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Von schicksalhaften Zeitreisen und dem Ruf der Nornen - Part II

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21.04.24 16:09
16 Ab 16 Jahren
In Arbeit

Autorennotiz

Wir starten im zweiten Part der schicksalhaften Zeitreisen mit einem Gott, welcher einfach nicht zu vernichten zu sein scheint und immer wieder auf den Plan tritt. Mithilfe von den anderen nordischen Göttern, welche sich weiter zu entwickeln scheinen, kommt man diesem Gegner immer näher.

Die Familie Kenway muss sich in den nächsten Jahren immer mehr Herausforderungen stellen und sich auf den bevorstehenden Krieg vorbereiten. Alleine sind sie dabei aber nicht.

Die Plantage wird des öfteren Ziel von Überfällen, die britische Armee rückt näher, die Patrioten mehren sich und endlich tritt Connor/ Ratonhnhaké:ton an die Seite seines Vaters. Die Konflikte sind jedoch vorprogrammiert. Gelingt es den Kenways alles zu meistern und sich mit Hilfe der Götter zu behaupten?

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Wie immer sei angemerkt, dass mir nur meine eigenen Charaktere gehören. Alle anderen sowie das eigentlich AC Universum unterliegen den Rechten von Ubisoft!

Diese Geschichte widmet sich im weiteren Verlauf der nordischen Mythologie und einigen Ritualen etc. Die Kapitel standen schon, bevor Assassins Creed Valhalla überhaupt angekündigt wurde. Sollten also in irgendeiner Form Parallelen oder Ähnlichkeiten auftauchen, kann ich es nicht ändern, weil die Götter sich nicht umschreiben lassen. ;)

10 Charaktere

Haytham Edward Kenway

Haytham E. Kenway, Sohn von Edward J. Kenway, geboren 04. Dez. 1725, London, gestorben 16. Sep.1781, New York, durch die Hand seines eigenen Sohnes Connor Kenway. Haytham war ein sehr vornehmer Engländer, der jedoch immer bereit war, alles zu tun was nötig war um sein Ziel zu erreichen. Er verachtete den Assassinenorden, hielt die Ziele, die sie vor hunderten von Jahren hatten, aber für ehrenhaft.

Edward J. Kenway

Pirat Edward James Kenway, geboren 10. März 1693 Swansea, Wales, gestorben 3. Dezember 1735 London. Vater von Haytham Edward Kenway und Großvater von Ratonhnhaké:ton (Connor Kenway), ein stoischer Mensch, der zu Beginn der Piraterie nur Ruhm und Reichtum im Sinn hatte. Bei den Assassinen lernt er, dass das alles keinen Sinn hat, wenn keine Familie und Freunde mehr da sind.

Charles Lee

Charles Lee (*6. Februar 1732 in Cheshire, England;† 2. Oktober 1782 in Pennsylvania) war ein Templer und ein General während der Amerikanischen Revolution. Er wurde kurz nach der Ankunft von Haytham Kenway in Boston von den Templern rekrutiert, obwohl er bereits mit ihnen sympathisierte. Er arbeitete sich sehr schnell in der Hierarchie nach oben und wurde bald die rechte Hand des Großmeisters.

Jennifer Scott

Edwards Tochter, geboren 1713, Halbschwester von Haytham E. Kenway, Jennifer wuchs bei ihrer Mutter Caroline Scott in Bristol auf. Da Jennifer nach der Abreise von Edward erst geboren wurde, blieb ihm seine Tochter lange Zeit unbekannt. Das änderte sich 1720, dem Jahr, in dem Caroline starb. Danach arrangierte sie eine Reise zu ihrem Vater in die Karibik, um ihn auf Great Inagua kennenzulernen.

William Miles

William "Bill" Miles, geb. 1948, war von 2000 bis 2013 der Anführer des Assassinen-Ordens und Vater des Assassinen Desmond Miles. Als in die Bruderschaft hineingeborene Person hat er sein ganzes Leben den Assassinen gewidmet.

Shay Patrick Cormac

Shay Patrick Cormac (12.09.1731-Unbekannt) war einst ein Assassine, der später ein Mitglied des Templerordens wurde, im Atlantik während des Siebenjährigen Krieges tätig war, und den Kolonialen Assassinenorden mit anderen Templern fast vollständig auslöschte.

Thomas Hickey

Thomas Hickey war ein Templer während der Amerikanischen Revolution. Auch er war daran beteiligt den verborgenen Tempel der Ersten Zivilisation zu finden. (geb. unbekannt + 1776) Hickey durchlief verschiedene Positionen im Revolutionskrieg. Zu Beginn noch an der Front stationiert, wurde er bald zur persönlichen Wache Washingtons. Zudem war er für die Finanzen der Kontinentalarmee zuständig.

Alexandra Kenway

Das ist ein von mir selbst ausgedachter Charakter. Geboren 26.5.1976 in Deutschland! Ihres Zeichens Zeitreisende und besessen von der kolonial Zeit in Amerika! Ehefrau von Haytham Kenway.

Edward Haytham Kenway Junior

Das ist ein von mir selbst ausgedachter Charakter. Sohn von Alex und Haytham, geboren 4.12.1763.

Florence Tessa Kenway

Das ist ein von mir selbst ausgedachter Charakter. Tochter von Alex und Haytham, geboren 4.7.1766.

 

~~~ Kapitel 1 ~~~

 

6. August 1768

 

Atlantischer Ozean

 

Wir hatten ein neues winziges Besatzungsmitglied, eine kleine schmusige Katze. Florence verbrachte jede Minute mit ihr, streichelte sie, kuschelte mit ihr, fütterte sie mit kleinen Fischstückchen, welche ihr die Matrosen hin und wieder reichten.
„Du musst ihr noch einen Namen geben, min lille engel.“
Meine Tochter sah auf ihr kleines Haustier, dann wieder zu mir. „Weiß nicht, Mama!“
„Ist das eine Mädchenkatze?“ fragte Edward grübelnd, während er unser neues Familienmitglied streichelte.
„Ja, hast du vielleicht einen Namen?“ ein heftiges Nicken meines Sohnes sagte mir, dass er einen Einfall hatte.
„Mina! Flo mag doch die Geschichten von Jasmin so gerne, die Tante Jenny ihr immer erzählt hat.“ Stolz sah er zu mir.
„Gefällt dir der Name auch?“ jetzt war es meine Tochter die glücklich nickte und ihren Bruder umarmte.
Somit hätten wir das geklärt. Was für mich aber noch entscheidend war, war dass Walka sich mit der kleinen Katze vertrug. Bis jetzt war alles friedlich verlaufen.
Zum ersten Mal schliefen die Kinder nicht in meiner Kajüte, sondern bei ihren Kindermädchen unter Deck in deren Kammern. Wir hatten sie dafür extra noch herrichten lassen, weil oben kaum Platz war. Wir konnten ja schlecht anbauen!

 

Der heutige Tag begann friedlich, ich hatte mich mit Mr. Hargreaves über die Möglichkeit unterhalten, im nächsten Jahr Great Inagua eventuell einmal anzusteuern.
„Ich würde mich sehr darüber freuen.“ in seinem Gesicht war ein Strahlen erschienen! Dieser Mann liebte die Seefahrt wirklich!
Am Nachmittag zogen ein paar Wolken auf, aber es sah nicht nach Unwetter aus.

 

Allerdings begann sich gegen Abend ein dichter Nebel über dem Wasser zu bilden.
„Das ist aber ungewöhnlich zu dieser Jahreszeit!“ dachte mein erster Maat laut nach!
Auch die Temperaturen waren plötzlich eisig und alles fühlte sich irgendwie klamm an. Der Mann im Krähennest rief, dass dieser Dunst immer dichter wird.
Plötzlich eilte Haytham auf die Brücke.
„Alex! Setz deinen Sinn ein!“ dabei zog er mich zum Bug. „Siehst du es auch?“ in seiner Panik war er lauter geworden.
Ich konzentrierte mich, sah aber nur Nebel. Aber er sah anders aus, er … waberte nicht wie wir es kannten. Dann sah ich feine rote Linie in einiger Entfernung, welche sich zu einem Gebilde formten! Zuerst dachte ich, meine Sinne spielten mir einen Streich. Aber nein!
Ein Bild erschien! Ein Schiff! Ein sehr GROSSES Schiff mit einer jetzt deutlichen rot pulsierenden Aura!
Mein Herz schlug mir bis zum Hals! War das die Naglfar?

 

Mit einem Male tauchten etliche goldene Silhouetten um uns auf.
Mein Allvater sprach als erster.
„Da ist er ja, der Feigling. Traut sich doch tatsächlich endlich mal, sich zu zeigen!“ seine Stimme durchschnitt schon fast diesen Nebel! „Macht euch bereit für einen etwas unschönen Kampf!“ brüllte er alle Umstehenden an.
Meine Mannschaft sah ängstlich auf die helle Wand um uns, weil sie rein gar nichts sahen.
„Mistress Kenway! Da ist nichts…“ einer der jungen Männer traute sich dann doch etwas zu sagen!
„Ihr könnt es noch nicht wahrnehmen, aber ich versichere euch, dort vorne lauert ein mehr als gefährliches Schiff mit einem Gegner, der uns vernichtet sehen will!“ ich traute mich gar nicht mehr laut zu sprechen, aus Angst, dass mich Hrymr hören könnte.

 

Hach, wie schön! Ich höre dich, Schätzchen! Hier kannst du mir nicht so einfach entwischen! Du solltest dich schon einmal von deinem langweiligen Gatten und den nervigen Gören verabschieden! UNSERE Zeit beginnt bald!
Ich schaffte es gerade noch so, mich über die Reling zu lehnen, damit ich mich nicht aufs Deck übergebe!
Alle Männer begannen jetzt ihre Positionen für eine Schlacht einzunehmen, die Kanonen wurden bemannt und geladen, die Scharfschützen machten sich in den oberen Wanten ebenso bereit. Odin sei Dank, hatten wir noch einige von den neuen Gewehren bekommen, auch wenn sie bei diesem Nebel fürs erste unbrauchbar waren was das genaue Zielen anging.

 

Auch die Götter machten sich bereit und umgaben mein Schiff mit einer Art Schutzschild. Fasziniert sah ich auf dieses goldene Fließ um mich herum, bis mich Edward Junior aus meinen Gedanken holte.
„Mama! Mach dass der böse Kapitän wieder verschwindet!“ mit zitternden Lippen sah er zu mir auf.
„Ich verspreche dir und deiner Schwester, dass euch nichts passieren wird!“ ich sah zu Haytham, der sich ebenfalls gewappnet hatte. „Geht jetzt mit Sybill und Sophia hinunter, bitte! Hör auf mich, min lille skat!“ ich versuchte souverän zu klingen um ihm nicht noch mehr Angst zu machen.
„Aber geh nicht mit ihm mit, ich will auch brav sein. Ich bin auch keine nervige Göre!“ jetzt schniefte er an meiner Brust.
„Ich weiß, ich weiß, Edward. Bitte! Ich muss mich umziehen. Geh jetzt hinunter und pass auf deine Schwester auf, ja?“ flüsterte ich, strich ihm noch einmal über seine dunklen Haare, ehe ich mich umwandte um mich umzuziehen.

 

Ein seltsames Gefühl von Ruhe breitete sich plötzlich in mir aus, als ich nach und nach meine Montur anlegte.
Du siehst fantastisch darin aus! Ich freue mich schon, sie dir vom Leib zu reißen und dir zu zeigen, was dir noch alles gut stehen wird!
Dieses mal verursachten seine Worte keine unangenehmen Gefühle. Es stieg eine gewisse Wut in mir hoch. Diese nutzte ich jetzt um meine Mauer zu errichten. Oh nein, er wird mich nicht kriegen! Diese Genugtuung gebe ich ihm nicht!, schwor ich im Stillen.
Fertig angezogen ging ich wieder an Deck, wo ich vor einer Kampftruppe stand, die nur noch auf den Befehl zum losschlagen wartete.

 

Langsam löste sich diese helle Wand auf, hinter welcher die Naglfar sichtbar wurde. Mir sank nun doch mein Herz, sie war wirklich beeindruckend.
Du glaubst doch nicht, dass ich mit einer Nussschale meine Schlachten gewinne, oder?
Dieses Lachen war widerlich. Nicht nur ich hörte es, die Besatzung sah sich etwas verwirrt um, bekam aber von Thor eine entsprechende kurze Erklärung.
„Stellt euch vor, dort ist eine Man of War, die gleich angreift und ihr Kapitän ist ein großes Arschloch, welchem wir gehörig ans Bein pissen werden!“ grölte er Hammer schwingend. Ein lauter Kampfschrei war von den Männer zu hören, das hatten sie anscheinend noch gebraucht.

 

„Die Naglfar macht aber nicht den Eindruck, als wolle sie angreifen.“ das war mir auch schon aufgefallen. Ich sah keine Kanonenluken oder ähnliches. Ebenso wenig konnte ich jetzt, wo sich der Nebel verzogen hatte, eine Mannschaft an Deck ausmachen!
Haytham und ich ließen unsere Blicke noch einmal darüber gleiten, überall sahen wir aber diese feindlichen Auren, welche sich bewegten.
„Er hat sie getarnt, Alex!“ ich starrte fasziniert auf das andere Schiff, weil ich versuchte heraus zu finden, WIE das funktionierte.
Komm rüber, dann zeig ich dir meine Magie! Hörten wir ihn alle jetzt mit einem lauten Lachen.

 

Jetzt reichte es mir!
„Macht die Kanonen klar, eine Breitseite direkt auf das Mitteldeck!“ brüllte ich meinen ersten Befehl und es kam endlich Bewegung in die Mannschaft.
Auf der Naglfar konnte ich plötzlich ebenso Bewegungen ausmachen, wenn auch wie durch eine Wasserwand hindurch.
Die erste Salve donnerte los… aber nichts passierte! Wir sahen alle nur, wie die Kugeln an einer wabernden Wand abprallten und ins Wasser fielen!
„So, jetzt weißt du, dass du so nicht weiterkommst, mein Kind! Was schlägst du jetzt vor?“ mit einer hochgezogenen Augenbraue stand Odin vor mir.
„Ist das jetzt eine Fangfrage, ein Test, oder was? Woher soll ich…“ fauchte ich ihn an, weil ich mir einfach verarscht vorkam.
„Hier helfen im Moment noch keine weltlichen Waffen, dass solltest du wissen! Worauf glaubst du, haben wir euch vorbereitet? Auf einen Besuch im Streichelzoo?“ Der Göttervater hatte sich manifestiert. Er starrte mich wütend in Grund und Boden. „Nutze … deine … Fähigkeiten!“ jedes Wort betonte er einzeln!

 

Aber WAS sollte ich tun?
Haytham erschien neben mir mitsamt Tyr, auf der anderen Seite versuchte Thyra sich zu zeigen.
Immer noch schien Hrymr auf irgend etwas zu warten, es kam kein Gegenschlag von seiner Seite.
Mittlerweile hatten sich auch die anderen Götter in ihrer wahren Gestalt hier eingefunden! Eine recht beeindruckende Kampftruppe hatten wir beisammen.
Mit einem Male dämmerte mir, WAS Odin gemeint hatte. Ich musste meine Gedanken auf das mittlerweile neben uns liegende Schiff richten. Wenn ich das schaffte, dann konnte ich auch diesen Schild dort durchbrechen, ich wäre nicht alleine dabei.
„Ahhhh, du hast verstanden.“ freudig sah mich Sigyn an, die einen silbernen Brustpanzer trug. Auf ihrem Rücken sah ich einen Köcher mit Pfeilen und einen Bogen.

 

Ich schloss meine Augen, konzentrierte mich auf die Naglfar, versuchte sie in meinen Gedanken zu visualisieren! Nach und nach tauchte sie in meinem Kopf auf. Ich spürte, dass ich nicht mehr alleine war! Gemeinsam begannen wir diesen Schutz alleine durch den Willen zu durchbrechen. Wir rissen Hrymrs Mauer ein, wie er es schon so oft bei mir gemacht hatte!
NEIN! Ihr werdet mich nicht kleinkriegen! Fauchte er, als er begann doch zurück zuschlagen. Dieser Widerling versuchte jetzt mich mit Bildern zu manipulieren, zeigte mir wieder irgendwelche Trugbilder!
Das wird nicht funktionieren, du Idiot! Brüllte ich in meinen Gedanken.
Doch ehe ich mich versah, hörte ich schrille Schreie aus Richtung des feindlichen Schiffes! Was ich sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren!
Dort hing meine Tochter wie an Seilen in der Luft, neben ihr versuchte Edward Junior sich zu befreien. Seine Wut war bis zu mir zu spüren!
Es hört sich gemein und herzlos an, aber ich durfte mich davon nicht ablenken lassen.
Mir liefen die Tränen über die Wangen, als ich hörte, wie Fulla leise zu mir sprach. „Ich werde sie befreien, gemeinsam mit Heimdall! Vertrau mir!“ mehr als Nicken konnte ich nicht, weil jetzt eine Salve auf uns abgeschossen wurde.
Aber auch hier prallten die Kugeln wie an einer eisernen Wand ab.

 

Ich gab nicht auf, ordnete immer wieder das Nachladen an um die Naglfar ein wenig mürbe zu machen, weil das Schutzschild dort bereits rissig war!
Wir hörten Schüsse, welche aber immer nur in der Luft hängen blieben.
Leider sah ich, wie auch unser Schutz langsam zu bröckeln begann.
Eine weitere Breitseite aus beiden Kanonendecks auf die Naglfar brachte endlich den gewünschten Effekt. Einige Kugeln durchbrachen das feste schwarze Holz!
Um mich hörte ich lauten Jubel, aber noch war es nicht vorbei.
Jetzt begannen auch die Männer an Deck mit den Puckelgewehren die jetzt sichtbare feindliche Mannschaft zu beschießen.

 

Als ich hinauf zu meinen Kindern sah, bemerkte ich zwei goldene Schleier um sie! Warum aber bemerkte Hrymr diese Aktion nicht? Wo war er überhaupt?
Suchend sah ich mich um, fand weder ihn noch konnte ich irgendwo seine Aura ausmachen.
Ich bin ganz in deiner Nähe, Schätzchen! Flüsterte seine Stimme, aber nicht in meinem Geist, sondern direkt neben mir!
Erschrocken drehte ich mich in diese Richtung. Mich sahen glühend rote Augen aus dem Gesicht meines Mannes an.
Um uns war mittlerweile der Kampf im vollen Gange, die Schreie meiner Kinder waren aber Odin sei Dank verstummt. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie wieder auf die Jackdaw gebracht wurden, klammheimlich hinter Hrymrs Rücken. Wobei ich glaube, dass er es bemerkte, es auch so beabsichtigt hatte…
Es war eine hervorragende Ablenkung, findest du nicht? Dieses Arschloch hatte es geplant! Ich bin doch echt zu blöd!, schoss es mir in den Kopf.

 

„Diese Trugbilder haben immer kleine Unterschiede… Geruch… kleine Narben…“ Ging mir der Satz von einer meiner ersten Trainingsstunden bei Elias durch den Kopf.
Vor mir stand wirklich nicht Haytham! Dieser Geruch nach Holz und Rauch war nicht er! Bevor ich aber darüber nachdenken konnte, wo mein echter Mann ist, wurde ich von diesem falschen Gatten angegriffen. Immer noch verstand ich nicht, warum er mit mir kämpfte, wenn Hrymr doch eigentlich einen würdigen Nachfolger wünschte? Tot würde ich ihm DEN sicherlich nicht geben können!
Ich kriege immer was ich will!
Darauf kannst du lange warten!
Schrie ich, gleichzeitig ließ ich meine Klingen vorschnellen und zückte mein Schwert.

 

Holla, er war ein erprobter Kämpfer und hatte eine gewisse Stärke inne.
Immer wieder traf er meinen Schwertarm, durchtrennte immer wieder den Stoff meiner Jacke! Aber nie schnitt er in mein Fleisch!
Ich hingegen landete tatsächlich hin und wieder einen Treffer, leider musste ich nebenbei auch noch immer irgendwelchen Kugeln ausweichen, die um uns herumflogen! Weil es ja nicht nur Schwerter waren, die hier zum Einsatz kamen.
Mach es mir doch noch leichter! Das ist langweilig so! Hörte ich diesen Gott maulen, als er mal wieder lustlos auf mich einschlug!
Du willst es spannender? Mir war der Gedanke gekommen, IHN zu infiltrieren. SEINEN Geist zu manipulieren!
Ahhhhhh, willkommen in meinem Kopf! Jubelte Hrymr, während zeitgleich um mich Wände emporschossen! Dann ist es doch noch so einfach, dich für mich zu gewinnen! Mal sehen, wie lange es dieses Mal dauert, bis dich dein Mann oder dieses andere Pack befreit haben!
Ich war auf den ältesten Trick der Geschichte hereingefallen!

Kapitel 2

~~~ Kampf auf der Jackdaw ~~~

 

Ich war eingesperrt!
Dieser Gott hatte es mal wieder geschafft, mich zu verarschen! Innerlich kochte ich vor Wut über mich selber, über meine Unfähigkeit!
Ich begann mich auf mich zu konzentrieren, hier zählte sonst nichts anderes. Ich würde einen Teufel tun und weiter versuchen, in SEINEN Geist zu dringen. Vermutlich würde ich Dinge sehen, die mir die nächsten hundert Jahre Albträume bescheren würden! Das Risiko wollte und konnte ich nicht eingehen!

 

Langsam ruhte ich in mir, sah Yannick vor mir, wie er seine ersten Schritte tat, wie er strahlend seine Geschenke an Weihnachten auspackte. Meine Gedanken glitten zu Haytham, welcher stolz seinen Sohn im Arm hielt…
Diese ganzen Eindrückte stärkten mich und meinen Geist!
Als ich sicher war, dass mir dieser Gott nichts mehr anhaben konnte, stand ich auf! Immer wieder schlug ich auf die mich umgebenden Steine ein, sagte aber nichts, dachte nur an meine Familie!
Ich sah diese Blockade nach und nach verschwinden, sie rieselte in kleinen Kaskaden herunter!
NEIN! DU BLEIBST HIER! Seine Stimme überschlug sich bereits.
Ob du es nun glaubst oder nicht, aber ich werde nie bei dir bleiben! Niemals würde ich bei Hrymr bleiben.

 

Jetzt begann ein Kampf hier in seinem Kopf, wo er mir eindeutig überlegen war.
Leider spürte ich nämlich nicht mehr die Anwesenheit der anderen Götter!
Nein, fang nicht an an dir zu zweifeln! Du schaffst das! Redete ich mir immer wieder ein. Ein neues Mantra!
Ach Weib, es ist wirklich langweilig mit dir! Vielleicht sollte ich auf deine Tochter warten, bis sie reif genug ist… Bei diesen Worten sah ich ihn vor mir stehen. Bevor er noch weiter sprechen konnte, donnerte ich ihm meine Faust ins Gesicht!
Eugene war in Erscheinung getreten, welchen ich nun mit Faustschlägen, Tritten, Kinnhaken malträtierte! In mir war eine seltsame Kraft, welche ich so noch nicht gespürt hatte.

 

Plötzlich blendete mich ein gleißendes Licht, ließ mich zurückweichen.
Diesen unbedachten Moment nutzte er, um mich mit seinem Säbel zu durchbohren. Ja, genauso war es. Als ich zu meiner Körpermitte sah, steckte die Waffe bis zum Knauf in meinem Fleisch!
Erschrocken keuchte ich auf, mein Atem ging hektisch und langsam sank ich auf die Knie. Mir wurde schwindelig, meine Finger begannen zu kribbeln, mein Kopf wurde leicht…

 

Das war nicht die Realität!
Das war nicht die Realität!
Wieder und wieder sprach ich diese Worte, versuchte mich wieder an die Oberfläche dieses dunklen Sumpfes zu bringen! Vergebens!
Ich strampelte regelrecht, schien darin zu ersticken! Nein, ich wollte hier nicht so enden!
NEIN! Mein ganzer Körper schrie nach Leben, ich war noch nicht bereit zu sterben!
Meine Hand griff nach dem Säbel, zog ihn langsam heraus und mein Blick glitt zu Eugene. Er stand über mir mit einem breiten Grinsen im Gesicht!
Was hast du jetzt vor? Ein letztes Mal aufbäumen, bevor ich mir das nehmen kann, was mir zusteht?
Gar nichts wirst du von mir bekommen.
Flüsterte ich. Mit meiner letzten Kraft erhob ich mich und rammte meinerseits den Säbel in seinen Bauch!
Mit einem erstaunten Blick sah er auf seine eigene Waffe. Aber nichts geschah.
Ich hatte das Gefühl, als wäre die Szene eingefroren.

 

ALEX! Hilf mir!“ Hörte ich die vertraute dunkle Stimme meines Templers in meiner Nähe. Als mein Blick wieder klarer wurde, wurde mir bewusst, dass ich bereits wieder auf der Jackdaw war! Vor mir sah ich einen Mann der Naglfar, welcher mich mit weit aufgerissenen Augen ansah, dann wieder auf den Dolch in seinem Bauch.
Ich hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Es waren wieder nur Bilder in meinem Kopf gewesen und ich hatte gerade jemanden umgebracht!
Ich sah mich um und entdeckte Haytham inmitten einer Gruppe von seltsam aussehenden Wesen. Sie hätten auch aus einem Marvel-Film stammen können. Die Haut glich der von Echsen, aber sie gingen auf zwei Beinen… Ach was solls…

 

Außerdem sah ich, wie Thor und Heimdall Seite an Seite eine andere Gattung von seltsamen Lebewesen dem Garaus machten!
Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich sagen, ich war in die Aufnahmen für einen Fantasyfilm geraten!
Ich rannte in Richtung meines Mannes um ihm beizustehen. Gemeinsam schafften wir es, wenn auch nicht ganz unbeschadet, diese Viecher ihrem Schöpfer zu übergeben!
Aber damit war noch nicht Schluss, denn ich sah, wie auf der Naglfar plötzlich weitere Gestalten auftauchten.
Die Naglfar regeneriert ihn und seine Kraft! War es wirklich so?

 

Ich eilte jetzt hinunter zum ersten Kanonendeck, ließ alles laden und gab dann den Befehl zu feuern. Die darunter liegende Sektion wurde ebenso angewiesen und feuerte nur Sekunden später!
Wieder an Deck sah ich einige unschöne Löcher und Risse in dem schwarzen Holz des Schiffes!
Du wirst mich nicht mit meinem Schiff versenken, Hure! Nicht bevor ich bekommen habe, was mir zusteht!
Die noch intakten Luken der Naglfar öffneten sich, die Kanonen wurden in Position gebracht. Der Befehl aber ließ auf sich warten, was mir natürlich reichte um mein Schiff einigermaßen in Sicherheit zu bringen!

 

Ich ließ unerwartet die Segel setzen! Vorerst nur die nötigsten! Hauptsache wir kamen hier etwas weg, weil ich bemerkte, wie sich der Wind erhob!
„Soll ich dir vielleicht dabei etwas helfen?“ grinste Thor, als er auch schon einen Sturm lostrat! Erst jetzt sah ich, dass plötzlich Edward Junior auf seinem Arm war und ihn anfeuerte! Mein Sohn! Er sollte doch…
„Jetzt hab dich nicht so, ihm passiert schon nichts!“ Augenrollend machte der Donnergott in seinem Tun weiter.

 

Dann hörte ich die ersten Einschläge von Kugeln, ängstlich stürmte ich an die Reling und besah mir die Schäden. Es waren keine großen Geschosse, aber sie waren spitz zulaufend.
Plötzlich stürmten einige Männer hustend und spuckend an Deck!
„Mistress Kenway! Diese Dinger explodieren… da kommt blauer Rauch aus den Viechern…“ keuchte mir ein Kanonier entgegen.
Also hieß es, dass wir schnellstens diese Naglfar unschädlich machen mussten! Meine Taktik von damals mit der HMS Iron Duke kam mir in den Sinn.
„Ja, ich bin immer noch wütend deswegen! Aber… es hat funktioniert. Dann mal los!“ hörte ich den Allvater in dem ganzen Tumult rufen.
Haytham sah mich entgeistert an, dann zu Thor. Als er aber über meine Schulter blickte, weiteten sich seine Augen noch mehr.
Vorsichtig drehte ich mich um, weil ich Angst vor dem hatte, was ich zu sehen bekam!
Brünhild schwebte mit Florence ein wenig über das Deck, aus ihrem Speer zuckten unaufhörlich Blitze, welche die Segel der Naglfar immer wieder trafen und so nach und nach zerstörten!
Jetzt auch noch meine Tochter? Ihr kleines Gesicht strahlte, während sie gemeinsam mit ihrer Patin den Speer hielt.

 

Ich war so perplex, dass ich unter Deck ging, weil wir hier Durchzug brauchten und ich Ablenkung!
Diese Geschosse waren also Bomben, die irgendwas Gasartiges losließen!
Auf der Treppe schoss mir schon ein widerlicher Geruch entgegen! Es mussten sich wohl einige Männer übergeben haben hier, kein Wunder…
Hektisch öffnete ich mit ein paar anderen Besatzungsmitgliedern die Lüftungsluken!
Für den Bruchteil einer Sekunde ging mir die Frage durch den Kopf, wo eigentlich die Kindermädchen waren, oder Michael und Magda.
Darum musste ich mich später kümmern, denn ich hörte schon das nächste Donnern von abgefeuerten Kugeln!
Erfreut stellte ich aber fest, dass wir schon recht gut voran gekommen waren, so dass nur ungefähr sechs dieser Teile meine Brig trafen und sie nur ein wenig ankratzten.

 

Wieder oben an Deck, sah ich, wie sich Hrymr jetzt ebenso auf seinem Schiff blicken ließ. Zum ersten Mal sah ich ihn in seiner Gestalt als Gott. Auch er hatte sich entsprechend manifestiert.
Neben ihm bauten sich vier weitere Gestalten auf.
„Er hat sie wieder zu sich geholt!“ Odin sah hinüber zu seinem Widersacher, als würde er ihn zum ersten Mal bemerken!
„WEN hat er geholt?“ meine Frage wurde vom Kapitän der Naglfar nur dürftig beantwortet.
„Meine treuesten Gefährten!“ sein Lachen war wieder mehr als unangenehm. Aber es erstarb abrupt! „Wie…“ sein Blick glitt an mir vorbei und blieb an Walka hängen!
Die Hündin erhob sich, oder besser sie wuchs! In ihrem Maul erschienen spitze Fangzähne, ihr Fell war lang und zottelig…
Wir alle hörten ihr Ohrenbetäubendes Geheul, welches mich erzittern ließ!
Dann sprang dieses… ich muss es so nennen, Monster mit einem schnellen Satz hinüber zum Totenschiff.

 

Für Walka - Bitte im Hintergrund ab jetzt laufen lassen

 

Mein Sohn schrie ihr noch hinterher, aber es war schon zu spät. Hrymrs Gefährten hatten keine Chance ihren Krallen und den Nadelspitzen Zähnen zu entkommen. Nur den Gott selber ließ sie in Ruhe. Dieser aber wich immer weiter zurück!
„Das ist unmöglich! Er kann nicht…“
Um uns herum schien sich die Welt plötzlich zu schütteln. Diese Erschütterung war so stark, dass ich befürchtete, meine Brig würde in ihre Einzelteile zerlegt werden. Gleichzeitig aber sah ich die Naglfar im Meer verschwinden und mit ihr… Walka!
„NEIN!“ die schrillen Schreie meines Sohnes übertönten sogar den lauten Wind um uns herum! Er versuchte sich von Thors Armen zu befreien, dieser hielt ihn aber eisern fest. „Du kannst nichts mehr für sie tun.“ diese Trauer in der Stimme des Gottes war herzzerreißend!

 

Wie versteinert stand ich da und sah auf diese Szenerie. Es war ein Albtraum, oder? Ich würde gleich aufwachen! Bitte, lass mich aufwachen!, flehte ich!
Langsam legte sich der Sturm, die Mannschaft reffte die Segel und ließ den Anker fallen. Es brauchte noch nicht einmal Befehle von mir!
Meine Kinder!, war der nächste Gedanke. Brünhild und Thor ließen sie jetzt runter. Die beiden rannten auf mich und Haytham zu, welchen ich bis jetzt gar nicht weiter mehr beachtet hatte. Es war einfach keine Zeit gewesen!
„Mama, hol Walka wieder!“ Edwards Weinen trieb mir ebenfalls die Tränen in die Augen, aber es lag nicht in meiner Macht. Auch wenn ich diese eigentlich „aufgedrückt“ bekommen habe damals, zu entscheiden, wer lebt und wer stirbt. Hier war es aber noch nicht an der Zeit. Mein Blick zum Allvater sagte mir genau das!
„Es tut mir so leid, min lille skat.“ vorsichtig strich ich über seinen Kopf, während ich auf der anderen Seite Florence versuchte zu beruhigen.

 

Erst jetzt schienen alle wieder in die Realität zu kommen. Mr. Hargreaves war als erster wieder in seinem Element und delegierte die Mannschaft entsprechend für Ordnung zu sorgen, die Schäden zu inspizieren und so weiter.
Haytham kniete nun auch neben uns. In seinen Augen sah ich ebenfalls diese Trauer.
„Edward, sie hat uns alle gerettet. Denk immer daran.“ flüsterte er, als er ihn auf den Schoß nahm.
„Aber… wer beschützt MICH jetzt?“ Unser Sohn klammerte sich an seinen Vater in der Hoffnung, dass ER etwas unternehmen würde.
„WIR werden das tun.“ wie aus einem Mund hatten alle Götter gleichzeitig gesprochen. Das reichte aber Edward nicht. Er würde noch lange seiner treuen Gefährtin hinterher trauern, befürchtete ich.
Auch Florence kullerten die Tränen über die Wange, während sie ihre kleine Hand auf Edwards Wange legte.
Ich werde sie mit Brünhild sicher nach Asgard bringen diese leise Stimme konnten vermutlich nur wir hören. Doch auch das war für ihn kein Trost.

 

„Edward mein Schatz! Komm!“ diese Stimme kannte ich. Ich sah in die Richtung. Dort stand sie, Idun! In ihrer leuchtenden Gestalt und reichte meinem Sohn ihre Hand. Beide gingen zur Reling, wo sie Edward darauf hob.
„Und jetzt, nimm diesen Apfel… siehst du sie?“ flüsterte die Göttin. „Konzentriere dich..“ Von dieser goldenen Kugel ging ein immer stärker werdendes Leuchten aus, ebenso strahlte die Haut meines Sohnes. Deshalb sollte ich nach dem richtigen Artefakt damals suchen!
Die Lichtstrahlen trafen auf die Wasseroberfläche. Es sah aus, als würde sie dadurch geteilt. Ein Trichter entstand…
„Das machst du hervorragend… weiter… du kannst das!“ Iduns Stimme war immer noch sanft und leitete ihn an, sich auf seine Gefährtin zu konzentrieren.
Vermutlich sah es bei Moses auch so aus, als er das rote Meer geteilt hat, hier sah man allerdings in einen Strudel.

 

Immer wieder drohte er sich zu schließen, jedes mal sagte Idun, Edward solle seine Gedanken bündeln.
Mit einem lauten Platsch schloss sich dieser Trichter auf dem Meer.
Wir alle eilten an die Reling, um zu sehen, was genau passiert war!
Ich traute meinen Augen nicht! Vor uns paddelte Walka auf die Jackdaw zu und ehe ich etwas unternehmen konnte, sprang klein Kenway ihr entgegen! Odin sei Dank, konnte er schon schwimmen und die See war Dank Thor auch ruhig!
Haytham zog sich hastig seine Stiefel und den Mantel aus, damit er ihm helfen konnte. Die Männer ließen die Jakobsleiter herunter um ihnen wieder hinauf zu helfen!
Ich konnte nicht anders, ich heulte! Dieser Anblick war einfach… ich kann es nicht in Worte fassen!

 

„Ich habe mein Kind schon einmal verloren, das sollte nicht noch einmal geschehen. Ich danke dir, Idun.“ neben mir sah ich wie Loki dankbar Mutter Idun umarmte.
„Walka… sie ist wirklich Fenrir? Aber…“ mir fehlten die Worte!
„Du hast deinen Hengst nach ihm benannt, also warum sollten wir dann nicht einfach auch einen Gefährten an die Seite dieser Hündin stellen. So ist dein Kind zusätzlich immer beschützt.“ Wer würde diesem trickreichen Gott so eine warmherzige Seite schon zutrauen? „Na na na… du weißt doch…“ Ja, Loki war im tiefsten Inneren kein wirklich schlechter Mensch… nein Gott…

Kapitel 3

 

~~~ 10. September 1768 ~~~

 

Edward war überglücklich, als er mit Walka wieder an Deck war. Die Hündin schlabberte aufgeregt über sein Gesicht. Sie genoss diese große Aufmerksamkeit, weil auch die Mannschaft sie tätschelte und knuddeln wollte.
„Ich hab dich doch lieb!“ mein Sohn klebte an diesem Tier, wir konnten ihn kaum dazu bewegen, sich trockene Sachen anzuziehen.
Erst jetzt hatte ich die Zeit mir meinen Mann genauer anzusehen, auch er stand wie ein begossener Pudel daneben.
„Mi amor, auch du musst dir was trockenes anziehen, ich will nicht, dass du noch krank wirst.“ flüsterte ich leise, während ich ihn hinter mir herzog.

 

In meiner Kajüte ließ er sich seufzend auf einen Stuhl sinken, zog mich aber zu sich und schlang seine Arme um mich. Sein Kopf ruhte auf meinem Bauch, sodass ich ihm vorsichtig durch die Haare streichen konnte.
„Das war grausam, mi sol. Edward tat mir so leid.“ seine Stimme versagte dabei, was ich ihm nicht verübeln konnte.
„Mir tat er auch leid. Ich danke dir, dass du hinterher gesprungen bist, mi amor! Ich bin aber immer noch völlig durcheinander, weil… meine Wunde am Bauch nicht existiert, die Götter aber noch alle da sind. Die Mannschaft scheint auch kein Problem damit zu haben. Haytham, was ist hier los auf einmal?“ die Worte sprudelten plötzlich aus mir heraus, weil mein Verstand erst jetzt wieder richtig begann zu arbeiten.
„Im Grunde hast du alles selber miterlebt, aber es gab wieder diesen einen Moment, in welchem du auf einen der Männer von Hrymr losgegangen bist. Du hast mit ihm gestritten, verstehen konnten wir es aber nicht genau. Du hast eine andere Sprache benutzt. Odin hat für mich immer mal übersetzt. Aber deine Wunde, von der du sprichst, war nie wirklich da. Dieser Mann vor dir hatte lediglich versucht mit einem kleinen Messer auf dich loszugehen! Die winzige Fleischwunde die er damit verursacht hat, ließ Edward mit Idun im Nu verheilen… Den Rest weißt du ja selber. Aber es ist ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass wir jetzt wirklich diese Trugbilder auseinander halten können. Hrymr war außer sich, als er sah, dass er dich in seinem Geist nicht aufhalten konnte.“ plötzlich kicherte mein Mann. „Du hättest sein wütendes Gesicht sehen sollen, mi sol.“

 

Also war der Kampf zwar real gewesen, aber immer noch unterlegt von einzelnen imaginären Bildern.
„Er hatte mal wieder versucht, dich für seine Zwecke zu nutzen. Aber ich würde dich unter tausenden an deinem Lavendel-Geruch erkennen.“ hauchte ich, weil ich Haytham das schon einmal so gesagt hatte. Mir huschte dabei ein Grinsen über das Gesicht.
„Da bin ich ja froh, wenn du nicht noch tiefergehende Forschungen anstellen musst, um sicher zu gehen, dass ich es wirklich bin…“ mir kam ein tiefes Seufzen über die Lippen.
„Ich würde gerne diese Forschungen vorantreiben, aber lass uns das auf später verschieben.“ Wir mussten uns um unsere Kinder, die Mannschaft, die Götter und um die Schäden an meinem Schiff kümmern.
An diesem Abend feierten wir gemeinsam mit gutem Ale, Wein und Gesang diesen kleinen ersten Erfolg im Bezug auf die Jagd nach Hrymr.

 

In den nächsten Wochen verbrachte ich viel Zeit mit Florence und Edward. Mir war klar geworden, dass ich immer wieder unterschätzte, wer ihnen zur Seite stand.
Eines Abends, als ich meinen Sohn zu Bett brachte, fragte er, ob er wenn er groß ist, auch so stark wie Thor sein wird. Ob er auch nach Asgard kommt und so weiter.
„Das weiß ich nicht. Aber ich glaube, du wirst so kämpfen können. Außerdem hast du ja gesehen was du mithilfe von Mutter Idun und einem Artefakt erreichen kannst.“
Ich hatte ihn nach dem Ereignis gefragt, was er für Bilder gesehen hatte. In seiner noch recht kindlichen Art, schilderte er mir, dass er sich Walka im James River vorgestellt hatte, wie sie mit ihm im Wasser gespielt hatte.
Diese Erklärung fand ich sehr schön und vor allem beruhigend.

 

Florence hingegen hatte noch eine Weile mit dem Ganzen zu kämpfen, weswegen sie einige Nächte auch bei Haytham und mir schlief.
Hrymr hatte sich tatsächlich in ihren Geist eingeklinkt. Er hatte sie wissen lassen, dass er mich beiseite schafft, damit ich keinen Einfluss mehr nehmen könnte. Das alles konnte ich in ihrem Kopf sehen. Wie grausam kann man sein, einem kleinen Kind so etwas zu zeigen? Tief in mir wünschte ich mir den Tag herbei, diesen Widerling endlich zur Strecke bringen zu können!
Ab diesem Zeitpunkt seltsamerweise begann unsere Tochter noch eifriger zu sprechen, sie schien zu wissen, dass sie sich artikulieren können muss. Das klingt vermutlich völlig absurd, aber genau diesen Eindruck erweckte sie!

 

Ich bekam die Gelegenheit mit Brünhild zu sprechen, welche mir noch einmal versicherte, sie hätte Walka gebührend begleitet. Als sie jedoch sah, dass Edward diese Trauer plagte, hatte sie mit Mutter Idun diesen Plan geschmiedet. Für uns waren Minuten verstrichen, in ihrer Welt waren Tage vergangen, erklärte sie mir noch einmal.
Meine Dankbarkeit für diese Rückführung konnte ich kaum in Worte fassen, vor allem wenn ich Edward mit seiner Gefährtin spielend über das Deck rennen sah.

 

Ab jetzt würde es nur noch ungefähr zwei Wochen dauern, erklärte Mr. Hargreaves und hatte mir und Haytham auf der Karte gezeigt, wo wir gerade sind.
Mein Finger glitt den Weg darüber nach Hause… Ich mag es woanders zu sein, keine Frage. Aber ich liebte es auch, wieder in meinem eigenen Bett zu schlafen. Das war schon immer so.
Mom, ach komm. Lass uns doch dieses Jahr endlich mal nach Italien fahren! Da gibt es auch Betten und das Essen magst du auch!“ Yannick hatte mich immer wieder versucht in einen Urlaub zu drücken. Weiter als in meine alte Heimat hatte ich es nie geschafft! Zumindest im Privaten, die Reisen nach Korsika und Russland waren etwas anderes. Das reichte mir und meinem Wohlbefinden.

 

Was vor allem nach dem Kampf mit der Naglfar noch wichtig war, war die Mannschaft einzunorden. In Zukunft könnte uns das bestimmt noch einmal passieren. Also erteilte mir der Göttervater die Erlaubnis, die Männer einzuweisen. Es brauchte sage und schreibe eine Woche um sie alle aufzuklären, ihnen die Mythologie, meinen Glauben und so weiter, näher zu bringen.
„Mistress Kenway, aber dann brauchen wir uns ja nie wieder Sorgen machen. Die Götter beschützen euch und uns immer.“ eine logische Schlussfolgerung, welche aber in normalen Kriegssituationen so nicht stimmte.
Nach und nach begriffen die Männer aber, worauf es ankam, dass sie aber nicht damit hausieren gehen durften!
„Dabei wären das wunderbare Geschichten für Rupert! Mein Sohn liebt Abenteuererzählungen über alles.“ Welcher Junge tat das nicht?

 

In den ganzen Monaten hatte ich Magdas und Michaels Sohn bewundert, er war seefest, außerdem begann er zu sprechen. Er war ein kleiner Sonnenschein, man bemerkte ihn kaum. Leider ging das alles in dem ganzen Tumult unter und auch dort plagte mich hin und wieder mein schlechtes Gewissen.

 

Seit dem Vorfall mit Hrymr hatte sich Walka verändert, sie war zwar immer noch dicht an Edwards Seite, aber etwas in ihren Augen war anders.
„Mama, ich glaube sie hat auch ganz viel gelernt, als ich sie aus dem Wasser geholt habe.“ flüsterte mein Sohn mir eines Abends ans Ohr, so als dürfte seine Gefährtin es nicht hören.
„Siehst du! Dann lernt ihr gemeinsam, min lille skat!“ ich sprach ebenfalls ganz leise.

 

Dann endlich am 20. September sah ich unsere Anlegestelle, welche in der untergehenden Sonne lag.
„ENDLICH!“ rief ich über die Schulter meinem Mann zu, welcher mit den Kindern auf einer der Truhen saß und ihnen vorlas.
Kurz nach unserem Anlegen, rannte Edward von Bord, weil er Gilbert und Jessy schon gesehen hatte. Die Jungen begrüßten sich stürmisch und schon wurden unserem Sohn die tollsten Neuigkeiten erzählt.
Auch ich war dankbar, wieder an Land zu können, auch wenn wir dieses mal von bösen Unwettern verschont geblieben waren.
Die Wiedersehensfreude war wieder einmal Herz zerreißend. Jeder lag gefühlt jedem im Arm, begrüßte seine Freunde, Familie und so weiter.

 

Ich hingegen überwachte noch kurz das Entladen, dann setzte ich mich ebenfalls in die Kutsche, welche uns in unser Heim bringen sollte.
Wie immer, als ich die Eingangshalle betrat, schnippte ich die Schuhe von den Füßen und genoss diesen harten Dielenboden unter mir.
Florence stand neben mir, wankte aber immer noch gefährlich hin und her.
„Mama…“ jammerte sie plötzlich und erbrach sich auf dem Teppich. Da war die Seekrankheit mal umgekehrt. Tabea hatte aber schon eines der Mädchen angewiesen, die Sauerei wegzumachen.
Für später hatte ich ein Bad in Auftrag gegeben, welches wir ALLE dringend brauchten. Edwards Haare standen in alle Himmelsrichtungen, da half auch keine Bürste mehr. Bei Florence sah es nicht viel anders aus.

 

Aber fürs erste, weil es erst später Nachmittag war, machten wir uns alle auf zu den Pferden. Besonders unser Sohn wollte Darius sehen! Da fiel mir auch wieder ein, dass ich in den nächsten Tagen ein Schreiben an Master Gillehand verfassen sollte. Florence sollte ja auch ein eigenes Pferd bekommen.
Zur großen Erleichterung aller, waren alle Pferde gesund und wohlauf!
Mr. Mackenzie besprach sich kurz mit Haytham, wegen der bevorstehenden Wintervorräte und einer eventuellen Erweiterung des Stalls, da im Zuge der Vergrößerung der Felder auch einige Arbeitstiere dazukämen im kommenden Jahr.
Ich hingegen hatte Florence auf dem Arm, damit sie Brida und Fenrir ausreichend streicheln konnte.
„Mama, ich auch … ich auch…“ hibbelte sie herum.
„Min lille engel, wir werden Master Gillehand einen Besuch in den nächsten Wochen abstatten und mal schauen, vielleicht bekommst du dann auch ein eigenes Pferd.“ lächelte ich sie an.

 

Ihre kleine Katze hatten wir in einem vergitterten Körbchen im Haus gelassen, damit sich das Tier langsam an die neue Umgebung gewöhnen konnte. Auch dort würde Florence jetzt lernen, Verantwortung zu übernehmen. Im Grunde ging ich davon aus, dass Mina aber keine reine Hauskatze werden wird, weil wir gar nicht die Möglichkeit hatten, immer darauf zu achten, dass sie wieder zurück kam. Ich malte mir schon aus, dass meine Tochter des öfteren in Zukunft mit dicken Tränen da sitzen würde.

 

Nachdem die Tiere ausgiebig inspiziert worden waren, mein Mann alles besprochen hatte, war auch schon das Abendessen fertig. Ich freute mich riesig auf ein gutes Essen, ohne aufpassen zu müssen, dass der Teller nicht vom Tisch rutscht.
Jetzt saß auch unsere Tochter in ihrem eigenen Hochstuhl, wohingegen Edward eine kleine Erhöhung für seinen normalen Stuhl bekommen hatte. Sybill und Sophia hatten bereits für die beiden alles ausgepackt, so konnten sie sich nun um ihre Schützlinge kümmern.
Ich freute mich schon auf das Bad im Anschluss.

 

Leider kam es anders, weil der Alltag uns sofort wieder eingeholt hatte.
Mr. Robinson und zwei Vorarbeiter waren erschienen und baten um ein Gespräch, es sei dringend.
Wir gingen in Haythams Arbeitszimmer, wo noch nicht einmal alles wieder verstaut war. Die Kinder wurden unterdessen ohne uns gebadet.
„Es ist mir etwas unangenehm, euch gleich bei eurer Ankunft so zu überrennen. Aber die Neuigkeiten dulden keinen Aufschub.“ Der Aufseher begann von einigen Banditen, Dieben und anderem Gesindel zu berichten, welches sich mal wieder hier herumtrieb. Dieses mal jedoch waren sie hartnäckiger und nicht so leicht zu vertreiben gewesen! Immer wieder fand man die Überreste von kleinen Camps oder Lagern in unmittelbarer Nähe der Plantage.
Nicht nur wir waren betroffen, auch die anderen Nachbarn.
Besonders schlimm hatte es die Donovan-Plantage erwischt, wo sich im Mai ein Großbrand ereignet hatte. Dabei waren 5 Männer beim Versuch zu Löschen ums Leben gekommen. Das Herrenhaus war Odin sei Dank nicht betroffen, aber der Nutzvieh-Stall und 6 große Felder, wo Mais und Baumwolle angepflanzt wurde. Leider war nichts für die Ernte zu retten gewesen, weswegen wir dort einige Einbußen haben würden.
Verantwortlich für diesen Brand waren, laut des einen Vorarbeiters, diese Vandalen!

 

„Sie kommen aus dem Hinterland! Sind alle dumm wie ein Weizenkorn! Nicht einmal deutlich sprechen können sie!“ fluchte er lautstark, als er von einer Begegnung mit ihnen sprach. „Es wäre gut, wenn wir sie endlich vertreiben könnten. Aber das wird immer schwieriger!“ Diese Meute schien nicht kleiner zu werden, im Gegenteil! „Einer verschwindet, dafür tauchen gefühlt 2 neue auf!“
Wir würden uns also damit in den nächsten Wochen beschäftigen müssen. Auch die Nachbarn wussten schon Bescheid und hatten sich entsprechend vorbereitet!
Morgen werde ich dann auch eine Nachricht an die Williams-Plantage schicken. Wir sollten mitteilen, dass wir wieder im Lande waren. Insgeheim hoffte ich, dass auch Faith wieder daheim sei.

 

Nachdem Haytham mit den Herren das weitere Vorgehen besprochen hatte, entließen wir sie für den Abend. So langsam wurde ich nämlich müde. Außerdem wollte ich auch noch baden. Wenn möglich nicht alleine!
Auf dem Weg in den Keller hörte ich bereits freudiges Lachen von Edward und Florence. Beide waren noch am Planschen, die Haare sahen aber schon mal wieder ordentlich aus.
Als sie mich sahen, kam gleich ein „Kommst du auch mit rein, Mama!“ vom kleinen Kenway.
„Nein, ihr müsst jetzt aus dem Wasser raus. Ihr seid schon ganz schrumpelig.“ kicherte ich, nachdem mir Florence ihre Hände entgegen gestreckt hatte.
„Na guuuuut…“ da war jemand nicht so ganz mit meinem Vorschlag einverstanden.
Gemeinsam mit Sybill und Sophia machte ich meine Kinder bettfertig.
Gerade als ich auf der Treppe mit ihnen war, kam Haytham aus dem Schlafzimmer im Morgenrock.
„Ahhh, wie ich sehe, kann man euch wiedererkennen!“ Florence und Edward bekamen beide noch einen Kuss, ehe mein Mann nach unten verschwand.
„Willst du mit Papa baden?“ fragte unsere Tochter mit zitternden Lippen, weil sie nicht mehr ins Wasser durfte.
„Ja, auch ich muss doch sauber sein, min lille engel.“

 

Das erste Mal ins Bett bringen daheim ist immer etwas schwierig.
Aber ich wäre ja nicht weit weg, versicherte ich ihnen noch eindringlich. Dann endlich konnte auch ich mich im warmen Wasser entspannen. Es war eine echte Wohltat, wie mir Haytham ebenfalls bestätigte.
„Bei Gott, ich habe diese Annehmlichkeit vermisst.“ stöhnte er, als er sich langsam ins Wasser gleiten ließ, mich aber dabei mit sich zog.
„Hmmmmmmmmm…“ mehr kam nicht über meine Lippen. Mit dem Rücken lehnte ich mich an seine Brust. Wir genossen diese Wärme, die Nähe des anderen. Kurzum, diese Ruhe breitete sich aus.
Schnell bemerkte ich aber, dass meinem Mann nicht unbedingt der Sinn NUR nach Ruhe stand. Ich hatte seine Hände, seinen Körper ebenso vermisst und so holten wir einige Wochen Abstinenz innerhalb von wenigen Minuten nach!

 

Außer Atem und leicht verschwitzt trotz des Wasser, saß ich wenig später auf seinem Schoß. In seinen Augen lag diese wundervolle Befriedigung, die sich auch auf seinem Gesicht widerspiegelte.
„Ich habe dich vermisst.“ flüsterte er leise in meine wirren Haare. „Hoffentlich muss ich in absehbarer Zeit nicht schon wieder so lange warten…“ dabei glitten seine Hände über meinen Rücken hinunter zu meinem Po und blieben dort massierend liegen.
„Ich hege dieselbe Hoffnung, mi amor. Aber wir haben ja jetzt noch ein wenig Zeit und Gelegenheit…“ mit seinen Lippen versiegelte er meinen Mund, während er mich langsam von sich herunterhob.
„Die haben wir, mi sol…“ vorsichtig drehte er mich mit dem Rücken zu sich, gleichzeitig schob er mich an den Rand, so dass ich mich darauf abstützen konnte. „Gib mir deine Hände…“ mit einem festen Griff hielt er sie auf meinem Rücken.
In meinem Kopf bekam ich wieder meinen geliebten Templer, seine Befehle und Wünsche…

Kapitel 4

~~~ Darf ich endlich lernen? ~~~

 

Im Anschluss saßen wir einen Moment hinten auf der Terrasse, weil die Temperaturen noch recht angenehm waren.
Wirklich zur Ruhe kam ich aber nicht, weil mir diese Banditen einfach nicht aus dem Kopf wollten. Immer wieder lauschte ich auf verdächtige Geräusche im Garten.
„Alex, bitte! Unsere Wachen würden sofort Alarm schlagen, wenn sich hier Gesindel rumtreiben würde!“ versuchte Haytham mich zu beruhigen.
„Trotzdem! Ich kann nicht anders…“ nuschelte ich nörgelig, weil es mir ja selber auf die Nerven ging im Grunde.

 

In der Nacht hörte ich dann leises Tapsen auf der Galerie vor unserer Tür, welche vorsichtig geöffnet wurde.
„Mama…“ flüsterte Edward. „Bist du wach? Ich kann nicht schlafen.“
„Dann komm her, min lille skat.“ sprach ich ebenso leise, Haytham hatte es aber bereits mitbekommen.
„Junger Mann, du hast ein eigenes…“ unser Sohn unterbrach ihn entschuldigend.
„Vater, es ist aber so still. Da höre ich immer was ich denke. Das ist unheimlich…“ damit kuschelte er sich direkt an die Seite von Haytham.
„Aber nur heute Nacht.“ mein Mann versuchte etwas streng zu klingen, was ihm gründlich misslang, weil er herzhaft dabei gähnen musste.
Walka blieb vor unserem Bett auf dem Boden zusammen gerollt liegen.
Kurz darauf waren wir alle wieder eingeschlafen.

 

Der Morgen begann mit einer, mal wieder, sehr aufgeregten Mrs. Wallace, welche erneut dachte, dass ihr Schützling verschwunden war.
„Edward! Geh schnell und sag Sybill, dass du bei uns geschlafen hast.“ grinste ich, neben mir musste sich mein Templer auch ein leises Lachen verkneifen.
„Vielleicht sollte er immer eine Botschaft für sie hinterlassen…“ das ist ein hervorragender Vorschlag, leider konnte unser Sohn aber vorerst nur seinen Namen, Mama und Papa schreiben.
Die Schule! Ich musste mit den Eheleuten Hathaway darüber sprechen, ob es wirklich schon sinnvoll war, Edward bereits jetzt zu unterrichten.

 

Florence erzählte während des gesamten Frühstücks munter vor sich hin. In einem Kauderwelsch, welches wir alle nicht so ganz verstanden! Ab und an konnte ich ein Wort verstehen, oder mir etwas zusammenreimen.
„Flo, red ordentlich! So versteh ich dich nicht!“ ihr Bruder klang ziemlich genervt, vermutlich weil auch er sich versuchte darauf zu konzentrieren.
Ein tiefes Seufzen meiner Tochter zeugte von ihrem eigenen Frust, dass man sie nicht verstand. Prompt begann sie zu weinen.
„Papa! ARM!“ jammerte sie mit einem Mal. Natürlich tat Haytham ihr den Gefallen.
„Was gibt es denn so wichtiges, was du uns schon beim Frühstück erzählen willst?“ fragend sah er sie an.
Es kam aber wieder nur ein Durcheinander an Sprachen und Wörtern aus ihr heraus.

 

Meine Liste für heute sah vor, dass ich ein Schreiben an Mr. Gillehand verfasste, wo ich mich und die Kinder für einen Besuch anmeldete. Haytham hatte mir schon mitgeteilt, dass er leider nicht mitkommen würde. Er müsse sich hier mit den widrigen Umständen der Überfälle und einiger Ernteproblematiken befassen. Wie schon erwähnt, von der anderen Plantage fehlten einige Einnahmen leider.
Anfang Oktober würde sich anbieten für den kleinen Ausflug. Wir würden auch nur wenige Tage dort bleiben vermutete ich.
Eine weitere Nachricht ging an die Williams-Plantage, immer noch hatte ich die Hoffnung, dass Faith bereits wieder oder besser NOCH hier war. Da war man sich ja nie ganz sicher.

 

Damit kam ich dann zu meinem wichtigsten Punkt auf der gesamten Liste, den ich im Grunde immer nur wieder aufgeschoben hatte. Entweder weil es die Zeit nicht zuließ oder andere Dinge, wie Schwangerschaften mich daran hinderten!
Das Zusammentreffen mit Achilles Davenport!
Wenn ich mich nicht beeilte, dann würde Connor vermutlich schon bei ihm sein. Das wollte ich unter allen Umständen vermeiden! Es musste erst einiges im Vorfeld geklärt sein.
„Alex, ich weiß nicht, ob du dort alleine hinreisen solltest. Vielleicht besprichst du dich noch einmal mit Shay. Er kennt diesen Mann besser!“ Haytham war es immer noch nicht wirklich recht, dass ich den alten Mentor seines besten Freundes traf.
„Ich weiß aber nicht, was das bringen sollte. Ich habe genug über ihn erfahren, dass ich sagen kann, er wird mich nicht gleich erschießen, wenn ich deinen Namen erwähne.“ in diesem Moment dachte ich wirklich darüber nach, wie dieser Herr reagieren könnte, wenn er erfuhr, dass ich mit dem Mann verheiratet war, der für seine Verwundung verantwortlich war.
„Seien wir ehrlich, er wird nicht gut zu sprechen sein auf mich.“ Nein, mein Mann hatte sich mit seiner Aktion keinen Gefallen getan. Im Grunde können wir von Glück reden, dass Shay ihn in seinem Vorhaben, Achilles zu töten, unterbrochen hatte. Dennoch! Achilles wird sicherlich immer noch humpeln und Schmerzen haben.
„Die habe ich auch immer noch von Lucios Schwertattacke.“ fauchte er mich an. Daran hatte ich gerade gar nicht mehr gedacht.
„Das glaube ich dir…“ flüsterte ich etwas verlegen.

 

Da ich aber einige Wochen unterwegs sein würde, plante ich für die Reise zu Master Davenport erst den kommenden Februar ein. Ich würde mich mit Fenrir alleine und einer Wache auf den Weg machen.
So verging der Vormittag mit Schreibarbeit und ohne größere Vorkommnisse.
Mr. Hargreaves war noch erschienen um die Gelder für die Mannschaft in Empfang zu nehmen. Außerdem berichtete er mir von den Reparaturen an meiner Brig, die jetzt anfingen.
Mindestens 4 Wochen müsste ich auf die Jackdaw verzichten. Ein wenig besorgt war ich schon, was ist, wenn wir dringend irgendwohin mussten? Aber ändern konnte ich es leider nicht.

 

Außerdem bat ich die Eheleute Hathaway um ein Gespräch am Nachmittag. Gerade wären sie vermutlich noch beschäftigt in der Schule. Ich nahm mir vor, dass auch Edward dabei sein sollte, damit sich die Lehrer ein Bild von ihm machen konnten.
Trotzdem wäre es noch recht früh, er wurde in zwei Monaten erst 5. Ich selber wurde mit 6 Jahren eingeschult, machte das aber einen so großen Unterschied, wenn die Lernbereitschaft doch da ist? Bis Januar wollte ich mir selber noch Bedenkzeit einräumen.
Mit diesem Gedanken ging ich hinunter zu Haytham.
„Bist du damit einverstanden, wenn wir Edward im Januar in die Schule schicken?“ ich lehnte hinter ihm mit den Armen um ihn geschlungen. Ich sah, er überarbeitete gerade das Geschäftsbuch für die ehemalige Donovan-Plantage.
„Hm, ehrlich gesagt, habe ich noch gar nicht über einen Zeitpunkt nachgedacht.“ grübelte mein Templer leise vor sich hin. „Aber er würde gerne mit den anderen Kindern zusammen sein. Wann werden die Hathaways hier erscheinen?“
Ich hatte 16 Uhr vorgeschlagen, eine gute Zeit wie ich fand.

