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Kapitel: | 2 | |
Sätze: | 121 | |
Wörter: | 1.643 | |
Zeichen: | 9.938 |
~"Allerdings werden Sie feststellen, dass ich diese Schule erst dann endgültig verlasse, wenn mir hier keiner mehr die Treue hält~
~„Aber glaubt mir, dass man Glück und Zuversicht selbst in Zeiten der Dunkelheit zu finden vermag. Man darf nur nicht vergessen ein Licht leuchten zu lassen.“~
Albus Dumbledore
~*~
Weich war der Rasen, wie frisch gesät in aufgeschütteter Erde. Zum Ufer hin beugten sich die Halme. Der Wind zog Kräuselwellen über den See, verlor sich flüsternd im Gras. Ein Hauch nur, eine Sommerbrise. Viel zu warm für die herannahende Nacht. Noch war es nicht ganz dunkel. Noch hing ein Streifen Rot am Horizont wie eine klaffende Wunde oder – das letzte Feuer einer verlorenen Schlacht? Die Welt stand still. Still, als könne sie sich nicht entscheiden. Tag oder Nacht? Nacht oder Tag? Durch das satte Laub der Bäume fiel kläglich graues Licht. Dämmerlicht. Licht des Dazwischen, das nicht wusste, ob es dem Mond oder der Sonne gehörte. Kaum berührte der Schein die farblose Gestalt, die ohne eine Regung unter den Bäumen stand und ihr Gesicht für einen Augenblick gen Himmel hob. Hin zur blutigen Röte des Firmaments. Und gleich der Wellen auf dem See bewegten sich die Muskeln in dem blassen, hakennasigen Gesicht mit den dunklen, feuchten Augen. Erst ein Ausdruck tiefen Schmerzes, als wäre das Rot des Himmels ihr selbst ins Fleisch geschnitten worden, dann Skepsis. Die langfingrige Hand unter der schwarzen Robe ruhte noch immer auf dem gleichen Fleck. Jenem erkalteten Fleck, der am Tag doch so geglüht, so geleuchtet hatte, nun nur noch ein fahles, nebliges Schimmern war. Marmor, ein Abglanz des Lichtes. Marmor, so breit, so lang, so hoch, dass ein Mensch unter der steinernen Decke ruhen konnte und tatsächlich ruhte. Das Grabmal, marmorweiß, trotzte – unglaublich - noch immer der schleichenden Finsternis wie ein Fels im brandenden Meer. Die Finger darauf tasteten in Feuchtigkeit. Salzige Feuchtigkeit, über die Platte gesprenkelt. Eine Geschichte zu Tropfen zerflossen. So viel zu erzählen, das nie ausgesprochen worden war. Doch die langsam trocknenden Augen blickten jetzt nicht hinab auf dieses Trauermeer. Sie schauten nachdenklich hinauf zum Horizont, zu jenem letzten, feurigen Schimmer. Dort oben, direkt hinter dem verwaisten Turm, vom dem längst verklungener Vogelsang herab zu wehen schien. Und eine Frage spiegelte sich in dem morgenblassen Gesicht mit dem nachtschwarzen Haar. Eine Frage, die die ganze Welt zu wispern schien: Entflammte das Licht dort oben auf oder erlosch es? Stille. Kein Wort. Nur der Wind strich flüsternd übers Ufergras. Und durch die Zweige fiel ein grauer Schein auf die farblose Gestalt: Dämmerlicht.
Der Flur liegt in Stille, als Severus seinen Fuß auf die knarzenden Dielen setzt und die Reste des abgeblätterten Putzes in den Staub tritt. Die Gefühle, die ihm Minuten zuvor noch fast die Tränen in die Augen trieben, sind schnell erloschen. Wer den Dunklen Lord an der Nase herumführt, muss seinen Geist gut verschließen können. Severus hat Übung darin. Sein Gesicht sieht vielleicht müde, vielleicht desinteressiert aus, aber gewiss verrät keine Falte seine Trauer und die Dämonen, die ihn Nacht für Nacht heimsuchen. Als er die gefährlich ausgetretene Treppe herabsteigt, rieselt feiner Staub auf sein fettiges Haar.
