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Die Würfel

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10.12.25 23:57
12 Ab 12 Jahren
In Arbeit

Es war ein Freitagabend wie jeder andere, oder so dachten sie zumindest. David Williams saß hinter seinem selbstgebauten DM-Screen aus Pappe in seinem Keller, umgeben von den üblichen Überresten eines D&D-Abends: kalte Pizza, leere Red Bull-Dosen, Chipstüten und genug Würfel um ein kleines Casino zu eröffnen. Er war sechsunddreißig, arbeitete in der IT und verbrachte seine Freitagabende damit vier andere Leute durch selbsterfundene Fantasiewelten zu führen, sie leiden zu lassen und gelegentlich fast zu töten. Es war das Beste am ganzen Leben.

Seine Spieler, seine Opfer wie er sie liebevoll nannte, saßen ihm gegenüber: Sarah, Ende zwanzig, Grafikdesignerin mit chronischen Impulsivitätsproblemen, die ihre Halbelf-Magierin Kira mit derselben Rücksichtslosigkeit spielte mit der sie ihr echtes Leben lebte. Emma, Grundschullehrerin mit der Geduld einer Heiligen, deren Elfen-Klerikerin Elara permanent verhindern musste dass die anderen drei sich umbrachten. Tom, stiller Bodybuilder der einen Zwerg-Barbar namens Thoran spielte und die Ironie dass ein zwei Meter Mann einen Zwerg spielte nie müde wurde zu erwähnen. Und Felix, Versicherungsverkäufer und heimlicher Meisterdieb, dessen Halbling-Schurke Finn alles klaute was nicht niet- und nagelfest war.

"Okay Leute", sagte David mit seiner DM-Stimme, tief und dramatisch, "ihr steht vor dem Portal. Es pulsiert mit dunkler Energie, die Luft knistert und dahinter hört ihr Schreie. Was macht ihr?" Sarah lehnte sich vor ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken. "Ich gehe rein." Emma seufzte so tief dass ihre Seele mitzuseufzen schien. "Natürlich tust du das. Denkst du auch mal nach bevor du handelst?" "Wo wäre der Spaß dabei?" Tom lachte. "Ich folge Kira. Jemand muss sie beschützen wenn sie wieder Mist baut." "Das war EIN MAL!", protestierte Sarah. "Letzten Monat hast du versucht einen Drachen mit deiner Unterwäsche zu bestechen", sagte Felix trocken. "Das hätte funktionieren können!"

David nahm seine Würfel, aber nicht seine normalen abgegriffenen Würfel die er seit zehn Jahren benutzte. Heute hatte er etwas Besonderes dabei, etwas das er auf einem Flohmarkt von einem seltsamen alten Mann mit noch seltsameren Tattoos gekauft hatte. Die Würfel waren schwarz wie Obsidian, perfekt poliert, und die Zahlen glühten in tiefem Rot.. Der Verkäufer hatte gesagt: "Sei vorsichtig mit diesen, junger Mann. Sie zeigen immer die Wahrheit." David hatte gelacht, hatte fünf Euro bezahlt und war gegangen. Jetzt, als er die Würfel in der Hand hielt und ihre unnatürliche Wärme spürte, fragte er sich ob der Preis nicht zu günstig gewesen war.

"Jeder wirft auf Willenskraft", sagte er und seine Spieler griffen nach ihren Würfeln. Sarah rollte eine jämmerliche Drei, Emma eine Acht, Tom eine Fünf, Felix eine Neun. Standard-Würfe für einen Standard-Abend. David ließ seinen neuen W20 über seine Finger rollen und dann warf er. Die Würfel rollte über den Tisch, zwischen Cola-Flecken und Charakterbögen, und blieb liegen auf der Zwanzig. Perfekt. Aber dann begann die Zahl zu glühen, nicht das normale Glühen. Das Rot wurde heller, intensiver, bis der ganze Keller in blutrotes Licht getaucht war.

"Ähm, David?", sagte Sarah und schob ihren Stuhl zurück. "Was zur Hölle?" Aber David machte gar nichts, starrte nur auf die Würfel. Die Würfel begann zu vibrieren, zu summen, ein tiefes Geräusch das er in seinen Knochen fühlte. "David!", schrie Emma. "Hör auf damit!" "Ich mache nichts!", schrie er zurück und dann war alles schwarz. Sarah wusste sofort, dass etwas fundamental falsch war. Der Boden unter ihr war nicht Davids Teppich sondern weich und feucht und roch nach Erde und Leben. Die Luft war frischer als jede Luft die sie je geatmet hatte, kalt und süß. Ihr ganzer Körper fühlte sich anders an, leichter aber kraftvoller. Sie öffnete die Augen und sah Himmel und Bäume und Sonnenlicht das durch Blätter fiel in Mustern, die zu schön waren um echt zu sein.

Sie setzte sich auf und dann sah sie ihre Hände. Das waren nicht ihre Hände. Die Finger waren zu lang und schlank, die Nägel perfekt, und ihre Haut hatte einen goldenen Schimmer. Auf ihren Unterarmen waren Runen tätowiert, arkane Symbole und Sarah starrte darauf während ein Teil ihres Gehirns hysterisch zu lachen anfing, weil das unmöglich war.

