Es war ein bitterkalter Winter, in dem sich Kawaramas Tod zum dreizehnten Mal jährte. Dreizehn Jahre und Tobirama hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, dass seine andere Hälfte nicht mehr war. Itama war sein kleiner Baby Bruder gewesen, doch Kawarama sein Zwilling, und mit seinem Tod war es gewesen, als wäre ein Teil seiner Seele aus ihm herausgerissen worden.
Ungeachtet des tiefen Schnees kniete Tobirama vor dem kleinen Schrein in ihrem Garten, um die Räucherstäbchen zu entzünden und Kawarama zum Geburtstag zu gratulieren. Es war sein kleines Ritual, das er jedes Jahr wiederholte. Nur weil er sich nicht viel aus diesem Tag machte, hieß das noch lange nicht, dass Kawarama sich nicht darüber freuen würde, eine Kleinigkeit zu erhalten und Neuigkeiten von seiner Familie zu erfahren. Und dieses Jahr hatte Tobirama ihm etwas wirklich großartiges zu erzählen.
»Hashirama ist Vater geworden«, berichtete er. »Vor einem Monat erst. Wir sind jetzt Onkel, kannst du dir das vorstellen, Bruder? Miyazaki ist Mito wie aus dem Gesicht geschnitten und hat sogar ihr rotes Haar geerbt. Uzumaki durch und durch, kein Zweifel. Hashirama schmollt die ganze Zeit deswegen und spricht ständig davon, was er ihr alles beibringen will. Anscheinend kann er es gar nicht abwarten, ihr Ninjutsu beizubringen. Sie ist einen Monat alt und er hat schon ganz große Pläne für ihre Zukunft. Hashirama ist immer noch ein Trottel und nicht zu bremsen.«
Tobirama schnaubte, musste aber trotzdem lächeln.
»Mit dem Baby im Haus ist jetzt alles anders. Madara ist häufig allein im Büro und Izuna und ich helfen ihm aus, so gut wir können, weil Hashirama und Mito alle Hände voll zu tun haben mit Miyazaki. Sie scheint bevorzugt nachts zu schreien und bringt uns damit alle um den Schlaf. Aber weißt du, was das schöne daran ist, Onkel zu sein? Das ist nicht mein Problem.«
Er hielt einen Moment inne und sann über seine nächsten Worte nach.
»Ich weiß nicht, ob ich es missen würde, selbst Vater zu sein. Ich habe Izuna und das reicht mir völlig. Kinder erscheinen mir so … mühsam, und unter uns, Izuna ist ein zu groß geratenes Kind, der ist Arbeit genug.«
Er lachte leise.
»Als wir noch Kinder waren, hätte das auch niemand gedacht, nicht wahr? Dass wir jetzt ausgerechnet mit Uchiha unser Leben verbringen würden. Izuna bettelt mich die ganze Zeit an, dass wir heiraten, und ich glaube, ich bin geneigt, dem zuzusagen. Ich wünschte, du könntest das alles miterleben …«
Er verfiel in Schweigen. Trauer machte sein Herz schwer. Er redete ja doch nur mit sich selbst hier.
Er hörte Schritte hinter sich im Schnee knirschen, und dann kniete sich Mito neben ihn vor den Schrein. Sie trug Miyazaki bei sich, fest eingewickelt in eine dicke Decke gegen die Kälte des Winters. Das winzige Gesicht des Säuglings verschwand beinahe vollkommen unter dem Fellbesatz der Decke.
Mito verneigte sich leicht vor dem Schrein, auch wenn sie aufgrund Miyazakis nicht die Hände falten konnte. »Ich hoffe, du hast einen schönen Tag, Kawarama-kun. Deinen Bruder gratuliere ich besser nicht, sonst bekomme ich nur wieder eine miesepetrige Antwort.«
Tobirama warf ihr einen Seitenblick zu. Mito lächelte unschuldig. Tobirama beschloss, dass es ihm besser zu Gesicht stünde, wenn er darauf gar nicht erst einging.
»Ich habe Kawarama von Miyazaki erzählt«, sagte er stattdessen.
»Oh, hast du?« Mito lächelte. Sie steckte einen Finger in die Decke und strich Miyazaki über die Wange. Das Baby gab blubbernde Laute von sich. »Dann ist heute wohl der Tag, an dem du offiziell deinem anderen Onkel vorgestellt wirst, kleine Maus. Sei schön lieb.«
Miyazaki sah mit großen blauen Augen zu ihr auf. Ob sie später einmal Mitos Augenfarbe bekommen würde oder die Hashiramas?