 

Das Mittagessen war recht anstrengend, weil, wie ich schon befürchtet hatte, Mina einfach auf und davon war, kaum dass Florence sie aus ihrem Körbchen gelassen hatte.
Meine Tochter weinte ununterbrochen, wollte nicht essen, geschweige denn trinken. Immer wieder machte sie Anstalten aufzustehen, aber Sophia hielt sie mit mir zusammen auf.
„Min lille engel, deine Katze kommt sicher wieder. Sie will ihr neues Zuhause auch einmal erkunden.“ erklärte ich auch für mich als Beruhigung. Vermutlich würden Tage vergehen, bis wir das kleine Knäuel wiedersehen würden.
„Chat … wieder ... hier … haben …“ zwischen den Worten schluchzte sie unentwegt. Dazu kam auch der französische Ausdruck für Katze, was ich interessant fand, dass Florence das behalten hatte.
„Mein Engel, sie kommt sicher wieder. Was meinst du? Wollen wir nachher einmal nach ihr suchen?“ fragte Haytham, was ihr ein breites Lächeln entlockte.
„Ja …“ jubelte unsere Tochter und klatschte dabei in die Hände.
„Ich kann auch mitkommen. Ich finde Mina ganz bestimmt. Vater hat gesagt, dass ich meinen Adlersinn noch üben muss.“
Leider musste ich allen dreien jetzt den Wind aus den Segeln nehmen, weil wir noch den Termin mit den Lehrern hatten.
„Mi sol, ich glaube, das bekommst du mit Edward auch ganz alleine geregelt.“ mein Gatte sah mich auffordernd an, dem zuzustimmen. Er konnte seiner Tochter kaum einen Wunsch abschlagen, dafür verzichtete er sogar auf das Recht des Familienoberhauptes, wie es schien.
„Na gut. Edward, du kannst ja dann später deiner Schwester beim Suchen helfen. Aber erst werden wir mit Mr. und Mrs. Hathaway über einen Schulbesuch für dich sprechen!“ ich brauchte nichts weiter sagen, er war sofort Feuer und Flamme!
„Ich darf endlich mit Gilbert und Jessy lernen?“ nun war auch er glücklich, Odin sei Dank.

 

Die nächsten Stunden machte mich Edward wahnsinnig! Alle Nase lang fragte er, wann die beiden endlich erscheinen, ob es noch lange dauert und so weiter! Er saß keine Sekunde wirklich still, was auch Walka nervös werden ließ. Sie tigerte genauso unruhig herum. Kurzerhand scheuchte ich die beiden nach draußen. Die Sonne schien, da sollten sie sich ruhig austoben.
Ich hingegen setzte mich auf die Terrasse mit einem Buch und einer Tasse Kaffee.
„Mi sol, Edward ist ja nicht aufzuhalten!“ kicherte Haytham hinter mir, als er im Garten seinen herum rennenden Sohn beobachtete.
„Ich hätte erst etwas sagen sollen, wenn die Hathaways hier angekommen wären.“ aber ich musste auch grinsen.

 

Dann endlich wurden uns die beiden angekündigt, während Florence sich mit ihrem Vater auf machte, Mina zu suchen.
„Mistress Kenway, es ist schön euch wiederzusehen. Wie ist es euch in Europa ergangen?“ bewusst ließ Mr. Hathaway das Thema Schulbesuch noch ruhen, weil er gesehen hatte, dass Edward aufgeregt neben mir saß.
Ich spielte mit und berichtete ein wenig von den Vorkommnissen in London oder auch in Frankreich.
„Mama, nun sag schon, dass ich zur Schule soll.“ flüsterte klein Kenway in mein Ohr.
„Master Edward! Aber seid ihr nicht zu jung dafür?“ lächelte die Lehrerin ihn an.
„Nein, ganz bestimmt nicht…“ mit einem Satz war mein Sohn aufgesprungen und im Haus verschwunden! Ich wollte ihn gerade entschuldigen, weil ich dachte er sei wütend wegen dieser Frage. Aber weit gefehlt!
Mit einem Zettel und einem Kohlestift in der Hand erschien er wieder auf der Terrasse. Beides legte er vorsichtig auf den Tisch, setzte sich und begann seinen Namen zu schreiben, ebenso Mama, Papa mit der englischen Bezeichnung zusätzlich. Stolz reichte er nun den Eheleuten sein Werk.
„Ich kann schon ganz toll schreiben!“ mit stolzgeschwellter Brust stand er da.
„Das sehe ich, Master Edward! Ihr habt fleißig geübt wie ich sehe. Könnt ihr denn auch schon rechnen?“ fragte Mr. Hathaway jetzt leise.
„Ähm…“ mein Sohn sah mich verzweifelt an, weil er zwar ein bisschen addieren konnte, traute sich aber anscheinend nicht, es zu sagen. Aufmunternd nickte ich ihm zu, er solle es ruhig zeigen. „Ich… ich weiß was 1 plus 1 ist und auch 5 plus 6.“
„Hervorragend! Wirklich! Wie sieht es mit dem Lesen aus? Euer Vater berichtete, dass ihr auch das fleißig geübt habt.“ Wann bitte hatte Haytham mit ihnen darüber gesprochen? Wir waren doch gerade erst wieder hier.

 

Er reichte meinem Sohn ein kleines Büchlein, schlug es auf und deutete auf eine Zeile. Ich sah, dass es eine Lesefibel war.
Angestrengt stand Edward davor, fuhr mit seinen kleinen Fingern die Buchstaben entlang, öffnete immer wieder den Mund. Aber es hatte den Anschein, als traute er sich nicht, weil er Angst hatte Fehler zu machen.
„Nur zu, Master Edward. Wörter beißen nicht.“ lächelte Mrs. Hathaway ihn aufmunternd an.
Stotternd begann er „Ddder … Hhhhund … be… bbbbe… bellt!“ mit hochroten Wangen sah er zu uns auf.
„Hervorragend, Master Edward!“ der Lehrer wuschelte ihm durch die Haare. Stolz sah mich mein Sohn an.
„Kann ich jetzt wieder spielen gehen?“ mehr Konzentration konnte er also noch nicht aufbringen, was mir zeigte, wir sollten wirklich noch bis mindestens Januar mit dem Schulbesuch warten. Außerdem gefiel mir das Stottern nicht. Entweder lag es an der Aufregung oder er hatte wirklich ein Sprachproblem.
Wir entließen ihn alle. Fröhlich vor sich hin jubelnd rannte Edward jetzt nach vorne um seinem Vater und seiner Schwester beim Suchen der kleinen Mina zu helfen!

 

„Euer Sohn ist wirklich schon sehr weit für sein Alter. Wann ist sein Vater in die Schule gekommen?“ fragte mich unser Prediger.
„Mein Mann wurde daheim unterrichtet, er hatte Hauslehrer. Schon recht früh, weil sein Vater darauf drängte, ihm die bestmögliche Ausbildung angedeihen zu lassen.“ ob das so wirklich richtig war, entzieht sich ein wenig meiner Kenntnis, aber ich schätzte meinen Piraten genauso ein.
„Man merkt, das Master Edward wissbegierig ist. Jedoch sollte er noch ein wenig warten. Aber ich sehe es euch an, dass auch ihr noch eine gewisse Bedenkzeit braucht.“
Wir kamen also überein, dass wir im Januar noch einmal ein eingehenderes Gespräch führen werden.
Damit verabschiedeten sich die beiden Eheleute mit den Worten, sie würden sich freuen, uns morgen wieder bei der Andacht begrüßen zu dürfen. Es war schon wieder Sonntag morgen? Natürlich würden wir erscheinen, versicherte ich ihnen.
Für einen Moment saß ich anschließend alleine auf der Terrasse, sah auf den Zettel von Edward und dachte über seine ersten Leseversuche gerade nach. Vielleicht machte ich mir auch zu viele Gedanken und es war lediglich die Aufregung gewesen.

Kapitel 5

~~~ Brynjolf hält Einzug ~~~

 

Es dauerte nicht lange und ich hörte lautes Weinen aus dem Wintergarten, welches in meine Richtung kam.
Florence hing an Haythams Schulter, welcher ihr beruhigend zusprach. An mich gewandt schüttelte er nur den Kopf.
Wir haben sie noch nicht gefunden. Sprach er im Geiste, weil er sah, dass ich befürchtete, Mina sei tot.
„Wir können ja Tante Faith nach ihren Mäusen fragen, die können wir dann hier für die Katze verteilen…“ natürlich dachte Edward praktisch, weil er vermutlich auch nicht gerne sah, wenn seine kleine Schwester weinte.
„Glaub mir, min lille skat. Mäuse gibt es hier genug. Vergiss auch nicht, dass Athene immer mal ein Häppchen braucht.“ ich gab ihm einen Kuss auf den Kopf, als ich mich erhob um Florence auf den Arm zu nehmen. „Und du, min lille engel? Sei nicht traurig, deine Mina kommt bestimmt wieder. Aber Katzen gehören nach draußen, sie mögen es nicht, in einem Haus eingesperrt zu sein.“ im Hinterkopf gingen mir aber unsere Wohnungskatzen im 21. Jahrhundert durch den Kopf, welche das Jagen völlig verlernt hatten.
„Ja, Mina … kommt… zu… mir?“ die kleine Maus konnte sich kaum beruhigen. Eine Garantie konnte ich ihr zwar nicht geben, aber ich versicherte noch einmal, dass die kleine Mina sie ja auch ganz doll vermissen wird.

 

Unsere Nacht war entsprechend unruhig, weil Florence der Meinung war, sie müsse vor der Haustür ihr Nachtlager aufschlagen um ihre Katze gleich hineinzulassen, sollte sie in der Nacht wieder kommen.
Edward erklärte sich kurzerhand bereit, mit ihr dort zu bleiben. „Einer muss ja Acht geben, dass du nicht frierst.“ Er schlang ihre Bettdecken um sich und seine Schwester, während sie auf dem kleinen Sofa neben der Tür zusammen kuschelten. Ein wirklich wunderschöner Anblick.
Sybill und Sophia nächtigten in ihrer Nähe im Salon, während sich eine Wache auf einen Stuhl neben die beiden setzte. Damit war ich beruhigter, gab meinen Kindern noch ihre Gute-Nacht-Küsse und sie bekamen ein gemeinsames Lied.

 

Im Schlafzimmer erwartete mich ein grinsender Ehemann. „Mi sol, Edward entwickelt sich zu einem Gentleman.“
„Du hast ihm ja auch bereits einige Lektionen diesbezüglich erteilt in Frankreich! Also sei stolz, dass deine Erziehung anscheinend auf fruchtbaren Boden stößt.“ Dieser kleine Kenway lernte wirklich wie man sich benehmen musste. Vermutlich hatte er auch Angst, dass Walka wieder weggesperrt wurde, wenn er etwas falsch machte.
„Da fällt mir ein, auch DIR könnten einige Lektionen nicht schaden, mi sol. Komm her.“ raunte er leise in meine Richtung, während sich seine Augen wieder verdunkelten.
„Dabei habe ich mich so arg zusammen gerissen, mi amor.“ flüsterte ich an seinen Lippen, als ich auf seinen Schoß geklettert war.
„Das reicht bei weitem nicht…“ wir verloren uns in diesem Rausch wieder, welcher sich in meinen ganzen Zellen auszubreiten schien.

 

Am nächsten Morgen machten wir uns nach dem Frühstück auf zum Versammlungshaus zur Andacht.
Wir begrüßten nun die Bauern und Pächter, welche erleichtert waren, dass wir wieder heile hier angekommen waren. Vor allem Mildred war sichtlich froh, weil ihr Kleinster Edward schon vermisst hatte. Bartholomeus war etwas jünger als unser Sohn, aber sie verstanden sich recht gut.
Florence hingegen beäugte jeden kritisch und schüchtern, während sie sich auf Haythams Arm an seine Schulter schmiegte.
„Mistress Kenway, die beiden sind ja unglaublich gewachsen in dem Jahr! Miss Florence kommt ganz nach euch, diese Augen.“ ihr entwich ein Seufzen was von dem Wunsch zeugte, auch ein Mädchen zu bekommen.
„Von euren Jungs kann ich dasselbe sagen, Mildred. Sie helfen sicher tüchtig mit, so kräftig wie sie aussehen.“ dabei sah ich den beiden größeren Jungs hinterher, wie sie mit ein paar anderen Burschen dicht beieinander gedrängt standen. Ihren Blicken folgend, sah ich, dass sie sich eine kleine Mädchengruppe auserkoren hatten. Ich vergaß immer, dass hier andere Maßstäbe galten, weswegen die jungen Herren durchaus schon mal ein Auge auf eine junge Magd oder ähnliches warfen.
Bevor wir aber noch weiter ins Tratschen kommen konnten, wurde eine kleine Glocke geläutet. Sieh an, unser Schmied hatte sie im Juni fertiggestellt. Das freute mich, weil es jetzt wirklich mehr den Eindruck einer kleinen Kirche erweckte.

 

Nach der Andacht, während der sich mal wieder der gesamte Nachwuchs am Riemen riss, konnten wir wieder zurück. Aber erst nachdem Edward sich mit allen zum Spielen verabredet hatte. Leider hatten aber viele der Kinder erst am Nachmittag Zeit, wegen der Schule.
„Das ist unfair!“ mit verschränkten Armen vor der Brust, saß Edward in der Kutsche. „Und was soll ich die ganze Zeit machen?“
„Ich glaube, ich werde mir ab jetzt wohl ab und an die Zeit nehmen, dir ein wenig den Schwertkampf näher zu bringen, Edward.“ dieses Lächeln von Haytham war so voller Stolz und Liebe zu seinem Sohn, dass dieser über beide Ohren strahlte.
„Au ja, Vater! Ich verspreche auch, ganz doll aufzupassen.“ Vermutlich würde er heute Nacht deswegen vor Aufregung nicht schlafen können, grinste ich jetzt meinerseits in mich hinein.

 

Am Nachmittag erhielt ich von meiner Schwester die ersehnte Nachricht, dass sie sich freuen würde, wenn ich sie besuchen komme. Ihr fiele die Decke auf den Kopf, weil sie nicht 5 Minuten allein gelassen wurde. Seit ihrer Schwangerschaft und weil sie „den Erben“ in sich trug, ließ man sie nicht aus den Augen. Oh wie gut ich sie da verstand. Da fühlte man sich regelrecht wie eingesperrt.
Ich versprach, dass ich sobald wie möglich vorbei kommen werde, um sie auf andere Gedanken zu bringen und vielleicht mal die Meute ein wenig auf Abstand zu halten. Beim Schreiben musste ich mir die ganze Zeit ein Kichern verkneifen, weil ich Shay schon vor mir sah, der darüber sicher nicht erfreut sein würde.
Mit ihm müsste ich aber auch während meines Besuches dann einmal über Achilles sprechen. Ich hatte mir nochmal Gedanken gemacht, vielleicht war es wirklich von Vorteil, wenn er mir noch ein wenig über diesen Mann erzählte.
Mit dem Boten schickte ich meinen Brief los.
„Du siehst aus, als würdest du am liebsten das Schriftstück selber vorbei bringen wollen, mi sol.“ lachte Haytham neben mir, als er sah, wie ich dem Reiter gedankenverloren nachsah.
„Ja, aber… ich muss zuerst mein Versprechen für Florence einlösen. Sie freut sich doch auf ein eigenes Pferd. Außerdem muss ich auch erst einmal hier wieder ankommen und alles auf Vordermann bringen.“ seufzte ich an seine Brust gelehnt.
„Wenn du Hilfe brauchst, dann sag Bescheid.“ flüsterte mein Templer in meine Haare, während er über meinen Rücken strich.

 

3. Oktober 1768

~~~ Gillehand-Plantage ~~~

 

Rory hatte mir freudig mitgeteilt, dass er sich über den Besuch freuen würde. Mittlerweile wäre seine Zucht schon in aller Munde und sein bester Hengst war oft das Hauptgesprächsthema bei einigen Empfängen und Bällen.

 

Edward war ebenso aufgeregt, als ich ihm erzählte, dass wir uns die Tiere bei dem Advokaten anschauen würden.
„Darf ich Florence dann das Reiten beibringen, Mama? Ich kann das schon…“ dabei sah er zu seiner Schwester, welche gerade eingeschlafen war, es war eigentlich Mittagsschlafzeit.
„Ja, aber Mr. Mackenzie wird ihr trotzdem auch dabei helfen. Außerdem muss er ja das Pferd an die neue Umgebung gewöhnen…“ bevor ich weiter sprechen konnte, fiel mir mein Sohn ins Wort.
„Aber ich kann doch einfach schon mal damit zurückreiten, dann ist mehr Platz hier…“ er deutete auf den beengten Raum der Kutsche.
„Nein, Edward! Zumal ich doch auch noch gar nicht weiß, wie alt denn das Pferd sein wird, welches deine Schwester bekommt.“ Manchmal war es nervend, wenn er so vorpreschte, auch wenn Edward es nur gut meinte.
„Ja, Mama!“ kam es zickig von ihm, während er sich wegdrehte und aus dem Fenster sah. Mehr als seufzen konnte ich nicht, ich wollte keinen Streit vom Zaun brechen.

 

Mr. Gillehand erwartete uns schon auf der Veranda, die malerisch in der Sonne lag. Heute war es für den Oktober noch sehr warm, was die Fahrt natürlich sehr angenehm gemacht hatte.
„Mistress Kenway, Master Edward, Miss Florence! Ich freue mich, euch hier begrüßen zu dürfen. Ich hoffe, die Fahrt war angenehm?“ ich begrüßte den Herren, so auch meine Kinder, welche dann mit den Kindermädchen im Haus verschwanden.
Wir folgten ihnen, während mir Rory in kurzen Sätzen den neuesten Tratsch erzählte. Es war nichts Spektakuläres darunter, die üblichen Bettgeschichten, oder Neureiche, die sich übernommen hatten. Vor Gericht war er aufgestiegen und würde in Kürze tatsächlich in einen Richterposten erhoben werden.
„Das sind gute Neuigkeiten, Mr. Gillehand. Ich freue mich für euch!“ das tat ich wirklich.

 

Nach einer kleinen Stärkung gingen wir zu den Ställen, welche eine beachtliche Größe hatten. Man beherbergte mittlerweile 21 wunderschöne Pferde auf dieser Plantage. Der Advokat führte uns schnurstracks zu den ganz jungen Tieren, welche für den Verkauf vorgesehen waren.
Voller Stolz präsentierte er sie. 5 waren es an der Zahl, eines schöner als das andere. Florence war auf Rorys Arm und streichelte sich durch die Reihe.
„Ei...lieb…“ kam es jedes Mal leise kichernd von ihr.
„Miss Florence, welches mögt ihr am liebsten, oder habt ihr euch noch nicht entschieden?“ fragte er leise. Meine Tochter sah zu den Pferden, dann zu ihm. Kurzerhand zeigte sie auf ein niedliches braunes Tier, welches mir persönlich erst einmal gar nicht aufgefallen wäre. Es war völlig unscheinbar.
„Da habt ihr aber ein gute Wahl getroffen.“ hörte ich Rory leise sagen, als er mit ihr hinüber ging.

 

Also verbrachten wir hier eine ganze Weile, damit sich Florence näher mit ihrem Reittier beschäftigen konnte, während Edward ein Fachgespräch mit dem hiesigen Stallmeister führte.
Der war aber nicht gut zu sprechen auf Kinder, wie es schien und war sichtlich mürrisch.
„Das werdet ihr alles noch lernen, Master Edward. Das könnt ihr noch gar nicht wissen.“ so oder so ähnlich antwortete dieser Mann immer wieder, was aber meinen Sohn nicht davon abhielt, weiter zureden.

 

Nach einer unruhigen Nacht in einer ungewohnten Umgebung, verbrachten wir den Tag wieder mit den Pferden.
Edward und Walka tollten auf der Koppel herum, ab und an durfte er auch einmal „Probereiten“, was aber dem Stallmeister nicht gefiel, nur Rory hatte keine Probleme damit.
„Ich denke, der kleine Hengst wird bei euch in guten Händen sein, Miss Florence! Ich beglückwünsche euch zu diesem Kauf.“ er verneigte sich vor meiner Tochter.
Mit großen Augen sah sie ihn an, dann zu ihrem Tier. „Meins!“ hörte ich sie stolz sagen. Ihre kleine Hand fuhr langsam über das weiche Fell. „Mama, will hoch!“ dabei hampelte sie auf meinem Arm herum, also ließ ich sie auf dem Rücken kurz nieder. Noch war das Tier nicht alt genug zum Einreiten, ich hatte die Worte von Mackenzie nicht vergessen!

 

Wir beschlossen den Tag mit der Unterschrift des Kaufvertrages, gepaart mit einem Glas Champagner. Die Kinder bekamen selbst gepressten Apfelsaft mit ein paar Keksen dazu.
Dieser Abend war ausgesprochen entspannt und ich beriet mich mit Mr. Gillehand noch über die Banditen, die auch ihn nicht verschont hatten.
„Man hat eines Nachts eine meiner Vorratsscheunen in Brand gesteckt und einige Hühner geklaut. Bisher bin ich noch glimpflich dabei weggekommen wie es scheint, wenn ich so höre, was hier drumherum alles so passiert ist.“ ich sah ihm diese Erleichterung förmlich an.
„Ja, ich hoffe, dass es auch so bleibt, Mr. Gillehand.“ sprach ich über den Rand meines Glases, während ich in das Feuer des Kamins sah.
Am nächsten Morgen machte ich mich mit Florence und Edward wieder auf nach Hause. Wir würden erst am späten Nachmittag zurück sein.
Wiederholt versicherte mir Rory aber, dass er entsprechende Wachleute hätte und auch seine Arbeiter seien gut mit Waffen geschult worden.
Unseren Neuerwerb führte die Wache neben uns an einem Seil. Zuhause sollten wir uns Gedanken über einen Namen machen, fiel es mir ein. Darüber hatte ich nämlich nicht weiter nachgedacht.

 

Um die Zeit bis nach Hause zu verkürzen, erzählte ich Geschichten oder sang mit den Kindern.
„Klingt schön, Mama. Noch mal.“ flüsterte meine Tochter, als ich ein Lied über die Sternzeichen gesungen hatte. Damit hatte sie ein neues Lieblingslied, wie es schien.
„Flo, wie soll dein Pferd eigentlich heißen?“ kam es plötzlich von Edward, der bisher recht ruhig gewesen war.
Sie zuckte mit den Schultern, sah dann hilfesuchend zu ihrem Kindermädchen, dann zu mir.
In diesem Moment kam mir ein Name in den Sinn, welchen ich aus einem Videospiel noch gut in Erinnerung hatte. „Brynjolf!“ rief ich freudig und erntete einen mehr als erstaunten Ausdruck auf dem Gesicht meines Sohnes.
„Wer ist das denn, Mama?“ ich atmete tief ein und tief aus. Dann begann ich meinen Kinder von der wunderbaren Welt von „Elder Scrolls V – Skyrim“ zu berichten!

*** Kapitel 6 ***

 

5. Oktober 1768

 

(Ich greife in einer noch nicht veröffentlichten Geschichte vom Todesengel222 vor. Entsprechender Link kommt dann zu gegebener Zeit!)

 

Und so vergingen die nächsten Stunden recht zügig. Meine Kinder hatten mal wieder ein „Märchen“ gehört, was so fantastisch war, dass man es kaum glauben konnte. Vor allem fand Edward den Teil mit den Drachen besonders spannend!
„Die musste man auch mit einem Zauberspruch aufwecken? Wie groß waren die? Hatten die spitze Zähne?“ in einer Tour kamen solche Fragen, wohingegen Florence am liebsten die Geschichten um die Jarls hören wollte.

 

Daheim wurden wir von Haytham in Empfang genommen.
„Da seid ihr ja wieder. Wie ich sehe, hast du jetzt ein eigenes Pferd, mein Engel.“ mit Schwung hob er sie hoch, damit sie ihm ihr Tier zeigen konnte. Mr. Mackenzie war schon zur Stelle mit dem Stallburschen und den Helfern, um die Pferde abzuspannen und den Neuzugang zu begutachten.
„Ein stattlicher Hengst. 2 Jahre vermute ich?“ der Stallmeister rieb sich nachdenklich das Kinn, während er um ihn herum ging.
„Ja, vor einem Monat ist er 2 geworden.“ erklärte ich. Bevor ich aber den Namen kundgeben konnte, fragte mein Mann seine Tochter, ob sie sich schon entschieden hatte.
„Bimwolf!“ rief sie. Mit einem großen Fragezeichen über dem Kopf sah mich Haytham an, ebenso stand der Stallmeister ratlos vor uns.
„Brynjolf, so heißt er.“ lachte ich, weil Bimwolf auch eine interessante Variante war.
„Ein seltsamer Name…“ beide Herren sahen sich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

 

Da ich aber jetzt schon eher wieder zurück war, konnte ich eigentlich auch in ein paar Tagen zu Faith aufbrechen, ging es mir durch den Kopf. Am nächsten Tag besprach ich das Ganze dann noch mit Haytham, welcher nicht ganz so damit einverstanden war, weil er nicht mitkommen könnte.
„Dann komm einfach für einen Tag mal dorthin. Die beiden freuen sich sicher, auch dich mal wieder zusehen, mi amor.“ flüsterte ich an ihn geschmiegt, nachdem ich meinem Mann intensiv davon überzeugt hatte, dorthin fahren zu müssen.
„Das ließe sich ja einrichten.“ nuschelte er leise an meiner Seite. „Aber vergiss mich nicht, mi sol.“ hauchte er an mein Ohr, während sich seine Finger auf Wanderschaft begaben.
„Wie könnte ich das, mi sol.“ stöhnte ich, als er mein Piercing leicht berührte.

 

Am 10. Oktober brach ich mit den Kindern, den Kindermädchen und 4 Wachen auf. Es klingt kindisch, aber ich freute mich wahnsinnig Faith wieder in die Arme nehmen zu können.
Nach knapp 6 Stunden Fahrt kamen wir auf der Plantage an, wo uns Shay in Empfang nahm.
„Alex, schön dich gesund und munter wieder hier zu haben. Du meine Güte, Edward! Wo willst du noch hin wachsen, du bist ja groß geworden!“ stolz stand mein Sohn vor dem Iren.
„Ich will mal so groß wie mein Vater werden, Onkel Shay! Dann kann ich auch auf Mama und Florence aufpassen.“ zu mehr kam er aber nicht, weil Cadan, Cillian und July um die Ecke rannten.
„Eddy!“ sie begrüßten sich alle stürmisch und schwups, war mein Sohn mitsamt seiner Schwester im Garten verschwunden. Sybill und Sophia knicksten Shay zu, eilten aber dann schnell hinterher.

 

„Im Grunde freue ich mich wirklich, dass du hier bist. Vielleicht kannst du meine Frau ja ein wenig in bessere Laune versetzen. Sie mault uns ständig an. Dabei meinen wir es doch nur gut…“ wenn ich jetzt sage, dass er jammerte, kommt es dem Ganzen sehr nahe. Natürlich tat er mir leid, aber ich konnte Faiths Laune nur zu gut verstehen.
„Vielleicht könntet ihr Faith auch einfach mal eine kleine Pause von eurer Anwesenheit gönnen? Sie beginnt bestimmt keinen Marathon oder zettelt einen Krieg an!“ ich klopfte Shay dabei aufmunternd auf die Schulter.
Im Salon saß eine Faith, die sich lautstark mit Imhotep über die Ruhe in der Schwangerschaft stritt!

 

„Mo rionnag! Ich glaube, ich hätte auch zuhause bleiben können. Dich hört man ja bis dorthin!“ lachend nahm ich sie in den Arm.
„Endlich jemand, der mich vielleicht auch mal versteht!“ fauchte sie beide Herren um uns an.
„Ich glaube schon.“ flüsterte ich. Dann besah ich sie mir erst einmal genauer. Sie war etwas blasser als sonst, aber sie hatte schon geschrieben, dass ihr oft übel sei. Dieses Kind verlangte ihr alles ab, wie es schien.
Irgendwann verließen Imhotep und Shay uns, sodass wir ein wenig alleine reden konnten. Kaum waren die beiden verschwunden, platzte es aus ihr heraus!
Sie ließ sich über alles und jeden aus, ließ im Grunde kein gutes Haar an irgendjemanden! Ihre Wut auf dieses Eingesperrtsein, dieser Frust nicht einmal alleine zum Abort gehen zu dürfen und so weiter, machten sie mürbe.
„Du meine Güte, haben sie schon eine Sänfte für dich gebaut, damit du nicht laufen musst, um zum Frühstück zu kommen?“ kicherte ich kopfschüttelnd.
„Das ist nicht witzig, Alex!“ jetzt war ich also ihr auserkorenes Ziel. Nun gut! Sollte sie sich weiter auskotzen!
Nach gefühlten Stunden ebbte ein wenig der Redefluss, die Wut und alles ab.

 

Beim Abendessen herrschte ein für mich wunderbar normales Chaos. Ich hatte die vielen Menschen am Tisch vermisst.
„Shay, wenn du vielleicht morgen ein wenig Zeit für mich hättest, würde ich dich gerne in Beschlag nehmen.“ fragte ich mit leider vollem Mund, aber das Essen war so köstlich!
Mit großen Augen sah er mich an. „Das klingt ernst. Ist etwas mit Haytham?“ Wie kam er denn darauf, DAS hätte ich wohl gleich erzählt, oder besser geschrieben!
„Nein, es geht um meine Reise zu Master Davenport!“ plapperte ich weiter.
„Aha, warum willst du zu ihm?“ immer noch sah er mich seltsam an.
„Weil… könnten wir das bitte unter vier Augen besprechen?“ ich sah die vielen neugierigen Kinderaugen, die vorerst davon noch keinen Wind bekommen sollten.
„Gut, ich habe morgen noch keine Termine.“ Dabei sah er mahnend zu seiner Frau. Bei Odin! Sie konnte auch mal fünf Minuten ohne seine wachsamen Augen zubringen!

 

Als dann etwas Ruhe eingekehrt war, nachdem alle Kinder im Bett waren, saßen wir im Salon und genossen für einen Moment diese Stille.
Leider fielen mir recht schnell die Augen zu, sogar bei meinen Erzählungen über die Reise in Deutschland, konnte ich ein Gähnen nicht mehr unterdrücken. Also verabschiedete ich mich.
„Gute Nacht, mo rionnag.“ als ich ihre warmen Lippen auf meinen spürte, hätte ich sie am liebsten ins nächstbeste Bett gezerrt, aber… das würden wir auf die Zeit NACH der Schwangerschaft verschieben. Auch ich wollte kein Risiko eingehen, außerdem war mir nicht nach dem Unmut von allen „Aufpassern“ hier ringsum, die sich schon warnend aufgerichtet hatten, als ich meiner Schwester etwas näher gekommen war.
„Keine Sorge, Gentleman. Meine Finger bleiben bei mir.“ kicherte ich und machte mich auf in mein Zimmer.
Dort sah ich noch nach Edward und Florence, welche beide friedlich in ihren Betten schliefen.

 

Als ich eintrat, richtete sich Walka auf. Sie sah mich, erkannte mich sofort und ich mag mich täuschen, aber sie machte einen erleichterten Eindruck. Dann legte sie sich wieder zusammengerollt ans Fußende von Edward.
„Gute Nacht ihr drei.“ flüsterte ich bevor ich mich fürs Bett fertig machte.
Dort lag ich dann… starrte auf den Betthimmel… und konnte nicht einschlafen. Verflixt nochmal! Ich dachte an die weiche Haut von Faith, ihre warmen Lippen, ihre filigranen Finger…
Mi sol!“ hörte ich eine warnende dunkle Stimme in meinem Kopf.
Entschuldige… ich… kann nichts dafür…“ gab ich verlegen zurück.
Lass dich fallen…“ dieser Ton in Haythams Stimme brachte meinen Unterleib zum Zittern.
Wir genossen diese Bilder des jeweils anderen in unseren Gedanken, wir ließen uns unendlich Zeit um im Einklang zu sein.
Ein erleichtertes „Jesus…“ von Haytham brachte auch mir die Erlösung, welche mir ein wohlig gestöhntes „Bei Odin…“ entlockte.
Ich liebe dich…“ das kam wie aus einem Mund.

 

Nach dem Frühstück wurde der gesamte Nachwuchs nach draußen gescheucht, um sich auszutoben. Edward hatte sein Übungsschwert dabei und einiges an Spielzeug. Florence hatte mit Sophia ebenso einiges eingepackt. Langeweile würde also hoffentlich nicht so schnell aufkommen.
Shay bat mich ins Arbeitszimmer, wo wir ungestört waren. Im Grunde wusste ich gar nicht, was genau ich mit ihm besprechen sollte. Also beschloss ich, mit der Tür ins Haus zu fallen!
„Ich sagte ja schon, dass ich zu Achilles reisen möchte. Möglichst noch bevor… Haythams Sohn dort ankommt…“ in diesem Moment war mir gar nicht klar, ob ich davon schon erzählt hatte. Ich fuhr einfach fort, weil der Mann vor mir auch nichts weiter dazu äußerte. Ich erklärte jetzt meine Beweggründe, dass ich Master Davenport ein wenig den Wind aus den Segeln nehmen müsse, damit er Connor nicht in ein Meer aus Lügen und Zorn wirft.

 

„Er hat also wirklich bereits einen Sohn? Und dieser wird von Achilles ausgebildet? Zum Assassinen?“ ungläubig sah er mich an. „Bist du dir wirklich sicher? Der alte Mann ist kaum in der Lage gerade zu laufen, glaube mir! Wie soll er …“ er unterbrach sich selber. „Oh, es geht hier nicht nur ums Kämpfen, richtig? Aber das gehört ja auch dazu…“ es trat eine unangenehme Pause ein.
„Achilles wird einen unglaublichen Groll auf Haytham haben, welchen er auf diesen Jungen überträgt. Vielleicht kann ich ihn auch ein wenig besänftigen, wenn ich noch einmal darauf hinweise, dass DU das schlimmste verhindert hast…“ jetzt wo ich es ausgesprochen hörte, klang es wirklich völlig absurd. Das würde diesen Herren sicherlich nicht von seiner Meinung abbringen. Im Gegenteil! Verdammte Axt!

 

Shay erzählte mir über seine Ausbildung, das Training und so weiter bei Achilles. Leichte Zeiten waren es nicht und oft hatte er das Gefühl, nicht gut genug zu sein. An einigen Stellen tat er mir wirklich leid, weil Davenport immer ein leichtes Misstrauen ihm gegenüber hatte. Nur Liam stand eigentlich IMMER auf seiner Seite. Bei dem Namen sah ich diese Trauer in Shays Augen!
„Er hat mich nie im Stich gelassen. Wir haben einige Schlägereien gemeinsam erlebt…“ bei diesen Worten wanderte sein Blick in die Vergangenheit. Ich unterdrückte diesen Impuls ihm dorthin in Gedanken zu folgen, auch wenn ich immer noch nicht alles aus seinem Leben wusste! Nein! Die Zeit für Forschungen war vorbei!
Wir verblieben so, wenn ich noch Fragen haben, sollte ich einfach auf ihn zukommen.

 

Im Grunde war es wie ein kleiner Urlaub, den ich hier noch verbrachte.
Am nächsten Nachmittag erschien mein Mann plötzlich. Für einen Moment setzte mein Herz aus, weil ich schlechte Nachrichten befürchtete.
„Mi sol, ich hatte Sehnsucht nach meiner Familie…“ sein Kuss zusammen mit diesen Worten beruhigte mich postwendend.
Auch er wurde nun noch herzlich begrüßt.
Als ich Shay und Haytham neben Imhotep sah, begann ich erneut darüber zu grübeln, wo ich diesen Mann schon einmal gesehen hatte, wenn auch nicht in dieser stattlichen Größe. Aber… dieses Gesicht, diese dunkle Haut und vor allem die Augen! Es war doch zum Verrückt werden! Ich kam einfach nicht drauf!

 

Wir saßen noch nicht ganz auf der hinteren Terrasse in der noch warmen Nachmittagssonne, als plötzlich Florence aufsprang und hinter irgend etwas im Garten her rannte.
In meiner Panik, weil ich wieder ein Stinktier befürchtete, hechtete ich ihr förmlich nach.
„Florence! Bleib stehen! Was ist…“ zu mehr kam ich aber nicht, da lag sie schon im Dreck mit einem schmutzigen Fellknäuel im Arm.
„Mama… Mina ist daaaaaaaa…“ rief sie mit Tränen in den Augen.
Wir wuschelten ein wenig den Sand aus dem Fell und siehe da! Es war tatsächlich die eindeutige Zeichnung des Fells ihrer Katze.
Überglücklich knuddelte sie den kleinen Ausreißer, während July und die Jungs mit großen Augen dabei standen.
„Das ist deine Katze? Aber warum ist sie hier?“ fragte July neugierig.
„Die Kleine muss erst noch ihr neues Zuhause und die Gegend erkunden. Aber es ist doch schön, dass sie hierher gekommen ist.“ im Grunde war ich einfach nur erleichtert. Eine echte Erklärung hatte ich nicht auf Lager und ehrlich gesagt hatte ich darauf auch gerade keine Lust.

 

Der Abend hätte ja auch einfach entspannt ablaufen können, doch blöderweise fiel das Thema noch einmal auf meine Reise zu Achilles.
„Haytham, ihr wisst, wie ich zu diesem Herren stehe. Er ist nicht unbedingt mein bester Freund.“ grummelte Shay vor sich hin, als ich meinem Mann erzählte, dass ich mit dem Iren bereits gesprochen hatte.
„Das ist mir bewusst. Alex hat aber Recht, wir müssen diesen Versuch starten, ihn …“ mein Mann wollte es nicht aussprechen, wer konnte es ihm verübeln.
„Vielleicht sollte ich es auch einfach auf mich zukommen lassen. Ich bin ja nicht auf den Mund gefallen.“ lächelte ich zuversichtlicher als ich eigentlich war.
Plötzlich nahm ich im Augenwinkel wahr, wie Faith unruhig in die Runde sah.
„Mo rionnag, geht es dir nicht gut?“ besorgt ging ich zu ihr hinüber, weil ich mich an meine eigene Unruhe bei Edwards Geburt erinnerte.
„Es… mir geht es gut… aber… ich glaube ich sollte etwas erklären.“ flüsterte Faith leise. Sie starrte auf ihre im Schoß gefalteten Hände.
Bevor ich noch einmal den Mund aufmachen konnte, begann sie zu erzählen!

Kapitel 7

 

~~~ Vorsicht, Ninjas! ~~~

 

Das angesprochene Kapitel über Faith und die Verarztung von Achilles findet ihr HIER "Jeder will die Welt beherrschen" - Todesengel222 - Kapitel 131

 

„Bevor ich wieder zur Morrigan ging… also…“ sie schilderte wie sie mit Adam, ihrem Cousin, auf Master Davenport traf. Faith berichtete von der mauligen Art Achilles´, weil er puren Egoismus in ihrer Hilfe vermutete. Im Grunde war es das auch, wenn wir ehrlich sind. Dennoch hat sie die Kugel aus seinem Knie entfernt, damit er schnellstmöglich zu seinem Schiff mithilfe von ihrem Cousin eilen konnte. Ohne ihre Hilfe hätte er es vielleicht auch gar nicht überlebt, wäre nicht rechtzeitig an Bord gelangt. Diverse Szenarien spielten sich in meinem Kopf ab.

 

Mit einem Satz sprang Haytham auf, funkelte Faith wütend an und dann brach es aus ihm heraus.
„Du hast bitte was getan? Du hast diesem Assassinen, welcher tausende unschuldiger Leben auf dem Gewissen hat, geholfen zu Überleben? Bist du noch bei Trost?“ seine Stimme zitterte vor Wut, aber er riss sich noch zusammen.
„Ich bin Heilerin, Haytham, schon vergessen? Und eigentlich war es eine Mischung aus allem, der Gesamtsituation wenn man es so nennen möchte.“ dabei sah sie mich an, wartete auf Zustimmung. Ja, damit hatte sie Recht, aber auch ich war sprachlos! DAS wusste sogar ich nicht, woher auch?
„Ich kann es nicht glauben, er hätte es auch ohne deine Hilfe geschafft. Achilles ist ein zäher Bursche!“ fauchte Shay, aber nicht ganz so aufgebracht wie Haytham.
„Und jetzt? Ich habe die Kugel entfernt, er lebt und… vielleicht habe ich den Weg für… DEINEN Sohn damit geebnet? Schon mal darüber nachgedacht?“ Faith wurde wieder ungehalten, dieses mal jedoch brachen auch die Isugene durch. Ihre Haut begann zu leuchten!
„Reiß dich zusammen, Faith. Ich lasse nicht in so einem Ton mit mir reden!“ jetzt standen sich die beiden wie wütende Wölfe gegenüber. So etwas hatte ich noch nie zwischen ihnen erlebt. Ich sah, wie bei meinem Mann Tyr begann sich erheben! Bevor es aber noch eskaliert, warf ich einen Gedanken in den Raum!

 

„Vielleicht betrachtet ihr es aus beiden Blickwinkeln einmal. Haytham, du hast ihm deinen Standpunkt, deine Sicht auf die Dinge klarmachen wollen, wenn auch etwas zu brutal. Das musst du selber zugeben, oder? Faith hat im Grunde nur auf Grund ihres moralischen Eides gehandelt mit einer sehr großen Prise Egoismus!“ ich versuchte eine logische Brücke für beide zu bauen, scheiterte aber an zwei Dickköpfen, welche sehr selten zum Vorschein kamen. Und wenn, dann in den unpassendsten Momenten, wie jetzt zum Beispiel! Bei Odin!

 

Plötzlich hatte ich das Gefühl, als wären wir vier völlig alleine. Es gab keine Götter, keine Isu, nichts mehr um uns… die Gemüter beruhigten sich langsam. Aber dann war da etwas… wir fühlten es alle! Die Vorsehung oder man möge es auch wieder einmal das Schicksal nennen. Auch damals schon war es ein Eingriff, welcher nicht nur meinen Weg ebnen sollte, sondern auch den von Connor und allen anderen.
„Achilles hat es verstanden…“ flüsterte Faith, als ihr Blick auf Shay fiel, welcher ebenso diesen Gedankenblitz des Schicksals hatte.

 

Ich weiß, dass es völlig unpassend in dem Moment war, aber mir schoss ein Gedanke in den Kopf.

„Aber genau damit kann ich Master Davenport von seinem Hass ein wenig abbringen. Wenn ich ihm erkläre, dass auch er nicht frei von Schuld ist, Haytham ebenso wenig, dann kann ich diesen Moment noch mit anbringen!“ in meinem Kopf spielte ich das Gespräch bereits durch, wie ich es schon oft in der Vergangenheit in ähnlichen Situationen gemacht hatte, wenn etwas zu klären war.
„Du lässt dich eh nicht von deinem Vorhaben abbringen, oder Alex?“ immer noch klang mein Mann sauer.
„Nein, aber das weißt du ja! Wenn ich dich und deinen Sohn friedlich an einen Tisch bringen will, muss Achilles im Vorfeld ruhiger werden. Versteh doch, so kann ich es vielleicht schaffen.“ Der Rest würde von mir improvisiert werden müssen, weil ich noch kein Wort mit diesem Herren gewechselt hatte. Shays Beschreibung war auch eher neutral gehalten.
„Aber noch einmal lasse ich mich nicht so vorführen, Faith. Ist das klar?“ fauchte Haytham meine Schwester an, während er sich vor ihr aufbaute.
„Natürlich, BRUDER! Ich tue immer das, was man mir sagt.“ oh bei Odin, dieser Satz kam so zynisch aus ihrem Mund, dass man sehen konnte sie sprach auch Shay an, Imhotep und alle, die sie seit Monaten in Watte packten! Die bösen Hormone machen eben, was sie wollen!

 

Wir alle genehmigten uns noch etwas Hochprozentiges um die Gemüter zu kühlen. Jetzt kam es nur noch darauf an, dass ich rechtzeitig bei Master Davenport ankam und dass ich ihm wirklich etwas von diesem Hass nehmen konnte.

 

Zwei Tage später machten wir uns wieder auf den Weg nach Hause.
Florence hatte ihre Katze kaum aus den Augen gelassen und in der Nacht hatte sie im Bett meiner Tochter geschlafen. Ich hoffte, dass es auch daheim so sein würde.
Walka hatte sich leider gestern noch mit einem der Wachhunde hier angelegt. Ihr Angreifer hatte eine Schramme an der linken Flanke und sie hatte ein kleines Loch im Ohr. Es war uns leider nicht möglich, dazwischen zu gehen, ohne selber zu Schaden zu kommen. Es war halt nicht das Revier von Edwards Hündin, aber die hiesigen tierischen Wachen wussten sie schon in ihre Schranken zu weisen.
Edward verarztete seine Hündin, so gut er konnte. Aber Sybill mahnte ihn, bei ihr keine Heilungskräfte einzusetzen.
Darauf angesprochen bekam ich nur „Sie ist gesegnet.“ von Snotra. Fragend sah ich sie an, bekam aber keine weitere Erklärung. Es war also wirklich so, dass diese Hündin von jetzt an ebenfalls beschützt wurde.

 

Auf der Fahrt zurück saß Edward bei Haytham mit auf dessen Stute, was natürlich Florence sichtlich missfiel. Also bat ich darum, dass sich die beiden Geschwister bitte abwechseln sollten. Auch meine Nerven waren irgendwann nicht mehr so vorhanden, wie sie sollten! Besonders nach derlei Gesprächen in den letzten Tagen!
Leider war ich recht unaufmerksam und zu spät bekam ich mit, dass man uns bereits seit einer Ewigkeit verfolgte!
Haytham war alleine zur Williams-Plantage geritten, sprich wir hatten die vier Wachen und uns selber.
Es mag Eingebung gewesen sein, aber ich hatte mein Stiefelmesser in meinem Strumpfband und die schmalen versteckten Klingen in meinen Ärmeln!
Florence wurde mir gereicht, während Haytham langsam von seinem Pferd stieg. Man stellte sich um die Kutsche und beobachtete die Umgebung.

 

Auch ich war ausgestiegen, nachdem die Kindermädchen noch strikte Anweisungen bekommen hatten. Ich sah einen leichten goldenen Schimmer um die Personen im Inneren, welcher mich beruhigte.
„Alex, siehst du sie auch?“ was bitte war das für eine dämliche Frage, ich war ja nicht blind. Bevor ich aber genau DAS sagen konnte, atmete ich noch einmal tief durch.
Vier in den Büschen auf der linken Seite, drei vor uns im Unterholz, weitere vier auf der anderen Seite und ÜBER uns sind 2 in den Ästen!“ unsere stille Kommunikation zahlte sich jetzt aus. Ebenso waren unsere Wachen zeitgleich informiert.

 

In diesem Moment dankte ich meiner Schwester für diese Wurfhaken und konnte so den ersten Angreifer mit Überraschungsmoment aus seinem Versteck im Baum ziehen. Der Mechanismus hatte eine enorme Rückholkraft fiel mir auf, naja, musste er ja auch haben, wenn er mein Gewicht nach oben hieven sollte beim Gebäude erklimmen!
Im Nu waren die ersten beiden Herren Geschichte.
Aber die anderen Angreifer versuchten ebenso ihr Glück, landeten aber in ihrem eigenen Unglück!
Der nächste Bandit hatte es in sich, wie ich genervt feststellte. Er sprang hin und her, wirbelte mit seinem kleinen Schwert herum, deutete hier einen Streich an, schlug aber auf der anderen Seite zu. Dann tänzelte er leichtfüßig um mich herum, verschwand plötzlich völlig aus meinem Blickwinkel, nur um dann wieder aus dem Hinterhalt auf mich einzustechen!
Ninja! Dieser erste Gedanke ging mir durch den Kopf!
Fast alle waren so flink in ihren Bewegungen, dass selbst meine antrainierten Assassinen-Fähigkeiten wie eine Farce wirkten!
Und sie waren leise, fast lautlos! Ich spürte dieses Kribbeln wieder im Nacken. Widerlich!

 

Haytham hatte, im Gegensatz zu mir, seine Montur an und auch entsprechende Rauchbomben am Manne.
Damit hatten die Kämpfer die uns direkt angriffen nicht gerechnet und wurden Opfer unserer Klingen und dem Schwert einer unserer Wachen. Die anderen Wachleute beschützten die Kutsche!
Mama! Hinter DIR!“ brüllte es in meinem Kopf und ich wirbelte herum, gerade rechtzeitig um einem Schlag mit einer Kugelkeule ausweichen zu können. Aber das reichte nicht, weil ich das Messer in der anderen Hand übersehen hatte.
Dieser Schnitt in meiner linken Seite brannte wie die Hölle und ließ mich kurz straucheln. Nein, ich musste mich konzentrieren.
Weiter!
Ich drosch jetzt mit meinen Klingen auf den Mann vor mir ein, welcher ein wenig überrascht zu sein schien, dass ich im Kampf blieb. Das gereichte mir für einen Hieb in seine… Kronjuwelen! Es war ein widerliches matschiges Gefühl und ließ nicht nur ihn würgen!
Ich hatte erst ein einziges Mal einem Mann sowas angetan, als Thyra mich damals in New York übernommen hatte!
Mir spritzte schubweise sein Blut entgegen, ehe er zu Boden sank. Leichenblass!

 

Der nächste im Bunde ließ nicht lange auf sich warten und rannte mit einem Kampfschrei auf mich zu!
In den Schuhen sind Messer!“ brüllte wieder Edwards Stimme in meinem Kopf.
Dann sah ich dieses Aufblitzen von Metall in der Sonne. Die Klinge kam mir gefährlich nahe. Ich konnte ihr nicht mehr vollends ausweichen. Dieser Einstich war ebenso schmerzhaft wie der vorherige, dieses mal am rechten Oberarm, wo er eine tiefe Fleischwunde hinterließ.
Meine Sinne konzentrierten sich auf den Kampf, ich durfte nicht aufgeben!
„Wer bitte hat euch ausgebildet. Sonst hatten wir doch auch leichtes Spiel mit euch britischen Ausbeutern!“ brüllte mir ein weiterer Angreifer entgegen. „Jungs… Rückzug! Wir brauchen…“ bevor dieser Herr aber noch etwas sagen konnte, ragte eine Schwertspitze aus seinem Oberbauch! Entsetzt sah er auf diese Wunde, brachte aber kein weiteres Wort mehr über die Lippen!

 

„Das war dann wohl der Letzte im Bunde.“ frohlockte eine der Wachen, welche ihr Schwert schon an der Jacke des Banditen säuberte.
„Hoffen wir es…“ meine Stimme war kaum zu hören. „Edward! Florence!“ brüllte ich, als ich auch schon auf die Kutsche zu rannte.
„Mama, uns geht es gut…“ vorsichtig lugte mein Sohn hinaus. „Sind sie jetzt wirklich weg?“ flüsterte er plötzlich.
„Ja, mein Sohn! Danke für deine Hilfe!“ Haytham drückte ihn an sich.
Unsere Wachen atmeten tief durch, ehe sie begannen die Toten in die nahegelegenen Büsche zu ziehen. Ein Begräbnis wäre vermutlich besser, oder?
„Nein, diese Männer haben keine solche Behandlung verdient, Mistress Kenway.“ das kam wie aus einem Mund der vier Männer! Trotzdem begannen sie auf meinen Wunsch hin eine Grube auszuheben, damit die Leichen keine wilden Tiere anlocken konnten.
Währenddessen setzte mein Verstand langsam auch wieder ein.
„Wir müssen dringend diese Wege bewachen lassen! Sie sind ja überall, Haytham.“ gab ich grübelnd von mir.
„Sie waren aber… es waren keine gewöhnlichen Diebe. Sie waren flink, schnell…“ Ninjas! Ja, sie waren anders trainiert wie es schien. „Wer ist ihr Mentor hier in den Kolonien?“ jetzt war es mein Mann welcher darüber nachdachte, wer sich hinter diesen ganzen Anschlägen verbergen könnte.
„Da bin ich überfragt…“ mir fiel auch gerade nichts besseres ein. Ich wischte meine Klingen am Gras ab. Magda reichte mir einen nassen Lappen, damit ich meine Hände und mein Gesicht waschen konnte. Vermutlich gab ich ein gruseliges Bild ab. Die Wunden! Hastig sah ich danach… aber sie waren nicht mehr vorhanden. Nur der Stoff meines Kleides war noch kaputt und blutverschmiert. Aber keine Verletzungen waren auszumachen.
„Danke min lille skat!“ ich knuddelte meinen Schatz dafür.

 

Florence schien das ganze nicht im geringsten beeindruckt zu haben, sie saß auf Sophias Schoß und sah sich mit ihr ein Bilderbuch über Pflanzen an.
Erleichtert, dass es ihr und auch Edward gut ging, ließ ich mich auf den Sitz plumpsen.
„Mama, das waren aber schnelle Menschen. Das will ich auch können.“ ehrfürchtig sah er mich an.
„Das waren Ninjas, wenn ich richtig liege. Die Meister kommen von ganz weit her…“ aber ich konnte nicht ausreden.
„Jahaaaaaa…. Das weiß ich doch! Aber ich will das auch können!“ maulte mein Sohn mit einem Male.
„Ich werde mich einmal nach so einem Meister umhören, min lille skat.“ ich sprach mehr zu mir selber, weil auch ich noch nicht ganz den Kampf verarbeitet hatte.
„Aber nicht vergessen, Mama! Versprochen?“ Kinder können anstrengend sein, oder?
„Ja, ich verspreche es… Schusterehrenwort!“ bei diesem Ausdruck musste ich selber lachen.
Der restliche Weg nach Hause verlief friedlich, naja, bis auf den Wasserfall von Edward, welcher mir nun berichtete, dass er diesen oder jenen Konter-Move toll fand und ich ihm unbedingt zeigen sollte, wie das geht…
Als wir Abends an unserem Haus ankamen, war ich dankbar fürs Essen und für die Kindermädchen! Ich weiß, aber ich war einfach müde. Mein Sohn hatte nicht EINE Sekunde geschwiegen, er malte sich die dollsten Geschichten aus, stellte sich die einzelnen Szenen vor und so weiter!
Als er im Bett lag, die Augen und den Mund schloss, machte ich drei Kreuze!

 

Ja, in diesem Bezug bin ich ab und an eine gaaaanz böse Mutter. Seid ehrlich, jeder hat so einen Moment im Leben mit Kindern schon erlebt, oder?
Trotz dieser Vorkommnisse hatten wir eine ruhige Nacht, nachdem ich noch mit meinem Mann ein Bad genommen hatte. Auch er hatte es nötig gehabt und ich spreche hier nicht nur von der Haarwäsche.
Erschöpft ließ ich mich anschließend ins Bett fallen und schlief alsbald auch ein.

 

Kapitel 8

 

~~~ Von Streichen und Aufklärung ~~~

 

 

Die nächsten Wochen verbrachte ich mit der Überarbeitung der ganzen Geschäftsangelegenheiten! Mit Faith würde ich in Ruhe darüber sprechen, wenn ihr Kind auf der Welt war.
Vor einiger Zeit hatte ich ja schon die Konten entsprechend angeglichen oder auch ändern lassen.
Heute saß ich also mit Mr. Gillehand beisammen, damit wir das auch entsprechend besiegeln konnten.
„Mistress Kenway, ihr habt einen wirklich guten Sinn für Geschäfte. So etwas sieht man sehr selten.“ der Advokat hatte anerkennend über meine Geschäftsbücher geschaut, welche ich alle selber führte! Da war ich etwas pingelig, sie waren halt sehr übersichtlich, weil ich mir entsprechende Zeitpläne und Kalender gefertigt hatte. Ordnung, Struktur und Disziplin …
Am Abend stießen wir auf den Abschluss dieser Arbeiten an.
„Darf ich offen sprechen?“ so schüchtern hatte ich Rory noch nicht erlebt. Er schaute nervös auf seine gefalteten Hände.
„Immer raus damit.“ Haytham sah ihn fragend an.
„Ich… lebe nicht mehr alleine.“ mit einem erleichterten Seufzer ließ er sich in seinen Sessel sinken.
„Das freut mich für euch! Wer ist die Glückliche?“ erwartungsvoll saß ich nun auch etwas zappelig neben meinem Mann.
SEIN Name ist Thomas Withelston, er kommt aus Baltimore…“ flüsterte er jetzt beinahe schon, bevor er uns wieder ansah.

 

Für einen Moment war ich dann tatsächlich sprachlos! Ich meine, ich bin keineswegs intolerant und richte über andere Menschen. Aber in diesem Jahrhundert stand die Todesstrafe auf Homosexualität! Dass unser Advokat diesen Mut besaß, uns seine Liaison so offen mitzuteilen, schmeichelte mir alleine schon wegen seines Vertrauens uns gegenüber. Im Grunde konnten wir ihm nur alles Gute für seine Beziehung wünschen, dass sie lange hält und vor allem, dass niemand sie verurteilen oder stören wird.
„Ihr seid sehr verständnisvoll, Mistress Kenway. Ich wusste, ihr werdet mich nicht gleich für einen kranken Menschen halten!“ jetzt strahlte er uns an.
„Es wird nicht leicht werden für euch und euren Lebensgefährten, Mr. Gillehand. Das wird euch selber vermutlich auch klar sein, nehme ich an. Ihr könnt aber jederzeit mit unserem Zuspruch rechnen.“ sagte mein Mann, erhob sich um unserem Besucher die Hand zu reichen.
„Ich danke euch, Master Kenway!“ diese Erleichterung in seinem Gesicht war herzzerreißend. Ich hoffte wirklich für die beiden Herren, dass sie lange friedlich zusammen leben können.

 

Mr. Withelston war als Verwalter für die Plantage eingesetzt worden, als der Vorgänger leider zu alt geworden war. So lernte man sich in den nächsten Monaten näher kennen und eines gab das andere.
Erst jetzt fiel mir ein, dass man mir bei unserem Besuch gar nichts dergleichen berichtet hatte. Ebenso war mir dieser andere Mann nicht aufgefallen.
Als ich Rory darauf ansprach, erklärte er sich. „Ich wusste nicht genau, ob es gerade sinnvoll war. Ihr ward gerade erst wieder zurück und die Kinder waren mit anwesend…“ Im Grunde tat es jetzt nichts weiter zur Sachen, wir wussten jetzt Bescheid. Dass reichte mir.
Auch Haytham sah ich an, dass er mit diesem Arrangement konform ging, wenn auch etwas skeptisch. Seine moralischen Ansprüche waren eben seiner Erziehung und der Zeit hier angepasst.
Leider musste Mr. Gillehand am nächsten Tag schon wieder aufbrechen, weil er in ein paar Tagen einen größeren Prozess vor Gericht hatte, auf den er sich noch weiter vorbereiten wollte.
Es ging um Veruntreuung von Steuergeldern ihrer Majestät, welche einem hochrangigen Mitglied des Stadtrates vorgeworfen wurden. Auch der Gouverneur in Richmond würde als Zeuge fungieren.
„Es ist, verzeiht wenn ich das so sage, aber es ist lächerlich, was wir hier an Steuern auferlegt bekommen, damit King George fröhlich gegen irgendwelche anderen Staaten in den Krieg ziehen kann.“ fauchte Rory, als er von seiner Recherche und ähnlichem berichtete.
„Leider wird es auch nicht in absehbarer Zeit besser, befürchte ich.“ sprach ich leise.
„Ihr habt es schon gesehen und ich muss gestehen, ich fürchte mich vor den kommenden Jahren ein wenig.“ wer konnte ihm das verübeln, beizeiten würde er sich für eine Seite entscheiden müssen. Neutral konnte er als Richter, der er jetzt war, nicht ewig bleiben. „Glaubt mir, ich weiß welcher Seite ich im richtigen Moment den Rücken kehren werde!“

 

Anfang Dezember trafen die Eheleute Lestrange ein, um mit uns die Geburtstage von Haytham und Edward zu begehen. Außerdem waren einige Nachbarn und Geschäftspartner eingeladen. Natürlich ließ es sich Madame de L´Isle nicht nehmen, ebenfalls zu erscheinen.
Sie hatte im vergangenen Jahr gute Profite eingefahren, was nicht zuletzt daran lag, dass die Routen auf See oder auch über Land nahezu Narrensicher waren!

Unser Sohn hatte sich zu einem kleinen Streichespieler entwickelt!
So hatte er die Zuckerdosen alle mit Salz befüllt, was natürlich für großen Unmut bei unseren Besuchern, besonders aber bei Haytham sorgte!
„Du wirst jetzt alle Dosen hierher holen und du kannst erst wieder gehen, wenn alle wieder mit Zucker befüllt sind, Edward!“ Mein Mann war zurecht wütend!
Maulend tat der kleine Kenway was ihm aufgetragen worden war. Kaum hatte er das erledigt, folgte bereits am nächsten Tag der nächste „Anschlag“.
Dieses Mal traf es Madame de L´Isle persönlich! Edward hatte eine der Mäuse, welche Mina ab und an ins Hause brachte, tot Odin sei Dank!, in das Bett der Dame gelegt!
Die Strafe kam prompt! Haytham hatte Walka am Halsband und brachte sie nach draußen zu ihren Brüdern und Schwestern!
„Das ist gemein!“ schrie Edward hinterher. Hilfesuchend sah er zu mir auf.
„Du bist zu weit gegangen, min lille skat. So etwas macht man nicht. Geh jetzt und entschuldige dich sofort bei Madeleine!“ mein Blick ließ keine Widerworte zu. Wütend stampfte mein Sohn von dannen, nuschelnd, dass wir alle böse sind und er niemanden mehr lieb hat.

