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Der Traum von den Azoren wurde am Tag einer Katastrophe geboren. Die Katastrophe kam für die Bewohner dieser Inselwelt einem Weltuntergang gleich. An diesem Tag, dem 27. September 1957, erhob sich vor dem Farol da Ponta dos Capelinhos auf der Azoreninsel Faial ein Vulkan aus dem Meer. Die Geburt des Vulkans, von Erdbeben begleitet, war für die Bewohner des Archipels mehr als eine Katastrophe, bei der weite Teile ihrer Heimat zerstört wurden. Der über den Inseln niedergehende Ascheregen machte für einen Großteil der Bewohner ein Weiterleben in der Heimat unmöglich. Eine Auswanderungswelle in Richtung der Vereinigten Staaten von Amerika war die Folge der verheerenden Zerstörungen. Damals wurde ich gerade sechzehn Jahre alt und abends nach der Arbeit verschlangen meine Freunde und ich, die mit Hochglanzbildern illustrierten Berichte über die Katastrophe. Wir konnten uns kaum sattsehen an den Bildern aus dieser fernen Inselwelt inmitten des Atlantischen Ozeans.
Schon damals hatte mich und einen Teil meiner Freunde eine unbändige Reiselust gepackt und als nach über einem Jahr die Erde auf Faial wieder zur Ruhe kam, fasste ich den Plan so bald wie möglich diese Inselwelt zu bereisen und dabei den Ort des Vulkanausbruchs zu besuchen. In meinen Träumen sah ich mich, mal mehr, mal weniger deutlich, auf den fernen Inseln. Ich begann mit der Planung, sah aber sehr bald ein, mit dem Lehrgeld von fünfzig oder sechzig Mark war solch eine Reise nicht zu finanzieren. Abgesehen von dem Geld, das mir zum persönlichen Verbrauch übrig blieb, floss fast mein gesamter Lohn in die Familienkasse. Andere, leichter zu verwirklichende Träume kamen hinzu. Ein erstes gebrauchtes Moped wurde gekauft. Das reichte gerade einmal für eine Fernreise nach Oberbayern. Nach Ende der Lehre, der Traum vom ersten Auto, auch gebraucht und mühsam zusammengespart. Damit ging es immerhin bis ins ferne Tessin. Neue dringendere Träume, meist dem weiblichen Geschlecht gewidmet, kamen hinzu. Zwischenzeitlich tauchte zwar immer wieder die ferne Inselwelt in meinen Träumen auf, aber der Wunsch nach einer eigenen Familie war übermächtig. So träumte ich zwar, plante aber nur in geheimen Gedanken und verwirklichte meinen Haupttraum.
Das Leben ging seinen Gang, eine junge Familie machte keine Fernreisen. Wir benötigten unser Geld für Wohnung, Möbel und Kind. Als wir unsere Firma gründeten, war es mit solchen Flausen endgültig vorbei, Überschüsse wurden investiert. Schließlich kosteten Computer damals ein Vermögen; und so waren wir froh, wenn Zeit und Geld für Ferien in Ländern reichte, die leicht und vor allem schnell erreichbar waren. Eines Tages, unsere Familiengemeinschaft war längst wieder auf die beiden Gründungsmitglieder geschrumpft, stieg der Traum von den Azoren unversehens wieder aus dem Dunkel des Vergessens hervor. Aber die Zeichen standen wiederum nicht günstig, wir befanden uns mitten in einem großen Aufschwung unseres kleinen Familienbetriebes und das Geld, das jetzt floss, wurde für das Alter zurückgelegt. Schließlich waren wir nicht mehr die Jüngsten. Also wurde weiter gearbeitet, aber Träume vom Reisen waren nicht mehr ganz so abwegig. Sowie es die Zeit zuließ, reisten wir und so kam es zu neuen Reiseträumen. Zu verwirklichen nach dem Ende des Arbeitslebens.
Kaum dem Arbeitsleben entronnen und im Rentenalter gelandet, drehten wir richtig auf, was das Reisen betraf und dazu benutzen wir vorzugsweise das Auto. Gleich dreimal hintereinander steuerten wir das Cabo de São Vicente an. Wer das Cabo de São Vicente erreicht hat, befindet sich am Südwestende des europäischen Festlands; man kann nur noch umkehren oder nach Amerika schwimmen. Rundreisen durch Spanien, Reisen nach Schweden, Kroatien und nicht zu vergessen, unzählige Reisen nach Frankreich folgten. Der Traum von den Azoren wurde weiter geträumt, aber da mit dem Auto nicht zu erreichen, wurde die Reise zur Inselgruppe immer wieder auf später verschoben.
Im Jahr 2005 versuchten wir es dann, nach langer Zeit, wieder einmal mit einer Flugreise. Wir landeten auf Madeira. Schön, aber nicht ganz unser Fall, wie wir bald feststellten. Zu gebirgig zum Wandern, zu zugebaut, um die Landschaft zu genießen. So ziemlich zu Ende des Aufenthaltes saßen wir abends im gemieteten Apartment und planten unsere weiteren Reisen, der grandiose Ausblick auf die, in der untergehenden Sonne rot leuchtenden Ilhas Desertas beflügelten unsere Reiseträume. Die Azoren kamen uns in den Sinn. Ja, wir besuchen so bald irgendwie möglich die Azoren!
