Autor
|
Bewertung
Statistik
Kapitel: | 23 | |
Sätze: | 3.308 | |
Wörter: | 45.179 | |
Zeichen: | 266.415 |
Ada ist fünfzehn und der Inbegriff einer rebellischen Jugendlichen. Sie respektiert keine Autorität, ist ständig in Ärger verwickelt, streitet mit ihrer alleinerziehenden Mutter – und sie verspürt einen unwiderstehlichen Drang zum Jagen, egal was. Oder wen. Und sie liebt Fleisch. Auch roh. Und blutig.
Ihre Lehrer haben es längst geahnt: In Ada fließt das Blut eines Drachen. Damit droht ihr das Schlimmste, wie ihre verzweifelte Mutter weiß, denn Drachenblütige werden von der Regierung gejagt.
Eris ist fünfzehn und ein Außenseiter mit ungewöhnlichen Vorlieben, unverstanden von seinen Eltern und Gleichaltrigen. Als er sich eines Tages selbst an die Drachenbehörden ausliefert, gerät sein Leben völlig aus den Fugen – und verbindet sich mit dem von Ada und anderen Jugendlichen und Erwachsenen, die in einer ganz ähnlichen Situation waren wie er. Welche Zukunft haben sie in einer Welt, die allen Drachen feindlich gesinnt ist? Und was sind sie eigentlich? Menschen oder Drachen?
*
Über das Wesen der Drachen (Auszüge)
Drachenwandler – Bezeichnung für einen Menschen, der die Gestalt eines Drachen annehmen kann.
Drachenblütiger – Bezeichnung für einen Menschen, der nachweislich mit mindestens einem Drachenwandler blutsverwandt ist, ohne bisher selbst Drachengestalt angenommen zu haben.
Drachenblütige werden, entgegen der weitverbreiteten Meinung, nicht unweigerlich zu Drachenwandlern, selbst dann nicht, wenn sie typische Verhaltensauffälligkeiten zeigen. Sie können allerdings die entsprechenden Veranlagungen weitervererben und ein wandlungsfähiges Individuum hervorbringen, teils erst viele Generationen später.
Aus: Biologie – Lernen und Verstehen, Ausgabe für Mittelschulen, 11. Auflage
[…] Die Inzidenz für Drachenwandler ist in den meisten Ländern der Welt sehr gering. In Europa liegt sie mit am Niedrigsten aufgrund der starken Bejagung von Drachen im Mittelalter und der frühen Neuzeit.
In afrikanischen Ländern ist sie aufgrund neuzeitlicher Bejagung für den illegalen Handel mit Schuppen, Zähnen und Krallen ähnlich gering, die Gene in der Bevölkerung stammen hauptsächlich aus der Vermischung mit anderen ansässigen Ethnien, allerdings wurden im Lauf der Geschichte auch indigene Drachen beschrieben, über deren Zahl sich keinerlei Auskunft geben lässt.
Australien besitzt keine bekannte indigene Drachenpopulation, die entsprechenden Gene wurden von britischen Siedlern eingeschleppt.
Die höchste Inzidenz für Drachenwandler weltweit haben die Vereinigten Staaten von Amerika, weshalb große Teile von Nationalparks in den Ozarks, Appalachen und Rocky Mountains zu Drachenreservaten umgewandelt wurden. Die enorme Zahl liegt einerseits darin begründet, dass sich die Bevölkerung aus verschiedenen ethnischen Gruppen zusammensetzt, andererseits, dass aufgrund fehlender Eindämmungsmaßnahmen Drachengene über viele Generationen hinweg unbemerkt weitergegeben werden konnten und es keine derartigen Ausrottungsfeldzüge gegen Drachen gab wie in Europa.
In den meisten Ländern des europäischen Festlands wird Personen, die einen bekannten Drachenwandler im Familienstammbaum aufweisen, von einer Schwangerschaft abgeraten. Bestimmte Gensequenzen gelten in einigen Ländern Osteuropas und Russlands als Ausschlusskriterium bei der embryonalen Auslese im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik. Diese Sequenzen sind hinsichtlich ihres Vorhersagewertes allerdings stark umstritten.
In vielen asiatischen Ländern gilt das gesellschaftliche Kastensystem, das es Drachenwandlern streng untersagt, Nachkommen mit Nichtwandlern zu zeugen. Betroffene Kinder werden, trotz gesetzlichen Verbots, immer wieder getötet. Erwachsene Abkömmlinge dieser Verbindung werden von der Gesellschaft ausgeschlossen und in weiten Teilen noch heute zwangssterilisiert. Reinblütige Drachenwandler haben in diesen Ländern einen deutlich höheren Stand als in der westlichen Welt und werden als gottgleich betrachtet. Sie zu sehen gilt als Glücksverheißung in der gewöhnlichen Bevölkerung. In China leben alle reinen Drachenwandler in der Verbotenen Stadt, einem mehrere Quadratkilometer umfassenden Stadtstaat mit eigener Rechtsprechung, dessen Zutritt nur ihnen selbst gestattet ist. […]
Aus: Die Welt der Drachen, 5. Auflage
[…] Drachentöter haben in vielen Ländern der Welt Tradition, zum Teil bis in die Neuzeit hinein, wodurch sich erklärt, warum Drachen heute vergleichsweise selten geworden sind, während sie noch vor tausenden von Jahren die Länder der Erde als geschuppte Tyrannen beherrschten. […]
Aus: Geschichte – Lernen und Verstehen, Ausgabe für Mittelschulen, 12. Auflage
[…] Die wohl gefürchtetste Fähigkeit unter Drachen, das Feuerspeien, gilt heute glücklicherweise als verlorengegangen. Das letzte Exemplar, ein Biest von dreißig Metern Länge, wurde um 1860 in Texas getötet. Leider gilt das Skelett heute als verloren gegangen. […]
Aus: Biologie, Wissenschaftsbuchreihe 6, 9. Auflage
[…] Die der Wandlung zugrundeliegende Gensequenz ist derzeit noch unbekannt. Die Wissenschaft geht von einer epigenetischen Grundkomponente aus. Die meisten bisher vermuteten Genkomponenten treten nachweislich sowohl bei Wandlern als auch Blütigen und sogar Nichtblütigen auf. […]
[…] Drachenwandler nehmen ihre Drachengestalt erstmalig meist zwischen dem vierzehnten und fünfundzwanzigsten Lebensjahr an. Ein pubertärer Stimulus wird vermutet. Ist bis zum vollendeten dreißigsten Lebensjahr keine Wandlung erfolgt, kann trotz drachenpositiven Stammbaums davon ausgegangen werden, dass keine Wandlung mehr erfolgen wird und das Individuum als sicher einzustufen ist. Eine weitere Verbringung in einen Sperrdistrikt ist dann nicht mehr obligat. […]
Aus: Humangenetik – Drachengenetik
[…] Nicht alle Drachenwandler und Drachenblütigen werden auffällig, auch wenn gewisse Verhaltensweisen bei ihnen häufiger auftreten. Sehr oft beobachtet werden ein unwiderstehlicher Zwang, rennenden oder fliegenden Tieren hinterherzujagen sowie eine Abneigung gegen Gemüse bei einer deutlichen Vorliebe für Fleisch, auch ungegartem. Weiterhin sind ein wildes Temperament mit rebellischem Verhalten und Launenhaftigkeit beschrieben worden, insbesondere bei weiblichen Individuen. Einen verlässlichen Prädiktionstest gibt es derzeit nicht. Diskutierte Triggerfaktoren des Gestaltwandels sind vor allem Stress, aber auch Angst und andere starke Erregungszustände. […]
Aus: Zentrale für Drachenaufklärung
[…] Drachenwandler können vollsymptomatisch am Herefordt-Prenson-Syndrom erkranken, einer Krankheit, die umgangssprachlich auch als »Drachenwut« bezeichnet und durch das Herefordt-Virus verursacht wird. Es zeigt sich eine milde Symptomatik bei Drachenblütigen ohne Fähigkeit des Gestaltwechsels mit spontaner Ausheilung bei symptomatischer Therapie der typischen Prodromi Fieber, Gliederschmerzen und Sehstörungen, jedoch eine verheerende bei jenen, die den Wandel mindestens einmal vollzogen haben: Der Gestaltwechsel wird unwiderstehlich getriggert und eine Rückverwandlung unmöglich gemacht, wahnhafte Zustände und der Zwang zur Zerstörung und Tötung sind typisch. Diese schwere Form der Krankheit ist unheilbar und führte vermutlich zu den besonders eindrucksvollen Fällen, in denen einzelne Drachen ganze Menschensiedlungen angriffen. Der Tod tritt nach wenigen Tagen bis Wochen durch Multiorganversagen ein. Es existiert ein Impfstoff seit den 1950er Jahren, der heute eine Schutzrate von bis zu 100% erreicht. Die Durchimpfung von Drachenwandlern ist verpflichtend in allen Teilen des Landes, die von Drachenblütigen ohne erfolgten Wechsel obliegt den einzelnen Staaten. […]
Aus: Infektiologie für Studierende der Human- und Drachenmedizin
[…] Sie vermuten, dass Ihr Kind ein Drache sein könnte? Sie wissen nicht, wie Sie damit umgehen sollen? Sie fürchten sich vor dem, was passieren kann? Rufen Sie uns an! Unter unserer kostenlosen Nummer erhalten Sie die passende Beratung. Wir verweisen Sie an die richtigen Stellen, sollte sich der Verdacht erhärten, denn sämtliche Drachenwandler müssen zu ihrem eigenen Schutz und dem der Bevölkerung in eigens dafür eingerichtete Zonen unter der Leitung von erfahrenem Personal verbracht werden. Fürchten Sie sich nicht vor diesem Schritt – es ist die beste Entscheidung für Ihr Kind! […]
Aus: Hilfetelefon für Eltern von potentiellen Drachenwandlern
Als sie sich an diesem frühlingshaften Morgen aus ihrem Bett kämpfte, hatte Ada noch nicht einmal geahnt, was für eine irrsinnige Wende ihr gesamtes Leben an eben diesem Tag vollziehen würde.
Zunächst schien es ein Tag wie jeder andere zu sein: Gähnende Langeweile versprechend. Ein Donnerstag, kurz vorm Wochenende also, aber immer noch einen ganzen Tag davon entfernt. Der Wecker hatte viel zu früh geklingelt, und doch war sie beinahe zu spät in der Schule angekommen. Noch dazu hatten sie in den ersten zwei Stunden ausgerechnet Mathe. Wer dachte sich bitte so etwas aus, Mathe frühmorgens und dann auch noch zweimal hintereinander?
Jetzt, etliche Stunden später, war Ada auf der Flucht. Sie rannte durch das Gestrüpp und Unterholz des Waldes, der ihre verdammte Kleinstadt einschloss, ohne zu wissen wohin. Es interessierte sie auch nicht, Hauptsache weg. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie froh darüber, in einem so verschlafenen Nest zu leben: In einer Großstadt hätte sie keine Chance gehabt, unbemerkt zu verschwinden. Hier draußen dagegen gab es so einige Versteckmöglichkeiten, und der Gedanke daran, ihnen allen davonzurennen, beflügelte sie im ersten Moment – bis er vom nächsten verdrängt wurde: Sie konnte nicht für immer im Wald bleiben.
Egal, dachte sie grimmig und schob alle Bedenken beiseite. Ich werde rennen, so lange ich kann. Bis ich geschnappt werde oder tot bin. Was blieb ihr schon anderes übrig?
Sie hatte nie ein Problem damit gehabt, erst zu handeln und dann zu überlegen. Nicht immer war sie stolz darauf, das musste sie zugeben, denn meist machte das die Dinge eher schlimmer als besser. Und Ada dachte durchaus nach, über sehr viele Dinge, egal, was die anderen über sie sagten. Die verstanden ohnehin nicht, was in ihr vorging. Nicht einmal sie selbst tat es.
Ada hatte schon früh bemerkt, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte. So richtig nicht stimmte. Dass sie irgendwie anders war als alle anderen, obwohl das alle Jugendlichen von sich selbst dachten. Aber bei ihr war es tatsächlich so, eine gesteigerte Form des Andersseins. Sie mochte kein Gemüse. So überhaupt nicht. Als Kind war das noch in Ordnung gewesen – kein Kind mochte Gemüse. Sie aber aß stattdessen ganze Mahlzeiten, die nur aus Fleisch bestanden, und das am Liebsten mehrfach täglich. Ihr Fleischappetit hatte schon als Kind seltsame Blüten getrieben, die nicht mehr erklärlich waren. Manchmal kaufte sie sich im Supermarkt an der Straßenecke Koteletts und aß sie heimlich – roh. Die ganze Packung. Auch das Mark von Suppenknochen mochte sie, und den Suppenknochen selbst, an dem sie nagte, ohne ihn wirklich essen zu können. Und dann war da noch die Sache mit dem Sportunterricht. Der war ihr schon immer schwergefallen – nicht, weil sie dick war wie so viele ihrer Klassenkameraden, sondern weil sie die vielen herum rennenden Schüler verrückt machten. Ada begriff selbst nicht wieso. Irgendwie war sie ständig davon abgelenkt, ihre sich schnell bewegenden Körper zu betrachten. Es war wie ein Zwang, den sie nicht unterdrücken konnte und der dazu führte, dass sie dauerhaft unkonzentriert war, so als ob sich in ihrem Hirn Blitze entluden und ihre Schädeldecke zum Kribbeln brachten. Über diese Dinge hatte sie nie offen mit jemandem gesprochen, nicht einmal mit ihrer einzigen Freundin Sue. Ada wusste nur zu gut, wie das gewirkt hätte, und sie wollte nicht, dass falsche Schlüsse gezogen wurden – doch nun sah es tatsächlich ganz danach aus.
Es war Gordons Schuld. Alles. Er sollte jetzt gejagt werden und nicht sie! Dieser kleine Mistkerl hatte sie bloßgestellt vor allen anderen. Wegen ihres Verschlafens war sie nicht zum Frühstücken gekommen, hatte hungrig in den zwei Stunden Matheunterricht gesessen und Gordon musste in der Pause ausgerechnet vor ihrer Nase herumrennen. Er hatte sein Mathebuch im Klassenraum liegenlassen, sein verdammtes Mathebuch. Ada hatte sich nicht beherrschen können, die einzelnen Blitze in ihrem Hirn hatten vor lauter Hunger und Gerenne einen Gewittersturm erzeugt – sie war ihm plötzlich nachgerannt, schneller als er, und dann hatte sie ihn zu Boden geworfen und sich so fest in seinem Nacken verbissen, dass er blutete.
Gordon hatte geschrien, und natürlich hatten alle im Raum sofort auf sie gestarrt und ihre Essenstabletts fallengelassen. Aber Ada war unfähig gewesen, sich von ihm zu lösen. Die ganze Welt schrumpfte zu einem schmalen Tunnel zusammen, in dem nur noch Platz für Gordon und sie war. Sein entsetztes Geschrei und Gezappel machte sie nur noch wilder und hatte sogar ihren Speichelfluss angeregt. Für einen Augenblick war Gordon ihre Beute gewesen, dazu bestimmt, ihren leeren Magen zu füllen.
Ada erinnerte sich nicht mehr daran, wie die Situation ausgegangen war. Sie hatte sich das Hirn zermartert auf der Suche nach irgendeiner Erinnerung, von der sie wusste, dass sie da sein musste. Stattdessen fand sie nur zusammenhanglose Fetzen; die entsetzten Gesichter von Jennifer und Elizabeth; der fassungslose Ausdruck von Miss Hemsworth, die der Ohnmacht nahe schien. Der angeekelte Blick in den Augen von Brian, dem Footballspieler, der plötzlich gar nicht mehr so tough aussah wie sonst. Dann weitere Gesichter, von Lehrern und Schülern, älter und jünger als sie, die ineinander überzugehen schienen. Entsetzen, Fassungslosigkeit, Abscheu, Angst. Das Erste, an das sie sich wieder ganz klar erinnern konnte, war das erschütterte Wort aus dem Mund eines Schülers, den sie nicht sah, sondern nur hörte: »Drache!«
Dann gab es furchtbares Geschrei, in welchem Ada von irgendjemandem gepackt und weggezogen wurde. Sie blickte auf Gordons blutigen Nacken, der sich aufrappelte, und bemerkte den metallischen Geschmack auf ihrer Zunge. Ruhe kehrte ein, als sich plötzlich die Tür zum nächstbesten Raum hinter ihr schloss, in dem sie allein zurückblieb.
Ada atmete tief durch, sowohl ihr vergangenes Ich als auch ihr gegenwärtiges. Sie war plötzlich wieder im Wald und stand vor einer Grotte, umgeben von hohen Sträuchern und Bäumen. Der Boden wirkte trocken und steinig und bot ihr ein annehmbares Versteck, auch wenn es sie davor graute, die Nacht hier draußen verbringen zu müssen. Auch egal, das ist besser, als geschnappt zu werden.
Sie schob sich hinein, stellte fest, dass das Innere größer war als es von außen den Anschein hatte, und verbarg sich vor den Augen ungebetener Gäste.
Der Strudel aus Erinnerungen und Emotionen entwirrte sich, sowie sie sich sicher und unbeobachtet fühlte, und ließ den ersten klaren Gedanken zu, seit sie aus der Schule getürmt war: Sue. Und dann: Lance.
Ada hatte Sue nicht auf ihrem Platz im Pausenraum gesehen, wusste nicht einmal, ob sie heute überhaupt in der Schule gewesen war. Vielleicht war sie ja krank und hatte nichts von all dem mitbekommen. Aber Ada verwarf den Gedanken sofort wieder. Die Nachricht würde sich in ihrer Kleinstadt ganz gewiss ausbreiten wie ein Lauffeuer.
Ada Grayson, der Drache. Das ist doch völlig verrückt…
Wie konnte irgendjemand allen Ernstes glauben, dass sie ein Drache war? Ja, sie liebte Fleisch, auch rohes, sehr sogar, und sie hatte das Bedürfnis, ihren rennenden Mitschülern hinterherzujagen, aber das allein bedeutete doch noch gar nichts.
Oder?
Andererseits: Wie konnte ein vernunftbegabter Mensch glauben, dass Lance ein Drache war? Trotzdem hatten sie ihn weggeholt, aus ihrem Leben herausgerissen und an einen unbekannten Ort gebracht. Ihren besten Freund neben Sue, der beinahe wie der Bruder war, den Ada nie gehabt hatte.
Wut und Trauer ergriffen sie bei der Erinnerung. Sie hatte sich vor der Sache mit ihm nie wirklich mit dem Thema Drachen befasst. Diese gehörten in den Geschichtsunterricht, der sogar noch langweiliger war als Mathe. Drachen waren Menschen, so hieß es jedenfalls, mit dem Unterschied, dass sie die Gestalt einer großen, schuppigen Bestie annehmen konnten – und das ohne es zu wollen oder kontrollieren zu können. Im Mittelalter existierten ganze Clans von Drachen, die die Dörfer und Städte Europas terrorisierten, und Drachentöter hatten sie zu abertausenden hingeschlachtet, mal, um die Menschen zu schützen, mal, um Ruhm und Ehre zu erlangen und mal, weil sie glaubten, Drachen seien die Brut des Teufels, die im Namen Gottes vernichtet werden musste. Es gab Hexenverbrennungen von Frauen, die im Verdacht standen, mit Drachen im Bunde zu sein, und Enthauptungen von Männern, die angeblich unschuldige Menschen mittels schwarzer Magie in Drachen verwandeln konnten. Noch heute war sich die christliche Gemeinschaft nicht einig, ob Drachen nun Menschen waren oder nicht. Und wenn sie keine waren, was waren sie dann? Dämonen? Monster? Auch, wenn ihre Tötung in den meisten Teilen der Welt mittlerweile verboten war, wusste man noch immer nicht, wie man mit ihnen umgehen sollte. Drachenblütigen wurde der Zutritt zu christlichen Gotteshäusern oft verweigert, und erst kürzlich war irgendwo ein Priester in die Schlagzeilen geraten, weil er beinahe die dreizehnjährige Tochter einer Familie bei einer Dämonenaustreibung getötet hätte – sie alle glaubten, das Mädchen trüge den Drachen in sich.
Die Meinungen zu Drachen gingen auch auf der weltlichen Seite auseinander. Manche sagten, es war schon damals ganz und gar falsch, Drachen einfach zu töten, ganz egal, ob sie Menschen getötet hatten oder nicht. Andere beharrten darauf, dass Drachen gefährlich waren und die Menschheit bedrohten, solange sie existierten. Und dann gab es noch jene, die hofften, alle Drachen würden eines Tages einfach aussterben durch das konsequente Wegsperren von Blütigen in Reservate fernab der Zivilisation. Zumindest das würde vermutlich nie eintreten: Drachen hatten nicht zuletzt deshalb bis in die heutige Zeit hinein überlebt, weil die Gene mehrere Generationen überspringen konnten, bevor sich ein Wandler zeigte, vor allem dann, wenn sich gewöhnliche Menschen in den Stammbaum mischten. Es konnten viele unauffällige Generationen kommen und gehen, bevor einer auftauchte, der zum Drachen wurde.
Lance war einer von jenen, die Zeichen der Drachenblütigkeit aufwiesen, als einziger in seiner Familie. Auf keinen Fall aber würde er jemals zu einem Drachen werden, das wusste Ada. Der schüchterne, unsichere Lance, der früher so oft geweint hatte, konnte unmöglich ein solches Monster sein. Er war zu unrecht eingesperrt worden, während die Autoritäten darauf warteten, dass er sich verwandelte. Wenn sie dann irgendwann merkten, dass sie einen Fehler begangen hatten, würde Lance freikommen in eine ungewisse Zukunft, ohne Schulabschluss und Ausbildung, um am Rand der Gesellschaft vor sich hin zu vegetieren. Es war ein furchtbares Los, egal, wie es ausging. Das Leben war danach verwirkt.
Ada wusste nicht einmal, wohin sie ihn gebracht hatten. Sie hoffte einfach, dass er an einen halbwegs guten Ort gekommen war, wo die echten Wandler von den harmlosen Blütigen getrennt wurden. Diese Reservate gab es überall in den Vereinigten Staaten. Drachenblütige wurden dort eingesperrt, bis sie alt genug waren, um sicher ausschließen zu können, dass sie Drachengestalt annahmen und der Bevölkerung gefährlich wurden. Aber niemand wusste, ob die, die nicht zurückkehrten, wirklich weiter in den Reservaten lebten. Man sagte, in anderen Ländern, insbesondere Asien, herrsche reger Handel mit Körperteilen von Drachen: Schuppen, Knochen, Zähne, sogar ganze Organe wie das Herz. Aus ihnen konnten angeblich traditionelle Arzneimittel oder Schnaps hergestellt werden, welche Heilkräfte besaßen. Auch Sues Vater hatte davon gesprochen und gemeint, dass man schon sehr naiv sein müsste zu glauben, Drachen würden auf Kosten des Staates ihr Leben lang in den Reservaten durchgefüttert werden, bis sie irgendwann im hohen Alter starben – zumal die Reservate auch irgendwann voll wären. Das klang ganz schlüssig, wie Ada zugeben musste. Sie war damals erst sieben Jahre alt gewesen und hatte tatsächlich geglaubt, Drachen würden frei in den Reservaten leben, so, wie man es ihnen in der Schule erklärte, aber sie hatte es natürlich nicht zugegeben vor Mr. Lincoln – sie wollte nicht naiv sein, was auch immer das bedeutete. Es klang zumindest wie etwas, die man lieber nicht sein wollte.
Jetzt, da sie in der kühlen Grotte mitten im Wald saß, empfand Ada eine irrationale Wut auf Mr. Lincoln und hoffte inständig, er würde doch unrecht haben. Sie wollte nicht in so einem Reservat verschwinden. Niemand sollte das.
Ihre Schule hatte zweifellos längst die Behörden informiert, die für Drachenangelegenheiten zuständig waren. Diese würden zu ihrem Elternhaus fahren, ihre Mutter und die Lehrer befragen, wohin sie geflüchtet sein könnte. Und dann würden sie nach ihr suchen, um sie ebenfalls einzusperren.
Ich bin kein Drache. Ich kann keine Drachengestalt annehmen. Niemand in meiner Familie kann oder konnte das.
Sie versuchte, gedanklich ihren Stammbaum zu rekonstruieren. Die erste Generation waren ihre Eltern, die zweite ihre Großeltern – da stockte sie schon. Ihre Großeltern waren gestorben, als sie noch klein war. Sie hatte sie nie wirklich gekannt, geschweigedenn die dritte und vierte oder fünfte Generation vor ihnen. Was, wenn ihre Großeltern, Urgroßeltern oder Ururgroßeltern wirklich Drachen gewesen waren? Oder vielleicht ihr früh verstorbener Vater, über den ihre Mutter nie sprach? Aber hätte ihre Mutter es ihr nicht gesagt, wenn irgendjemand in ihrer Familie ein Drache gewesen wäre? Dann fiel ihr ein, dass jeder von ihnen blütig gewesen sein könnte, ohne es selbst zu wissen.
Vor dem Reservat würde sie ein makelloser Stammbaum gewiss auch nicht retten. Erst, wenn sie dreißig Jahre alt wurde, ohne sich verwandelt zu haben, würde sie in die Gesellschaft zurückkehren können. Das war noch einmal so lange, wie sie bisher gelebt hatte. So lange konnte sich nicht einmal Ada Grayson im Wald in einer Grotte verstecken.
Wenn ich wirklich ein Drache wäre, dann könnte ich im Wald leben, dachte sie, und für einen Moment gab sie sich wilden Ideen hin. Sie richtete sich auf und versuchte, sich Kraft ihrer Gedanken Flügel wachsen zu lassen, sich lebhaft vorzustellen, wie sie aus ihrem Rücken aufstiegen, lange, ledrige Schwingen, fähig, sie in die Lüfte zu tragen, fort von denen, die sie einfangen wollten, vielleicht in ein einsames Gebirge. Doch natürlich passierte nichts. Es war seltsam und absurd, sich vorzustellen, einfach eine andere Gestalt anzunehmen als die, die man schon immer gehabt hatte.
Ada überlegte. Sie konnte vielleicht auf der Straße leben. Viele Jugendliche waren Straßenkinder, ob nun drachenblütig oder einfach so abgehauen. Bestimmt würde sie sich irgendwie durchschlagen können, und vielleicht war das ja sogar ganz cool, so ein Leben ohne Erwachsene. Allerdings brauchte sie dazu erst etwas Zuessen, woran sie ihr knurrender Magen unweigerlich erinnerte.
Essen. Ich muss etwas essen.
Sue hatte den bisherigen Tag im Bett verbracht, ehe sie trotz ihres übel verstauchten Knöchels aufsprang, als sie über Social Medin von den jüngsten Ereignissen in ihrer Schule erfuhr. Da ist man einmal nicht da und die ganze Welt dreht durch.
Ihre Mutter war noch an der Arbeit, ihr Vater saß unten in seinem Büro beim Home Office. Sie humpelte die Treppe hinunter und riss die Tür auf. »Dad! Ada ist aus der Schule geflüchtet! Jen hat gerade geschrieben, sie hätte Gordon attackiert und blutig gebissen. Jetzt glauben alle, dass sie ein Drache ist!«
»Was?« Ihr Vater nahm die Brille ab, die er stets zum Schreiben trug, und drückte seinen Drehstuhl vom Tisch weg. »Wo ist sie jetzt?«
»Keiner hat sie seit dem Vorfall gesehen, aber die Schule hat die Behörden eingeschaltet. Ich schätze, sie suchen bereits nach ihr.« Sue war völlig außer sich, fühlte sich hilflos und verzweifelt. Was, wenn sie sie fanden?
Ihr Dad rieb sich übers Gesicht. »Hast du sie schon angerufen?«
»Sie geht nicht ran und reagiert nicht auf Nachrichten. Sicher hat sie das Handy weggeworfen, um nicht geortet zu werden.«
»Vermutlich. Allerdings können wir nichts für sie tun, wenn wir nicht wissen, wo sie ist.«
»Vielleicht kommt sie ja hier her«, meinte Sue nach einem Augenblick und warf ihrem Vater dabei einen verstohlenen Blick zu. Wie würde er reagieren, wenn ein gesuchter mutmaßlicher Drachenwandler bei ihnen auftauchte? Sie wusste es nicht, obwohl sie ihren Vater gut kannte.
»Glaubst du das?«, fragte er völlig neutral, als würden sie sich über etwas so Triviales wie das Wetter unterhalten.
»Ich bin Adas beste Freundin. Wohin sollte sie sonst gehen?«
»Zu ihrer Mutter«, erwiderte ihr Dad, aber er klang selbst nicht überzeugt davon.
»Du weißt, was sie damals mit Lance gemacht hat«, gab Sue zu bedenken, und ihr Vater schwieg, sah sie einfach nur an. Jeder wusste es, aber niemand sprach darüber. So, wie man üblicherweise auch nicht über Drachen sprach.
Lance Carmichael war wie ein Bruder für Ada gewesen. Sie waren zusammen aufgewachsen, seit Ada fünf und Lance sieben Jahre alt waren. Er hatte in der Nachbarschaft gewohnt, das einzige und ungewollte Kind seiner alleinerziehenden, überforderten, alkoholabhängigen Mutter. Wann immer sie sich betrank, war Lance zu Ada und ihrer Mutter gekommen, hatte bei ihnen geschlafen und etwas Zuessen bekommen, ganz selbstverständlich, als ob er zu ihrer Familie gehörte. Sie hatten für ihn sogar Schulutensilien gekauft und waren mit ihm zum Arzt gegangen. Mrs. Grayson hatte stets Mitleid mit dem alleingelassenen Jungen gehabt. Aus irgendeinem Grund war es nie dazu gekommen, dass man ihn seiner leiblichen Mutter wegnahm. Vielleicht hatte Lance das nicht gewollt und versucht, die Vernachlässigung zu verheimlichen. Kinder hingen oft unerklärlicherweise an ihren Eltern, selbst wenn diese es nicht gut mit ihnen meinten.
Er war vierzehn, als es schließlich geschah. Bei der Schuluntersuchung hatte er die Ärztin gebissen, vorgeblich, weil diese eine frische Wunde an der Hand gehabt hatte. Die Schüler dagegen hatten getuschelt, dass die Frau ihre Periode hatte und Lance das Blut roch. Der Bursche besaß eine ausgesprochen beunruhigende Affinität zu Blut: Wann immer seine Mutter eins ihrer Hühner schlachtete, fing er an zu geifern. Wie alles andere auch, was ihren Sohn betraf, hatte sie das nie wirklich interessiert. Wenn er sich dagegen an dem rohen Fleisch vergriff, prügelte sie ihn, und zwar heftig. Lance hatte irgendwann angefangen, sich selbst zu beißen und seine Gelüste zu verheimlichen. Aber das sorgte bekanntermaßen nicht dafür, dass sie verschwanden.
Der Auftritt bei der Schuluntersuchung hatte Lance’ Schicksal schließlich besiegelt: Die Schule wollte ihn noch vor Ort durch die Behörden abholen lassen. Ada war zusammen mit ihm Nachhause geflüchtet, sie hatten sich in ihrem Zimmer eingeschlossen, verzweifelt und überfordert mit der Frage, was sie jetzt tun sollten. Dann hatte Ada ihre Mutter angerufen, die bestimmt wusste, was zu tun war. Aber statt ihnen zu helfen, hatte sie Lance ausgeliefert.
Sue war sich bis heute nicht sicher, ob Ada zu recht wütend auf ihre Mutter sein durfte. Lance stellte vielleicht wirklich eine Gefahr dar, wo er sich doch nicht unter Kontrolle hatte, und er hätte sich immerhin nicht ewig in ihrem Zimmer verstecken können. Zudem schien Ada zu dem Zeitpunkt völlig zu verdrängen, dass Lance wirklich ein Drache sein könnte. Und Drachen frei herumlaufen zu lassen ging ja nun wirklich nicht. Sie selbst hatte es erst auch nicht glauben wollen, dass Lance ein Drachenwandler sein sollte – aber wer konnte das schon so genau sagen?
Andererseits hätte es vielleicht mehr Möglichkeiten gegeben. Sue wusste, dass in Kanada weniger strikte Maßnahmen gegen Drachenblütige und sogar Wandler verhängt wurden. Vielleicht hätten sie Lance zur Flucht über die Grenze verhelfen können. Aber Adas Mutter war mit der Situation wohl nicht weniger überfordert gewesen. Vermutlich hatte sie keinen Ausweg gesehen und die Konsequenzen einer Beihilfe zur Flucht gefürchtet. Oder sie hatte wirklich geglaubt, das Richtige zu tun.
Nun war Lance schon seit drei Jahren fort, verschluckt von irgendeinem Reservat im Nirgendwo, und niemand wusste, wie es ihm seit her ergangen war oder ob er überhaupt noch lebte.
Sue wurde aus ihren Gedanken gerissen, als es plötzlich an der Tür klopfte – klopfte, nicht klingelte, und zwar an der Hintertür. Sie war trotz ihrer Verletzung schneller als ihr Vater, öffnete und stand unvermittelt Ada gegenüber.
»Sue! Du musst mir helfen! Ich… ich…!«, begann sie aufgewühlt, schrie dabei fast.
Ihre Freundin zog sie bereits nach drinnen, bevor sie jemand sah oder hörte. »Ada! Ich weiß, ich weiß!«, unterbrach sie sie hektisch, und Ada verstummte, als Mr. Lincoln an sie beide herantrat.
»Kind, ist es wahr? Hast du diesen Jungen… gebissen?«
Ada leckte sich über die Lippen, nickte und sah dabei aus, als wolle sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. So verletzlich hatte Sue sie schon lange nicht mehr gesehen – zuletzt, als sie Lance weggebracht hatten.
»Verdammt, ich wollte das doch nicht! Es… ist einfach passiert!«, platzte es aus ihr heraus. »Ich hatte solchen Hunger!«
»Gütiger…« Mr. Lincoln rieb sich mit der Hand übers Gesicht. So verunsichert hatte Sue ihren Vater noch nie erlebt, und das machte ihr noch mehr Angst, als sie ohnehin schon hatte. Es machte ihr bewusst, wie schlecht es um Ada stand.
»Weiß deine Mutter, dass du hier bist?«, fragte er Ada nach einem Moment.
»Natürlich nicht! Die würde mich doch sofort den Behörden übergeben!«
»Sie ist deine Mutter«, erwiderte Mr. Lincoln und sah sie ernst an. »Auch, wenn ihr eure Differenzen habt, die völlig normal in deinem Alter sind…«
»Sie hat Lance wegbringen lassen!«, schrie Ada völlig verzweifelt. »Sie haben selbst gesagt, wie in den Reservaten mit Drachen umgegangen wird! Wer weiß, was sie mit Lance getan haben! Und was sie mit mir tun, wenn sie mich schnappen!« Nun brach Ada tatsächlich in Tränen aus – all die Emotionen, Wut, Angst und Verzweiflung, gemischt mit dem üblichen Cocktail an Hormonen, brachen aus ihr heraus wie eine unaufhaltsame Flutwelle.
Mr. Lincoln war da, um sie zu stützen, und er begleitete beide Mädchen nach oben ins Wohnzimmer, wo sie sich alle drei auf die Couch setzten. »Ruhig, Liebes. Wir wissen nicht, was mit Lance geschehen ist. Er wäre… ich meine, er ist jetzt wie alt? Siebzehn? Ja, siebzehn. Vielleicht hat er noch keine Gestalt angenommen und kommt wieder frei.«
In dreizehn Jahren, wenn ihn hier niemand mehr kennt und er keine Zukunft mehr hat, dachte Sue unweigerlich.
Es waren leere Worte, und das machte sie selbst wütend. Wenn es jemals einen Jugendlichen in ihrem Ort gegeben hatte, der sich wirklich auffällig drachenhaft verhielt, dann war es wohl Lance, so schwer es ihr auch fiel, das zuzugeben. Wer sollte zum Leibwechsler werden wenn nicht er? Und in der Pubertät verwandelten sich immerhin bis zu fünfundsiebzig Prozent aller Drachen.
Jetzt sollte das, was ihm widerfahren war, auch Ada zustoßen? Ihrer Kindheitsfreundin, die immer mit ihr gespielt hatte? Das konnte sie nicht zulassen. Sie würde es nicht zulassen.
»Du bleibst erst einmal hier, bis uns etwas eingefallen ist. Bestimmt hast du Hunger«, sagte Mr. Lincoln, und Sue liebte ihren Vater dafür, ihnen beizustehen. Es war alles, was sie im Moment für sie tun konnten. Tatsächlich hatte Sue keine Ahnung, wie sie sie den Behörden vorenthalten sollte. Sie würden in der ganzen Nachbarschaft nach ihr suchen, bei all ihren Klassenkameraden und Lehrern. Aber anfangen würden sie gewiss bei ihrer Mutter, und diese wusste glücklicherweise nichts von ihrem derzeitigen Aufenthaltsort. Auch sie konnten einfach so tun, als wüssten sie von nichts, wenn sie zu ihnen kamen. Und dann mussten sie abwarten, bis die Behörden die Suche auf die weitere Umgebung ausweiteten.
Sue brachte Ada die Reste ihres Mittagessens: Nudeln in Tomatensauce ohne Fleischeinlage. Ada war so hungrig, dass sie alles hinunterschlang, ohne zu zögern. Sue entging nicht das leise Knurren, das dabei aus ihrem Körperinnern heraufwallte und leicht für Magenknurren gehalten werden konnte. Man hörte es nur, wenn man genau darauf achtete. Sue schluckte schwer. Mit einem Mal fragte sie sich beklommen, was sie tun sollten, wenn Ada wirklich zum Drachen wurde. Mitten in ihrem Haus. Würde sie ihre Freundin noch erkennen? Oder sie für den Nachtisch halten?
Sue hatte sich seit dem Vorfall mit Lance auch abseits der Schule ein bisschen mit Drachen beschäftigt. So wie die meisten Menschen hatte sie noch nie einen echten gesehen. Die Wandler blieben weiterhin Menschen, irgendwo tief in ihrem Innern, und sie konnten auch wieder Menschengestalt annehmen, aber in ihrer Drachengestalt verloren sie die Fähigkeit zu sprechen und zu denken. Es war umstritten, ob sie sich in diesem Zustand überhaupt noch ans Menschsein erinnerten oder voll und ganz zur wilden Bestie mutierten, die alles angriff, was sich bewegte. Sie erinnerte sich unweigerlich an den Spruch, der in ihrer Kirche direkt über dem Altar zu lesen war: »Der Drache ist die personifizierte Erbsünde, ein gottloses und menschenfeindliches Ungeheuer, der Verschlinger der Welt und Diener des Teufels.« Die Rückverwandlung zu einem Menschen setzte ebenso unwillkürlich ein wie die Verwandlung zum Drachen und ließ den menschlichen Körper nackt und ohne Erinnerung an alles, was dazwischen lag, zurück. Der eigentliche Prozess, über den nicht viel in Erfahrung zu bringen war, war Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, faszinierend und verstörend zugleich.
Sue bemerkte, dass Ada ihr Mahl beendet hatte und sie anstarrte. Damit kehrten ihre Gedanken in die Realität zurück. »Was soll ich jetzt tun?«, fragte Ada und klang so kindlich, dass Sue alle Furcht verwarf, die plötzlich über sie gekommen war.
»Ich weiß es nicht, Ada. Du bleibst heute Nacht erst einmal hier, und dann… sehen wir weiter.«
»Gibt es keinen Ort, zu dem ich gehen und bleiben könnte? Irgendeine… Absteige?«, fragte sie.
»Was meinst du damit?«
»Ich weiß auch nicht… könnte ich nicht einfach auf der Straße leben? Mich irgendwie allein durchschlagen? Wir haben in der Schule doch mal so einen Film gesehen: In Nepal leben Kinder auf den Straßen und keinen interessiert es. Vielleicht könnte ich auch in so einem baufälligen Hochhaus wohnen. Wer würde mich dort schon finden? Ich brauche nur Hilfe dabei, an so einen Ort zu kommen.«
Sue schüttelte den Kopf. »Was soll das für ein Leben sein? Verwahrlost in einem Hochhaus… was tust du im Winter?«
Ada stützte das Gesicht in die Handfläche. »Ich weiß es doch auch nicht! Ich weiß nur eins: Dass ich auf keinen Fall in so ein Reservat gehe. Auf gar keinen Fall! Lieber sterbe ich!«
Sue schluckte, dann sagte sie aus voller Überzeugung: »Wir finden eine Lösung. Das verspreche ich dir.« Auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie diese aussehen sollte.
Hannah Grayson zitterte, als es schließlich an der Tür klingelte.
Sie hatte die Behörden erwartet, nicht erst, nachdem die Schule angerufen und sie über den Vorfall mit Ada in Kenntnis gesetzt hatte. Schon lange vermutete sie es, lebte in ständiger Angst davor, dass es jeden Tag so weit sein konnte. Trotzdem erschrak sie nun, als der Moment gekommen war, fühlte sich völlig unvorbereitet, und war zum wohl ersten Mal in ihrem Leben glücklich darüber, nicht zu wissen, wo Ada steckte. Lauf, dachte sie grimmig und unterdrückte ein Schluchzen, lauf weg und versteck dich. Komm nicht raus, zeig dich niemandem.
Ada hätte wohl eher geglaubt, dass ihre Mutter eine vom Himmel herabgestiegene Gottheit in Menschengestalt war, als dass sie auf ihrer Seite stand, und genau diese Gewissheit schmerzte Hannah. So sollte es nicht sein zwischen Mutter und Kind. Wann hatte sie sie verloren?
Du weißt genau wann und wie, schalt sie sich selbst und schluckte schwer.