»Wie war Kawarama so?«, wollte Mito wissen. »Und Itama?«
Tobirama verneigte sich erneut vor dem Schrein, um seinem Bruder Lebewohl zu sagen. »Wollen wir nicht lieber nach drinnen gehen? Hier draußen ist es kalt.«
Mito nickte, und Tobirama half ihr auf. Ein leichter Wind wehte einige Schneeflocken von den verschneiten Bäumen und etwas davon landete auf Miyazakis Gesicht. Ihr kleines Gesichtchen zog sich zusammen und sie nieste. Mito lachte.
»Dein erster Schnee. Wenn du nur alt genug bist, wirst du es lieben, im Schnee zu spielen.«
Sie begaben sich nach drinnen, und während Mito Miyazaki aus ihrer warmen Kleidung pellte, sodass sie im warmen Haus nicht überhitzte, schürte Tobirama das Feuer im irori. Ein gusseiserner Kessel mit Tee hing über der Feuerstelle. Er goss ihnen beiden Tee ein. Dann, aus einer Laune heraus, stand er doch wieder auf und begab sich nach oben, um in einer angestaubten Kiste einen ganz besonderen kleinen Schatz zu suchen.
Sie hatten auch jetzt noch nur wenige Fotografien, eine neue und noch selten genutzte Technik. Dass es überhaupt Fotos aus seiner Kinderzeit gab, war eine Rarität. Er war froh, dass diese wenigen Bilder, die sie hatten, überhaupt überlebt hatten, auch wenn er wünschte, es gäbe Fotos von seiner Mutter. Sie war gestorben, als er vier gewesen war und bis auf eine Tuschezeichnung hatte er keine Erinnerungen mehr an sie.
Mito sah ihm neugierig entgegen, als er zurückkehrte. Sie hatte sich mit Miyazaki in einem Tragetuch an den Herd gesetzt und wärmte sich mit ihrer Schale Tee auf. Tobirama setzte sich zu ihr.
»Ich glaube, die hast du nie gesehen.« Er reichte ihr das Fotoalbum.
Mito nahm es entgegen und begann, die Seiten durchzublättern. Gleich das erste Bild war eines mit Butsuma und all seinen Söhnen. Diesen Mann zu sehen, versetzte Tobirama noch immer einen Stich. Wie froh er doch war, dass er aus seinem Leben verschwunden war. Auf dem Bild hielt Hashirama den damals noch einjährigen Itama auf dem Arm, während Tobirama und Kawarama neben ihm standen. Butsuma stand hinter ihnen, in voller Rüstung und mit der Hand am Katana. Er starrte finster in die Kamera.
»Itama kam charakterlich mehr nach Butsuma«, begann Tobirama. »Er war kämpferisch veranlagt, und Butsuma hatte großen Einfluss auf ihn. Wir hatten uns deswegen oft gestritten, weil insbesondere Hashirama und Kawarama unter Butsuma zu leiden hatten. Kawarama war eine sanfte Natur, wie Hashirama, aber anders als er hatte Kawarama nie die Kraft aufbringen können, Butsuma Widerworte zu geben.«
»Ihr seht euch gar nicht so ähnlich, wie ich gedacht habe«, stellte Mito fest.
»Hashirama sagt, dass wir beide mehr nach unserer Mutter kommen«, sagte Tobirama. »Aber wie du unschwer erkennen kannst, sind wir keine eineiigen Zwillinge. Manche sagten gar, dass wir uns so unähnlich seien, dass wir unmöglich miteinander verwandt sein könnten.«
Mito lachte leise. »Wieso das? Nur weil er nicht so häufig grummelte wie du? Wie alt warst du hier auf dem Bild? Fünf, sechs Jahre? Schon damals schienst du mit allem und jedem unzufrieden zu sein deinem Blick nach zu urteilen.«
»Butsuma hatte vermutet, dass ich vielleicht nicht sein Sohn sei, weil ich … Nun, ich sehe eben anders aus.«
Mito wurde wieder ernst. »Ich hoffe, er hat es dich nicht allzu deutlich spüren lassen.«
»Lass es mich so sagen: Ich bin froh, dass er nicht mehr lebt.«
Mito nahm es stillschweigend hin und blätterte weiter durch das Album. Hin und wieder sagte Tobirama etwas zu dem, was auf den Bildern zu sehen war.