"LEUTE!", schrie eine Stimme panisch. "WAS ZUR HÖLLE IST HIER PASSIERT?" Sarah fuhr herum und sah eine Elfe, eindeutig eine Elfe mit langen blonden Haaren und spitzen Ohren und violetten Augen. Sie trug eine weiße Robe und hielt einen hölzernen Stab und Sarah brauchte drei Sekunden bevor sie die Verbindung machte. "Emma?" Die Elfe starrte sie an, berührte ihre Haare, ihre Ohren. "Sarah? Warum siehst du aus wie... oh Gott, was ist passiert?"

"Was ist hier los?", kam eine tiefe Stimme und da stand ein echter Zwerg. Knapp über einen Meter groß, massiv gebaut mit roten Haaren und einem Bart der bis zur Brust fiel, Lederrüstung und eine Streitaxt auf dem Rücken. Er sah an sich runter, hob seine Hände, berührte seinen Bart. "Ich bin ein Zwerg. Ich bin ein verdammter Zwerg." Tom. Das war Tom. "Ich bin ein Halbling", kam eine dritte Stimme. Felix stand hinter einem Baum, klein mit lockigen Haaren und absurd großen behaarten Füßen, in dunkler Lederkleidung mit Dolchen am Gürtel. "Das kann nicht real sein. Wir träumen oder?"

Sarah hob ihre Hand und dachte an Magie, an Zauberformeln, und ihre Hand begann zu glühen. Blaue Energie knisterte um ihre Finger, bildete Muster in der Luft, und sie spürte die Macht durch ihren Körper strömen wie Elektrizität aber besser. "Oh mein Gott", flüsterte sie. "Ich kann Magie. Ich kann wirklich Magie." Sie lachte hysterisch und Emma war sofort bei ihr, legte einen Arm um sie. "Es ist okay", sagte Emma mit ihrer Lehrer-Stimme. "Es ist okay, wir finden raus was hier passiert."

"NEIN!", brüllte Tom und seine Zwergenstimme hallte durch den Wald. "Es ist nicht okay! Wir waren in Davids Keller! Und jetzt sind wir... was? In der Spielwelt? Als unsere CHARAKTERE?" Er lachte verzweifelt. "Das ist Wahnsinn." Felix kniete sich hin, berührte das Gras, roch daran, biss sogar ein Stück ab. "Es fühlt sich real an. Was auch immer das ist, es ist verdammt überzeugend."

Emma schloss die Augen, atmete tief durch, die Eins-bis-zehn-Methode. Als sie die Augen öffnete war sie ruhiger. "Okay. Wir bleiben ruhig. Was war das Letzte was passiert ist?" Sarah zwang sich zu denken. "Wir haben gespielt. Das Portal. David hat gewürfelt mit diesen neuen Würfeln..." "Und sie haben angefangen zu glühen", sagte Felix. "Rot. Dann der Blitz..." "Und jetzt sind wir hier", beendete Tom. "Als unsere D&D-Charaktere."

Sarah fühlte es dann, eine Flut von Erinnerungen die nicht ihre waren. Sie wusste plötzlich Zaubersprüche, konnte Geschichte rezitieren, erinnerte sich an einen fünften Geburtstag als Kira als ihr Vater ihr einen Zauberstab schenkte. Aber das war nicht passiert, nicht Sarah, das war Kira. "Habt ihr auch diese Erinnerungen?", fragte sie leise. "Erinnerungen die nicht eure sind?" Emma nickte. "Elara. Ich habe Elaras Erinnerungen. Das Kloster wo ich aufgewachsen bin, Gebete zu Sehanine." "Finn", sagte Felix. "Aufgewachsen auf den Straßen, erster Diebstahl mit acht. Ich erinnere mich als wäre ich es gewesen."

Tom schwieg, seine Fäuste geballt. "Tom?", fragte Sarah sanft. "Ich erinnere mich an meinen ersten Kampf", sagte er rau. "Thoran war fünfzehn. Orc-Überfall. Sein Vater gab ihm eine Axt. Er tötete zwei Orcs, rettete seinen Bruder." Seine Stimme brach. "Ich kann ihn vor mir sehen, kann das Blut riechen. Aber ich HATTE keinen Bruder. Thorans Erinnerungen sind jetzt meine und ich weiß nicht mehr was echt ist." Emma sprach, die Stimme der Vernunft. "Wir sind immer noch wir. Ich erinnere mich an mein echtes Leben. Diese anderen Erinnerungen sind wie ein zweiter Track. Aber ich bin immer noch Emma. Ihr seid immer noch ihr." "Zwei Seelen in einem Körper", murmelte Felix. "Das ist entweder poetisch oder beängstigend." "Beides", sagte Sarah und dann fragte sie: "Wo ist David?"

Sie sahen sich um, wirklich um. Wald so weit das Auge reichte, riesige Bäume, Sonnenlicht durch Blätter. Keine Spur von David. "Vielleicht ist er woanders gelandet", sagte Emma. "Wir müssen ihn suchen." "Oder er ist nicht hier", sagte Felix leise. "Vielleicht nur die Spieler wurden transportiert. Der Dungeon Master ist noch in der echten Welt." Die Vorstellung war zu deprimierend. "Wir finden es raus", sagte Sarah. "Aber zuerst—"

Aus dem Wald kam ein Knurren, tief und bedrohlich. Alle erstarrten. Tom griff nach seiner Axt, Felix nach seinen Dolchen, Sarah hob ihre Hände und fühlte Magie kribbeln, Emma hielt ihren Stab. Das Knurren kam näher, Büsche bewegten sich, und dann trat es aus den Schatten. Ein Wolf. Aber größer als ein Pferd mit schwarzem Fell, roten Augen, Zähnen wie Dolche. Schatten wirbelten um seinen Körper und Sarah wusste mit Kiras Wissen dass das ein Schattenwolf war, Level 6, tödlich.

