mir,“ sagte Kael ruhig, ohne eine Miene zu verziehen.

Ein Murmeln ging durch die Reihen. Mason trat vor, runzelte die Stirn. „Seit wann bringst du Gäste mit?“

Kael schwang sich vom Pferd, half mir hinunter – seine Hand blieb einen Moment zu lang an meinem Arm.

„Seit es nötig ist,“ antwortete er nur.

Ich spürte die Blicke der Männer – rau, prüfend, fast feindselig. Kael ignorierte sie, ging am Feuer vorbei. „Ruh dich aus. Hier bist du sicher.“ Seine Stimme war leise, fast weich.

Ich wollte etwas erwidern, aber Mason lachte leise. „Sicher, sagt er. Mitten unter Wölfen.“

Kael drehte sich zu ihm, sein Blick hart wie Stahl. „Genau deshalb.“

Mason verstummte sofort.

Ich stand da, das Herz noch immer hämmernd, den Rauch in der Lunge, das Pochen in der Brust. Und während ich in Kaels dunkle Augen sah, wusste ich – ich war vielleicht unter Wölfen. Aber ich fühlte mich zum ersten Mal am richtigen Ort.

 

Kapitel 19

(Aurelias Sicht)

Als die Nacht über die Hügel kroch und das Lager der Schattenwölfe in Dunkelheit tauchte, legte sich langsam Ruhe über die Männer. Nur das Knistern der Flammen und das leise Wiehern der Pferde füllten die Stille.

Kael saß etwas abseits vom Feuer, den Blick auf die Glut gerichtet, während ich mich in eine Decke hüllte und mich in seine Nähe setzte. Die Anspannung des Tages hing noch in der Luft – der Angriff, die Flucht, die Blicke seiner Männer. Doch hier, unter dem Sternenzelt, schien die Welt für einen Atemzug stillzustehen.

Er sagte nichts. Ich auch nicht.

Aber manchmal braucht es keine Worte, um etwas zu spüren.

Dann hob er den Blick, und unsere Augen trafen sich über dem schwachen Flackern der Flammen – ein stilles Versprechen, das keiner von uns aussprach.

 

Kapitel 20 – (aus Kaels Sicht)

Das Feuer war fast erloschen, als sie es sagte.

Nur ein beiläufiger Satz, beiläufig wie ein Windstoß – aber er traf mich, härter, als ich zugeben wollte.

„Wir verlieren wohl bald die Ranch.“

Ich sah sie nicht an, doch jedes Wort brannte sich ein. Ich kannte diesen Ton – die Mischung aus Stolz und Angst, aus Hoffnung und Resignation. Dry Creek fraß die Menschen auf, langsam und gründlich. Ich hatte das zu oft gesehen.

Ich sagte nichts. Worte würden nichts ändern. Aber in mir zog sich etwas zusammen – dieses alte, hässliche Gefühl, das ich lange verlernt glaubte: Beschützen zu wollen.

Sie saß da, die Hände im Schoß, das Feuer spiegelte sich in ihren Augen. Und ich wusste, dass ich, egal wie weit ich mich von ihr fernhielt, irgendwann zu weit gehen würde.

Als sie mir später folgte, durch das Lager, hörte ich das leise Rascheln ihrer Schritte im Staub hinter mir. Meine Männer sahen auf, sahen sie – die Fremde, die in ihrer Mitte ging – und sahen mich.

Ich erwiderte keinen ihrer Blicke. Sie wussten, was das bedeutete: Keine Fragen. Keine Kommentare.

Ich brachte sie zu einer der Hütten, eine, die seit Tagen leer stand. Sie blieb an der Tür stehen, die Finger am Holzrahmen, als hätte sie Angst, zu viel Raum einzunehmen.

„Du kannst hier schlafen“, sagte ich. Es klang neutral, so sollte es klingen – doch es war es nicht.

Ich trat näher, spürte, wie sich die Luft zwischen uns veränderte. Sie roch nach Staub, nach Wind, nach etwas Weichem, das nicht hierherpasste – und doch genau das war, was mir gefehlt hatte.

Ich sah sie an. Zu lange. Zu intensiv.

Ihre Lippen bewegten sich, als wollte sie etwas sagen, aber kein Wort kam heraus. Ich hob die Hand. Nur um ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. Doch als meine Finger ihre Haut berührten, war es vorbei mit der Kontrolle.

Sie fror nicht ein. Sie wich nicht zurück.

Sie sah mich an – direkt, offen, mit dieser Mischung aus Mut und Unschuld, die mich mehr reizte, als jede verführerische Frau es je gekonnt hätte.

Ich beugte mich vor, langsam, zu langsam, weil jeder Instinkt in mir schrie, dass ich aufhören sollte.

Aber ich tat es nicht.

Ein Atemzug, noch einer – dann war ich so nah, dass ich ihren Herzschlag hören konnte.

Verdammt.

Ich zwang mich zurück. Einen Schritt, dann noch einen. Die Luft schmeckte nach ihr, und ich hasste mich dafür, dass ich sie nicht vergessen konnte.

„Schlaf gut, Aurelia“, sagte ich schließlich. Es klang rau, fast heiser.

Ich ging hinaus, ohne mich noch einmal umzudrehen. Draußen atmete ich tief durch. Der Wind war kühl, klar – und doch fühlte sich jeder Atemzug an, als hätte ich Feuer geschluckt.

Sie würde die Ranch verlieren, wenn ich nichts tat.

Und so sehr ich mich selbst dafür verfluchte – ich wusste längst, dass ich etwas tun würde. Nicht aus Pflicht. Nicht aus Schuld.

Sondern weil sie es war.

Und weil ich längst verloren war.

 

Kapitel 21 – Schatten über der Ranch

(Aurelias Sicht)

Der Morgen war kühl, und der Tau lag schwer auf den Gräsern der Weiden. Kael stand bereit, sein schwarzer Hengst ungeduldig wie sein Reiter, während die Sonne langsam über die Hügel kroch.

„Bereit?“ fragte er nur, die Stimme tief und ruhig, als hätte sie die Macht, alles andere zu übertönen. Ich nickte, mein Herz schlug schneller, als ich mich in den Sattel schwang.

Der Ritt zurück zur Ranch war still. Nur das rhythmische Klappern der Hufe auf dem feuchten Boden und das leise Rascheln der Blätter begleiteten uns. Kael saß so auf dem Pferd, dass selbst der Wind, der ihm ins Gesicht griff, nicht in der Lage schien, ihn zu bewegen. Kraftvoll, unnahbar, gefährlich schön – jede Bewegung strahlte Kontrolle aus.

Als wir ein kleines Stück vor der Ranch anhielten, spürte ich die Schwere des Augenblicks. Der Hof lag vor uns, die Umrisse von Haus und Stall noch vom frühen Licht gedämpft, und hinter uns die Welt, in der Kael lebte – wild, unbarmherzig, unberechenbar.

Er drehte sich zu mir, sein Blick so intensiv, dass es sich anfühlte, als könnte er bis in mein Innerstes sehen.

„Hier ist es sicher,“ sagte er knapp, seine Stimme sanft, aber mit einem Unterton, der meine Knie weich werden ließ. Ich senkte den Kopf, wollte etwas sagen, doch die Worte blieben in meiner Kehle stecken. Die Nähe, die Hitze seines Körpers, der Geruch von Leder, Rauch und etwas Wildem – alles zog mich an wie ein Magnet. Ich wollte bleiben. Ich wollte es nicht.

Er beugte sich leicht vor, nur ein Atemzug entfernt, und ich spürte den Hauch seiner Lippen an meiner Haut. Ein Moment, der alles hätte verändern können. Die Spannung zwischen uns knisterte, als würde die Welt den Atem anhalten. Und doch zog er sich zurück, so souverän und unnahbar, dass der Abstand noch schmerzlicher war.

„Pass auf dich auf, Aurelia,“ murmelte er, sein Blick noch einen Moment auf mir ruhend, bevor er sich zurücklehnte.

Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug, als er sich umdrehte und langsam davonritt. Jede Bewegung, jeder Schlag seines Pferdes, ließ es so wirken, als würde er für immer verschwinden.

Mein Vater trat aus dem Haus, die Stirn gerunzelt, die Arme verschränkt. Sein Blick ruhte auf mir, und ich wusste, dass Fragen folgen würden. „Aurelia… mit wem warst du unterwegs?“ Seine Stimme war streng, warnend. „Du weißt, dass du dich von diesem Mann fernhalten sollst. Er ist ein Bandit – gefährlich. Kein Leben, das du dir wünschen solltest.“

Ich senkte den Blick, fühlte die Last seiner Worte und zugleich das Echo von Kaels Nähe, noch in mir brennend. Ein letzter Blick über die Schulter verriet mir, dass er mich nicht aus seinen Gedanken verlieren würde – und dass ich ihn ebenso wenig loslassen konnte.

Die Ranch lag still, doch in mir tobte ein Sturm. Kael war fort, doch die Erinnerung an ihn, an den Hauch seiner Lippen, an die unnahbare, verführerische Kraft, die von ihm ausging, würde mich nicht loslassen. Ein Abschied, intensiv und schmerzlich – als würde ich ihn nie wiedersehen.

Die Sonne stieg höher, und ich wusste, dass nichts mehr so sein würde wie zuvor.

 

Kapitel 22 – Tanz der Schatten (1)

(Aurelias Sicht)

Der Morgen brach kalt und klar über Dry Creek herein. Mein Vater wartete bereits in der Küche, die Stirn tief gerunzelt, die Hände fest auf dem Tisch verschränkt.

„Aurelia,“ begann er mit strenger Stimme, „Du darfst ihn nie wiedersehen.. diesen Banditen, verstehst du?“

Ich senkte den Kopf, die Worte trafen mich, aber mein Herz rebellierte leise gegen die strikte Forderung. „Ja, Vater… ich verstehe,“ flüsterte ich und spürte, wie ein Teil von mir gegen das Verbot aufbegehrte, während ein anderer Teil schwer von Angst und Schuld war.

Am Abend jedoch war die Schwere vergessen, zumindest äußerlich. Dry Creek war in ein sanftes, goldenes Licht getaucht. Lampen aus Öl leuchteten an den Balkonen und in den Fenstern der kleinen Häuser, der Boden glänzte noch leicht feucht vom leichten Regen zuvor, und der Duft von frischem Brot und Braten zog durch die Straßen. Musik schwebte über dem Hauptplatz, begleitet von Lachen und dem Rattern von Wagenrädern.

Ich zog mein Festkleid an, ein zartes Blau, das im Schein der Laternen fast zu leuchten schien. Der Stoff schmiegte sich sanft an meine Taille und fiel in leichten Wellen bis zu meinen Knöcheln. Mein Haar hatte ich zu einem losen Zopf geflochten, aus dem einige Strähnen sanft mein Gesicht umspielten. Ein Hauch von Lavendel lag in meiner Nähe, süß und beruhigend, doch auch geheimnisvoll.

Als ich über den Platz ging, fühlte ich die Blicke der Dorfbewohner, die mich bewunderten – oder vielleicht nur neugierig waren. Die Musik der Band, die auf einer kleinen Bühne spielte, schwebte über den Menschenmengen, und jeder Schritt auf dem Boden schien den Rhythmus des Abends zu unterstreichen.

Plötzlich spürte ich eine Präsenz neben mir. Ein junger Mann, charmant und gutaussehend, trat vor. Er lächelte, ein leicht schelmisches Funkeln in den Augen, und verbeugte sich leicht.

„Darf ich bitten, Mademoiselle?“ fragte er, die Hand ausgestreckt. Ich zögerte kurz, dann legte ich meine Hand in seine. Sofort ergriff er mich sanft, doch bestimmt, und wir begannen uns im Takt der Musik zu bewegen.

Sein Griff war sicher, elegant, und sein Blick fixierte mich so, dass mein Herz einen kleinen Aussetzer machte. Doch trotz des Lächelns spürte ich eine Spannung, ein Unbehagen tief in meiner Brust. Er war nicht zufällig hier. Keiner, der so aufmerksam und charmant war, bewegte sich ohne Grund durch Dry Creek.

Die Lichter der Stadt funkelten wie kleine Sterne, und die Musik umhüllte uns wie ein sanfter Schleier. Mein Blick glitt über die Menge, die lachenden Kinder, die tanzenden Paare, die alten Männer, die noch Geschichten von früher erzählten. Und inmitten all dessen spürte ich die Präsenz dieses Fremden, den Hauch von Gefahr, der leise zwischen uns pulsierte.

Jeder Tanzschritt war perfekt, jeder Blick intensiv, und ich wusste, dass dieser Abend noch lange nicht vorüber war – und dass die Schatten, die sich in den Straßen von Dry Creek bewegten, vielleicht dunkler waren, als sie auf den ersten Blick schienen.

 

Kapitel 23 – Tanz im Schatten (2)

(Aurelias Sicht)

Die Musik drang durch die Straßen von Dry Creek, begleitet von Lachen und klirrendem Glas. Ich tanzte mit dem Fremden, seinen Arm fest an meinem Rücken, seine Hand kühl, aber sicher. Sein Lächeln war charmant, seine Bewegungen flüssig und elegant – und doch spürte ich die Kälte in seinen Augen, die mich durchbohrte.

„Erzähle mir von deiner Familie, Blumenkind…“ flüsterte er, seine Stimme leise und zugleich fordernd. Jedes Wort schien in meine Gedanken zu bohren, und ich spürte, wie sich eine unsichtbare Spannung aufbaute. Ich antwortete ausweichend, lächelte, hielt seine Hand fest, doch die Gefahr in seinem Blick ließ mich frösteln.

