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Der Phönix und die Hirschkuh

640
23.10.18 17:16
16 Ab 16 Jahren
Workaholic

Autorennotiz

"Der Phönix und die Hirschkuh" ist mein Goldstück. Obwohl ich sie schon vor Jahren beendete, gab es nie wieder etwas Vergleichbares, in das ich so viel Herzblut gesteckt habe. Albus und Severus haben mich platonisch schon immer fasziniert und diese Geschichte ist quasi Alpha und Omega meines Headcanons um die beiden. Sie ist der Versuch der Rekonstruktion einer möglichen Geschichte der Verbindung, die uns Rowling im Haupwerk nur in Schlaglichtern andeutete. Eine Niederschrift all dessen, was ich zwischen den Zeilen lese - und das ist eine ganze Menge.

Ich habe versucht, diese Fanfic möglichst canon-nah und IC zu schreiben, wobei ICness Interpretationssache ist. "Mein" Dumbledore ist weder eiskalter Schachspieler noch lieber Opi, sondern ein Mensch, der mit guten Absichten falsche Entscheidungen trifft. Und "mein" Snape unter der zynischen Fassade alles andere als kühl und beherrscht. Canon bedeutet die Hauptbücher - Informationen aus den Filmen, Interviews, von Pottermore oder aus den Zusatzbüchern beziehe ich nur teilweise mit ein. Die späteren Kapitel sind besser als die früheren.

Die Kommentare sind derzeit aus persönlichen Gründen abgeschaltet, aber ihr könnt mir gerne 0-5 Sterne verpassen!

Viel Spaß beim Lesen (die Kapitel werden mit Forschreiten der Geschichte besser)

2 Charaktere

Severus Snape

Albus Dumbledore

„Was… was soll ich tun? Ist er… hier?“

Die tränenerstickte, gequälte Stimme drang leise zwischen zwei schmalen Lippen hervor. Durch die Fenster fiel graues Morgenlicht in das kreisrunde Zimmer. Ein Mann mit langem, weißen Bart und ebensolchem Haar schüttelte den Kopf.

„Nein, Harry Potter ist an einem sichereren Ort. Seine Tante wird sich vorerst um ihn kümmern.“
"Petunia Evans?“, fragte der Erste und seine schwarzen Haare fielen ihm vors Gesicht.  
Er klang weder erfreut, noch erschrocken. Eher ein wenig überrascht.
„Petunia Dursley“, korrigierte ihn sein Gegenüber, „sie ist verheiratet“.
Der Mann senkte den Blick, der Ehestand Mrs. Dursleys schien ihn nicht weiter zu interessieren.
„Wann…“, fragte er leise.

Ein Seufzen erfüllte den Raum.

„Das ist die Frage. Ich hoffe nicht, bevor der Junge hier Schüler sein wird. Doch genau lässt sich das nicht sagen. Wir müssen jederzeit damit rechnen.“
Der Schwarzhaarige kniff die Augen zusammen und ließ den Kopf in die Hände sinken. Für einige Sekunden stand der alte Mann still vor ihm.
„Bis es soweit ist“, sagte dieser schließlich und seine Stimme klang ernst, „gibt es für Sie an dieser Schule sicherlich noch andere Aufgaben“.
Verwundert blickte der Schwarzhaarige auf.
„Ich… Sie.. Sie meinen das ernst? ... ich dachte, das sei nur eine Lüge für den Dunklen Lord gewesen“.
„Mein Angebot steht“, antwortete der alte Mann schlicht, „Ich hoffe, Sie treffen eine weise Entscheidung“.

Ein paar Sekunden der Stille vergingen.
Der Schwarzhaarige rührte sich nicht, er sagte auch nichts mehr.
„Gibt es noch etwas, das Sie jetzt mit mir besprechen möchten?“, fragte der Mann mit dem weißen Bart ihn schließlich.
„Nein…Nein…“, antwortete der Angesprochene sichtlich erschöpft.
„Gut, dann sehen wir uns wohl in ein paar Tagen wieder“

Schweigend erhob sich der Schwarzhaarige von seinem Platz. Seine Augen waren ausdruckslos, als er auf die Türe zutrat.
„Und noch etwas“, rief ihn der Weißhaarige zurück.
„Ja?“.
„Gönnen Sie sich etwas Ruhe. Sie scheinen sie wirklich zu brauchen. Ich hoffe Sie in einem besseren Zustand wiederzusehen. Bis dann“.

Mit einem wehmütigen Blick überschritt der Schwarzhaarige die Schwelle.
„Bis dann, Sir“.

Gelbe Blätter bedeckten den Rasen hinab zum See, welk wie verdorrte Lilienblüten. Ein paar Jungen stritten sich auf dem Weg zum Gewächshaus. Severus Snape schritt wortlos an ihnen vorüber. Nicht einmal die Jugendlichen, die ihm bei seinen Besuchen der letzten zwei Wochen sichtlich auf die Nerven gingen, schienen ihn heute zu rühren. Der Schatten der Ereignisse lastete zu schwer auf seinen Schultern. Eine einzige Nacht hatte den Krieg beendet und die Zaubererwelt feierte, über Hogwarts aber hingen die grauen Novemberwolken tief. Lily! Lily war tot! Seine Lily - tot! Sie und James Potter, die letzten Opfer Voldemorts nach Jahren des Grauens. Und nur der Sohn hatte überlebt, überlebt weil seine Mutter sich schützend vor ihn geworfen hatte.

Severus Snape konnte es noch immer nicht glauben. Vor noch nicht einmal einer halben Stunde saß er im Schulleiterbüro, um es von Dumbledore selbst zu hören. Und dieser hatte es bestätigt. James und Lily hätten ihr Vertrauen in den Falschen gesetzt, hatte Dumbledore ihm erklärt und noch so vieles mehr, das Snape nicht verstand. Dass Voldemort zurückkehren würde, dass Lilys Sohn in Gefahr sei, dass Dumbledore Severus‘ Hilfe brauchen würde, dass dies sein weiterer Weg sei, wenn er Lily wirklich geliebt hätte.

Snape schwirrte der Kopf von all den Worten, er konnte nicht wirklich zuhören. Seine Trauer war zu stark, zu überwältigend. Lily war tot – und es war alles seine Schuld! Seine eigene, gottverdammte Schuld. Wie konnte er nur jemals so blind sein, wie konnte er sich nur dem Dunklen Lord anschließen, ihm diese verfluchte Prophezeiung überbringen?

Severus ließ sich auf einem großen Stein am Ufer des Sees nieder, über den der Wind unruhige Wellen peitschte. Er riss den Ärmel seines Mantels hoch und schlug wütend mit der Faust auf seinen Arm, genau an jene Stelle, an der vor Kurzem noch das verhasste, Dunkle Mal brannte. Nicht Lily sollte tot sein, sondern er. Er sollte auf dem Friedhof in Godric‘s Hollow liegen.

Für einen Moment blickte Snape durch seine windzerzausten Haare hindurch auf das aufgewühlte Wasser. Er hatte das Bedürfnis, sich gerade jetzt in die Flut zu stürzen. Doch davon würde Lily auch nicht von den Toten auferstehen. Dumbledore hatte Recht. Es würde nichts nützen.

Dumbledore! Dumbledore! Er hatte ihm vertraut, sich als sein Spion in größte Gefahr begeben… und was war geschehen? Dumbledore hatte versagt. Der Einzige, den ER je fürchtete, hatte versagt! Nur eine Woche, eine verfluchte Woche war Lily vor Voldemort sicher gewesen. Wütend warf Snape einen Stein hinaus auf das Wasser.

Einer ihrer engsten Freunde hatte sie verraten. Oh, wenn Snape ihn jemals in die Finger kriegen sollte, diesen Verräter, er würde ihn eigenhändig töten. Und dabei sicher nicht die Gnade von Avada Kedavra erweisen. Langsam und qualvoll würde er ihn sterben lassen…

Geistesabwesend zog Snape seinen Zauberstab, richtete ihn auf den Boden. Aus der Erde schossen grüne Blätter, Stängel, eine lila Blüte. Eine Lilie reckte ihren Kopf in die kalte Novemberluft. Ein eisiger Wind blies über das Gras. Die Blume fiel in sich zusammen, verwelkte und war wieder kalte Erde.

Severus schlug die Hände vors Gesicht. Er konnte, mochte die mageren Überreste nicht ansehen. Wie sollte er denn weitergehen, wie sollte er weiterleben? Alles, was ihm jemals etwas bedeutet hatte, war zusammengebrochen. Sein Elternhaus in Spinner’s End verfiel, Lord Voldemort war eine große Lüge gewesen und der einzige Mensch, den er je geliebt hatte, war tot. Nichts mehr in Severus‘ Leben hatte noch einen Rahmen, eine Ordnung, einen Sinn. Es war ihm als triebe er wie eines von Hagrids alten Booten auf dem aufgewühlten See – ohne Fährmann, ziellos und morsch. Nur ein einziges schwaches Licht leuchtete im fernen Nebel am Horizont.

„Helfen Sie mir, Lilys Sohn zu beschützen“

Die Worte hallten tausendfach in seinem Kopf wider. Er war alles, was von Lily blieb. Der Junge dieses grässlichen Potters, seines Erzfeindes. Dieses Kind - der Grund, warum Voldemort Lily überhaupt ermordet hatte! Und Dumbledore wollte, dass er ihn beschützen sollte. Ausgerechnet er. Er würde es, ja er würde es, nur Lily zuliebe, es war das Einzige, was er jetzt noch für sie tun konnte, auch wenn Severus‘ noch immer nicht glauben konnte, dass er Dumbledore sein Wort gegeben hatte.

Dumbledore… für einen Moment hielt Snape inne und atmete tief durch. Was wäre er wohl ohne Dumbledore? So schwer seine Erwartungen auch zu erfüllen schienen, war Dumbledore doch wie ein letzter seidener Faden, der Severus ans Leben band. Er erinnerte sich an die Nacht auf dem Hügel, noch nicht einmal zwei Wochen lag sie zurück und doch kam es Severus vor, als seien seitdem hundert Jahre ins Land gegangen. Er erinnerte sich an seine Todesangst, und daran, wie elend und klein er sich gefühlt hatte, als Dumbledore ihn widerlich nannte. Und doch hatte der alte Mann ihm letztendlich geglaubt, hatte ihn zu seinem Spion gemacht, ihm gerade eben sogar angeboten, nach Hogwarts zurückkehren, hier Lehrer zu werden.

Dass es nach all dem, was geschehen war, jemand Severus‘ noch eine Chance geben wollte, erschien ihm so unmöglich wie unverdient. Gewiss, er mochte die Aufgaben nicht, die Dumbledore ihm auferlegte. Spion und Lehrer, beides kein Traumberuf. Doch konnte er dieses Angebot überhaupt ausschlagen? Wohin sollte er gehen? Außerhalb dieser Mauern gab es kein Leben für ihn. Und keinen Menschen, der sich um ihn scherte. Alle, die er je als Freunde bezeichnet hatte, waren Todesser wie er gewesen. Dumbledore war seine einzige Hoffnung, das einzige Licht, das über seinem dunklen Pfad schien. Severus hoffte nur, dass der alte Zauberer sich an sein Wort halten würde. Nichts war unerträglicher als die Vorstellung, dass irgendwer von der ganzen Geschichte wissen könnte. James Potters Sohn.

Eine eiskalte Windböe ließ Snape frösteln. Für einen Moment sehnte er sich zurück in das warme, kreisrunde Zimmer, zurück zu den eisblauen Augen mit dem durchdringenden Blick. Er stand auf, wandte sich zum Schloss um, schaute hinauf zu Dumbledores Büro. Hinter den Scheiben glaubte Severus auf einmal einen Schatten zu sehen …

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Kursiv Geschriebenes ist Originaltext: J.K. Rowling, Harry Potter und die Heiligtümer des Todes, S.686

Schon lange stand Albus Dumbledore am Fenster und sah mit ernster Miene auf die Schlossgründe hinab, wo Herbstbäume Teppiche aus goldenem Laub um sich streuten. Eine hagere, schwarzhaarige Gestalt hatte ziellos das Gebiet durchwandert, war stehen geblieben, hatte zum Himmel aufgeblickt, war weiter gelaufen, offensichtlich bemüht darum, einen freien Kopf zu finden. Der alte Mann beobachtete sie, während er die Geschehnisse Revue passieren ließ.

Noch gut erinnerte sich Albus an die Nacht auf dem Hügel noch nicht einmal vierzehn Tage zuvor, als der Wind ebenso wie jetzt Snapes‘ Haar wild um sein Gesicht wirbelte. Er erinnerte sich an Severus‘ Flehen um Lilys Schutz, daran, wie er Snapes Aufrichtigkeit prüfte und an den Beginn ihrer Zusammenarbeit.

Einen Bund, den Albus Dumbledore nicht ohne gemischte Gefühle eingegangen war. Ein Spion unter Voldemorts Gefolgsleuten war ein großer Gewinn für den Orden des Phönix‘ und Snapes‘ Liebe zu Lily gab ihm die Sicherheit, dass er dieser Aufgabe gerecht werden würde. Doch seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Tod anderer Menschen, gerade eines unschuldigen Kindes, hatte ihn mit tiefster Abscheu erfüllt…

Albus seufzte schwer. Die jüngsten Ereignisse änderten alles. Noch immer hatte er das Bild vor Augen, wie Snape vor ihm saß: Schluchzend, in sich zusammengesunken, verzweifelt und elendig. Er hatte Severus‘ Klagen mit grimmiger Miene gelauscht. Noch war ein Nachklang der alten Verachtung geblieben, die ihn nicht die Wärme finden ließ, mit der er den anderen Ordensmitgliedern begegnete. Sie hatte sich mit der Wut über die Vorwürfe vermischt, die ihm Snape leider nicht zu Unrecht machte, doch die er ebenso zurückgeben konnte. Noch fiel es Albus schwer, so etwas wie persönliche Sympathie für den jungen Mann aufzubringen. Zu sehr stieß ihn die Tatsache ab, dass Severus das Kind nachwievor gleichgültig zu sein schien.

Und doch berührten ihn die Tränen des jungen Mannes. Lilys Tod schien ihn schwer getroffen zu haben, sehr schwer und seine Reue trotz allem tief und aufrichtig zu sein. Dumbledore schloss die Augen und atmete tief durch.

Die Schuld am Tod eines geliebten Menschen war eine schwere Bürde. Er wusste das nur zu gut. Viel zu lange schon trug er selbst an dieser Last. Ariana. Er sah sie noch immer vor sich, seine Schwester - leblos, kalt, tot. Gestorben, weil er sich mehr um seine Pläne gekümmert hatte als um sie. Was war er für ein Narr gewesen! Grindelwald, seine erste große Liebe, ihre Vision davon, für das größere Wohl die Muggle zu unterdrücken. Verblendung. Ideen, die nicht besser waren als die Voldemorts.

Wer jung ist, ist leicht verführbar, gerät schnell auf die falschen Pfade, dachte Albus. Severus Snape war jung. Gerade einmal vier Jahre älter als die Schüler der höchsten Klasse. Und auch er war dem falschen Menschen gefolgt. Ihre Geschichten ähnelten sich und vielleicht war das der Grund, warum Albus etwas in dem jungen Mann erblickte, das niemand anderes in ihm sah. Sie waren sich ähnlich…

Draußen vor dem Fenster hatte die schwarze Gestalt schließlich den Weg hinab zum See eingeschlagen. Albus war ihr mit besorgten Blicken gefolgt.

„Ich wünschte…ich wünschte… ich wäre tot“  

Snapes Verzweiflung ließ ihm das Herz schwer werden. Er konnte nur inständig hoffen, dass der junge Mann keine Dummheit beging. Jugend, Trauer und Schuld waren keine gute Mischung. Und gewiss nutzte Dumbledore Snapes Lage für seine Zwecke aus, als er ihn erneut in seine Dienste drängte. Doch konnte er darauf Rücksicht nehmen? In seiner Position musste er alle Fäden miteinander verweben, um möglichst vielen Menschen gerecht zu werden. Vielleicht, so hoffte Dumbledore, könnten Gnade und eine neue Aufgabe sowohl Harry wie auch Severus das Leben retten. Hogwarts war unter seiner Leitung immer eine Zufluchtsstätte für all jene gewesen, die es in der Zaubererwelt schwer hatten. Einem abtrünnigen Todesser eine zweite Chance zu gewähren, gebot Dumbledore bereits seine Moral. Reue war ein höheres Ziel als der Sieg der Zauberstäbe. Wiedergutmachung ein besserer Weg als die Jahre in Askaban. Unter seiner Obhut, so hoffte Albus, würde er Severus wieder auf den rechten Pfad zurückführen zu können.

Beruhigt sah Dumbledore, dass die hagere Gestalt sich lediglich auf einem Stein am Ufer des Sees niedergelassen hatte. Nur eines stimmte ihn jetzt noch sorgenvoll: Dass sein Verbündeter es vorzog, ein Geheimnis aus ihrem Vertrag zu machen. Severus würde es nicht leicht haben, sich selbst nicht leicht machen, durch sein Schweigen. Es gab nicht viele Menschen, die einem ehemaligen Todesser trauen würden, ohne einen triftigen Grund dafür zu haben. In seinem Wohlwollen mit ihm hatte Dumbledore versucht, den Einundzwanzigjährigen umzustimmen. Doch Severus Snape bestand erbittert darauf, dass niemand von ihrer Vereinbarung wissen dürfe. Und wehmütig hatte Albus ihm sein Wort gegeben. Er hatte nicht vor, es zu brechen…

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Kursiv geschriebenes ist Original-text: J.K. Rowling, Harry Potter und die Heiligtümer des Todes, S.686

„Ah, Severus, kommen Sie herein!“

Es war bitterkalter Novemberabend gewesen, als Snape Dumbledore abermals in dessen Büro aufgesucht hatte, um mit ihm über seine Anstellung in Hogwarts zu sprechen. Wäre Severus frei gewesen, niemals hätte er eine Arbeit als Lehrer angenommen. Doch seine Lage hatte ihm keine andere Wahl gelassen, als sich unter Dumbledores Schutz zu stellen, wissend, dass der alte Zauberer ihn in Hogwarts gut im Auge behalten würde. Jenseits der Mauern des Schlosses wartete nur noch Askaban auf ihn - oder der Tod. Wenigstens, so hatte Snape damals noch gehofft, würde er vielleicht sein Lieblingsfach unterrichten können. Noch gut erinnerte er sich an das trübe Abendlicht, das durch die alten Schlossfenster brach.

„Nun, Sie haben sehr großes Glück.“, war der Schulleiter fortgefahren. Snape sah noch immer die Unterlagen vor sich, die Dumbledores Hand flink ordnete.
"Wie der Zufall es will, kann ich Ihnen eine sehr gute Stelle anbieten. Professor Slughorn möchte uns nächstes Schuljahr verlassen. Ich bin daher auf der Suche nach einem kompetenten Nachfolger für den Bereich Zaubertränke. Sicherlich würde es ihm nichts ausmachen, auch dieses Schuljahr schon etwas Unterstützung zu erhalten. Horace versicherte mir, dass Sie in diesem Fach immer ein hervorragender Schüler gewesen seien?“.
„Ohnegleichen in den UTZ-Prüfungen“, hatte Snape ihm knapp geantwortet und für einen Moment gezögert, ehe er fortfuhr, „aber wenn Sie mir eine Anmerkung gestatten, Professor Dumbledore …“
„Ja, Severus?“.
„Ich denke, dass ich als Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste der Schule viel nützlicher sein könnte. Wie ich las suchen Sie noch jemanden für diese Stelle für nächstes Jahr. Ich …“.
„Ausgeschlossen“, hatte Dumbledore ihn harsch unterbrochen. Severus wusste noch, wie irritiert er plötzlich war.
„Direktor, ich wusste über die Pläne des Dunklen Lords Bescheid. Wenn er wirklich zurückkehren sollte… Ich könnte die Schüler vorbereiten... Meine Kenntnisse über die Dunklen Künste sind…“.
„Ich zweifele keinesfalls ihr Wissen über schwarze Magie an“, war ihm Dumbledore erneut ins Wort gefallen, Snape einen tiefen, skeptischen Blick zuwerfend.
Und plötzlich hatte Severus alles verstanden. Die Erkenntnis hatte ihm einen Stich versetzt. Unheimlich enttäuscht war er gewesen, fast wie auf dem Hügel.
„Das ist es also? Sie trauen mir nicht.“
„Glauben Sie wirklich, dass ich Sie nach Hogwarts geholt hätte, wenn ich Ihnen misstrauen würde?“
„Ich… ich weiß nicht. Wenn es nicht das ist, was ist es dann, Direktor?“
„Genug, Severus!“, hatte Dumbledore ihn angefahren, „Ich werde mit Ihnen nicht diskutieren. Wenn Sie gedenken, in Hogwarts zu arbeiten, werden Sie sich mit der Stelle des Zaubertrankmeisters begnügen müssen.“
Mit diesen Worten und seinem Groll im Magen hatte Snape das Schulleiterbüro verlassen – zumindest bis zum nächsten Tag.

.....

Severus schlug die Augen auf. Eine Unzahl von Kesseln spie bunte Dunstwolken in die feuchtkalte Kerkerluft. Schwaches Kerzenlicht beleuchtete den Raum hinter nachtschwarzen Scheiben. Die Uhr zeigte halb zwei.

Zwei Monate waren vergangen, seitdem er aus dem Schulleiterbüro gestapft war. Und doch verletzte ihn die Erinnerung noch immer als sei es erst gestern gewesen. Warum er Snape Verteidigung gegen die Dunklen Künste nicht lehren lassen wollte, darüber hatte Dumbledore den Mantel des Schweigens gebreitet. Doch er brauchte auch nichts zu sagen. Severus kannte die Antwort bereits, auch ohne Worte.

Ein tiefes Seufzen erfüllte den Raum. Snape hatte gehofft, das Vertrauen des Schulleiters gewinnen zu können, beweisen zu können, dass er dem würdig war. Offenbar sah Dumbledore das anders. Konnte es Severus ihm verdenken? Nicht einmal den Anblick seines eigenen Spiegelbildes konnte er mehr ertragen, nach dem, was er Lily angetan hatte. Niemand auf der ganzen Welt war so tief gesunken wie er. Wie konnte er da von anderen Vertrauen erwarten?

Und doch traf es Snape, dass der Schulleiter noch immer den Todesser in ihm erblickte. Zu gerne wollte er seine Vergangenheit abschütteln, gerade vor Dumbledore, dem Einzigen, der seine Geschichte kannte. Doch war es nicht auch ein Beweis seines Vertrauens, dass der Schulleiter ihm in Hogwarts eine zweite Chance und sein Wort, ihn im Fall des Falles vor Gericht zu verteidigen, gegeben hatte? Ja, dass er ihm sogar das Haus Slytherin anvertraut hatte, nachdem Slughorn überraschend doch mitten im Schuljahr gegangen war?

All das war mehr Gnade, als Severus je verdient hatte, mehr, als womit je gerechnet hätte. Manchmal waren die Gedankengänge des alten Mannes recht merkwürdig, befand Snape. Nie wusste man ganz, woran man bei ihm war. Und leider beherrschte Dumbledore Legilimentik und Okklumentik noch besser als er.

Inzwischen war es Februar geworden und der Winter malte Eisblumen an die Fensterscheiben des Schlosses. Das meeresgrüne Licht der Kerkerräume empfing Severus jeden Tag aufs Neue mit seinem vertrauten, trüben Schein. Er kannte es nur zu gut vom Slytherin-Gemeinschaftsraum aus sieben langen Schuljahren. Die ältesten Schüler, die dort nun ihre Freizeit verbrachten, hatte er sogar noch in seiner eigenen Schulzeit kennengelernt. Nun ihr Hauslehrer zu sein, war für Snape ebenso befremdlich, wie McGonagall oder Flitwick als Kollegen zu betrachten.

Am liebsten mochte Severus die Abende, wenn er nach Schulschluss der einzigen Beschäftigung nachgehen konnte, die ihm an seiner Lehrerstelle wirklich gefiel: Das Brauen von Zaubertränken aller Art. Flackerndes Feuer, brodelndes Wasser, aufsteigender Dampf – die Fingerfertigkeit und das Feingefühl, die man beim Abmessen der Zutaten brauchte – es war das Einzige, was ihm etwas Trost und Ablenkung verschaffte. Und vor allem hatte er seine Ruhe. Keine Pubertierenden, die sich gegenseitig Flüche auf den Hals hetzten, keine unfähigen Schüler, die schwätzten und ihre Tränke vermasselten, keine Gryffindors, die ihrem Quidditch-Team zujubelten. Nur Feuer, Wasser und Rauch.

Wie oft dachte Severus dabei wehmütig an Lily zurück. Zaubertränke war immer ihr bestes Schulfach gewesen und nicht nur ihres. So viele Stunden hatten er und Lily hier zusammen über ihren Kesseln gesessen, James Potter zum Trotz. Lily hatte es sogar geschafft, in den berühmten Slug-Club aufgenommen zu werden. Severus konnte die leeren Schulbänke, die Fenster, die Kessel nicht betrachten, ohne an sie zu denken.

Die Gesellschaft anderer Menschen hingegen mied er, wo er nur konnte. Seine Kollegen sah er nur ab und im Lehrerzimmer und ging ihnen sonst aus dem Weg. Was sollte er auch Zeit mit ihnen verbringen. Snape suchte die Einsamkeit. Die trostlose Kälte und feuchte Dunkelheit der Kerkerräume kam ihm gerade recht. Alles hier unten erschien ihm wie ein Spiegelbild seiner Seele. Ein düsteres, grabesgleiches Zuhause, in dem alleine Dumbledore als zeitweiliger Besucher nicht störte. Wären nicht die Botengänge gewesen, die Snape hin und wieder zwangen, seine Räume zu verlassen, tagelang hätte wohl niemand die hagere, schwarzgekleidete Gestalt in den Fluren Hogwarts gesehen. Doch es gab Kollgegen, die dringend Zaubertränke brauchten, Hauslehrer, die über die Ungezogenheiten ihrer Schützlinge informiert werden wollten und unfähige Schüler, die zum Krankenflügel gebracht werden mussten. Snape hasste es, doch seine Position als Lehrer verpflichtete ihn leider dazu.

So wie an jenem Abend kurz vor dem ersten März. Einige Schüler, möglicherweise sogar Slytherins, hatten die Kerkerwände mit einer Kesselladung silbernen Zaubertrankes verunstaltet. Recht ungehalten war Snape aufgebrochen, um Filch zu suchen, unwissend, dass er im Begriff stand, eine höchst interessante Entdeckung zu machen.

Fast wäre die kleine Türe im obersten Stock Severus gar nicht aufgefallen, hätte er dahinter nicht ein Miauen gehört, das verdächtig nach Filchs Katze klang. Schnell war er über die Schwelle getreten. Doch weder von dem Tier noch seinem Besitzer war etwas zu sehen. Lediglich ein bläuliches Licht, das ganz nach einem verirrten Geräusche- und- Lichtzauber aussah, schwebte über dem Boden.

Snape jedoch war all das plötzlich nicht mehr wichtig. Am anderen Ende des Raumes, direkt vor den Fenstern, hatte er im blauen Lichtschein etwas erspäht, das seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Es war groß, prunkvoll umrahmt und glänzend. Ein Spiegel, offensichtlich sehr alt. Doch in dem feinen Silberglas sah Severus Snape nicht etwa sein eigenes Spiegelbild. Er sah –

Lily! Die grünen Augen, die roten Haare. Sie lachte und winkte ihm zu - fröhlich, lebendig, wunderschön. Ein Bild, das fast real erschien. Plötzlich sah Snape sich selbst neben ihr, Lily umarmte ihn, ihre Augen leuchteten verliebt, als sie ihn küsste. Sein linker Hemdärmel rutschte hoch, gab den Blick auf den Unterarm frei. Auf der Haut brannte kein Dunkles Mal.

Für einen Moment glaubte Severus, sein Herz bliebe stehen. „Lumos“ rief er und mit leuchtendem Zauberstab trat er auf den Spiegel zu.

Je deutlicher die Züge wurden, je klarer das rote Haar glänzte, umso mehr hatte Severus das Gefühl, dass sein Herz zerspringen wollte. Atemlos blieb er vor dem Silberglas stehen, streckte seine Hand aus, fuhr über die kalte Oberfläche. Er wusste, dass dies nur Zauberei war. Doch machte das einen Unterschied? Lily war hier, gleich ob Illusion oder Realität. Warum hatte er diesen Zauberspiegel nicht schon als Schüler entdeckt? Snape konnte das Bild kaum anschauen, doch auch seinen Blick nicht von ihm abwenden. Freude, Trauer, Sehnsucht, Schuld, alle Gefühle schienen gleichzeitig in ihm aufzubrechen, wenn er in Lilys Augen blickte.

Es fiel ihm unendlich schwer, sich von ERISED losreißen.

Wieder einmal lag Hogwarts in tiefste Dunkelheit gehüllt, als Severus Snape an einem Freitag leise die Treppe zum obersten Stockwerk emporstieg. Diesmal suchte er nicht nach Argus Filch, sein Ziel war das kleine Zimmer unter dem Dach selbst.

Peinlichst genau achtete Severus darauf, dass keine Menschenseele ihm folgte. Nicht einmal eines der vielen Porträts sollte ahnen können, wohin er ging. Die Vorstellung, dass auch nur einer hinter sein Geheimnis kommen könnte, war Snape unendlich peinlich. Zum Glück schienen alle Menschen, Geister und Gemälde längst zu schlafen. Aus manchem Rahmen drang tiefes Schnarchen an sein Ohr.

Severus kannte es bereits. Es war nicht das erste Mal, dass er die Stunden bis zum Sonnenaufgang vor ERISED verbrachte. Nachts war einfach die beste Zeit, um ungestört den Spiegel aufzusuchen. Niemand würde ihn um diese Uhrzeit suchen.

Endlich hatte Snape das kleine Zimmer erreicht. Die Sterne funkelten am schwarzen Horizont, als er über die Türschwelle trat. „Colloportus“ flüsterte er leise und die Fensterläden schlossen sich, „Lumos“.

Im fahlen Licht des Zauberstabs trat Severus vor den Spiegel und blickte wieder in das geliebte Gesicht. Endlich war er mit sich und seinem Traum von Lily alleine. Schwach sank er vor dem Silberglas auf die Knie und ein Bach von Tränen stürzte aus seinen dunklen Augen hernieder, als er in die grünen blickte. Hier war der einzige Ort außerhalb seines Schlafzimmers, an dem sich Snape gestattete, um Lily zu weinen. Er ahnte nicht, dass er in dieser Nacht beobachtet wurde…

...

