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Die beste Ehefrau von allen nannte Ephraim Kishon seine Angetraute und hat ihr damit ein literarisches Denkmal gesetzt. Nun, wenn sich da der gute Kishon nicht getäuscht hat. Ich habe auch eine Ehefrau und diese ist auf jeden Fall die Allerbeste. Wir sind seit einem gefühlten Jahrhundert ein Paar, nicht im rechtlichen Sinn. Verheiratet sind wir erst fünfzig Jahre und in Wahrheit kannten wir uns am Tag unserer Hochzeit noch nicht einmal zwei Jahre. Wer uns erleben will, bekommt es fast immer mit einem Doppelpack zu tun. Diejenigen, die freiwillig oder gezwungenermaßen mit uns umgehen müssen, ereilt dieses Schicksal. Ob wir erträglich oder unerträglich sind, müssen die entscheiden, die Umgang mit uns pflegen (müssen). Wir sind einfach fast immer gemeinsam anzutreffen und wenn sich in seltenen Fällen einmal einer von uns allein durch unseren Stadtteil bewegt, führt das spätestens in der Bäckerei zur Verwirrung. Es gibt auch Momente, in denen wir grundsätzlich allein sein wollen. Nie käme einer von uns auf die Idee, den Anderen zum Arzt zu begleiten. Wir sind der Überzeugung, dass eventuelle schlechte Neuigkeiten aus dem Mund seiner Liebe weniger dramatisch klingen als aus dem Mund des Arztes. Das mag eine Marotte sein, passt aber zu unserer Lebensphilosophie. Schön haben wir uns das Leben eingerichtet, denken sie? Ja doch, das finden wir auch. Wenn wir uns auch manchmal unerträglich finden, aber die Betonung liegt eben auf manchmal. Ich will nun nicht von unseren kleinen Reibereien berichten, die uns (manchmal) das Leben schwer machen. Das könnte Kishon besser und ich werde seine Klasse beim Schreiben nie erreichen.
Wir sagen es immer so, kommt einer von uns allein, sind wir ganz verträgliche Zeitgenossen, handeln wir gemeinsam, dann darf uns niemand in die Quere kommen. Das galt lange Zeit sogar für unsere recht gut gelungene Tochter. Die kriegte die vereinigte Front der Eltern zu spüren, wenn sie sich widerspenstig zeigte. Das tut uns heute leid, denn wir können uns inzwischen gut vorstellen, dass Kinder ruhig wissen dürfen, wenn Eltern verschiedene Ansichten bei der Erziehung vertreten. Die große Linie macht es aus, nicht das Beharren auf kleinlichen Prinzipien. Aber zum Glück heilt das Alter viele Wunden, bei unserer Tochter, wie auch bei uns! Und so behaupten wir jetzt, wenn wir zu dritt auftreten, sind wir Der Schrecken. Wer uns zu dritt gemeinsam ertragen muss, benötigt gute Nerven – das gilt auch für den bedauernswerten Mann unserer Tochter. Dabei hat er noch Glück, dass wir an sehr weit voneinander entfernten Orten wohnen, was die Gefahr minimiert. Nach dieser kurzen Betrachtung füge ich hinzu, ich habe nicht nur die beste aller Ehefrauen von allen, sondern auch die beste Tochter von allen. Und wehe dem, der jetzt widerspricht.