Der Gang zur Tür kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Ihre Gedanken rasten, probten alle möglichen Schreckensszenarien durch, wie die Begegnung ablaufen und was sie sagen würde. So wie damals, als sie Lance holten. Sie erinnerte sich unweigerlich daran, was für ein niedlicher, unschuldiger Junge er gewesen war. Wie er ihr einmal Blumen gebracht hatte und sich freute, wenn er umarmt wurde. Wie er sie anlächelte. Wie er weinte und sich schutzsuchend an sie schmiegte. Seine eigene Mutter hatte ihm nie die Zuwendung geschenkt, die er gebraucht hätte.
Und dann war ausgerechnet sie es gewesen, die ihn ausgeliefert hatte. Weil sie glaubte, das Richtige zu tun. Sie hatte ihn verraten. Das durfte kein zweites Mal geschehen. Sie würde Ada beschützen, ganz gleich, was es sie kostete. Niemand würde ihr ihre Tochter wegnehmen. Ich hasse mich selbst für das, was ich getan habe, Ada. Ich würde es rückgängig machen, wenn ich könnte. Wir würden Lance irgendwo verstecken, den Behörden sagen, dass er in die Wälder geflüchtet ist.
Hannah öffnete nicht, sondern fragte an der Freisprechanlage: »Wer ist da?« Ihre Stimme klang fest, und das verlieh ihr unverhoffte Kraft.
»Guten Tag, Mrs. Grayson. Ich wurde von der Behörde für Drachenangelegenheiten zu Ihnen geschickt«, meldete sich eine männliche Stimme, erstickend freundlich. Hannah kam die Galle hoch.
»Und was wollen Sie? Ich bin beschäftigt.«
»Ich denke Sie wissen, was ich will.« Fast war Hannah, als könne sie das Lächeln dieses Mistkerls durch die Freisprechanlage hindurch sehen. »Die Drachenbehörde klingelt nur aus einem Grund bei Anwohnern: Wenn es um Drachen geht.«
»Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen.«
»Deshalb stehe ja auch ich hier und nicht die Polizei. Sie werden sich freuen, mich zu sehen. Hoffe ich zumindest.«
Das verwunderte sie nun doch. Seit wann hatten die Behördenmitarbeiter Humor? Und warum kam ihr diese Stimme so vage bekannt vor?
»Hören Sie, ich habe keine Zeit für ein Gespräch mit den Behörden. Versuchen Sie es morgen noch einmal, so gegen vier Uhr nachmittags.« Das sollte ihr ausreichend Zeit verschaffen, nach einer Lösung zu suchen – und nach Ada.
»Und wie wäre es mit einem Gespräch zwischen Familienmitgliedern? Hast du dafür Zeit?«
Nun hielt sie inne, schaltete die Freisprechanlage aus und öffnete die Tür.
Hannah blinzelte verblüfft. Konnte dieser absolut gewöhnlich aussehende, dunkelhaarige Mann mit den runden Brillengläsern wirklich der sein, für den sie ihn hielt? »Hank? Bist du das?«
Er lächelte äußerst einnehmend. »Hannah Grayson. Es ist so schön, dich wiederzusehen.«
»Hank!« Sie fiel ihm um den Hals, während ihr tausend Fragen gleichzeitig durch den Kopf schossen. Sie alle verbanden sich zu einem einzigen atemlosen Wort: »Wie?«
»Ein Drache in dieser Gegend und dann fiel auch noch der Name Grayson. Wie hätte ich da zögern können?«
Sie ließ von ihm ab, um ihn anzusehen. »Hank, ich… ich weiß nicht, was ich tun soll…!« Nun kam doch das Schluchzen aus ihr heraus, das sie seit dem Klingeln unterdrückt hatte.
»Hey«, er hob ihr Kinn mit dem Finger an und blickte ihr in die Augen, welche sich mit Tränen füllten. »Dafür bin ich ja jetzt da, und ich habe dir sogar noch jemanden mitgebracht.« Ein zweiter Mann stieg aus dem grünen Geländewagen ohne Schriftzug, der vor dem Haus parkte. Sie erkannte den dunkelhäutigen jungen Burschen nicht, bis er nähergekommen war und schließlich direkt vor ihr stand. Ein schüchternes »Hallo, Mrs. Grayson« kam über seine Lippen – und nun brach sie endgültig in Tränen aus.
»… Lance!«
*
»Ich tue jetzt mal so, als würde ich dich streng darüber ausfragen, wo deine Tochter abgeblieben ist«, begann Hank gelassen, derweil er sich auf der Couch zurücklehnte. Lance trank von dem Kakao, den Hannah ihm gemacht hatte – er mochte ihn immernoch so gern wie früher.
Hannah schüttelte den Kopf. »Ich weiß es wirklich nicht. Sie ist aus der Schule geflüchtet und seitdem nicht mehr aufgetaucht, das ist mein letzter Stand. Zu mir wird sie wohl auch nicht kommen. Sie hat mir nie verziehen, was ich damals getan habe.« Ihre Augen fielen auf Lance, der den Blick verwirrt erwiderte.
»Hm?«
»Dass ich dich den Behörden übergeben habe«, sagte sie leise. »Ich habe es so sehr bereut… ich dachte… manchmal dachte ich… vielleicht…«
Lance wirkte immer verwirrter. »Was dachten Sie?«
»Dass wir schlimme Dinge mit dir tun«, kam Hank ihr zuvor und trank von seinem Tee. »Es tut mir sehr Leid, dass du so lange in dieser Angst leben musstest. Ich habe dir geschrieben, aber anscheinend wurde der Brief nicht zugestellt. Das passiert immer wieder, ich habe den Grund nicht eruieren können, gehe aber von Vorsatz aus. Man will die Kommunikation mit den Reservaten unterbinden, denn Briefe, die ans Reservat adressiert sind und von der Drachenbehörde stammen, kommen immer an.«
»Warum sollten sie schlimme Dinge mit mir tun? Was für schlimme Dinge?«, hakte Lance nach.
Seine Naivität ließ ihr das Herz noch schwerer werden.
»Es herrscht vielerorts der Glaube, in allen Reservaten würde es brutal zugehen«, erklärte Hank. »Deshalb hat wohl auch Ada Angst davor, gefunden und dorthin gebracht zu werden.«
»Also ich finde es sehr schön«, versicherte Lance. »Ich liebe die Berge und Wälder. Dort fühle ich mich richtig frei, anders als hier, wo alles so… beengt ist. Auch wenn ich natürlich die meiste Zeit über studieren muss.«
»Du studierst?«, fragte Hannah ungläubig. »Im Reservat?«
»Wir haben keine Hochschulen, aber Fachlektüre über so ziemlich alles, was die Schüler interessiert. Bildung darf schließlich nicht zu kurz kommen, sie sind ja eine lange Zeit bei uns, manche ihr Leben lang. Und gerade Drachen lieben es zu lernen. Ihr Geist muss ebenso gefordert werden wie ihr Körper«, sagte Hank. Hannah erinnerte sich, dass das Reservat inmitten der Great Smoky Mountains lag. Endlose Wälder und Berge, Flüsse zum Baden und Tiere zum Jagen. Es war der perfekte Ort für Drachen, sie entwickelten sich prächtig in dieser Umgebung. So hatte es ihr zumindest Samuel beschrieben, Adas Vater. Der Mann, den sie nie kennengelernt hatte und über den Hannah niemals sprach. »Ada wird es an nichts fehlen. Ich würde nicht immer noch dort sein, wenn es mir nicht gefiele«, erwiderte Hank.
Hannah zögerte. »Warum erzählt man sich dann diese Dinge über die Reservate?«
Hank zuckte mit den Schultern. »Die Leute erzählen sich über alles mögliche schreckliche Dinge. Die größte Angst des Menschen ist die Angst vor dem Unbekannten, und kaum jemand weiß, wie es in den Reservaten zugeht, weil sie von der Öffentlichkeit abgeschottet sind.«
»Und du glaubst, das ist das Richtige für Ada?«, fragte sie.
»Ja.«
»Gib mir keine einsilbige Antwort!«, fauchte Hannah und ließ ihn damit überrascht aufsehen. »Du verlangst von mir, dass ich mein einziges Kind weggebe, ins Ungewisse, vielleicht für immer! Was geschieht dort mit ihr?«
Hank sammelte sich für die Antwort. »Sie wird einer privaten Unterkunft zugeteilt, in die sie sich zurückziehen und die sie nach Belieben einrichten kann. Die Schlafplätze teilen sich mehrere Drachen – erfahrungsgemäß schlafen sie in Gesellschaft am Besten. Sie kann an gemeinsamen Mahlzeiten teilnehmen oder sich eigenständig versorgen, denn es gibt einzelgängerische Exemplare, auch wenn die meisten sehr sozial sind. Sie wird in ihrem Alter noch unterrichtet, später wird sie dabei helfen, die Gemeinschaft zu unterhalten. Diesen Auftrag übernehmen die erwachsenen Drachen gemeinsam. Eine angemessene medizinische Versorgung wird selbstredend auch sichergestellt.«
»Kann ich sie dort besuchen?«, stellte Hannah schließlich die Frage, die sie am Meisten umtrieb.
»Ich werde dich so gut es geht auf dem Laufenden halten. Mittlerweile haben wir Satellitentelefone und Satelliteninternet, auch, wenn es nicht immer funktioniert.«
Hannah zögerte, einen Stein im Magen fühlend. Hank beugte sich vor. »Kannst du uns zumindest einen Anhaltspunkt geben, wo sie sein könnte?«
»Vielleicht, nur vielleicht, bei Sue, ihrer Freundin.«
Hank nickte, und Lance erhob sich mit ihm. »Dann sehen wir zuerst dort nach.«
Eris atmete tief durch, als er seinen Laptop an diesem Abend zuklappte. Er war sich sicher, an alles gedacht zu haben – bis auf den Teil von ihm, der davon überzeugt war, dass er etwas übersehen hatte. Wahrscheinlich das Wichtigste. Aber es hatte keinen Sinn, seine Reisetasche noch ein weiteres Mal durchzugehen – ihr Inhalt würde sich genauso wenig verändert haben wie beim vorangegangenen Mal.
Eris überlegte, was er bis zur Abreise tun sollte. Am Besten die letzten Stunden genießen, all die Dinge tun, die er vielleicht nie wieder tun konnte – immerhin würde er frühestens im Alter von dreißig Jahren zurückkommen, und bis dahin würde sich einfach alles verändert haben. Vermutlich gab es bis dahin sein Zimmer überhaupt nicht mehr. Ein flaues Gefühl breitete sich bei dem Gedanken in seinem Magen aus, und er lenkte sich sofort damit ab zu überlegen, was ihm Spaß machte. Aber an diesem Abend gab es nichts, worauf er Lust hatte. Das war… gut so, oder? Dann würde er zumindest nichts vermissen.
Sollte er einfach schon schlafen gehen? Sich noch mehr informieren? Damit er sich nicht dem Vorwurf aussetzte, zu wenig recherchiert zu haben? Aber den Laptop hatte er gerade ausgeschaltet. Er kam zum Schluss, dass er am Liebsten allein sein wollte, und so zog er sich auf sein Bett zurück und hüllte sich in die Decken, genoss ihre Wärme und den kuscheligen Stoff, ehe er sich fragte, ob er diese Empfindung zulassen sollte. Seinen Kuschelfisch hatte er immerhin längst unters Bett verbannt, obwohl er ihn erst wegwerfen wollte, aber das hatte er dann doch nicht über sich gebracht. Kuscheltiere waren was für kleine Kinder, und er war jetzt ein Mann. Immerhin würde er morgen von Zuhause ausziehen, und das war es doch, was Erwachsene taten.
Eris war von seinen Gefühlen noch niemals so hin- und hergerissen gewesen wie jetzt. Das galt wohl auch für seine Eltern, die sich zum ersten Mal nicht um alles und nichts stritten, sondern zusammensaßen, beide im gleichen Maße fassungslos vom Vorhaben ihres Sohnes. Das hatte ihm gefallen. Eris hatte immer das Gefühl gehabt, dass vorallem sein Vater sich für ihn schämte. Er war fünfzehn und hatte immer noch diesen Kuschelfisch, wollte immer noch im Arm seiner Mutter liegen und spielte immer noch gern die Spiele seiner Kindheit. Seine Eltern sprachen ihn selten darauf an; es war eher ein genervter Blick oder eine Bemerkung dann und wann, die ihm zu verstehen gaben, dass ihnen sein Verhalten unangenehm auffiel.
Umso heftiger hatte sie seine eigenmächtige Entscheidung getroffen, in ein Drachen-Reservat zu gehen. Sein Vater hatte ihn nur ungläubig angestarrt und gestammelt. Eris fand es nach der ersten Freude darüber, ihn sprachlos gemacht zu haben, beschämend, in welchem Ausmaß er entsetzt war – als ob sein Sohn nicht zu eigenständigen Handlungen fähig wäre. Seine Mutter hatte gar nichts gesagt, und ihr Starren wirkte weniger auf ihn gerichtet als in ihr eigenes Inneres.
Die Idee hatte in der Schule zu keimen begonnen, vor über einem Monat, als sie erstmals richtig über Drachen gesprochen hatten. Ihr neuer Biologielehrer, Mr. Haverlock, war selbst drachenblütig – etwas, das sich noch nie jemand zu sagen getraut hatte. Die Schüler hatten immer heimlich ihre Witze gerissen, welcher ihrer Lehrer wohl drachenblütig und aus welchen Gründen dem Reservat entgangen war. Mr. Haverlock hatte ein Interesse in ihm und den anderen Schülern geweckt wie kaum ein anderes Schulthema zuvor – immerhin war er ein Erwachsener, der gegen das verstieß, was alle anderen Erwachsenen so hoch hielten. Jemand, der ansprach, was niemand ansprach. Mr. Haverlock hatte tatsächlich den Großteil seiner Jugend und seines jungen Erwachsenenlebens in einem Drachenreservat verbracht und berichtete ohne Scheu und Zurückhaltung von den Dingen, die sich dort zugetragen hatten. In vielem von dem, was er erzählte, fand Eris sich wieder. Menschen spürten, dass Drachenblütige anders waren, und so wurden sie oft schon in ihrer Kindheit zu Außenseitern. Als Kind hatte er nie gern Gemüse gegessen, interessierte sich für Dinge, die keinen seiner Klassenkameraden interessierten, wie Wissenschaftsthemen. Und er mochte es, seinen Kuschelfisch und viele Kissen um sich herum zu haben – wie viele Drachenblütige, die gern in Gruppen ruhten und die Nähe anderer suchten.
Sie bekamen Informationsbroschüren im Unterricht und recherchierten im Internet, sowohl über die Anzeichen einer möglicherweise bevorstehenden Wandlung als auch über die Reservate. Eines lag sogar ganz in seiner Nähe: Das Great-Smoky-Mountains-Reservat. Die Suche brachte wunderschöne Landschaftsbilder hervor, die sein Herz klopfen ließen. Er hatte es immer sehr gemocht, in der Natur zu sein, und schon beim Anblick der Wälder, Flüsse und Berge fühlte er sich glücklicher. Nach Mr. Haverlocks Berichten stellte er sich die Reservate ein bisschen wie Sommercamps vor, nur, dass sie länger als einen Sommer gingen. Man lebte dort für eine lange Zeit, vielleicht für immer. Aber war es denn so schlimm, für immer an einem solchen Ort zu leben? Und vielleicht, ganz sicher sogar, kam er ja auch wieder zurück – verändert und im Reinen mit sich, wie Mr. Haverlock.
Nicht alle Schüler glaubten ihm seine Geschichten, und einer hatte Mr. Haverlock unverblümt gefragt, warum er denn nicht in seinem Reservat geblieben wäre, wenn es dort so schön sei. Daraufhin hatte er ihnen erklärt, dass jedes Reservat nur eine begrenzte Kapazität hatte und die festen Plätze Wandlern vorbehalten blieben – er selbst sei kein Wandler, und zumindest das glaubten ihm alle, denn sonst wäre er niemals als Lehrer an einer Schule zugelassen worden. Überhaupt war es seltsam, dass er die ganze Laufbahn zum Lehrer nach seiner Entlassung abgeschlossen hatte, aber er erklärte, dass es durch die Unterstützung seiner Familie und einer privaten Universität möglich wurde – etwas, auf das nicht viele bauen konnten, weshalb er gemeinnützige Organisationen zur Unterstützung entlassener Blütiger mitfinanzierte. Echte Drachen hatte aber auch er nur von Weitem zu Gesicht bekommen, da sie wie in den meisten Reservaten von den Nicht-Wandlern getrennt wurden. Keiner von ihnen war hausgroß oder spie Feuer wie die dämonischen, pechschwarzen Monster aus bekannten Kinoproduktionen; sie trugen die neutralen, tarnenden Farben des Waldes und waren im Durchschnitt so groß wie ein Schulbus.
Eris würde laut der Broschüre des Smoky-Reservats sogar einen Beruf lernen können. Er würde für eine Gemeinschaft arbeiten, in die er vielleicht besser passte als in seine Schule oder das Umfeld seiner Eltern. Einmal hatte er einer alten Dame dabei geholfen, ihren weggelaufenen Hund zu finden, und sich unglaublich gut dabei gefühlt. Auch, wenn er die Regung stets unterdrückte, hatte er manchmal Neid empfunden, wenn er Sanitäter zu einem Verletzten eilen sah. Die Bewunderung, die ihnen entgegengebracht wurde, hätte er auch gern gehabt. Aber er war nur ein fünfzehnjähriger Junge, nicht ausgebildet, zu schüchtern, sich irgendwo einzubringen, und wenn er es doch tat, ging meistens alles schief. Zu oft schon hatten andere über seine Bemühungen in den verschiedenen Workshops der Schule gelacht. Er hatte manchmal nachts geweint, weil er glaubte, zu nichts zu taugen, vor allem nicht zu den herausragenden Leistungen, die ihm die erhoffte Bewunderung einbrachten. Aber vielleicht waren andere Drachenblütige ja auch tollpatschig. Vielleicht fand sich dort eine Aufgabe, die perfekt zu ihm passte und für deren Ausübung ihm die Gemeinschaft dankbar sein würde?
Vorallem aber gefiel ihm, dass sein Vater ihn plötzlich ganz anders behandelte. Wie den Jugendlichen, der er inzwischen war, und nicht mehr wie ein begriffsstutziges Kind. Seine Eltern hatten, das wusste er, für sein seltsames Verhalten immer andere Begründungen vorgeschoben, die allesamt beschämend waren: Zu kindisch für sein Alter, irgendwie zurückgeblieben, nicht so schnell in der Entwicklung. Aber jetzt hatte er seine eigene Erklärung.
Es hatte ihn dennoch große Überwindung gekostet, die Nummer zu wählen, die ihn mit der Drachenbehörde verband, um anzufragen, ob er in das Smoky-Reservat kommen könne und was er dafür tun müsste. Man erklärte ihm freundlich, dass man sich darum kümmern werde, aber nicht sicher sagen könne, in welches Reservat er käme. Die Stimme und das Gespräch selbst hatten ihn beruhigt und sich stolz fühlen lassen. Wenig später hatte man sich bei seinen Eltern mit der Nachricht gemeldet, dass es tatsächlich einen Platz im Smoky-Reservat für ihn gab, und sie bekamen ein Datum mitgeteilt, an dem er dort eintreffen sollte.
Dieses Datum war morgen.
Eris war nach dem Anruf noch nicht sicher gewesen, ob er das wirklich durchziehen konnte. Das war wohl das berüchtigte Lampenfieber. Der Gedanke erschien ihm noch immer vollkommen unwirklich. Dreißig Jahre. Das waren noch einmal fünfzehn Jahre, so lange, wie er lebte! Vielleicht sollte er es sich wie eine Karriere bei der Army vorstellen. Auch da gingen die jungen Menschen lange von Zuhause weg, und die meisten fanden es gut, wenn sich jemand dafür entschied. Drachenblütige gehörten zu ihresgleichen, und sie brauchten besondere Zuwendung und Erziehung. Und die Leute am Telefon hatten ja auch gesagt, dass es das Beste für ihn war. Die mussten sich doch auskennen, oder?
Eris war zufrieden mit seiner Entscheidung, auch wenn ihn ein flaues Gefühl beim Gedanken an den morgigen Tag überkam. Er fragte sich, ob die im Reservat wohl nett zu ihm sein würden. Nichts konnte wohl schlimmer sein, als sich fünfzehn Jahre lang unwohl zu fühlen und den Ort nicht verlassen zu können.
Das Klingeln an der Tür ließ ihn verwundert aufsehen, genau wie die fremden Stimmen im Flur. Er schlug nach kurzem Zögern die Decke zurück und stand auf, schlich zur Tür, um besser hören zu können.
Seine Mutter sprach mit jemandem. »Aber wir wollten ihn zu Ihnen fahren, morgen.«
»Die Drachenbehörde regelt die Abholung selbst, das hätte Ihnen mitgeteilt werden müssen. Eine Eigenanreise ist nicht vorgesehen und auch nicht gestattet.«
»Um diese Uhrzeit?«
»Sonst wären wir nicht hier. Wo ist der Drache?«
»Er ist kein Drache«, gab seine Mutter zurück. »Er hat nur… ein paar Anzeichen. Und er will ja auch freiwillig mitkommen, aber erst morgen.«
»Wo ist er?«, wiederholte die Stimme mit mehr Nachdruck.
Eris schluckte. Die Behörden kamen zu ihm Nachhause? Und sie wollten ihn mitnehmen, jetzt sofort? Ohne Vorwarnung? Aber dann würde er ja gar nicht mehr den kommenden Morgen und die Fahrt haben, um sich von seinen Eltern zu verabschieden und sich vorzubereiten. Das war Zeit, die er fest eingeplant hatte, um sein flaues Gefühl verarbeiten zu können. Das war so nicht richtig!
Er wich zurück, als die Tür zu seinem Zimmer aufging. Ein Mann und eine Frau standen vor ihm, gekleidet in die dunklen Uniformen der Drachenbehörde mit dem weißen, schwarzumrandeten Zeichen des Ouroboros, der sich auf einer Seite der Brust in den eigenen Schwanz biss. Eris stellte zu seinem Entsetzen fest, dass sie Waffen trugen, wie Polizisten. Als ob er ein Verbrecher wäre.
»Guten Abend, Eris. Wir sind von der Drachenbehörde und kommen wegen deiner Überführung ins Reservat«, sagte die Frau kühl.
»Ich soll morgen erst ins Reservat kommen«, erwiderte er kleinlaut. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, und das Ziehen in seinem Magen verstärkte sich.
»Du kommst jetzt ins Reservat«, befand die Frau, und ihre Stimme duldete keinerlei Widerworte.
»Aber ich will mich noch verabschieden, und es ist auch noch gar nicht alles gepackt…!« Panik ergriff ihn, sein Herz begann, beunruhigend zu vibrieren. In seinem Magen bildete sich ein Knoten.
»Nun seien Sie doch vernünftig! Morgen bringen wir ihn zu Ihnen«, war da plötzlich die tiefere Stimme seines Vaters zu hören, und Eris war schockiert, dass sie ähnlich angstvoll klang wie seine eigene, auch wenn etliche Schichten Autorität darüber lagen.
»Wir haben unsere Anweisungen, und wenn Sie uns bei der Ausübung unserer Arbeit behindern…«, begann der Mann drohend, doch sein Vater, plötzlich mehr wütend als ängstlich, entgegnete sogleich: »Sie werden nicht mein Kind hier rausschaffen! Er wird nicht in dieses Reservat gehen! Wir haben keine Erlaubnis dazu gegeben!«
»Das obliegt nicht Ihrer Entscheidung!«
Der Mann griff nach Eris, welcher einen ganz und gar nicht toughen Schrei ausstieß. Dann war da plötzlich sein Vater zwischen ihnen, und die Fäuste flogen. Eris wich zurück, als der Mann mit blutendem Gesicht zu Boden ging, und plötzlich sah er wie in Zeitlupe, dass die Frau ihre Waffe zog und auf seinen Vater richtete. Seine Mutter schrie im Hintergrund, das Blut stach in seine Nase und Augen – er hatte noch nie einen so intensiven Farbton gesehen und einen so starken Metallgeruch wahrgenommen.
Das Ziehen in seinem Magen wurde zu einem Reißen, das Pochen seines Herzens zu einem Schwirren, bis es vor lauter Schnelligkeit stillzustehen schien – dann war ihm, als zerreiße sein Pullover am Rücken, der Stoff seiner Jeans an den Oberschenkeln, sein Kopf wurde in die Höhe gerissen und stieß gegen die Decke. Er begriff nicht, was los war, ehe der Schuss aus der Waffe die Geräuschkulisse durchschnitt und anstelle seines Vaters ihn in die schuppige Schulter traf.
Ada öffnete das Fenster und kletterte hinaus aufs Vordach, als es unten an der Tür klingelte. Dort hockte sie einen Moment lang unschlüssig, ehe sie die Regenrinne entdeckte. Diese verlief hinter dem Haus, niemand würde es bemerken, wenn sie daran hinunterkletterte und in den Wald zurücklief. Sobald die Leute von der Behörde weg waren, konnte sie zu Sue zurückkehren und wie geplant die Nacht bei ihr verbringen. So rutschte sie an dem Rohr hinab, fürchtete, sich beim Aufprall im Gras die Knochen zu brechen, rappelte sich aber unversehrt wieder auf und rannte.
Tatsächlich fühlte sie sich überraschend erleichtert darüber, wieder Bäume um sich herum zu haben und den freien Himmel über ihr. Wäre es denn angesichts dieses Wohlbehagens wirklich so schlecht, ein echter Drache zu sein? Draußen zu leben? Kaum ein Raubtier durfte ihr gewachsen sein, und rohes Fleisch hatte sie schon immer gemocht. Es wäre zumindest deutlich würdevoller, als sich auf der Straße durchzuschlagen, und sie konnte immer davonfliegen, wenn sie entdeckt wurde. Machte Drachen Kälte, Regen und Schnee etwas aus? Sie wusste es nicht. Aber die ersten Drachen waren zumindest in Europa heimisch gewesen, und dort gab es kalte Winter mit Schnee. Leider wollten ihr auch bei dieser neuerlichen Flucht keine Flügel wachsen, und so rannte sie, bis sie zu ihrer eigenen Überraschung die Grotte wiederfand. War das Zufall? Oder irgendein Instinkt, der sie hier her zurückgeführt hatte?
Sie versteckte sich, wünschte, sie hätte ein paar Decken mitgenommen, denn es war kalt und würde bald noch viel kälter werden; die Sonne neigte sich bereits dem Horizont entgegen, malte einen orangeroten Feuerschein in die Umgebung. Der Sommer war noch zu weit entfernt.
Sie machte es sich so bequem wie möglich und ruhte sich aus nach all der Aufregung. Hier, mitten im nirgendwo, war sie zumindest sicherer als irgendwo sonst.
Ada musste für kurze Zeit eingenickt sein. Ihr war fürchterlich kalt, als sie aufwachte, und es war stockdunkel um sie herum. Eilig setzte sie sich auf. Ihre Jacke hatte ihren Oberkörper warmgehalten, nicht aber die Beine, die mittlerweile taub geworden waren. Die Dunkelheit machte ihr Angst – gab es hier draußen nachts Wölfe?
Plötzlich hörte sie etwas in der Ferne, aber es waren keine Wölfe: Jemand rief ihren Namen. Eine männliche Stimme, die sie nicht kannte. Das musste ein Mitarbeiter der Behörde sein! Sie suchten sie allen Ernstes hier, um diese Uhrzeit?
Ada verzog sich tiefer in die Grotte. Beim nächsten Ruf klang die Stimme schon beängstigend nah. Irgendjemand kam direkt auf ihr Versteck zu. Wie konnte er wissen, dass sie hier war? Oder war es Zufall, dass er sich ausgerechnet in diese Richtung bewegte?
Dann war da plötzlich noch eine andere Stimme zu hören, die ihr seltsam bekannt vorkam. »Ada? Ada, ich bin es, Lance! Du kannst ruhig rauskommen, es ist alles in Ordnung!«
Sie weitete die Augen und hörte kurz auf zu atmen, ehe sie sich fasste. Nein, das war nur ein mieser Trick, damit sie sich zeigte. Lance konnte doch gar nicht hier sein, und das war auch nicht seine Stimme, sie ähnelte ihr nur. Die wussten bestimmt, dass Ada Lance kannte und glaubten, dass sie darauf hereinfiel. Ada rührte sich nicht in der Hoffnung, dass sie verschwanden, ohne sie zu bemerken. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, dröhnte so laut in ihren Ohren, dass sie fürchtete, die Fremden würden es hören.
Schritte, Rascheln. Die Grotte hatte nur einen schmalen Eingang, von dem sie so weit es ging weggerückt war. Geht vorbei, ich bin gar nicht hier. Plötzlich zeigte sich eine dunkle Gestalt mit Taschenlampe in ihrem Sichtfeld und leuchtete sie einen Augenblick später direkt an.
Sie wollte instinktiv aufspringen und losrennen, doch ihre tauben Beine versagten ihr den Dienst.
»Ada!« Der Fremde war plötzlich ganz nah bei ihr und umarmte sie ohne Vorwarnung. Sie wollte ihn angewidert von sich stoßen, doch er ließ bereits wieder von ihr ab und schaute sie an. Adas Herz sackte in tiefere Regionen, als sie ihn erkannte.
Er war älter, aber ohne jeden Zweifel Lance.
»Lance? Du bist es wirklich!« Sie schrie fast und erwiderte die Umarmung.
»Ada?« Hinter ihm folgten zwei weitere Personen – ein Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hatte, und ihre Mutter, die sofort zu ihr stolperte und sie ebenfalls umarmte. »Ada, ich hatte solche Angst um dich… ich dachte, sie hätten dich… oder du wärst weg…« Sie begann völlig unerwartet damit, heftig zu weinen, und vielleicht war es genau das, was Ada davon abhielt, sich ihr zu entziehen. Erst einen Augenblick später siegte die Verwirrung über ihre Wiedersehensfreude. »Was geht hier vor?«, wollte sie wissen, dann dachte sie noch einmal über den letzten Satz ihrer Mutter nach. Hatte sie wirklich Angst gehabt, die Behörden könnten sie schnappen? War das nicht genau das, was sie wollte?
Der Mann trat zu ihr, und sie wich argwöhnisch vor ihm zurück. »Hallo, Ada. Ich bin Henry Gilfordt, aber du kannst mich Hank nennen, wie alle anderen«, stellte er sich freundlich vor. »Deine Mutter und ich haben dir einiges zu erklären, fürchte ich. Beginnen wir mit dem Wichtigsten: Ich bin dein Onkel, der Bruder deines Vaters. Es ist eine lange Geschichte, und hier ist nicht der richtige Ort, sie zu erzählen.«
Ada starrte erst ihn, dann ihre Mutter, dann Lance und schließlich wieder ihn fassungslos an. Mein Onkel? Ich habe einen Onkel? Und er ist der Bruder meines Vaters?
»Deine Mutter hat dir nie von mir erzählt, weil sie dich schützen wollte. Es bestand immerhin die Möglichkeit, dass du es nicht geerbt hast. Aber heute ist wohl der Tag gekommen, an dem du gewisse Dinge erfahren musst, egal, wie belastend sie sind. Ich bin der Vorsteher eines Drachen-Reservats, und ich bin gekommen, um dir zu helfen, so, wie ich damals Lance geholfen habe. Er befindet sich in meiner Obhut. Heute kommst auch du in meine Obhut.«
Ada ging das alles viel zu schnell, ihre Gedanken rasten. »Aber ich bin kein Drache«, sagte sie, weil es das erste Vernünftige war, was ihr in den Sinn kam.
»Du bist zumindest blütig, und das mit absoluter Gewissheit: Dein Vater war ein Drachenwandler.«
Diese Worte ließen einen Abgrund in Adas Magen entstehen, gefolgt von grimmiger Bestätigung. Also doch. Oder log er sie gerade an? Nein. Dass Lance hier war, würde Ada beinahe dazu bringen, alles zu glauben, was sie jetzt erfuhr, immerhin hatte sie ihn für vom Erdboden verschluckt gehalten.
»Warum hast du mir nie von ihm oder meinem Vater erzählt?«, fragte sie ihre Mutter unwirsch.
Es war Hank, der an ihrer statt antwortete: »Hannah hat es gut gemeint. Niemand sollte in der ständigen Angst leben, plötzlich zum Drachen werden zu können. Nun hast du allerdings immer mehr Symptome ausgebrütet, sodass es einen Grund gibt, dich aufzuklären. Ich würde vorschlagen, wir gehen erstmal zu dir Nachhause und reden dort ganz in Ruhe über alles.«
»Ich gehe nirgendwohin!«, fauchte sie. »Wir reden hier! Wie kann mein Vater ein Drachenwandler sein? Und wenn du sein Bruder bist…« Mit dieser Erkenntnis weiteten sich ihre Augen. »Dann bist du auch einer, richtig?«
»Nicht richtig«, widersprach Hank. »In Biologie nicht aufgepasst, hm? Nicht jeder Verwandte eines Wandlers ist ebenfalls ein Wandler, auch dann nicht, wenn sie erstgradig verwandt sind. Ich habe trotz meiner Symptome nie Drachengestalt angenommen, und ich bin längst über das Alter hinaus, in dem das noch zu erwarten ist. Du dagegen könntest in die Schwingen deines Vaters schlüpfen, daher ist es sehr wichtig, dass sich jemand um dich kümmert, der weiß, was er tut.«
Sie zögerte.
»Lance vertraust du, nicht wahr? Dann folge ihm und nicht mir. Ihr habt euch sicher so einiges zu erzählen nach der langen Zeit.«
Sie schluckte, fühlte sich plötzlich gar nicht mehr in Streitlaune, war müde und ausgelaugt von einem ganzen Tag auf der Flucht und in der Kälte. Sie sah Lance an, dann erhob sie sich widerstrebend. »Na also.« Hank lächelte, und sie fand, dass es ein aufrichtiges Lächeln war.
Sie mussten quer durch den Wald laufen, um zu seinem Wagen zu gelangen – das gab ihr Zeit, um die Fragen in ihrem Kopf ein wenig zu sortieren. »Mein Vater war also ein echter Drache? So richtig…?«
»So richtig«, antwortete Hank, als würden sie über das Wetter sprechen. »Mit Schuppen und Flügeln.«
»Und… wie kam er mit meiner Mutter zusammen?«
»Das sollte sie dir vielleicht lieber selbst erzählen. Ich für meinen Teil wusste die ganze Zeit von dir, und als ich hörte, dass die Behörden nach dir suchen, habe ich mich sofort auf den Weg gemacht.«
Dann hatte ihre Mutter Lance gar nicht ausgeliefert, sie hatte ihn zu Hank gegeben, damit er in Sicherheit war! Und jetzt hatte sie Angst gehabt, dass die Behörden Ada schnappten könnten, bevor Hank bei ihr war. »Wieso hast du mir nie etwas gesagt? Wieso hast du mich im Glauben gelassen, dass es Lance schlecht geht, wenn du es besser wusstest?«, fragte sie ihre Mutter stattdessen.
»Ada… ich habe es nicht gewusst. Damals hoffte ich, Hank würde kommen und Lance zu sich nehmen. Aber nicht er war es, der kam. Ich habe mir solche Vorwürfe gemacht, weil ich selbst nicht wusste, wo er hingeraten ist.«
»Jemand von der Behörde hat ihn damals geholt, weil ich beschäftigt war«, sagte Hank. »Das tut mir Leid.«
»Verstehe… warum bist du noch im Reservat, wenn du gar kein Wandler bist?«, fragte Ada ihn.
»Weil die jungen Drachen jemanden brauchen, der sie unterstützt, und ich könnte mir keinen schöneren Beruf vorstellen.«
»Dann… sind die Reservate gar nicht so schrecklich, wie alle sagen?«
Sie erhielt keine Antwort, denn plötzlich brach ein unbeschreibliches Getöse um sie herum aus. Hank riss Lance, Ada und ihre Mutter zu Boden, als der brüllende Schatten über sie hinwegfegte. Ada erhaschte einen Blick auf grüngelbe Schuppen im Taschenlampenlicht, gewaltige, flappende Schwingen und einen herumschnellenden Schwanz, der einen Sturm aus Ästen und Blättern erzeugte, ehe er tiefer im Wald verschwand.
»Um Himmels Willen! Zum Wagen, schnell! Bleibt dort und rührt euch nicht vom Fleck! Lance, du kommst nach und bringst mir meine Tasche!« Damit drehte Hank sich um und rannte los, dem Drachen hinterher, während ihm Ada und ihre Mutter fassungslos nachsahen.
Junge Drachen hinterließen eine Spur im Wald, der ein Blinder folgen konnte – glücklicherweise. Hank hatte keinerlei Schwierigkeiten damit, die Höhle zu finden, in die der unglückselige Wandler geflüchtet war. Dort versteckte er sich nun, und Hank wartete wohlweislich vor dem Eingang, bis Lance neben ihm gelandet war.
Der schlanke, braungescheckte Drache von der Größe eines Kleinbusses ließ sich beinahe lautlos zwischen den Baumkronen auf die Erde sinken. Hank nahm ihm die Tasche aus seinem Maul, die er dabei hatte. »Danke dir, Jungchen. Du hättest gar nicht deine Gestalt annehmen müssen. Offenbar ist unser Kleiner hier nicht erpicht auf eine Verfolgungsjagd.«
Lance brummte, ein Geräusch, das aus den Tiefen seiner Kehle aufstieg und die weiche Haut darüber vibrieren ließ. Drachen waren nicht in der Lage, auf menschliche Weise zu kommunizieren, aber sie verstanden die gesprochenen Worte.
Hank stieg langsam hinab in die feuchte, kühle Höhle. Das war ganz eindeutig kein Versteck, welches der Drache sich vor längerer Zeit ausgesucht hatte, sondern eine Spontanwahl aus der Not heraus – Drachen bevorzugten Trockenheit und Wärme. Vielleicht war es sogar seine erste Verwandlung überhaupt. Hank zögerte, horchte in die Stille hinein. Es war wirklich stockfinster. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, ganz langsam – dann vernahm er aggressives Zischen. Ein schnappendes Drachenmaul schoss aus der Dunkelheit hervor und verfehlte ihn knapp. Ein Scheinangriff; der Drache hatte mehr Angst als Tötungsabsicht. Seine hellen Zähne blitzten, als er die Lefzen zurückzog, die grünen Augen verengten sich in der Dunkelheit, in die er den Kopf zurückzog, bis nur noch ihr Leuchten zu sehen war.
»Ruhig mein Kleiner, oder Kleines. Ich bin ein Freund. Sieh mal, da draußen ist noch ein Drache.« Lance steckte den Kopf zu ihnen hinein und stieß das Gurren aus, das Hank noch nie zufriedenstellend hatte imitieren können und welches Sicherheit signalisierte. Der grüne Drache knurrte als Antwort darauf leise und unsicher.
»Das ist Lance, und ich bin Hank. Wir wollen dir nur helfen. Schau mal, du hast bestimmt Hunger.« Er öffnete die Tasche und holte die Taschenlampe sowie die Tüte mit Trockenfleisch heraus. Der Drache beobachtete ihn dabei argwöhnisch. Hank nahm ein Stück und warf es ihm im Lichtkegel zu. Der Drache fing es instinktiv mit dem Maul auf und schlang es ohne zu zögern hinunter. Seine Haltung entspannte sich, und er betrachtete ihn mit aufkeimender Neugier. Hank fütterte ihm noch mehr Trockenfleisch, das er bereitwillig annahm.
»Na also. Wir bringen dich jetzt ins Reservat, wo du sicher bist. Du musst dich nicht mehr fürchten, ganz gleich, wovor du geflüchtet bist. Ich beschütze dich.«
Wie aufs Stichwort hörte er von draußen plötzlich Stimmengewirr und warf Lance einen alarmierten Blick zu – der Drache verstellte sofort den Eingang und knurrte drohend. Er würde nicht zulassen, dass sich jemand der Höhle näherte. Das konnte für alle Beteiligten gefährlich werden.
Hank wandte sich wieder dem anderen Drachen zu. »So, jetzt atmest du tief ein und aus, so wie ich. Gut machst du das. Stell dir vor, du wärst wieder ein Mensch. Das mag dir unmöglich erscheinen, aber es war ja auch nicht unmöglich, zum Drachen zu werden. Es ist nur ein Atemzug, mit dem du alles rückgängig machen kannst. Lass den Drachen mit dem Ausatmen verschwinden.«
Er befürchtete, dass es in dieser Stresssituation nicht funktionieren würde. Die Stimmen von draußen wurden lauter – doch dann sank der Drache in sich zusammen, verformte sich auf jene groteske Weise, die mit jeder Verwandlung einherging und die Hank an eine Verpuppung erinnerte, bei der die einzelnen Fetzen vom Körper selbst resorbiert und neu verwertet wurden. Übrig blieb ein nackter, blonder Junge von vielleicht vierzehn, fünfzehn Jahren, der ihn aus großen, ängstlichen Augen ansah. Dann hustete er und spuckte etwas silbern Glitzerndes auf seine Hand.
Hank lächelte. »Zahnfüllungen gehören jetzt der Vergangenheit an – etwas, das ich mir auch wünschen würde. Mit jeder Verwandlung entsteht neues Zellmaterial, um den Körper in die jeweilige Form umzubauen. Die Schäden in deinen Zähnen und an anderen Stellen des Körpers werden damit aufgefüllt.«
Der Junge blinzelte, dann kippte er vornüber und blieb reglos liegen.
Als Hank hinaustrat, den in weiche Decken gewickelten Jungen auf dem Arm, empfingen ihn zu seiner maßlosen Überraschung zwei Mitarbeiter der Drachenbehörde in Begleitung derer, die er eigentlich erwartet hätte: Einen Mann und eine Frau, welche er für die Eltern des Jungen hielt. »Was ist hier los?«, fragte Hank die beiden Uniformierten.
»Ich bin Agent Hudson«, stellte sich die Frau vor. »Der Drache hat Widerstand gegen die Vollstreckung seiner Überführung in einen Sperrdistrikt geleistet.«
»Und Sie sind?«, wollte er von ihrem Begleiter wissen.
