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Das Wunschkonzert

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23.10.20 18:11
In Arbeit

Olaf Bohnenblust nimmt alles sehr genau. Wenn er seiner Frau hilft, die nasse Wäsche aufzuhängen, dann prüft er davor, dass die Drähte sauber sind. Denn: Saubere Wäsche darf auf keinen Fall an verstaubten Drähten geklammert werden, ansonsten ist die frisch gewaschene Wäsche verstaubt. Arianne Bohnenblust (geborene Bischofszell) ist das perfekte Gegenstück. Bevor sie den Wäscheständer in den Keller trägt, wird der Keller gewischt. Ansonsten könnte etwas vom vorhandenen Staub an den Drähten hängen bleiben, Olaf müsste noch viel intensiver schrubben.

 

Diese Prozeduren prägen die Freizeit von Herrn und Frau Bohnenblust, die sich als glückliche und zufriedene Menschen bezeichnen. Sie haben dadurch immer das Gefühl, etwas Sinnvolles geleistet zu haben. Sauberkeit trägt schliesslich zu einem gesunden Leben bei. Wir wissen aus Studien, dass die besseren Hygieneverhältnisse in der westlichen Welt zu einer Lebensverlängerung geführt haben. Ja, Olaf und Arianne sind happy, sie werden viele Mehrjahre sauber sein können.

 

Nun.

Olaf Bohnenblust hat einen jüngeren Arbeitskollegen, der ihm einen wertvollen Tipp gibt. Lyndon sagt ihm eines Morgens in der Pause auf dem Parkplatz (Lyndon raucht, Olaf nicht, aber er redet gerne mit seinem Kollegen, also tut er sich das bisschen Mitrauchen an. Manchmal hält er den Atem an, damit nicht zu viel davon tief in seine Lungen gerät…); er sagt ihm also: «Wusstest du, dass du beim Lokalradio ein Lied wünschen und es deiner Frau widmen kannst? Du kannst ihr mitteilen lassen, dass sie die beste Frau deines Lebens ist!».

Olaf denkt kurz nach: sie IST die Frau seines Lebens, denn es hat nur sie gegeben. Ob sie die Beste ist, kann er nicht wissen, er hat keine Vergleichsmöglichkeit.

Lyndon hingegen hat viele Frauen seines Lebens. Er ist zwar nicht der hellste Kopf der Stadt, aber er sieht gut aus, die Girls mögen ihn und so ziehen sie frischfröhlich los und testen einander, um später sagen zu können: Moment mal! DIE DA, DAMALS, wäre die beste gewesen. Leider ist sie weg.

«Und wie viel Text kann man hinterlassen auf dem Tonband der Radiostation? Ich meine, kann man richtig viel erzählen, zum Beispiel eine Art Zusammenfassung des gemeinsamen Lebens?»

«Keine Ahnung, Olaf. Ich habe das noch nie gemacht.»

«Aber du hast die Sendung schon gehört?»

«Nur die Ankündigung. Die ist eher kurz.»

«Und wo finde ich die Nummer, damit ich dort mal was hinterlassen kann?»

«Sie steht bestimmt im Internet. Ganz wichtig natürlich: Du musst nicht vergessen, Arianne zu sagen, dass sie die Sendung hören muss, sonst verpasst sie die Zusammenfassung eures Lebens.»

«Das stimmt natürlich.»

 

Routine geändert.

Olaf hat die Nummer. Er kann dort anrufen. Wichtig ist aber, dass Arianne nichts davon mitkriegt. Es soll doch eine Überraschung sein. Dumm nur, dass sie fast alles gemeinsam tun, er ist praktisch nie alleine. Nur auf der Toilette.

Er muss also auf die Toilette, um den Anruf zu tätigen. Sie besitzen ein kabelloses Telefon, rein technisch ist das kein Problem. Arianne wird aber bemerken, dass es nicht auf der Ladestation steht. Sie prüft mehrmals täglich, dass die Diode immer grün leuchtet, das Gerät auf Empfang ist und dass die Batteriekapazität ausreichend ist für lange Gespräche. Nicht, dass sie plötzlich einen Anruf verpassen, oder im Notfall nicht Hilfe holen können. Egal, er riskiert’s.

