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Die dunkle Seite

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09.03.24 17:49
6 Ab 6 Jahren
Fertiggestellt

Alle Menschen haben auch dunkle Seiten. Das ist nicht zu leugnen, aber man kann diese im Allgemeinen gut verstecken. Bei mir geht das so und auch meine Mitmenschen verhalten sich ähnlich – alle versuchen sich positiv darzustellen. Mit den drei vorhergehenden Sätzen könnte ich eigentlich diese Geschichte für abgeschlossen erklären. Nein, das tue ich nicht, ich berichte von einer meiner dunklen Seiten!

In meiner engeren Familie kennt jeder diese dunkle Seite. Ich habe in dieser Familie die Rolle des Krümelmonsters übernommen, genau genommen sollte ich schreiben, ich fülle die Rolle aus. Es ist jetzt nicht so, dass ich besonders viele Krümel erzeuge! In dieser Beziehung bin ich eher unauffällig, aber ich kann keine Krümel liegenlassen. Sie werden beseitigt, das heißt im Normalfall, sie wandern in meinen Mund und werden verschluckt.

Die Erziehung zum Leeressen des Tellers hat wohl bei mir besonders gut gewirkt, ich esse den Teller leer und nicht nur das, es bleiben keine Krümel oder sonstige Essensreste darauf zurück. Die anderen Mitglieder unserer kleinen Gemeinschaft beeindruckte das noch nie, sie übernahmen diese Technik nicht und essen wie eigentlich die Mehrheit der Menschen. Auf ihren Tellern bleiben mehr oder weniger Reste zurück, so, wie es eben normal ist. Darauf komme ich später noch einmal zurück, denn eigentlich beginnt das Entfernen der Krümel bereits bei der Zubereitung der Speisen oder auch beim Aufschneiden von Brot oder Fleisch. Die Reste in den Kochtöpfen kratze ich vor dem Abwasch aus und verleibe sie mir ein. Schneide ich Brot oder Braten, werden alle kleinen Reste auf die gleiche Weise beseitigt. Einige rohe Gemüse müssen beim Schnipseln auch daran glauben. Petersilienwurzel, Möhren oder die Strünke von Rotkohl landen zumindest teilweise ohne den Umweg über das Kochen bei mir. Das ist alles vielleicht gar nicht so auffällig. Obwohl, wenn ich Frau oder Tochter bei gleichen Tätigkeiten beobachte, die tun nichts dergleichen. Die Frauen meiner Jugend, also Mutter und Großmütter hatten diese Angewohnheit auch nicht. Ach ich mach mir da auch keinen Kopf drüber, es ist einfach eine kleine Marotte. Meine liebe Frau schüttelt maximal einmal den Kopf, wenn sie das mitbekommt. Die Tochter verkneift sich auch jede Bemerkung. Bei ihr ist es wohl der Respekt vor dem Vater.

Kommen wir zur eigentlich dunklen Seite. Nun, ich esse den Teller leer, das habe ich bereits geschrieben. Ich habe eine Taktik entwickelt, damit das wirklich gelingt. Es kommt immer nur eine kleine Menge essbares auf meinen Teller, damit nur kein Rest auf dem Teller zurückbleibt, wenn ich gesättigt bin. Ist das die dunkle Seite? Nein, auch das ordne ich unter Marotte ein. Die Unart beginnt dann, wenn alle gesättigt sind. Aufmerksam beobachte ich die Teller meiner beiden liebsten Frauen und schätze ab, was sich darauf noch an Krümeln befindet. Meist liegen noch schöne Restbestände darauf. Ein Krümel Hühnerfleisch, ein Restchen einer Frikadelle, ein kleiner Teil vom Fisch. Aber wie daran kommen, ohne Kopfschütteln auszulösen? Ich kann, solange wir bei Tisch sitzen, kaum die Finger ruhig halten, die wollen immerfort zugreifen. So kommt auch hier Taktik zum Einsatz. Als Kavalier alter Schule, vorbildlicher Ehemann und fürsorglicher Vater biete ich an, den Tisch abzuräumen. Ich nehme die Teller, trage sie zur Spüle, drehe mich geschickt so, dass ich mich unbeobachtet fühle und schwupp, die Reste sind verschwunden. Wenn ich die Schüsseln oder Töpfe abräume, lasse ich diese Vorsichtsmaßnahme nicht walten, ich greife einfach zu und wenn die Reste zu viele sind, landet eh alles im Kühlschrank und wirklich große Restmengen landen im Gefrierschrank.