Hinter Severus, in einigem Abstand zu ihm, stand ein Mann, durch einen mächtigen Desillusionierungszauber völlig mit der Umgebung verschmolzen.

Für eine ganze Weile beobachtete Albus Dumbledore die schwarze Gestalt des jungen Zauberers, der trauernd und sehnsüchtig vor dem Spiegel kauerte. Er wusste, was Severus Snape in dem Silberglas sehen musste – ein Bild ähnlich dem, in das auch er blickte, wenn er ERISED betrachtete. Das Gesicht einen geliebten Menschen, der verstorben war.

Dumbledore war seinem jüngsten Lehrer nicht unwissend gefolgt. Er hatte geahnt, wo Severus Snape seine Nächte verbrachte, seitdem Peeves einen Monat zuvor im Schulleiterbüro Scherze über ein schwarzes Phantom riss, das nachts das Treppenhaus zum obersten Stockwerk unsicher machte. Dumbledore hatte dem Poltergeist mit Nachdruck verboten, irgendwem, ob Geist, Mensch oder Hauself, davon zu berichten und war dann leise seufzend in seinen Sessel zurückgesunken.

Allmählich begann Albus sich Sorgen um Severus zu machen. Er hatte gehofft, dass der junge Mann sich dem Leben wieder öffnen würde, wenn er sich erst einmal in Hogwarts eingelebt hätte. Doch davon konnte keine Rede sein. Snape verkroch sich in der Einsamkeit, wechselte mit keinem Menschen ein Wort bis auf das Nötigste. Dass er nun auch noch jede Nacht den Trost ERISEDs suchte, machte die Sache nicht besser.

Natürlich verlor Dumbledore Snape gegenüber nie ein Wort über sein Wissen. Der Respekt gebot es ihm, nicht weiter in ihn einzudringen, als Severus selbst bereit war von sich preiszugab. Und auch war Albus ihm nie zuvor zu ERISED gefolgt. Heute erforderten die Umstände jedoch, die Regeln der Zurückhaltung zu übertreten...

Schnell schlug sich Albus mit dem Zauberstab auf den Kopf, fühlte die heißen Tropfen durch seinen Körper rinnen und trat langsam an Snape heran.

„Ah Severus“, sprach er ihn leise an, als ob er gerade erst zur Türe hereingekommen wäre. „Ich vermutete, dass ich Sie hier finde würde, nachdem ich Sie nicht in ihrem Zimmer traf. Wie ich sehe, kennen Sie die Geheimnisse Hogwarts inzwischen recht gut“.

Überrascht sprang Snape vom Boden auf und wandte sich verschämt zur Seite.

„Pro Professor Dumbledore!... Was gibt es?“

„Eigentlich hätte ich dies lieber in Ihrem Büro besprochen, Severus“, begann er zu erklären, „Aber da wir nun einmal hier sind… Ich erhielt heute Abend eine Eileule aus dem Ministerium, betreffend einer Anhörung Igor Karkaroffs, die bereits auf den morgigen Tag angesetzt wurde. Er erhofft sich eine Strafmilderung, indem er dem Zaubergamot bisher unbekannte Todesser nennt. Das Ministerium war so freundlich, mir die Namen vor der Verhandlung mitzuteilen. Darunter war auch Ihrer. Es erschien mir notwendig, Sie darüber zu informieren.“

Erschrocken blickte Snape Dumledore mitten ins Gesicht. „Sie wollen doch nicht etwa…?“, fragte er ängstlich.

Dumbledore erhob seine Hand und gebot ihm zu schweigen.

„Als ich Sie nach Hogwarts holte und Sie mir Ihr Wort gaben, mir zu helfen, Harry Potter zu beschützen“, er warf Snape über die Ränder seiner Halbmondglasbrille hinweg einen tiefen Blick zu, „sicherte ich Ihnen meinen Schutz zu. Ich pflege mich an mein Wort zu halten. Allerdings kann ich Ihnen keine Garantie aussprechen.“

Snape ließ die Schultern hängen und sank vor Dumbledore auf einen Stuhl nieder.

„Sie meinen also, dass…“, fragte er leise. „…die Chancen für Sie gut stehen, ja.“, ergänzte Dumbledore.

Der junge Mann blickte ihn unsicher an, als könne er Dumbledores Worten noch immer nicht trauen. Albus jedoch lächelte.

„Seien Sie unbesorgt, Severus“, sprach er beruhigend auf den jungen Mann ein. „Solange der Zaubergamot Wert auf mein Wort legt, glaube ich nicht, dass man Sie nach Askaban schicken wird.“

Snape murmelte ein leises Dankeschön, doch Dumbledore schien es nicht zu beachten.

„Nun, ich denke, ich werde mich dann wieder in mein Zimmer begeben und ich rate Ihnen, dasselbe zu tun. ERISED bietet Verführungen, die das Leben über den Traum vergessen lassen. Sie sollten sich Ihren Schülern, Ihrer Arbeit und um diese Uhrzeit einem gesunden Schlaf widmen. Wie ich heute Mittag auf den Gängen munkeln hörte, hat das Quidditch-Team Ihres Hauses morgen früh ein wichtiges Training. Ich denke, es würde den Schülern sicher gefallen, wenn ihr Hauslehrer sie unterstützen würde. Gute Nacht, Severus. “

Mit einem Lächeln und müden Augen war Albus Dumbledore gegangen. Snape schaute erst zum Spiegel und dann zur Türe hinüber. Er war sich sicher, dass Dumbledore mehr wusste, als er zugab. Und Snape war sich unschlüssig, was er davon halten sollte.

Sollte er sich schämen für seine Tränen, seine Blöße, sollte er wütend auf Dumbledore sein, weil dieser ihn überrascht hatte?  Snape war verärgert… und doch, von allen Menschen, die ihn hier oben hätten überraschen können, war Dumbledore ihm noch am liebsten.

Eine Weile noch blickte Severus auf die verschlossene Türe. Eine intuitive Gewissheit sagte ihm, dass der alte Zauberer das Gesehene nicht ausnutzen würde. Dumbledore hatte bis jetzt sein Schweigen gewahrt und das zu wissen, beruhigte Snape.

Neun Sommer und Winter ließen ihre heißen Sonnenstrahlen und kalten Schneeflocken auf die Zinnen des Schlosses fallen, in dem Severus Snape jahrelang weder etwas von Lord Voldemort noch von Harry Potter hörte.

Die Zeit veränderte ihn, Jahr für Jahr ein Stück. Bald war die zweite Chance, die Dumbledore Snape geboten hatte zu seinem Lebensweg geworden. Obwohl Severus nicht aus eigenem Entschluss heraus nach Hogwarts zurückgekehrt war, so hatte er doch den Faden, den Dumbledore ihm zuwarf, aufgenommen und begonnen, aus ihm seine Zukunft zu stricken.

Mit vielem in Hogwarts hatte Snape sich arrangieren müssen. Täglich Zaubertränke brauen zu dürfen, war zwar eine Tätigkeit, die ihm lag und die er mochte, doch das Lehrerdasein war für ihn alles andere als ein Vergnügen. Er würde sich niemals an die Jugendlichen gewöhnen können, die in der letzten Reihe schwätzten, anstatt auf die Tafel zu schauen, die gelangweilt in ihre Kessel starrten, anstatt den Zauber der brodelnden Essenzen und den Duft der Dunstwolken wahrzunehmen, die auf den Gängen hin- und her rannten, lachten und schrien, anstatt einfach Ruhe zu geben und ihm mit ihren Streitereien und anderen Ungezogenheiten, die er klären musste, seine wertvolle Freizeit raubten. Zu gerne hätte Severus Snape an seine Klassenzimmertüre ein Schild mit der Aufschrift „Eintritt für Schüler verboten“ aufgehängt und sich nur noch mit der Kunst des Zaubertrankbrauens beschäftigt. Doch leider arbeitete Severus Snape nun einmal an einer Schule und hatte seinen Verpflichtungen nachzukommen.

Natürlich wirkte sich seine Abneigung gegenüber den Eigenarten junger Menschen auf seine Unterrichtsmethoden aus. Bald schon galt Snape bei den Schülern Hogwarts als der strengste, gemeinste und ungerechteste Lehrer von allen. Charlie, Bill, Fred und George Weasley hatten ebenso unter ihm zu leiden wie Nymphadora Tonks. Alleine mit den Slytherins ging Snape etwas nachsichtiger um. Doch obwohl Severus mit seinem Beruf haderte, dachte er nicht im Traum daran, die Schule zu verlassen und sich damit aus Dumbledores Nähe zu entziehen.

Er hatte dem Schulleiter sein Wort gegeben und Hogwarts, einst eine letzte Zufluchtsstätte, war für Severus Snape mit der Zeit zu seinem wahren Zuhause geworden. Die fahle, von fettigem, schwarzem Haar umrahmte Miene des einstigen Neuankömmlings war bald schon ein wohlbekanntes Gesicht im Kollegium, das zu Hogwarts zu gehören schien wie die Kerker selbst. Und auch wenn kaum jemand große Sympathien für den mürrischen Einzelgänger aufbringen konnte, wussten seine Kollegen seine Leistungen als Tränkemeister zu schätzen.

Mit den meisten von ihnen hatte Severus Snape nach wie vor nicht viel zu tun. Vor allem scheute er sich davor, Trelewney über den Weg zu laufen, deren Stimme ihn unweigerlich an die Prophezeiung und an Lilys Tod erinnerte. Zum Glück schien die Lehrerin für Wahrsagen ein ebenso eigenbrötlerisches Leben zu führen wie er und war selten außerhalb ihres Turmzimmers anzutreffen. Mit Minerva McGonagall hingegen konnte sich Snape wunderbar streiten, er schätze sie als Kontrahentin und ihre kleinen Reibereien hatten bald schon eine gewisse Tradition. Doch der einzige Mensch, dem Severus Snape wirkliche Nähe gestatte, war Albus Dumbledore.

Severus hatte nicht vergessen, wer ihn ins Leben zurück geholt, ihn vor Askaban bewahrt und ihm sowohl eine neue Heimat wie eine neue Aufgabe gegeben hatte. Die Tatsache, dass Dumbledore ihm eine zweite Chance geboten hatte, in einer Zeit, in der Severus sich selbst nie hätte verzeihen können, dass er ihn aufgefangen hatte, als sein Leben einer Ruine geglichen hatte und dass er ihm einen Weg der Wiedergutmachung aufgezeigt hatte, machte Albus Dumbledore für Severus Snape zum wichtigsten Menschen in seinem Leben - zumindest unter jenen, die noch lebten.

Es waren diese Jahre zwischen dem Untergang und der Wiederkehr Voldemorts, in denen aus dem abtrünnigen Todesser wahrhaft Dumbledores Mann wurde. Eine Zeit der Reue und Umkehr, des Wechseln des Blickwinkels und der Änderung von Loyalitäten. Mit jedem weiteren Schritt, den Severus Snape neben Albus Dumbledore herging, begannen dessen Ziele mehr und mehr zu seinen eigenen zu werden.

Snape wandte sich nicht länger aus purer Verzweiflung an Dumbledore, die Konsequenzen seiner Geschichte, seiner Trauer, Liebe und Schuld, hatten ihn die Seiten entschieden wechseln lassen. Aus dem verzweifelten Einundzwanzigjährigen, der sich an die Macht des weisen Zauberers wie ein Ertrinkender an den letzten Strohhalm geklammert hatte, wurde so ein treuer Begleiter, dessen Loyalität Lily wegen einzig und alleine Dumbledore galt. Selbst als nach Jahren noch immer Nichts auf eine Rückkehr Voldemorts hindeutete und die sichtbaren Spuren seiner Trauer zu einem verborgenen, dunklen Fleck in seiner Seele verblichen waren, hielt Snape Dumbledore noch immer die Treue.

Und so wie Severus Snape sich in seinen Jahren als Hogwarts Zaubertrankmeister veränderte, veränderte sich auch das Verhältnis zwischen ihm und Dumbledore. Für eine Weile hatte Albus befürchtet, dass sein Schützling mit dem Finden neuer Lebenskraft seine Sachen packen und Hogwarts in einer Nacht- und Nebelaktion ohne eine Spur verlassen könnte. Nicht ohne Grund führte er ihn daher all die Jahre mit festen Zügeln. Doch je länger Severus Snape ihm sichtbare Treue hielt, umso mehr wuchs auch Dumbledores Zuversicht, sich nicht in ihm getäuscht zu haben, seiner Menschenkenntnis nachwievor trauen zu können.

Allmählich begann Albus seinen Umgang mit dem jungen Mann zu ändern, der einst so verzweifelt in seinem Zimmer gesessen hatte und nun aufrecht vor ihm stand. Nicht länger beschränkte er sich darauf, seine schützende Hand über Severus Snape zu halten, wie ein Vater, der ein weinendes Kind tröstete. Er begann seinen Schützling nach und nach in einem neuen Licht zu sehen: Als ein treuer Weggefährte und sachkundiger Kollege zugleich.

Snape bekam die Änderung der Qualität ihrer Beziehung deutlich zu spüren. Immer häufiger suchte der Schulleiter seinen Zaubertrankmeister auf, nicht nur um ihm Ratschläge zu erteilen, sondern auch, um sich selbst Rat bei ihm zu holen. Wann immer Albus Dumbledore in einer Sache nicht weiterwusste, die Severus‘ Fachgebiet betraf, fragte er Snape um Hilfe. Auch in Sachen schwarzer Magie wurde Snape hin und wieder zu Dumbledores Berater der Wahl. Umso mehr wunderte es Severus, dass der Schulleiter ihm nach wie vor die Stelle des Lehrers für Verteidigung gegen die dunklen Künste verwehrte.

„Glauben Sie etwa immer noch, dass ich die Schüler auf falsche Bahnen lenken würde, Dumbledore? Voldemort ist nicht mehr da. Seine Anhänger haben sich in alle Welt verteilt. Karkaroff unterrichtet in Durmstrang schwarze Magie. Wenn dies mein Wunsch wäre, könnte ich mich auch dort als Lehrer bewerben“, sprach Snape den Direktor bei einem ruhigen Spaziergang um den See auf seine Ablehnung an.
Es war ein Sommernachmittag und die Sonne brannte grell auf die spiegelglatte Wasseroberfläche herab. Jahre waren vergangen, seitdem er das erste Mal als Lehrer diesen Weg beschritten hatte.
„In Durmstrang wird es schwierig sein, Lily Evans Sohn zu schützen. Ich dachte, ich hätte ihr Wort, Severus?“, antwortete Albus ernst und blinzelte im Sonnenlicht.
„Gewiss. Und ich habe nicht vor, es zu brechen. Ich frage mich nur, warum Sie mir noch immer misstrauen“
Dumbledore  seufzte nur leise. „Haben Sie sich eigentlich nie gewundert, Severus, warum in all den Jahren, seitdem Sie hier sind, kein einziger Kollege dieses Fach länger als ein Jahr unterrichte?“
Zwei schwarze Augen blickten Albus fragend an. „Nun, man hört gewisse Gerüchte im Kollegium und unter der Schülerschaft“, antwortete Snape vorsichtig.
„Gerüchte, so“, sagte Dumbledore geheimnisvoll, „Nun, in so manchem Gerücht scheint mir wohl doch ein Funke Wahrheit zu stecken.“
Snape schwieg. Einige Sekunden vergingen, in denen eine Ente über das Gras watschelte und sich ins Wasser gleiten ließ.
„Sie meinen doch nicht etwas, dass…?“, fragte Severus leise.
Dumbledore wandte ihm sein Gesicht zu, seine Augen blitzten hinter der Halbmondbrille.
„Nun“, unterbrach ihn der Direktor, „Ich denke, die Antwort auf diese Frage wissen Sie bereits.“
Dumbledore lächelte und schritt voran. Snape folgte ihm mit einem verblüfften Blick.
Und ohne ein weiteres Wort von Belang kehrten beide in den angenehmen Schatten der Schlossmauern zurück.

Es waren Momente wie diese, die das Zeichen der Veränderung trugen. Dumbledore begann Severus Snape in Dinge einzubeziehen, aus denen er ihn zuvor herausgehalten hatte. Gewiss sollte ihr Verhältnis niemals so nah und so gleichgestellt sein wie das zweier privater Freunde. Noch war Albus Dumbledore Severus Snapes Vorgesetzter. Dumbledore hatte viele Geheimnisse, die er seinem Schützling und Verbündeten zeitlebens nicht anvertraute, obgleich er umgekehrt in Severus‘ Seele nur allzu oft las wie in einem offenen Buch.

Ihre Beziehung war gewiss nie die einfachste. Unterschiedliche Ansichten und Missverständnisse führten nicht selten zu Konflikten. Dennoch hielt Severus Dumbledore die Treue und vertraute ihm. Und dies war wohl der Grund, warum Snape ein Privileg erhielt, das nur wenigen Menschen zuteilwurde: Er gehörte bald zum Kreis der engsten Vertrauten Dumbledores. Und als das Jahr näher rückte, in dem Harry Potter nach Hogwarts kommen sollte, da waren er und Minerva McGonagall beide wie Dumbledores rechte und linke Hand.

„Severus!“

Der Ruf des Namens klang durch die leeren, sonnenbeschienen Flure Hogwarts, hallte an den Wänden wider und drang als Echo in sein Ohr. Snape drehte sich um und sah Minerva McGonagall schnellen Schrittes auf sich zukommen.

„Gut, dass ich Sie noch rechtzeitig treffe. Dumbledore hat eine Konferenz einberufen, Rubeus Hagrid ist bereits im Lehrerzimmer“
„Eine Konferenz? mit Hagrid?!? wozu?“, fragte Snape verwundert.
„Darüber kann ich Ihnen hier auf dem Flur nicht mehr erzählen. Nun kommen Sie schon. Wir sollten den Direktor nicht warten lassen“

Missmutig folgte der Zaubertrankmeister der stellvertretenden Schulleiterin zum Lehrerzimmer. Madame Sprout und Professor Flitwick schlossen sich Ihnen auf halbem Wege an. Das Morgenlicht stach Severus unangenehm in die Augen, als er der weißbärtigen Gestalt lauschte, die sich vor dem Holztisch aufgebaut hatte.

„Minerva, Pomona, Filius, Hagrid, Severus“, begann Albus unter den aufmerksamen Blicken seiner Zuhörer zu sprechen, „Ich habe euch alle zu dieser Konferenz einberufen, da ich in einer persönlichen Angelegenheit von größter Wichtigkeit eure Hilfe brauche“.
In den Gesichtern links und rechts von sich konnte Severus Neugierde lesen.
„In einem Hochsicherheitsverlies in Gringotts“, setzte Dumbledore fort, „verwahre ich seit geraumer Zeit für einen alten Freund ein sehr wertvolles alchemistisches Artefakt: den Stein der Weisen. Ich gehe davon aus, dass euch allen die Bedeutung dieses Gegenstands bekannt ist.“
Ein stummes Nicken ging durch die Bank.
„Jedenfalls habe ich Grund zur Annahme, dass der Stein bei Gringotts nicht mehr sicher ist. Es gab in der letzten Zeit einige sonderbare Vorkommnisse rund um das Verlies, die darauf schließen lassen, dass jemand sehr großes Interesse an dem Stein hegt.“
Die Anwesenden tauschten kurz verwunderte Blicke aus. Ein Flüstern und Murmeln ging durch die Reihe. Nur Minerva schien von dieser Neuigkeit wenig berührt.
„Sie meinen, jemand versucht, den Stein zu stehlen, Direktor?“, fragte Flitwick verwundert in das Gemurmel hinein.
Dumbledore hob die Hand, um der Runde Ruhe zu gebieten.
„Ja Filius, das ist meine Befürchtung“, antwortete er ruhig, als die Reihe verstummte. „Ich habe daher beschlossen den Stein der Weisen nach Hogwarts bringen zu lassen. Es scheint mir fast sicherer, ihn hier zu verwahren als in Gringotts. Doch das geht nicht ohne eure Hilfe. Ich brauche von jedem von euch den besten Zauber, um den Stein zu schützen. Nur gemeinsam können wir verhindern, dass er in falsche Hände gerät. Natürlich darf das, was wir soeben besprochen haben, niemals diesen Raum verlassen. Ich denke, ich kann auf euch zählen?“
Die Reihe nickte stumm.
Dumbledore lächelte. „Vielen Dank! Das war es auch schon. Alles Weitere dann in einer Woche“

Stühle rückten, Füße schritten über den Boden und Madame Sprout und Filius Flitwick hatten den Raum verlassen.
Snape wollte ihnen folgen, doch eine Stimme rief ihn zurück.

„Minerva, Hagrid, Severus. Würdet ihr bitte noch einen Moment bleiben. Ich habe noch ein paar Dinge allein mit euch zu besprechen.“
Die drei wandten sich um.
„Es geht um Harry Potter“, begann Dumbledore ohne Umschweife zu erklären.
Severus fühlte einen Stich in seiner Brust. Er hatte verdrängt, dass der Sohn seines Erzfeindes in weniger als eineinhalb Monaten Schüler in Hogwarts sein würde.
„Hast du den Jungen inzwischen erreicht, Minerva?“, fragte Dumbledore.
Die Hexe mit dem strengen Zopf kniff die Augen zusammen „Leider nein. Die Dursleys scheinen alle Briefe abzufangen. Albus, ich habe dir schon damals gesagt, dass diese Leute kein Ort für den Jungen sind.“
„Ja, ja, ich weiß“, sprach Dumbledore beschwichtigend auf sie ein, „dann werden wir wohl noch mehr Eulen schicken müssen. Nun sieh mich nicht so an, Minerva. Irgendwann wird Harry seinen Brief schon noch erhalten. Hagrid?“
„Ja, Professor Dumbledore, Sir?“
„Da Petunia und Vernon Dursley ihn wahrscheinlich nicht begleiten werden wollen, möchte ich, dass du mit Harry seine Schulsachen kaufen gehst, wenn es soweit ist. Außerdem erwarte ich, dass du den Stein der Weisen sicher von Gringotts nach Hogwarts bringst.“
Der Schulleiter blickte zu Hagrid hinüber, dessen Gesicht vor Stolz strahlte.
„Wird gemacht, Professor Dumbledore, Sir. Sie können sich ganz auf mich verlassen.“
„Gut, Hagrid, dann sehen wir uns wohl beim Mittagessen wieder“.
Zufrieden lächelnd schaute Dumbledore dem riesigen Mann hinterher, der durch die Türe trat. Minerva jedoch blickte skeptisch drein.
„Und du denkst wirklich, dass jemand bei Gringotts einbrechen und den Stein stehlen möchte, Albus? Dass das alles nicht nur merkwürdige Zufälle waren?“, fragte sie ungläubig.
„Wie ich aus einer sicheren Quelle erfuhr, erlitt einer der Kobolde einen kurzzeitigen Gedächtnisverlust, der die typischen Folgen eines falsch angewandten Imperius-Fluches aufwies. Am gleichen Tag erkundigte sich wohl jemand über Hochsicherheitsverließe in Gringotts und wie viele davon belegt seien. Leider sieht es ganz danach aus, Minerva. Auch wenn ich wünschte, ich könnte anderes behaupten.“
„Aber wer, Albus, wer könnte hinter dem Stein her sein?“ Nun klang McGongalls Stimme besorgt.
Dumbledore schien für einen Moment nachzudenken. „Ich habe einen gewissen Verdacht“, fuhr er schließlich fort, „Aber das werden wir heute wohl nicht mehr klären- Fürs Erste ist es wichtig, dass der Stein in Sicherheit ist… Und der Junge endlich seinen Brief erhält. Ich denke, du wirst heute wohl noch mehr davon schreiben müssen, Minerva“
„Es lässt sich ja wohl nicht vermeiden - bei dieser Familie“, seufzte Professor McGonagall und verabschiedete sich.
„Viel Erfolg“, rief ihr Dumbledore lachend hinterher.

Severus Snape hatte die ganze Zeit stumm zugehört. Harry Potters Briefe und Schulsachen kümmerten ihn herzlich wenig. Und die Fragen, die er sich selbst stellte, hatte Professor McGonagall bereits ausgesprochen. Warum ihn Dumbledore zurückgehalten hatte, war Snape schleierhaft. Er trat einen Schritt vor, um Minerva zu folgen, doch der alte Mann in der blauen Robe rief ihn erneut zurück.

„Nicht Sie, Severus. Mit Ihnen habe ich noch ein paar besondere Worte zu wechseln. Setzen Sie sich.“
Dumbledores Tonfall klang ernst und geheimnisvoll zugleich. Verwundert setzte sich Snape  zurück an seinen Platz und beobachtete Dumbledore dabei, wie er wartend Minerva hinterher schaute, bis sie außer Hörreichweite war. Dann schloss Albus die Türe.
„Nun, was denken Sie über das, was Sie gerade gehört haben, Severus?“, fragte er in die Stille hinein und ließ sich auf einem Stuhl nieder.
Snape überlegte für einen Moment, bis ihm plötzlich klar wurde, worauf Dumbledore hinaus wollte.
„Sie denken doch nicht etwa, dass der Dunkle Lord…?“, fragte er überrascht.
Für eine ganze Weile antwortete Albus nicht, doch sein Mimenspiel verriet Bestätigung.
„Voldemort ist noch immer irgendwo da draußen, Severus. Er mag geschwächt sein, doch er lebt und sucht danach, seine alte Kraft wiederzufinden. Das Elexier des Lebens dürfte eine große Verführung für ihn darstellen“
„Es gibt viele Menschen, die dies bezweifeln“, antwortete Snape kühl, „bezweifeln, dass der Dunkle Lord noch lebt.“
„Und denken Sie das auch, Severus?“, fragte Dumbledore mit einer Spur Enttäuschung in der Stimme.
Snape machte eine Gedankenpause.
„Ich weiß nicht. Es gibt viele Wege, zwischen Tod und Leben zu stehen, gerade in der dunklen Magie“.
Albus lächelte wissend.
„Es freut mich zu sehen, dass wir uns verstehen, Severus.“
„Wir haben seit Jahren nichts von ihm gehört, Dumbledore“, noch immer skeptisch hielt er Dumbledores dunklen Blick, „Wieso sollte er ausgerechnet jetzt zurückkehren?“
„Nun, dabei mögen sicher Glück und Zufall eine Rolle spielen“, antwortete Dumbledore, „Ich vermute, Voldemort hat die Unterstützung eines Dieners gefunden. In seiner Lage wäre er nicht fähig, alleine in Gringotts aufzutauchen. Doch wie Sie wissen, sind noch viele seiner Anhänger auf freiem Fuß. Und einer davon ist wohl versucht, ihm zu helfen, in den Besitz des Steins zu gelangen.“
Für einen Moment herrschte Stille im Lehrerzimmer. Im Licht, das durch die Schlossfenster brach, wirbelte alter Staub auf und sank in feinen Körnchen langsam zurück auf den Boden.
„Das heißt…“, begann Snape zu sprechen und er spürte wie seine Stimme vibrierte, „Das heißt, es beginnt… jetzt?“
Dumbledore schien für eine unendlich lange Zeit zu schweigen.
„Ja, so sieht es wohl aus, Severus“, antwortete er schließlich leise, „Schon merkwürdig welche Streiche uns das Schicksal spielt. Gerade in Harry Potters erstem Jahr. Wir müssen wachsam sein. Voldemort wird den Stein sicher in Hogwarts vermuten, wenn er ihn in Gringotts nicht findet. Doch wenn wir seinen Diener rechtzeitig aufhalten, können wir vielleicht verhindern, dass er sein Ziel erreicht. Jeder, der neu an der Schule ist, der sich ihr nähert oder zu Besuch hier ist, könnte verdächtig sein. Sie werden mir doch helfen, Severus, oder?“

Snape hatte plötzlich das Gefühl, als wäre irgendwo eine lang verschlossene Kiste voller Fledermäuse und Spinnen aufgesprungen. Als hätte jemand ein uraltes Buch mit geheimen, schwarzen Flüchen aufgeschlagen. Als sei ein Raubtier ihm auf leisen Sohlen durch die Jahre gefolgt, nur um ihm in diesem Moment in den Rücken zu fallen.

Ein ganzes Jahrzehnt hatte er in Hogwarts gelebt und nahezu vergessen, welches Versprechen er Dumbledore – und mit ihm auch Lily - gegeben hatte. Vergessen, dass sein alter Meister vielleicht nur auf seine Rückkehr wartete. Vergessen, dass sein Leben in Hogwarts nicht mehr als ein Turmuhr war, die die Stunden bis zu einem unbestimmten Zeitpunkt des Erwachens zählte.

Snape blickte sich um. Das Lehrerzimmer sah genau aus, wie an seinem ersten Tag in Hogwarts, nur die Falten um Dumbledores Augen erschienen ein klein wenig tiefer als damals.

Ein kurzes Zittern durchfuhr Severus Snape, dann nickte er stumm und folgte Minerva tatsächlich durch die Türe.

Irgendwo in der Ferne schlug eine Glocke…

„Sind Sie nicht auch neugierig darauf, Lilys Sohn endlich kennenzulernen?“, fragte Albus Dumbledore den Mann im nachtschwarzen Cape neben sich, während Sie beide in den mit Puderwolken übersäten Sommerhimmel hinauf blickten.

Links und rechts neben ihnen wurden Tische geschoben, Banner gehisst, Kerzen begannen zur Decke zu schweben. Bei dem Lärm, der die Große Halle erfüllte, fiel Severus‘ Schweigen kaum auf. Es wäre auch zu überhören gewesen, hätte er irgendetwas auf Dumbledores Frage geantwortet. Doch Snape zog es vor, kein Wort über diesen Jungen zu verlieren. Harry Potter. Er war schon eine Berühmtheit gewesen, ehe er sprechen konnte. Und diese Tatsache stimmte Snape nicht unbedingt glücklicher. Der Junge, der überlebt hatte – wie sehr erinnerte Severus dieser Spitzname daran, wer in dieser Nacht nicht überlebt hatte. Der Gedanke daran, an diesem Abend der Erinnerung an Lilys Tod leibhaftig ins Auge blicken zu müssen, erfüllte Severus Snape mit einer tiefen Beklommenheit. Zehn Jahre lang konnte er vergessen, verdrängen, sich unter Dumbledores Obhut einreden, ein halbwegs normales Leben zu führen. Es war vorbei. Seit Tagen schon hatte Severus Snape eine noch schlechtere Laune als sonst. Er wusste nicht, was er an Harry Potter mehr verabscheute. Die Tatsache, dass Lily für ihn gestorben war oder die Tatsache, dass er Severus daran erinnerte, wer Voldemort die Prophezeiung überbracht hatte.

