hre Bewegungen glichen dem Tanz eines Schmetterlings bei Nacht. Elegant flatterte sie über die Bühne, ihre Bewegungen fließend wie ein Gebirgsbach. Ihre Schritte folgten den klaren Rhythmen des shamisen, ohne auch nur einmal aus dem Takt zu kommen. Keine Bewegung war zu viel oder zu wenig.
Sie war eine Maiko, jung und unbekannt. Und doch tanzte sie in den diesjährigen Frühlingstänzen die Hauptrolle. Als Tobirama sie aus dem Schatten des Publikums heraus erblickte, wusste er sofort, weshalb man ihr diese Rolle gegeben hatte. Der tosende Applaus nach Beendigung ihrer einmaligen Vorstellung legte Rechnung davon ab, dass nicht nur er ein einmaliges Talent erkannt hatte.
Gleich im Anschluss an an die Vorstellung kaufte er sich eine Karte für den nächsten Abend.
Er war nicht hier, um sich mit privaten Vergnügen die Zeit zu vertreiben. Er hatte einen Auftrag im hanamachi zu erledigen und brauchte Informationen. Wer hätte gedacht, dass er auf seinem Weg solch einen Schatz finden würde.
Am nächsten Abend hatte er ihren Namen in Erfahrung gebracht. Sie nannte sich Mineko, und Tobirama nahm sich fest vor, sich diesen Namen zu merken. Mit Sicherheit würde sie in der Zukunft von sich hören lassen.
Warum eigentlich nicht? Warum nicht Arbeit mit Vergnügen verbinden? Sein Auftrag erforderte es ohnehin, dass er sich im hanamachi umhörte. Nach jenem fulminanten Debüt als Maiko würde Mineko sicher viele Interessenten auf sich aufmerksam gemacht haben, also sah Tobirama zu, dass er seine Anfrage an sie möglichst bald ausschickte.
Erstaunlicherweise hatte sie bereits wenige Tage später einen Termin für ihn frei.
Tobirama verbrachte die meisten Abende in Teehäusern. Er war nicht der Mensch für gesellschaftliche Abende, aber so lautete nun einmal der Auftrag, und Hashirama war der Meinung, dass Tobirama der beste aus dem Clan war, um Informationen zu sammeln. Womit er nicht gänzlich falsch lag. Tobirama befand, dass es ihm zustand, sich diese Abende ein wenig zu versüßen.
Elegant glitt sie in den Teeraum und ebenso elegant ließ sie sich neben ihm am Tisch nieder. Aus dieser Nähe konnte er sehen, dass ihre Augen klar wie Schmelzseen waren, eine ungewöhnliche Färbung. Die weiße Schminke ließ ihr Gesicht im Halblicht des Raumes erstrahlen und auf ihren Lippen war ein rotes Lächeln gemalt, das tausend Geheimnisse zu verbergen schien. Leise klingelten die kanzashi in ihren Haaren.
Ihm entging keinesfalls, wie ihre gesamte Garderobe ein Wasserthema widerspiegelte. Ein Hinweis darauf, dass sie wusste, wer er war?
»Senju-san, ich war höchst erfreut über Ihre Anfrage«, begrüßte sie ihn mit einer leichten Verbeugung. »Es verblüfft mich, dass Sie ausdrücklich mich anfragten, und nicht eine meiner bekannteren oneesan.«
»Ich könnte, wenn ich wollte«, sagte Tobirama. »Ich bin kein Unbekannter hier. Aber Talent finde ich weitaus interessanter als Bekanntheit.«
Sie griff nach seiner Teekanne und goss ihm Tee nach. »So sagte man mir, ja. Shinobi zählen nicht zu unseren üblichen Kunden, aber hin und wieder begegne ich ihnen doch. Man sagt sich so einiges über Sie.«
»Über mich?«
Sie schlug die Augen auf und lächelte. »In der Tat. Das Genie der Senju, allein übertroffen von seinem Bruder, shinobi no kami höchstselbst. Auch wenn ich mich frage, ob ein Sterblicher wirklich ein Gott sein kann.«
Tobirama schnaubte amüsiert. Sie war vorlaut. »Hashirama ist ganz bestimmt kein Gott. Er findet es furchtbar, wenn Leute ihn so nennen. Vor allem ist er ein Träumer.«
»Also stehen Sie an seiner Seite und achten darauf, dass er nicht den Boden unter den Füßen verliert. Ist dem nicht so?«
»In der Tat«, sagte er und konnte das Erstaunen nicht gänzlich aus seiner Stimme halten. »Was lässt dich zu diesem Schluss kommen?«
»Ich kenne mich ein wenig mit Menschen aus, das ist Teil meines Berufes«, klärte sie ihn auf. »Und Sie scheinen mit der Typ Mensch zu sein, der loyal zu denen steht, die ihm am Herzen liegen. Auch wenn Sie es nicht immer direkt zeigen.«
Tobirama verbarg sein ertapptes Lächeln hinter der Teeschale. »Du bist gefährlich, weißt du das?«
Kokett legte sie den Kopf zur Seite und tat unschuldig. »Ich bin nur eine junge Maiko, die gelernt hat, mit dem Fächer zu tanzen, nicht aber, mit ihm zu kämpfen.«
»Du hörst viel und du siehst noch viel mehr von dem, was unter der Oberfläche verborgen ist. Dinge, die nicht für jedermann bestimmt sind.«
»Das mag sein, mein Herr«, sagte sie mit einem geheimnisvollen Lächel und schenkte ihm Tee nach.
Der Auftrag besaß keine besondere Bedeutung für Tobirama. Er erledigte ihn mit gewissenhafter Genauigkeit, wie er es immer tat und brachte damit eine Menge Geld heim zum Clan. Mineko aber blieb in seinen Gedanken.
Es war nicht das erste Mal, dass er ins hanamachi ging, um dort Informationen zu sammeln. Doch Mineko war die erste Künstlerin, die einen wirklich bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen hatte. Warum war das so? Er wusste es nicht. Etwas war anders an ihr. Besonders.
