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Ich spürte ihn hinter mir, noch bevor ich ihn sah.
Ein feines Kribbeln zog mir über den Rücken, als ich mich langsam zu ihm umdrehte. Wir hatten uns Jahre nicht mehr gesehen und doch hatte ich ihn nie vergessen.
Er war älter geworden. Seine blonden, schulternlangen Haare waren einem modischen Kurzhaarschnitt zum Opfer gefallen und er hatte sich einen Bart wachsen lassen, der mich an meinen Lieblingssänger James Hetfield erinnerte. Jan hatte ihm schon immer ähnlich gesehen. Vielleicht hatte ich mich damals deshalb in ihn verliebt.
Es war kein Zufall, dass wir uns hier trafen – nicht für mich jedenfalls. Ich hatte gewusst, dass er häufig auf die Konzerte dieser Metallica Coverband ging. Unsere Leidenschaft für diese Band hatte uns schon immer irgendwie verbunden. Und irgendwie auch nicht.
Als mir ein gemeinsamer Freund in der Silvesternacht davon erzählt hatte, dass Jan seit über einem Jahr von seiner Freundin getrennt war, hatte das etwas in mir ausgelöst, was sich nicht mit Worten beschreiben ließ. Nach dem Ende meiner toxischen Beziehung hatte ich mich nicht wieder gebunden. Die Erinnerungen an Jan hatten mich nie losgelassen. Auch zehn Jahre nach diesem unvergesslichen Sommer mit ihm, waren meine Gefühle für den sanften und oft in sich gekehrten Jungen noch so präsent, als wäre es gestern gewesen, dass wir uns zum ersten Mal geküsst hatten.
Ich hatte gehofft, ihn hier zu treffen – und es gleichzeitig gefürchtet.
Über das laute Wummern der Musik hinweg begrüßte er mich mit einem schüchternen „Hi“ und sah mich aus seinen melancholischen, blauen Augen unsicher an. Ich spürte, dass er genauso nervös war wie ich und lächelte ihm aufmunternd zu. „Hi“, erwiderte ich.
Plötzlich stand meine Freundin neben mir, mit der ich auf das Konzert gegagen war. Sie drückte mir einen Becher Cola in die Hand und schimpfte darauf, wie unfreundlich die Bedienung an der Theke gewesen war. „Wer war das?“ fragte Nika und machte mir damit bewusst, dass Jan sich zurückgezogen hatte und in der Menge verschwunden war.
„Shit!“ Ärgerlich sah ich sie an. „Jetzt ist er weg.“
„Sorry, ich hab‘ dich beim Flirten gestört.“
„Ich muss mit ihm reden“, murmelte ich, ließ Nika stehen und zwängte mich durch die tanzenden Menschen in die Richtung, in die Jan verschwunden war.
Suchend blickte ich mich nach ihm um, konnte ihn jedoch nirgendwo entdecken. „Verdammt!“
„Suchst du Jan?“, fragte mich plötzlich ein hochgewachsener Mit-Dreißiger mit Drei-Tage-Bart. Verwundert nickte ich. „Ja…“
„Draußen…“ Der Typ mit Axl Rose Gedächtnisfrisur deutete mit dem Daumen durch das Fenster zum Außenbereich des Clubs, in dem eine Handvoll Raucher ihre Nikotinsucht stillten.
Ich nickte ihm dankend zu und öffnete die schwere Metalltür, neben der er an der Wand lehnte.
Jan hatte sich an einem der hinteren Tische niedergelassen, rauchte schweigend eine Zigarette und ließ seinen Blick über den Parkplatz wandern.
„Gibst du mir auch eine?“ Er zuckte zusammen, als ich ihn plötzlich ansprach. Dann schob er mir mit zitternden Fingern sein Zigarettenpäckchen zu.
Ich setzte mich zu ihm an den Tisch, zog eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an.
„Warum bist du so schnell verschwunden?“ fragte ich und zog an der Kippe.
Jan hob langsam die Schultern und ließ sie wieder fallen. „Ich wollte mich… nicht aufdrängen.“ Entschuldigend sah er mich an.
