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Souvenir

12
01.11.22 18:03
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

War schon ein eigenartiges Gefühl, so mitten auf einer piekfeinen Stoffserviette zu sitzen und mich anstarren zu lassen. Die Augen der Frau, ja eigentlich das ganze Gesicht zeigte deutliches Unbehagen. Sie dachte wohl, ich sei ein Symbol für abgrundtiefe Bosheit, ein kleiner Giftzwerg. Gut, ich sah in dem Weiß vielleicht etwas abschreckend aus. Mein feuerroter Rücken samt schwarzen Punkten verhieß so einiges. Denn schließlich war ich ein gefürchteter Pfeilgiftfrosch. Ich stecke voller Batrachotoxin, das Muskeln und Atmung lähmt. Einen Menschen könnte ich locker innhalb von zwanzig Minuten zur Strecke bringen. Nun ja, könnte. Ich gebe es zu, ich wäre ein gefürchteter Pfeilgiftfrosch, würde ich tatsächlich mit siebzehn Kilometern die Stunde durch den Tieflandregenwald von Panama hüpfen. Aber in Tat und Wahrheit bin ich eben nur eine Nachbildung aus Plastik. Und bin es geblieben.
Die andere Frau mit der aufgesetzten Freundlichkeit hatte mich aus dem Regal der Spielwarenabteilung auf die teure Serviette gebettet.

Noch seltsamer war die Stille bei Tisch. Niemand sprach. Aber ich sah wie Blicke wanderten. Von der einen Frau zur anderen stoben beinahe Funken auf. Zwischen dem Mann und der Frau vor mir lag eine verborgene Nähe, die der anderen Frau anscheinend mehr als nur missfiel.
Nach den Blicken folgten doch noch Worte. Zaghaft. Steif. Künstlich. Ich verstand zwar nicht viel, aber allein der Tonfall sprach Bände. Und da waren noch die Klimmzüge in den angespannten Gesichtern. Ein kaltes Lächeln hier, ein verlegener Augenschlag dort.

Mich fröstelte die Umgebung. Obwohl ich nie in einer so vornehmen Gegend hockte, blieb ich ganz ruhig. Nur gut konnte ich mich nicht bewegen. Ganz bestimmt hätte auch den Atem angehalten. Ich wünschte mich zurück ins Regal, eingekeilt zwischen Nashörnern, Schlangen, Giraffen und Dinosauriern. Immer noch besser, als dort auf der blöden weißgestärkten Serviette zu sitzen und auf den ersten Schlagabtausch zu warten.

Schließlich roch ich die Suppe heranschweben. Die Frau vor mir hob mich mit zwei Fingern aus dem Teller. Endlich. Sie setzte mich so hin, dass ich nun mein Spiegelbild in der Terrine ausgiebig bewundern konnte. Als ich jeden Farbklecks, jede Schramme an mir erforscht hatte, flog ich in einen tiefen samtenen Schlund.

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Wörter: 379
Zeichen: 2.284

Kurzbeschreibung

Ein Dinner voller Spannungen. Erzählt aus der Froschperspektive...