Storys > Geschichten > Survival > In einem Land im fernen Norden

In einem Land im fernen Norden

204
17.03.22 20:43
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

Autorennotiz

Ich finde es merkwürdig, dass in Geschichten häufig von den Ländern, fern im Norden geschrieben wird. Dabei können wir von Europa aus, im Süden viel weiter entfernte Länder erreichen. So lautete der ursprüngliche Name dieser Geschichte "Am Fjord", erst später entschied ich mich für die fernen Länder.

Am Schluss konnte ich mich nicht entscheiden, wie die Geschichte endet, so habe ich beide Varianten eingefügt. Meine Leser mögen sich entscheiden, welches Ende ihnen besser gefällt. Über ein Feedback würde ich mich freuen.

Das Original der Geschichte findet Ihr hier:
erzaehlungen.moosecker-hassels.de/text/text_02_pdf.php?v=oeffentliche_adobe&d=in_einem_land_im_fernen_norden.pdf

In einem Land, fern im Norden, nahe an der Grenze der Länder, in denen im Sommer die Sonne nicht untergeht und es im Winter lange Zeit niemals hell wird, lebte einst ein altes Paar in seiner Kate. Sie lebten allein oberhalb eines tief in das Gebirge reichenden Fjords, umgeben von schroffen Bergen und urwüchsigen Wäldern. Ihre Kinder hatten die Gegend vor Jahren verlassen und lebten in der Hauptstadt. Das Paar ernährte sich fast ausschließlich von dem, was Meer, Landwirtschaft und Wald hergaben. Auf den Weiden zwischen Haus und Fjord hielten sie eine kleine Schafherde, im Koben hinter dem Haus mästeten sie ein Schwein für den Eigenbedarf. Ein paar Hühner sorgten, wenn sie nicht vom Fuchs geholt wurden, für Eier und an Festtagen für eine kräftige Brühe.

Im Sommer legte der Alte im Fjord seine Netze aus und wenn der Fang erfolgreich war, verarbeitete er den Fisch zu Stockfisch. Dazu hatte er entlang des Fjords leiterähnliche Holzgestelle gezimmert, auf denen der Fisch trocknete. Das Weib sammelte während dieser Zeit Beeren und Kräuter im Wald. Wenn das Gras hoch genug stand, mähten sie es gemeinsam. Das gemähte Gras hängten sie an Huanzen, damit es trotz des unbeständigen Wetters trocknete. Sobald das Gras getrocknet war, schaffte der Alte das Heu mit einer großen Heugabel, die er schulterte, auf den Heuboden, wo sein Weib es verteilte. So hatten sie im Winter ausreichend Futter für die Schafe. Ihr eigenes Überleben im Winter war sichergestellt durch den Trockenfisch, die Schafe und das Schwein, das sie anfangs des Winters schlachteten; und für alles, was sie nicht selbst erzeugen konnten, trieben sie im Herbst einen Teil der Schafherde in die Provinzhauptstadt, um sie auf dem Viehmarkt zu verkaufen. Das brachte genug ein, um das Wenige, was sie sonst noch benötigten, zu erwerben.

Die Kate war zur Hälfte in den Hang eingegraben, der zum Fjord hinab führte und bestand aus einem einzigen Raum, der zum Leben, zum Arbeiten und zum Schlafen taugte. Die Wände bestanden aus aufgeschichteten, von den Gletschern der Eiszeit glatt geschliffenen Steinen, deren Zwischenräume mit Moos und Erde abgedichtet waren. Für das Dach hatte der Alte vor Jahrzehnten aus Treibholz und dünnen Birkenstämmen einen primitiven Dachstuhl gezimmert. Gedeckt war das Dach mit einer dicken Schicht aus Grassoden. Einzige Möbelstücke im Raum waren der grob geschreinerter Tisch, der der Alten zur Hausarbeit diente und an dem sie aßen, sowie einige wackelige Hocker. Alle zum Haus gehörenden Utensilien und die Speisevorräte hingen, an Haken befestigt, von der Decke herab. Im Sommer legten sie zum Schlafen Schaffelle auf den gestampften Lehmboden. Im Winter schliefen sie auf dem gemauerten Ofen.

An einem Abend im frühen Herbst, die Tage waren schon merklich kurz geworden und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann morgens der erste Reif die Weiden weiß färben würde, hörten sie das Trappeln eines Pferdes. Der Alte trat vor die Kate und sah einen Reiter, der sich vom Waldrand näherte. Der Reiter war fein in weiches Leder gekleidet, seine lederne Kappe schmückte die Feder eines bunten Vogels.
      „Ich bin ein Bote des Königs auf dem Weg nach Hubåro. Ich bin vom Weg abgekommen, als ich abkürzen wollte. Führe er mich zurück auf die Straße dorthin“, herrschte der Reiter den Alten an.
     Der Alte verbeugte sich tief vor dem hohen Herrn. „Herr, da seid Ihr weit vom Weg abgekommen. Hubåro ist unsere Provinzhauptstadt und zu Fuß mehr als eine Tagesreise entfernt.“
     „Er nehme sein Pferd.“ Der Alte schüttelte den Kopf. „Herr, ich habe kein Pferd.“
     Der Bote war von Ungeduld geplagt und ließ sein Pferd tänzeln. „Dann beschreibe er mir den Weg zur Straße, Alter.“
     „Herr, es wird bereits dunkel, ihr würdet euch erneut verirren. Es ist besser, ihr bleibt hier“, versuchte der Alte zu beschwichtigen.
     „Er weiß wohl nicht, mit wem er spricht. Ich bin Graf Harald und habe eine wichtige Botschaft für den Präfekten der Provinz nach Hubåro zu bringen. Er tue, was ich ihm sage.“
     Der Alte verbeugte sich demütige. „Hoher Herr, die Nächte sind bereits kalt und frostig. Ihr bringt euch in Gefahr, wenn ihr weiter reist. Bleibt bis zum Morgen. Dann führe ich euch zur Straße“.