«Schatz, ich muss aufs Klo.»

«Gut, Olaf. Mach aber nicht zu lange.»

«Nein, ich muss nur kurz.»

«Gut. Ich muss nämlich nachher auch.»

«Gut.» Warum muss sie immer, wenn auch er muss? Wahrscheinlich überträgt sich alles, wenn man symbiotisch ist.

 

Er schliesst sich ein. Nur ganz leise dreht er den Schlüssel. Denn eigentlich gibt es diese Abmachung. Man darf sich nicht einschliessen, es könnte ja sein, dass der oder die Sitzende Hilfe benötigt. Er weiss, dass er heute Regeln bricht, aber er tut alles aus Liebe.

«Es läutet frei», redet er leise vor sich hin.

«Radio Siebenthal. DAS WUNSCHKONZERT!! Nennen Sie nach dem Piepton den Song, der gespielt werden soll, warten sie einen kurzen Moment und sprechen Sie anschliessend die Mitteilung, welche über den Sender gehen soll. Achtung, gleich piept’s; drei, zwei, eins. Jetzt! *Biip*»

«Ja guten Tag Olaf. Ich bin Olaf. Olaf Bohnenblust. Ich wähle das Lied es war einmal die Liebe von Gunther Kampinski aus dem Jahr 1956, das haben Sie bestimmt, oder?» Er hängt auf. «Ich Idiot! Die geben mir doch keine Antwort, es ist Band!»

«Hast du ein Problem da drin? Olaf?», hört er seine Frau durch die dünne WC-Tür. Sie klopft auch schon, hebelt an der Türklinke herum. «Olaf? Warum hast du dich verbarrikadiert?»

«Ich habe mich nicht verbarrikadiert. Ich sitze einfach auf dem Klo.»

«Mit wem redest du?»

«Ich las nur laut die Zeitung.»

«Du hast die Zeitung auf der Toilette mit dabei?! Ich sagte doch, ich muss auch gleich!»

«Es ist nur das Impressum. Ich lese das Impressum!»

«Wofür?»

«Ich will wissen, wer der neue Chefredakteur ist.»

«Warum?»

«Meine Liebe! Wenn du mich nicht fertig machen lässt, dauert’s noch länger. Dann musst du plötzlich noch zur Nachbarin aufs WC. Lina ist doch in den Ferien.»

«Das ist eine gute Idee. Dann lege ich ihr auch gleich die Post auf den Tisch. Ich gehe!»

«Ja, tu das Liebes. Bis nachher.»

 

Gut.

Olaf kann nun den Anruf in Ruhe tätigen.

Er räuspert sich. Diesmal wird es klappen. Er spürt’s. Er stellt sich vor, dass er das Oberhaupt der Abteilung ist und die Sitzung leiten muss.

«Guten Tag. Olaf Bohnenblust hier. Danke, dass sie Folgendes für mich erledigen können.» Er räuspert sich wieder. «Das besagte Lied lautet also es war einmal die Liebe von Gunther Kampinski aus dem Jahr 1956. Und jetzt also gleich folgende Mitteilung. Ich betone: hier kommt gleich die kurze Pause, damit Sie wissen, wann meine Mitteilung für meine Frau beginnt. Also.. 3, 2, 1 jetzt…»

«OLAF!!! Warum sitzt du immer noch auf der Toilette??!! Ich sagte doch vorhin schon, dass ich mir fast in die Hose mache!!»

Sie schreit so laut, dass Olaf davon ausgehen muss, dass dies als Mitteilung beim Radio aufgezeichnet worden ist. Er beendet den Anruf.

«Herrje, Arianne!! Ich dachte, du bist auf der Toilette von Lina?!»

«Sie ist zurück aus den Ferien. Es war ihr zu langweilig. Ich kann doch nicht einfach auf ihr WC, wenn sie anwesend ist. Was denkt sie dann von mir?»

«Du hast eine Blase. Was soll’s.»

«Mach die Tür auf! Das Impressum kannst du auch auf dem Sofa lesen. Tust du da etwas völlig anderes?! Das wird es nicht sein, oder?»

