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Kapitel: | 2 | |
Sätze: | 179 | |
Wörter: | 3.081 | |
Zeichen: | 18.039 |
Es war eine laue Sommernacht, die den Friedhof von Godric’s Hollow in einen finsteren, geheimnisschwangeren Schleier hüllte. Gleich einer finsteren Maske, ruhte die Dunkelheit auf Snapes bleichem Gesicht, der sich tief über das Grab beugte, versuchend den zweiten Namen auf dem harten Stein zu ignorieren. Hier war der einzige Ort neben seinem Privatraum in den Tiefen Hogwarts, an dem er sich gestattete um sie zu weinen. Die Frau, die er so liebte und die er auf dem Gewissen hatte. Schuld drückte sich wie Blei auf Severus‘ Brust. Er schloss die Lider. Für einen Moment fiel es ihm schwer zu atmen, bis er die tränenblinden Augen wieder öffnete.
Die letzten Tage waren zu viel für ihn gewesen. Nicht, dass sein Leben jemals leicht gewesen war. Doch nichts konnte den Wahnsinn übertreffen, den er nun begangen hatte. Das Versprechen seinen einzigen Vertrauten zu töten, der Schwur, der ihn seit heute band. Snapes Kopf war seit Stunden schwer von den Gedanken, die darin um die Wette kreisten. Er musste hier her kommen, um sich zu besinnen, um sein Kreuz tragen zu können. Musste wissen für wen er das alles auf sich nahm.
Wie so oft an diesem Ort fühlte er sich auch jetzt einmal wieder klein und schäbig, so sehr verachtete er sich für das, was er ihr angetan hatte. Niemand… niemand auf der Welt konnte schuldiger sein als er. An seinen Händen klebte ihr Blut… Lilys Blut. Er war der Mörder des Menschen, der ihm alles auf der Welt bedeutet hatte. Gab es eine größere Schande? Kein Anderer konnte so tief gesunken sein wie er.
„Vergib mir“, keuchte Severus leise sein aussichtsloses Verlangen in die schwüle Nachtluft.
Eine letzte Träne fiel auf die feuchte Erde, dann erhob sich Snape vom Grab.
Er hätte auf der Stelle zum Tor mit den geflügelten Eberstatuen disapparieren können, doch Severus brauchte noch ein paar Minuten, ehe er so gefasst war, um in die Masken seiner Existenz zurückkehren. Langsam schritt er zwischen den ruhigen Gräberreihen hindurch, träumte davon, endlich selbst Frieden zu finden, lauschte der Stille bis…
„Vergib mir“
Die Stimme rauschte wie ein Echo durch die Dunkelheit. Snape war augenblicklich hellwach. Wer außer ihm könnte um diese Uhrzeit in Godric’s Hollow zwischen den Gräbern umherschleichen? Hoffentlich waren es nicht …
„Lumos“ dachte Snape und die Spitze seines Zauberstabs erleuchtete als trübes Licht, das er weit von seinem Gesicht fern hielt. Vorsichtig folgte Snape dem Laut. Die Stimme war ihm eigenartigerweise sehr vertraut erschienen. Doch in der Überraschung hatte er sie nicht zuordnen können. Schritt für Schritt ging Snape vorwärts, Blicke in alle Richtungen werfend. Auf einmal erkannte er in der Ferne schemenhaft einen Schatten, der vor einem Grab kniete.
Zögerlich und mucksmäuschenstill trat Severus näher. Im Kegel des Zauberstablichtes, zeichneten sich wie im Scheinwerferlicht auf einer Bühne die Umrisse einer dunkelblauen Robe ab. Der Stoff floh die dünne Gestalt eines großen Mannes hinauf, ging in silbernes, langes Haar und einen ebensolchen Bart über. Und als Snape die Hakennase sah und die Halbmondbrille erkannte, schien ihm auf einmal der Atem zu stocken. Mit jedem hätte Severus auf diesem Friedhof gerechnet. Mit jedem, doch nicht mit IHM.
Es war eine Überraschung… nein, es war Schock. Es war, als sähe er in ein Spiegelbild, das ihn betrog. Wie konnte es sein, dass ER hier war, auf dem Boden kauernd, genau wie Severus selbst. War er eingeschlafen, träumte er bereits? Waren dies nicht mehr als die Launen eines nächtlichen Trugbildes? Was… was um alles in der Welt…
„Dumbledore?!?“
„Severus?!?“
Die Gestalt am Boden blickte erschrocken auf in die dunklen Augen des Tränkemeisters, die wie zwei schwarze Opale völlig reglos in dem bleichen Gesicht standen.
