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Von Mäusen und anderen Nagern

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09.03.24 17:48
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

Die Eltern meiner Mutter, waren genau wie meine Mutter und somit auch ich, nach dem Krieg wohnungslos. Ausgebombt hieß das damals. Wir schlüpften, nachdem wir ausgebombt waren, bei den Eltern meines Vaters unter. Meine Mutter hatte gewissermaßen Glück, ein Teil ihrer Möbel konnte vor den Flammen gerettet werden. Ihre Eltern hatte es schlimmer getroffen, sie besaßen nur noch das, was sie am Leib trugen und ihre Papiere. Es war wohl damals allgemein üblich und auch sinnvoll, die Versicherungspolicen und sonstigen wichtige Papiere mit in den Luftschutzkeller zu nehmen. Während über ihnen der Feuersturm ihr gesamtes Eigentum zerstörte, waren alle wichtigen Unterlagen für die Zeit danach gerettet. Wohnungslos und all ihrer Habe beraubt fanden die Großeltern eine neue Bleibe in der leerstehenden Wohnung einer meiner Großtanten – der Schwester meines Großvaters. Die Wohnung war auf dem Land gelegen und voll möbliert, aber sonst ohne alle Annehmlichkeiten. Wasser gab es aus der Pumpe auf dem Hof, das Gemeinschaftsklo war auch dort angesiedelt – natürlich in Form eines Plumpsklos. Meine Großeltern wohnten noch Jahre nach dem Krieg dort. Solange, bis meine Mutter eine Wohnung fand, die groß genug war, dass auch ihre Eltern dort wohnen konnten.

Der gesamte Inhalt der Wohnung auf dem Land gehörte weiterhin meiner Großtante, aber die Sachen waren alt und zu einem großen Teil wurden sie auch nicht mehr gebraucht, da die Tante inzwischen zu ihrem Sohn gezogen war. So durften meine Großeltern den Großteil der Einrichtungsgegenstände mitnehmen. Meine Mutter räumte all diese Schränke und Kommoden aus, immer auf der Suche nach brauchbarem. Sie fand vieles, was wohl lange vor dem Krieg dort eingelagert worden war. Wirklich verwendbares gab es nur wenig und das Wenige ist im Laufe der Jahrzehnte sowieso den Weg alles Weltlichen gegangen. Nur ein Schulatlas aus dem 19. Jahrhundert und ein Krückstock, den mein Großvater nutzte, existieren heute noch. In dem Atlas blättere ich ab und an, da tauchen auf den Karten Länder und Kolonien auf, die lange untergegangen sind, der südliche Teil der arabischen Halbinsel (einmal vom Küstenstreifen mit dem Hafen Aden abgesehen) ist einfach als weißer Fleck dargestellt. Den Krückstock habe ich nach einem Unfall in jungen Jahren schon einmal einige Zeit genutzt und da man nie wissen kann, was im Leben noch kommt, fristet er seit über fünfzig Jahren sein Dasein im Keller der jeweiligen Wohnung. Der Stock ist uralt, mein Großvater hat ihn bereits von einem verstorbenen Verwandten übernommen.

All das ist für eine Geschichte über Mäuse nebensächlich. Nagetiere gab es dort auf dem Land reichlich, das ist normal und eine feststehende Tatsache. Bekämpft wurden sie damals auf dem Land kaum, sie kamen auch nur recht selten in die Häuser. Offensichtlich fanden sie außerhalb der Wohngebäude genug Nahrung. Nur beim Entfernen einiger Kartons aus einem Schrank, der mitkommen sollte, da kam zwischen dem alten Kram in einem der Kartons eine mumifizierte Maus zum Vorschein. Es war nicht die erste Maus, die ich sah, auch nicht die erste tote Maus, aber es war die erste und bisher einzige mumifizierte Maus, die ich jemals gesehen habe. Gehen wir lieber in die noch frühere Nachkriegszeit zurück, da gibt es mehr zu über Nagetiere zu erzählen.

Nach dem großen Krieg lag meine Heimatstadt weitgehend in Trümmern. Wir lebten an einer Straße, an der nur wenige Häuser den Bombenkrieg überstanden hatten. Das Haus, in dem wir lebten, gehörte zu diesen wenigen. Sogar nahezu unbeschadet war das Haus dem Inferno entgangen, nur das Dach war etwas undicht. Vieles ist mir aus dieser Zeit in Erinnerung geblieben, so auch die Mäuseplage. Ich habe keine Vorstellung davon, seit wann es diese Plage gab, sie war existent, solange ich denken kann und endete eigentlich nie, sie verschwand schleichend zu der Zeit, als der Wiederaufbau begann. In gleichen Tempo, in dem die Trümmerberge weniger wurden und an deren Stelle neue Häuser errichtet wurden, verringerte sich die Population der Nagetiere. Parallel zu den Mäusen gab es reichlich Ratten, aber beeindruckender war die Population der Mäuse. Die Trümmerwüste bot wohl ideale Voraussetzungen zur Ausbreitungen dieser Tiere. Was mir jetzt im fortgeschrittenen Alter rätselhaft erscheint, denn was war die Nahrungsgrundlage dieser Tiere? Wovon lebten die Nager in einer Zeit, in denen die Menschen das wenige, was es zu essen gab, selbst verwerteten? Blieben Kartoffelschalen und Gemüsestrünke, aber ich glaube, damals fanden die Menschen auch dafür noch eine Verwendung. In Zeiten des Überflusses kann sich kaum noch jemand vorstellen, mit welch einer kleinen Mülltonne ein Haus mit acht Parteien auskam. Die Tonne wurde einmal in der Woche geleert und nahm zusätzlich zum Abfall auch noch die Asche der Öfen auf. Und für all das reichte die noch heute bei uns gebräuchliche 110 Liter Standardtonne – damals aus Blech, heute aus Plastik gefertigt. Aber trotz allgemeiner Knappheit an Nahrung, die Nager lebten und vermehrten sich prächtig.