 

„Alex, was ist nur in ihn gefahren?“ fragte mich mein Templer am Abend, als wir im Bett lagen.
„Das weiß ich nicht, ehrlich nicht. Ich weiß aber von Mildred, dass ihre Jungs auch gerne mal solche Streiche spielen. Sie verstecken die guten Schuhe oder neulich haben sie eine ganze Flasche Rum ausgekippt und Essig hinein gefüllt. Ihr Vater war nicht glücklich darüber, wie du dir sicherlich denken kannst.“ ich seufzte an seiner Seite, weil ich mir vorstellte, wie alle Jungs hier auf der Plantage zusammen hockten und sich irgendwelchen Blödsinn ausdachten!
„Vielleicht sollte man Edward für einige Zeit einfach verbieten mit ihnen zu spielen!“ kam es resolut von Haytham.
„Dann kannst du ihm auch gleich Hausarrest geben! Aber du müsstest ihn anketten, weil Edward sicherlich flinker ist und schneller abhaut, als wir schauen können.“ warum ich kichern musste bei diesem Gedanken, kann ich gar nicht sagen, aber ich erntete einen bösen Blick meines Gatten.
„Nun gut, wir sehen morgen weiter. Hoffentlich hat er nicht noch mehr ausgeheckt.“ gähnte er jetzt, zog mich in eine feste Umarmung. „Wir sind dieses Jahr übrigens 6 Jahre verheiratet, mi sol.“ flüsterte er leise in meine Haare.
„Die Zeit ist so schnell vergangen. Ich bin aber immer noch froh, dass ich hierher gekommen bin.“ nuschelte ich gähnend.

 

~~~ 4. Dezember 1768 ~~~

 

„Guten morgen, mi amor!“ flüsterte ich leise. Dabei ließ ich meine Lippen über Haythams Hals wandern, während meine Hände weiter über seine Brust und den Bauch strichen, bis sie ihr auserkorenes Ziel erreicht hatten. „Herzlichen Glückwunsch zu deinem Ehrentag.“ hauchte ich weiterhin leise an seine Haut.
„Mi sol… mach weiter…“ stöhnte mein Mann mit einem Mal, während er meine Hand ergriff um sie zu führen.
Doch nicht für lange! Mit Schwung zog er mich über sich, seine Finger lagen auf meinem Hintern und begannen mich zu dirigieren.
Ich lehnte mich etwas zurück, weil auch ich diesen Moment genoss. Es war immer noch ein fantastisches Gefühl, wenn ich Haytham so spürte.
Wir halfen uns gegenseitig über die Schwelle, was mir mein Mann mit einem gehauchten „Ich liebe dich!“ dankte.
Ich lag noch nicht ganz neben ihm, als es auch schon laut klopfte!
„Mama! Papa! Seid ihr wach? Was macht ihr gerade? Darf ich reinkommen?“ du meine Güte, hatte Edward schon Sabbelwasser getrunken?
„Ja, du darfst hereinkommen, wir sind schon wach! Und ich habe deinem Vater gerade … zu seinem Geburtstag gratuliert.“ grinste ich.
„Ich hab auch…“ traurig sah er mich an.
„Min lille skat! Wie könnte ich das vergessen, komm her und lass dich drücken!“ vermutlich erdrückte ich diesen Knirps gerade, aber das war mir egal. Diese Geburtstage waren immer sehr emotional für mich, ich sagte es ja schon einmal. Der Fluch der Mütter!

 

„Hast du gerade mit Papa hier aufgeräumt?“ fragend sah sich jetzt unser Sohn hier um. Für einen Moment starrte ich ihn sprachlos an… dann fiel mir wieder ein, dass wir ihm ja das laute Stöhnen von Jennifer damals so erklärt hatten! „Hier ist es aber gar nicht ordentlich!“ verwundert blieb sein Blick auf unserer Nachtwäsche, welche auf dem Boden lag, hängen.
„Nein, wir haben … einfach gekuschelt und uns … geküsst … und …“ ich war mir nicht sicher, ob es wirklich schon an der Zeit war aufzuklären.
„Ihr habt euch lieb gehabt, oder? Nathaniels Eltern machen das auch immer, sagt er.“ ich starrte diesen jungen Herren auf meinem Bett an! DAS würde ihm schon reichen, das ging ja schnell… Erleichtert atmete ich aus, erklärte ebenso, dass wir genau DAS gerade gemacht hatten.
„Bekomm ich dann auch bald noch einen Bruder? Oh bitte… ich will einen Bruder haben!“ Edward sah von einem zum anderen.
„Irgendwann vielleicht, mein Sohn. Wir müssen uns da überraschen lassen!“ lächelte ihn Haytham jetzt an.
„Aber ihr dürft nicht vergessen, mir das dann auch zu sagen!“ jetzt musste ich aber wirklich Prusten, weil er sicherlich eines der ersten Familienmitglieder sein würde, welches davon erfährt.
Damit war für meinen kleinen Schatz das Thema fürs erste vom Tisch. Wer weiß, wann er mehr wissen wollte, dachte ich mir.
Edward verschwand wieder in sein Zimmer, weil Sybill ihn schon gesucht hatte.

 

„Ich würde es gerne steuern können, dass wir noch ein Kind bekommen…“ dachte Haytham laut nach, während er bereits ein Hemd überzog.
„Hmmmm, wir können es ein wenig steuern, mi amor.“ schmunzelte ich, weil ich an meinen Zyklus und die fruchtbaren Tage dachte. Aber wie sollte ich IHM das mit den Spermien erklären? Faiths Mikroskop!
„Was? Wie soll das gehen, mi sol? Nur weil wir miteinander schlafen, wirst du ja nicht gleich schwanger…“ er hielt mit gerunzelter Stirn inne, weil ihm klar wurde, dass ich mehr als er wusste. „Ich glaube, auch ich muss aufgeklärt werden?“ fragte er mit einem breiten Grinsen und hochgezogener Augenbraue!
„Auf jeden Fall, mi amor. Und es wird mir ein Vergnügen sein, dir jedes Detail zu erklären.“ hauchte ich in seine Halsbeuge, nachdem auch ich mich aus dem Bett gepellt hatte. Seine flache Hand landete auf meinem nackten Po.
„Warum glaube ich dir das aufs Wort?“ seine Augen hatten sich schon wieder verdunkelt.
„Ich muss nur noch ein paar Vorbereitungen treffen. Lass dich überraschen, Haytham.“ hauchte ich und verschwand im Ankleidezimmer.

 

Unten im Esszimmer wurden wir von den Gästen erwartet, welche sich schon angeregt über die anstehende Feier unterhielten. Dieses Jahr würde es ein großes Barbecue auf dem „Dorfplatz“ geben, zu dem auch die Pächter mit eingeladen waren. Zu diesem Anlass war Haytham mit ein paar Männern vor drei Wochen auf der Jagd gewesen.
Bei dieser Gelegenheit konnten sie auch noch ein paar Landstreicher verscheuchen, welche sich mal wieder als Deserteure entpuppten.
Es gab insgesamt 4 große Spanferkel, diverses Kleinwild und natürlich die Beilagen. Die entsprechenden Gruben waren schon vor drei Tagen ausgehoben worden. Zu unserem Glück hatte es bis jetzt noch nicht wirklich viel geschneit, aber der Boden war schon ordentlich durchgefroren!

 

Im Laufe des Vormittags verfasste ich eine Nachricht an Faith, in der ich sie bat, mir ihr Mikroskop für ein paar Tage zu „Versuchszwecken“ zur Verfügung zu stellen.

 

… „Mo rionnag, ich glaube es ist an der Zeit meinen Mann über die Gene, die DNA und die Spermien aufzuklären. Auch Edward wird neugieriger. Ich verspreche dir, ich mache auch alles wieder sauber. Warum klingt das eigentlich so falsch, es ist ja nichts schlimmes, oder? Ich bin schon gespannt, wie Haytham auf diese Neuigkeiten reagiert.“ …

 

„Mi sol, schon wieder ein Brief an sie?“ genervt sah mich Haytham an.
„Du hast recht! Ich kann ja auch ganz anders mit ihr kommunizieren, wenn dir das lieber ist…“ grinste ich breit.
„Nein, lass das! Muss ich etwas vorher wissen, oder… tauscht ihr euch mal wieder über… Kochrezepte aus!“ perplex folgte ich dem Blick meines Mannes, welcher sich auf Edward gerichtet hatte. Ihn hatte ich gar nicht hereinkommen hören.
„Ja, genau so ist es. Für Silvester wollte ich doch etwas besonderes für dich machen.“ Bei Odin, ich war in solchen Dingen einfach wahnsinnig schlecht.
„Du kochst für uns? Was gibt es denn dann? Darf ich dir auch helfen? Flo will bestimmt auch…“ jetzt kannte unser Sohn kein Halten mehr und das Thema war vom Tisch!

Kapitel 9

~~~ Barbecue und Asgard ~~~

 

Ich war gespannt, wie lange Edward heute wach bleiben würde. Das Barbecue würde erst am späten Nachmittag beginnen, auch wenn hier schon hin und wieder der Geruch von brennendem Holz hinüber wehte. Es war recht windig, stellte ich frustriert fest und begann mit Sybill und Sophia die Kleidung für die Kinder zurecht zulegen.
Wir hatten bereits vor einiger Zeit alle Wintersachen in den Schränken verstaut. Beim Einräumen war mir dann aufgefallen, dass Florence UND Edward ein paar neue warme Sachen brauchten. Wir hatten wunderbar weiche Handschuhe oder auch Strümpfe aus der Wolle von unseren Schafen dieses Jahr. Auch ich hatte mir ein neues Paar zugelegt, weil ich immer recht schnell kalte Finger bekam.
Nach dem Mittagsschlaf meiner Tochter wollten wir uns langsam auf den Weg machen. Aber Florence sah irgendwie blass aus, Fieber hatte sie keines, Bauchweh schien sie auch nicht zu haben.
„Min lille engel, ist dir schlecht? Musst du spucken?“ fragte ich leise, während ich ihr durch die Haare strich.
„Bin müde, Mama!“ gähnte sie herzhaft.
„Miss Florence hat die letzten Nächte wohl nicht gut geschlafen, Mistress Kenway. Ich hatte es auf den Vollmond geschoben. Aber jetzt bei Tage…“ Sophia sah mich entschuldigend an.
„Wenn es nicht mehr geht, dann fahre ich mit ihr wieder zurück. Vielleicht ist auch einfach eine Erkältung im Anmarsch.“ im Grunde versuchte ich mich selber mit diesen Worten zu beruhigen.

 

Heute durfte dann auch Walka wieder mit dabei sein, was natürlich ihr Herrchen am meisten freute. Er ließ sie nicht aus den Augen!
Wir wurden herzlichst begrüßt, meinem Mann und Edward wurde ausgiebig zum Wiegenfeste gratuliert und bevor ich noch etwas sagen konnte, war unser Sohn mit ein paar anderen Kindern verschwunden.
Florence hingegen klammerte sich an mich und wollte nicht von meinem Arm.
„Ich friere…“ flüsterte sie, obwohl sie doch ganz dick eingepackt war! Seltsam. Also setzte ich mich mit ihr in die Nähe eines der großen Feuer für die Spanferkel. Dort sollte es ihr wärmer werden, hoffte ich.
Haytham ging mit einigen Herren herum, begutachtete das Wild und die Schweine. Auch stieß er hier und da mit ihnen auf die gelungene Jagd an.
„Mama… kalt…“ bibberte Florence auf meinem Schoß, welche ich schon zusätzlich in eine dicke Decke gehüllt hatte. Immer noch fühlte ich kein Fieber.
„Min lille engel. Tut dir denn etwas weh?“ flüsterte ich leise, während ich sie hin und her wiegte.
„Nein…“ das kam so leise aus ihrem Mund, dass ich erschrocken auf sie hinunter sah. Ihre Augen waren glasig, sahen wie durch mich hindurch.

 

„Mein Kind! Komm her!“ hörte ich Elias in meinem Kopf und folgte seiner Stimme.
„Deine Tochter steckt ihre letzte Lektion von Brünhild nicht einfach so weg.“ flüsterte er mir zu, als wir etwas abseits beim Versammlungshaus standen.
„Wie… Welche Lektion? Was habt ihr mit meiner Tochter gemacht?“ ich wurde panisch, was sich in meiner lauten Stimme auch prompt wieder spiegelte.
Neben mir erschien die Walküre zusammen mit Idun.
„Wir haben ihr versucht beizubringen, wie sie ihre Sprache weiter fördern kann. Wie sie über weite Strecken mit… wie sie mit ihrem Geist nach Asgard gelangen kann.“ ich hörte diese Worte, ich sah, wie Brünhild unsicher zu Odin blickte, ich spürte meine Wut…
„Ihr seid doch alle nicht mehr ganz dicht, oder? Weder ich beherrsche es, noch Haytham. Edward hat ebenfalls noch keine Einweisung bekommen! Aber meine Tochter mit 2 Jahren soll sich so verausgaben?“ ich zitterte vor Wut, in mir kochte es.
„Es war ein Versuch, aber es hat nicht funktioniert. Florence war aber in ihren Träumen so oft bei uns, dass wir… wir dachten, es wäre an der Zeit für sie!“ Mutter Idun stand etwas beschämt zwischen den beiden.
„Toll… und jetzt? Mein kleiner Engel ist krank und keiner kann ihr helfen?“ mit einem Schwung drehte ich mich um und verschwand Richtung der Lagerfeuer. Dort suchte ich nach meinem Mann, ich musste mir Luft machen.

Aber er kam mir schon entgegen, weil er meinen inneren Zorn gespürt hatte.
„Mi sol, ich habe es mitbekommen.“ vorsichtig nahm er seine mittlerweile schlafende Tochter auf den Arm. „Bleib du hier, ich werde …“ So weit kommt es noch, es ist SEIN Geburtstag.
„Nein, DU bleibst mit Edward hier! Ich nehme Sophia zur Vorsicht noch mit und fahre zurück, mi amor. Es ist EUER Geburtstag!“ Ich strich ihm über die Wange und gab meinem Mann einen liebevollen Kuss.
Gerade als ich mich in die Kutsche setzen wollte, erwachte Florence! Und das im wahrsten Sinne des Wortes!
„Mama, ich habe alles gesehen!“ ich starrte meine kleine Maus in meinen Armen an.
„Du hast… was hast du gesehen?“ Vor allem, sie sprach plötzlich ganz deutlich!
„Die Welt!“ bei diesen Worten versank ich in ihren grünen Augen… sah, was sie alles gesehen hatte… Es war fantastisch! Florence hatte wirklich alles, naja fast alles, gesehen. Odins Thron, auf welchem sie mit ihm sitzen durfte, die Halle der Krieger, wo man gerade einige Dinge beratschlagte.
Sie war am Brunnen der Nornen gewesen, welche ihr etwas von ihrem Wissen weitergegeben haben. Meine Tochter war hoch oben im Baum des Lebens gewesen und hatte alles überblicken können. Immer an ihrer Seite war Brünhild, welche auch jetzt plötzlich neben mir auftauchte. Mit Tränen in den Augen!

 

„Es hat doch funktioniert.“ flüsterte die Walküre leise, während ihre zartgliedrige Hand über den Kopf meiner Tochter strich. „Du würdest es einen „lag“ nennen, eine Verzögerung! Deine Tochter ist ein wunderbarer Mensch und wird wirklich mit euch gemeinsam das Gleichgewicht stützen.“
„Sie spricht plötzlich anders…“ warum gerade DAS in meinen Gedanken aufkam, wusste ich nicht.
„Florence wird sich noch nicht wie eine Erwachsene artikulieren können, aber ihr Wortschatz ist wesentlich größer geworden. Bedenke auch, dass die Sprachen noch einen großen Einfluss auf sie haben. Euer Sohn hatte auch immer wieder so seine Probleme, oder?“ immer noch streichelte Brünhild meine Tochter beruhigend, die mittlerweile wieder eingenickt war.
„Dann geht es ihr aber gut, ja?“ ich spürte die Tränen über meine Wange laufen.
„Ja, sie ist nicht krank und sie hat auch keine Schäden davongetragen. Im Gegenteil!“ lautlos verschwand die Walküre in einem Nebel.
„Min lille engel, ich hab dich so lieb. Odin sei Dank… nein, nicht ganz! Aber ich bin froh, dass es dir besser geht.“ weinte ich vor mich hin, während ich meine Tochter an mich drückte.

 

„Mi sol, ich … weiß gar nicht was ich sagen soll…“ Haytham war neben uns getreten, genauso wie Edward.
„Meine Schwester ist toll!“ kam es ehrfürchtig und voller Stolz aus dem Mund unseres Sohnes.
„Ihr ZWEI seid einfach großartig!“ ich kniete mich zu Edward hinunter und knuddelte auch ihn an mich.
„Ich habe Hunger!“ hörte ich plötzlich Florence an meinem Ohr sprechen.
„Magst du auch etwas von dem Spanferkel, was dein Vater erlegt hat?“ als hätte man das Licht angeknipst waren beide Kinder plötzlich Feuer und Flamme und vor allem … hellwach!

 

Florence war wie ausgewechselt, marschierte von einem zum anderen, plapperte was das Zeug hielt, so als wäre nichts passiert vorher.
Außerdem hatten sie und Edward einen gesegneten Appetit, was mich natürlich freute, so konnte ich mit Sicherheit sagen, dass niemand krank war.
Irgendwann stand aber Stephen, Mildreds Gatte, vor mir und bot mir von dem Hasen, welchen ER erlegt hatte an. Etwas verstohlen sah ich zu meinem Mann, welcher mit hochgezogener Augenbraue nickte. Es wäre unhöflich, abzulehnen. Also kostete ich ein kleines Stück.
„Das schmeckt hervorragend, aber ich glaube, ich bin mittlerweile einfach zu satt.“ ich hoffte, dass würde als Erklärung und Entschuldigung reichen.
„Wenn ich sehe, dass nur noch etwas von diesem Hasen und etwas von den Hühnchen übrig ist, kann ich mir das vorstellen…“ lachte Stephen, während er sich um die anstehenden Aufräumarbeiten kümmerte.
Es war mittlerweile schon nach 10 Uhr, wie ich erschrocken feststellte, als ich mir Haythams Taschenuhr geschnappt hatte. Ein Blick auf die Kinder zeigte mir aber, für sie war… die Nacht zum Tage geworden! Na großartig!

 

Wir machten uns jetzt alle nach und nach auf den Heimweg, einige der Nachbarn fuhren direkt nach Hause, ein paar blieben noch über Nacht.
Beim Herrenhaus angekommen, brachte ich Edward und Florence hinauf, während Haytham die anderen Gäste noch bewirtete.
„Mama, das war ein schöner Geburtstag!“ gähnte mir mein Sohn im Bett entgegen. „Wie bin ich eigentlich in deinen Bauch gekommen?“ bei diesen Worten lag er schon mit geschlossenen Augen da.
„Das erkläre ich dir die nächsten Tage, min lille skat. Heute ist es dafür zu spät.“ ich selber war zu müde.

 

Florence lag ebenfalls bereits gähnend in ihrem Bett, aber sie verlangte mal nicht nach ihrem Vater.
„Kommst du mit zu Brünhild…“ nuschelte sie, als ich sie zudeckte.
„Wenn du es möchtest, dann mache ich das bald einmal, versprochen, min lille engel.“ sprach ich leise und gab ihr einen Kuss auf die Wange, welche wieder rosig war.
„Sophia…“ mehr brauchte ich nicht sagen.
„Ich gebe euch sofort Bescheid, sollte etwas sein.“ das Kindermädchen lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und begann in einem Buch zu lesen.
Für einen Moment stand ich einfach auf der Schwelle, weil ich das alles noch nicht ganz verpackt hatte.
Florence wird anders unterrichtet, mein Kind. Mach dir heute keine Gedanken mehr darüber. Komm herunter und feier den Ehrentag deines Mannes noch ein wenig mit uns!
Es hatten sich aber jetzt bis auf Rory, Thomas, Elias und seine Frau alle anderen zur Nacht verabschiedet.

 

Da ich jetzt beruhigter war, konnte ich mir auch etwas alkoholisches gönnen und das tat ich. In nicht besonders kleinen Mengen, weil… es waren plötzlich Thor, Idun, Tyr (wie immer eigentlich), Heimdall und so weiter hier erschienen und waren der Meinung, dass der hiesige Met auch gefeiert werden sollte!
Ich hielt mich an meinem Champagner fest, was mir immer wieder ein Kopfschütteln einbrachte.
„Man könnte glauben, du leidest an Geschmacksverirrung. Aber wenn ich mir deinen Mann ansehe… nein, du hast einen sehr guten Geschmack.“ grinste Sigyn über ihr Glas hinweg in meine Richtung!

 

In dieser illustren Runde wurde heute auch der Lebensgefährte von Rory vorgestellt. Jetzt wo wir „unter uns“ waren, konnten die beiden sich ganz natürlich geben, ohne auf jedes Wort oder jede Geste achten zu müssen. Thomas war ein fröhlicher Mensch, unterhaltsam und seine Zuneigung zu unserem Advokaten sah man ihm einfach an.
„Ich wusste gar nicht, wie ich diesem Mann meine Liebe überhaupt gestehen sollte. Da sitzt man sich gegenüber und schweigt sich an. Dabei bin ich nicht gerade auf den Mund gefallen.“ lachend schilderten uns die beiden nun, wie sie sich näher gekommen waren.
„Du hattest aber immer so eine Zurückhaltung an dir, Rory. Wirklich getraut habe ich mich halt auch nicht.“ Thomas lächelte ihn liebevoll an.
Die beiden hatten dann den ersten klassischen Klischeekuss. Einer stolpert, der andere „fängt“ ihn auf und dann gibt eines das andere.
„Es war wie eine Offenbarung!“ in Rorys Stimme klang diese Erleichterung mit, welche er damals empfunden haben muss.

 

Gegen 4 Uhr verabschiedeten wir uns aber, die Kinder würden sicherlich wieder zeitig nach Aufmerksamkeit verlangen.
Als ich im Nachthemd noch einen Moment auf der Bettkante saß, fragte mich Haytham, ob alles in Ordnung wäre.
„Ja, es war halt sehr ereignisreich heute. Vor allem mit Florence und Brünhild. Ich bin gespannt, was sie mir zeigen möchte.“ ich erklärte meinem Mann, dass unsere Tochter mich danach gefragt hatte.
„Ich würde es wirklich gerne sehen, wie es dort ist.“ flüsterte er hinter mir, während er seine Arme um mich schlang. „Aber wie wäre es, wenn du mich heute noch ein wenig aufklären würdest?“ seine Stimme war so rau und lüstern, dass ich ihm diesen Wunsch natürlich erfüllte, auch wenn es schon so spät war.

 

„Solche Lektionen lasse ich mir doch gefallen, mi sol.“ hauchte er in meinen Nacken, als wir später aneinander geschmiegt im Bett lagen.
„Ich gebe mein bestes.“ kicherte ich leise und zog seine Arme um mich. „Jetzt schlaf aber, ein intensiverer Unterricht steht dir sicherlich bald ins Haus.“ bei diesen Worten gähnte ich so herzhaft, dass ich befürchtete, er hätte sie nicht verstanden.
„Ich werde da sein, versprochen!“
Langsam glitten wir in unsere wohlverdiente Nachtruhe!

Kapitel 10

 

~~~ Lehrstunde für Haytham ~~~

 

Ich wurde von einem lauten „Mama! Guten Morgen!“ geweckt!
„Edward, lass deine Mutter noch ein wenig schlafen. Es war gestern spät.“ gähnte Haytham.
„Dann gehe ich mit Walka schon mal runter.“ seufzte Edward theatralisch.
„Mach das…“ nuschelte ich leise, weil mein Mund sich wie mit Kleister bestrichen anfühlte.
„Mi sol, hast du etwa zu viel von dem guten Champagner gehabt?“ kicherte mein Templer neben mir.
„Kann sein, lass mich jetzt schlafen…“ leider konnte ich nicht weitersprechen.
„Mama… kuscheln!“ hörte ich die freudige Stimme von Florence, welche dabei war, auf unser Bett zu klettern.
„Verzeiht, Mistress Kenway. Miss Florence war einfach nicht aufzuhalten.“ gerade wollte Sophia ihren Schützling auf den Arm nehmen, als diese anfing zu zetern.
„Nein, will Mama und Papa Bünhit zeigen!“ dieser kleine Wirbelwind war richtig wütend, was in dem Fauchen in ihrer Stimme ganz eindeutig zu hören war.
„Aber…“ ich winkte ab und nahm sie an meine Seite, auch wenn mir mein Kopf drohte zu zerplatzen.
Das Kindermädchen knickste und ging dann.

 

„Min lille engel, kannst du damit bitte noch warten, bis ich angezogen und wach bin? Mir tut mein Kopf weh…“ flüsterte ich leise.
„Pusten?“ schon hauchte mir meine Tochter über die Stirn. Erwartungsvoll sah sie mich jetzt an. „Ist dein Kopf besser?“
Es klingt völlig absurd, aber tatsächlich waren die Kopfschmerzen weg.
„Ja, das hast du gut gemacht! Jetzt lass mich aber noch etwas trinken.“ dabei drückte ich sie doll an mich und gab ihr einen dicken Kuss.
„Florence, wie hast du das gemacht?“ wollte Haytham jetzt wissen, weil eigentlich Edward derjenige mit den Heilungskräften war…
„Eddy hilft…“ grinste sie, sah sich aber jetzt suchend nach ihrem großen Bruder um.“EDDY!“ brüllte sie plötzlich.
Kurz darauf flog erneut unsere Tür auf.
„WAS denn?“ rief er ebenso laut, aber als er mich sah, entschuldigte er sich gleich für seinen Ton. „Aber dir tut nichts mehr weh, hab ich recht?“ grinste mein Sohn breit.
„Nein, danke min lille skat!“ nuschelte ich über den Rand meines Glases mit Wasser hinweg.

 

Die Reise zu Brünhild verschoben wir auf nach dem Frühstück. Wir alle hatten Hunger und brauchten erst einmal eine kleine Stärkung.
Unten erschienen hintereinander weg alle Gäste, welche hier genächtigt hatten.
Als letztes erschien Elias, welcher leicht grün im Gesicht war, was mir ein Schmunzeln über die Lippen brachte.
„Kein Wort, Kind. Oder ich vergesse mich.“ ok ok … ich würde nichts sagen, nicht laut zumindest.
Rory und Thomas verabschiedeten sich direkt im Anschluss, wohingegen die Bassiters noch einen Moment blieben um sich mit Haytham über einen Auftrag nach Italien zu beraten. Der Tabak lag nicht in meinen Händen, also kümmerte ich mich mit Sigyn um einen verkaterten Allvater.
„Ihr tut gerade so, als wäre ich gerade erst von der Ragnarök auferstanden. Ich brauche nur etwas Ruhe. Ich bin alt!“ leider konnte ich mein Lachen nicht mehr bremsen, weil es so wehleidig und maulig klang, eben genau wie jeder normale Mann der krank ist auch. „Hatte ich dich nicht gewarnt…“ aber es passierte nichts, als er seine Hand hob.
Sigyn hielt ihn alleine mit ihrem Blick auf. „Und jetzt, sei still.“ gebot sie ihm.

 

Unser Advokat hatte gestern noch berichtet, dass eine Gruppe der „Söhne der Freiheit“ sich in Boston niederließen. Sie sammelten sich dort um Pläne zu schmieden diese Steuern und Unterdrückung endlich beenden zu können.
Haytham hatte die Bassiters verabschiedet mit der Bitte sich umgehend zu melden, wenn das Schiff für die Lieferung auslaufen sollte.
Anschließend kam er in den Salon um uns Gesellschaft zu leisten.
Wir beratschlagten nun ebenfalls, wie wir mit diesem Thema umgehen sollten. Da ich wusste, wo wir am besten mitmachten und wo wir lieber die Finger von lassen sollten, war ich ein gefragter Ansprechpartner an diesem Tag.
Vor allem musste ich den ersten Moment, wo auch Connor in Erscheinung treten würde, verhindern. Das „Boston-Massaker“ durfte nicht auf die Templer und die Bruderschaften zurück zuführen sein.
„Dann sollten wir dort alle bereits ansässigen Brüder und Schwestern entsprechend unterrichten, sich an entsprechenden Tagen möglichst nicht blicken zu lassen. Vor allem nicht an irgendwelchen Versammlungen teilzunehmen.“ grübelte mein Mann vor sich hin.

„Das ist eine Sache, dazu kommt, dass ich auch das schon mit Achilles im Vorfeld besprechen müsste…“ Haytham ließ mich nicht ausreden.
„Sag mir jetzt nicht, dass mein Sohn dort eigentlich die Verantwortung trägt.“ jetzt war ich es, die ihn mit großen Augen entgeistert ansah.
„Was? Nein… aber laut Aufzeichnung von Master Davenport und … deinem Sohn sind beide an dem Tag in Boston. Eigentlich müsstest auch du… dort sein…“ nuschelte ich leise.
„Wann wäre das, Alex?“ fragte mein Mann leise, aber er war nicht wütend, sondern einfach nur neugierig.
„Im März übernächsten Jahres glaube ich. Anfang März, wenn ich richtig liege.“
Alle waren sich einig, dass wir noch etwas Zeit hätten, entsprechend zu planen. Außerdem musste ich noch dieses Gespräch mit Shays altem Mentor abwarten!

 

Am Nachmittag verabschiedete man sich.
Als ich für einen Moment meine Ruhe hatte, saß ich auf der Bank hinten bei der Weideneiche und genoss die Wintersonne auf meinem Gesicht.
„Mama, hast du wieder Aua?“ flüsterte Florence neben.
„Nein, min lille engel. Es ist nur gerade so schön ruhig und warm hier draußen. Komm, setz dich zu mir.“ ich hob meine Tochter auf die Bank neben mich. Gemeinsam sahen wir auf den Fluss. „Wie geht es dir denn? Bist du immer noch müde, so wie gestern?“ fragte ich leise.
„Bin nicht müde. Hab Eddy gekuschelt.“ in ihrer Stimme klang eine niedlich Freude mit, wie immer wenn sie über ihren Bruder sprach. Er hatte sich wirklich zu einem GROSSEN Bruder entwickelt. Edward hatte, fast, immer ein Auge auf sie.
Als die Sonne dann langsam verschwand gingen wir beide hinein. Florence hatte noch einige Sachen erzählt, leider hatte ich nur die Hälfte verstanden, weil zu meinem großen Erstaunen plötzlich auch die alte nordische Sprache durchbrach. Faszinierend!

 

Ein Bote erschien und brachte mir von Faith die Nachricht, dass sie auch gespannt sei, wie mein Gatte mit diesem Thema dann umgehen würde. Zusammen mit dem Brief hatte sie das Mikroskop auch gleich mitgeschickt. Langsam wuchs eine gewisse Nervosität in mir, weil ich ehrlich gesagt noch nicht konkret darüber nachgedacht hatte, WIE ich die Spermien unter das Mikroskop bekomme.
„Du siehst aus, als würdest du eine wissenschaftliche Abhandlung in deinem Kopf ausarbeiten, mi sol.“ lachte Haytham, als er sah, wie ich dieses Instrument musterte. „Ich hoffe aber, du weißt, wie man das benutzt?“
„Ja, das schon aber… ich glaube, ich sollte vielleicht noch eine Nacht drüber schlafen. Dann sehe ich morgen weiter.“ hüllte ich mich in ein kryptisches Schweigen.
„Irgendwie macht mir das Angst.“ hörte ich meinen Templer neben mir.
„Gut so.“ grinste ich und drehte mich um, um das Mikroskop in unser Schlafzimmer zu bringen.

 

„Wozu ist das? Was macht man damit? Kann ich auch mal damit spielen?“ Edward hatte mich beobachtet, als ich hinauf ging.
„Das ist kein Spielzeug, min lille skat. Damit kann man Dinge erkennen, die man so nicht sehen kann, weil sie viel zu klein sind.“ versuchte ich eine Erklärung.
„Aber was willst du denn sehen?“ ich seufzte tief, weil ich mit diesen Fragen hätte rechnen müssen.
„Das ist ja das spannende, ich weiß es noch nicht.“ einem 5-jährigen würde ich sicherlich nicht die Gene, Spermien oder ähnliches erklären.
„Das ist ja langweilig.“ damit drehte er sich um und ging wieder hinunter.
Ich atmete tief durch, stellte den Kasten auf die kleine Kommode vor dem Fenster und sah mich nach einem kleinen Behälter um. Hier würde ich nicht fündig werden, also beschloss ich, in der Küche nach zu fragen.

 

Mich blickten erschrockene Gesichter der Belegschaft an.
„Keine Angst, es ist nichts passiert und ich habe auch keinen Anschlag auf euch vor. Ich bräuchte nur ein kleines Glas.“ ich deutete mit den Fingern, wie groß. Ein kleines Wasserglas sollte genügen.
Auf dem Weg nach oben kam Haytham gerade aus seinem Arbeitszimmer.
„Warum bringst du noch mehr Trinkgläser nach oben? Für dein Wasser haben wir schon genügend dort verteilt.“ lachte er, aber verstummte, als er meine hochgezogene Augenbraue sah. „Ah, ich verstehe. Das Experiment?“ ich nickte stumm. „Sag mir Bescheid, wenn du soweit bist, ich bin neugierig.“
Heute Nacht würde ich ihm, hoffentlich, alles erklären können. Ich hoffte vor allem, dass die Petroleumlampe genügend Helligkeit spenden würde, ansonsten müssten wir bei Tageslicht noch einmal… bei diesem Gedanken lief ich dunkelrot an und mein Unterleib begann zu kribbeln.
Ein Räuspern riss mich aus meinen schmutzigen Gedanken.
„Wie es scheint, ist es ein sehr tiefgehendes Experiment.“ Haythams flache Hand landete auf meinem Po, als ich mich umwandte um nach oben zu gehen.
„Auf jeden Fall, mi amor.“ hauchte ich leise.

 

Eheleute de L´Isle und de Granpré waren noch geblieben, weil sie sich bei Mr. Gillehand nach ein paar Pferden umsehen wollten. Vor morgen würden sie sicherlich nicht wieder hier sein.
Ich hatte mit meiner Geschäftspartnerin noch ein paar nette Unterredungen bezüglich Aveline gehabt. Das Mädchen war mittlerweile gut ausgebildet und machte sich einen Namen in der Bruderschaft im Süden.
„Sie hat schon einige Widersacher in die Flucht schlagen können, Mistress Kenway. Aveline ist eine Meisterin was Giftpfeile und Schleichen angeht.“ flüsterte sie verschwörerisch an meiner Seite.
„DAS ist immer sehr hilfreich, da stimme ich euch zu. Wie sieht der bisherige Zusammenschluss im Moment aus. Können wir von einem kleinen Erfolg bereits sprechen?“ meine Worte kamen etwas zögerlich, weil ich immer befürchtete, dass wir Null Fortschritt dort gemacht hätten.
„Ja, es sind immer nur kleine Gruppen von Assassinen oder auch abtrünnigen Templern, welche sich querstellen. Einigen kann man mit Argumenten und guten Worten beikommen, anderen wieder rum muss man das Schwert an den Hals legen.“ ihre resolute Art war manchmal unheimlich und ich stellte mir vor, wie sie dabei war, einen ihrer Feinde gerade zu töten.

 

Ich wurde im Laufe des Abends immer nervöser, was natürlich Haytham auffiel.
„Alex, du ziehst doch nicht in die Schlacht, es ist doch nur…“ er hielt inne, weil auch die Kinder noch anwesend waren.
„Was macht ihr heute noch? Willst du Vater das Mikroskop zeigen? Darf ich auch dabei sein? Bitte, Mama!“ bettelte Edward, während er mal wieder heimlich Fleisch von seinem Teller seiner Hündin gab.
„Nichts, min lille skat. Ich habe nur Angst, dass ich … es vielleicht kaputt machen könnte. Dann wäre Tante Faith sicherlich ziemlich böse mit mir.“ diese Worte sollten hoffentlich reichen, dass unser Sohn nicht heimlich an dieses Gerät ging!
„Oh, Tante Faith kann wirklich böse werden…“ dabei duckte sich Edward etwas. Mir entwich ein leises Prusten, weil sie anscheinend beim letzten Besuch Eindruck gemacht hat, durch ihre Übellaunigkeit.
„Genau deswegen!“

 

Florence und Edward waren im Bett, ich hatte alles was ich brauchte bereits zurecht gelegt. Von dem kleinen Glas, zur Pipette bis hin zum Objektträger und der Petroleumlampe war alles am Start. Fehlte nur noch mein Mann!
Dieser saß in seinem Arbeitszimmer über einigen Schriftstücken als ich eintrat.
Ich stellte mich hinter ihn und begann seinen Nacken zu massieren.
„Hmmmm, das tut gut, mi sol.“ flüsterte er an mich gelehnt. Seine Augen ruhten auf mir.
„So soll es sein, mi amor. Brauchst du noch lange oder…“ bevor ich noch etwas sagen konnte, donnerte er das Buch neben sich zu, verschloss das Tintenfass und löschte die Kerzen!
„Nein, ich bin fertig!“ in seinem Gesicht lag eine kindliche Vorfreude, die ich schon lange nicht mehr an ihm gesehen hatte.
„Dann komm mit.“ flüsterte ich lüstern.
Oben schloss ich leise die Tür hinter uns. Dieses Mal aber schloss ich ab, weil ich sicher gehen wollte, dass uns niemand stört. Denn das wäre nur sehr sehr schwer zu erklären für Edward oder auch Florence.

 

Ich schob meinen Mann Richtung des Sessels vor der Kommode. Sein Blick glitt über die Utensilien dort.
„Wenn ich es recht bedenke…“ kam es etwas zögerlich von ihm.
„Setz dich, mi amor und lass mich machen.“ küssend drückte ich ihn nach unten. Dann ließ ich mich vor ihm auf die Knie nieder.
Als meine Hände an den Knöpfen seiner Hose hantierten, sah er mich fragend an, ich aber schüttelte nur lächelnd den Kopf.
Vorsichtig begann ich ihn mit dem Mund zu verwöhnen, was mir ein großes Lob seitens meines Mannes einbrachte.
„Jesus, Alex!“ seine Hand vergrub sich in meinen Haaren, während die andere die Lehne umklammerte.

 

Jetzt musste ich den richtigen Zeitpunkt abpassen… aber da ich meinen Mann bereits in- und auswendig kannte, klappte alles wie geplant.
Langsam ließ ich dann von ihm ab und erhob mich vorsichtig.
Sein Blick lag skeptisch aber befriedigt auf mir.

 

Mit der Pipette beförderte ich einige Tropfen auf den Objektträger, legte diesen unter das Mikroskop und unweigerlich hielt ich die Luft an, als ich hindurch sah!
Ein wenig musste ich noch die Lampe näher heranbringen, aber dann… DA! Ich sah diese kleinen Schwimmer, die wie Kaulquappen aussahen und… Holla! Es waren einige und darunter auch recht flinke Spermien!
Ich konnte mir jetzt ein breites Grinsen einfach nicht mehr verkneifen!
„Schau hindurch und sag mir, was du siehst.“
Vorsichtig, als hätte ich ihn gebeten eine Bombe zu entschärfen, trat er an das Mikroskop. Eine Weile kam gar keine Reaktion, nicht einmal eine gerunzelte Stirn.
„Was… was in drei Teufels Namen sehe ich da? Und das…“
„Das, Haytham, sind Spermien. Sie sind dafür verantwortlich, dass ich schwanger werden kann. In diesen kleinen Schwimmern sind deine Gene, deine DNA vorhanden. Deswegen haben unsere Kinder viele Ähnlichkeiten mit mir und dir, weil wir das alles dadurch weitergeben.“ aber ich sah, das reichte ihm noch nicht.

 

Ich nahm mir das Blatt und den Kohlestift, was ebenso schon parat lag. Also malte ich, so gut es ging meine Gebärmutter auf. Anhand davon erklärte ich meinen Zyklus, wie die Eizellen auf diese Spermien warteten, wie die Zellteilung dann beginnen würde und so weiter.
„Und das alles weißt du woher? Das können doch noch nicht einmal die Ärzte wissen. Das ist… fantastisch, aber auch unheimlich.“ seine Stimme hatte einen leichten Unglauben angenommen, verständlich.
Als ich ihm berichtete, dass wir in der Schule Sexualkundeunterricht gehabt hätten und auch entsprechend aufgeklärt wurden, wuchs sein Erstaunen weiter.
„In der Schule, vor allen wird euch sowas gezeigt?“ natürlich nicht live und in Farbe, als ich das erwähnte atmete er etwas erleichtert aus.
Gene und DNA versuchte ich auch möglichst genau zu beschreiben. Ich hoffte, das würde fürs erste reichen.
„Ich bin ehrlich etwas sprachlos. Das heißt, jedes mal wenn wir miteinander schlafen könntest du schwanger werden. Aber das klappt nur an diesen, wie nanntest du sie, fruchtbaren Tagen. Warum aber nicht zwischendurch?“ also beschrieb ich, dass auch die äußerlichen Umstände oft dazu beitrugen, dass man nicht schwanger wurde. Oder auch dass man vielleicht schwanger war, bekommt aber doch seine Blutung.

 

„Überwältigend, Alex. Wirklich!“ kam es etwas später, als er bereits im Bett lag und ich alles wieder gereinigt hatte.
Ich wollte mir gerade mein Nachthemd anziehen, da sah ich aus dem Augenwinkel, wie Haytham mit dem Kopf schüttelte und mit einem Fingerzeig mich ins Bett orderte.
„Für diesen ausgiebigen und lehrreichen Unterricht hast du dir eine Belohnung verdient!“ raunte er an meinem Hals und ließ sich langsam an meinem Körper nach unten gleiten!

 

Und ich kann euch sagen, ich würde ihm jeden Tag so etwas beibringen, wenn DAS dabei herausspringt für mich!

 

Kapitel 11

 

~~~ Blutiges Silvester ~~~

 

„Guten morgen, mi sol.“ hörte ich die tiefe Stimme meines Mannes an meiner Seite. Ohne ein Wort kuschelte ich mich an ihn, weil ich noch an die letzte Nacht denken musste. Meine Hand strich vorsichtig über seine Brust gefolgt von meinen Lippen. „Du bist also schon mehr als wach, wie ich sehe.“ flüsterte er, während er mich langsam unter sich drehte.
„Ich glaube schon, aber vielleicht solltest du noch einmal auf Nummer sicher gehen.“ meine Stimme versagte mir, als ich ihn in mir spürte.
„Wacher geht es nicht…“ dabei wurden seine Bewegungen schneller, genau wie unsere Atmung, aber es war einer dieser stillen Momente zwischen uns. Nur unsere Körper zählten.
Als er meine Hände wieder frei gab, strich ich vorsichtig über seinen Rücken.
„Das war wundervoll.“ flüsterte ich leise.
Sein liebevoller Blick reichte völlig aus.

 

Lautes Klopfen war plötzlich zu hören!
„Warum habt ihr abgeschlossen!“ jammerte Edward vor der Tür und Walka stimmte jaulend mit ein.
„Weil es gerade die Zeit für deine Mutter und mich ist, mein Sohn.“ rief Haytham grinsend.
„Ich geh ja schon wieder.“ dieses Stampfen ließ mich wütend werden und ich war drauf und dran unseren Sohn zurecht zuweisen!
„Beruhige dich. Auch er darf mal wütend sein, oder?“ perplex sah ich meinen Templer an.
„Und das aus deinem Munde? Was hast du mit meinem Ehemann gemacht, wo ist er hin?“ grinste ich jetzt.
„Ich… weiß nicht. Aber ich bin überaus entspannt und ausgeglichen gerade. Ich kann auch gerne wieder…“ bevor er weitersprechen konnte, bedeckte ich seinen Mund mit Küssen!
Trotzdem mussten wir aufstehen, es war schon hell und ich hörte Florence bereits.

 

Mit einem bösen Blick von Edward wurden wir unten im Esszimmer begrüßt.
„Min lille skat, du weißt doch, dass es diese Zeiten nur für uns Eltern gibt. Das haben wir dir erklärt.“ versuchte ich noch einmal eine Erklärung.
„Schon verstanden!“ fauchte er mich an.
Florence hingegen war guter Dinge und ließ sich ihr Frühstück schmecken. Erfreut stellte ich fest, dass sie seit neuestem auch gerne Äpfel aß. Sonst spuckte sie die immer wieder aus, weil sie zu sauer oder zu hart waren.

 

Die nächsten Wochen verbrachte ich intensiver mit Edward, weil wir im Januar ein erneutes Gespräch mit Mr. Hathaway vereinbart hatten bezüglich des Unterrichts für ihn.
Ich muss sagen, unser Sohn machte sich wirklich gut. Er war konzentrierter als ich dachte.
Sogar beim Vorlesen war er ruhig, stotterte nicht mehr.
Nur mit dem Rechnen, da haperte es immer wieder. Wenn ich aber als Beispiel für die Zahlen Äpfel aufmalte, verstand er es schneller. Schnell hatte Edward auch raus mit den Fingern nach zuzählen, oder er rechnete anhand der Blumen auf der Tischdecke im Wintergarten. Sobald aber die nackten Zahlen zu sehen waren, sah ich regelrecht das Wirrwarr in seinem Kopf.
Ich ließ deshalb einen Abakus für Edward anfertigen, damit er üben konnte.
Derweil würden seine Zinnsoldaten oder die Holztiere herhalten müssen.


Auch Florence machte sich im Laufe dieser Dezemberwochen. Wir merkten aber, wie bei Edward am Anfang auch, dass sie oft die Sprachen nicht auseinander halten konnte, oder sie verstand mich zum Beispiel nicht, wenn ich deutsch mit ihr sprach.
Das würde sich noch legen, dass wusste ich ja bereits.
Außerdem hatte sie einen niedlichen Sprachfehler, sie konnte beispielsweise nicht Schmetterling sagen, sondern sagte Metterbim. Es klang halt einfach süß, das finden aber vermutlich auch nur die Eltern niedlich. Also weiter im Text!

 

Am Silvestermorgen rannte mir unser Sohn entgegen und brüllte „Und Mama? Was kochst du heute? Du hast doch mit Tante Faith darüber gesprochen!“
Ich sah ihn verwirrt an, bis mir einfiel, dass das ja nur als Notlüge gedacht war und ich jetzt in der Bredouille saß. In die Küche durfte ich laut Haytham nicht und ich hatte ja gar nichts geplant.
„Wir… ich…“ Der Boston-Apple-Pie! „ Wir machen diesen Apfelkuchen mal wieder, ja? Hilfst du mir?“ oh das würde jetzt lustig werden, weil ich gar nicht wusste, ob auch alles noch genügend vorrätig war.
Auf dem Weg zur Küche fing mich mein Templer ab.
„Wohin des Weges?“ diese zynische Frage überging ich, indem ich ihm mitteilte, dass ich ja das Versprechen an unseren Sohn einhalten musste. „Ohh, ja… natürlich… Versprechen muss man halten.“ grinste er mich an als er verstand, dann sah er zu Edward. „Hilf deiner Mutter und hol auch deine Schwester dazu.“ damit drehte er sich um und verschwand Richtung Arbeitszimmer.

 

Mit vereinten Kräften improvisierten wir mit dem Küchenpersonal diesen Kuchen. Die Kinder waren begeistert bei der Sache, vor allem als es um den Mürbeteig ging. Davon landete mehr in den Bäuchen von Edward und Florence, als in der Backform.
„Miss Florence, so haltet ihr den Kochlöffel besser zum Rühren.“ hörte ich eine der Mägde, welche meine Tochter unter ihren Fittichen hatte, während Edward der Köchin half, die Marinade zu machen.
„Die schmeckt so lecker…“ mit einem kleinen Löffel davon lief er zu seiner Schwester, damit sie kosten konnte.
„Njjjjjjjammmmm!“ quietschte sie.
Im Anschluss mussten wir nur noch auf das Endergebnis warten. Bis dahin wusch ich die beiden und zog sie um.
Beim Mittagessen erzählte man nun Haytham von der erfolgreichen Herstellung des Boston-Apple-Pies.
„Ich hoffe er schmeckt so gut, wie ihr es beschreibt.“ lächelte mein Templer seine Kinder an.
„Natürlich Vater! Ich hab ja mitgeholfen….und Flo auch!“ kam es nach kurzer Pause.

 

Dieses Jahr verbrachten wir Silvester bei den Bassiters. Das hieß keinen Mittagsschlaf für Florence, weil wir direkt nach dem Mittagessen aufbrechen wollten, damit wir am Abend zeitig dort erscheinen konnten. Der Kuchen wurde als Gastgeschenk mitgenommen. Ich hatte den Kindern versprochen, dass sie ihn übergeben dürften, weil sie ihn ja auch gebacken hatten.
Dort angekommen herrschte schon rege Betriebsamkeit.
Wir waren einige der letzten Gäste die eintrafen. Wir würden über Nacht bleiben, alleine schon wegen der Kinder!
Es gab ein erlesenes Abendessen, welches meine Tochter fast verschlief, weil sie immer wieder einnickte. Sophia brachte sie kurzerhand ins Bett.
Edward durfte noch aufbleiben, so lange er denn konnte. Gegen 9 Uhr war aber auch er eingeschlafen!

 

Wir saßen gerade alle im Salon, als wir lautes Klirren aus der oberen Etage hörten, dann war lautes Geschrei zu vernehmen.
In meiner Panik wollte ich schon meine Klingen vorschnellen lassen, als mir einfiel, dass ich mal wieder völlig unbewaffnet erschienen war! Scheiße!
Haytham hingegen hatte sein Schwert auf einem Tisch bei der Eingangstür abgelegt, wie alle Herren!
„Warte hier, wir sehen nach, mi sol.“ mahnte mich mein Mann, weil er sah, dass alle Frauen in einer Schockstarre beisammen standen. Musste ich jetzt hier Wache halten? Aber… er drückte mir seinen Dolch in die Hand!
Nicht viel, aber wenigstens etwas. Wenn alle Stricke reißen, dann wissen wir ja, worauf wir uns berufen können! Hörte ich ihn in meinem Kopf, was mich postwendend beruhigte, da ich diese Möglichkeit immer noch nicht so ganz verinnerlicht hatte.

 

„Setzt euch bitte dort an die Wand und rührt euch nicht. Keiner geht ans Fenster oder die Tür!“ instruierte ich die Damen, welche alle durch die Bank weg blass geworden waren.
„Aber meine Kinder…“ jammerte eine junge Frau.
„Ihnen passiert nichts! Unsere Männer sind ja da.“ Bei Odin, ich hasste es, wenn ich nicht selber für diese Sicherheit sorgen konnte, sondern sie den Herren der Schöpfung überlassen musste.
Ich ließ meinen Blick nach oben wandern und sah einige rote Auren, welche sich aber ausschließlich, bis jetzt noch, auf der linken Seite befanden. Dort waren nur Angestellten-Zimmer. Die Gäste- und Kinderzimmer waren auf der anderen Seite, einige davon auch eine Etage höher! Etwas erleichterter atmete ich aus und gab Entwarnung!
„Woher wisst ihr das, Mistress Kenway?“ hörte ich die zweifelnde Stimme einer Mutter. Verdammt!
„Weil ich die Geräusche direkt über uns höre, also sind sie augenscheinlich nicht dort drüben eingestiegen!“ hoffentlich reichte das fürs erste.
„Aha… Euer Wort in Gottes Ohr!“ Nein, Odins Ohr bitte!

 

Plötzlich hörten wir Getrampel und erneutes Glas springen aus dem Eingangsbereich, was mich sofort in Hab-Acht-Stellung versetzte. Vorsichtig schlich ich mich zur Tür, öffnete sie einen Spalt, damit ich hinaus lugen konnte.
Alle Herren waren hinauf gestiefelt, sodass hier unten keiner mehr war! Ich alleine konnte gegen diese Angreifer aber nicht viel ausrichten! Oder sollte ich es einfach versuchen?
„Ich werde jetzt da raus gehen, verschließt hinter mir die Tür und schiebt etwas schweres davor. Die Kommode dort drüben wäre ideal. Tut einfach, was ich sage!“ befahl ich, während ich schon fast draußen war.
„Ihr könnt uns doch nicht auch noch alleine lassen!“ flehte eine der Frauen!
„Doch, weil diese Meute sonst hier hereinplatzt! Wenn ihr gerne Opfer einer Vergewaltigung oder Schlimmeres werden wollt, dann bitte…“ ich wurde ungehalten, Thyra brach langsam durch, ich musste JETZT dort hinaus!
„Versprecht uns, dass den Kindern nichts passiert!“ heulte eine andere Dame!
„Ich verspreche es!“ sagte ich knapp, wappnete mich und war im Eingangsbereich!

 

Für einen Moment konzentrierte ich mich, sah meine Vorfahrin vor mir, ihre Montur, ihre Waffen… dann fühlte ich sie!
„Dann wollen wir diesen Arslingen (ein veralteter nordischer Ausdrück für A... ihr wisst schon) mal zeigen, wer hier das Sagen hat!“ brüllte sie, oder ich, als sie schon vorstürmte.
Wie immer lagen diese Äxte wie ein Wohlfühlgewicht in meinen Händen, dieses weiche Leder der Hose und des Harnischs… ich war angekommen!
„Jungs, da will sich so ein komisches Weib in unsere Angelegenheiten mischen!“ rief einer der Einbrecher belustigt zu seinen Kumpanen!
„Das komische Weib zeigt euch schon, wohin ihr gehört! Ihr werdet gleich nur noch ein kleiner jammernden Haufen Elend sein!“ brüllte sie mit einem Kampfschrei und stürmte auf die Männer zu!

 

Diese Äxte schnetzelten sich durch Arme, Oberschenkel und -körper! Ha, sie alle hatten keinen echten Kampfgeist, geschweige denn konnten sie sich gegen zwei Waffen gleichzeitig verteidigen.
Aber auch ich hatte es nicht leicht!
Sie versuchten es von allen Seiten, wollten links antäuschen und rechts ausführen! Nicht mit mir.
Dann erwischte mich doch tatsächlich eines dieser Schwerter auf der rechten Seite meines Bauches! Verdutzt schaute ich auf die Klinge, welche in meinem Fleisch steckte!
Erschrocken wich ich zurück, fühlte den Schmerz und das Blut, welches sich seinen Weg nach draußen bahnte! Aber es beflügelte mich auf eine eigenartige Weise!
Der nächste in der Reihe, war der Ansicht er könne mit seiner Faust mein Gesicht neu modellieren! Nein, ich verschönerte seinen Hals mit einem breiten Schnitt meiner Axt!

„Hier stimmt was nicht, Männer! Dieses Weib … sie ist … da stimmt was nicht…“ brüllte einer dieser Banditen mit aufgerissenen Augen, während er bereits röchelnd zu Boden ging.
Mittlerweile lagen 5 seiner Leute ebenfalls auf dem guten Parkett! Was für eine Sauerei!
„Oh mein Gott! Sie ist es wirklich! Leute! Diese… es gibt diese leuchtende Frau wirklich!“ Schwert schwingend rannte er dennoch auf mich zu, schlug zu, unachtsam und in Panik.
Auch er fand einen Weg mich zu verletzen, dieses mal drang die Schwertspitze direkt in meinen Oberschenkel. Dort blieb sie stecken! Vor Schreck weil er seine Waffe nicht mehr herausbekam zerrte er an mir, aber das machte mich nur wütender.
„Bei Odin! Mach schon, du Schlappschwanz. Oder soll ich ihn dir auch noch beim Pissen halten!“ brüllte ich diesen Idioten vor mir an und zog das Schwert mit meiner bloßen Hand heraus.

 

Ich hörte um mich herum ein lautes „ES REICHT!“ was alle verstummen ließ!
Wie angewurzelt stand ich da, schaute mich um! WER hatte mir hier zu sagen, wann Schluss ist? Noch kann ich das alleine entscheiden.
Vor mir tauchte Hemsleth auf, welcher mich mahnend ansah! „Sie haben genug, es gibt keine Sieger!“ ich sah das Schlachtfeld vor mir, die vielen Toten Sachsen und Clan-Mitglieder um mich herum.
Langsam ließ ich meine Äxte sinken und lehnte meine Stirn an die Brust meines Geliebten.
„Es ist vorbei!“ diese Stimme…
Langsam kehrte ICH wieder zurück, aber nicht ohne einen bissigen Kommentar von Thyra.
„Bei Odin! Tyr, such dir ein besseres Timing!“ grinsend verzog sich meine Vorfahrin in meinem Geist.

 

Jetzt realisierte ich, was passiert war.
Fast alle von dieser Meute waren tot oder schwer verletzt. Nicht nur hier unten, auch auf der ersten Etage gab es Verluste. Leider auch von zwei Ehemännern der anwesenden Damen!
Vorsichtig warf ich einen Blick auf meinen Körper, ich trug mein Kleid! Aber die Wunden! Sie waren da und taten höllisch weh. In dem Moment wo ich das realisierte sackte ich zusammen und ab da… hörte ich dumpfes Stimmengewirr um mich herum.
Als ich wieder zu mir kam, war es bereits hell. Ich lag in einem Bett, an meiner Seite saß mein Sohn.
„Mama, du bist wieder wach!“ flüsterte er, während er mir einen kalten Lappen auf die Stirn legte!
„Danke, min lille skat! Aber was machst du hier, wo sind dein Vater und deine Schwester? Geht es euch gut…“ mehr konnte ich gerade nicht zustande bringen, weil mich ein brennender Schmerz im Oberschenkel vom Sprechen abhielt.
„Dein Knochen ist kaputt, Mama! Nicht bewegen. Das dauert noch ein paar Tage, aber ich verspreche dir…“ mein Sohn warf sich auf meine Brust und weinte bitterlich!
„Es ist in Ordnung, min lille skat!“ flüsterte ich, bevor ich wieder in diesen dunklen Sumpf versank…

 

Kapitel 12

~~~ Odins Halle wartet auf mich ~~~

 

„Edward… du machst das gut… aber ruh dich jetzt aus…“

„Sie hat zu viel Blut verloren…“

„Dieses Fieber macht mir Sorgen…“

~~~

Das und noch mehr vernahm ich in einigen kurzen lichten Momenten! Sie blitzten immer für den Bruchteil einer Sekunde auf, blieben aber nicht lange!
Im Grunde fühlte ich mich gut. Ich war in einer weichen kuscheligen Welt aus Nichts! Meine Gedanken kreisten um… nichts.
Ab und an hatte ich Bilder vor Augen von spielenden Kindern, von einem Mann, der mich liebevoll ansah… Aber nie für lange!

~~~
 

Irgendwann lief ich durch einen Wald, welcher gerade erblühte, es musste wohl gerade Mai sein! Dieses Grün der Bäume ist einfach unverkennbar.
Auf einer Lichtung blendete mich die Sonne so stark, dass ich ins Straucheln geriet… Aber es war etwas anderes, das so hell erstrahlte.
Ich sah dieses riesige Tor vor mir und wusste, dass ich dahinter endlich meinen Frieden finden würde. Meine Beine trugen mich wie von alleine dorthin.
Ich hörte nichts in diesem Moment, selbst meine Schritte waren nicht zu vernehmen. Plötzlich realisierte ich das und sah an mir herunter.
Ich trug ein blutdurchtränktes Nachthemd, welches in Fetzen an mir herunterhing. Meine Haut hatte einen blassen gräulichen Schimmer! Meine Atmung ging hektisch, hyperventilierend. Mein Herz schien mir aus der Brust springen zu wollen.
Aber ich ging weiter, ich musste dort durch!

 

Kurz bevor ich das Tor erreichte zerrte etwas an mir und drehte mich zu sich herum. Ich blickte in das faltige Gesicht des Wanderers, welcher mich kopfschüttelnd und zugleich traurig ansah!
„Das ist noch nicht deine Zeit, Kind!“ seine Stimme klang seltsamerweise beruhigend.
Mein Blick glitt an ihm vorbei, wo ich drei Menschen sah. Alle schimmerten in einem hellen gelbgold und zogen mich damit magisch an.
„DORTHIN gehörst du, mein Kind!“ wieder fühlte ich diese Stimme richtig. Sie führte mich in die Richtung dieser Personen.
Als ich näher kam, kristallisierten sich die Umrisse, ich nahm die Konturen wahr und erkannte meine kleine Familie wieder. Haytham, Edward und Florence! Sie warteten auf mich!
Das letzte Stück sprintete ich regelrecht, weil ich es nicht abwarten konnte, sie alle wieder in meinen Armen zu haben!

~~~

„Alex! Du bist wieder wach!“

„Mama…“

„Du musst bei uns bleiben…“

„Es dauert jetzt noch ein wenig. Aber seid unbesorgt, es wird eurer Gattin bald wieder gut gehen!“ diese Stimme kannte ich doch?

 

Vorsichtig öffnete ich die Augen! Verschwommen nahm ich ein paar Umrisse wahr, welche langsam klarer wurden!
An meinem Bett standen mein Mann und meine Kinder!

 

„Mom! Ich bin so froh, dass du wieder wach bist!“ das war doch…
„Yannick?… Aber…“ meine Kehle fühlte sich an, als hätte ich Stacheldraht geschluckt!
„Ich bin hier…“ diese Umarmung tat mir gut. Sein Zittern durch seinen Gefühlsausbruch konnte ich nur erwidern. Es tat unendlich gut meinen großen Sohn in meiner Nähe zu haben! Leider verabschiedete er sich kurz danach mit den Worten, wir würden uns wiedersehen. Traurig lehnte ich in den Kissen, weil ich ihn wirklich vermisste!

 

Langsam kam ich wieder an, man reichte mir einen Becher mit Wasser. Außerdem kühlte man immer noch meine Stirn.
Als ich jedoch mein linkes Bein bewegen wollte, dachte ich, es würde abfallen!
„Noch nicht so viel bewegen, wir werden in den nächsten Tagen versuchen dich wieder mobil zu kriegen. Aber du hast eine heftige Blutvergiftung gehabt, welche zuerst behandelt werden musste!“ Haytham setzte sich neben mich und hielt meine Hand.
„Was ist denn passiert?“ flüsterte ich, weil ich nicht mehr alles zusammen bekam.

 

Nachdem ich wieder ICH war, sackte ich zusammen, weil ich wirklich sehr viel Blut verloren hatte.
Man hatte mich danach in unser Zimmer gebracht und nach dem hiesigen Arzt geschickt. Während man auf diesen wartete, hat Edward Junior bereits angefangen mich zu heilen. Er hat es versucht. Aber das Schwert hatte meinen Knochen durchstoßen, weswegen einige Splitter in meinen Blutkreislauf gerieten. Dadurch hatte ich auch noch innere Blutungen und eine Blutvergiftung kam ebenso hinzu, weil die Waffen der Banditen natürlich nicht steril waren!
Das ganze dauerte nun schon 5 Tage, aber dank Edward und Alex konnte das schlimmste verhindert werden.

