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Das ist doch keine Hexerei

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27.12.23 16:29
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

Contra:
- Der Aufwand (erst das Klarträumen lernen und dann noch die Zähmung an sich).
- Ständiges Geplapper im Kopf.
- Keine Möglichkeit zu beeinflussen, was für eine Fähigkeit man kriegt.
- Nie mehr alleine sein.
- Könnte scheiße werden.

Pro:
- Offensichtlich: magische Kräfte.
- Nie mehr alleine sein.
- Könnte episch werden.

Ich kritzele meine Pro- und Contra-Liste um wachzubleiben und nicht wirklich als Entscheidungshilfe. Als ob ich mir nicht schon mindestens tausendmal Gedanken darüber gemacht habe.
»Jede moderne Entdeckung, jeder technische Fortschritt käme unseren Vorfahren wie Magie vor.« Der kleine Glatzkopf der vorne im Auditorium steht hält seinen Vortrag mit dem Enthusiasmus mit dem ein Faultier Fangen spielen würde. Er hat jetzt fast ‘ne halbe Stunde erst mal über die ganze Geschichte der Entdeckung der D.O.M.M.s schwadroniert. Der ganze Vorlesungssaal war gerade gemütlich am wegdösen, als er seine Stimme ins Theatralische erhebt: »…das dich zum MAGIER macht!« Ich und Lisa prusten gleichzeitig vor Lachen los.
Warum erzählt er das alles? Schreibe ich auf ihre Notizseite, die sie voll mit lauter kleinen Blümchen gekritzelt hat.
Keine Ahnung, alles nichts Neues. Schreibt sie darunter. Und dann: David will den Kurs wechseln.
Daher kommt also die Trübsal. Auf wessen Schoß soll sie in Zukunft dann in den Pausen sitzen? Sie bekommt von mir einen traurigen Smiley mit überdimensionierter Träne zurück.
Der Glatzkopf wird von einem jungen dynamischen Kollegen abgelöst. Der wiederum klingt wie der Gründer eines Startups bei seinem Pitch und plötzlich sitzen wir in einer Werbeveranstaltung. Ein Fenster wird auf Rollen in den Vorlesungssaal geschoben. Der Typ wedelt mit seinen Armen herum, wie ein Zauberkünstler vor seinem Verschwindetrick und fasst dann durch die Glasscheibe, wie andere durch eine Wasseroberfläche greifen. Dann steigt er einfach durch die Glasscheibe hindurch. Ziemlich cooles D.O.M.M, das er da erwischt hat. Das bringt mich auf eine Idee.
Ich erstelle eine neue Seite und betitele sie: Nicht erstrebenswerte D.O.M.M.-Fähigkeiten und schiebe mein Pad zu Lisa. Sie kichert leise.
Supergeruchssinn, schreibt sie auf nachdem sie kurz überlegt hat.
Nicht nass werden können, ergänze ich und schiebe ihr das Pad wieder zu.
Schmerz schon 30 Sekunden vorher spüren, schreibt sie und schiebt mir das Pad zurück.
Felix!!!, schreibe ich in Klammern dahinter.
Der Typ vorne ist gerade beim Höhepunkt seines Vortrages angekommen und sagt Dinge wie: »Die anständigen jungen Leute müssen sich mit Fähigkeiten ausstatten, die ihnen und der Gesellschaft von Nutzen sind.« An Supergeruchssinn hat der wohl noch nicht gedacht.
Sorry, wenn ich gewusst hätte, wie unnötig die Veranstaltung ist, hätt’ ich dich nicht überredet, schreibe ich.
Kein Ding. Ich lern’ einfach für Freitag.
Ich schau nochmal auf ihre mit Blümchen verzierten Notizen und schicke ihr ein Herzchen.
Und: David ist blöd.

Ich habe mir den größten Kaffee geholt, den es in der Cafeteria gibt. Während ich an der Garderobe vor unserem Kursraum auf Lisa warte scrolle ich durch meinen Newsfeed. Sie streiten mal wieder um Öl. Werbung. Werbung. Ein Tiefdruckgebiet. Werbung. Als ich mein Handy zurück in meine Tasche stecke, lässt Julia ihren Rucksack neben mich fallen.
»Ich hab den Typen von gestern Abend in der Cafeteria gesehn.«
»Glatzkopf oder Startup?«
»Startup.«
»Was hat der eigentlich davon, wenn er Leute überredet, sich mit einem D.O.M.M zu verbinden,« frage ich mehr mich als sie, als wir unsere Jacken aufhängen.
»Keine Ahnung,« antwortet Julia.
»Soll ich es machen?«
»Kann ich dir nicht sagen, das musst du schon selber wissen.«
»Ja und wie ist es?« Jetzt will ich es wissen. Julia spricht nie darüber.
»Das kann man nicht erklären. Das versteht man nur, wenn man es selbst erlebt.«
Na, danke für nichts. Als ob sie diesem Gespräch entkommen will, dreht sie sich um und öffnet die Tür zu unserem Kursraum.
Ich folge ihr. »Würdest du es nochmal machen mit dem Wissen, dass du jetzt hast?«
Julia bleibt in der Tür stehen. Ich laufe in sie rein und schaffe es, meinen Kaffee nicht über ihren Rücken zu verschütten. Noch leicht verärgert wegen der Unterhaltung die wir gerade geführt haben, schaue ich über ihre Schulter. Startup steht vorne bei unserem Tutor.

