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Ich bin ein Mensch, der sich in städtischer Umgebung ausgesprochen wohlfühlt, aber ich habe auch Erfahrungen mit dem Leben in dörflicher Umgebung. Meine frühen und ersten Erfahrungen mit dem Leben auf dem Land habe ich in meiner Erzählungssammlung Traumzeit1 ausführlich und umfassend beschrieben. Die letzte umfassende Erfahrung mit dem Leben auf dem Land holte ich mir als Rentner. Lange Jahre war ein kleiner Ort in Aquitanien unser zweiter Wohnsitz. Meine Gefühle zu diesem Ort habe ich in der biografischen Kurzgeschichte Ort der Sehnsucht2 dargelegt. Bleibt also die Zeit zwischen Kindheit und Ruhestand. Jahrelang lebte ich in einem damals ländlichen Vorort meiner Heimatstadt, auch dieses Leben habe ich in einigen Geschichten, wie zum Beispiel Veränderung oder der Verlust von Heimat3 beschrieben. Das war auch eine Art Landleben, heute lebe ich wieder dort, aber ländlich ist geht es da jetzt nicht mehr zu.
Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts arbeitete ich beim Bergwerk in Hausham. Hausham ist eine Gemeinde im oberbayrischen Alpenvorland und liegt an der Bahnstrecke von München nach Bayrisch Zell. Im Bergwerk wurde Pechkohle gefördert, eine Art Braunkohle, die vom Aussehen her der Steinkohle gleicht. Im Gegensatz zur Braunkohle wird Pechkohle unter Tage abgebaut. Das aber nur zur Einführung. Ich wohnte möbliert in der Gemeinde Reichersdorf Ortsteil Auerschmied im Tal der Leitzach. Was ich hier schreibe, datiert vor der bayrischen Gebietsreform in den siebziger Jahren, Reichersdorf und Auerschmied wurden bei dieser Reform in die Gemeinde Irchenberg eingegliedert. Auerschmied lag und liegt auch noch heute sehr abgelegen, die Verbindung zur für mich realen Welt bestand nur aus einem Geräusch. Es war der Lärm, den die Autobahn von München nach Salzburg im Tal verteilte. Vom Leitzachtal aus steigt die Schnellstraße in beide Richtungen steil an, das Dröhnen der Lastwagen, die im niedrigen Gang die Steigungen hinaufkrochen, war Tag und Nacht nicht zu überhören.
Auerschmied umfasst heutzutage wohl mehr als ein Dutzend Häuser. Damals gab es dort nur den Gasthof, eine bereits stillgelegte Papierfabrik, ein Sägewerk, ein zweigeschossiges Mietshaus, das wohl früher zur Fabrik gehört hatte, den Kleinbauernhof der Familie H. und ein hinter dem Gasthof gelegenes Einfamilienhaus mit Parkplatz für den Lastwagen des dort mit seiner Familie lebenden Spediteurs.
Mein möbliertes Zimmer lag unter dem Spitzboden des Gasthofs Auerschmiede. Der Gasthof und die dazugehörige Landwirtschaft wurden vom Familie M. geführt. Den Familiennamen der Familie kenne ich nur, weil wir entfernt miteinander verwandt sind. Familiennamen existierten in dieser Umgebung eigentlich nicht oder nur am Rande. Warum die Kleinbauernfamilie H. bei ihrem Familiennamen genannt wurde, passt nicht in dieses Schema, doch der Grund ist mir nie aufgegangen. Der Wirt war der alte Auerschmied, sein Sohn der junge Auerschmied und ich war folglich der Neffe vom Auerschmied. Alle sprachen mich mit einer Abwandlung meines Vornamens an und nannten mich Bernti (wie man das schreibt ist mir unbekannt, aber der Name klang so). Der Gasthof befand sich in einem großen Haus mit einer Gaststube, einem Saal, einem kleineren Gesellschaftsraum, einigen Gästezimmern und einer großen Küche mit Nebenräumen. Vom Hausflur aus gelangte man direkt in den Kuh- und Schweinestall, die Tenne befand sich darüber. Gelebt wurde in der Küche. Die Küche und der Saal waren schließlich die einzigen Räume, die beheizbar waren. Da der Saal nur zu Veranstaltungen beheizt wurde, spielte sich sowohl das Familienleben, als auch der Betrieb des Gasthofs in der kalten Jahreszeit rund um den Küchentisch ab. Hieß für mich, außerhalb der Arbeitszeit hielt auch ich mich oft in dieser Küche auf.