»Agent Milner. Dürften wir auch Ihren Namen erfahren?«
»Henry Gilfordt, Vorsteher des Drachenreservats in den Great Smoky Mountains«, antwortete er und genoss die überraschten Blicke der beiden, als er mit einer Hand seinen Ausweis aus der Hosentasche nahm. »Ich kümmere mich gern selbst um die mir zugeteilten Drachenblütigen. Sie beide haben also zugelassen, dass dieser Wandler in die Wälder flüchtet, wo er sich selbst und andere hätte verletzen können in seiner Verwirrung? Das ist außerordentlich fahrlässig und weit unter dem, was ich von ausgebildeten Mitarbeitern der Drachenbehörde erwarte.«
»Sie haben auf unseren Sohn geschossen!«, rief da plötzlich die Frau, die anscheinend seine Mutter war. »Und meinen Mann niedergeschlagen!«
Hank starrte die beiden Agents an. »Sie haben was?«
»Sie alle haben Widerstand geleistet«, hielt Hudson dagegen, ohne es abzustreiten.
»Die wollten unseren Sohn mitnehmen, obwohl er erst morgen ins Reservat kommen sollte – und das ganz freiwillig!«, erwiderte der Vater. »Als wir uns weigerten, ihn freizugeben, haben sie mich geschlagen und auf meinen Sohn geschossen! Dabei ist er… nun ja…« Er rang sichtlich um Fassung.
»Es waren nur Gummigeschosse«, verteidigte sich Milner.
Hank schüttelte den Kopf. »Ich hoffe Sie wissen, dass Sie beide tot sein könnten. Und die Eltern des Jungen ebenfalls. Das ist Ihre Schuld, nicht seine«, sagte er und veränderte die Position des Bündels auf seinem Arm, das langsam schwer wurde. Dabei verrutschte eine Falte der Decke und gab den Blick auf sein Gesicht frei. Die Mutter schnappte nach Luft und drängte sich an den Agents vorbei.
»Eris!«
»Es geht ihm gut, er ist nur sehr schwach. Ich nehme an, er sollte in die Smokys?«, fragte Hank sie.
»Ja… nein…«, schluchzte seine Mutter. »Ich meine, ja. Aber doch nicht jetzt… ich weiß gar nichts im Moment…«
»Wir lassen ihn uns nicht wegnehmen!«, stellte sein Vater klar.
»Natürlich darf er diese Nacht bei Ihnen bleiben. Aber er braucht professionelle Unterstützung, wenn er aufwacht. Ich schlage Ihnen vor, dass wir erst einmal zu meinem Wagen gehen. Ich fahre Sie zurück Nachhause.« Er blickte die beiden betreten dastehenden Agents an. »Ich übernehme ab jetzt diesen Fall. Ein Drache mehr macht keinen Unterschied, wenn ich schon einmal auf dem Weg bin, und Ihnen fehlt es offenkundig zu sehr an Sachkenntnis, um Sie mit der Überführung zu betrauen. Ein marodierender, seinen Häschern entkommener Drache ist das letzte, was diese Kleinstadt braucht. Ihre Behörde hört von mir.«
Ihre langjährige Freundin wirkte an diesem Tag viel jünger, als sie war, beinahe wie eine Jugendliche vor ihrer ersten einschneidenden Entscheidung. Sie hatten immer über alles sprechen können, jedes Thema – nur nicht über Kinder. Diese waren etwas Berufliches, das zu Elternsprechtagen angeschnitten wurde, nicht aber auf einem privaten Besuch.
»Ich kann doch nicht einfach… ich werde das nicht…« Sara stand kurz davor, in Tränen auszubrechen.
»Sara«, sagte Irena sanft und reichte ihr ein Papiertaschentuch, mit dem sie sich die Augen abwischte. Sie zögerte, spürte den Drang, offener zu sein als die Klassenlehrerin, die sie war, mehr wie die Freundin, die sie sein sollte. Konnte es denn irgendwie schaden, wenn Sara diese Sache über sie erfuhr?
»Du verstehst das nicht!«, brauste sie auf, und nun flossen die Tränen umso heftiger. »Niemand versteht das! Alle sehen nur das schuppige Monster und nicht das Kind, das eine Mutter neun Monate lang in ihrem Bauch herumgetragen hat! Das Baby, das sie gestillt hat! Dieses kleine Kind, das herumgerannt ist, so fröhlich…«
»Sara!«, sagte Irena schärfer, nun tatsächlich ärgerlich, und ihre Freundin verstummte, um sie verletzt anzusehen. Irena fuhr mit ruhigerer Stimme fort: »Sara, ich weiß sehr wohl, wie sich all das anfühlt. Ich habe damals meine geliebte Tochter in ein Reservat gegeben.«
Nun wich Saras Verletztheit tiefer, ungläubiger Überraschung. »Deine… Tochter? Aber du hast doch gar keine Kinder.«
»Man verheimlicht es, wo es nur möglich ist«, sagte Irena ausweichend. »Und das klappt erstaunlich gut, wie man sieht. Es ist eine Sache, über die man in unserer Gesellschaft einfach nicht spricht. Aber heute habe ich einen Grund darüber zu sprechen, und dieser Grund bist du. Meine Tochter war vierzehn, als mein Mann und ich uns entschieden, sie in die Hände eines Spezialisten zu geben. Ein großes Reservat kam nicht infrage, dort wäre sie untergegangen. Und sie war so ein schlaues Kind. Kessoka hat mir nur Freude bereitet, eine glatte Einserschülerin. Aber es wurde irgendwann… offenkundig, dass da etwas in ihr schlummert, das wir nicht handhaben können.« Irena schluckte, wappnete sich für das Gespräch, dem sie so oft ausgewichen war. »Sie hatte die typischen Anzeichen, die sie immer in den Broschüren erwähnen: Gelüste nach rohem Fleisch, Abneigung gegenüber Gemüse, Jagdtrieb… ich glaube, es gab keinen Punkt, der nicht zutraf. Jeder für sich betrachtet kann anderweitig erklärt werden, und wir haben es lange nicht wahrhaben wollen, bis die Dinge immer unübersehbarer wurden. Irgendwann standen wir vor einem Bild, das sich über die Jahre hinweg selbst zusammengesetzt hatte und eindeutig war. Niemand in meiner oder Eliasʼ Familie war vom Leibwechsel betroffen, zumindest nicht, so weit uns bekannt. Elias hat als Erster davon gesprochen, ein Reservat für sie zu finden. Ein kleines in den Bergen entsprach schließlich unseren Vorstellungen, und wir brachten sie an einem Ferientag hin. Ich habe mir danach viele Vorwürfe gemacht, hatte sogar Suizidgedanken. Mein kleines Mädchen, allein unter Drachen! Aber es kam ganz anders, als ich befürchtet hatte. Weitere Jugendliche waren dort, die die gleichen Probleme hatten wie meine Kessoka. Sie musste sich nicht mehr länger verstellen, und die Probleme, die sie hatte, gehörten der Vergangenheit an. Es sind die Gesellschaft und das ständige Unterdrücken ihrer Natur, die sie zu dem werden lassen, was die Leute in Drachen sehen: Ein aggressives, unbeherrschtes Monster. Im Reservat konnte meine Tochter endlich aufatmen. Es ist uns beiden nicht leichtgefallen, sie wegzugeben, aber wir sind heute überzeugt, dass es die einzig richtige Entscheidung für alle Beteiligten war. Einen Drachen aufzuziehen ist etwas, das nur Drachen können. Es wäre nicht gerecht gewesen, ihr das Leben eines Menschen aufzuzwingen.« Irena lächelte, atmete tief durch, wartete darauf, dass Sara etwas sagte, doch sie war verstummt, blickte Irena nur an. Vielleicht gab es auch nichts dazu zu sagen.
»Aber Drachen… sind doch Drachen. Mein Ilon ist keiner von ihnen. Keins dieser…«
»Monster?«, fragte sie tonlos.
»Das habe ich nicht sagen wollen.«
»Dann sprich auch nicht so«, erwiderte Irena streng. »Die meisten Menschen wissen rein gar nichts über Drachen, und das, was in den Schulen gelehrt wird, ist schlimmer als nichts. Der Wandel ist so natürlich wie das Wachstum. Raupen verwandeln sich in Schmetterlinge. Sind sie deshalb Monster? Oder eher ein Wunder der Natur?«
»Aber wenn all diese Dinge, die man hört, nicht wahr sind, warum werden sie dann eingesperrt?«, wandte Sara ganz vernünftig ein.
Irena seufzte. »Das, meine Teure, ist die Frage, die ich mir schon sehr lange stelle. Die Menschen haben längst nicht mehr Angst vor Drachen, weil sie gefährlich sind, sondern, weil man sie einsperrt wie etwas Gefährliches. Irgendwann wird es vielleicht endlich ein Miteinander geben und die Reservate werden abgeschafft.«
Sara schluckte unbehaglich. Sie für ihren Teil war sich plötzlich nicht sicher, ob man das, was Irena da sagte, einfach so sagen durfte. Es war, als ob jemand die Öffnung eines Höllenportals herbeisehnte, sodass Dämonen Seite an Seite mit Menschen leben konnten. Andererseits verstand sie wirklich nicht viel von Drachen, das musste sie zugeben. Sie erinnerte sich an ihren eigenen Geschichtsunterricht, als sie das Mittelalter durchgenommen hatten. Drachen verwüsteten damals ganze Dörfer mit ihrem Feuer, zerfleischten Jungfrauen und fielen über das Vieh her, bis sie von mutigen Drachentötern in strahlender Rüstung erschlagen wurden. Sie waren einmal im Smithsonian Museum gewesen, in dem das fast vollständig erhaltene Skelett des größten Drachen stand, der je erlegt wurde – ein Biest wie ein Haus, das die gesamte Halle ausfüllte und dessen Abbild die Decke als Gemälde zierte: Glutrot mit Flügeln, die die Sonne verdunkelten, und einem Schwall Feuer aus seinem Maul, der menschliche Schemen verzehrte. In den Wanddrucken versetzte eben jener Drache die Menschen eines mittelalterlichen Dorfes in Angst und Schrecken. Die Zähne waren separat in einem Glaskasten ausgestellt, selbst die kleinsten fingerlang und gesägt. Ein einzelner Mensch hätte von ihm problemlos im Ganzen verschluckt werden können. Eines der Wandbilder zeigte schließlich seinen Fall – ein Drachentöter rammte ihm einen Speer durchs Auge ins Gehirn, welches wie das Maul eine ihrer wenigen Schwachstellen war. Neben dem Kadaver posierte er dann, und das Dorf feierte ihn als Helden mit einem großen Fest.
Sara hatte sich als Kind so sehr davor gefürchtet, dass Drachen kämen und sie und ihre Eltern fressen oder verbrennen würden, dass sie nachts nicht schlafen konnte. Sie hatte nach dem Besuch im Museum Albträume gehabt, wollte, dass alle Drachen getötet wurden, damit diese Albträume niemals wahr wurden. Noch heute schluckte sie bei der Vorstellung, diese Wesen könnten aus den Reservaten entkommen und über arglose Städte herfallen – ein Szenario, das diverse Horrorbuchautoren und Filmemacher bereits unzählige Male aufgegriffen hatten: Mörderdrachen, Angriff der geflügelten Monster, Drachen – Die Brut des Teufels, Die Terrorherrschaft des Feuers, Der letzte Krieg der Menschheit… sie konnte nicht sagen, wie viele Bücher und Blockbuster mit ähnlich reißerischen Titeln in den letzten Jahren Millionen Leser und Zuschauer angelockt hatten. Die Bevölkerung besaß eine morbide Faszination für Drachen und die Schreckensszenarien, die mit ihnen einher gingen.
Nun war sie selbst Mutter eines Kindes, das im Verdacht stand, ein Drache zu sein. In ihrer Familie waren keine Wandler bekannt, auch nicht in der seines Erzeugers. Aber wenn Irenas Stammbaum unauffällig und ihre Tochter trotzdem zum Drachen geworden war, konnte das dann nicht genauso auch mit Ilon geschehen?
Und dann war da noch Irena selbst. Sara hatte nie einen Gedanken daran verschwendet, wie es den Eltern von Drachen erging. Sie hatte die Vorstellung stets von sich geschoben, weil sie sich sicher war, niemals betroffen zu sein. Was für ein dummer Gedanke bei dem Durchseuchungsgrad der amerikanischen Bevölkerung mit Drachengenen.
»Sara… verstehst du, was ich sage? Ich weiß, dass es nicht einfach ist. Du wirst noch lange darüber nachdenken, aber du wirst ebenso irgendwann feststellen, dass es das Beste für ihn war. Und dass er für immer dein Sohn bleibt. Ich sehe meine Kess öfter, als ich für möglich gehalten hätte. Wir machen jedes Jahr in den Smokys Urlaub. Das bleibt bitte zwischen uns – es ist offiziell ein Sperrgebiet. Wenn Ilon in die Smokys kommt, kannst du ihn auch sehen. Der Reservatsvorsteher vertritt eine sehr liberale Haltung gegenüber Drachen und der Öffentlichkeit. Er ist selbst ein Blütiger, musst du wissen, und steht den Drachen nahe.«
»Du sprichst darüber, als wäre es das Normalste der Welt«, sagte Sara verzweifelt. »Aber das ist es nicht. Ich kann mich nicht mit einem Mal gegen all das sperren, was ich Zeit meines Lebens über Drachen gelernt habe. Sie sind Menschheitsgeißeln, gefürchtet und gehasst.«
»In der Geschichte der Menschheit sind weit mehr Menschen durch andere Menschen gestorben als durch Drachen«, gab Irena zu bedenken. »Drachen sind keine Bestien, sie haben nur ein anderes Sozialverhalten, das uns fremdartig erscheint. Aber sie können jederzeit wieder zu Menschen mit dem uns gewohnten Sozialverhalten werden. Denk darüber nach, was für Ilon das Beste ist.«
Sara schüttelte den Kopf. »Wie sagt man einem Kind soetwas? Aber ich kann ihn doch nicht einfach abholen lassen, ohne ihn vorzuwarnen…«
»Deine Frau und du könnt als einzige wissen, welcher Weg der Schonendste für euer Kind ist. Unsere Kess ist geflüchtet, als wir es ihr mitteilten. Ihre vermeintlich letzten Worte an mich waren, dass sie mich hasst. Das war eine verständliche Reaktion. Ich kam sie gleich zwei Wochen später besuchen, hatte vor, sie wieder mitzunehmen, wie auch immer ich das bewerkstelligen wollte – doch sie hatte sich bereits verwandelt, gelernt zu fliegen und verbrachte viel Zeit in ihrem neuen Körper. Mich verabschiedete sie mit den Worten, dass sie mich liebt. In dem Moment wusste ich, dass es gut so war, wie wir entschieden hatten.«
»Ilon! Ilon, wach auf!«
Ilon blinzelte genervt in die Dunkelheit seines Zimmers. Was wollte seine kleine Schwester denn bitte jetzt von ihm, mitten in der Nacht? Er rieb sich die Augen und sah auf die Digitaluhr, die auf dem Nachttisch stand – es war fast 23 Uhr. »Suri, was machst du denn für einen Aufriss?« Er gab sich keine Mühe, seinen Frust zu verbergen. »Weißt du, wie spät es ist? Warum schläfst du nicht?«
»Ich hab Mama belauscht. Sie hat sich mit ihrer Freundin unterhalten, Irena«, sagte Suri.
»Schläft in diesem Haus eigentlich keiner außer mir?« Er drückte sich demonstrativ das Kissen mit beiden Händen über den Kopf.
»Sie haben über dich gesprochen«, setzte Suri nach.
»Sie reden doch immer über mich«, gab er gelangweilt zurück. Wen interessierte, was er jetzt schon wieder verbockt hatte.
»Aber diesmal war es anders! Irena hat von ihrer Tochter erzählt. Sie ist ein Drache! Und jetzt glauben beide, dass du auch einer wärst. Sie wollen dich in ein Reservat stecken!« Suri klang völlig verzweifelt.
Er nahm das Kissen runter und sah sie an, zumindest da hin, wo er ihr Gesicht in der Dunkelheit zu erkennen glaubte. Suri hatte sich ja schon einiges an Unfug ausgedacht, aber das war nun wirklich absurd. »Du bist manchmal so durchschaubar. Irena hat doch gar keine Kinder. Und niemand, dessen Kind ein Drache ist, würde einfach so mit jemand anderem darüber sprechen. Das weiß doch jeder.«
»Aber es ist wahr!«, begehrte sie auf. »Wenn sie dich nun wirklich in ein Reservat sperren? Zu Drachen?« Sie klang vollkommen verzweifelt. War das noch gespielt? Er wusste es nicht mit Sicherheit zu sagen. Ilon setzte sich auf.
»Also gut, hör zu. Mom und Mama lieben mich, auch, wenn ich mich immer wieder daneben benehme. Das sagst du doch selbst dauernd. Sowas würden sie also nie tun. Und überhaupt bin ich kein Drache, oder sehe ich für dich so aus? Hab ich Schuppen und Flügel?«
»Aber du liebst blutiges Steak«, warf Suri ein.
»Jeder mag blutiges Steak, es gibt nur niemand zu, weil alle Angst haben, dass man sie dann für Drachen hält. Wenn man jeden, der blutiges Steak mag, einsperren würde, wäre bald kein Platz mehr in den Reservaten. Und ich bin auch nicht der einzige in meiner Klasse, der keinen Bock auf Schule hat und in Streitereien gerät. Deshalb bin ich noch lange kein Drache. Mama sagt, in unserer Blutlinie gibt es keine Drachen, und das Zeug wird vererbt.«
»Irena hat gesagt, in ihrer auch nicht. Trotzdem hat ihre Tochter…«
»Irena hat keine Kinder!«, beharrte er nun lauter und hatte gute Lust, sie aus dem Zimmer zu werfen, damit endlich Ruhe war. »Und Mom und Mama würden mir sagen, wenn sie mich in ein Reservat stecken wollen. Sie haben sich immerhin auch nie damit zurückgehalten, mir damit zu drohen, mich in eine Besserungsanstalt zu schicken.«
Suri zögerte. »Ich will nicht, dass du weggehst«, sagte sie nun tieftraurig.
»Ich gehe doch gar nicht weg. Abgesehen davon dachte ich, du hasst mich?«
»Aber doch nicht so, dass du weggehen sollst. Nur, wenn du mir meine Lieblingsmuffins wegfutterst.«
Er lächelte, auch wenn sie es wohl nicht sehen konnte. »Geh schlafen, Suri. Ich werde nicht weggehen. Versprochen.«
Sie verließ sein Zimmer, und er drehte sich um, kuschelte sich wieder in seine Decke. In ein Reservat schicken, sowas Dummes. Aber einfallsreich war seine kleine Schwester schon, das musste er ihr lassen.
Ada und ihre Mutter saßen in der Stille und Enge des Wagens beisammen. Das Gespräch, das daraufhin wie von selbst in Gang kam, entlastete Hannah so stark, dass sie glaubte, schweben zu müssen.
»Das Verhältnis zwischen deinem Vater und seinen Eltern war schwer belastet. Hank war der Ältere von ihnen beiden und in allem, was er tat, erfolgreicher. Er schrieb immer gute Noten, arbeitete für die Schülerzeitung und ging nach dem Abschluss als Klassenbester an eine renommierte Universität zum Medizinstudium, ein Vorzeigesohn wie aus dem Bilderbuch. Samuel aber sank in den Augen seiner Eltern immer tiefer. Er war das komplette Gegenteil seines Bruders, ein mittelmäßiger bis schlechter Schüler, und fand nach der Schule keine Ausbildung. Seine Eltern gaben ihn mit sechzehn in ein Reservat, obwohl er damals nur wenige Anzeichen für Blütigkeit hatte, weniger sogar als Hank. Seine Eltern wollten ihn loswerden, nicht mehr für ihn sorgen und über ihn sprechen müssen. Eines Morgens stand plötzlich die Behörde vor ihrer Tür und hat ihn mitgenommen, einfach so, ohne Erklärung und ohne Vorwarnung. Seine Eltern fragten nicht einmal nach ihm. Sie taten danach, als würde er nicht mehr existieren, belogen Hank, indem sie behaupteten, dass Samuel sie über Nacht ohne ein Wort verlassen hätte. Doch Hank konnten sie nicht täuschen. Sie beide standen sich immer sehr nahe. Durch Nachforschungen stieß er schließlich auf die Wahrheit und holte seinen Bruder eigenhändig aus dem Reservat, um mit ihm ein eigenes aufzubauen. Er hat den Kontakt zu seinen Eltern daraufhin abgebrochen. Sein Bruder war ihm wichtiger als sie, ebenso sein Beruf. Drachen sind sein Leben. Das waren sie schon immer.«
Ada schluckte. »Aber wie kam mein Vater zu dir? Ich meine, wenn er schon vor seinem Wandel in ein Reservat gebracht wurde, wie konnte er dich dann jemals treffen?«
»Er hat mich auf einer ihrer gemeinsamen… Unternehmungen kennengelernt, mit denen sie den Menschen Drachen näherbringen wollten. Das ist noch einmal eine ganz eigene Geschichte. Du… warst nicht geplant, das gebe ich offen zu, aber ich wollte in meinem Leben nichts mehr als dich und ihn. Eine Familie. Mir war egal was er ist, und was du werden würdest. Ich sah uns als die drei Menschen, die untrennbar zusammengehören. Meine Welt brach auseinander, als ich von seinem Tod erfuhr – auch, wenn wir aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen zur Drachenunterbringung ohnehin nie die Beziehung führen konnten, die ich mir gewünscht habe. Zwischen uns stand immer das Reservat. Er war als Drache daran gebunden und ich an die Gesellschaft außerhalb. Aber zwischen uns war noch mehr als nur das. Samuel hatte immer das Gefühl, dass das Reservat seine einzige Chance wäre, sich zu beweisen. Etwas im Leben zu erreichen, zu verändern. Für Seinesgleichen, die keinen Platz in der Welt der Menschen haben.«
»Wie geschah mit ihm?«, fragte Ada und wusste gleichzeitig nicht, ob sie das wirklich wissen wollte. Ihre Mutter wich ihrem Blick aus, als sie ein einziges Wort sagte.
»Drachentöter.«
Ada wollte gerade etwas erwidern, als Hank und Lance zurückkehrten, in Begleitung eines vollkommen aufgelösten Paares. Hank trug etwas auf dem Arm, das wie eine zusammengeknüllte Decke aussah, und ging damit zum Kofferraum. Als er das Bündel hineinlegte erkannte Ada, dass es ein unglaublich süßer Junge war, der etwa ihr Alter haben musste. Hank streichelte ihm über den Hinterkopf und deckte ihn sorgfältiger zu; anscheinend war er bewusstlos. »Es geht ihm gut, er braucht jetzt nur viel Ruhe. Sein Körper muss zwei Verwandlungen innerhalb kurzer Zeit kompensieren, die ihm alle Kraft geraubt haben.«
»Besteht nicht die Gefahr, dass er… erneut zum Drachen wird?«, fragte der Mann besorgt.
»Nein, nein, nicht in dem Zustand. Natürlich könnten wir ihn auch gleich ins Reservat bringen. Dort können wir ihm auf jeden Fall besser helfen als hier und ihn sicher unterbringen. Sie könnten uns begleiten.«
Die Frau und der Mann, die offenbar seine Eltern waren, starrten ihn daraufhin fassungslos an. »Ist das denn möglich?«, fragte seine Mutter. »Reservate sind Sperrgebiete, unzugänglich für die Bevölkerung.«
»Die Eltern von Drachen stehen bei mir immer im Verdacht, etwas vorzuenthalten, das wir dringend wissen müssen, weshalb ich sie gern in Gewahrsam nehme.« Er zwinkerte ihnen zu. »Steigen Sie ein, wir holen Ihre Sachen.«
»Haben Sie denn genug Plätze in dem Wagen?«, fragte sein Vater zweifelnd mit Blick in das Innere – es gab nur vier Sitze.
»Das haben wir – Ada passt im Kofferraum auf unseren Neuzugang auf, und Lance findet den Weg zurück per Luftlinie.«
Ada konnte sich ohnehin nicht viel länger wachhalten – sie zog sich in den überraschend geräumigen Kofferraum zurück und schlief bald genauso tief und fest wie Eris. Nur die Erwachsenen waren noch hellwach und füllten sämtliche Sitze im Wagen.
»Wir hatten nie zuvor mit soetwas zu tun«, äußerte Claire, Eris’ Mutter, während die dichten Wälder der Great Smoky Mountains gleichförmig an den Autofenstern vorbeizogen. Sie klang dabei, als müsse sie sich zum Sprechen überwinden. Vermutlich war das Thema wie so oft Zuhause totgeschwiegen worden. »Es wäre uns nie in den Sinn gekommen, dass Eris ein echter Drache sein könnte. Wir dachten… naja, wer denkt denn an sowas? Als er uns mit diesem Vorhaben kam, in ein Reservat zu gehen, da glaubten wir, es wäre eine Phase. Sie wissen schon, wie Jugendliche eben so sind, sie wollen sich doch immer von allen anderen abheben und Dinge tun, die Aufmerksamkeit erregen. Aber jetzt… er wird für immer dort bleiben müssen und wir werden ihn nie wiedersehen, richtig?«
Sie stand noch immer unter Schock über das Erlebte, weshalb es ihr wohl möglich war, mit einer gewissen Distanz darüber zu sprechen, das erkannte Hank.
»Eltern sollten nicht von ihren Kindern abgeschnitten werden, die Angst davor bringt sie nur dazu, ihren Nachwuchs vor den Behörden zu verstecken. In den Bergen nahe meinem Reservat befindet sich ein Naturerholungsgebiet. Eris wird also nicht aus der Welt für Sie sein. Und Ada auch nicht für dich.« Hank warf bei diesen Worten Hannah auf dem Beifahrersitz einen Blick zu, den sie auffing, aber nichts dazu sagte.
»Was geschieht jetzt mit ihm?«, wollte Eris’ Vater John angespannt wissen.
»Ich schaue ihn mir erstmal genau an, um sicherzugehen, dass mit der Verwandlung alles gutgegangen ist. Später kriegt er seine vorgeschriebene Impfung und wir beurteilen, wie gut er seine andere Gestalt unter Kontrolle hat. Manche Drachen sind wie Menschen, andere vergessen das Menschsein zeitweise völlig und agieren instinktgesteuert. Wir bringen ihnen bei, sich selbst zu kontrollieren und zu akzeptieren, was sie sind. Im Fachjargon nennt sich das Synchronisation – der menschliche Geist wird mit dem des Drachen vereint, anstatt neben ihm zu existieren und zwischen zwei Extremen zu wechseln. Das ist etwas, das Sie nicht können – die Erziehung von Drachen ist Aufgabe von ihresgleichen. Sie schlafen, fliegen und jagen zusammen und brauchen die Struktur der Gruppe mit ihrer ganz eigenen Hierarchie.«
Er bremste hart ab, und Hannah schnappte nach Luft, als auf der geraden Straße vor ihnen plötzlich ein brauner Drache wie ein Pfeil niederging und ins Unterholz brach. »Keine Sorge, das ist nur Lance. Hat vermutlich Wild entdeckt.«
Hannah starrte ihn an. »Was?« In dem Moment erhob sich Lance wieder, einen jungen Hirsch im Maul. Seine bernsteinfarbenen Augen leuchteten hohl im Licht der Scheinwerfer, dann breitete er die Flügel aus und glitt mit der Beute in den Himmel davon, wo ihn die Nacht verschluckte.
»Lance ist in seiner Drachengestalt sehr ausgeglichen, deshalb darf er mich auf meinen Außeneinsätzen begleiten. Einsame Wandler fassen zu anderen Drachen eher Vertrauen als zu Menschen. Aber wenn ihn der Hunger auf einem längeren Flug übermannt kann er nicht anders, als ihn mit dem Erstbesten zu stillen. Das ist seine Natur. Noch dazu ist es recht kühl, da verbraucht er mehr Energie.«
»Er isst das Fleisch roh? Mit Fell und allem?«, fragte Claire fassungslos.
»Er ist ein Drache«, sagte Hank, als wäre damit alles erklärt – denn das war es in seinen Augen tatsächlich.
Auf dem Rücksitz warf sich das Paar einen erschütterten Blick zu, und Claire wurde weiß im Gesicht, während sie die Hand vor den Mund nahm.
»Es ist interessant, wie viele Menschen damit ein Problem haben. Es ist dasselbe Fleisch, das wir uns im Restaurant auf dem Teller servieren«, äußerte Hank.
John wechselte rasch das Thema. »Ich dachte immer, Eris ist… naja, irgendwie langsam in der Entwicklung. Irgendwie… eigen.«
Claire warf ihm einen empörten Blick zu.
»Das höre ich sehr oft von Eltern«, erwiderte Hank. »Das zumindest haben sie alle gemeinsam.«
Claire schüttelte den Kopf. »Warum passiert uns das? In meiner Familie gab es keine Drachen, und in der meines Mannes auch nicht.«
John wandte das Gesicht ab, und sie bemerkte es. »John?«
Er seufzte. »Schatz, ich… ich hätte es dir früher sagen sollen, aber es gab irgendwie nie den richtigen Moment dazu. Ich hatte mütterlicherseits einen Onkel, oder Großonkel, ich bin mir gar nicht mehr so sicher, den sie eines Tages weggeholt haben. Ich erfuhr erst als Erwachsener davon, als mein Vater betrunken war. Meine Familie hat nie zuvor oder danach jemals über ihn gesprochen und getan, als gäbe es ihn nicht.«
Claire setzte ein fassungsloses Gesicht auf, derweil sich Hanks Hände um das Lenkrad verkrampften. »Die Gene können mehrere Generationen überspringen. Meist findet sich irgendjemand in der Ahnenlinie, der zumindest Anzeichen für Blütigkeit hatte. Es ist nicht gut, darüber zu schweigen, auch wenn es diesbezüglich einen gewissen Konsens in der Bevölkerung gibt. Drachen sind nichts Unnatürliches, sondern Teil unserer Spezies. Sie brauchen Akzeptanz und Aufklärung. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, der Bevölkerung Drachen näherzubringen, um Vorurteile auszuräumen und eines Tages ein Miteinander zu ermöglichen.«
»Kann es soetwas denn geben? Drachen sind gefährlich, sobald sie Gestalt annehmen«, erwiderte Claire sichtbar unbehaglich.
»Genau diese Art Vorurteil meine ich.« Hank bog um die Kurve, und plötzlich standen sie vor einem hohen, dicken Stahlbetonzaun. Er hupte, dann öffnete sich ein breites, hohes Tor, indem es sich seitlich zurückzog. Der Wagen setzte seinen Weg hindurch fort, bis sie an einem schmalen, irdenen Parkstreifen angelangt waren. Eine große, rustikale Blockhütte thronte dort mitten auf der Anhöhe.
Sie alle stiegen aus und blickten sich mit einer Mischung aus Neugier und Furcht um. Die Hütte war umgeben von Wald, doch von der Anhöhe aus öffnete sich der Blick auf ein freies Feld, das offenbar landwirtschaftlich genutzt wurde – Äcker waren dort angelegt, und rundherum reihten sich weitere Blockhütten im Schutz der Bäume aneinander. Es war ein beinahe idyllisches Örtchen – bis plötzlich ein bedrohlicher Schatten über sie hinwegglitt. Claire trat näher zu ihrem Mann, als der Drache in ihrer Nähe niederging. Hank reagierte nicht darauf, sondern nahm Eris aus dem Kofferraum und weckte Ada dabei. Sie war sichtlich erschrocken darüber, die ganze Fahrt verschlafen zu haben, und blickte sich nervös um. »Keine Sorge Liebes, erst kümmern wir uns um unseren unverhofften Neuzugang, dann bist du dran. Du hast also noch Zeit, aufzuwachen.« Er lächelte beruhigend.
Ada zog sich instinktiv in eine Ecke des Kofferraums zurück und fletschte leicht die Zähne.
Hank lachte. »Meinetwegen bleib noch im Auto, aber halte dich warm, es ist kühl hier draußen. Sie kommen mit.« Er machte eine Kopfbewegung zu Claire und John, dann trat er mit Eris im Arm auf die Tenne der Hütte, während Hannah bei Ada blieb.
Hank trug den noch immer bewusstlosen Jungen ins Haus, dicht gefolgt von dessen Eltern. Sie wirkten noch immer wie betäubt von den jüngsten Ereignissen, aber sie wichen ihrem Kind nicht von der Seite. Ein gutes Zeichen.
Er schaltete das Licht ein; die Wände waren in warmen Pastellfarben gehalten. Das schuf eine beruhigende Atmosphäre für seine nicht immer ganz freiwilligen Patienten. Hank ging nach rechts und hielt auf die Tür zu, die etwas verborgen neben der Treppe ins Obergeschoss lag. Dahinter befand sich sein Untersuchungsraum, in dem auch Patienten in Drachengestalt Platz hatten und dessen verhängte Panoramafenster auf den Wald dahinter blickten.
Er legte Eris auf den gepolsterten Untersuchungstisch und wies seine unsicheren Eltern an, auf der Bank neben der Tür Platz zu nehmen. Bevor er sich Eris zuwandte, versorgte er Johns geschwollenes Gesicht mit einem in Desinfektionsmittel getränkten Tupfer. »Sie sind so eine Art Arzt?«, fragte John, nachdem er sich geräuspert hatte.
»Als Vorsteher eines Reservats ist man so ziemlich alles: Hausmeister, Lehrer, Seelsorger, IT-Spezialist… aber hauptberuflich bin ich approbierter Facharzt für Drachenmedizin. Ich war nebenbei bemerkt der einzige Absolvent dieses Faches in meinem Jahrgang. So, das dürfte es tun. Sagen sie Bescheid, wenn es sich verschlimmert.« Er ging zu Eris hinüber. »Dann schauen wir dich doch mal genauer an.« Er hörte mit dem Stethoskop an Eris’ Brust und Rücken, fühlte den Puls, schaute ihm in Mund und Augen, bewegte seine Gelenke durch und tastete Bauch und Rücken ab. »Sehr schön, alles wieder so, wie es sein sollte. Sie müssen wissen, dass die Verwandlung nicht immer regelrecht vonstatten geht – vorallem nicht beim ersten Mal. Dann bilden sich Körperteile und Organe nicht richtig um und bereiten Probleme. Aber in seinem Fall scheint alles gut verlaufen zu sein.«
Beide sahen alles andere als beruhigt bei dieser Erklärung aus, und er nahm vor seinem Schreibtisch Platz, um das Gespräch zu führen, das er schon so viele Male geführt hatte. Es war gut, dass seine einzige wirklich drachenblütige Eigenschaft war, dass er kaum Schlaf benötigte. »Nun erzählen Sie mir bitte Ihre Geschichte.«
Sie zögerten, und schließlich fragte Claire: »Unsere Geschichte? Sie meinen, mit Eris?«
Hank nickte. »Fangen Sie von vorn an, mit der Schwangerschaft, und enden sie an dem Punkt, an dem wir jetzt sind.«
Er schrieb auf seinem Laptop, während sie sprach, dann und wann von ihrem Mann unterbrochen, der etwas hinzufügte. Es war eine unauffällige Schwangerschaft gewesen und Eris ein Wunschkind, auf das sich die ganze Familie freute, auch wenn beide Eltern sich ein Mädchen gewünscht hatten. Seine Kindheit war ebenso unauffällig verlaufen, mit dem Unterschied, dass er stets jünger wirkte, als er war – sowohl körperlich als auch seelisch. Er liebte es, sich zu verstecken, hatte eine Vorliebe für bunte Flummis und Steine, brauchte sein Kuscheltier zum Einschlafen und wirkte nicht wie die anderen Fünfzehnjährigen, die bereits mit Mädchen ausgingen und denen man ansah, dass sie langsam zu Männern wurden.
»Schämen Sie sich für ihn?«, fragte Hank unvermittelt.
John blinzelte. »Was?«
»Ob Sie sich für Ihren Sohn schämen.« Er wandte den Blick nicht von seiner digitalen Akte ab.
John antwortete nicht sofort. »Ich… nein, ich meine… er war immer schon anders. Ich habe das hingenommen, aber ich habe mir Sorgen gemacht, verstehen Sie?« Er wirkte ratlos.
»Das verstehe ich. Drachen entwickeln sich oft anders als ihre nicht-blütigen Altersgenossen, manche schneller, manche langsamer. Es ist typisch, dass sie sich gern zurückziehen, auch, dass sie die Nähe zu ihresgleichen suchen, welche sie mit Kuscheltieren kompensieren. Das wirkt auf Außenstehende merkwürdig. Es gibt so einige Besonderheiten, die Ihnen als Nichtdrachen schleierhaft erscheinen dürften. Zum Beispiel, wie man mit seinem Jagdinstinkt umgeht. Hat er sowas?«
»Jagdinstinkt?«, fragte Claire verständnislos.
»Rennt er plötzlich los, wenn sich jemand oder etwas in seiner Nähe schnell bewegt, und wirkt er verwirrt, wenn der Reiz verschwunden ist? Verläuft er sich dabei?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Nicht, dass ich das jemals beobachtet hätte.«
»Nicht, dass wir wüssten«, bestätigte John.
»Will er vorrangig Fleisch essen und verschmäht sein Gemüse?«
»Nein. Als Kind wollte er kein Gemüse, wirklich so gar keins, aber das wollen doch alle Kinder nicht.« John sah abermals unsicher aus. »Jetzt isst er sogar sehr viel davon. Fast schon zu viel.«
Hank hob eine Augenbraue. »Wie sieht es aus mit Wasser? Hat er eine starke Zuneigung?«
»Er badet gern im Sommer, wie andere Kinder.«
Claire warf ihrem Mann einen strengen Blick zu, der sagte Hör auf, ihn mit anderen Kindern zu vergleichen.
»Dann ist er tatsächlich ein recht atypischer Vertreter seiner Art. Und heute? Was genau ist passiert, bevor ich dazu kam? Unter welchen Umständen wurde er zum Drachen?«
John war es, der mit mühsam unterdrückter Wut antwortete: »Am Abend standen plötzlich diese beiden Mitarbeiter der Drachenbehörde vor unserer Tür und wollten ihn mitnehmen. Wir haben uns geweigert, und dann ist irgendwie... alles eskaliert. In den Wirren hat er Drachengestalt angenommen und nach ihnen und sogar uns geschnappt, ehe er durch die Tür nach draußen in den Wald geflüchtet ist. Wir waren völlig geschockt und sind zurückgewichen, anstatt etwas zu tun. Ich habe noch nie zuvor einen Drachen gesehen oder hätten gedacht, dass ausgerechnet er einer werden könnte.« John wandte das Gesicht ab und stützte es hilflos in die Hand. »Ich hatte Angst in diesem Moment. Ich dachte, wir wären alle gleich tot.«
»Wenn Sie nicht geglaubt haben, dass er ein Drache werden könnte, wieso haben Sie dann zugelassen, dass Ihr Sohn im Vorfeld die Drachenbehörde einschaltet?«, wollte Hank wissen.
»Er war plötzlich so… sicher und selbstbewusst, dass wir dachten, lassen wir ihn«, gestand Claire. »Wir hatten erwartet, dass man dort, wo er hinkommt, feststellt, dass er kein Drache ist, und ihn zurückschickt. Ich meine, die Ärzte müssen sowas doch erkennen. Oder?«
Hank seufzte. Diese Form der Gutgläubigkeit hatte er schon zur Genüge erlebt. »Mrs. Tyrrell, wenn es so einfach wäre, wandelbare Drachen zu erkennen, warum, denken Sie, werden Verdächtige bis sie dreißig sind in ein Reservat gesperrt? Auch wir können nur abschätzen, wie hoch das Risiko ist. Drachenblütige gibt es viele, aber nicht jeder zeigt überhaupt irgendwelche Verhaltensauffälligkeiten, und nicht jeder, der sie zeigt, verwandelt sich auch. Man vermutet eine Dunkelziffer von hunderten, vielleicht tausenden Wandlern und noch weit mehr Blütigen, die frei und unerkannt in den Staaten leben. Ihr Nachbar vielleicht, oder ein Lehrer ihrer Kinder. Bei Ihrem Sohn war der Auslöser vermutlich der immense Stress und die Angst um Sie beide, dem er plötzlich ausgesetzt wurde. Es ist unverantwortlich, wie die beiden Mitarbeiter gehandelt haben – leider krankt auch die Drachenbehörde an einem Fachkräftemangel, und zu unerfahrene Leute werden zu früh auf zu heikle Missionen geschickt, bevor sie ausreichend Fachkenntnisse sammeln konnten. Drachen verändern sich nicht nur körperlich bei der Verwandlung. Das Gehirn verwächst zu einem neuen Organ und bildet Windungen aus, die die menschlichen überwuchern. Sie verstehen am Anfang nur bedingt Sprache. Bei ihrer ersten Verwandlung zeigen sie oft reinen Instinkt: Flucht oder Kampf, letzteres nur dann, wenn es keinen Ausweg gibt.«
»Also sind sie unkontrollierbar«, stellte Claire mit belegter Stimme fest.