"Schattenwolf", flüsterte sie. "Level 6. Resistent gegen normale Waffen, verwundbar durch Magie und Silber." "Wir sind Level 5", sagte Felix bleich. Der Wolf machte einen Schritt näher, sein Knurren bebte in ihrer Brust. Tom positionierte sich vor den anderen. "Was machen wir?", flüsterte Emma. "Wir kämpfen", sagte Sarah. "Oder wir sterben." "Großartige Optionen", murmelte Felix. Der Wolf knurrte ein letztes Mal. Dann sprang er.

Er war unglaublich schnell, eine schwarze Masse die durch die Luft schoss. Sarah schrie, hob ihre Hände, dachte an Feuer. "FEUERBALL!" Und Feuer explodierte aus ihren Handflächen, eine rollende Kugel die den Wolf mitten im Sprung traf. Die Explosion schleuderte ihn zur Seite, sein Fell rauchte, aber er war nicht tot, er war wütend, fixierte Sarah. "DAS HAT FUNKTIONIERT!", schrie sie ungläubig. "ICH HABE GERADE EINEN FEUERBALL GEWORFEN!" "GROSSARTIG JETZT MACH ES NOCHMAL!", brüllte Tom aber der Wolf sprang wieder, zielte auf Sarah. Tom warf sich dazwischen, seine Axt traf die Schulter des Wolfs, schnitt tief. Schwarzes Blut spritzte. Der Wolf heulte, landete, schnappte nach Toms Arm. Zähne gruben sich durch Rüstung in Fleisch. Tom schrie.

"TOM!", brüllte Emma und ihr Stab glühte weiß-gold. "HEILIGE FLAMME!" Ein Strahl aus göttlichem Licht traf den Wolf wie ein Hammer. Das Monster heulte, ließ Tom los, sprang zurück, die Haut verbrannt. Felix war bereits in Bewegung, glitt unter dem Wolf hindurch, beide Dolche blitzten. Er schnitt an der Unterseite entlang, sprang auf, rollte ab. Der Wolf taumelte, drei Wunden jetzt, geschwächt. Er wirbelte und fixierte Felix, setzte zum Sprung an. "NEIN!", schrie Sarah und hob beide Hände, fühlte Magie strömen heißer als zuvor. "FEUERSTRAHL!" Ein konzentrierter Strahl aus Flammen schoss aus ihren Handflächen, traf den Wolf direkt ins offene Maul. Das Monster heulte, ein schrecklicher Laut der abbrach als der Feuer seinen Rachen verbrannte. Es landete, zuckte, rauchte, und wurde still. Der Schattenwolf lag tot da, seine Augen erloschen.

Stille. Nur schweres Atmen. Sarah sank auf die Knie, ihre Hände zitterten unkontrollierbar. Sie hatte gerade ein Monster getötet, hatte Leben genommen mit Magie. "Ist es tot?", fragte Emma weinend. Tom ging näher, stieß den Wolf mit dem Fuß. "Ja. Wir haben es getötet." Felix kam zurück, seine Dolche blutig. "Wir haben ein verdammtes Monster getötet." "Wir hätten sterben können", sagte Emma und ließ ihren Stab fallen, sie sank zu Boden. "Das war real, wir hätten wirklich sterben können." "Aber wir sind nicht gestorben", sagte Tom erstaunt. "Wir haben gekämpft und gewonnen." Sarah sah auf ihre Hände die immer noch glühten. Sie hatte zwei Zauber gewirkt, hatte getötet. Ein Teil von ihr, der Kira-Teil, fühlte Stolz. Aber Sarah fühlte hauptsächlich Angst.

"Was machen wir jetzt?", fragte Felix leise. Emma stand auf, wischte ihre Tränen weg und Sarah sah Entschlossenheit zurückkehren. "Wir finden raus wo wir sind. Wir suchen nach Zivilisation, nach Menschen, nach jemandem der uns sagen kann was passiert ist. Und wir finden David oder einen Weg zurück." "Und wenn es keinen Weg zurück gibt?", fragte Sarah. Emma sah sie an mit ihren violetten Augen. "Dann überleben wir. Zusammen. Das ist was wir immer getan haben." Tom hob seine Axt auf. "Zusammen." Felix nickte. "Zusammen." Sarah stand auf. "Zusammen."

Sie standen im Kreis um den toten Wolf, verloren in einer fremden Welt. Aber sie waren am Leben und sie waren zusammen und vielleicht war das genug für jetzt.

Sie gingen eine Stunde durch den Wald bevor jemand den Mut hatte etwas zu sagen. Felix führte die Gruppe und seine neuen Halbling-Instinkte ließen ihn Pfade sehen die für normale Augen unsichtbar waren. Es war seltsam wie natürlich sich das anfühlte, als hätte er sein ganzes Leben in Wäldern verbracht statt in Düsseldorfer Büros. Tom ging am Ende mit seiner Axt über der Schulter und beobachtete ihre Rückseite. Seine Zwergenbeine waren kürzer aber irgendwie ermüdeten sie nicht so schnell wie seine menschlichen Beine es getan hätten. Emma und Sarah gingen in der Mitte und beide zitterten noch vom Kampf, versuchten zu verarbeiten dass sie gerade ein lebendes Wesen getötet hatten.