Albus Dumbledore hatte seinen Blick inzwischen vom Sommerhimmel abgewandt und auf Snape gerichtet. Die alten Augen schienen den Tränkemeister regelrecht zu durchdringen, als er über diese Dinge nachdachte.
„Verzeihung, Direktor. Ich muss noch etwas für Slytherin erledigen“, sprach Snape harsch und konnte seine schlechte Laune kaum verbergen. Ohne ein weiteres Wort stapfte er aus der Großen Halle. Professor McGonagall, die gerade auf Dumbledore zuhielt, warf ihm einen verblüfften Blick hinterher.
„Was ist denn mit nun schon wieder mit Severus los?“, fragte sie kopfschüttelnd.
„Oh, ich glaube, bei den Muggeln nennt man das Lampenfieber“, antwortete Dumbledore geheimnisvoll lächelnd und ließ Minerva stirnrunzelnd in der Hallenmitte zurück.

Insgeheim wusste Albus besser über Snapes Gefühlslage Bescheid, als es Severus vielleicht lieb gewesen wäre. Nach all den Jahren kannte der Schulleiter seinen Zaubertrankmeister gut genug, um ihn zu durchschauen. So kalt Snapes Fassade oft auch erschien, so sehr brodelte es doch dahinter. Dumbledore mochte sich nicht vorstellen, wie er sich fühlen würde, wenn er heute Abend Ariana wiedersehen und seiner Schuld ins Auge blicken müsste. Gewiss würde es ihm ähnlich wie Severus ergehen und doch ein wenig anders. Severus Snape war ein sehr schwieriger Mensch. Oft verhielt er sich wie jemand, der mehr Leid erlebt hatte, als er vertragen konnte. Und Albus Dumbledore war daran vielleicht nicht ganz unschuldig, denn er hatte sehenden Auges geduldet, wie James Potter und seine Freunde mit dem sonderbaren Einzelgänger umgegangen waren, auch wenn erst viele Jahre später das ganze Ausmaß erfahren sollte . Severus ließ seitdem niemanden leichtfertig hinter den Schleier schauen. Selbst Dumbledore gegenüber sprach er selten offen aus, was wirklich in ihm vorging. Es waren die stummen Zeichen – das Schweigen, das Wegsehen, die mürrischen Worte – aus denen Albus seine Schlüsse zog. Inständig hoffte er, dass Severus den Jungen in sein Herz schließen würde. Eine Zuneigung, die beiden gut täte…

Die Kuppel hatte sich längst in tiefes nachtschwarz gehüllt, als Severus Snape den Schulleiter am Lehrertisch ins Gespräch mit Argus Filch vertieft entdeckte. Hunderte von Kerzen schwebten über die vier langen, leeren Tischreihen hinweg und tauchten die bleichen, durchsichtigen Körper der Hausgespenster in goldenen Schimmer. Von Professor Quirrell, dem neuen Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste, war noch nichts zu sehen. Snape war dies ganz recht. Seitdem sich Dumbledores Befürchtung mit dem Einbruch in Gringotts bewahrheitet hatte, war jeder Neuling in Hogwarts verdächtig. In einer Viertelstunde würden die ersten Schüler die Halle betreten und wenig später würde James Potters Sohn einem der vier Häuser zugeteilt werden. Snapes Magen rumorte. Er hoffte nur, dass der Junge nicht nach Slytherin kommen würde.

Schnell passierte Severus die Halle, direkt auf Dumbledore zuhaltend. Der Mann mit dem langen, weißen Haar, wandte sich zu ihm um, noch ehe er den Quertisch erreicht hatte.
„Ah, Severus!“, begrüßte ihn Albus lächelnd und blickte in das fahle, missvergnügte Gesicht, das noch ein wenig blasser erschien als gewöhnlich, „Schön, Sie zu sehen!“.
„Guten Abend, Direktor“, antwortete Snape förmlich vor den Augen Filchs, der sich nun mit Mrs. Norris abwandte und zu seinem Platz schritt.
„Sie sehen aus, als würden Sie etwas mit mir besprechen wollen“, bemerkte Albus.
„Ich fragte mich nur, wie die Vorbereitungen zum Schutz des Steins stehen“, antwortete Snape.
Sein Tonfall klang belanglos, doch seine schwarzen Augen blickten tief in die hellblauen Dumbledores.
„Ah, darum geht es Ihnen, Severus“, antwortete Albus ruhig, Snapes Blick haltend, „Nun, eines von Hagrids Tieren bewacht den Zugang. Bis Weihnachten sollten alle Zauber stehen. Professor Quirrell sicherte mir seinen Beitrag zu. Ich habe ihn unter vier Augen gesprochen. Er wird heute Abend“, Dumbledore senkte die Stimme, „den Platz neben Ihnen einnehmen“.
Snape hatte verstanden. Und Albus ebenso. Lächelnd verabschiedete er Severus, nicht ohne ihn zu empfehlen, einen Schluck von dem herrlichen Met zu probieren, der bereits vor Eröffnung des eigentlichen Abendessens auf dem Lehrertisch bereitstand.

Wenig später öffneten sich die Pforten, um eine Reihe von Erstklässlern, angeführt von Minerva McGonagall mit dem sprechenden Hut, in die Große Halle zu lassen. Severus Snape brauchte nicht lange, um Harry Potter zu erkennen. Der erste Blick auf den Jungen traf ihn mit kaltem Erschauern. Nicht die blitzförmige Narbe war es, an der Severus Snape ihn sofort erkannte. Es waren sein Gesicht und seine Augen. Die grünen Augen, in die Snape seit über zehn Jahren nicht mehr geschaut hatte. Lilys Augen - in einem Gesicht, das James Potter gehörte!

Der Moment raubte Severus den Atem. In diesen Augen blickte ihn seine Schuld an, in diesem Gesicht grinste sein Erzfeind zurück. In beiden lag die Erkenntnis, wen Lily geliebt hatte und die Narbe erklärte, wofür sie gestorben war. Snape spürte plötzlich kein Entsetzen mehr. Er spürte nur noch Hass - Hass auf sich, Hass auf James, Hass auf Voldemort. Hass, der sich in einem Wort vereinte: Harry Potter

Knapp zwei Monate waren vergangen, seitdem das neue Schuljahr begonnen hatte. Der Herbstwind riss brausend einen Reigen bunter Blätter von den Bäumen und fegte sie mit voller Wucht gegen die Schlossfenster, hinter denen Severus Snape vor Dumbledores Schreibtisch wütend auf und ab schritt.

Der Junge, der überlebt hatte, war seinem Zaubertranklehrer innerhalb kürzester Zeit zu einem echten Dorn im Auge geworden. Zu viele schlechte Erinnerungen gingen für Severus mit diesem Kind einher, das seinem Vater in jeder Hinsicht glich – zumindest in Snapes Augen. Er wurde nicht müde, sich über Harry Potter auszulassen – seine angebliche Arroganz, seine angebliche Ruhmsucht, seine schlechten Leistungen im Unterricht.

Albus Dumbledore beachtete Snapes zornige Tiraden auf den Jungen kaum. Gemütlich saß er in seinem Lehnstuhl und las in Verwandlung Heute, ohne auch nur einmal zum Tränkemeister aufzublicken. Die Gelassenheit seines Alters ließ ihn wissen, dass sich jeder Sturm irgendwann wieder legen würde, wenn er die Möglichkeit hatte, sich auszutoben. So auch Severus Snapes Zornausbruch. Er und Harry Potter hatten keinen guten Anfang miteinander gefunden. Vielleicht hatte Dumbledore zu große Hoffnungen gehegt. Severus‘ Hass auf James schien tiefer zu sein, als er geglaubt hatte, obgleich Albus noch aus Snapes eigener Schülerzeit wusste, dass die beiden nie Freunde waren. Vielleicht war es noch zu früh, um die Spuren der Schuld und des Grolls zu verwehen.

Doch so unglücklich die Geschichte zwischen Harry Potter und Severus Snape auch begonnen hatte - sich von einer spannenden Lektüre ablenken zu lassen, war die Sache nicht wert. Nur wenige, beschwichtigende Worte verließen Dumbledores Lippen. Viel mehr konnte er im Moment ohnehin nicht tun.

Severus hingegen fühlte sich bald so, als würde er Selbstgespräche führen. Für einen Augenblick lang spielte er mit dem Gedanken, Albus diese blöde Zeitschrift aus den Händen zu reißen, ihn zu zwingen, ihm ins Gesicht zu sehen, während er seinem Ärger Luft machte. Warum musste der Schulleiter ihn mit solcher Ignoranz strafen? Hätte Snape nicht ab und an Dumbledores Stimme gehört, er hätte glauben können, alleine im Raum zu sein. Dass Albus nicht auf ihn reagierte, ihm nicht zustimme, ja noch nicht mal ansatzweise seinen Kopf hob, ließ Severus Laune nicht unbedingt steigen.

Und doch war er weit weniger erbost, als er hätte sein können. Ein Ohr, das ihm zuhörte, war noch immer besser als Säcke mit Giftschlangenzähnen, eingelegte Krötenaugen und Flaschen voller Bubotubler-Eiter anzuschreien. Und wenige, weise Worte aus dem Mund eines alten Mannes in seiner Rage verträglicher als eine Stimme, die im gleichen Maße zurückgiftete. Etwas Neues war Albus Dumbledores Verhalten für Severus Snape auch nicht. In all den Jahren, in denen er bereits in Hogwarts lebte, seit seiner Kindheit, hatte er Albus Dumbledore so gut wie nie aus der Haut fahren sehen. Kein anderer Mensch ließ sich so schwer provozieren wie er. Gewiss konnte der weise Zauberer sehr ernst und streng werden, wenn er einen Schüler oder Lehrer zurechtwies. Doch wo Minerva McGonagall schon manches Mal aufbrausend wurde, schien Albus Dumbledore stets in sich zu ruhen. Er hatte die erstaunliche Fähigkeit, eine Aura der Macht auszustrahlen, der sich kaum jemand entziehen konnte. Und jedes seiner Worte war gewählt. Oft kam Severus der alte Mann wie eine starke, feste Wand in wogenden Zauberroben vor. Man konnte Steine gegen sie werfen – sie prallten daran ab. Man konnte sich Hände und Füße an ihr blutig schlagen – sie stand noch immer. Und wenn am Ende erschöpft vor ihr zu Boden sank, glaubend, dass nun ein Hagel aus Steinen auf einen niederregnen würde, spürte man noch immer nichts anderes, als das kühle, aufrechte, starke Mauerwerk im Rücken.

Dumbledores Gelassenheit konnte Snape manchmal zur Weißglut treiben. Mehr als einmal hatte er sich gewünscht, diese Mauer endlich zum Einsturz zum bringen. Zauber abzuschießen, auf die kein Gegenfeuer folgte, war ein unfairer Kampf. Und doch - die weisen Worte, die Snapes Tiraden folgten, die stummen Augen, die seinem zornfunkelnden Blick standhielten und das immerwährende Lächeln, das selbst seine Ausbrüche überlebte, waren etwas, das Severus im tiefsten Innern suchte, brauchte, ersehnte. Ohne sich dessen ganz bewusst zu sein, war Dumbledore für Snape wie ein ruhender Pol, dessen Gelassenheit auch auf ihn hinüberströme, die Wogen seines eigenen Zorns immer zu glätten wusste. Sicher war es kein Zufall, dass Albus Dumbledore neben dem Blutigen Baron der Einzige war, der Peeves unter Kontrolle hatte. Und ebenso wenig war es ein Zufall, dass Snape gerade das kreisrunde Zimmer gewählt hatte, um seiner Wut auf Harry Potter Worte zu verleihen.

„Behalten Sie Quirrell im Auge, ja?“, drang die dunkle Stimme Dumbledores an Snapes Ohr, der endlich wieder bereit war, zuzuhören.

Ohne ein Wort zu sagen blickte Severus auf den Lesenden herab. Es war keine Frage, es war ein Befehl. Natürlich würde er den Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste beobachten. Hatte er das bisher nicht auch schon getan? Snape fühlte, wie sich um sein Herz etwas zusammenzog. Er hasste seine Aufgabe schon jetzt. Doch so grässlich dieser Potterjunge auch sein mochte – Severus war entschlossen, alles zu tun, was getan werden musste, um ihn zu schützen – das einzige Erbe, das Lily hinterlassen hatte.

Verzögert blickte Dumbledore auf. Snape nickte kurz und ging zur Türe.

Albus Blicke blieben in der Luft stehen. Er bezweifelte, dass Severus verstanden hatte, was er ihm zu sagen versucht hatte - dass sein Blick auf den Jungen getrübt und falsch war. Ob die Zeit wohl etwas bewirken konnte? Ein plötzlich einsetzender Regenschauer trommelte heftig gegen die Schlossfenster. Zahllose Tropfen rannen die Scheiben hinab, zielstrebig und schnell der Kante entgegen, als wollten sie etwas für immer hinfort schwemmen.

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Kursiv Geschriebenes ist Originaltext: J.K. Rowling, Harry Potter und die Heiligtümer des Todes, S.687

„Minerva McGonagall und Madame Sprout haben, wie ich heute Morgen hörte, die Mannschaften über Ihre Schiedsrichterschaft unterrichtet. Damit ist es amtlich, Severus“, sprach Dumbledore laut, versuchend das Quietschen und Knarren unter seinen Füßen zu übertönen.
Snape antwortete nicht, sondern nickte nur stumm, den Blick auf die Treppe gesenkt, deren letzte Stufe ins Nichts führte. Mit einem Krachen rastete sie Sekunden später vor der Galerie im fünften Stockwerk ein. Schnellen Schrittes folgte Snape der nachtblauen Robe, die zielstrebig durch die Gänge hinwegfloh.
„Ich muss gestehen, Severus, dass mich Ihre Bitte um die Schiedsrichterschaft doch ein wenig erstaunt hat. Wie Sie wissen werde ich beim Turnier ebenfalls anwesend sein. Quirrell müsste sehr dumm sein, unter diesen Bedingungen zu versuchen, dem Jungen abermals etwas anzutun.“
„Ich traue ihm nicht, Dumbledore. Wenn er eine Möglichkeit findet, Harry Potter vom Besen zu stoßen, wird er es sicher versuchen. Seine Dummheit jedenfalls ist nicht zu unterschätzen.“
„Natürlich“, antwortete Albus leise, „Vier Augen sehen sicher mehr als zwei, besonders als zwei, die so alt sind wie meine.“

Dumbledore lachte, doch Snape war der zweifelnde Unterton in seiner Stimme nicht entgangen.
„Trauen Sie mir etwa nicht, Direktor?“, sprach er ruhig, „Ich versuche nur meine Pflicht zu erfüllen, wie wir es vor elf Jahren vereinbart haben.“
„Oh nein, Severus“, antwortete der Schulleiter ernst, „ICH vertraue ihnen und bin froh, dass Sie unseren Vertrag ernst nehmen. Aber…“, er legte eine Denkpause ein, „Sie sollten wissen, was hinter ihrem Rücken erzählt wird. Es geht das Gerücht umher, Sie hätten diese Aufgabe nur übernommen, um Gryffindor ein schweres Spiel zu bereiten“. Snape lächelte böse.
„kein schlechter Gedanke“, flüsterte er zynisch, so leise, dass Albus ihn nicht hören konnte.

„Wie viel Wahrheit auch immer darin stecken mag“, fuhr Dumbledore fort und warf Severus einen wissenden, ermahnenden Blick zu,
„Sie sollten diese Gerüchte nicht auf die leichte Schulter nehmen. Das Misstrauen der Kollegen könnte Ihnen noch einmal schwer zu stehen kommen. Sie würden es sich selbst wesentlich leichter machen, wenn sie zulassen würden, dass man weiß, was Sie für den Jungen tun.“
Snape blieb wie angewurzelt im Gang stehen. Er warf dem Schulleiter einen ernsten, fast erschrockenen Blick zu. „Sie haben versprochen…“, zischte er leise.
Dumbledore wandte sich zu ihm um. „Ich pflege mich an mein Wort zu halten, Severus“, erwiderte er flüsternd. „Allein glaube ich, dass Sie Ihre Entscheidung noch einmal überdenken sollten – zu Ihrem eigenen Besten.“
Aus der Ferne drang plötzlich Gekicher und das Geräusch von Schritten auf den Dielen zu ihnen heran. Eine Gruppe von Schülern kam zügig auf den Schulleiter und den Zaubertranklehrer zu.
„Ich denke, wir sehen uns dann heute Abend, Severus?“, sprach Dumbledore leise, als die Jugendlichen an ihnen vorbeizogen. Mit einem strengen, fast entrüsteten Blick und einem stummen Nicken drehte sich Snape um und lief mit wehendem Umhang den Flur hinab. Dumbledore warf ihm einen ernsten Blick hinterher. Warum musste der Junge es sich auch so schwer machen? Mit einem Seufzen zog er langsam an den Bogenfenstern vorbei, hinter denen Schneewolken die Schlossgründe in eine Landschaft aus Zuckerguss verwandelten.

Es waren die gleichen Fenster, nur in einem anderen Raum, durch die ein halbes Jahr später warmes Sonnenlicht auf weiße Bettlaken schien. Das helle Krankenstationszimmer war mit einer angenehmen Ruhe erfüllt und Kissen und Decken glänzten im Sonnenlicht. Auf dem Tisch neben einem der Betten stapelten sich Schokofrösche, Bertie Botts Bohnen jeder Geschmacksrichtung und viele weitere Geschenke kleiner und großer Bewunderer eines neuen Helden. Nur ein Toilettensitz fehlte.

Albus hatte sich auf die Matratze gesetzt und blickte freundlich auf das Gesicht eines elfjährigen Jungen hinab, aus dem zwei grüne Augen neugierig zurückschauten. So viele Fragen hatte Harry Potter, die Dumbledore nicht, noch nicht, beantworten konnte. Die Zeit war zu früh, Harry Potter zu jung, um die Wahrheit zu wissen. Die Wahrheit über die Prophezeiung und was Voldemort aus ihr geschlossen hatte. Doch nicht nur Harrys brennende Neugierde darauf, zu erfahren, warum Voldemort es auf ihn abgesehen hatte, bereitete Albus Kopfzerbrechen.

„Quirrell sagte, dass Snape-“ sprach der Junge und begann zu berichten, wovon Voldemorts Diener ihm erzählt hatte: dass zwischen Severus Snape und James Potter eine alte Feindschaft bestand.

Albus spürte sein Herz noch ein Stückchen tiefer sinken. Der Moment, den er über ein Jahrzehnt lang vorausgesehen hatte, war gekommen. Der Moment, in dem Snapes Schweigen zu einem Problem werden würde.

Dumbledore blickte gedankenverloren auf den Jungen herab. Wie gerne hätte er ihm erzählt, dass sein Zaubertranklehrer seinen Vater zwar gehasst, doch seine Mutter tief und aufrichtig geliebt hat und er deshalb bemüht sei, sein Leben zu retten - um ihr Andenken zu wahren. Doch Dumbledores Versprechen verpflichtete ihn zum Stillschweigen. Nur die schlimme Hälfte der Wahrheit konnte er dem Jungen erzählen, dass James und Severus einander verabscheuten. Der Rest war eine Ausrede, eine Lüge.
„Merkwürdig, wie es in den Köpfen der Menschen zugeht“ sprach Albus leise, auch wenn der Junge seine Verwunderung freilich anders aufnehmen würde, als sie gemeint war.

Severus Snape schien so oft gerade nach den Dingen greifen, die ihm mehr schadeten als nutzen. Der Schleier der Dunkelheit, den Albus manchmal in seinen Augen zu sehen glaubte, stimme ihn nachdenklich. Er erkannte einen unglücklichen Menschen, wenn er vor ihm stand. Und sein verbittertes Schweigen würde Snapes Lage nicht bessern. Harry Potters Frage nach seinen Beweggründen war vielleicht nur der Anfang. Ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte.

Die rotgoldene Abendsonne senkte sich langsam auf den Verbotenen Wald hinab, als Albus das Krankenzimmer verließ, noch immer mit dem zähen Geschmack von Ohrenschmalz auf der Zunge.

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Kursiv Geschriebenes ist Originaltext: J.K. Rowling, Harry Potter und der Stein der Weisen, S.325

Der Himmel über Hogwarts war mit funkelnden Sternen besprenkelt. Keine Menschenseele schien mehr auf den Beinen zu sein. Es war die Nacht bevor die scharlachrote Lock in Richtung London aufbrechen sollte und alles lag wohlgenährt im Schlaf. Nur am Rande des Verbotenen Waldes schritten zwei Silhouetten durch die grillenzirpende Dunkelheit. Schwarz wie der Himmel und weiß wie das Mondlicht strichen ihre Umhänge über den Pfad.

„Was für ein vorzügliches Mahl. Und was für eine herrliche Nacht. Genau das richtige Wetter für einen kleinen Spaziergang. Möchten Sie mich nicht begleiten, Severus?“, hatte Dumbledore Snape gefragt.
Und widerwillig hatte dieser zugestimmt. Innerlich kochte er vor Wut darüber, dass Albus Gryffindor 160 Punkte für puren Leichtsinn und das Brechen aller Schulregeln verliehen anstatt abgezogen hatte. Doch dem Schulleiter wagte niemand so leicht eine Bitte abzuschlagen.

Kein Wort hatten sie miteinander gewechselt, bis das Schloss nur noch als kleiner Schatten zu sehen war. Snape grollte und sah noch mürrischer aus als sonst.
„Nun, was sagen Sie, Severus?“, fragte Dumbledore leise.
„Wozu?“, antworte Snape kalt und schnippisch, „Dazu, dass Sie Slytherin wegen einer Bande wahnsinniger Elfjähriger um den wohlverdienten Hauspokal gebracht haben?“.
„Ja, so etwas in der Art“, antwortete Albus gelassen und lächelte, „ich fragte mich, ob Sie Ihre Einstellung gegenüber Harry Potter zum Schuljahresende doch noch geändert haben?“
Seine Stimme verriet die Rhetorik der Frage.
Snape räusperte sich abfällig. „Aber sicher“, antwortete er zynisch und mit zornesfunkelnden Augen, „zuerst hielt ich ihn nur für mittelmäßig, arrogant und unverschämt. Nun weiß ich, dass er auch vollkommen lebensmüde ist.“ Dumbledore nickte unauffällig.
„Ich dachte mir so etwas in der Art“, sprach er leise.
Doch Severus schien ihn zu ignorieren. „Ein Draufgänger, der liebend gerne Regeln bricht, genau wie sein Vater!“, schimpfte er in die Dunkelheit hinein.
Albus warf ihm aus seinen silberblauen Augen einen ersten Blick zu.
„Harry Potter und seine Freunde haben die Schulregeln nicht aus Vergnügen gebrochen“, erklärte er ruhig, „Sie glaubten die Schule in Gefahr. Sie wollten Voldemort aufhalten, den Stein der Weisen zu stehlen und damit andere beschützen. Genau wie Sie, Severus“.
„Was MEIN Auftrag ist, Dumbledore“, schnaubte Snape, „MEINER. Und nicht der eines größenwahnsinnigen Erstklässlers. Sagen Sie mir bitte, wie ich jemanden beschützen soll, der sich dem Dunklen Lord geradewegs vor die Füße wirft. Sagen Sie mir das, Dumbledore“.

Albus atmete tief durch.
„Denken Sie nicht, dass ich die Schwierigkeiten Ihrer Aufgabe unterschätze, Severus. Gewiss haben sich die Kinder in große Gefahr gebracht, als sie in den Korridor hinabstiegen. Doch wir können den Jungen nicht festbinden wie einen Wachhund. Harry Potter und seine Freunde müssen ihre Erfahrungen sammeln wie alle Kinder, wenn aus ihnen einmal fähige Erwachsene werden sollen. Wir sollten nicht an dem festhalten, was hätte geschehen können, sondern in die Zukunft blicken. Die Kinder sind alle wohlauf und Voldemort vorerst wieder verbannt. Geben Sie sich einen Ruck, Severus und gewähren Sie Harry Potter eine zweite Chance. Ich versichere Ihnen, Sie werden einen ganz anderen Jungen kennenlernen, wenn Sie nicht mehr James in ihm sehen wollen.“
Snape starrte in die Luft, als würde er angestrengt nach etwas suchen, was er darauf erwidern konnte.
„Er ist ein mittelmäßiger Schüler, er und Neville Longbottom, fast jeden Trank vermasseln sie. Ich musste schon mehr als einmal die Klasse vor ihren Gebräuen retten.“, antwortete er schließlich kalt.
Doch Dumbledore lachte. „Du meine Güte, Severus, sagen Sie mir nicht, dass Sie als Schüler niemals Fehler machten. Die Kinder sind hier, um zu lernen, nicht um schon alles zu können. Und unter uns gesagt, Nachsicht ist ein besserer Lehrmeister als eiserne Disziplin.“

Jetzt platzte Snape doch noch der Kragen.
„Sie haben Potter, Granger, Weasley und Longbottom 170 Punkte dafür gegeben, sämtliche Schulregeln zu gebrochen haben. Ist es das, was Sie unter Nachsicht verstehen, Dumbledore?“, blaffte er Albus an.
Seine Rage war offensichtlich.
Für einen Augenblick sann Dumbledore über eine Antwort nach, doch in diesem Moment hatten sie bereits die Eingangstüre durchschritten. Der Zufall kam ihm nicht ungelegen.
„Nun, ich denke, wir werden unser kleines Gespräch ein anderes Mal fortführen müssen.“, sprach er ruhig, „Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nacht, Severus.“
„Sie bleiben mir eine Antwort schuldig, Dumbledore. Gute Nacht.“, sagte Snape kühl und wandte sich zur Treppe um. Albus blieb noch ein wenig auf dem bleichen Marmor stehen und sah dem hageren Mann nachdenklich hinterher, der eilig in der Dunkelheit verschwand.

Was hätte Albus ihm antworten sollen? Konnte er Severus die Wahrheit sagen? Bestimmt hatte Snape Recht darin, dass Regelbrecher etwas anderes als eine Belohnung verdient hatten. Doch im Falle Harry Potters standen die Dinge anders. Voldemort würde nicht ruhen, nach dem Jungen zu suchen, dessen war sich Dumbledore sicher. Und wenn Tom Riddle ihm und seinen Freunden noch einmal entgegentreten sollten, was würde geschehen, wenn die Kinder ihre Fähigkeiten nicht trainiert hatten? So froh Dumbledore auch darüber war, in Snape einen Verbündeten gefunden zu haben, so würde ihrer beider Kräfte doch nicht ausreichen, Harry Potter auf alle Ewigkeit vor dem Kampf zu bewahren, der ihm früher oder später bevorstehen würde. Erst recht nicht, wenn Dumbledore mit seinem Verdacht Recht haben sollte, von dem er inständig hoffte, dass er nicht mehr als das bleiben würde. Voldemort hatte einen Horkrux hergestellt und vielleicht nicht nur einen …

Mit diesem Gedanken wandte Dumbledore sein grübelfaltiges Gesicht dem Seitengang zu. Das blauweiße Mondlicht schimmerte noch lange einsam durch die hohen Fensterbögen und auf die menschenleeren Flure herab.

Potter eine zweite Chancen geben? Potter eine zweite Chance geben?!? Dumbledore hatte vielleicht Nerven! Konnte nicht einmal ein Tag, ein gottverdammter erster Schultag vergehen, ohne dass James‘ Spross wieder Ärger machen musste?!? Wahrscheinlich wollte er die Chance nutzen, im Rampenlicht zu stehen, ganz wie der Vater. Oh, wenn er ihn diesmal in die Finger kriegen würde…

„Lumos“, rief Snape lauter als nötig und stapfte grollend auf den Schlosshof hinaus. Natürlich hatte Dumbledore es die ganzen Sommerferien über nicht für notwendig gehalten, ihm auch nur mit einem Wort zu erklären, warum er die Untaten dieses Bengels und seiner frechen, kleinen Freunde auch noch belohnte. Warum auch? War er, Severus Snape, ja doch nichts weiter als der Mann, der sich verpflichtet hatte, diesen Jungen vor Gefahren zu bewahren. Da war ja es nicht nötig, zu erklären, warum man ihm seine Aufgabe noch schwerer machte, als sie ohnehin schon war.

Wütend kickte Snape ein Steinchen vom Weg, das klackernd am Stamm eines nahen Baumes zum Liegen kam. Die feuchtwarme Luft eines Abends im frühen September drückte sich mit widerlicher Klebrigkeit in sein Gesicht. Wie viel lieber hätte er jetzt im warmen Licht der großen Halle gesessen und mitbekommen, welche neuen Gesichter er in Slytherin würde begrüßen dürfen. Doch mit der Gemütlichkeit war es vorbei gewesen, als Minerva McGonagall ihm und Albus Dumbledore im Fackelschein vor der großen Halle berichtete, dass die Kutschen ohne Harry Potter und Ronald Weasley angekommen seien. Natürlich stand es außer Frage, wer nach diesen beiden Bengeln würde suchen müssen. Snape hörte die Worte noch in seinem Kopf widerhallen: „Severus, wären Sie so freundlich, nachzusehen, was da los ist. Vielleicht ist den Jungen etwas zugestoßen“. Natürlich war er so freundlich, er war die Freundlichkeit in Person, vor allem wenn es um Harry Potter ging, diesen verzogenen Burschen, ja so etwas freundliches wie Severus Snape gab es auf der ganzen Welt nicht noch mal.

Ein plötzlicher Temperatursturz ließ Severus frösteln. Langsam wurde es doch Herbst. Die Blätter, deren Ränder sich bereits gelblich verfärbten, raschelten in einer Windböe, die augenblicklich auch über Snapes Kopf hinweg zog. Für einen Moment konnte er im Gewirr aus schwarzem Haar nichts mehr sehen. Die Lust auf die Eröffnungsfeier war ihm plötzlich gänzlich vergangen – falls er sie überhaupt je ernsthaft gehegt hatte. Für gewöhnlich waren gesellige Zusammenkünfte nicht mehr als eine lästige Pflicht, doch immer noch besser als einen wechselhaften Septemberabend auf dem Schlossgelände zubringen zu müssen. Nur noch den Artikel über das fliegende Auto im Abendpropheten fertig lesen, einen Trank fertig brauen und lange schlafen, das wäre es jetzt. Aber nein, Severus musste ja hier draußen herumlaufen und nach Hinweisen auf den Verbleib von James Potter Junior und seinem rothaarigen Komplizen Ausschau halten. Selten hatte sich Snape seinen eigenen Misserfolg insgeheim so sehr herbeigesehnt wie in diesem Moment.