In den kommenden Wochen kam er immer wieder zurück zu ihr, oftmals sogar ganz privat, ohne dass irgendein Auftrag ihn hierher führte. Einfach nur, weil er Zeit mit Mineko verbringen wollte. Wie ungewöhnlich, dabei war er doch sonst kein Mensch für soziale Interaktionen.
Vielleicht war es ja, weil Mineko ganz entgegen seiner Erwartungen etwas von seinem Handwerk verstand.
»Man sagt sich, Sie seien der schnellste Shinobi und dass keiner mit Ihrer Geschwindigkeit mithalten kann«, sprach sie ihn an einem der Abende im Teehaus darauf an. Tobiramas Name hatte mittlerweile genug Gewicht im hanamachi, dass er die privateren Räume im Haus anfragen konnte, und so verbrachten sie Abende wie diesen in kleiner Runde mit nur wenigen anderen geladenen Gästen.
»Das sagt man sich hin und wieder, ja«, bestätigte er. »Ob es wahr ist, weiß ich nicht. Noch hat jedenfalls niemand mein Hiraishin übertreffen können.«
»Wie funktioniert dieses Jutsu?«, fragte sie geradeheraus.
Erstaunt sah er sie an. »Es ist sehr komplex, zu komplex, um es einfach so zu erklären, und ganz sicher kein interessantes Thema für einen Abend wie diesen.«
Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. »Dem muss ich widersprechen. Ich halte es für ein ausgesprochen faszinierendes Thema. Bitte versuchen Sie es mir zu erklären.«
Zugegebenermaßen war Tobirama verblüfft über ihre Direktheit und Neugierde, kam dann aber dennoch ihrer Bitte nach. »Hiraishin no Jutsu ist ein Raum- und Zeitjutsu. Besonders die Zeitkomponente ist dabei von Bedeutung, denn sie macht es mir möglich, innerhalb von einem Augenblick von einem Punkt zum nächsten zu springen. Ich benutze dafür Siegel als Anker.«
Er holte eines seiner markierten kunai hervor und zeigte es ihr. »Diese Siegel lassen sich überall anbringen und einmal angebracht, bleiben sie, bis die Oberfläche, auf der sie angebracht sind, zerstört wird. Ich benutze gern diese kunai, da sie es mir ermöglichen, den Kampfplatz beinahe sofort zu meinen Belieben zu gestalten, indem ich sie dorthin werfe, wo ich sie haben will.«
»Und wie funktioniert das nun genau, dass Sie sich zu den Markierungen teleportieren?«, fragte sie weiter. »Ich las neulich von einer jüngst entdeckten Theorie, dass Raum gekrümmt werden kann.«
Es war selten, dass Tobirama die Worte fehlten, und ganz gewiss hätte er es nicht von Mineko erwartet, dass sie dieses Kunststück vollbrachte. Und doch kniete er mit ihr hier an dem Tisch, der Tee vor sich vergessen, und sah sie verblüfft an.
Sie kicherte und hielt sich den Ärmel vor das Gesicht. »Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass Sie niedlich sind, wenn Sie dieses Gesicht machen?«
Tobirama schnaubte. »Niedlich ist kein Wort, um mich zu beschreiben. Aber woher weißt du davon? Diese Theorie wird erst seit wenigen Jahren in Fachkreisen diskutiert und ist ganz gewiss nichts, das das öffentliche Interesse erweckt hat.«
Sie lächelte. »Ich kann nicht nur tanzen und das Shamisen spielen. Es ist mein Beruf, meine Kunden zu kennen, also habe ich mich ein wenig belesen. Ist es also wirklich diese Theorie, auf der Sie Ihr Hiraishin aufbauten?«
Tobirama nickte, zutiefst beeindruckt. »Ja, durchaus. Ich muss zugeben, ich hätte nicht erwartet, dass du dich überhaupt für so ein trockenes Thema interessierst und dann auch noch zu demselben Schluss kommst wie ich. Denn ja, als ich davon hörte, war es der fehlende Baustein, der es mir ermöglichte, mein Jutsu zu vervollständigen. Die Idee hatte ich schon vor vielen Jahren. Aber das brachte es zum Abschluss.«
»Ich kann nicht behaupten, viel mehr als die Grundlagen der Ninjakünste zu verstehen«, gestand sie. »Aber faszinierend finde ich sie doch, auch wenn das kein Leben für mich wäre.«
»Du bist auf deine eigene Art eine Künstlerin«, sagte er. »Eine Kunst, die ich zu schätzen weiß, doch von der wiederum ich nicht viel verstehe.«
»So hat jeder von uns etwas, für das unsere Leidenschaft brennt, und das wir doch mit dem anderen teilen können.« Sie lächelte zu ihm auf. »Ist das nicht etwas Wunderbares?«
Vielleicht hatte er daheim etwas zu oft von Mineko erzählt, denn einige Monate später platzte Hashirama in seiner üblichen direkten Art heraus: »Tobirama, du bist verliebt.«
Tobirama blieb beinahe der Reis im Hals stecken, den er gerade hatte essen wollen. Mito kommentierte die Szene mit einem Kichern.
»Red keinen Unsinn, anija«, knurrte Tobirama.
Mito lehnte sich mit einem füchsischen Grinsen vor. »Und doch erzählst du jedes Mal von deiner Maiko, wenn du von einem Besuch bei ihr wiederkommst.«
»Mineko ist nicht ›meine‹ Maiko«, knurrte Tobirama nun auch sie an.
»Nun sag schon, wie ist es so, verliebt zu sein?«, neckte Hashirama.
»Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Komm schon.« Hashirama knuffte ihn. »Du brauchst dich nicht so zu zieren. Wir sind doch Familie, uns kannst du es sagen.«
»Ich weiß es wirklich nicht!«, fauchte Tobirama. »Hör endlich auf mit dem Unsinn und lass mich in Ruhe Kunst genießen. Ich mach doch auch keinen solchen Aufriss um deine Holzskulpturen.«
Hashirama ließ den Kopf hängen und jammerte etwas von »gemeiner kleiner Bruder, so herzlos«. Mito hingegen blinzelte verwundert.