»Hashirama war echt ein niedlicher Junge«, stellte Mito mit einem zärtlichen Lächeln fest. »Nur dieser Haarschnitt …«
»Ja, der war wirklich etwas unvorteilhaft«, stimmte Tobirama ihr zu. »Aber Butsuma hatte ihm den aufgezwungen. Lange Haare seien unvorteilhaft in einem Kampf und überhaupt sollte er sich nicht so um sein Äußeres scheren, so seine Worte. Irgendwann einmal war es eine Form des Protestes, dass Hashirama sich die Haare lang wachsen ließ.«
»Euer Vater muss ein wirklich furchtbarer Mensch gewesen sein«, sagte Mito mitfühlend.
»Nenn ihn nicht unseren Vater«, widersprach Tobirama. »Das war er nicht. Er war ein Kriegstreiber und er trägt die Schuld daran, dass zwei meiner Brüder viel zu jung starben. Hashirama fürchtet seit vielen Jahren, ihm zu ähnlich zu sein.«
Mito schüttelte den Kopf. »Das muss er nicht. Er wird ein ganz wunderbarer Vater sein, da bin ich mir sicher.«
Wie, als wäre das ihr Stichwort, machte sich Miyazaki wieder bemerkbar. Sie brabbelte etwas vor sich hin, was sofort Mitos Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie gurrte ihrer Tochter zu und rieb ihre Nase an Miyazakis. Dem Baby schien das zu gefallen.
»Willst du sie einmal halten?«, fragte Mito plötzlich.
Tobirama blinzelte überrascht. »Das traust du mir zu?«
Mito lachte auf. »Natürlich. Das ist schließlich keine Wissenschaft.«
Bevor er protestieren konnte, nahm Mito das Baby aus dem Tragetuch und legte es Tobirama in die Arme. Er wagte kaum, auch nur einen Finger zu krümmen, aus Angst, dieses kleine, zerbrechliche Wesen aus Versehen fallen zu lassen.
»Schau, das ist keine große Sache«, sagte Mito. »Pass nur auf, du musst ihren Kopf halten. Siehst du, so. Das ist fürchterlich gemein für so ein kleines Baby. So ein winziger Körper und so ein riesiger Kopf. Findest du nicht auch, mein Engelchen?«
Miyazaki verstand natürlich kein Wort, aber sie lauschte aufmerksam ihrer Mutter. Sie starrte zu Tobirama auf, als schien sie zu überlegen, was sie von ihm halten sollte.
»Das ist dein Onkel Tobirama. Du darfst ihn Tobi-oji nennen.«
»Nein, darf sie nicht«, grummelte Tobirama. Er hasste es, wenn sein Name so verhunzt wurde.
»Doch, darf sie.« Mito lächelte entwaffnend.
Miyazaki war so winzig. Kaum zu glauben, dass aus diesem kleinen Würmchen eines Tages mal ein voll ausgewachsener Mensch werden sollte. Er strich mit einem Finger über ihre winzig kleine Faust und war überrascht, als sie reflexartig und mit verblüffend viel Kraft nach seinem Finger griff. Sie konnte seinen Finger gerade so umfassen. Tobirama konnte einfach nicht anders, als vor Rührung zu lächeln.
»Haben du und Izuna eigentlich über Kinder nachgedacht?«, fragte Mito.
Tobirama sah sie fragend an. »Und wie soll das bitte gehen?«
»Ihr könntet adoptieren«, schlug Mito vor. »Oder ihr fragt eine dritte Person, ob sie bereit wäre, euer Kind auszutragen. Es gibt bestimmt die eine oder andere Frau, die das machen würde.«
Dieses Konzept erschien Tobirama sonderbar. »Nun, nein, wir haben nicht darüber nachgedacht.«
»Wenn ich so darüber nachdenke, sollte Izuna vielleicht seine Angewohnheit zu zündeln zunächst einmal in den Griff bekommen, bevor ihr es auch nur im Entferntesten in Erwägung zieht«, scherzte Mito.