Unser Tutor erklärt, dass Startup diese Woche in die einzelnen Kurse geht, um eventuell offen gebliebene Fragen zu beantworten. Und um mehr Werbung zu machen, denke ich mir. Aber wenn Julia meine Fragen nicht beantwortet, tut er es vielleicht. Ich frage ihn also, wie es ist, ein D.O.M.M im Kopf zu haben.
»Man kann alle Fakten kennen und sich mit viel Phantasie versuchen vorzustellen, wie es ist. Aber erst, wenn man es selbst erlebt, kann man in seiner Gänze begreifen, was das bedeutet.«
Die gleiche scheiß Antwort. Sind die in ‘ner Sekte oder was? In seiner Gänze! Wenn der wüsste, was ich mir alles vorstellen kann.
Startup sieht mich an und ahnt wohl, dass mich seine Antwort nicht ausreichend zufriedenstellt.
»Ich schlage Ihnen was vor: Lernen Sie erst einmal das Klarträumen und machen Sie sich mit der Traumwelt und den D.O.M.M.s vertraut. Ganz ohne Zwang. Ohne ihre Zustimmung haftet sich kein D.O.M.M an Sie.« Er lächelt, zufrieden mit sich selbst, als ob er mir nicht gerade eine Horrorvorstellung in meinen Kopf gepflanzt hat. Ein D.O.M.M, das sich wie ein Blutegel an mir festsaugt.
Das dämliche Grinsen von Startup verschwindet langsam aus meinem Sichtfeld und ein schwarzer Schleier legt sich über mein rechtes Auge. Scheiße. Eine Migräne. Die vertraute Übelkeit kommt in mir hoch. Ich entschuldige mich - nur beim Tutor, nicht bei Startup - packe meine Sachen zusammen und schlucke im Gehen meine erste Schmerztablette. Hoffentlich bin ich rechtzeitig zuhause, um mich ins Bett zu legen und auf den Schmerz zu warten. Damit ist der Tag gelaufen. Hab’ mit meiner Migräne schon jemanden, der außer mir mein Leben bestimmt. Brauche eigentlich nicht noch einen Sidekick, der mir reinpfuscht.

Ich liege im Bett und hinter meiner Stirn pocht noch das Echo der Migräne. Ich kann nicht aufhören über Blutegel nachzudenken. Was wenn die D.O.M.M.s nicht die niedlichen, schelmischen Wesen sind, für die sie uns verkauft werden. Was wenn alle, die einen D.O.M.M in sich aufgenommen haben gebrainwashed sind und die Viecher aus der Traumwelt herauskommen und sich in unserer Welt ausbreiten wollen. Deswegen rühren die so die Werbetrommel und wollen alle dazu bringen, es auch zu tun. Und keiner spricht davon, wie es ist, weil es nichts Gutes darüber zu sagen gibt. Ergibt. Alles. Sinn. Ich erstell’ mal eine Whatsapp-Gruppe mit allen aus der Uni, die noch ohne D.O.M.M sind. Wir sollten uns mal zusammensetzen. Arme Lisa. Würde aber auch erklären, warum sie in letzter Zeit so trübe ist. Mein Handy vibriert mit einer Benachrichtigung aus meinem Newsfeed. Wir sind im Krieg.

Ich bewege mich durch eine Stadt, in der niemand außer mir ist. Die Häuser über mir ragen bis in die regenbogenfarbenen Wolken, die den Himmel verdecken. Ich kontrolliere eine kleine Armee von weißen Kaninchen, die mir folgen und um die Beine hopsen. Sie leisten mir Gesellschaft in der vielen Zeit, die ich dank der Schlafmedikation hier in der Traumwelt verbringe. Alle Rekruten ohne D.O.M.M.s verbringen einen Großteil der Ausbildung in den Schlaflabors. Ich schwebe durch Straßen, durch Gärten und Häuser, ohne zu Wissen nach was ich Ausschau halten soll. »Wenn ihr ein D.O.M.M. seht, werdet ihr es erkennen.« Wieder so klare Aussagen, die absolut hilfreich sind. Nicht.
Die Straße führt an einem Garten vorbei, in dem kleine, hässliche Apfelbäume stehen, die prachtvolle Äpfel tragen. Ich pflücke den schönsten Apfel, beiße hinein und schmecke nichts. Mit einer Kraft, die den physikalischen Gesetzen widerspricht, werfe ich den angebissenen Apfel hoch und sehe ihm nach, bis er in der Wolkendecke verschwunden ist. Dann setze ich mich wieder in Bewegung und folge der Straße weiter. Meine Kaninchenarmee mit mir. Eines meiner Kaninchen weckt meine Aufmerksamkeit. Es bewegt sich nicht im Gleichschritt mit allen anderen. Als ich es beobachte, dreht es sich zu mir um. Ich bleibe stehen und meine Kaninchenarmee auf meinen Befehl auch. Das Kaninchen hoppelt auf mich zu. Ich lasse meine Kaninchen verschwinden. Doch dieses eine Kaninchen ist noch da. Langsam kommt es näher und bleibt vor mir sitzen. Es schaut mich an. Ich gehe runter in die Hocke und das Kaninchen schaut mir direkt in die Augen. Ich strecke eine Hand aus aber wage nicht, es zu berühren. Es blinzelt so wie es Kaninchen normalerweise nicht tun. Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter und blinzele mir die Tränen aus meinen Augen. Ich weiß es. Und nach einem kurzen Zögern, hopst es auf mich zu.

 

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Jede moderne Entdeckung, jeder technische Fortschritt käme unseren Vorfahren wie Magie vor.