"Wir müssen darüber reden", sagte Emma schließlich, weil sie immer diejenige war die schwierige Gespräche anfing. "Über das was passiert ist." Tom lachte bitter und der Klang hallte durch die Bäume. "Welchen Teil meinst du? Den Teil wo wir in eine Fantasy-Welt transportiert wurden oder den Teil wo wir fast von einem Wolf gefressen wurden der größer war als mein Auto?" "Vielleicht beide?", schlug Emma vor und versuchte zu lächeln. Sarah blieb stehen und die anderen blieben ebenfalls stehen, bildeten einen kleinen Kreis zwischen den alten Bäumen. "Habt ihr gemerkt wie natürlich sich das angefühlt hat? Der Kampf?", fragte sie und sah auf ihre Hände, die immer noch leicht zitterten. "Ich habe nicht nachgedacht, ich habe einfach gewusst was zu tun ist. Die Zauber, die Bewegungen, alles kam automatisch wie Reflexe."

"Muskelgedächtnis", sagte Felix nachdenklich. "Oder was auch immer die magische Entsprechung davon ist. Finn hat hunderte von Kämpfen überlebt und diese Instinkte sind jetzt Teil von mir. Als ich unter dem Wolf durchgeglitten bin, hat mein Körper gewusst was zu tun ist, auch wenn mein Gehirn geschrien hat, dass ich verrückt bin." "Thorans Kampferfahrung hat übernommen", sagte Tom und seine Stimme war leise, fast ehrfürchtig. "Ich erinnere mich an seine Trainingseinheiten, an seinen Vater der ihm beibrachte wie man eine Axt schwingt, an jahrelange Übung. Und in dem Moment wo der Wolf gesprungen ist, war ich nicht mehr Tom der IT-Support. Ich war Thoran der Barbar und das fühlte sich richtiger an als alles was ich je in meinem echten Leben gemacht habe." "Verschmelzen wir mit ihnen?", fragte Sarah besorgt und Emma konnte die Angst in ihrer Stimme hören, die Panik die knapp unter der Oberfläche brodelte. "Verlieren wir uns selbst?"

Emma dachte lange nach und wählte ihre Worte sorgfältig, weil das wichtig war, vielleicht das Wichtigste überhaupt. "Ich glaube nicht dass wir verschmelzen im Sinne von verschwinden. Ich glaube wir sind beide gleichzeitig. Ich bin Emma und ich bin Elara, zwei Bewusstseine in einem Körper, zwei Lebensgeschichten die parallel laufen wie zwei Lieder die gleichzeitig spielen. Wenn ich heile denke ich nicht daran wie ich es machen soll, ich weiß es einfach weil Elara es weiß. Aber wenn ich an mein Leben denke, an meine Wohnung und meinen Job und meine Katze, das ist alles noch da, nichts davon ist weg oder verschwommen. Beide Leben existieren gleichzeitig in meinem Kopf." "Zwei Leben für den Preis von einem", murmelte Felix düster. "Was für ein beschissenes Angebot."

Sie gingen weiter und nach einer weiteren halben Stunde lichtete sich der Wald allmählich. Zwischen den Bäumen sahen sie Zivilisation, Felder mit Weizen oder etwas das wie Weizen aussah, eine Straße aus festgetretener Erde die sich durch die Landschaft schlängelte, und in der Ferne Rauch von Schornsteinen. "Eine Stadt", sagte Emma erleichtert und beschleunigte ihre Schritte. "Oder ein Dorf zumindest, aber Zivilisation." "Vielleicht können sie uns helfen", fügte Sarah hinzu aber Felix schüttelte den Kopf und hob eine warnende Hand. "Oder uns töten. Wir haben keine Ahnung wo wir sind, welches Königreich das ist, ob hier Krieg herrscht, ob unsere Rassen willkommen sind oder verfolgt werden." "Was schlägst du vor?", fragte Tom und verschränkte die Arme. "Dass wir im Wald bleiben und verhungern?" Felix seufzte und rieb sich die Augen. "Nein, natürlich nicht. Aber lasst mich vorgehen und spionieren. Ich bin ein Schurke, Heimlichkeit ist meine Stärke. Ich kann reinschleichen, herausfinden ob es sicher ist." "Und wenn du nicht zurückkommst?", fragte Sarah mit besorgter Stimme. Felix grinste, das erste echte Grinsen seit ihrer Ankunft das sein ganzes Gesicht erhellte. "Dann wisst ihr dass die Stadt feindlich ist und solltet schnell in die andere Richtung rennen."

Er verschwand im hohen Gras bevor jemand protestieren konnte, einfach weg. Sarah fragte sich ob sie alle solche Fähigkeiten hatten, ob ihre Charakterklassen ihnen Dinge ermöglichten die für normale Menschen unmöglich schienen. Sie setzte sich ins Gras und die anderen taten es auch, alle erschöpft von der Wanderung und dem Adrenalin-Crash nach dem Kampf. "Wie geht es deinem Arm?", fragte Emma und kroch zu Tom rüber, ihre Augen fixiert auf seine blutige Rüstung. "Tut weh", gestand Tom und verzog das Gesicht als er sich bewegte. "Aber weniger als es sollte. Ich glaube Zwerge haben höhere Schmerztoleranz oder dickere Haut oder so etwas." Emma legte ihre Hand auf die Wunde und murmelte Worte in einer Sprache die Sarah nicht verstand, eine fließende melodische Sprache die wie Musik klang. Goldenes Licht umhüllte Toms Arm und als Emma die Hand wegnahm war die Wunde nicht weg aber deutlich besser, die tiefen Bissspuren jetzt nur noch oberflächliche Kratzer die kaum bluteten.