Der Graf wurde unsicher und stieg vom Pferd. Was er bei näherem Hinsehen sah, gefiel ihm gar nicht. Eine einsame Kate in der Einöde, ein paar Schafe, ein Fjord, von dessen Wasser der Abendnebel hochstieg. Er wäre am liebsten weiter geritten, wusste aber nicht, wohin er sich in der einbrechenden Nacht wenden sollte. „Und wo soll ich nächtigen?“ Fragte er den Alten.
     Der Alte war verwundert über die Sprache, die der Bote verwendete, ließ sich aber nichts anmerken. „Hoher Herr, mein Weib bereitet euch ein Lager auf dem Ofen, dort ist es warm und bequem. Wir lagern die Nacht auf dem Boden. Euer Pferd binde ich neben dem Schweinekoben an und bringe ihm später Heu und Wasser.“

Neugierig geworden, war die Alte vor die Tür getreten und hielt dem Grafen freundlich auffordern die Tür auf. Etwas widerwillig zog der Graf den Kopf ein und trat durch die niedrige Tür. Er brauche einen Moment bis er in dem dunklen Raum, der nur durch eine Tranfunzel in ein gelbliches Dämmerlicht getauchten war, etwas erkennen konnte. Er hatte eine Behausung dieser Art noch nie von innen gesehen, geschweige denn betreten und gleich wollte wieder kehrt machen, als er bemerkte, der Alte war hinter ihm durch die Tür getreten. So versuchte er durch herrisches Auftreten die Situation zu überspielen. „Er wagt es, mir eine solche Bleibe anzubieten!“
     „Hoher Herr, wir wissen, unsere Behausung ist weit unter eurer Würde. Jedoch Hoheit, ihr müsstet sonst die Nacht im Freien verbringen.“
     Graf Harald dachte kurz über seine Lage nach, fand das Übernachten im Freien wenig verlockend, und entgegnete, „auf gar keinen Fall kann er und sein Weib im gleichen Raum mit mir schlafen.“
     „Dann, Hoheit, werden mein Weib und ich auf dem Heuboden schlafen. So seid ihr ungestört.“
     „Also gut, er hole mir meinen Sattel und mein Gepäck.“
     Der Alte ging hinaus in die Dunkelheit und kehrte bereits kurz darauf mit Sattelzeug und den Satteltaschen des Grafen zurück.
     „Hat er meinem Pferd Heu gegeben?“
     „Ja, Hoheit, es ist alles erledigt.“

Die Alte stellte eine hölzerne Schüssel voll Haferbrei auf den Tisch und legte für jeden einen Holzlöffel dazu. Der Graf schaute mit Misstrauen auf die Mahlzeit und kramte in einer seiner Satteltasche nach Essbarem. Er fand aber nur noch einen trockenen Brotkanten, da er geplant hatte, schon vor dem Nachtmahl in Hubåro anzukommen. Die Alte stellte dem Grafen einen der wackeligen Hocker bereit und so blieb ihm nichts anderes übrig, als gemeinsam mit den beiden Alten den Brei aus der Schüssel zu essen. Nach dem Essen verzogen sich die beiden Alten und ließen den Boten allein zurück. Der Graf machte es sich auf dem Ofen, so gut es ging, bequem, schlief aber äußerst unruhig, da ihn die Geräusche des Waldes beunruhigten.

Früh am Morgen erwachte der Graf durch klappernde Geräusche. Schläfrig wie er war, wusste er nicht sofort, wo er sich befand. Dann aber sah er die Alte mit einem Topf am Feuer hantieren.
     „Was tut sie da!“
     „Herr, ich bereite das Essen.“
     „Sie gehe hinaus, bis ich ihr Bescheid gebe.“

Die Alte warf sich einen unförmigen Umhang über und ging wortlos durch die Tür. Der Graf erhob sich, ging zur Tür und schaute nach draußen. Er erschrak über das Wetter. Es herrschte ein gewaltiger Sturm mit peitschendem Regen, in den sich schwere Schneeflocken mischten. Lautstark rief er nach dem Alten, der nach einiger Zeit erschien. Auch er hatte sich einen unförmigen Umhang übergeworfen.
     „Herr, was kann ich für euch tun.“
     „Er gehe mit mir und zeige mir den Weg nach Hubåro.“
     „Herr, mein Weib bereitet uns einen Brei. Bei diesem Wetter könnt ihr unmöglich nach Hubåro gehen. Habt Geduld und esst mit uns, danach sehen wir weiter.“