Kael war da.

Ich konnte ihn nicht sehen, aber ich spürte ihn. Dunkel wie die Nacht, ein Schatten, der sich durch die flackernden Fackeln bewegte, jede meiner Bewegungen beobachtend. Er stand abseits, seine Präsenz bedrohlich und unnahbar zugleich. Wie ein Raubtier, das sich im Spiel der Jagd auf mich konzentrierte, ohne sich zu verraten.

Der Fremde führte mich weiter durch den Tanz, seine Fragen wurden schärfer, unterschwellig aggressiver. „Du kennst ihn, nicht wahr? Den Anführer der Schattenwölfe… Kael. Seine Stimme verlor den Charme, den er anfangs getragen hatte, und verwandelte sich in ein drohendes Raunen, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Ich zwang mich zu einem Lächeln, antwortete weich, ließ nichts durchscheinen. Doch innerlich war ich zerrissen: zwischen Angst, Pflicht und dem Wunsch, Kael zu warnen. Und ich wusste, dass Kael jeden Moment wie ein dunkler Schatten über der Szene schwebte, bereit, zuzuschlagen, wenn jemand mir zu nahe käme.

Als der Tanz endete, zog mich der Fremde leicht zu sich heran, fast zu nah, sein Blick verlangend, fordernd. Ich wich nicht zurück, meine Finger krallten sich unbewusst an seinem Arm, doch Kaels Schatten war wie ein unsichtbarer Mantel über mir. Ich spürte seine Hitze, seine Kontrolle, seine stille, gefährliche Präsenz, und ein Schauer lief mir über den Rücken.

Jeder Herzschlag, jede Bewegung auf dem Fest war geladen mit Gefahr und Verlangen zugleich. Und tief in mir wusste ich: Kael sah alles. Und er würde eingreifen – aber nur, wenn ich in echter Gefahr war. Bis dahin blieb er ein Schatten, der über mich wachte, unnahbar und tödlich zugleich.

 

Kapitel 24 – Feuer im Schatten

(Aurelias Sicht)

Die Sonne war längst hinter den Hügeln verschwunden, und Dry Creek versank im warmen Schein der Straßenlaternen. Ich spürte, wie der Fremde mich näher an mich heranzog, als wir die letzten Schritte zu unserer Ranch gingen. Sein Blick war eisig, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern, doch sie schnitt tiefer als ein Messer.

„Dreh dich nachts zweimal um, Blumenkind…“ sagte er langsam, jedes Wort durchdringend. „Sagst du mir nicht die Wahrheit über Kael, wird euer Hof bald brennen. Nicht heute, nicht morgen… aber bald.“

Mein Herz schlug schneller, Panik kroch durch meine Adern. Ich wollte schreien, weglaufen – und doch hielt mich seine Präsenz wie ein Magnet fest. Der Boden unter meinen Füßen schien sich zu verengen, und die Dunkelheit um uns herum wurde drückend, fast lebendig.

Plötzlich hörte ich das knarrende Geräusch von Schritten hinter uns. Mein Vater trat aus dem Schatten, die Waffe in der Hand, seine Augen blitzten vor Zorn. „Verschwinde von hier, du elender Bastard!“, rief er, seine Stimme donnernd und klar. „Fass meine Tochter nicht an."

Der Fremde zuckte zusammen, seine Haltung schwankte, doch er verbarg schnell wieder jede Regung hinter einem Hauch von Arroganz. Doch in seinen Augen lag ein Funken Respekt – und vielleicht auch Furcht. Er ließ die Hand sinken und zog sich einen Schritt zurück.

Mein Vater trat vor mich, sein Blick unverwandt auf den Fremden gerichtet, die Waffe fest in der Hand. „Geh. Und komm nie wieder.“

Der Mann verschwand schließlich, die Nacht verschluckte seine Gestalt, doch der Schrecken, den er hinterlassen hatte, blieb. Ich zitterte leicht, während mein Vater mich in den Arm nahm. Sein Herz pochte gegen meines, und ich spürte die geballte Mischung aus Schutz, Wut und Sorge.

In der Ferne, jenseits der Dunkelheit der Ranch, wusste ich, dass Kael in irgendeiner Form zusah. Ich spürte seinen Schatten wie ein Versprechen – kalt, gefährlich, aber beschützend. Und tief in mir wuchs die Gewissheit: Wer auch immer es wagen würde, uns zu bedrohen, würde sich früher oder später mit Kael anlegen…

 

Kapitel 25 – Schatten über Saint Deny

(Aus Kaels Sicht)

Ich saß auf meinem Pferd am Rand des Waldes, die Hände fest um die Zügel geschlossen, während die Dämmerung über das Land fiel. Vor mir lag meine Bande – rau, kalt, Männer, die nichts fürchten, außer dem Zorn, den ich ihnen bereiten konnte. Sie hatten mich längst als Anführer akzeptiert, als unerschütterliche Autorität, deren Entscheidungen nicht hinterfragt werden. Und sie gehorchten, nicht aus Freundschaft, sondern aus purer Ehrfurcht.

„Hört zu“, begann ich, meine Stimme dunkel und ruhig, doch jeder Ton trug Gewicht. „Wir haben einen Auftrag. Saint Deny. Die Bank. Es geht um Geld. Viel Geld.

Jack knirschte mit den Zähnen, Mason nickte knapp, Ryder sah zu Boden, während er die Kanten seines Messers polierte. Jeder von ihnen wusste, dass dieser Überfall kein Spiel war. Wir würden kalt, effizient und gnadenlos vorgehen. Fehler? Nicht erlaubt. Schwäche? Unverzeihlich.

Während ich die Pläne erklärte, konnte ich nicht verhindern, dass meine Gedanken zu ihr wanderten – Aurelia. Ich hatte sie auf dem Fest gesehen, diesen Moment, als sie im Licht der Lampen tanzte, ihr Kleid wie flüssiges Feuer um sie wirbelte, der Duft von Lavendel schwer in der Luft. Ich hatte mich selbst ertappt, wie mir fast der Atem stockte. Nicht vor Schwäche, nicht aus Furcht, sondern weil sie… einfach sie war. Wunderschön, unnahbar, gefährlich in ihrer eigenen Art. Meine dunkle Seite hatte ihre Faszination längst erkannt – und ich war verdammt dazu, sie zu schützen, koste es, was es wolle.

„Wir müssen vorbereitet sein“, fuhr ich fort, meine Stimme nun härter, als ich die Wege durch die Stadt, die Wachposten und die Fluchtwege erklärte. „Kein Platz für Zweifel. Wir kommen, wir nehmen, wir verschwinden. Verstanden?“

„Ja, Boss“, kam das raue, einstimmige Echo. Rau und kalt, genauso wie sie waren – Männer, die gelernt hatten, den Tod zu akzeptieren und ihre Loyalität mir zu verschreiben.

Ich beobachtete ihre Gesichter, das harte Licht des Feuers auf ihren Narben, den kalten Glanz in ihren Augen. Sie wussten, dass ich nicht zögern würde. Ich war hart, ich war kalt, entschlossen – und ich würde Aurelia und ihre Familie - Die Blakes schützen, egal, was nötig war.

Als die Nacht tiefer wurde, zog ich die Schultern hoch, mein Blick in der Ferne auf die Lichter von Dry Creek gerichtet. Sie ahnte nichts von dem, was kommen würde. Und das musste so bleiben. Alles andere würde nur… kompliziert werden.

Ich konnte die Gefahr spüren, die auf uns lauerte. Aber ebenso stark spürte ich, dass nichts, keine Stadt, kein Gesetz, keine Waffe, mich davon abhalten würde, zu tun, was getan werden musste. Für Aurelia. Für ihre Familie.

 

Kapitel 26 – Schatten über Saint Deny

(Aus Kaels Sicht)

Die Straße nach Saint Deny zog sich in der Dämmerung vor uns aus, trocken und staubig, während meine Männer hinter mir herritten, lautlos, wie Schatten in der Nacht. Jeder Schritt unserer Pferde war sorgfältig gesetzt; kein Geräusch durfte die Stadt warnen, kein Flattern eines Sattels oder Klirren einer Waffe durfte uns verraten. Ich wusste, dass das, was wir vorhatten, fast lebensmüde war. Und ich wusste, dass danach das ganze Land uns suchen würde. Aber es gab keine Alternative.

Wir erreichten die Ränder der Stadt, eine dunkle Wand aus Holz und Stein, in deren Straßen bereits das Licht von Lampen flackerte. Ich hielt an, ließ meine Männer hinter Büschen und Bäumen verteilen, Augen überall. Mason überprüfte noch einmal seine Waffe, Ryder wirbelte sein Messer durch die Finger, Jack schnaubte leise und war bereit. Jeder von ihnen spürte, dass dies kein gewöhnlicher Raub war.

„Wir warten den richtigen Moment ab“, knurrte ich, meine Stimme rau und schneidend. „Kein voreiliges Handeln. Niemand stirbt heute, außer den Feinden.“

Die Augen auf Saint Deny gerichtet, beobachtete ich die Wachen vor der Bank, die kleinen Gassen, die Lichtungen, auf denen wir auftauchen könnten. Meine Gedanken waren scharf, kalt wie Stahl – alles musste passen. Timing, Abstand, Fluchtwege. Keine Fehler.

„Boss… ich… ich mach da nicht mit“, meldete sich plötzlich einer meiner Männer, seine Stimme zitterte, was selten vorkam. Es war Harris, ein Mann, der nie Furcht zeigte, ein Krieger in jeder Hinsicht. „Saint Deny… das ist Selbstmord. Ich mach da nicht mit.“

Ich drehte mich langsam zu ihm, meine Augen funkelten dunkel in der Nacht, und meine Präsenz allein ließ ihn zurückweichen.

„Du wagst es, mir zu widersprechen?“ Meine Stimme war leise, aber sie schnitt durch die Stille wie ein Messer. „Harris, du gehst nicht. Du folgst mir, oder du...“ Ich ließ das Schweigen hängen, wie einen Schlag, der ihn ersticken sollte. „…oder du verlässt die Bande. Deine Entscheidung.“

Er schluckte schwer, sein Blick weicher geworden. „Ich… ich kann nicht.“

Ich machte einen Schritt auf ihn zu, meine Hand auf den Griff meines Messers, obwohl ich es nicht zog. Nur die Aura, die von mir ausging, ließ ihn die Knie leicht beugen. „Lebensmüde? Vielleicht. Aber Loyalität ist kein Spiel, Harris. Wenn du zu feige bist, verlierst du alles – sogar dein Leben, bevor wir kämpfen.“

Er kniff die Augen zusammen, dann drehte er sich wortlos um, ließ den Konflikt in der Dunkelheit. Die übrigen Männer beobachteten schweigend, respektvoll, wie ich jeden Schritt, jedes Wort kontrollierte. Ich war hart, kalt, dominant. Ich war ihr Anführer – nicht nur durch Gewalt, sondern durch die eiserne Präsenz, die sie ehrfürchtig machte.

„Alles bereit?“ fragte ich die anderen, die wie Schatten in der Nacht standen.

„Ja, Boss.“

Meine Augen glitten noch einmal über die Stadt, die Lichter, die Wächter, die Straßen. Ich spürte die Gefahr in jeder Ecke, den Puls der Stadt, und doch fühlte ich nur eine Entschlossenheit: Wir würden diesen Überfall machen. Und danach würde niemand mehr glauben, dass Kael Dunham ein Mann war, den man leicht fassen konnte.

Und irgendwo, tief in mir, brannte der Gedanke an Aurelia. Alles, was ich tat, all diese Gefahr, diese Kälte, diese Brutalität – alles war für sie, für die Blakes. Und niemand würde mir diese Pflicht abnehmen.

 

Kapitel 27 – Feuer und Blut

(Aus Kaels Sicht)

Die Nacht war dunkel, nur das schwache Licht der Laternen flackerte über die gepflasterten Straßen von Saint Deny. Mein schwarzer Hengst scharrte unruhig, während ich auf der Anhöhe stand und die Stadt betrachtete. Meine Männer hinter mir, jeder von ihnen ein Schatten, ein Messer, eine Waffe, bereit zu töten. Kein Zögern. Keine Gnade.

„Jetzt“, knurrte ich, meine Stimme war leise, aber sie schnitt wie ein Schlag durch die Nacht.

Ryder, Mason, Jack und die anderen stürmten voran, die Pistolen erhoben, meine Kälte und Entschlossenheit in jedem ihrer Schritte spürbar. Ich folgte dicht hinter ihnen, der Wind riss an meinem Mantel, während mein Hengst wie ein dunkler Blitz durch die Straßen vorwärts preschte.

Die Bank lag vor uns, beleuchtet von schwachem Gaslicht, eine Festung aus Stein und Holz. Ohne zu zögern, stürmten wir hinein. Die Türen krachten, und ich spürte, wie Adrenalin durch meine Adern schoss. Männer schrien, Schüsse hallten wider, die Beute wartete auf uns – Kisten voller Geld, schwer in den Armen meiner Männer.

„Schnell! Ladet alles auf!“ rief ich, meine Stimme scharf, jeden Impuls zur Hast gebend. Mason packte die Kisten, Jack sicherte den Ausgang, während Ryder die Wachen zurückdrängte. Ich selbst war überall, kalt, brutal, meine Augen glühten in der Dunkelheit, meine Hände unnachgiebig.

Dann die Bewegung: weitere Wachen stürmten herein, das Geräusch von Stahl auf Stahl, der Knall von Pistolenfeuer. Chaos explodierte, als Kugeln durch die Luft zischten, Holz splitterte und Schüsse hallten wie Donner. Einige meiner Männer fielen, ihre Schreie schnitten durch die Nacht, andere wurden getroffen, doch sie kämpften weiter, wild und unerschrocken.