Er fühlt sich Jahrzehnte zurückgeworfen. Als stünde seine Mutter an der Tür. «Jetzt lass mich mal in Ruhe, ja?! Ich muss hier etwas erledigen!»

Es wird ganz still auf der anderen Seite. Er hat sie beleidigt. Er bereut es schon. Er liebt sie doch.

«Ich habe verstanden», verkündet sie mit Grabesstimme.

Zwanzig Sekunden später hört er, wie die massive Eingangstür fast aus der Angel fällt.

Wo ihre Entleerung stattfinden wird, ist ihm jetzt egal. Er ruft ein drittes Mal beim Radiostudio an.

«Ich muss schon sagen, heute ist ein seltsamer Tag. Sie müssen mein Insistieren entschuldigen. Ich bin’s noch einmal, Olaf Bohnenblust. Das Lied lautet es war einmal die Liebe von Gunther Kampinski». Er atmet tief durch und spricht. «Es gab da vorhin einen Zwischenfall. Bitte betrachten Sie Anruf 1 und Anruf 2 als nichtig. Wissen Sie, meine Frau… die macht mir immer Stress, wenn ich auf dem Scheisshaus bin. Gleich folgt die definitive Mitteilung, die Sie bitte morgen Mittag senden…» Er erzählt sein halbes Leben. «Danke.»

Als er aufgelegt hat, wird ihm klar, dass nach dem erwähnten Musikwunsch alles Folgende gesendet werden wird.»

Es ist sinnlos, er kann das nicht.

Er spült und verlässt die Toilette.

 

Seine Frau sitzt mit verheulten Augen auf dem Sofa.

«Du hast eine Affäre.»

«Wie kommst du denn darauf?»

«Das geheime Telefonat auf der Toilette… du hattest das Telefon dabei.»

«Ach, Arianne…»

«Ist dies das Ende unserer Beziehung?»

«Liebes.»

«Warum hast du mir nicht gesagt, dass du mich nicht mehr liebst.»

«Weil es nicht wahr ist.»

«Was ist nicht wahr?»

«Es ist nicht wahr, dass ich dich nicht mehr liebe. Ich tat das alles sogar aus Liebe.»

«Auf der Toilette?»

«Ich meine… ich wollte dir eine Überraschung machen.»

«Auf der Toilette?!»

«Ich wollte aller Welt mitteilen, dass ich dich liebe.»

«Per Telefon? Das sind aber viele Anrufe.»

«Via Radio. Ich wollte dir unser Lied widmen. Damit alle hören, wie sehr ich dich gern hab.»

«Beim Wunschkonzert von Radio Siebenthal?»

«Du kennst das?»

«Sicher kenne ich das.»

«Aber mittags hörst du doch nie Radio?»

«Das weisst du doch nicht. Du bist in der Firma.»

«Stimmt.»

«Du weisst ganz Vieles nicht, über mich.»

«Willst du mir nicht alles erzählen?»

«Es wäre an der Zeit.»

«Liebst du MICH denn noch?», will Olaf wissen.

«Es war einmal die Liebe… und sie ist es noch. Ganz lange, wenn du willst.»

«Ich will mich einschliessen dürfen, wenn’s dir recht ist. Nur diese paar Minuten am Tag.»

«Das möchte ich auch, aber ich wusste nicht, wie ich dir das sagen soll.»

«Wir könnten unser Ehegelübde erneuern. Willst du? Dort kannst du dir auch ganz Vieles wünschen. Das Wunschkonzert geht auch ohne Radio.»

«Ja, das möchte ich.»

«Dann rufen wir jetzt sofort beim Standesamt an.»

«Wir gehen lieber gleich selbst vorbei, Olaf. Das ist weniger kompliziert.»

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Sillys Profilbild
Silly Am 24.11.2020 um 14:07 Uhr
Das ist eine ganz wunderbare Geschichte - ich liebe sie! Viel Herz und Humor... Danke dafür.

LG Silly
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funnybits (Autor)Am 24.11.2020 um 17:10 Uhr
oh cool! vielen dank für die tolle bewertung :-)))

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