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Wörter: | 739 | |
Zeichen: | 4.335 |
Dies ist eine ganz persönliche Geschichte. Die Geschichte beschreibt, wie ich als kleiner Junge das Ende des 2. Weltkrieges erlebte. Es gibt keine Ereignisse vorher, an das ich mich mit solcher Deutlichkeit erinnern kann; und auch für lange Zeit danach hat sich keine der kleinen Episoden, die das Leben eines Menschen prägen, so in mein Gedächtnis eingebrannt. Durch Recherchen im Internet kenne ich sogar das Datum der Ereignisse. Das alles geschah am 15. April 1945 und den darauf folgenden Tagen.
Meine Mutter und ich lebten zu dieser Zeit in einer kleinen Stadt in Thüringen. Der Name der Stadt spielt keine Rolle; es gibt hunderte ähnliche Städte in Deutschland. Wir wohnten in einer Seitenstraße, die zum historischen Stadtzentrum führt. Das mit dem historischen Zentrum war mir damals natürlich nicht bewusst, es ist die Erkenntnis aus einem Besuch der Stadt im Rentenalter. An der Ecke zur Hauptstraße waren Geschäft und Werkstatt des Uhrmachers, im roten Haus, vielleicht mit Klinkern verkleidet. Das Haus erschien mir groß, wahrscheinlich, weil ich so klein war. Einige Stufen führten hinauf in den Laden. Hinter der Tür eine Welt der Wunder für uns Kinder. Der Uhrmacher muss wohl ein freundlicher Mann gewesen sein, denn wir Kinder hielten uns häufiger in seinem Geschäft auf, nur anfassen durften wir nichts.
Dann der Tag, als alles anders war: Im Geschäft Soldaten, fremd die Farbe der Uniformen, khakifarben, wie man mich später lehrte. Die Soldaten waren freundlich und fröhlich. Sie sprachen uns an, jedoch in einer Sprache, die wir nicht verstanden. Aber was sie taten, war ungeheuerlich, sie spielten mit den Uhren, die sich in Geschäft und Werkstatt befanden. Ein Sakrileg, berühren und anfassen streng verboten! Wir verstanden nicht, wieso der Uhrmacher das erlaubte.
Über sechzig Jahre später, ich bin mit dem Auto auf einer Bundesstraße unterwegs. Ein Ortsschild am Eingang einer kleineren Stadt. Ich lese den Namen, er sagt mir nichts. Ich fahre weiter in die Stadt und plötzlich weiß ich, ich bin schon einmal hier gewesen. Ja, dort rechts, der kleiner Weiher, ich erinnere mich. Am gegenüberliegendem Ufer ein niedriges Gebäude, dort war die Bäckerei. Die Fenster, hinter denen die Backstube lag, sind noch vorhanden. Ich erinnere mich an den Duft der Backwaren, der aus diesen Fenstern drang. Der Weiher ruft frühkindliche Erinnerungen in mir wach. Auf dem Weiher fuhren Ruderboote und eines Tages schaukelten einige junge, weiß gekleidete Frauen in ihrem Übermut so heftig in einem der Boote, dass dieses kenterte. Ich sehe sie klar vor mir; wie die sprichwörtlichen, begossenen Pudel steigen sie aus dem Wasser.
Ich fahre weiter. Das rote Haus an der Ecke, das muss es sein, das Haus mit dem Geschäft des Uhrmachers. Der Laden verschwunden, umgebaut zu einer Wohnung, die Stufen zum Laden verschwunden. Alles andere stimmt. Die Seitenstraße führt in einer leichten Rechtskurve etwas bergab. Auf der linken Seite, direkt hinter dem roten Haus ein kleineres, etwas verwahrlostes Haus, die Haustür direkt am roten Haus. Ja, hier haben wir gewohnt. Ich erinnere mich an den Tag, der für mich symbolhaft für das Ende von Krieg und Nazi-Herrschaft steht.
Bis zu den denkwürdigen Ereignissen wird der Tag wohl verlaufen sein, wie viele andere Tage. Ich erinnere mich nicht, es gab wohl nichts von Bedeutung. Vielleicht haben wir ihn im Keller verbracht und die Sirenen hatten zur Entwarnung geheult. Wir traten vor die Haustür und auf der Straße befanden sich Panzer und andere Militärfahrzeuge. Der Anblick von Panzern war mir nicht neu, aber die Farbe von Fahrzeugen und Uniformen fremd, bedrohlich wurden die Panzertürme hin und her geschwenkt. Es geschah aber weiter nichts oder ich kann nicht beschreiben, was noch geschah, es ist im Nebel des Vergessens verschollen. Ich sehe nur den bewaffneten Aufmarsch auf der Straße. Ich weiß auch nicht wie viel Zeit zwischen dem Auftauchen der fremden Panzer und dem Vorfall im Laden des Uhrmachers vergangen ist, keine Erinnerung, kein Gefühl für Zeit.
Viele Jahre später wurde es mir bewusst; an diesem Tag war für uns der Krieg zu Ende, ich hatte den Augenblick des Friedens erlebt. Aber das Morden war nicht zu Ende, der Krieg ging weiter, wenn er auch über uns hinweg gezogen war – noch drei lange Wochen in Europa, im pazifischen Raum noch fürchterliche vier Monate.
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