Autor
|
Bewertung
Statistik
Sätze: | 55 | |
Wörter: | 1.183 | |
Zeichen: | 6.821 |
In dem Raum der Wohnung, den wir scherzhaft das Büro nennen, hängt ein altes Ikea-Regal an der Wand. Auch dieses Regal hat scherzhaft einen Namen – Regal der Erinnerung. Das Regal habe ich unserer Tochter abgetrotzt, als sie vor dreißig Jahren ihre erste eigene Wohnung bezog. Ich hatte damals einfach keine Zeit den Raum zu renovieren, was sicherlich erforderlich gewesen wäre, wenn sie das Regal abgeschraubt hätte. So bin ich also mit ihr eines Samstags losgezogen und sie bekam aus der Familienkasse ein neues Regal. Beiden Parteien damit war gedient; sie hatte ein Regal für ihre Wohnung und ich hatte mir das Renovieren erspart.
Etwas Sinnvolles, um das leer geräumte Regal neu zu füllen, besaß ich nicht. So benutze ich seit damals das Regal zur Aufbewahrung von unnützen Gegenständen, die sich im Laufe eines langen Lebens ansammelt hatten. Es gibt schöne Sachen, Kuriositäten und Hinterlassenschaften meiner Ahnen. Meine Ahnen hinterließen mir, drei Taschenuhren (eine davon läuft noch), eine leicht beschädigte Teekanne aus Steingut, eine verbeulte Teekanne aus emailliertem Blech, eine Tasse mit den Initialen AW (das könnten Initialen eines Urgroßvaters sein), einen Kneifer und eine Kanne aus Steingut mit schwarzer Lasur und einer goldfarbenen Verzierung. Diese Kanne benutzten meine Großeltern als Milchkanne; und ich weiß nicht warum, aber an dieser Kanne hängt eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen. Mein Gedächtnis reicht weit zurück, das erste Ereignis aber, an das ich eine zuverlässige Erinnerung habe, ist das Ende des großen Krieges. Und selbst aus jener Zeit gibt es noch große Lücken in meinem Gedächtnis. Sonderbarerweise gibt es aber auch Fetzen von Erinnerungen aus der Zeit vor dem Kriegsende – an den Luftschutzkeller, an die geretteten Möbel auf dem Bürgersteig vor dem ausgebrannten Haus und eben an die schwarze Kanne.
Nachdem die Wohnung meiner Eltern ausgebrannt war, zog meine Mutter mit mir nach Donrath, einem kleinen Dorf südlich von Köln, in der Nähe von Siegburg, an einem Bach namens Agger gelegen. Dort befand sich die Wohnung einer alten Tante, die inzwischen bei Sohn und Schwiegertochter lebte. Ob meine Großeltern damals auch schon dort wohnten – ich weiß es nicht. Auf jeden Fall, die Kanne war schon dort. Aus der Sicht eines kleinen Kindes erschien sie größer als sie in Wirklichkeit ist. Wenn man noch klein ist, erscheint einem wohl die Dinge größer. Die Kanne fast wohl einen Liter, vielleicht etwas weniger.
Wir lebten dort in einer weitläufigen Wohnung und aus späteren Jahren weiß ich, bewohnt wurde eigentlich nur die Wohnküche. Dort stand ein alter, schwarzer mit Holz beheizter Herd. Der Herd diente zum Kochen und war gleichzeitig die einzige Heizquelle der Wohnung. Wasser gab es nur aus der Wasserpumpe vor dem Haus und das Klo befand sich auf dem Hof. Außer den Hausbewohnern hielten sich im Dorf und auf dem Grundstück Soldaten der Wehrmacht auf und damit kommt dann auch die schwarze Kanne ins Spiel.
