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Regal der Erinnerung - Die Vasen

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17.02.24 21:10
6 Ab 6 Jahren
Fertiggestellt

Autorennotiz

Im Laufe eines langen Lebens sammelt sich so einiges an, das man immer wieder aufgehoben hat, weil man es vielleicht noch einmal verwenden könnte oder weil Erinnerungen damit verbunden sind. Eigentlich gehöre in nicht zu den Bewahrern, denn ich werfe überflüssiges meist weg, aber doch kam es dazu, dass ich ein Regal mit Erinnerungsstücken füllen konnte. Einiges über die Geschichte der Erinnerungsstücke habe ich in Kurzgeschichten verewigt - dies ist eine dieser Geschichten.

Das Original dieser Geschichte gibt es hier: erzaehlungen.moosecker-hassels.de/text/text_02_pdf.php?v=oeffentliche_adobe&d=regal_der_erinnerung_die_vase.pdf

Das Regal der Erinnerung enthält natürlich viel Krimskrams, der sich im Laufe des Lebens angesammelt hat. Es sind schließlich oft völlig wertlose Dinge, die unsere Erinnerungen beflügeln. Die so ziemlich zuletzt dem Regal hinzugefügten Sammelstücke sind die Vasen. Die Vasen kamen vor über zwanzig Jahren, nach dem Tod meiner Mutter in unseren Besitz. Nachdem meine Mutter tot war, machten wir uns an die Aufgabe, ihre Wohnung aufzulösen. In ihrem Keller fanden wir einen älteren Küchenschrank. Der Küchenschrank stammte aus einer der früheren Wohnungen meiner Mutter. Mir war bis dahin nicht bewusst, dass sich dieser Schrank überhaupt noch im Besitzt meiner Mutter befand. Ich öffnete die Türen des Schrankes und traute meinen Augen nicht. Im Schrank befand sich eine unübersehbare Anzahl von Blumenvasen. Große, kleine und klitzekleine Vasen; Vasen in allen nur denkbaren Variationen. Die Vasensammlung hätte jedem Vasenmuseum Ehre machen können.

Da wir selbst nicht in einem Überfluss an Blumenvasen lebten, suchten wir uns einige hübsche Vasen für den Eigenbedarf aus. So kamen in unser zu Hause von der Vasensammlung einige schöne Tonkrüge aus dem Kannenbäckerland, eine Porzellankanne in Kobaltblau, eine tönerne Kugelvase und eine klitzekleine, in Form eines Wasserkruges gestaltet Vase. Die klitzekleine Vase identifizierte ich als die Vase, die ich als Kind einmal für meine Mutter aus Glücksburg an der Ostsee mitgebracht hatte. Aus mir unerklärlichen Gründen ist dieses Väschen inzwischen in unserem Feriendomizil in Frankreich gelandet. Die Kugelvase, die kobaltblaue Vase und einer der Tonkrüge landeten im Regal der Erinnerung. Der Rest der Vasen wurde Freunden und Verwandten angeboten und was diese nicht nahmen, war für den Trödelmarkt geeignet. Wir aber, beide voll im Beruf stehend, uns fehlten einfach Zeit und Lust dazu, so wanderten die restlichen Vasen den Weg alles weltlichen Besitzes, sie landeten im Müll.

Die kobaltblaue Vase und die tönerne Kugelvase begleiteten mich seit frühester Kindheit, eben genauso lange, wie ich bei meiner Mutter wohnte. Bei der Kugelvase handelt sich um ein schön getöpfertes, außen nicht glasiertes, hellbraunes Tongefäß. Die Vase ist fast so groß wie ein Fußball und passt nur knapp in ihr Fach im Regal der Erinnerung. Vor dem Blick in den Schrank, war mir nicht einmal bewusst, dass die Vase überhaupt noch existierte, denn kurz nach der Währungsreform im Jahre 1948, ich glaube direkt im darauffolgenden Jahr hatte die Vase einen bösen Unfall. Großmutter hatte einen verwelkten Blumenstrauß daraus entfernt und wollte wohl das abgestandene Wasser im Hinterhof ausgießen. Ob sie nun dabei stolperte oder ob ihr die mit Wasser gefüllte Vase aus den Händen glitt, ist mir entfallen. Auf jeden Fall war danach der obere Teil entlang der Öffnung zu einem großen Teil zersplittert. Mutter wollte die Scherben und den unbeschädigten Teil der Vase sofort in die Mülltonne entsorgen, was aber Omas extremen Sparsamkeitsempfinden widersprach. So wurden die Scherben zuerst einmal sorgfältig eingesammelt und zusammen mit dem unbeschädigten Teil der Vase im Werkraum gelagert. Der Werkraum diente allem Möglichen, in einer Ecke stand eine emaillierte Badewanne, darüber eine Gastherme. Ein heute kaum noch nachzuvollziehender Luxus. Gegenüber der Badewanne eine Vitrine mit den gesammelten Büchern meiner Altvorderen. Daneben der Schuhschrank und der Vorrat an Werkzeug. In diesem Gemenge verschiedenster Güter stand nun die Vase nutzlos herum und wurde ab und zu, wenn sie im Wege stand an einen anderen Platz verschoben.