Mein Hengst war nervös, als ich ihn antrieb, inmitten der Schießerei. Ich war überall, kaltblütig, brutal, jeder Schuss, jede Bewegung berechnet, ein wilder Sturm aus Blut und Zorn. Ein Schuss, ein Aufschrei, eine Kiste fiel, aber Jack und Mason hielten die Beute, und ich wusste, wir würden entkommen.

„Bewegung! Rückzug!“ brüllte ich, die Kisten in sicheren Händen. Wir kämpften uns hinaus, meine Männer um mich herum wie ein unzertrennliches Rudel. Die Wachen verfolgten uns, doch wir kannten die Straßen besser, jeden Winkel, jede Fluchtmöglichkeit.

Ein letzter Schuss, ein Knall – Harris fiel neben mir. Sein Blick traf mich, kalt, still, bevor er reglos zusammenbrach.

Keine Zeit für Trauer. Ich trieb meinen Hengst an, fühlte das Adrenalin in mir brennen, während wir durch die Gassen stoben, die Beute schwer in den Armen der Überlebenden.

Als wir die Stadt hinter uns ließen, atmete ich tief ein. Blut, Rauch, Schüsse – alles noch in meinen Lungen. Einige Männer waren gefallen, einige verletzt, doch der Rest meiner Bande, wild und unerschrocken, lebte. Die Beute war unser, das Risiko hatte sich gelohnt.

Ich saß auf meinem Hengst, die Kälte und Brutalität noch immer in mir, der Sturm der Nacht in meinen Augen, meine Hände fest am Zügel. Wir hatten es geschafft – knapp, aber erfolgreich. Und während die Stadt im Rücken verblasste, wusste ich, dass das Land nun nach mir suchen würde..

 

Kapitel 28 – Schatten der Nacht

(Aus Kaels Sicht)

Wir ritten in die Dunkelheit hinaus, die Straßen von Saint Deny hinter uns wie ein brennender Traum. Der Adrenalinschub war noch immer in meinen Adern, doch jetzt spürte ich auch die Kälte des Verlustes. Harris lag zurück, und der Blick auf seine reglose Gestalt brannte sich in mein Gedächtnis. Jeder Verlust zählte, jeder Atemzug war ein Preis für unsere Beute.

Die Männer meiner Bande schwitzten, einige stöhnten leise vor Schmerz, doch sie hielten die Beute fest. Ich musste streng sein, kontrollieren, dass keiner vor Erschöpfung oder Angst die Gruppe gefährdete. Sie hatten mich fürchten gelernt, und genau diese Furcht hielt sie zusammen. Mason trug eine der Kisten, sein Gesicht blass, die Hände zitternd, doch er bewegte sich unerschrocken. Jack sicherte die Flanke, Ryder hielt den hinteren Weg, immer wachsam.

„Haltet durch, Männer. Wir sind fast da,“ murmelte ich, meine Stimme rau, dunkel und befehlend. Niemand wagte zu widersprechen.

Mein schwarzer Hengst schnaubte, die Muskeln gespannt, jeder Schritt ein Ausdruck von Kraft und Wildheit. Ich saß auf ihm, die Hände fest am Zügel, die Augen in die Dunkelheit gerichtet, meine Gedanken bei Aurelia. Ihr Gesicht, ihr Duft, ihr leises Zittern vor Angst und Aufregung – alles brannte in mir wie Feuer. Fast hätte ich gewollt, dass sie bei mir gewesen wäre, fast hätte ich alles riskiert, um sie an meiner Seite zu wissen.

Wir erreichten einen versteckten Pfad, den nur wir kannten, ein schmaler Trampelpfad durch die Wälder, der uns in Sicherheit bringen würde. Die Männer atmeten schwer, doch ihre Augen blitzten vor triumphierender Erleichterung. Wir hatten es geschafft, die Beute war in unseren Händen, die Stadt hinter uns – und doch wusste ich, dass der Preis hoch war.

„Sammelt euch. Wer verletzt ist, soll sich melden,“ befahl ich, meine Stimme hart wie Stein, aber unter der Oberfläche glühte ein Funken Fürsorge. Niemand wagte zu zögern. Sie alle hatten Angst vor mir, aber sie wussten auch, dass ich sie schützen konnte – wenn sie mir folgten.

Als wir in der sicheren Dunkelheit der Wälder verschwanden, blickte ich noch einmal über meine Schulter, das Bild von Saint Deny brannte in meinem Kopf. Bald würde das Land nach mir suchen. Bald würde jeder wissen, dass die Schattenwölfe ihre Beute genommen hatten. Doch jetzt, in dieser Nacht, zählte nur der Moment, die Beute, und das Wissen, dass Aurelia und die Blakes ein weiteres Stück Sicherheit gewonnen hatten.

Mein Herz blieb kalt, unnahbar, wild – aber in der Tiefe, irgendwo hinter den Schatten, wusste ich, dass ich zurückkehren würde. Für sie. Für sie allein.

 

Kapitel 29 – Blutgeld

(Aurelias Sicht)

Der Abend legte sich still über die Ranch, und die letzten Strahlen der Sonne glitten wie flüssiges Gold über die Weiden. Ich war allein im Stall, das gleichmäßige Schnauben der Pferde begleitete meine Gedanken. Der Duft von Heu, Leder und Erde hing schwer in der Luft – vertraut, beruhigend.

Ich strich gerade meiner Stute über die Flanke, als mein Blick auf etwas fiel, das nicht hierher gehörte. Zwischen den Balken, auf der Heuraufe, lag ein kleiner Stoffbeutel. Dunkel. Schwer.

Misstrauisch trat ich näher. Meine Finger zitterten leicht, als ich das raue Tuch löste. Münzen glänzten mir entgegen – zu viele, um Zufall zu sein. Und dazwischen, gefaltet, ein Stück Papier. Ich erkannte die Schrift sofort. Hart, kantig, fast so, als wären die Buchstaben mit der Klinge eingeritzt worden.

Für eure Ranch. Keine Fragen. Keine Schulden mehr.

– K

Mein Herz schlug schmerzhaft gegen meine Rippen. Kael.

Ich presste die Nachricht an mich, als könnte ich dadurch seine Wärme spüren. Doch das Gefühl, das mich ergriff, war kein Trost. Es war Schuld. Denn ich wusste – dieses Geld war nicht rein. An ihm klebte der Geruch von Pulver, von Rauch und von Blut.. Männer waren dafür gestorben. Vielleicht Freunde. Vielleicht Unschuldige.

Ich schloss die Augen, atmete tief durch. Ein Teil von mir wollte den Beutel in die Ecke schleudern, ihn vergessen, so wie man eine Sünde verschweigt. Aber der andere Teil – der, der wusste, wie müde mein Vater geworden war, wie verzweifelt meine Mutter die Rechnungen zählte – griff nach ihm.

Am nächsten Morgen, noch bevor jemand wach war, ging ich in die Stadt. Der Beutel lag schwer in meiner Tasche, als würde er mich prüfen.

Der Weg nach Dry Creek war still und voller Schatten. Als ich vor der Stadtverwaltung stand, zögerte ich kurz. Dann trat ich ein, legte die Münzen auf den Tresen – jede einzelne hallte in der Stille wie ein stilles Bekenntnis. Ich sagte kein Wort über Kael. Kein Wort darüber, woher das Geld kam. Nur: „Die Schulden der Familie Blake sind beglichen.“ Und während ich wieder hinaustrat, brannte in mir ein Gedanke, der mich den ganzen Rückweg verfolgte –

dass Liebe manchmal nichts weiter war als ein stilles Geschäft mit dem Schicksal.

 

Kapitel 30 – Im Schatten des Feuers

(Kaels Sicht)

Der Wind roch nach Regen und verbrannter Erde. Ich saß am Feuer, weit abseits des Lagers der Schattenwölfe, den Blick auf die Flammen gerichtet, doch in Wahrheit sah ich etwas anderes – ihr Gesicht. Aurelia.

Wie sie mich ansah in jenem Tag, bevor ich verschwand. Dieses Vertrauen, das sie mir schenkte, obwohl sie es besser wissen sollte.

Ich sollte fortreiten, weiter nach Süden, weit weg von Dry Creek. Aber irgendetwas hielt mich. Etwas, das stärker war als Vernunft, stärker als Angst. Vielleicht war es sie.

Das Knistern des Feuers schnitt durch die Nacht. Mein schwarzer Hengst schnaubte leise hinter mir, unruhig, als wüsste er, dass ich nicht allein war. Ich spürte es, noch bevor ich sie sah – dieses feine Ziehen in der Luft, diese Wärme, die selbst das Feuer übertraf.

Dann trat sie aus der Dunkelheit.

Ihr Haar glänzte im Schein der Flammen, ihre Augen suchten mich, forschend, verletzt und doch so lebendig, dass mir der Atem stockte.

„Du hättest nicht herkommen sollen,“ sagte ich rau, und hasste den Klang meiner eigenen Stimme – dieses Bröckeln zwischen Warnung und Verlangen.

Sie blieb stehen, keine zwei Schritte entfernt. „Und du hättest nicht tun sollen, was du getan hast,“ erwiderte sie.

Ich lachte leise, ohne Freude. „So einfach ist das nicht, Mädchen.“

„Warum, Kael?“ Ihre Stimme war fester als erwartet. „Warum Menschen das Geld rauben, warum musste Blut fließen?“

Ich sah sie an. Das Feuer spiegelte sich in ihren Augen, und für einen Moment sah ich mich darin – den Mann, den ich früher einmal war, bevor die Welt mir beibrachte, dass Güte nichts wert ist, wenn du hungrig bist.

Ich senkte den Blick. „Weil das Leben mir nichts geschenkt hat. Und ich nehme mir, was ich brauche.“

„Wie viele Männer sind dafür gestorben?“ Sie kam näher, zu nah. Der Duft von Lavendel, weich und vertraut, traf mich wie ein Schlag.

Ich wich ihrem Blick aus. „Genug, um mich nachts wachzuhalten.“

Sie schwieg. Der Wind spielte mit einer Strähne ihres Haares, und ich hatte das irrationale Bedürfnis, sie ihr aus dem Gesicht zu streichen. Ich zwang mich, still zu bleiben – doch in mir tobte es.

Ich hatte Blut an den Händen. Und doch sah sie mich an, als könnte ich mehr sein als das.

„Warum hilfst du mir, Kael?“ fragte sie schließlich.

Ich atmete schwer, trat einen Schritt auf sie zu. Ihre Stimme bebte kaum hörbar, aber ich spürte, dass sie die Antwort fürchtete – und sich gleichzeitig danach sehnte.

Ich hob eine Hand, legte sie an ihre Wange. Ihre Haut war weich, zu rein für meine Welt. Meine Narbe spannte sich, als ich sie ansah – eine Erinnerung daran, dass alles, was ich berühre, irgendwann bricht.

„Weil du mich an etwas erinnerst, das ich längst verloren habe,“ murmelte ich heiser.

Und dann tat ich das Einzige, was mich noch von Wahnsinn unterschied – ich küsste sie. Hart, verlangend, gefährlich. Ein Kuss, der keine Zukunft versprach, nur das Jetzt.

Sie schmeckte nach Feuer und Unschuld, und es brannte in mir. Ich wollte sie von mir stoßen, fortschicken, retten – und doch hielt ich sie fest.

Als ich mich löste, war ihr Atem heiß an meiner Haut. Ich sah die Fragen in ihren Augen, und keine Antwort, die ich hätte geben können.

Also drehte ich mich um, griff nach meinem Sattel und sagte nichts mehr. Hinter mir knisterte das Feuer, und über uns zogen dunkle Wolken auf.

Denn ich wusste: Der Sturm war noch nicht vorbei – er begann gerade erst.

 

Kapitel 31 – Zwischen Schuld und Sehnsucht

(Aurelias Sicht)

Der Morgen roch nach feuchtem Staub und verbranntem Holz, als wäre die Nacht selbst noch in der Luft geblieben. Ich saß am Fenster meines Zimmers, die Sonne fiel blass durch das Glas, aber ich spürte keine Wärme. Nur dieses Ziehen – tief unter der Haut, dort, wo Kaels Kuss nachhallte.

Es war, als hätte er etwas in mir entfacht, das ich weder benennen noch auslöschen konnte.

Seine Berührung war noch immer da, wie eine Glut, die nicht verlöscht. Ein Teil von mir hasste ihn dafür. Ein anderer Teil – sehnte sich genau danach.

Ich erinnerte mich an seine Augen, an das kalte Feuer darin, an die Narbe, die sich über seine linke Wange zog wie eine unausgesprochene Warnung. Und doch… ich wollte sie berühren, wollte wissen, wie sich sein Schmerz anfühlt.

Den ganzen Tag über war ich still. Ich half Lucy beim Melken, brachte Vater Wasser, tat, als wäre alles wie immer. Doch in meinem Inneren tobte ein Sturm, so laut, dass selbst das Rufen der Krähen dagegen verblasste.

Am Nachmittag ging Vater nach Dry Creek. Er wollte mit dem Mann von der Stadtverwaltung reden, um noch ein paar Tage Aufschub zu bitten. Wir konnten das Geld nicht aufbringen – so dachte er jedenfalls.

Ich wusste, dass die Wahrheit ihn treffen würde wie ein Huftritt.