Miyazaki quäkte leise, und Mito nahm sie wieder zu sich. Tobirama atmete auf. Endlich wieder bewegen. Mito wickelte das Baby wieder in das Tragetuch und wiegte es. Miyazaki blinzelte müde, und es dauerte in der Tat nicht lang, bis sie eingeschlafen war. Schlafen oder essen waren derzeit noch ihre Hauptbeschäftigungen. Nun, und schreien zu furchtbaren Zeiten. Tobirama und Izuna waren dazu übergegangen, wieder in ihr Labor zu ziehen, das eigentlich ohnehin einmal ein Wohnhaus hätte sein sollen, bis die beiden es umgebaut hatten.
Labor …
»Mito-imōto, ich möchte dir etwas zeigen, an dem ich derzeit arbeite. Ein neues Siegel.«
Mito hob den Kopf. »Welchen Zweck erfüllt es?«
»Ich zeige es dir besser«, sagte Tobirama ausweichend. Er wusste, dass seine Forschungen nicht immer ganz konventionell waren und mit diesem Projekt hatte er vielleicht eine Grenze überschritten. Aber er hatte es einfach tun müssen. Mito würde es vielleicht verstehen, wenn sie es sah.
»Fein. Ich bringe Miyazaki aber besser zuerst ins Bett.«
Sie trank ihren Tee aus und stand dann vorsichtig auf, um Miyazaki nicht zu wecken. Tobirama wartete derweil auf sie, bis sie das Baby weggebracht hatte, dann gingen sie gemeinsam zum Nachbarhaus.
»Dass ihr hier überhaupt noch eine Küche hier drin habt, erstaunt mich ja immer wieder«, kommentierte Mito scherzend. »In Anbetracht dessen, wie ihr beide jede Form einer gemütlichen Schlafstätte wegrationalisiert habt, hätte ich gedacht, dass auch irgendwann einmal die Küche dran glauben muss, nur damit du mehr Platz für deine Siegelrollen hast.«
»Ein futon kann man einfach in eine Ecke schieben. Das geht mit einer Küche schlecht«, erinnerte Tobirama sie. »Ich präferiere kurze Wege zwischen Nahrungsquelle und Arbeit. Spart Zeit.«
»Gerade du könntest doch einfach ein paar Hiraishin-Markierungen platzieren.«
Tobirama sann einen Moment darüber nach. »Das ist eine ausgezeichnete Idee.«
»Das war ein Scherz!«, rief Mito aus. »Ich meinte das nicht ernst!«
»Aber wieso denn?«, wollte Tobirama ernsthaft wissen. »Da ich ohnehin zu jeder Zeit eine beliebige Anzahl an intakten Markierungen haben kann, wäre das nur praktisch.«
»Dir ist bewusst, dass es für andere Leute nicht normal ist, sich ständig zu teleportieren anstatt zu laufen?«
»Ich habe natürlich an Hashiramas Rüstung und Izunas Kleidung ebenfalls Markierungen angebracht für den Fall, dass sie in Gefahr geraten und ich sie da herausbringen muss.«
»Tobirama?«
»Ja?«
»Ach nichts … Was wolltest du mir zeigen?«
Tobirama brachte sie in einen besonders abgesicherten Raum, zu dem derzeit nur er und Izuna Zutritt hatten, zudem jede Person, die sie autorisierten, was sich jedoch lediglich auf ihre Brüder und Mito beschränkte. Tobirama hatte dennoch die Befürchtung, dass die Sicherheitsmaßnahmen, die sie ergriffen hatten, noch nicht genug waren, weshalb er seit einer Weile darüber nachdachte, sich ein weiteres Labor draußen im Wald einzurichten. Da würde es keinen allzu großen Schaden anrichten, wenn er irgendetwas zur Explosion brachte. Vielleicht sogar ein Labor, zu dem er nur mittels des Hiraishin Zutritt hatte, das wäre noch sicherer. Die Dokumente, die hier lagerten, durften auf keinen Fall in falsche Hände geraten, sie waren sogar noch besser gesichert als die Archive der Anbu.
»Sieh her.« Er griff nach einer ganz bestimmten Schriftrolle und öffnete sie. »Es ist noch nicht fertig. Mehr eine … Idee, eine Skizze dessen, was vielleicht möglich ist.«
»Edo Tensei«, las Mito, während sie sich mit gerunzelter Stirn über das Papier beugte und es glattstrich. Sie studierte die Schrift eine Weile eingehend und fuhr mit den Fingern einige der Siegellinien nach.