„Tust du nicht.“
Er drückte seine Zigarette aus und spielte nervös mit dem Feuerzeug. „Wie geht es dir?“, fragte er schließlich.
Diesmal zuckte ich mit den Schultern. „Wie es einem so geht, wenn man sich nach fünf Jahren von jemandem trennt, von dem man nur verarscht und ausgenutzt wurde“, erwiderte ich leise. „Und dir?“
„Ähnlich.“ Er seufzte und ich sah, wie seine Augen im Schein der Außenbeleuchtung feucht schimmerten. Einem unbestimmten Impuls folgend legte ich meine Hand auf seine und schloss meine Finger um seine. Eine einzelne Träne löste sich aus seinem Augenwinkel und rollte die Wange herab.
Ich öffnete den Mund, aber noch bevor ich einen Ton herausbrachte, erklangen die ersten Akkorde von »Nothing else matters«. Ich spürte, wie mein Herz einen Schlag aussetzte. Wie immer bei diesem Titel, stellten sich mir auch diesmal die Nackenhaare auf und mein Kopf begann, die erste Strophe zu singen – noch ehe das Intro verklungen war. Ich hatte schon damals gespürt, dass der Song etwas Besonderes war. Doch erst, als Jan und ich nach dem Schulabschluss getrennte Wege gegangen waren um zu studieren, war mir klar geworden, worum es in dem Text wirklich ging.
„Der letzte Track für heute Abend“, murmelte er bedauernd.
Ich nickte. »Nothing else matters« war schon immer der letzte Song von »Sandman and Puppets« gewesen.
„Kannst du… noch ein bisschen bleiben?“ Bittend sah er mich an und in meinem Unterleib breitete sich ein ziehendes Gefühl aus.
„Nika und ich haben eine lange Fahrt vor uns“, entschuldigte ich mich bei ihm. Es würde wenigstens anderthalb Stunden dauern, bis ich meinen Mini vor dem Haus abstellen würde, in dem ich zur Miete wohnte. Ich zog einen Kugelschreiber aus meiner Umhängetasche und griff nach seiner Zigarettenschachtel, die noch immer an der selben Stelle lag.
„Hier kannst du mich erreichen“, sagte ich und notierte meine Handynummer auf dem Päckchen. „Melde dich“, drängte ich ihn sanft. „Dann gehen wir irgendwo was trinken, ok?“
Jan nickte lächelnd. „Mache ich.“
Im Aufstehen drückte ich ein letztes Mal seine Hand, bevor ich ihn mit seinen Gedanken allein ließ und zurück in den Club ging, um Nika zu holen.
„Wer war das? Woher kennst du den? Seht ihr euch wieder?“ waren nur drei einer ganzen Reihe von Fragen, mit denen mich meine Freundin auf dem Heimweg bombardierte. Wie Pistolenschüsse knallten sie mir mit einem Abstand nicht mal eines Atemzuges entgegen, sodass ich weder zum Überlegen noch zum Antworten kann.
„Nika!“, unterbrach ich sie energisch. „Hol doch mal Luft.“
Während sie grinste und schwieg, gab ich die Kurzfassung eines Sommers zum Besten, der viel zu schnell vergangen war. Ganze 800 Kilometer hatten uns getrennt und waren zu einem Hindernis geworden, dem unsere Gefühle nicht hatten standhalten können.
„Nach einem halben Jahr schrieb er mir, dass er sich in ein anderes Mädchen verliebt hat“, erzählte ich meiner Freundin. Damit war die Beziehung beendet gewesen. Drei Monate später hatte ich Manuel kennengelernt, der mich nach Strich und Faden ausgenutzt hatte.
Eine knappe Dreiviertelstunde später setzte ich Nika vor ihrer Haustür ab und gähnte verhalten, als ich mich von ihr verabschiedete. Dann wendete ich meinen Wagen auf dem kleinen Parkplatz und fuhr nach Hause.