»Nein. Die jungen Drachen müssen ihren neuen Körper erst gut genug kennenlernen und die Veränderung akzeptieren, um sich kontrollieren zu können. Es ist wie mit der Pubertät. Der veränderte Neurotransmittercocktail im Gehirn, die neuen körrperlichen Merkmale, die neuen Empfindungen, alles muss sich fügen. Mit der richtigen Behandlung kann man ihre menschliche Seite ansprechen, so wie bei Lance, meinem Begleiter. Das ist das Ziel dieses Reservats. Ich möchte Menschen in Drachengestalt formen, damit Kinder wie Eris zu ihrer Familie zurückkehren können.«
Claire sah ihren Mann an und legte ihm eine Hand auf den Arm, doch er ignorierte sie. »Wir lassen unseren Jungen nicht hier.« Johns Stimme duldete keinerlei Widerspruch. »Ich werde nicht ohne ihn zurückfahren. Wir hätten gar nicht erlauben sollen, dass er sich bei der Behörde meldet, und ihm diesen ganzen Unfug ausreden müssen! Wäre die Behörde nicht gekommen, dann wäre das alles nicht passiert und wir könnten unbehelligt weiterleben als einer von den hundert, die keiner bemerkt!« Er griff sich völlig verzweifelt ins Gesicht und begann plötzlich zu zittern. Claire legte die Arme um ihn und sah aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen.
Auch das kannte Hank. »Mr. und Mrs. Tyrrell, ich verstehe, was in Ihnen vorgeht. Aber ich erinnere Sie gern daran, dass Sie ihm nicht die besondere Zuwendung geben können, die er braucht. Hier ist er in guten Händen. Sie dürfen ihn sehen, wann Sie wollen, solange das niemand erfährt. Sagen Sie einfach, dass Sie in die Smokys fahren, um sich zu erholen. Ich nehme niemandem sein Kind weg. Ich bin derjenige, der all die Kinder zurückgeben will, die über die Jahre weggenommen wurden. Schlafen Sie heute Nacht hier, zusammen mit ihm. Morgen werden wir alles weitere in Ruhe besprechen.«
Ada saß noch immer im Kofferraum, die Knie eng an den Körper gezogen. Obwohl sie in die Decke gehüllt war, unter der sie geschlafen hatte, zitterte sie in der kühlen Nachtluft.
Hannah setzte sich zu ihr, ohne ein Wort zu sagen. Es brauchte auch keine Worte; dies war das erste Mal seit Jahren, dass sie das Gefühl hatte, wieder auf einer Wellenlänge mit ihrer Tochter zu sein. Seit Lance fort war hatte es nur noch Streit und Misstrauen zwischen ihnen gegeben, und sie konnte es ihr nicht ernstlich verübeln. »Schatz, komm her.« Sie legte die Arme um sie, und Ada erwiderte die Zuwendung.
»Sind wir wirklich schon da? Im Reservat?«, flüsterte sie und beobachtete die Umgebung, als fürchte sie, jeden Moment aus der Dunkelheit heraus angegriffen zu werden.
»Ja. Aber du musst nicht hierbleiben, wenn du nicht willst. Ich lasse dich mir nicht wegnehmen.« Jetzt, wo ich dich endlich zurück habe. Sie sagte es mit solcher Entschlossenheit, dass Ada verblüfft zu ihr aufblickte. Tränen schimmerten in Hannahs Augen, doch im spärlichen Licht der Außenbeleuchtung waren sie kaum zu sehen. »Mir ist egal, wie die Gesetze unseres Landes lauten. Du bist alles was ich habe, alles, was mir von Samuel geblieben ist. Und du hast nie Drachengestalt angenommen.« Für einen Moment gab sie sich wilden Fluchtfantasien hin – in Kanada war es Drachen erlaubt, sich frei zu bewegen, solange sie sich weit genug von den nächsten Siedlungen entfernt aufhielten und regelmäßig bei den Behörden meldeten. Es gab Drachen, die dort ein eigenständiges Dasein als Farmer und Viehzüchter führten. Ada und sie konnten das auch, wenn es nötig wurde. Das und nichts anderes würde sie Hank morgen sagen.
Ada für ihren Teil war verwundert von den Worten ihrer Mutter. Diese hatte noch nie so… unvernünftig gesprochen, klang jetzt beinahe wie sie selbst manchmal. Dass sie Ada nicht hergeben wollte, gab ihr Kraft. Und sie hatte noch immer viel zu viele unbeantwortete Fragen.
Sie löste sich aus den Armen ihrer Mutter und sah sich etwas neugieriger um. Alles lag in Dunkelheit getaucht. Hier draußen in den wilden Wäldern der Smokys waren Farben und Sterne am Nachthimmel zu sehen, von denen sie gar nicht gewusst hatte, dass sie existierten. Alles wurde von den schwarzen Wipfeln der Berge in irgendwie beruhigende Grenzen gefasst. Sie hörte das Rauschen des Windes in den Bäumen und sah die Silhouetten von Häusern am Rand eines großen Felds. Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich plötzlich gar nicht mehr so unwohl wie noch vor wenigen Minuten. Vielleicht, weil sie im Wald waren. Sie hatte tatsächlich noch keine Drachengestalt angenommen, aber möglicherweise war es nur eine Frage der Zeit. Sie spürte immerhin schon seit Jahren etwas in sich, das nach draußen wollte, lauerte, drängte. War es der Drache? Das Erbe ihres Vaters?
»Hank ist noch mit dem Jungen da drin, oder? Weißt du, wer er ist?«, fragte sie. Sie erinnerte sich nicht daran, ihn jemals in der Schule gesehen zu haben. Vielleicht ging er gar nicht auf dieselbe Schule, oder er hatte sich gut vor ihr verborgen. Ada gab zwar nicht viel darauf, ihre Mitschüler zu kennen, aber sie glaubte, dass er ihr aufgefallen wäre.
»Sein Name ist Eris Tyrrell, und seine Eltern sind völlig überfordert mit der Situation.«
»Bist du auch völlig überfordert?«
Sie ließ sich einen Moment Zeit mit der Antwort. »Nein. Ich hatte Jahre, um mich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ich wusste immerhin genau, was Samuel ist. Dennoch glaubt und hofft man als Mutter stets, dass der Kelch an einem vorübergeht.«
Sie sahen beide auf, als sich jemand näherte: Hank, eine Laterne in der Hand, die ihr spärliches Licht auf sie warf. »Wie siehtʼs aus? Wollt ihr die Nacht im Auto verbringen oder lieber drinnen schlafen?« Er zwinkerte ihnen zu. »Kommt mit. Ich habe eine angenehme Bleibe für Ada vorbereitet.«
Sie stiegen aus, gingen einen steinigen Weg entlang und gelangten schließlich an ein weiteres kleines Holzhaus. »Alle Häuser hier sind aus dem Holz errichtet, das aus den umliegenden Wäldern stammt. Wir sind relativ autark für ein Reservat, bauen das meiste, was wir benötigen, selbst an oder holen es uns aus der Natur. Das müssen wir auch, denn nur ein- bis zweimal im Monat dürfen wir das Reservat verlassen, um Dinge einzukaufen, die wir nicht selbst herstellen können. Allerdings umgehen wir das Gesetz, wann immer es uns unnütz erscheint und niemand uns nachweisen kann, dass wir es getan haben. Immerhin sind wir keine Verbrecher. Uns wie welche zu behandeln ist falsch.«
»Du klingst wie dein Bruder«, sagte Hannah und rieb sich rasch über die Augen. »Er hat immer davon gesprochen, dass Drachen und Menschen zusammenleben sollten. Ohne Reservate. Er verglich es mit der Rassentrennung, die auch abgeschafft wurde, weil die Leute erkannt hatten, dass es ein Unrecht war.«
»Die Haltung der Menschen gegenüber Drachen ist ein seit Jahrhunderten währendes Unrecht, das sie wie Bestien darstellt und aussondert. Das gleiche gilt für die Drachenjagd, die immer noch praktiziert wird, auch wenn sie offiziell verboten ist.«
»Was ist diese Drachenjagd?«, fragte Ada unvermittelt. »Mom hat etwas von Drachentötern gesagt…?«
»Darüber werden wir jetzt nicht sprechen«, wiegelte Hank überraschend hart ab, ohne sie dabei anzusehen.
Ada blieb stehen und verzog wütend das Gesicht. »Wieso? Glaubt ihr, ich vertrage die Wahrheit nicht? Aber mich meiner Mutter wegzunehmen und einzusperren, bis ich ein Erwachsener bin, ist weniger schlimm? Ich habe ein Recht auf Antworten!«
Hank wandte sich zu ihr um, sah Hannah an, die keinerlei Einwände erhob. »Ada, hör zu. Es gibt Menschen dort draußen, die in Drachen das personifizierte Böse sehen. Das liegt zum Teil im christlichen Glauben begründet, der sie als Dämonen und Handlanger des Teufels darstellt. Aber es sind nicht nur christliche Fanatiker, die es auf Drachen abgesehen haben. Ebenso existieren Menschen, die von Geldgier getrieben werden. Die Schuppen, Krallen und andere Körperteile von Drachen sind auf Schwarzmärkten gefragt. In manchen Gegenden der Welt, insbesondere Asien, macht man aus ihnen traditionelle Arzneimittel.«
Ada schluckte mit geweiteten Augen. »Aber… ich dachte, in Asien wären Drachen heilig?«
»Das gilt für ihre eigenen Drachen. In westlichen Drachen sehen sie nicht mehr als niedere Schlangen – Tiere, die dort zu Schnaps verarbeitet werden.« Er war plötzlich so ernst, dass sie ihn nur anstarren konnte. Seine leichte, unbeschwerte Art war verschwunden, und das stand ihm gar nicht. Er erinnerte sie unweigerlich an Mr. Lincoln. Plötzlich bekam sie einen unerwartet heftigen Anflug von Heimweh.
»Das sind Dinge, die dir nicht grundlos vorenthalten wurden. Du solltest eine Jugendliche sein und dich noch nicht mit den Grausamkeiten dieser Welt befassen. Vor allem nicht solchen Perversitäten.«
»Ich bin kein Kind mehr«, gab sie trotzig zurück, in Wahrheit aber bereute sie es bereits, gefragt zu haben. In ihrem Magen wallte eine Übelkeit auf, die sie noch nie zuvor gespürt hatte. Sues Vater hatte also Recht gehabt – Drachenteile wurden auf dem Schwarzmarkt verkauft, bestimmt auch von einigen Reservaten.
»Nein«, sagte Hank zu ihrer Überraschung. »Das in der Tat nicht. Aber diese Dinge bereiten auch sehr viel Älteren Magengeschwüre. Unsere Welt ist ein schrecklicher Ort. Umso wichtiger ist es, Oasen der Zuflucht zu schaffen.« Er wandte sich wieder ab und ging weiter, öffnete die Tür der Hütte und schaltete das Licht ein.
Das Holz hatte einen warmen und hellen Farbton, als Ada und Hannah hinter ihm eintraten. Sie fanden sich in einem kleinen Vorraum mit Haken für Kleidung an der Wand neben der Tür und langen Regalen mit quadratischen Fächern wieder. Rechts führte eine steile Treppe anscheinend zum Dachboden hinauf, der durch eine nicht komplett eingezogene Decke offen lag. »Rechts geht es zur Küche, links ins Badezimmer und geradeaus in den Wohnbereich. Unter dem Dach liegt der Schlafraum. Das Haus ist den Bedürfnissen von Drachen angepasst: Sie schlafen am Liebsten erhöht und gleichzeitig geschützt. Es gibt auch eine Anflugpforte und ein großes Dachfenster, damit sie ständig den Himmel im Blick haben. Erkundet die Unterkunft ruhig ein bisschen, ich wünsche euch eine gute Nacht.«
Ihre Mutter umarmte ihn zum Abschied, und Ada sah ihm nach, als er das Haus verließ.
Im Wohnbereich gab es neben dem hölzernen Schrank eine Couch mit dunklem Bezug, einen orangeroten Teppich auf dem Holzboden und einen Glastisch. Es war bieder eingerichtet, aber Ada mochte es. Sie hatte sich Zuhause oft von dem ganzen Kram erdrückt gefühlt, der sich in ihrem Haus angehäuft hatte, auch wenn sie sich in ihrem Zimmer zwischen ihrem eigenen Kram immer sehr wohl gefühlt hatte. Während ihre Mutter die Taschen auspackte, erkundete sie das Haus – die Küche mit ihrer langen Arbeitsplatte, die den Raum einmal längs teilte; das Bad, dessen Wände Naturstein nachempfunden waren und eine breite Regendusche aufwies; zu guter Letzt folgte der atemberaubendste Raum: Der Dachboden, dessen ganzer Bodenbelag eine Art Matratze war. Unter der einen Dachschräge lagen Kissen und erfreulich wärmende Decken, die andere bestand zur Hälfte aus einem breiten Fenster, durch das man den Sternenhimmel sehen konnte. Adas Herz schlug schneller bei dem Anblick. Am gegenüberliegenden Ende fand sie eine verschlossene Öffnung in der Wand, die mit Riegeln gesichert und ringsum mit Gummi abgedichtet war. Das musste die Anflugpforte sein, von der Hank gesprochen hatte. Sie öffnete die Tür probehalber und starrte auf eine Art Balkon hinaus, aber ohne Geländer. Eilig schloss sie die Flügel wieder. Dort wollte man gewiss nicht runterfallen.
Wie sie so auf dem weichen Boden saß, fühlte sie sich plötzlich wieder sehr müde. Bald schon würde es wieder Morgen sein. Freitag, dachte sie, und sie würde nicht in der Schule erscheinen. Normalerweise hätte sie sich darüber gefreut, stattdessen machte sie sich ernsthafte Sorgen. Was sollte jetzt aus ihr werden? Wie sollte sie mit all dem klarkommen, was sie über ihren Vater und sich selbst erfahren hatte? Alles an diesem einen Tag.
Sie stieg wieder hinunter und beschloss, eine Dusche zu nehmen. Der Stein unter ihren Füßen war so angenehm wie das warme Wasser und die Matratze im Obergeschoss, und als sie sich schließlich mit ihrer Mutter unter die weiche Decke kuschelte und zu den Sternen aufsah schlief sie ein, ohne es zu merken.
Eris erwachte von warmen Sonnenstrahlen, die auf sein Gesicht fielen, und fühlte sich so unglaublich wohl in dem warmen Bettzeug, dass er erst mit einiger Verspätung die Augen öffnete.
Seine Eltern lagen zu seiner Überraschung links und rechts neben ihm auf dem weichen Untergrund, von dem er erst geglaubt hatte, es wäre ein Bett. Doch der ganze Boden des Zimmers schien ein einziges Bett zu sein. Wo um alles in der Welt waren sie? Erstaunlicherweise konnte er sich überhaupt nicht an den gestrigen Tag erinnern, aber er wusste, dass dort eine Erinnerung sein musste.
Seine Eltern schliefen tief und fest. Am Liebsten hätte er es ihnen noch ein bisschen gleichgetan – sie hatten seit Ewigkeiten nicht mehr so nah beisammen gelegen, und er vermisste das. Aber es gehörte sich nicht mehr in seinem Alter. Und er musste herausfinden, was hier los war.
Die Sonne schien durch ein breites Dachfenster, das den Blick auf einen strahlendblauen Himmel mit weißen Wolken freigab. Der Anblick war so atemberaubend, dass er Eris ein leises »Wow« entrang. Hinter ihm befand sich ein verriegelter Fensterladen. Er drehte sich vorsichtig auf den Bauch in der Hoffnung, seine Eltern nicht zu wecken, und öffnete den oberen und unteren Riegel. Die Flügel schwangen lautlos nach außen auf, und als er den Kopf hinausstreckte fand er sich zu seiner Verwunderung auf einem breiten, hölzernen Balkon ohne Geländer wieder. Er blickte direkt auf einen Wald, und die Luft war vom frischen Geruch der Nadelhölzer erfüllt. In einiger Entfernung von ihm lag ein großes Feld am Fuß einer Anhöhe, und er blinzelte fassungslos, konnte nicht glauben, was er dort sah: Ein Junge oder Mädchen pflanzte etwas in die sauber gezogenen Erdrillen, die ein riesiger Drache mit seinen Klauen grub. Das Tier war von tiefschwarzer Farbe, wie Kohle, mit einer rostrot abgesetzten Kehle und grauer Gesichtszeichnung. Der Pflanzer schien sich an seiner Anwesenheit gar nicht zu stören. Er setzte unbeirrt kleine grüne Stecklinge in den aufgeworfenen Boden und wirkte dabei irgendwie trübsinnig.
Als sie die Reihe fertig bepflanzt hatten, brummte der Drache und berührte ihn mit der Schnauze am Arm, wobei Eris fast das Herz stehenblieb. Aber die Geste hatte etwas Sanftes an sich. Der Pflanzer begann seine Arbeit an einer neuen Reihe von vorn, während der Drache weitere Rillen in die Erde zog.
Damit war stand zweifelsfrei fest, wo sie sich befanden, und die losen Enden in seinem Kopf verbanden sich miteinander. Er sollte in ein Reservat gebracht werden, war das nicht erst gestern gewesen? Er wollte ins Bett, um für seine Überführung ausgeruht zu sein, doch dann…
Was dann? Die Erinnerung fehlte an dieser Stelle. Irgendwie war er zusammen mit seinen Eltern ins Reservat gekommen, aber das ergab doch überhaupt keinen Sinn. Der Sinn wollte sich ihm auch nicht erschließen, als er umso angestrengter nachdachte. Eris schloss die Luke wieder, dann stand er auf und ging zur Treppe, die nach unten führte.
Auch der Schlafbereich war nicht durch ein Geländer vom Erdgeschoss abgetrennt. Er fand unten ein Wohnzimmer, Bad und Küche vor. Die Behausung hatte etwas Heimeliges an sich, genau wie die idyllische Umgebung. Beinahe erinnerte sie ihn an eine Ferienwohnung. Warum nur konnte er sich nicht erinnern, wie er hergekommen war?
Sein knurrender Magen kam weiteren Überlegungen zuvor. Er verspürte einen so starken Hunger, dass er glaubte, seine letzte Mahlzeit läge mindestens eine Woche zurück. Ein Abgrund tat sich in ihm auf bei dem plötzlichen Gedanken, dass er vielleicht tatsächlich schon so lange hier war. Konnte er es denn wissen? So ganz ohne Erinnerungen? Lagen seine Eltern deshalb bei ihm? Weil er bis jetzt bewusstlos gewesen war und man ihnen erlaubt hatte, an seiner Seite zu bleiben?
Wieder meldete sich sein Magen, und er beschloss, dass seine Erinnerungen warten mussten. In der Küche fanden sich Brot und Aufschnitt, von denen er gierig aß, hoffend, dass er dafür keinen Ärger bekam. Aber man hatte ihnen das hier ja allem Anschein nach zur Verfügung gestellt. Er aß ganze vier Brote, bis er das irritierende Gefühl, nie wieder satt zu werden, losgeworden war, und fand nach kurzem Umsehen im Wohnbereich seine gepackte Tasche vor.
Eris kleidete sich an, überlegte, ob er duschen gehen sollte, und entschied sich schließlich dafür. Als er wieder hinaustrat, fühlte er sich angenehm erfrischt und nicht im Mindesten so unsicher und ängstlich, wie er es von sich erwartet hätte. Stattdessen empfand er eine überbordende Neugier auf den Drachen und den anderen Jugendlichen auf dem Feld, aber er traute sich trotzdem nicht, allein nach draußen zu gehen. Stattdessen schaute er aus dem Fenster – die beiden waren immer noch da. Es war völlig offensichtlich, dass der Drache keine Gefahr darstellte, obwohl er von der Schnauze bis zur Schwanzspitze mindestens zehn, vielleicht auch zwanzig Meter messen musste. Eris hatte gelernt, dass Drachen trotz ihrer zum Teil immensen Größe viele hohle Knochen hatten und damit sehr viel leichter waren als sie aussahen. Dieser Drache hätte den Pflanzer jederzeit mit nur einem Bissen fressen können – es war ein grausiger und zugleich auf morbide Art und Weise faszinierender Gedanke. Wenn seine Klassenkameraden ihn neben so einem Wesen sehen würden, zusammenarbeitend, als wäre es das Normalste auf der Welt, würden sie sicher keine dummen Sprüche mehr reißen.
Er war so vertieft in den Anblick, dass er gar nicht bemerkte, wie sich jemand dem Fenster näherte. »Morgen! Schön, dich mal im wachen Zustand zu sehen.«
Eris schrak so heftig zusammen, dass ihm übel wurde, gab sich jedoch größte Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen. »Morgen… und Sie sind?« Es überraschte ihn, wie problemlos er mit dem Fremden sprechen konnte. Was war los mit ihm? Sonst brachte er doch kaum ein Wort heraus, wenn Fremde ihn ansprachen. Und er verspürte üblicherweise auch keinen Hunger, wenn er irgendwo neu war – egal, wie lang die letzte Mahlzeit zurücklag.
»Ich bin der Vorsteher des Great Smoky Mountains Reservats, in dem du dich befindest. Du kannst mich gern Hank nennen. Deine Eltern haben mich gestern schon kennengelernt, war eine etwas holprige Bekanntmachung. Um deiner dringlichsten Frage gleich zuvorzukommen: Du warst nur eine Nacht lang nicht bei dir, wir haben Freitag.«
Er schluckte. »Was ist passiert? Ich kann mich nicht erinnern.«
»Wir sollten das lieber drinnen besprechen. Darf ich reinkommen?«
»Meine Eltern schlafen noch«, entgegnete er.
»Du entscheidest – das hier ist bis auf Weiteres dein Haus.«
Seine Augen weiteten sich. Sein Haus? Das konnte unmöglich richtig sein… er konnte sich doch gar nicht selbst versorgen, er war erst fünfzehn! Ihm wurde sofort wieder flau im Magen, doch noch immer drängten die Fragen stärker als alles andere, und er ließ Hank schließlich herein, nicht ohne das Gefühl, hier etwas völlig Verkehrtes zu tun. Seinem Vater würde das bestimmt nicht gefallen.
Sie nahmen im Wohnbereich auf der Couch Platz. Hank wirkte völlig entspannt. »Hast du gut geschlafen, Eris?«
»So gut wie schon lange nicht mehr«, sagte er, unsicher, was von ihm erwartet wurde. Sollte er sich so lässig geben wie Hank? Er konnte es ja mal versuchen.
»Das freut mich zu hören. Du musst wissen, so einigen geht es schlecht nach dem, was du letzte Nacht durchgemacht hast. Aber so steht unserem heutigen Rundgang nichts im Wege.«
»Was… habe ich denn durchgemacht?«, fragte er vorsichtig.
»Erinnerst du dich an irgendetwas?«
»Nur, dass ich Zuhause war und auf meinem Bett lag. Dann bin ich hier aufgewacht. Ich sollte heute ins Reservat fahren.«
Hank beugte sich vor und wirkte plötzlich sehr ernst. »Jungchen, zunächst solltest du wissen, dass diese Gedächtnislücken bei vielen Menschen auftreten, die sich zum ersten Mal verwandeln. Du hast gestern Abend Drachengestalt angenommen.«
Eris blinzelte und glaubte zu träumen. Er hatte doch niemals… nein, daran würde er sich definitiv erinnern! Das war bestimmt nur ein Test. »Ich bin kein Drache. Ich habe nie Gestalt angenommen. Ich bin nicht einmal ganz sicher blütig.«
»Hast du dir mal dein Gebiss im Spiegel angeschaut? Deine Zähne haben sich bei der Verwandlung erneuert. Das ist ebenfalls typisch. Es entsteht sehr viel neues Zellmaterial aller Art, um den Drachenkörper zu bilden. Bei der Rückverwandlung verbleibt es an zuvor geschädigten Stellen. Du hast keine einzige Zahnfüllung mehr.«
Er versuchte sich mit der Zunge unauffällig über die Backenzähne zu fahren. Sie waren alle erstaunlich glatt, obwohl er immer Probleme mit ihnen gehabt hatte.
»Es gibt keinen Zweifel, ich habe dich in deiner Drachengestalt gesehen und war bei deiner Rückverwandlung anwesend. Du warst gerade auf der Flucht vor der Behörde, die dich früher abholen wollte als geplant. Der Stress hat wohl die Verwandlung getriggert. Deshalb sind auch deine Eltern hier: Sie brauchen professionelle Betreuung, genau wie du.«
In seinem Kopf überschlug sich alles. Er, ein Drache? Dann würde er ja auf jeden Fall hierbleiben müssen, und das für immer! Der Gedanke, seine Eltern nie wiederzusehen, ließ sein Herz gefährlich schnell klopfen. Auch, wenn er nicht wusste warum, erinnerte sich sein Körper an die Empfindung. Sie bedeutete nichts Gutes.
»Du bist ein wirklich hübscher junger Drache. Grüngescheckt, wie ein lebendig gewordener Sommerwald. Ich kann es kaum erwarten, mit dir an deinen Fähigkeiten zu arbeiten«, erwiderte Hank zufrieden.
»Warum kann ich mich an nichts erinnern?« Die Vorstellung, dass er in Drachengestalt umherging, ohne es zu wissen, beunruhigte ihn maßlos – mehr noch als der Gedanke, überhaupt zum Drachen zu werden.
»Im Grunde ist es ganz einfach: Wenn du deine Gestalt wechselst, verändern sich auch deine Organe. Dein Gehirn wird größer, entwickelt neue Windungen, die zuvor nicht da waren und die alten überwuchern. Wenn sie sich zurückbilden, ist auch der Großteil der Erinnerungen, die in ihnen angelegt wurden, verschwunden. Aber keine Sorge, von Mal zu Mal festigen sich die Erinnerungen an verschiedenen Stellen, bis du sie auch in Menschengestalt behältst – und umgekehrt. Deshalb bist du hier – zusammen mit noch einem Neuankömmling. Ich würde sagen, in einer Stunde treffen wir uns vor deinem Haus, damit ich euch alles zeigen kann. Dieser Ort soll euer neues Zuhause werden, und ich bin mir sicher, er wird euch gefallen.«
Hank holte Ada und ihre Mutter früh am Morgen ab, um den Rundgang durch das Reservat zu beginnen. Während ihre Mutter bereits wach war, musste sie erst geweckt werden – sie hatte schon lange nicht mehr so tief und fest geschlafen wie auf diesem weichen Untergrund. Vermutlich würde sie nie wieder ein normales Bett akzeptieren.
»Es ist ein spezieller Bodenbelag, Drachen lieben ihn. Außerdem lieben sie Gesellschaft während ihrer Ruhephasen. Aus diesem Grund ist der Schafraum so groß gehalten. Es gibt aber auch mehrere gemeinschaftliche Schlafstellen. Ich werde sie euch ebenfalls zeigen«, erklärte Hank ihr, als sie das Thema ansprach.
Als sie beim Treffpunkt angekommen waren, sah Ada den Jungen von letzter Nacht wieder. Im wachen Zustand wirkte er viel schüchterner, als sie bei seinem ersten Anblick gedacht hatte. Sein Gesichtsausdruck hatte etwas Niedliches an sich, und sein Haar… es war so hell im Sonnenlicht, vorn und an den Seiten etwas länger als hinten, irgendwie wild, was ihr außerordentlich gut gefiel. Als sie zu ihm trat, wurde er noch deutlich nervöser. »Hi, ich bin Ada!«
»Eris«, sagte er nur leise, sich augenscheinlich sehr unwohl dabei fühlend.
Hank lächelte. »Ada ist der Neuankömmling, von dem ich dir erzählt habe. Sie hat auf dich achtgegeben, als du bewusstlos warst. Ich denke, ihr werdet euch gut verstehen. Sie ist meine Nichte.«
Eris schien sich immer unbehaglicher zu fühlen, je mehr er über sie erfuhr. Hinter ihm traten seine Eltern aus dem Haus. Sie wirkten nicht weniger verloren als ihr Sohn.
Hank deutete einmal quer über das Feld und die Häuser am Fuß der Anhöhe, die sie nun endlich bei Tag betrachten konnten. »Die Blockhütten kennt ihr bereits. Nicht alle von ihnen sind aktuell bewohnt, aber wir müssen stets Raum für Neuankömmlinge vorhalten. Ihr verwaltet euer Haus selbst und dürft es nach eurem Geschmack einrichten – es ist und bleibt eure Unterkunft. Kommen wir zum wichtigsten und zweitwichtigsten Thema: Essen und schlafen. Ihr…«
Er wurde unterbrochen von lautem Gebrüll, das wie von einem Dinosaurier aus dem Kino klang und alle Anwesenden zusammenfahren ließ – angeblich wurde das Geschrei von Drachen für derartige Soundeffekte genutzt, erinnerte sich Ada. Sie alle sahen sich um, ohne den Ursprung ausfindig machen zu können. Dann zog plötzlich ein Drache flügelschlagend über ihren Köpfen hinweg, erzeugte dabei Windböen, die sie in die Knie gehen ließen, und landete auf der Lichtung hinter dem Feld. Ein zweiter Drache lag dort, den keiner von ihnen bis dato bemerkt hatte – auf einem flachen Felsen im Schutz der Bäume, der so grau war wie er selbst.
Erisʼ Eltern schrien erschrocken auf und packten Eris, um ihn schützend zu sich zu ziehen und trotz der Entfernung zurückzutreten. Auch Hannah umarmte ihre Tochter und beobachtete gebannt das Geschehen.
Der Drache, der über das Feld geflogen war, hatte die Farbe von lebendigem Feuer: Rotorange mit lebhafter sonnengelber Zeichnung, die den ganzen Körper und das Gesicht durchzog. Seine Flügel waren durchscheinende, burgunderrote Membranen, die das Sonnenlicht einfingen, was die feine Gefäßzeichnung darin zum Vorschein kommen ließ. Er hielt sie drohend gespreizt und grollte bösartig, während er seinen grauen Kontrahenten umkreiste. Der graue Drache auf dem Fels fletschte indessen die Zähne, dann schnappte er nach ihm, ohne ihn aber zu erwischen, und ihr beider Geschrei hallte über die Ebene.
»Ach, Leute«, seufzte Hank nur beiläufig, als ob sich zwei Katzen unter dem Fenster stritten, und schüttelte den Kopf. Im nächsten Moment kam ein dritter Drache aus dem Wald dahinter: Ein großes, schlankes Biest von völlig weißer Farbe, das wie einem Märchenbuch entsprungen wirkte. Er schritt zwischen den Bäumen hervor wie ein riesiger Schwan auf vier Beinen. Der lange Hals schnellte vor, und dann hatte sich sein Maul im Schädel des feuerfarbenen Drachen verbissen.
Ein lautes, fast metallisches Kreischen ertönte. Der Angegriffene riss sich los und flog eilig dahin zurück, wo er hergekommen war. Ada sah ihm nach, als er irgendwo im Wald jenseits der Blockhütten niederging und die Bäume dabei zum Erzittern brachte.
Der weiße Drache erhob sich nach einem Augenblick anmutig in die Lüfte und schwebte direkt auf die Besuchergruppe zu. Ada konnte Erisʼ Vater merklich beunruhigt sagen hören: »Oh mein Gott, kommt der hier her?«
»Es gibt keinen Grund zur Sorge«, sagte Hank gelassen.
Der Drache hielt deutlichen Abstand zu ihnen, setzte erst mit den Hinterbeinen auf und ließ sich dann auf die Vorderläufe fallen, um die riesigen Schwingen auf dem Rücken einzufalten. Es war ein erhebender Anblick, und Adas Herz flatterte vor Furcht, aber auch vor der Schönheit dieses Wesens.
»Du hast wie immer alles im Griff, Kess«, sagte Hank und trat näher an ihn heran. Vor ihren Augen verwandelte sich der große weiße Drache. Es war ein ausgesprochen merkwürdiger Vorgang, der nicht von dieser Welt zu stammen schien: Das Gewebe baute sich um, bildete sich an immer mehr Stellen zurück, schien dabei zu brodeln und immer wieder kurze Blicke auf das Innenleben zu gewähren, bis es plötzlich und unverhofft die Form einer Frau übrigließ. Noch bevor die Verwandlung komplett war, trat sie an die Hinterseite des Hauses, öffnete dort ein Fach und warf sich ein weites Gewand über. Die Frau war jung, vielleicht Ende zwanzig, mit langem blonden Haar, und großgewachsen.
»So ein Rüpel, ausgerechnet dann, wenn wir Neuankömmlinge empfangen.« Sie trat zu der Gruppe hinüber, die nervös vor ihr zurückwich. »Nun müssen Sie von uns denken, dass wir völlig unzivilisiert sind. Erlauben Sie mir meine Vorstellung: Kessoka Milner. Ich bin der Alpha für die meisten Drachen hier. Wer sich nicht an die Regeln hält oder mich herausfordert, kriegt eine Abreibung.« Sie deutete eine Verbeugung an.
Ada starrte sie voller Faszination an. Niemand, der Kessoka auf der Straße begegnet wäre, hätte auch nur vermutet, dass sie ein Drache war.
Keiner sagte etwas, und so sprach Kessoka weiter, den Blick auf Ada und Eris gerichtet: »Das sind also unsere beiden Küken. Haben sie auch Namen?«
»Ich bin Ada, Ada Grayson«, stellte sich Ada vor.
Eris schluckte, dann sagte er kleinlaut: »Eris Tyrrell«.
»Also, Ada Grayson und Eris Tyrrell, ich heiße euch herzlich willkommen in unserem Reservat. Hank tut alles dafür, dass es uns gut geht, seid unbesorgt. Wenn ihr Probleme habt, könnt ihr immer zu uns kommen. Und nun überlasse ich euch wieder euch selbst – keine Sorge, es wird keine weiteren Unterbrechungen geben.« Sie wandte sich ab und ging wieder in Richtung des Feldes, wo sie mehr Platz hatte. Dort legte sie ihre Kleidung ab, und die Verwandlung begann aufs Neue, nur diesmal in die andere Richtung, was beinahe noch verstörender aussah: Auswüchse bildeten sich überall am Körper, die erst wie bösartige Gewebewucherungen aussahen, ehe sie die zusätzlichen Körperteile eines Drachen ausgeformt hatten, der sich grummelnd in die Lüfte erhob und über den Wald davonzog, bis er schließlich außer Sichtweite war.
»Ich muss mich für den Vorfall entschuldigen. Manche Drachen bleiben… rabiat in ihrem Umgang miteinander«, sagte Hank verschämt. »Kommt, wir haben noch einiges anzusehen. Und keine Sorge, Raleigh lässt sich heute nicht mehr blicken. Er ist aber ein ganz netter Kerl, aber impulsiv und noch nicht komplett synchronisiert. Der graue trägt den Namen Silas, er ist unser Koch. Apropos, kommen wir erneut zur wichtigsten und zweitwichtigsten Sache.«
Sie folgten ihm ausgesprochen zögerlich zur Besichtigung des großen Speisesaals direkt hinter den Hütten und der ersten Schlafstätte, die sich direkt daneben hoch oben in einer Gruppe Bäume befand. Es war eine Plattform, achteckig und überdacht, ohne umgebendes Geländer. Stattdessen hingen Planen wie von Zelten an den Seiten herunter, wohl, um das Innere vor Regen zu schützen. Ada dachte unweigerlich, wie schön es sei musste, so weit oben zu schlafen; das Dach war in der Mitte durch Glas ersetzt, sodass man den Sternenhimmel sehen konnte, genau wie in ihrer Unterkunft. Sie fragte sich allerdings, wie sie ohne Flügel hinaufkommen sollte, ehe sie die Strickleiter sah.
»Da oben schlafen manche?«, wagte sich Erisʼ Mutter vor.
»Drachen bevorzugen erhöhte Schlafplätze, das ist ihre Natur. Manchmal wollen sie auch miteinander kämpfen. Aber es geht stets glimpflich aus: Die Verwandlung heilt sehr viele Wunden.«
»Wie ist das denn möglich?«, fragte Ada. »Jede Verletzung verschwindet, einfach nur, weil man sich verwandelt?«
»Du musst verstehen, was die Verwandlung ist. Früher dachte man, sie sei schwarzmagischer Natur. Das ist natürlich Unsinn. Drachen verwandeln sich auf dieselbe Weise, auf die sie wachsen – nur sehr viel schneller. Wundheilung ist letztendlich ein Wachstumsvorgang: Kaputte Zellen werden durch gesunde ersetzt, verletztes Material resorbiert und neues tritt an seine Stelle. Das geht natürlich nur, wenn die Verletzungen nicht zu groß sind. In so einem Fall ist die Rückwandlung zum Teil gar nicht mehr möglich, weil der andere Körper die Wunden nicht kompensieren könnte und seine Funktion einstellen würde.«
»Könnte man sich das denn nicht zunutzemachen?«, fragte John da plötzlich. »In der Medizin, meine ich?«
»Man versucht es durchaus, aber bislang nur mit mäßigem Erfolg. In einigen Ländern herrscht noch immer der unsinnige Glaube vor, das Herz eines Drachen könnte, wenn man es verspeist, die Regenerationsfähigkeit auf Menschen übertragen. Diese liegt jedoch nicht in irgendeinem Organ begründet, sondern im Erbgut. Die Heilfähigkeit von Drachen ist Gegenstand intensiver Forschung. Sie sind zweifellos faszinierende Objekte.«
Ada gefiel es nicht, als Objekt betrachtet zu werden, doch dann fiel ihr ein, dass sie ja gar nicht gemeint war. Sie war kein Wandler. Ein seltsam schmerzhafter Stich durchfuhr sie bei der Erkenntnis.
Sie alle schraken heftig zusammen, als sich aus dem umliegenden Wald plötzlich der Kopf des feuerfarbenen Drache schob und sie böswillig anknurrte – Kessoka war nirgends zu sehen, um dazwischenzugehen.
»Du brauchst dich gar nicht bei mir einzuschleimen, du Streithahn«, sagte Hank mit gespielter Strenge, als der Drache den Kopf senkte und ihn so fest mit der Schnauze anstieß, dass er beinahe gestolpert wäre. Sein Schädel allein war so groß wie Hank, und über seinen Augen saßen zwei gebogene, ausladende Hörner. Alle anderen waren sofort mehrere Meter vor ihm zurückgewichen, doch Hank streichelte die gewaltigen Kiefer mit den messerartigen Zähnen. Ada erkannte mit Bewunderung, dass das Gesicht des Drachen wie ein Mosaik aus Edelsteinen aussah: Lauter kleine, einzelne Schuppen in leuchtenden Farben. Sie bemerkte die tiefroten Wunden an seiner Schnauze erst einen Moment später – sie unterschieden sich kaum von seiner natürlichen Farbgebung.
Der Drache zog den Kopf wieder zurück und ging in den Wald davon, wo er sich unter einigen überhängenden Ästen zusammenrollte. Erisʼ Eltern atmeten hörbar auf.
»Er ist ein guter Drache, wirklich«, erwiderte Hank, als sie davongingen, und diesmal wurde ihm eiliger gefolgt. »Er kam vergleichsweise spät zu uns, ein ehemaliger Soldat, der… aufgefallen ist. Ein armer Bursche, der eine gute Karriere vor sich gehabt hätte. Es belastet ihn, dass er für den Rest seines Lebens in einem Reservat festsitzen wird. Für Geschöpfe wie ihn will ich eine bessere Gesellschaft, die ihre Vorurteile gegenüber Drachen ablegt.«
Sie kamen als nächstes an eine Felswand, die einen langen, waagerechten Spalt aufwies. »Hier seht ihr eine weitere Schlafstätte, die insbesondere von jungen Drachen genutzt wird, welche Höhlen mögen. Gleich dort drüben steht unsere Schule für die Neuankömmlinge. Sie ist nicht groß, enthält aber allerhand Lehrmaterial für euer Selbststudium. Drachen sind ausgesprochen lernbegierig, aber nur bei Themen, die sie interessieren und nur dann, wenn sie nicht unter Druck gesetzt werden. Allerdings gibt es auch regulären Unterricht. Montag habt ihr eure erste Stunde, ich lasse euch bis dahin einen Plan zukommen.«
»Ist der Lehrer auch ein Drache?«, fragte Eris unbedarft.
»Wir alle unterrichten euch mehr oder weniger.«
»Was könnte ihnen dieser rote Drache beibringen?«, fragte Claire fassungslos.
»Raleigh macht mit den Wandlern Flug- und Jagdübungen, das ist sehr wichtig für die Auslastung ihrer Triebe. Sie lernen außerdem, sich selbst zu versorgen und der Gemeinschaft zu helfen, indem sie das Feld bepflanzen. Es gibt noch eine Plantage mit Obstbäumen weiter hinten. Unser Gebiet ist sehr groß, wir haben eigene Jagdgründe mit einer Vielzahl an Tieren.«
»Der Jugendliche, den ich auf dem Feld gesehen habe… ist er auch ein Drache?«, fragte Eris. Er hatte offenbar Mut geschöpft, nachdem seine erste Frage beantwortet wurde.
»Sein Name ist Ilon Thompson, aber er hat noch keine Gestalt angenommen. Heute morgen hatte er Pflanzenkultur, so nennen wir das Unterrichtsfach. Darin zeigen wir den jungen Drachen, was es für Ackerpflanzen gibt und wie man sie kultiviert. Der Drache, der ihn unterrichtet hat, heißt Kirk Harlows. Er übernimmt auch die Waldbotanik, ein weiteres Fach, damit ihr wisst, was im Wald essbar ist und was gefährlich. Wir nehmen die Ausbildung unserer Schützlinge sehr ernst. Sie lernen mehr über die Welt als in einer herkömmlichen Schule, aber auch die bekannten Fächer kommen nicht zu kurz, keine Sorge. Für heute steht erst einmal das Wochenende an: Ihr beide dürftet genug damit zu tun haben, euer neues Zuhause zu erkunden.«
Er führte sie weiter, näher zu dem Felsen. Diese Schlafstätte gefiel Ada beinahe noch besser als die vorangegangene, erinnerte sie an ihre Grotte: Der obere Fels wirkte, als habe man ihn woanders abgehoben und auf den unteren gesetzt. Die Spalte wurde von herabhängenden Pflanzen verdeckt, und man konnte sie durch in den Fels getriebene Trittstufen ohne Probleme auch zu Fuß erreichen, denn der Spalt lag nur etwa drei Meter über ihren Köpfen. »Ist ja cool«, sagte sie.