Doch dann schüttelte er den Kopf. Wenn der Junge wirklich in ernsthafter Gefahr wäre, wenn ihm etwas zustoßen sollte, weil Severus seine Pflicht nicht ernst genug nahm – nie, niemals könnte er sich einen diesen weiteren Verrat an Lily verzeihen! Also stapfte Snape weiter missmutig durch die Dunkelheit. Zumindest ein Gutes hatte die Sache: So musste er wenigstens nicht das selbstherrliche Gefasel dieses Schnösels von Lockhart ertragen. Wo Dumbledore nur immer diese Versager von Lehrern für Verteidigung gegen die dunklen Künste auftrieb, war Snape ein Rätsel. Severus hatte den Gedanken an Gilderoy gerade verdrängt, als plötzlich…

Grelles Licht. Zwei Scheinwerfer am schwarzen Horizont! Sie tauchten schneller auf, als Snape reagieren konnte. Mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit rasten sie auf den Schlosshof zu.

KRACH!

Etwas Langes, Schweres war im Astwerk der peitschenden Weide gelandet. Der Baum schlug um sich, warf eine blecherne Karosserie zu Boden. Snapes Augen weiteten sich zu zwei glühenden Lavasteinen, als er im Bruchteil einer Sekunde begriff, WAS die Weide da abgeworfen hatte. Fassungslos schüttelte er den Kopf. Dann war das Auto aus dem Artikel also… Das durfte ja wohl nicht wahr sein! „POTTER!“, dachte Snape zähneknirschend mit zornesglühendem Gesicht, „POTTER!“. Diesmal war er fällig, diesmal war der Junge fällig! Unglaublich, dass Snape auch nur für eine Sekunde glauben konnte, Potter könne vielleicht wirklich etwas zugestoßen sein. Nein, natürlich wollte der Bengel nur mal wieder für einen grandiosen Auftritt sorgen und wenn er damit die Entdeckung der gesamten Zaubererwelt durch die Muggle riskierte – egal, völlig egal! Wenn Dumbledore das nicht die Augen öffnen würde! Ein ganzes Schuljahr Askaban hatten die Lümmel verdient, um sie endlich zur Räson zu bringen.

Zornesgrollend lief Snape den Jungen hinterher, stellte sie an der Eingangstüre und schleifte sie hinab in die Kerker, um Ihnen eine Standpauke zu halten. Die Angst in ihren Augen, die Panik in ihren Gesichtern, ihre verzweifelten Ausflüchte verschafften Snape eine gewisse Befriedigung. Im Gefühl sicherer Überlegenheit schloss er die Bürotür hinter sich und lief die Treppen zur Eingangshalle empor.

Schülerschaft, Kollegium und Angestellte waren bereits beim Abendessen angelangt, als der schwarze Schatten in die Große Halle schwebte. Albus Dumbledore und Minerva McGonagall erhoben sich in einem unauffälligen Moment von ihren Plätzen und kamen auf ihn zu.
„Haben Sie die Jungen gefunden, Severus?“, fragte Dumbledore sofort.
„Gewiss, Direktor“, antworte Snape zynisch, „Sie werden nicht glauben, WOMIT sie angereist sind“
Albus warf ihm einen fragenden Blick zu und auch Minerva schaute ihn neugierig an. Snapes Augen funkelten schadenfroh.
„Sie haben den Abendpropheten gelesen, Dumbledore?“, fragte Snape ohne Umschweife.
Albus nickte.
„Der Ford Anglia auf der Titelseite ist vor weniger als einer halben Stunde gelandet – in der Peitschenden Weide und mit Potter und Weasley an Bord“.
Aus Dumbledores Gesicht war augenblicklich jede Spur von Fröhlichkeit gewichen. Seine Miene glich einer Maske. Auch Minervas Gesicht hatte sich verfinstert.
„Bringen Sie mich sofort zu ihnen“, sagte sie kühl.
„Ich komme gleich nach“, schloss sich Albus an.

Snapes Umhang wirbelte durch die Luft. Mit einem bitterbösen Grinsen auf den Lippen führte er Minerva die Kerkertreppe hinab. Diesmal würde Potter nicht davonkommen. Diesmal würden er und dieser Weasley ihre gerechte Strafe erhalten. Diesmal würden sie den Schulverweis kassieren und er hätte – zumindest eine gewisse Zeit lang – Ruhe vor diesen Nervensägen.

Snape ahnte nicht, wie sehr er sich irren sollte…

„Kommen Sie, Severus, da steht eine köstlich aussehende Senftorte, die ich gerne mal probieren möchte…“

Dumbledores Tonfall klang gelassen. Doch Snape war die unheilvolle, geheime Botschaft seiner Worte sehr wohl bewusst. Schäumend vor Wut warf er den Jungen als Dankeschön für die ungewollte Einladung zum Vieraugengespräch einen letzten, hasserfüllten Blick zu. Dann schritt er mit Dumbledore zur Türe hinaus, ahnend, dass ihn dahinter nichts Gutes erwarten würde.

Sie hatten gerade die erste Treppenstufe betreten, als der Schulleiter bereits zu sprechen begann.
„Nun, Severus, was genau wollten Sie damit erreichen?“, fragte er ernst.
In seiner Stimme lag keine Wut, vielmehr war es die Strenge eines Richters, der den Angeklagten verhörte, ehe er sein Urteil zu fällen gedachte.
„Ich erwarte eine Erklärung von Ihnen. Eigentlich dachte ich ja, wir hätten eine Vereinbarung?“
Und nun wandte sich Dumbledore zu Snape um. Die eisblauen Augen fixierten ihn mit einem bohrenden Blick. In dem alten Gesicht stand eine Enttäuschung geschrieben, wie sie Snape schon lange nicht mehr gesehen hatte. Vielleicht elf Jahre?

Stocksteif und mit einem Krampfen im Magen blieb Severus vor der Treppe stehen. Wut pulsierte in seinen Adern. „An die ich mich bisher immer gehalten habe“, zischte er Dumbledore gepresst entgegen, „ICH habe Quirrell im letzten Schuljahr beobachtet, ICH habe Potter heute gesucht und die Jungen aufgesammelt, aber…“
„Aber SIE wollen Harry von der Schule weisen lassen, um Ihre Verantwortung los zu sein? Sie möchten hier unterrichten, ohne ihn als Schüler zu haben?“

Dumbledore sprach noch immer ruhig, doch der vorwurfsvolle Unterton in seiner Stimme war unüberhörbar. Jedes Wort klang nach dem Vorboten eines verbalen Gewittersturms, der jede Sekunde loszubrechen drohte. Snape schwieg, weigerte sich, irgendetwas auf Dumbledores Worte zu antworten. Steif stand er vor dem alten Mann und bedachte ihn nur mit grimmigen Blicken. Dumbledore wich zurück und taxierte ihn sekundenlang, als würde er seinen Zaubertranklehrer zum ersten Mal im Leben richtig sehen.

„Ich bin schwer enttäuscht von Ihnen, Severus“, sagte er schließlich mit bitterer Stimme, „ich hatte eigentlich darauf gehofft, dass Sie dem Jungen eine zweite Chance geben würden. Wie ich sehe, habe ich mich geirrt.“
Snape, stocksteif vor ihm stehend, schwieg noch immer. Dumbledores Worte waren ein eiskalter Schlag ins Gesicht, doch sein Stolz gebot ihm, es sich nicht anmerken zu lassen. Für eine Sekunde schien Dumbledore über etwas nachzudenken, dann schüttelte er den Kopf.
„Vielleicht war es ein Fehler, Sie zu etwas drängen zu wollen. Wenn Sie von Ihrer Aufgabe entbunden sein möchten, werde Ich Sie nicht aufhalten. Doch wir müssen ein anderes Mal über die Zukunft sprechen. Ich habe noch Verpflichtungen heute Abend. Auf Wiedersehen, Severus“.
In seinen letzten Worten lag ein Hauch von Endgültigkeit. Schwerfällig wandte Dumbledore sich um und begann ohne Snape auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen die Treppe empor zu steigen.

Plötzlich ging eine Bewegung durch Severus. Von einem Aufwall des Erschreckens gepackt, hastete er dem Schulleiter hinterher.
„Nur für eine Weile, Dumbledore!“, rief er durchs Treppenhaus hinauf, „Solange, bis die Jungen ihre gerechte Strafe erhalten haben! Potter und Weasley, sie haben Schuleigentum zerstört! Sie haben eines unserer wichtigsten Gesetze übertreten! Sie müssen dafür hart zur Rechenschaft gezogen werden. Sie können sie doch nicht… Sie dürfen sie nicht ohne Strafe davonkommen lassen. Dumbledore!“
Der Mann in der türkisfarbenen Robe blieb abrupt stehen und wandte sich zu seinem Verfolger um.
„Das hatte ich auch nicht vor, Severus“, sagte er ernst, „Natürlich werden die Jungen die Verantwortung für ihr Handeln tragen müssen“.
Snape hatte ihn endlich eingeholt: „Dann sprechen Sie einen … zeitweiligen… Schulverweis aus. Lassen Sie sie die Konsequenzen ihrer Taten spüren, Direktor“
„Ich sagte Ihnen bereits, dass dies in Professor McGonagalls Hand liegt“, antwortete Dumbledore schlicht.
„Minerva wird viel zu milde mit Ihnen ins Gericht gehen, Professor.“, fuhr Snape fort, „Potter ist wie sein Vater, genau wie sein Vater. Jede Kritik prallt an ihm ab. Er wird seine Strafe absitzen und darüber lachen. Sie müssen zu härteren Mitteln greifen. Sonst wird er immer weitermachen und…“
„Ich verlasse mich völlig auf Minervas Urteilskraft, was die Bestrafung ihrer Schüler angeht“, fiel ihm Dumbledore ins Wort, „Und ich rate Ihnen, dasselbe zu tun. Desweiteren verbitte ich mir in Zukunft jegliche Versuche, Harry Potter von der Schule weisen zu lassen. Haben wir uns verstanden, Severus?“
Über seine Habmondbrille hinweg warf Dumbledore seinem Zaubertranklehrer einen scharfen Blick zu.

Snape antwortete nicht. Er erwiderte Dumbledores Blick nur finster und zähneknirschend. Tief hinter dem Schwarz seiner Augen jedoch schien sich Schmerz zu spiegeln, ein sehr alter Schmerz. Dumbledore seufzte leise.
„Nun, wir sollten uns jetzt aber wirklich beeilen, Severus“, sagte er plötzlich, „Ich fürchte mehr als zwei Stücke werden uns Filius, Hagrid, Sybill und Pomona nicht übrig gelassen haben“.
Snape runzelte augenblicklich die Stirn.
„ Aber ich dachte… Sie meinen dort oben steht wirklich eine Torte, die Sie probieren wollen?!? “
„Oh, aber natürlich!“, antwortete Dumbledore vergnügt, „dachten Sie etwa, ich locke Sie mit falschen Versprechungen
aus Ihrem Büro, Severus? Allerdings ist es keine Senftorte. Eher etwas Süßeres. Vielleicht Eiercreme oder Vanillle?“ Und mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen rauschte der alte Mann in der türkisfarbenen Robe davon.

Snape warf ihm einen skeptischen Blick hinterher.
„Eiercreme oder Vanille“, wiederholte er die Worte mit hochgezogenen Augenbrauen, „Eiercreme oder Vanille“. Dann zuckte er mit den Schultern und folgte dem Knurren seines Magens die Treppe hinauf.

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Kursiv Geschriebenes ist Original-text: J.K. Rowling:
Harry Potter und die Kammer des Schreckens, S.86

Snape fühlte sich elend, als die Treppe unter seinen Füßen sich knirschend um die eigene Achse wand. In Gedanken ließ er das Gespräch Revue passieren. Dumbledores Worte, oder besser sein Schweigen, sein Ausweichen hatten ihn getroffen. Sie rührten an einen wunden Punkt in ihm, verborgen in einem tiefen, schwarzen Nebel des Vergessens, unter den verblassten Spuren des Dunklen Mals.

Severus wusste, dass er seine Vergangenheit nicht auslöschen konnte. Er wusste, dass er für seine Schuld an Lilys Tod bis alle Ewigkeit, bis in die Hölle, würde büßen müssen. Niemand, nicht einmal dieser Potter-Bengel konnte ihn mehr hassen als er sich selbst. Doch so tief seine Verachtung auch war – die Bestätigung, wie schäbig seine Existenz war, in Dumbledores kalten Blicken, in seinen eisigen Worten zu sehen und hören war grausam. Natürlich hatte er es nicht anders verdient, wie konnte er auch erwarten, dass der Einzige, den der Dunkle Lord je fürchtete, in ihm jemals etwas anderes sehen konnte, als seine Schande, Todesser gewesen zu sein? Dass Dumbledore ihm Arbeit und Brot und sein Wort vor Gericht gewehrt hatte, war mehr der Gnade, als Severus je verdient hatte.

Und doch, tief in seinem Inneren wünschte er sich in solchen Momenten, etwas anderes in Dumbledores Augen zu lesen. Niemand konnte ihm die Last seiner Schuld an Lilys Tod von den Schultern nehmen, das wusste Severus nur zu gut. Doch es wäre leichter, sie zu tragen, wenn eine Hand ihn stützen würde. Wenn nicht einmal Dumbledore an seine Reue glaubte, wer dann? Mit einem Ruck kam die Treppe zum Stehen. In einer jähen Bewegung umklammerte Snape seinen linken Arm, als wollte er seine Gedanken damit zum Schweigen bringen. Er musste sich zusammenreißen, jetzt war nicht die Zeit für solche Gefühlsduseleien – vor allem nicht für sein jämmerliches Selbstmitleid.

Endlich öffnete sich die Türe. Snape schob seinen Kopf durch den Rahmen, der Rest des Körpers folgte. Es war Wochen her, seitdem er diesen Raum das letzte Mal betreten hatte. Seitdem dem letzten Vieraugengespräch war viel geschehen. Dumbledore hatte ihn beauftragt, herauszufinden, wer etwas mit der Kammer des Schreckens zu tun haben könnte. Und Snape war seinem Verdacht nachgegangen. Einem Verdacht, den er schon seit Halloween gehegt hatte, als Potter und seine kleinen Freunde „rein zufällig“ bei der versteinerten Mrs. Norris aufgefunden wurden. Bedenkend wofür Salazaar Slytherin bekannt war, gab es nur wenige denkbare Wege, die Kammer des Schreckens zu öffnen. Snape war gespannt, wie Albus auf die Neuigkeiten reagieren würde. Immerhin wollte er im Herbst noch einen Beweis sehen und diesen hatte Snape im Duellierclub wohl erbracht.

Mit einem Satz stand Severus im Zimmer und blickte sich um. Dumbledore saß auf dem Stuhl vor seinem Pult, den Kopf tief über ein steinernes Bassin gesenkt, in dem silberig weiße Nebel trieben. Snape trat heran und konnte auf der Oberfläche gerade das Bild eines Jungen sehen, dessen Züge ihn an den Dunklen Lord erinnerten. Für eine Sekunde blieb Severus ruhig neben Albus stehen und beobachtete das Bild.

„Oh, er ist mit seinen Erinnerungen beschäftigt, Sie sollten ihn besser nicht stören, Professor Snape“, hörte er eine Stimme hinter sich. Es war das Proträt von Phineas Nigellus Black, der eifrig weitersprach. „Dieses Denkarium ist schon ein sehr interessantes Gerät. Man kann damit in seine eigenen Erinnerungen eintauchen. Auch wenn ich mir nicht die Launen der Schüler ansehen würde, nie sind sie …“
„Ich weiß, wie das Denkarium funktioniert“, unterbrach Snape ihn schroff, „Der Direktor hat es mir einst erklärt, falls Sie sich daran erinnern können, Professor Black“.
Mit einer raschen Bewegung legte Snape seine Hand auf Dumbledores Schulter. Erschrocken fuhr der alte Mann hoch. „Severus!“ rief er atemlos und blickte hinauf in die dunklen Augen des Tränkemeisters, „Ich habe Sie gar nicht kommen hören“.

Snape blieb für einen Moment schweigend neben ihm stehen.
„Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen, Direktor“, sagte er schließlich kühl mit einem Hauch von Ironie.
Dumbledore warf ihm einen finsteren Blick zu, gebot ihm dann aber doch, sich zu setzen.
„Was gibt es, Severus?“, fragte er knapp.
„Ich habe Neuigkeiten, Potter betreffend“, erklärte Snape in bedeutungsvollen, fast schon süffisanten Tonfall. Dumbledore hatte sich zur Seite gewandt, um das Denkarium aus dem Weg zu räumen.
„Ja, davon habe ich bereits gehört, Severus“, sagte er streng, „Sie haben es geschafft, Harry vor der ganzen Schule bloßzustellen“.
Dumbledore drehte sich um, Enttäuschung stand in seinem Gesicht geschrieben.
Snape blickte ihn ärgerlich an.
„Der Junge spricht Parsel“, sagte er kühl, „halten Sie das für etwa ein gutes Zeichen, Dumbledore?“
„nein, nicht wirklich“, antwortete Albus nachdenklich.
Es schien, als ob er den Neuigkeiten nur ungern Glauben schenkte.
„Ich gehe davon aus, dass die Kammer des Schreckens mit Parsel geöffnet wird“, fuhr Snape energischer fort.

Dumbledore schaute zum Boden und schwieg. Severus schien ungeduldig zu werden.
„SIE wollten, dass ich einen Beweis dafür erbringe, dass Potter etwas mit der Sache zu tun hat und nun leugnen Sie es noch immer“, zischte Snape vorwurfsvoll.
Dumbledores Augen blickten ihm nun direkt ins Gesicht. Er wirkte getroffen. Für einen Moment schien er über etwas zu sinnieren.
„Sie haben Recht, Severus“, sagte er schließlich mit gerunzelter Stirne und seufzte, „Ich fürchte, ich tat Ihnen Unrecht. Ich werde wohl mit Harry reden müssen“.

Snape schien endlich zufrieden. Eine Pause trat ein.
„Haben Sie eine Idee, was dies alles bedeuten könnte, Severus?“, fragte Albus nach einer Weile. Sein Tonfall klang rhetorisch.
„Ich bin mir nicht sicher“, antwortete Snape, „jedenfalls kenne ich nur einen anderen Parselmund. Sie wissen, wen ich meine“
„Ja“, antwortete Albus geistesabwesend und warf einen kurzen Blick zum Steinbassin hinüber, auf dem noch immer das Gesicht des dunkelhaarigen Jungen zu sehen war, „Das ist in der Tat ein interessanter Zusammenhang“.

Etwas Merkwürdiges lag in Dumbledores Stimme. Snape folgte seinem Blick mit einem Stirnrunzeln, das Bild auf dem Wasser aufmerksam beobachtend.
„ich denke, wir sollten der Sache weiter nachgehen“, sagte Dumbledore plötzlich. „Sie behalten Ihre Schüler weiterhin im Auge, ja?“
Snape schaute konsterniert, doch schwieg. Dann nickte er knapp.

Vor dem Fenster rieselten Schneeflocken auf die brachliegenden Schlossgründe. Dumbledores eisblaue Augen wandten sich ab und nichts als Stille herrschte im Raum.

Ein kleines Geburtstagskapitel, das ursprünglich auch um den 9.1. geschrieben wurde

Klamme Kälte erfüllte die Flure und Zimmer Hogwarts im noch jungen Jahr 1993. Während sich der Frost allmählich durchs gealterte Mauerwerk fraß und sich die zahllosen Schüler vor ihm in dicke Decken flohen, verströmten in den Tiefen des Schlosses alleine die schwelenden Dunstschwaden etwas Wärme.

Es war die Nacht auf Samstag und Severus konnte in der Einsamkeit seines Büros ungestört seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen. Flink ließen die dünnen Finger feines Pulver in den brodelnden Trank rieseln, das Messer glitt durch Knollen, Gräser und Wurzeln, Gläser und Flakons schwebten nach einem stummen „Accio“ auf den einfachen Holztisch zu. Im Feuerschimmer raschelte eine schwebende Feder über Pergamentblätter hinweg, notierte Snapes Gedanken, strich manches durch und besserte es aus.

Zu vertieft in seine Experimente bemerkte Severus das Klopfen an seiner Türe nicht sofort. Erst beim dritten Schlag fuhr er erschrocken vom Kessel auf und konnte gerade noch verhindern, einen Tropfen Tintenfischtinte zu viel in den Sud fallen zu lassen. „Wer zum Teufel…“ rief Snape verärgert, knallte den Flakon auf den Tisch, rauschte zur Türe, schlug auf die Klinke und schaute – ins Nichts.

Es brauchte einen zweiten Blick, bis er den Störenfried erkannte. Er reichte Severus gerade bis zu den Knien und mehr als die fledermausartigen Ohren waren nicht von ihm sehen. Der Rest des Kopfs verbarg sich hinter einer kleinen Flasche von Madam Rosmertas Met und einem Siruptörtchen mit einer brennenden Kerze in der Mitte, die die kleinen Hände Snape eifrig entgegenstreckten.
„Für Sie, Sir. Cloudy soll ausrichten Alles Gute zum Geburtstag, Sir“.

Severus blickte verwundert auf das kleine Wesen hinab. Er wusste, dass er heute ein Jahr älter wurde. Doch wer in Hogwarts konnte sich für seinen Geburtstag interessieren?

„Von wem?“, fragte Snape ernst.
„Cloudy hat Anweisung, den Namen nicht zu verraten, Sir“, antwortete der Hauself und begann mit der Torte und der Flasche in der Hand allmählich zu schwanken.
Severus trat zur Seite und ließ ihn neben dem Kessel abstellen. Als er wieder allein im Zimmer war und das Feuer unter dem Zaubertrank gelöscht hatte, begutachtete er das unerwartete Präsent genauer. Ein Brief lag neben der Siruptorte – und ein Brausedrop. Natürlich. Er hätte es sich denken können. Zwar war es üblich, jeden Geburtstag im Lehrerzimmer zu feiern, doch es gab nur wenige Menschen in Hogwarts, die Severus etwas schenken würden. Um genau zu sein, gab es nur einen einzigen. Eilig öffnete er den Brief.

„Alles Gute zum Geburtstag. Ich hoffe, sie werden Ihnen schmecken. Ich mag sie jedenfalls alle drei. GZ: Albus Dumbledore. PS: Kommen Sie morgen um halb fünf in mein Büro, ich muss mit Ihnen sprechen.“

Kaum hatte Severus zu Ende gelesen, verblasste die Schrift auf dem Pergament und der Brief zerfiel in seinen Händen zu Staub. Offensichtlich wollte Albus verhindern, dass jemand auch nur zufällig von dem Geschenk erfahren könnte. Sich den Staub von den Händen klopfend blickte Snape auf das Törtchen hinab. Der Guss schimmerte himmelblau unter dem freundlichen, warmen Licht der Kerze. Ein wehmütiges Lächeln huschte über seine Lippen. Auch Lily hatte ihn einst am 9. Januar mit einer kleinen Torte überrascht. Doch dann war das Jahr gekommen, an dem die lieblose Karte seiner Eltern das einzige Geschenk blieb und Severus war sein Geburtstag gleichgültig geworden.

Langsam ließ er sich auf den Stuhl sinken und säuberte das Messer neben dem Kessel mit einem Zauberspruch. Ein seltsames Gefühl regte sich in seiner Brust aus, je länger er das Präsent betrachtete - fast wie Hände, die sich nach einem langen Winterspaziergang wieder auftauten. Verschwommene Erinnerungen an viele Jahre tauchten vor seinem inneren Auge auf. Severus ließ ein Glas auf den Tisch schweben. Menschenleere und Totenstille umgab ihn, als er das Törtchen anschnitt und die Metflasche entkorkte. Das Büro lag in Dunkelheit. Nur die kleine Kerze auf der Siruptorte brannte wie ein letzter Funke in einer alleserfüllenden Finsternis.

...

Die fahrende Wendeltreppe kam ruckartig zum Stehen. Ein prasselndes Kaminfeuer begrüßte Snape an jenem trüben Winternachmittag im Schulleiterbüro.
„Sie wollten mich sprechen, Direktor?“, fragte er leise.
Der Mann in der nebelblauen Robe wandte sich zu ihm um.
„Ah Severus, wie schön Sie zu sehen“.
Dumbledores Stimme klang heiter und seine Augen glänzten wie die Eisblumen am Fenster.
„Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Abend?“
„Ja, vielen Dank für das Präsent“, antwortete Snape knapp.
Albus schien zufrieden zu sein.
„Waren Sie schon im Lehrerzimmer? Minerva hat noch einige sehr leckere Ingwerplätzchen. Die müssen Sie unbedingt probieren.“, fuhr er begeistert fort und strahlte Severus hoffnungsvoll an.
„Nein, da war ich noch nicht“, entgegnete Snape steif.
Das Lächeln schwand aus Dumbledores Gesicht.
„Sie gedenken doch nicht etwa, die Kollegen zu enttäuschen, Severus?“, fragte er ernst.
Snape seufzte. „Man kommt ja doch nicht drum herum“, knirschte er leise.
„Natürlich“, sprach Albus abwesend und bedachte ihn mit einem nachdenklichen, sorgenvollen Blick.

Es war wie alle Jahre. So oft hatte Dumbledore gehofft, dass doch noch irgendwann der Tag käme, an dem Snape einen Schritt auf die Menschen um sich herum zugehen würde. Doch er war der verschlossene Einzelgänger geblieben, den Dumbledore vor so vielen Jahren nachts vor ERISED gefunden hatte. Wahrscheinlich gab es niemanden außer ihm, der ihn zum Geburtstag beschenkte. Und er tat es sonst bei keinem seiner Lehrer. Minerva, ja. Doch mit ihr verband ihn eine jahrzehntelange Freundschaft. Und mit Severus? Albus wusste es nicht. Eine gleichberechtigte Freundschaft war es niemals gewesen und doch war Snape mehr für ihn als einer seiner Angestellten. Er selbst war es gewesen, der Severus davon abgehalten, Lily in den Tod zu folgen. Wie konnte ihm sein Schicksal nun egal sein?

„Weswegen wollten Sie mich sprechen, Dumbledore?“, fuhr Snape fort, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. „Ach ja“, antwortete der Direktor, aus seinen Gedanken erwachend und schritt hinüber zur Vogelstange, um Fawkes zu füttern.
„Ich wollten wissen, ob Sie inzwischen etwas Neues herausgefunden haben.“
„Bis auf die Tatsache, dass Miss Granger der Ansicht ist, meine Privatvorräte seien ein Selbstbedienungsladen, nein Direktor“, antwortete Snape kühl.

Im Kollegium war Hermines Unfall natürlich bekannt geworden, auch wenn die Lehrerschaft versuchte, es vor den Schülern geheim zu halten. Dumbledore warf Severus einen gedankenvollen Blick zu. Snape schien noch etwas sagen zu wollen, doch verstummte, als die blauen Augen ihn trafen.
„Wie sieht es bei Ihren Schülern aus?“, fragte Albus ernst. Severus zögerte.
„Nun, die meisten sind über die Vorkommnisse nicht sehr betrübt. Wie Sie wissen, missfällt vielen Familien Ihre Politik, Dumbledore“, sagte er leise. Albus nickte als sei dies keine Neuigkeit für ihn.

„Gibt es irgendwelche Unregelmäßigkeiten, Severus? Schüler, die sich besonders auffällig verhalten?“, fragte er schließlich.
Snape blickte ihn nur stumm an, als widerstrebe es ihm, die Frage des Schulleiters zu beantworten. Schließlich wandte er sich zum Fenster um.
„Wer?“, fragte Albus, die stummen Zeichen seiner Reaktion verstehend.
„Draco Malfoy, Vincent Crabbe und Gregory Golye“, antwortete Severus leise und fuhr wieder um, „Aber Potter spricht Parsel, Dumbledore und seine Freunde brauen Vielsafttrankt! Finden Sie das nicht verdächtig?“
Albus blickte ihn nachdenklich an.
„In der Tat kann ich Ihnen da nicht widersprechen“, sagt er betrübt.
Irgendwo schlug eine Uhr zur vollen Stunde und zerschnitt ihr Gespräch.

Dumbledore horchte auf. „Oh, schon Zeit für den Tee!“, sprach er und seine Laune stieg. „Kommen Sie, Severus, ich bin mir sicher, die Kollegen erwarten Sie bereits.“
Snape verrollte die Augen und folgte ihm missmutig durch die Türe.

Justin Finch-Fletchley und der Fast Kopflose Nick sollten für lange Zeit die letzten Opfer des Monsters aus der Kammer des Schreckens bleiben. Wer immer sie geöffnet haben mochte, er schien das Interesse daran verloren zu haben, Jagd auf die Schülerschaft zu machen. Severus verdächtigte nachwievor Harry Potter und ärgerte sich noch immer darüber, dass Albus seinem Misstrauen nicht folgte. Der Schulleiter von Hogwarts, so kam es Snape vor, schien einen Verdacht zu hegen, was hinter den Ereignissen stecken könnte, doch weihte er ihn nicht in seine Gedankengänge ein. Snape kannte dieses Verhalten bereits. Dumbledore neigte dazu, seine Vermutungen für sich zu behalten, solange er sich über einen Verdacht noch unsicher war.

Auch Snape hatte einige ungute Vorahnungen. Die Rate der Spinnen in den Kerkerräumen war seit Beginn des Schuljahres rapide gesunken… Die Hauslehrer hatten nachwievor die Anweisung, ihre Schützlinge unter Beobachtung zu halten und Auffälligkeiten sofort zu vermelden. Severus für seinen Teil konnte Dumbledore nichts Neues mitteilen. Malfoy und seine Clique schienen etwas über die Sache zu wissen, doch offensichtlich nichts Genaueres. Insgeheim fragte Snape sich, was Minerva McGonagall dem Schulleiter wohl von ihren Schülern zu berichten hatte und ob sie auf ebenso taube Ohren gestoßen war wie er…

Ein fürchterlicher Valentinstag ging vorüber, an dem Snape sich gerade noch zurückhalten konnte, einem gewissen Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste einen Unverzeihlichen Fluch auf den Hals zu hetzen. Drei Wochen später ließ die Märzsonne den Schnee auf den Ländereien schmelzen und frisches Frühlingsgrün schoss aus der Erde. Die Osterferien kamen und gingen und in Hogwarts schienen tatsächlich wieder geregelte Verhältnisse eingekehrt zu sein… bis eines Tages Hermine Granger und eine Fünftklässlerin aus Ravenclaw versteinert aufgefunden wurden und sich mit dem Doppelangriff die Ereignisse überschlugen.

Snape schloss leise die Türe hinter sich, nahm sich eine Tasse Tee und trat an den stummen Gesichtern seiner Kollegen vorbei an seinen Platz. Er war einer der letzten, der von der Wache auf den Gängen zurückgekehrt war. Nun patrollierten Filch und Mrs. Norris statt seiner in den Fluren und Snape hoffte inständig, dass er heute Nacht nicht noch irgendwelche Slytherins in seinem Büro würde zur Rede stellen müssen. Im Raum mit den holzgetäfelten Wänden herrschte betretenes Schweigen, als warteten die Versammelten auf etwas oder jemanden. Endlich ging die Türe auf und eine ältere Hexe mit strengem, schwarzem Zopf und einer viereckigen Brille auf der Nase trat herein. Ihr Gesicht war blass und ausdruckslos. Die verwunderten Blicke von Filius Flitwick ruhten auf ihr, als ihr nach einer Weile noch immer kein Mann mit langem silbernem Bart durch die Türe gefolgt war.