Es gab so viele Nager, dass sie nicht zu übersehen und in Teilen des Hauses auch nicht zu überhören waren. Sie wurden mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft. Mit Schlagfallen, auf denen ein Köder so deponiert wurde, dass die Maus beim Verkosten erschlagen wurde, Giftköder aus vergifteten Weizen, rot eingefärbt, damit es zu keiner Verwechslung mit normalem Weizen kommen konnte – und es gab Katzen. Für Ratten gab es zusätzlich Lebendfallen. Warum Ratten vorzugsweise mit Lebendfallen gejagt wurden, ist mir schleierhaft, denn es gab die Schlagfallen in zwei Größen. Die kleinen Schlagfallen für Mäuse, die großen für Ratten. Wie erfolgreich die Jagd auf die Nager war, ist einfach zu beschreiben. Ich fasse das einmal so zusammen, sie vermehrten sich trotz der Jagd fast ungehindert. Ab und an eine Maus in der Falle, schien die Population nicht sehr zu beeinträchtigen, ob die Giftköder wirkten weiß niemand, denn die Tiere fielen schließlich vom Genuss des Weizens nicht sofort tot um. Katzen auf die Jagd zu schicken war recht erfolgreich – man durfte sie nur nicht zu sehr mit Futter verwöhnen. Die Gefahr, dass eine Katze zu viel Futter bekam, bestand aber zu Zeiten der Zuteilung der Nahrung über Lebensmittelkarten sowieso nicht. So mussten sich also die Katzen selbst um ihr leibliches Wohl kümmern. Eine erfolgreich jagende Katze wurde belohnt. Ein angeknabberter Knochen, etwas Milch oder so. Was eine Katze mit einem angeknabberten Knochen macht, weiß ich nicht und Milch ist nach heutigem Kenntnisstand für Katzen nicht gesundheitsförderlich. Was mich im Nachhinein wundert, die Katze, sonst so eigenständig lebend, lässt sich darauf durchaus trainieren. Das war für die menschlichen Bewohner nicht immer ganz so angenehm. Eine gelehrige Katze hatte den Dreh schnell heraus und brachte ihre Beute zum Vorzeigen mit in die Wohnung. Eine ausblutende Ratte durch die Wohnung geschleppt, ist nicht ganz angenehm. Zumal die tote Ratte in der Wohnung liegen blieb – dieser Brocken ist für eine Hauskatze zu groß und von daher nicht zum Verzehr geeignet.

Bei der Jagd habe ich bisher den Fang der Ratten in Lebendfallen ausgespart. Das ist ein grausames Thema. Es geht unter die Haut und hat mit Tierschutz absolut nichts zu tun. An die Lebendfallen für Ratten habe ich mich erinnert, als vor einiger Zeit im Fernsehen ein Film über das grüne Spanien lief. Es wurde eine alte Wolfsfalle in Galicien gezeigt und beschrieben – eine Lebendfalle! Ich mache es kurz. Ein in die Falle gegangener Wolf wurde auf der Plaza Mayor des Dorfes für seine Untaten bestraft – das heißt, er wurde vor den versammelten Einwohnern zu Tode gefoltert.

Die Lebendfalle für Ratten war eine massive Holzkiste. Rechts und links an den Schmalseiten befand sich jeweils eine Klappe. Beide Klappen waren mit einem Seilzug versehen und mit einem Mechanismus im Innern der Falle verbunden, der beide Klappen offen hielt. Auf dem Mechanismus – einer Art Wippe – wurde ein Köder platziert. Lief eine Ratte in die Falle und versuchte den Köder zu fressen, löste sie die Wippe aus – die Klappen fielen nach unten – die Ratte war gefangen. Es folgte der grausame Teil der Jagd. Mit einer der Klappen voran, wurde die Falle in einen Jutesack geschoben, die Klappe wurde geöffnet, heftige Schläge mit einem Hammer oder Stock auf die Falle trieben die Ratte in den Sack, der Sack wurde verknotet.

Die Bestrafung der Ratte erfolgte zwar nicht in aller Öffentlichkeit, aber keinesfalls im Verborgenen. Ich will mich nicht dazu auslassen, denn ich bin nicht der Richter, aber die Vorgänge waren brutal und wurden als absolut normal angesehen. Selbst kleine Kinder durften dabei zusehen. Dass ich diese Art der Rattenjagd noch heute beschreiben kann, ist der Beweis. Ich war während dieser Zeit schließlich noch im Vorschulalter.

Die Menschheit hat einen weiten Weg zurückgelegt, bis die Erkenntnis gereift ist, dass ein Tier nicht nach menschlichen Maßstäben einzuordnen ist. Der Kettenhund, mit dem ich mich klugerweise angefreundet hatte, wurde bestraft, weil er ein Huhn gerissen hatte. Nicht bei der Begehung der “Tat“. Nein, Stunden später! Niemand fand etwas Unrechtes dabei. Warum auch? Kinder strafte man schließlich auch, wenn sie ungehorsam waren. Warum soll man da nicht die Ratte strafen, weil sie sich an den Vorräten der Menschen gütlich getan hat?

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Kurzbeschreibung

Die Zeit nach dem großen Krieg hat sich tief in meine Erinnerungen eingegraben. Es mangelte an fast allem, aber Mäuse und Ratten gab es im Überfluss.