Widerwillig ließ der Graf sich auf den Vorschlag ein und der Alte holte sein Weib, damit sie den Brei koche. Wieder stellt die Alte die Breischüssel auf den Tisch und sie löffelten gemeinsam den Brei. Nach dem Essen schien der Sturm ein wenig nachzulassen und der Graf drängte zum Aufbruch. Unwillig zog der Alte seinen Umhang über, ging zum Koben, sattelte das Pferd und führte es zur Kate. Die Alte hatte inzwischen einige Brotfladen als Proviant gepackt und hielt dem Boten ihren Umhang hin.
     „Was soll das!“
     „Herr, ihr währt durchnässt, sobald ihr vor die Tür geht.“
     Also warf sich der Graf den nicht gerade wohlriechenden Umhang über und trat, ohne die Alte eines weiteren Blickes zu würdigen, durch die Tür. Draußen hatte er Mühe, gegen den Sturm anzugehen und auf das Pferd zu steigen. Wortlos ergriff der Alte das Pferd am Zaum, führte es den Hang hinauf und kurze Zeit später war die kleine Gruppe im Wald verschwunden.

Der gewundene Weg war durch die Regenmassen kaum noch zu erkennen, aber der Alte führte das Pferd zielsicher immer höher in das Gebirge. Der Wald endete vor einem schmalen Tal mit steil aufragenden Felswänden. Durch die heftigen Regenfälle hatten sich Felsbrocken aus den Wänden gelöst und der schmale Weg, der durch das Tal führte, glich eher einem reißenden Bachlauf, als einem Weg. Der Alte schaute voller Bedenken auf die vor ihnen liegende Wegstrecke.
     „Herr, es ist gefährlich, bei diesem Wetter durch das Tal zu gehen. Weiter hinten verengt sich das Tal zu einer Schlucht. Da sind wir in größter Gefahr, wenn sich weitere Steine aus den Wänden lösen.“
     „Es muss sein. Ich bin in Eile. Gehe er weiter, statt sich Gedanken zu machen und unnütze Reden zu schwingen.“
     Der Alte zuckte mit den Schultern, nahm das Pferd wieder am Halfter und schritt voran. Das Pferd wurde zusehend unruhiger, was der Alte darauf zurück, dass das Pferd sich auf dem überschwemmten Weg unsicher fühlte. „Herr, es ist besser, ihr steigt ab und wir führen das Pferd gemeinsam.“

Graf Harald wollte unbeherrscht antworten, besann sich aber anders und stieg missmutig ab. Bergauf durch das Wasser zu waten erschien ihm wenig verlockend, aber es war wohl sicherer, als weiterhin zu reiten. Der Aufstieg gestaltete sich mühsam. Sie kamen in dem teilweise fast knietiefen Wasser nur mühsam voran. Das Wasser war schlammig und der Untergrund rutschig. Mehrmals glitt das Pferd aus und musste beruhigt werden, bevor es weiter gehen konnte. Je weiter sie vorangingen, umso näher rückten Felswände, dafür wurde im oberen Teil des Tals der Weg flacher und das Gehen war nicht mehr so anstrengend. Wie der Alte es gesagt hatte, endete das Tal in einer engen Schlucht. Hier hatten sich durch den Regen etliche Steine unterschiedlicher Größe aus den Wänden gelöst und waren auf den schmalen Pfad gedonnert. „Herr, lasst uns zumindest warten, bis der Regen nachgelassen hat. Wir können nicht weitergehen.“ Missmutig nickte der Graf mit dem Kopf. Er sah ein, dass im Augenblick ein Weiterkommen unmöglich war. So zogen sie sich zu einer etwas breiteren Stelle des Tals zurück, wo sie ein wenig Schutz unter den dort wachsenden Bäumen fanden. Als der Regen einige Zeit später nachließ und schließlich ganz aufhörte, drängte Graf Harald zu Aufbruch. Voller Bedenken blickte der Alte in die Schlucht. Ihm schauderte, als er die Gesteinsbrocken sah, die auf dem Weg verstreut lagen. Er griff das Pferd am Halfter und trat entschlossen zwischen die Felswände. Wenn schon, dann aber schnell und sofort, dachte er bei sich. Durch das Pferd gestaltete sich der Weg in der die Schlucht schwierig. Immer wieder kam es zu Unterbrechungen, da der Weg nach dem Unwetter eigentlich für ein Pferd unpassierbar war. So mussten sie mehr Kraft dazu verwenden, um das Pferd über die herabgestürzten Felsbrocken zu ziehen, als ihnen lieb war. Am Ende der Schlucht waren sie zu erschöpft, um sofort weiterzugehen. Sie waren auf einer Hochebene angelangt, umgeben von himmelhohen Bergen, auf der zwischen tauenden Schneeresten spärlicher Graswuchs zu sehen war. Während das Pferd graste, erholten sich die Beiden von den Strapazen.
     „Herr, ohne das Pferd kämen wir besser voran. Lassen wir es zurück.“
     „Ist er verrückt, Alter? Das ist ein sehr wertvolles Tier. Weiß er, was solch eine Stute kostet?“
     „Nein, Herr, aber ihr sagtet, ihr wärt in Eile. Und wenn wir ohne Pferd weitergehen, werden wir den Abstieg zur Straße leichter und schneller bewältigen.“
     „Nein sage ich. Wir nehmen das Pferd mit. Wenn er dazu in der Lage ist, können wir weiter gehen. Er gehe voraus und weise mir den Weg.“
     „Hier auf der Ebene könnt ihr reiten, Herr, aber der Abstieg zur Straße wird nach diesem Unwetter im Sattel unmöglich sein.“