Die Pension „zur Elderweide“ ist eine einzige Bruchbude. Vermutlich würde sie sofort in sich zusammenstürzen, wenn nicht dieser zu groß geratene Kobold von Hausvater jeden Tag seinen Zauberstab auf die morschen Dachbalken, schimmligen Wände und Löcher im Dielenboden richten würde. Severus entdeckte die Herberge vor vielen Jahren, als er den nahegelegenen Hain inspizierte: Ein Waldstrich in einer menschenleeren Einöde, in die sich allenfalls alle paar Jahre mal ein Muggel-Camper verirren dürfte, doch eine wahre Goldgrube für Zaubertrankzutaten, die auf dem Schwarzmarkt ein Vermögen kosten. Und mitten in dieser Wildnis, am Ufer eines dunkelblauen Tümpels: Ein Haus mit verwittertem Gartenzaun und einem klapprigen Holzschild. Darauf die Aufschrift: „Zimmer frei, Zauberer und Muggel“. Severus erinnert sich noch, wie er dieses Kuriosum seinerzeit mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete und sich fragte, warum die Aurorenzentrale die Bewohner dieser Hütte nicht längst schon wegen des Geheimhaltungsabkommens vor den Zaubergamot gebracht hatte. Doch das Häuschen steht ohnehin so ablegen, dass sich wohl selten eine Menschenseele hierher verirrt, gleich welchen Blutes. Es ist noch nicht einmal an das Flohnetzwerk angeschlossen, wie man Severus mitteilte, als er nach dem Zimmer fragte. Aber für einen gesuchten Todesser ist dieser kleine Makel natürlich nicht von Belang. Im Gegenteil: Dieser Fleck ist das ideale Versteck für Severus. Und irgendwie passt die Behausung zu ihm. Kaputt, alles kaputt. Wie auch er scheint diese Hütte von allem abgeschnitten nur auf den Moment zu warten, an dem sie ihre Pflicht erfüllt hat und zu Boden sinken kann. Asche zu Asche, Staub zu Staub.
Trübsinnig sticht Severus seine Gabel ins Frühstück, würgt es appetitlos herunter. Ein Teller Eier mit angebranntem Speck, dazu Blümchenkaffee.
„Schmeckt’s?“, fragte die Zimmerwirtin und sieht direkt an ihm vorbei. Dass sie fast blind ist, ist Severus schon am ersten Tag aufgefallen.
„Ja“, grummelt er ungehalten.
Sie bohrt nicht nach, wünscht ihm nur einen guten Appetit, was so geheuchelt klingt wie er als er McGonagall in einem anderen Leben einen guten Morgen wünschte. Ohnehin spricht sie wenig, ihr Gatte ebenso. Wie Severus sind die Hausherren Einzelgänger, für die Gäste wohl nur der lästige Obolus zum Geldsegen und ansonsten Platzverschwendung sind. Ihm ist das nur recht. Wenn er eines nicht gebrauchen kann, dann jemanden, der dumme Frage stellt. Doch die einzige, die ihn hier in die Bredouille brachte, war die nach seinem Namen, als er sich einquartierte. Natürlich hat er sich nicht als Severus Snape eingecheckt und zur Sicherheit seinen Hausherren noch einen Verwechslungszauber verpasst. Offiziell heißt er nun Paul Milkons. Ein geliehener Name. Der echte Milkons war einer jener Unglücklichen, für die jede Hilfe zu spät kam, als er Rowle und Selwyn in die Hände fiel. Ein Muggel, der einige praktische Ausweispapiere mit sich führte. Den kleinen Identitätsdiebstahl wird er ihm wohl verzeihen. Immerhin hat Severus sein Bestes gegeben, um sein Leben zu retten, wenn auch vergebens. Und wozu braucht ein Toter noch einen Namen?
Schnell nimmt Severus den letzten Schluck Kaffee aus seiner Tasse, als auf einmal ein Lichtstrahl ihn blendet. Er kommt von links, vom Fenster, hinter dem sich das Grau ein wenig lichtet. Die Sonne scheint sich wohl durch den Nebel zu kämpfen. Im gleichen Moment pickt etwas gegen die Scheiben.