„Wo ist Professor Dumbledore?“, fragte er schließlich und Severus konnte an den Gesichtern umher sehen, dass Flitwick nicht nur für sich selbst gesprochen hatte. Minvera nestelte nervös an einem Dokument in ihrer Hand.
„Aus diesem Grund wurde diese außerplanmäßige Versammlung einberufen“, antwortete sie und versuchte dabei ruhig zu klingen, „Bitte setzten Sie sich. Ich habe eine wichtige Mitteilung zu machen.“
Snape ließ sich auf seinen Stuhl sinken und sah, wie Professor Binns zu jenem hinüber schwebte, in dem sein Körper einst tot aufgefunden worden war.
Die stellvertretende Schulleiterin wartete, bis Ruhe eingekehrt war, dann erhob sie die Stimme.
„Professor Dumbledore erhielt nach den Vorfällen des heutigen Nachmittages wie Ihnen bekannt sein dürfte Mitteilung vom Zaubereiministerium, wonach Cornelius Fudge sich nun selbst um die Angelegenheit kümmern wollte. Ich muss Ihnen leider mitteilen“, und sie machte eine Gedankenpause, „dass unser Wildhüter Rubeus Hagrid der Angriffe beschuldigt und verhaftet wurde.“

Plötzlich wurde es laut im Raum, ein erschrockenes Gemurmel ging durch die Reihen. Snape hob die Augenbrauen. Rubeus Hagrid?!? Gewiss hatte der Wildhüter eine Schwäche für gefährliche Tiere und ihm war durchaus zuzutrauen, in seiner Hütte irgendetwas zu züchten, das einmal jemanden böse verletzen würde. Doch dass er in voller Absicht ein Monster auf die Schüler gehetzt haben könnte, um sie zu versteinern, war so abwegig wie anzunehmen, dass der Dunkle Lord Mugglestämmige in seine Gefolgschaft aufnehmen würde. Zu den Opfern zählte nun schließlich auch Miss Granger. Und Hagrid mochte Potter und die ganze kleine Bande um ihn herum, das war offensichtlich. Für einen Moment wurde Severus nachdenklich zumute. Dumbledore hatte immer angedeutet, dass Potter Zielscheibe der Angriffe werden könnte. Doch Snape kam nicht dazu, den Gedanken weiter zu verfolgen.

„Zu schade aber auch, dass ich es nicht der Kreatur aufnehmen durfte!“, regte sich plötzlich eine nervtötende Stimme irgendwo zu seiner Linken, „Die Sache ist dilettantenhaft angegangen worden. Hätte man mir nur freie Hand gelassen, ich hätte das Monster schon lange besiegt. Tada…“
Aus den Augenwinkeln konnte Snape sehen, wie Gilderoy Lockhart seinen Zauberstab zückte als sei er ein Degen. Severus verrollte die Augen. Zum Glück erhob die stellvertretende Schulleiterin in diesem Moment die Hand, um dem versammelten Kollegium Ruhe zu gebieten.

„Natürlich hält Albus Hagrid für unschuldig. Doch leider sind dies noch nicht alle schlechten Nachrichten“, tönte ihre Stimme über die Menge hinweg. „Er selbst wurde von den Schulräten für unbestimmte Zeit beurlaubt.“
Ein Ausdruck von Entsetzen trat in die meisten Gesichter.
„Es ist Dumbledores Wunsch, dass der Unterricht in Hogwarts weitgehend normal weiterverlaufen kann. Alle Sicherheitsvorkehrungen bleiben aufrecht. Verdächtiges ist mir unverzüglich zu melden. Dies waren alle offiziellen Ankündigungen. Hoffen wir, dass wir den wahren Übeltäter bald finden werden.“ McGonagall schloss ihre Rede mit einem besorgten Gesichtsausdruck, der sich in zahllosen Mienen umher spiegelte. Stühle rutschten über den Boden des Lehrerzimmers.

Snape stand schweigend auf. Auch das noch - dachte er, als er der Menge zur Türe folgte. Hogwarts würde also für eine Weile ohne Dumbledores Schutz auskommen müssen. Die besten Nachrichten waren das wahrlich nicht. Blieb nur zu hoffen, dass die Dinge sich bald klären würden. Gerade wollte Snape seinen Fuß über die Schwelle setzen, als Minerva ihn zurückhielt.
„Severus, bitte warten Sie einen Augenblick. Albus hat mich beauftragt Ihnen höchst persönlich etwas auszurichten.“ Der Tränkemeister wandte sich der stellvertretenden Schulleiterin zu und blickte sie mit erwartungsvoller Miene an. „Was?“, fragte er knapp.
„Er lässt Ihnen mitteilen, dass Sie einen gewissen Jungen im Auge behalten sollen, wen immer er damit auch gemeint haben mag. Er meinte, Sie wüssten schon Bescheid. Außerdem…“, Minerva zögerte, „Der Schulrat, der seine Beurlaubung erwirkt hat, war Lucius Malfoy. Albus war der Ansicht, Sie sollten dies wissen“.
Snape nickte mit ausdruckslosem Gesicht und trat durch die Türe.

Sein alter Freund Lucius Malfoy hatte also tatsächlich etwas mit der Sache zu tun, dachte Snape missmutig, als er kleingeschnittene Alraunestückchen vom Schneidebrett in den kochenden Sud schob und dabei die Geschehnisse der letzten Zeit reflektierte. Freilich hatte er diese Neuigkeiten nicht gerne gehört, doch sie erklärten so einiges, was in den letzten Wochen geschehen war. Zum Beispiel, warum Draco ihm Avancen machte, bei seinem Vater ein gutes Wort für ihn einzulegen, falls er gedenke, sich für den Posten des Schulleiters zu bewerben. Ein Angebot, dass Severus mit einem müden Lächeln quittiert hatte. Als ob er auch nur das leiseste Interesse daran hegte, Albus Konkurrenz zu machen.

Lucius allerdings war einer der vielen, die mit Dumbledores Politik unzufrieden waren und die Schule wohl gerne in der Hand eines Anderen gesehen hätten. Snape konnte es ihm nicht verdenken, denn so manches gefiel auch ihm an Dumbledores Führung nicht. Dennoch hoffte er inständig, dass Albus bald zurückkehren und die Geschehnisse sich aufklären würden. Dass der Sohn seines alten Gönners vielleicht etwas damit zu tun haben konnte, gefiel Severus ebenso wenig wie der Gedanke, dass aus Dumbledores Beurlaubung vielleicht mehr werden könnte. Noch ahnte Snape nicht, dass er nur wenige Stunden später dem Haus Slytherin würde mitteilen müssen, dass dies der letzte Tag Hogwarts sei…

Nie zuvor fühlte Severus Snape sich so beklommen in den Hallen der Schule wie an diesem Abend als er Madame Pomfrey den Alraunen-Wiederbelebungstrank auf die Krankenstation brachte. Hogwarts war sein Zuhause gewesen, Dumbledore sein Schutz und nun… in den Fluren herrschte drückende Leere. Es schien als ob das Gebäude die Angst vor dem Schrecken, der in ihm lauerte, konserviert hätte. Kein Schüler war außerhalb der Gemeinschaftsräume unterwegs und das wollte etwas heißen. Nur Minerva McGonagall huschte einmal wie ein aufgelöster Schatten auf ihn zu.
„Oh, Verzeihung. Ich habe Sie gar nicht gesehen“, sagte Sie nervös, als sie fast in ihn hinein gerauscht war.
„Das habe ich bemerkt“, antwortete Snape kühl und sah zu, wie sie ihre winzigen, tränentrüben Augen mit einem karierten Taschentuch abtupfte.
Wie Snape von ihr hörte, hatte sich Dumbledore angekündigt hätte und die Weasleys waren auf den Weg nach Hogwarts.
„Unser Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste indessen“, fuhr sie fort, „scheint sich aus dem Staub gemacht zu haben.“
„Welch tragischer Verlust“, bemerkte Snape trocken, als am Ende des Flures ein Mann und eine Frau auftauchten, beide rothaarig.
„Das sind sie“, sagte die stellvertretende Schulleiterun und wandte sich mit einem kurzen Abschiedsblick Severus zu, „Bitte richten Sie Madame Pomfrey aus, Sie möge mich sofort unterrichten, wenn die Schüler befragt werden können. Ich hoffe… ich hoffe, dass wir noch Schlimmeres werden verhindern können, jetzt wo Albus wieder unter uns ist.“

Und mit schnellen Schritten zog sie von dannen. Snape war der andeutungsvolle Unterton in ihrer Stimme nicht entgangen. Ging in der Schule etwas vor, von dem er nichts mitbekommen hatte? Egal, es war zu spät. Minerva war viel zu eilig davongegangen, um sie noch zu legilimentieren. Bleischwer und trübsinnig setzte Severus seinen Weg zur Krankenstation fort und beschloss dort zu bleiben bis die Versteinerten genesen waren. In diesen finsteren Stunden scheute er die sonst so geliebte Einsamkeit seines Kerkers, in der es Zeit gäbe, über das Ende seines Zuhauses, seiner Aufgabe, seines bisherigen Lebens und damit seiner Zukunft nachzudenken. Poppy zur Hand zu gehen, sich mit Arbeit abzulenken war da die bessere Alternative. Und obwohl es Severus niemals zugegeben hätte, tat es ihm auf sonderbare Weise gut, nicht allein, sondern unter Menschen zu sein, denen das gleiche Schicksal drohte…

Doch am Ende kam alles anders. Die Welt, die an diesem Tag hätte untergehen sollen, erlebte einen neuen Morgen. Es begann damit, dass eine Totgeglaubte plötzlich durch die Türe der Krankenstation trat und endete damit, dass sich die Schule zur Mitternacht in ein rauschendes Fest verwandelte. Snape, der sich von dieser aufbrausenden Feierlichkeit überrascht dann doch noch in die Kerker flüchtete, sollte erst auf einem Spaziergang am nächsten Tag Genaueres darüber erfahren, was eigentlich geschehen war.

Es war ein warmer, sonniger Nachmittag, als Snape mit Dumbledore durch die sommerlichen Ländereien zog.
„Dann steckte also Lucius Malfoy hinter dieser Sache? Und der Erbe… der Erbe Slytherins war der Dunkle Lord?!?“, fragte der Tränkemeister verblüfft. Der Direktor hatte ihm soeben erklärt, dass Ginerva Weasley von einem Buch besessen handelte, das Voldemort einst Malfoy anvertraut hatte. Snape wusste nicht, was er von dieser Sache halten, in welchem Licht er seinen alten Schulfreund sehen sollte. Eigentlich hatte er gehofft, dass auch Lucius sich von Voldemort abgewandt hatte, obwohl es genügend Gründe gab, Zweifel daran zu hegen.

„Es scheint ganz so“, antwortete Dumbledore und verstummte plötzlich nach einem tiefen Seufzen.
Snape runzelte die Stirn und blickte in Albus‘ nachdenkliches Gesicht, während sie langsam ihren Weg fortsetzten. „Wir können wahrlich von Glück sprechen, Severus“, nahm Albus nach einer Weile das Gespräch wieder auf „dass sich die Sache aufgeklärt und ein glimpfliches Ende gefunden hat, dass Miss Weasley wieder wohlauf ist und niemand ernstlich zu Schaden kam. All diese schrecklichen Taten der versuchten Ermordung so vieler Schüler. Welch furchtbares Elend ein Menschen, dem das Tod Anderer gleichgültig ist, über Hogwarts hätte bringen können. Wir sollten dankbar sein, dass dies vereitelt wurde.“

Severus hörte ihm zu und fühlte sich mit einem Mal sehr beklommen. Bilder längst vergangener Jahre tauchten bei Dumbledores Worten vor seinem inneren Auge auf, vernebelten den Blick auf den Gehweg. Bilder aus einer finsteren Vergangenheit, in der ihm bis auf eine gewaltige Ausnahme das Leben Anderer nichts mehr bedeutete und nur die Anerkennung falscher Freunde und eines großen Anführers noch zählte. Desinteresse, Missachtung und Gewalt an beiden Orten, die er sein Zuhause genannt hatte, hatten ihn an diesen Punkt gebracht, über Jahre hinweg gelehrt, die Menschheit zu verachten.

War ihm der Tod Anderer nicht ebenso gleichgültig wie Voldemort? Und doch erinnerte sich Severus, dass er ein Stück zusammengeschrumpft war, als ihm eines Nachts ein alter Zauberer mit langem weißem Bart auf einem Hügel die Wahrheit ins Gesicht gesagt hatte. Ein merkwürdiges Gefühl breitete sich plötzlich in Snapes Brust aus, als er nun neben dem gleichen Zauberer einherschritt, der seitdem seinen Weg nicht mehr verlassen hatte. Der ihm einst sagte, dass es eine beste Seite an ihm gäbe, als er der die bittere Rechnung seiner Gleichgültigkeit hatte empfangen müssen.

Was war geschehen? Obwohl Severus es sich nur ungern eingestand, konnte er doch nicht leugnen, dass die Tatsache, dass fast eine Schülerin ermordet worden wäre auch ihn nicht so kalt gelassen hatte, wie es nach außen hin den Anschein hatte. Es war Severus so als hätte eine fremde Hand ein Licht in ihm entzündet, das er in einen dichten, dunklen Nebel zu hüllen versuchte, weil es unmöglich zu ihm gehören konnte.

Verschämt warf er Albus einen flüchtigen, dunklen Blick zu, als dieser plötzlich innehielt. Ein versonnener Glanz war in die hellblauen Augen getreten. Snape folgte seinem Blick. Sie waren in einem kleinen Hain nahe dem Schloss angelangt und der Weg führte nicht weiter. Stattdessen ragte vor ihnen ein prächtiger Baum auf, über und über mit großen, weißvioletten Blüten bedeckt, der seine ausladenden Äste gebieterisch über die letzten Sandkörner des Weges streckte und seinen Schatten auf sie beide warf. Die Blätter glänzten in der Mittagssonne schneehell auf, wie unbeschriebenes Papier, wie ein weißleuchtendes Licht.

„Magnolien!“, rief Albus begeistert, „welch ein wunderschönes Stück Natur!“

Severus war aus seinen Gedanken gerissen. Mit stummen Augen beobachtete er, wie der alte Mann zu seiner Seite leichtfüßig über einen Teppich aus Blütenblättern hinweg auf den Baum zuschritt, nahe an den Stamm herantrat und sich strecke, um in seinen Zauberstab auf eine Magnolie in der Krone des Baumes zu richten. Die weiße Robe schien mit dem Blütenmeer geradezu zu verschwimmen, das Silberhaar legte sich um die feinen Äste und Sonnenlicht huschte hell über alles gleichermaßen hinweg. Fast schien es so, als seien Dumbledore und die Magnolie eins, gewachsen aus einer Wurzel, einem Stamm. Und ein Strahlen ging von dem Baum und dem alten Mann gleichermaßen aus, das bis in den Schatten vordrang, in dem Severus stehen geblieben war.

Er konnte nicht sagen, was es war, doch mit einem Mal fühlte er etwas, das sehr selten in seinem Leben war. Eine Art von Frieden, von innerer Ruhe.

Endlich hatte Dumbledore seinen Schatz errungen und trat wieder auf Snape zu. In seiner Hand hielt er die Blüte wie eine seltene Kostbarkeit.
„Ist es nicht ein Wunder, Severus, welche Schönheit sich in einer hölzernen, knorrigen Knospe verbergen kann?“, fragte er und reichte ihm die Blüte zum Betrachten.
„Entstarrung“, sagte Snape plötzlich.
Albus warf ihm einen neugieren Blick zu.
„Magnoflorin“, fuhr Snape fort, „es ist eine häufige Zutat für Entstarrungs- und Entkrampfungstränke. Zerriebene Rinde. Meist nur sehr wenig, eine Messerspitze voll. Doch die Wirkkraft ist recht groß.“
Und für einen Moment sah sich Severus in seinem Kerker vor einem Topf mit brodelndem Zaubertrank stehen, sah die Pulverwolken aufglänzen und roch den süßlichen Duft.
„Ja“, antwortete Dumbledore glucksend, „manchmal findet man verborgene Kräfte, wo man sie nie erwarten würde.“
Mit einem Lächeln steckte er sich die Magnolienblüte an den Spitzhut.
„Kommen Sie, Severus, ich denke, das Mittagessen wartet bereits auf uns“, sagte er und begann fröhlich summend den Weg zurückzugehen.

Snape schaute ihm hinterher. Und ein leises Lächeln huschte plötzlich über seine Lippen. Kein hämisches, müdes, gequältes Lächeln. Einfach nur ein Lächeln. Dann setzte auch er sich in Bewegung und folgte Dumbledore hinauf zum Schloss.

Es war an einem Sommerabend mitten in den Ferien. Der Flur im Stockwerk war leer. Nur im Schatten unter einem Fenstersims kauerte eine Katze und blickte mit ihren lampenartigen, lauernden Augen auf die pechschwarze Gestalt, die von der Treppe her heran rauschte. Sie lief an ihrem Versteck vorbei und kam schließlich vor zwei steinernen Wasserspeiern zum Stehen. „Zitronenbrause“, raunte die ölige Stimme den Statuen zu, die sofort auseinanderglitten und den Aufgang zur fahrenden Treppe freigaben. Einen Augenblick später stand der Besucher einem weißbärtigen, alten Mann in einer zinnoberroten Robe gegenüber, der eilig einige Blätter auf seinem Schreibtisch sortierte. Sofort fuhr er auf, blickte zu seinem Gast empor und ein Ausdruck des Wiedererkennens trat in sein Gesicht.

„Ah, Severus! Welch überraschender Besuch zu später Stunde“, sagte der Schulleiter von Hogwarts freundlich, „Was führt Sie zu mir?“.
„Ich wollte mich erkundigen, ob Sie bereits einen Nachfolger für Gilderoy Lockhard gefunden haben, Dumbledore.“, antwortete Snape geradeheraus.
Für einen Augenblick ruhten Albus‘ Blicke auf ihm, während er das letzte Papier auf einen Stapel legte.
„Sie gedenken doch nicht etwa, sich wieder um die Stelle zu bewerben?“, fragte er schließlich, „Sie wissen doch, dass ein Fluch darauf lastet.“
Snape schwieg.
„Nun, ich wollte Sie deswegen ohnehin sprechen“, fuhr Dumbledore fort und wies Snape, sich zu setzen, „tatsächlich habe ich einen geeigneten Bewerber gefunden. Er hat den Vertrag bereits unterschrieben. Sie dürften ihn noch kennen.“
Snape warf dem Schulleiter, der noch immer stand und nun mit seinem Zauberstab die Papierstapel in die Regale dirigierte, einen neugierigen Blick zu.
„Wen?“, fragte er knapp.
Dumbledore atmete tief durch. Seine Antwort bestand aus nur zwei Worten: „Remus Lupin“.

Plötzlich trat Stille ein und hielt unheilverkündend lange an. Als Albus sich Severus wieder zuwandte, hatte dieser keinen Stuhl mehr unter sich. Seine bleichen Hände stützten sich auf dem Pult ab und die dunklen Augen, glühend wie frisch ausgespiene Lavabrocken, fixierten seine blauen mit sengenden Blicken.
„Lupin?“, schnaubte Snape zornig, während sein Gesicht weiß erglühte, „Remus Lupin?!? Dumbledore! Sie erwarten von mir, dass ich Potter beschütze und dann setzten Sie die Gefahr mitten ins Klassenzimmer?!?“
Severus klang so wütend, als hätte der Schulleiter ihm die Kündigung seines Lehrerpostens ausgesprochen.
„Ich denke nicht, dass von Remus irgendeine Gefahr ausgeht“, antwortete Albus ruhig mit einem ernsten Blick auf sein Gegenüber, bevor er sich umwandte und kurz aus dem Fenster schaute.
„Ach ja?!?“, rief ihm Snape zynisch hinterher, „Sie haben wohl vergessen, den Tagespropheten zu lesen, Dumbledore. Askaban vermisst seit jüngstem einen dreizehnfachen Mörder!“
„Ich bin über diesen Ausbruch sehr wohl im Bilde, Severus“, antwortete Dumbledore ohne sich umzudrehen, „Wie mir Cornelius Fudge mitteilte, wurde bereits der Premierminister der Muggle darüber informiert, so dass auch unsere nichtmagischen Mitbürger gewarnt sind. Zudem hat das Zaubereiministerium beschlossen, Hogwarts dieses Jahr unter besonderen Schutz zu stellen.“
„Die Schutzmaßnahmen des Ministeriums werden wohl kaum helfen, wenn das Personal der Schule selbst dem Ausbrecher Zugang verschafft. Ich nehme an, Sie haben nicht vergessen, mit wem Lupin bestens befreundet war, Dumbledore?“, zischte Snape.
„Nein, durchaus nicht“, antwortete der Direktor und wandte sich nun endlich wieder Snape zu.
„Remus war seinerzeit nicht weniger bestürzt über Blacks Verrat und seine Morde als Sie und ich, Severus.“, sagte er ruhig und nahm wieder hinter seinem Pult Platz, „Er war ebenso mit Lily und James Potter befreundet und ihr Tod hat ihn damals schwer getroffen. Ich bin mir sicher, dass er Sirius nicht helfen wird, hier einzudringen“
„Sicher?“, höhnte Snape, „Sie vertrauen ihm also!“
„Ja, ich vertraue ihm“, fuhr Albus fort. „In Anbetracht der Bedrohung dieses Jahr brauch ich einen fähigen Lehrer auf diesem Posten. Ein ehemaliges Mitglied des Phönixordens erschien mir da geeigneter als zweifelhafte Berühmtheiten oder gar Voldemort höchstpersönlich.“
Dumbledore wirkte leicht amüsiert.
Snape, der vor seinem Schreibtisch auf- und abgewandert war, wandte sich ruckartig um.
„Und was ist mit mir?“, schnarrte er, „ich bin Ihnen wohl nicht vertrauenswürdig genug!“
Dumbledore seufzte und blickte in das erzürnte Gesicht seines Zaubertranklehrers.
„Sie wissen so gut wie ich, Severus, warum ich Ihnen diese Stelle nicht gebe. Ich würde Sie nur ungern am Ende dieses Schuljahres verlieren.“
Snape schnaubte wortlos und starrte Dumbledore für eine Weile grollend an.
„Und was ist mit der anderen Bedrohung, die von Lupin ausgeht?“, flüsterte er schließlich finster, „darüber verlieren Sie kein Wort!“.
„Ich denke nicht, dass diese Sache zum Problem werden wird“, antwortete der Schulleiter ruhig.
„Nicht?!?“, tobte Snape, „muss ich Sie wirklich daran erinnern, was Ihr neuer Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste in Vollmondnächten treibt? Wie wollen Sie sichergehen, dass er nicht versehentlich einen der Schüler angreift?“
Dumbledore atmete tief durch. „Genau darum wollte ich Sie sprechen, Severus. Setzen Sie sich… bitte“.

Snape verstummte, nahm widerwillig Platz und bedachte den Schulleiter mit skeptischen Blicken. Dumbledore schloss die Augen.
„Wir wissen beide, dass Sie sind ein ausgezeichneter Tränkemeister sind“, begann er zu erklären und jedes Wort klang tausend Mal abgewogen und gewählt, „Ich schätze Ihre Arbeit auf diesem Gebiet und da ich Sie für sehr versiert halte, nehme ich, dass Sie einer der wenigen Zauberer sind, die den Wolfsbann-Trank beherrschen.“
Snape gab einen undeutlichen Laut von sich, der entfernte Ähnlichkeit mit einem Ja hatte.
„Gut“, fuhr Dumbledore fort, „Ich erwarte von Ihnen, dass Sie ihn nächstes Schuljahr regelmäßig für Remus Lupin brauen werden. Außerdem möchte ich, dass Sie vor den Schülern Stillschweigen bewahren“.
Dumbledore öffnete die Augen. Im kreisrunden Zimmer herrschte Totenstille, während die letzten Strahlen der untergehenden Sonne blutrotes Licht auf Snapes fahles Gesicht warfen.

„So wie damals, Dumbledore?“, fragte Snape schließlich und seine Stimme klang bitter.
„Worauf wollen Sie hinaus, Severus?“, fragte Albus mit einem leichten Zittern in seiner Stimme, welches verriet, dass er die Antwort bereits kannte.
„Sie wissen es ganz genau. Sie wissen, wovon ich spreche!“, raunte Snape ihm zu,
„Potter und Black. Sicher erinnern Sie sich. Immerhin waren Sie es, der die Strafe anordnete. Nachsitzen“.
Snape schnaubte verächtlich.
„NACHSITZEN - dafür, dass die beiden mich fast in den Tod gejagt hätten!!! Damals wollten Sie auch, dass ich schweige.“
Dumbledore atmete tief durch.
„Severus, ich verstehe...“, sprach er leise. Doch Snape fiel ihm ins Wort.
„NEIN, Sie verstehen nichts, gar nichts. Black und Potter haben Sie verschont. ICH - war Ihnen egal.“
„Das ist nicht wahr, Severus und das wissen Sie auch. Bitte lassen Sie uns…“.

Doch zu spät. Noch ehe Albus aussprechen konnte, war alles, was er von Snape sah der schwarze Umhang, der durch die Türe floh. Mit einem schweren Seufzen sank Dumbledore auf seinen Stuhl, setzte die Halbmondbrille ab und verbarg seinen Kopf in seinen Händen.

Severus konnte es nicht glauben. Remus Lupin… Remus Lupin. Wie konnte Dumbledore ihm das nur antun! Er und seine ach so tolle Menschenliebe, zum Teufel damit. Remus Lupin…

An den Gläsern mit den Hauspunkten vor dem Ausgang stand mit gepackten Koffern Minerva McGonagall. Snape rauschte geradewegs auf sie zu.
„Ah Minerva, schon auf dem Weg in die Ferien? Ich dachte, Sie wollten unserem Schulleiter noch gratulieren. Wie ich soeben erfuhr, hat er einen ausgezeichneten Nachfolger für Verteidigung gegen die dunklen Künste gefunden. Er entstammt übrigens Ihrem Haus. Da fällt mir ein: Was machen eigentlich Ihre Schüler? Ich hoffe, sie haben sich über den Hauspokal gefreut. Sie kennen ja das Sprichwort über die Gewohnheit und den Wert des Besonderen. Einen schönen Urlaub noch.“
Und in Windeseile war Snape die Treppe zu den Kerkern hinab verschwunden. Minerva McGonagall warf ihm einen skeptischen Blick hinterher. Dann stellte sie Koffer ab und lief schnurstracks zurück zu den Wasserspeiern, zwischen denen der Eingang zum Schulleiterbüro lag.

Snape schlug mit einem heftigen Knall die Türe hinter sich zu und ließ sich auf das schmale Bett fallen. Die halbleere Flasche Feuerwiskey auf seinem Nachttisch erzitterte für einen Moment, der verhexte Ohrenwecker flüchtete sich hastig hinter einen Stapel schwarzmagischer Lexika und feiner Staub rieselte auf ein Regalbrett mit Zaubertrankproben herab. Die drei Jobberknolls starrten trübe zwischen den Stäben jenes verschmutzten Käfigs hindurch, in dem sie ihr lautloses Dasein fristeten, bis sie im Augenblick ihres Todes alles aus sich herausbrüllen würden. In einer Zimmerecke entdeckte Severus eine Spinne, richtete den Zauberstab auf sie und sah zu, wie sie im grünen Lichtschein noch einmal aufzuckte und dann zu Boden fiel.

Ein Gefühl von Leere breitete sich in seiner Brust aus, als er auf das tote Tier herabblickte, dessen Beine wie Fäden pechschwarzen Haares von ihm abstanden. Seine Wut an der Hauslehrerin Gryffindors ausgelassen zu haben, hatte ihn kein bisschen getröstet. Im Gegenteil, jetzt wo er alleine war, fühlte er sich noch miserabler als vorher. In der Stille des Zimmers mit den tristgrauen Wänden kehrten zahlreiche Erinnerungen an diesen Tag wie dunkle Nebelschwaden zurück. Die peitschende Weide, Sirius Black, James Potter, Lupin… Er hatte es gewusst. Ganz sicher! Der Werwolf hatte alles gewusst. Es schmerzte Severus, daran zurückzudenken, an diese Zeit erinnert zu werden, als er auf dem Schulhof nirgendwo mehr sicher war. Zu wissen, dass der Schulleiter die ganze Bande begnadigt hatte, brannte wie eine verschleppte Wunde. Nicht die milde Strafe war das Schlimmste daran, sondern das Gefühl nichts wert zu sein, dass sein Schmerz, ja sein Leben, nichts zählte. Und nun schlug Dumbledore erneut in diese Kerbe, holte Remus Lupin auch noch als Lehrer hier her!

Snapes Magen zog sich zusammen vor Zorn und vor Schmerz. Er fühlte sich verraten. Verraten von dem einzigen Menschen, dem er sich anvertraut hatte – Albus Dumbledore. Warum - WARUM - musste dieser alte Narr auch mit allem und jedem so viel Nachsicht haben? Wie viel er alleine Harry Potter schon hatte durchgehen lassen, ach Severus mochte gar nicht daran denken. Und nun auch noch Lupin… ausgerechnet Lupin! Snape ballte die Hand zu einer Faust zusammen, unwissend wen oder was er damit schlagen sollte. Eine leise Stimme in seinem Hinterkopf flüsterte ihm zu, dass es dieselbe Güte und Gnade Dumbledores waren, denen er zu verdanken hatte, nicht in einer einsamen Gefängniszelle Dementoren mit einer Hirschkuh in Schach halten zu müssen. Severus wollte diese Stimme nicht hören. Doch so sehr er sich auch dagegen wehrte – ganz zum Schweigen brachte er sie nicht.

Snape wälzte sich auf die andere Seite des Bettes. Verflucht! Er konnte Dumbledore nicht hassen – jedenfalls nicht im gleichen Maße, wie er jeden anderen Menschen hassen konnte. So sehr sich Severus nach Lilys Tod auch geschworen hatte, dass kein Mensch ihm je wieder nahe kommen dürfe – Dumbledore hatte die Mauer, die er um sich errichtet hatte, überwunden. Er hatte es von jenem Moment an, als das Spiel des Schicksals ihn dazu gezwungen hatte, vor dem alten Mann sein Geheimnis zu offenbaren. Seine Anerkennung war Snape wichtig, so sehr und so oft Dumbledore ihn auch zum Rasen bringen konnte.