»Was meinst du damit, du weißt es nicht?«, wollte sie wissen. »Meinst du, dass du einfach noch nicht sicher bist, ob das Gefühl Verliebtheit heißt ist, oder … etwas anderes?«
Tobirama seufzte. Dieses Thema war ihm verleidet. Aber da Mito mit ehrlichem Interesse gefragt hatte, antwortete er trotzdem. »Ich meine damit, dass ich nicht weiß, wie sich Verliebtheit anfühlt. Ich kann mir darunter nichts vorstellen, also kann ich auch nicht sagen, ob ich in Mineko verliebt bin oder nicht.«
»Oh.« Jetzt endlich schien auch Hashirama zu verstehen. »Also warst du noch nie verliebt?«
»Du würdest wissen, wenn ich es wäre, anija«, versicherte Tobirama ihm. »Aber wie ich bereits sagte, da ich nicht weiß, wie dieses Gefühl sich anfühlt, kann ich auch nicht sagen, ob ich es jemals empfunden habe.«
»Hmm.« Hashirama sann einen Moment darüber nach. »Wie beschreibe ich das am besten? Mit Madara damals war es so, dass ich einfach ständig an ihn denken musste und jedes Mal ganz hibbelig wurde, wenn ich wusste, dass ich ihn bald wiedersehen würde. Was es manchmal echt schwierig machte, unsere Treffen geheim zu halten.«
Er lachte verlegen auf. Tobirama beschloss, das nicht weiter zu elaborieren.
»Es war wie ein Rausch«, fuhr Hashirama fort. »Stell dir vor, du fällst und fällst und nichts hält dich zurück. Du bist frei, so frei, wie es nur irgendwie geht. Aber du weißt, dass da jemand ist, der dich ganz bestimmt auffangen wird.«
Tobirama runzelte die Stirn. »Für mich klingt das eher beängstigend.«
»Nicht immer ist Liebe ein so überschwängliches Gefühl«, fügte Mito an. »Manchmal ist Liebe auch einfach da, in den ganz alltäglichen, kleinen Dingen. Wenn ich an Hashirama denke, dann bekomme ich ein ganz angenehmes Kribbeln im Bauch, und gerade zu Anfang habe ich jedes Mal angefangen zu grinsen, einfach weil es mich so glücklich machte. Liebe ist für mich ein tiefes Gefühl der Verbundenheit, der Wunsch, mein Leben mit dieser Person zu teilen, weil sie meine andere Hälfte ist.«
»Awww, das hast du so schön gesagt!« Hashirama ergriff ihre Hand und strahlte sie breit grinsend an.
Tobirama sann darüber nach.
»Kommt dir das bekannt vor?«, fragte Mito.
Doch darauf konnte Tobirama nur mit den Schultern zucken. »Nein. Ich fühle mich definitiv mit Mineko verbunden und bewundere ihren Intellekt. Und ja, vielleicht denke ich mehr an sie, als ich es üblicherweise bei anderen Menschen tue, vielleicht sogar mehr als bei jenen, die ich als meine Freunde ansehe. Aber da ist kein Kribbel, kein Überschwang. Vielleicht fehlt mir einfach etwas.«
»So würde ich es nicht sagen«, widersprach Hashirama. »Das ist kein Fehlen. Es ist anders, nicht mehr und nicht weniger. Hauptsache ist doch, dass du dich in ihrer Gegenwart wohl fühlst. Und so, wie ich das sehe, tust du das.«
Und das tat Tobirama in der Tat. In den kommenden Monaten achtete er genau auf das, was er empfand, wenn er bei Mineko war. Dass er in dieser Zeit ihr danna wurde, war eine Selbstverständlichkeit, und das nicht nur, weil sie immer vertrauter miteinander wurden. Mineko war ein Talent, wie es das hanamachi nur einmal in jeder Generation erlebte, eine Künstlerin, die weit über die Grenzen des Viertels hinaus bekannt wurde. Tobirama sah es als eine Selbstverständlichkeit an, sie in der Ausübung ihrer Kunst zu unterstützen. Das war das mindeste, was er für sie tun konnte.
Mineko hatte sich über Nacht einen Namen gemacht und von nah und fern kamen Gönner, um ihre Kunst zu erleben, für die sie von ganzem Herzen lebte. Bald schon konnte sie ein halbes Vermögen verlangen für ihre Gesellschaft für einen Abend. Aber es war allein Tobirama, der hinter die Maske der jungen Maiko blicken konnte, als sie ihm ihren Namen nannte.
»Chio. Ich heiße Chio«, sagte sie ihm. »Das ist der Name, mit dem ich geboren wurde, und ich möchte ihn dir geben, Tobirama.«
Es war eine sonderbar intime Geste. Tobirama wusste, dass Maiko und Geisha eine Persönlichkeit für die Bühne und ihre Kunden besaßen. Es war immerhin ihr Beruf, ihren Kunden angenehme Gesellschaft zu leisten und ihnen ihren Alltag vergessen zu machen. Ihr eigenes Privatleben hatte für diese Frauen keine Rolle zu spielen, wenn sie ihr Gesicht weiß malten und ihre kostbaren Kimono anlegten, um in die Nacht hinauszuflattern.
Tobirama verneigte sich vor ihr. »Ich danke dir für die Ehre, deinen Namen kennen zu dürfen.«
Sie legte ihm einen Finger unter sein Kinn, sodass er wieder zu ihr aufsah. Sie musterte ihn eindringlich, als würde sie etwas ausgesprochen Faszinierendes vor sich sehen. »Wurde dir schon einmal gesagt, dass du schön bist?«
»Schön?« Fragend sah er sie an. »Schön ist kein Wort, das ich für einen Mann verwendet hätte. Meistens sind die Leute irritiert von meinem Albinismus.«
»Nun, dann sage ich es dir: Du bist schön.«
Liebe, was war das eigentlich? Tobirama kam erneut das Gespräch in den Sinn, das er mit Hashirama und Mito geführt hatte. Er hatte immer noch nicht herausfinden können, ob er in Chio verliebt war. Aber wie fand man heraus, ob jemand anderes in einen selbst verliebt war?