Als er zurückkehrte, war sein Gesicht bleich vor Wut. Er riss die Tür auf, und ich wusste, was er erfahren hatte. „Aurelia,“ sagte er, und seine Stimme war nicht laut – aber sie schnitt schärfer als jedes Messer. „Der Verwalter sagte, eine junge Frau hätte die Schulden bezahlt. Du.“

Ich sah zu Boden. Meine Hände zitterten. „Ich… wollte nur helfen.“

Er trat einen Schritt auf mich zu, der Zorn stand ihm in den Augen. „Sag mir nicht, dass du dich wieder mit diesem Banditen getroffen hast! Mit ihm!“

Ich wollte antworten, aber meine Stimme versagte. Alles, was blieb, war Schweigen.

„Hat er dir das Geld gegeben?“ fragte er leise, doch die Wut in seinem Blick wich keiner Spur. Nur Schmerz. „Hat dieser Kael Blutgeld in deine Hände gelegt?“

Ich schloss die Augen. In meinem Kopf rauschte der Regen der vergangenen Nacht, das Feuer, seine Lippen. Ich sah das Licht seiner Augen, als er mich küsste, und das Dunkel, das hinter ihm lauerte.

„Ja,“ flüsterte ich schließlich.

Vaters Hände ballten sich zu Fäusten. „Du weißt, was das bedeutet? Dass Männer dafür gestorben sind? Dass unser Land jetzt mit Schuld bezahlt ist?“

Ich schluckte hart. Tränen stiegen mir in die Augen, heiß und brennend. Er wandte sich ab, ging ein paar Schritte, dann drehte er sich wieder um. „Ich wollte dich schützen, Aurelia. Aber du – du läufst geradewegs in die Flammen.“

Seine Worte schnitten tief. Ich wollte ihm sagen, dass Kael nicht nur Dunkelheit war. Dass irgendwo in diesem kalten Mann ein Rest von etwas Gutem brannte – etwas, das mich an ihn band, ohne dass ich es verstand.

Doch ich schwieg.

Als die Nacht kam, lag ich wach. Ich dachte an Kael, an seine Hand an meiner Wange, an die Schatten in seinem Blick. Und je mehr ich versuchte, ihn zu vergessen, desto stärker wurde die Sehnsucht.

Zwischen Schuld und Verlangen – dort blieb ich zurück. Gefangen zwischen zwei Welten, und beide forderten ihren Preis.

 

Kapitel 32 – Feuer im Blut

(Kaels Sicht)

Der Wind über den Hügeln war scharf wie eine Klinge. Er trug den Geruch von Rauch und Metall mit sich, den Geschmack des Lebens, das ich führte – rastlos, kalt, getrieben. Ich stand am Rand des Lagers, die Flammen warfen lange Schatten über den Boden, und die Männer hinter mir lachten, tranken, stritten. Doch ich hörte nichts davon.

Alles, was ich sah, war sie.

Aurelia.

Ich hätte sie nie küssen dürfen.

Ich wusste, dass sie aus einer Welt war, die ich längst hinter mir gelassen hatte – eine Welt aus Sonne, Familie, ehrlicher Arbeit. Und doch hatte ich sie geküsst, als wäre sie der letzte Atemzug, bevor alles in Flammen aufging.

Ich zog an meiner Zigarette, ließ den Rauch in die Nacht steigen. Er brannte in der Kehle, aber nicht so sehr wie der Gedanke an sie. Ich konnte den Geschmack ihrer Lippen noch immer spüren – süß und gefährlich zugleich.

Verdammt, sie hatte etwas in mir geweckt, das ich längst begraben glaubte.

„Boss?“ Die Stimme von Harlan riss mich aus meinen Gedanken. Er war einer meiner Ältesten, ein bulliger Mann mit Narben auf den Knöcheln und einer Seele, die noch schwärzer war als der Himmel über uns.

„Wir haben die Pferde neu beschlagen,“ murmelte er. „Wollen morgen nach Westen reiten.“

Ich nickte, aber meine Gedanken waren längst woanders.

„Du bist nicht bei der Sache,“ sagte Harlan und trat näher. „Seit Saint Deny bist du... anders.“

Ich drehte mich langsam zu ihm. „Pass auf, was du sagst.“

Meine Stimme war ruhig, fast leise – und genau das ließ ihn sofort zurückweichen. „Schon gut, Boss. Ich meinte ja nur—“

„Dann halt den Mund.“

Er nickte, wich in den Schatten zurück, wo das Knistern des Feuers sein Gesicht verschlang. Ich stand noch eine Weile da, lauschte dem Heulen des Windes, und spürte, wie das Verlangen nach Kontrolle in mir brannte.

Ich hatte sie beobachtet, als sie im Stall arbeitete, hatte gesehen, wie der Mond sich in ihrem Haar verfing. Sie war schön auf eine Weise, die mich wütend machte.

Weil ich sie wollte.

Weil ich sie nicht haben durfte.

Ich ballte die Fäuste. Ablenkung – das war, was ich brauchte. Ich suchte mir eine Aufgabe, irgendetwas, das mich zurück in die Dunkelheit zog. Befehle, Pläne, Bewegung.

Aber jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, sah ich sie wieder. Wie sie mich ansah, kurz bevor sie mich küsste – oder war es umgekehrt? Es spielte keine Rolle mehr. Ich wusste nur eines:

Ich war verloren.

Und ich hasste mich dafür.

Doch wenn ich je wieder ihren Namen hörte, wenn jemand Dry Creek erwähnte oder die Ranch der Blakes – dann würde etwas in mir unruhig werden. So, wie Feuer unruhig wird, wenn es Wind spürt. Denn so sehr ich auch dagegen ankämpfte –

sie war mein Wind.

Und ich war das Feuer..

 

Kapitel 33 – Der Schatten im hohen Gras

(Aurelias Sicht)

Die Sonne stand tief über den Hügeln, das Abendlicht brannte wie Gold auf der Weide. Der Wind strich sanft durch das hohe Gras, und für einen Moment glaubte ich, Frieden zu spüren. Doch er war trügerisch – so wie alles in diesen Tagen.

Ich hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Schon seit dem Morgen, als ich Wasser vom Brunnen holte, folgte mir dieses unsichtbare Gewicht im Nacken.

Und als ich nun hinter dem Haus stand, den Blick auf die Pferde gerichtet, hörte ich plötzlich Schritte. Langsam. Berechnend.

Ich fuhr herum.

Dawson, der Kopfgeldjäger.

Er trat aus dem Schatten der alten Eiche – groß, breit, die Sonne spiegelte sich auf dem Metall seines Revolvers. Sein Mantel war staubig vom Ritt, aber in seinen Augen glomm etwas Kaltes, Präzises. Wie Stahl, kurz bevor er schneidet.

„Mr. Dawson,“ flüsterte ich und wich einen Schritt zurück. „Was wollen Sie hier?“

Er lächelte – kein freundliches Lächeln, sondern eines, das nur den Mund erreichte, nicht die Augen. „Du weißt genau, was ich will. Ich hab gehört, du wurdest mit Kael gesehen. Dem Anführer der Schattenwölfe.“

Mein Herz schlug so laut, dass ich glaubte, er müsse es hören. Ich versuchte, ruhig zu bleiben. „Gerüchte. Mehr nicht.“

Dawson trat näher. Der Abstand zwischen uns schmolz wie Schnee in der Sonne. Ich konnte seinen Atem riechen – nach Tabak und Eisen.

„Gerüchte?“, wiederholte er leise. „Ich hab gesehen, wie du mit ihm geredet hast. Wie er dich ansah. Und jetzt – oh Zufall – sind die Schulden deiner Familie wie von Geisterhand bezahlt?“

Ich wich weiter zurück, doch er folgte mir Schritt für Schritt, bis mein Rücken den Zaun berührte.

„Lassen Sie mich in Ruhe,“ flüsterte ich, aber meine Stimme klang schwach.

Dawson legte den Kopf leicht schräg. „Ich will nur wissen, wo er ist. Wo Kael sich versteckt. Sag’s mir, und ich geh. Sag’s mir nicht…“

Er ließ den Satz offen, zog mit der Fingerspitze den Lauf seiner Waffe entlang – langsam, genießerisch.

„…dann wird’s hier bald sehr ungemütlich. Für dich. Und für deine Familie.“

Mir wurde kalt. Eine Welle aus Wut und Angst zugleich kroch durch mich.

„Wenn Sie meiner Familie etwas antun—“

„Dann?“, unterbrach er mich, trat noch näher, bis ich den Schatten seines Hutes auf meinem Gesicht spürte. „Willst du mich mit schönen Worten erschießen?“

Ich atmete scharf aus, hielt seinem Blick stand, so gut ich konnte.

„Ich weiß nicht, wo er ist,“ sagte ich leise. „Und selbst wenn ich’s wüsste, würde ich’s Ihnen nicht sagen.“

Einen Augenblick lang war es still. Nur das Summen der Grillen und das ferne Wiehern eines Pferdes.

Dann packte Dawson mich am Arm. Fest. Zu fest.

„Du hast Mut, Mädchen,“ murmelte er, seine Stimme gefährlich ruhig. „Aber Mut bringt dich im Westen schneller unter die Erde als eine Kugel.“

Ich riss mich los, stolperte rückwärts, doch er griff nicht erneut zu. Stattdessen setzte er den Hut auf, blickte mich noch einmal an – dieses eiskalte Lächeln wieder auf den Lippen.

„Sag ihm eins, wenn du ihn wieder siehst,“ sagte er und drehte sich um zum Gehen. „Ich bin näher, als er glaubt.“

Dann verschwand er zwischen den Schatten der Bäume.

Ich blieb zurück, das Herz hämmernd, die Finger zitternd. Ich roch noch immer den Staub seines Mantels in der Luft – und das leise Echo seiner Drohung. Ich wusste, Dawson würde nicht aufgeben.

Und ich wusste, dass das, was kommen würde, schlimmer sein könnte als alles, was bisher war.

 

Kapitel 34 – Schatten am Fluss

(Aurelias Sicht)

Der Abend roch nach Regen und Eisen, als ich zum Fluss ging. Das Wasser glitt lautlos dahin, dunkel wie Quecksilber im schwindenden Licht.

Ich glaubte allein zu sein — bis ich ihn spürte.

Kael.

Er trat aus der Dämmerung, lautlos wie ein Schatten. Sein Blick ruhte auf mir, schwer, unergründlich, so wie damals. Die Narbe an seiner Wange schimmerte im Mondlicht, ein blasses, gefährliches Mal aus einer anderen Welt. Er sagte nichts. Und doch lag zwischen uns eine Spannung, die die Luft fast zerriss.

„Du solltest nicht hier sein“, flüsterte ich.

„Und doch bin ich es“, antwortete er rau, seine Stimme tief, durchdrungen von etwas, das an Bedauern erinnerte — oder Verlangen.

Er trat näher, jeder seiner Schritte schien berechnet, kontrolliert, und doch konnte ich sehen, dass etwas in ihm kämpfte.

„Ich musste“, entgegnete er. „Ich kann dich nicht vergessen.“

Kaels Hand hob sich, zögernd, als wolle er sich selbst bremsen. Aber er tat es nicht. Seine Finger strichen über meine Wange, rau, heiß, und in seinen Augen glomm dieses gefährliche Feuer, das mich gleichzeitig erschreckte und anzog.

Dann küsste er mich.

Es war kein zarter Kuss. Es war roh, verlangend und voller unterdrückter Sehnsucht Er schmeckte nach Staub, Rauch und Verbot. Nach einem Mann, der zu viel verloren hatte, um noch sanft sein zu können.

Ich wollte mich wehren — und tat es nicht. Der Kuss zog mich tiefer, nahm mir den Atem, ließ mich zittern, als würde die Welt um uns stillstehen.

Als sich unsere Lippen lösten, war die Nacht still. Nur der Fluss rauschte leise.

Kael blickte mich an, als suchte er in mir eine Antwort, die er längst kannte. Doch dann — ein Knacken.

Ganz leise.

Irgendwo im Schatten des Waldes.

Kael spannte sich, sein Blick schnellte ins Dunkel. Die Hand glitt unmerklich an den Griff seines Revolvers. Ich folgte seinem Blick, doch sah nichts — nur Bewegung zwischen den Bäumen, ein Schatten im Schatten.

„Wir sind nicht allein“, flüsterte er.

Das rauschen des Flusses klang plötzlich wie eine Warnung.

Und in der Dunkelheit wartete jemand.

Jemand, der Kael suchte. Und diesmal würde er ihn finden...

 

Kapitel 35 – Showdown am Fluss

(Aurelias Sicht)

Der Mond stand hoch über dem Fluss, ein bleicher Zeuge, als sich das Unvermeidliche erfüllte.

Das Wasser glitzerte wie flüssiges Silber, und irgendwo zwischen Schatten und Licht standen sie sich gegenüber — Kael und Dawson. Zwei Männer, geschaffen aus derselben Dunkelheit, doch mit völlig unterschiedlichen Herzen.

Dawson war der Erste, der sprach. Seine Stimme war eiskalt, geschärft wie ein Messer.

„Ich wusste, dass du wieder zu ihr zurückkommst, Kael.“ Er trat näher, das Gewehr locker in der Hand, die Augen wachsam, berechnend. „Du kannst dich vor der Welt verstecken, aber nicht vor mir.“

Kael stand da, ruhig, gefährlich. Der Wind fuhr durch sein dunkles Haar, ließ den Mantel flattern. „Du hättest besser geschwiegen, Dawson“, sagte er tief, und seine Stimme vibrierte wie ein fernes Donnergrollen. „Ich wollte keinen Krieg mit dir. Aber du zwingst mich dazu.“

In der nächsten Sekunde brach die Hölle los.