»Warte, bis du unseren See siehst«, äußerte Hank, und tatsächlich war der See das Highlight des Tages, zu dem sie als letztes aufbrachen: Glasklar, von Bäumen umrahmt und mit flachen Liegefelsen am Ufer, von dem aus man die Obstbäume in versetzten Reihen sehen konnte. Ada wäre am Liebsten hineingesprungen, aber noch war es dafür etwas zu kalt.
»Ich fürchte ich kann nicht schwimmen«, sagte Eris unbehaglich.
»Jeder Drache kann schwimmen, manche wissen es nur nicht«, erwiderte Hank. »Du wärst vermutlich überrascht, wenn ich dir sage, dass du auch fliegen kannst. Aber natürlich wirst du erst noch ein paar Flugstunden brauchen, bis du dich sicher in großen Höhen halten kannst.«
»Sie werden ihn doch nicht so hoch fliegen lassen?«, warf seine Mutter aufgeregt dazwischen.
»Es gibt keinen Grund es nicht zu tun. Wenn Drachen nicht fliegen sollten, hätten sie keine Flügel. Wir gehen es natürlich langsam an.«
Das beruhigte sie offensichtlich kaum. »Und wenn sie hier erkunden gehen, dann doch hoffentlich immer mit jemandem zusammen, nicht wahr?«
»Auch dafür gibt es keinen Grund. Hier sind sie keinen Gefahren ausgesetzt, das Reservat ist ein sicherer Ort.« Er wandte sich an Ada und Eris. »Es ist völlig in Ordnung, wenn ihr jetzt erst einmal unter euch bleiben wollt. Nutzt die Zeit und lernt alles kennen, in eurem Tempo. Seit um zwölf Uhr wieder hier, dann gibt es Mittagessen. Und keine Sorge, eure Eltern bleiben das Wochenende über, nicht wahr?«
»Solange, wie es uns möglich ist«, versicherte Eris’ Mutter.
Ada brannte tatsächlich darauf, sich auf eigene Faust umzusehen, aber Eris zögerte und blickte hilfesuchend zu seinen Eltern. Seine Mutter umarmte ihn, und sein Vater nahm sie und Eris in den Arm, woraufhin Adas Mutter mit ihr das gleiche tat.
»Ich bleibe auch übers Wochenende. Sei vorsichtig. Ich warte hier auf dich.«
Hank lächelte. »Ich bin mir sicher, eure Eltern haben auch einige Fragen an mich. Ich stehe Ihnen zur Verfügung. Gehen wir zurück in mein Büro.«
Eris konnte sich nicht anders behelfen, als seinen Eltern kurz nachzusehen, als sie Hank zurückbegleiteten. Am Liebsten wäre er ihnen nachgelaufen, doch das war wohl so ein Moment, wo von Jugendlichen erwartet wurde, dass sie fern blieben, während die Erwachsenen allein sprachen. Aber war er überhaupt noch ein Jugendlicher, jetzt, wo er allein lebte? In seinem eigenen Haus? Das ging schneller als ich dachte, überlegte er in einem Anflug von Galgenhumor. Doch er konnte den übelkeiterregenden Knoten in seinem Magen nicht auflösen. Das hier war schlimmer als der erste Tag an seiner neuen Schule. Er wollte nur noch Nachhause, um dann mit Grauen an den nächsten Tag zu denken, wenn er wieder dort hin musste.
Mit dem Unterschied, dass er nie wieder Nachhause gehen würde.
Eris schluckte gegen die Übelkeit an. War er sich wirklich sicher, nicht gerade einfach nur einen ganz furchtbaren, sehr realen Albtraum zu haben? Er hatte sich nicht einmal richtig verabschieden können von seinem Zimmer! Wer wusste, ob er an alles gedacht hatte, was er hier brauchte? Und wenn er nicht zurechtkam… Ich hätte mich nie bei der Behörde melden sollen, dann wäre das alles nicht passiert! Es ist alles meine Schuld… was habe ich mir nur dabei gedacht? Dad hat immer gesagt, dass ich noch keine eigenen Entscheidungen treffen kann…
»Hast du Lust, dich zusammen mit mir umzusehen?«, fragte Ada gut gelaunt.
Eris sah überrumpelt auf; er hatte sie doch tatsächlich für einen Moment völlig vergessen. Jetzt fürchtete er, vor ihr knallrot anzulaufen. »Oh, äh… doch, natürlich.« Er hoffte, dass es nichts allzu Dummes war, was er gesagt hatte. Sie begannen, am Ufer des Sees entlang zu laufen.
»Du wirkst nicht so, als ob du glücklich wärst«, bemerkte Ada.
Meinte sie das gerade wirklich ernst? Sie waren dabei, ihr bisheriges Leben zu verlieren! Wie konnte sie da unbesorgt sein? »Ich… schätze, ich muss mich erst noch daran gewöhnen, dass jetzt hier mein Zuhause ist«, sagte er ausweichend. »Dir scheint es ja ganz gut zu gefallen. Wolltest du hier her?«, wagte er sich vor.
»Nein. Eigentlich bin ich sogar weggelaufen, als ich erfahren habe, dass sie mich ins Reservat bringen wollen. Aber hier… ist es einfach so schön! Die pure Natur! Ich war schon immer lieber draußen. Stundenlang. Und hier fühle ich mich irgendwie… frei. Ich glaube, ich habe einfach meine Kleinstadt gehasst, gleichzeitig aber hatte ich Angst vor Veränderungen. Ja, das ist es wohl. Ich habe die Schule gehasst, unser Haus… sogar meine Mutter.«
Das erschütterte Eris. Wie konnte man nur seine Mutter hassen? Er hörte das so oft von anderen, ihm selbst war es aber völlig unbegreiflich.
»Ich hasse sie jetzt nicht mehr«, erklärte sie rasch. »Es ist nur… wir sind oft aneinandergeraten. Letzte Nacht war das erste Mal seit Langem, dass ich mich ihr wieder nah gefühlt habe. Ich habe erfahren, wer mein Vater ist, und dass ich einen Onkel habe. Es ist, als ob sich endlich etwas in meinem Leben ändert, das, worauf ich so lange gewartet habe.« Sie atmete tief ein und sprang auf einen der flachen Felsen, die den See umgaben. Adas langes braunes Haar wehte im lauen Wind, und als sie so über die Wasseroberfläche blickte, wirkte sie fast selbst wie ein Drache, ohne sich verwandelt zu haben.
Eris schluckte. »Ada… bist du auch ein Drache?«
Sie drehte sich zu ihm um, plötzlich gar nicht mehr so beseelt wirkend. »Ich weiß es nicht, ich hab mich noch nie verwandelt. Ich… hab nur einen Jungen aus meiner Klasse angegriffen, als ich Hunger hatte, und ich habe so ein paar Eigenarten, das Übliche eben. Aber mein Vater war ein Wandler.«
Eris schlug die Augen nieder. Das war es also. Sie war gar kein Drache, ihr Aufenthalt hier würde also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit enden. Natürlich sah sie das jetzt als großes Abenteuer, so wie er, bevor er erfahren hatte, dass es für ihn kein Zurück geben würde.
Sie bemerkte sein betretenes Schweigen. »Aber du bist ein Drache«, sagte sie beinahe ehrfürchtig. »Ich habe dich gesehen.«
»Hank sagt, ich hätte mich verwandelt. Eigentlich hatte ich vor, nur eine Zeitlang hierzubleiben. Ich wollte freiwillig herkommen, weil… weil… ach, ich weiß auch nicht.« Sein wahrer Grund, dass er in eine Gesellschaft Ausgestoßener vielleicht besser hineinpassen würde als in seine Klasse, kam ihm plötzlich so unfassbar dämlich vor. »Ich kann mich an nichts von alldem erinnern, was letzte Nacht passiert ist. Ich weiß nur, dass ich hier aufgewacht bin.« Und ich habe mich auch zum ersten Mal wieder meinen Eltern nah gefühlt. Er schüttelte den Kopf. »Ich kann noch gar nicht glauben, was mir hier gerade passiert.«
»Ich auch nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass es gut ist. Und wir sind ja immerhin zu zweit. Wir schaffen das, egal, was uns erwartet.« Sie klang sehr optimistisch, und das brachte ihn tatsächlich zum Lächeln, auch wenn es ein unglückliches Lächeln war. Aber er fand den Mut sich umzusehen und zu ihr auf den Felsen zu klettern. Das Wasser zu seinen Füßen war glasklar, und die Bäume, die sie umgaben, schufen eine unglaublich schöne Umgebung, wie aus einem Wandermagazin.
»Wie alt bist du eigentlich?«, fragte Ada.
»Fünfzehn«, sagte Eris.
»Ich ebenfalls.« Ada lächelte. Eris wurde seltsam warm dabei. Er hatte noch nie etwas mit einem Mädchen gehabt, anders als die anderen Jungen in seiner Klasse. Er schüttelte insgeheim den Kopf. Warum dachte er gerade jetzt daran? Kein Mädchen hatte sich je für ihn interessiert. Und Jungen in seinem Alter mussten doch eine Freundin haben. Zumindest hörte er das immer von anderen, vorallem von seinem Vater. Aber sein Vater würde bald nicht mehr da sein, um ihm Vorhaltungen zu machen, und seine Klassenkameraden auch nicht. Würden die Reservatsbewohner dasselbe sagen, oder interessierten solche Dinge hier keinen? Hatten Drachen überhaupt Partner?
Ada zog ihre Schuhe aus und setzte die Füße vorsichtig ins Wasser. »Oh, das ist aber kalt…«
»Ich weiß nicht, ob wir das tun sollten… vielleicht ist es verboten«, meinte Eris.
»Dann sollten sie hier Schilder aufstellen.« Sie machte ein paar Schritte hinein. »Du solltest es auch mal versuchen. Ich wette, im Sommer ist der See gut besucht.« Sie erstarrte, als plötzlich am gegenüberliegenden Ufer der weiße Drache aus dem Wald auftauchte. »Da ist Kessoka«, flüsterte sie.
»Ich frage mich, ob sie einen Mann hat«, dachte Eris laut und war selbst verwundert darüber, wie in seinem Kopf eines unweigerlich zum anderen führte. Als Ada ihm einen fragenden Blick zuwarf, wich er ihr beschämt aus. »Ich mein ja nur.« Das kam lässiger, als er gedacht hatte. Mit Ada zu sprechen war gar nicht so schwer wie mit anderen Mädchen. Oder überhaupt anderen in seinem Alter.
Kessoka steckte ihre Schnauze ins Wasser und trank wie ein Vogel, indem sie den Kopf in den Nacken warf.
»Sie ist wunderschön«, sagte Ada fasziniert. »Die Drachen hier sind gar nicht so wie in den Geschichtsbüchern oder Kinofilmen. Zumindest Kessoka. Bei dem Roten bin ich mir nicht so sicher, auch wenn Hank ihn gestreichelt hat. Ich will ihm lieber nicht allein begegnen.«
Ein weiterer Drache näherte sich über den Baumwipfeln und landete neben ihr am Ufer. Er war ähnlich schlank und langgestreckt wie Kessoka, aber deutlich kleiner und von einem glitzernden Wasserblau. Wie sie steckte er seinen Kopf ins Wasser und trank, ehe er sich tatsächlich hineingleiten ließ und seinen Schwanz herumschlug, wobei er Kessoka vollspritzte. Der weiße Drache schnaubte, dann sprang er hinterher, was eine Welle erzeugte, die über Adas Füße schwappte. Die beiden Drachen lieferten sich daraufhin einen Kampf im Wasser.
Ein dritter Drache flog über ihre Köpfe hinweg und riss sie mit dem Wind, den seine Schwingen erzeugten, beinahe von den Füßen. Es war der große schwarze mit der rostroten Kehle, den Eris heute Morgen auf dem Feld gesehen hatte. Er landete mitten auf der Wasserfläche und überspülte die anderen beiden, als er hineinsank. Sie schnappten nach ihm, aber ohne ihn aber zu erwischen. Vielleicht war das noch immer Teil eines Spiels, aber Eris war sich nicht so sicher – und plötzlich fühlte er sich fehl am Platze. »Ich glaube wir sollten gehen… erkunden wir lieber etwas anderes«, sagte er, und zu seiner Verwunderung stimmte Ada ohne zu zögern zu.
»Die Kinder sind hier völlig sicher. Vertrauen Sie mir. All die Drachen dort draußen waren selbst einmal Jugendliche, die auf demselben Weg zu mir gebracht wurden wie Ihre. Und sie haben sich hier prächtig entwickelt.«
Hank wusste um die Ängste derer, die seine Hilfe suchten, und wollte ihnen die Zuversicht geben, die sie brauchten – aber die Bürde des Abschieds konnte er niemandem abnehmen, genauso wenig das Leben danach. Es würde sich grundlegend ändern, Zweifel würden aufkommen, auf beiden Seiten. Es war wichtig, jetzt darüber zu sprechen, wo die ersten Eindrücke noch frisch waren. »Haben Sie bereits Fragen, Anmerkungen, Probleme, die Sie mit mir besprechen wollen? Oder andere Dinge, für die es Redebedarf gibt?«
Claire sah noch immer nicht überzeugt von der ganzen Sache aus. »Diese Drachen, die wir gesehen haben…«
»Drachen beschützen Kinder und Jugendliche, das ist einer ihrer ureigensten Instinkte«, kam er ihrer Frage zuvor. »Sie sind im Umgang miteinander aber tatsächlich rabiater als Menschen. Sie zeigen ein verändertes Sozialverhalten, das man erst studieren muss, um es richtig einschätzen und darauf reagieren zu können. Sie sprechen auch miteinander, nur nicht so, dass wir es verstehen. Ihre Bedürfnisse sind von unseren mitunter stark abweichend und erscheinen uns fremdartig, deshalb kommt man in der Erziehung dieser Kinder schnell an seine Grenzen. Drachen werden mitunter aggressiv, wenn ihre Triebe nicht ausgelebt werden. Stellen Sie sich vor, man würde Sie ständig davon abhalten zu schlafen – irgendwann würden Sie auch durchdrehen und mit Gewalt durchsetzen, was Sie dringend brauchen. Wir bieten den Drachen hier alles, was sie benötigen. Ihre Kinder werden gedeihen, das versichere ich Ihnen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Eris hatte nie echte Freunde, weder in der Schule noch außerhalb. Es… fällt ihm sehr schwer, sich in eine bestehende Gruppe einzufügen. Er wird zwischen den anderen untergehen, fürchte ich, oder von ihnen drangsaliert werden. Und hier ist das mehr als nur eine Schulhofrauferei.«
»Laut der gängigen Entwicklungstheorie sind Drachen deshalb gegenüber Kindern sozial, weil sie in früheren Zeiten angewiesen waren auf neues Blut in ihren Linien, weshalb sie neuen Mitgliedern des Schwarms sehr offen gegenübertreten und deren optimale Versorgung sicherstellen. Das Bild des Einzelgängers, das von ihnen vorherrscht, ist falsch, den schauerlichen Einzelfällen geschuldet, in denen kranke Individuen einem Wutrausch verfallen sind. Eris ist selbst ein Drache und wird sich problemlos einfinden, daran habe ich überhaupt keinen Zweifel. Sie haben gesehen, wie sanft Raleigh mir gegenüber war, und er ist einer der aggressiveren Sorte. Die anderen sind deutlich ruhiger. Er ist ja auch nicht der einzige Neuling.« Sein Blick wanderte zu Hannah, die bislang keinerlei Sorgen angebracht und es auch jetzt nicht tat, dann zur Uhr an der gegenüberliegenden Wand. »Ich schätze, es ist Zeit zum Essen. Kommen Sie. Sie sollen unsere Drachen einmal in ihrer anderen Gestalt sehen. Ich hoffe, Sie mögen Fleischgerichte.«
Der Speisesaal war gut besucht. Mehrere lange dunkle Tische aus dem Holz der das Reservat dominierenden Bäume reihten sich im Innern aneinander. Hank führte sie zur Essensausgabe, eine Tafel an der Wand zeigte in Kreide geschrieben die heutigen Gerichte an: Einen fleischhaltigen Eintopf mit Kartoffeln und Paprika, Steak mit Kartoffeln und dunkler Sauce sowie Sandwiches. Ein typisches Tagesmenü.
»Vegetarier haben hier wohl tatsächlich schlechte Karten«, seufzte Hannah, und Hank zog eine Augenbraue hoch.
»Bist du etwa einer?«
»Nein, aber ich glaube, ich hätte doch lieber nur ein Sandwich. Das mit dem wenigsten Fleisch drauf.«
»Silas, Zeit für dich, einen guten Eindruck vor unseren Gästen zu machen.« Dieser Satz war an den Mann hinter der Ausgabe gerichtet, der daraufhin gespielt salutierte. »Kommt sofort, das beste Sandwich, das Sie je in einem Reservat essen werden.« Er war nicht dick genug, um wirklich so bezeichnet werden zu können, eher leicht beleibt, und trug eine dunkle Kochschürze. »Silas ist der geborene Koch. Sie erinnern sich, er ist der graue Drache, den Sie auf dem Felsen gesehen haben, und von sehr ruhigem Naturell. Seine Talente liegen eindeutig in der Küche.«
Wenig später präsentierte er Hannah stolz ein dick mit Käse, Tomaten, Gurken und einer rötlichen Sauce belegtes Sandwich, das angerichtet war mit Kartoffelbrei. »Ich hoffe, es ist nach Ihrem Geschmack«, und Hannah war tatsächlich überrascht, wie lecker es aussah.
»Vielen Dank, ich wollte gar keine Umstände machen...«
»Unsinn, eine Küche ist dafür da, die Gäste zufriedenzustellen. Was möchten Sie denn?«, wandte er sich an Claire und John, die beide kleinlaut den Eintopf bestellten, während Hank ein Steak bekam.
Sie setzten sich ganz ans Ende eines freien Tisches, dessen anderes Ende wenig später von zwei Bewohnern in Beschlag genommen wurde: Einem jungen, breit gebauten Mann mit kurzen braunen Haaren und Dreitagebart sowie einer ebenso jungen, chinesisch angehauchte Frau, deren dunkles Haar fast bis auf den Stuhl fiel. Sie beide trugen einen dieser Ponchos, die überall an den Häusern verteilt in Fächern hingen, und das passte gar nicht zu ihrem restlichen Erscheinungsbild.
»Das sind Raleigh und Alessia. Raleigh ist der feuerrote Drache, der uns heute morgen so rüde unterbrochen hat. Wie Sie sehen, hat er keinen Kratzer mehr«, erklärte Hank, während sie aßen. »Alessia haben Sie noch nicht kennengelernt. Sie ist ein glänzend wasserblauer Drache, der neben den westlichen auch asiatische Gene abbekommen hat. Das macht sie besonders interessant.«
Claire beäugte die beiden misstrauisch, als fürchte sie, sie könnten jeden Moment zu Drachen werden und über sie herfallen. Die beiden wiederum warfen ihnen nichtmal Seitenblicke zu, sondern unterhielten sich miteinander, während sie beide ein Steak aßen.
Nach und nach fanden sich noch weitere Bewohner ein, und die Gespräche wurden lauter. Claire und John behielten die Tür im Auge, doch Eris tauchte nicht auf.
»Vielleicht hat er die Zeit vergessen«, äußerte Claire besorgt an ihren Mann gerichtet. »Was, wenn er kein Mittagessen bekommt?«
»Silas hat noch niemanden weggeschickt«, erwiderte Hank leichthin. »Es bleiben immer ein paar Sandwiches übrig, nur keine Sorge. Für Ihren Sohn ist das alles hier neu und aufregend, vermutlich hat er noch gar keinen Hunger und die Zeit vergessen. Und sein Kühlschrank ist ja auch gut gefüllt.«
Irgendwann kam er dann tatsächlich herein, zusammen mit Ada, aber er sah aus, als wäre er am Liebsten gleich wieder rückwärts hinausgetreten. Vermutlich machte ihn die Anwesenheit der vielen fremden Leute nervös, doch niemand beachtete die beiden.
Claire wollte gerade auf sich aufmerksam machen, doch Hank hielt sie zurück. »Lassen Sie ihn. Er soll sich nicht beobachtet fühlen. Mal sehen, wie er sich verhält.«
Ada ging unbeirrt voraus und kam mit einem Steak zum letzten Tisch in der Reihe. Es gab sehr viel mehr Platz als Bewohner im Speiseraum, und das war gut so, wie Hank erklärte: »Einige Drachen bevorzugen Freiraum um sich herum, wenn sie essen, und werden nervös, wenn sie von vermeintlichen Futterneidern umgeben sind. Ein Instinkt, den manche auch in Menschengestalt nur schwer ablegen können.«
Eris nahm ein Sandwich und folgte Ada eilig hinterher. Seine Eltern hatte er nicht einmal bemerkt. Hank sah Claire und sogar John schlucken, Hannah dagegen widmete sich unbeirrt wieder ihrem eigenen Essen. Für sie war Adas unabhängiges Verhalten wohl nicht neu.
»Er scheint sich bereits mit diesem Mädchen angefreundet zu haben«, erwiderte Claire, aber es klang eher bedrückt als erfreut. »Das wundert mich. Sonst schafft er es nie, auf jemanden zuzugehen.«
»Junge Drachen binden sich rasch an Ihresgleichen. Nach und nach werden die beiden auch ihren Alpha im Schwarm finden. Drachen leben in einer strengen Hierarchie: Einer, den wir vereinfacht den Alpha nennen, ist der Oberste des Schwarms, eine Art Vertrauensperson, deren Hilfe und Schutz die anderen suchen und in dessen Nähe sie sich sicher fühlen. Er steht über ihren Instinkten und sorgt für das Wohlergehen aller. Für die meisten hier ist das Kess, aber nicht für alle. In diesem Schwarm gibt es zwei, was hin und wieder vorkommen kann.«
»Wer ist denn der Zweite? Lernen wir ihn oder sie noch kennen?«, fragte John nervös.
Die Antwort schockierte ihn und seine Frau sichtlich: »Sie kennen ihn bereits – ich bin es. Man muss Drachen gut verstehen und die richtigen Signale senden, um so eine Position als Nichtwandler zu erlangen.« Er hielt sich nicht mit langen Erklärungen auf. Vermutlich würden sie gar nicht begreifen, wovon er sprach. Ein vergleichbares Bonding wie zwischen Drache und Alpha gab es in der Sozialstruktur von Menschen nicht. Er merkte immer wieder, dass er kein Ersatz für einen echten Drachen-Alpha war, auch wenn er sein Bestes gab, die Defizite auszugleichen. So viel Wissen er auch über ihre Anatomie, Physiologie, Psychologie und ihr Sozialverhalten besaß, es befähigte ihn nicht, sich mit ihnen in die Lüfte zu erheben.
Eris und Ada gingen wenig später wieder nach draußen, noch immer ohne ihre Eltern bemerkt zu haben, und auch diese hatten ihr Mahl beendet. Als sie hinaustraten sahen sie Ada gerade auf der Schlafplattform in den Bäumen verschwinden, und Claire schlug entsetzt die Hand vor den Mund. »Meine Güte, wenn sie da oben runterfallen!«
»Das werden sie nicht, innen gibt es Sicherungsriemen«, erklärte Hank. »Lassen wir ihnen ein wenig von ihrer Mittagsruhe. Drachen lieben es, nach dem Essen zu schlafen. Wir sollten uns derweil um ein bisschen Zettelkrieg kümmern.«
»Ich glaube, mir hat ein Sandwich noch nie so gut geschmeckt wie dieses, und eigentlich hatte ich gar keinen Hunger. Das ist immer so, wenn ich irgendwo neu bin. Dann wird mir so elend schlecht und ich kann es gar nicht erwarten, wieder Nachhause zu kommen. Und wenn ich Zuhause bin graut es mich schon wieder davor, dorthin zurück zu müssen. Aber hier… ist es irgendwie gar nicht so.«
Er lag bequem auf dem Rücken; der Untergrund in diesem Baumhaus war genauso federnd wie der Schlafbereich in seiner Unterkunft. Er sank wunderbar darin ein, während er den Blick zur verglasten Decke gerichtet hielt und die bauschigen weißen Wolken über ihnen hinwegziehen sah. Er fragte sich, ob er vielleicht in eine Starre verfallen war, die sich nach und nach lösen würde, bis sich sein stetiges Unwohlsein Bahn brach. Der Gedanke beunruhigte ihn. Er durfte hier auf keinen Fall die Nerven verlieren.
Aber Ada war bei ihm, und irgendwie gab ihm das die Gewissheit, dass dieses Mal alles gut werden würde. Vielleicht war sie der Grund, warum er sich so unerwartet wohl fühlte. Da war eine Verbundenheit zwischen ihnen, obwohl sie sich gerade erst kennengelernt hatten.
»Weil es hier schön ist, anders als in der Menschenwelt«, sagte sie. »Andere machen an Orten wie diesem Urlaub, und wir dürfen hier leben. Aber das Beste ist, dass wir nicht mehr in unsere alten Schulen müssen.«
Das war in der Tat das Beste. Er musste seinen dummen Klassenkameraden nie wieder gegenübertreten. Ob sie sich am Montag fragen würden, wo er war? Ob sie fassungslose Gesichter zogen, wenn sie erfuhren, dass man ihn in ein Reservat gebracht hatte? Ausgerechnet ihn, den unbedeutenden Eris? Würden sie sprachlos darüber sein, dass er ein Drache war? Sich vor ihm fürchten? Es schien plötzlich gar nicht mehr wichtig zu sein, was in der Schule angesagt war. Dass er keine herausragenden Sportleistungen erbrachte, mit denen andere in der Zeitung standen, oder dass er nicht beliebt war. Er war etwas Besonderes, im Gegensatz zu ihnen allen. Aber diese Besonderheit machte ihm auch selbst Angst.
»Ada? Glaubst du, ich werde mich nochmal ungewollt in einen Drachen verwandeln?«, fragte er beklommen.
»Ich weiß nicht. Wie verwandelt man sich denn überhaupt?«, fragte sie.
»Ich… glaube, es passiert einfach. Genau das macht mir ja Angst. Was, wenn es wieder einfach so passiert? Ohne, dass ich es kontrollieren kann? Und was ist, wenn ich dann jemanden verletze?« Wie dich? Er wagte nicht, es auszusprechen.
»Das wird Hank nicht zulassen«, sagte sie vollkommen überzeugt. »Er wird dir ganz bestimmt beibringen, wie du dich kontrollierst. Die anderen schaffen es ja auch. Das im Speisesaal waren alles Drachen – sie hatten diese Ponchos an, den Kessoka bei der Verwandlung übergezogen hat. Keiner hat sich ungewollt verwandelt.«
Sie lächelten einander an, und Eris schöpfte Zuversicht. Er mochte sie und hoffte, dass sie ihn auch mochte. Zumindest ein wenig.
Sein Magen verkrampfte sich plötzlich erneut. Sie würden die hiesige Schule besuchen, und wer wusste, ob es da nicht viel schlimmer war als an seiner alten? Wer wusste, ob Ada nicht neue Freunde fand und ihn einfach irgendwann vergessen würde? So war es damals in seiner Grundschule gewesen. Da hatte er tatsächlich einen Freund gehabt, oder es zumindest geglaubt. Aber Thomas hatte zunehmend lieber mit zwei anderen Jungs gespielt und ihn dafür immer öfter zurückgesetzt. Anfangs war Eris unsicher gewesen, hatte ihm seinen Freiraum gelassen und geglaubt, schon bald miteingebunden zu werden – doch das war nie geschehen. Sie wollten ihn anscheinend nicht dabei haben, auch wenn sie das nicht ausdrücklich sagten. Und Eris war nicht der Typ, sich dazwischen zu drängen und etwas einzufordern. Er hatte sich vorgenommen, immer mal allein mit Thomas zu spielen und ihm dabei besonders entgegenzukommen, um ihn von sich zu überzeugen. Das funktionierte tatsächlich, es schien sogar, als würden sie dadurch wieder enger zusammenrücken, vorallem, als Thomas zum ersten Mal Streit mit den beiden anderen Jungen hatte und daraufhin zu ihm kam, um sich im wahrsten Sinne des Wortes auszuweinen. Eris war glücklich darüber gewesen, auch wenn er sich im Nachhinein dafür schämte. Er wollte nicht, dass sein Freund unglücklich war und sie so mit ihm redeten, vorallem zu zweit, wo er doch allein war. Wenn Eris dabei gewesen wäre, hätte er Partei für Thomas ergriffen, da war er sich trotz seiner Schüchternheit sicher.
Wenig später aber war der Streit scheinbar wieder vergessen, und Eris wurde beim Spielen erneut zu Gunsten der anderen beiden versetzt – bis sie abermals stritten. Das wiederholte sich irgendwann beinahe wöchentlich, und auch, wenn Eris nicht viel Erfahrung mit Freundschaften hatte, glaubte er allmählich, dass da doch irgendwas nicht stimmen konnte. Wenn Thomas sich ständig mit beiden gleichzeitig zerstritt, nur um sich dann wenig später wieder mit ihnen zu vertragen, klang das für ihn einfach nicht richtig. Vorallem aber war er schon bald genervt davon, ständig derjenige zu sein, bei dem Thomas seinen seelischen Ballast ablud, ihn aber ansonsten ignorierte und lieber Zeit mit denen verbrachte, die ständig aufs Neue Streit anfingen. Es eskalierte schließlich bei einer ganz dummen Sache, als sie einen Aufsatz über Freizeit schreiben sollten und Thomas die beiden Jungen als seine Freunde bezeichnete, Eris aber nichtmal erwähnte. Das hatte ihn verletzt, und zum ersten Mal hatte er sich mit Thomas gestritten, der völlig verblüfft darüber war. Anfangs hatte sich Eris geschämt, wegen so einer Kleinigkeit Streit anzufangen. Andererseits, war es denn wirklich eine Kleinigkeit? Thomas behauptete das. Aber Thomas war ja auch derjenige, der ständig mit seinen beiden besten Freunden stritt. Trotzdem hatte Eris daran gedacht, sich zu entschuldigen, einfach nur, damit Ruhe war und er nicht mehr allein. Allerdings hatte Thomas’ Mutter ihren Sohn wenig später völlig unerwartet aus der Schule genommen, weil er auf eine Schule für Begabte wechseln sollte. Aus irgendeinem Grund tat es Eris nicht wirklich Leid, dass sie einander nicht mehr sahen, und das bedeutete doch bestimmt irgendwas. Nur am Rand bekam er mit, dass Thomas ein Jahr später wieder zurück auf seiner alten Schule war und die Klasse wiederholte. Eris hatte ihn dann zwar wieder öfter gesehen, aber ihre Freundschaft, oder was auch immer sie gehabt hatten, war danach deutlich abgekühlt.
Würde ihm das auch hier passieren? Wäre er bald wieder derjenige, der allein herumsaß und den niemand wahrnahm, wenn er nicht gerade wieder etwas Tollpatschiges machte oder die anderen Hilfe brauchten?
Er wurde sogleich aus seinen Gedanken gerissen, als noch jemand die Strickleiter hochkletterte, und starrte wenig später ins erschrockene Gesicht eines anderen Jungen. Es war der vom Acker. »Hallo«, sagte Eris atemlos und setzte sich auf.
Der Junge stand da wie angewurzelt. »Hallo, ich, äh, ich dachte, hier wäre niemand. Ich… geh dann mal wieder.« Er schickte sich an, gleich wieder hinabzuklettern, doch Ada hielt ihn zurück: »Warte! Ilon, oder? Du bist auch neu hier, genau wie wir. Bleib doch bei uns.«
Ilons Blick wandelte sich, wurde plötzlich hart. »Seid ihr beide Drachen?«
»Wir sind im Reservat, also sind wir wohl zumindest blütig«, sagte Ada verwirrt.
»Ich meine, könnt ihr euch verwandeln?« Er wirkte gar nicht so schüchtern, wie Eris erst gedacht hatte. Dort auf dem Feld hatte er so traurig ausgesehen, als ob auch er einen Freund brauchte.
»Ich habe mich verwandelt«, erklärte Eris. »Anscheinend. Letzte Nacht. Aber ich kann mich nicht daran erinnern.«
»Dann will ich mit dir nichts zu tun haben. Ich meide den Kontakt mit Drachen, so weit es mir möglich ist.« Er kletterte rasch wieder hinab und achtete nicht auf Adas verwundertes Rufen. Sie kroch an den Rand der Plattform und sah ihm hinterher.
»Was ist denn mit dem los?«
»Vermutlich mag er keine Drachen. Da ist er nicht der einzige«, sagte Eris, doch seine Worte hatten ihn unerwartet tief getroffen. Er kannte sich aus mit Ablehnung. Allerdings stand Ilon doch auch im Verdacht, ein Drache zu sein. Wie konnte er dann andere dafür abwerten?
»Komischer Typ.« Ada kroch zurück zu ihrer Kuhle und schmiegte sich hinein. Die Oberfläche war angenehm warm und glatt. »Ich glaube, wenn ich noch länger hier liege, schlafe ich ein. Ich lege besser so einen Gurt an.« Diese führten vom Baumstamm in der Mitte nach außen und verhinderten damit das Herausfallen. Sie schlang einen davon um ihren Körper, und Eris tat es ihr gleich. Er hielt gern mittags herum ein Schläfchen, und kaum hatte er die Augen geschlossen, war er in einen angenehmen Dämmerzustand übergetreten, während der Wind in den Bäumen um sie herum rauschte.
Er wachte zusammen mit Ada wieder auf. Die Sonne war ein ganzes Stück weitergewandert, und nun verspürte er tatsächlich wieder Hunger. Er hätte doch mehr essen sollen, als sie im Speisesaal waren.
»Ich hab Hunger«, sagte Ada wie als Echo seiner eigenen Gedanken. »Wie spät ist es?«
»Keine Ahnung.« Er stellte erst jetzt fest, dass er gar nicht wusste, wo sein Handy abgeblieben war. Aber das war jetzt wohl ohnehin egal – hier draußen gab es keinen Empfang, und er wusste, dass Kommunikation mit den Reservaten untersagt war, zumindest für die Zivilbevölkerung, und demzufolge auch keine Anstrengungen unternommen wurden, sie mit Mobilfunk auszustatten. Nur der Vorsteher hatte ein registriertes und ortbares Satellitentelefon, um jederzeit von den Behörden kontaktiert werden zu können. Irgendwie machte ihm der Gedanke plötzlich Angst, so vom Rest der Welt abgeschnitten zu sein. »Ich hab mein Handy nicht da.«
»Richtig, die Handys… hier draußen ohnehin nutzlos. Wenn nicht sogar verboten.« Sie sah ihn an. »Möchtest du mit zu mir kommen? Wir könnten uns was Zuessen machen. Ich hab Zuhause immer für mich selbst gekocht, wenn meine Mutter arbeiten war.«
»Das wäre großartig!« Er war verwundert, wie selbstverständlich er sich an die veränderte Situation anpasste. In der Schule hätte er wohl kein Wort herausbekommen, hätte ihn ein Mädchen auf diese Weise zu sich eingeladen. Aber da hätte ihn auch nie ein Mädchen gefragt.
Er folgte ihr, als sie hinabkletterte – runter ging es schwerer als rauf, dachte Eris beklommen. Wie sollte er fliegen lernen, wenn er schon auf einer Leiter Höhenangst bekam?
Claire und John bereiteten sich ein einfaches Abendessen zu, mit dem sie auf Eris warteten, bis ihre gewöhnliche Abendbrotzeit um eine ganze Stunde überschritten war. Er kam nicht dazu, obwohl er wusste, wann sie aßen. Schließlich nahmen sie sich lustlos vom belegten Brot und dem Gemüse, das in der Küche lagerte.
John brach schließlich die Stille: »Ich fahre nach dem Wochenende nicht ohne unseren Sohn Nachhause.«
Claire sah auf. »Wir können ihn nicht wieder mitnehmen, John.« Sie klang schwach. »Du hast gesehen, zu was er geworden ist. Unser Sohn… ist ein Drache.«
»Das ist mir egal!«, fuhr er auf. »Wir sagen er ist weggelaufen, und dass wir nicht wissen, wo er sich aufhält. Oder wir ziehen nach Kanada, wo uns niemand findet.«
Claire schluckte. »Was, wenn er sich wieder verwandelt? Und außer Kontrolle gerät? Tun wir ihm wirklich einen Gefallen, wenn wir ihn mitnehmen? Oder uns? Oder… anderen?«
»Tun wir ihm denn einen Gefallen, wenn wir ihn hierlassen?«, brauste John auf, nun wirklich wütend. »Sie zeichnen hier ein gutes Bild von sich, so lange wir da sind. Aber sobald wir weg sind haben wir kein Zutrittsrecht mehr, keine direkte Kontaktmöglichkeit. Wir werden ihn nie wiedersehen, und wer weiß, was sie dann mit ihm tun!« Er sprang regelrecht von seinem Platz auf, und Claire schaffte es nicht länger, ihre Tränen zurückzuhalten. »Das lasse ich nicht zu, niemals, Claire, niemals! Da nehme ich lieber unser Kind und flüchte mit ihm ans Ende der Welt.«
Sie sagte nichts. Es gab einfach nichts darauf zu sagen.
Beide erschraken heftig, als sich plötzlich die Tür öffnete. Eris kam herein, ganz offenkundig bestens gelaunt. »Mom, Dad! Ich hab den ganzen Tag mit dem Mädchen verbracht, das mit mir hier ankam, Ada. Es ist so cool hier, ich kann es kaum erwarten, morgen mit ihr zusammen…«
Er kam nicht dazu auszureden, als sein Vater ihn anblaffte: »Du wirst morgen das Haus nicht verlassen! Du bleibst bei uns, wo du hingehörst, und wir bringen dich zurück Nachhause!«
Eris stand da wie vom Donner gerührt. »Dad, was…? Ich kann doch nicht wieder mit euch kommen. Ich muss jetzt hier… ich meine… Es ist doch…« Er brachte die richtigen Worte nicht heraus. Irgendwie war es mit seiner Ankunft im Reservat so, als hätte es einen Bruch mit seinem früheren Leben gegeben. Nun aber fühlte er sich wieder so klein und hilflos wie das Kind, das er einmal war. An diesem Tag fühlte er sich so gut wie selten zuvor in seinem Leben. Und nun dieser Rückschritt. Das war nicht fair von seinem Vater!
»Eris, bist du denn wirklich so naiv?«, fauchte John. »Die spielen uns doch was vor. Sobald wir weg sind, werden sie alles andere als das hübsche Ferienlager sein, als das sie sich jetzt präsentieren. Die könnten sonstwas mit dir tun, und wir hätten keine Möglichkeit, dir zu helfen.«
Eris erinnerte sich urplötzlich sehr intensiv daran, wie er damals zum Schularzt gehen sollte, kurz vor der Einschulung. Er war so voller Neugier gewesen, abenteuerlustig, fast draufgängerisch. Diese Seite war ihm fast in Vergessenheit geraten, bis sie sich jetzt wieder in sein Bewusstsein schob.
Wenn die Kinder in den Cartoons im Fernsehen zum Arzt gingen, war das immer lustig. Er hatte keine Angst, denn das hatten die Kinder dort auch nicht, und er war schon öfter beim Arzt gewesen. Da hatte es immer was zum Naschen für ihn gegeben, wenn es mal piekste. Und diesmal würde es noch nicht mal pieksen. Aber seine Mutter war so verändert, als der Termin näherrückte. Still, nervös, irgendwie ängstlich. Hatte sie denn Angst davor? Das verunsicherte ihn nun doch. Er hatte sie schließlich gefragt, was los war, und sie hatte ihn nur angesehen, dieses gezwungene Erwachsenenlächeln gelächelt, von dem sie alle glaubten, Kinder durchschauten es nicht. Alles sei in Ordnung. Erst sein Vater hatte ihn gefragt, ob er immer noch ein naives Kind sei. Eris hatte noch nicht gewusst, was naiv bedeutete, aber es klang wie etwas, das man lieber nicht sein wollte. Also hatte er eilig verneint.
»Du bist alt genug für die Schule. Die Weißkittel wollen ab jetzt nur noch aussieben, wen sie ins Reservat schicken und wen nicht.«
Eris verstand gar nichts mehr. Aussieben? Reservat? Was war das? Und warum wurde man da hingeschickt? Das klang noch viel schlimmer als naiv zu sein.
Seine Mutter kam ins Wohnzimmer. Sie war eindeutig wütend, obwohl sie nie wütend wurde. »John, sag ihm nicht sowas! Das ist doch Unsinn. Das ist doch… Unsinn!«
»Bereite du ihn lieber so langsam mal darauf vor, was er sagen soll und was nicht, sonst bist du Schuld, wenn sie eines Tages kommen und ihn mitnehmen!«, keifte sein Vater nicht weniger aufgebracht. Eris wünschte sich, er hätte nicht gefragt. Offenbar war das eine böse Frage gewesen, auch wenn er nicht wusste warum. »Dann ist sein Leben im Eimer, wenn er mit dreißig wieder da ist. Und das nur, weil er dem Arzt gesagt hat, dass er gern Schnitzel mag!«
»Du übertreibst komplett!«
»Nein, du untertreibst! Wenn du die Sache nicht ernst nimmst, dann muss ich es tun! Eris!« Er wandte sich zu ihm um.
Eris zitterte, versuchte es aber zu verbergen. Wer würde kommen und ihn mitnehmen? Wohin mitnehmen?
Sein Vater sah ihn eindringlich an. »Du darfst nicht sagen, dass du gern Spaghetti Bolognese isst, oder Schnitzel. Allgemein nichts, was Fleisch beinhaltet.«
»Gehört da Aufschnitt auch dazu?«, fragte er kleinlaut.
Sein Vater seufzte und rieb sich übers Gesicht. Er war enttäuscht von ihm, mal wieder, aber zumindest sah er jetzt milder aus. Das beruhigte Eris, und dafür nahm er sogar Enttäuschung in Kauf. »Sag, du isst am Liebsten Brokkoli.«
»Bäh!«
»Such dir ein Gemüse aus, irgendeins. Sag, du magst alles, was du eigentlich nicht magst. Und sag auch nicht, dass du gern den Fischen im Badesee nachjagst. Und am Besten auch nicht, dass du gern mal fliegen würdest.«
»Aber Dad, den Arzt darf man nicht anlügen«, gab er leise zu bedenken, denn das hatten die Kinder im Cartoon immer gesagt. Der Arzt war ein Freund.
