Storys > Kurzgeschichten > Vermischtes > Das geheimnisvolle Tintenfass

Das geheimnisvolle Tintenfass

77
1
06.01.24 22:13
Fertiggestellt

Das geheimnisvolle Tintenfass

 

Das Licht der Schreibtischlampe warf einen Schatten hinter meine Hände, die den Federhalter immer wieder zwischen den Fingern hin und her drehten. Die Federspitze aus Metall fing zwar das Licht der Lampe ein, aber nicht einen Gedanken, den es niederzuschreiben lohnte.

Was ist nur mit mir los? Warum kann ich nicht mehr schreiben?“ fragte ich in die Stille hinein, während mein Blick zum Tintenfass wanderte.

Hm, vielleicht mache ich einfach ein paar Klekse auf das Papier oder male ein paar schöne schnörkelige Buchstaben“ flüsterte ich meinen Gedanken zu, die einfach ihren eigenen Weg gingen und im Dunkeln verschwanden.
„Ach, am besten, ich lasse es einfach, denn anscheinend habe ich das Schreiben verlernt. Mist – ich sitz' voll in der Tinte“ seufzte ich enttäuscht dem Federhalter in meiner Hand zu, während ich ihn sacht zur Seite legte.

Ha, von wegen! WIR sitzen in der Tinte – und nicht DU!“ rief plötzlich eine piepsige Stimme aus dem Nichts.

Völlig verschreckt schaute ich mich im Zimmer um und suchte mit meinen Augen alles ab, um herauszufinden, woher diese Worte kamen. Doch ich konnte niemanden entdecken. Verstört schüttelte ich meinen Kopf und dachte, daß mir meine Gedanken aus der Dunkelheit heraus einen Streich spielen wollten.

Gerade als ich mich vom Bürostuhl erhob und den Schreibtisch verlassen wollte, erklang wieder diese leise Stimme… aber diesmal etwas etwas lauter:
„Na, so schnell wirst Du doch wohl nicht aufgeben, oder? Da kennen wir dich aber anders.“
„Verdammt! Wer seid ihr? Und wo seid ihr?“ fragte ich fast ein wenig verzweifelt, während ich langsam wieder auf meinem Bürostuhl niedersank – noch immer mit meinen Augen suchend nach der Herkunft dieser Stimme.

Wir sind deine Buchstaben, die schon seit Wochen darauf warten, endlich wieder geschrieben zu werden“ sagte die leise Stimme, die scheinbar ganz aus der Nähe vom Schreibtisch kam.
„Was?! Aber das kann nicht sein. Das ist doch...das ist total verrückt“ sagte ich der Stimme.
„Ach ja? Und wer hat damals geschrieben WER VERRÜCKT IST; HAT MEHR MÖGLICHKEITEN? Das warst jawohl Du“ entgegnete mir die Stimme frech.

Das war doch nur… so ein Gedanke. Aber bitte verratet mir doch endlich, wo ihr seid“ hörte ich mich sagen, während ich zugleich dachte, dass ich langsam nicht mehr richtig ticke.

Das habe ich dir doch schon gesagt. Wir sitzen in der Tinte – und nicht DU. Hörst du denn nicht zu?“ erwiderte die Stimme fast anklagend.

Meine Augen wurden langsam größer, während sie das Tintenfass vor mir fixierten. Nichts regte sich darin und es waren auch keine Buchstaben zu sehen. Merkwürdig. Das sind bestimmt alles nur Hirngespinste, dachte ich. Oder doch nicht? Ich war neugierig geworden und öffnete vorsichtig das Tintenfass.

Plötzlich hörte ich ein mehrstimmiges erleichtertes Seufzen, das aus dem Fass kam. Ich war fassungslos und zweifelte wiederholt an meinem Verstand. Das war einfach unglaublich.

Was guckst du denn so? Hol uns endlich hier raus!“ riefen nun mehrere Stimmen aus dem Tintenfass.

Meine Kinnlade sackte langsam runter, denn ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Doch dann klappte ich meinen Mund wieder zu und ließ für einen Moment von der Unmöglichkeit dieser Situation los.

Ach ja, und wie soll ich das machen, wenn mir nichts einfällt, was ich schreiben könnte?“ fragte ich die Buchstaben in der Tinte herausfordernd.

