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Der Lauf der Zeiten

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19.03.22 16:46
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

Autorennotiz

Die Idee zu dieser Kurzgeschichte kam mir bei einem Spaziergang an einem der einsamen Strände, die es noch heute in Aquitanien gibt. Ich wandere oft an diesen Stränden entlang und einmal traf ich dabei auf den Kiel eines aus Holz gebauten Bootes.

Das Original der Geschichte findet Ihr hier: erzaehlungen.moosecker-hassels.de/text/text_02_pdf.php?v=oeffentliche_adobe&d=der_lauf_der_zeiten.pdf

Im äußersten Südwesten Frankreichs liegt die historische Region Aquitanien. Weite, von mächtigen Dünen gesäumte einsame Strände am Atlantik laden dort zum Wandern ein. Wer sich in diese Welt aus Sand und Meeresrauschen begibt und seine Sinne ganz auf das Singen des Windes und das Donnern der Brandung lenkt, vergisst Raum und Zeit. Der ewige Wechsel des Gezeitenstroms bestimmt hier den Verlauf der Grenze zwischen Land und Meer und bei klarem Wetter wölbt sich ein meist wässerig-blauer Himmel bis zum Horizont. Vor sich hin modernd, auf Weisung der Nazis errichtete Bunker, trotzen hier wie gestrandete Tiere der Urwelt der Brandung, ganz so als wären sie unvergänglich. Die wenigen, einsam am Strand wandernden Menschen verlieren sich vor der tosenden Brandung in den sandigen Massen. An einem dieser Strände liegt geheimnisvoll der gebrochene, hölzerne Kiel eines Bootes.

Dort am Strand im Südwesten Frankreichs haben die hölzernen Reste des Bootes die Zeiten überdauert. Die geborstenen Spanten recken sich wie anklagend gegen den Himmel und der ewig wehende Wind treibt Sand wie einen feinen Schleier über das hölzerne Gebilde. So vergeht Jahr für Jahr und wenn sich die Strömungen des Ozeans nur leicht verändern, verschwinden die Bootsreste unter den Sandmassen, die die Brandung gegen Strand wirft. Das Boot verschwindet aus dem Blickfeld der seltenen Wanderer – spurlos, wie aus dem Gedächtnis gelöscht.

Unerwartet und vom Anblick überrascht erblickt der einsame Wanderer nach einer Sturmnacht die wieder frei gespülten Reste des Bootes; wie von Geisterhand an den Strand geschleudert. Die geborstenen Spanten, inzwischen vom ewig malenden Sand rundgeschliffen, strecken sich wie eh und je anklagend gegen den Himmel. Unheimlich, wenn sie bei verhangenem Himmel aus den Nebelschwaden nur wenige Schritte vor dem Wanderer auftauchen; als Landmarke, wenn sich wässerig blau der Himmel über den Stand dehnt und der Wanderer aus großer Entfernung undeutlich ein scheinbar unbestimmbares Gebilde in den Sandmassen ausmacht. Je mehr sich der Wanderer dem Gebilde nähert, umso deutlicher heben sich die gebrochenen Spanten, die einst ein seetüchtiges Boot formten, von den Sandmassen vor dem sich wölbenden Himmel ab.

Fragt man die Bewohner der wenigen öden Orte des Hinterlandes nach der Herkunft des Wracks, ist die Antwort ein Schulterzucken. Aus dem Gedächtnis der Menschen gelöscht, ist das Schicksal der Insassen. Jeder Hinweis auf die letzten Passagiere ist im Dunkel der Geschichte untergegangen.