Die Zeit des beginnenden Wirtschaftswunders war der Auslöser, dass ich mich als kleiner achtjähriger Junge mit der Rettung der Vase befasste. Ich entdeckte eines Tages in Omas Laden ein neues Produkt – Uhu Alleskleber. Noch recht ungeübt im Lesen, nahm ich mir, als ich an einem der Waschtage die Aufsicht über den Laden hatte die Zeit, die Gebrauchsanweisung des Allesklebers zu lesen. Ich fand die wundersamen Eigenschaften des Klebstoffs hochinteressant und wollte diesen Wunderstoff gerne einmal ausprobieren. Mir fehlte nur noch eine Idee, an welchem Objekt ich diesen Wunderklebstoff testen konnte und natürlich das Geld um den Klebstoff zu erwerben. Ich hätte eine Tube sicher einfach klauen können, aber der Laden war eine Herzensangelegenheit der Familie. Niemand entnahm etwas heimlich daraus. Ich gebe es zu, das Naschen an der Wurst konnte ich mir meist nicht verkneifen, aber das empfand ich als lässliche Sünde, die ich bei Gelegenheit im Beichtstuhl bereuen konnte. Das Naschen im Laden sah ich sowieso als eine Art Lohn an. Es war ein Laden, wie es damals viele gab, allein auf unserer Straße gab es drei solcher Läden, zusätzlich noch ein Milchgeschäft und das bei einer Straßenlänge von nicht einmal 500 Metern. Heute nennt man diese Art Läden gerne Tante-Emma-Laden, meiner Oma kam damals locker der Begriff Kolonialwarenhandel über die Lippen. Kolonialwarenhandel sagte mir nichts und noch heute frage ich mich um was für Waren und um welche Kolonien es wohl bei dieser Art Laden ging.

Einige Zeit, nachdem ich das neue Klebeprodukt entdeckt hatte, fiel mir wieder einmal die verunfallte Vase auf. Ich hatte das Objekt entdeckt, an dem ich den Kleber ausprobieren konnte und gleichzeitig einen Weg gefunden, Oma um eine Tube Uhu zu bitten. Oma von Natur aus äußerst sparsam, ließ sich in diesem Fall nicht lange bitten. Sie gestattete es mir eine Tube des Klebers aus dem Laden mitzunehmen, da sie ein persönliches Interesse an der Reparatur der Vase hatte. An einem sonnigen Tag trug ich die zerstörte Vase aus dem Werkraum auf den Hof und breitete die Scherben vor mir auf dem Boden aus. Ich hatte Glück, der zerstörte Teil der Vase bestand ausnahmslos aus einigen großen Bruchstücken, die sich leicht ordnen und wieder zusammen fügen ließen. So hatte ich alsbald einen Plan, wie ich vorgehen wollte. Sorge bereitete mir nur ein langer Riss im sonst unbeschädigten Teil der Vase. Der Riss verlief schräg nach unten bis ziemlich nah an den Boden der Vase. Ich vermutete, an diesem Riss würde die Vase nach der Instandsetzung undicht sein. So öffnete ich die Klebstofftube, träufelte etwas von dem Klebstoff auf meinen Zeigefinger und verteilte den Klebstoff im Innern der Vase großzügig auf dem Riss. Der Kleber trocknete schnell am Finger und ließ sich anschließend erst einmal nicht mehr vom Finger entfernen. Darum kümmerte ich mich nicht weiter, sondern bestrich die Bruchstellen nach und nach mit dem Klebstoff und setzte die vorsortierten Bruchstücke wieder an ihren angestammten Platz. Nach einiger Zeit hatte die Vase wieder ihre ursprüngliche Form angenommen und ich war mit dem Ergebnis äußerst zufrieden. Ich positionierte die Vase vorsichtige wieder im Werkraum, um den Klebstoff entsprechend der Gebrauchsanweisung aushärten zu lassen. Die Reinigung der Hände erwies sich als schwierig, da sich, ungeübt wie ich war, Klebstoffreste auf beiden Händen verteilt hatten. Nur mit einer Wurzelbüste gelang es die gröbsten Kleberspuren zu beseitigen. Die Hände nahmen bei der Prozedur eine rosa, an neugeborene Ferkel erinnernde Färbung an.