Ohne sich weiter um den Boten zu kümmern, zog der Alte los. Graf Harald schwang sich in den Sattel und folgte dem Alten. Der Weg führte quer über die Ebene, immer in Richtung Nordosten. Der Alte schritt mit kraftvollen Schritten voran und Graf Harald wunderte sich über die Energie, die der alte Mann entwickelte. Zielstrebig strebte der Alte einem Taleinschnitt am Ende der Ebene zu. Die Gipfel der Berge, die das Tal umgaben, lagen hinter Wolken verborgen, doch es fiel kein neuer Regen. Am Ende der Ebene angekommen, wandte sich der Alte um. „Hoher Herr, es ist besser, wenn ihr absteigt. Wir sollten uns stärken, bevor wir mit dem Abstieg beginnen.“ Der Alte seinen öffnete Beutel, ohne auf die Antwort zu warten. Er nahm einen Brotfladen aus seinem Beutel und ließ sich auf einem Stein nieder. Er aß mit großem Appetit und auch Graf Harald verspürte ein Hungergefühl. Der Graf ließ sich neben dem Alten nieder und brach ein großes Stück vom Brotfladen ab. Nach einiger Zeit steckte der Alte den Rest des Brotes in wieder seinen Beutel. „Herr, lassen wir weitergehen, bevor sich das Wetter wieder schlechter wird.“ Er erhob sich abrupt, nahm das Pferd beim Halfter und stiefelte los. Graf Harald wollte protestieren. Schließlich konnte er sich von einem Bauern keine Anweisungen erteilen lassen. Der Alte kümmerte sich nicht weiter um ihn; und so blieb Harald nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Als sie in das Tal eindrangen, sahen sie, dass der Regensturm den Weg abwärts schwer beschädigt hatte. Tiefe Rinnen hatte das ablaufende Wasser in den Weg gegraben. So rutschten sie mehr, als sie gingen und der Alte hatte Mühe das Pferd in Zaum zu halten. Besonders schwierig sollte sich die letzte Teilstrecke gestalten.

Noch bevor sie in die Nähe der Straße gelangten, öffnete sich das Tal zu einer steil abfallenden Graslandschaft, in der ein Pfad in steilen Serpentinen nach unten führte. Die Regenmassen hatten den Hang teilweise abrutschen lassen und Teile des Weges entweder mit in die Tiefe gerissen oder durch abrutschendes Geröll fast unpassierbar gemacht. Der Alte schüttelte den Kopf und brummte etwas in seinen Bart.
     „Was hat er gesagt?“ Rief der Graf mit nervöser Stimme!
     „Herr, wenn wir hier zur Straße absteigen, brechen wir uns alle Knochen. Zumindest euer Pferd wird sich zu Tode stürzen.“
     „Kennt er einen andern Weg?“
     „Nein Herr, es gibt nur diesen einen Weg.“
     „Dann gehe er voran. Soweit als möglich folgen wir dem Weg und steigen danach über den Hang ab.“
     „Herr, ich bitte euch, lassen wir das Pferd zurück.“
     „Er schweige und gehe voran!“

Der Alte zuckte mit den Schultern, griff das Pferd am Halfter und führte es auf den schlammigen, vom Regen aufgeweichten Pfad. Zuerst ging es noch ohne große Mühe auf dem Weg bergab. Inzwischen war der Alte einigermaßen mit dem Pferd vertraut und sprach beruhigend auf das Tier ein. Das Tier schien Vertrauen zu ihm gefasst haben und ließ sich widerstandslos von ihm führen. Als der Alte den Teil des Weges erreichte, der von den Geröllmassen verschüttet war, hielt er kurz inne und schaute zurück. In diesem Moment sah er, wie der Graf ausglitt und das Gleichgewicht verlor. Dieser fand nun keinen Halt mehr auf dem nassen Gras und rutschte halt suchend immer schneller in die Tiefe. Schließlich landete er ziemlich unsanft auf einem tiefer liegenden Teil des Pfads. Der Alte, der sah, dass nichts weiter passiert war, führte das Pferd vorsichtig über eine durch Geröll verschüttete Strecke. Dabei sprach er weiter beruhigend auf das Tier ein. Nur einmal wurde das Pferd unruhig, als sich unter seinen Hufen ein Stein löste und, der einen Teil der Geröllmassen mit sich nach unten riss. Als die Geröllstrecke überwunden war, näherten sie sich schon bald dem Grafen, der seine Kappe verloren hatte und sich den Kopf hielt, aber anscheinend unverletzt war. Der Graf drückte sich gegen den nassen Hang, um den Alten und die Stute, auf dem, an dieser Stelle besonders engen Weg, vorbeizulassen. Nach drei weiteren Windungen des Pfades, kamen sie zu einer Stelle, an der der abrutschende Hang den Weg in die Tiefe gerissen hatte. „Hier ist kein Weiterkommen möglich, Herr. Wir müssen seitlich von der Abbruchstelle über das Gras den Hang hinab.“ Der Graf, noch leicht benommen vom Sturz, nickte nur, was der Alte als Zustimmung verstand.