Waren es Fischer, denen es in einer der gefürchteten Sturmnächte der Biskaya nicht mehr gelang, den rettenden Hafen von Pointe de Grave oder Port Richard zu erreichten? Waren es Pilger, auf dem Weg nach Santiago de Compostela, die auf der Überfahrt nach Soulac-sur-Mer im Sturm den Hafen verfehlten, hier strandeten und in der Brandung umkamen? Hatten sie geplant, ein Dankgebet in der Kirche Notre-Dame-de-la-Fin-des-Terres zu sprechen und um weiteren Beistand zu bitten, bevor sie sich auf den beschwerlichen Fußweg in das ferne Galicien machten? Waren es Auswanderer, ausgelaufen in La Rochelle, Saint-Nazaire oder einem anderen Hafen der Küste, deren Schoner mit gebrochen Masten kenterte und die keine Chance hatten, das Boot mit brechenden Riemen durch die Brandung zu bringen? Waren es Flüchtlinge, die auf dem Seeweg Rettung im nahen Spanien suchten und hier den Nazis und ihren Schergen in die Hände fielen? Waren es gar Kämpfer der Résistance, die in einer ebenso sinnlosen wie verwegenen Aktion versuchten, die Besatzer von See her anzugreifen? Waren es zwei Liebende, die sich mit letzter Kraft an den Strand retteten und in den nahen Wäldern Schutz vor den Verfolgern fanden? Niemand kennt die Antwort – allenfalls ein erfahrener Bootsbauer könnte aus Bauart und Zustand der Reste, Art, Herkunft und Alter des Bootes bestimmen.

Generation auf Generation wird vergehen; unbeeindruckt davon bleibt die Zeit. Zeit gebiert Zeit, sie dehnt sich ins Unendliche oder scheint zu rasen und die Menschen ordnen sich diesem Rhythmus unter. Eines fernen Tages, wenn die Nazibunker durch das Aufquellen rostender Moniereisen geborsten sind, der Beton durch die Macht der Brandung zu Sand zerbröselt ist, wird vielleicht ein liebendes Paar über diesen Strand wandern – junge Menschen, bei denen sich die Hoffnung auf die Zukunft und die Angst, vor dem was sein könnte die Waage halten oder ein altes Paar dem das Schicksal ein langes gemeinsames Leben geschenkt hat – und unter den Füßen ein leichtes Knacken verspüren. Sie werden den Blick auf ihre Füße richten und sehen, durch ihre Schritte ist ein unauffälliges Stück Treibholz zerbrochen. Sie fassen sich an den Händen und gehen weiter durch den weichen Sand, lauschen dem Donnern der Brandung und dem Singen des Windes; nicht ahnend, dass unter ihren Füßen der letzte Rest eines Bootes zerbrochen ist, welches vor unendlich langer Zeit an diesem Strand scheiterte.

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Schriftstellerin Am 20.03.2022 um 11:15 Uhr
Hallo Bernd,

ich möchte Dir endlich mal für Deinen Kartoffelpuffertext danken, denn bei uns in Osten (Ich komme aus Mecklenburg.) wird dieses Gericht „Kartoffelpuffer“ genannt. Es ist mein absolutes Lieblingsessen.
Seit der Zeit, in der ich nicht mehr zu Hause wohne, und das ist schon viele Jahre her, habe ich in allen Lebenslagen, in allen illegalen (besetzte Wohnungen oder bei Freunden) oder legalen Behausungen, ständig eine Reibe bei mir getragen, auch wenn ich nichts anderes mehr besaß.
Ich konnte übrigens alle Bekannte, die ich zum Kartoffelpuffer einlud, nicht mit meiner Begeisterung anstecken, auch meinen Freund nicht. Für sie ist Kartoffelpuffer nur ein Gericht unter vielen und nicht mal was Besonderes. Vielen wäre ein Schnitzel wohl lieber gewesen. Man muss wohl spezielle Geschmacksknospen haben, um das Besondere am Kartoffelpuffer zu erschmecken.
Kartoffelpuffer ist natürlich ein Armeleutegericht. Kartoffeln waren schon immer billig, Zwiebeln auch und zur Not kann man auch auf das Ei verzichten, ja zur Not geht es auch ohne Zwiebel. So waberte in vielen Arbeiterfamilien wohl ständig dieser spezielle Geruch, der uns beiden das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt, durch das Haus.
Hast Du mal „Kleiner Mann – Was nun“ von Hans Fallada gelesen? Als er und Lämmchen zum ersten Mal ihre Schwiegereltern besuchen, gibt es Kartoffelpuffer, und keiner freut sich darüber. Das konnte ich nicht verstehen. Mir lief, schon allein beim Lesen, das Wasser im Mund zusammen. Kartoffelpuffer ist eigentlich ein jüdisches Gericht, ein Gericht, das arme Juden zu Festtagen gegessen haben. Die Puffer wurden wohl in sehr viel Schmalz gebraten.
Früher habe ich, wie gesagt, die Kartoffeln und die Zwiebeln immer mit einer Handreibe gerieben und meine Fingerspitzen kaputt gemacht. Da dauerte auch immer ziemlich lange. Aber dafür war die Belohnung danach, der erste knusprige Kartoffelpuffer, nachher um so besser.
Jetzt habe ich mir eine Riesenmaschine gekauft, dieselbe, um die sich die Leute bei Aldi geprügelt haben. Jetzt ist schon nach zirka 10 Minuten der erste knusprige Puffer fertig. Aber ich musste feststellen, die Handgeriebenen haben besser geschmeckt. Aber bequem wie man ist, habe ich, seitdem ich diese Maschine besitze, nie wieder Kartoffeln mit der Hand gerieben, auch wenn meine Reibe noch an der Wand hängt.
Mal ehrlich. Was gibt es Schöneres, als eine Pfanne mit einem Kartoffelpuffer drin, der nach und nach immer brauner wird und diesen herrlichen knusprigen Rand bekommt, der das Beste an jedem Kartoffelpuffer ist. Bei uns wird Kartoffelpuffer übrigens bevorzugt mit Apfelmus gegessen.