Ein Schuss zerriss die Nacht — Dawson wich zur Seite, Kael zog in einer fließenden Bewegung seinen Revolver. Funken, Rauch, metallisches Krachen. Sie stürzten gegeneinander, der Aufprall hart, brutal. Kael riss Dawson zu Boden, Fäuste flogen, Blut spritzte auf den nassen Boden. Jeder Schlag war Verzweiflung, jeder Tritt Überleben.

Ich schrie, wollte sie trennen — vergeblich. Sie kämpften wie zwei Wölfe, wild und unaufhaltsam.

Dawson nutzte eine Lücke, stieß Kael zurück, zog die Waffe.

Ein Schuss. Kael taumelte.

Ein dunkler Fleck breitete sich auf seinem Hemd aus, direkt an der Schulter. Blut. Er fiel auf ein Knie, knurrte, hob trotzdem den Revolver.

„Du solltest… mich besser treffen“, keuchte er. Doch bevor er erneut schießen konnte, hallten Stimmen über die Weide.

„Da drüben! Beim Fluss!“ Der Sheriff. Mit seinen Männern.

Laternen tauchten die Dunkelheit in grelles Licht, Pferde schnaubten, Gewehre wurden gespannt.

Kael wollte sich aufrichten, doch seine Beine gaben nach. Zwei Männer packten ihn, entrissen ihm die Waffe. Dawson stand daneben, keuchend, blutverschmiert, aber aufrecht.

„Endlich…“ presste er hervor. „Der große Kael Dunham – gefangen.“

Ich stürmte zu Kael, doch der Sheriff hielt mich zurück. Kaels Blick traf meinen.

Kurz. Intensiv.

In diesem Blick lag alles – Zorn, Schmerz, aber auch etwas, das mich traf wie ein Stich: Bedauern.

„Lass sie… in Ruhe“, murmelte er, ehe sie ihn fortzerrten. Der Wind trug das Echo seiner Schritte davon.

Und mit ihm verschwand der Mann, der mein Herz in Brand gesetzt hatte – und nun in Ketten lag.

 

Kapitel 36 – Ketten aus Stahl

(Kaels Sicht)

Der Regen prasselte wie ein ständiges Trommelfeuer auf die Dächer der Stadt Red Hollow, einer dieser Orte, in denen selbst das Licht der Laternen kaum die Dunkelheit durchdringen konnte. Sie brachten mich dort hin, schwer bewaffnet, als wäre ich ein Dämon, der jederzeit aus der Hölle ausbrechen könnte. Eisen klirrte an meinen Handgelenken, der Boden unter mir war schlammig vom endlosen Regen, und die neugierigen Gesichter der Stadtbewohner klebten an mir, als würde mein Name eine Legende tragen, die man nur im Flüsterton ausspricht.

Kael Dunham – der Anführer der Schattenwölfe. Der Mann, der Banken ausgeraubt, Gesetze gebrochen und zu viele Männer unter die Erde gebracht hatte. Doch keiner dieser Taten nagte an mir. Kein Blut auf meinen Händen, kein Schrei in meinem Kopf – nichts wog schwerer als der Gedanke an sie.

Sie stießen mich in eine Zelle aus kaltem Stein. Das Schloss klickte hinter mir zu, dumpf, endgültig. Ich setzte mich auf die Pritsche, das Gesicht halb im Schatten. Der Raum roch nach Rost, Tod und alter Schuld. Und doch – bereute ich nichts. Kein einziges verdammtes Ding.

Ich würde es wieder tun.

Ich würde sie wieder aufsuchen, wieder anblicken, wieder diesen Kuss riskieren, der mich mehr traf als jede Kugel.

Die Wache trat an das Gitter, grinste überheblich. „In einer Woche, Dunham. Dann tanzt du am Strick.“

Ich sah ihn nur an – ruhig, kalt, unbewegt. Meine Stimme war kaum mehr als ein dunkles Murmeln. „Dann hoffe ich, du bist da, um zuzusehen.“

Er wich meinem Blick aus. Die meisten taten das. Es gab etwas in meinen Augen, das sie mieden – vielleicht die Gewissheit, dass selbst angekettet etwas in mir lauerte, das sich nie brechen ließ.

Ich legte den Kopf zurück gegen die Mauer, schloss die Augen und hörte das entfernte Donnern.

Es erinnerte mich an ihre Stimme. An den Wind, der durch Dry Creek zog.

Sie würden mich hängen – ja. Aber sie würden mich nicht brechen. Ich war Kael Dunham. Und selbst mit dem Strick um den Hals würde ich noch Schatten hinterlassen.

 

Kapitel 37 – Das Echo des Stricks

(Aurelias Sicht)

Der Morgen in Dry Creek war schärfer als sonst, als hätte die Luft selbst den Atem angehalten. Nachrichten reiten schneller als Pferde hier.

„Sie haben ihn.“

Die Worte gingen durch die Straßen wie Feuer durch trockenes Gras. Männer, die sonst beim Frühkaffee lachten, standen nun mit gerunzelten Stirnen beisammen. Frauen tuften an ihren Tüchern und tuschelten. Kinder schauten mit großen Augen.

Kael Dunham — der Name fiel wie ein Urteil auf alle, die ihn kannten oder fürchteten.

Als ich die Tür hinaustrat, glaubte ich, mein Herz sei mir aus dem Körper gerissen worden. Es war ein Schmerz, tief und roher als jede Wunde, die ich je gekannt hatte. Ich fühlte mich nackt vor der Welt, als hätte jemand eine Kerbe in die Luft geritzt, in der nur noch sein Name hallte.

Zu Hause war es schlimmer. Die Küche war voll vom Geruch von Bohnen und Kaffee, aber nichts davon erreichte mich. Vater hob den Blick vom Tisch, die Stirn in Falten. Lucy knetete mechanisch Teig, die Finger weiß vor Anstrengung. James kam herein, Schuhe staubig, Augen aufgeregt.

„Aurelia — hast du’s gehört? Sie sagen, sie haben Kael Dunham in Red Hollow gestellt. Sie hängen ihn nächste Woche.“

Er sprach hastig, als müsse er die Worte wegschieben, damit sie nicht haften blieben. Ich sah ihn an. Sein Gesicht war hart, entschlossen — und doch lag ein solcher Schatten in seinen Augen, als hätte er Angst, dass meine Antwort die Welt entzweire

In mir tobte eine Flut aus Gedanken: Fluchtwege, Briefe, Namen von Leuten, die wir kannten, die uns helfen könnten, Geld, Bestechung — der Westen ist voll von Wegen, Regeln zu biegen. Jede Option war ein Schleier aus Gefahr. Ich dachte an Kaels Händen, an die Art, wie er mich angesehen hatte — und daran, wie bald ein Strick seinen Hals umschließen würde.

Vater legte die Faust auf den Tisch. „Wir haben keine Mittel, Aurelia. Wir mischen uns da nicht ein. Dieser Mann hat Blut an den Händen, und du — du lässt dich von ihm blenden.“ Seine Stimme war hart wie Peitschenhiebe. Lucy blickte nicht auf, tat so, als müsse sie den Teig dringend kneten, aber ihre Hände zitterten.

„Er hat uns geholfen,“ flüsterte ich, kaum hörbar.

Vater schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Genug! Wenn du diesen Banditen auch nur ein weiteres Mal erwähnst, kannst du deinen Koffer packen. Wir schulden ihm nichts. Gar nichts!“

Ich stand da, unfähig zu antworten. Nur James blickte mich an — ruhig, prüfend, voller Zweifel und Loyalität zugleich.

Später, als der Abend fiel und das Haus still wurde, kam James leise zu mir in den Stall. Ich saß dort, zwischen dem dumpfen Atem der Pferde und dem Geruch von Heu. Er setzte sich neben mich, ohne etwas zu sagen. Nach einer Weile murmelte er: „Du wirst’s trotzdem tun, oder?“

Ich sah ihn an. Das Mondlicht fiel schmal durch die Ritzen der Holzwand, zeichnete Linien über sein Gesicht. „Ich weiß nicht, was du meinst,“ sagte ich leise.

„Doch,“ erwiderte er. „Ich kenn dich, Schwester. Du lässt ihn nicht hängen. Du hast’s schon entschieden, oder?“

Ich schwieg. Dann nickte ich. Ein einziges, kaum merkliches Nicken, aber es war genug.

James atmete schwer aus. „Dann gehst du nicht allein. Ich komme mit dir"

Ich legte die Hand auf seine Schulter, dankbar, sprachlos. Für einen Moment war es, als wären wir wieder Kinder, als wir noch gemeinsam durch das hohe Gras rannten, ohne zu wissen, was Gefahr bedeutet.

Dann standen wir auf. Wir wussten, was zu tun war. Wir würden Kaels Bande finden. Männer, die den Teufel selbst beim Namen nennen, bevor sie fliehen. Männer, die ihn kannten, besser als jeder andere.

Die Nacht roch nach Sturm, nach Staub und Entscheidung. Wir schnallten den Sattel auf unsere Pferde, das Leder knirschte leise. Hinter uns blieb das Haus, in dem Zorn und Angst wohnten — und ein Vater, der uns nicht verstand.

Wir ritten los, dem Horizont entgegen, dorthin, wo sich der Himmel in Schatten verlor. Und irgendwo dort draußen warteten die Schattenwölfe..

 

Kapitel 38 – Unter dem endlosen Himmel

(Aurelias Sicht)

Der Ritt zog sich durch endlose Ebenen, Staub wirbelte auf unter den Hufen unserer Pferde, während die Sonne sich langsam dem Horizont näherte. James und ich ritten Seite an Seite, das Schweigen zwischen uns schwer von Gedanken, die wir nicht laut aussprechen konnten.

Die Landschaft verschwand langsam in sanften Schatten, die ersten Sterne funkelten zaghaft am Himmel. Wir entschieden uns, Rast zu machen, suchten uns einen kleinen Hügel, von dem aus wir das Tal überblicken konnten. Ich sattelte ab, streichelte meinem Pferd über das glänzende Fell, spürte die Müdigkeit in meinen Gliedern.

James setzte sich neben mich auf den Boden, das Knistern eines kleinen Feuers zwischen uns. Die Stille war angenehm, beruhigend, doch sie ließ auch Raum für alles, was wir unausgesprochen mit uns trugen.

„Und?“ fragte er, fast zögerlich. „Was… was denkst du über ihn, über Kael?“

Ich seufzte, schaute in die tanzenden Flammen. „Er ist… mehr, als die Leute sehen. Mehr als ein Bandit, mehr als ein kaltherziger Mörder. Er ist… anders, James. In ihm steckt etwas, das niemand begreift, der ihn nur von außen sieht. Er kann… verletzlich sein, auch wenn er es nie zeigt.“

James schwieg einen Moment, ließ die Worte wirken, ehe er vorsichtig fragte: „Aurelia… liebst du ihn?“

Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug, und drehte den Blick weg, hinauf zum Himmel, als wollte ich die Sterne nach Antworten fragen. „Das… das ist kompliziert,“ murmelte ich, die Stimme fast verschluckt von der Nachtluft.

James lächelte schwach, als hätte er die Antwort schon gekannt, als würde er jedes Zögern und jede Regung in mir lesen. „Du musst mir nichts sagen. Ich kenne dich, Schwester. Ich weiß, was du fühlst.“

Ein leises Lachen entwich mir, bittersüß, und wir saßen noch lange schweigend nebeneinander. Die Nacht umhüllte uns, und das leise Knistern des Feuers schien fast wie ein Herzschlag, der uns daran erinnerte, dass wir noch lebten, noch fühlten, noch hofften.

Der Ritt war noch lang, doch für diesen Moment zählte nur das hier — das Feuer, die Nacht, James an meiner Seite und die Gedanken an Kael, die wie ein Schatten durch meine Seele zogen.

 

Kapitel 39 – Verlorene Spuren im Staub

(Aurelias Sicht)

Der Morgen graute bleiern und still über die Ebene. Ein fahles Licht legte sich über den Horizont, und der Wind trug den Geruch von Sand, trockenem Gras und ferne Gewitter mit sich. Ich zog mir die Jacke enger um die Schultern, während James neben mir die Pferde sattelte.

Sechs Tage.

Nur noch sechs Tage, bis Kael Dunham gehängt werden sollte.

Der Gedanke schnürte mir die Kehle zu, jedes Mal aufs Neue. Ich konnte kaum atmen, wenn ich mir vorstellte, wie er dort stehen würde – allein, mit kaltem Blick und aufrechtem Rücken, so wie er immer war. Ich durfte das nicht zulassen.

„Bist du sicher, dass wir in die richtige Richtung reiten?“ fragte James, die Stirn in Falten gelegt.

Ich nickte, auch wenn ich es selbst nicht mehr wusste. „Ich glaube schon. Dort hinten, hinter der Hügelkette… da müsste ihr Lager gewesen sein.“

Wir ritten stundenlang. Der Tag zog sich hin, endlos und staubig, und jeder Felsen, jede Schlucht sah aus wie die vorherige. Der Himmel färbte sich kupferrot, als die Sonne hinter den Bergen versank. Ich spürte, wie meine Zuversicht bröckelte. James schwieg, ritt still neben mir her, die Augen auf den Horizont gerichtet. Ich wusste, er machte sich Sorgen – um mich, um das, was wir da taten.

„Vielleicht…“ begann ich, doch der Rest meines Satzes ging im Wind verloren. Ich konnte die Worte nicht aussprechen. Als die Dunkelheit hereinbrach, sahen wir endlich Rauch in der Ferne – dünn, fast unscheinbar. Wir ritten darauf zu, das Herz schlug mir bis zum Hals.