Der Blick seines Vaters verfinsterte sich. »Dann nehmen sie dich uns weg, und das willst du doch nicht, oder?«
»John!«, fuhr Claire dazwischen. »Mach ihm keine Angst! Niemand wird ihn mitnehmen! Komm, Eris.«
Sie griff ihn an der Hand und zog ihn hinter sich her in die Küche. »Mom, wer wird mich mitnehmen? Wohin?« Er stand kurz davor in Tränen auszubrechen, aber das wollte er nicht. Jungs weinten nicht, sagte sein Dad immer.
»Dein Vater übertreibt völlig. Niemand nimmt dich mit. Das lassen wir nicht zu.«
»Aber warum soll ich den Arzt anlügen? Das darf man nicht!«
»Eris, du sollst nicht lügen. Du sollst nur nicht unbedingt die Dinge sagen, die dein Vater genannt hat. Wir üben das gemeinsam, ja?«
Eris starrte sie an. Also war sie doch der gleichen Meinung wie Dad! Jemand wollte ihn mitnehmen und sie wollten es verhindern! Was, wenn sie das nicht konnten? »Was ist los, Mommy?«
»Nichts ist los, Schatz, wir üben, was du sagen sollst, und…«
»Ich will nicht! Ich will nicht zum Arzt!«, schrie er. Nun kamen ihm doch die Tränen, und er war so frustriert über sich selbst, dass er noch heftiger weinte.
»Schatz, du musst keine Angst haben!«, sagte sie verzweifelt. »Schluss jetzt! Es gibt keinen Grund, Angst zu haben, hörst du? Keinen Grund…«
Eris blinzelte, realisierte, dass er nicht mehr fünf Jahre alt war, sondern wieder fünfzehn. Trotzdem redete sein Vater noch immer so mit ihm wie damals.
»Das ist ein Reservat, Dad, kein Ferienlager«, sagte er kühl. »Und ich habe alles darüber gelesen, was es zu lesen gibt. Ich habe selbst entschieden, herzukommen. Ihr wart damit einverstanden.«
Sein Vater sah angemessen überrumpelt aus, doch die Miene wich sogleich wieder seiner wütenden. »Du kommst mit deinen Eltern, so wie sich das gehört! Wir fahren noch heute Nacht, bevor sie etwas merken.«
Eris spürte, wie Wut in ihm aufstieg. Er wollte seine erste richtige Entscheidung verteidigen, trotz der Zweifel, die auch er unweigerlich hegte. Sein Herz begann, erschreckend schnell zu schlagen. »Ich werde Ada nicht allein lassen!« Es war irgendwie das Erste, das ihm einfiel, und es fühlte sich immer richtiger an, je länger es ausgesprochen im Raum hing.
»Was soll das denn jetzt? Du kennst das Mädchen überhaupt nicht!«, blaffte sein Vater.
»Ist mir egal, ich bleibe bei ihr!« Er schrie, zum ersten Mal schrie er seinen Vater an, und es fühlte sich so unfassbar gut an. Als er erneut dazu ansetzen wollte, brodelte es in seiner Brust, und da erinnerte sich sein Körper plötzlich. Das war dasselbe Gefühl wie Zuhause, als die Leute von der Behörde kamen. Gleich würde er wieder die Verwandlung vollziehen. Seine Wut wurde von aufkeimender Panik dahingeschmolzen, und er stürzte aus der Tür. Nein, nein, nein! Das durfte nicht passieren, nicht schon wieder…!
Er stieß mit jemandem zusammen, als er gerade ins Freie trat, blickte erschrocken auf und sah in das Gesicht von Hank.
»Kleiner!« Hank griff ihn bei den Schultern. »Alles in Ordnung?«
»Ich… ja…« Er hatte sich nicht verwandelt, realisierte er erleichtert, und das bedrohliche Gefühl war verschwunden. »Meine Eltern… wir haben gestritten…«
»Das hab ich gehört.« Seine Stimme nahm einen strengen Ton an, als John und Claire in den Türrahmen traten. »Sind Sie noch bei Verstand, einen instabilen jungen Wandler so anzuschreien? Jede starke Emotionswallung kann die Verwandlung triggern, und dafür sind weder Sie noch er bereit. Sie haben es einmal erlebt, reicht Ihnen das nicht?«
Jetzt war auch noch Hank wütend, aber irgendwie beruhigte es Eris, dass er da war und auf seiner Seite stand. Er hatte sich bisher immer allein gegen alles und jeden verteidigen müssen.
»Sie sagen mir nicht, wie ich mit meinem Sohn umzugehen habe!«, erwiderte John unbeeindruckt. »Ich lasse mir mein Kind von Ihnen nicht wegnehmen!«
Hank hob beschwichtigend die Hände. »Mr. Tyrrell, wenn ich mich recht entsinne, dann war es Ihr Sohn selbst, der die Behörden informiert hat. Er hat eine gute, überlegte Entscheidung getroffen, denn dieses Reservat hat zum Ziel, die Brücke zwischen Drachen und Menschen zu bauen. Dafür stehe ich mit meinem Namen und meiner Person. Ich verspreche, mich gut um ihn zu kümmern, wie um alle mir anvertrauten Wandler und Blütigen.«
»Sie können mir die ganze Welt versprechen und nichts davon halten!« John war unversöhnlich, aber er sah nun völlig verzweifelt aus, fand Eris. Das ließ ihn schlucken.
»Was muss ich tun, damit Sie mir glauben?«, fragte Hank freiheraus. »Möchten Sie, dass ich ihn kommendes Wochenende zu Ihnen schicke? Wären Sie damit einverstanden?«
Claire sah verwundert auf. »Das ist möglich?«
»Möglicher, als dass Sie ihn wieder mitnehmen«, sagte Hank trocken. »Wir fahren immer mal die Kleinstädte ab, um Erledigungen zu machen. Es ist kein Problem, ihn nächste Woche zu Ihnen zu bringen und nach meinen Erledigungen wieder mitzunehmen, wenn Sie dann beruhigter sind. Ich kann Ihnen nicht viel mehr als das anbieten, um Ihnen zu zeigen, dass ich es ernst meine. Sie werden mir einen Vertrauensvorschuss gewähren müssen.«
Jetzt tat sein Vater etwas, das Eris nie von ihm erwartet hätte: Er griff sich ins Gesicht und weinte.
»Na na«, sagte Hank. »Sie sind nicht die ersten Eltern, die mich eher fressen würden als meine Schützlinge. Ich weiß, was in Ihnen vorgeht. Besser als Sie glauben. Ich werde Ihnen helfen, damit umzugehen. Es ist viel verlangt, ja, aber es ist das Beste für Ihren Sohn.« Er blickte den völlig verloren wirkenden Eris an. »Ich denke, Sie beide brauchen jetzt etwas Zeit für sich. Wenn Sie erlauben und du einverstanden bist, würde ich dich gern in meinem Hort übernachten lassen. Etwas Abstand tut Ihnen allen gut, denke ich, und morgen sehen Sie sich ja wieder. Sehen Sie es als ihre erste Lektion in Sachen Vertrauen.«
John schluckte, und Claire war es schließlich, die zu seinem sichtlichen Unwillen an Eris gewandt sagte: »Geh mit ihm, wenn du dich hier sicher fühlst.«
»Mom…?«
»Ich vertraue dir, Schatz. Eltern wissen selbst nicht immer, was das Richtige ist. Aber manchmal muss man den Kindern das Vertrauen zugestehen, das ihnen gebührt. Du wolltest herkommen. Entscheide nun, was du tun willst.«
Eris sah zwischen Hank und seinen Eltern hin und her. Wenn er bei ihnen blieb, würde der Streit wieder von vorn losgehen, davon war er überzeugt. Was, wenn er sich dann wirklich verwandelte und auf sie losging?
»Hank? Was, ähm, ist ein Hort?«
Er lächelte. »Der Hort des Alphas ist eine Schlafstelle wie die, die ihr heute gesehen habt, mit dem Unterschied, dass die Drachen dort gemeinsam mit ihrem Alpha schlafen. Für einige hier ist das nicht Kessoka, sondern ich. Lance zum Beispiel schläft regelmäßig bei mir. Natürlich musst du mich nicht als deinen Alpha erwählen, wenn sich das für dich nicht richtig anfühlt, aber du solltest heute Nacht unter Beobachtung bleiben.«
Eris sah ihn verwundert an, aber er glaubte, dass es zumindest besser war als hier zu sein: »Einverstanden.«
Der Hort des Alphas befand sich auf Hanks Dachboden. Als Eris die Leiter hinaufgeklettert war, lag in einer Ecke der Schlafebene bereits ein braungescheckter Drache und schlief. Eris kam er vage bekannt vor, aber er konnte beim besten Willen nicht sagen woher. Vorsichtshalber hielt er deutlichen Abstand.
»Ihr habt euch noch gar nicht kennengelernt, zumindest nicht in dieser Gestalt. Darf ich vorstellen, das ist Lance. Er hat dich zusammen mit mir im Wald gefunden, nachdem du aus deinem Elternhaus geflüchtet warst«, erklärte Hank. »Such dir einen Platz, ich geselle mich später zu euch.«
Eris ging vorerst wieder hinunter ins Bad, spürte nun tatsächlich, wie müde er war, trotz seiner noch immer nicht abgeflauten Aufregung. Er putzte sich die Zähne und betrachtete sie dabei im Spiegel. Keine einzige Füllung mehr, nur reines Zahnweiß. Der Anblick war so unvertraut, dass er davor zurückschreckte. Das war unglaublich, und ein ziemlich eindeutiger Beweis für das, was geschehen sein musste. Der Drache konnte seinen Körper mit der Verwandlung regenerieren. Würde er also niemals wieder krank werden? Nie mehr einen Gips tragen müssen? Würden vielleicht sogar seine Gliedmaßen nachwachsen, wenn er sie verlor? Der Gedanke war völlig surreal und unheimlich.
Er entschied sich dazu, heiß zu duschen, und zog dann noch im Bad seinen Schlafanzug an, ehe er zurück auf die Schlafebene kletterte und den anderen Drachen in noch immer großzügigem Abstand genauer betrachtete. Ja, er kannte ihn, doch sein Gehirn schaffte es nicht, die Verbindung herzustellen. Es war, als ob er ihn am anderen Ufer eines Flusses erahnen konnte, über den keine Brücke führte. Nicht mehr. Vielleicht war die Brücke in seinem Drachenhirn vorhanden. Kam sie wieder, wenn er sich verwandelte?
Er fragte sich unweigerlich, wie Lance wohl die Welt sah, und wie er selbst als Drache die Welt gesehen hatte. Nahmen Drachen Farben genauso wahr wie Menschen? Erinnerte man sich irgendwann an sein Drachendasein, wenn man ein Mensch war, und umgekehrt? Eris zumindest tat es nicht. Trotz seiner Angst spürte er eine stärker werdende Neugier auf diese andere Seite von ihm selbst. Aber der Gedanke, wie sich seine inneren Organe zu denen eines Drachen verformten, ihm Schuppen und Flügel wuchsen, erschreckte ihn mindestens im gleichen Maße. Das musste doch weh tun! Aber er hatte es schon einmal mitgemacht und überstanden. Es konnte also nicht so schlimm sein, oder?
Nachdem er sich hingelegt hatte, dachte Eris in der Stille noch einmal darüber nach, wie er sich mit seinen Eltern gestritten hatte, und schmiegte sich tiefer in eine der bereitliegenden Decken. Es hatte sich so richtig und gut angefühlt, ihnen etwas entgegenzusetzen, aber jetzt war er nur noch wütend und traurig. Es war doch Zuhause noch alles so gut gewesen, seine Eltern hatten seine Entscheidung respektiert. Warum konnten sie nicht einfach da weitermachen? Was sollte er denn noch tun, damit er endlich von ihnen ernstgenommen wurde?
Eris wollte, dass seine Eltern Unrecht hatten, wenigstens einmal. Dass er nicht vor ihnen dastand wie der unbedarfte Junge, dem nicht zuzutrauen war, für sich selbst zu entscheiden. Aber wenn auch er Zweifel hatte, wie wollte er dann seine Eltern überzeugen? Es war ja immerhin seine erste und dann auch noch wirklich tiefgreifende Entscheidung gewesen. Was, wenn dieser Ort tatsächlich nicht das war, was er vorgab zu sein? Eris wusste, dass zumindest eine Sache die reine Wahrheit war: Er würde Ada nicht allein hier zurücklassen, ganz gleich, dass er sie erst seit einem Tag kannte. Sie bedeutete ihm etwas, das er selbst noch nicht so richtig verstand, aber es war da, ganz ohne jeden Zweifel. War er in sie verliebt? Nein, irgendwie glaubte er das nicht. Er war einmal verliebt gewesen, damals in der fünften Klasse, hatte das Mädchen aber natürlich nie angesprochen. Das mit Ada fühlte sich ganz anders an. Es war, als ob sie sich schon ewig kannten, zwei Teile eines Ganzen wären, von dem er bis dato noch gar nicht gewusst hatte, dass es überhaupt aus zwei Hälften bestand und eine davon fehlte.
Er beobachtete Lance, die fast lautlosen Atembewegungen seines großen Körpers, die geschmeidigen Muskeln unter der Haut, bis ihm die Augen zu fielen. Lance war wohl wirklich keine Gefahr für ihn. Er war scheinbar kurz eingeschlafen und erwachte, als Hank zu ihnen kam. Lance hob den Kopf und blinzelte Eris an, schenkte ihm aber sonst keinerlei Beachtung. Hank streichelte seine Nüstern, »Schlaf wieder ein, Lance, es ist alles gut«, und legte sich dann direkt neben ihn, wobei er eine der Decken über sich zog. Lance brummte wohlig und rollte sich fester zusammen.
»Hank?«, fragte Eris, der dafür seinen ganzen Mut zusammennahm.
»Hmm?«
»Wie ist das, ein Drache zu sein? Hat man noch einen Verstand?«
»Natürlich, Kleiner. Er funktioniert nur ein bisschen anders als dein menschlicher Verstand. Du wirst als Drache Dinge tun, die dir völlig logisch erscheinen und die du in deiner Menschengestalt nicht mehr nachvollziehen kannst.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel sprechen. Du kannst mit anderen Drachen kommunizieren, ganz intuitiv, ohne es lernen zu müssen. In deiner Menschengestalt kannst du die Geräusche aber nicht mehr verstehen und nur schwer bis gar nicht nachahmen. Du wirst andere Drachen angreifen, weil sie deine Beute schief angeschaut haben, und in Menschengestalt wirst du dich fragen, was in dich gefahren ist.«
Das klang erschreckend. Eris wollte niemanden verletzten und schon gar nicht selbst verletzt werden. Aber er sagte nichts darauf.
»Schlaf jetzt«, erwiderte Hank. »Morgen wird ein aufregender Tag: Die Drachen gehen jagen.«
»Jagen? Was, äh, jagen sie denn?«
»Natürlich Wild, draußen in den Wäldern. Das ist etwas, das ihnen allen gefällt. Sie leben dabei ihre ureigensten Instinkte aus wie bei kaum einer anderen Aktivität. Ich muss sie natürlich begleiten als einer der Alphas. Zwar kann ich nicht fliegen, aber man lernt, sich zu behelfen, wenn man keine Flügel hat. Ich fahre mit einem Quad.«
»Muss ich da mitmachen?« Ihm wurde flau allein bei der Vorstellung, ein Tier zu töten.
»Du kannst gern mit mir kommen. Um selbst zu fliegen ist es noch zu früh. Ada will zudem bestimmt auch dabei sein. Vielleicht können wir zusammen etwas schießen. Aber jetzt ist erstmal Zeit für unsere wohlverdiente Ruhe. Schlaft gut.«
Eris wusste nicht, ob er dabei sein wollte, aber wenn Ada mitkam, würde er sich vielleicht dazu überreden lassen. »Gute Nacht, Hank. Und Lance«, sagte er, und der Schlaf stellte sich nach der Aufregung des Tages beinahe sofort ein.
»Eine echte Jagd? Cool!«
Ada fühlte sich an diesem Morgen so gut wie schon lange nicht mehr. Sie hatte ausgeschlafen, ein leckeres Frühstück gehabt und war bereit für alles, was der neue Tag für sie bereithalten mochte. Eris allerdings sah weit weniger erfreut aus als sie. »Du kommst doch mit, oder?«
Er räusperte sich und rieb verschämt seinen Nacken. »Ja, ja, natürlich.«
»Ist das wirklich sicher für die beiden?«, fragte Hannah besorgt. »Ich nehme an, die echten Drachen jagen nicht mit einem Gewehr von einem Quad aus.«
»Die echten Drachen sind deutlich schneller als wir und jagen die ganze Herde vor sich her. Anders als animalische Raubtiere stürzen sie sich nie auf das langsamste Herdenmitglied, sondern jagen das schnellste. Zurück bleiben genug verwirrte und panische Tiere, die uns vor die Flinte laufen werden. Keine Sorge, ich bin ein erfahrener Jäger. Es ist meine Leidenschaft. Bei der Jagd spüre ich, dass dasselbe Blut durch meine Adern fließt, auch wenn es nicht bis zum Äußersten reicht. Ich freue mich auf Wildcarpaccio zum Mittag. Es gibt nichts Besseres.« Wie er so vor ihnen stand, aufrecht und erwartungsvoll, schien sein Gesicht zu strahlen. Er war wirklich Feuer und Flamme, und es steckte Ada an, der erst einen Moment später klar wurde, dass sein Blut ja auch in ihr floss. Das Blut dieses Drachen, der ihr Vater war und den sie nie getroffen hatte. Plötzlich war auch ihre Freude getrübt.
»Seid nur bitte vorsichtig«, sagte Hannah zu ihnen, als sie davongingen.
Hank führte sie zu seinem Quad unter einem Carport neben der Blockhütte, an dessen hinterem Ende eine metallverstrebte, olivgrüne Box befestigt war. Als er sie öffnete, kamen mehrere Reihen langer Jagdmesser und ein Gewehr zum Vorschein, welches er herausnahm und an der dafür vorgesehenen Halterung vorn auf dem Lenker einrasten ließ. »Wenn die Jagd beginnt, zählen Sekunden für den besten Schuss«, erklärte er, und Eris nahm eins der Messer in die Hand, betrachtete die scharf glänzende Schneide.
»Und was sollen wir tun?«, fragte Ada.
»Einer von uns schießt, einer fährt und einer trägt ein Messer für den Fall der Fälle«, antwortete Hank.
»Ich will das Messer!«, rief Ada sofort und nahm es Eris ab, der es für ihren Geschmack etwas zu bereitwillig hergab. »Ich habe schonmal beim Schlachten zugesehen, in der Nachbarschaft. Ich denke, ich kann das, wenn es nötig ist. Aber geschossen hab ich noch nie.«
»Ich hab auch noch nie geschossen«, sagte Eris bestürzt. »Und Quad fahren kann ich auch nicht. Aber mit einem Messer umgehen ebenfalls nicht.« Er wand sich sichtbar unbehaglich auf der Stelle.
Hank zwinkerte ihm zu. »Lass nur, ich schieße und fahre. Du darfst dich hinter uns setzen und Ausschau halten. Aber trag bitte auch ein Messer bei dir, nur zur Sicherheit.«
Er wirkte erleichtert, platzierte sich hinter Hank auf dem langen Sitz, der offenbar genauso spezialangefertigt war wie der Lenker. Ada passte ebenfalls darauf, und alle drei schnallten sich mit dicken, breiten Gurten an.
»Was jagen wir denn?«, fragte Ada.
»Hauptsächlich Weißwedelhirsche. Die gehören zur heimischen Fauna. Schmecken vorzüglich.«
»Ich liebe Wild! Aber ich hab noch nie einen lebendigen Hirsch gesehen«, sagte Ada.
»Na dann, auf gehtʼs!« Er startete das Quad und raste los, sodass Ada glaubte, herunterzufallen, doch zum Glück hielt sie der Gurt. Sie klammerte sich genau wie Eris an den Seiten fest, blickte sich aber interessiert um, sobald sie in den Wald hineinfuhren. Umgeben von den frühlingsgrünen Bäumen und Büschen, zwischen denen Vögel und Eichhörnchen herumsprangen, wurde ihr wieder einmal bewusst, dass sie sich in der Wildnis befanden – in einer fast unberührten Natur.
Das Gelände war bergig, und sie fuhren eine Zeitlang durch lichtes Unterholz, vorbei an Klippen und Hängen und über Lichtungen. Das Blätterdach über ihnen war teilweise so dicht, dass es nur dann und wann den Blick auf den blauen Himmel freigab und das Licht in satten Kaskaden hindurch fallen ließ. Ada fühlte sich unglaublich wohl, und auch Eris lächelte unweigerlich.
Dann stoppten sie plötzlich am Fuß eines hohen Felsens, der aus der Erde aufragte wie ein Schiffsmast vom Deck. Vor ihnen fiel die Landschaft sanft in ein offenes, von Bäumen eingerahmtes Tal ab.
»Warum halten wir hier?«, fragte Eris nervös.
»Wir warten auf die anderen«, erwiderte Hank. »Kess wird bald da sein. Als Alpha ist sie die erste des Schwarms.« Er sah auf die Uhr an seinem Handgelenk. »Und du willst nicht ins Gedränge geraten, glaub mir.«
Sie verharrten einige Minuten angespannt, dann kündigte sich das Bevorstehende durch ein Vibrieren am Boden an. Plötzlich rannte ein einzelner Hirsch an ihrem Fels vorbei, so unerwartet, dass Eris und Ada gleichermaßen erschraken und zur Seite hin auswichen. Sie blickten dem Tier nach, wie es einsam davon hüpfte und mit einem Satz im Gebüsch verschwand. Wenig später rannten zwei weitere Hirsche auf der anderen Seite vorbei, und dann folgte nach und nach eine ganze Gruppe. Ada und Eris kauerten sich auf dem Sitz zusammen aus Angst, eins von ihnen könnte sie rammen oder, noch schlimmer, über sie hinwegspringen. Aber der Fels in ihrem Rücken schützte sie. Es war wie eine Flutwelle aus Wild, die sich an dem Felsen brach und links und rechts vorbeifloss.
»Macht euch bereit!«, rief Hank und entsicherte das Gewehr. Dann dröhnte die Luft, als die großen Körper der Drachen über den Wipfeln auftauchten: Die weiße, schlanke Kessoka flog an der Spitze, dicht gefolgt von dem feuerroten Drachen, der bald darauf abdrehte, an Geschwindigkeit zulegte und als erster niederstieß, um einen schreienden Hirsch mit dem Maul zu packen und herumzuschleudern. Der direkte Vergleich mit den Tieren machte Ada auf erschreckend direkte Weise bewusst, wie groß Drachen waren.
Weitere von ihnen stießen nieder; der untersetzte graue namens Silas, ein massiger schwarzer mit rostroter Kehle und der wasserblaue vom See, während Kessoka weiter vorausflog. Als sie über die Herde hinweggezogen war, zerstreute sich diese in alle Richtungen. Die Drachen stürzten sich nun nacheinander auf ihre Beute und töteten sie rasch. Eris und Ada sahen, dass Lance auch unter ihnen war und knapp über dem Boden dahinglitt, um einen Hirsch fast schon beiläufig zu töten und dann zu landen.
Hank wartete noch immer ab, und dann, als alle Drachen entweder weitergeflogen oder mit ihrer erlegten Beute beschäftigt waren, fuhr er los, raste den Abhang hinunter, mitten in die Gruppe der zu allen Seiten hin flüchtenden Tiere. Ein Hirsch rannte auf den Waldrand zu ihrer Linken zu, und Hank wurde langsamer, hielt aber nicht an. Er zielte und schoss, während er fuhr.
Der Hirsch zuckte, taumelte und brach nach wenigen weiteren Schritten zusammen. Hank riss das Steuer herum und raste heran, lachte wie jemand, der einen großen Sieg errungen hatte. »Na, das nenn ich mal einen Erfolg! Seht euch den an!«
Ada schluckte. Das Tier war glücklicherweise bereits tot, als sie abstiegen, dennoch schnitt Hank ihm mit einem der Messer die Kehle durch. Sie wandte sich nicht ab, als das Blut in einem Schwall herausschoss, genauso wenig wie Eris. Der Anblick sprach etwas in ihr an, das tief in den Windungen ihres Hirns verborgen war – etwas Archaisches, das nur sehr selten überhaupt angesprochen wurde und dadurch zur Oberfläche kam, aufgetaucht aus dunklen Tiefen.
Hank sah sich noch einmal prüfend um, bevor er sich daran machte, das Tier mit dem Jagdmesser aufzubrechen und zu zerlegen. Er zog gekonnt das Fell vom Rücken und schnitt ein gutes Stück Fleisch heraus, das fast kein Fett aufwies. »Ada, sei so gut und hol das Brett aus der Box.«
Ada ging zum Quad und holte ein dickes, hölzernes Schneidbrett hervor. Hank legte das erste Stück Fleisch darauf, schnitt es in dünne Scheiben. »Probiert, es schmeckt köstlich.«
Ada und Eris zögerten, derweil Hank das erste Stück nahm und aß. Ada war es, die sich als erste traute, dann Eris.
Das Fleisch war salzig, warm… und irgendwie vertraut, wie etwas, worauf Eris’ Geschmacksknospen lange gewartet hatten. Er erinnerte sich: Als Kind hatte er gern Fleisch gegessen. Aber seit seine Eltern mit ihm beim Arzt gewesen waren, hatte sich das geändert. Er durfte kein Fleisch mögen. Fortan hatte er Gemüse hinuntergewürgt, bis er sich selbst Glauben gemacht hatte, dass es ihm schmeckte. Einiges schmeckte tatsächlich, Süßkartoffeln zum Beispiel, Tomaten und roher Spinat. Aber das hier war um so viele Welten besser, besser noch als gebratenes Fleisch. Er aß weitere Stücke mit größerem Hunger, derweil Hank durchwachsenere Teile auf das Tablett legte. Eris machte sich klar, dass sie trotz aller Zivilisiertheit dabei waren, einen rohen Kadaver zu essen, wie Raubtiere. Aber waren sie nicht wirklich sowas wie Raubtiere? Zumindest er?
Er blickte über die Ebene. Die Drachen aßen weit weniger gesittet als sie, rissen große Fleischbrocken samt Knochen heraus und schlangen sie in einem Stück hinunter. Eris sah, wie der feuerrote Drache näher an den schwarzen mit der rostroten Kehle rückte und dabei seine Beute beäugte, bis er auf dessen Knurren hin geduckt abzog. Du wirst andere Drachen angreifen, weil sie deine Beute schief angeschaut haben, und in Menschengestalt wirst du dich fragen, was in dich gefahren ist. Wenn er es so vor sich sah, wirkte es tatsächlich wie das Normalste der Welt. Der größere Räuber verscheuchte den kleineren. Aber er brachte es nicht in Einklang mit seinem Bild von Menschen, auch wenn er wusste, dass sie irgendwo da drin sein mussten.
»Esst mehr Schenkelfleisch, es ist wirklich gut, wenn es sich auch auf die Arterien schlägt. Zumindest auf meine.« Hank hatte die Hinterkeule zerteilt und die Stücke bereit gelegt. Dieses Fleisch hatte Eris wegen des Fettes immer eklig gefunden, aber roh sah es gar nicht mal so schlecht aus.
»Hank? Es ist doch gut, dass wir hier sind, oder?«, fragte er plötzlich, ohne zu wissen warum. Seine Zunge hatte in der entspannten Atmosphäre nach dem Adrenalinstoß der Jagd ohne Einverständnis seines Hirns gesprochen. Erst einen Moment später wurde ihm klar, was seine Zunge dazu bewegt hatte. »Ich meine, das hier ist ein guter Ort für Drachen und Blütige. Ich habe die richtige Entscheidung getroffen, herzukommen, oder?«
Hank legte das Messer für einen Moment beiseite. Er atmete tief durch, bevor er eine Antwort gab. »Du machst dir Sorgen um das, was auf dich zu kommt, immerhin war es deine erste tiefgreifende Entscheidung, ins Reservat zu gehen. Dieser Ort ist für Wesen wie euch beide ins Leben gerufen worden. Ich will, dass das Erbe meines Bruders in ihm und seinen Bewohnern weiterlebt – es soll einen Ort erschaffen, an dem Drachen willkommen sind und gemäß ihrer Natur leben können. Samuel hatte den Traum einer Gesellschaft, in der Menschen und Drachen Seite an Seite leben werden. Leider… ist ihm das zum Verhängnis geworden.« Es kostete ihn sichtlich Mühe, den Satz zu Ende zu sprechen, und er widmete sich deutlich lustloser wieder ihrer Beute. Ganz offensichtlich war ihm der Appetit vergangen, und Eris schluckte betreten. Er hatte die ausgelassene Stimmung verdorben.
Ada dagegen setzte nach einem Moment an: »Samuel ist nicht sein Traum zum Verhängnis geworden, er wurde umgebracht. Von Drachentötern.«
Hank unterbrach seine Arbeit nicht, er sah nicht einmal auf. »Ada, ich möchte wirklich nicht darüber sprechen.«
»Meinst du nicht, dass ich ein Recht auf die ganze Wahrheit habe? Ich will wissen, wie es zu all dem hier kam. Und wie er meine Mutter traf.« Sie klang nun beinahe hitzig, was Eris für unangebracht hielt, doch endlich ließ Hank sich zurücksinken. Er wirkte, als wolle er sich durch die Haare fahren, erinnerte sich aber rechtzeitig an seine blutigen Hände.
Eris war genauso angespannt wie Ada, als er schließlich sagte: »Unsere Eltern kamen nie mit Samuel klar. Ich war ihr Lieblingskind, das weiß ich heute. Sie waren so stolz, als ich mit meinem Spitzenzeugnis zum Medizinstudium ging. Samuel dagegen war lange hinter ihren Erwartungen zurückgeblieben. Obwohl er nicht mehr Anzeichen für Blütigkeit hatte als ich, ließen sie ihn eines Tages von den Behörden abholen und in ein Reservat bringen. Er hat mir eine Nachricht hinterlassen, einen Hilferuf – nur so habe ich die Wahrheit erfahren, als er schon lange weg war. Ich hatte Drachenmedizin als Zusatzfach an der Universität belegt und konnte als Reservatsvorsteher Drachen aufnehmen. Ich nahm also den Posten in diesem damals noch gänzlich neuen Reservat an und ihn bei mir auf, als ersten Bewohner. Er war damals in einem furchtbaren Zustand. Zu unseren Eltern brach ich den Kontakt ab. Samuel und ich wollten einen Gegenentwurf zu den bisherigen Reservaten schaffen, kein Gefängnis, in dem Missbrauch und Gewalt herrschen, sondern Gemeinschaftssinn und der Wunsch nach Veränderung. Wir haben all diese jungen Wandler hier aufgenommen, die ihr kennengelernt habt, und uns um sie gekümmert. Das war die beste Zeit meines Lebens. Es war das Richtige, das, was ich tun wollte. Aber wir wollten mehr als nur das. Wir wollten allen Menschen zeigen, wie Drachen wirklich sind. In Absprache mit dem Erholungsgebiet in den Smokys veranstalteten wir probehalber eine… Drachen-Show. Sie war nur halb legal, unter der Hand durchgeführt, aber gut besucht und Samuel die Hauptattraktion. Ich zeigte den Zuschauern einen echten Drachen, nicht das Kinofilm-Monster, das sie kannten. Ließ sie der Verwandlung beiwohnen und mit Samuel sprechen. Es war ein voller Erfolg. Die Leute waren interessiert, verloren schnell ihre Furcht, ließen sogar ihre Kinder an ihn herantreten. Es wurden schließlich mehrere Shows daraus. Auf einer davon hat Samuel deine Mutter kennengelernt.« Er sah Ada an, und als er weitersprach, verdunkelte sich seine Miene erheblich. »Wir hätten nie gedacht, dass soetwas geschehen könnte, aber einer der Zuschauer, der Samuel nahekam, rammte ihm eine Klinge in die Innenseite der Nüstern, dort, wo sie nicht durch Schuppen geschützt sind. Diese Stelle öffnet sich nur beim Ein- und Ausatmen weit genug. Kaum jemand weiß, wo Drachen verletzlich sind, dazu muss man sie eingehend studieren und den Moment abpassen. Die Klinge war mit einem Gift benetzt, das sofort in die Blutbahn überging und Samuel an Ort und Stelle tötete. Ich stand völlig hilflos daneben, war gezwungen mitanzusehen, wie er starb. Unter Qualen. Der Mann gehörte zu einer Gruppierung, die sich Drachentöter nennen – nach dem Orden, der im Mittelalter Drachen jagte und umbrachte. Sie sind eine mehrheitlich, aber nicht ausschließlich radikal-christliche Glaubensgemeinschaft, verboten in allen Staaten, aber es gibt sie dennoch, im Verborgenen. Viele von ihnen glauben, dass Drachen die Diener des Teufels sind und es ihre von Gott auferlegte Pflicht ist, die Welt vollständig von ihnen zu reinigen.« Er hielt inne, atmete tief durch und schloss die Augen, um sich zu sammeln. »Ich werde nie vergessen, wie Samuel mich angesehen hat. So voller Verwirrung, Angst und Schmerz. Er wusste, dass er gerade ins Jenseits übertritt, unaufhaltsam. Ich… habe mir nie verziehen, dass wir diese Vorführungen veranstaltet haben.« Er brach ab, im selben Moment, als sich seine Augen mit Tränen füllten, und erhob sich, um in den Wald davonzugehen.
Ada sah ihm nach und dann völlig verstört zu Eris. »Ich hätte nicht darauf bestehen sollen, das war so dumm von mir…!«, platzte es aus ihr heraus.
»Ich wusste bis gerade eben nicht einmal, dass es sowas wie Drachentöter noch gibt«, flüsterte Eris. Zumindest wusste er jetzt mit Sicherheit, dass Hank es mit seinem Vorhaben ernst meinte, denn das war gerade definitiv nicht gespielt gewesen. Es gab offenbar wirklich schreckliche Reservate. Plötzlich verstand er die Sorge seines Vaters. Natürlich hatte er nicht gewollt, dass Eris an so einem furchtbaren Ort landete wie Samuel. Er hatte auch nur Angst, wurde ihm klar. Eris’ Aufgabe war es jetzt, seinen Eltern zu beweisen, dass er hier gut aufgehoben war.
Ada schluckte. »Hank hat diese ganzen Drachen seit Samuels Tod allein versorgt. Vielleicht ist das der Grund, dass sie ihn als Alpha betrachten, obwohl er nicht mal ein Drache ist. Ich habe mich die ganze Zeit über gefragt, wie man sich bei ihnen Respekt verschafft, wenn man nur eine Menschengestalt hat. Hank ist ja eigentlich nur ein kleiner Happen für sie. Und dass sie aggressiv werden können, hat der Feuerfarbene bewiesen.«
»Wir müssen Hank bei dieser Aufgabe unterstützen.« Eine plötzliche Entschlossenheit ergriff Eris. »Es ist das Erbe deines Vaters. Und ich… wollte mich immer einer wichtigen Sache verschreiben. Das hier ist eine der wichtigsten Sachen, die ich mir vorstellen kann. Wir müssen die Menschen davon überzeugen, Drachen zu akzeptieren. Ihnen zeigen, dass wir keine Monster sind. So wie es dein Vater wollte.«
»Und dann passiert mit uns das gleiche?«, fragte Ada und schluckte. »Ich weiß nicht, ich bin gerade völlig verwirrt…« Sie schüttelte den Kopf, und er fürchtete, dass sie gleich auch noch in Tränen ausbrechen würde. Das könnte er nicht ertragen.
»Wir machen Drachen-Shows und durchsuchen alle Besucher, bevor wir sie reinlassen. Und wir sorgen dafür, dass sie uns nicht zu nahe kommen. Vielleicht bewaffnen wir uns auch und schießen auf Verdächtige. Natürlich mit nicht-tödlichen Waffen«, fügte er eilig hinzu.
»Und welchen von denen willst du präsentieren?« Ada sah zweifelnd zu den Drachen hinüber, die nun dabei waren, sich gegenseitig anzufauchen und Scheinangriffe auszuführen. Es sah wirklich gefährlich aus.
»Lance«, sagte Eris ohne zu zögern. »Er hat gestern mit mir zusammen in Hanks Hort des Alphas geschlafen. Er ist wirklich ganz ruhig. Ich glaube, ich mag ihn.«
Ada dachte an Lance – sie hatte ihn irgendwie in der ganzen Aufregung völlig vergessen. Aber auch er war mit ihnen dort draußen, ein kleiner, flinker Drache, wie ein Wiesel unter Löwen. Ja, wer könnte glauben, dass dieser nette Junge, den sie so lange gekannt hatte, ein geschupptes Monster war? Andererseits, wenn Lance das Opfer von Drachentötern wurde, würde sie sich das nie verzeihen. »Ich finde, Hank sollte entscheiden, was wir tun. Er ist der Alpha«, sagte sie schließlich.
Eris sah wieder in den Wald. »Sollten wir lieber mal nach ihm sehen?«
In dem Moment aber kehrte Hank zurück, und sein Gesicht war nicht mehr so offen wie zuvor. »Lasst uns fahren, wenn ihr satt seid. Keine Sorge, es gibt noch genug Wild. Die Drachen werden die übrigen Fleischstücke zur Küche bringen. Heute gibt es ein gutes Mittagsmahl für uns und eure Eltern.«
Sie wagten nicht zu widersprechen, stiegen auf das Quad und fuhren schweigend zu den Behausungen zurück.
Ada verabschiedete sich mit einem äußerst flauen Gefühl in der Magengegend von Hank, glaubte, einen kapitalen Fehler begangen zu haben. Eris begleitete sie Nachhause – ihre Mutter erwartete sie dort bereits unerfreulich neugierig. »Und? Wie war die Jagd?«
»Oh, ähm, es war ganz cool. Wir haben Weißwedelhirsche gejagt.« Sie versuchte, ihre anfängliche Euphorie anklingen zu lassen, aber es gelang ihr nicht. Sie wich ihrem Blick aus.
»Ada?« Hannah sah antwortheischend zu Eris hinüber, als sie nicht damit herausrückte.
»Ich, ähm… glaube, wir haben Hank verärgert«, gestand dieser sichtlich unwohl.
»Ich habe ihn nochmal auf meinen Vater angesprochen«, erwiderte Ada ungnädig.
»Oh…« Das Gesicht ihrer Mutter nahm einen verständnisvollen Ausdruck an. »Ich verstehe.«
»Ich wollte ihn nicht verletzen, ich wollte doch einfach nur… etwas mehr über meinen Vater erfahren! Über euch. Über das alles hier!«
Hannah legte eine Hand unter ihren Kiefer. »Kommt, setzen wir uns. Ich erzähle dir von ihm und was damals passiert ist. Zumindest aus meiner Sicht.«
Sie nahmen angespannt im Wohnbereich Platz, und Hannah sammelte sich. »Samuel und ich haben uns getroffen, als ich gerade auf einem Single-Abenteuerurlaub im Naherholungsgebiet der Smokys war, und dort gab es diese… Drachen-Show. Ich hielt es erst für einen Scherz, glaubte nicht, dass sie dort einen echten Drachen präsentieren würden, sondern vielleicht so ein Animatronikmodell in Lebensgröße. Es sei etwas Experimentelles, wurde mir vom Veranstalter gesagt, ein Geheimtipp vor Ort. Ich entschloss mich hinzugehen, aus Neugier. Und dort sah ich ihn. Er war kein Animatronikmodell. So groß wie ein Schulbus und schwarz wie die Nacht, mit bernsteinfarbenen Augen. Ich weiß nicht wieso, aber ich hatte nicht die geringste Angst, als ich ihn sah. Hank führte mich als Freiwillige näher an ihn heran, ließ mich ihn berühren. Es war der aufregendste Moment in meinem Leben.« Sie lächelte, doch es wirkte unglücklich. »Ich blieb bis zum Ende der Veranstaltung. Es war seltsam, aber erst, als die Leute anfingen, Fragen zu stellen, merkte ich, dass wir nicht über ein Tier sprachen, sondern über einen Menschen. Dieser Drache war Hanks Bruder. Es war völlig absurd sich vorzustellen, aber dieser Mensch und der Drache waren miteinander verwandt. Die Erkenntnis veränderte etwas in mir, obwohl ich es natürlich wusste. Aber wissen und begreifen sind zwei unterschiedliche Dinge. Samuel nahm zwischenzeitlich seine Menschengestalt an, um selbst auf die Fragen zu antworten, und an diesem Tag begriff ich zwei Dinge: Dass Drachen wirklich Menschen sind und dass er der Mann meiner Träume ist. Die gleiche Verbindung spürte er mir gegenüber ebenfalls. Man nennt es das Bonding. Drachen knüpfen Verbindungen mit anderen Drachen oder Menschen, ohne dass genau bekannt ist, wie es funktioniert. Oder warum es überhaupt existiert. Es ist keine Liebe in dem Sinne, sondern etwas viel… Tiefgründigeres, Urtypisches, so alt wie unsere Spezies selbst. Es war, als wären wir dazu bestimmt, zusammen zu sein, zwei Hälften, die ein Ganzes bilden.«
Eris sah verblüfft auf, und Ada wusste sofort, was er dachte. Sie hatte sich auf den ersten Blick zu ihm hingezogen gefühlt und eine Vertrautheit gespürt, als würde sie ihn schon ewig kennen. War das, was sie gerade gehört hatten, der Grund dafür?