Für einen Moment wünschte er sich, der Schulleiter hätte ihn damals einfach vor die Türe gesetzt, als er weinend in seinem Büro zusammengebrochen war. Wünschte sich, er hätte ihm nicht die Hand gereicht, ihm nie eine zweite Chance gegeben, nicht die Augen dafür geöffnet, dass es auf Welt noch etwas gab, das er für Lily tun konnte. Hätte Dumbledore ihn doch nur wie einen räudigen Hund vom Schloss gejagt - alles wäre so einfach für Severus gewesen. Ein Quäntchen Gift, ein Bad im See mit einem Stein, sich Bellatrix als Dumbledores Spion offenbaren - und alles hätte sein Ende gefunden. Doch der Funke von Leben, den dieser Tag und all die Jahre danach in ihm hinterlassen hatten, machte es unmöglich. Es war schwer, so schwer, das Band zum Leben zu zerreißen, wenn am anderen Ende des Fadens noch jemand saß, der ihn hielt. Selbst dann wenn dieser Faden wie eine Fessel war, die einem tiefe Wunden ins Fleisch schürfte.

Missmutig blickte Snape zu seinem Bücherregal auf, wo der Staub im Licht einer fahlen schwebenden Kerze zwischen Spinnenweben hindurch glänzte. „Accio Damocles Belby“ knirschte Severus leise. Das Buch flog auf ihn zu, er ließ es auf den Tisch niederknallen. Blätter flatterten bis ein Rezept auf der aufgeschlagenen Seite zu lesen war: Wolfsbann-Trank.

Viele Stockwerke über Snapes Kerkerzimmer lag noch immer die Brille mit den Halbmondgläsern unangetastet auf dem Pult. Der alte Mann auf dem Stuhl dahinter wirkte erschöpft. Mit zusammengekniffenen Augen rieb er sich die Stirn. Manchmal konnte das Amt des Schulleiters einem schon ziemliche Kopfschmerzen bereiten, dachte Albus Dumbledore. Seine Aufgabe war es, für all seine Lehrer und Schüler da zu sein. Doch wie sollte er dieser Aufgabe gerecht werden, wenn so viel Hass und Verbitterung zwischen zwei Menschen lag? Nicht nur, dass sich zwischen Severus Snape und Harry Potter seit zwei Schuljahren alles in eine andere Richtung entwickelte, als Albus es sich vorgestellt hätte. Nun kündigte sich auch noch Zwist unter den Lehrern an. Natürlich traf Lupin keine Schuld an den Geschehnissen vor fast zwölf Jahren. Er war ein alter Kämpfer des Orden des Phönix und ein guter Freund der Potters und Pettigrews. Ein sanfter, gutmütiger Mensch, der leider ein großes Problem hatte, das ihn zum Außenseiter der magischen Welt werden ließ. Albus konnte, durfte ihn nicht einfach im Regen stehen lassen – und er brauchte jemanden mit seiner Erfahrung und Kompetenz auf dem Posten des Lehrers für Verteidigung gegen die Dunklen Künste. Und doch verstand er irgendwo auch Severus Snape. Obwohl so viele Jahre vergangen waren, schien er noch immer tief verletzt zu sein. Doch wie sollte Albus ihm dabei helfen? Er durfte sich nicht auf die Sorgen eines Einzelnen einlassen. Er musste für alle in Hogwarts da sein.

Gerade war Dumbledore im Begriff seine Brille wieder aufzusetzen, als auf einmal ein vertrautes Gesicht in der Türe erschien.

„Albus, ist alles in Ordnung?“, fragte die Hexe mit den streng zusammengebundenen schwarzen Haaren, „Ich traf gerade Severus in der Eingangshalle und er war äußerst ungehalten. Ist denn etwas passiert?“.
„Nein, Nein, es ist alles in Ordnung, Minerva“, antwortete der Schulleiter, „eine kleine Meinungsverschiedenheit. Er wird sich wieder beruhigen. Magst du ein Zitronendrop? Ich könnte jedenfalls eines vertragen.“
„Nein, Danke, Albus“, sprach Professor McGonagall, „Wie ich hörte, hast du jemanden für die Stelle des Lehrers für Verteidigung gegen die dunklen Künste gefunden?“
„Ja, er hat heute den Vertrag unterzeichnet. Du wirst dich freuen, es ist ein alter Schüler von dir.“
„Das sagte mir Severus bereits. Wer ist es denn?“
„Remus Lupin“, antwortete der Schulleiter.
Seine Stellvertreterin blickte ihn mit einem Gesichtsausdruck an, der gemischte Gefühle verriet.
„Freust du dich etwa nicht? Ich dachte, ein altes Mitglied des Ordens wäre eine doch eher angenehme Abwechslung zu den Kollegen der letzten Jahre“, erklärte Dumbledore.
„Doch gewiss“, antwortete Professor McGonagall und runzelte die Stirn,
„Es ist nur… Ach Albus, wir werden Remus doch nicht wieder mit Madame Pomfreys Hilfe in der Heulenden Hütte verstecken können wie früher. Und erst die Kinder. Wir müssen doch auf ihre Sicherheit achten, gerade jetzt…“
„Darüber mach dir mal keine Sorgen, Minerva“, sagte Dumbledore ruhig, „Für jedes Problem gibt es eine Lösung… sicherlich“

Mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck warf Albus einen Blick durch die Scheiben hinaus auf die Schlossgründe. Minvera folgte ihm stumm. Vor dem Fenster versank die Abendsonne im See.

Die Zeit bis zum Schuljahresbeginn verging in rasantem Tempo. Severus Snape wagte in den nächsten Tagen noch häufiger den Versuch, auf Albus Dumbledore einzuwirken. Doch nachdem er immer wieder mit unmissverständlichen Worten abgewiesen wurde, gab er es schließlich auf. Es half ja eh nichts. Das Wort des Schulleiters war in Hogwarts Gesetz. Bald brach Snape in die Winkelgasse auf um beim Händler seines Vertrauens die letzten Zutaten für den Wolfsbann-Trank zu besorgen und kehrte missmutig in die Mauern des Schlosses zurück, in dessen Keller schon bald der erste Kessel brodelte. Der Sommer ging und als hätten sie den Auftrag erhalten, die Herbstnebel über die Schlossgründe zu bringen, war mit den ersten gelben Blättern Hogwarts von den Wachen Askabans eingekreist.

Dementoren.. dachte Snape bitter… Dementoren. Das Zaubereiministerium hatte sich wirklich alle Mühe gegeben, Harry Potters Schutz zu gewährleisten. Doch was würden die schon nützen, wenn der Schulleiter selbst für die größte Sicherheitslücke sorgte? Leise grollend ließ Severus fein gemahlene Wolfszähne in das dampfende Wasser gleiten. Er hätte den Trank manipulieren können. Ein paar kleine Veränderungen in der Rezeptur und Lupin würde höllische Schmerzen leiden, wenn er sich verwandelte oder sich die ganze Nacht über erbrechen müssen. Doch Snape tat nichts dergleichen. Widerstrebend braute er den Wolfsbann-Trank mit jener Sorgfalt, die von einem Zaubertrankmeister erwartet wurde. Eine kleine Priese Bitterkraut, die den ohnehin schon grässlichen Geschmack des Gebräus zur Unerträglichkeit steigern würde, war alles, was er dem Sud zufügte. Vielleicht, dachte der Tränkemeister mit einem bösen Grinsen, würde der Werwolf sich auch so erbrechen müssen.

Vom ersten Schultag an bedachte Snape den neuen Kollegen mit hasserfüllten Blicken, wann immer sie sich begegneten. Dumbledore beobachtete in Nachdenklichkeit, was sich zwischen den beiden Lehrern anzubahnen schien. Ihm selbst war Severus seit langem aus dem Weg gegangen, als wolle er damit stille Rache dafür üben, dass er Remus eingestellt hatte. Der Beginn des Schulajhres brachte für Snape eine unschöne Geschichte über einen Irrwicht, die ihn lange noch zum Gespött der Schule machen sollte. Der Schuldige an dieser Misere war niemand Geringeres als Lupin und als ob das nicht schon genug wäre, versuchte der Werwolf ihm auch noch mit einer scheinheiligen Freundlichkeit zu begegnen. Severus machte Zähneknirschend gute Miene zum bösen Spiel. Solange Dumbledores Augen über Hogwarts wachten, würde er es sich nicht erlauben können, offen gegen Lupin vorzugehen. Doch er hasste den Werwolf, er hasste ihn aus tiefsten Herzen. Ihn und die ganze Bande seiner verlogenen, frechen Freunde. Und mochte der Schulleiter in seiner Naivität auch etwas anderes glauben, Snape traute ihm keinen Fingerbreit. Irgendwann, dafür würde er schwören, würde der Tag kommen, an dem Remus Lupin sein wahres Gesicht offenbaren würde… Dieser Tag war der 31. Oktober 1993.

„Professor Dumbledore, kommen Sie schnell. Etwas ist… ist am Gryffindorturm passiert“. Die Stimme der atemlosen Vertrauensschülerin drang durch die sich leerende große Halle zum Lehrertisch hinauf. Dumbledore tauschte einen verwunderten Blick mit Professor McGonagall aus und rauschte aus der Halle. Snape verfolgte ihn erst mit skeptischen Blicken und dann mit seinen Füßen. Der Tumult vor dem Aufgang zum Gryffindorturm teilte sich und gab den Blick auf die zerschlitzen Überreste des Porträts der Fetten Dame. Severus ahnte sofort, was geschehen war. Doch es war Peeves, der seinen Verdacht bestätigte. „Übles Temperament hat er, dieser Sirius Black“ , rief der Poltergeist. Dumbledore, der mit fragenden Augen zu ihm herauf geblickt hatte, wandte sich sofort zur Menge um. „Alle Gryffindors in die Große Halle. Alle Hauslehrer, holen Sie Ihre Schüler!“, rief er laut. Sein Gesicht jedoch hatte an Farbe verloren.

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Kursiv geschriebenes ist Original-text: J.K. Rowling: Harry Potter und der Gefangene von Askaban, S.169

Es war Lupins Werk! Lupin, der seinen alten Freund Black ins Schloss geschleust hatte. Daran konnte gar kein Zweifel bestehen! Hatte Severus ihn nicht heute erst gesehen, wie er sich bei Potter beliebt zu machen versuchte? Ein Werwolf als Lehrer in Hogwarts, völlig harmlos natürlich. Was für ein Irrsinn! Dumbledores Personalpolitik war gewiss schon immer etwas… speziell. Doch dass er diesen Halbmenschen von Lupin einstellen musste, der mit seinem alten Freund Black unter einer Decke steckte? Lupin eine bessere Wahl als Quirell… Na klar! Wer kam als nächstes? Barthy Crouch jr. als Inferus auf Vielsafttrank? Wenn Dumbledore jetzt nicht zur Vernunft käme…

Wütend rauschte Snape durch die finsteren Gänge des Schlosses – angetrieben von dem brennenden Verlangen Black zu finden. Black, der beste Freund seines alten Erzfeindes. Black, dem er die schlimmsten Momente seiner Schulzeit zu verdanken hatte, Black, der einst ihn in den Tod schicken wollte…

Die Hoffnung wurde jäh zerschlagen. Nachts gegen drei gaben die Lehrer die Suche auf. Sie hatten überall nachgesehen, er und Flitwick im dritten Stock, Filch in den Kerkern und der Rest des Kollegiums wer weiß wo. Black war wie vom Erdboden verschluckt. Missmutig kehrte Snape in die Große Halle zurück. Jenem Ort, an dem die gesamte Schülerschaft im Tiefschlaf lag und Dumbledore auf Nachricht wartete.

Leise betrat Severus die Halle. Es brauchte einen Moment, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, die nur vom Mond und dem schwachen Licht einiger Zauberstäbe erleuchtet wurde. Doch dann sah er den Schulleiter – mitten in der Halle, ins Gespräch mit Percy Weasley vertieft. Snapes Magen grollte noch immer. Doch er konnte beim besten Willen nicht sagen, gegen wen – den, den er vergebens gesucht hatte oder den, dem er davon berichten musste. Mühsam zwang Severus sich äußere Ruhe auf und stapfte auf Dumbledore zu. „Direktor?“, fragte er gedämpft und wartete.

Albus wandte sich um. Im trüben Licht seines Zauberstabs sah er das längliche Gesicht Snapes vor sich, welches die bekannte Stimme bereits angekündigt hatte. Sie alle waren ausgeschwärmt, um Sirius Black zu suchen – Dumbledore und Professor McGonagall ohne Erfolg. Vielleicht hatte Severus mehr Glück gehabt? Noch immer wunderte Albus sich, wie es Sirius Black gelungen war, ins Schloss einzudringen. Ein besorgniserregender Vorfall - und das bei der Anzahl an Dementoren, die das Zaubereiministerium um Hogwarts positioniert hatte. Nun, dies schien wohl zu bestätigen, was Dumbledore immer geglaubt hatte – dass Fudge einen großen Fehler machte, mit diesen Wesen zusammenarbeiten. Dennoch, dass es Black gelungen war, an ihnen vorbei zu kommen, warf viele Fragen auf, die sich der Schulleiter nicht zu beantworten wusste. Hoffentlich hatte wenigstens Severus gute Nachrichten. Eine vage Hoffnung, dass Sirius Black gefasst worden war, an deren Erfüllung Albus jedoch selbst nicht glaubte. Wie sich bestätigen sollte, zu Recht.

Na gut, Severus. Ich hatte ohnehin nicht erwartet, dass Black lange trödelt“, sagte Dumbledore schließlich, nachdem er Snape ausgefragt hatte.
Er wollte sich gerade wieder Percy zuwenden, als die dunklen Augen des Tränkemeisters ihn scharf fixierten.
Haben Sie eine Idee, wie er hereingekommen ist?“, fragte Snape.
Der Tonfall verhieß nichts Gutes. Weit mehr schien hinter Snapes Stirn vorzugehen, als über seine Lippen kam.
„Einige, Severus und eine unsinniger als die andere“antwortete Albus sanft, ein ehrliches Bekenntnis seiner Unwissenheit.
Snapes Miene veränderte sich nicht.
Und Dumbleore wusste, was es war, an das Snape dachte. Die Spur von Zorn in seinen Zügen verriet den Schwelbrand. Nahezu durchtränkt war die Luft von der Anklage - unausgesprochen, doch deutlich.
„Sie erinnern sich an das Gespräch, das wir hatten, Direktor, kurz vor – ähm – Beginn des Schuljahres?“, fuhr Severus fort.
In den finsteren Augen loderte der Vorwurf der Naivität und Ignoranz einer gerechtfertigten Warnung nun ungeniert auf. Hätte Percy Weasley ihr Gespräch nicht belauscht, Dumbledore hätte tief geseufzt. Doch die Anwesenheit eines Dritten erlaubte nicht allzu viel Offenheit.
„Ich glaube nicht, dass auch nur ein Einziger hier im Schloss Black geholfen hat“, sagte er nach einem kurzen Schlagabtausch und machte sich auf den Weg zu den Dementoren…

Er hätte es wissen müssen, dachte der Schulleiter, als er durch die kühle Nachtluft auf die Schlossgründe zutrat. Severus hatte die Einstellung Remus Lupins wohl persönlich genommen. Eine Befürchtung, die Albus seit dem Sommer hegte, noch bevor er das Gespräch mit Snape gesucht hatte. In der Tiefe seines Misstrauens musste Severus wohl denken, dass Albus ihn nicht ernst nahm. Zu schade, dass die Anwesenheit des Schulsprechers kein offenes Gespräch zugelassen hatte.

Natürlich wusste Dumbledore, in welchem Verhältnis Remus Lupin zu Sirius Black und James Potter gestanden hatte. Obwohl die Schulzeiten der drei schon lange zurücklagen, konnte sich Albus noch lebhaft an die Jungen erinnern. Gerade James und Sirius waren unzertrennlich. Minerva berichtete oft genug über ihre Missetaten, die sie ganz schön in Atem gehalten hatten. Weniger bekannt war Albus seinerzeit das Verhältnis der Freunde zu Severus Snape. Persönlich getroffen hatte er den blassen Jungen aus Slytherin nur ein einziges Mal – bei jener unschönen Geschichte um die Peitschende Weide. Snape war weder wie James das Kind eines Bekannten noch wie Sirius mit einem solchen befreundet. Und daher für Albus nicht mehr als einer von etwa 800 Schülern, die Hogwarts beherbergte. Ein unbekanntes Gesicht und ein unbekannter Name, den Albus nur ab und an flüchtig aus dem Mund von Horace Slughorn oder Minerva McGonagall gehört hatte. Wie gnadenlos unvollständig sein Wissen war, sollte er erst viele Jahre später tröpfchenweise erfahren…

Der Tag war regnerisch, Albus erinnerte sich noch gut daran, als er das Indiz dafür bekam, dass mehr zwischen James Potter und Severus Snape vorgefallen sein musste, als die Tatsache, dass sich Letzterer in die Frau des Ersten verliebt hatte. Severus war noch nicht lange in Hogwarts angestellt. Es war die Zeit, in der der gebrochene junge Mann schweigend wie ein Phantom durch die Flure des Schlosses schwebte und so wenig aß, dass es an ein Wunder grenzte, dass man ihn nicht eines Tages als ausgemergeltes Skelett in seinem Stuhl im Lehrerzimmer aufgefunden hatte – oder vor ERISED, wie Dumbledore nun dachte.

Jedenfalls war es kurz vor der Mittagspause, als Albus zusammen mit McGonagall im Lehrerzimmer saß und Severus hinzustieß. Dumbledore hatte an diesem Morgen eine Eule von Mrs Figg erhalten und war lebhaft dabei, die Neuigkeiten mit Minerva zu besprechen, während Snape sich leise eine Tasse Tee holte. Natürlich konnte er ihrem Gespräch lauschen, auch wenn er sich im Hintergrund hielt. Irgendwann kam McGongall auf James Potter und seine Schulzeit zu sprechen. Aus dem Augenwinkel konnte Dumbledore sehen, wie bei der Erwähnung des Namens Snapes Körper augenblicklich sich versteifte. Plötzlich erfüllte das Klirren einer Teetasse, die zu Boden fiel, den Raum. Minerva verstummte, Dumbledore schaute zu Snape hinüber. Die dunklen Augen, die in jenen Tagen sonst zwei schwarzen Tunneln glichen - leblos, leer und trauerblind, hatten sich mit einem eisigen Funkeln gefüllt, das an puren Hass erinnerte.
„Ist alles in Ordnung, Severus?“, fragte der Schulleiter.
Eilig richtete Snape seinen Zauberstab auf den Boden und schnappte sich dann einen Stapel Papiere von seinem Platz. „Ja, Direktor“, antwortete er, „ich muss zurück in den Unterricht“ und rauschte aus der Tür.
Verwundert schaute Dumbledore ihm nach.

Es war das erste Kapitel einer langen Geschichte, die nur selten in Worten erzählt wurde.

Hätte er sich damals vielleicht mehr um den Jungen aus Slytherin kümmern, Minerva und Horace ins Gewissen reden müssen? Nachdenklich schritt Albus im fahlen Licht des silbernen Phönix dahin. Die Zeit für eine Antwort blieb nicht. In diesem Augenblick hatte er die Schlossgründe erreicht und sah sich einer Front von Gestalten in schweren Kapuzenmänteln gegenüber. Langsam schienen sie auf das Schloss zuzuschweben. Jene Wesen, die alles Glück aus ihrer Umwelt sogen, bis einem nur noch die schlimmsten Erinnerungen blieben. Unerschrocken blickte Albus zu ihnen auf. Mit dem Patronus an seiner Seite hatten sie keine Macht. Solange man sich der Gunst des Schutzherrn gewiss war, konnten sie keine Verzweiflung und sähen.... solange man sich der Gunst des Schutzherrn gewiss war...

...

Tief in der Dunkelheit der Großen Halle stand Severus Snape. Seine Augen funkelten finster, als er zur Tür hinüberschaute, durch die sich die dunkelgrüne Robe entfernt hatte. Ein Ausdruck tiefsten Widerwillens stand in sein Gesicht geschrieben. Koch den Wolfsbann-Trank, Severus, aber erzähl mir bloß nicht, wie es dir mit dem neuen Kollegen geht; Pass auf Harry Potter auf, aber wage es nicht, zu kritisieren, dass ich ihn für seine Missetaten belohne; Warne mich vor Gefahren, doch glaube bloß nicht, dass ich auf dich höre. Tu alles für mich – aber erwarte nicht, dass ich das jemals honoriere. War er Dumbledore überhaupt wichtig? Kümmerte sich der Schulleiter jemals darum, wie es ihm ging oder er die Sache sah? Potter, Lupin… sie behandelte Albus mit Nachsicht. Sie mochte er. Ihnen vertraute er. Ihm hingegen… ihm legte er Steine in den Weg, um seine Aufgabe noch schwerer zu machen. Sein Urteil war belanglos.

Schweigend setzte sich Snape in Bewegung und die verließ die Große Halle. Vielleicht war es zu viel erwartet, zu glauben, dass Albus Dumbledore in ihm jemals mehr sehen würde, als einen nützlichen Handlanger… ein ehemaliger Todesser - wie konnte der schon etwas wert sein…

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Kursiv geschriebenes ist Original-text: J.K. Rowling: Harry Potter und der Gefangene von Askaban, S.173/174

Zwei Monate vergingen, in denen Dumbledore seine Meinung zu Remus Lupin trotz dessen, was geschehen war, nicht änderte. Obgleich der Schulleiter ihm zusicherte, dass er Wert auf Snapes Urteil lege, zweifelte Severus daran. Es war wie immer – andere erhielten die Gunst, nach der er strebte. Grummelnd entfachte Snape zwei Mal das Feuer unter dem Kessel und stellte sich vor, er braue das tödlichste Gift für Lupin, während er in Wirklichkeit darauf achtete, den Wolfsbann-Trank nicht zu verderben. Immerhin bot ihm eine Vertretungsstunde für den netten Herrn Kollegen die Gelegenheit, den Schülern die Sinne für die wahre Natur ihres Lehrers zu schärfen. Derweil zog der Winter ins Land und Raureif bedeckte die Mauern des Schlosses, während das Jahr sich seinem Ende zuneigte.

Am Weihnachtstag war die große Halle in warmes, goldenes Licht getaucht, als Severus missmutig aus den Kerkern herauf trottete. Der ganze Raum stak vor widerlicher Feierlichkeit. Filius tänzelte beschwingt um eine riesige Tanne und ließ einen Schauer aus flirrendem Lametta, Zuckerstangen und bonbonfarbenen Kugeln auf die Äste regnen. Minerva war in einer anderen Ecke damit beschäftigt, ein paar debil grinsenden Weihnachtsmännern Leben einzuhauchen und Dumbledore, der ihnen in seiner roten Robe leicht ähnelte, hatte sich in ein Gespräch mit Filch vertieft, der sich heute herausgeputzt zu haben schien – was hieß, dass er ziemlich schleimig aussah.

Ein eisiges Gefühl durchzuckte Snape, als er in der Tür stehen blieb und diese kariesgleiche Fröhlichkeit für eine Weile beäugte. Sie alle schienen ein Lächeln auf der Lippe zu tragen, einen Glanz in den Augen. Doch nichts von der Wärme, die ihn hier umgab, konnte Severus erreichen. Warum sollte er auch in Weihnachtsstimmung kommen, wo es doch seine Schuld war, dass die heilige Jungfrau vorzeitig das Zeitliche gesegnet hatte, er sich um den Rotzlöffel von Sohn kümmern musste, sich gleichzeitig mit dem Beelzebub in Wolfsgestalt rumschlagen durfte und Gott Vater das alles scheinbar herzlich wenig interessierte? Wenn sein leerer Magen nicht seinen Tribut gefordert hätte, Severus wäre gar nicht heraufgekommen. Die Weihnachtstage waren in Hogwarts noch schlimmer zu ertragen als alle anderen.

Wie eine frostige Brise vom verschneiten Schlosshof fegte Snape in die Große Halle. Da über die Feiertage noch nicht einmal zehn Schüler im Schloss geblieben waren, würden sie alle an einem Tisch speisen. McGonagall und Flitwick hatten ihr Werk vollendet und waren gerade dabei, sich mit Dumbledore und Filch zu setzen, als der Tränkemeister zu ihnen stieß. Albus sah ihn als erstes. „Severus!“, rief er ihm schon von weitem fröhlich entgegen, „wie schön Sie zu sehen! Dann ist unsere kleine Runde ja bald vollständig. Kommen Sie!“

Snape hielt für einen Moment inne und starrte ihn an. „Oh nein… bitte nicht!“, dachte er flehentlich, als er in Dumbledores strahlende Miene blickte. Der Schulleiter war in Hochstimmung und Severus wusste nur zu gut, was das bedeutete. Meist war Albus Dumbledores gute Laune ein überdeutliches Warnsignal, möglichst schnell das Weite zu suchen, wollte man nicht Gefahr laufen, an einer Welle von Brausedrops zu ersticken oder ins St. Mungos eingeliefert zu werden, weil man in Gegenwart eines offensichtlich geistig verwirrten alten Kauzes aufgegriffen wurde, der Kinderlieder trällerte. Und obwohl - oder vielleicht gerade weil - die Luft zwischen ihnen in den letzten Monaten zum Schneiden dick war, zweifelte Severus nicht daran, dass nachwievor er Dumbledores Lieblingsopfer war.

Zu allem Überfluss bot Albus ihm auch noch den Platz schräg neben sich an, nur mit Minerva McGonagall als Bollwerk zwischen ihnen. Schweigend ließ Snape sich auf seinem Stuhl nieder, bange hoffend, dass der Kelch diesmal an ihm vorrübergehen möge. Aus dem Augenwinkel konnte er gerade noch sehen, wie Granger, Potter und Weasley die Halle betraten. Dann nahm das Unheil bereits seinen Lauf.

„Knallbonbons“, rief Dumbledore voller Begeisterung, hob eines der glitzernden Bonbons aus der kleinen Schale vor sich auf und hielt es Snape unter die Nase. Severus dankte es ihm mit einem finsteren Blick. Er hatte es gewusst! „Muss das wirklich sein, Albus?“, beantwortete er das Angebot nur in Gedanken sprechend, „reicht es nicht, dass ich hier sitze und den brechsüßen Gestank von Tannennadeln, Zimt und Fröhlichkeit ohne Murren ertrage?!?“. Doch die blitzenden, durchdringenden Augen hinter der Halbmondbrille und das strahlende Lächeln zwischen dem silbernen Bart waren eine klare Antwort - „Ja, Severus, es muss sein!“

Snape seufzte lautlos. Er hätte die Hand heben können, um dankend abzulehnen, was wohl jeder andere an seiner Stelle getan hätte. Und wäre es nicht der Schulleiter gewesen, der ihm das Knallbonbon anbot, er hätte die Geste sofort mit einem zynischen Spruch quittiert. Doch Dumbledore… Dumbledore hatte eine seltsame Macht über ihn. Als Severus zu dem freudesprühenden alten Mann hinüberblickte, fühlte er sich für einen Moment so, als fiele trotz seiner Wut auf Dumbledore ein einziger goldener Lichtstrahl durch die trübe Düsternis seiner Stimmung. Zum ersten und vielleicht einzigen Mal seit Jahren nahm Severus einen winzigen Hauch der Weihnachtsstimmung wahr, die ihn umgab. Doch konnte er dem Licht trauen? Durfte er die Läden seiner schmalen Kerkerfenster öffnen, um es einzulassen?

Noch war er sich unsicher, doch Dumbledore nickte ihm fast unmerklich zu. Vorsichtig ergriff Snape das Knallbonbon, zog daran und sah mit Entsetzen, was zum Vorschein kam. Ein Hut ala Großmutter Longbottom. Severus konnte die Blicke förmlich spüren, die auf sein fahles Gesicht gerichtet waren, sich der Anekdote um den Irrwicht erinnernd. Das war also die Rache, dachte er. Die Rache dafür, dass er sich hatte verführen lassen. Mit zusammengekniffenen Lippen schob er den Hut weit von sich weg wie etwas, das nichts mit ihm zu tun hatte. Es kostete einiges an Selbstbeherrschung, den Spott in den Gesichtern ringsum zu ertragen ohne Dumbledore dafür anzugiften. Und wäre es nicht Dumbledore gewesen, augenblicklich wäre an der Festtafel ein zynischer Wortsturm losgebrochen. Doch irgendwann, das schwor sich Severus, würde er den alten Mann noch umbringen für seine Späße.

Als ob es der Qualen nicht schon genug gewesen wären, setzte sich der Schulleiter zum Trumpf aller Peinlichkeit den Hut auch noch selbst auf, erschien überraschend Sibyll Trelawney, neben Snape Platz nehmend und wurde das Thema Wolfsbann-Trank auch noch bei Tisch erörtert. Severus wusste sehr bald, dass dies sein „Glückstag“ war. Missmutig stocherte er in seinem Essen. Er hatte keine Ahnung, ob die Geschichte um den Irrwicht bis zum Schulleiterbüro durchgedrungen war, was die Wahrsagelehrerin gerade heute dazu bewegte, mit ihnen gemeinsam zu speisen oder warum Lupin ihm auch noch dann den Appetit verderben musste, wenn er gar nicht im Raum war. Doch eines wusste Severus: Seine Stimmung war düsterer als jemals zuvor, die Läden waren fest geschlossen und er würde keine Sekunde zu früh die Gelegenheit ergreifen dieser weihnachtlichen Fröhlichkeit zu entfliehen. Dieser Fröhlichkeit, in der er nichts verloren hatte.

Die Luft war eisig vor den Toren des Schlosses. Keine Menschenseele war auf den Wegen zu sehen. Die Schlossgründe hatten sich in tiefste Einsamkeit gehüllt. Und Severus Snape ebenso. Er mochte die Unwirtlichkeit des Winters, die schwarzen Baumgerippe, die links und rechts des Weges aufragten, die bittere Kälte, die einem in die Ohren stach. Selbst in dieser Jahreszeit brannte in den Kerkern nur selten ein Feuer im Kamin. Es war ein frostiger Wintertag, der Himmel wolkenverhangen und die Welt ringsumher in Weiß gehüllt.

Für eine Weile zog Severus durch die verschneiten Ländereien, bis er die Buche am See erreichte. Der Ort, an dem ein unsägliches Wort seiner Freundschaft zu Lily den Todesstoß versetzt hatte. Snape blickte bitter bei der Erinnerung daran. Wo einst grüne Blätter blühten, hingen nun Eiszapfen wie Dolche von den dunklen Ästen herab, gerade spitz genug, um sie jemanden ins Herz zu rammen. Mit einer plötzlichen Idee zur Lösung des Problems Remus Lupin im Kopf ließ Snape sich böse lächelnd auf einer Bank am Rande des Sees nieder. Er würde sie nicht umsetzen, doch der Gedanke daran war rachesüß. Für eine Weile starrte Severus hinaus aufs Wasser. Eine tiefe Eisschicht bedeckte den See, eine undurchdringliche Hülle aus Kälte, die alles Leben unter sich begrub.