Doch als wir den Hang hinabkamen, fanden wir nur ein verlassenes Lager. Die Feuerstellen waren längst erkaltet, der Geruch von Asche hing in der Luft. Zerbrochene Flaschen, ein paar alte Decken, Fußspuren, die sich im Staub verloren.

„Verdammt,“ flüsterte James und trat gegen einen umgefallenen Sattel.

Ich kniete mich hin, strich mit den Fingern über die Erde, über eine Spur von Hufabdrücken, halb verweht vom Wind. „Sie waren hier,“ sagte ich leise. „Vor nicht allzu langer Zeit.“

Ich blickte in die Nacht hinaus, wo irgendwo in der Ferne der Mond zwischen den Wolken hervorlugte. Ein leises Ziehen breitete sich in meiner Brust aus – ein Gefühl von Verlust, von Ungewissheit.

„Sie sind weitergezogen,“ sagte James schließlich.

Ich nickte, ohne den Blick vom Horizont zu nehmen. Weitergezogen. Doch wohin? Und würden wir sie rechtzeitig finden – bevor Kaels Zeit ablief?

Der Wind erhob sich, fegte über das leere Lager und trug die Asche der Schattenwölfe fort.

Alles, was blieb, war das leise Flüstern des Staubs… und die Angst, dass wir zu spät waren.

 

Kapitel 40 – Unter dem Schatten des Galgens

(Kaels Sicht)

Fünf Tage. Nur noch fünf verdammte Tage, bis der Strick sich um meinen Hals legt.

Ich sitze auf der kalten Steinbank, die Hände in Eisen, der Blick auf das winzige vergitterte Fenster gerichtet. Draußen schimmert das Licht der Stadt Red Hollow — eine Stadt, die ich nie zuvor betreten hatte, aber die jetzt mein Ende werden sollte.

Die Luft hier riecht nach Eisen, Schweiß und kalter Asche. Jeder Atemzug brennt in meiner Brust, und die Schusswunde an meiner Seite zieht, wie ein stummer Vorwurf. Ein glatter Durchschuss, Glück gehabt.

Manchmal spüre ich, wie das Blut pocht, dumpf und heiß, wenn ich mich bewege. Doch schlimmer ist die Leere, die danach kommt – das Schweigen zwischen Herzschlag und Atemzug.

Ich denke an sie.

An Aurelia.

Wie sie mich ansah am Fluss, als hätte sie durch all das hindurchgesehen – durch die Kälte, durch die Narben, durch das Blut an meinen Händen.

Ich sollte sie nicht wiedersehen.

Und tat es trotzdem.

Ein Fehler? Vielleicht. Aber der einzige, den ich niemals bereuen werde.

Die Wachen halten Abstand. Ich höre, wie sie tuscheln, wenn sie den Gang entlanglaufen. Manche starren mich an, als wäre ich ein Tier im Käfig, andere senken sofort den Blick. Ich sehe den Respekt in ihren Augen. Und die Angst.

Sie wissen, was ich getan habe.

Und dass ich es wieder tun würde.

Die Tür knarrt.

Schwere Schritte nähern sich. Der Geruch von Zigarrenrauch füllt den Raum, bevor er eintritt.

Dawson.

„Kael Dunham,“ sagt er ruhig, beinahe genüsslich. „Der große Schattenwolf, der Schrecken von Saint Deny. Jetzt bist du nur noch ein Mann in Ketten.“

Ich hebe langsam den Kopf, lasse meinen Blick auf ihm ruhen. Er steht da, breitbeinig, mit dem Grinsen eines Mannes, der glaubt, gewonnen zu haben. „Du hast Glück gehabt“, sage ich leise. Meine Stimme klingt rau, tiefer als sonst. „Hätte die Kugel mich einen Zoll tiefer getroffen, hättest du nie erfahren, wie es endet.“

Er lacht, aber ich sehe das Flackern in seinen Augen. „Du redest immer noch, als hättest du Kontrolle, Dunham. In fünf Tagen hängst du. Und sie werden dich vergessen.“

Ich neige den Kopf leicht, ein kaum merkliches Lächeln an den Lippen. „Vergessen? Du glaubst wirklich, Männer wie ich verschwinden einfach?“

Dawson tritt näher, bis nur noch das Gitter zwischen uns ist. „Ich hab gesehen, wie sie dich angesehen hat, diese Frau. Die Rancherstochter. Wenn sie wüsste, was du wirklich bist…“

Ich bewege mich schneller, als er es erwartet.

In einem Ruck packe ich das Gitter, so fest, dass das Metall knirscht. Unsere Gesichter sind nur Zentimeter voneinander entfernt.

„Sprich ihren Namen nicht aus,“ knurre ich.

Für einen Moment steht die Zeit still. Nur unser Atem, schwer und rau.

Dann reißt er sich los, glättet seine Weste, zwingt ein falsches Lächeln auf die Lippen. „Du bist tot, Dunham,“ sagt er schließlich. „Die Frage ist nur, ob du’s schon weißt.“

Ich lehne mich zurück, die Ketten klirren leise. „Ich bin erst tot, wenn sie aufhört, an mich zu glauben,“ antworte ich.

Er geht.

Und als die Tür hinter ihm zufällt, bleibt nur das Ticken meiner Gedanken, laut und unaufhaltsam wie ein Countdown.

Fünf Tage.

Fünf Atemzüge bis zum Strick.

Doch selbst wenn der Galgen wartet — sie werden mich nicht gebrochen sehen.

Nie.

 

Kapitel 41 – Spur der Schatten

(Aurelias Sicht)

Der Morgen lag schwer auf meinen Schultern, als James und ich unsere Pferde sattelten. Zwei weitere Tage waren wir durch das staubige Land geritten, immer auf der Suche nach den Schattenwölfen. Bisher hatten wir nur leere Weiden, verlassene Wege und das unheilvolle Schweigen der Prärie gefunden.

Nur noch drei Tage. Drei Tage, bis Kael gehängt werden sollte.

Ich spürte, wie die Angst sich wie ein kaltes Messer in mein Herz bohrte. James neben mir schien sie ebenso zu spüren, seine Augen schärfer als sonst, jeder Muskel gespannt, bereit, jede Bewegung der Umgebung wahrzunehmen.

Als die Sonne begann, hinter den fernen Hügeln zu sinken, erreichten wir eine abgelegene Farm, die kaum mehr als ein paar Holzhütten und einen Windfang aus Brettern besaß. Der Boden war trocken und rissig, das Gras kurz und vergilbt. Wir stiegen von unseren Pferden, die Hufe schwer auf dem harten Boden, und gingen zu den Bewohnern, zwei alte Männer und eine Frau, die ihre Hände im Schoss faltete.

„Entschuldigung,“ begann ich, meine Stimme zögernd, „habt ihr vielleicht Banditen oder… die Schattenwölfe gesehen? Wir suchen jemanden.“

Die Frau schnaubte leise. „Banditen, sagst du? Wir haben vielleicht was gesehen, aber wir sind uns nicht sicher.“

Einer der Männer trat vor, ein wettergegerbtes Gesicht, von Falten durchzogen. „Vor zwei Tagen, gegen Abend, da kamen ein paar Männer vorbei. Sie sahen aus wie Banditen, so schwer bewaffnet. Keine Ahnung, wer sie genau waren.“

James nickte, sein Blick scharf. „Wohin sind sie gezogen?“

Der Mann deutete nach Norden, die Hand fest um einen abgenutzten Stock gekrallt. „Dort drüben. Durch die alten Weiden, in Richtung der Schlucht. Ihr werdet sie wahrscheinlich finden, wenn ihr euch beeilt.“

Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. Das könnte unsere Chance sein. Endlich eine Spur, ein Hinweis, ein Funken Hoffnung, Kael zu retten. „Danke,“ sagte ich leise, mehr zu mir selbst als zu den Bewohnern.

Wir stiegen auf, die Pferde schnaubten und traten auf den staubigen Pfad. Ich warf einen Blick zu James, der mich stumm ansah, die Augen voller Sorge und Entschlossenheit. Wir ritten los, die Richtung, die uns der Mann gezeigt hatte, fest in unserem Blick. Jeder Schritt unserer Pferde brachte uns Kael näher — oder vielleicht zu einer tödlichen Sackgasse. Doch wir hatten keine Wahl.

Die Schatten der Bäume und Hügel wurden länger, die Sonne versank schneller, und ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass die Zeit gegen uns lief.

Kael wartete.

Und wir mussten sie finden, seine Männer, schnell.

 

Kapitel 42 – Der Schwur der Schatten

(Aurelias Sicht)

Der Wind peitschte Staub über die Hügel, als James und ich endlich die Rauchfahne sahen. Ein dünner, grauer Streifen, der sich in den bleigrauen Himmel zog – das Zeichen eines Lagers.

Ich wusste es, noch bevor wir es sahen. Die Schattenwölfe.

Als wir die Lichtung erreichten, flackerte ein Feuer zwischen schiefen Zelten und dunklen Gestalten. Pferde standen festgebunden am Rand, ihre Flanken glänzten vom Schweiß. Männer saßen um das Feuer, rau, schweigsam, mit Augen, in denen man lieber nicht zu lange las.

Ryder war der Erste, der sich erhob, als er mich sah. Sein Gesicht war von Narben durchzogen, die Sonne hatte seine Haut gegerbt, und in seinem Blick lag der Rest von Respekt – oder Überraschung.

„Verdammt“, murmelte er. „Wenn das mal nicht das Mädchen vom Boss ist.“

Mason stand dicht daneben, eine Zigarette zwischen den Lippen, seine Hände schwielig und voller Dreck. Er spuckte in den Staub, musterte James und mich.

„Ihr habt Nerven, hier aufzutauchen. Weiß Kael davon?“

Ich schluckte, trat einen Schritt vor. „Kael weiß von gar nichts. Er… er wurde geschnappt. Er sitzt in Red Hollow. Sie wollen ihn hängen.“

Ein paar Männer hielten im Kauen inne. Andere lachten leise, rau, ohne jede Freude.

„Red Hollow?“ wiederholte Ryder tonlos. „Dann ist’s vorbei. Kael war dumm, wenn er dachte, man könnte ewig davonreiten.“

„Bitte“, sagte ich, meine Stimme zitterte, „ihr müsst mir helfen. Wir können ihn da rausholen. Es muss doch einen Weg geben.“

Mason lachte kalt. „Rausholen? Mädchen, du hast keine Ahnung. Red Hollow ist ein Grab aus Stein und Stahl. Und wer da drin sitzt, kommt nicht wieder raus – nicht lebend.“

Ich sah von einem zum anderen, suchte in ihren Gesichtern ein Fünkchen Loyalität, ein Zeichen von Reue, irgendetwas. Aber was ich fand, war nur Stille. Kälte.

„Ihr wart seine Männer“, flüsterte ich. „Er hat euch geführt, euch beschützt. Und jetzt wollt ihr einfach… nichts tun?“

Ryder trat näher, sein Blick dunkel, fast mitleidig. „Kael wusste, worauf er sich einließ. Wir alle wussten es. Der Schwur der Schatten gilt für jeden – wer geschnappt wird, steht allein. Keine Rückkehr, kein Befreiungsritt, kein Blut mehr für die Toten.“

Ich spürte, wie mir die Luft entwich, als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weggezogen.

James legte mir eine Hand auf die Schulter, doch ich konnte mich nicht bewegen. Der Wind zerrte an meinem Kleid, an meinen Haaren, während das Feuer in der Mitte des Lagers prasselte – wild, gierig, erbarmungslos.

„Dann reite ich allein,“ sagte ich leise, aber fest.

Niemand antwortete. Nur das Feuer knisterte, und in den Schatten glommen Augen, die alles gesehen hatten – und längst zu viel verloren hatten, um noch zu hoffen.

 

Kapitel 43 – Feuer und Schwur

(Aurelias Sicht)

Ich wollte nicht aufgeben. Nicht nach all dem, was geschehen war. Die Schattenwölfe mochten Kael abgeschrieben haben – ich nicht.

„Dann bringt mir wenigstens bei, wie man schießt,“ sagte ich fest, meine Stimme zitterte kaum. „Wenn ihr mir nicht helft, dann tue ich es allein. Aber ich gehe nicht unbewaffnet.“

Ein kurzer Moment Stille. Dann brach lautes Gelächter aus. Mason stieß Ryder mit dem Ellbogen an, der spuckte in den Staub und grinste breit.

„Du willst schießen lernen? Mädchen, das hier ist kein Jahrmarkt, wo man Dosen trifft.“

„Spar dir die Mühe, Mason,“ sagte einer der Männer, „sie hält das keine fünf Minuten durch.“

Ein anderer schnaubte: „Oder sie ist einfach lebensmüde. Oder… verliebt.“

Ich spürte, wie mir das Blut in den Wangen brannte, aber ich wich nicht zurück.

„Vielleicht bin ich das,“ antwortete ich leise. „Aber das ändert nichts daran, was getan werden muss.“

Mason beobachtete mich lange. In seinem Blick lag kein Spott, sondern etwas anderes – etwas, das ich nicht ganz deuten konnte.

Schließlich nickte er langsam. „Na gut. Wenn du unbedingt willst, dann zeig uns, ob du auch Rückgrat hast.“

Er drückte mir eine Waffe in die Hand – kalt, schwer, fremd. Die Sonne spiegelte sich auf dem Metall, und für einen Moment fühlte sie sich an wie ein Versprechen.

„Finger weg vom Abzug, bis ich’s dir sage,“ murmelte Mason. „Und halt sie fest. Sonst fliegt sie dir um die Ohren.“

Die ersten Schüsse gingen daneben. Dann wieder. Und wieder. Der Rückstoß brannte in meinen Armen, meine Finger schmerzten. Aber ich gab nicht auf. Ich biss die Zähne zusammen, atmete durch, zielte – und traf.