 

Du warst auf dem Weg in die große Halle, mein Kind. Aber ich hätte es nicht verhindern können. Dein Sohn und dein Enkel haben Hand in Hand gearbeitet um dich wieder nach Hause zu bringen. Brünhild stand schon bereit, aber deine Tochter wachte ebenso an deiner Seite und hat dir die nötige Kraft gegeben dem Drang zu widerstehen, durch diese Tore zu gehen! Es ist noch nicht deine Zeit, mein Kind. Mein Allvater flüsterte diese Worte, ich spürte, dass er erleichtert war. Auf der anderen Seite würde er auch mich gerne dort sehen!
Aber wann weiß ich, dass ich wirklich dorthin gehen kann? Fragte ich leise, erhielt aber keine Antwort. Frustriert ließ ich mich in die Kissen sinken.
„Mi sol, hier. Trink etwas.“ wieder hielt mir mein Mann den Becher hin.
Sein Ernst? „Ich brauch das nicht…“ bevor ich aber noch ausholen konnte, setzte er das Gefäß an meine Lippen und kippte. „TRINK!“ was soll ich sagen, es war eine Wohltat, als ich dieses kühle Wasser in meinem Hals fühlte.
„Danke…“ nuschelte ich verlegen.

 

„Mama, ich hab dich lieb!“ hörte ich Edward und Florence wie aus einem Mund sprechen. Beide saßen neben mir und sahen mich traurig an.
„Ich habe euch auch ganz doll lieb und danke, dass ihr mir so geholfen habt. Das habt ihr fantastisch gemacht!“ flüsterte ich, weil mir meine Stimme versagte.
„Miss Florence, Master Edward, jetzt lasst eure Mutter noch ein wenig ausruhen. Kommt, wir wollen nach dem kleinen Fohlen schauen.“ das war Sybills Stimme wenn ich mich nicht täuschte. Nein, mein Blick in die Richtung bestätigte es.

 

So waren es jetzt nur noch Haytham und ich in diesem Zimmer. Es war aber nicht unser Schlafzimmer, sondern unser Gästezimmer bei den Bassiters.
„Mi sol, ich bin so froh, dass es dir besser geht.“ plötzlich lag er auf meinen Oberschenkeln und… seine Schultern bebten!
„Mi amor! Was… ich… war es wirklich so weit …“ ich mochte es nicht aussprechen.
„Dein Leben hing an einem seidenen Faden. Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich sagen, Sigyn hat für dich einen neuen gesponnen!“ ich hatte Haytham wirklich noch nie so erlebt! Diese Erleichterung, gepaart mit der Angst, dass ich im Sterben liege, war herzzerreißend. Es tat weh!
Ich wäre dort in Odins Halle nicht alleine, meine Familie wäre schon dort. Ich würde von dort alle weiter beschützen, oder nicht? Aber plötzlich war dieser Gedanke doch nicht mehr so tröstend!
Mein Mann, meine Kinder… sie wären nicht mit mir dort!
War es das, was man Lebenswille nannte? Man wollte NOCH nicht dort sein?
„Vermutlich, mi sol. Aber du bist wieder hier und die Knochen… wenn du dich ein wenig weiter erholt hast, dann wird Edward mit Idun… sie werden es wieder richten.“ dabei druckste Haytham ein wenig herum.

 

„WAS genau werden sie machen? Es wird wehtun, oder?“ fragte ich pragmatisch nach.
„Ja, SEHR schmerzhaft und es wäre von Vorteil, wenn du nicht bei Bewusstsein bist.“ Chloroform! Aber… das war mir zu riskant, weil noch niemand wirklich wusste, wie man es richtig dosierte!
„Wir müssen es… ausprobieren!“ ich sah in seinen Augen den Widerwillen, genau das tun zu müssen. Es widerstrebte meinem Mann, nicht zu wissen, was genau passierte. Er brauchte diese Liste, diese Ordnung, diese Struktur… Ja, auch ich war Templer, mittlerweile wurde es mir immer bewusster. Ich war es im Herzen schon viel länger!
Man hatte bereits Dr. Ambrosch informiert, welcher nun die entsprechende Ration besorgte. In den nächsten Tagen würde er hier damit erscheinen.
„Versprich mir nur eins, Haytham! Bleib bei mir! Lass mich nicht alleine!“ ich brach plötzlich in Tränen aus, weil ich Angst bekam. Was wenn ich danach nicht mehr aufwachte?
„DAS werde ich nicht zulassen!“ mit einem Male leuchtete sein gesamter Körper und diese Kraft übertrug sich auf mich… Sie brachte mir den Mut, mich auf dieses Abenteuer einzulassen!

~~~

Die nächsten Tage, es müssen drei gewesen sein, vermute ich, habe ich mich langsam weiter erholt und fühlte mich immer besser. Die Vergiftung schien wirklich nicht mehr vorhanden zu sein.
Aber diese Schmerzen in meinem Bein waren, besonders nachts wenn man zur Ruhe kam, kaum auszuhalten.
„Ich kann dir noch etwas Laudanum geben…“ danke nein! Immer wenn ich es vehement ablehnte erntete ich fragende Gesichter. Ich wollte mich doch nicht abhängig machen, bin ich denn verrückt?

 

Dann endlich erschien der kleine Arzt, welcher mich mitleidig ansah.
„Ach, Mistress Kenway. Es wird schon wieder. Wir bekommen das hin, nicht wahr.“ dabei tätschelte er mir die Wange. Er war wie der gute Opa mit großer Zuversicht, der einem jede Angst nehmen konnte. Wehmütig dachte ich plötzlich an meinen Großvater, auch er war so…

 

Es wurde ernst.
Im Raum blieb nur Haytham, Dr. Ambrosch und Edward. Man hatte den Arzt bereits entsprechend eingewiesen.
Das Leinentuch wurde vor meinem Gesicht auf ein kleines Gestell gespannt.
„Mistress Kenway, habt keine Angst. Ihr werdet das Gefühl haben, dass ihr ohnmächtig werdet. Aber das geht schnell vorbei. Wenn ihr wieder aufwacht, dann ist alles vorbei!“ Bitte, lasst einen Anästhesisten hier erscheinen mit den Narkosemitteln, ging es mir durch den Kopf, ehe ich wirklich weg war…
Hach das ging ja schnell…

~~~

„Die Splitter sind zu tief… nein… hier ist der größte… wir müssen weiter schneiden… ah verdammt! HIER! Jetzt zieht fester zu… genauso! Gott sei es gedankt, dass nicht der gesamte Knochen geborsten ist… Die Arterie… ABKLEMMEN! … Verdammt…“

~~~

Blöderweise hatte ich Bilder vor mir von den Geschehnissen und mir wurde schlecht…
„Laß alles raus, mi sol.“ ich fühlte eine kühle Hand auf meiner Stirn, welche mich über ein Gefäß hielt.

~~~

Ich erwachte in einem dunklen Raum, erleuchtet von ein paar Kerzen.
Neben mir hörte ich gleichmäßiges Atmen.
Wo war ich?
Es war nicht mein Bett! Nicht in Virginia… nicht in Pyrmont…
WO WAR ICH!
Leider muss ich das geschrien haben, weil mich plötzlich jemand umarmte und festhielt.
„Alex, du bist bei mir! Sieh mich an…“ hektisches erschrockenes Atmen…
„Wer…“ es dauerte einen Moment bis ich wirklich spürte, das mich Haytham im Arm hielt. „Oh Odin sei Dank!“ flüsterte ich mit krächzender Stimme.
„Mi sol, ich bin so froh…“ seine Lippen bedeckten mich mit tausenden erleichterten Küssen. „Sag was… du bist wieder wach…“
„Ich liebe dich!“ genau das kam mir in den Sinn, nichts anderes seltsamerweise.

~~~

Zwei Tage später, spekulierte ich einfach mal, saß ich in diesem Bett am Kopfende angelehnt und sah auf diesen dicken Verband an meinem Bein.
„Ich werde nie wieder normal laufen können, oder reiten können… ich werde nie mehr meinen Kinder hinterher rennen können…“ ich brach in Tränen aus!
Plötzlich ging die Tür auf und Edward mit seiner Schwester an der Hand erschienen. Sofort eilten beiden auf mich zu!
„Mama… nicht weinen…“ wie aus einem Mund kam das.

Kapitel 13

 

~~~ Wieder zu Kräften kommen ~~~

 

Ich konnte nicht anders…
So etwas hatte ich noch nicht erlebt. Mein Leben hing an seidenen Fäden, welche neu gesponnen worden waren.
Ich war eigentlich auf dem Weg in Odins Halle…
Aber ich habe dich nicht auf Great Inagua empfangen, Alex! Hörte ich meinen Piraten.
Nein, musste ich wirklich erst BEIDES empfangen, bevor ich… sterben durfte?
Vor meinem geistigen Auge erschienen Edward Senior und Odin.
Genau DAS ist es! Eines reicht bei weitem nicht…
Die Nornen hatten es bereits vorher gesagt, ich würde hier noch einige Jahre mein Schicksal erfüllen!
„Mama, kommst du jetzt mit mir zu Brünhild?“ hörte ich die Stimme meiner Tochter. Natürlich folgte ich ihr!

 

Beide führten mich durch Asgard! Sie zeigten mir die Welt, die wir Menschen nie sehen würden. Ich sah Bifröst, ich sah Heimdall… Diese Eindrücke waren unglaublich! Ich hatte sie erwähnt, die Halle der Krieger wo das Recht des Stärkeren galt… jetzt konnte ich mich davon überzeugen…
Die Welt, welche ich von klein auf im Kopf hatte baute sich auf. Ich konnte sie sehen und fühlen!
Natürlich gab es auch nicht so schöne Seiten…
Wie immer im Leben eigentlich, oder?
Diese kleine sehr minimalistische Reise brachte mir aber die Kraft, wieder in meinem Leben weiter zumachen!

 

Noch einmal dauerte es ein paar Tage bis ich realisierte, dass ich fast genesen war!
„Alex, komm… steh auf…“ vorsichtig half mir Haytham bei den ersten Schritten. Aus Angst, dass es weh tun könnte zögerte ich, stockte ich… aber… es war ungewohnt, fühlte sich seltsam an. Es schmerzte aber nicht.
Und plötzlich konnte ich fühlen, wie sich die Fragmente meines Knochens wieder vereinten, sie verbanden sich.
Ende Januar konnte ich dann auch wieder die Treppen steigen, ich absolvierte das Ganze wie ein Fitnesstraining, weil ich mich allgemein völlig unwohl fühlte! Meine Personal-Trainer waren meine Kinder…
„Mama… komm schon… nur noch eine Stufe… und noch mal…“ Edward entpuppte sich als perfekter Coach!
Mit ihm gelang es mir wirklich in kürzester Zeit wieder in meine fast alte Konstitution zu finden! Wenn auch mit kleineren Einschränkungen, welche aber nicht sehr gravierend waren.

 

Anfang Februar konnten wir uns von den Bassiters verabschieden.
Ich fühlte mich nicht gut, dass ich solche Umstände gemacht hatte.
„Mistress Kenway! Ich bitte euch. Ihr habt die Frauen vor dem Schlimmsten bewahrt!“ in einigen Schreiben erhielt ich dieselbe Mitteilung. Sie alle wünschten mir gute Genesung, gratulierten mir zu diesem gelungenen „Niederschlag“ der Banditen!
Dieser Mut wäre ihnen ja nicht vergönnt gewesen, gerade als Mutter hätte man ja eher nur die Kinder im Sinn. Ja genau deswegen habe ich so gehandelt! Aber ich befürchte, dass ich „hier und jetzt“ auf Fragezeichen über den Köpfen stoßen würde.

 

Ich konnte mich tatsächlich fast frei von Schmerzen bewegen, was Haytham dazu veranlasste, als wir ein paar Tage daheim waren, mich zum Training zu zitieren.
Edward Junior stand ebenfalls neben ihm und grinste breit.
„Vater, Mutter ist doch aber keine Anfängerin.“ flüsterte er, als ich bereits mein Schwert zog.
„Das weiß ich, mein Sohn. Deswegen sollte man immer auf der Hut sein.“ grinste mein Templer ebenso breit, als er zum ersten Streich ausholte.
Dieses kleine Training brachte meine Lebensgeister weiter zurück, zeigte mir, dass ich nicht verkrüppelt bin.

 

Ich erholte mich immer mehr, fokussierte mich und meine Konstitution, meine Muskeln… es tat gut wieder in Bewegung zu sein!
Aber so langsam musste ich meine Reise zu Master Davenport planen. Diese Zwangspause passte eigentlich überhaupt nicht in mein Zeitmanagement, was mich wirklich frustrierte.
„Alex, wenn du im März aufbrichst, reicht es doch auch noch. Außerdem ist es dann auch schon wärmer!“ Haytham hatte ja Recht. Wenn ich so darüber nachdachte wäre es wirklich noch nicht zu spät.

 

Bevor die Planung in die finale Phase ging, hatten wir noch einmal mit den Hathaways bezüglich Edwards Schulbesuch gesprochen.
Unser Sohn war mal wieder so aufgeregt, dass er alle Sprachen durcheinander warf, er stotterte wieder beim Lesen und mit dem Rechnen fange ich gar nicht an.
Haytham warf ihm immer wieder ein enttäuschtes Kopfschütteln zu, weil er dieses Verhalten nicht nachvollziehen konnte. Edward war selber traurig darüber. Das musste man ihm ja nicht auch noch so deutlich aufs Brot schmieren!
„Master Edward, ich denke, es ist aber an der Zeit, dass ihr in die Schule geht. Ich glaube nämlich, dass ihr dann beruhigter seid. Oder täusche ich mich, dass ihr nur nervös seid?“ Mrs. Hathaway hatte es verstanden.
Freudestrahlend sah er mich an, dann wieder zu seiner zukünftigen Lehrerin.
„Ich … ich darf doch zur Schule?“ rief Edward laut, gleichzeitig umarmte er sie.
Damit war das Thema jetzt abgeschlossen. Ich hoffte, der kleine Kenway würde keinen Blödsinn machen, wenn er mit den anderen Jungs den ganzen Vormittag verbrachte.

 

Am Abend sprach ich meinen Templer auf seine doch recht unfaire Art hin, seinem Sohn sein Missfallen so deutlich zu zeigen.
„Es war mir halt unangenehm, weil ich weiß, dass er es besser kann. Ich hatte den Eindruck Edward würde es absichtlich machen.“ schulterzuckend saß Haytham auf der Bettkante.
„Warum sollte er es mit Absicht machen? Er möchte doch gerne auch wie die anderen Kinder in die Schule. Edward ist einfach schnell aus der Ruhe zu bringen, wenn er einem etwas zeigen soll. Ich kann ihn da sehr gut verstehen.“ versuchte ich jetzt eine Erklärung.
„Ob sich das dann später legen wird?“ mein Mann hatte sich zu mir umgedreht.
„Davon gehe ich aus. Versprich mir nur, unseren Sohn nicht unter Druck zu setzen, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt, ja?“
Für einen kurzen Moment klappte sein Mund auf, aber er schloss ihn wieder.
„Ich werde es versuchen, mi sol.“ grinste er. Ich wusste, DAS wäre eine der schwersten Übungen für ihn als Vater!
„Zur Not kann ich dir ja auch mal ein paar Lektionen beibringen…“ flüsterte ich an sein Ohr und zog ihn zu mir herunter.

 

~~~ Ende März 1769 ~~~

 

(Davenport-Siedlung, Rockport)

 

 

Langsam ritt ich auf das große Herrenhaus zu, welches in der Morgensonne ziemlich beeindruckend aussah.
Leider bemerkte man schnell, dass es in den letzten Jahren etwas vernachlässigt worden war, hier und da blätterte die Farbe von den Fensterrahmen und das Unkraut wucherte über dem Weg zum Eingang.
In den letzten Tagen meiner Reise hatte ich mich immer wieder gefragt, ob es die richtige Entscheidung ist, ihn aufzusuchen. Und jedes mal kam ich zu dem Schluss, dass es sein musste, damit wir diese Einigung erreichen konnten.

 

Siedlung ist hier wohl auch der falsche Ausdruck, eher eine Ansammlung von ein paar verfallenen Hütten würde ich es nennen.
Als ich meine Reise hierher plante, kam mir der Gedanke mit der Jackdaw den Weg zurück zulegen, jetzt war ich froh, es nicht getan zu haben. Ich sah in der kleinen Bucht ein zerfallenes Schiff dümpeln, so hätte ich keinen Platz zum Anlegen gehabt. Ist das womöglich die Aquila, welche in dem Sturm damals vor 14 Jahren hinter der Providence her war?
Für einen Moment hielt ich inne und betrachtete das Wrack traurig, wie konnte man ein Schiff nur so verkommen lassen? Ich schüttelte mich und ritt wieder zurück auf den Weg Richtung Herrenhaus!

 

Fenrir band ich an einen kleinen Zaun, welcher ziemlich morsch war, aber ich wusste, mein Hengst würde mir nicht davonlaufen, außerdem war meine Wache ja auch noch da. Mein Gepäck ließ ich noch verschnürt auf seinem Rücken und ging die gepflasterten Stufen hinauf.
Ich hatte weder den Ornat an noch trug ich die Templermontur, ich war neutral in Reitkleidung oder besser gesagt, Reisekleidern unterwegs!
Wieder dachte ich darüber nach, wie ich am besten beginnen sollte, oder ob mir dieser Mann überhaupt öffnen würde. Vor der Tür atmete ich tief durch, straffte mich und betätigte den Türklopfer! Es passierte nichts, ich hörte auch keine Schritte oder überhaupt ein Geräusch. Ich zählte bis 20 und klopfte erneut und dann hörte ich schlurfende Schritte und ein tock-tock-tock wie von einem Stock.

 

Er riss die Tür mit Schwung auf und starrte mich wütend an.
Was wollt ihr, Miss? Ich brauche nichts!“ er wollte schon wieder schließen!
Master Davenport? Wartet einen Augenblick, ich bin nicht hier um etwas zu verkaufen oder ähnliches. Ich würde gerne für einen Moment mit euch sprechen. Mein Name ist...“ ich zögerte kurz und wollte schon Frederickson angeben, besann mich jedoch eines besseren, ich wollte ja bei der Wahrheit bleiben. „... Alexandra Kenway. Wir kennen uns nicht...“ ein Prusten von seiner Seite zeigte deutlich seine Missbilligung.
Nein und dabei wird es auch bleiben!“ wieder versuchte er die Tür zu zuwerfen, doch ich hielt jetzt dreist meinen Fuß dazwischen.
Hört mich doch wenigstens an, Master Davenport. Es ist wichtig, glaubt mir!“ sprach ich nun mit etwas mehr Enthusiasmus und es schien zu wirken. Achilles sah mich mit gerunzelter Stirn an und fing an mich zu mustern, auch er besaß den Adlerblick? Interessant!

 

Also schön, kommt herein, aber achtet auf eure Schritte, das Holz könnte an einigen Stellen morsch und von Termiten zerfressen sein!“ er drehte sich um und humpelte auf einen Stock gestützt in Richtung Küche.
Haythams Schuss hatte gesessen, aber Master Davenport konnte von Glück reden, dass Faith ihm die Kugel entfernt hatte damals. Es hätte sonst passieren können, dass er zum Beispiel an Ort und Stelle verblutet wäre, oder später das Bein verloren hätte.
Auf diese Hilfsaktion baute ich im Stillen, sie könnte einen positiven Effekt auf unser Gespräch haben. Achilles ließ sich auf der großen Bank nieder und deutete mir, auf der gegenüberliegenden Sitzgelegenheit Platz zu nehmen.

 

Für einen Moment betrachtete ich diesen Mann, er war jetzt ungefähr 58 Jahre alt, sah aber wesentlich älter aus. Sein graues Haar hing in Rastazöpfen um sein Gesicht, welches von vielen Falten durchzogen war.
Wenn man diesen Herren so vor sich sah, bekam man ein schlechtes Gewissen. Weder er noch Robert Faulkner waren in der Lage gewesen, die Bruderschaft wieder aufzubauen. Sie hatten keine Verbündeten mehr, genau wie ich theoretisch auch nicht mehr und auch darauf baute ich für das kommende Gespräch!

Nun Mrs. Kenway, was habt ihr so wichtiges mit mir zu besprechen? Gehe ich Recht in der Annahme, ihr wollt euch für euren Mann entschuldigen?“ kam es zynisch und lauernd von ihm.
Nein, eine Entschuldigung wäre wohl zum einen zu spät und zum anderen unangebracht, Master Davenport. Denkt ihr nicht?“ über mir breitete sich wieder der Ruhemantel aus und meine Worte waren völlig freundlich gesprochen.

 

Sein Blick ruhte immer noch auf mir und für einen winzigen Moment war ich versucht, in seinen Geist zu dringen. Konnte mich aber gerade noch so zügeln.
Warum seid ihr dann hier?“ und jetzt saß ich da und wusste nicht, wie ich anfangen sollte. „Ehrlich gesagt, weiß ich nicht so recht, WO ich anfangen soll, Master Davenport. Wie ich ja sagte, eine Entschuldigung wäre nicht mehr angebracht und dass mein Gatte kein Recht hatte, auf euch zu schießen, wissen wir beide. Aber erinnert ihr euch noch an Mrs. Cormac, welche die Kugel aus eurem Knie entfernte? Ohne ihre Hilfe hättet ihr es nie lebend zum Schiff geschafft, oder hättet später das Bein verlieren können. Natürlich tat sie es nicht ganz uneigennützig, doch sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Kranken zu helfen, ohne Wenn und Aber.“ ich hielt inne und wartete auf eine Reaktion.

 

Und das soll mich jetzt dankbar stimmen? Diese Frau tat es nur, damit sie an ihr Ziel kommt, mehr nicht. Ihr Templer seid einfach alle gleich und daran wird sich nie etwas ändern.“ zum Schluss war er lauter geworden, doch ich blieb ruhig.
Nein, das stimmt nicht, die Zeiten ändern sich und sie werden sich noch weiter drastisch verändern, Master Davenport. Also schön, wenn ihr es genau wissen wollt, strebe ich einen gewissen Waffenstillstand zwischen Bruderschaft und Orden an. Es geht hier nicht nur um euch alleine, eure Frustration oder ähnliches. Es geht um das große Ganze, es geht um die gesamte Menschheit...“ er fuhr mir über den Mund.
Das kann nicht euer Ernst sein, oder? Es gibt hier keine Bruderschaft in den Kolonien mehr, dass wisst ihr. Weil euer Gatte mit Shay dafür gesorgt hat!“ wieder wurde seine Stimme lauter und fing an zu zittern. Wut stieg in ihm auf, das konnte ich sehen.

 

Umgekehrt habt ihr aber auch unbedacht gehandelt und das müsst ihr euch auch auf die eigene Fahne schreiben, Master Davenport! Dieses ganze Schuld zu schieben bringt doch keiner Seite etwas, im Gegenteil, wir verlieren wertvolle Zeit!“ sollte ich ihm gegenüber ehrlich sein und meine Zeitreise erwähnen?
Ich hatte damals bei Tobias auch immer die Wahrheit gesprochen, also baute ich auch jetzt wieder darauf, dass ich damit weiterkam. „Was ich euch jetzt erzählen werde, klingt vermutlich völlig phantastisch und ausgedacht, doch ich stamme aus einer ganz anderen Zeit, Master Davenport!“ seine Augen weiteten sich und wie ich es erwartet hatte, lachte er über diese Aussage.

Kapitel 14

 

~~~ Wie überzeuge ich Achilles Davenport? ~~~

 

Das ist lächerlich, Mrs. Kenway!“ gut, wie beweise ich es am besten?
Du wirst ihn nur mit Bildern überzeugen können! Hörte ich meinen Allvater in meinem Geist.
Ich sah ihm in die Augen und konzentrierte mich auf seinen Geist... langsam drang ich zu ihm durch und fing an, ihm Bilder zu zeigen. Nur so konnte ich ihm verdeutlichen was ich meinte.
Er bekam einen kurzen Einblick in das 21. Jahrhundert, ähnlich wie Haytham es damals auch erlebt hatte, als er besessen war.
Gerade als ich fortfahren wollte, war auch Elias mit dabei. Für den Bruchteil einer Sekunde fuhr Achilles erschrocken zurück, weil es nicht Master Lestrange als solcher war, sondern er erschien als der Gott, der er war. Odin!

Ihr tut gut daran, wenn ihr meinem Kind Glauben schenkt, sie wurde nicht ohne Grund auf die Artefakte aufmerksam gemacht!“ und auch er erzeugte Bilder, welche den alten Mann überzeugen sollten.
Dann verschwand Odin einfach wieder und ließ einen Achilles mit offenem Mund zurück. Ich zog mich ebenfalls aus seinem Geiste zurück und wartete ab, was nun kommen würde.

 

Ich kann nicht glauben, was ich gerade gesehen und gehört habe! Das ist doch alles nicht wahr, oder? Haben diese Vorläufer und Götter wirklich eine so große Macht über uns?“ kam es jetzt staunend aus seinem Mund, gleichzeitig starrte er mich weiterhin an.
Es gibt diese Mächte tatsächlich, Master Davenport.“ ich begann meine Geschichte um Edward James Kenway zu erzählen, wie ich ihm begegnet bin und wie dann eines zum anderen kam.
Ihr wollt mir wirklich sagen, dass ihr Master Kenway kanntet und mit ihm zur See gefahren seid? Verzeiht wenn mir das zu glauben gerade etwas schwer fällt.“ ich seufzte tief, er müsste mir glauben oder eben nicht. Beweisen konnte ich es gerade nicht, denn die Jackdaw war in Virginia an ihrer Anlegestelle und die Papiere hatte ich natürlich nicht bei mir. Also berichtete ich auch noch davon und erntete große Augen mal wieder.
Diese alte Brig gehört euch? Man hatte mir darüber berichtete vor etlichen Jahren, dass sie in New York eingelaufen war und die Eignerin eine Preußin sei.“ jetzt dämmerte es ihm. Lächelnd nickte ich ihm zu. „Das ward also ihr?“ meinte er leise.

 

Das war ich, ja und so habe ich auch die Kontakte zu Master Cormac und Master Haytham geknüpft, wenn auch erst unbeabsichtigt. Ich war eigentlich nur dorthin gereist, um Licht in das lückenhafte Leben von Shay zu bringen!“ sprach ich jetzt ebenso leise und ruhig.
Erklärt mir bitte, warum ihr dann den Assassinen abgeschworen habt, ihr hättet hier sicherlich eine Gefolgschaft aufbauen können.“ Ein plausibles Argument von dem Alten.
Den Gedanken hatte ich auch, jedoch habe ich was die Lehren der Bruderschaft in diesem Jahrhundert angeht meine Bedenken. Ihr denkt und handelt eher so, wie die Templer in meiner Zeit und umgekehrt! Doch ich gehöre noch zu den Assassinen, inoffiziell und eben in meiner Zeit. Mein Auftrag lautet, auch hier in den alten Kolonien dieses Gleichgewicht herzustellen, welches ich im 21. Jahrhundert erreicht habe.“ diese Worte konnte ich etwas erleichterter aussprechen und hoffte auf Zustimmung.

 

Leider war Achilles noch lange nicht überzeugt, das würde vermutlich auch noch einige Zeit dauern, doch ich hatte einen Anfang gemacht.
Wie sieht dieses Gleichgewicht aus, welches ihr anstrebt? Wer übernimmt die Führung? Ohne wird es nicht gehen.“
Verdammt, immer diese Machtgedanken!

Das ist natürlich nicht so einfach, fürs erste brauchen beide Seiten einen Vertrauensbonus, ohne diesen wird gar nichts funktionieren. Aber denkt doch einmal darüber nach, beide Seiten wollen eigentlich das gleiche. Auch wenn Freiheit nicht gleich Frieden ist, wir wissen alle, dass es irgendwo einen übergeordneten Punkt geben muss. Wie der aussieht, wird sich später entscheiden.“ ich hatte keine Ahnung, ob er mich überhaupt verstand, ich hatte selber Schwierigkeiten meinen eigenen Worten zu folgen!

 

Aber wozu braucht ihr dann mich? Welche Rolle spiele ich in diesem Szenario, Mrs. Kenway?“ jetzt kamen wir zum schwierigsten Punkt, wie sollte ich ihm sagen, dass Mitte diesen Jahres ein ungefähr 14jähirger Halbindianer vor seiner Tür stehen würde und um Training bitten würde. Ich versuchte es, wie immer, mit dem Vorpreschen!
Es ist so, Master Davenport. In einigen Monate wird hier ein Mohawk-Junge auftauchen, welcher von seiner Stammesmutter geschickt wird, oder auch von den Vorläufern um genau zu sein. Ihr sollt ihn zum Assassinen ausbilden, seinen indianischen Namen kann ich leider nicht aussprechen, das tut aber auch gerade nichts zur Sache.“ ich vermied es zu sagen, das Achilles ihn Connor nennen würde, nach seinem verstorbenen Sohn. „Dieser Halbindianer ist Master Kenways Sohn und seine Mutter kennt ihr ebenfalls, Ziio!“ so jetzt war es raus und ich saß etwas zittrig vor diesem Mann.

 

In seinem Gesicht wechselte sich Erstaunen, Belustigung und … war das Stolz?... ab. Dann lachte er kurz auf.
Ihr meint, ich soll diesen Bengel unterrichten? Wie komme ich dazu und WARUM?“
Hatte ich das nicht gerade erläutert?

Es ist eure Bestimmung, jetzt jedoch mit einer kleinen Änderung, Master Davenport! Ihr solltet eure Wut, welche ihr meinem Mann gegenüber habt, nicht auf ihn übertragen. Der Junge kann nichts für seinen Vater und sollte ihn kennenlernen. Wenn ihr jedoch anfangt, schlecht über Haytham zu reden, wird es in einer Katastrophe enden, welche für keine Seite gut ausgehen wird!“ Wieder sah er mich völlig ungläubig an und schüttelte mit dem Kopf.

 

Mrs. Kenway, ihr verlangt allen Ernstes von mir, dass ich von meinen Prinzipien abweiche und meine Erfahrungen mit den Templern über Bord werfe. Gleichzeitig soll ich auch noch einen Jungen ausbilden, ohne ihm jedoch die tieferen Lehren der Assassinen näherzubringen. Wie stellt ihr euch das vor?“ so wie ich es gesagt habe, denke ich mal.
Nicht ganz, Master Davenport! Natürlich könnt ihr nicht von heute auf morgen ein Umdenken in euch hervorrufen, auch bei meinem Gatten hat es lange gedauert. Doch auch Haytham wünscht sich ebenso wie ich eine Einigung der beiden Bünde und sogar sein Vater hat ihm dazu geraten! Glaubt mir, wir können mehr erreichen, wenn wir gemeinsam arbeiten!“
Herrje, ich hörte mich an wie Connor später, wenn er Haytham getroffen hat... ich verwarf aber kopfschüttelnd diese Bilder wieder.

Darüber werde ich wohl erst einmal nachdenken müssen, Mrs. Kenway.“ seufzte er schwer. Plötzlich wirkte er erschöpft und müde, so als hätte er einen langen Arbeitstag hinter sich.

 

Master Davenport, das war es weswegen ich gekommen bin. Ich sähe es gerne, wenn ihr dem Ganzen wenigstens eine Chance geben könntet. Es ist für unser aller Wohl am besten, ich habe gesehen was passieren wird, wenn wie bisher gehandelt wird.“ kam es bittend von mir.
Mrs. Kenway, habt ihr eigene Kinder?“ fragte er mich jetzt völlig unerwartet und ich blinzelte ihn erstaunt an, ob dieses Themenwechsels.
Ja, ich habe einen erwachsenen Sohn, welcher im 21. Jahrhundert geblieben ist und mit Master Kenway habe ich zwei Kinder, unser Sohn ist 5 und unsere Tochter wird bald 3 Jahre alt.“ erklärte ich ehrlich und sah ihn weiter fragend an.
Dann wollt ihr auch nur das beste für eure Kinder nehme ich an?“ diese Frage war mehr als merkwürdig, jede Mutter oder Vater wollte nur das Beste für seinen Nachwuchs! „Natürlich wünsche ich mir das, Master Davenport!“

 

Ich hatte auch einen Sohn, wisst ihr? Und eine Frau, leider habe ich beide vor vielen Jahren zu Grabe tragen müssen, es war Typhus, welcher die beiden dahin gerafft hat.“ sprach er traurig und vor allem sehr leise.
Das tut mir schrecklich leid für euch, Master Davenport!“ mehr konnte ich nicht sagen, es war die Wahrheit!
Dieser Junge, welcher um das Training bitten wird, weiß er, wer sein Vater ist?“
Das war natürlich eine gute Frage, aber ich meine mich zu erinnern, dass Ziio ihm erzählte, wer sein Vater ist.
Achilles sackte immer mehr in sich zusammen.

Master Davenport, geht es euch nicht gut?“ fragte ich nun etwas besorgt.
Wisst ihr, Mrs. Kenway, ich habe mit vielem gerechnet, doch dass hier eine Frau auftaucht, welche aus einer anderen Zeit stammt, die mich dann auch noch belehrt und mir sagt, ich werde bald einen Schüler haben, ist für mich etwas viel so früh am Tag!“ ein leichtes Lächeln spielte um seine Mundwinkel.
Verzeiht, Master Davenport, aber ich bin schneller voran gekommen, als ich dachte. Ich mache mich dann aber auch wieder auf den Weg zurück. Bis zur nächsten Herberge ist es ja eine ganze Ecke.“

 

Als ich mich erhob um mich zu verabschieden, stand er langsam auf und sah mich wieder musternd an.
Mrs. Kenway, ihr solltet vielleicht wenigstens diesen Tag und die Nacht hier verbringen. Euer Pferd wird sicherlich auch diese Ruhe benötigen genau wie eure Wache draußen, dann könnt ihr morgen erfrischt wieder aufbrechen! Seid mein Gast, Mrs. Kenway!“ sein Ton war leise und freundlich. Sollte ich wirklich bleiben?
Ich möchte euch aber keine Umstände bereiten, Master Davenport.“ sagte ich zögerlich, mir lag so etwas einfach nicht.
Ihr könnt mir ja zur Hand beim Essen zubereiten gehen, das genügt mir schon!“ kam es breit lächelnd von ihm und wieder keimte in mir das schlechte Gewissen. Dieser Mann war alleine hier, versorgte sich alleine, da war es verständlich, dass er ein wenig Gesellschaft doch ab und an genoss.

 

Ich blieb! Gemeinsam gingen wir hinaus und Achilles führte Fenrir, die Wache und mich zu den Ställen, wo ich meinen Hengst absattelte und trockenrieb. Dann nahm ich mein Gepäck und wir gingen wieder hinein.
Das Mittagessen bestand, zu meinem Leidwesen, aus frisch geschossenem Hasen! Wieder einmal musste ich mich zusammenreißen, aber unbemerkt blieb meine Abneigung dieses mal nicht. Der alte Mann hatte ein gutes Auge und fragte auch gleich nach.

Ihr seid kein Freund von diesem Fleisch, wie ich sehe. Lasst mich raten, diese Tiere tun euch leid, oder?“ etwas schüchtern sah ich ihn an und nickte.
Ja, es ist ein Kindheitsalbtraum, als mein Großonkel mein eigenes Kaninchen häutete und ich zufällig gerade dann aus dem Fenster sah. Seitdem fällt es mir schwer, diese Tiere zu essen!“ gab ich als ehrliche Antwort. „Ich halte mich einfach an die Beilage, Master Davenport, wenn es euch nichts ausmacht.“

 

Nach dem Essen zog sich Achilles zurück, um sich auszuruhen und überließ mir die im oberen Stockwerk befindliche Büchersammlung. Es war wieder erstaunlich, auch dieser Mann besaß im Grunde regelrechte Schätze und ich vertiefte mich in ein Buch, welches sich mit der Geschichte der Assassinen beschäftigte.
Irgendwann hörte ich Master Davenport von unten rufen.

Mrs. Kenway, seid ihr noch dort oben?“
Ich hoffe, ihr konntet euch ein wenig erholen.“ fragte ich, als ich unten ankam.
Dieser Schlaf war nötig, nach so vielen Neuigkeiten heute!“ lächelte er mich an.
Verzeiht, wenn ich euch so überrannt habe. Doch ich musste ja einen Anfang wagen!“

 

Ich denke, den habt ihr gemacht und ich hoffe, dass, wie sagtet ihr noch gleich, dieser Vertrauensbonus in euch nicht missbraucht wird.“ sein Blick sagte alles, eine hochgezogene Augenbraue und leicht tadelnd.
Keine Angst, Master Davenport. Es gibt ja bereits einige hier ansässige Assassinen-Zweige aus England oder Frankreich, welche sich ebenfalls unserer Sache schon angeschlossen haben.“ versuchte ich eine Erklärung um meine Loyalität zu bekunden. „Sogar aus Frankreich sind Brüder und Schwestern hier? Das hört sich doch vielversprechend an.“ jetzt hörte ich zum ersten Mal so etwas wie Begeisterung in seiner Stimme.

 

Den Rest des Nachmittags erzählte ich ihm dann noch von meinen Geschäften, welche ich auch mit den verschiedenen Bruderschaften und Riten tätigte. Irgendwann standen wir an der Klippe, dabei kam ich auf das Wrack in der Bucht zu sprechen und ein trauriger Schleier legte sich für einen Moment auf sein Gesicht.
Ja, es ist die Aquila. Mr. Faulkner hat sich leider dem Rum verschrieben und das in großen Mengen, so dass das Schiff vor sich hin verrottet. Ich finde es auch sehr schade, doch wir haben niemanden, der sich um den Wiederaufbau kümmern könnte.“
Dabei sah er auf die Bucht hinunter und stützte sich auf seinen Stock.

Ihr werdet mit dem Jungen einen ganz neuen Anfang machen, vertraut mir.“

 

Mrs. Kenway, warum seid ihr alleine hierher gekommen?“ eine berechtigte Frage, welche ich aber nicht wirklich beantworten konnte, außerdem kam sie etwas unerwartet.
Nun, ich wollte lieber erst einmal mit euch unter vier Augen sprechen. Zumal mein Gatte auch auf der Plantage derzeit alle Hände voll zu tun hat...“
Achilles unterbrach mich unwirsch.

Sagt mir nicht, ihr besitzt Sklaven...“ auch ich unterbrach ihn.
Nein, wir beschäftigen Pächter und Arbeiter, welche auch bezahlt werden. Die meisten von ihnen sind Auswanderer und wollen nur ein neues Leben hier beginnen. Master Davenport, mein Gewissen verbietet mir schon, Sklaven zu haben. Es ist mir sogar mehr als unangenehm mit den ganzen Angestellten um mich herum.“ gab ich als ehrlich Antwort.
Eure Einstellung gefällt mir, sie ist selten in diesen Zeiten zu finden, wisst ihr das?“ wieder wanderte sein Blick über die Bucht.

 

Als es Zeit fürs Abendessen war, stand ich mit dem alten Mann wieder in der Küche und ich muss sagen, er war was das Schnippeln von Gemüse anging unglaublich schnell.
Es gab zwar nur einen einfachen Eintopf, aber dieser war köstlich und ich notierte mir die Zutaten, das wollte ich zuhause auch einmal ausprobieren, oder besser ausprobieren lassen. Haytham würde mir die Hölle heiß machen, wenn ich selber in der Küche stünde.
Am Abend saßen wir noch lange im Esszimmer zusammen und er erzählte mir, wie er sich hier angesiedelt hatte, wie er seine Frau kennenlernte und im Grunde ein wenig aus seinem doch sehr turbulentem Leben.

 

 

Wie geht es Master Cormac?“ fragte er plötzlich völlig unvermittelt und für einen Moment war ich irritiert.
Nun, also... es geht ihm gut. Auch er hat sich mit Faith in Virginia niedergelassen und sie sind unsere unmittelbaren Nachbarn. Die beiden haben ebenfalls Kinder, 4 um genau zu sein. Eines ist adoptiert...“ und jetzt wusste ich nicht, wie und ob ich es überhaupt erwähnen sollte. Doch es würde vielleicht auch ein positives Licht auf Shay werfen! „Shay hat Mr. O´Briens Sohn an Kindes statt angenommen, als die Mutter, Caroline, von einer Verrückten niedergemetzelt worden war.“ Eine Kurzfassung der Ereignisse, aber weiter ausholen musste ich wohl nicht.

 

Wer tut bitte einer armen Frau so etwas an?“ kam es entrüstet von ihm.
Sie war Assassine und war die Nichte des Dukes of Ironside, Master Elias Lestrange. Doch dieses Vergehen hat sie mit ihrem Leben bezahlt, man hat sie erschossen!“ gab ich als Erklärung. Ich hörte, wie meine Stimme dabei eiskalt wurde, weil ich nicht gerne an Zoe zurück dachte!
Ihr ward bei der Hinrichtung zugegen, nehme ich an?“ auch seine Stimme wirkte kalt.
Ja, und Mrs. Cormac hat diese Zoe erschossen, als eine Art Rache, was ich durchaus verstehen kann.“ sprach ich leise, wenn man Faith umbringen würde, dann würde der Mörder keine Sekunde mehr Frieden vor mir haben.
Wir leben in grausamen Zeiten, findet ihr nicht, Mrs. Kenway?“ worauf wollte er nun hinaus?
Ja, das stimmt und ich habe oft Angst um meine Familie und meine Freunde!“ gab ich ehrlich zu.

 

Vielleicht können wir doch etwas verändern, gemeinsam!“ sagte er, als er sich vorsichtig erhob. „Ich denke, wir sollten jetzt schlafen gehen, es ist schon spät.“
Achilles reichte mir seine Hand und wünschte mir eine gute Nacht.

Die wünsche ich euch auch, Master Davenport!“ mit diesen Worten ging ich hinauf und machte mich Bettfertig.
Langsam kam mein Verstand auch wieder runter und meine Gedanken verlangsamten sich allmählich.
Als ich in diesem fremden Bett lag, alleine ohne meinen Templer, war es mal wieder eine dieser Nächte, welche ich gerne übersprungen hätte. Auch vermisste ich so langsam meine Kinder und mein Zuhause!
Mit diesen Bildern meiner Familie schlief ich dann langsam ein.

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~~~ Kapitel 15 ~~~

 

Good bye Davenport-Siedlung!

 

Der nächste Morgen begann früh, da ich von einem Scheppern aus der Küche geweckt wurde.
Es war noch nicht ganz hell, ich wusste nicht, wie spät es sein mochte.
Leise schlich ich die Treppe hinunter mit meinem Stiefelmesser in der Hand. Man weiß ja nie, wer einem hier in der verlassenen Gegend alles über den Weg laufen könnte.
Aber dann sah ich schon, wie Achilles mit einem Wasserkessel hantierte und ihn übers Feuer hing. Beim Befüllen muss er wohl einige von den Zinntellern herunter geworfen haben.
„Guten Morgen, Master Davenport!“ sprach ich ihn an und er drehte sich etwas erschrocken um.
„Oh, guten Morgen, Mrs. Kenway. Habe ich euch etwa geweckt?“ in seinem Gesicht lag ernsthaft ein schlechtes Gewissen.
„Nein, keine Sorge. Mein Tag beginnt daheim ja auch immer sehr zeitig! Aber kann ich euch behilflich sein?“ bot ich meine Arbeitskraft an, doch er schüttelte nur mit dem Kopf. „Nein, es ist schon gut. Ihr könnt euch in Ruhe fertig machen. Dann ist das Frühstück auch sicherlich fertig!“ erst jetzt bemerkte ich, dass sein Blick starr auf den Herd gerichtet war.
Oh verdammt, ich stand hier in meinem sehr, sehr dünnen Sommernachthemd, vor einem wildfremden Mann.
„Ich... bin dann oben.“ nuschelte ich verlegen und huschte schnell die Treppe hinauf.

 

Fertig angezogen mit gemachten Haaren und gepackter Tasche erschien ich wieder unten in der Küche.
Es stand wirklich Kaffee auf dem Tisch und ich jubelte innerlich, so konnte der Tag doch anfangen.
Während des Essens unterhielten wir uns noch über meine Route, welche ich genutzt hatte, um hierher zukommen. Master Davenport zeigte mir auf einer Karte aber eine weitaus kürzere und auch, man glaubt es kaum, sicherere Route. Ich notierte mir in kurzen Worten die wichtigsten Wegpunkte und dann ging ich hinaus zu den Ställen.
Fenrir schnaubte als er mich bemerkte. Er bekam noch zwei Möhren von mir, als Belohnung für seine Geduld.
Als mein Hengst gesattelt war, verabschiedete ich mich von dem Meisterassassinen und wünschte ihm noch alles Gute und dass wir uns sicherlich bald wiedersehen werden. Spätestens Anfang nächsten Jahres, vermutete ich mal in Boston. Ich hoffte aber inständig, dass wir nicht Zeuge dieses Boston-Massakers werden würden im März! Außerdem musste Connor erst einmal ein Grundtraining erhalten, welches nicht mit zwei Wochen abgetan war.

 

Ich drehte mich noch einmal in meinem Sattel um und winkte Achilles zum Abschied, dann verschwand ich im Wald. Auf dem ganzen Rückweg sinnierte ich über die Gespräche, von denen ich hoffte, dass sie Master Davenport als Warnung, Erklärung und Ehrlichkeit genug waren.
Auch hoffte ich, dass ich nichts vergessen hatte, sonst müsste ich ihm halt schreiben, was ich mir auch vorgenommen hatte. Der Kontakt, auch wenn er nur ganz klein war, sollte nicht gleich wieder abreißen.

 

~~~ Schwierigkeiten in Philadelphia ~~~

 

Ende April war ich wieder zuhause angekommen, wo man mich schon sehnsüchtig erwartete.
Florence und Edward stürmten auf mich zu.

Mama, hast du uns was mitgebracht! Hast du uns auch so vermisst wie wir dich? Vater war auch ganz traurig, dass du nicht hier warst. Ich habe schon ganz viel gelernt in der Schule…“ ich wuschelte durch die Haare meines Sohnes, als ich ihn in seinem Redefluss unterbrach.
Ich habe jedem von euch etwas mitgebracht.“ flüsterte ich verschwörerisch, während ich in meine Tasche griff.
Ich holte ein Bilderbuch für Florence heraus und für Edward einen kleinen Dreispitz, der aussah wie ein Piratenhut.

Oh danke… dann kann ich ja jetzt mit den Jungs auf der Jackdaw spielen!“ gerade als er laut nach seinen Freunden rief, hielt ich ihn auf.
Versprich mir, dass ihr nichts kaputt macht und nicht mit den Zündhölzern herumspielt, verstanden?“ mahnte ich den Wirbelwind.
Ja, Schusterehrenwort…“ rief er über seine Schulter hinweg.

 

Florence hatte sich einfach auf die Verandatreppe plumpsen lassen und sah sich ihr Buch an.
Mama, schau… ein Schme..metter...bim…“ das kam so konzentriert aus ihrem Mund, dass ihre Wangen ganz rot geworden waren.
Der ist wirklich hübsch, guck mal. Hast du den kleinen Kautz dort in dem Baum auch gesehen.“ für einen Moment saß ich mit meiner Tochter hier. Ich genoss es, wieder zuhause zu sein!
Haytham war auf den Feldern unterwegs, weswegen ich jetzt erst einmal in Ruhe auspacken konnte.

Tabea! Macht ein Bad nach dem Abendessen bereit.“ ich hatte es dringend nötig, wenn ich mich so im Spiegel betrachtete.

 

Pünktlich zur Teezeit erschien dann auch endlich mein Mann, welcher mich ebenfalls stürmisch umarmte.
Du hast mir gefehlt, mi sol.“ flüsterte er leise in meine wuscheligen Haare. „Gehe ich recht in der Annahme, dass wir nachher noch eine Verabredung im Bad haben?“ dabei strich er mir langsam über den Rücken.
Du gehst recht damit…“ ich war etwas atemlos gerade, weil mich seine Nähe und Duft wieder dahinschmelzen ließen.
Wir wollen auch!“ Edward hatte sich zwischen uns gedrängelt und schob uns auseinander! „Flo, wir wollen doch auch baden oder?“ sein heftiges Nicken, damit sie mitmachte, war süß. Wenn ich mir die beiden so ansah, sollten sie wirklich auch in der Wanne verschwinden.
Also schön, aber nur wer auch artig aufisst darf mitkommen.“ mahnte Haytham unsere Kinder.
Jubelnd verschwanden die beiden wieder im Wintergarten, während ich ihnen breit grinsend hinterher sah.

 

Wie ist es denn gelaufen, als ich weg war? Haben sich beide gut benommen?“ fragte ich jetzt vorsichtig nach.
Bis auf ein paar Kleinigkeiten lief es wie am Schnürchen. Walka war aber mal wieder eine Woche bei ihren Geschwistern! Edward hat mit Gilbert zusammen Spinnen gefangen und diese dann im Versammlungshaus herausgelassen. Du kannst dir einige der Mädchen sicher vorstellen, wie sie schreiend hinausgelaufen sind.“ Haythams Gesichtsmuskeln zeigten mir, er wollte den strengen Vater spielen, konnte sich aber ein Kichern nicht verkneifen.
Vielleicht wollten die jungen Herren auch einfach die Retter für die kleinen Damen sein. Schon mal daran gedacht, mi amor?“ grinste ich breit. „Du weißt doch, wir Frauen wollen beschützt werden von euch…“ oh verdammt, ich musste dringend ein bisschen Abstand zu meinem Mann nehmen, sonst…
Doch mein Templer eroberte mich im Sturm, in unserem Schlafzimmer, so schnell konnte ich nicht schauen.

Sieh mich an!“ mahnte er mich, als er mich unter sich auf dem Bett begrub.
Bei Odin, es war dringend nötig!

 

Befriedigt und selig lächelnd konnten wir dann wieder hinunter gehen, weil eigentlich der Tee auf uns wartete.
Haytham berichtete, was hier so während meiner Abwesenheit sonst noch passiert war. Im Grunde nichts spektakuläres, die üblichen Plantagenbelange oder hier und da kaputtes Arbeitsmaterial.
Dieses Jahr sollte eine neue Sorte Weizen ausprobiert werden, welche strapazierfähiger sei. Dazu hatte man ein eigenes Versuchsfeld abgegrenzt.

Ich bin schon gespannt, ob diese vollmundigen Versprechen der Wahrheit entsprechen.“
Edward hatte sich in der Schule gut eingelebt, lernte fleißig und gab auch gerne sein Wissen an seine kleine Schwester weiter.
Diese war natürlich jetzt immer sehr traurig, wenn ihr Bruder morgens das Haus mit Sybill verließ. Sein Kindermädchen brachte ihn nur zum Versammlungshaus, ging dann aber immer wieder nach Hause.
Florence hatte jetzt eine Vorliebe für Pflanzen entwickelt. Aus diesem Grunde hatte sie ein eigenes kleines Beet bekommen, in welchem meine Tochter ihre eigenen Kräuter oder Blumen pflanzen durfte.
Aber die Abende waren immer etwas schwierig gewesen, weil ich den beiden fehlte. Ab und an hatte ich sie ja im Geiste besucht, ganz ohne ging es auch für mich nicht!

 

Unser Familienbad war ein voller Erfolg an diesem Abend! Ich genoss diesen Moment in vollen Zügen, ließ mir von Florence die Haare einschäumen, umgekehrt machte ich es bei ihr.
Im Anschluss brachte ich sie beide ins Bett! Auch das hatte mir wahnsinnig gefehlt, dieses Ritual!

Mama, ich kann jetzt schon unseren ganzen Namen schreiben…“ gähnte Edward an meine Schulter gelehnt, als ich mit seinem Lied fertig war.
Großartig, min lille skat. Das zeigst du mir morgen!“ ich gab ihm noch einen vorsichtigen Kuss auf die Wange, bevor ich hinüber zu Florence ging.
Dort erwartete mich mein Mann, welcher ihr noch vorlas. Danach konnte ich auch noch gute Nacht sagen. Ihr Lied verschlief sie aber schon fast.

Hab lieb…“ nuschelte sie leise mit Daumen im Mund.
Sie gab ein zuckersüßes Bild ab, wie sie so dalag.

Florence ist ihre Mutter in Klein, mi sol.“ flüsterte Haytham hinter mir, als er auf seine Tochter sah.

 

Leise gingen wir hinaus, weil ich jetzt auch noch ein wenig Zeit mit meinem Mann haben wollte.
Wir verbrachten in dieser Nacht einige wundervolle Momente, erlebten Höhepunkte, die bitter nötig waren, bis wir beide müde und erschöpft in den Schlaf fielen.

Ich liebe dich.“ flüsterte ich an Haythams Brust geschmiegt.
Und ich dich erst.“ seine Arme drückten mich zur Bestätigung.

 

Der nächste Tag!
Ich hatte vergessen, dass es Sonntag war. Während meiner Reise hatte ich mich damit nicht weiter beschäftigt. Das hieß jetzt früh aufstehen, weil die Andacht anstand.
Mr. Hathaway begrüßte mich und fragte nach meinem Befinden, nach dieser Reise. Auch im Hinblick auf meine Verwundung. Daran hatte ich nur gelegentlich gedacht, weil die Schmerzen immer weiter nachgelassen hatten.
Im Anschluss berichteten mir die beiden Lehrer noch von Edwards Fortschritten. Er hatte sich wirklich gemacht. Das Stottern blieb aus, er hatte eine klare Handschrift, nur mit dem Rechnen da haperte es. Mittlerweile hatte er aber seinen Abakus, der ihm bisher gut geholfen hat.
Beruhigt konnten wir uns dann auf den Rückweg machen, wo uns schon das Mittagessen erwartete.

Am Nachmittag erschien ein Eilbote, welcher ein Schreiben aus Philadelphia überbrachte, mit der Bitte SOFORT zu antworten. Er müsse heute noch wieder zurück.
Der Brief kam vom Gouverneur, welchen man vor Gericht zerren wollte!
Er hätte sich abfällig über King George III geäußert und andere Personen mit seinen Hassreden beeinflusst. Außerdem wäre er in den Verruf geraten, sein Amt zu seinen Gunsten zu nutzen und um Geldwäsche zu betreiben. Hier ging es jetzt auch noch um Schmiergelder, Falschgeld und Erpressung!
Völlig entgeistert starrte Haytham auf diese Zeilen!

Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen!“ kam es nach einer Ewigkeit wütend von ihm.
Er schrieb ein paar Zeilen zurück, in welchen wir unsere Hilfe anboten. Wir würden nun Mr. Gillehand mit zu Rate ziehen, für den mein Mann auch gleich einen Brief verfasste, um ein Treffen mit ihm zu vereinbaren.

 

Wir begannen wieder zu packen, was natürlich Edward nicht so gut fand. So sah er seine Freunde eine Weile nicht.
Was meinst du, Haytham. Kann er nicht einfach bei Mildred so lange bleiben? Sie würde sicherlich gut auf ihn aufpassen.“ ging es mir laut gedacht durch den Kopf.
Ich glaube schon. Reite zu ihr und frag am besten nach.“ neben Haytham stand ein strahlender Edward, der sich auf dieses kleine Abenteuer ohne Mama und Papa in der Nähe zu freuen schien.
Selbstverständlich wäre aber immer noch Sybill an seiner Seite, das sollte er nicht vergessen.

 

Mistress Kenway, sicher kann Master Edward ein paar Tage hier bleiben.“ hinter der Frauenanführerin standen ihre Söhne, die sich vermutlich schon ausmalten gemeinsam ein paar Streiche aushecken zu können. Also war das abgemacht.
Am nächsten Tag brachte ich meinen Sohn mit seiner kleinen Tasche dorthin.

Du benimmst dich bei Mrs. Mildred, verstanden? Ich will keine Klagen hören!“ mahnte ich ihn noch eindringlich, ehe ich mich dann verabschiedete. Sybill würde immer wieder hier vorbeischauen, was mich zusätzlich neben Walka noch beruhigte.

 

Mit Florence und unseren Angestellten machten wir uns dann wenig später ebenso auf den Weg Richtung Philadelphia.
Rory hatte uns mitgeteilt, dass er ebenfalls dorthin fuhr und uns im dortigen Büro erwarten würde.
Als ich endlich wieder die Zivilisation einer Stadt sah, freute ich mich auf ein weiches Bett am Abend. Diese zwei Übernachtungen in den Gasthöfen unterwegs waren grauenhaft gewesen.
Wir bezogen in unserem Büro im oberen Stockwerk Quartier, wo man schon die Zimmer hergerichtet hatte. Florence überließ ich jetzt Sophia, damit wir uns mit dem Gouverneur und Mr. Gillehand treffen konnten.
Ich hoffte, dass es keine echten Beweise gab, die handfest waren. Ich traute diesem Mann einfach nicht zu, dass er Geld veruntreuen würde oder ähnliches. Hetzreden lagen ihm eigentlich auch nicht, auch wenn man den Leuten immer nur VOR den Kopf gucken konnte!

~~~ Kapitel 16 ~~~

 

Der Geheimdienst seiner Majestät

 

Vor dem Haus des Gouverneurs hatte sich eine wütende Schar an Menschen versammelt. Sie grölten „Hängt ihn für seine schändlichen Worte“, „Werft ihn ins Gefängnis“, „Soll er sich den Buckel krumm arbeiten auf den Feldern, damit er weiß, wie sich das anfühlt“ und so weiter!
Bei Odin, was hatte dieser Mann denn bitte für einen Eindruck gemacht?
Wir versuchten uns einen Weg durch diesen Auflauf an Menschen zu bahnen, was Haytham schließlich mit kräftigen Stößen seiner Ellbogen bewerkstelligen konnte.

Ach schau an. Da hat sich der feine Herr noch mehr patriotische Diebe ins Haus geholt!“ rief ein Herr in meiner Nähe. Gerade als er mich schubsen wollte, griff Haytham ihn beim Schlafittchen.
Finger weg von meiner Frau, oder ihr könnt ohne eure Zähne die nächste Mahlzeit einnehmen!“ fauchte er ihn an.
Ich mach mir an so einer Gouverneurshure doch nicht die Finger schmutzig!“ mit einer, der umstehenden Menge angepassten, ausladenden Bewegung hatte er Haythams Faust im Gesicht!
Ich hatte euch gewarnt und jetzt schert euch weg!“ mit der Hand vor der Nase torkelte der Mann durch die Menge und verschwand. So konnten wir jetzt ungehindert bis zur Tür gelangen, wo uns unser Gastgeber schon erwartete.
Unsere Wachen wurden vor der Haustür eingeteilt um weitere Übergriffe zu vermeiden!

 

Gott sei Dank, seid ihr unbeschadet hier angekommen. Diese Meute ist kaum zu bändigen und es werden von Tag zu Tag mehr abstruse Gerüchte über mich in Umlauf gebracht!“ verzweifelt ließ er sich auf das Sofa im Salon fallen, wo seine Gattin uns auch noch begrüßte.
Wir können keinen Fuß mehr nach draußen setzen, dabei gibt es noch laufende Geschäfte und die Versammlungen…“ sie war den Tränen nahe, weil auch sie nichts gegen diese Anschuldigen tun konnte.
Wir werden jetzt in den nächsten Tagen nach stichhaltigen Beweisen suchen, die euch entlasten werden. Schriftverkehr, Zeugen und so weiter müssen befragt werden, Sir. Aber vielleicht solltet ihr von Anfang an erst einmal berichten, wie es überhaupt zu diesen Aussagen gekommen ist.“ Haytham war die Professionalität in Person wieder.

 

Alles hatte seinen Anfang genommen nach einer Versammlung, in welcher es um die Steuern ging, die neuerlich erhoben wurden. Die Auflage besagte, dass der Briefwechsel nach England eine extra ausgeführte Steuer auf alles in Schriftform erhalten sollte.
Für einen Moment ließ ich mir das auf der Zunge zergehen. Wenn ich einen Brief zu Jenny schickte, musste ich EXTRA dafür bezahlen, weil es auf Papier verfasst war? Das klang mehr als absurd, man könnte es auch gleich eine Papiersteuer nennen. So ähnlich hieß es auch in dieser Auflage!
Der Gouverneur hatte sich entsprechend entrüstet dazu geäußert, in meinen Augen verständlicherweise. Wir alle schrieben Briefe an Freunde oder Familie in Britannien.

 

Danach wurden die ersten Gerüchte in Umlauf gebracht, dass er angeblich um das Ganze zu umgehen, seine Geschäfte nutzte um die Briefe zu schmuggeln. Außerdem sei er auch in illegale Machenschaften von Schmugglern verstrickt, welche seine Schriftstücke in ihren Fässern oder Warentruhen versteckten!
Seiner Frau wurde zudem auch noch Untreue vorgeworfen, weil sie sich mit diesen Herren nicht am Tisch sondern immer nur im Bett über den Preis einigte. Das wurde immer besser!
Bei diesen Worten brach sie in Tränen aus.

Das ist so beschämend! Ich würde so etwas nie tun. Man konnte mich auch gar nicht bei so… ich habe mich nie mit fremden Männer getroffen, das müsst ihr mir glauben!“ schluchzte sie laut.
Das glaube ich euch, Mrs. McKean! Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, diese Gerüchte von euch weisen zu können.“ ich drückte dabei ihre Hand, weil ich sie gut verstehen konnte.

 

Im Grunde kam eines zum anderen. Jeder sponn noch etwas hinzu wie es schien!
Aber dann hörte ich jetzt zum ersten Mal, dass dieser Mann regen Austausch mit den Söhnen der Freiheit hatte! Dazu kam, dass die Stimmung hier in den Kolonien wirklich immer mehr ins Anti-Britische rutschte.
Die Herrschaften die also vor dem Haus hier Stellung bezogen hatten, waren die Loyalisten. Ich musste mir jetzt selber alles zusammen basteln, weil ich leider auf politischer Ebene und auch zeitlich nicht alles hier in Amerika im Kopf hatte. Also hörte ich erst einmal zu.
McKean versuchte zum Wohle „seiner“ Bevölkerung hier entsprechende Erlasse durchzusetzen, die sie entlasten sollten. Nicht umgekehrt! Das stieß also vielen treuen Briten sauer auf, weil sie dahinter Verrat am König vermuteten.