Es war bereits weit nach Mitternacht, als ich den Mini auf meinem Stellplatz parkte und den Zündschlüssel herumdrehte. Ich blieb noch einen Augenblick sitzen und dachte daran, wie das Wiedersehen mit Jan verlaufen war. Ich hatte seine Augen nicht so blau und sein Lächeln nicht so warm in Erinnerung. Noch immer kribbelte es in meinem Nacken, als ich mir ins Bewusstsein rief, wie er mich angesehen hatte, als wir plötzlich voreinander gestanden hatten. Ich konnte nicht leugnen, dass ich noch immer Gefühle für ihn hatte. Gefühle, die ich versucht hatte zu verdrängen, als er mich vor zehn Jahren so schnell gegen eine andere eingetauscht hatte. Doch mein Herz hatte schon immer gemacht, was es wollte. Und in diesem Fall… In diesem Fall hatte es beschlossen, Jan nicht wieder gehen lassen zu wollen.
Ich stieg aus meinem Wagen, schloss die Tür und ging die wenigen Schritte bis zum Eingang des Mietshauses. Leise schlich ich die Treppen bis zum ersten Stockwerk hinauf, um die anderen Mieter nicht zu wecken. Als ich meine Wohnung betrat, tappte »Smoke«, mein mausgrauer Kater schläfrig über den Flur und sah mich vorwurfsvoll an.
„Schon gut, mein Lieber. Leg dich wieder schlafen“, beruhigte ich ihn, kraulte ihn kurz zwischen den Ohren und ging ins Bad.
Als ich eine halbe Stunde später im Bett lag, war ich todmüde – und konnte doch nicht schlafen. Ich nahm mein Handy zur Hand und warf einen Blick auf das Display. Jan hatte sich bisher nicht gemeldet und ich stellte mir die Frage, ob er gut nach Hause gekommen war. Ich seufzte und legte das Telefon zurück auf den kleinen Tisch neben meinem Bett. Dann drehte ich mich auf die Seite, schob den Arm unter meinen Kopf und schloss die Augen.
Ich fühlte mich, als wäre ich von einem Bagger überrollt worden, als ich am nächsten Vormittag mit bohrenden Kopfschmerzen wach wurde. Ich hatte die halbe Nacht nicht geschlafen, mich stundenlang von einer Seite auf die andere gedreht und beinahe jedes Mal, wenn ich wach geworden war, einen Blick auf das Handy geworfen.
Hatte ich ihm in der Aufregung meine Nummer falsch notiert?
Hatte er die Schachtel geistesabwesend in den nächsten Mülleimer geworfen? Immerhin war das Päckchen fast leer gewesen, als ich die Zigarette herausgenommen hatte.
Oder hatte er beschlossen, dass es vielleicht doch keine so gute Idee war, den Kontakt wieder aufzunehmen? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich schon wieder viel zu tief in diesem Gefühlsding steckte, das mir damals schon die Luft zum Atmen genommen hatte. Er konnte jetzt nicht einfach nichts tun. Er konnte nicht einfach wieder aus meinem Leben verschwinden, ohne mich danach zu fragen, ob es mir recht war.
Verschlafen stand ich auf, tappte in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine an. Während die schwarze Flüssigkeit in die Kanne tropfte und die Maschine Geräusche machte, als läge sie im Sterben, wühlte ich in einer Schublade nach Aspirin. »Verdammt, ich hatte hier doch irgendwo…« Na, Gott sei Dank, da waren ja noch welche. Ich steckte mir die Tablette in den Mund und spülte sie mit einem Schluck Leitungswasser herunter, den ich direkt aus dem Hahn trank. Auf dem Weg ins Bad hörte ich mein Handy leise piepsen. Einen kurzen Moment dachte ich darüber nach, einen Umweg durch mein Schlafzimmer zu machen, doch meine Blase schien nicht damit einverstanden zu sein. »Nein«, dachte ich. »Wer oder was auch immer das ist, es muss warten.«
Mit einem Becher Kaffee in der einen und meinem Mobiltelefon in der anderen Hand, setzte ich mich einen Augenblick später auf den kleinen Balkon und sah der Sonne dabei zu, wie sie sich über die Baumwipfel schob. Ich entsperrte das Display meines Handys und drückte auf das Whatsapp Icon, das mir – mit wachsender Ungeduld, wie es mir schien – sechs neue Nachrichten anzeigte. Gott, wann hatte ich die denn alle bekommen?