„Was tun Sie…“.
Doch Albus brach ab, plötzlich begreifend. Alles begreifend. Nur wenige Gräber weiter ruhte Lily Evans friedlich in der dunklen Erde!
Snape stand noch immer wie eine Salzsäule vor ihm, ein schwarzes Gespenst, aus dem jedes Leben gewichen schien. In den dunklen Augen, die wie von Tränen schimmerten, sah Albus im fahlen Licht des Zauberstabs die Schemen seiner eigenen Gestalt gespiegelt. Langsam erhob er sich vom Boden.
„Sie waren an ihrem Grab, nicht wahr, Severus?“, fragte er leise.
Ein Hauch von Bewegung, von Glanz trat plötzlich in die dunklen Augen, doch über die schmalen Lippen kam noch immer kein Wort. Albus wandte den Blick ab, zurück zu dem Grabstein, auf dem Kendras… und Arianas Namen standen. Ohne dass er es sehen konnte, wusste Dumbledore, dass Snapes Blicke ihm folgten und dort innehielten, wo auch seine es taten.
„ja, sie starb recht früh“, sagte Dumbledore scheinbar teilnahmslos, doch unter dem größten Aufwand seiner Okklumentik.
Lange hatte er das Grab nicht mehr besucht, viel zu lange. So lange bis die Erinnerungen nur noch ein blasser Abglanz war. Und dann kam der Tag, an dem die Sehnsucht nach Vergebung seine Dummheit heraufbeschwor. Der Stein der Auferstehung, was für eine Kinderei. So viele Jahre hatte er es nicht ertragen können, der Schuld, seiner Schuld ins Auge zu sehen. Er hatte sie, seine geliebte kleine Schwester, auf dem Gewissen! Oh was war er für ein Narr, dass er geglaubt hatte, er könne die unauslöschlichen Flecken seiner Schande unter seiner Gutmenschelei verstecken. Er war selbst nie besser als Voldemort gewesen.
„ich denke, wir sollten nach Hogwarts zurückkehren, kommen Sie, Severus“, sagte Dumbledore kühl, wandte sich vom Grabstein ab und machte sich bereit zum Disapparieren.
Doch Snape blieb hinter ihm stehen.
„Warum sind Sie hier, Dumbledore?“, fragte er scharf.
Die Stimme des Tränkemeisters ließ Albus erschauern. Diese Frage aus dem Mund eines ahnungslosen Schicksalsgenossen – es war wie ein gezielter Stoß in seine Brust. Langsam wandte Dumbledore sich um, blickte erneut in die schwarzen Spiegel hinter dem dunklen Haar, das wie ein fallender Theatervorhang das maskenhafte Gesicht umspielte. Und mit einem Mal wusste er, dass dies das Ende war. Das Ende eines jahrzehntelangen Schweigespiels. Mit der verkohlten Hand griff sich Dumbledore an die Stirn, legte sein Gesicht in Falten und stöhnte schwer auf. Als er Snape wieder anblickte, standen seine himmelblauen Augen selbst in Tränen.
„Severus“, keuchte er schwer und die Stille der Nacht schien seine Worte fast zu verschlingen.
Snapes Augen waren noch immer gebannt auf ihn gerichtet.
„Severus“, wiederholte Dumbledore seine Worte, „Sie wissen, ja, Sie wissen, was es bedeutet, Schuld am Tod eines geliebten Menschen zu tragen. Ich glaube… ich glaube, ich muss Ihnen etwas erklären. Kommen Sie!“
Mit einer angedeuteten Geste deutete Dumbledore den Weg hinunter. Schweigend, doch mit aufmerksamen Augen, mit Blicken gleich eines ausgetrockneten Schwamms, trat Severus an Dumbledores Seite. Langsam, Seite an Seite so nah wie noch nie, schritten die Männer durch die menschenleere Landschaft.
Irgendwo in der Ferne, weit hinter den Büschen, Gräbern und Statuen fiel der dunkle Schleier der Nacht zu Boden und klares Morgenlicht erhellte die Welt.
Für eine ehemalige Stammleserin
Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen.