Schaudernd blickten sie in die Tiefe. Tief unter sich sahen sie die Straße nach Hubåro. Zögerlich setze der Alte einen Fuß auf den grasbewachsenen Hang und stellte befriedigt fest, dass er einigermaßen sicher auf dem Untergrund stehen konnte. Mit ruhigen Worten brachte er das Pferd dazu, seinem Ziehen am Halfter zu folgen. Auch das Pferd hielt sich sicher auf den Vorderhufen am Hang. Aber kaum trat das Pferd mit den Hinterhufen auf dem Steilhang, da glitt es ab. Der Alte klammerte sich mit beiden Händen an das Halfter und versucht so, das Abrutschen des Pferds abzubremsen. Das gelang ihm nicht und so rutschten sie zusammen ungebremst zu Tal. Auf dem letzten Teil der Rutschpartie flachte sich der Hang so weit ab, sodass sie, kurz bevor sie auf der Straße aufschlugen, zum Halten kamen. Zur Überraschung des Alten hatten er und das Pferd die Talfahrt unbeschadet überstanden. Er führte das Pferd auf die Straße, wo es mit bebenden Flanken stehen blieb. Erst jetzt kam dem Alten der Bote wieder in den Sinn und er blickte nach oben. Dieser stieg ganz vorsichtig bäuchlings, sich an die Gräser des Hanges klammernd, ab. Der Alte schmunzelte in seinen Bart und wartete geduldig auf den Grafen.
     „Hat sich Pferd mein verletzt?“, polterte dieser los, als er die Straße erreicht hatte.
     „Nein, Herr, es ist alles gut gegangen. Ihr könnt auf euer Pferd steigen und weiter reiten. Nur eine Meile entfernt findet ihr eine Herberge für die Nacht. Ich kehre mit Eurer Erlaubnis hier um, ihr braucht nur noch der Straße folgen und erreicht morgen Hubåro.“
     „Nein, er ist noch nicht entlassen! Er komme mit zur Herberge. Er kann morgen zurückgehen.“
     „Hoher Herr, mein Weib wird sich sorgen, wenn ich so lange fort bleibe.“
     „Er schweige“, herrschte der Graf den Alten an. „Ich bin zu erschöpft, um allein zur Herberge zu reiten. Er nehme mein das Pferd beim Halfter und führe mich.“

Der Alte wagte keinen weiteren Widerspruch, half dem Boten beim Aufsteigen, nahm das Pferd am Halfter und führte Ross und Reiter zur Herberge. Dort half er Graf Harald vom Pferd und während der Graf in der Herberge verschwand, führte er das Pferd in den Stall, versorgte es und machte es sich im Stroh bequem. Aus seinem Beutel zog ein großes Stück Brot, das er voller Genuss kaute. Danach fielen ihm die Augen zu. Du bist auch nicht mehr der Jüngste, dachte er, aber da hatte ihn schon fast der Schlaf übermannt.

Am Morgen versorgte er das Pferd, sattelte es und als Graf Harald zur Abreise bereit war, wollte er sich auf und davon machen.
     „Halt Alter, er bekommt noch seinen Lohn.“
     „Herr, Ihr wart unser Gast. Wenn wir euch auch nicht das bieten konnten, was euer Hoheit zu steht. Wir haben das getan, was unsere Pflicht gegenüber dem Gast ist. Einen Lohn verlange ich dafür nicht.“

Der Alte drehte sich um und machte sich auf den Weg in sein Tal. Graf Harald schaute verdattert hinter ihm her, aber der Alte würdigte ihn keines Blickes mehr. Harald hatte den Eindruck, der Alte murmelte irgendetwas in seinen Bart, war sich aber nicht sicher. Als der Alte hinter der ersten Biegung der Straße verschwand, schwang Graf Harald sich in den Sattel und ritt in Richtung Hubåro davon.

Der Alte kam nur langsam voran an diesem Morgen, ihm saßen noch die Anstrengungen des letzten Tages in den Knochen. Als er zum Steilhang kam, den sie gestern mehr heruntergerutscht als gegangen waren, setzte er sich an den Straßenrand und aß den Rest seiner Brotfladen, um Kraft für den Aufstieg zu gewinnen. Prüfend schaute der Alte zum Himmel und sah zu seiner Zufriedenheit, dass keine Regenwolken zu sehen waren. Gestärkt und ausgeruht, begann er mit dem Aufstieg. Im unteren Teil war der Hang nicht allzu steil und der Pfad unbeschädigt. Er ging den Aufstieg bedächtig an, um sich nicht zu verausgaben. Nach einiger Zeit des Aufstiegs sah er zwischen einigen Felsbrocken die Kappe des Grafen liegen. Die bunte Feder war abgebrochen, aber sonst war die Kappe noch in gutem Zustand. Der Alte hob die Kappe aus, klopfte den Schmutz von ihr ab und wollte sie in seinen Beutel stecken. Im letzten Moment zögerte er und warf die Kappe mit Schwung nach unten. Vielleicht findet der Graf sie auf dem Rückweg von Hubåro zur Hauptstadt, dachte er bei sich.