"Heilmagie", flüsterte Tom erstaunt und berührte seinen geheilten Arm mit zitternden Fingern. "Du hast mich gerade mit Heilmagie geheilt wie in einem verdammten Videospiel." Emma sah auf ihre glühende Hand und Tränen liefen über ihre Wangen. "Elara konnte das, ich konnte das, ich meine ich kann das..." Sie brach ab und wischte sich die Tränen weg mit dem Handrücken. "Das ist zu viel. Das ist alles zu viel für mein Gehirn zu verarbeiten." Sarah rutschte näher und nahm Emmas Hand, drückte sie fest und versuchte durch die Berührung Trost zu spenden. "Wir schaffen das zusammen. Wir haben einen verdammten Schattenwolf getötet, wir können alles schaffen wenn wir zusammenbleiben." "Können wir?", fragte Emma und ihre Stimme brach, wurde klein und verletzlich. "Sarah, wir sind normale Menschen. Ich bin Grundschullehrerin, ich bringe Kindern das Alphabet bei. Tom macht IT-Support und hilft Leuten ihre Computer neu zu starten. Felix verkauft Versicherungen. Du machst Grafikdesign. Wir sind keine Helden, wir sind keine Abenteurer. Wir spielen nur so am Freitagabend zum Spaß."

"Aber jetzt sind wir es", sagte Tom fest und seine Stimme hatte eine Entschlossenheit die Sarah selten von ihm gehört hatte. "Ob wir wollen oder nicht, ob es fair ist oder nicht, wir sind jetzt unsere Charaktere. Wir haben ihre Fähigkeiten, ihre Stärken, ihre Erinnerungen und ihr Wissen. Und solange wir zusammenbleiben, solange wir einander vertrauen und unterstützen..." Er ließ den Satz hängen aber sie alle wussten was er meinte, fühlten die unausgesprochene Wahrheit. Zusammen hatten sie eine Chance zu überleben, getrennt waren sie verloren in einer Welt die sie nicht verstanden.

Felix kam nach zwanzig Minuten zurück und materialisierte sich aus dem Gras wie ein Geist, so plötzlich dass alle zusammenzuckten. "Die Stadt heißt Grünfurt", sagte er und setzte sich zu ihnen ins Gras, noch keuchend von seinem Lauf. "Handelsstadt, politisch neutral, keine aktuellen Kriege soweit ich sehen konnte. Sollte relativ sicher sein für uns." "Sollte?", fragte Sarah skeptisch und hob eine Augenbraue. "Nichts ist jemals hundert Prozent sicher in einer Welt wo Monster existieren", sagte Felix pragmatisch. "Aber die Leute da scheinen normal zu sein, friedlich, beschäftigt mit ihrem Leben. Ich habe verschiedene Rassen gesehen, Menschen und Zwerge und Elfen und sogar einen Tiefling mit Hörnern. Wir werden nicht mehr auffallen als alle anderen, nicht mehr als üblich zumindest." "Dann gehen wir hin", entschied Tom und stand auf, klopfte Gras von seiner Hose. "Wir brauchen Informationen über diese Welt, wir brauchen Essen weil unsere Mägen schon knurren, und vielleicht einen Platz zum Schlafen in einem echten Bett." "Wir brauchen auch Geld", korrigierte Felix und zog eine kleine Ledertasche aus seiner Jackentasche. "Ich habe Finns Taschen durchsucht während ihr geredet habt. Er hatte drei Goldmünzen bei sich, das ist alles was wir besitzen." "Ist das viel?", fragte Emma hoffnungsvoll.

Felix' Augen wurden für einen Moment glasig während Finns Wissen aktivierte, fremde Erinnerungen über Preise und Wirtschaft flossen in sein Bewusstsein. "Genug für eine Nacht in einer billigen Taverne und vielleicht zwei bescheidene Mahlzeiten. Dann sind wir komplett pleite und müssen betteln oder stehlen." "Dann finden wir einen Job", sagte Sarah mit mehr Zuversicht als sie fühlte, versuchte optimistisch zu klingen. "Eine Quest oder so. Leute bezahlen Abenteurer für gefährliche Aufgaben oder? Das ist wie D&D funktioniert." "In Davids Kampagne ja", sagte Tom zweifelnd. "Aber das hier ist echt, das hier ist eine echte Welt mit echten Menschen. Wer sagt dass echte Leute echte Abenteurer bezahlen statt einfach selbst ihre Probleme zu lösen?" "Dann finden wir es raus", sagte Emma und stand auf, klopfte Gras von ihrer weißen Robe die schon Flecken hatte. "Los, bevor ich den Mut verliere und beschließe doch im Wald zu leben."