(Albert Schweitzer)
Warnung: Tod, Sterben
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Schwarz schimmerte die Nacht durch das große Bogenfenster herein. Die Porträts an den Wänden stellten sich schlafend. Schweigend verbarg der Phönix seinen Kopf im rotgelben Gefieder. Eine Uhr an der Wand zählte leise tickend die Stunden. Das Zimmer war leer.
Seit Tagen hatte es kein Besucher mehr betreten. Niemand war die Treppe zu den Privaträumen hinabgestiegen. Die fahrende Wendeltreppe lag eingerastet und still vor der Tür. Das Klopfen des metallenen Greifen war verklungen. Nur die merkwürdigen Geräte auf den Tischen und Regalen ringsumher surrten, zischten und summten ungerührt vor sich hin.
Beim Essen in der Großen Halle fehlte es jeden Tag aufs Neue – das Gesicht mit dem langen, silbernen Bart und der Halbmondbrille. Auf dem Stoff des großen, samtenen, thronartigen Stuhls in der Mitte des Lehrertisches hatte sich nur der Staub niedergelassen. Eine klaffende Lücke.
„Professor Dumbledore lässt ausrichten, dass er die nächsten Tage nicht zu sprechen ist“, hatte die Hexe mit dem strengen, schwarzen Zopf und der viereckigen Brille eines Morgens verkündet und seitdem tausend Mal wiederholt. Über das verwunderte Gemurmel hinweg war Harry Potter am Ende dieses Frühstücks zu ihr gegangen und hatte sie gefragt, was los sei, ob wenigstens er zu ihm könne. Doch ihre Antwort fiel anders aus, als er sich erhofft hatte.
„Tut mir leid, Mr. Potter, Professor Dumbledore geht es nicht gut. Er lässt niemanden zu sich“, antwortete sie und seufzte, „nicht einmal mich.“ Und ein schottenkariertes Taschentuch ziehend schritt sie mit plötzlich feuchten Augen an dem ängstlich blickenden Jungen vorüber aus der Halle.
Doch es war nicht wahr. Tatsächlich war jemand bei ihm. Jemand, den er selbst zu sich gerufen hatte. Ein Einziger von Hunderten, die dieses Schloss bewohnten. In Schwarz gehüllt wie der Himmel dieser Juninacht stand er vor dem Fenster des Zimmers über dem Büro und blickte hinab auf das Bett. Das Bett, in dem schwach und zitternd ausgestreckt die dürre, große Gestalt Albus Dumbledores lag. Krämpfe schienen den Körper des alten Mannes zu schütteln, während seine blauen Augen nach dem Gesicht am Fenster suchten. Sie hatten jeden Glanz verloren, jeden durchdringenden Blick. So gläsern, so unendlich gläsern waren sie geworden. Der Mann am Fenster sagte kein Wort. Es war ihm, als hätte jede Sprache ihn verlassen. Als seien mit den Stunden, die er hier oben verbrachte, die er aufgehört hatte, zu zählen, eines nach dem anderen von ihm gegangen.
Schweigend trat er an das Bett heran, eine Karaffe zähflüssigen Zaubertranks in der Hand und beugte sich nieder. Hände tasteten nach ihm, nach dem Glas, das er hielt. Die Lippen in dem eingefallenen Gesicht fuhren auseinander.
„Sev… Severus“, keuchte die Stimme gequält, schmerzgebrochen.
Ein Riss ging durch die Seele des Knienden, einer von vielen der letzten Tage.
Mit einer unendlichen Schwere führte er die Karaffe an den Mund, sah wie der alte Mann trank.
Albus Dumbledore hörte auf zu zittern, atmete aus, wie jemand, dessen Krämpfe sich lösten.
Ein Moment der Ruhe.
Doch wie lange, wie lange? Eine Stunde, vielleicht auch nur eine halbe?
Auf der blassen Haut oberhalb der verkohlten Hand waren sie in den letzten Tagen immer mehr geworden. Die schwarzen Flecken, die Male des tödlichen Fluchs.
Severus hatte sie gesehen. Gesehen, wie sie begannen sich auszubreiten, zeitgleich mit den Schüben der Krämpfe, den immer kürzer werdenden Abständen. Ein Zeichen des Untergangs, ein Zeichen, dass die Barriere, die er vor einem Jahr mit einem goldenen Trank gelegt hatte, gebrochen war.