„Alohomora“, ruft es von der Küche her. Die Hausherrin, die mit hochgekrempelten Armen ihren Zauberstab über das Spülbecken schwang, richtet ihn nun auf das Fenster (oder zumindest in die grobe Richtung) und die Scharniere springen quietschend auf. Eine zerzauste, pitschnasse Eule fliegt ins Zimmer und wirft eine durchweichte Zeitung auf den Esstisch, direkt auf Severus‘ leeren Teller. Sie plustert und schüttelt sich, so dass ihm das Regenwasser ins Gesicht spritzt und gurrt fröhlich, ehe sie ihm lasziv ihr Bein mit dem Lederbeutel hinstreckt. Severus starrt sie an, spürt die Zornesglut in sein Gesicht steigen. Dieser vermaledeite, penetrante Gute-Laune-Kauz! Ob er ihm nicht einfach den Garaus machen soll? Immerhin hat er jüngst erst bewiesen, dass er den Avada Kedavra beherrscht. Einen Moment lang aalt sich Severus in seinen Mordgedanken. Dann aber greift er doch in seinen Säckel, zählt zähneknirschend die Knuts und stopft sie dem Vogel widerwillig in den dargebotenen Geldsack. Das Federvieh bedankt sich mit einem schmerzlosen Schnabelknuff in den Finger und flattert beschwingt durch den Fensterrahmen davon.
Langsam, ganz langsam zählt Severus bis zehn, während er der Eule zusieht. Dann senkt er ruckartig den Kopf und entblättert den nassen Tagespropheten. Eine Überschrift sticht ihm ins Auge, eigentlich nur ein Name: Charity Burbage. Severus hebt die Augenbrauen, während seine Nackenhärchen sich aufrichten. Der Name löst etwas in ihm aus, nicht nur weil Charity eine Kollegin ist. Ehemalige Kollegin, um genau zu sein. Mit einem flauen Magen wagt Severus einen Seitenblick zu seiner Gastwirtin. Gerade kratzt sie sich am linken Unterarm. An der gleichen Stelle, an dem ihm selbst das Dunkle Mal eingebrannt ist. Es hat in der Nacht nicht gebrannt. Ist das ein gutes Zeichen? Severus ist unschlüssig. Doch er weiß, dass er diesen Artikel nicht in der Wohnstube seiner Herbergseltern lesen kann. Schnell zückt er den Zauberstab, lässt die Zeitung trocknen und rollt sie zusammen. Der Regen hat nachgelassen. Es nieselt nur noch. Die Nebel lichten sich und ein Spaziergang nach dem verpatzen Frühstück kann nicht schaden. Von seiner Gastwirtin braucht er sich nicht zu verabschieden, noch wird er verabschiedet. Man geht sich aus dem Weg.
Eilig läuft Severus den schmalen Weg durch den verwilderten Garten hinab, immer dem Hoftor entgegen. Das Gackern der Hühner folgt ihm. Dann raschelt auf einmal etwas in den Bäumen. Im Reflex hebt Severus den Kopf. Vor seinen Augen fliegt aufgescheucht die Posteule empor, die wohl auf einem Ast ein Päuschen einlegte. Severus runzelt die Stirn, schaut ihr nach. Am Horizont verschwimmt ihre Silhouette in der Sonne, die gerade eben durch den Nebel bricht. In einem so merkwürdigen Winkel steht sie am Himmel, dass die Gestalt des Käuzchens in eine leuchtende Korona getaucht ist. Fast schimmern seine Flügel flammenfarben. Ein seltsames Gefühl durchzuckt Severus bei diesem Anblick, ein merkwürdiger Gedanke an eine längst vergangene Zeit. Gebannt zum Himmel schauend wagt er es einen Moment lang nicht, sich zu rühren. Um ihn ist die Welt noch immer grau. Doch durch die Wolkendecke zieht sich ein einziger Riss. Und auf Severus fällt ein Kegel aus Licht.
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