 

Immer wieder hatte man auch Kutschen der Familie überfallen, weil man „Beweise“ sichern wollte, die man dann vor Gericht verwenden konnte. Sogar das Büro des Gouverneurs hatte man durchsucht in einer Nacht- und Nebelaktion!
Aber es wurde nichts belastendes gefunden, gestohlen wurde auch nichts, laut Aussage unseres Gastgebers.

Ich versuche doch nur nicht selber unterzugehen. Wir alle wollen friedlich miteinander leben, oder sehe ich das falsch?“ fragte er jetzt mit großen Augen.
Natürlich ist das der Wunsch eines jeden, Sir. Dennoch solltet ihr euch ein wenig bedeckter halten, was ihr vor den großen Versammlungen erzählt. Ihr seht leider jetzt, dass es so einige Personen gibt, die nur zu gerne euer Amt übernehmen würden.“ Haytham versuchte das Ganze nicht allzu bedrohlich klingen zu lassen, aber es ließ sich nicht von der Hand weisen, dass diese Familie jetzt einer echten Gefahr ausgesetzt war.

 

Ein Diener brachte Mr. Gillehand herein.
Er war völlig dreckig! Seine gesamte Garderobe stank zum Himmel und seine Erscheinung war unheimlich! Sein Gesicht war wutverzerrt und mit Dreck übersät!

Mr. Gillehand! Das tut mir unendlich leid.“ McKean war aufgestanden und rief eine Bedienstete, damit sie dem Gast eine Möglichkeit zum Waschen und Umkleiden gab!
Es dauerte eine Weile, bis unser Advokat sauber wieder bei uns erschien.

Das ist ja unfassbar da draußen!“ seufzte er, als er sich langsam auf einem Sessel niederließ.
Kurz wurde ihm noch alles berichtet, damit er im Bilde war.

 

Jetzt mussten wir beratschlagen, WIE wir weiter vorgehen sollten!
Rorys Vorschlag erst einmal Wachen zu engagieren war auch einer unserer Gedanken gewesen. Unsere konnten wir leider hier nicht abstellen, wir brauchten sie selber. Auch weil mir die Angst um Florence in den Kopf kam, was wenn diese Leute da draußen eine Verschwörung rochen und auch uns gegenüber übergriffig wurden? Bei Odin! Ich hoffte, dass es dazu nie käme!
Ein Bote wurde mit einer Nachricht zu unserem Büro geschickt, damit von dort die entsprechenden Leute einberufen werden konnten. Gegen Abend, so hofften wir, hätten wir den ersten Schutz schon hier!

 

Wir folgten dem Hausherrn jetzt in sein Arbeitszimmer, wo wir uns um den Papierkram kümmern wollten.
Seine Bücher, welche er angeblich frisiert haben sollte um Geldwäsche zu betreiben, reichte er mir hinüber. Damit wäre ich eine Weile beschäftigt.
Die anderen Herren machten sich an die Geldfälschereigerüchte. Thomas Hickey! Aber nicht nur mir war dieser Gedanke gerade gekommen.

Nein, du hast Recht. Ich werde ihm eine Nachricht zukommen lassen. Derzeit ist er wieder in New York unterwegs, wenn ich seinen Berichten Glauben schenken kann! Er soll sich bei seinen Leuten umhören!“
McKean sah uns etwas verwundert an.

Ihr kennt solch …“ er wollte den Begriff ‚gesetzloses Pack‘ nicht in den Mund nehmen so schien es.
Es ist immer wichtig sich auch in diesen Kreisen auszukennen. So kann man schneller an die gewünschten Informationen kommen, Mr. McKean. Wir selber haben natürlich nicht die Finger in dubiosen Geldgeschichten!“ versicherte Haytham jetzt noch einmal eindringlich!

 

Ich setzte mich ans Fenster an einen kleinen Tisch und sah mir die Geschäftsaufzeichnungen an.
Er war ein guter Händler, ihn hätte ich gerne noch in meiner Liste. Aber erst, wenn diese Gerüchteküche abgeflaut ist. Ich konnte mir so etwas einfach nicht leisten. Es reichte schon, dass wir hier waren.
Ich fand aber nichts auf diesen ganzen Seiten, welche voll mit Zahlen waren. Korrekte Abrechnungen gepaart mit akkuraten Auflistungen von Warenmengen! Da war nichts, wer auch immer etwas dort gesehen haben will, muss blind gewesen sein.
Insgesamt verbrachte ich 2 Stunden oder mehr mit der in Augenscheinnahme der Bücher, bis mir die Zahlen vor den Augen verschwammen.

Ich werde kurz nach draußen gehen, Gentlemen.“ seufzte ich. Als ich zur Tür raus wollte, bat mich Haytham bitte nur hinten in den Garten zu gehen. Ich war ja nicht lebensmüde, versicherte ich ihm.

 

Die frische Luft tat gut, auch wenn es recht kühl war mittlerweile. Von der Straße hörte ich immer noch diese Leute. Aber langsam wurden es weniger, vermutlich würden morgen früh wieder zig Dutzende von ihnen hier aufschlagen!
Zu spät bemerkte ich, dass ich beobachtet wurde!
Eine verhüllte Gestalt ließ sich neben mir auf den Boden fallen, ergriff sogleich meine Arme und verschränkte sie auf meinem Rücken!

So, da ist ja die Helferin dieses Widerlings! Sag schon, besorgst du seiner Frau die Männer oder geht ihr gemeinsam auf Jagd?“ der Mann hatte einen schrecklich nuschelnden Akzent, so dass ich Mühe hatte ihn zu verstehen. Aber ich war immer noch in Schockstarre, dass ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte.
Langsam zog er mich in die hintere Ecke des Gartens, wo eine kleine Laube war. Dahinter drückte er mich bäuchlings an die Wand!
Plötzlich hörte ich das verdächtige Geräusch einer hervorschnellenden Klinge! Ein Assassine?

 

 

Langsam fand ich meine Sprache wieder.
Welcher Bruderschaft gehört ihr an?“ ich versuchte dabei souverän zu klingen, aber meine Atmung ging stoßweise, weil dieses Gewicht von ihm mich schier erdrückte.
Zu wem soll ich gehören?“ in dieser Stimme klang völlige Unwissenheit mit.
Die Klinge! Wem habt ihr sie abgenommen?“ mittlerweile konnte ich nur noch flüstern.
Geht dich nichts an, hab ich gefunden! Und jetzt beantworte meine Frage, oder muss ich handgreiflich werden?“ Kein Assassine also.
Ich weiß nicht wovon ihr redet! Mrs. McKean hat sich nie mit irgendwelchen Kerlen getroffen. Wer hat das denn gesehen?“ fauchte ich jetzt, weil es mir zu bunt wurde.
Ihr Dirnen haltet aber auch immer zusammen, wie? Eine gute Freundin hat die wehrte Gouverneursgattin gesehen, wie sie mit einem jungen Mann in eine Kutsche gestiegen ist.“ ich spürte den kalten Stahl jetzt an meinem Hals. „Sag schon, wie viel gibt sie dir, damit du deinen Mund hälst.“
Mehr als du dir leisten kannst!“ hörte ich plötzlich Haythams tiefe Stimme hinter uns.

 

Im Nu waren die beiden in einen Kampf verstrickt, mit Klingen und Schwert. Es wurde schnell klar, dass es wirklich kein Assassine war, wenn er sich auch so gab. Er kämpfte wie ein gewöhnlicher Soldat!
Als er wutschnaubend am Boden lag, stellte Haytham IHM ein paar Fragen.

Ich weiß von keiner Bruderschaft, Mann! Wir sollten hier nur für Ordnung sorgen. Diese ganzen Aufstände führen doch zu nichts!“ der Herr wandt sich unter meinem Mann wie ein Aal.
Hoch mit euch, wir besprechen alles weitere vor dem Gouverneur!“ damit zerrte er ihn auf die Beine und schob ihn ins Haus.
Im Arbeitszimmer des Hausherrn ging die Befragung dann weiter.

 

Wir erfuhren, dass es eigens von der britischen Krone angeheuerte Gruppen gab, die sich ausschließlich um diese „Aufwiegler“ hier in Amerika kümmern sollten.
Dem König gefiel es nämlich nicht mehr, dass niemand bereit war, seinen Krieg zu finanzieren! Aber er brauchte das Geld, sonst wären bald die Schatzkammern leer, überspitzt gesagt.

Wie viele seid ihr hier in Pennsylvania? Oder zieht ihr wie die Heuschrecken weiter?“ tönte Rory, weil auch er schon von diesen Leuten gehört zu haben schien. Also waren auch in Virginia nicht mehr alle sicher.
Der Gefangene stöhnte auf, sah von einem zum anderen.

Ihr reichen Schmarotzer habt doch keine Ahnung, wie es ist, zu hungern, weil sich Leute wie ihr an unserem Leid laben! McKean stopft sich die Taschen voll mit den Steuergeldern, die eigentlich für uns Soldaten als Sold gedacht waren…“ plötzlich bekam er große Augen! Er hatte sich verraten!
Ihr seid ein Soldat eurer königlichen Majestät?“ verdutzt sah Haytham zu mir, dann wieder zu dem Herrn auf dem Stuhl.
Nicht direkt…“ nuschelte er leise, weil er im Grunde jetzt Gefahr lief, mehr als er durfte auszuplaudern!
SPRECHT!“ brüllte unser Gastgeber, welcher sich kaum noch beherrschen konnte!

 

Diese „Gruppierung“ war ein Teil des britischen neu einberufenen Geheimdienstes. In der Armee gab es Leute, es gab bei Gericht entsprechende Leute oder auch einfache Händler hatten sich diesem Dienst verschrieben. Die Bezahlung schien auf jeden Fall besser zu sein, als bei der Armee als Soldat!
Aber dieser Mann hier war kein Deserteur, er war eine Art Kundschafter und sollte immer wieder Gerüchte verbreiten, die den Patrioten oder eben Gegnern der Krone entsprechend schadeten.
Überall hier in Amerika hatten sie sich etabliert und kaum jemand war bisher aufgeflogen. Besonders in Boston und New York waren sie aktiv, weil es dort aufgrund der Häfen recht schnell mit der Verbreitung von Nachrichten ging.
Einen Anführer hatte er nicht, er sei dem König direkt unterstellt.
In seiner Rocktasche fanden wir ein entsprechendes Schreiben, welches ihn als „Gesandten“ deklarierte.
Dennoch wollte ich wissen, woher er diese Klingen hatte. Bei der Antwort druckste er herum.

 

Die habe ich vor ein paar Jahren bei einem Toten in der Themse gefunden.“ er war in seinem Stuhl weiter zusammengesackt, traute sich nicht mehr hoch zusehen.
Ich nahm ihm seine Waffen ab und besah sie mir genauer.
Der Verschluss war… diese Technik kannte man hier noch nicht! Dieses genähte Leder mit den Ösen und Nieten war ohne entsprechende Maschinen nicht hinzu bekommen! Außerdem war dieser Federmechanismus mit dem rostfreien Stahl auch nicht aus dieser Zeit.
Erschrocken sah ich meinen Mann an.
Diese Klingen gehörten demnach einem unserer Verfolger von damals!

Habt ihr noch mehr solcher Dinge gefunden?“ hakte ich jetzt vorsichtig nach.
Ich weiß es nicht, ich war gerade mal 17 als ich diese Leiche fand, ich hab mir nichts dabei gedacht.“ eine ehrliche Antwort zur Abwechslung mal.
Wir werden sie behalten, ihr habt kein Recht, sie zu tragen!“ ich klang vermutlich sehr theatralisch, aber so fühlte ich gerade. Man nahm sich nicht einfach so die Klinge eines toten Assassinen!

 

Hoffen wir, dass niemand noch weitere Dinge aus der Themse damals gefischt hat!

Kapitel 17

 

~~~ Tyr und das Bordell ~~~

 

Aber eines erfuhren wir dennoch, wenn wir einen der Drahtzieher finden wollten, sollten wir uns in dem hiesigen Bordell umhören! Dort gab es eine Prostituierte, die sich Madame Fleur nannte.
Bei Odin, mehr Klischee ging für einen Namen einer Hure nicht. Hoffentlich roch sie wenigstens wie eine Blume um ihrem Namen Ehre zu machen.
Rory und Haytham brachten diesen Mann jetzt zum Gefängnis, damit er morgen entsprechend vor den hiesigen Richter gebracht werden konnte. Würde man ihn wegen Aufwiegelung hinrichten? Was wird jetzt aus den Gerüchten um die Familie des Gouverneurs?

 

„Ich werde in Umlauf bringen, dass das alles nur ein … großes … Missverständnis war. Dass man mich falsch unterrichtet hatte und mir gefälschte Dokumente zugespielt hat. Ich… hoffe, ich kann mich auf meinen König berufen.“ diese Worte kamen völlig desillusioniert über seine Lippen, sodass er mir für den Bruchteil einer Sekunde leid tat. „Vermutlich werde ich in England dann einen ordentlichen Prozess erhalten.“ diese Worte sprach er über seine Schulter, als er schon von meinem Mann hinausgeführt wurde!
Vor dem Haus waren keine Menschen mehr zu sehen, weswegen die drei unbehelligt in eine Kutsche steigen konnten.
Ich blieb beim Gouverneur und seiner Gattin, weil ich im Moment auch nichts weiter ausrichten konnte.

 

„Mistress Kenway, ihr spracht von einer Bruderschaft? Was habt ihr damit gemeint?“ fragte Mrs. McKean nach, als wir wieder im Salon saßen und warteten.
„Eine alte Kriegergilde wenn ihr es so nennen wollt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Menschen zu beschützen. Aber vieles davon ist eine reine Legende, ein Märchen, so würdet ihr es bezeichnen.“ ich konnte ihr gegenüber nicht mehr sagen, wollte es auch nicht!
„Und diese trugen solch seltsame Waffen an sich?“ weiterhin sah sie mich mit großen Augen an.
„So sagt man, ja.“ ich wurde leiser, weil ich nichts preisgeben durfte.
Im Grunde hakte man jetzt auch nicht weiter nach. Die Eheleute taten es als Hirngespinst ab! Odin sei Dank, kann ich da nur sagen!

 

Etwa eine Stunde später waren der Advokat und mein Templer zurück. Beide sahen mehr als wütend und aufgebracht aus.
„Es ist nicht zu fassen! Der Mann brauchte nur sagen, dass er dem König unterstellt ist und mit seinen Papieren wedeln, schon ließ man ihn wieder laufen!“ meckerte Rory lautstark vor uns!
„Aber er weiß jetzt, dass er besser seinen Mund halten sollte. Noch einmal kommt er nicht so glimpflich davon.“ auch Haytham war stocksauer deswegen.
„Du hast ihm gedroht? Ob das eine so gute Idee war…“ bevor ich aber noch etwas sagen konnte, sah er mich wütend an mit einem leichten goldenen Schimmer in den Augen.
„Sag mir nicht, was ich tun soll, hast du mich verstanden?“ erschrocken stand ich vor ihm, konnte hier aber schlecht Tyrs Namen erwähnen!
„Master Kenway, wir werden heute Abend zu diesem Bordell fahren, dann wissen wir, ob er weiter diese Gerüchte anfeuert oder ob er sich zurückgezogen hat.“ Mr. Gillehand hatte seine Hand auf den Arm von Haytham gelegt. Ich konnte spüren, dass auch er gerade seinen Gott repräsentierte. Gerechtigkeit!

 

Mit einem Male schüttelte sich mein Templer.
„Verzeih mir. Das war unbedacht von mir.“ ein Kuss auf meine Stirn war als Entschuldigung fürs erste genug, den Rest würde ich später mit ihm klären. ALLEINE!
Moment, die beiden wollten dieses Etablissement nachher aufsuchen?
„Wann hattet ihr gedacht brechen wir dorthin auf?“ fragte ich jetzt nach.
„WIR? DU bleibst in unserem Büro, mi sol. Das ist ein Bordell, schon vergessen?“ dieses fiese Lächeln konnte sich mein Mann sparen!
„Ja und? Auch ich kann mich dort umhören! Zur Not kann ich ja etwas netter zu einigen Herren sein…“ entsetzt sahen mich die Herren im Raum an.
„Bist du eigentlich noch bei Trost? Ich sagte NEIN und dabei bleibt es!“ Haytham war wieder nicht er selbst, verdammt!

 

Ich habs verstanden! Maulte ich jetzt im Geiste.
Schön für dich! In seinen Augen las ich, dass er mir diese Unterredung noch in einer Lektion unter die Nase reiben wird.
Wir blieben noch zum Abendessen. Mein schlechtes Gewissen meiner Tochter gegenüber wurde aber immer schlimmer, sodass wir kurz danach aufbrachen. Rory begleitete uns, weil auch er im Büro übernachten würde.
Wir planten noch ein paar Tage hier ein, nur um sicher zugehen, dass auch alles an Gerüchten vom Tisch war! Ein Stadtschreier würde die ersten Neuigkeiten im Bezug auf die weiße Weste des Gouverneurs gleich morgen früh kundtun.
Beim Büro erwartete mich eine weinende Tochter und eine erschöpfte Sophia!
„Mama…“ jammerte Florence als ich sie auf den Arm nahm.
„Min lille engel. Wir sind doch wieder da. Das hat lange gedauert ich weiß, aber jetzt erzählt dein Vater dir noch eine Geschichte und ich singe dir etwas vor. Komm.“ flüsterte ich leise, während ich über ihre blonden Haare strich.

 

 

Danach zog sich mein Mann um. Man könnte meinen er würde einen Staatsempfang geben wollen.
In mir begann meine Eifersucht zu brodeln… wozu putzte er sich wie ein Gockel heraus? Er sollte nur ein paar Leute befragen! Oder hatte er noch andere Pläne, wenn er schon mal in einem Bordell war?
„ALEX! Hör auf damit! Ich kann dich lesen und ich vermute JEDER könnte es gerade!“ Haytham war unglaublich ungehalten, aber seine Aura war normal gelbgold, kein Hrymr Einfluss. Nur… Tyr schien heute schlechte Laune zu haben. „Ist das ein Wunder bei deinen Unterstellungen?“ fauchte er mich an, als er neben mich griff um seinen Gehrock zu nehmen.
„Ich warne dich. Finde ich EIN fremdes Haar auf deinen Sachen oder sehe ich…“ mit einem schnellen Schritt war er bei mir, presste sich an mich und küsste mich mit einer Wut, die… irgendwie berauschend war.
„Ich werde solange mit meiner Lust warten, bis ich dich unter mir habe!“ in seiner Stimme klang dieses Versprechen es wirklich umzusetzen mit, was mich kribbelig werden ließ!

 

Und jetzt hieß es warten!
Ich erwähnte meine Ungeduld bereits einige Male, dazu kam jetzt meine unberechtigte Eifersucht, welche ich aber nicht abstellen konnte!
Wie ein eingesperrtes Tier wanderte ich erst in unseren Zimmern umher, dann durch das ganze Haus.
Unten in einem Arbeitszimmer sah ich noch Licht. Vorsichtig klopfte ich.
„Herein!“ hörte ich die Stimme einer Frau.
Hier in Philadelphia hatten sich in den letzten vier Monaten noch zwei weitere Schwestern niedergelassen. Eine davon saß nun vor mir an ihrem Schreibtisch.
„Ah, Mistress Kenway! Kann ich euch irgendwie helfen? Ihr seht besorgt aus.“ lächelte sie mich an.
Sie war ungefähr Mitte 30, dunkelblonde gelockte Haare. Ihr Name war Beatrice DonBonne! Sie kam aus der Schweiz, soweit ich unterrichtet war. Ihr Großmeister hatte sie beauftragt, die Geschäfte einiger abtrünniger Templer aus den einzelnen Kantonen unter die Lupe zu nehmen.
„Nein, aber mir sind gerade die Hände gebunden. Ich muss auf meinen Mann warten. Ein Bordellbesuch sei für mich nicht das richtige.“ grinste ich breit.

 

„Ich hatte das Gespräch kurz mitbekommen. Dann ist euer Mann also mit Rory dorthin unterwegs?“ meine hochgezogene Augenbraue sollte reichen. „Ich verstehe… Aber… ich denke, ihr braucht euch keine Sorgen machen.“
Gerade als ich etwas erwidern wollte, stand sie abrupt auf.
„Wisst ihr was? Ich habe hier für heute alles erledigt. Wie wäre es, wenn wir… ganz zufällig…“ ihr verschwörerisches Grinsen gefiel mir.
„Wartet, ich hole mir meinen Mantel…“ damit ging ich in die Eingangshalle um mich anzuziehen.

 

Gemeinsam machten wir uns auf den Weg, nachdem ich Sophia noch Bescheid gegeben hatte.
Wir wurden unterwegs von einigen männlichen Passanten seltsam beäugt. Es war gegen elf Uhr nachts, zwei Frauen alleine unterwegs war immer noch eine Seltenheit in dieser Zeit.
Wir kamen vor besagtem Gebäude an und hörten dieses übliche Stimmengewirr, dieses Stöhnen und noch so einiges andere mehr.
Gemeinsam beschlossen wir, uns durch den Hintereingang hinein zu schleichen. Gerade als wir vor der besagten Türe standen, wurde diese aufgerissen und ein halbnackter Mann wurde uns entgegen geschleudert.
„Verpiss dich, du räudiger Hurensohn! Und komm erst wieder, wenn du die Krätze los bist!“ brüllte ein Herr ihm hinterher.
Als er uns bemerkte, lächelte er mit ein paar fehlenden Schneidezähnen im Mund. „Ladies, was kann ich für euch tun. Ihr seht nicht aus, als suchtet ihr eine Anstellung oder gar einen Schwanz für heute Nacht.“ dabei leckte er sich über seine Lippen.
„Sir, nein. Wir sind gut versorgt. Aber uns ist zu Ohren gekommen, dass hier zwei sehr gutaussehende Herren mit viel Geld abgestiegen sind heute Abend.“ ich hatte ein paar Geldscheine zusammengefaltet in meiner Hand und schob sie ihm in seine gierigen Finger.
Ein breites Grinsen erschien in seinem Gesicht, als er sie betrachtete.
„Fühlt euch wie zuhause, Ladies! Und wenn etwas ist, ihr wisst wo ich zu finden bin.“ mit einer freundlichen einladenden Bewegung hieß er uns einzutreten.

 

Ich kannte diesen sehr eigentümlichen Geruch von dem Bordell in New York noch. Man kann es nicht richtig beschreiben, aber für mich war er einfach nicht sehr anregend, immer noch nicht.
Beatrice und ich gingen den kleinen Flur hier unten entlang, bis wir zu den drei großen „Gemeinschaftsräumen“ kamen. Hier saßen die Freier bei einem guten Ale zusammen, beratschlagten vermutlich einige Schandtaten, begrapschten die auserkorene Dame für die Nacht und so weiter!
„Dort drüben in der Ecke!“ ich deutete in die Richtung und meine Begleiterin begann zu lächeln.
„Mr. Gillehand ist aber ein echtes Schmuckstück, findet ihr nicht, Mistress Kenway?“ erstaunt sah ich sie an.
„Ich… habe ehrlich gesagt nie so darauf geachtet.“ stotterte ich etwas verlegen. Erst jetzt besah ich mir unseren Advokaten genauer.
Ja, er hatte etwas. Ein markantes Äußeres, aber mit feinen Zügen im Gesicht. Seine langen dunklen Haare taten ihr übriges.

 

Die beiden Herren saßen mit drei anderen beisammen. Sie machten den Anschein, als wäre dies ein ganz üblicher Herrenabend.
Wir gingen etwas näher und ließen uns in einer dahinter liegende Nische an einem kleinen Tisch nieder. Von hier konnten wir einen Blick auf die Männer haben, während wir sogar ihre Gespräche mitverfolgen konnten!
An Haythams Bewegungen konnte ich sehen, er war nicht mehr ganz nüchtern, aber immer noch diszipliniert. So wie in unserer Hochzeitsnacht… mir kamen die Bilder in den Kopf…
„Es ist schön, euch so lächeln zu sehen.“ hörte ich Beatrice leise neben mir. „Das heißt, euer Gatte ist ein guter Mensch!“ in dieser Stimme lag plötzlich eine gewisse Sehnsucht, ebenfalls nicht mehr alleine sein zu wollen.
„Ihr seid nicht liiert nehme ich an, oder? Verzeiht wenn ich euch zu nahe trete damit.“ entschuldigte ich mich auch gleich noch.
„Nein, ich war verheiratet. Aber mein Mann verstarb kurz nach unserer Hochzeit und ließ mich mit einem Haufen Schulden alleine…“ irgendwie kam mir diese Geschichte bekannt vor, es war die, die ich am Anfang allen aufgetischt hatte.
„Das tut mir leid zu hören, Beatrice!“ dabei drückte ich ihre Hand.
„Aber ich hatte Freunde im Orden, die mir helfend zur Seite standen. Trotzdem hat es gedauert, bis ich wieder auf eigenen Beinen stand.“ ihr Blick wanderte in weite Fernen, also beließ ich es dabei.

 

Stattdessen beobachtete ich die Männer neben uns, wie sie einen Krug nach dem anderen leerten.
„Na mein Hübscher, du siehst aus, als könntest du mal einen guten Ritt vertragen. Deine Frau wird mir danken…“ hauchte eine Dirne lüstern am Ohr meines Mannes, welcher ein breites Grinsen auf dem Gesicht hatte und direkt in meine Richtung sah.
„Vielleicht brauchst auch du nur wieder einmal einen Mann, der dir zeigt, wo es lang geht.“ dieses lüsterne in seiner Stimme, ließ mich ebenso kribbelig werden. „Mein Freund hier verbringt heute seine letzte Nacht als freier Mann! Zeig ihm, was ihm entgeht, wenn er erst einmal in der Ehefalle steckt.“ Haytham sah dabei immer noch in meine Augen mit einer hochgezogenen Braue.
Die Prostituierte wandte sich jetzt an seinen Tischnachbarn und ich sah, wie sie sich verstohlen ein paar Scheine in den Ausschnitt steckte. Da war mein Mann wohl in Spendierlaune. Kurz darauf verschwand sie mit dem Herren im Schlepptau, welcher vermutlich selbst mit Viagra seine Probleme hätte… aber lassen wir das.

 

Was tust du hier? Diese raue Stimme war betörend!
Auf dich aufpassen! Selbst in meinem Geist hörte ich mich atemlos an!
Du wirst dich noch umschauen, mi sol! Dazu dieser Blick aus seinen dunklen Augen gepaart mit einem leichten goldenen Blitzen!
Ich freu mich schon drauf! War das jetzt eine Verabredung?

 

„Mistress Kenway!“ dabei stupste mich jemand an.
„Entschuldigt, aber… diese Eifersucht.“ ich war keine gute Schauspielerin musste ich mir eingestehen.
„Es sah eher aus, als würdet ihr vor Verlegenheit rot werden.“ kicherte Beatrice.
Wir bestellten noch zwei Becher Wein und beobachteten den Tisch neben uns weiter. Jetzt war es mit Heimlichkeit eh nicht mehr zu retten.
Immer wieder erschienen einige Frauen bei den Herren!
Dann endlich tauchte eine, wie sage ich es politisch korrekt?, Wuchtbrumme auf.
Alle am Tisch versammelten männliche Wesen waren von dieser Erscheinung eingenommen. Bei Haytham sah ich aber mehr den Gedanken, dass er es lieber etwas, nunja, kleiner hatte. Dabei fiel mal wieder sein Blick auf mich.

 

Die Dame war also Madame Fleur! Sie trug passend zum Namen ein Kleid mit eben solchem bunten Aufdruck und passenden Stickereien.
Nach ein paar ausgetauschten Freundlichkeiten und einem Kelch Wein, verschwanden sie alle mit ihr im, ich vermutete, Hinterzimmer.
Es ließ mir keine Ruhe!
Ich schnappte mir meine Begleiterin und wir schlichen hinterher.

Kapitel 18

 

~~~ Ein unerfreuliches Wiedersehen ~~~

 

 

Es ging die Treppe hinauf auf die linke Seite. Dort folgten wir einem schmalen Korridor, von welchem einige Türen abgingen, hinter denen reger „Betrieb“ herrschte. Wir sahen, wie die Gruppe am Ende im linken Zimmer verschwand.
Vermutlich war es das Büro der Madame!
Plötzlich wurde eine Tür aufgerissen, an welcher wir gerade vorbeikamen. Hinaus torkelte ein Herr, den ich sehr wohl kannte!
Thomas Hickey!
Entsetzt sah ich ihn an, umgekehrt starrte er mich mit leicht vernebelten Augen an!
„Was macht ihr hier, reicht euer Mann euch nicht mehr? Ich stelle mich gerne zur Verfügung…“ lallte er mir entgegen.
„Oh bitte… Thomas… lass die Gäste…“ die Dirne hinter ihm sah mich entgeistert an. „Wir haben Frischfleisch? Warum weiß ich nichts davon?“ maulte sie los.
„DAS ist die Hure vom Großmeister…“ bevor er noch mehr sagen konnte, hatte er meine flache Hand auf der Wange.
„Ein Wort noch und ich vergesse mich, Thomas!“ stieß ich hinter zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Ohhhh, wie immer… hochnäsig bis zum letzten, Weib! Vielleicht sollte ich Haytham mitteilen, dass ihr hier nach mehr Spaß im Bett sucht!“ lachte er jetzt laut und griff unter mein Kinn.

 

„Sagt ihm, was ich hier mache. Er ist gerade mit der Madame dort hinten verschwunden. Vielleicht wollt ihr ihm Gesellschaft leisten?“ ich zog ihn jetzt einfach hinter mir her, er war so perplex, dass er fahrig reagierte.
„Nein… ich… bin doch… gar nicht hier…“ also hatte er mal wieder Lügen aufgetischt für meinen Mann?
„Ihr werdet euch noch umsehen, Thomas. Meine Rache wird über euch kommen, aber nicht ICH selber werde es sein!“ diesen Worten ließ ich ein leichtes goldenes Leuchten meiner Augen folgen!
„Charles hatte immer Recht! Ihr seid verhext!“ fluchte er laut. Dann fiel sein Blick auf meine Begleitung. „Und ihr? Vögelt ihr auch mit dem Teufel persönlich?“ diese Worte kamen mit einem lauten Rülpser aus seinem Mund. Bei dem Gestank wären sogar die Fliegen von der Wand gefallen!
„Oh, ihr seid der berüchtigte Hickey?“ Beatrice spielte mit, was mich ehrlich überraschte. „Master Kenway kann sich ja glücklich schätzen, dass IHR an seiner Seite seid. Er wird sicherlich erfreut sein, euch hier zu sehen, nachdem man euch ja nun lange genug gesucht hat!“ die letzten Worte spie diese Frau ihm entgegen!

 

Bevor wir reagieren konnten, türmte dieser kleine Feigling!
„Ist er wirklich so feige, dass er seinem Großmeister nicht in die Augen sehen kann? Ich dachte immer, dass sei nur so daher geredet.“ flüsterte Beatrice jetzt leise, als wir näher an das besagte Zimmer kamen.
Jetzt hätte ich zumindest noch ein Ass im Ärmel, sollte mir Hickey noch einmal blöd kommen. Ich könnte ihn locker verpfeifen, dass er sich hier in Philadelphia rumtrieb, obwohl er angegeben hatte, er sei in New York.

 

Aus dem Inneren vernahmen wir die Stimme von Madame Fleur.
„Wer glaubt ihr seid ihr, hier herein zu marschieren und meine Mädchen zu befragen? Ich habe strikte Richtlinien und wünsche, dass man sie befolgt.“
Das Gespräch kam langsam in Gang und als dann die Fragerunde bezüglich dieser Königstreuen kam, herrschte für einen kurzen Moment Stille!
„Auch für mich wird es schwierig mich über Wasser zu halten! Die Mädchen werden von diesen Soldaten regelrecht überrannt, die immer darauf pochen, umsonst vögeln zu dürfen, weil sie uns ja beschützen würden! Natürlich suche ich mir dann entsprechende Einnahmequellen um das kompensieren zu können! Ich kann auch nicht von der Hand in den Mund leben und Aufpasser für die Mädchen sind teuer.“ sie seufzte laut. „In den letzten Monaten sind viele von ihnen plötzlich verschwunden, kurz darauf sehe ich sie tot in einem Hinterhof liegen. Ihnen werden die größten Versprechen gemacht und dann… zack… Kehle aufgeschnitten! Und wofür? Für eine Nummer umsonst!“ Madame wurde laut, sehr laut und haute vermutlich auf den Tisch, im wahrsten Sinne des Wortes!

„Madame Fleur, wir wollen diese Zustände ebenso ändern. Deswegen sind wir hier. Aber wir brauchen vorab Informationen um die Hintermänner zu finden. Immer wieder fiel euer Name…“ Rory schlug einen leisen freundschaftlichen Ton an.
„Wir brauchen persönlichen Schutz, Schätzchen!“ damit hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen.
„Dafür können wir sorgen, wenn wir umgekehrt auf eure Loyalität unserer Sache gegenüber zählen können.“ das war Haytham der sprach.
„Bekomme ich Sicherheiten?“ Profi war die Dame, keine Frage.
„Selbstverständlich!“ kam es wie aus einem Mund von Rory und Haytham.
Hier in der Stadt gäbe es einen General der britischen Armee, der ein Auge auf das Geschehen hatte. Ihn selber würde sie aber nicht kennen, sondern nur seine Frau, welche sich immer mal wieder sporadisch mit ihr in Verbindung setzen würde.
„Im Grunde ist sie eine eiskalte Person, aber sie hat Einblick in die Interna der Armee! Ihr Name ist Amber Hutchinson! Wenn ich recht informiert bin, dann ist sie die Witwe eines hochverschuldeten Farmers aus Virginia!“ bevor sie noch mehr sagen konnte, fiel ihr Haytham ins Wort.
„Der verstorbene Gatte hieß nicht zufällig Donovan?“ stöhnte mein Mann. In diesem Moment ging mir ein Licht auf. Ich hatte damals aufgeschnappt, dass Mrs. Donovan im Begriff war, wieder zu heiraten, ein hochrangiges Mitglied der britischen Armee.
„Doch, genauso hieß er. Kanntet ihr ihn? Wenn er euch noch etwas schuldet, dann kann…“ sie sprach nicht weiter.

 

„Sagt mir nur, wo ich diese Frau finde. Ich werde alles weitere selber klären können.“ ich sah meinen Mann vor mir, wie er sich über das Gesicht strich. Sein Akku war von 100 auf Null und der Alkohol tat den Rest.
Sie hatte sich mit ihrem Gatten etwas abseits der Innenstadt niedergelassen.
„Hier ist die Adresse.“ hörte ich die Madame noch sagen, als auch schon die Tür geöffnet wurde.
Meine Begleiterin und ich huschten schnell in eine Nische und warteten, bis die Männer an uns vorbei waren!
Du kannst dich nicht vor mir verstecken! Das wollte ich ja auch nicht, oder doch?
Als sie alle unten waren, gingen auch wir los.
„Kennt ihr diese Frau etwa? Die Witwe meine ich.“ also erzählte ich Beatrice von dieser Frau und dem Abend, als sie ihren Mann ermordet hat. Beim Büro angekommen, endete ich mit den Worten „Und ich bin froh gewesen, dieses Weib nicht mehr sehen zu müssen.“
Mrs. DonBonne verabschiedete sich jetzt auch für dich Nacht.
„Es war ein doch noch guter Abend, wir haben einige neue Erkenntnisse gewonnen. Ich wünsche eine geruhsame Nacht, Mistress Kenway!“ grinste sie breit, bevor sie den Verschlag schloss und sich nach Hause bringen ließ.
Ich hingegen ging ins Haus und hinauf in unser Zimmer. Dort erwartete mich mein Mann bereits.

 

„Das hat ja eine Ewigkeit gedauert! Habt ihr euch verlaufen, oder muss ich noch etwas wissen?“ er malte sich anscheinend einige schmutzige Dinge aus, welche ich mit meiner Begleiterin getan haben könnte.
„Nein, ich war anständig und werde jetzt zu Bett gehen.“ sprach ich leise, während ich die Schnüre meines Kleides lockerte.
„Warst du nicht, mi sol. Ich habe die Bilder in deinem Kopf gesehen!“ Haytham stand hinter mir, langsam zogen seine Finger den Stoff der Röcke höher, bis er meine bloße Haut fühlen konnte. Ich sah im Spiegel, wie er sich gleichzeitig sein Hemd auszog, mehr hatte er nicht mehr an!
„Ich kann diesen Gedanken nicht ertragen, dass dich andere Frauen so lüstern ansehen und sich ausmalen, wie es mit dir im Bett ist!“ jetzt war es raus!
„Sie sind eifersüchtig, weil sie nicht das bekommen, was DU hast!“ mit diesen harschen Worten drehte er mich zu sich um und schob mich auf die Kommode. „Ich kann nur mit dir all dies erleben und ausleben. Nur wir beide haben dieselben Gedanken, ohne etwas erklären zu müssen!“ langsam entblätterte mich mein Mann, unendlich langsam. Während dessen strichen seine Fingerspitzen immer wieder über meinen Hals, meine Brüste… Es verging schier eine Ewigkeit, ehe ich von all dem Stoff befreit war.

 

Haytham zeigte mir, dass er seine Lust bis jetzt zurück gehalten hatte und das in einer Geschwindigkeit, die mir hätte bewusst sein sollen. Umgekehrt konnte ich mich ihm dabei völlig hingeben, weil es diese angestauten Gefühle über den ganzen Tag waren.
Gepaart mit Tyr und Thyra war es natürlich um einiges härter, weil wir diesem alten Drang nachgaben, aber es war befreiend und ich wusste wieder, dass mein Mann nur mich begehrte.
Trotzdem würde ich immer wieder eifersüchtig werden… An jeder Ecke konnte so eine „Melody“ lauern…
„Oh bitte… nicht dieses Frauenzimmer. Ich hasse diese trällernde Stimme und sie… dieses Parfum ist grauenhaft…“ bei diesen Worten fuhren seine Finger erneut über meinen Körper und hinterließen eine dicke wohlige Gänsehaut. Seine Lippen folgten dem gleichen Weg und mir wurde klar gemacht, dass kein Parfum der Welt MEINES ersetzen konnte.
Mit einem lauten Aufstöhnen und einer Götterpreisung kam ich erneut in dieser Nacht, was Haytham ein zufriedenes Lächeln bescherte.
„Du gehörst mir.“ hauchte er kurz darauf an meinem Ohr, als ich auf seinem Schoß saß und er sich langsam in mir bewegte.

 

Florence war mehr als schlecht gelaunt am nächsten Morgen.
„Mag nicht…“ maulte sie beim Frühstück und warf ihren Löffeln mit dem Porridge über den Tisch.
„Florence! Benimmt sich so eine junge Dame!“ ihr Vater sah sie tadelnd an! Bei diesen Worten kräuselten sich ihre Lippen und sie begann zu weinen. „Es gibt nicht immer nur das, was du gerne isst. Benimm dich!“ mahnte sie Haytham erneut.
Sophia hatte den Löffel wieder herübergereicht, welchen unsere Tochter jetzt widerwillig in die Schüssel tunkte.
Bei jedem Bissen rollte sie theatralisch mit den Augen.
„Herr Gott, sie hat zu viel von dir!“ bei diesen Worten musste ich lachen, weil … ja, ich sah es ja selber!
„Aber sie vergöttert dich, mi amor.“ flüsterte ich leise, weil ich wusste, dass Haytham dieser Gedanke im Grunde immer wieder friedlich stimmte. Und genauso war es auch.
Er verbrachte eine Weile nach dem Frühstück mit seiner Tochter, zeigte ihr den Garten hinter dem Haus und versuchte sie weiter an ihren Adlerblick zu gewöhnen. Noch hatte sie damit ihre Probleme. Oft hörte ich Florence sagen, dass ihr der Kopf dann wehtun würde. Auch etwas das wir noch im Auge behalten sollten.

 

Wir ließen eine Nachricht an Mrs. Donovan, nein Mrs. Hutchinson, schicken, in welcher wir unseren Besuch ankündigten. Im Grunde konnten wir fürs erste vorgeben sie einfach wiedersehen zu wollen. Seit dem Verkauf hätte man sich ja nicht mehr gesehen und man wollte sich nach dem Wohlergehen erkundigen.
Natürlich mussten wir davon ausgehen, dass die Dame bereits ausreichend informiert worden war, dass wir entsprechende Untersuchungen vorangetrieben hatten.
Mal wieder hieß es, auf alles vorbereitet sein.
Ich zog eines der Kleider in Monturform an, damit ich die Klingen verstecken konnte und mein geheiligtes Stiefelmesser durfte im Strumpfband nicht fehlen.

 

Das Haus der Eheleute Hutchinson war einfach gehalten, aber gut gepflegt. Man öffnete uns und brachte uns in den Salon, wo uns die Witwe bereits erwartete.
An ihrem Blick sah ich bereits, dass sie im Bilde war, was unsere Anwesenheit in der Stadt anbelangte.
„Master Kenway, Mistress Kenway! Es freut mich, dass ihr mich besuchen kommt.“ in diesen wenigen Worten klang ein solch schwerer Zynismus mit, dass es mich schüttelte. Sie war keine gute Schauspielerin, genau wie ich. „Womit habe ich diese Ehre nur verdient?“ dabei warf sie meinem Mann einen lasziven Augenaufschlag zu.
Dieser überging diese Avancen wie immer.
„Mrs. Hutchinson, es freut mich, dass ihr euch hier so gut eingelebt habt. Dann ist Philadelphia jetzt eure neue Heimat?“ auch Haytham beherrschte dieses Spielchen.
Wir nahmen Platz und es begann dieses belanglose oberflächliche Gerede.
Vor Langeweile hielt ich mich an meiner Teetasse fest, weil ich sonst vermutlich eingeschlafen wäre.

 

Etwa eine Stunde später erschien Mr. Hutchinson, Offizier seiner königlichen Majestät. Makellose Uniform, auf Hochglanz polierte Stiefel und Schnallen und dazu ein breites falsches Lächeln auf dem Gesicht.
Die Begrüßung war steif und kalt, ebenso wie die Hand welche meine berührte. Mich überzog es mit einem eisigen Schauer!​​​​​​
„Es freut mich überaus, euch einmal persönlich kennen zu lernen. Meine Gattin hat mir schon so viel über euch berichtet. Eure Hilfe, Master Kenway, damals beim Verkauf der verschuldeten Plantage, war ein Segen für meine Frau. Männer haben nicht immer ein gutes Händchen für das geschäftliche wie es scheint.“
Entweder spielte er den Unwissenden, oder sie hatte ihn einfach dreist angelogen über die damaligen Umstände.

 

Mir wurde es etwas zu dumm mit diesem Geplänkel, ich wollte endlich auf den Punkt kommen, bevor ich jedoch etwas sagen konnte, preschte die Gastgeberin vor.
„Ich weiß weswegen ihr hier seid! Ihr wollt uns zum Schweigen bringen, nicht wahr?“ fauchte sie besonders in meine Richtung.
„Wenn ihr schon so fragt, ja. Im Grunde habt ihr es auf den Punkt gebracht. Aber nicht so schnell mit den jungen Pferden! Wir sollten vorab ein paar Kleinigkeiten aus der Welt schaffen!“ hörte ich die kalte drohende Stimme meines Mannes neben mir.

 

Kapitel 19

 

~~~ Die Wahrheit über Mrs Donovan ~~~

 

 

„Ihr wollt uns auf eure Seite bringen? Ist es das, was ihr wollt? Oh nein, ich werde meinen Eid King George gegenüber sicherlich nicht brechen! Oder an was hattet ihr gedacht?“ diese lauernden Worte des Generals waren eigenartig, weil er den Eindruck erweckte, als wüsste er nichts von seinen eigenen Taten hinsichtlich der Verleumdung des Gouverneurs zum Beispiel.
„Auf UNSERE Seite? Welche wäre das?“ wieder war es mein Gatte, welcher völlig gelassen nachhakte.
„Sagt ihr es mir!“ so langsam wurde es lächerlich.
„Bei Odin, wir gehören keiner Seite an! Hier geht es um die Verbreitung von Falschaussagen und Gerüchten, Mr. Hutchinson, welche EUER Werk sind!“ fauchte ich. Dafür erntete ich ein leises Lachen des Herren.
„Ich habe bitte WAS getan?“ sein Blick ging in Richtung seiner Frau, die plötzlich ein wenig von ihm abgerückt war. Mrs. Hutchinson sah aus, als hätte man sie ertappt. Sie war einfach keine gute Schauspielerin!

 

War SIE die einzige Drahtzieherin und hat einfach nur den Namen ihres Gatten für diese Zwecke missbraucht?
Langsam dämmerte es mir, sie hatte ihre Beziehungen zu Madame Fleur und deren weitere Bekanntschaften genutzt um an Informationen zu kommen. Anschließend hat sie sie mit ein paar kleinen Änderungen verbreiten lassen, von Stadtschreiern, von einigen Loyalen der Krone und so weiter. Sie hatte durch die Heirat wieder Geld und konnte sich diese Schmiergelder leisten!
„Ich fasse es nicht! Ihr steckt dahinter? Was bitte habt ihr davon, wenn ihr gute Bürger in Verruf bringt?“ aber die Antwort konnte ich mir auch selber geben.
„Was soll ich mit einem mickrigen General schon anfangen? Ich habe besseres verdient, aber es ist ein Anfang…“ mit einem Satz war sie aufgesprungen und wollte aus dem Zimmer stürmen. Mr. Hutchinson hielt sie mit eisernem Griff und Blick auf.
„Sag mir, dass du mich nicht nur geheiratet hast, um an die Informationen der Armee zu kommen!“ hinter zusammengepressten Lippen zischte er diese Frage hervor.
„Warum hätte ich mich sonst mit so einem Nichtsnutz wie dir abfinden sollen.“ dabei glitt ihr Blick in Richtung meines Mannes.
„Ihr seid erbärmlich, wisst ihr das, Mrs. Hutchinson? Ich als Frau schäme mich für euer Verhalten!“ ich schämte mich wirklich, weil solche Frauen den Männern den Glauben an die wahre Liebe einfach raubten.

 

Aus meinen Gedanken holten mich die Worte des Generals.
„Führt sie ab.“ sie kamen nur leise und erst jetzt sah ich, dass bereits weitere Beamte ihrer Majestät hier erschienen waren, oder sie waren schon im Haus… ich habe keine Ahnung. Kopfschüttelnd, weil mir die Worte fehlten, ließ ich mich neben Haytham nieder.
„Ich könnte so etwas nie tun, mi amor.“ flüsterte ich. „So skrupellos kann doch nur jemand sein, der nicht ganz bei Verstand ist!“
„Mistress Kenway, diese Vermutung hatte ich jetzt seit einigen Tagen bereits. Meine Frau hat sich immer merkwürdiger verhalten. Natürlich ist mir bewusst, dass sie mit anderen Männer das Bett geteilt hat um an Informationen zu kommen, oder sie hat entsprechende Beamte bestochen damit diese passende Gerüchte verbreiten!“ er ließ sich uns gegenüber auf dem anderen Sofa nieder.
„Wie werdet ihr jetzt weiter vorgehen? Wir wissen um den britischen Geheimdienst und um einige Hintermänner!“ Haytham war wieder in seine Templerart gerutscht. Seine Stimme hatte diesen abgeklärten Ton angenommen.

 

„Diese Gerüchte klingen langsam ab, wie ich hörte. Der Mann welcher für die Beschattung des Gouverneurs eingesetzt wurde, ist heute in den frühen Morgenstunden tot aufgefunden worden. Ich vermute, ihr seid nicht dafür verantwortlich?“ entsetzt sah ich den General an.
„Nein, er… du meine Güte.“ mir fehlten schon wieder die Worte.
„Damit weiß ich genug, Mistress Kenway! Hier und auch in den anderen Städten gibt es ein weitaus tiefer gehendes Netz an Informanten, welche auch meiner Gattin bekannt zu sein scheinen! Ich werde umgehend ein Verhör anordnen und euch postwendend informieren, falls Namen fallen sollten!“ aus betrübten Augen sah er uns abwechselnd an. Man hatte ihn betrogen und ausgenutzt. Niemand würde diese Neuigkeit einfach so wegstecken, weswegen wir uns umgehend verabschiedeten.
Wir hatten sein Versprechen, dass er uns in Kenntnis setzen würde, sollten entsprechende Neuigkeiten bekannt werden.

Auf dem Weg zum Büro sah ich, wie Haytham gedankenverloren vor sich hin starrte.
„Ist alles in Ordnung?“ hakte ich leise nach.
„Hmmm? Ja, natürlich. Ich frage mich nur, wie man auf so ein Weib hereinfallen kann? Liegt es an der nicht vorhandenen Menschenkenntnis, oder vielleicht Unerfahrenheit dieser Männer?“ Im Grunde hatte Haytham bisher, nunja, einfach Glück gehabt und war nie einer Betrügerin aufgesessen.
„Sicherlich sind das unter anderem die Gründe. Aber es gibt die Frauen die es mit… einigen körperlichen Tricks schaffen, einen Mann zu beeinflussen. Frag die Dirnen, die werden dir das sicherlich bestätigen.“ im selben Moment fiel mir auf, dass ich im Grunde die Witwe Donovan mit diesen Prostituierten gleichsetzte. Aber mal Hand aufs Herz! Sie hatte immer einen Blick für die reichen, gut situierten Männer. Nicht bei allen konnte sie landen, also musste sie an die „schwächelnden“ heran, welchen sie sich auch recht zügig entledigte, wenn ihr langweilig geworden war.
„Das klingt wie eine schwarze Witwe!“ er hatte es noch nicht ganz ausgesprochen, als er mich mit großen Augen ansah. „Sie ist so eine von der Sorte!“ dabei schüttelte sich mein Templer vor Widerwillen.
„Leider…“ flüsterte ich.

 

Noch am selben Abend, es muss ungefähr nach dem Abendessen gewesen sein, erhielten wir eine Nachricht von den Eheleuten McKean.
Am morgigen Tag sollte eine Verhandlung vor dem Schiedsgericht stattfinden, wo man die Beschuldigungen und Verleumdungen ad acta legen wollte. Es hätten sich aufgrund der Aussage eines Generals und eines anderen Soldaten neue Erkenntnisse aufgetan, die es galt in Augenschein zu nehmen. Von Mrs. Hutchinson lasen wir kein einziges Wort.
„Haytham, wenn sie hier in einem Gefängnis sitzt… hoffentlich…“ beim Gedanken, dass man die Frau misshandelte, kräuselten sich mir alle Nackenhaare. Auch wenn ich dieses Weib hasste, DAS hatte niemand verdient.
„Was soll ich tun? Sie da heraus holen und bei uns einquartieren?“ Bei Odin, er konnte aber auch wirklich kaltherzig sein.
„Nein, aber gibt es nicht…“ mein Mann ließ mich nicht ausreden.
„Gibt es nicht! Sie ist eine Aufwieglerin, sie hat falsche Anschuldigungen in Umlauf gebracht und wer weiß was noch alles. Sie wird vor ein Gericht gestellt und verurteilt. DAS war es!“ Haythams Wut konnte mitunter gnadenlos sein, aber das hier?

 

„Du verschweigst mir etwas!“ in diesem Moment kam mir ein absonderlicher Gedanke.
Vor ein paar Jahren, als sie sich mit einigen Dingen übernommen hatte, war Haytham ihr zur Hand gegangen. Ist in den Tagen, wo er dort war, etwas vorgefallen? „Sag es!“ zischte ich wütend.
Sein Blick war unergründlich auf mich gerichtet. Seine Körpersprache nicht zu deuten!
„Ich weiß nicht, was du meinst.“ damit drehte sich Haytham um und wollte schon aus dem Zimmer gehen, aber ich hielt ihn auf.
„Du weißt, ich kann auch anders…“ meine Stimme dröhnte selbst mir in den Ohren.
„Das wagst du nicht, Alex!“ fauchte er mich an.
„Wir werden ja sehen…“ meine gesamte Konzentration ging in seinen Geist! Aber ich stand im wahrsten Sinne des Wortes vor verschlossenen Türen! Ein fieses Grinsen ging über sein Gesicht!
„Vergiss nicht, wir beide haben diese entscheidende Technik gelernt.“ diesen Sarkasmus konnte er sich sparen!
„Dann sag mir, was passiert ist?“ War er mit ihr doch ins Bett gestiegen, hatte sie ihm irgendwelche Versprechen gemacht…

 

„Oh bitte, lass das! Nein, nichts dergleichen ist passiert!“ seufzend ließ sich Haytham jetzt in einen der Sessel sinken!
„Dann rede gefälligst mit mir!“ Meine Stimme überschlug sich bei diesen Worten, weil ich unendlich wütend, zornig und vor allem … ja ich war enttäuscht und die Angst, er könnte mich betrogen haben, nahm immer weiter zu!
Ich hörte, wie er tief ein- und ausatmete, wie als würde er eine Meditation beginnen wollen. Geduld! Ihr wisst noch? Habe ich nicht!
„Wir saßen einen Abend in ihrem Arbeitszimmer und sahen die Bücher durch! Ich wollte sicher gehen, nichts übersehen zu haben. Auch Master Donovan könnte ja unter der Hand Handel getrieben haben, auch wenn er den Anschein eines zuverlässigen Händlers machte. Irgendwann stieß ich dann auf tatsächliche Ungereimtheiten, was einige Lieferungen anging. Amber nahm mir das Geschäftsbuch aus der Hand, überflog die Seiten, riss sie heraus und warf sie ins Feuer, mit den Worten, das hätte sich ja jetzt erledigt.“ müde rieb sich Haytham übers Gesicht.
„Sie berichtete von einigen Zahlungen, die sie an ihrem Gatten vorbei an die Krone entrichtete, damit sie sich eine Art Freifahrtschein erkaufen konnte, sollte sie einmal in Bedrängnis geraten. Aber dafür musste sie die Bücher manipulieren, wenn auch nur im kleinen Rahmen. Doch Amber hatte sich immer mehr Verbündete gesucht, welche aber damals durch diesen Bankrott nichts mehr mit ihr zu tun haben wollten.“

 

Kurzum, Mrs. Donovan oder besser Mrs. Hutchinson musste plötzlich ihre Belange alleine klären, weswegen sie auf Haytham kam. Er war der einzige der nicht auf ihrer „Bezahlliste“ stand! Sie dachte, sie könnte sich sein Geld zunutze machen, indem sie mich beseitigte um seine Gunst zu erlangen.
Amber hatte tatsächlich einige Spione, welche dubiose Dinge über mich ans Licht gebracht hatten, angeheuert. Aber Haytham wusste es besser, weil ich eben nicht „hier“ geboren war, weder in der Zeit noch in den Kolonien!
Aber nach stundenlangen Debatten holte sie ein Schriftstück hervor, welches eindeutig aus der Zeit von Edward Senior stammte. Dort sprach man von mir und meinem Mordversuch an meinem Schwiegervater!
„Alex, ich wusste nicht, dass dir so etwas unterstellt wurde. Ich sah diese Papiere durch und sie waren von einem Orden aus Übersee. Diesen gibt es jedoch schon lange nicht mehr, aber es gibt noch ein paar gläubige Anhänger, welchen der Tod meines Vaters gerade Recht kam. JEDER bezichtigte DICH für seinen Mord.“ Sein Blick war mittlerweile verzweifelt.

 

Diese Frau gehörte aber keinem Orden an, keiner Bruderschaft!
„Nein, sie nicht! Aber ihr Großvater! MacAllister!“
Ich starrte meinen Mann mit großen Augen an. Ich hatte nie nach dem Mädchennamen oder der Familie von Mrs. Donovan gefragt, warum auch.
Dieser MacAllister hatte einige Tagebücher hinterlassen, nicht nur über mich waren dort Einträge, sondern auch über andere mögliche Widersacher des Ordens. Nach seinem Tod verfolgte man diese Liste und brachte einige unter die Erde oder holte sie auf die Seite der Templer.
Mich fand man nicht mehr. Aber Amber hatte herausgefunden, dass ich Frederickson hieß und hat dann eins und eins zusammengezählt. Dass sie damit aber bei meinem Mann nicht weiterkommen würde, weil er ja im Bilde war, machte sie wütend.
Gleichzeitig fühlte sie sich in die Ecke gedrängt, weil sie nun kein Druckmittel mehr hatte. Umgekehrt konnte sie jetzt aber auch meinem Mann unterstellen, dass er mit einer Namensfälscherin und Mörderin gemeinsame Sache machte.

 

Eines gab das andere und irgendwann stand Mrs. Donovan vor den Scherben ihrer eigenen Intrigen und ihres Lebens. Haytham hatte mit offenen Karten gespielt und meine Geschichte erzählt, nicht ganz wahrheitsgemäß versteht sich. Aber da sie nun keinen Trumpf mehr im Ärmel hatte, hisste sie die weiße Fahne und gab auf.
Leider nur bis sie diesen General kennen lernte!
Auch ihm wird sie sicherlich vorher schon einige ihrer Spione auf den Hals gehetzt haben! Mittlerweile schätzte ich die Dame so ein, dass sie ein hochgradig ungesundes Misstrauen allen Menschen gegenüber hegte.
„Das heißt aber auch, dass sie im Gefängnis vermutlich wirklich eine Sonderbehandlung genießen wird.“ meine Schlussfolgerung aus den ganzen bisher gewonnen Erkenntnissen ließ mich das annehmen.
„Genauso ist es. Mrs. Hutchinson genießt ein Privileg sondergleichen, Alex. Natürlich wird sie verurteilt, aber sie hat viel Geld investiert für ihre Freiheit.“ Großartig, dieses intrigante Flittchen kommt also davon, vermutlich sogar ohne Prozess.
„Darauf wird es hinaus laufen.“ wieder dieses tiefe Seufzen von Haytham.

 

„Warum hast du mir damals nicht gleich davon erzählt, dass du es so herausgefunden hast? Ich hätte dir doch diese Geschichte erzählt.“ eigentlich war ich enttäuscht, dass er mit mir nicht darüber gesprochen hatte.
„In deinem Zustand? Alex! Du hattest ganz andere Sorgen gerade.“ plötzlich stand er vor mir, zog mich an sich und sah auf mich herunter. „Außerdem habe ich es ehrlich gesagt auch einfach verdrängt, weil es im Grunde damals nicht mehr wichtig war.“
Wer hätte auch gedacht, dass man DAS nochmal ausgraben würde!
Die Generalsgattin würde aber sicherlich nicht mit diesen Fakten auftrumpfen können, weil sie zum einen verjährt waren und vor allem konnte sie nichts mehr beweisen. Die meisten Unterlagen hatte sie in ihrer Panik anscheinend verbrannt. Gut für mich, schlecht für sie.

 

Schon am nächsten Tag erhielten wir die Nachricht, dass das Gericht von einer Verhandlung absah. Mrs Hutchinson würde wieder auf freien Fuß gesetzt in den nächsten Tagen, mit der Auflage wieder in ihre Heimat zurück zukehren. Ein Tross aus Wachen würde das, angeblich, überwachen.
„Sie hat, laut ihrer Urkunden, irische Wurzeln. Ob sie aber dort noch Verwandte hat, ist fraglich…“ grübelte Haytham vor sich hin.
„Bei Odin, dann soll sie dort verhungern!“ pöbelte ich in meiner Eifersucht, weil er schon wieder über ihr zukünftiges Leben nachdachte. Was ging ihn das an.
„Alex, du müsstest dich selber dabei sehen! Ich sorge mich um meine Mitmenschen, da könnte es auch Lion sein, oder Rory… ich würde mir auch bei ihnen solche Gedanken machen. Ich finde nichts an dieser Frau, was mich anziehen würde!“ Als ich seine Lippen auf meinen spürte und seine Arme sich mich umschlungen, war ich auf seltsame Weise beruhigt. Ich konnte mich auf sein Wort verlassen.

Kapitel 20

 

~~~ Der Alltag und tote Mäuse ~~~

 

Also erzählte ich Haytham jetzt von diesem MacAllister, welcher mich mit in seine Machenschaften ziehen wollte.
„Du musst wirklich gedacht haben, Templer sind durch die Bank weg das reine Böse.“ kopfschüttelnd saß mein Mann neben mir.
„Aber du konntest mich ja eines besseren belehren, mi amor. Ich bin dir dafür sehr dankbar.“ ich ließ meinen Worten einen vorsichtigen Kuss auf seine Wange folgen.
Wir waren uns einig, dass wir viel mehr Menschen zeigen sollten, wie es auf der anderen Seite des Tellerrandes aussieht.
Mittlerweile waren sich auch Monsieur de la Sèrre und Monsieur Dorian ein kleines Stück entgegengekommen. Ein Bote hatte vor ein paar Wochen einen Brief von Dorian überbracht. Damit waren wir auf einem guten Weg, wie ich fand.

 

Wir statteten dem Gouverneur noch einmal einen Besuch an diesem Tag ab, um uns zu erkundigen, ob wirklich langsam Ruhe einkehrte.
Auch die Eheleute McKean waren entsetzt, als sie hörten dass dieser Spitzel ermordet worden war.
„Anscheinend wird kurzer Prozess mit den Leuten gemacht, die ihre Aufgabe nicht korrekt erledigen. In meinen Augen ist das aber doch etwas zu hart, findet ihr nicht auch?“ fragte der Gouverneur stirnrunzelnd nach.
„Das ist es in der Tat. Aber wir wissen nicht, wer noch alles dahinter steckt. Vermutlich wollte man jetzt noch auf Nummer sicher gehen, damit wirklich nichts mehr nach Außen getragen wird.“ Haytham hatte sich diesbezüglich auch schon Gedanken gemacht.
„Werdet ihr noch weitere Nachforschungen anstellen, Master Kenway?“ McKean hoffte auf unsere weitere Unterstützung wie es aussah. Ich konnte ihn verstehen, er hatte einfach Angst um sein Leben.
„Das werden wir, Mr. McKean. Ich habe unser Büro hier bereits entsprechend eingewiesen. Die Madame des Bordells wird beschattet und zwar durch die Personen, die sie auch zeitgleich beschützen. So haben wir zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Ich bitte euch jedoch noch einmal ausdrücklich, achtet auf eure Worte in der Öffentlichkeit!“ mein Templer appellierte eindringlich an den gesunden Menschenverstand des Herren vor ihm.
„Glaubt mir, ich werde meine Zunge in Zukunft hüten.“ erleichtert, dass ja noch einmal alles recht glimpflich ausging, konnten wir uns nun verabschieden.

