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Drei Taschenuhren liegen friedlich nebeneinander im Regal der Erinnerung. Zu Zeiten als sie noch von ihren ursprünglichen Eigentümern getragen wurden, werden sie sich wohl kaum sehr nahe gekommen sein. Eine der Uhren ist eine kleine silberne Damentaschenuhr, sie stammt aus dem Besitz meiner Großeltern mütterlicher Seite. Von welcher meiner Ahninnen sie stammt, habe ich nie in Erfahrung bringen können. Sie war schon kaputt, als ich noch ein Kind war. Wie und wann sie in meinen Besitz kam, das habe ich vergessen. Aber fünfzig Jahre lang bin ich bestimmt schon der vorerst letzte Eigentümer. Reparieren kann man so etwas nicht mehr, sagte der Uhrmacher. Der Anker sei gebrochen.
Die zweite Uhr stammt von einem Vorfahren meiner Frau, sie ist ein sehr einfaches Modell, bis auf das aufwendig gestaltete Zifferblatt, wirklich nichts Besonderes. Sie lagert aber sonderbarerweise in einem Schutzbehälter aus Blech mit einem Schauglas, damit die Zeit abgelesen werden kann, ohne die Uhr aus dem Behälter zu nehmen. Sie kam in unser Eigentum beim Entrümpeln des Hauses einer alten Tante, nachdem diese gestorben war. Auch als Laie sehe ich auf Anhieb, diese Uhr ist defekt. Der große Zeiger und der Sekundenzeiger fehlen und auch sonst weist sie starke Gebrauchsspuren auf.
Die dritte Uhr gehörte meinem Großvater, dem Vater meines Vaters. Im hohen Alter entschloss er sich, sich eine Armbanduhr zuzulegen und diese zukünftig zu tragen. Da er keine Verwendung mehr für die Taschenuhr hatte, schenkte er sie mir. Es ist eine schöne alte, silberne Taschenuhr mit einer schweren, silbernen Kette. Der Name des Uhrmachers steht auf dem Zifferblatt zusammen mit dem Herstellungsort, Franz Arnold Mannheim. Bevor wir das Regal der Erinnerung eingerichtet haben, lag sie in einem der vielen Kartons, in denen man so seine unnützen Utensilien aufbewahrt. Dann drapierte ich die Uhr schön an der alten Tasse mit den Initialen AW und ich machte mir weiter keine Gedanken mehr darüber.
Wie es nun einmal ist, auch ein Regal der Erinnerung verstaubt mit der Zeit. Nun gehört Staubwischen nicht zu meinen Lieblingsaufgaben, aber es muss gemacht werden und so gebe ich mich von Zeit zu Zeit dieser ungeliebten Tätigkeit hin. Bei all dem Kram, der dort lagert eine lästige und zeitraubende Aufgabe. Ab und zu suche ich dabei nach etwas Ablenkung, nehme das eine oder andere Teil in die Hand, mache mir Gedanken über seine Geschichte. So erging es eines Tages der guten Uhr des Großvaters. Ich öffnete den Deckel, der das Uhrwerk verschließt, darunter ein zweiter Deckel und erst darunter das filigrane Räderwerk. Für meinen nicht ganz so fachmännischen Blick schien das Uhrwerk keinen Schaden zu haben. Aber obwohl die Uhr aufgezogen war, zum Laufen brachte ich sie nicht. So kam die Uhr wieder auf ihren Platz und da lag sie erst einmal wieder im Kreis ihrer Gefährten.
Eines Tages, als ich in Benrath einige Besorgungen zu erledigen hatte, nahm ich kurzentschlossen die Uhr mit, um den Uhrmacher zu fragen, was der Uhr fehle. Der Uhrmacher ist ein an für sich hilfsbereiter Mann in mittleren Jahren, der aber aus Gründen, die ich nicht benennen kann, nie so richtig freundlich auf die Kunden wirkt – vielleicht liegt das einfach nur an seiner abgehackten Sprechweise. Ich reichte ihm die Uhr über den Tresen, sein Gesicht nahm einen anerkennenden Ausdruck an. Er ging mit der Uhr zu seiner Werkbank, wo er sie öffnete, sich eine Lupe vor ein Auge klemmte und die Uhr eingehend untersuchte.
„Die Uhr ist nicht kaputt, sie muss nur gereinigt werden“, lautete seine Diagnose.
„Und was soll das kosten?“
„Fünfzig Mark“, kam es kurz zurück.
Ich schluckte kurz, „50 Mark, lohnt sich das denn noch? Die Uhr ist doch uralt!“ Wagte ich zu bemerken.
Das Gesicht des Uhrmachers nahm einen ungläubigen Ausdruck an. Das Blut wich aus seinem Gesicht, aber nur um direkt darauf in eine heftige Zornesröte überzugehen.
„Das ist eine signierte Uhr“, raunzte er mich an.
„Ja, aber…“
„Nichts aber, das ist eine signierte Uhr und sie ist über hundert Jahre alt“, sagte er mit Nachdruck, immer noch ungehalten.
Wohl oder übel – ich wollte ja auch, dass die Uhr in Ordnung kam – willigte ich in den angebotenen Preis ein. Eine Woche später holte ich die Uhr ab, nicht ohne mir einen weiteren Vortrag über eine signierte, über hundert Jahre alte Uhr anzuhören. Seit dieser Zeit liegt die Uhr meist wieder an ihrem angestammten Platz. Ab und zu ziehe ich sie auf. Eine Macke hat sie, wenn sie ganz abgelaufen ist, muss ich kurz an das Gehäuse klopfen, bevor sie läuft. Aber sonst; sie läuft trotz ihres hohen Alters – langsam nähert sie sich der Hundertzwanzig – fast auf die Minute genau.
Ich trage sie manchmal, aber nur zu hohen Feiertagen. Nicht Weihnachten, Ostern oder so etwas. Ich meine zur Hochzeit meiner Tochter. Da können sich meine Leser leicht ausrechnen, wie oft manchmal ist. Ich habe schließlich nur eine Tochter und die hat nebenbei auch noch die Angewohnheit, äußerst selten zu heiraten.
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