Chio hatte zahlreiche Kunden, ihr mangelte es definitiv nicht an Kundschaft. Darunter waren etliche, die weitaus mehr Geld und Einfluss hatten als Tobirama. Doch nur wenige von ihnen hatten das Privileg, sie auch in privateren Gesellschaften treffen zu dürfen. Tobirama gehörte zu diesen wenigen, und er musste gestehen, es ließ ihn ein wenig selbstgefällig werden.
Es gab selten Momente, in denen es Tobirama genoss, an Festivitäten und dergleichen teilzunehmen. Aber wenn er es tat, war es fast immer mit Chio an seiner Seite. Er bildete sich ein, dass Chio seine Gesellschaft ebenso schätzte. Zu solchen Anlässen ließ sie mehr und mehr von ihrer privaten Persönlichkeit durch die Schminke auf ihrem Gesicht scheinen, viel mehr definitiv, als sie es bei anderen Kunden tat. War Tobirama überhaupt noch ein Kunde in dem Sinne? Er war ihr danna und genoss damit etliche Privilegien, die weit darüber hinaus gingen, ihre Karriere zu fördern.
Er betrachtete sie, wie sie an diesem sonnigen Frühlingstag auf der Brücke stand, an das rot gestrichene Geländer lehnend, und zusah, wie die Kirschblütenblätter unter ihr in das Wasser des Teiches rieselten. Einige beachtliche Kois schwammen unter ihnen entlang in der Hoffnung, dass Futter von oben herab rieselte. Chio schien Freude daran zu haben, sie zu beobachten.
Sie war ein Kunstwerk, stellte Tobirama nicht zum ersten Mal fest. Es war eines, einen hikizuri einfach nur anzulegen, aber etwas völlig anderes, ihn auch wirklich zu tragen. Chio hatte sich an diesem Tag für einen Kimono in zarten Frühlingsfarben entschieden, verziert mit Pflaumenblüten. Weidenkanzashi steckten in ihren ebenholzschwarzen Haaren. Sie hatte eine Vorliebe für Blütenmuster, wie Tobirama wusste.
Sie bemerkte, dass er sie beobachtete, wandte sich um und posierte kokett mit ihrem Lackschirm vor ihm. Ihr fröhliches Lachen war ansteckend und Tobirama kam nicht um ein Schmunzeln herum. Ein paar Kirschblüten verfingen sich in ihrer Frisur, und ganz sorgsam zupfte her sie heraus. Aber eigentlich sahen sie ganz hübsch aus in ihren Haaren, sinnierte er und beließ sie nächsten, die herabfielen, wo sie waren.
»Ich muss die etwas gestehen.« Chio kicherte mädchenhaft. Heute saß ihr wohl der Schalk im Nacken. »Ich geb vor meinen Freundinnen damit an, wie leicht ich dich zum Lachen bringen kann.«
Er hob eine Braue. »Ach? ist das etwas besonderes?«
»Ja! Sie sagen, dass du ihnen Angst machst, weil du immer so miesepretrig drein schaust. Immerzu scheint dir etwas nicht zu passen. Aber ich weiß es besser. Du tust nur so grummelig. Darunter hast du ein ganz weiches Herz.«
Er kam nicht umhin zu schmunzeln ob ihrer Worte. »Ich befürchte, du hast mich durchschaut.«
»Ich weiß noch bis heute, was du bei unserem allerersten Treffen gesagt hast. Du sagtest, ich sei gefährlich. Ich habe es nicht vergessen, und du vergisst es besser auch nicht.«
»Du hast absolut Recht.« Tobirama bot ihr seinen Arm an. »Komm, lass uns noch ein wenig spazieren.«
Immer noch leise kichernd hackte sie sich bei ihm unter und ließ sich von ihm durch den Garten führen.
»Aber manchmal«, setzte sie das Gespräch fort, »da fällt es mir doch schwer zu erraten, woran du denkst. Was war es, was dir durch den Kopf ging, als du mich beobachtest hast?«
Tobirama ließ sich Zeit mit seiner Antwort. »Ich habe darüber nachgedacht, was wir füreinander sind. Ich bin dein danna, aber das ist nicht alles. Du bist mir in der Zeit, in der wir uns kennen, sehr ans Herz gewachsen. Ich weiß deine Kunst zu schätzen und genieße deine Gesellschaft. Ich kann das nicht nur rein geschäftlich betrachten.«
Einige Zeit lang sagte keiner von beiden etwas. Chio glitt an seiner Seite dahin und schien über seine Worte nachzusinnen.
»Du bist nicht nur irgendein Kunde«, sagte sie schließlich. »Ich liebe das, was ich mache, das weißt du. Es ist die eine große Liebe in meinem Leben. Ich genieße es immens, all diesen Menschen Freude zu bereiten mit meiner Kunst. Aber oftmals ist da auch eine gewisse Distanz zu ihnen. Ich bin eine Maiko und sie meine Kunden, die ich für diesen Abend oder vielleicht auch ein paar mehr unterhalte. Aber mit dir ist es irgendwie anders, ich weiß auch nicht wieso. Ich würde sogar sagen, du bist mein Freund. Mit dir ist es keine Arbeit mehr, es macht mir einfach Spaß, mit dir Zeit zu verbringen.«
»Auf jeden Fall bist du mir eine gute Freundin, sehr gut sogar«, betonte Tobirama. Aber auch mehr, doch dafür fehlten ihm irgendwie die Worte. Er fand einfach kein Wort, das beschrieb, was Chio für ihn war.
Chio ergriff seine Hand. »Als deine Freundin verrate ich dir ein Geheimnis, aber du musst mir versprechen, dass du es niemandem weitererzählst.«
»Aber natürlich! Das ist doch eine Selbstverständlichkeit.«
Sie lehnte sich zu ihm vor, damit sie ihm zuwispern konnte: »Meine mizuage wird bald ausgeschrieben. Aber das weiß noch niemand außerhalb meiner okiya, deswegen darfst du es nicht weitersagen.«
Sie kicherte, als hätte sie etwas Verbotenes getan.
