Es war noch früh am Morgen, als der Junge den Raum mit dem Spiegel betrat. Alles war still um ihn und die Kröte namens Trevor saß ruhig auf seinem Arm. Langsam trat der Junge näher, blickte mit großen Augen auf das glänzende Glas.
Er sah sich selbst im Spiegel. Doch er war nicht alleine. Alice und Frank Longbottom standen hinter ihm – seine Eltern, die ihre Hände auf seine Schulter legten. Sie sahen gesund und sehr, sehr glücklich aus. Glücklich, ihn zu sehen.
„Hallo Neville, mein Sohn“, meinte der Junge seinen Vater fast sagen zu hören.
„Schön, dass du da bist, Neville“, schien seine Mutter zu antworten.
Das Bild verschwamm ein wenig und Neville sah sich selbst als kleines Kind bei Ihnen. Er war ein Jahr alt und lernte gerade laufen. Seine Mutter hielt ihn an den Händen, führte ihn. Sie lächelte, als er fünf Schritte ganz alleine ging und fing ihn lachend auf, als er in ihre Arme fiel. Jetzt war er etwa fünf und saß auf dem Schoß seines Vaters, der die Märchen von Beedle dem Barden aufgeschlagen hatte und Neville daraus vorlas. Liebevoll wuschelte Frank durch die Haare des kleinen Jungen und beide begannen sich lachend gegenseitig zu kitzelnd. Ein paar Jahre mussten vergangen sein, der Trubel der Winkelgasse war plötzlich im Spiegel zu sehen. Neville war elf Jahre alt und lief aufgeregt zwischen seinen Eltern her. Sie zogen von einem Geschäft zum anderen. Eine Unzahl von Zauberbüchern holte seine Mutter bei Flourish&Blotts aus den Regalen hervor, beugte sich zu ihm hinunter und schien ihm einiges darüber zu erzählen. Sein Vater stand mit einem neugierigen, stolzen Blick hinter ihm, als er bei Ollivander den Zauberstab hob und seinen ersten Zauber sprach. Bald standen sie alle wieder auf der Gasse, vollgepackt mit Büchern, Zauberkessel, Zauberstab und Umhang, der Stolz glänzte in den Augen seiner Eltern.
So gebannt blickte der Junge auf den Spiegel, dass er nicht einmal merkte, dass Trevor von seinem Arm sprang und sich in eine dunkle Ecke des Raumes stahl. Als sich Neville endlich zum Gehen bereit umdrehte, war das Zimmer mit Morgenlicht erfüllt. Er musste sich beeilen, zum Frühstück zu kommen. Heute begannen die Weihnachtsferien und seine Großmutter würde ihn später am Bahnsteig abholen.
Dann würden sie gemeinsam ins Sankt Mungos gehen und seine Eltern besuchen. Seine Eltern, die durch die Folter Bellatrix Lestranges ihr Gedächtnis verloren haben und nicht wissen, dass sie einen Sohn namens Neville haben.
Graues Dämmerlicht erfüllte den Raum mit dem Spiegel. Es war früh am Abend und vor den Fenstern begann es allmählich dunkel zu werden. Ein Mann saß vor dem Spiegel, sein Haar war mit grauen Strähnen durchsetzt, obwohl er gerade mal Anfang 30 war. Er hatte sein Gesicht auf der Hand abgestützt und blickte mit ernsten Augen auf das Silberglas. Im Spiegel war es bereits Nacht geworden. Der Vollmond stand hoch am Himmel und ein kleiner Junge spielte noch vor dem Haus seiner Eltern. In den Gebüschen lauerte ein gefährlicher Schatten. Der Junge bemerkte ihn nicht. Plötzlich sprang der Werwolf hervor, hielt auf das Kind zu, die Zähne gefletscht. Doch noch ehe er den Jungen beißen konnte, hoben zwei starke Arme ihn in die Höhe. Der Lichtstrahl eines Zaubers flog über den Hof und die Kreatur eilte, offensichtlich winselnd von dannen. Mit einem Ausdruck des Schreckens blickte der Junge seinem Vater in die Augen. Doch der Mann, auf dessen Arm er saß, lächelte. Die Frau neben ihm ließ den Zauberstab sinken und trat an sie heran. Beide streichelten ihrem Sohn beruhigend über die unverletzte Haut, als wollten sie ihm sagen „nichts geschehen“. Remus seufzte tief. Sein Kopf lag schwer in seiner Hand und Sorgenfalten standen auf seiner Stirne. Vor den Fenstern begann der Mond aufzusteigen. Mit einem schnellen Handgriff hob Remus den Becher mit dem widerlichen Gebräu neben sich, hielt die Luft an und kippte es herunter. Wenige Minuten später begann sich Fell auf seiner Haut auszubreiten, seine Nase und sein Mund wuchsen sich zu einem gefährlichen Maul aus und satt Händen und Beinen hatte er Pfoten und Klauen. Langsam rollte sich Remus vor dem Spiegel ein, schloss die Augen und versuchte zu schlafen bis diese grässliche Nacht vorüber war.
Petunia wusste nicht, wie sie in diesen schrecklichen Raum gekommen war. Die Einrichtung war uralt und entsprach längst nicht mehr den neuesten Wohntrends im Möbelmarkt. Was die Nachbarn wohl sagen würden, wenn sie ihr Kind auf eine Schule mit solchen Schulbänken schicken würde. Und zu putzen schien hier auch niemand. Im Sonnenlicht glänzte überall Staub auf. Die Lehrer und der Direktor mussten wirklich furchtbare Leute sein. Am Ende vielleicht sogar noch Zau…Zau…Menschen, die glaubten, es gäbe fliegende Motorräder. Doch der Spiegel in der Ecke schien ganz interessant zu sein. Petunia trat näher. In dem silbernen Glas sah, wie auch in jedem anderen Spiegel, sich selbst. Doch dieser Spiegel war besonders. Er zeigte sie jünger als heute, viel jünger, vielleicht elf Jahre alt. Zusammen mit ihrer Schwester Lily stand sie auf einem Hügel. Eine Eule kam auf die beiden Mädchen zugeflogen. Sie trug einen Brief im Schnabel und überreichte ihn – Petunia. Neugierig riss sie den Brief auf und las, dass sie an sie an einer Schule für Hexerei und Zauberei angenommen wurde. Im nächsten Moment stand sie in einen langen Umhang gehüllt, mit einem Spitzhut auf dem Kopf und einem Zauberstab in der Hand voller Stolz am Bahnhof von King’s Cross und war im Begriff zusammen mit Lily in den Zug mit der scharlachroten Lock einzusteigen. Für einen Moment staunte Petunia, dann räusperte sie sich spitz und wandte ERISED den Rücken zu, auch wenn es ihr schwer fiel. Um nicht weiter über das Bild nachdenken zu müssen, beschloss sie, dass dieser Spiegel doch ein wenig aus der Mode gekommen war und begann den Ausgang aus diesem grässlichen Gebäude zu suchen. Doch so sehr Petunia auch versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen – so ganz vergessen konnte sie nicht, was sie im Spiegel gesehen hatte.
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