Meine Liebe und ich sind zwei ziemlich unterschiedliche Typen, besser gesagt, wir sind sehr konträre Menschen, was für den Fortgang dieser Erzählung einigermaßen wichtig zu wissen ist. Meine Angetraute war einst strahlend blond, inzwischen ist sie ergraut. Das schadet ihrem Charme nicht. Sie ist äußerlich der totale Gegensatz zu mir. Meine Heimat würde man wohl im Süden, beispielsweise auf der Iberischen Halbinsel vermuten, dem ist aber nicht so. Die südlichsten Vorfahren, die mir bekannt sind, stammen aus dem mit heutigen Verkehrsmitteln gar nicht mehr so weit entferntem Oberbayern, nun ja, aus dem direkten Grenzland zu Tirol, aber das ist sicher eher zu vernachlässigen. Vom Temperament her verhält es sich dann umgekehrt – ich bin mit einem Vulkan verheiratet. Ruhig und bedächtig, wie es meinem Naturell entspricht, fühle ich mich bei jedem der Vulkanausbrüche ziemlich hilflos. Zu stoppen sind die Eruptionen eines Vulkans bekanntlich nicht und so bleibt eigentlich nur die Flucht, das heißt in meinem Fall, ich mache mich unsichtbar. Das gelingt nicht immer. Bei besonders heftigen Eruptionen, wenn sich glühend heiße Lava durch unsere Räumlichkeiten und über mich ergießt, wird erwartet, dass ich aktiv bei den Löschversuchen mitwirke. Wenn sich der geballte Zornesausbruch gegen andere richtet, versuche ich diesen in geordnete Bahnen zu lenken, das heißt, ich tue alles, was in meiner Macht steht, um uns vor Anklagen wegen Beleidigung zu schützen. Nach jahrzehntelanger Übung gelingt mir das gut, nur da sich Eruptionen und Beben auf Dauer nicht unterdrücken lassen, explodiert der Vulkan danach im trauten Heim und ich kriege in den eigenen vier Wänden das ab, was anderen zugedacht war. Ein Vulkan beruhigt sich immer, sogar der Eyjafjallajökull, der 2010 den gesamten Flugverkehr in Europa und über dem Atlantischen Ozean lahm legte, ruht inzwischen wieder. Wie schön kann ein ruhender Vulkan sein, wenn er sich majestätisch im Sonnenglanz vor einem erhebt. Ähnliches gilt für meinen Vulkan. Sobald die Eruptionen abflauen, breitet sich ein Bild des Friedens in unserem Heim aus. Zugänglich und liebevoll im Umgang präsentiert sich mein ganz persönlicher Vulkan. Ihr Anblick erwärmt mein Herz, von Liebe durchdrungen suchen wir uns nahe zu sein. Nichts scheint den Frieden des Augenblicks stören zu können, aber ein ruhender Vulkan ist noch lange nicht erloschen. Um jetzt keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen: Wir sind ein Liebespaar und von großer Zuneigung geprägt.
Wie gesagt, wir sind unzertrennlich und kaum waren wir beide im Rentenalter, haben wir uns gemeinsam auf den Weg gemacht, um diese Unzertrennlichkeit weiter zu pflegen. So beschlossen, wir den geistigen Horizont unseres frühen Rentnerdaseins durch gemeinsame Autoreisen zu erweitern. Wir haben gar nicht erst mit Kleckereien angefangen, sondern sind sofort in die Vollen gegangen. Zwei Flugreisen zu Zeiten unserer Berufstätigkeit hatten uns die Algarve näher gebracht und so beschlossen wir, einfach einmal mit dem Auto dorthin zu fahren. Routenplaner gab es damals schon, nur deren Qualität ließ noch zu wünschen übrig und teuer waren sie auch. Navis waren noch unbekannt und so erarbeiteten wir die Route recht mühselig auf Papier, aber immerhin computergestützt. Schlappe zweitausendfünfhundert Kilometer – das schaffen wir leicht in drei Tagen – dem war leider nicht so, wir waren ziemlich fertig, als wir in dem verschlafenen Dorf ankamen, das wir als Ziel der Reise auserkoren hatten. Der erste Tag der Reise verlief absolut unauffällig, das Ziel war Bordeaux, nur lockere tausend Kilometer entfernt. Im Hotel waren zwei Zimmer gebucht. Eins für uns, eins für unsere Tochter, die wir zwecks Familienzusammenführung dort hin beordert hatten. Die nächste Etappe erschien uns leicht. Córdoba war das Ziel. Aber das zog sich länger hin, als wir dachten. Wir hatten uns bei der Entfernung Bordeaux – Córdoba verrechnet. Hinzu kam ein elend langer Stau in Madrid und dann gerieten wir noch in die Anreise zu einem Motorradrennen in Jaén. So war es bereits relativ spät am Nachmittag, als wir in La Mancha eine Pause zum Tanken und Entspannen einlegten. Ich reihte mich in die Warteschlange vor den Tanksäulen ein, tankte, zahlte und steuerte den Wagen auf einen staubigen Parkplatz. Wir gingen einmal rund um den Platz, um etwas Bewegung zu haben und verständigten uns bei diesem Rundgang darauf, trotz der fortgeschrittenen Zeit, die Weiterfahrt ruhig anzugehen. Es hat ja keine Eile, denn vor 21.00 Uhr bekommt man in spanischen Restaurants im Landesinnern eh nichts zu essen. Ich ging zu den Toiletten und anschließend noch einmal in den Tankstellenshop, um nach ein paar Knabbereien zu suchen.