 

Auf dem Weg zum Büro und unserer Tochter dachte ich aber noch einmal über diese vertrackte Situation nach.
„Haytham, so langsam kommen wir an den Punkt, wo auch WIR eine Entscheidung treffen müssen. Das macht mir Angst.“ flüsterte ich, während ich aus dem Fenster sah.
„Wir könnten uns auch vorerst noch neutral verhalten. Wer Hilfe braucht, bekommt sie. Und vergiss nicht, wir sind nicht alleine, wir können auf einige Brüder und Schwestern mittlerweile zurückgreifen!“ leider kam das nicht so überzeugend über seine Lippen, wie er vermutlich wollte.
Ich seufzte tief als ich mich zu ihm umdrehte.
„Weder die Loyalisten noch die Patrioten gehen friedlich vor, wie immer glauben beide Parteien sie seien auf der richtigen Seite. Sie versuchen es mit allen Mitteln durchzusetzen. Es ist im Grunde wie zwischen den Bruderschaften und den Orden! Aber leider werde ich es nicht schaffen, auf dieser hohen politischen Ebene eine Einigung zu erreichen. Auch wenn ich es gerne hätte. Wenn ich mir überlege was aus Amerika einmal wird…“ ich schüttelte den Kopf, weil ich insgeheim oft gedacht hatte, dass es vielleicht doch besser wäre, wenn die Briten blieben. Würde ich DAS laut aussprechen könnte mir die Todesstrafe vermutlich irgendwann drohen. Dieses Risiko konnte ich schlecht eingehen. Nur meinem Mann erzählte ich von meinen Gedanken.
„King George knechtet aber seine Kolonisten, hast du das schon vergessen?“ damit hatte er ja Recht, dennoch würde die Nation ohne die Briten völlig nackt dastehen. Sie wird sich ganz alleine aufbauen müssen, das Resultat sieht man dann erst später. Im Grunde brachte es nichts, darüber zu reden. Ich konnte es nicht ändern, ich durfte es nicht!
Auch Haytham kam zu diesem Schluss.

 

Wir verbrachten diesen Tag mit Florence in der Stadt. Ich bemerkte oft, dass sie vor den vielen Menschen Angst bekam und sich immer wieder an Haythams Bein klammerte. Irgendwann nahm er sie auf den Arm, was unsere Tochter mit einem glücklichen Lächeln dankte.
Sie bekam heute noch ein paar neue Anziehsachen, da auch sie wieder ein Stück gewachsen war. Unseren Schuster daheim würde ich noch beauftragen, ihr ein paar gute Stiefel zu machen, weil ihre Zehen schon vorne anstießen.
Als wir in einer kleinen Wirtschaft zu Abend aßen, sah ich plötzlich aus den Augenwinkeln, wie sich Mrs. Hutchinson einen Weg zu uns bahnte. Oh bitte nicht sie noch heute!

 

„Wie ich sehe, genießt ihr es, mich endlich losgeworden zu sein! Was hatte ich auch von euch erwartet, Haytham? Ihr seid herzlos, wie alle sagen. Ich hoffe, eure Tochter wird nicht so wie ihr.“ flüsterte sie wütend an seiner Seite.
In meinem Mann begann es zu brodeln, seine Finger bewegten sich unaufhörlich.
„Ich warne euch, Mrs. Hutchinson! Treibt es nicht zu weit. Ihr habt schon genug Schaden angerichtet. Außerdem haltet euch von meiner Familie fern, wenn euch euer Leben lieb ist!“ sein Gesicht strafte ihn Lügen bei diesen ruhig gesprochenen Worten.
„Ich schwöre, ich werde die Machenschaften eurer ach so geheiligten Frau schon noch aufdecken! Verlasst euch drauf! Und dann sehen wir ja, wer das letzte Wort hat.“ damit drehte sie sich um und verschwand.
Ich selber starrte ihr hinterher, weil mir gerade die Worte fehlten.
Plötzlich hörte ich ein Schniefen neben mir. Sophia hatte ihren Schützling noch auf dem Schoß, aber Florence rollten die Tränen über die Wange.
„Min lille engel, was ist los?“ als sie auf meinem Schoß saß, sah sie zu ihrem Vater, dann wieder zu mir.
„Mama ist lieb, Papa … auch. Die … Frau…!“ dabei klammerte sie sich ängstlich an mich! Erschrocken sah ich zu Haytham, welcher auch nicht so recht wusste, was er sagen sollte.
„Mein Engel, diese Frau ist weg und wird uns nie wieder belästigen! Das verspreche ich dir. Komm! Möchtest du noch etwas von dem Nachtisch haben?“ flüsterte er seiner Tochter verschwörerisch zu. Nickend öffnete sie einfach den Mund.
„Hauptsache von Papa!“ lächelte ich und strich ihr über die nasse Wange.

 

Nach einer regnerischen anstrengenden Rückfahrt kamen wir Mitte Mai wieder daheim an. Es war Nachmittag, aber Odin sei Dank endlich einmal trocken. Mit einer mürrischen Florence ging ich hinein um sie umzuziehen, weil sie sich während der Fahrt mit Marmelade voll gekleckert hatte. Eine der Herbergsdamen hatte für sie extra ein paar Brote gestrichen, damit unsere Tochter nicht hungrig wurde.
„Mama, wo ist Mina?“ suchend sah sie sich in ihrem Zimmer um.
„Sie wird sicherlich draußen auf Mäusejagd sein, min lille engel.“ sagte ich, während ich ihr ein neues Hemdchen überzog, was nicht so leicht war. Sie war so am Herumzappeln, dass ich meine Mühe mit ihr hatte.
Wieder unten wollte Florence schon zur Tür raus, als die kleine Katze uns entgegen stiefelte.
Zwischen ihren Zähnen hielt sie eine fette Maus, welche sich noch bewegte. Meine Tochter streichelte begeistert das flauschige Tier. Dabei ließ Mina ihre Beute los, die natürlich sofort die Flucht ergriff. Ich sah dieses Nagetier nur noch in Richtung Küche verschwinden! Oh nein…
Plötzlich vernahm ich spitze Schreie neben klopfenden Geräusche. Mit einem triumphalen „Hab ich dich endlich!“ kam die Köchin in die Eingangshalle. Als sie Mina und Florence sah bekam sie große Augen. „Miss Florence, hat eure Katze dieses Vieh hierher gebracht? Ihr müsst aufpassen, dass nicht noch mehr davon hier rein kommen!“
Entsetzt sah mein kleiner Engel auf das tote Tier, dann zu ihrer Katze, die sich um die Beine von ihr schlängelte mit einem Schnurren.
„Das ist Minas Essen!“ brachte sie wütend hervor und streckte ihre kleine Hand aus.
Seufzend mit einem Blick auf mich, ich nickte der Köchin zu, gab sie der kleinen Dame das Mahl für ihr Haustier.
„Das nächste Mal bringe ich das Vieh gleich raus. Das fehlte noch, dass die Vorräte angeknabbert werden!“ damit drehte sich die Köchin wieder um und ging.

 

Katze und Kind verschwanden nach draußen, wo die Maus sogleich wieder in Beschlag genommen wurde von Mina.
„Schau, es ist doch gut, dass wir sogar eine Katze fürs Haus haben!“ anerkennend stand jetzt mein Mann neben mir.
„Ja, aber nicht, wenn sie lebende Mäuse herein bringt.“ grinste ich ihn an und erzählte von der Jagd in der Küche.
„Aber es ist ja nichts weiter passiert. Nicht wahr, mein Engel?“ lächelnd hockte er neben seiner Tochter, die jetzt wieder in allen ihr möglichen Sprachen erzählte.
„Ich lasse euch dann mal alleine! Ich werde jetzt Edward abholen…“ bevor ich noch etwas sagen konnte, sprang Florence auf!
„Will mitkommen, Mama!“ rief sie glücklich!
„Wie heißt das, mein Engel?“ hörte ich Haytham streng fragen.
„Ma...mö...möchte ich mitkommen.“ flüsterte sie jetzt mit gesenktem Kopf. Ich sah wieder Edward Junior vor mir, wie auch er so da stand, wenn sein Vater ihn mal wieder korrigierte.
„Alex, ich kann schon fast das Augenrollen hören!“ lachte er, nahm mich aber in den Arm.

 

Mein Mann hatte einiges an Post in seinem Arbeitszimmer liegen, welche er schon einmal bearbeiten wollte. Also machte ich mich alleine auf den Weg unseren Sohn zu holen.
Vor mir im Sattel saß jetzt Florence, welche vorsichtig über das schwarze Fell meines Hengstes strich. Bald dürfte sie dann auch ihr eigenes Pferd reiten, fiel mir wieder ein. Im September oder Oktober sollte Mackenzie ihr ein paar Reitstunden geben.
Als wir bei Mildred ankamen, rannten die Jungs alle nur in Hosen im Garten herum. Sie hatten von einem der Bewässerungsgräben eine kleine Abzweigung gebuddelt und hatten nun ihren Spaß mit dem Schlamm und ihren Booten, die sie dort in dem Wasser herum schippern ließen.
Edward bemerkte mich zuerst gar nicht, erst als er die Rufe seiner kleinen Schwester hörte, drehte er sich erschrocken um.
„Mama, Flo, ihr seid wieder da!“ schnell rannte er auf uns zu, aber bevor er noch meine Sachen einsauen konnte, erschien auch schon die Frauenanführerin selber.
Sie nahm mir Florence ab, sodass auch ich absteigen konnte und den Dreckspatz in die Arme nehmen konnte. Mit etwas Abstand versteht sich, aber sogar mein Sohn entschuldigte sich für seinen Aufzug.
„Schau mal, wir haben einen … Dings… Befestidings… Befestigungsgraben für die Burg gegraben!“ er war so aufgeregt, dass er begann sich zu verhaspeln.
„Das sieht ja fantastisch aus!“ lobte ich die Jungs.
„Danke, Mistress Kenway. Miss Florence, wollt ihr auch ein Boot in die Schlacht schicken?“ fragte der Älteste nach. Natürlich wollte sie das und folgte dem Jungen.
Nun gut, dann würde ich sie nachher auch noch mal neu anziehen müssen.

 

Ich ging unterdessen mit Mildred hinein um mich zu erkundigen, ob Edward auch artig war.
Seufzend ließ sie sich auf einem Stuhl im Wohn- und Esszimmer nieder. An ihrem etwas müden Gesicht konnte ich erahnen, dass es nicht so leicht war, alle 4 Jungs zu bändigen. Mrs. Wallace war natürlich jeden Tag mit anwesend, aber auch sie konnte nicht alle Kinder zähmen.
„Aber euer Sohn hat sich gut benommen, wirklich. Er ist ein lieber Junge. Er hat sogar beim Tischdecken geholfen, ohne dass ich etwas sagen musste. Ihr könnt euch den verwunderten Blick von Sybill gar nicht vorstellen.“ lachte sie bei dem Gedanken daran. „Dennoch war es schön, dass er hier war. Sie alle haben sich Geschichten zum Einschlafen erzählt, oder mein Mann hat den Jungs noch ein paar gruselige Dinge aus der Gegend berichtet.“ jetzt aber stockte sie und sah mich für einen Moment fragend an.
„Mistress Kenway, Edward erzählte von so vielen unglaublichen Wesen, von Göttern und von Drachen, so als wäre er direkt dabei gewesen. Diese Phantasie ist großartig! Habt ihr ihm diese Geschichten erzählt? Ich würde sie auch gerne lesen, weil ich so begeistert war beim Zuhören.“
„Es gibt darüber nichts auf Papier, Mildred, leider. Ich habe meist frei aus dem Gedächtnis etwas… erfunden. Vielleicht könnte man im Sommer für die Kinder ab und an ein kleines Campinglager errichten, wo sie sich gegenseitig am Lagerfeuer Geschichten erzählen. Ich glaube, das würde sie alle begeistern!“ So etwas wie ein „Ferienlager“, ging es mir durch den Kopf.
„Eine wunderbare Idee.“
Nachdem sie mir noch von der Schule, Edwards Fortschritten und den dann doch etwas bösen Streichen der Jungen berichtet hatte, brach ich auf. Es wurde Zeit fürs Abendessen. Ich verblieb mit ihr so, dass auch ihre Jungs gerne mal bei uns übernachten durften, wenn sie ein wenig „Ruhe“ bräuchte.
„Mistress Kenway, aber…“ ich schüttelte den Kopf.
„Nein, das ist das wenigste was ich als Wiedergutmachung tun kann.“ ich nahm sie kurzerhand in den Arm, was sie mit einem tiefen Seufzen erwiderte.

 

Auf dem Rückweg saß Edward vor mir und Florence vor ihm.
„Min lille skat, was habt ihr nur wieder angestellt? Ihr habt Kuhfladen vor den Türen der Bauern angezündet und ihr seid mitten in der Nacht einfach hinaus in die Kälte, nur um nach Geistern zu suchen?“ tadelnd hob ich eine Augenbraue, auch wenn er es nicht sehen konnte.
„Aber… das war doch nicht böse gemeint. Die Leute wollten dann das Feuer austreten und …“ kicherte er für einen Moment, weil er die Bilder der in diese sprichwörtliche Scheiße getretenen Leute wieder vor sich sah. Dann aber wurde ihm klar, dass auch sein Vater davon erfahren würde oder im schlimmsten Fall bereits unterrichtet worden war. „Vater wird das nicht gut finden, oder?“ flüsterte er ängstlich.
„Damit musst du rechnen. Walka scheint es aber gut gegangen zu sein, wie ich sehe.“ Die Hündin trottete neben uns her, jagte hier und da einigen Insekten hinterher.
„Mama… ich… ich glaube, sie kann mich verstehen…“ dieser Unglaube in seiner Stimme ließ mich aufhorchen.
„Wie kommst du darauf?“ hakte ich jetzt ebenfalls neugierig nach.
„Walka sitzt oft neben mir, schaut wirklich zu. Manchmal glaube ich, nickt sie, wenn ich etwas richtig mache oder sie… ich bin doof, oder? Das gibt es nicht, oder?“ ich sah zu seiner Gefährtin hinunter, welche plötzlich neben uns herlief und zu uns aufsah.
„Doch, ich glaube, das ist tatsächlich so.“ ich sah in den Augen der Hündin ein leichtes Leuchten! Sie war nicht mehr alleine und leitete zusätzlich Edwards Geschicke. Als ich ihm das erklärte, sah er entgeistert zu ihr.
„Haaaaaaah… ich hab mir das nicht eingebildet!“ rief er, aber bevor er vom Sattel hüpfen konnte, hielt ich ihn fest.
„Min lille skat, warte bis wir zuhause sind. Ich bin müde und habe Hunger!“ ich trieb Fenrir etwas an, damit es schneller ging. So hatte Walka auch noch genügend Bewegung für heute.

 

 

Beim Herrenhaus angekommen, trat ein mürrischer Ehemann auf die Veranda, kreuzte seine Arme auf dem Rücken und betrachtete seinen Sohn, wie er langsam die Stufen heraufkam.
„Edward! Hinauf auf dein Zimmer! Das Abendessen ist für dich gestrichen und Walka kommt wieder zu ihren Geschwistern!“ Ohne Begrüßung ohne alles schnappte er sich die Hündin und marschierte zum Zwinger mit ihr.
Selbst mir blieb der Mund wieder einmal offen stehen.
Edward hingegen schrie ihm hinterher, er könne ihn mal und rannte ins Haus! Oh… bitte! Florence hatte die beiden nur beobachtet, brach aber jetzt ebenfalls in Tränen aus!
Toller Einstieg hier daheim, wirklich!
Mrs. Wallace tauchte plötzlich in der Tür auf, sah mich fragend an, sagte aber nichts, als sie sah, wie Haytham mit Walka davon ging.
Sophia stand ebenfalls dort, nahm dann ihren Schützling auf den Arm und versuchte auch sie noch zu trösten.

 

„Sybill, ich werde jetzt hinauf gehen. Vielleicht kann ich Edward etwas beruhigen.“ sie sah mich kopfschüttelnd an, dann glitt ihr Blick Richtung der Zwinger.
„Lasst das, Mistress Kenway. Master Kenway ist in Rage, ich habe gehört, was die Jungs alles angestellt haben, von dem ich gar nichts wusste.“ Beim Hineingehen berichtete sie mir nun von den ganzen Schandtaten, Mildred hatte anscheinend auch nicht alles mitbekommen. Die jungen Herren waren also doch recht geschickt im Vertuschen!

Kapitel 21

~~~ Ein Gespräch, welches lange fällig war! ~~~

 

Fast alle Jungen in unserer Siedlung hatten es sich zur Aufgabe gemacht, immer reihum irgendjemandem einen Streich zu spielen.
Dem einen wurde der Pfeifentabak gegen Gras ausgetauscht, einem anderem nähte man alle Hosenbeine zu oder aber versteckte ganze Garderoben auf dem nahe gelegenen Heuboden. Außerdem hatten sie ein kleines Fass Schwarzpulver gefunden und damit herum gespielt. Odin sei Dank hat es aber noch ein Arbeiter rechtzeitig gesehen, sonst wäre das Ding hochgegangen. Dabei hatte ich Edward ausdrücklich verboten mit den Zündhölzern zu spielen!
Die Liste wurde immer länger und ich fragte mich irgendwann, woher nahmen sie sich die Zeit? So viele Stunden konnte kein Tag haben und wir waren auch kein halbes Jahr unterwegs gewesen!
„Bedenkt, es sind sehr viele junge Burschen hier.“ sagte Sybill zögerlich, weil sie sah, dass ich damit noch nicht so umgehen konnte. Natürlich gab es auch in meiner Zeit solche „Lausebengels“, waren die auch so wie hier? Mir selber ist das als junges Mädchen nie so aufgefallen, im Gegenteil… ich hatte des öfteren mitgemacht. Bei dem Gedanken schoss mir vor Verlegenheit die Röte ins Gesicht und Mrs. Wallace grinste mich breit an. „Ich hatte auch nichts anderes erwartet.“ sie konnte sich das Lachen kaum verkneifen!

 

Uns beiden verging es aber, als Haytham durch die Tür trat.
„Alex, wir müssen reden!“ donnerte er mir entgegen, gleichzeitig schritt er zügig in sein Arbeitszimmer. Sybill tätschelte meinen Arm und lächelte mir aufmunternd zu.
Warum hatte ich jetzt bitte ein schlechtes Gewissen und eine gewisse Angst in mir? ICH habe doch diesen Unfug nicht angestellt! Verdammte Axt nochmal!
Ich war noch nicht ganz im Raum, da hörte ich nur ein lautes „Mach die Tür zu!“. Danach setzte ich mich auf einen der Sessel und wartete, während mein Mann, wie gewohnt wenn er nachdachte oder wütend war, mit verschränkten Armen auf dem Rücken umher lief.
„WAS ist in dieses Kind gefahren? Weißt du was er alles angestellt hat, als wir nicht da waren? DAS geht einfach zu weit! Wenn er so weitermacht schicke ich ihn nach Europa auf eine Militärschule oder Internat!“ seine Stimme wurde immer lauter und wütender.
„Das wagst du nicht, Haytham!“ erwiderte ich ebenso zornig. Nein, dann würde ich mit meinem Sohn dorthin gehen und würde auch gleich Florence mitnehmen!
„Doch, ich kann und ich werde es tun, wenn das so weiter geht.“ jetzt stand er vor mir, sah mich wutentbrannt an.
Langsam erhob ich mich!
„Es sind einfach Jungs, die sich noch ausprobieren, die erforschen, die einfach noch lernen müssen. Dazu gehören auch solche Streiche! Dabei erfahren sie die Konsequenzen was passiert wenn sie etwas anzünden oder ähnliches…“ bevor ich aber noch ausholen konnte, fuhr er mir schon fast brüllend über den Mund.
„Es war so klar, dass du versuchst Edward in Schutz zu nehmen! Ihn verteidigst bis aufs Blut! Aber das wird ihn in seinem späteren Leben nicht weiterbringen, Alex. Er braucht eine strengere Hand als meine, wie es scheint. Und du hör auf ihn in Watte zu packen!“ Millimeter trennten uns nur voneinander, sein aufgebrachter Herzschlag war über diese Distanz deutlich zu spüren.

 

„Ich bin seine Mutter, vergiss das nicht! Auch ich habe ein Mitspracherecht in seiner Erziehung! Du wirst ihn nicht wegschicken, nur weil sein Verhalten dir lästig wird!“ zischte ich Haytham entgegen. „Wage es und ich bin auch weg!“ seine Augen weiteten sich bei meinen letzten Worten.
„Du hebst ihn auf eine höhere Stufe als mich, deinen Ehemann?“ in diesem Moment wurde mir erst richtig bewusst, dass Haytham noch lange nicht meine Ansichten des 21. Jahrhundert zu 100 Prozent verstand, geschweige denn umsetzen konnte. Er lebte in diesem von Männern bestimmten Jahrhundert, wo ich als Ehefrau kein Recht hatte, ihm zu widersprechen!
Plötzlich stiegen mir die Tränen in die Augen, weil mir genau das klar wurde. Ich hatte es mir nie wirklich vorstellen können, dass dieser Mann irgendwann einmal doch in diese typische Vater- und Ehemannrolle fallen könnte. Ich hatte mir also vieles einfach nur schön geredet? War ich so verblendet?

 

Ich ließ mich wieder auf den Sessel nieder und starrte auf meine Hände in meinem Schoß! Ich suchte nach passenden Worten.
„Ja, das tue ich dann wohl in deinen Augen.“ flüsterte ich leise, bemüht meine Wut und die Tränen zu unterdrücken.
„Dann solltest du schon einmal darüber nachdenken, wohin du mit Edward gehen willst.“ diese Worte waren so kalt, dass es mich schüttelte. Ich würde sicherlich nicht mit unserem Sohn alleine gehen, Florence würde mich begleiten!
„Nein, das wird sie nicht!“ seine Hand griff mein Kinn und drückte zu. Aus Angst ließ ich meinen Blick über ihn wandern, suchte nach Anzeichen für Hrymr oder Tyr… da war nichts. Es war tatsächlich die echte Wut über die Taten seines Sohnes!
In mir stieg jetzt reale Angst empor, weil ich zum ersten Mal erfuhr, was es hieß, wenn der Ehemann einen fallen ließ!

 

Im selben Moment fiel mir aber auch ein, dass ich recht unabhängig war. Die Jackdaw war mein, die Geschäfte liefen, neben denen von Faith, auf meinen Namen!
„Ich weiß mich schon durchzubeißen, es wäre nicht das erste Mal, Haytham!“ maulte ich mit Schmerzen in meinem Kiefer.
„Du wirst hier in dieser Zeit alleine nicht so einfach überleben, glaub mir. Ich kann auch anders. Unterschätze nicht meinen Einfluss…“ jetzt reichte es mir.
„Weißt du was? Wir sollten vielleicht einmal ein wenig Abstand voneinander haben. Ich werde packen und die Jackdaw beladen. Ich werde …“ verdammt, ich hatte noch nicht zu Ende gedacht, WOHIN ich sollte. Zu Faith wäre Quatsch, dorthin würde er zu schnell nachkommen können. Denk nach… wohin… denk nach… „Ich reise nach London und werde bei den Bradshaws für eine Weile bleiben mit den Kindern!“
Gerade als ich mich umdrehen und den Raum verlassen wollte, griff seine Hand nach meinem Oberarm.
„Nichts wirst du tun und wenn ich dich einschließen muss…“ sprachlos stand ich vor ihm und sah in seine grauen wütenden Augen.
„Gut, versuch es doch!“ provozierte ich ihn aus welchem Grund auch immer. Verdammt, was war denn auf einmal mit uns los? War es wirklich dieses ganze unausgesprochene, für selbstverständlich erachtete gegenseitige Verständnis?

 

 

Plötzlich ließ er von mir ab. Sein Blick blieb aber eisig auf mich gerichtet.
„Haben wir uns vielleicht doch die ganze Zeit nur etwas vorgemacht, dass unsere Beziehung und Ehe so einfach funktioniert?“ in seiner Stimme schwang ein seltsamer Ton mit, so als würde ihm erst jetzt bewusst, dass ich nicht hierher gehörte.
Jetzt bekam ich Panik, weil … weil ich diese Ehe nicht aufs Spiel setzen wollte. Ich liebte diesen Mann, ich wusste, dass er schwierig sein kann…
Beide standen wir uns jetzt mit einigem Abstand gegenüber und musterten einander.
„Du kennst mein Leben, Haytham. Ich musste auf eigenen Beinen stehen, weswegen ich über Erziehung auch anders als du denke.“ Warum ich den nächsten Satz sagte, weiß ich nicht, aber ich hoffte auf eine unerklärliche Art, er würde Haytham zur Vernunft bringen. „Ich habe schon einmal einen Sohn alleine gelassen, ich werde es nicht noch einmal zulassen. Schon gar nicht mit seinen gerade mal 5 Jahren.“ Im Grunde flüsterte ich das Ganze, weil ich Angst hatte, wieder weinen zu müssen.
„Ich ließ meinen Sohn ganz im Stich…“ mit einem Male sah ich diese übermächtige Trauer in seinen Augen. Sein ganzer Körper schien in sich zusammen zufallen.
Langsam schritt ich auf meinen Mann zu.
„Das hast du nicht, du hattest keine Zeit und Gelegenheit bekommen, für ihn da zu sein.“ mir kamen die Worte fast tonlos über die Lippen, weil mir auch noch der Satz auf der Zunge lag, dass er ja bald einiges nachholen könnte. Aber das würde sich wie ein Vorwurf anhören.

 

Dann lagen plötzlich seine Arme um mich, Haytham klammerte sich an mich. So ähnlich war es, als er vor unserem Bett auf die Knie ging, als Edward gerade geboren war.
„Ich will doch nur, dass er ein guter Mensch wird. Aber wie soll ich das schaffen?“ diese Worte klangen nicht flehend oder verzweifelt, sie waren einfach eine Frage nach dem WIE!
„Darauf habe ich auch keine Antwort, Haytham. Du hast Edward vorhin klar gemacht, was passiert, wenn er wieder etwas anstellt. Dadurch wird er lernen, aber das geht nicht von einem auf den anderen Tag. Es werden noch viele Streiche und Verfehlungen von ihm kommen, glaub mir. Ihn aber von uns zu trennen, dass würde nicht nur ihm wehtun.“ flüsterte ich leise in seine Haare, als er seinen Kopf an meine Schulter lehnte.
Geduld!, ging es mir durch den Kopf.
„Verdammt, Alex. Ich fühle mich völlig… nicht überfordert, aber… ein wenig hilflos…“ im Raum tauchte ein leichter Nebel auf, aus ihm trat Edward Senior.
„Haytham!“ mein Pirat legte eine Hand auf die Schulter seines Sohnes. „Glaubst du, ich habe alles richtig gemacht? Du hattest nur nicht die Möglichkeiten, so viel… Unsinn anzustellen wie mein Enkel jetzt, aber hättest du es genauso getan… auch ich hätte dich entsprechend gestraft. Aber niemals hätte ich dich weggeschickt.“ die letzten Worte waren kaum hörbar. „Euer Sohn ist mir, leider, doch sehr ähnlich und wird euch sicherlich in Zukunft noch mehr Ungemach bereiten. Das ist aber doch normal! Alex, aber bitte lass in solchen Momenten DEINE Lehren aus dem 21. Jahrhundert außen vor! Sie sind nicht der heutige Maßstab, wir müssen an die Sicherheit denken, welche hier ganz anders einzuordnen ist als in deiner Zeit.“ seine blauen Augen ruhten jetzt auf mir.
„Ja, ich weiß. Wir haben es leichter, als ihr hier. Das habe ich schon verstanden, ich bin ja nicht blöd…“ maulte ich drauflos, weil mal wieder jeder davon ausging, ich … Bei Odin, ich ging wirklich etwas zu leichtsinnig mit den Gepflogenheiten hier um!

 

„Siehst du, DAS meine ich damit!“ grinsend sah er wieder zu seinem Sohn. „Aber schick Edward nicht weg, er liebt dich und braucht euch beide gleichermaßen um ein guter Mensch zu werden. Außerdem, was würde Florence ohne ihren großen Bruder machen. Er muss sie beschützen.“ dieser Satz kam mit einem leichten ironischen Unterton aus Edward Seniors Mund.
Jetzt erschien ein Lächeln auf Haythams Gesicht.
„Du hast Recht, dieser kleine Lausebengel braucht unsere Erziehung. Aber es wäre ab und an ganz hilfreich, wenn du MIR zur Seite stehen könntest, Vater. Weil… ich … ich hatte nicht diese…“
„Ich weiß, Haytham.“ Beiden ging der Gedanke im Kopf herum, dass Haytham einfach alleine war, er hatte niemanden der ihn auch noch zu irgendwelchem Dummfug hätte anstiften können.
Ich stand neben den beiden Kenways und sah von einem zum anderen.
„DU bist für Florence verantwortlich, hast du mich verstanden?“ grinste mein Pirat mich an.
„Aha, ich darf wieder die Frauenarbeit übernehmen…“ im selben Moment biss ich mir auf die Zunge…
„Nein… du hast bewiesen, dass du auch ganz anders kannst. Aber mein Enkel braucht seinen Vater als Orientierung! Die Zeiten hier sind andere Alex!“ lächelte Edward, während er meine Wange tätschelte.

 

Damit war das jetzt geklärt, hoffte ich.
Edward Senior verabschiedete sich mit den Worten, dass unsere Kinder ihren Weg meistern werden. Wir würden ihnen schon die richtige Erziehung geben.
Als wir alleine im Arbeitszimmer standen, sah mich Haytham fragend an.
„Ich wäre nie auf solche… Ideen wie unser Sohn gekommen. Vater hat Recht, genau wie du auch. Niemand konnte mich anstiften, Jenny war mit sich beschäftigt…“ in meinen Augen brannten Tränen, weil ich immer noch diese Zeit vor Augen hatte, wo er völlig einsam war. So etwas tat mir einfach in der Seele weh.
„Mi amor, du oder besser WIR können es doch jetzt anders machen. Unser Sohn ist ein kleiner aufsässiger Mensch, der noch in seine Schranken gewiesen werden muss. Auch Florence wird nicht immer einfach zu handeln sein.“
Jetzt sah mich Haytham mit großen Augen an.
„Meine Tochter wird… Nein…“ ich unterbrach ihn in diesem Moment grinsend.
„Auch sie wird nicht immer das befolgen, was du ihr sagst! Jedes Kind sucht sich eigene Wege und lernt dadurch die eigenen Grenzen kennen!“ In diesem Moment hatte ich Yannick wieder vor Augen, wenn er mal wieder Mist in der Schule gebaut hatte, oder mit seinen Freunden irgendwelche seltsamen „Mutproben“ gemacht hatte. DAS waren Kinder, sie mussten sich erproben, sich kennenlernen, die Konsequenzen aus ihrem Handeln lernen!

 

Wir blieben noch für einen Moment hier umschlungen stehen, bis ich spürte, dass wir uns beide beruhigt hatten.
„Haytham, lass uns hinauf gehen zu Edward. Ich weiß, er hat dich vorhin sehr übel beschimpft, aber… sieh mich nicht so an. Das Abendessen ist nach wie vor gestrichen und Walka bleibt im Zwinger! Aber versuchen wir ihm das ganze ein wenig zu erklären, ja?“ ich strich über seine Wange, dabei erhellten sich seine grauen Augen wieder und er gab mir einen vorsichtigen Kuss.
„Ich könnte ihn auch gar nicht wegschicken. Es würde auch mein Herz brechen.“ flüsterte er.

 

Oben vor Edwards Zimmer stand Sybill mit einem traurigen Blick. Als sie uns sah, erhellte er sich, weil sie bemerkte, dass wir eine längst überfällige Aussprache hatten.
„Master Edward wartet sicherlich schon…“ sprach sie leise.
Im Zimmer selber saß unser Sohn auf dem Bett, vor ihm waren seine Zinnsoldaten ausgebreitet, ein paar Bücher lagen ebenfalls aufgeschlagen auf der Decke.
„Wohin schickt ihr mich.“ flüsterte er leise, sah uns aber nicht an.
„Nirgendwohin, mein Sohn. Komm her.“ Haytham hatte sich auf die Bettkante gesetzt und zog Edward auf seinen Schoß. „Was du gemacht hast, war nicht richtig und du hast anderen Menschen wehgetan und sie geärgert. Das ist falsch und gehört sich nicht. Jedes mal, wenn du in Zukunft wieder solche Ideen hast, wirst du bestraft. Aber ich werde dich nicht wegschicken. Darüber sind deine Mutter und ich uns einig. Deine Freunde sind hier, dein Zuhause ist hier.“ plötzlich versagte die Stimme meines Mannes als er sein Gesicht in die wuscheligen Haare von Edward vergrub.
„Ich hab dich lieb, Vater.“ die kleinen Arme umschlangen Haythams Hals als wäre es die letzte Rettung.
Für einen Moment stand ich heulend daneben, weil es einfach ein wunderschöner Anblick war. Neben mir tauchte Mrs. Wallace auf, nahm meinen Arm und drückte ihn. In ihren Augen sah ich, dass sie nichts anderes erwartet hatte.

 

Wir gehörten alle in welcher Form auch immer zusammen!

Kapitel 22

 

~~~ Jugendsünden und Erziehungsfragen ~~~

 

 

An diesem Abend war an Schlaf kaum zu denken, weil beide Kinder irgendwie unruhig waren. Also veranstalteten wir ein Familienkuscheln in unserem Schlafzimmer.
Edward erzählte von seinen Abenteuern, während Florence ihm wie gebannt zuhörte.
„Und dann haben wir mit einem spitzen Holzstock Fische versucht zu fangen, aber nur Nathaniel und ich konnten das!“ diese Beute hatten sie dann mit den staunenden Mädchen geteilt, nachdem jemand einen Feuerstein und Zunder besorgt hatte.
Dieser Abend verging einmal mit Geschichten meines Sohnes, welche mit so viel Phantasie erzählte wurden, dass man wirklich meinen könnte, man wäre dabei gewesen!
Aber irgendwann waren beide dann übermüdet eingeschlafen. Florence hing halb auf Haytham, während Edward auf meinen Oberschenkeln eingeschlafen war.
„So kann ich mich nicht bewegen…“ ich versuchte flüsternd mein Kichern zu unterdrücken. Nicht so leicht!
„Also ich kann mich nicht beklagen.“ hörte ich meinen Mann gähnend sagen, während er sich ausgiebig streckte. Fehlte eigentlich nur die herausgestreckte Zunge.

 

Ich wurde von einem leisen Gemurmel geweckt.
Als ich mich umsah, saßen Florence und Edward am Fußende und spielten mit ihren Kuscheltieren.
„Guten Morgen ihr beiden!“ flüsterte ich, weil ich… vergesst es! Haytham war bereits wach!
Es dauerte auch nicht lange, bis die Kindermädchen an die Tür klopften.
„Master Edward, kommt. Ihr müsst euch für die Andacht fertig machen.“ sprach Sybill tadelnd, während Sophia eine gähnende Florence in ihre Obhut nahm.
Oh nein, es war schon wieder soweit? Entschuldigt, ich bin ungerecht.
„Leider haben wir gerade keine Zeit für …“ seine Lippen überzogen kurzerhand meine Brüste mit Küssen, so das ich wusste, dass wir dies später nachholen würden.

 

Auf dem Heimweg von der Andacht, bei welcher Mr. Hathaway mahnende Worte an die jungen Herren der Gemeinde gerichtet hatte, erzählte uns Sybill noch von einigen anderen erfreulicheren Dingen während unserer Abwesenheit.
Es gab Nachwuchs bei einem Pächter-Ehepaar, außerdem hatte es einen Büchsenmacher hierher verschlagen. Er kam aus dem Norden, woher wusste Sybill leider nicht. Aber er hatte viel Erfahrung bei der Pelztierjagd, beschäftigte sich demnach mit Scharfschützen-Gewehren. Das würde uns mal wieder zu Gute kommen.

 

Die nächsten Tage zerrten an meinen und Haythams Nerven! Edward fragte im Minutentakt, wann Walka wieder ins Haus dürfte.
„Wenn du noch einmal fragst, hänge ich noch einen Tag daran.“ kam es irgendwann ungehalten von meinem Mann.
„Das…“ bei dem Blick seines Vaters verstummte er augenblicklich und verkrümelte sich nach draußen. Im Grunde wussten wir, dass er beim Zwinger bei seiner Walka war.

 

Dann stand der 3. Geburtstag von Florence an. Wieder einmal überkam mich eine gewisse Wehmut, wenn ich an ihre Geburt dachte.
Der 4. Juli… sie würde tatsächlich mit der Unabhängigkeitserklärung ihren Ehrentag feiern dürfen. Gedankenverloren sah ich dabei auf meine Tochter, welche im Garten in ihrem Beet mit Sophia und einer Magd werkelte.

 

„Die Unabhängigkeitserklärung?“ hörte ich plötzlich Haytham hinter mir und drehte mich erschrocken herum.
„Kannst du das offen Buch nicht einfach auch mal übersehen, mi amor?“ grinste ich ihn breit an.
„Nein, es ist einfach zu spannend!“ dieses spitzbübische Grinsen war hinreißend. „Und jetzt sag mir, was es damit auf sich hat.“

 

Nun gut, ich erklärte es ihm, genau wie ich auch gleichzeitig betonte, dass wir noch einen winzigen Einfluss haben werden bezüglich Lee und Washington. Alles andere werden wir, ich selber auch!, in den nächsten Jahren dann ausarbeiten müssen.
Vorhersagen, was ich noch tun konnte, stand nicht in meiner Macht.
„Aber im Grunde ist das ein großartiger Erfolg oder nicht? King George kann ja nicht ewig so mit uns herum springen!“ Haytham sah sich natürlich als der Kolonist, welcher von seinem König mit Steuern bombardiert wurde. Verständlich, auch ich musste damit erst einmal leben.
Leider konnte ich nicht alle unterzeichnenden Herren aufzählen, weil mir da ein wenig das geschichtliche Wissen fehlte. Aber die wichtigsten wie Washington, Franklin, Amherst, Jefferson, Hamilton oder auch Adams waren einfach die bekanntesten Persönlichkeiten!
„Du wirst auch bei der Unterzeichnung dabei sein, Haytham. Auch wenn deine Unterschrift nicht auf dem Papier ist. Aber du wirst Zeuge sein.“ flüsterte ich, weil ich das noch aus, wenn auch etwas versteckten, Dokumenten wusste.
Bei diesen Worten begannen seine Augen zu leuchten.
„Wirklich? Ich… das ist eine große Ehre, nehme ich an?“ damit traf er den Nagel auf den Kopf, wenn auch das Ganze erst ab da wirklich in Fahrt kam. „Aber wer wird dann das Oberhaupt dieser Nation?“

 

Für einen kleinen Moment starrte ich ihn entsetzt an. Sollte ich ihm sagen, dass George Washington der erste gewählte Präsident der Vereinigten Staaten werden sollte? Wirklich gut zusprechen war er nicht auf den Mann. Auch wenn er ihn schon mal lobend erwähnte.
„In ein paar Jahren werde ich dir das erst sagen, Haytham.“ wir waren an einem Punkt, an welchem ich wirklich nicht so vorgreifen durfte. Connor musste noch mit Washington seinen eigenen Konflikt austragen. Vorher sollte ich mich bedeckt halten!
„Ich vermute, jeder spekuliert auf irgend jemanden. Charles wird es sicherlich nicht werden, aber ich hoffe, dass wir seine Position in der Armee noch weiter ausbauen können…“ das hörte ich von Haytham, während ich versuchte mich nicht zu verplappern. „Jesus, du siehst aus, als müsstest du mir einen Mord gestehen!“ in Haythams Augen sah ich diese Skepsis.
„Nein, keine Sorge…“ flüsterte ich. Aber im Grunde hatte er mal wieder den Nagel auf den Kopf getroffen.

 

Die Bradshaws waren neben dem Duke und einigen Nachbarn ebenfalls an diesem Ehrentag mit anwesend. Man hatte noch ein paar kleinere Geschäfte zu besprechen, weswegen es eher ein Überraschungsbesuch der beiden war.
„Miss Florence, ihr seht zum Anbeißen aus.“ kam es lachend von Loki, als er sie hochhob um sie zu umarmen. Ihr lautes Gequietsche hörte man vermutlich bis nach Kanada… das es noch nicht so gab!
Unsere Tochter hatte die volle Aufmerksamkeit an diesem Tag, von allen. Was aber Edward Junior irgendwann zu blöd wurde und er, mal wieder, mit ein paar Jungs in einer stillen Ecke verschwand.

 

Ohhhh nein… ich ging hinterher, weil ich das Risiko eines Streits heute aus dem Weg gehen wollte.
Aber… die jungen Herren standen hinter dem Geräteschuppen und… Bei Odin… sie rauchten!
„EDWARD!“ fauchte ich, als ich um die Ecke trat.
Alle anderen standen stocksteif da und starrten in meine Richtung!
„Ähm!“
„Ich… das…“
„Wir haben nur…“
„Sagt nichts unseren Eltern…“
Sie alle stammelten nur kurze Sätze!
Bevor ich jedoch etwas erwidern konnte, erbrach sich mein Sohn hustend. Pfeifentabak sollte man nicht inhalieren! Das wusste jedes Kind… ha, welch Ironie. Hier wusste man das alles noch nicht.

 

Ich scheuchte die anderen Kinder zu ihren Eltern, während ich Edward festhielt als er sich immer noch stoßweise übergab.
„Ich hoffe, das ist dir eine Lehre! Rauchen, in egal welcher Art, ist totaler Blödsinn!“ ich war in meine Mutterrolle gefallen und tadelte ihn wütend. Ich selber hatte das Rauchen aufgegeben und wusste, wie man sich MIT dem Dunst fühlte, aber auch OHNE!
„Mir ist…“ ein Würgen… „… so…“ er krampfte wieder zusammen… „...schlecht“ jammerte er im Anschluss.
„Das geschieht dir recht. Komm jetzt, ab ins Bett. Tabea macht dir noch einen Tee für den Magen! Wage es aber nicht, noch einmal nach unten zu kommen. Hast du mich gehört?“ meine Stimme war lauter geworden, ich hoffte, dass Edward es auch verstanden hatte.
„Ich bin aber noch nicht…“ wieder hörte ich ihn würgen! „Ich geh schon, Mama.“ flüsternd kam dann noch „Liest du mir noch etwas vor?"
Seufzend stimmte ich zu, weil ich meinen kleinen Schatz auch nicht so leiden sehen konnte.

 

Nachdem er dann eingeschlafen war, Florence auch mittlerweile im Bett war, saßen wir Erwachsenen noch beisammen.
Mittlerweile hatte anscheinend jeder so seine Probleme mit den heranwachsenden Kindern. Entweder sie probierten heimlich vom Rumtopf, oder stibitzten, wie in Edwards Falle, den Pfeifentabak. Sogar einige der jungen Mädchen waren mit von der Partie.
„Wo soll das mit den jungen Menschen denn noch hinführen?“ hörte ich eine Mutter fragen.
„Es wird immer schlimmer mit ihnen!“ kam es von einem anderen Vater.
„Respekt fehlt ihnen, ganz eindeutig. Die Jugend wird immer undankbarer.“ vernahmen wir von einem anderem Ehepaar.

 

Jedes Jahrhundert, jede Epoche dachte exakt so über die „Jugend“. Aber im Grunde, wir sollten es uns eingestehen, war es auch immer ein kleiner Fortschritt in der Entwicklung der Menschheit, oder nicht.
Diese „Rebellen“ ebneten einer anderen Generation neue Wege! Große Geschwister öffneten den Weg für die kleinen Geschwister, weil die ELTERN gelernt hatten. Somit war der Kreislauf des Lebens gesichert.
Man gab alles an die „jüngeren“ weiter. So wird es auch immer bleiben!

 

Später in unserem Schlafzimmer fühlte ich Tyrs Gegenwart, genauso wie ich Thyras Präsenz wahrnahm.
„Auch wir haben damals die neue Generation kritisch beäugt…“ hörte ich den Kriegsgott sagen.
„Natürlich, das ist auch gut so. Wir brauchen unerschrockene Gemüter auf dem Schlachtfeld!“ kam es von Thyra, ohne dass ich noch etwas dazu beitragen konnte.
Es war… seltsam. Ich stand vor meinem Mann und sah zu ihm auf.
Plötzlich verband sich wieder alles und wir konnten uns im wahrsten Sinne des Wortes vereinen!
Mein Mann ließ mich den Kriegsgott spüren, ebenso bekam er umgekehrt meine kleine Wikingerin.
Für einen Moment war es, als würden wir in dieser abgelegenen Höhle unsere Vereinigung haben. Ich fühlte die Felle unter mir, die nasse Kälte um uns…
„Lass mich dich wärmen…“ raunte mein Templer an meinem Ohr, während seine warmen Hände meinen Körper erkundeten.
Es war wie losgelöst, wir waren in diesem Moment in Wessex, wir waren Hemsleth und Thyra. Diese Momente hatte ich nie so bewusst erlebt, aber sie waren unglaublich.
Und Plötzlich ließ man uns in diese Welt eintauchen! Wir waren in dieser Höhle, lagen auf diesen Fellen und liebten uns!
Beide genossen wir diese kleine Reise, diese Auszeit, wenn sie auch nur kurz sein würde.

 

Als wir in den frühen Morgenstunden wieder erwachten, sah ich in die klaren grauen Augen meines Mannes.
„Lass uns diese Höhle suchen, Alex. Ich will wissen, wo sie ist.“
„Aber wo sollen wir anfangen? Ich weiß nur, es war in der Nähe von London…“ er unterbrach mich.
„Das weiß ich bereits, aber es könnte ein kleines Gebirgsmassiv sein…“ Haytham erzählte, wo er es vermutete und wie wir dorthin gelangen konnten.
Frustriert und OHNE Koffein fragte ich nörgelnd, ob das nicht noch warten könnte. Dieser Mann machte einen manchmal wahnsinnig.
„Gut, erst dein Kaffee, dann werden wir uns damit befassen.“ beschwingt stand er auf… nackt…
Seufzend lehnte ich am Kopfende und sah ihm zu, wie er sich das Gesicht wusch.
„Der Kaffee alleine wird heute nicht reichen, Master Kenway!“ säuselte ich lasziv in seine Richtung.
„Oh? Ich muss euch wohl noch einmal verdeutlichen, dass ich…“ aber ich bedeckte seine Lippen mit meinem Mund, als er wieder auf das Bett kam.
Wenig später fühlte ich mich fast so, als hätte ich einen Koffeinschub.
Vor der Tür hörten wir bereits die Kinder und einige Gäste miteinander reden. Auch wir sollten uns fertig machen.

 

Kapitel 23

 

~~~ Die Isu in Mrs Mullers Geist ~~~

 

Es wurde immer anstrengender mit Edward. Ich möchte es nicht als leicht beeinflussbar bezeichnen, aber ihm gefielen die Ideen seiner Freunde, welche sich immer neue Streiche einfallen ließen.
Aber umgekehrt war er ein guter Schüler, was mir auch immer wieder Mr. Hathaway versicherte, sogar in Mathematik machte er große Fortschritte.
An einem Abend, als Haytham von seiner Tour der Ernteaufsicht wieder daheim war, verschwand unser Sohn plötzlich still und heimlich.
„Ist etwas mit Edward, mi sol?“ fragte mein Templer besorgt und sah sich um.
„Ich… ich weiß es nicht.“ gab ich leise von mir, weil ich befürchtete, dass der kleine Kenway wieder irgend etwas ausgeheckt hatte, was ihm eine Strafe einbringen könnte.
Haytham ging nach oben und ließ sich von Michael fürs Abendessen umziehen und ich meinerseits, ging Edward suchen.

 

Ich fand ihn bei seinem Hengst Darius.
„Ich wollte das doch nicht… jetzt wird Vater wieder wütend sein und… Walka muss wieder alleine draußen bleiben…“ hörte ich die schniefenden Worte meines Sohnes.
Langsam näherte ich mich den beiden und sah, wie er seinen Kopf an das Pferd schmiegte und vorsichtig über das Fell strich.
„Min lille skat, was ist passiert?“ fragte ich leise und trat näher.
Erschrocken sahen mich diese blaugrauen Augen an.
„Mama! Was… es ist nichts!“ stammelte er und wandt sich um zum Tor. Bevor er aber verschwinden konnte hielt ich ihn auf.
„Edward! Was ist passiert? Wir werden es doch eh erfahren! Sag was geschehen ist.“ versuchte ich ihn zu ermuntern zu berichten.
„Wir… ich… also…“ stotterte Edward ängstlich. „Ich habe… Gilbert hatte sich mit dem Jagdmesser seines Vaters geschnitten und… wir wussten nicht was wir tun sollten… Sein Vater hatte ihm verboten damit zu spielen…“ verzweifelt sah er in meine Augen. „Ich … Ich weiß, Mutter Idun hat es mir verboten… aber Gilbert ist einfach umgefallen und das Blut aus seiner Hand… Mama, das war unheimlich! Ich … wollte dass es ihm wieder gut geht… ich habe ihm doch nur geholfen!“

 

Edward Junior hatte seine Heilungskräfte auf Gilbert wirken lassen während die anderen Kinder ebenfalls anwesend waren. Sie alle waren zuerst entsetzt zurück gewichen, als sie sahen, wie sich seine Haut mit diesem goldenen Schimmer, den Zeichen überzog und sich die Wunden ihres Freundes langsam schlossen.
„Jessie fragte welchem Hexenkult wir angehören würden, weil ich wüsste, wie man jemanden heilt. Er meinte, dass seine Mutter ganz viele Kräuter und so zuhause hat, die genauso helfen. Aber sie traute sich wohl nicht, uns das auch zu zeigen. Mama… warum darf man nicht heilen?“
Bei dieser pragmatischen Frage sah ich meinen Sohn lange an und wusste nicht so recht, was ich sagen sollte.
„Die Zeit ist einfach noch nicht soweit derlei Können ohne Zweifel und Vorbehalte zuzulassen. DU beherrscht etwas, das NIEMAND sonst kann, Edward. Jessies Mutter ist, wie Tante Faith, eine Heilerin! Sie tut nichts böses, sie ist auch keine Hexe oder ähnliches. Und DU bist auch nicht böse oder verflucht. Aber…“ ich seufzte tief. „… min lille skat! Du weißt doch, dass du ein ganz besonderes Talent hast. Du musst vorsichtig sein!“
Wir gingen langsam zurück zum Haus, weil ich befürchtete, dass mein Gatte bereits davon erfahren hatte.

 

In der Eingangshalle kam er schon aus seinem Arbeitszimmer geschossen und funkelte Edward böse an.
„Was hast du dieses mal zu deiner Verteidigung zu sagen?“ fauchte er unserem Sohn entgegen.
„Ich weiß, dass ich nicht darüber nachgedacht habe. Aber… Gilbert wäre sonst vielleicht gestorben…“ flüsterte Edward leise und ich sah diese Angst um seinen Freund in seinen Augen.
Die Hände auf dem Rücken verschränkt wanderte Haytham nun vor seinem Sohn auf und ab.
Bitte, lass das sein, dachte ich im Stillen!
„Wie erklärst du ihnen diese plötzliche Heilung, Edward?“ in seiner Stimme klang wieder dieser Oberlehrerton mit, welcher einfach unangenehm war.
„Genauso wie Jessies Mutter auch die Genesung von Nathaniel erklärt hat. Sie hat gesagt, dass Geduld, Ruhe und der Glaube an die Genesung das wichtigste seien!“ Unser Sohn stand plötzlich mit erhobenem Haupt vor seinem Vater und trotzte jedem steinernen Blick!

 

„Mi sol, ich wünsche diese Frau umgehend zu sprechen!“ damit drehte er sich ohne weitere Worte um und ging in sein Arbeitszimmer zurück.
Ich hingegen hieß Edward hinauf zugehen, damit Sybill ihn fürs Abendessen umziehen konnte.
Ich ging hinaus und rief nach einem Diener, welcher Jessies Mutter bitten sollte, umgehend hier vorstellig zu werden.
Das Abendessen fiel entsprechend schweigsam aus, was auch Florence nicht entging. Trotzdem fragte sie unentwegt, ob ihr Vater morgen wieder mit ihr den Adlersinn trainiert und ob die beiden dann auch wieder Versteck-spielen üben würden.
Abwesend gab Haytham zur Antwort „Ja… das werden wir wohl…“ sah aber zu seinem Sohn, welcher immer kleiner wurde auf seinem Stuhl.

 

Beide Kinder waren im Bett, als Jessies Mutter erschien. Verständlicherweise brachte auch sie erst die Kinder zu Bett, ehe sie uns aufsuchen konnte. Aber … mein Mann war einfach ungehalten und konnte wieder seine anerzogene Disziplin nicht ablegen. Beruhigend legte ich ihm meine Hand auf den Arm, als die Dame eintrat.
Zögerlich nahm sie auf dem Sofa Platz und sah uns nervös an.
„Mrs Muller, wie mir zu Ohren gekommen ist, habt ihr den Kindern von irgendwelchen Wunderheilungen berichtet?“ hörte ich Haytham lauernd sagen, während er die Frau vor sich musterte. Ohne darüber nachzudenken tat ich es ihm gleich, aber ihre Aura war neutral, nichts auffälliges konnte ich wahrnehmen.
„Sir, Master Kenway, bei allem Respekt. Ich habe ihnen nur versucht zu erklären, dass… Heilung Zeit braucht, gute Fürsorge und heilende Kräuter.“ erklärte sie sich leise und sah wieder auf ihre Hände im Schoß.
„Warum habt ihr dann Gilbert nicht geholfen, als er diesen tiefen Schnitt hatte? Wo wart ihr in diesem Moment? Oder seid ihr erst später zufällig dazu gekommen, als er sich verletzt hat?“ weiter sah er sie musternd an, aber seine Haltung hatte an Spannung zugenommen.
„Die Kinder brachten ihn nachdem… Edward die erste Versorgung übernommen hatte, zu mir. Glaubt mir, Master Edward hat nichts schlimmes getan! Ich sah schon einmal in… meinen Träumen diese Art der Heilkunst.“ jetzt wurde ihre Stimme zittrig. Ihr Blick glitt vorsichtig hinauf zu Haytham, der sich auf einen Sessel vor Mrs Muller setzte.
„Ihr meint eine Art Vision? Habt ihr solche schon öfter erlebt?“ diese kalte Tonlage ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen!

 

Plötzlich sah die Frau mir direkt in die Augen, an ihrer Haltung konnte ich erahnen, dass sie um die richtigen Worte rang.
„Ja, Sir. Ich… träume oft von seltsamen Dingen…“ stockend brach sie ab, aber sah mich weiterhin an. „Bitte, ich bin nicht verrückt oder… noch schlimmer, mit dem Teufel im Bunde! Ich schwöre…“ sie klang verzweifelt, weil sie Angst hatte, wir würden sie tatsächlich als Hexe brandmarken wollen!
„Mrs Muller, wenn dem so ist, dann erzählt mir davon. WAS seht ihr? Vielleicht … kann man aus den Bildern etwas herleiten…“ versuchte ich die Dame zu beruhigen. „Auch ich kenne so etwas und seid versichert, wir glauben nicht, dass ihr einen Packt mit dem Herrn der Unterwelt geschlossen habt. Mein Sohn erzählte von euren Kräutern und dass ihr auch schon anderen geholfen habt."​​
„Mistress Kenway, aber die Dinge die ich sehe sind völlig surreal! Ihr werdet mir meine Kinder wegnehmen und mich verbannen!“ mit einem Satz war sie aufgesprungen und wollte hinaus rennen. Haytham konnte sie aber aufhalten!

 

„Wartet, Mrs Muller! WER hat euch gesagt, dass wir so eine Art der Bestrafung praktizieren?“ hakte mein Mann jetzt wesentlich freundlicher nach, weil er spürte, dass seine Templerrolle gerade nicht gefragt war.
„Ich… habe es gesehen!“ schluchzte sie und hielt sich die Hände vors Gesicht.
Ich sah zu Haytham, welcher mich ebenso fragend ansah.
„Mrs Muller, ihr habt von solchen Strafen geträumt?“ mir kräuselten sich die Nackenhaare, weil ich befürchten musste, dass hier unser Erzfeind Hrymr seine Finger mit im Spiel haben könnte.
„Ja…“ hauchte sie stockend. „Es war, als wäre ich dabei gewesen. Ich … konnte alles fühlen und riechen …“
Ich ermunterte sie, weiter zusprechen, indem ich sie wieder auf das Sofa zuschob.
In diesem Moment kam mir ein etwas absonderlicher Gedanke. Wenn ich ihr den Vorschlag machte, sie zu hypnotisieren um an diesen Bildern teilhaben zu können, hoffte ich, sie würde dem zustimmen! Etwas skeptisch willigte sie ein und ich setzte mich neben sie, nahm ihre Hand in meine. Langsam drang ich in ihren Geist, während Haytham die Frau mit dem Adlerblick im Auge behielt. Sicher ist sicher!

 

Wie bereits vermutet, herrschte Ruhe in ihrem Kopf. Die Gänge waren nicht verworren, sie waren geradlinig und übersichtlich. Langsam schritt ich weiter, öffnete hier und da eine Tür, aber es waren lediglich Erinnerungen an die Geburten ihrer Kinder zum Beispiel, an ihre Hochzeit und so weiter.
Ich wollte schon wieder auftauchen, als ein abseits gelegener dunkler Gang meine Aufmerksamkeit erregte. Als ich um die Ecke trat, sah ich verschwommene Gestalten umher laufen. Es sah aus, als würde ich in ein Feuer schauen, so flimmerten die Bilder dort.
Mit einem Mal hörte ich aber deutliche Stimmen von zwei Herren, welche sich zu streiten schienen. Je näher ich kam, desto mehr spürte ich ein elektrisches Kribbeln auf meiner Haut! Isu! Schoss es mir in den Kopf.
„Wir sollten hier nicht länger verweilen, du siehst, was du angerichtet hast.“ fauchte der eine.
„Aber wir sind noch nicht am Ziel, wir müssen diesen Jungen überzeugen, dass er hier nicht hingehört. Er muss glauben, dass er auf unserer Seite besser aufgehoben ist.“ erklärte sich der andere wütend.
„Und dann? Wie willst du erklären, dass diese Sterbliche ihn mit sich nimmt? Dieses Weib ist unwissend…“ immer noch war die Stimme dieses Mannes ungehalten.
„Das ist das nächste Problem. Sie merkt langsam, dass… etwas nicht stimmt. Deswegen müssen wir schnell handeln! Wir müssen hier schnellstmöglich weg! Aber OHNE dieses Kind geht es nicht!“ worauf wollte er hinaus? Langsam bekam ich es mit der Angst zu tun, weil ich keine Verbindung sah, die auf uns und Mrs Muller hindeuten könnte.

 

Gerade als der andere wieder ansetzen wollte, drehten sich beide erschrocken in meine Richtung!
„Verdammt! Ich habs dir gesagt! Wir waren zu langsam!“ schrie er, zog eine seltsame Waffe aus seinem Gürtel und rannte auf mich zu. Sein Kumpan tat es ihm gleich.
Aber bevor die beiden bei mir waren, hatte auch ich mich bewaffnet! Ich hatte zusätzlich aber noch meinen eigenen Geist in Sicherheit gebracht. Je näher sie kamen, desto unangenehmer war das Gefühl auf meiner Haut!
„Diese Menschen sind mir immer noch ein Rätsel. Diese ganze Fürsorge für den Nachwuchs… das ist doch lästig!“ brüllte einer von ihnen. „Na komm schon, verteidige dich!“
Damit war der Kampf eröffnet, so dachte ich zumindest. Aber als hätte ich, wie damals in Versailles, die Zeit verlangsamt, konnte ich in Ruhe die beiden Angreifer betrachten und auch entwaffnen.

 

Sieh an mein Kind. Sie sind doch nicht so dumm, wie ich immer dachte. Diese Rasse ist lästig, wenn auch ab und an mal nützlich. Aber das kann man auch an zwei Fingern abzählen! Sprach mein Allvater abwertend und stand jetzt neben mir mit erhobener Hand. Die Szene stand jetzt komplett still!
WER ist das vor uns und warum belagern sie diese arme Frau? Hakte ich leicht gereizt nach, weil mal wieder nur kryptische Aussagen auf mich trafen.
Du siehst hier zwei Isu-Krieger vor dir, welche den Rang eines Latrinen-Aushebers haben! Dieses Lachen von Odin donnerte durch den ganzen Gang und ich befürchtete schon, dass mich das aus meiner Konzentration reißen könnte. Sie sollten anscheinend unseren kleinen Edward für ihre Sache gewinnen, ihn überzeugen, dass ich keine Macht über ihn habe. Sie schrecken einfach vor keinen unfairen Mitteln zurück. Dann müssen wir halt andere Seiten aufziehen und ihnen eine Lektion erteilen. Lass mich das mit Thor, weil er ja nun einmal der Pate deines Sohnes ist, übernehmen.
Diese Männer vor uns sollten also eine harmlose Heilerin benutzen um unserem Sohn ein schlechtes Gewissen einzureden, weil sie ebenso davon ausgehen konnten, dass Haytham ihn für seine unbedachte Art bestrafen würde. Doch so leicht ließ sich Edward nicht beeinflussen, das hatte er vorhin bewiesen, als er seinem Vater fest in die Augen sehen konnte.
Ich wurde jetzt Zeuge, nicht nur ich, auch Haytham bekam die Bilder zu sehen, wie Thor und Odin sich diese beiden Isu zur Brust nahmen. Sie taten mir zwischenzeitlich schon bald leid, weil sie sich gegen Blitze, Druckwellen, Speere, Schwerter und allgemeiner göttlicher Kraft gegenüber sahen.
Der Donnergott zeigte kein Erbarmen, als er dem linken Angreifer den Schädel zertrümmerte, während dieser von ihm an die Wand gedrückt wurde.
Ebenso musste sich der andere Herr ebenso geschlagen geben, als ihn der Allvater nach einem schnellen Schlagabtausch mit dem Speer regelrecht auf dem Boden aufspießte.

 

Du weißt, was du jetzt zu tun hast! Sprach Odin zufrieden aber leicht außer Atem zu mir.
Ja, ich wusste, dass ich Mrs Muller nun diese Illusionen nehmen musste, damit sie die Heilerin, liebende Mutter und Ehefrau wieder war, als die sie hier jeder in der Gemeinde kannte.
Man hatte ihr also diese „Visionen“ geschickt um sie glauben zu lassen, dass sie sich alsbald absetzen musste. Sie sollte das Gefühl haben, nicht mehr willkommen zu sein! Gemeinsam mit unserem Sohn sollte sie dann verschwinden. Ich bezweifelte aber weiterhin, dass Edward da mit gespielt hätte.

 

Langsam tauchte ich im Arbeitszimmer von Haytham wieder auf und sah die Dame vor mir musternd an. Ihre Aura war in ein Blaugold umsprungen und diese hinterließ auf meiner Haut ein warmes Kribbeln. Da hatte man dieser Frau also ein kleines bisschen göttliche Gabe überlassen.
Sie hat es verdient, weil sie sich der Heilkunst, wie sie Freya zum Beispiel nutzt, verschrieben hat. Sie ehrt uns, genau wie auch du uns zugetan bist, mein Kind. Mit diesen leisen aber doch zufriedenen Worten verschwand der Gottvater wieder.

 

Kapitel 24

 

*** Heilerin unter Isu-Einfluss ***

 

„Mistress Kenway! Habt ihr das auch gespürt?“ fragte Mrs Muller erstaunt aber leise nach.
Mit einem Lächeln konnte ich sie beruhigen und sagte ihr, dass auch ich unsere Götter um uns gespürt habe. Im gleichen Zuge erwähnte ich auch, dass ich eine enge Verbundenheit zu der nordischen Mythologie habe.
„Das beruhigt mich.“ seufzte sie tief, als sich ihr Körper entspannte. „Verzeiht, Master Kenway. Ich konnte ja nicht wissen, warum ihr mich sprechen wolltet.“ fragend sah ich sie an.
„Mrs Muller, auch ich habe mich zu entschuldigen. Aber versteht meine Angst um meinen Sohn. Er ist fasziniert davon, jemandem eine Wunde zu versorgen und den Prozess der Heilung dann beobachten zu können. Ich musste aber davon ausgehen, dass ihr… andere Praktiken anwendet. Aber jetzt wissen wir um eure Fähigkeiten und es ist immer gut noch eine weiter Person hier in der Gemeinde zu haben, welche im Notfall ebenso zur Hilfe kommen kann.“ DAS hatte Haytham jetzt sehr geschickt umschrieben und ich sah, dass die Dame vor uns mehr als erleichtert war.
Für sie waren jetzt die Visionen und seltsamen Träume Geschichte und ich hoffte, dass auch wir nicht mehr auf Isu in den Köpfen unserer Arbeiter oder Pächter stoßen würden.

 

Als wir sie verabschiedet hatten, saßen wir noch beisammen, weil uns beiden noch der Kopf schwirrte.
„Warum wollen uns jetzt diese Vorläufer auch noch an den Kragen? Wir sollten doch mit ihnen gemeinsam, gerade auch wegen Faith, eine Sicherheit für die Menschen schaffen.“ grübelte mein Mann jetzt laut vor sich hin, während er ein Glas Whiskey in der Hand schwenkte.
„Vielleicht sollten diese beiden Herrschaften einen Keil zwischen die Zusammenarbeit treiben, damit eine Seite der anderen immer mehr misstraut! Vermutlich gibt es auch auf Seiten der Götter, ob nun Isu oder Nord, Widersacher, die einer Übereinkunft nicht wohlgesonnen sind.“ seufzte ich und lehnte mich an meinen Mann.
„Also müssen wir auch darauf ein Auge haben?“ auch er klang leicht genervt.
„Darauf wird es wohl hinauslaufen.“ sagte ich leise, dabei lief es mir eiskalt den Rücken herunter, weil ich befürchtete, dem Ganzen irgendwann einfach nicht mehr gerecht werden zu können. Auf der anderen Seite waren wir nicht alleine, wir könnten noch weitere Personen für diese „Überwachung“ mit einbeziehen.
„Wir müssen dringend Edward und Florence weiter aufklären, mi sol. Ich möchte nicht, dass sie irgendwann diesen Vorläufern völlig unwissend gegenüberstehen.“
Haytham hatte Recht, die nächsten Lektionen für unsere Kinder.

 

In dieser Nacht tat ich nicht wirklich ein Auge zu, weil mir ein Bild in Mrs Mullers Geist nicht aus dem Kopf wollte.
Die Dame hatte tatsächlich meine Heimatstadt gesehen, so wie ich sie damals verlassen hatte. Kurze sekundenschnelle Bildaufläufe zeigten meine Wohnung, die Umgebung, meinen Arbeitsplatz und so weiter. Ich hatte Haytham nichts davon berichtet, weil… ja, weil ich selber nicht wusste, was ich davon halten sollte.
Diese beiden Vorläufer schienen also genauestens informiert zu sein, woher ich kam. Schon in meiner Zeit war uns klar, dass die Isu eine mächtige Technologie beherrschten, welche wir sterblichen nie erreichen würden.
Ich ging jetzt davon aus, dass es keine „echten“ Zeitreisenden wie ich waren, sondern diese Herrschaften über die DNA anderer Isu gespeist wurden. So etwas hatte ich nämlich einmal in einem Bericht von Tobias gelesen, welcher sich mit dieser Rasse ausführlich befasste.
Dennoch blieb ein fader Nachgeschmack bei dem Gedanken, dass wir nie vor anderen Zeitreisenden sicher waren.

 