»Ich weiß, woran du denkst, Ada. Du und Eris habt das, was Samuel und ich hatten, vielleicht ebenfalls. Es ist wichtig, dass ihr zusammenbleibt. Samuel und ich konnten nicht lange ohne den jeweils anderen sein. Nur in seiner Nähe fühlte ich mich vollständig. Er kam mich schließlich sogar besuchen, heimlich, natürlich. Drachen ist es nur unter strengen Auflagen gestattet, die Reservate zu verlassen. Ich erfuhr von seiner Vergangenheit: Er stammte aus einem Reservat in den Rocky Mountains. Dort war es furchtbar; die Drachen wurden sich selbst überlassen, und es herrschte Unterdrückung durch den Vorsteher, der aus dem Militär kam und keinerlei Fachwissen über Drachen besaß. Samuel war dort wenig mehr als Ungeziefer, bekam kaum etwas von den gering bemessenen Mahlzeiten ab und wurde von Seinesgleichen in ständige Revierkämpfe verwickelt, die er verlor. Von menschlicher Zivilisiertheit, wie wir sie hier erleben, gab es dort keine Spur. Samuel erzählte mir auch, dass der Vorsteher dann und wann Drachen betäuben und wegbringen ließ. Wenn sie wiederkamen, waren sie geschwächt und krank. Auch Samuel nahmen sie mit, immer wieder. Er erinnerte sich nicht daran, was sie mit ihm taten, aber er war in einem sehr schlechten gesundheitlichen Zustand, als Hank ihn zu sich holte – trotz der Regenerationsfähigkeit von Drachen. Vielleicht hat er nur deshalb überlebt. Drachenreservate sind ziemlich rechtsfreier Raum, von dem kein Außenstehender wirklich weiß, was in ihnen vor sich geht. Ich denke, sie haben ihn für medizinische oder militärische Experimente missbraucht – Drachen eignen sich dafür immerhin hervorragend, da sie sich wieder heilen. Unsere Welt ist schrecklich. Deshalb wollte ich dich immer davor abschirmen, Ada. Ich hoffte, dass du nicht das Schicksal deines Vaters teilen würdest, und ich hoffe noch immer, dass du kein Drache wirst. Aber da es Hank gibt, weiß ich dich in Sicherheit, genau wie Lance. Zumindest, solange er euch nicht ebenfalls in einer Drachenshow präsentiert. Es war so ein guter Gedanke, und doch… wurde er Samuel zum Verhängnis. Ich selbst habe es nicht miterlebt, glücklicherweise, sondern erfuhr von Hank, dass er bei einem Giftanschlag getötet wurde – auch wenn etwas tief in mir bereits zum Zeitpunkt seines Todes davon wusste. Seitdem herrscht an der Stelle, an der er gewesen ist, unausfüllbare Leere. Die Bevölkerung war einfach nicht bereit dafür. Vielleicht wird sie es nie sein.«
Es herrschte für einen Moment betroffenes Schweigen, dann fragte Eris vorsichtig: »Aber wie sollen die Leute denn je bereit dafür werden, wenn man Drachen wegsperrt? Dann haben sie doch auch weiterhin Angst.«
Darauf wusste ihre Mutter anscheinend keine Antwort, und Ada sagte mit inbrünstiger Überzeugung: »Wir werden einen Weg finden, Samuels Traum zu verwirklichen. Eine Welt, in der Drachen und Menschen gemeinsam leben. Wir müssen… sie nur aufklären. Richtig aufklären.«
»Menschen kommen nicht einmal miteinander aus, geschweigedenn mit Wesen, die so anders sind als sie selbst«, gab Hannah zu bedenken. Ada hatte sie noch nie so reden hören. »Menschen waren schon immer bösartig.«
»Sie sind auch ein Mensch und nicht bösartig. Genauso wenig wie Hank«, widersprach Eris. »Sie haben Drachen geholfen. Und eigentlich sind wir doch alle Menschen, oder? Ich denke, das ist zumindest ein Anfang.«
»Ich will gern glauben, dass es Hoffnung gibt«, sagte sie leise.
»Dann werden wir es allen beweisen«, erwiderte Eris und klang so selbstsicher, dass er zumindest Ada überzeugte. Sie würden es versuchen.
Es gab an diesem Tag ein wirklich ansehnliches Essen in der Gemeinschaftsküche: Wildbret, angerichtet an einer Preiselbeersoße mit Kartoffelklößen. Als sie sich einfanden wirkte Hank, als wäre nichts weiter vorgefallen. Er lachte und strahlte wieder über das ganze Gesicht, derweil er ihren Eltern euphorisch von der geglückten Jagd berichtete – was Eris auf dem Stuhl immer kleiner werden ließ, denn Ada und er saßen diesmal mit ihnen zusammen und waren ihren unmittelbaren Blicken ausgesetzt.
»Sie waren mit ihnen jagen? Zusammen mit den ganzen Drachen?«, fragte Claire völlig fassungslos.
»Aber ja, das ist eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen«, erklärte Hank. »Der Jagdtrieb muss ausgelebt werden, ansonsten kriegt man sehr schnell Probleme mit ihnen: Sie werden aggressiv und zeigen andere psychische Auffälligkeiten. Außerdem wollten wir Ihnen doch ein gutes Essen kredenzen, wenn Sie schon unsere Gäste sind. Genießen Sie es: Weißwedelhirsch, frisch von heute Morgen. Anderswo bezahlt man Unsummen dafür.«
Er ließ sich auch das gegarte Fleisch schmecken, und Ada tat es ihm gleich. Sie mochte Fleisch, egal, wie es zubereitet war. Auch Eris aß, obwohl er dabei aussah als fürchte er, jeden Moment dafür gescholten zu werden. Immer wieder warf er seinen Eltern unruhig Seitenblicke zu. Doch niemand sagte etwas, und als das Essen beendet war, begleitete er Ada eilig nach draußen, ohne dass seine Eltern ihn zurückhielten.
Beide zogen sich zur Mittagsruhe zurück, diesmal unter den Felsüberhang mit den Pflanzen. Die steinernen Trittstufen ließen beide kurz zweifeln, ob das eine so gute Idee war, doch schließlich oben angekommen wirkte es gar nicht mehr so hoch.
Sie hatten einen angenehm leichten Schlaf inmitten der Lichtsprenkel, die das Pflanzenwerk durchließ, nicht gänzlich bewusstlos, aber auch nicht wirklich wach. Ada für ihren Teil fühlte sich sicher und geborgen genug, um endlich das, was sie heute über ihren Vater erfahren hatte, zu verarbeiten.
Sie war die Tochter eines Drachen, der von einem Drachentöter mit Gift ermordet und vorher in einem Reservat als Versuchsobjekt missbraucht worden war. Drachen waren diesen Untaten wehrlos ausgeliefert, einfach, weil sie Drachen waren. Die Vorstellung machte sie krank. Niemand konnte sich aussuchen, was er sein wollte. Sie wünschte sich plötzlich zu wissen, wer dieser Drachentöter war, ob er für seine Tat bestraft wurde und wenn ja, wie. Aber noch mehr wünschte sie sich, ihren Vater kennengelernt zu haben, und dass die Strafe ihn nicht zurückbringen würde, machte sie wütend.
Vielleicht würde sie auch eines Tages Drachengestalt annehmen. Aber was, wenn nicht? Ob sie dann trotzdem hierbleiben durfte? Sie wollte diesen Ort jetzt schon nicht mehr verlassen, geschweigedenn in fünfzehn Jahren, wenn sie mit ihm noch viel stärker verwachsen war, Eris und vielleicht Freunde hier hatte. Wenn sie Hank mit alldem half, was an Arbeit anfiel, konnte er sie nicht mehr wegschicken, oder?
Als sie beide aus ihrem Schlummer erwachten und wieder hinunterkletterten, war es früher Nachmittag, und sie beschlossen, diesmal zu Eris zu gehen, sodass auch sie Ada kennenlernen konnten. Hank sprach gerade mit seinen Eltern vor dem Haus und lächelte, als er die beiden kommen sah. »Ihr kommt wie gerufen. Ich habe heute noch etwas sehr Wichtiges mit euch vor, oder eher mit dir, Eris.«
»Mit mir?« Er klang nervös. »Äh, was denn?«
»Ich möchte, dass du ganz bewusst versuchst, deine Drachengestalt anzunehmen.«
Eris wurde blass. »Was, hier? Und jetzt? Einfach so? Ich meine… ich weiß nicht mal, wie… und was, wenn…?«
»Nur keine Sorge, Kleiner. Du hast es einmal geschafft, und das unter weitaus widrigeren Bedingungen. Hier wird dich niemand aufregen und nichts passiert. Vertrau mir.«
Eris sah sich unsicher nach Ada um, und sie erwiderte: »Du schaffst das bestimmt. Ich würde dich auch gern noch einmal in Ruhe und aus der Nähe sehen.«
Er sah nicht wirklich beruhigt aus. »Wozu soll das bitte gut sein?«
»Ich möchte einschätzen, wie weit du schon synchronisiert bist«, erklärte Hank. »Und deinen Eltern zeigen, warum es eine wirklich schlechte Idee ist, dich aufzuregen.«
Claire und John sahen betreten aus – anscheinend hatte sich das Gespräch, das sie zuvor führten, genau darum gedreht.
Eris schluckte. »Und was soll ich tun?«
»Erst einmal das hier anziehen.« Er warf ihm einen der Ponchos mit den Druckknöpfen zu, die die anderen Drachen so oft trugen, und führte ihn, nachdem er die Kleidung gewechselt hatte, zu dem großen Platz neben dem Feld. Ein anderer Drache wartete dort: Der schwarze mit der rostroten Kehle und den grauen Streifen im Gesicht. Ada erinnerten sie fast an eine Kriegsbemalung. Ihr Vater war auch schwarz gewesen – unweigerlich fragte sie sich, ob sie miteinander verwandt waren, aber sicher hätten Hank oder ihre Mutter das erwähnt. Menschen konnten immerhin auch gleiche Hautfarben haben.
Eris zögerte erst, trat aber schließlich näher heran. »Das genügt«, sagte Hank, der ihm ebenfalls in einigem Abstand gegenüber stehen blieb. »Jetzt versuch, dich zu konzentrieren. Es gibt keinen goldenen Weg zur Drachengestalt, jeder muss ihn selbst finden. Am Anfang ist das noch schwer und ungewohnt. Manche wechseln am Besten, indem sie sich völlig entspannen. Andere müssen sich sehr anspannen, sich vorstellen, wie ihnen Flügel und Schuppen wachsen. Besonders die Flügelvorstellung funktioniert erfahrungsgemäß gut. Es ist ein bisschen wie Meditation. Versuch, es von negativen Gefühlen wie Wut und Angst loszukoppeln. Emotionen dürfen deine Verwandlung nicht unkontrolliert triggern. Finde den Strom in dir, den du antasten musst, um es in Gang zu setzen.«
Völlig entspannen, dachte Ada. Das konnte sie auch. Sie stand etwas abseits der Erwachsenen, die lieber weiter zurückblieben, und entspannte sich. Atmete tief durch. Konzentrierte sich auf das Wachstum von Flügeln und Schuppen und dann nur noch auf die Flügel, doch nichts geschah.
Eris stand auch einfach nur da, alles andere als entspannt dabei wirkend, versuchte es, doch ohne Erfolg. »Geht nicht. Ich erinnere mich nicht mal daran, wie ich mich das erste Mal verwandelt habe.«
»Das ist nicht ungewöhnlich. Dein Körper weiß, wie es geht. Horche in dich hinein. Irgendwo dort drin ist die Antwort verborgen. Tu es intuitiv, ohne darüber nachzudenken. Es ist so, wie deine Arme zu bewegen. Du kannst es anderen nicht erklären, nur tun, und das völlig selbstverständlich.«
Eris atmete tief durch, dann noch einmal, und mit dem zweiten Ausatmen veränderte sich etwas, ohne dass Ada genau sagen konnte was. Es sah für einen Moment so aus, als ob seine Haut im Gesicht Zuckungen bekam, sich an Stellen bewegte, an denen sie sich nicht auf diese Weise bewegen sollte. Und dann brach es wie eine Kettenreaktion aus ihm hervor.
Die Haut riss auseinander, als das darunterliegende Gewebe wuchs, und erweiterte sich dabei. Seine Körperform wurde verändert, die Haut dunkler, und die Kleidung öffnete sich an den dafür angebrachten Druckknöpfen, um unbeschädigt zu Boden zu fallen. Eris krümmte sich zusammen, nahm eine vierbeinige Haltung an und zog sich in die Länge zu einer schlangenhaften Gestalt mit geschwungenem Hals, Schwanz und Flügeln, die sich aus den Schulterblättern erhoben. Grüne Schuppen wuchsen aus dem Körper, und der fertige, vielleicht fünf Meter lange Drache hob nervös den Kopf, tänzelte unruhig herum, fast wie ein scheues Pferd. Er machte schwer zu beschreibende Geräusche, eine Mischung aus Fauchen, Zischen und Gurren. Als er Hank sah, knurrte er jedoch unmissverständlich wütend, fletschte die Zähne und führte einen Scheinangriff aus, bei dem er mit dem Kopf vorstieß. Er zog den Oberkörper zurück, während seine Vorderbeine an Ort und Stelle blieben, um erneut zuzustoßen. Seine Eltern schnappten hörbar nach Luft und umklammerten einander. Ada konnte seine Mutter »Oh, Gütiger« flüstern hören und sah, wie sie die Hand vor den Mund nahm.
Hank lächelte ihnen nur entspannt zu. »Sind Sie immer noch scharf darauf, ihn wieder mitzunehmen, Mr. und Mrs. Tyrrell?« Er wandte sich an den schnaubenden Eris, ohne eine Antwort abzuwarten, hob die Handflächen und trat näher. Wieder erfolgte ein Scheinangriff. »Na, aber! Hast du völlig vergessen, dass du mich magst?«
Der grüngefleckte Drache wurde ruhiger und schnüffelte. Die großen Nüstern blähten sich dabei, enthüllten das erwähnte verletzliche, rosafarbene Innere. Er grollte, aber seine Aggression, worin auch immer sie gegründet hatte, war anscheinend verschwunden. »Er erinnert sich an das, was ihm zuletzt in dieser Gestalt widerfahren ist, und damals haben ihn Menschen bedroht«, erklärte Hank. »Deshalb ist er nicht gut auf mich zu sprechen. Er hat noch nicht genug Zeit in dieser Gestalt verbracht, um Menschen voneinander unterscheiden zu können, und nur diese eine Erfahrung, auf die er zurückgreifen kann. Aber er wird sich bestimmt an mich erinnern. Ich habe ihn damals gefüttert. Apropos füttern.« Er trug eine kleine Tasche bei sich und nahm nun einen Beutel heraus: Dieser enthielt etwas Fleisch, das darin kühl gehalten wurde. Hank griff hinein und warf Eris ein Stück zu. Der Drache fing es aus der Luft und schlang es hinunter, dann stieß er ein Gurren aus, senkte den Kopf und kam näher, die Flügel wachsam gespreizt. Hank hielt ihm wieder die offene Hand hin, und schließlich berührte Eris sie mit der Schnauze. »Ja, du bist ein guter Drache. Mit dir werden wir arbeiten können«, sagte Hank und wirkte dabei wie in seinem Element, streichelte erst seine Nüstern, dann den Rest seines Kopfes und die Kehle. Er griff wieder in die Tasche und holte einen Stapel dicker Karten in der Größe von A4-Blättern hervor, die er Eris hinhielt. Auf der ersten war ein Bild zu sehen: Ein Tisch wie der im Speiseraum.
»Na, was ist das? Kommt es dir bekannt vor?«, fragte Hank. Eris starrte darauf, schien nachzudenken. »Und das hier?«
Das nächste Bild zeigte ein Kissen. Wieder sah Eris gebannt darauf, und auch die nächsten Bilder weckten offenkundig sein Interesse: Ein Hund, eine Straße und ein Gartenzaun.
Hank sah zu dem großen Drachen hinüber, und dieser erhob sich daraufhin. Er war mehr als das Doppelte von Eris, bullig und massig. Eris schrie ängstlich auf, als er näher kam, und wich eilig zurück. Der schwarze Drache gurrte, und Eris entspannte sich wieder, sah aber weiterhin äußerst misstrauisch aus.
Der schwarze Drache richtete sich zu voller Größe auf, stellte sich schließlich auf die Hinterbeine, und Eris machte es ihm einen Moment später nach, wobei er erst wieder unbeholfen auf alle Viere zurückfiel, ehe es ihm gelang, indem er sich mit dem Schwanz abstützte. Die Vorderbeine hob er immer wieder unschlüssig, als erinnere er sich daran, dass er früher einmal Arme gehabt hatte, ohne aber noch zu wissen, wie man sie benutzte.
Der schwarze Drache spreizte die Flügel. Die Schwingen mussten eine Spannweite von über zwanzig Metern haben, waren ebenfalls tiefschwarz mit einem Rotstich, der vermutlich daher rührte, dass im Sonnenlicht die feinen Blutgefäße sichtbar wurden. Er schlug mit ihnen, was so viel Wind erzeugte, dass sämtliche Menschen fast von den Füßen gerissen wurden. Eris sprang immer wieder flatternd in die Luft, während der andere Drache mit einem Sprung vom Boden abhob und auf der Stelle flog. So sehr Eris sich auch anstrengte, er fiel immer wieder zurück und fauchte irgendwann frustriert.
Der schwarze Drache landete wieder und änderte seine Gestalt. Eris reckte dabei verwundert den Hals. Als der schwarze Drache in seine Menschengestalt gewechselt und eins der Gewänder angelegt hatte, präsentierte er sich ihnen als breit gebauter Mann mit langem schwarzen Haar und ausdrucksstarken hellen Augen. Ada fand, dass er gut in einem Abenteuerfilm die Hauptrolle hätte spielen können, vielleicht noch mit einem Hut und der entsprechenden Kluft aus abgewetztem Hemd, Lederweste und dunkler Hose. Verglichen mit seiner vorherigen Gestalt sah er wenig eindrucksvoll aus, irgendwie erschreckend normal.
Eris betrachtete ihn verblüfft, als könne er nicht verstehen, was mit dem anderen Drachen passiert war. »Einatmen und ausatmen«, sagte Hank zu ihm und zog damit wieder seine Aufmerksamkeit auf sich. »Dann kannst du genauso wieder Mensch werden, wie du Drache geworden bist.«
Ada fragte sich unweigerlich, was passierte, wenn er es nicht schaffte. Gab es Drachen, die nur noch in einer Gestalt herumlaufen konnten, weil sie die Rückverwandlung nicht hinbekamen? Die Frage erübrigte sich in ihrem Fall, denn Eris schaffte es. Sein Körper verwandelte sich auf die gleiche Art und Weise, nur rückwärts: Das Gewebe schien zu brodeln, darüber liegende Schichten in sich aufzunehmen und dabei zu schrumpfen. Die Konturen änderten sich, wurden immer humanoider, aber es dauerte bedeutend länger. Erst nach einigen Augenblicken lag ein nackter Junge vor ihnen, dem Hank sein Gewand reichte. Eris zog es eilig an, versuchte aufzustehen, fiel aber wieder um und blieb schließlich zitternd sitzen.
»Das hast du wirklich gut gemacht, Eris«, sagte Hank zufrieden. »Kannst du dich an irgendetwas aus deiner Drachengestalt erinnern?«
»Iiiich«, keuchte er und hustete, schluckte. »Iiich… b-bin gef...lattert.« Seine Stimme klang noch gar nicht wieder nach ihm selbst.
»Ja, sehr gut! Und weiter?«
»Iich wollte… ich wollte dich beißen.« Er klang erschrocken bei der Erkenntnis, und seine Sprache wurde klarer.
Hank winkte ab. »Das war zu erwarten. Wichtig ist, dass du beim nächsten Mal nicht mehr aggressiv auf Menschen reagierst, wenn du sie in deiner Drachengestalt siehst. Gibt es noch mehr Erinnerungen?«
»Die Welt war ganz… blaugelb.«
Hank nickte. »Derart feine Strukturen wie der visuelle Apparat werden bei den ersten Verwandlungen oft nicht richtig ausgebildet, sodass es zu Fehlsichtigkeiten kommt. Aber sehen konntest du? Ich habe dir Karten gezeigt. Weißt du noch welche?«
Eris dachte angestrengt nach. »Ähm… eine Straße. Und ein Hund. Noch mehr, aber ich weiß nicht, was darauf zu sehen war.«
»Sehr gut hast du das gemacht«, wiederholte Hank und wuschelte ihm durchs Haar. »Das wird fester Bestandteil deines Unterrichts, und schon bald wird es dir ins Blut übergehen, Drachengestalt anzunehmen und die Erinnerungen und Erlebnisse zu synchronisieren. Ich bin mir sicher, am Ende der Woche kannst du schon deine ersten Flugübungen absolvieren.«
»Flugübungen…? Aber wenn er nun abstürzt?«, warf seine Mutter plötzlich dazwischen.
»Dann verwandelt er sich zurück und alle verletzten Knochen sind wieder heil«, antwortete der ehemalige schwarze Drache nüchtern. Seine Stimme war nicht so gebieterisch, wie Ada anhand seiner Statur erwartet hatte, eher jungenhaft. »Ich bringe ihm bei zu fliegen, keine Sorge.« Er lächelte.
»Kirk beherrscht seine Verwandlung sehr gut, er ist wahrhaft ein Mensch in Drachengestalt mit nahezu hundertprozentiger Synchronisation. Auf ihn können Sie sich voll und ganz verlassen«, bestätigte Hank und half Eris auf.
Er war noch immer wacklig auf den Beinen, aber er stand. »Montagmorgen, wenn du ausgeschlafen bist, hast du deine erste Stunde bei mir. Das gilt auch für dich, Ada. Mal sehen, ob wir die Drachengestalt nicht auch aus dir herausholen können.« Er zwinkerte ihr zu, und sie musste zugeben, sich darauf zu freuen.
Eris blickte dagegen eingeschüchtert zu Kirk auf. »Sie sind wirklich riesig, als Drache…«
»So groß kannst du auch werden, wenn du immer schön das Gemüse vom Feld isst. Das wird eure zweite Lektion am Montag: Ich werde euch alles Wissenswerte über Pflanzen beibringen, sowohl denen auf den Feldern als auch in der Wildnis. Aber vorerst: Genießt die Zeit mit euren Eltern.«
Ada für ihren Teil hatte völlig verdrängt, dass morgen schon der Tag des Abschieds war, und auch Eris blickte etwas blass um die Nase zu seinen Eltern hinüber. Ada sah zu ihrer Mutter, und Hannah kam zu ihr, um sie fest in die Arme zu schließen.
»Was wirst du tun, wenn ich nicht mehr da bin?«, fragte Ada leise.
»Mir Sorgen machen«, erwiderte sie. »Auch wenn ich weiß, dass du bei Hank bist und hoffe, dass du nie Drachengestalt annimmst.«
Sie schmiegte sich in die Umarmung, hin- und hergerissen. Sie wollte ein Drache sein, oder? Wollte sie lieber zurück zu ihrer Mutter? Vielleicht war es gut, dass das Schicksal darüber entscheiden würde und nicht sie selbst.
Seine Eltern und er aßen am Abend zusammen in ihrer Hütte, und zum Glück gab es diesmal keinen Streit, denn sie sprachen einfach gar nicht. Dennoch – oder vielleicht auch gerade deswegen – ging er danach mit einem unguten Gefühl ins Bett. Morgen würden seine Eltern bereits abreisen, und er fühlte sich noch nicht bereit für den Abschied. Wie konnte er überhaupt sicher sein, dass er sie wirklich am Wochenende wiedersah? Vielleicht versprach Hank das nur, um sie problemloser zu trennen, und dann… er schüttelte den Kopf. Jetzt fang ich auch schon damit an.
Aber Eris wusste einfach nicht, was ihn erwartete, das konnte er ja auch gar nicht wissen. War das jetzt ein Grund, es gar nicht erst zu versuchen? So hatte er es zumindest bisher immer gehalten: Lieber gar nicht erst versuchen, dann gab es auch keine Enttäuschung hinterher und er musste nicht das triumphierende Gesicht seines Vaters ertragen, der ihm gleich gesagt hatte, dass es nichts werden würde.
Eris wurde plötzlich nachdenklich. Sorgte die Angst vor der Reaktion seines Vaters vielleicht erst dafür, dass er so unsicher wurde und es dann wirklich nicht klappte? Hier hatte bisher immerhin alles funktioniert, sogar die kontrollierte Verwandlung. Da hatte er sich vollkommen auf Hank konzentriert und sogar vergessen, dass seine Eltern anwesend waren. Mit einem Mal wurde er wütend auf sie. Vielleicht war es ja gut, wenn sie und er eine Weile voneinander getrennt waren und er unbeeinflusst eigene Erfahrungen sammeln konnte. Dasselbe galt wohl auch für seine Klassenkameraden. Dabei wusste Eris nicht einmal mehr, ob er jemals wirklich zu ihnen gehören wollte – er hatte einfach überhaupt jemand sein wollen, nicht der stille, dumme, tollpatschige Junge, als der er galt. Und jemand war man erst, wenn man Auszeichnungen mit nach Hause brachte, so wurde es ihm zumindest von seinen Mitschülern suggeriert. Etwas, das er nie erreicht hatte. Wäre er denn jetzt bei ihnen angesehen, als Drache?
Er wollte nichts so sehr wie einmal etwas richtig zu machen, die richtige Entscheidung zu treffen. Den stolzen Gesichtsausdruck anderer auch einmal bei seinen eigenen Eltern sehen, Verwunderung und vielleicht sogar Neid bei Gleichaltrigen und fühlen, wie das war.
Er hörte plötzlich, wie seine Eltern unten sprachen, und wurde ganz ruhig.
»Ich glaube, er ist hier am richtigen Ort. Sieh doch mal, wie sich das Mädchen um ihn sorgt und der Vorsteher sich kümmert. Es tut ihm bestimmt gut, unter Seinesgleichen zu sein und so zu leben, wie er leben sollte. Wir können einfach nicht länger für ihn da sein. Irgendwann kommt dieser Moment für alle Eltern.« Das war die Stimme seiner Mutter. »Unsere Fähigkeiten reichen dafür nicht aus. Das sagen alle.«
»Er kam noch nie allein zurecht, immer ist er an allem gescheitert, selbst am Einfachsten, das wird auch diesmal der Fall sein.«
»Nur, weil du ihm nie eine Chance gibst. Du hast immer alles schlechtgeredet, was er anfängt.«
»Willst du damit jetzt sagen, ich bin Schuld daran?« Die Frage klang barsch und mehr wie eine Feststellung.
»Das habe ich doch gar nicht behauptet!«
»Ach, wisst ihr was? Macht doch alle, was ihr wollt, ich schlaf auf der Couch.« Eine Tür knallte, und Eris seufzte genervt. Sein Vater war noch nie sonderlich rücksichtsvoll gewesen. Jetzt würde seine Mutter wieder weinen. Er erschrak vor sich selbst, wie wenig eingeschüchtert er davon war. Sollte er nicht am Boden zerstört sein, so wie früher, wenn sie weinte? Der Drache verändert mich, dachte er beklommen. Er fühlte sich tatsächlich anders, seit seiner ersten Verwandlung. Hatte er sich danach nicht auch zum ersten Mal richtig mit seinen Eltern gestritten? Ihm war, als hätte sich in seinem Kopf so einiges verschoben. Das machte ihm Angst.
Ganz konnte er sich nicht daran erinnern, wie es war, Drache zu sein. Es war alles irgendwie… bruchstückhaft, hier ein Fetzen und da ein Fetzen, aber nicht die Brücken dazwischen. Der Zusammenhang fehlte. Er hätte nicht sagen können, wie es sich anfühlte, Flügel zu haben. Oder Schuppen. Es war wie ein Traum, an den man sich am nächsten Morgen nur noch halb erinnerte und der kaum Sinn ergab. Aber er hatte zumindest die Angst davor verloren. Vielleicht, weil er die Situation bewältigt hatte, aus der er nach seiner ersten Verwandlung gerissen worden war. Nun empfand er eine gewisse Zuversicht. Und er freute sich, morgen Ada wiederzusehen. Mit diesem Gedanken schlief er schließlich ein und bekam nicht mehr mit, wie seine Mutter zu ihm kam und sich neben ihn legte.
Der Sonntag verging in Anspannung. Schon am Morgen beim Frühstück merkte Eris, dass es zwischen seinen Eltern weiter kriselte. Er glaubte, dass er etwas dazu sagen sollte, vielleicht sagen musste, etwas, das sie vor ihrer Abreise beruhigte und die Wogen zwischen ihnen glättete. Schließlich setzte er an: »Ich bin vorsichtig, versprochen. Ich werde immer auf Hank und Kessoka hören, und die werden ja wissen, was das Richtige für mich ist. Wenn ich euch besuchen komme, dann werde ich schon viel weiter sein und vielleicht sogar fliegen können. Ich freue mich darauf.«
Seine Eltern sahen ihn beide gleichzeitig an, dann begann seine Mutter zu weinen, obwohl sie diejenige war, die bis dahin zu ihm gehalten hatte. Das brachte ihn völlig aus dem Konzept.
»So langsam interessiert mich nicht mehr, was du tust. Wenn du meinst, du kannst das alles, dann mach es doch«, knurrte sein Vater. »Aber komm dann nicht heulend an, wenn es doch nicht funktioniert.«
Eris fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen und wusste erst nicht, was er darauf sagen sollte. Schließlich brach es unkontrolliert aus ihm heraus: »Du könntest mich ruhig mal unterstützen, anstatt alles von vornherein ins Negative zu ziehen. Meinst du, du bist der einzige, der Angst hat vor dem, was kommt? Es ist immerhin mein Leben! Auch ich weiß nicht, ob es die richtige Entscheidung war, wie denn auch? Ich bin kein Hellseher. Aber ich weiß, dass ich nicht weiterleben kann wie bisher. Ich bin ein Drache! Aber ich bin bereit, dem hier eine Chance zu geben. Was bleibt mir denn auch anderes übrig? Früher oder später wäre ich ohnehin in ein Reservat gekommen. Und das vielleicht erst, nachdem ich euch verletzt hätte.« Oder schlimmer. Er hielt inne, verwundert darüber, wie gut dieser Ausbruch getan hatte.
»Du hast ja Recht, Schatz«, schluchzte seine Mutter da und wischte sich die Tränen ab. »Ich glaube an dich. Ich glaube an diesen Ort. Und ich bin so stolz auf dich. Du hast das alles ganz allein in die Wege geleitet, weil du das richtige Gefühl hattest. Jetzt bist du unter Deinesgleichen. Aber bitte, komm uns besuchen am Wochenende. Und erzähl uns alles, was du bis dahin erlebt hast.«
»Das werde ich«, versprach er glücklich.
Er sah zu seinem Vater hinüber, hoffte auf eine Reaktion. Seine Selbstsicherheit kehrte zurück. Der Drache in ihm war wieder da, wie ein zweites Ich, das ihn von innen heraus leitete. Der Drache und der Mensch. Er stellte sich vor, wie sich seine Seele in der menschlichen Brust formte, die Gestalt eines Drachen annahm und umgekehrt. Vielleicht war das ja wirklich so.
Sein Vater aber starrte nur auf den leeren Teller. Eris hakte nach: »Glaubst du auch an mich, Dad? Glaubst du, dass ich das hier schaffen kann? Als Drache? Und als Mensch?« Er wartete, doch sein Vater antwortete nicht. Eris erhob sich schließlich, um sich die Zähne zu putzen und dann nach draußen zu gehen. Er verspürte nicht länger die Lust dazu, in seiner Nähe zu sein, lief einfach davon, irgendwohin, Hauptsache, er blieb in Bewegung. Dabei stieß er beinahe mit Hank zusammen, der sich auf dem Weg zu seinem Haus befand.
»Morgen, Jungchen.« Er lächelte breit.
»Oh, äh, Morgen.« Eris blinzelte, fühlte sich nicht bereit für ein Gespräch mit egal wem.
»Stimmt etwas nicht? Du wirkst… angespannt.«
»Oh, nein, alles in Ordnung, wirklich.«
Hank zog eine Augenbraue hoch. »Du wärst der erste, dem es vor der Trennung von seinen Eltern gut geht. Fließen schon die Tränen bei allen Beteiligten?«
Eris sah sich um, doch so früh am Tag waren sie die einzigen in der Umgebung. »Sie… streiten sich seit gestern. Miteinander und mit mir.« Er wich seinem Blick aus. »Zumindest meine Mutter hat sich arrangiert, glaube ich, aber mein Vater…«
»Verstehe. Auf den Abschied reagiert jeder anders, und dein Vater scheint mir jemand zu sein, der ungern Kontrolle abgibt. Das bereitet ihm große Furcht. Vielleicht größere als euch beiden zusammen. Es wird schwer für sie beide, schwerer als für dich. Aber das müssen deine Eltern mit sich selbst ausmachen. Du warst bisher der Mittelpunkt ihres Lebens, und plötzlich bist du nicht mehr da. Versuch, Verständnis für ihre Lage aufzubringen, auch wenn sie ungerecht reagieren. Wenn du sie besuchen kommst, werden sie wie ausgewechselt sein, da bin ich mir sicher.«
»Geht das denn auch wirklich klar, dass ich sie besuche?«, fragte er vorsichtig.
»Aber ja – wir haben sogar etwas Offizielles an deinem ehemaligen Wohnort zu tun: Nächstes Wochenende müssen wir einen jungen Drachen von dort zu uns holen. Vielleicht ist es ja sogar ein Klassenkamerad von dir?«
Eris horchte überrascht auf. Er ging seine Klassenkameraden nacheinander im Kopf durch. Wen konnte er sich am Ehesten als Drachen vorstellen? Ihm fiel niemand ein. Aber hätte ihn irgendjemand für einen Drachen gehalten? »Wie heißt er oder sie denn?«
»Wir haben nur eine Adresse und ein Alter, vierzehn. Mal sehen, was uns erwartet. Aber noch stehen andere Dinge an. Wie fühlst du dich gerade?« Sie gingen ein Stück zusammen.
»Gut, glaube ich. Ich weiß nicht… es ist alles so… schwierig gerade.«
Hank lächelte. »Vielleicht lenkt es dich ein wenig ab zu erfahren, wie dein Stundenplan aussehen wird. Ich wollte ihn eben in deinen Briefkasten werfen.« Er reichte ihm einen Bogen Papier. Es war ein ganz gewöhnlicher Stundenplan, aber mit ungewöhnlichen Fächern: Jeden Tag ging es frühmorgens los, und Montag hatte er zuerst Verwandlung, dann Pflanzenkunde. Es gab noch die Fächer Naturwissenschaften und Sprachen. Der Unterricht schien immer nur bis Mittag stattzufinden, danach hatte er Freies Lernen. »Was bedeutet Freies Lernen?«, wollte er wissen.
»Wir geben euch nur die Grundlagen mit, ihr müsst selbst entscheiden, was euch weiterführend interessiert und welches Wissen ihr vertiefen wollt. Fachbücher findet ihr in unserer Bibliothek und in der Schule. So lernen Drachen am Besten. Irgendetwas findest du bestimmt, was dir Spaß macht. Wofür interessierst du dich?«
Eris zögerte. »Naja… äh… ich glaube…« Darüber hatte er noch nie so richtig nachgedacht. Er hatte nie ein Schulfach bevorzugt, irgendwie machte er sie alle mehr oder weniger ungern, und so Dinge wie Sport und die Schülerzeitung musste doch jeder mögen, immerhin brachten sie Ansehen. »Keine Ahnung, ehrlich gesagt.«
»Das ist ungewöhnlich, normalerweise haben Drachen wenige Spezialinteressen. Sieh dir Kirk an mit seinen Pflanzen. Sein ganzes Haus ist voller Bonsai-Bäume, dahinter hat er ein Moorbeet mit Insektivoren und mehrere Kräutergärten. Er macht aus den Pflanzen Gewürze und sogar Destillate. Kirk ist förmlich besessen von Grünzeug und verbringt den Großteil seines Tages im Wald.«
Eris dachte darüber nach. War auch das etwas, worin er von anderen beeinflusst worden war? Die anderen hatten Sport für toll und wichtig befunden, einschließlich seiner Lehrer, genau wie die Teilnahme an irgendwelchen Rechen- oder Buchstabierwettbewerben. Er selbst aber hatte das alles schon immer wenig ansprechend gefunden. »Vielleicht mag ich ja auch Pflanzen?« Zumindest hatte er den Gummibaum seiner Mutter immer sehr gemocht, und die Kirschbäume in der Nähe ihres Hauses.
»Denk darüber nach, Jungchen. Du wirst schon etwas finden. Bei Kirk dauerte es auch lange, bis er sich als Individuum wahrnahm. Er glaubte, er hätte keine eigenen Interessen außer Gott. Seine Familie hat ihn so erzogen. Sie waren streng gläubig, katholisch-christlich.«
»Oh. Wie kam Kirk denn hier her?« Eris war begierig darauf, etwas über den anderen Drachen zu erfahren.
Hank zögerte, und Eris befürchtete schon, es würde so eine Sache sein wie mit Samuel. Er bereute, gefragt zu haben, doch Hank antwortete schließlich: »Er war sehr jung, als er erste Anzeichen für Blütigkeit zeigte, gerade einmal sechs Jahre alt. Seine Eltern haben versucht, ihn von der Drachenbesessenheit zu reinigen.«
»Exorzismus?«, fragte Eris erschrocken.
»Ja. Die Familie war eine eingeschworene Gemeinschaft, die äußere Einmischung ablehnte. Sie gingen nur mit ihm in die Öffentlichkeit, wenn er zu einer der verpflichtenden Untersuchungen musste. Irgendetwas dort hat ihm große Angst gemacht, vielleicht die vielen unbekannten Eindrücke. Er kannte nur das Haus, die Familie war selbstversorgend. Der Arzt vermutete aufgrund seines Verhaltens, dass er drachenblütig ist. Seine Eltern haben ihn daraufhin in die Hände von Priestern gegeben, die ihm den Drachen austreiben sollten. Er wurde gefesselt, körperlich misshandelt und musste hungern, mit sechs Jahren. Sie glaubten wirklich, Drachen seien Dämonen, die Menschen befielen, und dass man sie auf diese Weise heilen könne. Erst, als er aufgrund seines schlechten gesundheitlichen Zustands in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste, nahm ihn die Drachenbehörde in Obhut, weil er mittlerweile völlig dekompensiert war – er hatte seine Symptome nicht mehr im Griff, knurrte, biss um sich und ließ keinen Arzt an sich heran. Er verweigerte das Essen, es sei denn, es handelte sich um rohes Fleisch, und angeblich hat er einen Vogel, der sich ins Krankenzimmer verirrte, gefangen und gegessen. Samuel und ich nahmen ihn zu uns ins Reservat – der bisher jüngste Drache, der von seinen Eltern getrennt wurde, unseres Erachtens nach viel zu früh. Wir stellten uns auf großen Widerstand durch die Familie ein, aber seine Eltern fragten nicht einmal nach ihm. Sie hatten noch weitere Kinder und sahen ihn wohl als entbehrlich an, vielleicht auch als unrettbar. Er hatte Wunden und Atemprobleme, war gegen nichts geimpft und unterernährt. Es dauerte lange, bis er zu uns Vertrauen fasste. Samuel war seine erste und einzige Bezugsperson, sein Alpha. Als er starb, wurde Kirk davon schwer getroffen.«
Eris’ Herz machte einen Satz. Kirks Geschichte war so unglaublich traurig. »Wie können Eltern soetwas tun? Er ist doch ihr Sohn.«
»Ich erlebe hier so einige Geschichten, die mich meinen Glauben an liebende Eltern verlieren lassen«, sagte Hank ernst. »Erinnerst du dich an die Frau, die oft mit Raleigh beim Essen sitzt? Der blaue Drache? Sie heißt Alessia und wurde von ihrem Vater hier abgesetzt, nachdem er eine neue Frau kennenlernte. Diese hatte bereits eine eigene Tochter, und bald sollten sie noch eine gemeinsame bekommen. Alessia war überglücklich darüber. Sie wollte immer eine Mutter. Ihre eigene starb, als sie noch ein Baby war, und ihr Vater war oft überfordert, so ganz allein mit ihr. Sie liebte auch ihre kleine Stiefschwester, denn wie alle Drachen beschützte sie jüngere Schwarmmitglieder instinktiv. Aber Stiefmütter sind manchmal wirklich so wie im Märchen: Sie ließ Alessia immer wieder spüren, dass sie nicht erwünscht war. Und Alessia nahm es hin, für ihren Vater, der endlich glücklich war, und für ihre kleine Schwester, die sie bald kennenlernen würde. Doch dazu kam es nicht. Ihr Vater und ihre Stiefmutter erzählten Alessia, sie würden übers Wochenende alle gemeinsam in die Smokys fahren. Stattdessen haben sie sie hier abgeliefert, obwohl die Selbstanreise gar nicht erlaubt ist. Ich hatte noch niemals eine solche Wut auf Eltern, nicht einmal auf meine eigenen für das, was sie mit Samuel getan haben. Alessia war zu dem Zeitpunkt erst elf Jahre alt. Sie weinte sich den ganzen Tag lang die Augen aus vor Verzweiflung, Angst und Enttäuschung und redete sich ein, ihr Vater käme zurück, um sie wieder mitzunehmen. Das Trauma hat sie nie überwunden. Alessia fand hier jedoch schnell Anschluss. Sie musste früh selbstständig werden mit einem alleinerziehenden Vater, und hier konnte sie noch eine Weile Kind sein. Besonders Silas war wie ein großer Bruder für sie. Wenn man sie beide sah, hätte man denken können, er wäre der jüngere von ihnen beiden. Irgendwann kam ihr Vater tatsächlich zurück. Seine neue Beziehung war zerbrochen, und sie hatte beide Kinder mitgenommen. Jetzt wollte er seine verstoßene Tochter zurück. Angeblich sei es die Stieftochter gewesen, die ihn dazu brachte, Alessia wegzugeben, weil sie Lügen erzählte, mit denen sie ihrer neuen Schwester aus Eifersucht Probleme machen wollte. Ihr Vater glaubte ihr mehr als Alessia, oder eher seiner neuen Frau. Liebe macht eben doch irgendwo blind. Alessia war zu dem Zeitpunkt allerdings schon seit einem halben Jahr hier und fest mit dem Reservat verbunden, wenn sie auch noch keine Drachengestalt annehmen konnte. Sie hat sich geweigert, zu ihrem Vater zurückzugehen und Silas alleinzulassen. Ihr Vater muss nun mit seiner Schuld und Einsamkeit zurechtkommen. Alessia geht es hier sehr gut, und sie hat sich immerhin tatsächlich als Drache herausgestellt.«
Eris fühlte sich gleichermaßen mitgenommen wie erleichtert. »Da hab ich ja echt noch Glück mit meinen Eltern, was?«
Hank lächelte nicht weniger schief als er. »Ich glaube, deine Eltern haben es mit dir etwas zu gut gemeint – zumindest habe ich diesen Eindruck. Sie haben dich so bevormundet, dass du nicht herausfinden konntest, wer du als Individuum bist. Du scheinst mir gar nicht so ein schüchterner Bursche zu sein, wie es zunächst den Anschein hatte. Vielleicht irre ich mich, aber ich glaube, dein Umfeld hat dich erst so verunsichert. Daher ist es jetzt umso wichtiger, dass du überlegst, wer du sein willst. Du allein.«
Eris schluckte, dann entschloss er sich, die Wahrheit zu sagen: »Ich will, dass meine Eltern stolz sind. Und früher wollte ich, dass meine Lehrer stolz sind. Und dass meine Mitschüler mich wahrnehmen.«
Hank nickte. »Und nun sind weder deine Lehrer noch deine Mitschüler hier. Sie werden auch nicht wieder in dein Leben treten. So ist das, irgendwann trennen sich die Wege von Lehrern und Mitschülern für immer, und so bleibt die Frage, warum man sie beeindrucken wollte. Ähnlich ist es mit Eltern. Irgendwann verlassen Kinder sie, um ihren eigenen Weg zu gehen. Was für ein Weg wird das bei dir sein? Du allein entscheidest darüber, denn du musst mit ihm glücklich werden, niemand sonst.«
Wenn Hank das sagte, klang es so… logisch. Was blieb denn noch von seinem alten Leben? Eigentlich nichts. Er musste diesen Weg gehen. Aber wohin sollte er ihn führen? Eris schluckte. Er hätte sich viel früher über diese wirklich wichtigen Dinge Gedanken machen müssen, anstatt den anderen nachzueifern. Was, wenn es längst zu spät dafür war?