Sie hob den Kopf.
»Nekromantie also?«
»Ich würde nicht so weit gehen, es als solches zu bezeichnen«, korrigierte Tobirama. »Eher Kommunikation mit den Verstorbenen. Wie gesagt, nur eine Idee.«
Mito zögerte und gleichzeitig schien sie doch interessiert. Wie Tobirama war sie fasziniert von Siegeln, und da sie von den besten Siegelmeistern der Uzumaki gelernt hatte, verstand sie sogar noch mehr als er von der Materie. Sie hatte offensichtlich Bedenken, doch gleichzeitig konnte sie zu einem komplizierten Siegel einfach nicht nein sagen. Wenn Tobirama in dieser Sache auf jemanden zählen konnte, dann sie.
»Soweit ich das beurteilen kann, könnte das in der Tat funktionieren«, sagte sie nach einer Weile. »Das ist vielleicht sogar schon in einem Zustand, in dem wir es ausprobieren könnten. Allerdings …«
»Allerdings?«, hakte er nach, als Mito nicht weitersprach.
»Ich werde es hinterher sicher bereuen, dir Ideen gegeben zu haben, aber das lässt sich noch weiterentwickeln. Aber nein. Nein, das werden wir schön bleiben lassen.«
»Für den Moment würde es mir genügen, mit den Seelen der Verstorbenen kommunizieren zu können. Du hast Recht, da ist Potenzial für mehr, aber für den Anfang genügt das. Das ist bereits kompliziert genug.«
Andererseits …
Mito tippte sich gegen das Kinn, während sie überlegte. »Es ist nicht möglich, von unserer Seite aus mit dem Jenseits in Berührung zu kommen. Wir müssen die Seele zu uns rufen, und da sie in dieser Existenzebene nicht ohne weiteres existieren kann, muss sie in irgendeiner Weise an diese Welt gebunden werden. Da hattest du selbst schon daran gedacht, als du diese Anker hier implementiertest. Allerdings … Gib mir einen Moment. Reich mir die Tusche.«
Er kam dem nach, und Mito begann, mit geübter Hand die Siegel zu ergänzen.
»Die Bindung ist nicht stark genug«, murmelte sie vor sich hin. »Vielleicht damit. Probieren wir es zunächst ohne Medium. Wenn das nicht funktioniert …«
Tobirama studierte die Ergänzung. Dann sah er wieder zu Mito. »Wollen wir es versuchen?«
Mito atmete tief ein und dann lang wieder aus. »Bist du sicher, dass du das machen willst?«
Natürlich konnte sie aus den Formeln herauslesen, was die Wirkung des Jutsu sein würde. Es war für sie so einfach, wie gewöhnliche Schriftzeichen zu lesen. Wie kaum jemand anderes vermochte wie sie, all diese verworrenen Linien zu einem Gesamtbild zusammenzufügen.
Statt zu antworten, nickte er lediglich. Er fürchtete, dass seine Stimme sonst nicht so fest klingen würde, wie er das gern hätte. Ja, er war sicher, dass er diesen Schritt gehen wollte. Noch einmal mit Kawarama reden zu können, wäre es wert, ein paar moralische Restriktionen großzügig auszulegen. Seiner anderen Hälfte von seinem Leben zu berichten, ohne, dass ihm diese schreckliche Stille antwortete. Ein letztes Mal das Gefühl haben, eine Hälfte eines ganzen zu sein …
»Also dann …« Mito nahm die Schriftrolle und breitete sie vor ihnen auf dem Boden aus. Dann überließ sie Tobirama den Vortritt. Es war seine Erfindung, er sollte auch die Ehre erhalten, es als erster anzuwenden.
Bevor er es sich noch anders überlegen konnte, ging er das erste Mal durch die Handzeichen seines neuen Jutsu und ließ dann sein Chakra in das Siegel fließen. Im ersten Moment passierte nichts, und er fürchtete schon, dass der Versuch gescheitert war. Doch dann bemerkte er, wie Staubpartikel begannen, sich langsam zusammenzusetzen und Gestalt anzunehmen. Er meinte, so etwas wie einen weit entfernten Schrei zu vernehmen, aber das bildete er sich vielleicht auch nur ein.