Als der Alte die Stelle erreichte, an der der abrutschende Hang den Weg in die Tiefe gerissen hatte, legte er eine weitere Pause ein, um erneut Kraft zu schöpfen. Er prüfte sorgfältig die verschiedenen Möglichkeiten des Weitergehens. Dann entschied sich der Alte, langsam quer zum Hang weiter aufzusteigen, oberhalb der Abbruchstelle die Richtung zu wechseln, um wieder auf den Pfad zu gelangen. Nach dem anstrengendem Aufstieg über das rutschige Grasland wieder auf dem Pfad angelangt, ging sein Atem schwer und er benötigte einige Zeit, bis sich sein Atem so weit beruhigt hatte, dass er weiter aufsteigen konnte. Die Stellen des Weges, die gestern beim Führen des Pferdes so mühsam und gefahrvoll gewesen waren, benötigten auch jetzt Kraft und Konzentration. Der weitere Aufstieg war aber eigentlich ein Leichtes für einen geübten Wanderer, wie es der Alte nun einmal war. Trotzdem tat er sich schwer an diesem Tag und er hoffte bald wieder ebeneres Gelände zu erreichen.

Endlich am Ende des Steilhangs angelangt, atmete er tief durch und ging langsam den weiteren Anstieg zur Hochebene an. Über den Gipfeln der Berge stand die fahle Sonne des Herbstes und der Alte wusste, er würde nicht vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause ankommen. Trotz des nach dem Unwetter beschädigten Weges, gelangte der Alte noch, bevor die Sonne den Mittagspunkt überschritten hatte, auf die Hochebene. Hier, im flachen Gelände, schritt kräftig aus, umging die durch den schmelzenden Schnee verursachten Wasserlöscher und merkte, dass sich ein immer stärker werdendes Hungergefühl bei ihm einstellte. Im Beutel suchte der Alte nach etwas Essbarem, fand aber nur noch ein paar Brotkrumen, die er sich in den Mund stopfte. Am Ende der Ebene angelangt, senkten sich tiefe Schatten über das Tal, das zum Wald an seinem Fjord hinab führte. Der Weg war vom Unwetter schwerer beschädigt, als der Alte es erwartet hatte und so versuchte er das letzte Tageslicht zu nutzen, um das Tal zu durchqueren. Kurz bevor er das Ende des Tals erreichte, war es endgültig dunkel geworden und da der Mond noch nicht aufgegangen war, konnte er sich in der Dunkelheit nur tastend vorwärts bewegen. Mehrmals stolperte der Alte auf dem aufgeweichten und mit Geröll übersäten Weg. Einmal fiel er dabei der Länge nach hin und schlug sich die Stirn auf. Er fluchte laut, schlug dann aber das Kreuz, da es sich nicht mit den Unsterblichen verderben wollte.

Am Ende des Tals wurde es ein wenig heller, der Alte erkannt den Rand des Waldes, der zum Fjord hinab führte. Sobald er in den Wald eintrat, umgab ihn absolute Finsternis. Den Weg, der abwärts führte, konnte der Alte nicht erkennen und er erwog, die Nacht im Schutz des Waldes zu verbringen. Dann dachte er aber an sein Weib, er wusste, sie würde sich sorgen, wenn er nicht bald bei der Kate eintraf. So wagte der Alte, den Versuch durch den dunklen Wald abzusteigen. Er tastete sich vorsichtig abwärts, Zweige schlugen ihm ins Gesicht. Schon nach wenigen Schritten, sah der Alte ein, dass es keinen Sinn ergab weiter in den Wald einzudringen. Mit aller Vorsicht stieg er wieder nach oben. Als er den Waldrand erreicht hatte, wandte er sich nach links, wo er ein Stück weit einem Pfad folgte, der entlang des Waldrandes führte. An einer Stelle, von der er wusste, dass sich dort zwischen Bäumen und Unterholz eine Mulde verbarg, die auch bei anhaltenden Regenfällen einigermaßen trocken blieb, hielt er an. Er hatte sich dort schon oft vor den Unbilden des Wetters verkrochen. Der Alte schob sich vorsichtig ins Unterholz, bis er unter seinen tastenden Füßen spürte, dass der Boden sich senkte. Daraufhin ging er in die Hocke und ließ sich in die Grube gleiten. Der Grund der Grube war so trocken, wie er es erhofft hatte. Er legte seinen Beutel auf den Boden, um den Kopf darauf zu betten. Einen der beiden Umhänge legte er auf die Erde, streckte sich darauf aus und deckte sich mit dem zweiten Umhang zu.

Die Nacht war kalt und der Alte fror entsetzlich, so war an Schlaf kaum zu denken. Außerdem hatte er großen Hunger, was sein Frieren nur noch verstärkte. Ab und zu stand er auf, schlug die Arme aneinander und bewegte die Beine, um etwas Wärme zu gewinnen. Irgendwann nickte er kurz ein, wurde aber bald wieder wach, als ein Kauz ganz in der Nähe schrie. Der Morgen graute und dichter Nebel war vom Fjord herauf gezogen. Die Feuchtigkeit drang dem Alten durch die Kleidung. „Kein guter Tag, um draußen zu übernachten“, murmelte er in seinen Bart. Er fühlte sich furchtbar steif, sein rechtes Kniegelenk schmerzte. Er tat das aber ab, da ihm das Kniegelenk nach großer Anstrengung oft schmerzte. So machte er sich humpelnd auf den Weg und tastete sich am Waldrand entlang zum Weg hinab zum Fjord. Im Wald war der Nebel nicht so dicht und so kam er bergab gut voran. Nach den steinigen Wegen des Vortages, war es für ihn angenehm über den weichen Waldboden zu gehen. Ab und zu fanden sich im Wald ein paar späte Beeren, die er gegen seinen nagenden Hunger kaute. Teilweise war der Weg durch den Regen der vergangenen Tage glitschig und so musste er besonders an den steilen Stellen des Weges nach festem Halt suchen, um nicht auszugleiten. Als er den Wald durchquert hatte und an die von ihm und seinem Weib bewirtschafteten Weiden gelangte, war er sofort wieder von undurchdringlichem Nebel umgeben. Aber hier fühlte der Alte sich sicher und so ging er entschlossen quer zum Hang in die Richtung, in der er die Kate wusste. Nach einiger Zeit sah er, dass er sein Gefühl ihn nicht getrogen hatte. Vor ihm erhob sich das geduckte Grasdach der Kate. Er näherte sich der Tür, holte noch einmal tief Luft und trat ein.