Sie gingen zur Stadt und mit jedem Schritt fühlte sich die Situation realer an, weniger wie ein Traum. Die Straße wurde breiter und gepflasterter, und sie begegneten anderen Reisenden. Händler mit Karren voller Waren, Gemüse und Stoffe und seltsame Dinge die Sarah nicht identifizieren konnte. Bauern die Körbe mit Eiern und Getreide trugen, ihre Gesichter wettergebräunt und müde. Sogar andere Abenteurer in verschiedenen Rüstungen mit Waffen an ihren Gürteln, die sie mit professioneller Neugier musterten. Die meisten schauten sie kurz an aber niemand schien schockiert oder ängstlich. Fantasy-Rassen waren hier normal, alltäglich, und Sarah musste sich immer wieder daran erinnern dass sie jetzt auch eine Fantasy-Rasse war, eine Halbelf mit spitzen Ohren und magischen Tattoos auf ihren Armen.

Die Stadttore waren offen und wurden von zwei Soldaten in grünen Uniformen bewacht, die sie durchließen ohne Fragen zu stellen, nur ein kurzes Nicken. Dann waren sie drin und Sarah musste stehen bleiben weil es zu viel war, zu real, zu überwältigend für ihre Sinne. Grünfurt war wie aus einem Fantasy-Film gesprungen aber realer, lebendiger, mit Gerüchen und Geräuschen und Details die kein CGI je reproduzieren könnte. Gepflasterte Straßen schlängelten sich zwischen Häusern aus Stein und Holz, manche drei Stockwerke hoch mit bunten Fensterläden. Geschäfte mit handgemalten Schildern, eine Bäckerei aus der der Duft von frischem Brot strömte, eine Schmiede wo ein Zwerg auf glühendes Metall hämmerte. Tavernen aus denen Musik und Lachen drangen, fröhliche Melodien gespielt auf Instrumenten die Sarah nicht kannte. Märkte voller Menschen und Nicht-Menschen die handelten und stritten und feilschten, ihre Stimmen vermischten sich zu einem konstanten Summen von Leben.

Es roch nach gebratenem Fleisch und exotischen Gewürzen und Pferdedung und hundert anderen Dingen, manche angenehm manche weniger. Über allem lag ein Summen von Leben das so anders war als jede moderne Stadt, lebendiger und chaotischer und irgendwie ehrlicher. "Das ist unglaublich", flüsterte Sarah und drehte sich im Kreis, versuchte alles gleichzeitig aufzunehmen. "Das ist alles so verdammt echt." "David hat das alles erfunden?", fragte Tom ungläubig und berührte eine Hauswand als müsste er sich vergewissern dass sie solide war. "Diese ganze Welt mit all diesen Details?" "Vielleicht hat er es nicht erfunden", sagte Felix nachdenklich und seine Augen waren weit vor Staunen. "Vielleicht hat er es entdeckt, vielleicht existierte diese Welt schon immer irgendwo und die Würfel waren nur ein Tor das uns hierher gebracht hat." "Das ist sehr philosophisch für jemanden der vor ein paar Stunden noch Versicherungen verkauft hat", sagte Tom aber er klang nicht spöttisch, nur müde und überfordert.

Felix führte sie durch die gewundenen Straßen zu einer Taverne mit einem verblassten Schild das einen lachenden Bären zeigte, halb verdeckt von wildem Wein. Drinnen war es laut und voll und wunderbar normal in seiner Chaos. Abenteurer saßen an groben Holztischen und tranken aus Krügen, erzählten Geschichten von Monstern und Schätzen mit lauten Stimmen und großen Gesten. An den Wänden hingen Bretter aus Kork mit Pergamenten festgepinnt, Quest-Angebote vermutlich, Hilfegesuche von verzweifelten Menschen. Sie setzten sich an einen Tisch in der Ecke, weit weg von den meisten anderen, und eine Kellnerin kam sofort angerannt. Sie war eine junge Frau mit freundlichem rundem Gesicht, Mehl auf ihrer Schürze und Erschöpfung in ihren Augen.

"Was darf's sein für die hungrigen Reisenden?", fragte sie mit einem Lächeln das echt wirkte. "Vier Biere und was auch immer ihr zu essen habt das schnell geht", sagte Felix geschäftsmäßig und legte eine Goldmünze auf den Tisch mit einem zuversichtlichen Klicken. Die Kellnerin nahm sie, biss darauf um zu testen ob sie echt war, was Sarah fasziniert beobachtete, nickte zufrieden und verschwand in der Menge. "Hat sie gerade auf unsere Münze gebissen?", fragte Sarah amüsiert. "Alte Gewohnheit um Falschgeld zu erkennen", erklärte Felix mit Finns Wissen das automatisch hochkam. "Blei ist weicher als Gold, man kann den Unterschied schmecken und fühlen mit den Zähnen." "Hier", wiederholte Emma und lachte ein bisschen hysterisch, ein Lachen das zu laut war für die Situation. "Wir sagen 'hier' als wären wir im Urlaub oder auf einer Geschäftsreise, nicht als wären wir in eine andere verdammte Dimension gefallen ohne Vorwarnung."

Das Essen kam überraschend schnell, dampfende Schüsseln mit Eintopf und frisches Brot und Bier in schweren Krügen. Sie aßen hungrig und schweigend, realisierten erst jetzt wie ausgehungert sie waren. Sie hatten seit dem Frühstück in Davids Keller nichts mehr gegessen, was gefühlt vor einem Leben gewesen war, in einer anderen Welt. Das Bier schmeckte anders als deutsches Bier, süßer und würziger mit einem Hauch von Honig, aber nach dem Tag den sie hatten schmeckte es wie Himmel. Um sie herum redeten Abenteurer und Sarah hörte zu, lauschte den Gesprächen und versuchte Informationen aufzusaugen wie ein Schwamm. Sie hörte Gerüchte über Monster im Norden, über politische Spannungen zwischen den Königreichen Eranor und Vestia, über einen Drachen der im Osten gesichtet wurde, über Quests mit hohen Belohnungen und tödlichen Risiken. Es klang alles vertraut weil es alles Dinge waren die David in seiner Kampagne benutzt hatte, aber hier waren sie real, nicht nur Geschichten die ein Dungeon Master erfand sondern echtes Leben mit echten Konsequenzen.