Verzweiflung, pure Verzweiflung hatte ihn seitdem fest im Griff. Wie schon damals.
Er würde nicht verhindern können, was geschehen würde.
All seine Kunst, all sein Wissen und Können, sie waren machtlos gegen die unaufhaltsame Gewalt des Schnitters.
Er fühlte sich elend, so furchtbar elend, dass er nicht mehr für Albus tun konnte.
Und doch wünschte er sich nichts so sehr, als das. Ihn leiden, ihn siechen zu sehen, war schlimmer, als selbst mit dem Schmerz zu ringen. Wie gerne würde er ihn ins Leben zurückzerren, diese blauen Augen wieder glänzen sehen. So viele Stunden hatte Severus in dem Büro unter seinen Füßen verbracht, so viele Jahre waren vergangen, in denen ihm tagtäglich dieses von Silberhaar umrahmte Gesicht auf den Fluren des Schlosses begegnet war. Der Gedanke, dass all dies nicht mehr sein würde, war… unerträglich.
Langsam, als wäre sie aus Blei, hob Severus die Karaffe zum Nachttisch hinüber. Noch immer hatte er kein Wort gesprochen, hielt die Lippen so fest geschlossen, als fürchtete er, seine Seele würde aus ihm herausbrechen, wenn er sie öffnen würde. Und er musste doch stark sein, um ihn zu pflegen! Die Karaffe in seiner rechten Hand begann zu schwanken.
Noch ehe Severus sie abstellen konnte, spürte er etwas an seiner linken Hand, die noch immer auf der Bettdecke lag. Finger! Finger, die sich schwach und zittrig um sein Handgelenk schlossen. Sofort hielt Severus inne, blickte auf den alten Mann herab, begann die Karaffe zurückzuführen. Doch Albus wiegte auf seinem Kissen den Kopf leicht hin und her – der Ansatz eines Kopfschüttelns, soweit es in seinem geschwächten Zustand wohl nur möglich war. Verwundert ließ Severus die Karaffe auf den Nachttisch sinken. Noch immer hatten die Finger sich nicht zurückgezogen, nur gelöst, um über die Hand zu fahren. Sanft, fast so als wollten sie streicheln, als wollten sie trösten.
Und dann blickten die gläsern blauen Augen auf. Sie suchten das Gesicht des Mannes, der vor dem Bett kniete. Das verhärtete, kalte Gesicht. Die versteinerte Maske eines Menschen, der mit seiner Beherrschung kämpfte. Ein schwacher, doch warmer Glanz trat in diese alten Augen, schickte einen kleinen Funken Licht hinüber in die dunklen Tunnel ihres Gegenübers. Ein Blick, der so viel mehr sagte, als es jedes Wort gekonnt hätte.
Für einen Moment verharrten sie. Dann plötzlich fuhren die Lippen im Silberbart abermals auseinander.
„Severus“, sagte die Stimme erneut, doch diesmal klar, nicht mehr vom Zittern zerrüttet und unendlich bestimmt.
Reflexartig krampfte sich die Hand des Knienden um die, die über sie strich, fester, zu fest.
Er hatte verstanden, mehr verstanden, als er wahr haben wollte.
„Severus“, sprach der alte Mann flehentlich, „Bitte“
Es war nur ein Flüstern und doch von ungeheurer Kraft. So stark, dass der Kniende das Gefühl hatte, sein Herz bliebe stehen. Atemlos saß er vor dem Bett, völlig versteift. Ein Zittern durchzuckte seinen Körper. Doch die glänzenden, blauen Augen wichen nicht von ihm. Und die Hand, die er in seiner fast zerquetschte - sie drückte sich mit der ganzen Kraft, die in den schwachen Gliedern noch verblieb, gegen seine, hielt ihn gleichsam wie er sie.