Alles aus dieser Zeit ist Wissen, das auf den Erzählungen meiner Mutter beruht, bis eben auf die bruchstückhaften eigenen Erinnerungen. Und so gebe ich die Erzählungen meiner Mutter hier weiter und versuche meine eigenen Erinnerungen einzuflechten. Das Ganze geschah wohl im Jahre 1944, denn an die Ereignisse zur Zeit des Kriegsendes, kann ich mich, wie gesagt, schon recht gut erinnern. Die im Dorf einquartierten Soldaten, waren wohl von der Westfront abgezogen worden, um an die Ostfront verlegt zu werden. Für die jungen Männer war der Aufenthalt im Dorf eine Atempause zwischen dem furchtbaren Morden und Sterben in jener Zeit. Der Aufenthalt hat sich wohl einige Zeit hingezogen, denn meine Mutter hatte jeden Tag einige der Soldaten beim Essen zu Gast. Viel zu tun hatten die Soldaten in dieser Zeit nicht, so hatten sie es sich im Dorf so angenehm wie möglich gemacht. Der Soldat hob mich hoch, setzte mich auf ein für ein Kleinkind riesiges Pferd, führe das Pferd langsam und vorsichtig über den Hof. So blieb es mir im Gedächtnis, was in jener Zeit in Donrath vorging. Die Hauptsache für die Soldaten dürfte es einfach gewesen sein, eine angenehme Zeit zu verbringen. Dorfbewohner und Soldaten kamen sich wohl sehr nahe. In unsere Wohnküche hielten sich fast ständig mehrere der jungen Männer auf, sie aßen mit uns, halfen nach dem Essen sogar beim Spülen. Mutter spülte, zwei Soldaten trockneten ab. Einer von ihnen trocknete die Schwarze Milchkanne ab, führte eine Hand in das Innere der Kanne und behauptete, er bekäme die Hand nicht mehr aus der Kanne heraus. Er zog und zerrte; verzog verzweifelt oder vor Schmerz das Gesicht. Sein Kamerad half ihm beim Zerren und mit einem leichten Dreh, zog er die Kanne von der Hand des Anderen.
Irgendwann war die Rast der Soldaten zu Ende und sie zogen in einem langen Tross gen Osten. Meine Mutter reiselustig wie immer, schloss sich ihnen an, um ihre Schwägerin in Thüringen zu besuchen. Meine Leser mögen das für verrückt halten. Ich auch! Aber meine Mutter war so. So fuhr sie mit mir, ganz so als hätte sie noch nie etwas vom Krieg gehört, auf einem der Lastwagen mit. Ob wir so bis nach Thüringen gekommen sind, oder später auf andere Transportmittel umgestiegen sind, ich kann es nicht sagen. Diese Frage fiel mir erst nach dem Tod meiner Mutter ein.
Als die Kanne in das Regal der Erinnerungen gestellt wurde habe ich es ausprobiert. Mit einiger Mühe kann ich meine Hand durch den Ausguss in die Kanne einführen; ein leichter Dreh an der Kanne und die Hand gleitet problemlos wieder aus der Kanne heraus. Was aber geht in einem Gehirn vor, dass ein so unbedeutender Vorfall in das Langzeitgedächtnis aufgenommen wird, geschehen zu einer Zeit, die man getrost die Traumzeit eines Menschen nennen darf?
Nachtrag
Die oben erwähnte Reise gegen Osten fand, wie ich herausgefunden habe, im Winter 1944/1945 statt. Wie es dazu kam ist mir wirklich schleierhaft, aber noch als Kind habe ich erfahren, dass die Reise durchaus geplant war. Mein Wissen beruht auf einem Ereignis, das mir im Gedächtnis haften geblieben ist. Kurz bevor die Eltern meiner Mutter wieder nach Düsseldorf zogen, hielt ich mich während der Schulferien zusammen mit meiner Mutter in Donrath auf. Eines Tages erschien die Posthalterin des Dorfs an der Tür und überreichte meiner Mutter einen für sie bestimmten Brief. Was verwunderte, war die mühsam entfernte Briefmarke und der Absender. Der Brief stammte von der Schwägerin meiner Mutter und in dem Schreiben bat sie meiner Mutter dringend, von der geplanten Reise nach Thüringen abzusehen, da die Ostfront sich bedenklich den Grenzen des Reiches nähere.
Ich weiß nicht, ob der Brief, hätte er sie nur rechtzeitig erreicht, meine Mutter beeindruckt hätte. Aber diese Überlegung ist eh sinnlos, schließlich brauchte der Brief an die sieben Jahre, um die Adressatin zu erreichen.
|
Sätze: | 55 | |
Wörter: | 1.183 | |
Zeichen: | 6.821 |
Feedback
Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!