In der Kate stand sein Weib am Feuer und rührte den Brei im Kessel. Er war müde und ließ sich schwer auf eine der Hocker fallen. Das Weib füllte Brei in eine Holzschüssel, stellte sie auf den Tisch und legte einen Löffel dazu. Der Alte war fast auf dem Hocker eingeschlafen, als ihm der Duft des Haferbreis in die Nase stieg. Er griff nach dem Löffel und begann langsam den Brei zu schlürfen. Nach ein paar Löffeln des Breis fühlte er sich etwas besser. Sein Weib legte ihm einen Brotfladen auf den Tisch. Er brach einen Kanten davon ab und kaute diesen bedächtig. Nach einer Weile nahm das Weib den Kessel vom Feuer und wandte sich zu ihm um.
     „Du warst lange fort, Mann.“
     „Ja, es hat länger gedauert, als ich gedacht habe, Alte.“
     „Ich war in Sorge, dir könnte etwas passiert sein. Bei diesem Wetter ist der Weg nicht ungefährlich.“
     „Ist gut Alte, jetzt bin ich ja wieder da.“
     „Leg dich hin, Alter. Ruh dich aus.“
     „Nein, ich sehe jetzt nach den Schafen.“

Der Alte erhob sich müde, ging durch die Tür und war sofort wieder von dichtem Nebel umgeben. Er umrundete den Schafpferch und war zufrieden, als er feststellte, dass der Zaun an allen Seiten in Takt war. Er ging hinunter zum Fjord, schaute nach dem Boot, den Netzen, er sah, alles hatte seine Ordnung. Auch nach dem Stockfisch sah der Alte, er betaste die Fischleiber und stellte fest, die Reifung machte gute Fortschritte. Endlich hob sich der Nebel, so nahm er die Netze und packe sie ins Heck des Bootes, ruderte auf den Fjord hinaus. Als er eine Strecke weit auf den Fjord gerudert war, stand er auf und warf die Netze aus. Er ruderte zurück an Land, ging hinauf in die Kate und legte sich auf den Ofen. Fast augenblicklich übermannte ihn der Schlaf.

Als er erwachte war der Tag bereits weit fortgeschritten, so stand er auf und beeilte sich zum Fjord zu kommen. Mit kräftigen Schlägen ruderte er hinaus zu den Netzen, als er sie einzog, sah er, es war kein großer Fang. Er war nicht enttäuscht darüber, denn er wusste, die Vorräte an Stockfisch würden leicht über den Winter reichen. So war er eher froh, heute schnell mit der Arbeit fertig zu werden. An Land hing der Alte die Netze auf, damit sie trockneten. Beschädigungen der Netze wollte er an einem der nächsten Tage beseitigen. Die wenigen Fische waren schnell ausgenommen und zum Trocknen an die Gestelle gehängt. Einen Fisch nahm er mit in die Kate, damit sein Weib damit das Abendmahl bereichern konnte. Etwas später saßen die beiden vor ihrer Schüssel, löffelten den Brei und aßen dazu den Fisch. Nach dem Essen stand der Alte auf, um nach den Tieren zu sehen. An der Tür wandte er sich um.
     „Es wird bald Schnee geben, wir müssen die Schafe nach Hubåro treiben.“
     „Dann trennen wir morgen die Herde. Übermorgen können wir uns dann früh auf den Weg machen. Ich fange sofort an, die Wegzehrung für uns und die Hunde vorzubereiten.“
     „Gut Weib, so werden wir es machen.“

Anderntags gingen sie konzentriert daran, die Schafe aufzuteilen. Das war Routine, sie machten das seit Jahren immer vor dem Winter. Nachdem die Arbeit getan war, kontrollierten sie gemeinsam den Proviant. Der Alte verbrachte den Rest des Tages mit der Reparatur der Netze, während sein Weib sich um Haus und Hof kümmerte. Sie war zufrieden, für den langen Winter war ausreichend vorgesorgt. Am Abend pfiff ein eisiger Wind über den Fjord. „Wir tun gut daran, uns schon morgen auf den Weg zu machen, Alter.“ Der brummte sich nur etwas in den Bart und stieg auf den Ofen. Die Alte löschte die Tranfunzel und tat ihm gleich. Früh am Morgen erwachte sie und schürte sofort das Feuer. Der Alte stieg verschlafen von seinem Lager und blickte als Erstes durch die Tür. Immer noch wehte der eisige Wind über den Fjord. Er ging hinaus, versorgte das Schwein und die Hühner, die er heute nicht aus dem Stall ließ. Er befürchtete, wenn er sie nach draußen ließe, wären sie bis zu ihrer Rückkehr allesamt vom Fuchs geholt. Wieder im Haus setzte sich der Alte an den Tisch und schlürfte wie jeden Morgen seinen Brei. Die Alte löschte das Feuer im Ofen und setzte sich dann zu ihm, um auch vom Brei zu essen. Nachdem sie gegessen hatten, packten sie ihre Sachen, gingen nach draußen und verschlossen sorgfältig die Tür hinter sich. Der Alte öffnete den Pferch, dirigierte die beiden Hunde, um die Schafe in Richtung Wald zu treiben. Schon nach kurzer Zeit hatten sie den Wald erreicht. Der Alte ging voraus in den Wald, er dirigierte die Hunde mit Pfiffen und diese trieben die Schafe von der Weide auf den Waldweg. Die Alte, die sich auf einen langen Stecken stützte, bildete den Schluss der kleinen Prozession. Die Weiden am Fjord wirkten, bis auf die im Pferch zurückgebliebenen Schafe, verlassen.