Ein Pling. Eine leere Flasche barst am Rand des Lagers.

Die Männer verstummten. Ryder hob die Brauen, Mason grinste schief.

„Vielleicht steckt doch ein Funken in dir,“ sagte er leise. „Aber das reicht nicht für Red Hollow.“

„Ich brauche keinen Funken,“ antwortete ich. „Ich brauche Feuer.“

Während ich übte, versuchte James, die Männer zu überzeugen. Ich hörte ihn zwischen den Zelten reden, eindringlich, verzweifelt.

„Kael hat euch geführt. Er hat euch rausgeholt, wenn’s brenzlig wurde. Und jetzt wollt ihr ihn hängen lassen? Ihr seid doch keine Schatten mehr, ihr seid nur noch Hüllen.“

Aber keiner reagierte.

Nicht an diesem Abend.

Doch als der Morgen kam, war etwas anders. Die Stimmung war still, aufgeladen, wie vor einem Sturm. Ryder saß am Feuer, die Waffe auf dem Schoß, Mason stand daneben, die Zigarette glimmte schwach in der Morgendämmerung.

Als ich zu ihnen trat, sah Mason auf.

„Wir haben’s uns überlegt,“ sagte er knapp. „Du hast mehr Mut als die meisten Männer, die ich kenne. Wenn du wirklich Kael befreien willst… dann sollst du nicht allein reiten.“

Ryder nickte nur. Dann Harlan. Dann einer nach dem anderen, bis die ganze Bande dastand – schweigend, grimmig, bereit.

„Red Hollow,“ murmelte Ryder, als hätte das Wort Gewicht. „Wenn wir da reingehen, kommen wir vielleicht nicht wieder raus.“

Ich hob das Kinn. „Dann reiten wir wenigstens für etwas, das zählt.“

Ein Lächeln huschte über Masons Lippen, dunkel und schief. „Verdammt, Mädchen,“ sagte er rau. „Kael Dunham hätte das gefallen.“

Der Wind trug den Geruch von Rauch und Eisen über das Lager. Und während die Sonne über den Horizont stieg, legten die Schattenwölfe ihre Waffen an – und schworen, ihrem Anführer ein letztes Mal zu folgen.

 

Kapitel 44 – Sturm auf Red Hollow

(Aurelias Sicht)

Zwei Tage.

Noch zwei Tage bis zur Vollstreckung.

Die Zeit schnitt sich in das Land wie eine scharfe Klinge — kurz, unerbittlich, ohne Vergebung.

James und ich ritten, und hinter uns folgten die Schattenwölfe wie ein dunkler Sturm. Wir zogen durch das Land, schnell und lautlos, Pferdebeine schlugen gegen den staubigen Boden, der Wind riß an den Mänteln und riss den Atem aus der Gegend. Die Männer hinter uns waren Schatten auf Hufen: Ryder, Mason, Harlan — Gesichter wie gerissenes Leder, Augen scharf wie Scheren. Keiner sprach viel; jeder trug die Stille wie eine Rüstung.

Wir kamen an der Farm vorbei, wo man uns vor Tagen den Weg gezeigt hatte. Die Bewohner standen auf der Veranda, die Hände vor den Mündern, als wir vorbeizogen. Ihre Münder standen offen vor Erstaunen, als sie sahen, wie die rauen Gestalten hinter James und mir aufblitzten — nicht nur zwei Fremde auf der Flucht, sondern ein ganzes Rudel, vereint, bereit, in den Rachen von Red Hollow zu reiten. Sie sahen uns an, und auf ihren Gesichtern las man das gleiche Wort: Unglaube.

Als die Sonne sank, erreichten wir Red Hollow. Die Stadt lag vor uns wie eine Schlange aus Stallungen, Balkonen und engen Gassen, die Lichter funkelten. Zunächst hielten wir uns zurück, ritten in den Schatten der Hinterhöfe, ließen die Stadt atmen und beobachteten. Niemand durfte uns sehen. Jeder Schritt wurde abgewogen, jedes Geräusch registriert — die Wachen, die Patrouillen, die Wege zur Zelle, die Öffnungen in der Mauer.

Beim Feuer in einem abgelegenen Viertel zogen die Schattenwölfe sich zusammen. Männer flüsterten, reinigten Waffen, flickten Sättel. Und ich — ich stand vorne.

Es war eine ungewohnte Rolle, doch etwas in mir hatte sich gerichtet wie ein Pfeil. Ich spürte den Plan kristallisieren, klarer als jede Angst. Die Männer schauten auf mich — nicht skeptisch, sondern so, wie sie Kael betrachtet hatten: mit dieser harten, resignierten Erwartung. Als würde im Moment Kael selbst vor ihnen stehen, sein Wille, seine Entschlossenheit. Sie lauschten, als würde ihr Anführer sprechen.

„Wir greifen nicht heute an,“ sagte ich laut, meine Stimme fest und klar in der kühlen Nacht. „Wir greifen am Tag der Vollstreckung an. Dann sind sie gebündelt, dann sind die Augen alle auf einen Punkt gerichtet. Dann ist unsere Chance.“

Ich zeichnete die Route in den Staub, skizzierte die Wachen, die Zeitpunkte, die Fluchtwege. Die Männer lehnten sich vor, die Zigarettenglut im Gesicht. Ich sah Ryder, wie er die Kinnkante anhob; Mason, wie er die Lippen presste; Harlan, wie seine Hand unruhig die Klinge prüfte.

„Wer kann mit Messern werfen?“ fragte ich.

Eine raue Stimme brummte — einer der Jüngeren, den ich noch nicht namentlich kannte, hob die Hand. „Ich kann’s.“

„Wer lenkt die Wachen ab?“

Mehrere Hände schnellen hoch. Stimmen, die leise Namen nannten — Männer, die bereit waren, Lärm zu machen, Täuschungen zu setzen, Fackeln zu werfen, Rufe zu inszenieren.

„Wer legt den Henker ins Visier?“

Ryder meldete sich, kalt und bestimmt. „Ich treff’ den Henker. Wenn’s sein muss, mit einer Kugel durch den Kopf.“

„Wer ist bei den Pferden?“

Harlan und zwei andere blickten auf, ihre Schultern spannten sich. „Pferde stehen bereit. Wir halten die Flucht offen.“

James stand dicht bei mir, nickte, als hielte er den Taktstock. Sein Blick suchte meinen — eine stumme Bestätigung.

Ich sah in die Reihe der Männer, und etwas wie Stolz stieg in mir auf, trotzig und heiß. Ich hatte sie geführt. Sie hörten mir zu, als stünde Kael höchstpersönlich vor ihnen, und für einen Moment waren wir kein Haufen Verstoßener mehr, sondern eine Einheit, die einem Ziel huldigte.

Der Plan war knallhart:

— Ablenkung an den Toren, dort, wo die meisten Wachen stationiert sind;

— ein Messerwerfer bringt Stille dort, wo laut sein müsste;

— ein gezielter Schuss auf den Henker, um die Vollstreckung zu verhindern;

— schnelle Reiter bei den Pferden, um uns und Kael die Flucht zu sichern;

— und Männer, die sich opfern würden, wenn es sein musste, damit andere entkommen.

Keiner von uns sprach viel über das Risiko. Das wusste jeder bis in die Knochen. Wir sprachen über Timing, über Fenster, über Fluchtwege. Wir probten im Schatten mit Worten, mit Zeichnungen, mit stummen Gesten. Der Zugriff fand noch nicht statt. Noch nicht. Zwei Tage nur, und alles musste sitzen wie ein Uhrwerk.

Wir lösten uns vom Feuer, banden die Pferde tiefer in der Dunkelheit, und bereiteten uns vor — jeder auf seine Art: ein letzter Schlag an der Waffe, ein Blick in den Himmel, ein kurzes Gebet vielleicht nur im Kopf.

Die Nacht schloss sich um uns, und Red Hollow schlief ahnungslos; bald jedoch würde es ein Beben spüren.

 

Kapitel 45 – Der letzte Sonnenaufgang

(Kaels Sicht)

Der Morgen kam leise. Kein Vogel, kein Wind. Nur das leise Tropfen irgendwo im Gang des Gefängnisses von Red Hollow, wie das stetige Ticken einer Uhr, die meine letzten Stunden zählte.

Ich saß auf der kalten Steinbank, die Ketten um meine Handgelenke schwer wie Schuld — nur dass ich keine empfand. Reue war etwas für Männer, die glaubten, noch ein Morgen würde sie retten. Ich hatte gelernt, dass es keine Rettung gab. Nicht für Männer wie mich.

Fünf Wachen standen draußen, ihre Schritte hallten im Flur, doch sie wagten kaum, mir in die Augen zu sehen. Sie wussten, wer ich war.

Kael Dunham.

Der Anführer der Schattenwölfe. Der Bandit, der in jeder Stadt zum Fluch wurde. Und bald… der Mann, der am Strick enden würde.

Ich ließ meinen Kopf gegen die Wand sinken, atmete tief ein. Eisen, Schweiß, Staub – der Geruch der letzten Tage.

Die Wunde an meiner Seite brannte. Ein sauberer Durchschuss von Dawson, dieser selbstgefällige Bastard. Ich hatte schon Schlimmeres überlebt, aber diesmal war die Kugel nur der Anfang vom Ende.

Ich wusste, dass ich sie bald spüren würde – die kalte Schlinge um meinen Hals, das Holz unter meinen Füßen, das Rucken, das alles beendet.

Und trotzdem… bereute ich nichts.

Wenn ich die Augen schloss, war da nur sie.

Aurelia.

Ihr Gesicht war das Einzige, was mich noch wach hielt. Dieses Bild, wie sie am Fluss stand, das Mondlicht auf ihrer Haut, der Schimmer in ihren Augen, als sie mich ansah – als wäre ich mehr als das, was die Welt aus mir gemacht hatte.

Ich wusste, sie hätte mich nicht lieben dürfen. Und doch hatte sie es getan. Und ich…

Ich war schwach genug, es zuzulassen.

Ich spürte noch immer den Geschmack ihres letzten Kusses auf meinen Lippen – zart, gefährlich, echt.

Er hatte in mir etwas gebrochen, das ich nie wieder reparieren wollte.

Die Wunde zog, der Schmerz wurde dumpfer. Ich drückte meine Hand dagegen, sah das dunkle Blut an meinen Fingern. Dawson hatte mich getroffen, aber nicht besiegt.

Nicht er. Nicht das Gesetz. Nicht einmal der Strick, der schon auf mich wartete.

Die Tür quietschte, Schritte hallten. Dawson trat ein. Sein Hut tief im Gesicht, das Gewehr locker in der Hand. Dieses falsche Lächeln auf den Lippen.

„Nie gedacht, dich so zu sehen, Dunham“, spottete er. „Der große Schattenwolf in Ketten.“

Ich hob den Kopf, musterte ihn. „Du hast Glück, Dawson,“ sagte ich ruhig, meine Stimme wie schneidendes Eisen. „Noch ’n paar Minuten länger draußen am Fluss… und du wärst der, der tot wäre.“

Er lachte, ein kaltes, leeres Geräusch.

„Morgen, Kael. Morgen endet das alles.“

Ich sah ihm in die Augen, unbewegt. „Vielleicht. Aber nicht für dich. Du wirst mich für den Rest deines Lebens in deinen Albträumen sehen.“

Er schwieg. Nur ein kurzer Zucken in seinem Blick, bevor er sich umdrehte und ging.

Ich blieb zurück – allein mit der Dunkelheit, den Schatten, der Erinnerung an sie.

Ich dachte an ihre Stimme, an ihr Lächeln, an die Wärme, die sie mir geschenkt hatte, als ich längst nichts Menschliches mehr in mir glaubte. Wenn ich nur ein letztes Mal ihre Hand halten könnte… nur einmal ihr sagen, dass sie mich verändert hatte.

Ich sah hinaus zum Fenster, dort, wo das erste Licht der Dämmerung fiel. Es tauchte den Staub in Gold, wie eine Verhöhnung.

Mein letzter Sonnenaufgang.

Ich atmete tief ein, langsam, gleichmäßig. Wenn der Strick mich holte, sollte er wissen, dass ich als das ging, was ich immer war:

Kael Dunham.

Ungebrochen.

Kalt.

Aber mit einem Herz, das – verdammt noch mal – nur für sie schlug.

Und das war mein größtes Verbrechen..

 

Kapitel 46 – Der Atem vor dem Fall

(Aurelias Sicht)

Der Morgen war bleich und hart wie eine Klinge. Auf dem Marktplatz von Red Hollow sammelte sich das Volk in dichter Masse, Gesichter gespannt, Augen hungrig. Fahnen flatterten, Hunde jaulten, und über allem hing der bittere Geruch von Alkohol und Schweiß. Heute sollte ein Mann sterben, und die Stadt war gekommen, um zuzusehen.

Am höchsten Balken des Gerüstes hantierte der Henker wie ein Mechaniker an einem Uhrwerk. Seine Hände waren sicher, routiniert; das Seil lag in glänzenden Windungen neben ihm, die Schlaufe geflochten, der Knoten bereit. Zwei Schergen richteten die Traverse aus, prüften die Bretter, warfen kurze, knappe Blicke in die Menge. Alles musste sitzen. Keine Überraschung durfte ihnen die Zeremonie verderben.