Er sah sie überrascht an. »Ach wirklich?« Eilig senkt er seine Stimme. »Ist es schon so weit? Gratulation!«
Sie grinste und nickte eifrig. »Ja! Das ist toll, oder? All die Jahre hast du meine Karriere gefördert und ohne dich wäre ich sicher nicht da, wo ich jetzt wäre in meinem Leben. Daher ist es das mindeste, dass ich es dir vor allen anderen sage. Auf ein fröhliches Bieten, mein lieber Freund.«
Tobirama behielt das Lächeln auf seinen Lippen, aber seine Gedanken drifteten ab. Er wusste um die mizuage Bescheid und dass wahrscheinlich viele Gönner darum bieten würden, sie zu erwerben, die Gunst, eine Nacht mit Chio zu verbringen und sie auf ihrem Weg zur Geisha zu begleiten.
Je länger er in den kommenden Tagen und Wochen darüber nachsann, ob er sich am Bieten beteiligen sollte oder nicht, desto unwohler fühlte er sich bei dem Gedanken. Nicht etwa, weil er es Chio nicht gönnte, sondern weil sie auf etwas hoffte, dass er ihr nicht geben konnte.
Chio erfuhr alsbald, dass es nicht Tobirama war, der das Bieten um ihre mizuage gewann. Irgendein reicher Arzt aus der Stadt war der Glückliche, Tobirama kannte den Mann nicht. Er hoffte nur, dass der Mann in dieser Nacht Chio glücklich machen konnte und sanft mit ihr sein würde. Tobirama selbst hielt sich an jenem Tag zurück, denn dieser Tag sollte Chio ganz allein gehören. Aber er sah sie von weitem und er sah auch, wie sie in ihren kostbaren neuen Kimono strahlte und sich von nun an Geisha nennen durfte. Sie wirkte glücklich, und das war das wichtigste.
Als sie sich ein paar Tage später jedoch wieder trafen, schien das nicht mehr der Fall zu sein.
»Warum hast du nicht geboten? Du bist doch mein danna.«
Dann hatte sie also davon erfahren.
»Weil ich dir nicht geben kann, was du verdienst. Nicht dieses Mal jedenfalls. Ich mag dein danna sein, aber nicht alles lässt sich mit Geld erkaufen«, sagte er ehrlich aber sanft.
»Aber du bist doch mein Freund, mein lieber und guter Freund.« Sie sah verwirrt zu ihm auf. »Bin ich dir nicht gut genug?«
»Nein!« Eilig ergriff er ihre Hände und sah ihr fest in die Augen. »Nein, ganz im Gegenteil. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, dass ich nicht gut genug für dich bin. Es liegt nicht an dir, sondern an mir. Ich will, dass dir nur das beste widerfährt, und wenn es heißt, einem anderen den Vortritt zu lassen, dann ist dem so.«
»Ich hatte gehofft, dass du es sein wirst. Ich hätte es mir sehr gewünscht«, sagte sie leise. »Warum nicht?«
»Ich …« Wie sollte er es ihr nur sagen?
»Tobirama?«
Er atmete tief durch. »Der Gedanke an Intimitäten dieser Art mit anderen Menschen bereitet mir Unbehagen.«
Sie schwieg.
»Ich hoffe, er war gut zu dir in dieser Nacht.«
Nachdenklich betrachtete sie ihre verschränkten Finger. »Er hat mich zur Frau gemacht. Es war beängstigend, aber er war umsichtig. Ich kann nicht um mehr bitten. Überhaupt steht es einer Frau in meiner Position nicht zu, überhaupt auf mehr zu hoffen. Ich war wohl naiv, es dennoch zu tun.«
Fragend sah er sie an. »Chio, was ist es, das du mir sagen willst?«
Doch sie schüttelte nur den Kopf, dass ihre kanzashi klingelten. »Nein, es ist gut so. Wirklich, Tobirama. Es ist gut.«
Doch überhaupt nichts war gut und sie versuchte, ihm zu entkommen. Er hielt sie sanft aber bestimmt am Handgelenk fest, um sie an der Flucht zu hindern.
»Chio, bitte. Rede mit mir.« Er klang beinahe flehend.
Zunächst wich sie seinem Blick aus. Doch dann schien sie sich ein Herz zu fassen und sah ihm fest in die Augen. »Ich habe mich in dich verliebt. Ich weiß nicht, wann es passiert ist oder warum ich so naiv war, es zuzulassen, aber ich liebe dich, Tobirama.«
Er schwieg, denn er wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Was konnte er überhaupt sagen?
»Ich … hätte das nicht sagen dürfen«, fuhr sie zögernd fort. »Es tut mir leid.«
»Nein, das muss es nicht«, versicherte er ihr. »Aber ich habe das Gefühl, dass wir uns in einer Situation befinden, in der wir lang und offen miteinander reden sollten.«
Sie nickte gefasst. »Ja, das sollten wir wohl.«
Gemeinsam suchten sie sich eine Bank in dem Garten, in dem sie bis jetzt spazieren waren, und setzten sich nebeneinander. Ihrer beider Haltung war steif, es war eine sonderbare Situation.