Kaum im Shop angekommen entstand im Bereich um die Kasse ein aufgeregtes Getümmel. Da ich etwas entfernt stand, war mir nicht sofort klar, um was es ging. Meine Aufmerksamkeit wurde erst geweckt, als ich unter all den spanischen Stimmen deutlich die Stimme einer sehr aufgeregten Frau vernahm, die unverkennbar Niederländisch sprach. Ich war erstaunt, Niederländisch, in den Weiten von La Mancha, das hatte ich nicht erwartet. Obwohl ich etwas Niederländisch verstehe, war mir völlig unklar, was die Frau von sich gab, sie sprach einfach zu schnell für meine marginalen Kenntnisse in dieser Sprache. Die anderen Anwesenden, einschließlich der Kassiererin, hatten noch weniger Ahnung davon, was die gute Frau wollte. Daraufhin sprach diese immer schneller und somit auch immer unverständlicher. Irgendwann ging ihr wohl auf, dass keiner der Anwesenden sie verstand. Sie schaute sich Hilfe suchend um, sie suchte wohl jemanden, dem sie sich verständlich machen konnte. Mich übersah sie – ich ging eben vom Typ her in der Menge unter. Ihr fiel dann wohl auf, dass ihre Muttersprachen in diesem Teil Europas nicht gebräuchlich ist und wechselte daher in ein sehr gebrochenes Englisch. Ich war wohl der Erste, der verstand, um welches Anliegen es ging. Ununterbrochen wiederholte sie die Worte Dutch Money, Dutch Money. Die Kassiererin reagierte schnell, hatte aber wohl keine Vorstellung davon, was das Wort Dutch bedeuten könne und fragte misstrauisch, „no money?“ Antwort, „no, no, Dutch Money, Dutch Money!“ Dann kam dadurch Bewegung in die Sache, dass die Frau endlich einige ihrer Geldscheine hervorzog. Die Kassiererin betrachtete die Scheine misstrauisch, schüttelte den Kopf und sagte kurz und bündig – no! Die Aufregung legte sich, die Niederländerin zog ihre Kreditkarte hervor und zahlte damit. Ich habe nun keine Vorstellung, warum das Hin und Her nötig war, wer eine gültige Kreditkarte bei sich führt, braucht sich doch nicht in Devisengeschäften zu üben. Ganz abgesehen davon ist nach Einführung des Euros mit Vorfällen dieser Art nicht mehr zu rechnen, es sei denn, die Frau wäre Dänin, Britin oder Bürgerin eines sonstigen Landes außerhalb der Eurozone. Ich war froh, dass ich ohne meine Liebe im Shop gewesen war, denn dann wäre der Ablauf der Ereignisse ein anderer gewesen. So konnte ich ihr während der Weiterfahrt unbefangen von dem Vorgefallenen erzählen. Meine Liebe fand das erheiternd.
Sind wir auf der Iberischen Halbinsel bei Vorfällen ähnlicher Art gemeinsam anwesend, ist der Ablauf eigentlich immer der Gleiche. Am häufigsten geschieht dies zu unserem Erstaunen, wenn unser Gegenüber niederländischer Herkunft ist. Das liegt nicht an den Niederländern, glaube ich zumindest. Es ist wohl eher so, dass dieses Volk besonders reisefreudig ist. Der Ablauf des Geschehens ist dann so: Ich stehe mit der Besten aller Ehefrauen zusammen auf einem öffentlichen Platz, wahlweise sitzen wir auch gemeinsam in einem Restaurant. Die oder der Hilfesuchende erkennt sofort die Chance, eine Frau erkennbar nördlicher Herkunft, und ihr Mann ist auf jeden Fall ein Einheimischer. Man eilt auf uns zu und sofort kommt die Frage, „kunnen ze me helpen?” Wahlweise auch, „können sie mir die Speisekarte übersetzen?” (Diese Frage habe ich jetzt auf Deutsch formuliert, da mein Niederländisch einfach zu schlecht ist, diese Frage in halbwegs korrekter niederländischer Grammatik zu Papier zu bringen). Meine Liebe schaut genervt, wenn man ihr dann noch die Speisekarte vor die Nase hält.
