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Der Sitzsack

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15.05.20 19:46
6 Ab 6 Jahren
Fertiggestellt

Ich musste ihn haben. Manchmal kann ich nicht anders. Eine Idee fällt über mich her und die nächsten Tage dreht sich alles um das Eine. So geschehen auch beim Erwerb eines Sitzsacks.

Irgendwann stellte ich fest: ich hab ja gar keinen Sitzsack. So wie man manchmal feststellt, man hätte kein Haustier, kein Eigenheim, keinen Rolls Royce; und wenn es klar und deutlich und unmissverständlich zum Bedürfnis wird, muss man was dagegen bzw. viel dafür tun.

Ich fuhr also ins größte Warenhaus der Stadt.

„Kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte die nette Verkäuferin der Wohndesign-Abteilung.

„Ja, bitte, ich suche einen Sitzsack. Aber einen richtig Schönen. Großen. Bester Qualität. Mit einer qualitativ hochstehenden Füllung, die die Körperwärme gut annimmt, aber nicht an einem klebt, wenn man eine Weile darauf lesend gesessen hat. Er muss auch die Katze vertreiben, damit nicht sie ständig draufsitzt. Er soll alleine mir gehören. Mit ihrem Schnurren hat sie schon alles andere erschnorrt, mehr geht jetzt wirklich nicht!“

Die Beraterin wird ausführlich: „Wir hätten einen in Form des Weihnachtsmannes. Man kann Santa förmlich auf dem Schoss sitzen“.

„Geht’s noch? Sehe ich aus wie ein Fünfjähriger?? Ich will drauf sitzen und dabei die Zeitung lesen“.

„Ach, ich dachte, er wäre für Ihre Kinder“.

„Er ist für mich.“

„Gut. Lassen Sie mich überlegen. Wir haben noch das Modell Chérie“.

„Farbe?“

„Aubergine“.

„Nein, das geht ganz und gar nicht“.

„Leopardenmuster...?“

„Nein.“

„Tanzende Orchideen?“

„Nein!“

„Lippenförmig in Bordellrot?“

„Machen Sie sich über mich lustig? Ich sagte, ich will auf dem Sitzsack die Zeitung lesen“.

Sie fand noch den Anthrazit-Superball Maxi, schön unifarbig. Und Maxi sagt alles. Auf dem Weg vom Laden bis zum Parkhaus musste ich ihn hinter mir her schleifen, wie eine Bürde. Ich wurde bestraft, weil ich gemütlich sitzen wollte. Ein paar Leute sahen mir nach, ich kroch buchstäblich durch die Fußgängerzone und musste meine mit Polystyrolkügelchen gefüllte Herrlichkeit von einer Hand in die andere nehmen, um einen Krampf zu verhindern. Den hatte ich allemal.

Als ich beim Auto eintraf, erhitzt und rot wie eine pralle Tomate im sommerlichen Gewächshaus, brachte ich Maxi nicht in den Mini... kleiner Scherz, ich fahre einen Geländewagen. Nun hat ein Sitzsack den Vorteil, dass die Füllung nicht rigide fixiert ist. Man kann seinen dicken Bauch ein bisschen nach links und ein bisschen nach rechts rumschieben. Kügelchenweise die Füllung in jede Ritze drücken, bis der Behälter die Form von Barbamama hat und listig durch die Seitenscheibe lugt.

Irgendwann, nachdem alle Feierabend hatten und das Parkhaus bald schon geschlossen wurde, war mein neuestes Möbelstück komplett drin und ich begann hier zum ersten Mal darüber nachzudenken, ob der Kauf womöglich völlig unnütz war. Berechtigte Fragen tauchten erst jetzt auf, anstatt eine Stunde davor, im Laden:

a)     Hast du Platz in der Wohnung?

b)    Wie gemütlich ist der Sitzsack?

c)     Wo legt man die Zeitung hin, wenn die Arme schwer werden und man förmlich in der Luft hängt? Hat ja keine Armlehnen...

d)    Kann man auch zu zweit auf dem Sitzsack Platz nehmen?  

e)     Sind 375 Euro vielleicht nicht ein bisschen viel für sowas, wenn man alle Fragen von a bis d negativ beantwortet hat?

Ich fuhr nach Hause und schleppte Maxi die Treppe hoch in den fünften Stock ohne Lift. Meine Nachbarin Jutte Morgan („Juten Abend, Frau Morgan...“ hahaha, alter Witz), war schon zur Stelle und bemerkte: „Herr Jost, Sie, Ihr Sitzsack hat niemals Platz in Ihrer Wohnung! Aber schön ist er ja... schönen Abend“.

„Schönen Abend, Frau Morgan...“.

...und die Tür knallte ins Schloss, ihre wie meine.

Natürlich hatte sie Recht. Es gab gar keinen Platz für den Neuankömmling. Ich hätte ihn vor den Schrank stellen und vors Regal schieben müssen, wenn ich was vom Schrank brauchte. Und ich hätte ihn auf die Couch schwingen müssen, wenn das Telefon klingelte, welches auf dem Regal stand. Und hätte ich fernsehen wollen, hätte er von der Couch in die Badewanne wandern müssen und so weiter. Und wäre Sommer gewesen, ich hätte ihn auf den Balkon gestellt ...neben den anthrazitfarbenen ...Müllsack. Mit dem Risiko, dass versehentlich der Müllsack den Weg auf die Couch gefunden hätte. OMG!! Warum hatte ich den bloß gekauft??!!

Dann machte ich den letzten Fehler: Ich setzte mich drauf. Er war total ungemütlich!

Ich rief im Laden an, welcher längst geschlossen war. Ich sprach eine Voicemail, fragte, was ich tun könne. Ob sie ihn vielleicht zurücknehmen würden. Er sah mich irgendwie an. Hätte er ein Gesicht gehabt, ich hätte es nicht übers Herz gebracht. Hatte er aber nicht.

Am nächsten Morgen rief jemand vom Laden an: „Guten Morgen... hhm, er gefällt Ihnen nicht... hhm, sie wollen ihn nicht selbst zurückbringen... hhm... ja, wir nehmen ihn zurück. Per Extratransport, er ist ja ein Maxi. Wir können Ihnen dadurch nur sehr wenig gutschreiben. Möchten Sie’s vielleicht mit einer anderen Sitzgelegenheit versuchen? Wir haben auch ganz gewöhnliche Schalenstühle. Ab 19.- Euro. Auch anthrazitfarben.“

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Silly Am 16.05.2020 um 22:46 Uhr
Köstlich...Vielen Dank für diese heitere Geschichte... mein Lachen steckt noch fest. ;-)
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Silly Am 16.05.2020 um 23:27 Uhr
@funnybits Au weia! ... :-))
Naja, ich schreibe vorwiegend... finde es selbst heraus.. ;-)
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funnybits (Autor)Am 16.05.2020 um 23:17 Uhr
hallo silly! vielen dank für das tolle feedback. ich freu mich über jeden "provozierten" lacher :)) ... und lese mich nach und nach durch dein "archiv" :)

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