Gruß Schriftstellerin
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BerndMooseckers Profilbild
BerndMoosecker (Autor)Am 20.03.2022 um 12:49 Uhr
Hallo Schriftstellerin,
jetzt ist Dein schöner Kommentar (versehentlich?) in einer Strandgeschichte gelandet, aber trotzdem, es er ist einfach schön geschrieben und eigentlich fast schon eine eigenständige Geschichte.
Alles, was mir zu Pillekuchen (Kartoffelpuffer, Schnibbelkuchen) einfällt habe ich in meinem Text untergebracht, so fällt mir jetzt natürlich nichts weiter dazu ein, außer, dass ich nicht verstehen kann, dass sich Deine Begeisterung für dieses Pfannengericht nicht auf andere Menschen überträgt. Völlig unverständlich, für mich.
Der Bezug zum Judentum, den Du erwähnst, ist mir unbekannt und ich gebe es freimütig zu, ich habe noch nie etwas von Hans Fallada gelesen. Aber da ich ständig lese, sage ich jetzt einfach, es ist nie zu spät dazu. Aber mit Schmalz gebacken? Vielleicht Gänse- oder Entenschmalz - denn Schwein, das geht nicht, ist nicht koscher.
Vielen Dank für Deinen Kommentar!

Gruß Bernd
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MisterY Am 02.10.2019 um 21:47 Uhr
Es hat eine schöne Form von Beschreibung, aber es als eine Geschichte werten würde ich sie nicht. Geschichten sind dazu da, um eine Handlung einer Person in erzählerischer Perspektive, zu erzählen. Was hier gemacht wird sind schöne Beschreibungen und Fragestellungen. Es gibt keine wirkliche Handlung. Trotzdem muss ich sagen, es war etwas rührend. Grüße Goth.
BerndMooseckers Profilbild
BerndMoosecker (Autor)Am 03.10.2019 um 15:19 Uhr
Danke für Deinen Kommentar, Goth. Ist etwas rührend, so empfinde ich es auch.

Ich bin da ganz ehrlich, bei der Einordnung meiner Schreibereien in die Kategorien bei StoryHub tue ich mich schwer und deshalb mache ich mir da jetzt keine Gedanken mehr drüber. Ich weiß es ist keine Geschichte :-)

Gruß Bernd

Autor

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Sätze: 26
Wörter: 801
Zeichen: 4.923

Kurzbeschreibung

Am Stand liegt über Jahre der zerbrochene Kiel eines Bootes. Die Zeit vergeht, während der Kiel weiter den Gewalten des Atlantiks ausgesetzt ist und langsam zerfällt.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Vermischtes auch im Genre Nachdenkliches gelistet.

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