Severus nickte knapp und stand auf. Das Mondlicht fiel in seinen Rücken, als er den Zauberstab zog. Im fahlen Schein des Kandelabers, der auf dem Nachttisch stand, sah er das bleiche Gesicht Dumbledores vor sich. Die Augen blickten ihn noch immer an, wachsam, zuversichtlich. Doch ein weiterer Krampf verzerrte seine Miene zu einer Fratze. Sichtlich unter starken Schmerzen zitternd, nickte er ihm unter der größten Anstrengung zu. Severus schloss die Augen. Er hatte nur noch einen Wunsch... Albus von seinem Leid zu befreien. Er hob den Zauberstab, richtete ihn auf das Bett und…
AVADA KEDAVRA
Stille, nichts als Stille erfüllte für eine schier endlose Sekunde den Raum. Kein Stöhnen, kein Atmen, kein schmerzvolles Keuchen. Doch dann drang ein herzzerreißender Laut aus dem unteren Stockwerk zu Severus hinauf. Der Phönix auf seiner Vogelstange war erwacht und flötete ein Lied. So schön, so traurig. Auch die Gemälde ringsum schienen erwacht zu sein, ein Tuscheln war zu hören. Und von der Wand fiel klirrend eine Uhr. Sie war stehen geblieben in dem Moment, als der grüne Lichtstrahl den Zauberstab verließ.
Langsam öffnete Severus die Augen und blickte hinab auf den Leichnam, das leichte Lächeln auf dem reglosen Gesicht, auf die blauen Augen, die sich nicht mehr bewegten, starr geworden waren. Und auf einmal schien ein Damm in ihm zu brechen, schien eine Welle aus Gefühlen seine Brust zu überschwemmen.
Er hatte Albus niemals gesagt, was dieser ihm bedeutet hatte. Bedeutet hatte seit dem Moment, als Severus in die Finsternis seiner Trauer um Lily versunken, halb schon auf dem Weg in den Tod, aufgeblickt hatte und in die beiden hellen Augen dieses alten Mannes sah. Dieses Mannes, der plötzlich ein Licht in der Finsternis entzündet hatte. Er hatte Albus nie gesagt, in wie vielen der zahlreichen dunklen Stunden seines Lebens er sich an eines seiner weisen Worte, die der große Zauberer so großzügig verteilt hatte, geklammert hatte, um nicht im Schmerz zu ertrinken, auch wenn Severus niemals offen zugab, wie sehr er sie brauchte. Er hatte ihm nie gesagt, dass die zweitgrößte Sehnsucht in seinem Leben, gleich nach allem, was Lily betraf, Albus‘ Anerkennung gewesen war und wie tief er Dankbarkeit empfand für die unverdiente Chance, jenseits von Askaban in Hogwarts ein neues Leben beginnen zu dürfen. Ja, er hatte ihm noch nicht einmal gesagt, dass er manchmal, ganz leise, heimlich in sich hinein lächelte, wenn der alte Kauz eines seiner heißgeliebten Brausedrops vernaschte oder mit lila Ohrschützern durch die Flure lief.
Langsam fiel Severus wieder auf die Knie. Diesmal nicht, um die Karaffe an die blassen Lippen zu führen. Er konnte sich nicht mehr aufrecht halten. Schwach kauerte er sich auf den Boden und griff behutsam die verkohlte Hand, die sich nicht mehr rührte. Heiße Tränen netzten die geschwärzte Haut, rannen in einem unaufhaltsamen Strom aus seinen Augen.
Und für eine Sekunde wünschte Severus sich leise flüsternd, er wäre nicht in Spinner’s End geboren, sondern hier, sein Vater hieße nicht Tobias Snape und die Hakennase in seinem Gesicht wäre das Erbe eines anderen Mannes gewesen. Worte, die ihm niemals zuvor über die Lippen gekommen waren, die nicht einmal seine eigenen Ohren erreicht hatten, so tief hatten sie in seiner Seele geschlafen. Doch der Tod riss den Schleier von jeder noch so verborgenen Wahrheit.
Wie lange Severus noch bei Albus gesessen hatte, konnte er nicht sagen. Doch irgendwann waren keine Tränen mehr in ihm. Leer, völlig leer stand er auf. Am dunklen Horizont hinter dem Fensterglas zeigte sich ein blasser Streifen Rot. In der Ferne verklang das Klagelied des Phönix. Einen letzen Blick warf Severus hinab auf den toten Körper, dann schritt er die Treppe hinunter zum Kamin, warf das Pulver in die Flammen und verschwand.
In dem leeren, dunklen Raum, schauten die Augen eines neuen Portäts im Schatten hinüber zum Kamin. Tief atmete das Bild des alten Mannes mit der Halbmondbrille ein, kniff die Augen zusammen und atmete wieder aus. Tränen tropften in einen silbernen Bart. „Ich weiß, Severus, ich weiß“, flüsterte er, "Hab Dank für alles und... pass gut auf dich auf...Junge".
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