Mein Zimmer war eigentlich ein nicht genutztes Schlafzimmer, das über Trockenboden zu erreichen war. Es atmete mit den Temperaturen, da das Dach nicht isoliert war. Im Sommer konnte es unerträglich heiß werden und im Winter war es dort bitterkalt. Zumindest zur kalten Jahreszeit vermied ich es am Abend größere Mengen zu trinken, denn zum Austreten und auch zum Waschen musste ich bis ganz nach unten zum Stall. Der Winter den ich dort verbrachte, war wirklich sehr kalt und brach ziemlich plötzlich aus. Anfang November rasselte morgens mein Wecker und ich merkte umgehend, dass es über Nacht bitterkalt geworden war. So kalt, dass sich an den Fenstern bereits Eisblumen gebildet hatten. Entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten zog ich mich, bevor ich zur Waschkaue ging komplett an und stieg über die Treppen nach unten. In der Waschkaue war es einigermaßen warm, so zog ich mich dort wieder aus, um mich zu waschen. Stieg nach dem Waschen und zum zweiten Mal anziehen wieder nach oben und machte mich fertig, um zur Arbeit zu fahren.
Die Fahrt war an diesem Morgen abenteuerlich, bis zur Landstraße Miesbach/Irchenberg war die Fahrt eigentlich immer abenteuerlich, denn der Weg dorthin war unbefestigt. Einmal weg von diesem Weg landete ich auf der steil ansteigenden Landstraße nach Miesbach. An diesem Morgen war die Straße vereist. Trotzdem ich hatte Glück, ich überwand die Steigung und auch das abschüssige Teilstück der Straße bis zum Stadtrand von Miesbach überstanden Auto und ich unbeschadet. So kam ich noch einigermaßen pünktlich am Arbeitsplatz an. Der Rückweg nach Feierabend war dann unproblematisch, es war gestreut und geräumt. Auch am Abend war es eisig kalt, so blieb ich den gesamten Abend in der Küche. Die Wirtin, eine resolute Frau mit einem mächtigen Kropf, genannt die Auerschmiedin, ließ mich am Abendbrot teilnehmen. Es gab etwas sehr Fettiges vom Schwein mit Kartoffeln. Später dann begann der Betrieb im Gasthof. Nach und nach trafen die Honoratioren ein.
Zuerst kam der Schmied, der lebte in Oberhasling. Er war recht beliebt und ich empfand ihn als großzügig. Schließlich durfte ich in seiner Schmiede mein Auto reparieren, wenn es kaputt war, es war fast so alt wie ich es war und von daher oft kaputt. Er wurde mit Schmied angesprochen, kein Herr davor, auch kein Vorname, der Schmied hieß eben Schmied. Wie immer bestellte er ein Bier, das ich ihm brachte. Danach kam der Bürgermeister. Auch dieser trank ein Bier. Ich weiß nicht mehr, wer sonst noch zu den Honoratioren gehörte, aber diese beiden sind mir im Gedächtnis geblieben. Der Bürgermeister wurde als Hamberger angesprochen, ob das nun der sein Familienname oder der Name seiner Hofschaft war? Ich habe es nicht herausbekommen, ich habe nicht einmal begriffen, wo er wohnte. Dem Hamberger gehörte das Sägewerk und das meine ich zu wissen, ihm gehörten zumindest Anteile der Bergbahn zum Wallberg am Tegernsee. Der Bürgermeister war der alte Hamberger, sein Sohn war dann der junge Hamberger. Der junge Hamberger gehörte nicht zu Honoratioren, vielleicht war er noch zu jung - oder war sein Lebenswandel nicht honorabel genug? Genug von der Namensverwirrung für einen Auswärtigen, wie mich.