~~~ Wir bekommen Besuch ~~~

25. Februar 1770

 

In den letzten Wochen wurde ich zusehends nervöser, weil ein geschichtliches Ereignis anstand vor dem ich bereits gewarnt hatte.
Das
Boston Massaker! März diesen Jahre
Die Söhne der Freiheit dort waren informiert worden, sich an diesen Tagen jeglichen Versammlungen, Aufläufen oder Demonstrationen fernzuhalten! Außerdem hatte ich mit Master Davenport diesbezüglich noch korrespondiert und er versicherte mir, dass er vorher mit dem jungen Connor in die Stadt reisen würde für die Besorgungen. Das ließ mich ein wenig aufatmen. Auch wenn ich wusste, dass bis in „meine“ Zeit nie der oder die Schuldigen gefunden werden würden. Der erste Schuss blieb ein Rätsel.
Mittlerweile war mir aber leider zu Ohren gekommen, dass Charles Lee wieder in den Kolonien war und sich nach einer für sich passenden Bleibe umsah. Mein Mann hatte mir davon berichtet.

Mi sol, ja ich weiß! Ich habe ihm geraten sich im Landesinnere eine entsprechende Plantage zu suchen. Mir ist auch eine für ihn passend eingefallen. Keine Sorge, er wird nicht direkt neben uns wohnen!“ versicherte mir Haytham immer wieder, als er meine Besorgnis bemerkte.

 

Florence hatte sich zu einer Botanikerin gemausert. Sie liebte ihre Kräuter, ihre Beete und ließ sich alles genauestens erklären. Ich war dazu übergangen Mrs Muller zu Rate zu ziehen, weil sie sich ebenso hervorragend auskannte und meine Tochter war ihr sehr zugetan!
Es gab einige Nachmittage an denen die beiden in die Wälder gingen, natürlich nur mit einer Wache und dem Kindermädchen!, um neue Samen zu finden. Was wirklich mehr als nützlich war, Jessies Mutter zeigte ihr auch gleich, welche Pilze essbar waren und welche man nicht anfassen sollte.
An einem Abend als sie nach Hause kamen, reichte mir Mrs Muller ein kleines Buch. Dort hatte sie einige Aufzeichnungen verfasst, die meiner Tochter noch nützlich sein könnten.

Mistress Kenway, ich denke Miss Florence ist soweit, dass sie anhand der Bilder schon erkennen kann, welche Pflanzen heilen und welche den Tod bringen können. Ich möchte, dass sie dieses kleine Leitwerk bei sich trägt. Es ist wichtig. Später kann eure Tochter dann auch noch selber etwas dazu beitragen.“ Ihre Stimme war regelrecht glücklich, aber ich wusste, dass ihre Söhne nicht von dieser Kräuterkunde angetan waren. Sie wollten lieber in die Schlacht ziehen! Jungs halt, dachte ich resigniert.
Florence bedankte sich bei der Dame noch und begann sich die Zeichnungen anzusehen, ohne ein weiteres Wort zu sprechen.

 

Am heutigen Nachmittag saßen wir im Wintergarten beisammen, weil es recht stürmisch und kalt draußen war. Edward hatte leider noch eine Strafarbeit nachzuarbeiten für Mr Hathaway, weil er mit seinen dreckigen Stiefeln auf dessen Pult gesprungen war um zu verkünden, dass er besser predigen könnte als Mr Hathaway. Dafür musste er nun 100mal auf ein Blatt schreiben „Ich darf nicht den Lehrer und Prediger beleidigen“
Ich sah, wie Haytham mit, im wahrsten Sinne des Wortes, Adleraugen über diese Aufgabe wachte, während ich Florence noch erklärte, wie man aus verschiedenen Kräutern einen Tee oder auch eine schmackhafte Suppe machen konnte.
Immer wieder hörte ich ein genervtes Schnauben, weil Edward die Finger langsam wehtaten, Haytham hingegen ermahnte ihn sich zu beeilen, sonst würde er beim Abendessen zusehen müssen!

Mama, wie schmeckt Minze?“ riss mich unsere Tochter aus meinen Gedanken.
Frisch, min lille engel. Schwer zu beschreiben, es fühlt sich etwas kalt auf der Zunge an, aber es erfrischt den Hals. Wenn man einen bösen Husten hat, macht man eine Salbe aus Minze und Fett und streicht sie über Brust und Rücken. Dadurch fällt das Atmen dann leichter.“ wie selbstverständlich gab ich mal wieder mein Wissen weiter und sah in große grüne Augen.
Du weißt aber viel!“ dieses Staunen in ihrer Stimme ging runter wie Öl.
Leider konnten wir uns dem Ganzen nicht weiter widmen, was Florence mit einem Schmollmund quittierte, wohingegen Edward erleichtert seufzte.

 

Mistress Kenway, Master Kenway! Es ist Besuch für euch eingetroffen. Master Achilles Davenport und der junge Master Connor.“ verkündete einer der Diener und stand wartend im Wintergarten.
Ich sah zu Haytham, welcher für den Bruchteil einer Sekunde einen erschrockenen Ausdruck im Gesicht hatte, dann aber wieder die Professionalität in Person war. Achilles hatte mir aber gar keine Benachrichtigung geschickt!

Mi sol, ich würde die beiden gerne ohne die Kinder begrüßen! Hörte ich ihn in meinem Kopf.
Auf der einen Seite konnte ich ihn verstehen, aber es war besser, wenn wir als die Familie auftraten, die wir auch waren. Connor gehörte, genau wie Yannick, einfach dazu. Das würde ich ihm gerne jetzt auch beweisen. Natürlich würde mein Mann noch ein bisschen brauchen, bis er sich an diesen neuen Umstand gewöhnt hatte.

Bitte, sie sollen eintreten.“ sprach Haytham vorsichtig. So habe ich ihn wirklich noch nicht erlebt. Aber auch ich war mehr als nervös! Nicht wegen Achilles und dem Konflikt mit Haytham, sondern…

 

Mein Mann sah zum ersten Mal seinen Sohn. Das Ergebnis aus seiner Beziehung zu Ziio! Auch ich würde diesen Jungen zum ersten Mal sehen und kennenlernen, so hoffte ich. In mir begann es zu kribbeln, mein ganzer Körper zitterte mit einem Male. Es wurde ernst, war ich aber schon soweit und konnte dem gerecht werden?
Die Zeit fehlte jetzt aber um in mich zu gehen und ein Mantra zu verfassen.

 

Dann traten sie ein!
Achilles gestützt auf seinen Gehstock und Connor, welcher dicht an seiner Seite ging.
Ich hatte Florence und Edward völlig vergessen, welche jetzt neben mir und Haytham standen und gebannt auf die beiden Besucher starrten.

Mama, ist das unser Bruder von dem Vater erzählt hat?“ flüsterte Edward leise, während seine Augen auf diesen Jungen gerichtet waren.
Ja, dass ist euer großer Bruder…“ sprach ich ebenso leise, weil meine Stimme plötzlich versagte.
Es war Achilles, welcher mir die Hand reichte, um sich und Connor vorzustellen.

Mrs Kenway, es freut mich, euch einmal wieder zusehen. Darf ich euch nun meinen Schüler Connor vorstellen.“ Dieser Mann war gefasst und seine Stimme war fest, als er auch zu Haytham sah.
Dieser sah gebannt auf seinen Sohn, brachte aber tatsächlich keinen Ton heraus! Fürs erste!

 

Connor reichte auch mir zögerlich die Hand und begrüßte mich höflich. Seine Stimme hatte einen warmen tiefen Klang, welche ihn sehr sympathisch machte.
Als mein Mann sich wieder rührte und seine Sprache wieder gefunden hatte, kam er seinen Manieren als Hausherr endlich nach, was ihm ein verschmitztes Grinsen des alten Assassinen einbrachte.

Master Davenport, es freut mich euch hier begrüßen zu dürfen. Darf ich euch … unsere Kinder vorstellen.“ Die Pause war nicht zu überhören!
Bis jetzt hatte der junge Indianer noch nicht viel gesprochen, aber als ihn Haytham jetzt direkt ansprach, sah man wie sie sich musterten.
Leider hatte ich kein Bild von Ziio um Vergleiche zu ziehen, also suchte ich nach Ähnlichkeiten zu meinem Templer. Sie waren vorhanden, wenn auch recht versteckt. Beide waren annähernd gleich groß, Connors Statur war aber „stabiler“, eben weil er viel in der Natur aufgewachsen ist und sich dort beweisen musste. Sein Gesicht hatte, wie Haythams auch, eine gewisse aristokratische Form.

Connor, endlich können wir uns kennenlernen. Ich gehe davon aus, dass deine Mutter dir aber einen anderen Namen gegeben haben wird?“ Der Hausherr hatte sich wieder im Griff und ging in seine disziplinierte Art über.

 

Bevor wir aber das Gespräch im Stehen weiter führen würden, bat ich alle Platz zu nehmen und orderte frischen Tee, weil ich sah, wie Achilles sich verstohlen die Hände rieb. Es war, wie ich schon schrieb, frostig draußen.
Ratonhnhaké:ton nannte sie mich.“ erklärte er leise.
Edward versuchte das jetzt auszusprechen, aber scheiterte kläglich. Jeder würde das vermutete ich einfach mal.
Lächelnd erklärte Connor die Art wie sein Name gesprochen wurde. Dabei sah er immer wieder zu Haytham. Es war Florence die leicht lispelnd, es fehlten gerade 2 Schneidezähne, die richtige Aussprache hinbekam.
Anerkennend sah Achilles zu meiner Tochter. „Miss Florence, das war ja großartig. Nicht einmal ich kann das.“
Stolz stand sie vor ihm und begann in allen ihr möglichen Sprachen vor Aufregung zu reden. Mit einer fragend hochgezogenen Augenbraue sah mich der Assassine an.

Sie wird mehrsprachig erzogen, Master Davenport. Wie Edward auch. Aber sie ist noch ganz am Anfang und bringt manches durcheinander.“ erklärte ich dieses Kauderwelsch.

 

Wir unterhielten uns eine Weile über die Erziehung im Allgemeinen, das Training für Connor, seine Fortschritte und auch dass die Siedlung langsam wieder zum Leben erwachte. Dank des jungen Assassinen.
Wir sind gerade dabei die Aquila wieder flott zu machen.“ sagte er stolz und sah dabei zu seinem Vater.
Wird Mr Falkner auch wieder Kapitän sein?“ fragte Haytham nach. „Mich würde nämlich interessieren, WER genau damals hinter mir her war und mir das Leben auf der Providence schwer machen wollte.“
Die Londoner Bruderschaft ist dafür verantwortlich gewesen. Aber wie wir sehen, konntet ihr euch hervorragend verteidigen.“ Davenports Stimme hatte einen lauernden Unterton angenommen.
Genau wie ihr ja auch den Umständen entsprechend wieder genesen seid. Dank Mrs Cormac.“ Auch Haytham schlug diesen Ton an.
Ich selber wurde nervös und sah, dass auch der junge Indianer unruhig wurde. Würden sich die beiden an die Kehle gehen? Hier vor den Kindern? Mein Blick wanderte von Haytham zu Achilles, aber sie blieben äußerlich völlig ruhig.

 

Kapitel 25

 

~~~ Streitgespräch oder Aussprache? ~~~

 

„Wie geht es eigentlich Master Cormac derzeit und seiner Gattin?“ hakte der Alte in einem sehr zynischen Tonfall nach.
„Soweit wir wissen, geht es der Familie blendend. Sie bewohnen eine Plantage auf der gegenüberliegenden Seite des James Rivers.“ erklärte mein Mann in kühlem Ton. Aber man hörte heraus, dass er sich zusammenreißen musste.
„Vielleicht sollte ich mich beizeiten bei Mrs Cormac einmal bedanken. Ohne sie, auch wenn es aus purem Egoismus war wie ich vermute, wäre ich nicht heile zurück zum Schiff gekommen.“ Achilles Blick ging in meine Richtung und er deutete auf Edward und Florence. Vermutlich war ihm dass Ganze doch ein wenig unangenehm in ihrer Gegenwart.
Kurzum bat ich die Kindermädchen mit ihnen hinaus zugehen. Die Vier hatten gerade die Tür geschlossen, als mein Mann wie aufgezogen begann los zulegen!

 

„Ihr habt ohne zu hinterfragen die Vorläufertempel gestört und habt tausenden Unschuldigen den Tod gebracht! Shay kam euch vermutlich gerade gelegen, als es um Lissabon ging! Anstatt ihn aufzuklären, habt ihr ihm nur Halbwahrheiten kundgetan! Euer Misstrauen ihm gegenüber war unbegründet, aber es hat ihn im Endeffekt nur bestärkt die Bruderschaft hinter sich zu lassen!“ schwer atmend saß Haytham neben mir und wischte sich übers Gesicht.
„Ihr wagt es mich zu kritisieren? IHR? Ihr habt ebenso willkürlich gehandelt und euch die Leute zunutze gemacht, die sich auf eure falschen Versprechungen eingelassen haben! Auch ihr habt keineswegs eine weiße Weste, MASTER KENWAY!“ Achilles´ Stimme hatte sich leicht erhoben, wurde jedoch nicht wütend sondern nur bestimmter. „Ich könnte euch einige Dinge aufzählen, welche euer Orden hier in den Kolonien verbrochen hat…“ er atmete schwer, gleichzeitig griff er hastig nach seiner Tasse.
Mein Blick wanderte zu Connor, der sich sichtlich unwohl fühlte. Auch er sah von einem zum anderen.
„Achilles, aber seien wir ehrlich. Wenn ich alles überdenke, was ihr mir in den letzten Monaten erzählt und beigebracht habt, dann… sind beide Bünde nicht ganz unschuldig. Wir sollten versuchen…“ leider unterbrach ihn jetzt mein Templer recht unwirsch.

 

„Du hast sicherlich recht und ich begrüße diese Einstellung! Bedenke aber, dass der Weg dahin noch sehr lang sein wird. Wie du siehst, kann dein Mentor nicht über seinen Schatten springen…“ ein fieses Lächeln umspielte seine Lippen als er zu Achilles sah.
„Es reicht!“ sagte ich mit zittriger und sehr wütender Stimme. „Ich habe von Anfang an gesagt, dass es schwer werden wird und ein Kompromiss ist ebenso kein leichtes Unterfangen! Aber jetzt seht euch an! Genau hier wird es deutlich. HIER müssen wir die nächsten Schritte beginnen um eine Einigung zu erreichen.“ tief durchatmend setzte ich mich wieder, ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich aufgestanden war.
Mich blickten drei verwunderte Augenpaare an.
„Mrs Kenway, es… natürlich sollten wir uns erst einmal einig sein. Es war etwas unbedacht von mir, versteht mich aber auch. Jahre der Ungewissheit und Zurückgezogenheit haben mich immer misstrauischer werden lassen.“ sprach nun der alte Mann leise.
Wie aus heiterem Himmel stand Haytham auf, ging um den kleinen Tisch herum und stellte sich vor Achilles.
„Master Davenport, ich vertraue auf das Bauchgefühl meiner Frau und... ich hoffe, wir können unseren Konflikt ab heute ad akta legen.“ Seine rechte Hand streckte er vor und wartete auf eine Reaktion seitens des Assassinen.
Langsam, wie in Zeitlupe, erhob sich dieser etwas schwerfällig und schaute einen Moment Haytham ohne jegliche Regung an. Doch dann reichte auch er ihm seine Hand und es mag sich kitschig anhören, aber mir fiel ein Stein vom Herzen.

 

Connor war ebenfalls aufgestanden und sein erleichtertes Lächeln konnte ich teilen. Ich nickte ihm lediglich stumm zu.
„Wir sollten von jetzt an vielleicht überlegen, wie wir die bevorstehenden Streitigkeiten, Konflikte und Aggressionen hier in den Kolonien eindämmen können, Gentlemen.“ warf ich leise ein, weil ich nicht genau wusste, ob es schon angebracht war.
„Das sollten wir, Mrs Kenway. Auf dem Weg hierher haben wir übrigens ein paar Truppen seiner königlichen Majestät gesehen, welche sich unrechtmäßig Zutritt zu einigen Häusern verschaffen wollten. Sie behelligen unbescholtene Bürger um ihren Sold aufzubessern, könnte man meinen.“ Kopfschüttelnd stand der Alte vor uns.
„In unserer Siedlung sind wir noch verschont geblieben, aber ich befürchte dass auch dort bald die Soldaten auftauchen werden.“ in Connors Stimme klang Angst mit und ich konnte ihn voll und ganz verstehen. Vermutlich dachte er an die Attacke auf sein Dorf vor etlichen Jahren. Bei dem Gedanken lief mir eine Gänsehaut über den Rücken.
„Hier haben wir auch schon mit diesem Abschaum Bekanntschaft machen müssen. Das letzte Mal waren es wieder Deserteure die sich mordend und plündernd hier über die Plantagen hermachten. Wie die Heuschrecken könnte man schon fast sagen.“ fauchte Haytham wütend.
„Dann sollten wir genau dort ansetzen, was meint ihr?“ fragte ich in die Runde und die drei Herren nickten mir zustimmend zu.

 

Plötzlich sah sich Haythams ältester Sohn zur Tür um.
„Ich habe also noch Geschwister, Vater?“ fragte er leise und wir begannen auch ihm unsere Geschichte ein wenig näher zubringen. Achilles hatte vieles nur andeuten können, weil auch er nicht exakt alles wusste.
Als wir zum Punkt mit den nordischen Göttern und deren Einfluss auf uns kamen, sah ich große braune Augen.
„Das klingt so fantastisch, Mrs Kenway!“ Connor konnte man ansehen, dass er es spannend fand.
„Bitte, du kannst mich Alexandra nennen.“ bot ich ihm an, weil ich es mehr als seltsam fand, dass gerade ER mich mit Mrs Kenway ansprach.
„Ähm… natürlich, Mrs… Alexandra!“ stammelte er leise mit rotem Kopf.

 

Langsam war es aber Zeit für das Abendessen.
Florence und Edward kamen wieder in den Wintergarten und man trug das Essen auf. Während wir so beisammen saßen und es uns schmecken ließen, erklärte unser Sohn Connor erst einmal, dass Walka seine Beschützerin sei.
„Sie ist immer an meiner Seite und weißt du, Connor, sie hat den bösen Kapitän verjagt, der hinter uns her war!“ aus ihm sprudelte die ganze Geschichte heraus und sein Halbbruder hörte gebannt zu. „Und dann hat Vater mich mit ihr wieder auf die Jackdaw geholt! Weißt du? Alle haben sich gefreut, dass meine Wächterin wieder heile da war! Ohne einen einzigen Kratzer!“
Zwischendurch ermahnte ich die kleine Plaudertasche bitte auch zu essen, ehe es kalt wurde.
Florence ließ es sich beim Nachtisch dann nicht nehmen, unseren Gästen ihre Liebe zu Kräutern und Pflanzen zu erzählen.
„Mrs Muller ist ganz toll. Sie hat mir … Plitze gezeigt, die nicht gut sind. Da sind weiße Punkte drauf. Hast du die mal gesehen?“ voller Erwartung, dass Connor sowas auch schon kannte, sah sie ihn an.
„Ja, davon habe ich gehört…“ weiter kam er aber nicht.
„Ich habe ein Buch mit Bildern von Ballistitum und … Mama, wie heißt das kalte Gras?“ Florence sah mich auffordernd an. Für einen Moment musste ich in mich gehen, damit ich mein Kichern unterdrücken konnte. Ihre Wörter waren mal wieder ein Sammelsurium aus allem, was sie wusste.
„Du meinst Minze, min lille engel?“ eifriges Nicken ihrerseits und sie redete weiter auf Connor und Achilles ein.

 

Am heutigen Abend war es mehr als schwer beide Kinder zum Schlafen zu bringen, weil sie völlig aufgedreht waren wegen des Besuchs.
„Mama, habe ich noch mehr Brüder oder Schwestern? Mag Papa uns immer noch, obwohl Connor jetzt da ist? Bleibt er jetzt bei uns und wohnt auch hier? Darf ich ihm morgen mein Pferd zeigen?“ und so weiter und so weiter.
Ich unterbrach Edwards Redefluss, weil es den Anschein hatte, als reiße dieser Strom nie ab!
„Nein, du hast vermutlich sonst keine weiteren Geschwister, Papa hat euch immer noch lieb. Ob er hier bei uns wohnen wird, weiß ich noch nicht. Aber Master Davenport wird sicherlich noch eine Weile hier bleiben, damit dein Vater mit Connor ebenfalls trainieren kann. Und ja, du darfst morgen mit ihnen zu Darius, min lille skat. Aber jetzt… Schlaf!“ grinste ich ihn an und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Ich freu mich schon!“ hörte ich ihn noch glücklich sagen, als ich an der Tür stand.

 

Bei Florence hatte Haytham die Antworten bereits gegeben auf Fragen, die er kaum verstanden hatte.
„Mein Engel, Connor muss auch noch viel lernen und ich werde ihm dabei helfen. Gemeinsam mit Master Davenport. Und du kannst ihnen bestimmt morgen auch dein Kräuterkunde-Buch von Mrs Muller zeigen. Jetzt ist aber Schlafenszeit.“ auch sie bekam einen Kuss auf die Wange, ehe ich ihr noch gute Nacht sagte.
„Mama, bist du jetzt Connors neue Mama?“ erstaunt sah ich sie an.
„Nein, niemand kann eine Mutter ersetzen, min lille engel. Seine Mama ist in Valhalla und wartet auf ihn, so wie meine eigene Mutter auch. Das weißt du doch.“ ich gab auch ihr noch einen Kuss und ging dann leise hinaus. Ziio würde natürlich bei ihren Göttern sein, leider kannte ich mich nicht hinreichend in dieser Beziehung aus. Vielleicht sollte ich Connor einmal fragen, überlegte ich mir beim Hinausgehen.

 

Unten im Wintergarten wieder angekommen, ließ ich mich neben Haytham nieder, welcher mir ein Glas Portwein reichte.
„Die beiden Kleinen sind ja kaum zu bremsen.“ lachte Achilles und nippte an dem Glas Whiskey.
„Sie sind sehr neugierig, ich entschuldige mich, sollte es euch unangenehm…“ der Assassine ließ mich nicht ausreden.
„Ach wo, Kinder sollten viele Fragen stellen. Nur so können sie lernen und sich weiter entwickeln.“ sein Blick ging anerkennend zu Connor.
Der restliche Abend verlief friedlich und wir konnten ein wenig die politischen Dinge besprechen. Unter anderem ging es um die Aufkäufe von indianischem Land, was natürlich Connor wütend machte.
„Ich weiß, dass es dort draußen Menschen gibt, die einfach nur ihre Börsen füllen wollen. Aber ich kann doch nicht einfach dabei zusehen, wie mein Land an irgendwelche Fremden geht.“ dieser Gedanke war einfach grausam. Ich hoffte immer noch, dass ich Connor von William Johnson fernhalten konnte. Der junge Indianer sollte nicht Hand an ihn legen, weil ich es dem Schicksal, in meinem Falle aber auch meinem geschichtlichen Wissen, überlassen wollte. William würde bei einer Versammlung oder Verhandlung mit den indianischen Stämmen seinen Tod finden.
„Wir müssen versuchen, dem Ganzen einen Riegel vorzuschieben. Aber ich befürchte, ganz ohne Kämpfe und Blutvergießen werden wir nicht weiterkommen.“ seufzte Haytham neben mir.
„Nein, das sicherlich nicht.“ aus Achilles Stimme hörte man große Frustration. Er hatte schon so einiges miterlebt und vermutlich war er diese Machenschaften überdrüssig.

 

Gegen Mitternacht verabschiedeten wir unsere Gäste. Mein Vorschlag, dass Connor eines der noch freien Kinderzimmer und Achilles das Gästezimmer oben beziehen könnte, stieß auf keine Zustimmung. Ich hatte nämlich nicht bedacht, dass der alte Assassine nicht mehr so gut zu Fuß ist. Also wurde er kurzerhand in das Gästehaus im Erdgeschoss einquartiert. Auch Connor entschloss sich, dort zu schlafen, weil er seinen Mentor nicht alleine lassen wollte. Löblich und man sah diese doch recht enge Bindung der beiden.
In Haythams Ausdruck bemerkte ich, dass er ein wenig eifersüchtig wurde. Vorsichtig nahm ich seine Hand und drückte sie.
Lächelnd drehte er sich zu mir, als die beiden nebenan verschwanden.
„Es… ist ein merkwürdiges Gefühl, mi sol. Ich hatte mir oft versucht ein Bild zu machen. Der Traum damals konnte aber nicht ansatzweise mithalten. Der Junge… er sieht Ziio so unfassbar ähnlich.“
Auch für mich war es noch seltsam, gab ich zu.
„Vielleicht solltest du dir einen Moment mit Connor alleine nehmen, damit ihr… euch etwas besser kennen lernen könnt, mi amor.“ schlug ich leise vor.
„Das werde ich, versprochen.“
Wir gingen hinauf um uns für die Nacht fertig machen zu lassen, weil mir plötzlich die Müdigkeit in die Knochen fuhr.

 

~~~

 

Natürlich wurden wir von einem aufgeregten Edward geweckt, der fragte wo sein großer Bruder hin sei.
„Sind sie schon wieder weg? Warum habt ihr mir nicht Bescheid …“ maulte er am Bett stehend herum.
„Edward! Beide sind noch da, aber sie haben nebenan im Gästehaus geschlafen. Master Davenport kann nicht so gut Treppen steigen, da war es besser, dass er dort nächtigt. Und Connor wollte ihn nicht alleine dort lassen.“ in Haythams Stimme hörte man, dass er ein wenig gereizt war. Kein Wunder wenn man morgens einfach so überrannt wird.
„Entschuldige, das wusste ich ja nicht.“ kam es jetzt kleinlaut von unserem Sohn.
„Dann frag das nächste Mal vorher ordentlich nach. Und jetzt geh und zieh dich an.“ immer noch war mein Mann genervt.
Ich stand auf, stieg in meine Hausschuhe und warf mir den Morgenrock über.
„Du meine Güte, dass ist ja ein toller Start in den Tag und das noch vor meinem Kaffee.“ auch ich war etwas angefressen, weil ich nicht besonders gut geschlafen hatte.
„Dann solltest auch du zusehen, dass du dich ankleidest und dein Körper mit Koffein versorgt wird. Du bist unausstehlich, mi sol.“ sein leises Kichern hinter mir veranlasste mich, ihm einen bösen Blick zuzuwerfen.

 

Unten im Wintergarten saß bereits Achilles, aber keine Spur von Connor.
„Wo habt ihr euren Schützling gelassen, Master Davenport?“ fragte ich, während ich mich suchend umsah.
„Der Junge ist schon draußen bei den Ställen. Er war einfach zu neugierig, was ihr für Tiere habt und wie es hier im Hellen aussieht.“ der Assassine musste bei seiner Erzählung selber lachen. Da war also auch der ältere Spross meines Mannes ein wissbegieriger Mensch.
Schon kurz darauf erschien er bei uns und wir konnten das Frühstück beginnen. Mein Kaffee war mir aber schon zum Opfer gefallen und die zweite Tasse war in meinen Händen.
„Das sind wunderschöne Pferde, Vater. Der Stallmeister hat ein gutes Auge für die Tiere. Er hat mir berichtet, woran er erkennt, ob es einem Pferd gut geht oder nicht. Er ist gut zu ihnen!“ Connor war sichtlich angetan von dem Herren und unseren Reittieren.
„Darius ist besonders schön, nicht wahr?“ hörte ich Edward mit Nachdruck fragen.
„Oh, der Hengst gehört dir, oder? Ja, er ist wirklich fantastisch. Vielleicht lässt dich Vater ja mit mir ein wenig ausreiten. Du kannst mir ein wenig die Gegend zeigen?“ fragend sah er in die Richtung seines Vaters.
Dieser sah mit großen Augen auf seinen Ältesten, dann zu mir und antwortete dann mit einer so liebevollen Stimme, dass sicher nichts dagegen spräche.
Damit war es abgemacht, aber nur unter der Bedingung, dass zwei Wachen mit ritten.

Kapitel 26

 

~~~ Das Boston-Massaker ~~~

 

Die nächsten Tage vergingen mit dem eigentlichen Kennenlernen.
Haytham nahm sich immer wieder Zeit, um mit seinem Sohn unter vier Augen zu reden. Es gab einiges, was erklärt werden musste oder besser gesagt werden sollte.
„Connor hat ein Recht darauf zu erfahren, wer den Überfall auf sein Dorf damals befohlen hat. Er scheint zu glauben, dass ich es gewesen sei. Du hattest mir ja schon von der Begegnung im Wald mit Charles berichtet und der Junge geht davon aus, dass ER auf meinen Befehl hin den Brand gelegt hat. Es ist einfach unfassbar! Niemand hat ihn aufgeklärt…“ seufzte mein Templer eines Abends, nachdem er erneut ein Gespräch mit Connor hatte.
„Dich hat man auch oft im Unklaren gelassen, mi amor. Deswegen war ich von Anfang an dafür, dass wir unseren Kindern gegenüber keine Geheimnisse haben sollte. Jeder hat ein Recht zu erfahren, woher er kommt und was mit unserer Familie los ist. Du kannst ihm jetzt in Ruhe alles erzählen. Vielleicht kann er ja auch noch etwas über Ziio berichten, wer weiß.“ ich hoffte es wirklich, dass die beiden sich so annähern konnten.
„Er erzählte mir vorhin, dass er heimlich in dem Tagebuch seiner Mutter gelesen hat und als sie ihn erwischte gab es großen Ärger (*). Danach hatte er nicht mehr das Bedürfnis mehr zu erfahren.“ in Haythams Stimme klang Belustigung mit. „Sie hat ihn, auch wenn es nur kurz war, zu einem guten Jungen erzogen, mi sol.“
Da konnte ich ihm zustimmen, den Rest hatten die Stammesmutter und Achilles übernommen. Im Grunde war Connor immer noch am Lernen und was das Training anging, so musste er auch noch einiges beigebracht bekommen.

(*) Anfangsszene aus Assassin´s Creed III in Connors Dorf, wo Ziio in beim Lesen überrascht.
Boston Massaker (eigenes LP AC3)
Ziio überrascht Connor ab Min. 12:40

Florence hatte sich Master Davenport auserkoren um ihm ihre Leidenschaft für die Kräuter näher zubringen. Wenn ich es nicht besser wüsste, dann könnte man meinen, der Großvater säße mit seiner Enkelin vor dem Kamin. Er hörte aufmerksam zu, wenn sie ihm die Bilder in ihrem niedlichen Kauderwelsch erklärte, oder wenn sie ihn mit sich zog, um ihm auf der Veranda ein paar kleine Pflanztöpfe zu zeigen.
„Master Davenport, wenn es euch zu viel wird, dann sagt mir das bitte. Unsere Tochter kann manchmal sehr anstrengend sein.“ sprach ich den Assassinen eines Mittags an, als er sich seufzend auf dem Sofa vor dem Kamin niederließ.
„Das macht mir nichts aus, Mrs Kenway. Ganz bestimmt nicht. Die Kleine ist in ihrem Element dabei und auch ich lerne noch etwas. Könnt ihr euch das vorstellen?“ lachte er, während ich ihm eine Tasse Kaffee reichte.
Endlich wurden die Temperaturen angenehmer und langsam begann der Frühling. Eine Wohltat wenn man mich fragte. Die Tage wurden wieder länger, es begann zaghaft zu blühen und mein Gemüt erhellte sich zusehends.

 

Es muss der 15. März gewesen sein, als wir gerade mit dem Mittagessen fertig waren und ein aufgeregter Bote in den Wintergarten stürzte.
„Master Kenway! In Boston gab es ein grausames Massaker! Es gab viele Verletzte und Tote…“ japsend stand er vor meinem Mann.
„Das ist ja schrecklich.“ Achilles war eingeweiht, weswegen er nicht sonderlich überrascht klang. Aber diese Nachricht stimmt einen bisweilen doch traurig und wütend zugleich.
„Weiß man schon, wer dafür verantwortlich ist?“ fragte Haytham mit einem Blick auf mich nach.
„Nein, es fiel ein Schuss bei einer Versammlung und… mehr weiß man nicht. Verzeiht, Sir, dass ich nicht mehr berichten kann.“ verlegen sah der Bote auf seine Füße. ER konnte ja nichts dafür.
„Nichts für Ungut, es ist ja nicht eure Schuld. Ich sehe aber, ihr habt ein Schreiben?“ mein Templer hielt seine Hand auf um den Brief entgegen zunehmen.
„Oh Verzeihung, Sir. Natürlich. Er ist von Master Lee!“ der junge Mann verbeugte sich tief und Haytham drückte ihm ein paar Münzen in die Hand, dann verschwand er wieder.
„Du hattest Recht, Alex.“ die Stimme meines Mannes klang erschüttert nachdem er die Zeilen von Charles gelesen hatte. „ER ist verantwortlich! Charles hat sich meinem Befehl widersetzt und ist nach Boston gereist. Seiner Meinung nach musste man diesen Rotröcken endlich ihren gerechten Platz zeigen! Herr Gott, sein Hass auf diese Soldaten muss grenzenlos sein! Damit hat er nicht nur ihnen, sondern auch noch der Bevölkerung Verluste beschert. Ich… bin fassungslos.“ ohne ein weiteres Wort stand er auf und verschwand in sein Arbeitszimmer.

 

„Alexandra, sollten wir deshalb nicht an dem Tag in Boston sein?“ fragte Connor leise nach, nachdem er sich vergewissert hatte, dass Haytham außer Hörweite war.
„Genau deshalb. Sonst hätte man eventuell DICH beschuldigt. Aber das kann ich dir nicht wirklich erläutern, es wäre halt so gewesen. Aber dass Charles sich gegen Haythams Befehl stellt ist schon etwas anderes. Dieser Mann macht was er will, wenn das so weitergeht reitet er den Orden hier in den Kolonien noch vor die Wand, verdammt.“ in mir kochte es auf vor Wut auf diesen Widerling.
„Du scheinst ebenfalls einen ganz persönlichen Hass auf ihn zu haben, habe ich recht?“ zögerlich kamen diese Worte von dem Jungen.
„Davon kannst du ausgehen, Connor. Er hat… also, er hat mich versucht zu vergewaltigen und hat mich gemeinsam mit Hickey vor Jahren entführt. Ich konnte mich aber befreien.“ ich begann die Geschichte von damals zu erzählen, erst etwas zögerlich, weil ich Angst hatte, Connor würde es nicht ganz verstehen. Die Geschichte mit July und dem Biss von Charles´ Köter berichtete ich auch. Bei dem Satz, dass Shay den Spitz einfach erschossen hat, grinste er mich an.
„Auch wenn mir das Tier leid tut, aber für Lee war es eine gute Strafe!“ diese Genugtuung in der Stimme ließ mich lächeln. Wir waren uns alle einig, dass dieser Hundefreund nirgendwo gerne gesehen war.

 

Zwei Tage später hörte ich aus der Eingangshalle laute Stimmen. Ich trat aus meinem Arbeitszimmer, wo ich gerade über ein paar neuen Routen mit Mr Hargreaves gebrütet hatte.
Unten sah ich ihn dann stehen. Charles Lee! Er diskutierte mit dem Diener darüber, dass er dringend mit Master Kenway reden müsse! Es gäbe wichtige Neuigkeiten!
Als er mich auf der Treppe bemerkte, grinste er überheblich zu mir hoch.
„Mit euch werde ich gewiss nicht solch wichtige Neuigkeiten besprechen, Weib. Also könnt ihr auch genauso gut wieder gehen.“ fauchte er in meine Richtung.
Was ER aber nicht bemerkt hatte, war, dass mein Mann bereits eingetreten war und hinter ihm stand. Haytham war mit Achilles und Connor auf der Plantage unterwegs gewesen.
„CHARLES!“ sprach er ihn laut an.
Erschrocken drehte sich der Angesprochene um.
„M...m...master Kenway! Ich… habe euch… gar nicht kommen hören!“ stotterte er mit hochrotem Kopf, weil er jetzt eine Standpauke zu befürchten hatte.
„Das habe ich bemerkt und jetzt sagt mir, was ihr in meinem Haus zu suchen habt. Ihr habt Hausverbot. Wisst ihr nicht mehr?“ mein Templer stand nur wenige Zentimeter von ihm entfernt und versuchte seine Wut zu zügeln.
Hinter Haytham waren Connor und Achilles jetzt eingetreten. In den Augen des jungen Indianers loderte eine Wut auf, welche ihres gleichen sucht! Ziio hätte einen ebensolchen Ausdruck ab und an gehabt, hatte mir mein Mann einmal erzählt. Jetzt hatte ich eine Vorstellung, wie das ausgesehen haben muss.
Auch Charles sah die beiden und ich mag mich täuschen, aber es schien, als würde er sich ducken wollen.
Weiter passierte aber nichts, da Connor sich unter Kontrolle hielt, genau wie sein Mentor und mein Mann.
„Folgt mir in mein Arbeitszimmer!“ befahl Haytham kalt und ging schnellen Schrittes voraus! Ein nervöser Lee folgte ihm etwas zögerlich.

 

Ich würde zu gerne Mäuschen spielen, ging es mir durch den Kopf. Vor allem fiel mir wieder der Elfenbeinstab ein, welchen ich ihm einfach nur zu zeigen brauchte. In meinem Kopf breitete sich eine Idee aus, wie ich diesen Idioten gebührend verabschieden würde! Vermutlich wuchsen mir gerade kleine Teufelshörnchen auf der Stirn und ich kicherte in mich hinein.
„Mrs Kenway, ihr scheint amüsiert zu sein, dass dieser Mann nun die Leviten gelesen bekommt.“ grinste mich Achilles an.
„Oh glaubt mir, ich freue mich wirklich darüber.“ mit erhobenem Haupt ging ich weiter hinunter und bat die beiden Herren mit in den Salon zu kommen. Vermutlich würde das Gespräch im Arbeitszimmer noch eine Weile dauern, hoffte ich zumindest. Mr Hargreaves verabschiedete sich mit den Worten, er wolle bei solch wichtigen Dingen nicht stören.
Bevor wir uns jedoch setzen konnten, hörten wir erneut lautes Stimmengewirr aus dem Eingangsbereich.
Dieses mal staunte ich nicht schlecht, es waren 6 Soldaten mit ihrem Kommandanten, welche um Einlass baten. Der arme Diener war sichtlich überfordert, weil schon wieder verlangt wurde, unverzüglich beim Hausherrn vorgelassen zu werden.
„Wir haben den dringenden Verdacht, dass sich hier der potenzielle Attentäter und sein Auftraggeber für das schreckliche Blutbad in Boston aufhalten!“ als man mich sah, verbeugten sich die Gentlemen selbstverständlich.

 

„Es tut mir leid, aber mein Gatte ist gerade in einem sehr wichtigen Gespräch. Leider kann ich auch nicht sagen, wie lange…“ in diesem Moment erschien besagter Hausherr und im Schlepptau hatte er einen zerknirschten Charles. Als dieser die Rotröcke sah, konnte man förmlich den Wunsch in ihm sehen, unverzüglich zu flüchten.
„Gentlemen, was kann ich für euch tun?“ fragte Haytham in seiner Rolle als Templer.
„Sir, uns ist zu Ohren gekommen, dass sich hier der Verursacher für den Anschlag in Boston verstecken soll. Wir müssen sichergehen, dass ihr ihn nicht beherbergt oder gar selber einer der Drahtzieher seid, Sir!“ immer diese so extrem höfliche Art, oft hatte ich damit noch meine Probleme.
„Und habt ihr auch eine Beschreibung des Herren? Vielleicht kann ich euch dann eher weiterhelfen?“ er bat den Kommandanten ihm zu folgen, während die anderen Soldaten sich wieder nach draußen begaben.
Leider blieb aber Charles wie angetackert hier stehen.
Ich ging einfach wieder zu den anderen und schloss demonstrativ die Tür, nachdem ich zwei unserer Wachen aufgetragen hatte, sie mögen ihn im Auge behalten.
„Das ging aber schnell.“ staunte Achilles.
„Zu schnell, wenn ihr mich fragt. Diese Nachricht kann sich doch gar nicht so zügig verbreiten.“ grübelte ich jetzt nach.
„So ungewöhnlich ist das nicht.“ Connor sah von mir zu seinem Mentor und nachdem wir ihn nickend aufforderten weiter zusprechen, erklärte er sich. „Es gibt berittene Boten, die schneller als normale Reiter Briefe und Nachrichten überbringen können. Außerdem sind sie gut darin, sich einfach in Luft aufzulösen, sollte es einmal brenzlig werden. Ich selber habe vor einigen Monaten auf meinem Weg zu Master Davenport zwei solche Männer gesehen. Sie bewegen sich völlig lautlos, sind schneller als das Auge sehen kann verschwunden und im selben Moment tauchen sie an einer anderen Stelle wieder auf.“ plötzlich kam mir der Gedanke an diese Ninjas wieder, die uns vor einiger Zeit auf unserem Weg von Mr Gillehand hierher überfallen hatten.

 

„Weißt du, wie ihre Kleidung aussieht?“ fragte ich nach, weil sie im Grunde ähnliches trugen wie Assassinen. Es musste ja eine leichte Robe sein.
Der junge Indianer bestätigte meinen Gedanken.
„Die Mäntel und Hosen gleichen denen der Ornate, Alexandra. Aber… es sind keine Assassinen. Das wüssten wir doch, oder nicht?“ in seiner Stimme klang Besorgnis mit, weil auch er sich bewusst wurde, dass da draußen nicht nur WIR agierten, sondern noch eine Vielzahl an Assassinen, Templer oder auch noch andere Gruppierungen.
„Ich dachte eher an Ninjas, weil ihre Kampftechniken auch anders sind. Wozu setzt man sie aber als Boten ein?“ im Grunde war es logisch, weil sie halt schnell waren und sich ihrer Umgebung auch schnell anpassen konnten. So verschwanden wichtige Dokumente seltener als mit einer Postkutsche (welche es so noch nicht gab!).
„Was ich mich aber noch frage, wo die Soldaten herkamen? Gibt es hier einen Stützpunkt in der Nähe?“ Achilles grübelte ebenfalls über diesen Vorfall nach. „Sie sahen nicht aus, als hätten sie einen längeren Weg hinter sich.“
Weiter östlich unserer Plantage hatten sich mehrere Einheiten niedergelassen, dass wusste ich von Mr Gillehand, welcher das nicht wirklich gut hieß. Diese Truppen brachten keine Sicherheit, im Gegenteil, man musste immer fürchten, dass sie einfach Nutzvieh mitnahmen, im Namen seiner königlichen Majestät.
Bei diesen Worten schüttelte Achilles traurig den Kopf.
„Es wird immer schlimmer und ich befürchte, dass wir kaum etwas ausrichten können.“ da hatte er leider recht, aber wir konnten ein wenig dagegen steuern.


Wieder hörten wir Stimmen aus dem Eingangsbereich, dieses mal aber keine lauten!
Wir drei traten aus dem Salon und ich sah noch, wie der Kommandant mit seinen Leuten frustriert wieder abzog.
„Und ihr Charles solltet euch für eine lange Zeit mehr als bedeckt halten. Es hat mich einiges an Überredung und Bestechung gekostet, dass man nicht euch beschuldigt! Die Beschreibung war EINDEUTIG! Ihr beschämt die Armee und den Orden, ist euch das eigentlich bewusst, Mann? Und jetzt, geht mir aus den Augen und finde ich euch noch einmal hier in der Nähe meiner Familie, dann Gnade euch Gott!“ erneut sah ich, dass Haytham sich nicht ganz unter Kontrolle hatte.
Seine Wut schwappte über, sein Atem ging schwer und seine Hand lag schon an seinem Dolch. Bei der kleinsten Bewegung von Lee würde er ihn zücken und das wäre das Ende von Charles! Doch wäre das jetzt so schlimm? Ja, weil er wirklich noch einen geschichtlichen, wenn auch eher peinlichen, Auftritt in dem Unabhängigkeitskrieg haben würde.
Mit einer tiefen Verbeugung in Richtung seines Großmeisters nuschelte er nur „Sir…“ und wollte sich gerade zum Gehen umdrehen, als ich unvermittelt den kleinen Stab aus meiner Rocktasche fischte und ihn ausgiebig inspizierte. So schnell konnten wir nicht schauen, wie Charles hinaus rannte und man ein Würgen hörte. Zufrieden sah ich mich um. Die Blicke der Herren waren durch die Bank weg belustigt. Das war meine Absicht gewesen.
„Böse, aber effektiv, Alex“ hörte ich meinen Mann leise sprechen.

 

Erwartungsvoll standen Achilles, Connor und ich jetzt vor ihm und hofften auf Erklärungen.
„Was seht ihr mich so an?“ fauchte Haytham plötzlich, drehte sich um und verschwand in seinem Arbeitszimmer. Er donnerte die Tür zu, was eigentlich eher untypisch für ihn war. Gerade noch bester Laune wie es schien und jetzt das?
„Ich befürchte, wir müssen Geduld haben, ehe wir erleuchtet werden, was alles besprochen wurde!“ seufzte der alte Assassine und ging wieder in den Salon.
„Dieser Lee ist einfach…“ Connor sprach nicht weiter, er schüttelte sich angeekelt, was mir persönlich als Erklärung völlig reichte.

Kapitel 27

~~~ August 1770 ~~~

 

Wir hatten immer noch mit diesen widrigen Umständen des beginnenden Krieges zu tun. Man las es in der Zeitung, die Nachbarn begannen sich zu sorgen, zu Recht wie ich betonen möchte. Es begann immer mehr zu brodeln, weswegen auch Achilles immer unruhiger wurde.

 

Im Sommer diesen Jahres, es war August mittlerweile, zog es den alternden Assassinen wieder in seine Siedlung. Connor folgte ihm fürs erste, weil er dem alten Mann zur Hand gehen wollte.

 

„Vater, ich verspreche, ich werde weiter trainieren und mich nicht mehr so leicht von Neuigkeiten beeindrucken lassen. Es scheint, als würden diese Zeitungsschreiber versuchen, die Menschen in eine bestimmte Richtung zu schieben. Auch wenn es nicht der Wahrheit entspricht. Aber warum stoppt man diese Art der Berichterstattung nicht einfach. Die wirkliche, die ECHTE Wahrheit muss verbreitet werden…“ Connor verstand wie so viele, auch ich gehörte in meiner Zeit und jetzt ebenso dazu, nicht, warum Lügen verbreitet wurden.
Natürlich versuchte man die Menschen auf eine perverse Art zu manipulieren! Ich möchte es nicht Propaganda nennen was dort geschah, aber das kam dem schon recht nahe.
„Connor, ich bitte dich lediglich darum, dass du hinterfragst was dir erzählt wird. Du musst nicht misstrauisch sein, sondern einfach nur die Information noch einmal hinterfragen, ob alles auch einen Sinn ergibt oder ob es Lücken gibt. DAS ist entscheidend. Nimm das geschriebene Wort nicht einfach so hin, sondern überlege, ob es wirklich so passiert sein kann.“ Haytham erklärte ihm genau das, was auch Edward IHM beigebracht hatte. Ein Lehrer oder Tutor bringt dir etwas bei, aber was wollte der Dichter zum Beispiel mit seinem Werk ausdrücken. DAS ist wichtig.
„Großvater hat mir dasselbe bereits gesagt.“ grinste der Junge breit. „Auch dir hat er diese Denkweise beigebracht.“
„Ich hätte mir denken können, dass Vater auch mit dir einige Unterredungen haben wird.“ das Gesicht meines Mannes erhellte sich, als er seinen großen Sohn in den Arm nahm um ihn zu verabschieden.

 

Wir standen auf der Veranda und winkten den beiden noch hinterher in ihrer Kutsche.
„Mama, kommt Connor wieder?“ fragte Edward neben mir und lehnte auf seine Arme gestützt an der Brüstung.
„Natürlich, min lille skat. Aber er muss auch an die Davenport Siedlung denken. Dort fehlt es an Handwerkern und Bewohnern allgemein. Vielleicht sollten wir Achilles einmal besuchen gehen?“ Die Augen meines Sohnes weiteten sich vor Freude.
„Auja! Dann kann ich Darius endlich auch mal richtig reiten und nicht nur über die Felder oder durch den Wald!“ er malte sich schon diesen kleinen Urlaub aus, leider musste ich ihn bremsen.
„Wir werden sehen, wann die Schule ein paar Wochen nicht stattfindet. Erst dann können wir dorthin, Edward. Es geht nicht, dass du einfach beim Unterricht fehlst.“ Bei diesen Worten ließ er die Schultern hängen und seufzte schwer.
„Also nie…“ enttäuscht stiefelte er Richtung Pferdestall… ich ließ meinen Sohn in Ruhe. Darius war in solchen Momenten oft der Ruhepol und brachte ihn wieder runter.

 

~~~ Oktober 1770 ~~~

 

Wir hatten einen nicht ganz so heißen Sommer zu verzeichnen, aber die Überfälle nahmen zu. Manchmal waren es nur kleine Diebstähle aus Hühnerställen oder mal eine Schaufel Weizen aus dem Speicher.
Trotzdem fiel auf, dass sich diese kleinen Dinge immer mehr häuften. Aus der Zeitung war zu lesen, dass es Steuern gab, die sogar die Boten betrafen. Wer einen Brief zum Beispiel beförderte musste Seitenzahlen, Absender- und Empfängerort genauesten angeben. Meilen und Menge der Papiere wurden dann entsprechend ausgerechnet. Es artete ins Lächerliche aus!
Meine Briefe in die Niederlande, Frankreich oder auch zu Jenny verschiffte ich einfach mit den normalen Waren. Aber auch dort wurden wir immer öfter an entsprechenden Posten, dem mittlerweile einberufenen Zollstationen, untersucht. Es wurde immer schwieriger.

 

„Mistress Kenway, was haltet ihr davon wenn wir noch einige Schiffe oder Überlandkonvois so tarnen, dass sie lediglich normale Reisende befördern?“ Mr Gillehand, welcher auch schwer betroffen war, hatte mich vor ein paar Tagen diesbezüglich kontaktiert. „Auch für mich wird es immer umständlicher meine Korrespondenz unbehelligt von A nach B zu bekommen. Da muss man doch etwas unternehmen können.“
Natürlich könnte man da etwas machen.
Kurz darauf erschien mein erster Maat bei mir.
„Ich komme gleich auf den Punkt, Mr Hargreaves. Ich möchte, dass ihr versteckte Zwischenräume in die Jackdaw bauen lasst. Es sollte möglich sein, Briefe, Päckchen oder auch etwas größere Waren ungesehen zu verstauen. Ich denke da an die unterste Sektion, dort wo kaum jemand eine Inspektion starten würde. Und wenn doch, dann würde man – in unserem Falle – nichts vorfinden!“ ich hatte mir diesbezüglich schon Gedanken gemacht und legte ihm eine provisorische Zeichnung vor.
„Ich sehe…“ seine Hand strich über den Mund und er inspizierte meine Illustration. „Das ist etwas schwierig zu bewerkstelligen, aber nicht unmöglich. Gebt mir und den Zimmerleuten ein paar Tage, dann sollten wir entsprechende Hohlräume gebaut haben.“ Jetzt lächelte er mich verschmitzt an. „Und ja, auch ich habe schon darüber nachgedacht. Es wird immer etwas geben, was ungesehen von einem Ort zum anderen geschafft werden muss.“ Damit nahm der diese Zeichnungen an sich, verbeugte sich und wünschte mir noch einen guten Tag.
Damit hätten wir ein Problem, wenn auch nur kleines, gelöst!

 

Einige Tage später bekamen wir einen Brief, welcher von Kapitän James Cook geschickt wurde. So lädiert wie dieser Umschlag aussah, musste er Monatelang unterwegs gewesen sein und durch einige Hände gegangen sein.
„Ich habe schon länger nichts mehr von ihm gehört. Da fängt man an sich Sorgen zu machen. Ich bin gespannt, was er auf seiner diesjährigen Entdeckungsreise erlebt hat.“ Haytham war sichtlich erfreut von dem Herren zu lesen.
„Du meinst DEN James Cook? Der der auch Austra….“ ich hielt inne, weil ich gar nicht wusste, WANN Cook diesen Kontinent wirklich entdecken würde.
„Warum wundert es mich nicht, dass du auch diesen Herren bereits kennst, mi sol?“ grinste mein Mann mich an und wir gingen in sein Arbeitszimmer um die Zeilen zu lesen.

 

Tatsächlich war Kapitän Cook Anfang des Jahres aufgebrochen mit der Endeavour, hatte einige widrige Umstände welche Wetterbedingt waren zu meistern. Stolz berichtete er davon, dass er eine Inselgruppe entdeckt hätte, sich aber noch nicht sicher sei, wie er sie benennen sollte. An Bord sei ein Botaniker namens Solander, der sich mit den auf den Eilanden befindlichen Pflanzen beschäftigte.
Was haltet ihr von dem Namen „Solander Islands“? Es würde den Herren ehren und ihn für immer verewigen…
Sein Enthusiasmus war in diesen Worten förmlich zu spüren.
Es ging aber noch weiter. Man sei eine lange Küste entlang gesegelt, welche schier kein Ende nehmen wollte. Die Temperaturen waren der Region angemessen, laut James. Warm, aber noch erträglich.
Wir haben anscheinend einen, ich nenne es einfach mal so, neuen Kontinent entdeckt! Könnt ihr euch das vorstellen? Es gibt so vieles, was wir noch gar nicht erforscht haben oder noch finden müssen. In den nächsten Monaten werde ich mich daran setzen und mich mit diesem Land hier beschäftigen. Es scheint riesig zu sein…
Hier endete der Brief mit einem Gruß von Cook, dass er sich auf ein Wiedersehen freute, um alles genauestens berichten zu können. Das Datum war der 25. Mai 1770.

 

Australien! Er hatte es entdeckt. Ich sah immer wieder auf seine Worte, las sie vermutlich 3 oder 4 mal, weil ich mir sicher sein wollte. Aber er war südwärts gesegelt, es war eine Südseereise, wie er es bei seinem Aufbruch nannte. Außerdem kam mir der Name Solander bekannt vor.
Etwas zögerlich sprach ich Haytham auf meinen Verdacht an.
„Ich glaube, er hat tatsächlich Australien, den großen Kontinent am Äquator, entdeckt. Vermutlich greife ich jetzt vor, aber ich muss es loswerden. Man wird ihn kolonialisieren und er geht in britische Hände.“
Mein Templer musterte mich mit zusammen gezogenen Augenbrauen einen Moment.
„Hmmm, ich muss dir das glauben, weil ich noch nie von diesem Australien gehört habe. Vielleicht sollten wir aber noch nicht allen kundtun, dass Kapitän Cook so einen Erfolg hatte.“ gab er zu bedenken. Falls ich nämlich falsch läge, wäre es sehr unangenehm, für alle Beteiligten.
„Ich werde nichts sagen, versprochen. Aber es klingt aufregend, dass ich das miterleben darf!“ wie ein kleines Kind freute ich mich gerade.
„Das glaube ich dir aufs Wort.“ lachte Haytham, während er den Brief in eine Schublade legte.

 

~~~ November 1770 ~~~

 

Mitte des Monats bekamen wir Besuch von Master Johnson, welcher um eine dringende Unterredung bat. Auch er war betroffen von den vielen Steuern und suchte nach Geldquellen um weiteres Land aufkaufen zu können. Ich erinnerte mich, dass er es nur erwarb um die dort lebenden Eingeborenen schützen zu können. Leider würden sie es auch nur bedingt verstehen, wenn ich meinem geschichtlichen Wissen trauen konnte.
William und Haytham verbrachten einige Stunde im Arbeitszimmer, unterbrochen vom Mittagessen oder dem Abendessen.
„Die Lage für Master Johnson scheint ja ernster zu sein, als ich dachte.“ ich hatte meinen Mann etwas zur Seite genommen, während sich unser Besuch „die Füße“ vertrat.
„Wir planen uns in den Teehandel mit einzuklinken. So können wir über Steuern vielleicht zusätzlich die Kosten für den Landerwerb decken. William ist ja auch kein Millionär und der Orden kann nicht so große Summen zur Verfügung stellen. Wie du ja weißt, muss ich noch Reserven bereithalten für den Fall eines Krieges… Ja, er wird kommen, mi sol.“ unterbrach er seinen Redeschwall, als er sah, dass ich etwas erwidern wollte. „Ich weiß das, aber Jonathan zum Beispiel glaubt noch an den friedlichen Ausgang der Auseinandersetzungen.“
„Mi amor, aber wenn ihr darin investiert, verliert ihr bald eine Menge an Geld. Britannien wird eine immens hohe Teesteuer verlangen, welche die Kolonisten hier in ein paar Jahren nicht mehr hinnehmen werden. Der Aufstand ist vorprogrammiert! Genau wie Anfang diesen Jahres in Boston.“ flüsterte ich jetzt, weil ich sah, dass Master Johnson wieder ins Arbeitszimmer trat.
„Wir besprechen das später, Alex.“ Haytham war in seine Rolle als Großmeister geschlüpft, das Zeichen für mich, dass ich mich jetzt zurückhalten sollte bei dem weiterführenden Gespräch.
„Master Johnson, ihr entschuldigt mich? Ich muss mich noch um… einige Schiffsreparaturen kümmern.“ log ich ihm freundlich ins Gesicht und ging hinaus.