"Entschuldigung", sagte plötzlich eine tiefe Stimme neben ihrem Tisch und sie fuhren alle erschrocken herum. Da stand ein Mann, vielleicht fünfzig Jahre alt mit grauem Haar und freundlichen braunen Augen, einfache aber saubere Kleidung die von einem gewissen Wohlstand sprach. "Ihr seht aus wie Abenteurer, wie fähige Leute die wissen wie man mit einem Schwert umgeht. Seid ihr neu in der Stadt?" Sarah wollte lügen, wollte sagen dass sie schon lange hier waren, aber Felix war schneller. Der Schurke wusste instinktiv wann Ehrlichkeit nützlicher war als Täuschung. "Ja, gerade heute angekommen", sagte er vorsichtig aber nicht unfreundlich. "Warum fragt Ihr?"

"Mein Name ist Halwin und ich bin der Bürgermeister von Grünfurt", sagte der Mann und setzte sich ungefragt an ihren Tisch, faltete die Hände vor sich. "Ihr seht jung aus aber erfahren, und ich habe ein Problem das erfahrene Abenteurer braucht, Menschen die nicht vor Gefahr zurückschrecken." "Was für ein Problem?", fragte Tom misstrauisch und lehnte sich zurück, eine Hand unbewusst zu seiner Axt wandernd. Halwin seufzte tief und schwer. "Goblins. Sie haben sich im alten Bergwerk östlich der Stadt eingenistet vor etwa einem Monat. Seitdem überfallen sie unsere Händler auf den Straßen, stehlen Waren und töten jeden der sich wehrt. Wir haben schon drei Menschen verloren, gute Menschen mit Familien. Wir brauchen jemanden der die Goblins vertreibt oder eliminiert, und unsere eigenen Soldaten sind zu wenige und zu unerfahren für so eine Aufgabe."

"Bezahlung?", fragte Felix direkt und ohne Umschweife, immer der Geschäftsmann. Halwin zögerte nicht. "Fünfzig Gold für die Gruppe. Plus was auch immer ihr im Bergwerk findet, dürft ihr behalten. Waffen, Schätze, alles gehört euch." Fünfzig Gold klang nach viel aber Sarah hatte keine Ahnung ob es viel war, hatte keinen Referenzpunkt. Sie sah die anderen an und versuchte stumm zu kommunizieren, ihre Gedanken durch Blicke zu teilen. Emma kaute auf ihrer Unterlippe was sie immer tat wenn sie nachdachte. "Wie viele Goblins schätzt Ihr?", fragte Tom ernst. "Unsere Scouts die das Gebiet beobachtet haben schätzen zwanzig bis dreißig, vielleicht mehr. Es ist schwer zu sagen weil sie ständig rein und raus gehen." Tom tat schnell die Mathematik und Sarah konnte es in seinen Augen sehen, konnte sehen wie Thorans Kampferfahrung die Chancen kalkulierte. "Können wir eine Minute privat überlegen?", fragte Emma höflich mit ihrem besten Lehrer-Lächeln.

Halwin nickte verständnisvoll und stand auf. "Natürlich, natürlich. Nehmt euch die Zeit die ihr braucht. Ich bin an der Bar wenn ihr euch entschieden habt." Er ging und sofort lehnten sich alle vier über den Tisch, ihre Köpfe fast zusammen, ihre Stimmen flüsternd. "Können wir das wirklich?", fragte Sarah nervös. "Dreißig Goblins? Das sind viel mehr als der eine Wolf." "Wir haben einen Schattenwolf getötet", argumentierte Tom. "Und Goblins sind Level einhalb laut Standard-Regeln, viel schwächer als ein Schattenwolf. Das Problem ist die Anzahl." "Dreißig gegen vier", sagte Emma und ihre Stimme zitterte. "Das sind schlechte Chancen für uns, wir könnten alle sterben." "Aber wir haben Magie, Heilung, Heimlichkeit und Thorans Kampferfahrung", zählte Felix auf und tippte mit jedem Punkt auf den Tisch. "Und am wichtigsten, wir brauchen das Geld dringend. Ohne Geld können wir keine Vorräte kaufen, können nicht reisen, können nicht überleben in dieser Welt."