Irgendwann an diesem Abend war es Zeit zu Bett zu gehen, das Zimmer war weiter ausgekühlt. Ich versuchte möglichst wenig von meiner Kleidung abzulegen, so war es mir nicht zu kalt, aber ich konnte nicht schlafen. Ich nahm vom zweiten Bett das Federbett zusätzlich zu meinem Federbett und zog mich weiter aus. So warm eingepackt schlief ich bald ein, ich brauchte in der Nacht nicht austreten – schließlich hatte ich meinen Durst seit dem Feierabend unterdrückt.
Der Wecker klingelte, ein neuer Tag, um die minus zwanzig Grad. Unter den beiden Federbetten hatte ich geschwitzt. Das Federbett, mit dem ich in direktem Körperkontakt war, war am Fußende des Bettes festgefroren. Ich traute mich kaum aus dem Bett, aber die Arbeit rief. Das Gefühl bei diesen Temperaturen aus dem Bett zu steigen, kann ich nur schwer vermitteln – ich sage es einmal so, man wird hellwach. Das Anziehen besserte zuerst einmal nichts, die über den Stuhl hängende Kleidungsstücke fühlten sich an, als hätten sie in der Gefriertruhe gelegen. Gut, in der Waschkaue taute ich dann auf.
Es blieb kalt, mal ein wenig wärmer, dann wieder kälter oder noch kälter und irgendwann näherte sich Weihnachten. Ich wollte das Fest zu Hause bei der Familie feiern. Ein, zwei Tage vor der Reise, kaufte ich Reisevorräte ein. Die Vorräte lagerte ich auf meinem Zimmer, ein Kühlschrank war nicht erforderlich. Am Tag der Abreise arbeite ich ganz normal, durfte aber etwas früher Feierabend machen. Ich legte mich etwas aufs Ohr und machte mich reisefertig, kurz bevor der Gasthof für die Nacht schloss. Die Reisevorräte legte ich im Wagen auf den Boden vor dem Beifahrersitz und fuhr los. Durch die lange trockene Kälte war es auf den Straßen nicht eisig, so kam ich gut voran, ließ das Radio dudeln und kam bis Pforzheim. Dort in der Raststätte leistete ich mir eine Tasse Kaffee, um mich danach über meine Vorräte herzumachen. Ich aß Brot, Käse und Wurst, dann griff ich nach meinen Obstvorräten. Ich griff in eine matschige Masse. In meinem Wahn hatte ich Orangen bevorratet und diese auf meinem Zimmer gelagert. Orangen vertragen keinen Frost (zumindest nicht die Minusgrade einer Kühltruhe), das weiß ich seit jenem Tag. Gefroren hatte ich sie ins Auto gelegt, bis Pforzheim waren sie aufgetaut und bildeten in der Tüte einen matschigen Klumpen. Da half nur noch entsorgen im Abfalleimer.
Mein Landleben in Auerschmied habe ich danach bald aufgegeben. Der Grund liegt nicht in Auerschmied. Es waren die Arbeitsbedingungen. Der Gegensatz zur Arbeitswelt im Industriegebiet des Rheinlands, herrschte dort ein, nun ich sage es einmal so, ein Kommandoton, dem ich mich einfach auf Dauer nicht unterordnen wollte. Heute würde ich das eine Art Sklavenhaltergesellschaft nennen, der einzige Unterschied war, es gab statt Naturalien Geld für die Arbeit und wer mutig genug war, der kündigte und zog in eine andere Gegend. Später bin ich mit meiner Frau ausgiebig in der Gegend gewandert. Wirklich, es ist eine Landschaft, in der sich herrlich wandern lässt. Wer mag, lese die Geschichte Als der Himmel die Erde berührte4, dort ist eine unserer Wanderungen verewigt.
Mein Leben in Auerschmied ist seit sechzig Jahren Vergangenheit. Auch die Zeit der Wanderungen ist seit über fünfzig Jahren nur noch Erinnerung. Die Verbindung zum Gasthof Auerschmiede ist erloschen mit dem Tod der beiden Alten. Ein wenig Verbindung bestand noch, solange der junge Auerschmied und seine Frau lebten. Ihre Kinder führen heute gemeinsam das Gasthaus, aber die waren kleine Kinder zu der Zeit, als eine intensive Verbindung zwischen den Familien bestand.
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