Du bist vielleicht doof. Nimm doch erst einmal den Federhalter wieder in die Hand“ sagte einer der frechen Buchstaben zu mir.

Das WIE ist ja auch nicht das Problem, sondern das WAS“ antwortete ich.

Dann fang doch einfach von vorne an. Mit dem Alphabet. Also am besten übst du mit mir, denn ich bin nämlich das A. Der Anfang sozusagen“ klang es fast ein bisschen überheblich aus dem Tintenfass.

Doch dann meldeten sich die anderen zu Wort und kämpften ebenfalls darum, endlich aus der Tinte geholt zu werden.

Nein, nimm mich zuerst, denn ich muss immer bis zum Schluss warten“ rief das Z.

Ach was, die können ruhig warten, denn mich brauchst Du viel öfter, denn ich klinge viel schöner“ schrie das O.

Auf keinen Fall! Nimm mich! Ich klinge nicht nur schön, sondern habe auch viel mehr Ausdruck. Ätsch“ sagte das Ä.

Du meine Güte; so geht das nicht, wenn ihr alle durcheinander ruft. Da kann ich ja überhaupt kein Wort zustande bringen“ warf ich in das Stimmengewirr ein.

Endlich waren die Buchstaben für einen Moment still, so dass ich mir eine Lösung überlegen konnte.

Worüber denkst Du nach?“ wollte das kleine j wissen.

Ich möchte einfach nur schreiben und keinen Buchstaben unglücklich im Tintenfass zurücklassen. Deswegen muss ich jetzt kurz darüber nachdenken, wie ich das am besten mache“ antwortete ich und stützte mein Kinn auf meine Hände.

Au weia, ob da was gescheites bei raus kommt?“ piepste das kleine i frech.

Psst – leise. Ich denke noch darüber nach“ erwiderte ich, während ich den Federhalter vor mir anschaute.

Ich hab´s!“ rief ich laut, so daß sie Buchstaben ein wenig hochschreckten, was einen kleinen Tintenklecks neben dem Fass verursachte.

Ich werde einfach eine Geschichte schreiben, in der jeder von Euch vorkommt“ sagte ich.

Komm ich da denn auch drin vor?“ fragte das kleine ü schüchtern.

Hm...lass mich überlegen. Oh, siehst Du? Da steht dein Buchstabe schon“ flüsterte ich dem verlegenen ü zu, das mich nun auf dem Papier zufrieden lächelte.

Und was ist mit mir? Ich werde oft gar nicht mehr gebraucht“ fragte mich das ß mit trauriger Stimme.
„Oh doch. Ich brauche dich absolut, weil Du sehr wichtig bist. Und genau das werde ich Dir beweisen, daß es so ist. Na, siehst Du – jetzt hast Du auch einen schönen Platz in meiner Geschichte bekommen“ tröstete ich das ß, das mich nun glücklich ansah.

Wovon handelt denn deine Geschichte?“ fragte das kleine n neugierig.

Von ein paar Freunden, die ich verloren glaubte. Freunde, die mich genauso brauchten, wie ich sie...und die ich endlich wiedergefunden habe – in einem Tintenfass.“ antwortete ich mit einem Schmunzeln auf meinen Lippen...

 

© Copyright by Silly

 

 

 

Autorennotiz

Auf eure Gedanken zu dieser "ver-rückten" Geschichte bin ich schon ganz gespannt. :)

Feedback

Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!

1
BerndMooseckers Profilbild
BerndMoosecker Am 08.01.2024 um 21:20 Uhr
Liebe Silly,
eine schöne Geschichte über die Lust am Schreiben oder über das Überwinden einer Schreibblockade. Ich habe Dein Werk mit Freude gelesen und hoffe, dass auch ich von den Buchstaben inspiriert werde.
Liebe Grüße
Bernd

Autor

Sillys Profilbild Silly

Bewertung

2 Bewertungen

Statistik

Sätze: 92
Wörter: 1.031
Zeichen: 6.012

Kurzbeschreibung

Vor ein paar Tagen saß ich nachts am Schreibtisch und dachte, ich hätte es verlernt oder verloren, denn ich konnte seit vielen Wochen keine Geschichte und kein Gedicht mehr zustande bringen. Und als ich daraufhin dachte, dass ich nie wieder etwas schreiben würde, passierte etwas unglaubliches...

Kategorisierung

Diese Story wird neben Vermischtes auch im Genre Fantasy gelistet.