Die Wachen bildeten einen Kreis, Rüstungen klirrten, Helme blitzten. Der Sheriff — ein großer Mann mit hartem Gesicht — stand so, dass sein Rücken zur Stadt zeigte und sein Blick Richtung Zelle blieb. Die Trommel eines Wachsoldaten hallte einmal, zweimal; es war das Signal, das den Ablauf einleitete.

Sie führten ihn hinaus.

Kael Dunham.

In Ketten, in Fetzen von Hemd, aber mit dem Blick eines Mannes, der noch immer wusste, wie man Furcht gebiert. Als er die Treppe zum Gerüst hinaufstieg, ging ein Raunen durch die Masse, eine Mischung aus Entsetzen und Bewunderung. Manche wichen zurück, andere rückten vor, als wollten sie den letzten Blick seines Gesichts erzwingen. Er ließ sich führen wie ein Tiger, ruhig und unbändig.

Als er oben auf dem Bretterpodest stand, legten ihm die Henker das Seil um. Die Schlaufe schwang, wie ein Pendel aus Stahl; der Knotenmacher prüfte die Weite, zog die Stricke einmal noch straff. Es war ein Moment, der sich dehnte — ein Atemzug, der sich wie ein Ozean anfühlte.

Unter der Menge hatte sich etwas formiert: Schatten zwischen den Zuschauern, verborgene Mienen, Hände, die die Griffe von Waffen suchten. Ich saß auf dem Rücken des schwarzen Hengstes, Kaels Hengst. mein Herz hämmerte. Er schnaubte unter mir, gespannter als ich je ein Tier hab­te sehen. Seine dunklen Augen funkelten, als spürte er, was folgte. Ich saß im Sattel, den Mantel fest zusammengeschnallt, die Zügel in der Faust — nicht als Zuschauerin, sondern als Teil eines Plans, der auf Messers Schneide balancierte.

Noch ein Atemzug. Kael hob den Kopf, als höre er eine Melodie, die nur er hören konnte; seine Augen suchten die Menge, blieben für einen Herzschlag auf mir — ein Funken, eng, klar, wie ein Blitz. Ich erwiderte den Blick, ließ keinen Zweifel daran, dass ich da war, trotz allem.

Dann — das Zeichen.

Ein Pfeifen. Kurz, kaum hörbar. Aus dem Hintergrund stürmten zuerst Schatten, dann Gestalten: Messerblitze, gezielte Schritte, Männer, die aus dem Rücken der Häuser brachen. Ein Teil der Menge schrie, stob auseinander. Die Wachen hoben die Lanzen, riefen Befehle, aber bereits war die erste Welle über sie hinweggefegt.

Mason war wie ein Sturm. Er sprang am Gerüst hoch, zwei Mann lagen unter seinem Schlag. Ryder nahm die Flanke, die Messer flogen — nicht grob, sondern tödlich präzise. Harlan schlug mit dem Kolben zu, schwang sich, und die Szene verwandelte sich in einen Tanz aus Blut und Staub. Die Schützen der Stadt suchten Halt, aber die Schattenwölfe kannten jeden Winkel, jede Deckung.

Ich lenkte den Hengst mitten in den Tumult, die Hufe donnerten auf das Kopfsteinpflaster. Verwunderte Schreie, Fäuste, die nach mir griffen – ich ritt durch sie wie ein schwarzer Pfeil. Der Plan war simpel und brutal: Chaos stiften, die Aufmerksamkeit zerreißen, Kael aus der letzten Umklammerung reißen. Die Flanke, die für Ablenkung vorgesehen war, entfaltete sich genau so, wie ich es mir ausgemalt hatte — aber die Wirklichkeit biss oft härter als jede Erwartung.

Kael kämpfte oben, noch auf dem Brett, trotz der Handschellen. Er war nicht gnadenvoll, er war nicht plötzlich weich; er war kalt und schnell, schlug mit Ellbogen, spie in Gesichter, trat, so dass zwei Wachen hinten kipp­ten. Dawson stand nicht weit, sein Gesicht grau und verbissen — doch auch er wurde von der Unruhen überrollt; Männer rissen ihn zur Seite.

Ein Schuss krachte — und die Welt verzögerte sich: Kael taumelte, die Narbe an seiner Wange floss, die Schusswunde, die Dawson ihm einst gerissen hatte, pochte wie ein zerborstener Schlag. Blut färbte sein Hemd dunkler, doch er blieb aufrecht; seine Augen brannten, und in dem Blick war keine Bitte, kein Flehen — nur pure Entschlossenheit.

„Jetzt!“, rief Ryder, und zwei Männer stürmten die Stufen des Gestells. Einer griff nach Kaels Arm, ein anderer versuchte, die Fessel am Bein zu lösen. Die Menge war wie ein lebender Wall, die Wachen taumelten, der Sheriff presste seine Truppe zusammen, aber die Ordnung war gebrochen.

ein kurzes Zeichen, keine Fragen. Wir ritten, wir stießen, ich zog die Zügel, der Hengst schoss vor, und für eine Sekunde, die wie eine Ewigkeit war, sah ich nur Kael: blutig, stolz, kämpfen­d. Die Henker zogen am Strick. Der Baum ächzte.

Dann brach alles auf einmal: Feuer, Eisen, Schreie. Ein Messer saß im Arm eines Wächters, ein Schuss zerbarst eine Laterne, Funken stoben. Horden stürzten vor, andere rannten, Pferde scheuten und zogen Kolonnen quer über den Platz. Der Plan war nicht sauber — nie ist ein Plan wirklich sauber —, aber es reichte. Genug Menschen, genug Lärm, genug Verwirrung.

Jemand riss Kael nach unten, Hände packten ihn, wichen, dann — ein Ruck, so heftig, dass die Traverse schnarrte. Die Strickschlinge schwang, knarrte, verlor ihren Griff. Kael fiel vom Brett, nicht frei, aber nicht mehr in der Position, in der der Henker ihn erwartete. Hände schoben, zogen, einer klinkte ein Messer, und inmitten von Staub und Blut war er unten — gegriffen, gezogen, beinahe geborgen.

Doch der Preis war hoch: Schreie, Blut auf dem Pflaster, mehrere Körper, die reglos lagen. Wachen, Banditen, Zivilisten — die Stadt hatte plötzlich einen neuen Takt, und er war aus Geschrei und Feuer. Dawson war nicht in Sicht; jemand fluchte, und ich sah James einen Blick austauschen, der nicht nur Erleichterung, sondern auch Furcht trug.

Der schwarze Hengst schnaubte, mir war das Herz schwer und schnell zugleich. Wir hatten den Angriff gestartet; wir hatten Kael aus den Fängen des Stricks gerissen — für den Augenblick. Doch die Flucht stand noch bevor, und Red Hollow war nicht freundlich mit denen, die ihr Gesetz brachen.

Als ich den Blick suchte, trafen sich unsere Augen. Er stand da, ein Mann, halb erobert, halb gerettet — und die Wunde an seiner Seite blutete. Die Entschlossenheit in seinem Blick war unverrückbar; er nickte mir einmal, kurz, als Zeichen des Dankes. Dann riss ihn Mason mit Gewalt durch die Menge, und wir ritten los — raus aus dem Chaos, in eine Welt aus Staub und Nacht, verfolgt von den Schreien der Stadt.

Der Atem, der vor dem Fall gehaucht wurde, war nun ein Schrei, ein Aufschrei der Freiheit — aber auch der Warnung: Nichts endet ohne Preis. Nichts ist umsonst. Die Ketten hatten kurz geraschelt; der Strick war nicht mehr das letzte Wort. Doch der Himmel war noch nicht frei von Bedrohung.

Und während wir uns entfernten, mit der Stadt hinter uns brodelnd, wusste ich, dass nichts mehr war wie zuvor.

 

Kapitel 47 – In den Armen des Wolfs

(Aurelia Sicht)

Das Feuer knackte leise, während die Nacht sich wie ein schwarzes Tuch über das Lager der Schattenwölfe legte. Der Himmel glomm in tiefem Rot, als würde selbst er noch das Blut von Red Hollow spiegeln. Wir waren zurück – erschöpft, schmutzig, gezeichnet – aber lebendig.

Die Schattenwölfe hatten sich in ihrem Lager versammelt, zwischen Felsen und Kiefern, weit entfernt von jeder Straße. Ein sicherer Ort, verborgen im endlosen Land. Pferde standen angebunden, Rauch stieg auf, Männer fluchten halblaut und lachten bitter über das, was hinter uns lag. Keiner sprach laut aus, wie knapp es wirklich gewesen war.

James saß still am Feuer, sein Blick wanderte immer wieder zu mir und Kael. Ich sah den Zwiespalt in seinen Augen – Sorge, Erleichterung, und dieser Drang, wieder nach Hause zu wollen. Schließlich stand er auf, legte mir eine Hand auf die Schulter.

„Ich reite zurück zur Ranch“, sagte er leise. „Vater und Mutter müssen wissen, dass wir leben. Lucy auch.“

Ich nickte, der Kloß in meiner Kehle machte das Antworten schwer.

„Sei vorsichtig, James.“

Er lächelte schwach, umarmte mich kurz, dann wandte er sich ab und verschwand im Dunkel. Das Hufgetrappel seines Pferdes verklang zwischen den Hügeln.

Zurück blieben Kael, die Schattenwölfe – und ich.

Kael saß am Rand des Feuers, den Oberkörper entblößt, die Wunde an seiner Seite notdürftig verbunden. Blut hatte sein Hemd dunkel gefärbt, und jede Bewegung ließ ihn scharf die Zähne zusammenbeißen. Trotzdem war sein Blick klar, stark, wie aus Stahl geschmiedet.

Ich nahm frische Verbände, ein Tuch, Wasser. „Lass mich das machen“, sagte ich leise.

Er sah mich an, erst misstrauisch, dann mit einem Ausdruck, der mehr sagte als jedes Wort. Schließlich nickte er knapp.

Ich kniete mich neben ihn, wusch vorsichtig das Blut von seiner Haut. Sie war heiß unter meinen Fingern, von der Sonne gebrannt, von Narben durchzogen – jede einzelne schien eine Geschichte zu erzählen. Kael verzog keine Miene, selbst als ich die Wunde neu band. Nur seine Hand spannte sich kurz im Sand, als der Schmerz aufflackerte.

„Du hast dich verändert, Aurelia“, murmelte er schließlich. Seine Stimme war tief, rau, ein dunkles Grollen in der Nacht.

„Vielleicht musste ich das.“

„Du hast den Wölfen befohlen. Und sie haben gehorcht.“

Ich lachte leise, ohne aufzusehen. „Nur für einen Augenblick.“

„Für einen Augenblick warst du eine von uns.“

Als ich aufsah, traf mich sein Blick – hart, aber mit einem Glanz darin, den ich selten bei ihm gesehen hatte. Etwas zwischen Stolz und Verwunderung.

„Du hättest dein Leben für mich riskiert“, sagte er leise.

„Ich hab’s riskiert.“

„Dummes Mädchen“, murmelte er. Doch in seinem Ton lag keine Strenge, kein Spott – eher etwas, das wie Anerkennung klang.

Der Wind strich durch die Bäume, trug den Geruch von Rauch und Leder mit sich. Kael bewegte sich, ein kaum merklicher Ruck, und plötzlich war er näher – so nah, dass ich seinen Atem spürte, rau und warm an meiner Wange.

„Du solltest schlafen“, flüsterte er.

„Und du solltest dich schonen.“ Erwiderte ich.

Meine Finger verharrten an seinem Verband, unsere Blicke verhakten sich. Für einen Herzschlag lang schien die Welt stillzustehen. Es war dieser Moment, in dem alles kippen konnte – zwischen Vernunft und Verlangen, zwischen Atem und Kuss.

Kaels Hand hob sich, strich eine Strähne aus meinem Gesicht. Seine Finger blieben an meiner Haut, rau, warm, zögernd.

„Verdammt“, murmelte er leise. „Du bringst selbst einen Mann wie mich aus dem Gleichgewicht.“

Ich wusste nicht, ob ich lachen oder zittern sollte. Stattdessen legte ich meine Hand auf seine Brust, fühlte den kräftigen Schlag seines Herzens unter meiner Handfläche. Für eine Sekunde beugte er sich vor – nur ein Atemzug trennte uns. Dann brach er den Blick, lehnte sich zurück, als wollte er die Kontrolle wiederfinden.

„Leg dich schlafen, Aurelia“, sagte er rau.

Ich tat es. Aber als ich mich in die Decke kuschelte, zog Kael mich mit einer einzigen, entschlossenen Bewegung an sich. Mein Kopf fand seinen Platz an seiner Schulter, seine Arme legten sich um mich – fest, schützend, wie ein Schild gegen die ganze Welt.

Sein Herz schlug ruhig und stark, und während das Feuer langsam niederbrannte, wurde sein Atem gleichmäßiger.

Ich schloss die Augen, spürte seine Wärme, seine Nähe, das Gewicht seines Armes über mir.

In dieser Nacht schlief ich in Kaels Armen ein.

Und der letzte Gedanke, bevor mich der Schlaf holte, war:

Vielleicht war ich längst eine von den Wölfen geworden.

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oOMissyOos Profilbild oOMissyOo

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Kurzbeschreibung

Weit draußen, wo die Prärie endlos scheint und der Wind Geschichten flüstert, im Jahre 1887, lebt Aurelia mit ihrem Vater, ihrer Mutter, ihrem Bruder James und ihrer kleinen Schwester Lucy auf einer Ranch. Das Leben dort ist schlicht, rau und ehrlich – bis das Schicksal in Gestalt von Staub, Feuer und einem Mann mit dunklen Augen über sie hinwegzieht.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Liebe auch in den Genres Action, Western und Drama gelistet.

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