Dann hörte er plötzlich ein Summen in der Nähe, das der Melodie von „Jingle Spells“ – einen beliebten Weihnachtslied der magischen Welt – sehr nahe kam. Snape wandte den Kopf und wünschte sich, er hätte den Anblick, der sich ihm nun bot, niemals gesehen. Eine rote Robe mit einem grünen Zauberhut, dazu ein paar lila Ohrschützer und ein gelber Schal, die sich alle farblich wunderbar miteinander bissen, schwebte auf ihn zu. Das lange Silberhaar, die Hakennase und die Halbmondbrille kannte Snape nur zu gut. Für eine Sekunde kniff er die Augen zusammen und versuchte inständig den Gedanken an die Verwendungsmöglichkeiten der dolchgleichen Eiszapfen zu verdrängen. Kaum öffnete er wieder die Lider, hörte er bereits die vergnügte Stimme von Albus Dumbledore hinter sich.

„Ah, Severus, welch schöne Überraschung! Ich hätte nicht vermutet, Sie hier draußen anzutreffen“.
Es war eine Lüge – und um das zu wissen war noch nicht einmal Legilimentik nötig.
Snape stand auf und wandte sich um.
„Guten Tag, Dumbledore“, sagte er mit einem gekünstelten Lächeln.
„Hätten Sie nicht Lust, mich ein wenig zu begleiten?“, fragte Albus in einem verräterisch harmlosen Tonfall.
Natürlich hatte Snape keine Lust und hätte Albus am liebsten angefaucht, dass er seine wohlverdiente Ruhe haben wollte. Doch das schelmische Glitzern in Dumbledores Augen verriet, dass er diese Wahrheit erstens schon längst kannte und zweitens sich nicht um sie scherte.
„Aber gerne doch“, knirschte Snape daher nur leise und trat zu ihm hinüber.
„Wunderbar!“, gluckste Dumbledore vergnügt und begann wieder „Jingle Spells“ zu summen, während Sie gemeinsam durch die Schlossgründe schritten.
„Was führt Sie eigentlich nach draußen, Dumbledore?“ fragte Snape nach einer Weile, „Ich hätte erwartet, dass Sie die Weihnachtsfeier im Lehrerzimmer besuchen würden“.
„Oh, da war ich auch“, antwortete Albus lächelnd, „Doch nach einem kleinen hitzigen Zwischenfall mit einer Aschwinderin, dem Punschfeuer und Trelawneys Zauberkünsten nach ein paar guten Gläschen Met, dachte ich mir, könnte ein kleiner Ausflug in die kühle Winterluft meinem lieben Barthaar nicht schaden. Es geht doch nichts über einen herrlichen Weihnachtsspaziergang. Die arme Sibyll, sie hatte nicht so viel Glück. Hoffentlich kann Madame Pomfrey schon bis heute Abend etwas ausrichten.“
Snape hob eine Augenbraue und schwieg. Er wollte gar nicht wissen, was im Schloss vorgefallen war. Und noch weniger wollte er Albus mehr Gründe zum Reden geben als dieser schon von selber fand.
„Brausedrop, Severus?“, fragte Dumbledore unvermittelt.
„Was?... Nein!“, antwortete Snape patzig. Seine Laune verhielt sich einmal wieder wie so oft antiproportional zu der Dumbledores.

Der Schulleiter zuckte mit dem Schultern und steckte sich vergnügt selbst eines der Säurebonbons in den Mund.
„Sie wurden übrigens vermisst“, bemerkte er schließlich.
Snape warf ihm einen irritierten Blick zu. Da er an der Weihnachtsfeier des Kollegiums üblicherweise nicht teilnahm, kam es ihm merkwürdig vor, dass sich jemand über seine Abwesenheit gewundert haben sollte. Und dass ihn irgendwer v e r m i s s e n würde, bezweifelte er ohnehin.
„von wem?“, fragte Severus scharf.
„Ihrem Schüler“, antwortete Dumbledore lässig, dieses Jahr war nur ein einziger Junge aus Slytherin im Schloss geblieben, „er wollte Sie glaube ich etwas zu seinen Hausaufgaben fragen. Aber Sie waren nach dem Essen ja so schnell verschwunden.“
Snape verrollte die Augen. Hatte er nicht mal an Weihnachten seine Ruhe vor der Schülerseuche?
„Sehr schade übrigens“, fuhr Albus andeutungsvoll fort, „Sie haben ja kaum etwas von dem Nachtisch mitbekommen, den die vorzügliche Küche Hogwarts wie alle Jahre wieder serviert hat. Und erst Minervas Ingwerkekse, Madame Rosmertas Met. Was wäre Weihnachten nur ohne seine Köstlichkeiten…“.

Dumbledore gluckste amüsiert und warf Snape einen vielsagenden Blick zu. Severus blieb abrupt stehen. Plötzlich wusste er, was Albus im Schilde führte. Sie waren nicht weit vom Schloss entfernt und die Weihnachtsfeier war noch in vollem Gange. Gleich der Zapfen, die noch immer an der Buche baumelten, fixierte er den alten Mann in seinen viel zu bunten Gewändern mit einem finsteren, eisigen Blick.

Was dachte Dumbledore eigentlich, wer er war? Ein Versuchskaninchen für die Aktion „Mehr Fröhlichkeit in der Welt“? Severus war heute schon einmal darauf hereingefallen und hatte den gebührenden Preis dafür zahlen müssen. Er wollte es nicht noch einmal. Er wollte nicht dorthin. Er wollte keine Knallbonbons, keine Brausedrops, keine Ingwerkekse, keinen Met. Er wollte keine fröhlich feiernden Menschen um sich herum oder alte Zauberer, die Weihnachtslieder vor sich hin summten. Alles was er wollte war, sich niemals Voldemort angeschlossen zu haben, Lily am Leben und wohlauf zu wissen und James und Sirius und ihre ganze Bande an Freunden und vorlauten Söhnen los zu sein. Er wollte die Zeit zurückdrehen und noch einmal neu beginnen, die Vergangenheit aus der Gegenwart verbannen und einen Mentor und Vertrauten, der ihn wahrhaft wertschätzte, nicht wie ein interessantes, kleines Tierchen behandelte. Doch nichts, NICHTS davon würde Severus jemals bekommen. Das Dunkle Mal war für immer in seine Haut eingebrannt, so sehr er sich auch wünschte, es herauszureißen, Lily war tot – sie schlief dank seiner Schuld schon lange einen ewigen Schlaf, seine Feinde wohnten Tür an Tür mit ihm und Dumbledore… Dumbledore zog sie ihm vor. Er scherte sich Dreck um Snapes Vorbehalte oder darum, was James und Sirius, Remus und Peter ihm einst angetan hatten.

Es war Severus, als hätte sich eine eisige Mauer zwischen ihn und Albus geschoben. Eine Kränkung, über die kein Brausedrop, Knallbonbon oder Senftortenstück der Welt hinweghalf. Was wusste er, der niemals erfahren hatte, wie es ist, auf dem Schulhof gejagt zu werden, der nicht wusste, was es bedeutete, tagtäglich mit dem Wissen leben zu müssen, den wundervollsten Menschen der Welt auf dem Gewissen zu haben, schon von seinem Leben? Gutmenschelndes Getue – wie sehr Snape es doch hasste.
„Sie entschuldigen mich, Dumbledore - mir ist kalt!“, sagte er frostig.
Und ohne ein weiteres Wort oder einen Blick zurück zog er an Albus vorbei und durch die Winterlandschaft von dannen…

Wie ein verlassener Weihnachtsmann in seiner roten Robe stand Dumbledore einsam in den verschneiten Ländereien. Er hatte aufgehört „Jingle Spells“ zu summen als er die dunkle Shilouette beobachtete, die sich schnellen Schrittes entfernte. Gewiss – Severus dazu zu bewegen, sich ein wenig Lebensfreude zu gestatten war schon immer eine besondere und meist recht brotlose Kunst gewesen. Und doch hatte Albus gehofft, ihn nach all der Streitigkeiten der letzten Wochen ein wenig besänftigen, ein wenig aufmuntern, ihm zeigen zu können, dass es noch andere und weitaus wichtigere Dinge gab als Remus Lupin. Er war gescheitert. Snapes Tonfall hatte noch mehr offenbart als seine üblichen Weigerungen, sich von Fröhlichkeiten anstecken zu lassen. Er schien noch immer gekränkt zu, vielleicht zu fürchten, nicht geliebt zu werden.

Doch Albus dachte nicht allzulange darüber nach. Es würde zu nichts führen. Severus war momentan nicht zugänglich und Dumbledores weihnachtlich gute Laune ihm selbst zu wichtig, um sie sich durch Dinge, die sich nicht ändern ließen, verderben zu lassen. Irgendwann würde Severus sich schon wieder beruhigt haben. Im Lehrerzimmer warteten indess noch immer Met und Zuckerstangen und herrliche Knallbonbons auf Albus und der Tränkemeister sie nicht zu würdigen wusste - Dumbledore tat es bestimmt. Fröhlich summend setzte der Schulleiter seinen Weg in Richtung Schloss fort.

„Black! Sirius Black im Gryffindorturm! ER muss ihm geholfen haben, Dumbledore! Sie können es nicht leugnen. Er war es!“

Die Stimme brach aus den schmalen Lippen hervor. Verärgert und vorwurfsvoll hallte sie durchs Zimmer, bis sie irgendwo zwischen Einmachgläsern und Büscheln getrockneter Kräuter erlosch. Sie standen da, in der Mitte des schlecht beleuchteten Raumes, die Augen aufeinander gerichtet, schwarz in blau, blau in schwarz. Keiner von beiden sagte ein Wort. Das Feuer, das eben noch in den dunkleren Augen gelodert hatte, schien auf einmal zu verglimmen, als die Stille anhielt. Ein schwacher Abglanz, ein Schimmer von Schmerz und Verzweiflung trat an seine Stelle.

„Sie sehen das doch ein, Dumbledore, oder? Sie glauben es doch auch?“, flüsterte der Mann unsicher, mit einem Hauch von Flehen in seiner Stimme. Keine Antwort folgte. Dumbledore stand nur vor ihm, blickte ihn aus den blauen Augen an, stumm und reglos.

Es war der Tag nachdem Black abermals ins Schloss eingedrungen war. Albus, Severus, die Hauslehrer, die Angestellten – sie alle hatten eine schlafloslose Nacht hinter sich. Der Schatten der Ereignisse hatte sie wachgehalten. Bei der abermals vergeblichen Suche nach dem Mörder, einer eilig einberufenen Konferenz und schnell erlassenen Verschärfungen der Sicherheitsvorkehrungen war Dumbledore keine Zeit für einen gesunden Schlaf geblieben. Ebenso wenig wie für ein ordentliches Gespräch mit Severus, der in dieser Nacht darauf zu drängen schien, mit ihm zu sprechen. Albus war daher am nächsten Morgen in die Kerker hinabgestiegen und hatte Snape noch vor Beginn dessen Unterrichts beim Zaubertrank Brauen aufgesucht. Doch was als harmloses Gespräch gedacht war, entwickelte sich bald schon in eine völlig andere Richtung...

Ruckartig wandte Severus sich von ihm ab, presste die Hand flach und fest gegen das Holz des nahen Wandregals. Dumbledore beobachtete ihn noch immer. Er hatte es nicht gewagt, Snapes Frage zu beantworten. Tatsächlich glaubte er nachwievor an Remus‘ Unschuld. Sprachen die Indizien auch gegen ihn - seine Menschenkenntnis hatte Albus‘ bisher selten betrogen. Und jeder Andere, der mit ihm über die Vorfälle gesprochen hatte, vertraute seinem Urteil. Severus aber war viel zu wütend, viel zu aufgebracht, als dass es klug gewesen wäre, ihm offen und ehrlich zu antworten. Würden die Worte überhaupt Gehör finden? Würden sie nicht ins Leere fallen? Ein Gefühl von Mitleid überkam Dumbledore als er auf den hageren Mann mit den schwarzen, fettigen Haaren blicke, der sich gegen das Regal lehnte und offensichtlich mit seiner Selbstbeherrschung kämpfte. Wäre es nur Ignoranz gewesen, so hätte Albus vielleicht anders über ihn gedacht. Doch Snapes ganze Körpersprache verriet mehr, so viel mehr, als es bloße Meinungsverschiedenheiten hätten auslösen können.

„Severus-“, sprach er die dunkle Gestalt mit leiser Stimme an.
Doch noch ehe er den Satz beenden konnte schnitt Snape ihm das Wort ab.
„Nein!“, rief er und wandte ihm sein zornerbleichtes Gesicht zu.

Der Blick aus den schwarzen Augen traf Albus mehr, als er erwartet hätte. Sie waren leer wie zwei dunkle Tunnel und doch erfüllt von einer Finsternis, die reiner Schmerz war. Sie sprachen von tiefer Wut und alter Enttäuschung und doch dem Versuch, beides nicht zu offen zu zeigen – sie nicht an ihm, Albus, auszulassen.

Mit einem Handgriff riss Snape eine Flasche mit blutroter Flüssigkeit aus dem Regal und wirbelte zum brodelnden Kessel hinüber. Dumbledore schien für ihn nicht mehr zu existieren, als er die Flasche entkorkte und Tropfen für Tropfen in den Sud fallen ließ. Das trübe Licht, das durch die schmalen Kerkerfenster brach, ließ die konzentrierten Züge seines Gesichts hart hervortreten. Beim elften Tropfen jedoch verzog Snape plötzlich die Miene.

„Verdammt!“, fluchte er, knallte den Flakon so fest auf den Tisch, dass er zerbrach und richtete den Zauberstab auf den Kessel, „Evanesco!“
Dann fegte er mit dem Ärmel die feuchten Scherben vom Tisch, sank auf dem Stuhl hinter seinem Pult nieder und trocknete das Holz mit einem Putzzauber.

Dumbledore hatte das Schauspiel aus seiner Ecke im Halbschatten verfolgt – stumm, doch keineswegs teilnahmslos. Für einen Moment blickte er schweigend auf den Tränkemeister hinab. Das Begreifen der Bedeutung dessen, was er soeben gesehen hatte, pirschte sich auf leisen Sohlen an ihn heran. Gewiss, er wusste es – er wusste all die Jahre, was zwischen Sirius und Severus vorgefallen war, seit der Schulzeit der beiden. Doch konnten Anekdoten im Lehrerzimmer wirklich spiegeln, was ein Mensch mit seinen eigenen Augen sehen musste? Selbst die kleinen flüchtigen Einblicke in seine Seele, die ihm Severus in den Jahren ihrer gemeinsamen Arbeit hin und wieder gewährt hatte, kamen doch nicht an die Verletzung heran, die Albus nun, da Remus wieder in Hogwarts war, in den schwarzen Augen las. Eine Erkenntnis, die ihn betrübte.

„Dass Black gefasst wird und eine gerechte Strafe erhält scheint Ihnen wohl sehr viel zu bedeuten“, bemerkte Dumbledore, sich behutsam in fremde Gefilde vortastend.
Snape blickte auf. In den dunklen Spiegeln seiner Augen reflektierte sich Betroffenheit und Leid. Gequält und auch ein wenig vorwurfsvoll schauten sie ihn an. Kein Wort, nicht einmal ein Räuspern kam über die schmalen Lippen. Die feinen Finger des Tränkemeisters jedoch verkrampften sich unwillkürlich.

Albus nickte leise seufzend. Er hatte verstanden. Wann er unwillkommen war wusste er, auch wenn sein Gegenüber die Höflichkeit besaß, ihm nicht offen die Türe zu weisen.
„Kommen Sie in mein Büro, Severus, wenn Sie mit mir reden möchten. Ich verspreche Ihnen, ich werde da sein.“ Lautlos wandte er sich um und schritt zur Türe hinaus, die sich hinter ihm leise schloss.

Für einen Augenblick hielt Albus inne, als er sich allein auf der kargen Kerkertreppe wiederfand. Etwas mehr als zwei Jahre war es her, seitdem Snape zum ersten Mal im Schulleiterbüro aufgetaucht war, um sich über Harry Potter Luft zu machen. Nun stand Albus vor seiner Türe und die Türe war verschlossen. Mit einem Gefühl von Leere in der Brustgegend betrachtete er das dunkle Holz, hinter dem Severus alleine saß und sich seinem Schmerz hingab – fern von seinen Worten, seiner Anteilnahme, seinem Rat.

Hatte er einen Fehler gemacht? Viele Bilder aus vergangenen Zeiten tauchten vor Dumbledore auf, als er langsam die Treppe zur Eingangshalle emporstieg. Bilder, die er nun in einem neuen Licht sah. Als Sirius Severus zur Peitschenden Weide geschickt hatte, hatte Albus sich Gedanken darüber gemacht, warum es geschehen war? Er wusste wohl im Groben in welchem Verhältnis die Jungen zueinander standen. Doch hatte er sich je für Minervas Anekdoten in dem Maße interessiert, wie es notwendig gewesen wäre? Hatte er sich je die Frage gestellt, wer dieser blasse Junge aus Slytherin gewesen war und was die Feindschaft der Jungen mit ihm angerichtet hatte? Wusste er denn überhaupt, wer Severus Snape war, wie es ihm erging? Viele Jahre bevor James und Sirius Hogwarts-Schüler waren, besuchte ein Junge diese Schule, bei dem Dumbledore sich geschworen hatte, ihn gut im Auge zu behalten, weil dieser Junge keine Freunde hatte und Albus fürchtete, er könne sich der dunklen Seite der Magie zuwenden. Konnte es sein, dass er selbst Jahre später etwas – oder besser gesagt jemanden - übersehen hatte, der die gleiche Zuwendung gebraucht hätte? Dessen Schicksal er vielleicht hätte verhindern können, wenn seine Augen ein wenig weitsichtiger gewesen wären?

Mit einem unguten Gefühl im Magen ließ Dumbledore die Treppe hinter sich liegen, passierte den Wasserspeier und nahm hinter seinem Pult Platz, wo Fawkes Augen ihn eindringlich beäugten. Er hatte schon einmal einen Menschen, der in seiner Obhut stand, grausam vernachlässigt und der Preis dafür war unendlich hoch gewesen…

...

In den Tiefen des Schlosses blickte Severus Snape von einem neu aufgesetzten Zaubertrankkessel auf und fand sich allein im Zimmer vor. Er wollte, dass Dumbledore ging und doch erfüllte ihn die Leere in diesem Raum nun mit Beklommenheit. Trübsinnige Bilder aus längst vergangenen Zeiten traten Severus vor Augen.

Er hatte immer gewusst, dass dieses ekelhafte Pack Lilys Untergang sein würde – James Potter, Remus Lupin, Peter Pettigrew, Sirius Black - die schlimmsten Schüler, die Hogwarts je gesehen hatte. Wie oft hatten sie ihn Schniefelus gerufen und ihn aus Spaß mit Flüchen traktiert, gerade Potter und Black. Dass der Mann, der ihn als Junge fast in den Tod geschickt hätte, 13 Muggle und seinen Freund Pettigrew ermordet hatte, überraschte Snape wenig, als er damals davon erfuhr. Black war Abschaum, ein Widerling erster Güte, es war immer nur eine Frage der Zeit gewesen, bis er nicht nur zum Verräter, sondern auch zum Mörder werden würde. Natürlich wusste er vorher nicht, wer sie verraten hatte. Voldemort verriet nur seinen engsten Gefolgsleuten wie Bellatrix, wer sein Spion gewesen war und Severus gehörte damals nicht zum engsten Kreis. Doch der Gedanke, dass er Lilys Freundschaft gewonnen hatte, dass sie ihm vertraut hatte, war unerträglich. Und unerträglich war es auch, dass Albus noch immer Lupin mehr glaubte als ihm. Hätte Severus seine Frage beantworten sollen?

Ein brennender Schmerz schien seine Brust zu zerreißen. Der Stachel steckte zu tief und die Wände des Kerkerzimmers schienen näher zu kommen. Snape löschte das Feuer unter dem Kessel. Der Trank konnte warten, genau wie sein Unterricht, der heute erst nach dem Mittagessen begann. Er nahm sein Wintercape und trat hinaus in die kalte Frühfrühlingsluft.

Wie einsam das Schlossgelände sein konnte, wenn keine Schüler da waren, dachte Severus als er auf seinem Spaziergang den See erreichte. Er ließ sich auf eine Bank nieder. Jene Bank, auf der er gesessen hatte, als Albus an Weihnachten seine Ruhe störte. Für einen Moment versuchte er sich zu besinnen, die Bilder der Vergangenheit, die Erinnerung an den Tag, an dem er von Blacks Verrat erfuhr, kreisten noch immer in seinem Kopf.

Damals hatte er auch einen Spaziergang gemacht und hier gesessen, als ihn ein plötzliches Lachen aus seinen Gedanken gerissen hatte. Es war von nicht weit hergekommen. Er war aufgestanden und dem Geräusch gefolgt, bis er seine Quelle fand. Zwei Sechstklässler aus Gryffindor, ein Junge mit zerzausten Haaren und ein rotblondes Mädchen, hatten sich händchenhaltend unter der Buche niedergelassen. Der Anblick hatte Severus einen Stich versetzt - die beiden sahen James und Lily so ähnlich.
„So, Händchenhalten also… gefällt euch wohl besser hier als im Klassenzimmer!“, hatte er das Pärchen angefaucht. Die zwei waren erschrocken zu ihm umgefahren.
„Wir.. wir haben frei, Sir“, stammelte das Mädchen.
Doch er hatte nicht zugehört. „Macht, dass ihr aufs Schloss zurückkommt, SOFORT!“ hatte er sie angeblafft und von ihren Plätzen gestoßen.
Verärgert waren die Jugendlichen von dannen gezogen. Und ein plötzliches Leeregefühl hatte sich in Severus‘ Brust ausgebreitet, als er die Buche betrachtete, an der so viele Erinnerungen hingen, unendlich schöne und unendlich grausame…

Severus seufzte schwer, stütze den Kopf in die Hände, als er sich plötzlich erinnerte, dass er an einem anderen Tag in seiner Jugend, genauso lange her, in Schmerz aufgelöst hier am Ufer gesessen und seinen Kopf zum Schloss zurückgewandt hatte. Damals hatte geglaubt, hinter einem Fenster des Schlossturms einen Schatten zu sehen. Einen Schatten, der ihn beobachtete. Zögerlich hob Severus den Kopf, wandte ihn dem Schloss zu, suchte das Fenster. Doch die Scheiben waren nur glatt, hell, glänzend und leer.

Ob der Schatten dahinter zurückkehren würde? Severus wusste es nicht. Fröstelnd schwang er sein Cape um sich und ging zurück zum Schloss.

„Sie sollen aufhören, über meinen Vater zu reden. Ich weiß die Wahrheit, okay? Er hat Ihnen das Leben gerettet. Dumbledore hat es mir gesagt! Sie wären nicht einmal hier ohne meinen Dad!“

Wie ein schauriger Sturm rauschten die Worte Harry Potters durch den Kerkerraum, zersplitterten an den Wänden, bohrten sich wie Eisnadeln tief unter die Haut. Severus blieb wie angewurzelt stehen, starrte auf den Jungen herab, der seinem Blick standzuhalten versuchte.

WAS hatte dieses vorlaute Bürschchen da gerade gesagt?!? Die Ungeheuerlichkeit der Worte schwebte noch immer stumm im Raum. Severus musste sich wohl verhört haben – und doch gab es keinen Zweifel daran, dass jedes Wort tatsächlich über Potters Lippen gekommen war. Flammende Wut wie ein inneres Inferno loderte plötzlich in ihm auf. Flammende Wut, die alles in Glut erstickte, bis jedes einzelne Wort nur noch Rauch und Asche war. Säure und Galle zogen sich in seinem Magen zusammen, begannen brodeln. Ein giftiges Gemisch, das seine Adern durchströmte, siedend heiß.

Dumbledore! DUMBLEDORE! Severus konnte nicht behaupten, dass er ihn jemals so sehr gehasst hätte wie Black oder Potter. Doch in diesem Moment hasste er ihn mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt. Wenn es nur einen Beweis, einen letzten Beweis dafür brauchte, wer der Liebling des Schulleiters von Hogwarts war und wer ganz unten auf seiner Liste stand, dann hatte Potter höchstpersönlich ihn gerade erbracht. Wie konnte Albus nur… wie konnte er es wagen, diesem Balg brühwarm von dieser Geschichte zu erzählen?!? Und dann auch noch James als heldenhaften Lebensretter darstellen?!? Was für eine Unerhörtheit! War Severus in seinem Leben nicht schon genug gedemütigt worden?

„Und hat dir der Schulleiter auch von den Umständen berichtet, unter denen dein Vater mir das Leben gerettet hat? Oder glaubte er, die Einzelheiten seien zu unerfreulich für die Ohren des geschätzten jungen Potters?“

Häme war das einzige Mittel gegen die Gefühle, die in Severus aufzuwallen drohten. Mit einer höhnischen Genugtuung sah er, dass dem Jungen das Lachen entglitt und ein ahnungsloser Ausdruck in sein Gesicht trat. Die Befriedigung hielt nicht lange an, doch für einen Moment lang tat das Gefühl, Potter auflaufen gelassen zu haben, unendlich gut.

Nach weiteren Erniedrigungen durch ein Stück verhexten Pergaments und einer kleinen Unterredung mit dem verhassten Kollegen, fand sich Snape allein in seinem Büro wieder.

Als wollten sie glühende Aschezeichen in das Holz brennen funkelten seine schwarzen Augen vor Zorn, als er auf die Türe starrte, durch die der Werwolf und der Junge mit der Blitznarbe den Raum verlassen hatten. Mit einer Hand griff Severus ein Glas toter Spinnen und schleuderte es wütend gegen die Wand neben dem Türrahmen. Für eine Sekunde beobachtete er, wie es zu tausend rasierklingenscharfen Stücken zerbarst, die klirrend zu Boden fielen. Dann sank er auf den wackeligen Schemel vor dem Pult und krallte die schlanken, weißen Finger fest ins fettige schwarze Haar.

Er hatte es gewusst, er hatte es immer gewusst. Dumbledores Ignoranz gegenüber seiner beständigen Warnungen vor dem Werwolf innerhalb des letzten Dreiviertel Jahres. Es war mehr als die Gutgläubigkeit eines alten Mannes. Es war ein geheimes Zeichen, das Severus zeigen sollte, wo sein Platz war. Ganz unten in der Hierarchie der Sympathien - nützlich ja, doch mit einer Stimme, die nichts wog. Jemand, der froh sein sollte, dass ihm Gnade gewährt worden war, doch nicht darauf hoffen durfte, dass sein Schicksal etwas zählte.

Er hatte gehofft, Albus‘ Freundschaft gewinnen zu können. Wie er sich jetzt erkennen musste, hatte er sich geirrt. Er war ausgestochen worden. Ausgestochen von einem dreizehnjährigen Lümmel! Es war beschämend. Dass der Schulleiter Potter jede Ungezogenheit durchgehen ließ, ja ihn dafür sogar noch belohnte, während er Snape auch nur den kleinsten Fehler scharf ankreidete, war schmerzhaft. Doch dass Albus dem Jungen nun auch noch das mörderische Verbrechen seines Vaters und dessen Freunden als tolle Heldentat verkauft hatte, riss eine klaffende Wunde, die tiefer ging als alles andere zuvor. Severus konnte sich anstrengen und abmühen, wie er wollte. Er konnte Quirrell im Auge behalten, herausfinden, dass die Kammer des Schreckens mit Parsel geöffnet wurde oder jeden Monat wieder den Wolfsbann-Trank brauen, es war alles vergebens. Er würde von Albus doch niemals die Anerkennung erhalten, die dieser Rotzlöffel ohne eigenes Zutun erhielt.

Harry Potter, Dumbledores Goldenes Kalb - Er hatte sich zwischen sie gedrängt, Severus auf den zweiten, dritten, wenn nicht sogar letzten Platz verbannt. Wie konnte dieser Bengel die Frechheit besitzen, Liebe einfach so geschenkt zu bekommen, während es für Severus nur Schläge gab und den unstillbaren Durst danach irgendwem irgendwas zu bedeuten?

Es tat weh, so weh, zu wissen, dass er ewig im Schatten der Potters stehen würde. Sie und ihre Freunde hatten ihm alles genommen, was ihm jemals etwas bedeutet hatte. Die erste Generation Lily, die zweite nun auch noch Albus. Der Schmerz brannte wie Feuer, wie Brandwein auf verletzter Haut. Warum, Warum musste er immerzu alles an diese Bande verlieren? Warum durfte er nicht einmal, nur einmal bekommen, wonach er sich sehnte? Beide, Vater und Sohn, sie hatten alles, was Severus fehlte. Tolle Quidditchspieler, beliebt, ja sogar berühmt und sich der Zuneigung anderer Menschen stets gewiss – Menschen, nach deren Zuneigung und Gunst Severus strebte, innerlich schrie. Stumm, doch laut.

Schreie die niemals erhört wurden. Lily hatte ihn nicht geliebt. Das hatte Severus spätestens dann so bitter lernen müssen, als sie mit James Potter händchenhaltend über den Schulhof zog. Und nach ihrem Tod war Albus Dumbledore Snapes letzter Anker gewesen. Sein Retter, sein Mentor, sein Vertrauter wie er geglaubt hatte, das Licht, das ihm einen Weg in die Zukunft erhellte, während alles um ihn in Finsternis zu versinken drohte. Er war damit für Severus zum zweitwichtigsten Menschen in seinem Leben geworden, zum wichtigsten unter den Lebenden. Wie gerne hätte er seine Freundschaft gewonnen. Doch die Mauer um den König dieses Schlosses, um den Vater dieser Schule, um den Einzigen, den ER je fürchtete, war hoch. Wie sollte Severus sie je überwinden?

Gewiss – irgendwo gab es da eine Tür. Doch ihm fehlte der Schlüssel. Einen Schlüssel, den Remus und Harry besaßen. Den Schlüssel einer weißen Weste, einer unbefleckten Seele. Für ihn jedoch, der in Schuld und Schande lebte, war sie auf ewig verschlossen. Ein wenig Güte und Gnade – Arbeit, eine Aufgabe und ein Dach über dem Kopf – die von den Zinnen der Mauern tropften, war wohl alles, was er erwarten durfte. Eine Wahrheit, die Severus endgültig begriffen hatte, auch wenn sich alles in ihm noch immer dagegen sträubte.