"Weitermachen wohin?", fragte Sarah frustriert. "Wir haben keinen Plan, keine Ahnung wo David ist oder wie wir zurückkommen oder ob es überhaupt möglich ist." "Dann ist das unser Plan", sagte Tom fest und schlug mit der Faust auf den Tisch, nicht laut aber bestimmt. "Wir nehmen die Quest, verdienen Geld, gewinnen Erfahrung im Kämpfen und Überleben. Und während wir das tun suchen wir nach Hinweisen, nach Informationen über David, nach einem Weg zurück in unsere Welt. Ein Schritt nach dem anderen." Es war nicht der beste Plan aber es war ein Plan, mehr als sie vor fünf Minuten gehabt hatten, eine Richtung statt ziellosen Umherirrens. "Abstimmung", sagte Emma demokratisch. "Wer ist dafür die Quest anzunehmen trotz der Gefahren?" Felix hob sofort die Hand ohne zu zögern. Tom zögerte einen langen Moment, sein Gesicht zeigte inneren Kampf, dann hob auch er die Hand. Sarah sah Emma an und Emma sah Sarah an, und sie hatten beide Angst, beide wussten dass sie sterben könnten, aber was war die Alternative? Hier sitzen und langsam verhungern? Aufgeben? Sarah hob ihre Hand mit zitternden Fingern. Emma seufzte so tief dass es wehtat, aber dann hob sie auch ihre Hand. "Dann sind wir uns einig", sagte Tom mit fester Stimme. "Wir machen es."

Sie riefen Halwin zurück und der Bürgermeister war so erleichtert dass Sarah sich fragte wie verzweifelt die Stadt wirklich war, wie viele andere Gruppen abgelehnt hatten. Er gab ihnen eine grobe Karte zum Bergwerk, gezeichnet auf altem Pergament, sagte ihnen dass sie morgen früh bei Tageslicht starten sollten, und gab ihnen einen rostigen Schlüssel für ein Zimmer in dieser Taverne auf Kosten der Stadt. "Seid vorsichtig da draußen", sagte er ernst und seine Augen waren traurig. "Die Goblins sind nicht nur dumme Kreaturen die man unterschätzen sollte. Sie haben einen Anführer, einen Hobgoblin namens Gruk der sehr intelligent und sehr gefährlich ist. Er hat schon Dörfer niedergebrannt und Dutzende getötet. Unterschätzt ihn nicht." "Wir werden vorsichtig sein", versprach Emma und Sarah hoffte inständig dass das nicht eine Lüge war, dass sie vorsichtig genug sein würden. Als Halwin ging saßen sie schweigend da und ließen die Realität ihrer Entscheidung einsickern wie kaltes Wasser. Morgen würden sie in ein Goblin-Versteck gehen, würden gegen dreißig Monster kämpfen, würden vielleicht sterben weit weg von ihren Familien und Freunden.

"Wir sollten einen detaillierten Plan machen", sagte Felix praktisch und breitete die Karte auf dem Tisch aus. "Strategie, Taktiken, wer macht was und in welcher Reihenfolge." "Thoran geht vorne", sagte Tom automatisch mit seiner DM-Stimme. "Zieht Aufmerksamkeit, tankt Schaden wie ein Barbarian sollte. Finn flankiert von den Seiten, nutzt Heimlichkeit für kritische Treffer. Elara bleibt mittlere Distanz, heilt und unterstützt mit Zaubern. Kira bleibt hinten, maximale Distanz, wirft Flächenzauber wie Feuerbälle." Es war exakt wie sie am Spieltisch seit Jahren spielten, ihre perfektionierten Rollen die sie in hunderten von Kämpfen geübt hatten. "Aber das war ein Spiel", sagte Sarah leise. "Das hier ist echt und wenn wir sterben gibt es keinen Respawn, keinen neuen Charakter, einfach nur Tod." "Dann sterben wir nicht", unterbrach Tom fest. "Wir sind ein gutes eingespieltes Team, wir kennen unsere Stärken und Schwächen. Wir haben das schon hundertmal gemacht, nur die Würfel waren anders." "Am Spieltisch", wiederholte Sarah frustriert. "Mit Würfeln und Charakterbögen und der Möglichkeit einfach neu zu starten wenn David uns alle tötet." "Dann", sagte Emma leise aber mit einer Stärke die Sarah bewunderte, "sorgen wir dafür dass es nicht schiefgeht. Wir planen jedes Detail, wir sind vorsichtig, und wir überleben zusammen."

Sie gingen nach oben in ihr Zimmer, eine knarrende Treppe hoch, und der Raum war klein mit vier schmalen Betten und einem Fenster, aber er war sauber und warm und fühlte sich sicher an. Sarah ließ sich auf eines der Betten fallen und starrte an die Holzdecke mit ihren Balken und Spinnweben, versuchte zu glauben dass das alles real war, dass sie hier war, dass morgen sie gegen echte Monster kämpfen würde mit echtem Leben auf dem Spiel. "Was wenn wir hier nie rauskommen?", fragte sie leise in die Stille des Raumes. "Was wenn das jetzt für immer unser Leben ist?" Niemand antwortete für eine lange schwere Zeit. Dann sagte Tom: "Dann lernen wir damit zu leben, machen das Beste draus, überleben so lange wir können." "Und suchen weiter nach einem Weg zurück", fügte Emma hinzu mit Entschlossenheit. "Wir geben nicht auf, egal wie lange es dauert." "Niemals", sagte Felix. Sie schliefen unruhig diese Nacht, jeder geplagt von Träumen die eine Mischung waren aus ihrem alten Leben und ihrem neuen, von Kellern mit Würfeln und Wäldern mit Monstern, von Pizza und Blut, von Freunden in der echten Welt und Gefahren in dieser. Und am Morgen als die Sonne aufging über Grünfurt und die Stadt zum Leben erwachte, standen sie auf, rüsteten sich und machten sich bereit für ihr erstes echtes bezahltes Abenteuer.

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Kapitel: 2
Sätze: 522
Wörter: 6.046
Zeichen: 35.722

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Diese Story wird neben Fantasy auch in den Genres Mystery und Vermischtes gelistet.

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