»Also«, begann Tobirama von neuem. »Ich hoffe, du weißt, dass du mir sehr viel bedeutest.« Er wartete, bis sie bestätigend nickte. »Ich bin nicht nur dein danna, wir sind Freunde. Sehr gute Freunde sogar, und um nichts in der Welt will ich das verlieren. Aber ich habe das Gefühl, dass du für mich mehr als nur eine Freundin bist, aber ich habe einfach kein Wort dafür, was du für mich bist. Ich weiß nur, dass du mir sehr, sehr wichtig bist.«
Sie lächelte bittersüß. »Uns Geisha steht es nicht zu, zu wünschen oder gar zu lieben. Wir gehören niemandem außer uns selbst. Wir lächeln, wir tanzen und dann entschwinden wir in die Nacht hinaus. Wir sind niemandes Ehefrauen, denn wir sind allein der Nacht versprochen. Das ist unser Schicksal. Meine Eltern verkauften mich vor vielen Jahren als kleines Kind an meine okiya und mit den Jahren bin ich in mein Schicksal hineingewachsen. Ich liebe das, was ich mache, über alles und ich kann es nicht einfach zurücklassen. Ich kann es nicht aufgeben, nicht einmal für dich. Aber ich liebe dich.«
»Ich könnte niemals verlangen, dass du dein Leben für mich allein aufgibst«, sagte er ihr. »Ich bin dir dankbar für all das, was du mir gegeben hast und vor allem für das Vertrauen, das du besonders jetzt in mich setzt. Vor allem will ich, dass du glücklich bist. Dir hin und wieder ein wenig Geld zu geben, ist das mindeste, was ich tun kann.«
Sie schmunzelte, als sie den Ärmel ihres Kimono glatt strich. »Das hier war nicht nur von ein wenig Geld gekauft worden.« Dann sah sie wieder zu ihm auf. »Sag mir, liebst du mich?«
Tobirama sah sie an. In diesem Moment traf er eine Entscheidung, aber eigentlich war sie schon vor vielen Jahren gefällt worden. »Ich weiß nicht, wie sich Liebe anfühlt. Aber ich weiß, dass du mir nicht minder viel bedeutest wie meine Familie, und dass, wenn es eine Person gibt, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen würde, du es bist.«
Erst lächelte sie, doch dann breitete sich ein strahlendes Lachen auf ihrem Gesicht aus. Ihre Augen schwammen in Tränen. »Das ist mehr, als ich jemals zu hoffen wagte.«
»Ich hoffe, es ist genug«, sagte er besorgt.
Aus irgendeinem Grund brachte das sie zum Lachen und sie legte ihm eine Hand auf die Wange. »Natürlich ist es das! Weißt du denn wirklich nicht, wie glücklich ich bin, dich an meiner Seite wissen zu dürfen? Du bist mein Geschenk der Himmel.«
Er ergriff ihre Hand und drückte einen Kuss darauf, einfach weil es sich richtig anfühlte.
»Ich möchte dich küssen. Ist das für dich in Ordnung?«
Fragend sah er sie an. »Aber deine Schminke …«
Sie winkte ab. »Das Gesicht kann ich mir leicht wieder bemalen. Aber ruinier mir nicht meine Haare, sonst muss ich schon wieder zum Haarmacher, und du kannst dir nicht vorstellen, wie lästig das ist.«
Er lächelte. Ja, er konnte sich das in der Tat nicht vorstellen. Chios Augen strahlten, als sie sich zu ihm neigte. Sie wirkte so vollkommen glücklich, als sie seine Lippen mit ihren berührte, und das war in diesem Moment alles, was sein Herz begehrte.
Keiner von ihnen wusste so wirklich, was sie hier eigentlich taten, also machten sie einfach das, was sich richtig anfühlte. Tobirama legte seine Arme um Chio und sie lehnte sich gegen seine Brust, als sie gemeinsam erkundeten, was ihnen beiden Freude bereitete. Tobirama konnte sich nicht erinnern, wann er sich das letzte Mal so glücklich gefühlt hatte. In diesem Moment hielt die Welt den Atem an.
»Chio«, wisperte er ihren Namen gegen ihre Lippen und genoss seinen Klang. Der Klang von Harmonie.
Sie sagten, dass es nicht einfach sei, eine Geisha zu lieben. Tobirama fand viel eher die Frage, was denn überhaupt Liebe sei, weitaus komplexer. Die Zeit, die er mit Chio verbrachte, war für ihn wie ein Traum. Sein Leben war kein leichtes, geprägt von zu viel Leid und Verlust und Schatten, die kein Sonnenstrahl zu erhellen vermochte. Aber Chio war da, und sie war ihm ein Licht, das ihm stets den Weg wies.
Er wusste, dass sie viele Verehrer hatte, aber aus irgendeinem Grund war Eifersucht für ihn nie ein Problem. Er wusste, worauf er sich mit ihr einließ. Warum sollte er auf einmal Anstoß daran nehmen. Sie gehörte ihm nicht, sie gehörte niemandem. Ihre Kunst war die große Leidenschaft ihres Lebens, und er würde ihr das niemals wegnehmen wollen.
Manchmal sprach sie von Familie, wie es wohl wäre, eine eigene Familie zu haben. Aber sie sprach davon, als wäre es nur eine Idee, ein Gedanke, mehr nicht. Tobirama hatte solchen Gedanken bis jetzt nie Raum in seinem Leben gegeben und war daher ein wenig ratlos, wie er darauf reagieren sollte.
»Wie es wohl ist, Mutter zu sein?«, sinnierte sie.
Er zuckte mit den Schultern. »Du fragst den falschen.«
Sie musste lachen und klopfte mit ihrem Fächer auf seinen Arm. »Wenn du auf einmal Mutter wirst, würde ich mir Gedanken machen. Wobei, dir trau ich alles zu.«
»Was soll das denn heißen?«, brummte er.
»Du denkst dir immer so viele wilde Sachen in deinem schlauen Köpfchen aus, und nach allem, was du so erzählst, klingt es, als würde deine Schwägerin dich darin auch noch bekräftigen«, neckte sie ihn. Sie hielt inne, als ihr ein plötzlicher Gedanke kam. »Aber eigentlich ist es gar nicht so wild. Warum sollten Männer nicht den Wunsch verspüren, ein Kind auszutragen?«
Warum eigentlich nicht? Da hatte sie durchaus Recht.
»Willst du Kinder?«, fragte er sie.