Am folgenden Tag, nach der Schule, nahm ich die Vase wieder mit auf den Hof und stellte beim Betrachten fest, dass von der Reparatur auf den ersten Blick nichts zu bemerken war. Man musste schon genauer hinsehen, um die feinen Bruchkanten zu entdecken. Sorge bereitete mir einzig und allein der Riss im unteren Teil der Vase. Und da machte ich unerfahren, wie ich war einen entscheidenden Fehler. Obwohl noch immer Reste des Klebstoffs an meinen Händen hafteten und die schmerzhafte Reinigungsprozedur vom Vortag noch mahnend in meinem Gedächtnis umherspukte, nahm ich also wieder den Klebstoff zur Hand, träufelte etwas Klebstoff auf den Zeigefinger und verteilte Klebstoff großzügig von außen auf dem Riss. Ich ließ die den Klebstoff trocknen, in der Hoffnung, die Vase wäre anschließen nicht nur schön anzusehen, sondern auch wieder wasserdicht. Nach dem Trockenen sah ich, dass der auf dem Riss verteilte Klebstoff eine hässliche, silbrige Spur auf der Vase hinterlassen hatte. Es sah ähnlich aus, als wäre eine Schnecke, eine Schleimspur hinterlassend, über die Vase gekrochen. Meine Versuche, die Spur zu beseitigen scheiterten kläglich. Und so beließ ich die Vase in dem Zustand, in dem sie war, goss Wasser in das Innere der Vase und stellte zufrieden fest, die Vase war wasserdicht. Danach wurde die Vase noch viel Jahre als Blumenvase genutzt; sie musste nur so aufgestellt werden, dass die Kleberspur nicht ins Auge fiel.

Vor einigen Tagen machte ich mich wieder einmal daran, das Regal der Erinnerung und die darin deponierten Stücke zu entstauben. Ich zögere diese Arbeit immer so weit, als irgend möglich hinaus, da das Staub putzen zeitaufwendig ist und ich für die oberen Regalfächer auf eine Trittleiter steigen muss. Als ich dabei die tönerne Kugelvase in die Hand nahm, fiel mein Blick sofort auf die immer noch silbrig glänzenden, einer klebrigen Schneckenspur gleichenden Klebstoffreste. Als ich die Vase abgestaubt hatte, war mir klar, jetzt ist die Zeit gekommen, die Spur so weit zu kaschieren, dass sie nicht mehr jedes Mal ins Auge fällt, wenn man die Vase betrachtet.

Ich rüstete mich mit den in der Wohnung vorhandenen Werkzeugen aus, welche mir zur Reinigung nützlich erschienen. Eine Messingdrahtbürste half die gröbsten Spuren zu entfernen. Ich hatte wohl den Klebstoff nicht nur großflächig verteilt, sondern auch dick aufgetragen. Ich hätte nicht gedacht, dass Uhu nach fünfundsechzig Jahren so stark ausgehärtet wäre. Die dicken Klebstofftropfen, die sich in den Rillen der Vase festgesetzt hatten erwiesen sich als äußerst widerstandsfähig. Ich schrubbte eine ganze Zeit an den Klebertropfen herum, bevor diese zu Boden fielen. Anschließend bearbeitete ich die verbliebenen Kleberspuren mit grobem Schmirgelleinen. Auch dazu brauchte ich geraume Zeit und es entwickelte sich reichlich Staub dabei. Als ich nach der Aktion die Vase abwusch, war ich zufrieden mit dem Ergebnis der Arbeit. Nur dann, wenn ich die Vase mit der beschädigten Seite ins Licht halte, kann ich noch leichte Spuren von Kleber erkennen, und zwar dort, wo der Kleber in die offenen Poren des Tongefäßes eingedrungen ist. Da ich diese Arbeiten direkt vor dem Regal ausgeführt hatte, hatte sich der feine Staub der Schmirgelaktion über das Regal verteilt. Das Staub putzen musste wiederholt werden.

Ich gehe jetzt davon aus, bis ich meinen letzten Gang antrete, wird die Vase weiter an ihrem Platz im Regal verweilen. Und danach – das ist Sache derer, die mich überleben. Im Container entsorgen oder zum Sperrmüll geben, wäre ein guter Tipp.

Heute, da ich diese Erzählung zu Ende gebracht habe, habe ich noch einmal den Riss begutachtet. Nur noch eingeweihte werden die silbrig glänzenden, an die schleimige Spur einer Schnecke erinnernden Klebstoffreste erkennen.

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BerndMooseckers Profilbild BerndMoosecker

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Kurzbeschreibung

Als kleiner Junge reparierte ich einmal eine Kugelvase. Ich konnte nicht ahnen, dass mich diese Vase für den Rest meines Leben begleiten würde.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Entwicklung auch im Genre Nachdenkliches gelistet.

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