Viele Generationen später liegt heute das Land am Fjord, wie unberührt von Menschenhand. Zu mühsam war für Menschen auf Dauer das Leben in dieser Einöde. Zu Zeiten der beiden Alten weideten Schafe die jungen Sprösslinge der Birken und Fichten ab, die im Frühling auf dem Weideland empor sprossen. Hatte es doch einmal ein junger Baum geschafft, die ersten Winter zu überdauern, so fiel er unweigerlich der Axt des Alten zum Opfer, wenn dieser Holz für das Feuer im Ofen machte. Heute steht auf der ehemaligen Schafweide ein dichter Wald aus Birken und alten nordischen Fichten. Der Wald reicht bis fast an den Fjord, nur ein schmaler Streifen aus Geröll und Sand trennt Wald und Wasser. Ein Sturm hat eine der mächtigen Fichten entwurzelt. Der Stamm ist in Richtung Fjord gefallen und der Wipfel des Baums liegt mit seinen Ästen im Wasser des Fjords. Angeschwemmter Plastikmüll entfernter Siedlungen verunstaltet teilweise das Gestade, der einzige Hinweis auf Zivilisation. Vielleicht ein-, zweimal im Jahr erreichen Wanderer im Hochsommer den stillen Ort. Manche nur zu einer kurzen Rast. Andere, überwältigt von der malerischen Lage zu Füßen einer schroffen Bergwelt, bauen am Fjord ihr Zelt auf, werfen die Angel aus; und bleiben einige Nächte. Wenn einer der Wanderer in den Wald eindringt, stößt er vielleicht auf die kleine, unscheinbare Erhebung, auf der eine mächtige Nordlandfichte ihre Wurzeln in den felsigen Untergrund getrieben hat. Er wird nicht es nicht erkennen, unter dem mehrere hundert Jahre alten Baum verbergen sich die Reste einer Kate.

Viele Generationen später liegt auf dem Land am Fjord eine kleine Siedlung mit bunt gestrichenen Holzhäusern. Am Fjord befindet sich eine Anlegestelle für das Postschiff, das auf seinem Weg zum Nordkap hier für einige Stunden anlegt. Dann kommt etwas Leben in den Ort. Gabelstapler ziehen Paletten voller Waren aus dem Bauch des Schiffes, bei trockenem Wetter nutzen mitreisende Touristen die Zeit, um den Ort zu erkunden. Einige von ihnen bemerken im Ort vielleicht eine von Gestrüpp und Gras überwachsene Erhebung, in der Mitte einer Weide. An einigen Stellen der Erhebung brechen große, von den Gletschern der Eiszeit glatt geschliffene Granitsteine durch die Grasnarbe. Weiter weist nichts darauf hin, dass an dieser Stelle einst die Besiedlung des Fjordlands ihren Anfang genommen hat. Die Besucher werden sich bald wieder dem Fjord zuwenden und mit ihren Kameras und Fotohandys versuchen, die Schönheit der Landschaft festzuhalten. Irgendwann erklingt die Sirene des Postschiffs und die Touristen eilen zur Anlegestelle, um die Abfahrt des Schiffes nicht zu verpassen.

Feedback

Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!

Autor

BerndMooseckers Profilbild BerndMoosecker

Bewertung

Noch keine Bewertungen

Statistik

Kapitel: 8
Sätze: 382
Wörter: 6.049
Zeichen: 34.138

Kurzbeschreibung

In der Einsamkeit der Wälder an einem Fjord fristet ein altes Paar sein bescheidenes Leben. Eines Abends verirrt sich ein Bote des Königs zu ihnen....

Kategorisierung

Diese Story wird neben Survival auch in den Genres Historik und Natur gelistet.

Zugehörige Readlist

Jakob liest vor
(8 Werke)
Traumzeit (1 von 8)
StorysBiografienMehrere Genres
Von BerndMoosecker

153 11 6
In einem Land im fernen Norden (2 von 8)
StorysGeschichtenMehrere Genres
Von BerndMoosecker

204 8 12
Die Liebe und ihr Preis (3 von 8)
StorysRomaneMehrere Genres
Von BerndMoosecker

350 18 4,5 3 18

Ähnliche Storys

Das Spiel
Von AnkeSabineB
173 9 4,5 2 16
The Day After
Von kastli
129 4 16
Quinnsland
Von Aidan
77 2 12
Apokalyptisches Tagebuch
Von interactivestory
300 4 16