»Nicht jetzt. Nicht in den nächsten Jahren. Ich habe eine Karriere.« Sie klappte ihren Fächer aus und malte damit elegante Muster in die Luft. »Aber danach, wer weiß? Willst du? Du hast ja schon ein bisschen Erfahrung mit deiner Nichte.«
»Willst du sie einmal kennenlernen?«, wich er der Frage aus. »Aber ich muss dich vorwarnen. Miyazaki ist eine unheilige Mischung aus den schlechtesten Seiten ihrer Eltern.«
Sie lachte leise. »Das klingt ganz nach deiner Familie. Wir kennen uns nun schon so lange und haben es nicht geschafft, dass ich deine Familie kennenlernen durfte. Dabei erzählst du immer so viel von ihnen.«
»Du hast Recht.« Er nickte. »Wir müssen das wirklich dringend nachholen. Mito fragt ständig nach dir. Ich glaube, ihr beide würdet euch gut verstehen, sie hat wie du eine Leidenschaft für edle Kimono.«
»Jetzt, wo ich ganz offiziell die Frau an deiner Seite bin, auch wenn unsere Wege uns manchmal für viel zu lange Wochen trennen. Ich würde mich sehr freuen.«
»Du bist Teil meiner Familie, ganz gleich ob wir in einem Schrein einen Bund geschlossen haben oder nicht.«
Sie lächelte sanft. »Das bedeutet mir mehr als irgendwelche Worte auf Papier, die uns zu Mann und Frau erklären. Nur Worte, aber was zählt, sind unsere Gefühle. Aber du weichst meiner Frage aus. Willst du Kinder?«
Er schwieg.
»Tobirama.« Sie sah ihn ernst an. »Wovor fürchtest du dich so sehr?«
Er lachte leise in sich hinein. »Du siehst so viel. Ich wusste es vom ersten Moment an und doch unterschätze ich es immer wieder. Ja, ich fürchte mich davor.«
»Warum?«
Warum? »Wegen zu vielem.«
»Was lässt einen Mann wie dich vor Angst erstarren? Sag es mir, bitte.«
Er seufzte und wusste, dass sie doch nicht locker lassen würde. »Du weißt, dass körperliche Intimitäten für mich unangenehm sind. Dich zu küssen, ist wunderbar. Aber mehr … Es ist schwierig. Und das liegt ganz gewiss nicht an dir, das ist mir wichtig zu betonen.«
»Nun, das macht die Zeugung eines Kindes in der Tat schwierig.«
»Ich habe lange und intensiv darüber nachgedacht und kam zu dem Schluss, dass, wenn es eine Person auf der Welt gibt, mit der ich es versuchen würde, du es bist.«
»Ich will dich zu nichts zwingen, das du nicht willst«, betonte sie. »Lass dich von mir nicht beeinflussen. Ich bin mit dir glücklich, ob mit oder ohne Kinder.«
»Ich weiß deine Umsicht sehr zu schätzen.« Er gab ihr ein zartes Lächeln. »Nicht jede Person wäre so respektvoll.«
»Gegenseitiger Respekt gehört zu einer Beziehung dazu, und ich würde dich nicht lieben, würde ich deine Grenzen nicht respektieren. Aber das ist nicht alles. Das ist nicht, was du fürchtest.«
»Nein.«
Er dachte an die Zeit zurück, als Miyazaki gerade erst geboren worden war, damals kurz nach dem Friedensschluss mit den Uchiha. Hashirama und Mito waren überglücklich gewesen. Die Geburt des kleinen Mädchens, das seiner Mutter so ähnlich sah, war einer jener ganz seltenen Anlässe gewesen, zu denen Tobirama Madara wirklich glücklich erlebt hatte. Miyazaki hatte ein Licht in ihrer aller Leben gebracht, das sie sehr vermisst hatten.
Und doch hatte Tobirama Distanz zu seiner Nichte gewahrt und es hatte lange gebraucht, bis er sich gewagt hatte, emotionale Nähe zu ihr zuzulassen. Lange hatte er nur aus der Ferne zugesehen, wie sie selbst Madaras Steinherz erweichte, bis sie ihn soweit hatte, ihr seine Greifvögel zu zeigen.
»Ich fürchte, wie Butsuma zu werden«, wisperte er.
Chio schwieg und sah ihn mitfühlend an.
»Ich fürchte, ebenso zu versagen wie er«, gestand er seine innerste Furcht. »Wir Shinobi führen ein hartes Leben, der Tod ist unser ständiger Begleiter. Das lässt einen nicht unbeeindruckt. Selbst Hashirama hat eine grausame Seite. Ich habe mit diesen Händen getötet, das weißt du, Chio. Ich bin in der Lage, ein Menschenleben zu nehmen, ohne zu zögern, wenn ich es für nötig erachte. Dasselbe Shinobileben hat Butsuma zu dem werden lassen, der er war, bis ich … Ich tötete ihn, das weißt du. Ich war vierzehn, als ich meinen eigenen Vater ermordete, um meinen Clan und vor allem meinen Bruder vor diesem Mann zu beschützen. Aber wer sagt mir, dass ich nicht genauso werde wie er? Wer sagt mir, dass nicht eines Tages mein eigener Sohn mir ebenso das Messer in den Rücken rammt, weil ich es verdient habe, so zu sterben?«
Sie antwortete nicht sofort, sondern überlegte sich ihre Worte wohl.
»Von all den Lügnern in der Welt sind manchmal unsere eigenen Ängste die schlimmsten.« Sie ergriff seine Hände und sah ihm fest in die Augen. »Tobirama, dass du dir all diese Fragen stellst, zeigt mir, dass du niemals so versagen kannst wie Butsuma. Du bist nicht er und du wirst es niemals werden. Dieser Mann, der dein Vater hätte sein sollen, hatte alles Gute in seinem Herzen getötet. Du aber hältst daran fest und beschützt es. Du kannst nicht wie er werden. Hör nicht auf die Angst, sie ist ein notorischer Lügner.«
Er schwieg, weil er nicht wusste, was er sagen sollte. Worte waren noch nie seine Stärke gewesen. Weil es das einzige war, was er tun konnte, drückte er ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn und verweilte so.
»Hör mir gut zu«, sagte sie. »Am Ende werden wir alle sterben, das ist die eine unumstößliche Wahrheit, und daher zählt nur, was wir in unserem Leben machen. Der Tod kommt, wispert man. Der Tod kommt zu allen. Aber zuerst kommt das Leben. Wertschätze es.