Das Licht der niedergebrannten Kerzen erfüllte den Kerker mit kläglichem Licht. Im Halbschatten saß auf einem Schemel die dunkle Gestalt eines hageren Mannes, die Hand grüblerisch auf die Stirn gepresst, die Finger ins Haar vergraben. Ein Ärmel seiner Robe war nach oben gerutscht. Auf dem Unterarm waren weiß auf bleicher Haut die Umrisse eines Schädels zu sehen, aus dessen Mund sich eine Schlange wand.

Für einen Augenblick wünschte sich der Mann, er könnte das Mal, das ihn ewig brandmarkte gegen ein anderes eintauschen. Dann fiel klackernd ein Zauberstab zu Boden und die Kerzen im Zimmer – erloschen.

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Kursiv geschriebenes ist Original-text: J.K. Rowling: Harry Potter und der Gefangene von Askaban, S.297

Für einen Augenblick beobachtete Dumbledore noch das Licht, das sich dem Schloss allmählich wieder näherte, ihn aus seinen Gedanken riss. Dann richtete er sich wieder auf und hob den Zauberstab. Rote Funken sprühten in die Luft, malten ein glühendes Bild an den nachtschwarzen Himmel. Ein Signal, das weithin sichtbar war.

In der Finsternis am Fuße der Schloßmauern hob sich das bleiche Gesicht einer schwarzgekleideten Gestalt zum Firmament empor. Zunächst konnte Severus in der Dunkelheit nicht erkennen, wer die roten Funken über den Horizont geschickt hatte. Dann jedoch nahm er den blassen Schatten auf dem Astronomieturm wahr. Ein kleiner Punkt wie ein weißer Schleier. Der Stoff einer hellen Robe, die er kannte. Sie gehörte dem Schulleiter von Hogwarts - seinem Mentor, seinem Vertrauten. Zumindest hatte Severus ihn einmal für das gehalten. Doch das letzte Schuljahr hatte starke Zweifel in ihm geweckt, ihn letztendlich eines Besseren belehrt.

Was Dumbledore jetzt nur von ihm wollen könnte?

Snape hatte nicht die geringste Lust auf ein Gespräch mit ihm. Nicht mehr, seitdem der alte Zauberer zur Krönung aller Kränkungen seinem Erzfeind Sirius Black und zwei Drittklässlern mehr Glauben geschenkt hatte als ihm und das obwohl deren Geschichte hanebüchener Unsinn war. Viel mehr stand ihm der Sinn danach, die Schlossgründe solange nach Black zu durchforsten, bis er ihn finden oder vor Erschöpfung bewusstlos zusammenbrechen würde. So sehr, so sehr brannte er darauf, noch miterleben zu dürfen, wie ein Dementor Sirius seinen Kuss aufdrücken würde, wie dessen Seele aus seinem Körper gesogen würde. Oh, Rache war ein süßes Brot. Und niemand hatte diesen Kuss mehr verdient als Black, Black der Mörder... Er sollte endlich für seine Sünden bezahlen, büßen dafür, Severus selbst fast umgebracht zu haben. Und doch bewog eine innere, unerklärliche Macht Snape dazu, Dumbledores Ruf zu folgen. Die Suche aufzugeben, stattdessen den Astronomieturm zu erklimmen, widerwillig, doch zielgerichtet. Stufe um Stufe um Stufe.

Der Blick des alten Zauberers glitt noch immer über die schlafenden Ländereien, an deren Rändern die Dementoren wachten, als Severus sein Ziel erreichte. Kein Gesicht, nur das wehende Silberhaar und die weiße Robe, schimmernd im Mondlicht, strahlten ihm geisterhaft von der Brüstung entgegen. Wind zerzauste Dumbledores Haar. Hier oben war es immer leicht windig - wenn nicht gerade Stürme über die Plattform brausten.

„Sie wünschten mich zu sehen, Direktor?“, fragte Snape förmlich. In seiner Stimme lagen weder Wut noch Gekränktheit. Sie war kalt und glatt wie ein geschliffener Diamant.
„Ja, das wünschte ich, Severus“, antwortete Dumbledore, ohne sich umzudrehen.

Snape trat ließ die letzte Treppenstufe hinter sich und verharrte. Vollkommene Stille lag über dem Ort, nur durchbrochen von ihrer beider Stimmen.

„Was gibt es?“, sagte Snape kühl.
„Ich fragte mich, ob Ihre Suche nach Sirius Black wohl erfolgreich war. Sie haben ihn doch gesucht, nehme ich an?“. Dumbledore Tonfall klang verräterisch belanglos.
„Sie dürften wissen, dass ich ihn nicht gefunden habe, wo Sie mich doch scheinbar beobachtet haben?“, raunte Snape ihm zu.
„In der Tat, das habe ich“, antwortete Dumbledore.

Und für einen Moment herrschte Schweigen zwischen den Männern.

„Was wollen Sie wirklich von mir, Dumbledore?“, fragte Snape schließlich und diesmal war seine Stimme schneidend scharf – ein geschliffener Diamant im Einsatz.
Endlich wandte der Mann in der weißen Robe sich um.
„Mit Ihnen reden, Severus“, sagte er vollkommen ruhig, „Wir hatten in der letzten Zeit einige Meinungsverschiedenheiten und ich würde diese nur ungerne im Raum stehen lassen.“

Noch immer hatte keiner von beiden sich auch nur einen weiteren Schritt auf den anderen zubewegt. Stumm standen sie da, Dumbledore an der Brüstung, Snape an der Treppe und beobachten einander scharf.

„Meinungsverschiedenheiten, ja?“, sagte Snape finster, „So nennen Sie es also, dass Sie ein ganzes Schuljahr über meine Warnungen ignoriert haben, obgleich Black zwei Mal ins Schloss eingedrungen ist, die fette Dame angegriffen hat und die Schüler mit einem Messer bedrohte?!?“
Dumbledore gab einen Seufzer von sich. Der Wind verschluckte ihn, ehe er Snape erreicht hatte.
„Denken Sie nicht, dass ich Ihren Einsatz nicht zu würdigen wüsste, Severus“, sagte Albus sanft, „dass die Kinder heute nach dem Angriff der Dementoren sicher zurück ins Schloss gelangt sind, ist Ihr Verdienst“
„Achja?!?“, sagte Snape hart, „Mein Eindruck ist ein Anderer“
Dann machte er eine Pause.
„Wenn Sie ernst meinen, was Sie sagen, Dumbledore, darf ich annehmen, dass Sie Ihr Urteil bezüglich Blacks Geschichte inzwischen überdacht haben?“
„Ohne Pettigrews Leiche – oder lebend in Persona - werden wir nicht abschließen beurteilen können, was an dieser Version der Geschichte dran ist“, sagte Albus ruhig.
„Sie glauben also noch immer dem Irrsinn, den dieser Wahnsinnige Granger und Potter eingeimpft hat?!?“
Snape konnte seine Wut nicht mehr unterdrücken.

„Was ich glaube, ist, dass jeder hier im Schloss, der an der Aufklärung dieser Geschichte interessiert ist, mir nach besten Wissen und Gewissen die Wahrheit darüber berichtete, wie er die Geschehnisse erlebte. Die Wirklichkeit, Severus, ist manchmal ein sehr merkwürdiges Ding. Obwohl sie sich allen Menschen gleichermaßen offenbart, sieht doch jedes Auge etwas anderes. Ich schätze Ihre Aussage nicht weniger als die von Miss Granger oder Harry, doch was in der Heulenden Hütte wirklich geschah -“
„Die Wirklichkeit“, brüllte Snape und begrub Dumbledores letzte Worte unter seiner zornbebenden Stimme, „ist, dass dort draußen in den Wäldern irgendwo der Komplize eines flüchtigen Mörders umherstreift, der es auf Potter abgesehen hat! Aber dies scheint Ihnen völlig ja egal zu sein. Seit drei Jahren erwarten Sie von mir, dass ich jemanden beschütze, der sich liebend gerne in Gefahr bringt. Doch anstatt dem Einhalt zu gebieten, anstatt auf meine Warnungen zu hören, legen Sie mir Steine in den Weg, ja fügen Sie selbst noch weitere Gefahren hinzu!“
„Genug!“, unterbrach ihn Dumbledore harsch, „Unterstellen Sie nicht, dass mir Harrys Sicherheit nicht am Herzen läge oder ich Ihren Einsatz für den Jungen nicht anerkennen würde. Ich weiß sehr wohl, was Sie für Harry leisten, Severus und welche Schwierigkeiten dies mit sich bringt. Doch ich habe Ihnen bereits schon einmal erklärt, dass wir den Jungen nicht festbinden können wie einen Wachhund.“

Snape legte das Gesicht in säuerliche Falten.
„Wenn das die Wahrheit ist“, raunte er Albus zu, „dann erklären Sie mir, warum Sie Potter noch immer in Schutz nehmen. Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, aber er hat Black zur Flucht verholfen. Und Sie wissen mehr darüber als Sie zugeben, Dumbledore“
„Niemand weiß wie Black heute Nacht entkommen konnte oder wo er sich derzeit aufhält“, antwortete Albus beschwichtigend, „Und solange er nicht wieder hier auftaucht und die Schüler angreift – und ich bin mir sicher, dass er dies nicht noch einmal versuchen wird, nach dem, was heute Abend geschehen ist – wird uns eine Diskussion über die Umstände seiner Flucht nicht weiterbringen. Harry und Hermine jedenfalls waren die ganze Zeit über auf der Krankenstation. Madame Pomfrey hat dies bestätigt.“

Snape verstummte mit einem Schnauben, doch seine Miene blieb unverändert. Für einen Moment wandte Dumbledore sich ab und ließ seinen Blick über die dunklen Schlossgründe schweifen. Die Wahrheit war ein schönes und schreckliches Ding zugleich und etwas, das mit Bedacht behandelt werden sollte. In diesem Fall würde sie zu viel zerstören – Zwietracht säen, Wunden reißen und niemandem zu Nutze sein. Wieder herrschte Schweigen zwischen ihnen.

„Sie haben Potter erzählt, dass sein Vater mein Leben gerettet hätte“, unterbrach Snape nach einer Weile plötzlich die Stille, „Ein Lügenmärchen von einer tollen Heldentat, wo er doch nur seinen Platz an der Schule retten wollte. Wo seine Freunde mich fast in den Tod geschickt hätten! Dumbledore!“
Albus wandte erneut seinen Blick, schaute in das bleiche, gequälte Gesicht Snapes. Die Nacht hatte es in finstere Schatten gelegt. Obwohl der Weg zwischen ihnen kurz war, schien es Albus als trennten sie Meilen.
„Ja, das habe ich, Severus“, antworte er leise, „und wissen Sie auch warum?“
Snape starrte ihn an, sagte nichts. Sein schwarzes Haar wirbelte um das fahle Gesicht, in dem die dunklen Augen brannten.
„Der Junge wollte wissen, warum Sie ihn hassen. Quirrell hatte ihm von der Feindschaft zwischen Ihnen und James Potter erzählt. Er war drauf und dran, Ihnen gründlich zu misstrauen.“
Snape schwieg noch immer. Albus trat einen Schritt auf ihn zu, neigte sich leicht vor.
„Hören Sie, was ich sage, Severus?“, fuhr er eindringlich fort, „Harry Potter misstraute Ihnen. Nur indem ich ihm erzählte, dass sein Vater Ihr Leben gerettet hat und Sie in seiner Schuld ständen, konnte ich dem Jungen erklären, was Sie in für ihn getan haben, sein Vertrauen in Sie wieder herstellen. Sie würden es sich selbst viel leichter machen, wenn-“
Plötzlich blitzen Snapes Augen auf. Er machte eine jähe Bewegung auf Dumbledore zu.
„SIE GABEN MIR IHR WORT!“, rief er erzürnt.
Albus richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf, eine kraftvolle Erscheinung.
„Beim Barte des Merlin, Sie sind wahrlich mit Blindheit geschlagen, Severus! Sehen Sie nicht, dass die Verachtung des Jungen Ihnen gegenüber, sein Misstrauen, die Blüten Ihres eigenes Hasses sind? Wie ein Echo, das zurückhallt! Wenn Harry die Wahrheit wüsste, er würde ganz anders über Sie denken. Wenn Sie nicht bereit sind, einen Schritt nach vorne zu gehen, Sie werden sich noch einmal ganz alleine auf der Welt wiederfinden - ohne einen Freund, der Ihnen die Hand reicht, ohne einen Vertrauten, der Ihnen zuhört, ohne ein weises Wort, das Sie führt.“

Eine Windböe fegte über den Astronomieturm, blies Snape die schwarzen Haare aus dem Gesicht. Er sagte kein Wort. Reglos wie eine Marmorstatue stand er auf der Plattform, nur wenige Meter von Dumbledore entfernt. Das Mondlicht in Albus Rücken umriss scharf die Konturen des alten Mannes, wie er vor der Brüstung stand, hinter der die Mauer des Turms steil in die Tiefe abfiel. Und wieder schwiegen die beiden Männer sich an.

„Ich nehme an“, durchbrach Snape die Stille und sein Gesicht war hart wie Stein, „dass Sie Fudge berichtet haben, welcher Lehrer Black geholfen hat, ins Schloss einzudringen und Potter aufzulauern?“
Der Wind auf der Plattform schien für einen Moment eine beißende Note erreicht zu haben. Mit dem nächsten Atemzug wandte Dumbledore sich um, trat an das Geländer und versenkte seinen Blick wieder auf die schlafende Welt am Fuße des Schlosses.
„Nein, das habe ich nicht“, antwortete er leise, den Rücken gebeugt, den Kopf gesenkt, „ich bin nachwievor von Remus‘ Unschuld überzeugt und dies habe ich auch Cornelius so mitgeteilt.“

Ein Moment, gespannt wie das Seil eines Bogens, folgte. Albus hatte mit vielem gerechnet, doch nicht mit der Stille, die auf einmal hinter seinem Rücken einsetze. Langsam wandte er sich um. Severus stand vor dem Treppenaufgang, abermals wie zu einer Salzsäule erstarrt. Sein fahles Gesicht war ausdruckslos, doch die dunklen Augen blitzten bedrohlich und voller Hass.
„Sie glauben viel zu sehr an das Gute im Menschen, Dumbledore“, sprach er kalt, „Wenn Sie die Schüler nicht vor Lupin schützen, dann ich. Morgen um diese Zeit, das schwöre ich Ihnen, wird ganz Hogwarts Bescheid wissen.“
Und mit einem Ruck wirbelte Snape zur Treppe herum und verschwand in der Tiefe.

Albus folgte ihm nicht. Er versuchte nicht, Snape aufzuhalten, ließ ihn gewähren, so schwer sein Herz Remus wegen dabei auch war. Denn er wusste, jedes weitere Wort würde Severus noch mehr kränken, ihn noch mehr bestätigen in seinem Gefühl, nicht wertgeschätzt zu werden. Konnte er es ihm verdenken? Seine Reaktion war nur allzu verständlich. Niemand mochte das Gefühl, dass seinem Wort nicht geglaubt würde, dass sein Einsatz nicht honoriert würde, dass die Welt sich gegen ihn verschworen und seine Freunde sich mit seinen Feinden verbündet hatten. Erschöpft stütze Dumbledore sich am Geländer der Brüstung ab und blickte hinaus aufs Land. Vielleicht war dies der Preis, den er für einen alten Fehler zu bezahlen hatte. Den Fehler, sich um den blassen Jungen aus Slytherin nicht genügend gekümmert zu haben - achtzehn Jahre zuvor.

Tagelang war die Stimmung zwischen Ihnen angespannter als jemals zuvor. Es brauchte Dumbledores gesamtes diplomatisches Geschick, um die Wogen zwischen Ihnen wieder zu glätten. Und auch wenn Snape, nachdem er seine Rache gehabt hatte, Albus verziehen zu haben schien - ein dunkler Fleck der Erinnerung an die Geschehnisse ließen sich doch aus dem Gedächtnis beider Männer nicht mehr herauswaschen. Das Schuljahr ging und mit ihm Remus Lupin. Doch die Sommerferien versprachen alles andere als langweilig werden. Große Ereignisse in Großbritannien und in Hogwarts warfen ihre Schatten voraus. Als die Schüler in Hogsmeade mit gepackten Koffern den Zug mit der scharlachroten Lock bestiegen, ahnte noch niemand, dass über ihnen selbst dunkle Schatten hängen sollten…

Es war eine kühle Herbstnacht, in der die Auswahl der Champions für das Trimagische Turnier für Aufsehen sorgte. Inzwischen war der Feuerkelch längst erloschen und die einsame große Halle lag in Dunkelheit gehüllt. Nur in dem kleinen Raum hinter dem Lehrertisch flackerte noch immer das Kaminfeuer. Unter den Blicken eines Mannes mit langem, weißem Haar stapfte eine schwarze Gestalt wütend vor den rotzüngelnden Flammen auf und ab.

„Ich sag es Ihnen, Dumbledore. Es war Potter. Er kann den Hals nicht voll genug von seinem Ruhm kriegen. Sogar dass er Hogwarts bei Beauxbaton und Durmstrang in Misskredit bringt, schreckt einen wie ein ihn nicht ab.“  
Zornig schlug der Mann mit der Hand durch die Luft. Die Augen seines älteren Gegenübers beobachteten ihn genau.
„Harry hätte die Alterslinie unmöglich übertreten können, Severus, das müssen doch auch Sie einsehen“, sprach er beruhigend auf ihn ein.
Vergebens. Die fledermausartige Gestalt schien immer noch vor Wut zu kochen.
„Er hat jede Menge unverdiente Bewunderer unter den Schülern. Bestimmt hat er einen der Siebtklässler angestiftet, seinen Namen in den Kelch zu werfen. Sie schmeißen sich ihm ja geradezu vor die Füße.“, fauchte er aufgebracht. „Das glaube ich nicht, Severus. Sie haben den Jungen doch gehört, er hat es bestritten- “
„- ER LÜGT! Er ist wie sein Vater, genau wie sein Vater. Arrogant, verzogen, unverschämt. Ein Aufschneider, Regelbrecher, Rumtreiber. Einer, der keinerlei Grenzen kennt, der lachend über sie hinweg trampelt. Der alles tut, um im Mittelpunkt zu stehen, egal in welche Schwierigkeiten er sich und andere damit bringt.“

Dumbledore hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt und warf Snape über den Rand seiner Halbmondbrille hinweg einen ernsten Blick zu. Seitdem sie den Astronomieturm verlassen hatten, begann Severus allmählich wieder vor ihm zu zeigen, was ihn bewegte und dies war wohl der Höhepunkt der Entwicklung. Nur wenige Monate zuvor wäre Albus froh über diese Offenheit gewesen. Doch jetzt, wo sie eingetreten war, musste er zugeben, dass er auf einen schöneren Anlass gehofft hatte, als dass Severus sich einmal wieder über Harry echauffieren und Albus vermitteln musste.

„Gewiss, das möchten Sie gerne in dem Jungen sehen“, sprach er ruhig, „den Vater, statt des Sohns, der vor Ihnen steht.“

Snape hielt für einen Moment inne, blickte zu dem alten Mann hinüber, verstummte. Er hätte wissen müssen, zu wem Dumbledore halten würde. Der Schein des Feuers spiegelte sich schelmisch auf seiner Brille.

„Ich glaube, Sie tun Harry fürchterlich Unrecht“, fuhr er fort, „Haben Sie nicht bemerkt, wie erschrocken er wirkte, als der Kelch seinen Namen ausgab? Wie entsetzt er über die Vorwürfe war? Ich muss in diesem Punkt Alastor Moody zustimmen. Es scheint mir, als sei der Junge Opfer einer Verschwörung geworden. Denken Sie nur, Severus, das Dunkle Mal über der Weltmeisterschaft…“
„Wenn Sie meinen…“ schnaubte Snape verächtlich und wandte sich dem Kaminfeuer zu.
Er wollte nichts von Dumbledores Worten hören. Immer diese verdammte Nachsicht! Selbst wenn er nach seiner kleinen Racheaktion Dumbledore verziehen hatte, dass dieser Lupin nicht selbst vor die Tür gesetzt hatte, hing es ihm zum Halse heraus.

Albus, der verstanden hatte, seufzte und trat nah an die schwarze, stumme Gestalt heran. Sanft legte er seine Hand aufs Snapes Schulter.
„Kommen Sie, setzen Sie sich für einen Moment zu mir, Severus“, sagte er ruhig.
Es war Zeit für ein Gespräch, das schon vor einem halben Jahr hätte geführt werden müssen. Für eine Sekunde starrte Snape ihn an, dann ließ er sich wortlos zu den Sesseln führen.

„Ich habe nicht vergessen, in welchem Verhältnis Sie und James Potter standen“, begann Dumbledore zu sprechen, die blauen Augen auf Snapes fahles Gesicht gerichtet.
„Dann wissen Sie sicher auch noch, wer das Opfer und wer der Täter war“, antwortete Snape eisig.
„Glauben Sie wirklich, Severus, dass Ihre Verachtung Ihnen in irgendeiner Weise helfen wird?“, fuhr Dumbledore eindringlich fort, „Hass ist kein Mittel, das unsere Wunden heilt. Er ist selbst wie ein Messer, das uns schneidet. Sie werden einem Toten dadurch keinen Schaden mehr zufügen, aber Ihnen, Severus, Ihnen selbst. Öffnen Sie Ihr Herz für Lilys Sohn! Und helfen Sie mir, herauszufinden, wer es auf den Jungen abgesehen hat. Sie können nur gewinnen.“

Snape schloss die Augen und atmete tief durch. Seine Wut schien erloschen zu sein, doch eine Spur des Ärgers auf Harry war noch geblieben. Die Stille im Raum, die blauen Augen, von denen er wusste, dass sie ansahen, auch wenn er die Lider fest geschlossen hielt, schienen ihn nahezu aufzufordern, etwas zu sagen. Doch Severus wollte es nicht.

„Ich bin müde, Dumbledore. Gute Nacht“, sprach er ruhig, stand auf und ging zur Türe.

Dumbledore warf ihm einen besorgten Blick hinterher. Er hoffte, dass sein Schützling sich seine Worte zu Herzen nehmen würde. Hass konnte Menschen zerstören, vor allem diejenigen, die ihn hegten…

Dumbledore hatte Recht mit seiner Einschätzung, dass das Dunkle Mal über der Weltmeisterschaft Anlass zur Sorge bot. Niemand wusste besser als Severus Snape, dass etwas Bedrohliches, Finsteres im Gange war, auch wenn er selbst der Wahrheit nur ungern ins Gesicht blickte.

Es war an einem Abend im Spinner’s End, wo er einen Teil seiner Sommerferien verbrachte, als Severus das erste Anzeichen bemerkt hatte. Dreizehn Jahre lang hatte es nicht mehr geschmerzt, das Dunkle Mal, das unauslöschlich in seinen linken Arm eingebrannt war. Weiß war es geworden, verblasst und so unscheinbar, dass man es mit bloßem Auge kaum mehr erkennen konnte. Doch an diesem Abend, als Severus sich fürs Bett umzog, war etwas anders als sonst. Zunächst fühlte er nur ein leichtes Kribbeln auf seiner Haut. Doch gerade, als er nachsehen wollte, ob irgendein Insekt seinen Unterarm als Quelle für eine schmackhafte Blutnahrung auserkoren hatte, da leuchtete ihm der Schädel und die Schlange entgegen – gräulich blass und mit unscharfen Konturen, doch sich eindeutig von der weißen Haut seines Unterarm abhebend. So schnell wie sie aufgetaucht waren, waren Mal und Kribbeln auch wieder verschwunden. Doch was an diesem Abend geschehen war, sollte Severus von da ab nicht mehr loslassen…

Die Sommerglut erlosch und Herbstwinde pfiffen um die hohen Zinnen des Schlosses. Schwere Wolken ließen den einst blauen Himmel allmählich ergrauen und peitschten Regentropfen in die feuchten Wände des Kerkers. Es war die Zeit, in der die Bäume begannen ein feuerfarbenes Kleid zu tragen, als es Snape in den ruhigen Abendstunden wieder und wieder heimsuchte. Das gespensterhafte Zeichen, das aus der Asche seiner Vergangenheit entstieg. Aus dem kaum merklichen Kribbeln wurde allmählich ein Jucken, aus dem Grau ein blasser Rotton, mahnend ins weiße Fleisch gebrannt. Snape konnte nicht behaupten, dass es ihn nicht bekümmerte, zu sehen, was sich auf seinem Unterarm tat. Jedes Kribbeln, jedes Jucken, jedes noch so zartrosa Aufleuchten auf seiner blassen Haut war ein Stich, ein Denkzettel an längst vergangene Zeiten, eine bittere Erinnerung an einen schweren Fehler, die ihm tagtäglich vor Augen stand.

Doch während Snape die stärker werdenden Vorzeichen einer bedrohlichen Zukunft mit Beklommenheit beobachtete, schien das Schloss mit dem Beginn des neuen Schuljahres im Freudentaumel um das Trimagische Turnier versunken zu sein.

Nicht jeden, der im neuen Schuljahr in Hogwarts einkehren sollte, erwartete Snape in seiner üblichen stoischen Gleichgültigkeit. Unter den Gästen rührte Einer besonders unangenehm an die dunklen Flecken seiner Vergangenheit. Dieser Besucher war ein Gleichgesinnter gewesen in jenen düsteren Tagen, als Snapes Meister noch Voldemort hieß – und der Mann, der ihn vor Gericht verraten hatte: Igor Karkaroff. Inzwischen Schulleiter von Durmstrang war Karkaroff mit seinen Schülern angereist, um ein Jahr lang unter dem Dach des Schlosses zu leben.

Und er war nicht allein. Auch in diesem Jahr hatte wieder jemand Anderes den begehrten Lehrerposten erhalten, für den sich Snape Jahr für Jahr vergebens bewarb. Severus wusste, dass Albus ihm die Stelle nicht geben würde und auch wieso. Doch er war zu stolz – oder vielleicht zu stur? – um die unabänderlichen Gegebenheiten einfach so hinzunehmen ohne seinen Willen zu demonstrieren.

Dass er dieses Schuljahr wie seit jeher in seiner bekannt mieserablen Laune begann, lag jedoch nicht nur an der alljährlichen Absage. Dieses Jahr war Dumbledores Wahl für den Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste abermals auf jemanden gefallen, dessen Gegenwart Snape äußert unbehaglich war, wenn auch aus ganz anderen Gründen als die Remus Lupins.

Alastor Moody, der aufgrund seines magischen Auges den Spitznamen Mad-Eye trug, war ein Ex- Auror, Kriegsveteran und - so erzählte man sich – nicht mehr ganz bei Sinnen. Er galt als scharfer Hund, der überall Gefahr witterte und Snape musste zugeben, dass er sich vor ihm fürchtete. Obgleich er sich nichts zu Schulden hatte kommen lassen und unter Dumbledores Schutz stand, konnte er schlecht einschätzen, was Moody möglicherweise alles einfallen würde um ihn doch noch irgendwie „dran zu kriegen“. Snapes Name jedenfalls stand, Karkaroff sei Dank, in Gerichtsakten, die auch Alastor kannte. Das wusste Severus nur zu gut. Doch seine Angst galt nicht alleine einem möglicherweise erneuten Aufrollen des Verfahrens. Mehr, noch so viel mehr, fürchtete er die Scham und die Schmach, die beide – Karkaroff und Moody – über ihn bringen könnten, wenn einer von ihnen zur falschen Gelegenheit ein falsches Wort fallen lassen würde.

Nicht jeder in Hogwarts wusste, wie tief Severus gesunken, wer oder was er einst gewesen war. Er fürchtete, dass sein Geheimnis, dass er so gut verwahrt und nur Dumbledore anvertraut hatte, bekannt werden könnte. Fürchtete – weit mehr als die kalten Zellen in Askaban – die Verurteilung in den Augen seiner Schüler und Kollegen zu sehen, bloßgestellt und verraten, angeklagt des Mordes an einem wunderbaren, rothaarigen Engel und schuldig gesprochen von tausend Blicken, die ihm in den Gängen verfolgen würden, ihn nackt in seiner abgrundtiefen Schande sehen würden. Der Schande, mit der er auf ewig gebrandmarkt war, abgestempelt für alle Zeiten, aufglimmend eingraviert in die Haut seines linken Unterarms. Die Haut, die er sich nicht vom Leib reißen konnte, so sehr er es sich auch wünschte.

Moody war freilich nicht ohne Grund aus seinem Ruhestand zurückgekehrt, um in Hogwarts zu unterrichten. Er hatte den Posten auf Dumbledores Bitte hin angenommen.

Das Dunkle Mal, das nicht nur auf Snapes Unterarm, sondern auch über der Qudditch-WM nebelgrau erschienen war, hatte den Schulleiter in Anbetracht der Großereignisse und der Gegenwart gewisser Gäste, die Hogwarts beherbergen sollte, mit großer Sorge um Potters Sicherheit erfüllt. Wie ein Jahr zuvor bei Remus Lupin, sah Dumbledore es auch in diesem Jahr wieder als notwendig an, einen erfahrenen Kämpfer den Schülern alles über Verteidigungszauber beizubringen. Zugleich sollte er wohl ein Auge auf verdächtige Personen werfen, erst Recht nach den Ereignissen der Halloweennacht. Während Snape sich darüber wunderte, dass Dumbledore auf einmal doch so besorgt erschien, wo er vor wenigen Monaten doch jeden Zweifel an Lupin und Black in den Wind schlug, kam Moody schon sehr früh im Schuljahr seiner Aufgabe nach, indem er Snapes Büro auf den Kopf stellte.

Alastor wusste nicht, dass der Mann, den er zuerst ins Auge gefasst hatte, in aller Heimlichkeit ganz ähnliche Ziele verfolgte…

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Kapitel: 27
Sätze: 2.071
Wörter: 34.159
Zeichen: 207.222

Kurzbeschreibung

Albus Dumbledore und Severus Snape - der Phönix und die Hirschkuh. Dies ist ihre Geschichte. Die Geschichte der Freundschaft zweier im Grunde sehr einsamer Menschen, die sich insgeheim viel mehr bedeuteten, als sie offen zeigen. Für Snape ist der Mann, der ihn vor Askaban rettete, neben Lily der einzige Mensch, der ihm wirklich wichtig ist. Und Dumbledore, der in Snape sein eigenes Schicksal um Grindelwald und Ariana wiedererkennt, beschließt, ihn unter seine Fittiche zu nehmen. Eine Verbindung, geprägt von Konflikten und tiefem Vertrauen zugleich. Von einem geteilten Schicksal, einer gemeinsamen Mission und - einem tragischen Ende. KEIN PAIRING

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Diese Fanfiction wurde mit Drama (Genre), Tragödie, Freundschaft, Headcanon, canon aware, Gen, Longfiction, in character, Schwermütig und Charaktertod getaggt.