Wir nahmen die konkrete Reiseplanung auf, sobald wir von unserer Frühsommerautoreise nach Schweden zurückkamen. Wir wollten die Reise so legen, dass es nicht zu anstrengend würde. Zu unserer Freude stellten wir fest, sonntags am Mittag gab es einen Direktflug von Frankfurt nach Ponta Delgada auf der Insel São Miguel. Wir suchten und fanden eine Unterkunft auf der Insel, wir buchten einen Leihwagen und einen Flug. Und so machten wir uns eines Sonntags im September auf nach Frankfurt und flogen nach Ponta Delgada. São Miguel begeisterte uns, wir konnten uns nicht satt sehen an der wilden Schönheit der Insel mit ihren Vulkanen und Kraterseen und in der Caldeira von Sete Cidades fanden wir glücklicherweise einige Wanderwege, flach genug unseren Bewegungsdrang zu stillen. Nun waren wir auf den Azoren, ich jedoch war noch immer nicht an dem Ort, der meine Träume von den Azoren ausgelöst hatte. Er war immer noch weit entfernt. Die Inseln São Miguel und Faial liegen immerhin dreihundert Kilometer Luftlinie voneinander entfernt und auch nur auf diesem Weg, eben durch die Luft, ist die Strecke zu überwinden. Eine weitere Flugreise wollten wir uns in der kurzen Zeit nicht zumuten und so stand für uns bereits auf dem Rückflug nach Frankfurt fest, ein weiterer Besuch der Azoren war fällig. Das restliche und das kommende Jahr waren bereits verplant und so fassten wir das Jahr 2007 ins Auge.
Die Planungen zur nächsten Azorenreise nahm einige Zeit zwischen unseren übrigen Reisen in Anspruch. Faial schien uns als kleinere Insel für einen längeren Aufenthalt ungeeignet. Zwei weitere Insel, Pico und São Jorge, liegen in Sichtweite. Wir entschieden uns für die Insel Pico, da sie von den drei Inseln die größte ist und von einem imposanten Vulkan gekrönt wird. Die Reise nach Pico war einigermaßen umständlich und anstrengend. Der Flug startete wieder in Frankfurt, da es von Düsseldorf aus keine direkte Flugverbindung nach Lissabon gab und das Flugzeug startete morgens vor sieben Uhr. In Lissabon gab es einen viel stündigen Aufenthalt im Transitbereich des Flughafens. Der Weiterflug nach Horta auf der Insel Faial startete mit rund zwei Stunden Verspätung. Eine wilde Taxifahrt vom Flughafen zum Hafen von Horta folgte, da wir sonst die Fähre nach Madalena auf der Insel Pico verpasst hätten. Nach weiteren vierzig Kilometern Autofahrt ließen wir uns entspannt in der gebuchten Unterkunft nieder. Gefühlt war es Abend, schließlich waren wir seit vor drei Uhr morgens unterwegs, durch zwei Stunden Zeitverschiebung war es aber erst Nachmittag. Wir gingen früh zu Bett.
Die nächsten Tage erkundeten wir die nähere Umgebung und als wir uns von der Reise erholt hatten, nahmen wir das eigentliche Ziel der Reise ins Auge, den Ort des Vulkanausbruchs auf Faial. Wir baten den Vermieter der Unterkunft, uns ein Taxi auf Faial zu bestellen. An einem strahlend hellen Morgen fuhren wir die vierzig Kilometer zum Hafen, setzten mit der Fähre nach Horta über, wo uns der Taxifahrer erwartete. Er fuhr uns auf einigen Umwegen mit Halt an diversen Aussichtspunkten zum Vulcão dos Capelinhos, dem vor fünfzig Jahren aus dem Meer empor gestiegenen Vulkan. Wir standen am Strand in einer grandiosen Landschaft, in der vom Ausbruch zurück gebliebenen Asche. Die Spitze des ehemals am Meer stehenden Leuchtturms erhob sich im strahlenden Sonnenlicht gespenstisch aus den Aschemassen. Wir waren gerührt. Ich breitete die Arme aus und sprach die weltbewegenden Worte – fünfzig Jahre habe ich auf diesen Augenblick gewartet.
Was bleibt, wenn ein Traum nach fünfzig Jahren wahr wird? Die Freunde habe ich seit Jahrzehnten aus den Augen verloren, bei den wenigen, an deren Familiennamen ich mich noch erinnere, verläuft alle Suche erfolglos. Wo mir nur noch die Vornamen einfallen, ist die Suche eh sinnlos. Wenn ich die hiesigen Telefonverzeichnisse durchsuche, habe ich den Eindruck, ich bin der einzige der Freunde, der es in der Gegend ausgehalten hat. Wir hatten uns einmal an diesem Vulkan verabredet, daraus ist nun nichts geworden. Das Leben läuft eben nicht nach einem vorzubestimmenden Plan und so wie es gekommen ist, ist es gut; und nach meinem Gusto reise ich sowieso vorzugsweise mit meiner Liebe. Ein tiefes Gefühl von Freude und Zufriedenheit erfüllt mich noch immer, wenn ich an die Momente dieser Reise zurückdenke. Dann gibt es noch die Fotos, die ich zu zwei Online-Alben zusammengestellt habe. Und zwei weitere Kurzgeschichten sind das Erbe der beiden Reisen auf die Azoren; Sieben Städte (Sete Cidades), eine Nacherzählung der Sage über der Entstehung der Azoren und eine Erzählung, die den Namen Eine Kreuzfahrt trägt.
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