Zwei waren von Nika, die danach fragte, ob ich eine erholsame Nacht gehabt hatte und Jan sich bereits in meinem Bett breitmachen würde. »Haha« schrieb ich auf ihre zweite Nachricht zurück. Ich nippte an meinem Kaffee und warf einen Blick auf den zweiten Chat. Unbekannte Nummer. Mein Herz schlug so wild in meiner Brust, dass ich das Gefühl hatte, es würde sich einen Weg nach draussen suchen wollen. Mit zitternden Fingern öffnete ich den Chat.
„Hey, bist du gut nach Hause gekommen?“ (08:39)
„Sorry, du schläfst bestimmt noch. Melde dich einfach, wenn du wach bist.“ (09:27)
„Alles ok? Geht’s dir gut???“ (10:36)
„Chrissy…??? Verdammt!“ (10:41)
Ich sah auf die Uhr und biss mir auf die Lippe. Gleich Elf. Wenn Jan noch so war wie damals, würde er jetzt rastlos wie ein Tiger durch seine Wohnung wandern. Er hatte sich schon früher ständig Sorgen gemacht, wenn ich nachts mit dem Moped unterwegs gewesen war. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen, während ich schnell eine Antwort tippte.
„Hey… alles gut. Hab lange geschlafen und das Telefon nicht gehört.“ (10:52)
Drei Sekunden später klingelte es.
„Gott sei Dank“, hörte ich ihn sagen und dabei tief durchatmen. „Tu‘ das bitte bitte nie wieder.“
„Versprochen“, versicherte ich ihm.
Einen Augenblick herrschte Stille in der Leitung. Dann fragte er: „Steht das Angebot mit dem Treffen noch?“
„Na klar.“
Als ich am frühen Abend die kleine Bar betrat, in der wir uns verabredet hatten, wartete Jan bereits auf mich. „Überpünktlich wie immer“, neckte ich ihn, während ich mich in die Nische zwängte.
„Manche Dinge ändern sich eben nie.“ Er grinste mich an und fügte eine Spur leiser hinzu: „So, wie meine Gefühle für dich.“
Ich schluckte. Es war schön, das zu hören und doch konnte ich die Enttäuschung von damals nicht ganz abschütteln. Ich öffnete meinen Mund, um etwas zu erwidern, doch er legte sanft seinen Zeigefinger auf meine Lippen.
„Sag nichts, bitte. Ich weiß, dass mich damals falsch verhalten habe. Glaub mir… Wenn ich es rückgängig machen könnte… Ich würde es tun.“
Die Bedienung kam und nahm unsere Bestellung auf. Als sie gegangen war, fuhr er fort. „Svenja… Sie war so ganz anders als du. Ich habe sie geliebt, ja. Und ich könnte jetzt behaupten, ich hätte mich von ihr getrennt, aber die Wahrheit ist… Sie hat immer gespürt, dass ich nicht mit meinem ganzen Herzen bei ihr war.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich kann es ihr nicht verübeln, dass es ihr irgendwann nicht mehr reichte, die zweite Geige zu spielen.“
Die Bedienung brachte die Getränke. Während ich langsam einen Schluck von meiner Cola nahm, fragte ich mich, wie ich mich fühlen sollte. Einerseits hatte er mich offensichtlich nie vergessen, doch andererseits wäre er wohl immer noch mit Svenja zusammen, wenn sie sich nicht von ihm getrennt hätte. Was sagte das über ihn aus? Wollte ich die zweite Geige sein? Ich sah ihn an, blickte in diese unglaublichen blauen Augen, aus denen so viel Liebe zu sprechen schien, dass mir schwindelig wurde. Die Horde Schmetterlinge in meinem Bauch, die seit dem Vorabend einen neuen Samba einzustudieren schien, flatterte aufgeregt durcheinander. Alles in mir schrie: »Gib‘ ihm noch eine Chance.«
Ich rutschte zu ihm auf die Bank und nahm sein Gesicht in beide Hände. „Tu‘ das bitte nie wieder“, sagte ich. „Ich will dich nicht nochmal verlieren.“
Jan nickte erleichtert. „Ich dich auch nicht.“
„Dann küss‘ mich endlich, du Idiot.“
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