Der Tod ist das Ziel. Aber die Reise, das ist Leben. Das ist, was zählt.«
Chio war eine strahlende Karriere vergönnt, wie man sie nur einmal in einer Generation erlebte. Sie unterhielt Gäste bis hin zu den allerhöchsten Kreisen und von nah und fern kamen sie, um einen Abend mit der berühmten Geisha Mineko zu erleben. Manchmal fragte sich Tobirama, warum sie ausgerechnet ihn erwählt hatte, um ihn ihr Herz zu schenken.
Um nichts in der Welt hätte er ihr jemals ihre Karriere nehmen wollen, selbst wenn es bedeutete, nicht ihre oberste Priorität in ihrem Leben zu sein. Schon an zweiter Stelle zu sein, war mehr, als er sich hätte erträumen können.
Es hieß auch, lange Jahre darauf zu warten, bis sie wirklich dazu bereit war, die Frau an seiner Seite zu werden. Doch er war geduldig, er konnte warten.
Auf mehr als ein Jahrzehnt als Geisha zurückzublicken und dabei solche Erfolge zu verzeichnen wie Chio war eine Seltenheit. Viele hatten einige Jahre lang ihre Glanzzeit und traten dann nach und nach in den Hintergrund, um neuen Frauen Platz zu machen. Chio aber war mehr als ein Jahrzehnt der strahlende Stern am nächtlichen Himmel des hanamachi. Erst, als sie weit in ihren Dreißigern war, verblasste ihr Licht allmählich. Viele in ihrer Profession entschieden sich dann, eigene eigene okiya zu gründen, vielleicht auch die okiya zu übernehmen, zu der sie gehörten.
Chio entschied sich, mit Tobirama zu gehen.
Es war eine Entscheidung, die für großes Aufsehen im hanamachi sorgte, so manche reagierten gar mit Empörung darüber, dass sie ihre Wurzeln verließ. Doch Chio ließ sich von nichts in ihrer Entscheidung beirren.
Kaum dass sie in ihr neues Heim in Konoha zog, heiratete sie Tobirama, ein Wunsch, den sie beide nun schon seit einigen Jahren geteilt hatten. Schon lange war sie Teil seiner Familie, doch jetzt, wo sie auch wirklich bei ihnen lebte, wollte sie es wohl mit jedem nur erdenklichen Aspekt bekräftigen, dass sie wirklich sein war, und er ihrs.
Vielleicht war ja dieses Gefühl das, was Liebe am nächsten kam, dachte Tobirama. Auf alle Fälle aber war er so unendlich froh um das Geschenk, das Chio war.
Es war ein langer Weg für ihn, ihre Worte nicht nur zu akzeptieren, sondern auch im Herzen zu spüren. Viel zu lange war die Angst, so zu werden wie Butsuma, ein Teil seines Lebens gewesen, tief, tief in ihm vergraben, doch stets da. Doch wie er es ihr gesagt hatte: Chio war die eine Person, mit der er sich seiner größten Furcht stellen wollte.
Zwei Jahre später durften sie einen gesunden kleinen Jungen in Armen halten. Tobirama glaubte, erst in diesem Augenblick zu erfahren, was wahres Glück war, als er an der Seite seiner Frau saß und auf das winzige Bündel in ihren Armen herabsah. Er mochte weinen vor Freude. Es war so wunderschön.
»Schau, die Haare hat er von dir. Und er schaut auch schon genauso verkniffen drein«, stellte Chio fest. Sie war völlig erschöpft und abgekämpft von der Geburt und doch wollte sie ihren Sohn für keine Sekunde aus den Augen lassen.
»Er schaut überhaupt nicht verkniffen drein«, behauptete Tobirama. »Sein ganzes Gesicht ist zerknittert, das ist bei Babys so.«
»Nein, er hat ganz bestimmt deine Miesepetrigkeit geerbt.«
Tobirama schnaubte. »Das ist eine Unterstellung.«
Chio veränderte ein wenig die Position des Babys auf ihren Armen. »Hat er meine Nase? Was meinst du?«
»Er ist genauso wunderschön wie du.«
»Willst du damit sagen, ich sei faltig und verschrumpelt wie eine Rosine? Denn genau das ist er«, neckte sie ihn.
Er lachte leise und gab ihr einen Kuss auf die Schläfe. »Du weißt, wie ich das meine.«
Das winzige Baby regte sich und gab einen verschlafenen Laut von sich. Nachdem es laut schreiend seine ersten Atemzüge auf dieser Welt getan hatte und die Hebammen es gewaschen hatten, war es beinahe augenblicklich in den Armen seiner Mutter eingeschlafen. Seinen Vater zu begrüßen, hatte anscheinend nicht auf der Tagesordnung gestanden.
»Willst du ihn einmal halten?«, fragte Chio ihn.
Tobirama sah sie perplex an. »Ist das eine gute Idee?«
Sie kicherte. »Warum nicht? Du bist sein Vater.«
Der Gedanke war noch immer so surreal für ihn. Vater. Er. Wie das klang.
»Ich weiß nicht …«
Sie streckte ihm das Baby entgegen, und plötzlich konnte er dem doch nicht mehr entkommen. Etwas linkisch nahm er seinen Sohn auf den Arm. So winzig! Es war einfach nicht zu fassen, wie so ein winziges Ding überhaupt existieren konnte.
»Wir haben ein Baby gemacht«, hauchte er voller Unglauben, weil es sich immer noch wie ein wunderschöner Traum anfühlte.
Sie grinste breit, Tränen in den Augen. »Ich weiß. Ist das nicht wunderbar?«
Ganz vorsichtig strich Tobirama seinem Sohn mit einem Finger über die Wange. Das Köpfchen war so winzig, dass es in seine Hand passte.
»Wie wollen wir ihn nennen?«
»Sakumo«, schlug Chio sogleich vor.
»Sakumo?« Er sah sie fragend an. Es war ein ungewöhnlicher Name.
Doch Chio nickte fest. »Ja, Sakumo. Ich habe das Gefühl, dass dieser Name am besten zu ihm passt.«
»Nun denn, Sakumo also«, sagte Tobirama, während Chio sich an ihn kuschelte. »Willkommen auf der Welt, kleiner Sakumo.«
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