Dumm nur, wenn wir auswärts essen, da kann ich weder abräumen noch sonst irgendwie nach den Krümeln greifen. Da hilft keine Taktik oder sonstige Magie, ich muss die Hände ruhig halten. Deshalb vermeide ich so gut es geht solche Situationen. Das geht nicht immer, ab und zu isst jeder einmal mit Freunden oder gar im Restaurant. Für mich ist das dann keine reine Freude. Intuitiv erkennt meine liebe Frau meine Zwangslage. Unauffällig schiebt sie unter dem Vorwand, sie sei gesättigt ihre Reste auf meinen Teller. Der Tag ist gerettet!

Obwohl ich schon lange als das familiäre Krümelmonster enttarnt bin, meine liebsten tun möglichst immer so, als würden sich es nicht bemerken. Sie schauen weg oder quittieren meine Marotte mit Lächeln. Wann sich diese Macke bei mir entwickelt hat, das weiß ich nicht mehr so genau. Vielleicht ist sie in frühen Zeiten durch das vertraute Zusammenleben mit meiner Liebe entstanden. Verliebt, wie wir waren, tauschten wir immer wieder einmal das, was auf dem Teller lag. Zu mir wanderte das Gemüse, mein Schatz bekam von meinem Fleisch. Ich esse gerne Fleisch, aber Gemüse ist für mich das Größte.

Die Krümel aufsammeln oder Reste aufklauben begann ernsthaft damit, dass wir Eltern wurden. Ich probierte ab und zu an den Resten in der Trinkflasche unserer Tochter und später auch an der Kleinkindernahrung. Ja, ich glaube, so fing es an. Das ist so lange her, fast sind meine Betrachtungen von daher schon Nostalgie und weil ich das jetzt einfach nostalgisch sehe, mache ich mir auch keine weiteren Gedanken darüber. Das Kopfschütteln meiner lieben Frau ignoriere ich einfach oder, was auch gut ankommt, ich kitzle sie dann und was ernte ich dafür? Einen leichten Knuff.

Nachmittags beim Kaffee, da schlägt meine große Stunde. Wir essen normalerweise ein paar Kekse dazu und was machen Kekse? Sie krümeln! Das kommt meiner Sammelleidenschaft entgegen. Fein säuberlich werden alle Krümel aufgesammelt. Fällt einmal ein Krümel auf den Boden ist das doof, ich hebe den Krümel zwar auf, bekomme aber sofort die Anweisung diesen Krümel auf dem Tisch liegenzulassen. Da hilft auch mein Einwand nicht, dass es auf unserem Fußboden recht sauber aussieht. Einige Male ist es passiert, dass meine liebe Frau einen Krümel selbst aufhob, der ihr heruntergefallen war und diesen hat sie dann auf dem Tellerrand platziert. Da ich das nicht mitbekommen hatte, griff ich nach diesem verlockend daliegenden Krümel. Das kam bei ihr gar nicht gut bei ihr an. Seitdem lässt sie die Krümel liegen, bis wir uns erheben. Mist, nun sammelt sie ihre Krümel selbst auf, birgt diese in ihrer Hand und entsorgt diese herrlichen Krümel im Mülleimer.

Meine Passion das Krümelmonster zu machen, wird enden, aber nicht, weil ich mir diese Marotte abgewöhnen werde. Mein fortgeschrittenes Alter deutet jedoch darauf hin, dass meine Sammelleidenschaft in absehbarer Zeit dank des Endes meines Lebensweges enden wird. Warum soll ich mir das auch abgewöhnen? Immerhin führt mein Krümel sammeln eher zu lustigen als zu peinlichen Einlagen im Tagesablauf.

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BerndMooseckers Profilbild BerndMoosecker

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Sätze: 70
Wörter: 1.154
Zeichen: 6.720

Kurzbeschreibung

Alle Menschen haben dunkle Seiten, das ist nicht unbedingt schlimm. Ich berichte hier von einer meiner dunklen Seiten. Ein Marotte, die ich außerhalb meiner engsten Familie verstecke. In der Familie ist diese sorgt diese Eigenart aber für Frohsinn und Heiterkeit.