Mito ging um die Erscheinung herum und beugte sich vor, ohne jedoch die sich bildende Gestalt zu berühren. »Der Anker scheint noch zu schwach zu sein. Die gerufene Seele scheint keinen wirklichen Halt zu finden und droht, wieder ins Jenseits gerissen zu werden.«
Die Gestalt begann, erkennbar menschlich auszusehen. Allmählich zeichneten sich individuelle Züge aus. Tobirama starrte starr auf das, was er da erschaffen hatte.
Alles heran schrie falsch, falsch, falsch.
Kawarama, eindeutig, so, wie Tobirama ihn in Erinnerung hatte. In seinen Augen jedoch war kein Leben. Er starrte mit leerem Blick in den Raum und rührte sich nicht. Dies hier war nichts weiter als eine leere Hülle, die gewaltsam zurück in diese Welt gerissen worden war.
Dennoch konnte Tobirama nicht anders, als die Hand auszustrecken. Dann hielt er doch inne und ließ die Hand wieder sinken. Kawaramas Blick ging nichts sehend durch ihn hindurch.
»Kawarama. Bruder«, sagte er leise.
Kawarama regte sich nicht.
»Ich bin‘s, Tobirama. Dein Bruder.«
Noch immer stand Kawarama unnatürlich still in dem Siegel, das ihn hierher geholt hatte. Wieder war es, als würde Tobirama diesen Schrei hören, so voller Agonie. Sprach dieser Schrei von den Qualen, die Kawarama in den letzten Momenten seines viel zu kurzen Lebens hatte erleiden müssen?
»Kawarama, sprich mit mir. Bitte.«
»Die Seele braucht einen Halt«, murmelte Mito. Regungslos starrte sie auf das, was Tobirama beschworen hatte. »Sie braucht etwas, das sie an diese Welt bindet, etwas physisches. Einen Teil des originalen Körpers. Nur das ist ein Anker, der stark genug ist, dem Sog des Jenseits zu widerstehen und die Seele dauerhaft an diese Welt zu binden. Vielleicht braucht es sogar ein Gefäß. Das hier … das ist zu instabil.«
Dann hielt sie inne, als fiele ihr erst jetzt auf, was sie da sagte. »Nein. Nein, das geht zu weit.«
Tobirama musste es wissen. Er streckte eine Hand aus und berührte Kawaramas Gesicht. Unter der Berührung seiner Finger zerfielen Kawaramas Züge zu Staub. Ein paar Flocken tanzten umher und versuchten sich wieder zusammenzufügen, doch der Rest rieselte zu Boden. Ein Loch klaffte in Kawaramas Gesicht. Noch immer starrte er regungslos und mit leerem Blick. Der ferne Schrei wurde schmerzvoller.
Falsch, falsch, falsch.
»Tobirama.« Mito berührte ihm am Arm. »Löse das Jutsu auf. Es tut mir leid für dich, dass es nicht so funktioniert hat, wie du das wolltest. Aber dieses Experiment müssen wir wohl als gescheitert abtun.«
Tobirama riss den Blick von Kawarama los. »Seit wann gibst du so schnell auf?«
»Ganz im Gegenteil denke ich sogar, dass ich weiß, wie dieses Jutsu funktionieren könnte. Aber das würde Menschenopfer beinhalten, und willst du diesen Schritt wirklich gehen?«
Ja. Nein. Kawarama …
Tobirama sah zu der leblosen Hülle, die sein Bruder hätte sein sollen, und dann wieder zu Mito. Er wusste nicht, wie er darauf antworten sollte.
»Ich glaube, er leidet«, fuhr Mito fort. »Du hörst es doch auch, nicht wahr? Du versuchst mit Gewalt, seine Seele im Diesseits zu halten, während es ihn gleichzeitig wieder ins Jenseits zerrt.«
Kawarama sollte nicht leiden. Er hatte schon im Leben genug erdulden müssen. Tobirama löste das Jutsu und ließ dann die Schultern hängen. Mito strich ihm mitfühlend über den Rücken. Ihm war, als würde er ein fernes Seufzen hören.
»Es hatte eben nicht sein sollen«, sagte sie sanft. »Es tut mir leid.«
Tobirama starrte auf den kleinen Staubhaufen zu ihren Füßen. Es war inakzeptabel, dass Kawarama litt. Aber was, wenn …
Was wäre, wenn er sich andere Testobjekte suchte, an denen er das Jutsu studieren konnte, bis er herausgefunden hatte, wie es wirklich funktionieren könnte?
Feedback
Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!