„Tut mir leid, ich spreche kein Spanisch (oder Portugiesisch, je nach Land).“
„Oh, sie sind Deutsche!“ Die Frage wird dann auf Deutsch wiederholt, obwohl wir die niederländische Frage durchaus verstanden haben.
Ich mische mich ein: „Wir können ihnen wirklich nicht helfen, wir verstehen die Landessprache genauso wenig wie sie.“ Um die Enttäuschung zu mildern, füge ich auf öffentlichen Plätzen hinzu, „es sei denn sie möchten uns nach dem Weg fragen.
Damit ist der Fall eigentlich erledigt, nur folgt kurz darauf der Ausbruch des Vulkans. Ich kenne das und bin entsprechend vorbereitet.
„Was quatschen mich immer wildfremde Leute an? Ich will meine Ruhe haben!“
„Schatz, die Leute meinen, wir wären die idealen Helfer in diesem Fall. Du sprichst irgendetwas Nordeuropäisches und ich bin der Einheimische, der helfen kann.“
„Quatsch, ich labere doch auch nicht jeden Fremden an.“
„Liebes, bitte beruhige dich!“
„Ich will mich nicht beruhigen. Ich will in Ruhe gelassen werden!“
„Ach komm Schatz, die Leute können doch nichts dafür, dass du ihnen so ähnlich siehst.“
Langsam kippt die Stimmung, „du redest wohl alles schön?“
Ich wittere die Gefahr, „ich meine doch nur, die Leute suchen Hilfe.“
Wieder habe ich das Falsche gesagt, meine Angetraute schweigt und ignoriert meine weiteren Versuche sie zu beruhigen. Im Inneren des Vulkans brodelt es. Der Druck in der Magmakammer steigt, die nächste Eruption seht kurz bevor. Im Idealfall machen wir nach solchen Ereignissen einen Ausflug und wenn wir uns bereits auf Spazierfahrt sind, fahren wir einfach weiter und finden einen Platz, an der mein schweigender Vulkan von der Schönheit der Landschaft überwältigt wird. Der Druck in der Magmakammer sinkt, eine Eruption ist nicht zu befürchten. Alles ist gut – wir spüren die uns eigene Nähe.
Wir sind hilfsbereite Menschen und so konnten wir in einem Fall, aber wirklich auch nur in einem einzigen Fall helfen. Wir aßen vorzüglich zu Mittag im kleinen Küstendorf Cacela Vehla, das hoch auf einer Klippe über dem Atlantischen Ozean liegt. Eine sehr junge Frau, sie könnte unsere Tochter, wahlweise auch unsere Enkelin sein, trat an unseren Tisch – Speisekarte in der Hand. Sie war wirklich ausgesprochen höflich, sie fragte zuerst einmal in deutscher Sprache, ob das Essen gut sei. Als wir bejahten, fragte sie, ob wir die Speisekarte lesen könnten. Nein, wir konnten ihr natürlich nicht helfen. Da wir uns im Ort auskannten, hatten wir aber den Rat des Tages. Auf der Terrasse saß ein ortsansässiger Deutscher, der auch uns darauf aufmerksam gemacht hat, dass es an diesem Tag Aal als Tagesgericht gab. An diesen freundlichen Herrn verwiesen wir die gefühlte Tochter. Auch für uns war der Tipp des freundlichen Menschen, den wir schon einige Zeit kannten, Gold wert. Denn ich kenne sowohl auf Spanisch, wie auch auf Portugiesisch, die Namen einiger Speisen, aber so etwas Seltenes wie Aal, das habe ich nicht drauf und das Gericht schmeckte wirklich hervorragend. Enguia – nur für den leider unwahrscheinlichen Fall, dass wir noch einmal in unserem Leben nach Portugal kommen.
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