»Ich hätte jetzt gern etwas Ruhe«, sagte er und versuchte, bestimmt zu klingen.
»Natürlich, natürlich, ich wollte dich auch nicht weiter stören, schließlich habe ich noch etwas mit deinen und Adas Eltern zu bereden.«
John, Claire und Hannah saßen wenig später gemeinsam in Hanks Büro und warteten auf seine Rückkehr. Hannah ahnte aufgrund seines Starrens, was John gleich tun würde, und blieb völlig ruhig, als er in bissigem Tonfall zu ihr sagte: »Sie scheinen es ja problemlos hinnehmen zu können, dass die Ihnen ihr Kind wegnehmen.«
»John«, mahnte Claire und warf Hannah einen entschuldigenden Blick zu. Hannah für ihren Teil reagierte gelassen.
»Niemand nimmt mir mein Kind weg, ich gebe es freiwillig her. Das hier ist der beste denkbare Ort für meine Ada. Ihr Vater hat hier gelebt, dieses Reservat mit seinen eigenen Händen und Klauen errichtet. Ja, er war ein Drache, und starb durch die Hände von Menschen. Ich will, dass meine Tochter in Sicherheit vor ihnen ist, unter den Fittichen meines Schwagers, der weiß, was er tut. Ich werde ruhiger schlafen, nun da Menschen von ihr ferngehalten werden. Das war jahrelang meine größte Angst. Sie sind zu allem fähig, wie man am Schicksal meines Ehemanns sieht.«
Das ließ seinen wütenden Gesichtsausdruck verschwinden und ließ ein vor Verblüffung glatteres zurück. »Aber Sie werden sie nie wiedersehen«, gab er zu bedenken.
»Ich habe ihren Vater an diesem Ort kennengelernt, natürlich werde ich auch sie wiedersehen«, sagte Hannah bestimmt.
Die Tür öffnete sich, und Hank kam wieder herein. »So, kommen wir zum unausweichlichen Punkt des Tages: Dem Papierkram. Ich muss Sie alle noch über ein paar Dinge bezüglich ihrer Kinder aufklären. Beginnen wir mit dem Wichtigsten – die vorgeschriebenen Schutzimpfungen gegen das Herefordt-Prenson-Virus. Eris muss sie als Wandler erhalten, das ist gesetzlich vorgeschrieben. Da Ada bei uns lebt und zudem voraussichtlich darauf bestehen wird, wenn es Eris betrifft, möchte ich auch sie impfen, selbst wenn sie bisher noch keine Gestalt angenommen hat. So erhalten wir die bestmögliche Herdenimmunität.«
»Eris hat furchtbare Angst vor Spritzen«, äußerte Claire besorgt.
»Das haben sie doch alle, so wie sie auch alle Angst vor Ärzten haben. Das liegt in der Natur der Sache – und an der Gesellschaft, in der sie aufwachsen mussten. Ihre Kinder sind sicherlich oft angeeckt, und das war nicht ihre Schuld, sondern die ihres Umfelds, das nicht adäquat mit Drachennachwuchs umgehen kann und eine Atmosphäre der Angst um ihre grundlegendsten Bedürfnisse herum schafft. Sie werden sich wundern, wie sie schon nach einer Woche in passender Umgebung aufblühen. Aber kommen wir zum Thema zurück: Die Impfungen werden im Laufe der kommenden Woche von mir durchgeführt. Die Krankheit ist Ihnen sicherlich bekannt – sie befällt Drachenblütige unabhängig ihrer Wandlerfähigkeit, aber bei Wandlern verläuft sie fatal. Die Impfung wird erfahrungsgemäß gut vertragen. Hier steht alles, was Sie darüber wissen müssen.« Er reichte beiden Parteien ein beidseits bedrucktes Blatt Papier mit kleiner Schrift und ein zweites leeres. John stöhnte beim bloßen Anblick der Textwand. »Wir machen es ihnen so leicht wie möglich, sie halten danach Ruhe und bekommen etwas gutes Zuessen, damit sie die Impfung positiv in Erinnerung behalten. Haben Sie selbst in der Vergangenheit etwas getan, um sie nach solchen Maßnahmen zu belohnen? Etwas, das wir übernehmen können?«
»Ada liebt Chicken Wings«, sagte Hannah. »Die habe ich ihr immer nach Arztbesuchen gemacht.«
»Oh, Eris mag kein Fleisch«, warf Claire eilig dazwischen. »Ich meine, hier isst er es komischerweise, aber Zuhause…«
Hank bedachte sie mit einem eigentümlichen Blick. »Einen Drachen, der kein Fleisch isst, gibt es nicht. Das ist ein grundlegendes Bedürfnis ihres Körpers. Sie können nicht darauf verzichten. Wenn Sie ihn dabei nie beobachtet haben, hat er das Fleisch mit Sicherheit heimlich verzehrt.«
Claire wirkte geschockt, dann räumte sie ein: »Als kleines Kind wollte er immer Schnitzel, aber…«
»Sie haben das nicht gern gesehen und irgendwann hat er es stehen lassen, verstehe«, sagte Hank ohne Vorwurf. »Sie bekommen beide nach der Spritze Chicken Wings. Punkt zwei: Ich muss wissen, was Ihre Kinder für Unverträglichkeiten haben, Besonderheiten, alles, was Ihnen wichtig erscheint. Schreiben Sie es bitte auf das zweite Blatt. Sie haben dafür bis zu Ihrer Abreise Zeit. Drittens: Ich brauche Ihre Unterschrift, dass ich Ihre Kinder in Gewahrsam genommen habe, für die Behörden. Sie erhalten einen Durchschlag für die Schule, um sie abmelden zu können, und natürlich für die Bürgerstelle.«
Hannah unterschrieb nach kurzem, aber aufmerksamem Überfliegen des Textes, während Eris’ Eltern zögerten.
»Haben Sie noch Fragen an mich, Mr. und Mrs. Tyrell?«
»Was meinst du bereden die da drin?«, fragte Ada angespannt und sah zu dem Haus hinüber, in dem ihre Eltern mit Hank verschwunden waren. Es gefiel ihr nicht, derart ausgeschlossen zu werden von etwas, das sie betraf. Sie wurde darüber plötzlich wütend und unsicher zugleich, erinnerte sie an diesen einen Arzt, der sie damals hinausgeschickt hatte, um allein mit ihrer Mutter zu sprechen. Sie wusste heute gar nicht mehr, warum sie dort war, irgendeine Schuluntersuchung vermutlich. Reine Routine. Ada hatte keine Probleme mit Ärzten und auch keine Angst vor Untersuchungen, aber ihre Mutter war, nachdem sie wieder hinaustrat, verschlossen und abweisend ihr gegenüber. Ada hatte auch nicht wie üblich nach einer unangenehmen Sache ihr Lieblingsessen – Chicken Wings – bekommen, was sie noch mehr ins Grübeln brachte. Sie wusste nicht, warum um alles in der Welt sie sich ausgerechnet daran noch so gut erinnerte. Die kleine Ada, damals noch nicht mal in der Schule, die sie später so frustrierte, hatte in diesem Moment zum ersten Mal nicht gewusst, was sie tun sollte. Erst glaubte sie, sie selbst habe irgendetwas falsch gemacht und deshalb keine Belohnung bekommen, und sie hatte nicht gewagt, danach zu fragen. Vielleicht wäre das eine dumme Frage gewesen und hätte sie dumm dastehen lassen. Im Bett hatte sie schließlich vor Überforderung geweint. Wenn sie sich richtig erinnerte, war das wohl der Anfang ihrer späteren Abneigung gegen Ärzte gewesen.
Ihre Mutter hatte ihr erst drei Tage später erzählt, dass der Arzt sie für drachenblütig hielt und was das bedeutete: Sie würde ihrer Mutter vielleicht weggenommen werden und in ein Reservat kommen. Das machte ihr noch viel mehr Angst als die vorangegangene Unwissenheit, doch am Meisten belastete sie, dass dieser Arzt ihre Mutter aufgeregt hatte. Das war so schlimm wie eine Beleidigung, fand sie. Ada hätte ihn am Liebsten gebissen, und in ihr reifte der Wunsch, auch Hank zu beißen, wovor sie erschrak. Hank war ihr Onkel, ihr Alpha. Er würde ihre Mutter nicht aufregen. Oder? Woher wollte sie das wissen? Sie kannte ihn doch erst seit nicht einmal drei Tagen.
»Vermutlich solchen Erwachsenenkram«, meinte Eris schulterzuckend. »Unterschriften, die wir noch nicht geben dürfen. Dass wir hierbleiben werden und sie damit einverstanden sind und so.«
»Meinst du?« Wenn er das sagte klang es so… unspektakulär, wie eine elterliche Einwilligung zum Wandertag. Sie spürte, wie sie innerlich ruhiger wurde. »Ich will es wissen, aber vermutlich erzählen sie es uns nicht. Meine Mutter hat mir nicht immer alles erzählt«, erwiderte Ada leise, dachte dabei nicht nur an die Begegnung mit dem Arzt, sondern auch an Lance.
»Meine auch nicht.« Er tat, als wäre das für ihn völlig ohne Belang, aber sie sah, dass es ihn belastete. »Aber Hank wird es uns erzählen, da bin ich ganz sicher.«
In dem Moment traten ihre Eltern heraus. Eris erhob sich mit ihr zusammen, und sie lief zu ihrer Mutter, umarmte sie aber nicht, sondern sah sie ernst an. Ada würde sich ganz bestimmt nicht wieder so einfach abspeisen lassen wie damals. Ihre Mutter lächelte erleichtert. »Jetzt ist es amtlich.«
»Was? Worüber habt ihr geredet?«
»Dass ich damit einverstanden bin, dass Hank dich hier behält und sich um dich kümmert.« Sie wirkte glücklich und unglücklich zugleich. »Dein Vater wäre so froh gewesen, dich hier zu haben, nah bei sich. Er hätte sich so darüber gefreut, ein Kind zu haben.« Hannahs Tränen bahnten sich ihren Weg, und dann umarmte sie sie fest und innig. »Gehen wir noch ein bisschen ins Haus. Ich möchte jeden Moment mit dir auskosten, bevor ich fahre. Ich werde dich so vermissen, Liebling.«
Eris stellte sich vor seine Mutter, als sie ebenfalls hinaustrat. »Worüber habt ihr gesprochen?«, wollte er von ihr wissen.
Sie sah Hank an, und er nickte ihr zu. »Du bleibst hier, wir… sind damit einverstanden und wünschen dir alles Gute. Wir sehen uns ja ganz bald wieder, und du erzählst uns dann alles. Wir werden weiter für dich da sein, immer. Aber ich glaube, hier ist der richtige Ort für dich, Schatz.«
Eris nickte, war selbst überrascht, wie erwachsen er sich dabei fühlte. Sein Blick wanderte zu seinem Vater, der ihm auswich. Sein Vater schüttelte nur den Kopf, dann blickte er ihn plötzlich ebenso streng an. »Du hättest das nicht tun dürfen. Jetzt ist es zu spät.«
Damit ging er an ihnen vorbei, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, und Eris spürte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte – wie früher, wenn er glaubte, etwas ganz toll gemacht zu haben und dann in Erwartung der stolzen Reaktion seines Vaters zu ihm aufgesehen hatte, nur um zu erkennen, dass dieser enttäuscht war. Das hatte ihn zum Weinen gebracht und noch mehr beschämt, wenn auch meist erst, sobald er allein war. Doch diesmal war etwas ganz und gar anders. Er war auf die gleiche Weise verletzt wie damals, aber das Grundgefühl war keine Hilflosigkeit mehr – sondern Wut.
»Liebling«, sagte seine Mutter beschwichtigend, aber John reagierte nicht darauf, und sie blickte hilflos zwischen ihm und Eris hin und her, überfordert mit der Situation.
»Schon gut«, hörte Eris sich wie aus weiter Ferne sagen, verblüfft, wie schnippisch er klang. Er umarmte sie, spürte ihre Tränen an seiner Wange. In seinem Hals steckte dagegen ein heißer, harter Brocken, wenn er daran dachte, wie Adas Mutter mit der Situation umging und wie sie jetzt einträchtige letzte Stunden miteinander verbrachten. Anscheinend war das bei ihnen tatsächlich nicht möglich. Er löste sich von ihr und wandte sich ebenfalls ab, um davonzugehen.
»Das hätte nicht sein müssen«, hörte er Hank noch in hartem Tonfall zu seinen Eltern sagen. »Es macht es für Ihren Sohn nicht leichter, Abschied zu nehmen.« Dann war Eris auch schon zwischen den Häusern verschwunden und außer Hörweite, unwissend, wo er die nächsten Stunden verbringen sollte. Ada und ihre Mutter wollte er natürlich nicht stören.
Plötzlich blieb er stehen und dachte nach. Vielleicht war das ja sogar gut für ihn. Wenn er vor lauter Trauer geheult hätte, sobald sie ihn zurückließen, wäre das viel schlimmer gewesen. Da wollte er lieber wütend auf sie sein. Das war tatsächlich etwas Positives, das er dem Ganzen abgewinnen konnte – auch wenn es einen schalen Beigeschmack hatte.
Er ging weiter, bemerkte abermals nicht nicht, wie er dabei fast mit jemandem zusammenstieß. Erschrocken fuhr Eris auf und fand sich Kirk gegenüber.
»Augen auf«, sagte dieser und lächelte verständnisvoll.
»Entschuldigung! Ich… war gerade mit meinen Gedanken woanders.« Eris erkannte erst jetzt, dass er am Waldrand angelangt war, auf einem Trampelpfad, der zwischen die Bäume und eine Anhöhe hinaufführte.
»Hab’s gemerkt«, sagte Kirk lächelnd. Eris fühlte sich ausgesprochen unwohl und wünschte sich, im Boden versinken zu können. Dann erinnerte er sich unweigerlich daran, was Hank ihm über Kirk und seine Familiengeschichte erzählt hatte. Umso seltsamer, dass er immer lächelte und fröhlich zu sein schien, so wie jetzt.
»Was äh, tust du hier draußen?« Eris sah erst jetzt, dass er einen Flechtkorb dabei hatte, gefüllt mit einer dicken Matte aus allerlei grünen Blättern und Stängeln. Er wirkte damit wie die unpassendste männliche Version einer Kräuterhexe, die man sich vorstellen konnte.
»Ich verbringe meine Zeit meist im Wald zwischen den Bäumen, da fühle ich mich am Wohlsten. Außerdem sammle ich Frühlingskräuter. Und was tust du hier?«
»Ich… weiß nicht«, gestand er schließlich, als ihm keine passende Erklärung einfallen wollte. »Ich wollte einfach weg von meinen Eltern. Ich meine, nicht, dass ich sie… aber…«
»Schon klar, Spannungen vor dem Abschied. Da hab ich was gegen.« Er griff in den Korb und nahm eine Pflanze heraus, die gezackte, saftig grüne Blätter hatte. »Iss, das tut gut.«
Eris betrachtete sie zweifelnd. »Was ist das?«
»Minze. Ich sehe, ich werde im Unterricht einiges zu erarbeiten haben mit dir.« Er riss ein Blatt ab und steckte es sich in den Mund. »Das enthaltene ätherische Öl wirkt beruhigend auf junge Drachen, deshalb koche ich ihnen immer gern Tee daraus, wenn sie aufgeregt sind. Außerdem schmeckt es einfach gut.«
Eris konnte nicht sagen, ob ihn das Blatt beruhigte, das er nun doch zögerlich kostete, aber beim Geschmack konnte er sich zumindest anschließen. »Was ist das alles?«, fragte er und deutete auf den Korb.
»Was gerade so wächst in meinen Freigärten: Bärlauch, Kerbel, Liebstöckel, Schnittlauch, Salbei… die Natur hat viel zu bieten. Wir neigen dazu, es zu übersehen.«
Eris überlegte, ob das auch etwas für ihn sein könnte: In die Wälder gehen und Kräuter sammeln. Er konnte es ja zumindest mal versuchen.
»Na dann, ich muss sie weiterverarbeiten, solange sie frisch sind, wir sehen uns morgen zum Unterricht«, sagte Kirk und wuschelte ihm tatsächlich im Vorbeigehen durchs Haar. Eris sah ihm nach, und plötzlich hatte er das Bedürfnis, den neu gefundenen Weg, von dem Kirk gekommen war, weiterzugehen, tiefer in den Wald hinein. Er sah sich um, und als er feststellte, dass er unbeobachtet war, ging er tatsächlich weiter.
Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!
0
|
Sabienchen • Vor 12 Stunden und 16 Minuten • Mit 23. Kapitel verknüpft | |
Eris Vater ist unbesserlich, aber zu sein Glück wird er es nicht so versauen, wie Kirk und Alessia Eltern. Da er noch seine Frau hat und es momentan wie ein bockiges Kind verhält, aber ich denke, der Abstand und die Woche wird ihm schon etwas helfen. Obwohl es höchstwahrscheinlich noch etwas länger dauert ^^ Ich kann Adas Gedanken schon verstehen und sorgen, da es um sie geht. Nur sie muss auch noch verstehen, das sie noch Jung ist und kann noch nicht alles verstehen usw. Eris lernt eher die anderen oder ihre Hintergrund Geschichten kennen als Ada, wegen seine Umstände. Aber vielleicht ist es auch nicht schlecht, da er die andere Drachen eher kennen lernt und mit seiner Situation besser umzugehen. Obwohl er es schon angenommen hat, aber ein leichter Zweifel wird noch da sein, da es bei mir immer etwas dauert, bis ich es komplett verarbeitet habe ^^ Aber so können die andere Drachen Eris vorher auch kennen lernen und einschätzen :) Aber anscheint Verwandelt er sich doch nicht so schnell oder er hat sich schon etwas an der Situation mit seinen Vater abgefunden. Auch, da sein Drache ihm dabei hilft :) Mehr anzeigen |
||
|
0
|
Sabienchen • Vor einem Tag, 9 Stunden und 44 Minuten • Mit 22. Kapitel verknüpft | |||
Ich finde, hier in der Geschichte gut, wie die Wirklichkeit auch sein kann und du auch mehr hingesehen hast usw. :) Alleine welche Hintergrundgeschichten es sind oder die Gedanken und Meinungen ^^ Aber ich denke, es ist auch gut das Eris den Kopf von seinem Vater wächst :) so dass er auch in der Woche einiges zum Nachdenken hat und auch mit seiner Frau über die Situation redet^. Da es oft einiges ausgesprochen werden muss, um was umzudenken ^^ Die Geschichte von Kirk, hört sich auch etwas wie mit der Umerziehung von der Sexualität an. Von Alessia ehrlich wie von Märchen, aber ihr Vater bezahlt den Preis dafür und er wird es immer bereuen. Aber Hank hat auch recht und ich denke, Eris wird es auch schaffen :) Mehr anzeigen |
||||
|
0
|
Sabienchen • Vor 2 Tagen, 9 Stunden und 19 Minuten • Mit 21. Kapitel verknüpft | |||
Irgendwie sind die letzten Kapitel und dieses sehr gut, ich freue mich schon auf das nächste :) Besonders die Gedanken und Meinung gefallen mir sehr, da fühle ich verbunden ^^ Gerade wo selber Zweifel wegen der Welt und Menschheit, besonders der Menschli8chkeit. Ob sie nur ein Trugbild ist oder nicht und ich kann hier komplett Hannah Hoffnungslosigkeit verstehen, da es mir gerade selber so geht. ( Das eine Geschichte, genau meine Gedanken usw. wieder spielen, hatte ich noch nie gehabt. ) Aber es ist leider immer so mit Versuchen oder andere Sachen :( Aber es war auch interessant die Verbundenheit, von einer anderen Person erfahren, die es erklären konnte. Da Hannah ihre Erfahrung gesammelt hat, aber ich bin auch noch gespannt, was es mit Lance und Hank auf sich hat. Aber bei der erste Szene in den Speisesaal, konnte man auch kleine Gruppe heraus lesen, also gibt da auch verschiedene Freundschaftsgruppen oder ist da auch eher Verbundenheitsgefühl? Das Sozial Leben von den Drachen ist auch interessant, weil sie eher als Einzelgänger öfters beschrieben werden, außer bei Paaren. Bei dir ist es anders, daher ist es für mich auch sehr gespannt, wie es bei dir beschrieben wird. Aber die erste Unterrichtsstunde war interessant und kann Ada Neugier auch verstehen und bin auch sehr gespannt, ob sie ein Drache ist oder nur eine Drachenblütige. Ihr Zwiespalt kann ich auch verstehen, wegen ihre Mutter, sonst würde sie da auch etwas freier sein, nur wenn ihre Mutter da ist und ihre bedenken. Da sie sonst ihre Mutter ausgeblendet hat, aber ich denke ihre Mutter wird immer mal wieder in ihre Gedanken da sein und sie besuchen. Aber ich frage mich gerade, ob sie ihre Mutter vergessen würde, wenn es kein Kontakt da wäre oder Hank sie nicht an ihre Familie erinnert. Weil ich da nicht genau weiß, wie die Drachen und Drachenblütigen sind, mit ihre Menschlich Seite, aber sie ist auch wichtig. ( Ich hoffe, du liest heraus was ich meine und ich unterstelle Ada nicht als Gefühlkalt oder so. ) Aber irgendwo kann ich auch verstehen, warum sie sich zurück gehalten hat, aber ich dachte, sie hätte gefragt ob sie ihn auch mal streicheln könnte ^^ Aber vielleicht ist es noch zu früh, trotz der Verbindung. Mehr anzeigen |
||||
|
0
|
Sabienchen • Vor 5 Tagen, 20 Stunden und 34 Minuten • Mit 20. Kapitel verknüpft | |||
Ja Ada ist etwas über das Ziel geschossen, aber ich finde, ihre Neugier verständlich. Vielleicht etwas zu früh, aber es ist auch ihr Recht zu erfahren und ich glaube, Hannah hätte es ihr auch erzählt. Besonders da sie den Verlust akzeptiert und sie macht sich auch nicht so große vorwürfe wie Hank. Daher kann ich auch Hank verstehen, warum er es ungerne es erzählt, aber ich finde, es ist wichtig. Da er es akzipieren muss sonst geht er irgendwann daran kaputt oder er kann sein und Samuels Traum nicht erfüllen :/ Da er sich verschließt und keine angehörigen, von seinem Reservat in Gefahr bringen möchte. Daher wird es für die Beide, ihre Idee Hank zu überzeugen auch schwer sein. Jetzt mal zu der Jagt und war auch interessant, wie Hank da seine andere Seite gezeigt hat :) Ich fand, seine Wilde Seite auch interessant und natürlich haben sich Eris und Ada unwohl gefühlt, da sie es noch nicht kennen. Aber es war ihnen auch nicht fremd, besonders da Eris wieder normaler leben kann und normal essen ^^ Aber es war auch interessant, das Kessoka nicht als ersten sich ein Tier ausgesucht hat, eher gewartet hat. Da ich es eher gedacht hätte, sie als erstes sich eins holt. Behalt es mal im Kopf, da ich so langsam immer sehr gespannt, auf ein neues Kapitel bin. Da es immer zu schreiben, mir doof vorkomme, aber es wird sehr spannt und weckt meine Neugier. Besonders, da nach jeden Kapitel neue Fragen kommen und da du schaffst, es neue Fragen aufkommen oder überlege wie es weiter geht. Aber ich weiß auch, es nicht immer direkt das neue Kapitel es lüftet, es kann noch was dauern ^^ Mehr anzeigen |
||||
|
0
|
Sabienchen • Am 12.10.2025 um 22:56 Uhr • Mit 19. Kapitel verknüpft | |||
Mhh, das Kapitel finde ich, interessant ^^ Ersten da Hank, Eris alleine ließ und ihn Vertrauen entgegen ließ. Aber ich glaube, Eris ist es nicht bewusst, aber ich denke Hank wäre in der Nähe. Nur ich frage mich wie Lance darauf regiert hätte, aber was mich verwundert, das Lance so eine starke Verbindung zu Hank hat. Ist es dann so ähnlich wie Eris und Ada, mit den zwei Teilen? Aber Lance ist sehr gerne ein Drache, kann es sein? Ich kann Eris Gedanken auch verstehen und so langsam werde ich sehr neugierig, was eine Art Verbundenheit es ist. Was Eris und Ada spüren, auch was es mit zwei Teile gemeint ist. Ist es so ähnlich wie eineiige Zwillinge oder Seele Partner ( Da ist nur Verbundenheit gemeint und es muss ja keine Partnerschaft sein )? Fragen auf Fragen ^^ Ich bin auch auf die Jagt sehr gespannt :) Mehr anzeigen |
||||
|
0
|
Sabienchen • Am 10.10.2025 um 22:01 Uhr • Mit 18. Kapitel verknüpft | |||
Hm, ich glaube, der Vater kann seinen Sohn nicht los lassen. Ich kann es irgendwo verstehen, aber mit seine Angst kann er auch einiges zerstören. Aber ich habe den eintrug, das seine Mutter, da eher los lassen kann, obwohl es ihr auch nicht leicht fällt. Aber Eris hat sich vor das Reservat, ein gewisses Selbstvertrauen aufgebaut und durch Ada noch etwas mehr ^^ Es ist verwunderlich für seine Eltern, wie schnell er sich mit Ada angefreundet hat, da sie es von ihm nicht gewohnt sind. Es war etwas knapp gewesen mit der Verwandlung, aber Eris hat gut gehandelt ^^ Aber Hank auch, ich denke, er war bestimmt auch nicht soweit weg gewesen. Aber ich bin mal gespannt, wie die Nacht für Eris wird :) Mehr anzeigen |
||||
|
0
|
Sabienchen • Am 09.10.2025 um 9:42 Uhr • Mit 17. Kapitel verknüpft | |||
Eris tut mir schon etwas leid, ich kann seine Gedanken und sorgen nachvollziehen. Auch das was mit seinen angeblichen Freund Thomas passiert ist, ich wär anfangs auch drauf reingefallen, da mir andere wohl mehr wert ist als meiner. Obwohl es nicht mehr so krass ist und ich mich selber schätze usw. Aber ich hätte höchstwahrscheinlich etwas früher, den Thomas meine Sichtweise klar gemacht. Aber mit Ada wird es nicht passieren, da anscheinend sich da schon was anbandelt ;) oder es ist was anders, aber ich denke, da sind schon Gefühle im Spiel ^^ Mit Ilon bin ich etwas überrascht, ich ging eher davon aus, er etwas später dazu kommt. Aber dadurch wird es jetzt er recht spanender, da es jetzt alles komplett neu ist und sie müssen sich ja auch erst ein Leben. Als wenn sie schon ein gelebt sind und er später dazu gekommen wäre. Ok, ich frage was mit Lance ist und ich glaube, da wird ein vierer Gespann werden. Außer da kommt noch was andere, aber ich glaube, die vier werden einiges zusammen erleben ^^ Aber so langsam wird es spanend, wie es weiter geht und mache mir auch mehr Gedanken :) Mehr anzeigen |
||||
|
0
|
Sabienchen • Am 06.10.2025 um 21:37 Uhr • Mit 16. Kapitel verknüpft | |||
Ob Hank, als Alpha Eris Eltern überzeugen kann ;) ^^ Mich wundert es nicht und ich glaube, er hat es sich auch erarbeitet. Ich könnte mir auch vorstellen, er ist der Nachfolger von Samuel, da sie es zusammen aufgebaut haben und er ein Drache war. Aber Silas finde ich jetzt schon cool :) Aber schon interessant, das Ada und Eris die anderen nicht bemerkt haben. Aber so merkten die Eltern von Eris, dass er alleine klar kommt und er schon eine Freundin hat ^^ :) |
||||
|
0
|
Sabienchen • Am 05.10.2025 um 0:14 Uhr • Mit 15. Kapitel verknüpft | |||
Irgendwie möchte ich gerne auch da sein, da ich eine Welt mit einige Wesen mir schon vorstelle und ich denke, sie könnte auch besser sein ^^ Aber die verschiedene Drachen sind bestimmt auch sehr interessant :) Ich denke, Ada könnte Eris halt geben, wenn er sich etwas eingelebt hat und seine Undichtheit los geworden war ^^ Aber sie lernen sich jetzt auch langsam erst kennen :) Mit den Drachen denke, ich auch ihnen macht die Situation etwas angst, da sie noch sehr unsicher sind und die anderen noch nicht richtig kennen. Aber mit der Zeit wird es noch :) ^^ Mehr anzeigen |
||||
|
0
|
Sabienchen • Am 03.10.2025 um 20:34 Uhr • Mit 14. Kapitel verknüpft | |||
Ein schönes und großes Reservat, kann man es mit einen großen Naturpark vorstellen?? Es gibt in USA und andere Länder, selbst hier sind auch welche. Ich mag alle drei Drachen, obwohl den Koch hat man nur kurz kennen gelernt. Kann man Drachen, nicht für einige Sachen gut Einsätzen, so das Raleigh vielleicht doch noch ein Soldat ist. Er könnte doch bestimmte Einsätze machen, da er als Drache mehre Vorteile hat, als ein normaler Mensch. Kess ist auch cool und es ist eine weibliche Alpha, was auch interessant ist ^^ Damit habe ich nicht gerechnet xD Aber ich bin auch sehr gespannt, was es mit Ada und Eris ist und da kommt noch irgendwann Lance dazu. Da bin ich einfach gespannt, was eine Entwicklung es wird. Dadurch kommt mir auch eine Frage auf, wie sieht es mit Familie aus, entwickeln sich da auch Paare und kommen Kinder von Drachen oder wird so was unterbunden? Mehr anzeigen |
||||
|
0
|
Sabienchen • Am 01.10.2025 um 21:56 Uhr • Mit 13. Kapitel verknüpft | |||
Die Vorstellung, das ein Drache pflanzt ist schon etwas sural ^^ Aber er war auch nicht alleine, aber das Bild ist trotzdem etwas suarl, wenn man eine komplette andere Vorstellung hat :) Aber es hat auch was schönes, das Bild, das Mensch und Drachen zusammen leben können. Drachen sind auf eine Art schon Natur nah und einige Menschen auch, aber das Reservate würde ich gerne mal besuchen. Da es mir sehr Natur nah rüberkommt ^^ :) Ich denke, Eris Eltern sich auch erschlagen, aber ich glaube sie schaffen es auch :) Hank kommt hier etwas anders rüber und gerade die Perspektive Zuordnung ist dir mega gut gelungen, da es zu jede Charakter und Situation angepasst ist ^^ Da merkt man, wenn Hank persönlich kennt und wichtig ist oder Fremd :) :) Mehr anzeigen |
||||
|
0
|
Sabienchen • Am 29.09.2025 um 22:53 Uhr • Mit 12. Kapitel verknüpft | |||
Ich fand, den Schluss schön ^^ Ich mag hier in der Geschichte, die Welt Ansichten und den Moralischen Ansatz, es Spiegel meinen auch wieder :) :) Ada ist einfach überfordert und hat zu viel neues Erfahren, das mit den Drachentöter kann ich mir auch vorstellen, das sie es wissen wollte. Da es ihren Vater betrifft und auch was es auf sich hat, halt kindliche Neugier und ich glaube, sie wird es nächste mal nicht mehr, auf eine Antwort bestehen. Aber ich glaube, für Hank war auch alles etwas zu viel und er muss bestimmt noch einige Sachen regeln, also er wird jetzt bestimmt auch keine ruhe haben. Außerdem es betrifft auch seinem Bruder und es schmerz ihm bestimmt auch, daher kann ich verstehen, warum er es vermeiden wollte :/ Aber ich freue mich für Hannah, das es mit ihre Tochter besser läuft und ich denke, mit Lance wird es auch wieder ^^ Mehr anzeigen |
||||
|
0
|
Sabienchen • Am 28.09.2025 um 11:16 Uhr • Mit 11. Kapitel verknüpft | |||
Es war gut, das die Eltern ehrlich und offen waren, aber Hank strahl auch eine gute Ausstrahlung. Und er ist es auch, daher ist er auch der richtige dafür ^^ Ich denke, der nächste morgen sieht schonmal besser aus und wenn die Eltern Eris mal den Tag, in den Reservate beobachten können. Wird bestimmt alles gut, da sie sehen werden, wie wohl er sich da fühlt :) |
||||
|
0
|
Sabienchen • Am 25.09.2025 um 21:14 Uhr • Mit 10. Kapitel verknüpft | |||
Es ist traurig zu hören, das Samuel gestorben ist und nicht die Möglichkeit zu haben, seine Tochter kennen zu lernen :( Ich bin mal gespannt, ob Hank, die Unsicherheit von Eris Eltern zu vertreiben ^^ Aber das Projekt von Hank und Samuel ist was schönes und Hank Einstellung :) Auch das Lance gut geht und ich finde, Ada Reaktion zum Schluss süß und hat sich Ada, in Eris etwas verguckt? ^^ |
||||
|
0
|
Sabienchen • Am 23.09.2025 um 20:04 Uhr • Mit 9. Kapitel verknüpft | |||
Mom und Mama, ist es ein Lesbenpaar? Was ok ist, nur ich bin gerade etwas verwirrt :O Geschwistern hassen und lieben sich, es kommt immer auf die Situation an ^^ Mal schauen, ob IIon sich da nicht vertut. Aber ich denke, sie haben auch die Horrormärchen mitbekommen, was man über die Reservate sagt. Kein wunder, da sie es nicht genau wissen ;) |
||||
|
0
|
Sabienchen • Am 22.09.2025 um 13:56 Uhr • Mit 8. Kapitel verknüpft | |||
Hier merkt man auch wie es mit zwei verschiedene Meinungen und Erfahrung ist, was man leider überall hat :/ Ich mag Irena Einstellung, aber auch da sie sich selber nicht belügt und soweit ist Sara noch lange nicht. Aber ich hoffe, sie unterhalten sich öfters und Irena kann sie überreden ^^ Da Sara leider sich noch versperrt, besonders wegen angst um ihr Kind. Jetzt bin ich auch gespannt, was eine Rolle sie noch spielen oder ihre Kinder ^^ |
||||
|
0
|
Sabienchen • Am 22.09.2025 um 13:41 Uhr • Mit 7. Kapitel verknüpft | |||
Zum Glück konnte Hank, das schlimmste verhindern und meldet auch den Vorfall, der andere Behörde :) Ich sage mal selbst schuld, für die beiden anderen Agenten, Hochmut ist selten gut und besonders, wenn man Feingefühl sein muss ^^ Hank hat es und er wird jetzt Eris und seine Eltern wieder beruhigen und morgen Eris mitnehmen ^^ |
||||
|
0
|
Sabienchen • Am 19.09.2025 um 21:42 Uhr • Mit 6. Kapitel verknüpft | |||
Ok, damit habe ich jetzt nicht gerechnet, mit den Onkel ^^ Aber es ist auch schön zu wissen, dass einer da mit Feingefühl ist usw. :) Da haben sie alle, einiges aufzuholen und ich denke, Ada vertraut Hank. Aber sie erfährt jetzt einiges, was auch gut ist und ich bin auch sehr Gespannt, was eine Geschichte hinter ihren Vater steckt :) Aber Hank muss sich erstmals um Eris kümmern und ich hoffe, er schafft es auch alles rechtzeitig. Ich bin jetzt auch sehr gespannt, was mit Eris Eltern ist, da sie ihn jetzt nur gesehen haben. Also er konnte flüchten, was schonmal gut ist und Hank in gesehen hat :) Mehr anzeigen |
||||
|
0
|
Sabienchen • Am 18.09.2025 um 10:22 Uhr • Mit 5. Kapitel verknüpft | |||
Das Ende ist sehr spannend und wirft Fragen auf ^^ Eris hat nicht leicht, zuerst dachte ich, es wäre seine Charakterzüge und Persönlichkeit, aber wenig aggressives. Was die Drachblütige oder Drachen haben, aber so kann man sich Täuschen ;) Ich bin mal gespannt, ob er noch etwas sein eigenes ich hat und seine Eltern beschützt, aber die Behörde Leute waren auch sehr unsensibel gewesen ( Daher haben sie die Situation, verursacht und weiter verschlimmert ). Anscheinend kommt es sehr stark drauf an, welche Behörde es ist und welche Leute. Ich bin mal gespannt, ob Hank noch dazukommt und vorher seine Sachen erledigt hat. Oder wie es jetzt weiter geht und hoffe, es geht Eris gut und seine Eltern :/ Mehr anzeigen |
||||
|
0
|
Sabienchen • Am 15.09.2025 um 20:58 Uhr • Mit 4. Kapitel verknüpft | |||
Die Geschichte, wird langsam interessant ^^ Irgendwo bin ich gespannt, ob man noch mehr von Ada Vater erfahren werden :) Kann es sein, das Hank ein ehemaliger guter Freund von Hannah war oder waren sie mal zusammen? Aber es ist schön zu lesen, das Hannah es bereut hatte mit Lance und sie es nicht mit ihre Tochter es zu gelassen hätte :) Aber Hank mag ich etwas, nur ich muss von ihm noch was erfahren, für ein Bild zubekommen. Es ist auch schön, das Ada wieder mit Lance in Kontakt kommt ^^ Ich denke, es wird interessant, wie der Besuch bei Sue wird. Ich denke, zu erst Ablehnung, außer wenn sie Lance zu fort sehen :) Mehr anzeigen |
||||
|
0
|
Sabienchen • Am 15.09.2025 um 0:50 Uhr • Mit 3. Kapitel verknüpft | |||
Ich mag Mr. Lincoln :) nur ob er am Ende mit Sue eine Lösung finden oder er Ada ehrlich nicht als Gefahr ansieht. Aber ihre Mutter ist ja eigentlich kein schlechter Mensch, ich denke, sie war mit der Situation mit Lance überfordert gewesen oder hatte einfach nur angst gehabt. Daher bin ich auch gespannt, wie Ada Mutter jetzt Handelt, besonders da es um ihre Tochter handelt :/ Aber ich glaube, sie müssen jetzt schnell Handeln oder eine Lösung finden, da die Behörde auch nicht dumm sind :/ |
||||
|
0
|
Sabienchen • Am 12.09.2025 um 22:16 Uhr • Mit 2. Kapitel verknüpft | |||
Ada Situation ist alles andere als rosig, besonders da sie die Situation nicht ganz versteht und auch nicht ganz versteht warum sie jetzt weglaufen muss :/ Mit Lance hört sich auch nicht schön an, da bin ich gespannt, ob sie sich vielleicht wieder sehen werden. Ich kann auch Ada Gedankengänge verstehen, besonders an ihre Freunde und ob sie, sie wieder sieht. Ich glaube, der Hunger ist alles andere als gut, da sie in nicht Kontrollieren kann :/ Dann hoffe ich, das sie jetzt nur Tiere Jagt und dadurch etwas sicher ist. Bis sie weiß, was sie jetzt machen soll. Mehr anzeigen |
||||
|
0
|
Sabienchen • Am 12.09.2025 um 21:45 Uhr • Mit 1. Kapitel verknüpft | |||
Hallo Abiogladius Ich finde, den Anfang schonmal interessant gestaltet und bekommt dadurch auch einige gute Informationen ^^ |
||||
|
|
Kapitel: | 23 | |
Sätze: | 3.308 | |
Wörter: | 45.179 | |
Zeichen: | 266.415 |