 

Für einen Moment atmete ich tief durch, als ich in der Eingangshalle stand. Es war bereits dunkel draußen, die Kinder waren im Bett und im Grunde hätte ich nichts weiter zu erledigen.
Also zog ich mir meinen Mantel über und ging hinüber zu den Pferdeställen. Der Anbau war groß genug für die 10 neuen Arbeitstiere, 5 weitere Pferde waren mittig der Plantage in einem kleineren Stall untergebracht. Dort beaufsichtigte unser Stallbursche, welcher jetzt Stallmeister war, die Tiere und deren Gesundheit.
„Mistress Kenway, kann ich euch helfen?“ Mr Mackenzie striegelte gerade Brida als ich eintrat.
„Danke, Mr Mackenzie, ich wollte mir nur die Beine vertreten und da dachte ich mir, ich schaue mal nach meinem Liebling.“
Fenrir stand in seiner Box, die frisch mit Stroh ausgefüllt war. Immer noch war ich fasziniert von diesem stolzen Hengst und betrachtet ihn mit einem verträumten Lächeln.
„Darius und Brynjolf geht es übrigens hervorragend. Master Edwards Reitkünste werden von Tag zu Tag besser. Ich freue mich schon, wenn ich der kleinen Miss Florence ebenfalls dabei helfen kann.“ in seiner Stimme klang ein klein wenig Wehmut mit. Er war nicht verheiratet und hatte auch keine Kinder. Vermutlich kompensierte unser Stallmeister das mit unseren Kindern, was uns nur zu Gute kam.
„Sie freut sich auch schon. Immer wenn sie bei mir mit reitet versucht sie die Zügel zu übernehmen.“ ich ließ lachend meine Hand über Fenrirs Hals streichen, welcher mich dabei anstupste.
„Dann wird es ja ein Leichtes ihr alles beizubringen!“ auch Isaac musste dabei kichern.

 

Mein Weg führte mich hinters Haus, wo ich in unserem Obstgarten nach dem Rechten sah. Nunja, es war dunkel, erkennen konnte ich also nicht viel und im November trugen die Bäume auch keine Früchte mehr.
Plötzlich nahm ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Alarmiert setzte ich meinen Adlersinn ein und siehe da, eine leichte rote Aura war auszumachen. Aber sie war nicht menschlich, sondern auf 4 Beinen und schlich zwischen den Bäumen und Büschen umher. Ich konnte nicht genau sehen, WAS es war, es könnte vielleicht ein Wolf sein. Langsam ging ich rückwärts um dieses Tier im Auge zu behalten. Wie war das noch? Keine hektischen schnellen Bewegungen, ging es mir durch den Kopf.
Mit einem Mal schoss dieses Tier auf etwas in seiner Nähe zu, ebenfalls auf vier Beinen aber in diesem neutralen Ton der Aura. Ein ohrenbetäubendes schmerzerfülltes Miauen war zu hören und der erste Gedanke war, dass Mina ja hier draußen herumstreunte.

 

Vorsichtig ging ich näher und als mich dieser vermeintliche Wolf bemerkte zuckte er zurück und sprintete in Richtung der Felder für den Eigenbedarf. Ich sah mich um, weil diese Tiere ja eigentlich nie alleine auftauchten, aber ich sah nichts, außer dem kleinen Fellknäuel zu meinen Füßen. Ohne groß darüber nachzudenken nahm ich es auf den Arm und ging hinein. Im Salon musste ich mit Schrecken feststellen, dass es tatsächlich Florences kleine Katze war. Ihre Flanke war aufgerissen und ihr lebloser Körper lag jetzt vor mir.
„Oh nein…“ ich begann zu weinen, dieser Anblick war fürchterlich. WAS aber hatte sie angegriffen. Eigentlich hatten wir hier noch nie einen Wolf gesehen und ich war mir auch nicht sicher, ob sie hier so verbreitet waren.
Gerade als ich mit unserer Katze hinaus in die Eingangshalle trat, kamen auch Haytham und William aus dem Arbeitszimmer.
„Was…“ mein Mann schritt schnellen Schrittes auf mich zu und betrachtete das blutende Fellbündel in meinen Armen. „Das kann doch nicht sein…“ flüsterte er.
„Ich glaube, es war ein Wolf, der sie angefallen hat…“ doch zu mehr ließ mich Master Johnson nicht kommen.
„Das glaube ich nicht, ich vermute dahinter einen Kojoten, der auf der Suche nach Beute hier herum streunerte. Wenn auch selten, reißen sie unter anderem auch Hauskatzen. Das Angebot an Nahrung ist ja in diesen kalten Tagen eher beschränkt.“ bedauernd sah er mich an.
„Wie soll ich das Florence morgen erklären?“ schniefend sah ich von einem zum anderen.
„Wir erklären es ihr ganz normal und werden Mina einen schönen Platz unter der Weideneiche geben. So hat unsere Tochter einen Ort, wo sie um ihre Katze trauern kann.“ Haythams Arm legte sich um meine Schultern, während William mir den Leichnam vom Arm nahm.

 

In ein Tuch gewickelt legten wir sie unten in den Vorratskeller, dort war es kühl, sicher und keine anderen Tiere konnten dort hin.

Kapitel 28

 

~~~ Minas Beerdigung ~~~

 

Am nächsten Tag nach dem Frühstück erklärten wir unserer Tochter, was sich letzte Nacht im Garten zugetragen hatte. Wie erwartet brach Florence in Tränen aus und klammerte sich an ihren Vater, der sie mit hinunter in den Keller nahm.
Eigentlich hatte ich ihn gebeten, der kleinen Maus die Katze nicht mehr zu zeigen, weil es kein schöner Anblick sei, aber er war der Ansicht, dass es für ihre Entwicklung wichtig ist.
„Mi sol, der Tod gehört nun mal zu unserem Leben. Auch unsere Tochter muss das lernen!“ sein Ton duldete mal wieder keine andere Meinung oder Ansicht.
„Haytham! Sie ist vier Jahre alt! Wie…“ begann ich, als er mir über den Mund fuhr.
„Florence wird es begreifen, glaub mir. Hätte Edward etwas ähnliches erlebt, würde ich genauso verfahren.“ es war zwecklos etwas logisches als Gegenargument zu bringen, weil mein Gatte „dicht“ gemacht hatte.
„Wie du meinst!“ zischte ich aus zusammen gebissenen Zähnen in seine Richtung und ging schon mal hinaus zur Weideneiche.

 

Die Beerdigung des kleinen Lieblings war untermalt von lautem Schniefen. Auch Edward liefen die Tränen über die Wange.
„Mama, kann ich sie nicht wieder…“ bevor er jedoch noch etwas sagen konnte, unterbrach ich ihn.
„Nein, das geht nicht. In diesem Falle müssen wir es so hinnehmen. Bei Walka war es etwas anderes.“ plötzlich lief mir eine kalte Gänsehaut über den Rücken, weil mir Bilder von dem Film „Friedhof der Kuscheltiere“ im Kopf herumspukten. Seltsamerweise ließ sich auch keiner der Götter blicken, geschweige denn hörte ich etwas von ihnen. Anscheinend war es wirklich endgültig mit Mina, so hart es klingt.
Der ganze Tag verlief trüb, wie das Wetter heute. Florence saß vor dem Fenster im Wintergarten und starrte in Richtung der Weideneiche. Wir konnten sie nicht einmal mit gemeinsamen Spielen aufmuntern und ich begann mir Sorgen zu machen.
„Min lille engel, wollen wir etwas zusammen malen oder …“ aber zu mehr kam ich nicht, sie schüttelte ihren kleinen Blondschopf und sah wieder hinaus.
Mir tat es in der Seele weh, meine Tochter so zu sehen. Ich selber hatte als ich klein war, eine Katze verloren, sie hatte sich im gekippten Fenster „aufgehängt“. Ich konnte meine Tochter sehr gut verstehen, aber sie war noch so klein und ich war mir nicht sicher, ob sie es wirklich schon verstand.

 

Am Abend brachte ich sie zu Bett und als ich ihr Schlaflied anstimmen wollte, fragte sie, ob ich es auch für Mina singen könne.
Natürlich tat ich ihr den Gefallen und hielt Florence dabei im Arm bis sie eingeschlafen war.
Bei Edward saß gerade noch mein Mann und versuchte ihn davon abzuhalten die tote Katze wiederzubeleben.
„Das darfst du nicht tun, mein Sohn. Das ist wider der Natur und wie deine Mutter schon sagte, bei Walka war es eine andere Situation.“ seine Stimme war ruhig, aber hatte einen feinen Befehlston inne.
„Flo ist aber so traurig! Ich will nicht, dass sie weint!“ traurig sah er von Haytham zu mir. „Mama, sag doch auch was!“
„Dein Vater hat Recht, min lille skat. In ein paar Wochen ist dieser Schmerz weniger und Florence wird wieder fröhlich sein. Das Leben geht halt einfach weiter.“ sprach ich leise, weil dieser Satz mir Tränen in die Augen steigen ließ. Nach dem Tod meiner Mutter hatte ich ihn zu oft von Freunden und Verwandten zu hören bekommen. Er war abgedroschen und eigentlich nur eine Phrase. Nichts weiter. Dennoch steckte ein Fünkchen Wahrheit in ihm.
„Wenn ich groß bin, dann ändere ich das.“ mit diesen Worten drehte er sich in seine Decke mit dem Rücken zu uns.
Zum ersten Mal in all den Jahren schickte er uns regelrecht hinaus. Keine Geschichte, kein Lied wollte er hören. Ihr könnt euch vorstellen, wie ich mich in diesem Moment gefühlt habe.
Trauriger als zuvor. Es tat mir weh!

 

„Mi sol…“ mein Mann kam hinter mir her, als ich in mein Arbeitszimmer gehen wollte. Für heute hatte ich keine Lust mehr auf Gesellschaft. Ich wollte einen guten Wein, ein Buch was mich ablenkte und alleine sein.
„Nein, ich brauche eine Auszeit, Haytham!“ meine Stimme war kaum hörbar, weil mir immer noch ein Kloß im Halse steckte und ich den Tränen nahe war.
Enttäuscht ließ er die Schultern hängen und ging ohne weitere Worte an mir vorbei hinunter. Noch jemand der mir nicht wohlgesonnen war heute. Toll.
Ich bat Magda mir den Wein zu bringen, als sie mich in mein Nachthemd gesteckt hatte.
„Mistress Kenway, der Tag war ja nicht sehr schön. Es tut mir aufrichtig leid.“ flüsterte sie, als sie mir meinen Morgenmantel reichte.
„Danke, Magda. Es kann ja nicht immer nur Sonnenschein geben, nicht wahr?“ ich versuchte ein Lächeln, aber es erstarb schon beim Gedanken daran.

 

Wie lange ich in meinem Arbeitszimmer am Kamin verbrachte, kann ich nicht sagen. Aber irgendwann war das Feuer heruntergebrannt und ich dämmte es noch ein. Dann ging ich leisen Schrittes hinüber in unser Schlafzimmer, wo mich niemand zu erwarten schien.
Auf der Galerie stehend, sah ich aus dem Salon noch einen Lichtschimmer und ging hinunter.
Vor dem Kamin saß mein Mann, versunken in einem Buch, ähnlich wie ich kurz zuvor auch.
„Darf ich hereinkommen?“ fragte ich zögerlich, weil ich nicht wusste wie ich anfangen sollte.
„Natürlich, es ist ja auch dein Zuhause.“ Bei Odin! Warum war dieser Mann manchmal so seltsam?
Es war noch warm hier und ich stellte mich vor den Kamin um meine Hände zu wärmen. Wie fange ich jetzt ein Gespräch an? Warum hatte ich ein schlechtes Gewissen? Verdammt noch mal!
„Alex, ich weiß, dir gefällt meine Einstellung nicht, was die Erziehung im Bezug auf den Verlust von Haustieren angeht. Es ist aber und das musst du zugeben, ein normaler Prozess im Leben. Auch unsere Kinder werden sich dem stellen müssen. Je früher, desto besser. Sie müssen sich dem stellen können und lernen damit umzugehen! Ich will sie nicht zu eiskalten Monstern erziehen, aber wenn es zu diesen Aufständen und dem späteren Krieg kommen wird, sollten sie mit solchen Dingen vertraut sein!“ für einen Moment sah ich ihn an, weil er im Grunde ja Recht hatte.

 

„Trotzdem! Florence ist noch zu jung, um das überhaupt zu begreifen. Warum musstest du ihr den toten Körper von Mina noch zeigen, war das auch zu Lehrzwecke? Das geht dann doch zu weit, finde ich.“ ich erinnerte mich an das Sezieren von Fröschen an unserer und auch Yannicks Schule. Für mein persönliches Empfinden, muss man mit so etwas nicht konfrontiert werden.
„Und wie hättest du es unserer Tochter erklärt, wenn SIE Mina gefunden hätte? Sie wäre dann sicherlich noch mehr erschrocken, weil die Katze einfach so draußen in den Büschen lag. Glaub mir, es ist besser so sie aufzuklären.“ Haytham hatte sich erhoben und kam zu mir herüber. „Lass uns den beiden bitte die Wahrheit über Leben und Tod erklären. Unsere Kinder können mehr verkraften als du annimmst. Sie wachsen nicht in deiner Zeit …“ plötzlich wurde ich bei diesem Ansatz wütend.
„Ach, du glaubst also, ich bin verweichlicht großgezogen worden? Immer noch gehst du davon aus, dass ich all das hier nicht einfach so wegstecken kann, wie ihr hier?“ fauchte ich ihn an.
„Herr Gott, Alex. Dreh mir doch nicht das Wort im Munde rum. Du selber hast gesagt, dass es friedlicher bei euch zuging und man nicht immer mit Kriegen, Verlusten und ähnlichen Ängsten wie das nackte Überleben konfrontiert war. Natürlich hast du deswegen eine andere Einstellung, dass spreche ich dir ja auch nicht ab. Bedenke aber, wir müssen wissen, dass die Kinder nicht gleich aufgeben, sobald sie mit solchen Dingen in Kontakt kommen.“ vorsichtig legten sich seine Arme um meine Taille.

 

„Oh man, ja ich weiß ja…“ seufzend legte ich meinen Kopf auf seine Brust. Ja, er hatte Recht. Es fiel mir aber auch nach 8 Jahren noch schwer mich an diese Gepflogenheiten zu gewöhnen. Auch ich würde mich bald einem Krieg stellen müssen, welcher uns die Angst lehren wird, alles zu verlieren.
Ein leises Glucksen war zu vernehmen.
„Ich finde deine Ausdrucksweise hin und wieder immer noch faszinierend.“ langsam hob er mein Kinn an und gab mir einen vorsichtigen Kuss. „Bitte, wir werden gemeinsam weiter zusammen wachsen und die Kinder ebenso. Hab auch du ein wenig mehr Vertrauen in mich in solchen Momenten!“
Stumm nickte ich und schmiegte mich in seine Arme. Meine Wut und die Trauer ebbten langsam ab und machten Platz für … eine unerwartete heftige Müdigkeit, welche mich herzhaft gähnen ließ.
„Wir sollten zu Bett gehen, mi sol. Der Wein hat dich wohl ein wenig müde werden lassen.“ er drehte mich Richtung Tür und gab mir einen Klaps auf den Po. „Verführerisch wenn du in deiner Nachtwäsche so vor mir hergehst.“ ich konnte seine dunklen Augen auf meinem Hintern regelrecht spüren.
„Du hast es aber erfasst, ich bin müde, mi amor. Das Bett ruft nach mir.“ kicherte ich leise.
Ich weiß noch, dass ich angekuschelt an meinen Mann einschlief und in einen traumlosen Schlaf glitt.

 

~~~ Silvester 1770/1771 ~~~

 

Gillehand Plantage

 

Das diesjährige Silvesterfest verbrachten wir bei unserem Advokaten, welcher mittlerweile zum Richter berufen worden war.
Wir konnten also auch darauf mit ihm anstoßen.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich so schnell hier Fuß fassen könnte.“ diesen Satz ließ er nicht nur einmal an diesem Abend verlauten!
​​​​​​„Wir gratulieren euch auch noch einmal zu dieser großen Leistung, Master Gillehand. Auf das ihr noch lange dieses Amt bekleiden werdet.“ wir erhoben die Gläser und ein einvernehmliches „Hört! Hört!“ kam von allen Gästen gleichzeitig.

Das kleine Feuerwerk bestaunten wir in diesem Jahr mit ein wenig Schnee. Odin sei Dank hatte es noch nicht zu heftig geschneit.

Plötzlich zupfte jemand an meinem Rock.
„Mama, das ist laut.“ jammernd stand Florence vor mir. Ich hob sie hoch und wir standen andächtig bei den anderen und bestaunten die bunten Lichter. Wie jedes Jahr fiel es mir schwer die Tränen zu unterdrücken. Es war doch ein Fluch mit dem Jahreswechsel.
„Bist du taurig?“ flüsterte meine Tochter in mein Ohr.
„Nein, eigentlich nicht. Aber es ist so schön, dass ihr alle bei mir seid. Manchmal weint man auch, wenn etwas sehr schön ist, weißt du min lille engel.“ in ihren Augen sah ich, dass sie überlegte, was ich meinen könnte.
„Mein kleiner Engel, du bist ja einfach wieder aufgestanden. Das war aber gefährlich, dass du alleine…“ Haytham konnte nicht weitersprechen, als ich auf Sophia deutete, welche etwas abseits stand und zu uns hinüber schaute. „Oh, ich verstehe.“
Gemeinsam gingen wir zu dem Kindermädchen um auch ihr ein frohes neues Jahr zu wünschen.
„Ich danke euch, Master Kenway, Mistress Kenway. Und ich möchte noch einmal sagen, dass ich sehr froh bin, für euch arbeiten zu können. Nicht wahr kleine Miss?“ lächelnd mit einem Glitzern in den Augen sah sie ihren Schützling an.
Florence jedoch gähnte herzhaft an meiner Schulter und war im Begriff einzuschlafen.
„Wir sind auch dankbar, euch diesen Posten gegeben zu haben.“ sprach ich leise, damit unsere Tochter gar nicht erst wieder munter wurde.
Die beiden gingen jetzt hinauf und ich sah ihnen lächelnd hinterher.
„Ohne Sophia oder Sybill wären wir oft aufgeschmissen, mi amor.“ mein Kopf lehnte an Haythams Seite.
„Die beiden sind Goldwert, mi sol.“ sein Kuss schmeckte nach dem gerade gereichten Champagner und ich kostete ihn ausgiebig.
Genauso wie ich meinen Mann entsprechend genoss in dieser Nacht.

 

Der Morgen war zu früh angebrochen für meinen Geschmack. Mein Kopf fühlte sich benebelt an, mein Mund war zugeklebt und mein Hintern fühlte sich sehr warm an.
„Guten Morgen, mi sol. Das neue Jahr wartet auf uns. Aufstehen!“ hörte ich meinen Templer neben mir freudig sagen.
„Das kann noch warten.“ nuschelte ich in die Kissen und drehte mich wieder um.
„Nein, das Frühstück ist sicherlich gleich fertig. Hopp!“ ein Klatschen seiner flachen Hand auf meinem Po war mein Stichwort.
„Bei Odin, sei doch nicht immer so gemein.“ ich pellte mich aus dem Bett und saß für einen Moment schweigend auf der Bettkante. „Wasser, ich brauche etwas zu trinken.“ auf dem Nachttisch hatte ich mir schon ein Glas zurechtgestellt. Auch wenn der Inhalt eiskalt geworden war über Nacht und damit meine Zähne klappern ließ.
„Gleich bekommst du heißen Kaffee, das versöhnt dich hoffentlich dann wieder.“ grinste mein Templer mich an.
Wir verbrachten noch zwei Stunden bei Master Gillehand, weil es doch noch geschneit hatte und die Kutschen entsprechend gerüstet werden sollten. Mit den Kindermädchen hatte ich Edward und Florence dick eingepackt und mich auch gleich mit. Nur Haytham schien mal wieder die Kälte nicht zu bemerken, er ließ es sich zumindest nichts anmerken.

 

Gerade als wir in unser Gefährt stiegen, hörte ich einen freudigen Schrei meiner Tochter.
„Da, eine Katze…“ in Windeseile hatte sie sie auf dem Schoß und streichelte sie.
Das Tier war nicht sehr groß und sah etwas verwildert aus. Dann bemerkte ich die tränenden Augen.
„Min lille engel, die Katze scheint einen Schnupfen zu haben. Lass sie lieber hier, damit Master Gillehand…“ entsetzt sahen mich grüne funkelnde Augen an.
„Nein, ich passe auf!“ es war jetzt an mir erstaunt zu schauen.
Haytham neben mir nickte mir zu.
„Versprich mir mein kleiner Engel, dass du wirklich auf sie aufpasst. Vielleicht kannst du ja bei Mrs Muller nach ein paar Kräutern fragen, damit sie wieder gesund wird.“ sein Blick glitt von der Katze, zu Florence und dann zu mir. Damit war ich einverstanden und nickte erleichtert, weil wir uns einig waren.
Den gesamten Weg über wurde das wuschelige Tier gestreichelt, bekam Geschichten zu hören oder man sang ihr vor.
Siehst du, ihre Trauer ist verflogen. Hörte ich Haytham in meinem Kopf.
Es ist schön zu sehen, dass sie wieder glücklich ist.
Sogar Edward ließ es sich nicht nehmen, die Mieze auch mal auf den Schoß zu nehmen und ausgiebig zu streicheln.

Kapitel 29

~~~ Ein neues Haustier ~~~

 

So begann unser 1771 glücklich, was mich unendlich beruhigte. Florence konnte wieder lächeln und verbrachte die nächsten Tage oft mit Mrs Muller, welche ich hatte rufen lassen.
„Dieser Katzenschnupfen ist sehr lästig für das arme Tier, aber ich denke, wir bekommen das schon wieder hin. Was meint ihr Miss Florence?“ Unsere Kräuterkundlerin war uns mehr als willkommen, weil sie für vieles, was auch ich nicht wusste, ein Mittel hatte. Sie alle halfen, wenn auch nicht so schnell wie die Medikamente in meiner Zeit.
Nach ungefähr drei Wochen ging es unserer neuen Mitbewohnerin wieder gut und erst jetzt fiel mir ein, dass sie ja auch einen Namen brauchte.
„Min lille engel, wie soll denn deine Katze jetzt heißen?“ fragte ich eines Morgens nach dem Frühstück, als sich das Fellknäuel hier im Wintergarten vor dem Kamin zusammengerollte hatte.
Für einen Moment herrschte Stille. Ihr Blick ging zu der schlummernden Katze, dann wieder zu mir.
„Ida, Mama.“ flüsterte meine Tochter.
„Der ist schön, wie kommst du darauf?“ Aber meine Frage wurde nicht beantwortet, sondern Florence schlängelte sich von meinem Schoß und legte sich neben Ida.
Vermutlich werde ich nie eine Erklärung bekommen.
Lächelnd und zufrieden ließ ich die beiden alleine und ging hinauf in mein Arbeitszimmer.
Es war in letzter Zeit einiges liegen geblieben, wie ich mir frustriert eingestehen musste.

 

Am späten Nachmittag, es war schon wieder fast dunkel, traf ein Bote ein mit einer eiligen Nachricht aus Davenport.
Mein Herz setzte für einen Moment aus, weil ich schlechte Kunde befürchtete.
„Nein, es ist nichts passiert, mi sol. Du kannst beruhigt sein.“ aber auch in Haythams Stimme klang Erleichterung mit. „Connor warnt uns, Hickey noch weiter zu unterstützen. Er hat von einem Informanten erfahren, dass er seinen Schmuggel und die Schwarzmarktgeschäfte gefährlich weit ausgedehnt zu haben scheint. Die Briten sind hinter ihm her, aber auch die Soldaten der kontinental Armee. Verdammt noch mal, dieser Mann entwickelt sich, neben Charles, zu einer Plage! Ich kann ihn schlecht beschützen. Seine Geschäfte haben mit mir und dem Orden im Grunde nichts zu tun, sie dienen ja lediglich dazu Informationen zu beschaffen.“ er war ins Grübeln verfallen bei diesen Worten.
Wenn ich mich nicht täuschte, würde Thomas in 5 Jahren am Galgen landen wegen Schmuggelhandel, Geldfälscherei und Verrat.
„So lange kann ich ihn aber nicht vor der Justiz schützen!“ da hatte er Recht, also musste er Thomas vorerst sich selbst überlassen. „Ich werde nach New York reiten und ihn auch noch einmal persönlich warnen! Vielleicht kommt er ja doch noch zur Vernunft.“
Mein abfälliges Lachen blieb nicht unbemerkt.
„Ich weiß, du magst ihn nicht, aber das war unangebracht.“
„Er wird nicht auf dich hören, Haytham. Er wiegt sich in Sicherheit, glaub mir. Seine Leute sind um ihn herum und halten das Schlimmste von ihm fern. Lass ihn machen, er reitet sich selber in die Sch… entschuldige. Außerdem… wird Connor noch dafür sorgen, dass er seine gerechte Strafe bekommt.“ In kurzen Worten schilderte ich noch einmal, was später passieren würde.
„Das gefällt mir auch nicht wirklich.“ seufzte er als er bemerkte, dass er kaum eine andere Wahl hatte. „Gut, ich werde Achilles und Connor schreiben, dass sie Hickey ebenso noch im Auge behalten sollen. Sollte es zu größeren Katastrophen kommen, dann schreiten wir ein.“

 

~~~ Mai 1771 ~~~

 

Mein Geburtstag fiel dieses Jahr auf einen warmen sonnigen Tag und wir genossen gutes Essen und guten Wein auf der Terrasse. Elias war mit Gattin erschienen und sogar Jennifer hatte es rechtzeitig geschafft uns besuchen zu kommen.

 

Elias war aber nicht nur mit guten Neuigkeiten erschienen, auch Jennifer berichtete nichts gutes aus England.
Wir bekamen hier den Unmut der Kolonisten immer mehr zu spüren, die Steuern waren, wenn man sie nicht geschickt umgehen konnte, eine Farce! Steuern auf ALLES was zum Beispiel auch den täglichen Bedarf anging. Ob wir ihn nun nach Europa verschifften oder wir hier etwas kauften, was aus Britannien kam. Ganz zu schweigen von der für mich immer noch absonderlichen Steuer auf Druckerzeugnisse!
Mittlerweile hallte die Parole der aufgebrachten Kolonisten „No taxation without represantation“ (Keine Steuer ohne politische Mitwirkung) durch die Straßen der Städte.
Von einigen Freunden in New York hatten wir erfahren, dass man ihnen auferlegt hatte, britische Soldaten bei sich aufzunehmen, weil in den Garnisonen nicht ausreichend Platz sei und sie in ihrer Pflicht als britische Bürger dazu verpflichtet seien.
„Ich verstehe das einfach nicht! Es sind ja noch nicht einmal nur Briten dort, sondern auch Deutsche oder Italiener. Wie kann man bitte auch von denen solche Gelder erpressen?“ hakte ich mal wieder nach, auch wenn mir niemand darauf eine befriedigende Antwort geben konnte.

 

„Der Aufstand wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.“ warf Elias seufzend ein. „Auch ihr müsst euch hier weiter darauf vorbereiten. Die Schlachten werden nicht immer so weit entfernt ausgefochten. Aber das weißt du ja, mein Kind.“ sein Blick war betrübt, weil auch in Philadelphia nicht alles zum Besten bestellt war. Dort brodelte es auch hier und da und die Wut der Bürger war deutlich zu spüren.
„Die Söhne der Freiheit sollten in naher Zukunft aktiver werden. Wir brauchen eine Armee und keine Bauern die sich selbst verteidigen müssen.“ Haytham kannte meine Ausführungen über den Unabhängigkeitskrieg und hatte sich, zu meinem Leidwesen, einige Male mit Lee getroffen um ihn in die neu einberufene Kontinental-Armee einzuschleusen. Er selber hatte einige Versammlungen des Kongresses mittlerweile besucht um sich ein Bild von den Fortschritten zu machen.
„Daniel und ich haben uns aus einigen Kreisen bereits zurück gezogen und versuchen möglichst unsichtbar zu bleiben. Wir haben von einigen Inhaftierungen gehört, welche einfach nur auf einen Verdacht fußen. Man könnte meinen, King George hätte den Verstand verloren allmählich.“ Jennifer sah mich kopfschüttelnd an. Im Grunde war es so, dass der König – verzeiht den Ausdruck – aber nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. Und das war nur der Anfang seiner geistigen Umnachtung!

 

Ein paar Tage später setzten wir uns alle mit einem Architekten zusammen um ein neues Projekt hier auf der Plantage in die Tat umzusetzen.
Wir wollten in die Tiefe bauen! Unsere geldlichen Möglichkeiten waren solide und so konnten wir entsprechende Pläne ausarbeiten. Im Grunde wäre es ein großangelegter Keller, welcher sich nicht direkt unter dem Haupthaus sondern etwas weiter weg in der Nähe der Felder für den Eigenbedarf befand. Der Eingang sollte von einem der Lagerhäuser am Fluss aus zugänglich sein, ein weiterer würde in unserem hiesigen Keller liegen und der dritte dann unscheinbar in einem Schuppen in der Nähe des Feldes. Dort lagerten Werkzeuge und Handwerkszeug für die Bauern.
Nach 5 Tagen stand ein erster Plan.
„Diese Ausmaße sind aber nicht innerhalb von ein paar Wochen zu schaffen, Master Kenway.“ gab der Architekt zu bedenken. „Wir werden einige Monate brauchen befürchte ich. Ihr solltet mit mindestens 5 Monaten rechnen. Dabei gehe ich von guten Wetter- und Untergrundbedingungen aus.“
„Ich hatte tatsächlich mit einem Jahr gerechnet.“ wir hatten wirklich in größeren zeitlichen Dimensionen gedacht. Umso erleichterter konnten wir mit der neuen Berechnung sein.
„Und jetzt weiß ich auch, wer diese Tunnel und Lagerräume hier errichtet hatte.“ lächelte ich die Umstehenden Personen an, sie alle, sogar der Architekt, waren über meine Zeitreisen informiert. „Dieses Portal in der Zukunft ist nämlich genau dort unten.“ Diese Erinnerung der Dame damals im Gefängnis erschien vor meinem inneren Auge.

 

Somit beschlossen wir mit dem Bau bald möglichst zu beginnen und stießen auf dieses große Vorhaben noch an.
In 3 Wochen sollten die Bauarbeiter anrücken und ihre Arbeit aufnehmen. Der Architekt selber wird in der ganzen Zeit ebenfalls hier wohnen. Platz war zu genüge da, versicherte ich dem Herren immer wieder, welcher sich schon in den Arbeiterquartieren einrichten wollte.

 

~~~ Lasst den Bau beginnen ~~~

 

Pünktlich Anfang Juni erschienen alle hier und begannen mit den ersten Spatenstichen. Gebannt sah ich eine Weile zu, weil ich es überaus interessant fand, wie man mit diesen einfachen Mitteln solche „Wunder“ bewirken konnte.
Natürlich war es harte körperliche Arbeit, keine Frage und die Männer auf der hiesigen Baustelle mussten bei guter körperlicher Gesundheit sein. Aber ich sah, dass man tüchtige Herren gefunden hatte und – das war mir und Haytham am wichtigsten gewesen – KEINE Sklaven! Es gab Italiener, Deutsche, Spanier und auch Franzosen. Diese hatten sich von ihrem Militärdienst losgesagt, weil sie keinen Sinn im Krieg sahen. Leider wurden die Männer am Anfang trotzdem schief angesehen, das legte sich aber nach den ersten gemeinsamen Tagen.
Über William Johnson hatten wir noch vertrauenswürdige Briten anheuern können, welche im wahrsten Sinne des Wortes, vor Haytham und mir einen Eid ablegen mussten, Stillschweigen zu bewahren und nicht bei der erst besten Gelegenheit ihrem König von solchen Geheimaktionen zu berichten.
„Wir haben kein Interesse an den ungerechten Machenschaften unseres Königs. Wir können unseren Lebensunterhalt kaum bestreiten aufgrund der Steuern. Meine Frau und meine Kinder haben oft nichts zu essen, weil wir es uns einfach nicht leisten können. Aber jetzt kann ich ihnen immer etwas Geld schicken.“ der Herr verbeugte sich tief und in seinen Augen sah man die Aufrichtigkeit seiner Worte.

 

Um die Gänge im Untergrund zu stützen wurden zunächst Holzbalken verwendet und wenn ein gewisser Abschnitt fertig gestellt war, wurde der Bereich mit Backsteinen ausgekleidet.
Die erste Lieferung Mitte Juli kam auch unbeschadet hier bei uns an aus Boston. Der Kapitän des Handelsschiffes jedoch betonte, dass diese Menge an Steinen bereits für Aufsehen gesorgt hatte.
„Mistress Kenway, ich schlage vor, ihr solltet in unregelmäßigen Abständen kleinere Menge in Auftrag geben, auch wenn dadurch ein Verzug im Bau entsteht. Leider erregt ihr so die Aufmerksamkeit einiger königstreuer Bürger und Soldaten, die im Hafen zum Beispiel Patrouille laufen.“ sein Blick glitt auch zu meinem Mann.
„Wir werden wohl nicht drumherum kommen, nehme ich an.“ seufzte mein Templer und setzte sich an dem Abend gleich noch einmal mit dem Architekten zusammen.
Mindestens 2 weitere Monate würden ins Land gehen, bis alles fertig wäre. Trotzdem war dies kein Weltuntergang, denn schließlich hatten wir keinen echten Zeitdruck. Wir machten ihn uns selber.

 

Somit kamen häufiger kleine Mengen hier an, abwechselnd über Land und Fluss. Wir sorgten außerdem dafür, dass nie dieselben Lieferanten und Händler involviert waren! Kein leichtes Unterfangen und dieser Bau beanspruchte einen Großteil unserer Zeit.
Leider litten die Kinder darunter, die immer wieder zu kurz kamen. Mein schlechtes Gewissen versuchte ich zu beruhigen, indem ich mir mit Haytham einen Tag in der Woche nahm, an dem wir etwas mit den beiden unternehmen konnten.
„Mi sol, das passt mir aber gerade nicht in den Zeitplan. Ich muss noch …“ mein hochgezogene Augenbraue sollte reichen, ihn an seine Pflichten als Vater zu erinnern. „Schon gut, ich habe verstanden.“ hörte ich etwa Trotz in seiner Stimme?
„Die beiden brauchen aber diese Momente mit uns. Wir haben so wenig Gelegenheiten derzeit mit ihnen etwas zu unternehmen. Und sieh, es ist ein Tag. Danach kannst du gerne wieder zu den Maulwürfen gehen.“ Wir hatten den Männer unter Tage diesen Namen gegeben, damit auch die Kinder wussten, was hier eigentlich passierte. Haytham ließ es sich nämlich nicht nehmen regelmäßig dort nach dem Rechten zu sehen.
Heute also, es war der 25. August, trafen wir uns beim Versammlungshaus erst zur Andacht und danach sollte noch ein Barbecue stattfinden. Heute ruhten auch die Arbeiten an den unterirdischen Räumen, in Folge dessen war kaum noch ein Sitzplatz zu bekommen, was aber Mr. Hathaway nicht davon abhielt seine einstündige Ansprache zu halten.
Mein Blick glitt über die ganzen Menschen um mich herum, während wir gemeinsam um die Feuer saßen. So viele unterschiedliche Sprachen und Religionen trafen hier auf einander, aber man verstand sich auch ohne vieler Worte hatte ich den Eindruck.
Gegen Mitternacht machten Haytham und ich uns auch auf den Weg zurück, die Kinder waren schon früher mit ihren Kindermädchen nach Hause gefahren.

 

Im Bett lag ich noch eine Weile wach und sinnierte über die neuen Fortschritte.
„Mi sol, versuch jetzt zu schlafen.“ flüsterte er in meine Haare, während er mich zu sich zog.
„Das sagst du so einfach. Es ist ein großartiges Gefühl, dass wir etwas vorantreiben und erreichen können. Nicht nur für uns, sondern auch für andere.“ sprach ich leise, als ich an ihn gekuschelt war.
„Ich hoffe immer noch, dass es auch reichen wird.“ ich hörte diese Skepsis in seiner Stimme.
„Es wird nie genug sein, mi amor. Leider. Aber tatenlos herumsitzen wäre noch schlimmer.“ so langsam überkam mich jetzt die Müdigkeit und ich schlang mich um meinen Templer.
„Das könnte ich auch gar nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, mi sol.“ er hauchte mir noch einen Kuss auf die Stirn und langsam glitten wir in unseren Schlaf.

Kapitel 30

~~~ Unglück auf der Baustelle ~~~

 

In der Nacht des 29. Septembers hatte es ein heftiges Unwetter gegeben und einige Bereiche unseres Tunnelsystems standen unter Wasser. Teilweise waren Gänge etwas abschüssig und somit staute sich das Wasser entsprechend.
​​​Am Mittag des darauffolgenden Tages spürte man eine leichte Erschütterung der Erde und für einen kurzen Moment hatte ich die Befürchtung ein Erdbeben würde sich ankündigen. Doch die Entwarnung kam kurz darauf durch einen Vorarbeiter.
„Master Kenway! Master Kenway!“ rief er, als er auch schon ohne auf Einlass zu warten, in das Arbeitszimmer meines Mannes stürzte. „Es gab heftige Wassereinbrüche, die die Wände aufgeweicht haben und dadurch sind mehrere Gänge eingestürzt!“ rief er und gestikulierte heftig mit den Armen.
„Bei Gott! Gibt es Tote und Verletzte?“ dabei hatte sich Haytham bereits erhoben und seinen Gehrock gegriffen.
„Sir, wir versuchen in diese Sektionen zu gelangen, aber die Erdmassen sind vollgesogen und nur schwer beiseite zu schaffen. Wir arbeiten daran!“ beide Herren eilten jetzt nach draußen und ich folgte ohne Worte!
Die Angst, dass es Tote bei diesem Unterfangen gab, brachte mir eine Gänsehaut.

 

Bei der Unfallstelle oder besser beim Ort des Geschehens angekommen, stieg mein Templer mit dem Vorarbeiter hinunter und hieß mich, oben zu warten. Verdammte Axt! Ich hatte natürlich – nur – ein Kleid an, damit wäre ich kaum eine Hilfe.
Ich sah mich hier bei den Umstehenden Damen und Herren um. Einige Frauen lehnte weinend an der Schulter einer anderen oder weinten hemmungslos.
Es waren natürlich deren Ehemänner und auch einige Söhne dort unten am Arbeiten und nicht mehr heraufgekommen. Ihre Angst, dass sie sie vor wenigen Stunden das letzte Mal gesehen haben, ließ mich zittern.
Einer der Tunnelgräber, welcher nass und voller Schlamm bedeckt, ebenfalls hier stand sah ebenfalls ängstlich zum Eingang. Ich nahm mir ein Herz und sprach ihn an.
„Sir, sind dort eure Kameraden gefangen?“ fragte ich leise.
„Mistress Kenway, es war… wir waren gerade dabei einen neuen Abschnitt zu beginnen. Die Balken waren fest verankert und wir waren uns sicher, dass wir nun fortfahren könnten. Doch als wir noch einmal zurück wollten um neue Laternen und Werkzeuge zu holen, brach auf halber Strecke plötzlich die Decke ein. Ich konnte mich mit Witczek gerade noch hier nach draußen retten, aber die anderen wurden unter dem Schlamm begraben…“ er zitterte am ganzen Körper bei der Erzählung.
Sie taten ihr bestes, sogar mit bloßen Händen, ihre Kameraden zu befreien. Aber immer wieder gab es kleinere Erdrutsche und sie mussten sich weiter zurück ziehen. Keine Stimmen waren dort zu vernehmen, keine grabenden Geräusche.
„Es war plötzlich totenstill dort unten…“ kam es heiser aus seinem Mund.

 

„Wir brauchen hier unten mehr Licht und mehr Schubkarren, Eimer und Schaufeln!“ rief mit einem Mal mein Mann, der wieder an der Oberfläche erschienen war.
„Hast du etwas gehört, Haytham? Leben sie noch?“ mir stiegen die Tränen in die Augen, weil ich nicht wahrhaben wollte, dass hier Menschen bei lebendigem Leib begraben worden waren. Und das nur, damit WIR hier unentdeckt bleiben konnten!
„Leider nicht, aber ich konnte … Lebenszeichen ausmachen.“ flüsterte er mir nur zu. Auren nutzte er nicht, weil er befürchtete, dass auch andere uns hörten.
„Wirklich?“ etwas erleichterter atmeten ich aus.
„Nur schwach, aber sie sind da. Es müssen an die 12 Personen sein…“ Haytham ging an mir vorbei zu dem Herren, mit dem ich gerade gesprochen hatte und berichtete von seinen ersten Eindrücken.
Als dieser diese Nachricht hörte, sah man, dass er mit neuem Eifer den anderen Helfern zur Hand ging. Das war die Motivation, die gefehlt hatte.

 

Die Stunden vergingen und Unmengen an Erde wurde heraus geschafft, oder aber in andere kleinere Abschnitte umgelagert.
Mittlerweile hatte man Fackeln und Decken organisiert, auch einige Lagerfeuer waren entfacht worden um die Überlebenden gleich wärmen zu können. Die Temperaturen waren seit einigen Tagen in den Keller gegangen, was eigentlich eher ungewöhnlich für September war.
Mehrere Frauen hatten Essen herangeschafft und es wurde ein Schichtplan fürs Graben aufgestellt.
Länger als 4 Stunden sollte niemand dort unten schuften, weil auch mittlerweile die Luftzufuhr nicht mehr die Beste dort war. Noch gab es keine kleineren Entlüftungsschächte wie in den ausgebauten Tunneln.

 

Um 2 Uhr nachts endlich hörte man freudige Schreie und zwei Träger brachten einen Arbeiter herauf! Er war über und über mit Schlamm bedeckt, regte sich aber, wenn auch recht fahrig und langsam.
Sofort war eine Frau mit 2 Kindern an seiner Seite und kniete neben ihm nieder. Betend dankte sie Gott für die Rettung ihres geliebten Gatten. Auch ich war mehr erleichtert, dass der erste geborgen worden war.
Immer noch hegte ich die Hoffnung, dass auch alle anderen lebend bei ihren Familien ankamen!
Nach und nach brachte man immer weitere Herren hier an die Lagerfeuer. Alle, wie es schien, am Leben, wenn auch sehr sehr schwach. Unser Arzt und Dr. Ambrosch – welcher eigentlich bereits im Ruhestand war – nahmen sich ihrer an und taten ihr bestes, sie wieder auf die Beine zu bringen. Auch Mrs Muller war mit dabei!

 

Um 7 Uhr in der Früh, es waren mittlerweile 8 Tunnelgräber lebend hier oben, traten die Helfer durch den Eingang heraus und trugen zwei leblose Körper über ihren Schultern. Vorsichtig legten sie Toten auf die vorbereiteten Decken und bedeckten sie mit einer weiteren.
Mit einem Male hörte man ein herzzerreißendes Schluchzen aus den Reihen der Anwesenden, als die Ehefrauen registrierten, dass es sich um ihre eigenen Gatten handelten.
Mir brach wirklich das Herz in diesem Moment. Wie würde ich in so einer Situation reagieren, wenn Haytham so vor mir liegen würde? In meinem Kopf tauchten entsprechende Bilder auf, die ich einfach nicht loswurde. Hektisch sah ich mich nach ihm um, sah ihn hier aber nicht.
„Wo ist Master Kenway?“ rief ich in die Runde, doch alle schüttelten nur unwissend den Kopf.
Er hat sich für diese Männer geopfert, Schätzchen! Nur damit du deinen perfiden Plan des Schmuggelns aufrecht erhalten kannst. Sieh nur, was du angerichtet hast! Die Toten werden sich an dir rächen! Sie werden dich Nacht für Nacht heimsuchen und du kannst nichts dagegen tun!“ hörte ich die mir so vertraute Stimme von Hrymr plötzlich in meinem Kopf. Sein Lachen schüttelte mich!

 

„Mistress Kenway! So wacht doch auf! Es ist alles in Ordnung!“ jemand rüttelte an mir und plötzlich spürte ich eine flache Hand auf meiner Wange.
„Was fällt euch ein…“ fauchte ich und sah in die Augen von Dr. Ambrosch.
„Verzeiht, aber ihr wolltet schon dort in den Tunnel hinabsteigen! Ich musste euch aufhalten!“ rief er mir immer noch aufgeregt zu.

 

„Warum sollte ich das tun…?“ fragte ich immer noch völlig benebelt.
„Ihr, also… ihr seid erneut schlafgewandelt. Etwas oder Jemand schien euch zu sagen, dass ihr dort hinunter gehen sollt. Ihr habt immer wieder nach eurem Gatten gerufen.“ erklärte mir der Arzt jetzt in einem etwas ruhigerem Ton. „Ihr hattet wohl einen Albtraum, Mistress Kenway. Master Kenway ist wohlauf, bis auf ein paar Schürfwunden und einer verstauchten Hand.“ jetzt klang er entschuldigend.
„Sind alle Bauarbeiter geborgen worden? Leben sie noch?“ ich hörte meine eigene Stimme kaum, aus Angst, dass ich etwas falsches sagen oder fragen könnte.
„Nein, leider sind 5 der Herren ums Leben gekommen. Ertrunken oder erstickt.“ sein Blick ging Richtung des mittlerweile 3. Lagerfeuers, wo sich im Morgengrauen die abgedeckten toten Körper befanden.
„Bei Odin! Das wollte ich nicht.“ ich brachte kaum einen Ton heraus. Es war wirklich alles meine Schuld.
Natürlich ist es deine Schuld, du dumme Gans. Warum wolltest du mich auch so hintergehen Hrymrs Stimme klang so fies, dass es mich erneut schüttelte.
Du hast es nicht anders verdient! Niemals wirst du deinen Willen, deinen Wunsch und dein Ziel erreichen und durchsetzen können! Voller Wut hallten meine eigene Worte in meinem Kopf wider.

 

Langsam beruhigte ich mich, die Barriere stand wieder wie eine Stahlbetonwand und ich richtete mich auf.
„Dr. Ambrosch, bitte sagt mir wo mein Mann ist.“ bat ich ihn leise.
„Er sitzt dort bei den Überlebenden und bespricht sich mit ihnen wegen der anstehenden Begräbnisse.“ der Arzt bot mir seine Hand und half mir auf. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich auf dem kalten feuchten Boden hockte.
Ängstlich schritt ich an den Verstorbenen vorbei zu meinem Templer. Der saß mit einer Schlinge um Arm und Schulter am Feuer und sprach leise mit den Männer. Als er mich bemerkte, lächelte er mich an, sodass ich wusste, es ging ihm den Umständen entsprechend gut.
„Wir werden eine Messe für alle Toten halten und ich werde für eine entsprechende …“ für einen kurzen Moment zögerte Haytham. Weil eine geldliche Entschädigung niemals ausreichen sein würde, geschweige denn akzeptiert werden würde.
„Sir, die Frauen haben ihre Ehemänner verloren. Sie brauchen Schutz und weiterhin ein Dach über dem Kopf. Ich schlage vor, wir suchen ihnen entsprechende Anstellungen auf den umliegenden Plantagen. Oder vielleicht können sie auch hier selber mit Hand anlegen.“ Einer der Überlebenden sprach für seine anderen Kollegen und die Angehörigen.
„Das sollten wir tun und ich werde mich umgehend darum kümmern. Seid versichert, dass ich auch entsprechende Vorsichtsmaßnahmen beim Bau der Tunnel ausarbeiten werde.“ seine Stimme hatte den üblichen autoritären Ton des Templergroßmeisters angenommen.
„Ich danke euch, Master Kenway.“ fürs erste war damit das Thema abgehakt und man konnte die Verletzten jetzt entsprechend weiterbehandeln.
Mr Hathaway war mittlerweile auch erschienen und sprach ein paar tröstende Worte für die trauernden Familienangehörigen.

 

Langsam zerstreuten sich die Menschen und die eigentlichen Schichten wurden fortgeführt. Noch galt es, die eingestürzten Bereiche wieder zu sichern, dass eingebrochene Wasser abzupumpen und die Schlammmassen zu entsorgen. Die nächsten Tage würden zeigen, wie weit wir mit unserem Unterfangen noch kommen konnten.
„Haytham, Hrymr scheint sich eingemischt zu haben.“ flüsterte ich, als wir auf dem Weg nach Hause waren.
„Dieser Gott hat mich auch versucht zu verunsichern. Ich habe mit zwei Männern gesprochen, die schwören eine leuchtende Gestalt kurz vor dem Unglück gesehen zu haben. Er manipuliert also nicht nur den Geist, sondern auch materielle Dinge!“ zum ersten Mal sah ich echte Angst in seinen grauen Augen.
„Also muss auch hier eine Wand gegen ihn errichtet werden? Aber wie sollen wir das auch noch schaffen? Denk an London, wo die Barriere auch nur temporär war und wir mit weltlichen Mitteln zusätzlich nachhelfen mussten. Im Untergrund HIER ist das kaum möglich! Wir können keine Sicherheit garantieren!“ frustriert stieß ich die Luft aus. Wie gerne würde ich jetzt einfach entsprechende Sicherungen einbauen! Aber ich musste mich auf die hiesigen Mittel beschränken und berufen! DAS war nicht viel!
„Erinnerst du dich noch an deine Aufzeichnungen im Fort George? Daran dass du diese Cherubs angesprochen hattest? Gäbe es nicht die Möglichkeit solcher Begleiter, die sich unsichtbar dort umherbewegen können und entsprechend Rückmeldung geben könnten? Es wäre ja auch nur während des eigentlichen Baus.“ er erinnerte sich an meine Recherchen damals!
„Das könnte funktionieren, aber… sie sind eine Art Schutzengel der christlichen Menschen. Das bin ich nicht…“ etwas verunsichert sah ich ihn an.

 

Gerade als wir in Haythams Arbeitszimmer getreten waren und die Türe hinter uns geschlossen hatten, traten meine Götter hervor.
„Wir können sicher noch ein paar Rekruten entbehren, Kind. Trotzdem müsst ihr immer auf der Hut sein. Ihr ward, nunja, etwas nachlässig in letzter Zeit!“ Bei … okay… ich sag es nicht!
„Aber es ist einfach anstrengend und ab und an habe ich das Gefühl, als bräuchte mein Kopf einfach mal eine Pause…“ jammerte ich Odin an.
„Na und? Glaubst du, mir gefällt es IMMER auf dich achten zu müssen? Weißt du eigentlich wie anstrengend DAS ist!“ donnerte er seine Worte entgegen.
„Woher soll ich das wissen, ich bin kein Gott…“ platzte es aus mir heraus!
„Hör mir gut zu! Wir sind mit dir noch lange nicht am Ziel, aber reiß dich zusammen! Niemand hat gesagt, es wird ein Kindergeburtstag und du kannst dich bei jeder Gelegenheit ausruhen! Du hast deine Ruhephasen und das weißt du. Nutze sie weise, dann kannst du auch entsprechende Kraft daraus ziehen. Haytham, sieh nicht so abwertend! Auch DU musst es nutzen können.“ etwas irritiert sah ich zu meinem Templer, welcher ebenfalls erstaunt in Richtung des Allvaters ah.
„Selbstverständlich werde ich das tun. Dennoch ist es nicht so einfach, solche Katastrophen vorherzusehen.“ damit hatte er Recht.
„Man muss auch mit dem Unvorhergesehenen rechnen!“ fauchte Heimdall uns an. „Dann werde ich wohl mal wieder eine extra Trainingseinheit für euch einplanen. Aber nicht mehr heute!“
Für einen kurzen Moment hatte ich diesen absurden Gedanken, dass ich doch eigentlich die Zukunft kannte. Ich wusste, was passieren würde… aber im selben Moment wurde mir klar, dass ich DIESE Momente noch nicht kannte. Sie waren in keinem Geschichtsbuch verzeichnet, niemand hatte sie in einem Tagebuch oder Bericht verfasst.

 

Wir schrieben gerade ein kleines Stück Geschichte selber dazu!

 

Kapitel 31

~~~ 1771 / 1772 ~~~

 

Im November mussten wir mit dem Bau pausieren, weil der Boden immer weiter gefror und ich keine weiteren Unglücke wie Lungenentzündungen durch die Kälte heraufbeschwören wollte.
Aber der Fortschritt war beachtlich.
Es fehlten – nur – noch zwei längere Gänge Richtung Fluss und einer hinauf zu den neu geplanten Weinanbau-Abschnitten.
Ja, ihr habt richtig gelesen. Es war hier möglich eben diesen anzubauen und zu kultivieren. Der Vorschlag kam von meinem Templer selber, als er sich mit einem Geschäftspartner für die Tabaklieferung eines Abends unterhielt.
„Master Kenway, glaubt mir. Gerade hier in den kleineren Hügeln ist der Boden hervorragend für dieses Unterfangen geeignet. Ich kenne mich ein wenig mit dem Weinanbau aus und stelle mich gerne für weitere Fragen oder auch Hilfe zur Verfügung.“
Und so begab es sich, dass wir uns mit diesem Thema auch begannen zu befassen. Natürlich vorerst nur in einem kleinen Rahmen um zu schauen, wie gut unsere Früchte gedeihen und wie das Endresultat dann schmeckt.
Ich war gespannt und musste mal wieder meiner Geduld eine Lehrstunde erteilen.

 

Die Geburtstage von Haytham und Edward standen an, als es gerade begonnen hatte zu schneien.
Unser kleiner Lausebengel wurde jetzt schon 8 Jahre alt! Die Zeit ist wie im Fluge vergangen!
„Und vergiss nicht, dass wir 9 Jahre verheiratet sind.“ raunte mir mein Gatte am Morgen seines Ehrentages seufzend ins Ohr, als sich seine Muskeln langsam wieder beruhigten. Er hatte es sich nach dieser doch recht langen Abstinenz verdient, auch wenn wir uns ab und an einen kurzen Moment in seinem oder meinem Arbeitszimmer nahmen.
Wir hatten diese kleine Zweisamkeit im Schlafzimmer in den letzten Wochen kaum gehabt, weil Florence des öfteren bei uns geschlafen hatte. Immer wieder plagten sie Albträume in denen sie von einem hohen Berg fiel oder ein „böser“ Mann sie in eine Kiste sperrt.
Mir stellten sich bei diesen Schilderungen immer die Nackenhaare auf. Aber ich konnte nie den Ursprung herauszufinden, ob es wirklich Hrymr war oder ob Edward mal wieder Gruselgeschichten mit ihr teilte.

 

Haytham hielt sein Wort und heute sollte unser Sohn sein erstes echtes Schwert bekommen. Wir hatten es damals in New Orleans erstanden, als ich noch schwanger war.
„Ich freue mich darauf und bin gespannt auf seine Reaktion, mi sol. Wenn ich an meinen 8. Geburtstag denke…“ plötzlich glitt sein Blick an mir vorbei und ich spürte die Präsenz Edward Seniors im Raum.
„Du führst eine Tradition weiter, mein Sohn. Das freut mich. Ich hoffe auch, dass mein Enkel sich über dieses Geschenk freuen wird. Aber denke daran es sicher zu verwahren, dass er nicht so leicht daran kommt. Er ist clever, Haytham! Genau wie du auch. Ja, ich weiß, dass DU wusstest wie du das Fach öffnen kannst.“ dieses wissende Grinsen konnten nur Eltern an den Tag legen!
„Aber ich bin nur ein einziges Mal…“ mehr sagte mein Mann nicht. Ich sah, wie er leicht rot wurde im Gesicht. Immer noch hatte er großen Respekt vor seinem Vater, auch wenn dieser ihn schlecht jetzt noch bestrafen könnte.
„Natürlich kann ich das auch heute noch tun, Alex.“ lachte er, als er langsam in diesem Nebel wieder verschwand.

 

Nach dem Frühstück bat Haytham unseren Sohn hier im Wintergarten vor dem Kamin zu warten.
„Mama, was bekomme ich denn? Bitte, sag es mir. Ich habe schon die ganze Nacht gewartet!“ bettelte klein Kenway zappelnd.
„Nein, ich sage noch nichts. Gedulde dich noch für ein paar Minuten.“ ermahnte ich ihn leise.
„Ich will auch Geschenke.“ schmollte jetzt Florence. Natürlich wollte sie das, aber heute war ja nicht ihr Ehrentag.
„Du hast schon im Sommer was bekommen. Jetzt bin ich dran!“ dabei streckte Edward ihr die Zunge heraus, genau in dem Moment, wo Haytham im Raum erschien.
„Edward! Was soll das?“ mein Templer verbarg den Kasten mit dem Schwert hinter seinem Rücken und sah ihn böse an.
„Verzeihung Vater.“ flüsterte unser Sohn mit gesenktem Kopf.
Seufzend setzte sich Haytham neben mich.
„Ob du das Geschenk jetzt noch verdient hast? Ich weiß ja nicht…“ dabei sah er mit einem leichten Grinsen und hochgezogener Augenbraue in meine Richtung.
„Oh, das weiß ich nicht, mi amor. Das musst du jetzt entscheiden.“ wir sahen uns weiter an und ich spürte die immer größer werdende Ungeduld von unserem Sohn.
Aber er sagte nichts, sondern atmete konzentriert ein und aus. Eine Lektion welche ich ihm beigebracht habe um seine Wut oder wie in diesem Falle nicht vorhandene Geduld zu zügeln.
„Hmmmm, ich glaube, ich werde es bis heute Abend hier auf den Tisch legen und darüber nachdenken, ob es wirklich schon an der Zeit ist.“ damit legte er den Kasten dorthin und lehnte sich grinsend zurück.

 

Mit großen Augen sah Edward von einem zum anderen, sagte aber immer noch nichts. Nur sein Mund öffnete und schloss sich immer wieder wie bei einem Karpfen. Dieser kleine Junge zügelte gerade seine gesamten Emotionen und seinen Körper! Es war sehr faszinierend wie weit er doch mittlerweile durch das ganze Training war.
Die Minuten vergingen wie in Zeitlupe bis Haytham sich erbarmte und endlich das Geschenk herüber reichte.
„Herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag, Edward!“ Bei Odin, so schnell habe ich noch nie jemanden eine Verpackung öffnen sehen.
Als unser Sohn den Deckel anhob hörten wir einen Ohrenbetäubenden Freudesschrei!
„Jaaaaaaaaaaaaaaaaaa!!! Ich hab ein Schwert! Ein ECHTES SCHWERT!!!!“ Aber er riss es nicht hoch, sondern holte es vorsichtig heraus und hielt es staunend in den Händen.
Mit Bedacht legte er es zurück und kam eilig auf uns zu.
„DANKE!“ mittlerweile brauchte ich mich gar nicht mehr hinknien, er reichte mir bereits zur Brust. Wir nahmen ihn in den Arm und er drückte uns!
„Hol es noch einmal heraus, Edward.“ bat mein Mann leise.
Mit dem Schwert stand er wartend vor uns.
„Du wirst darauf achten, es pflegen und erwische ich dich, dass du es ohne meine Erlaubnis in die Hand nimmst und damit herum spielst, dann schließe ich es bis du volljährig bist weg. Ist das klar, Edward?“ diese Mahnung sollte reichen, weil sie mit einem leichten Leuchten um Haytham einherging.
„Ja Vater! Aber… wann zeigst du mir, wie man damit kämpft?“ auf diese Frage hatte ich schon gewartet.
„Wie wäre es mit JETZT?“ lachte mein Templer und wieder ertönte ein lauter Jubel unseres Sohnes. „Ich hole nur kurz mein eigenes Schwert, dann können wir beginnen.“ die beiden Herren machten sich auf in die Eingangshalle und ich sah ihnen lächelnd hinterher.

Das Schwert aus New Orleans (hier "Even when your kind appears to triumph - Part IV - Kapitel 7" könnt ihr es nachlesen!)

„Mama, ich will auch…“ schniefte Florence neben mir.
„Aber dein Geburtstag war schon, min lille engel. Komm, lass uns in der Küche nachschauen ob Miss Tabea ein paar Plätzchen fertig hat.“ ich hoffte, ich könnte sie so etwas ablenken, auch wenn man das nicht machen sollte. Ich weiß das!
Gemeinsam standen wir kurz darauf in der Küche und uns wehte ein leckerer Duft von gebratenem Fleisch und vor allem KAFFEE in die Nase.
„Hier riecht es nach dem Major!“ rief meine Tochter mit einem Mal.
Mein fragender Blick muss sie irritiert haben, weil ich wirklich nicht wusste, was sie meinen könnte.
„Mama, das was ich dir doch gezeigt habe. Das riecht lecker und Mrs Muller hat gesagt, dass man das hervorragend für Kartoffeln nutzen kann.“ langsam dämmerte es mir.
Sie meinte Majoran! Das Kraut!
Lachend sahen mich die Mägde an, als auch sie verstanden was gemeint war.
„Natürlich, jetzt rieche ich es auch.“ eigentlich nicht, weil ich mich mit Kräutern nicht ganz so gut auskannte. Nur die Handelsüblichen waren mir geläufig.
Wir verbrachten eine Weile hier und ich wurde ein wenig in Kräuterkunde unterrichtet. Irgendwann jedoch hörten wir aus dem Eingangsbereich ein lautes Fluchen!

 

Dort angekommen sah ich, wie Haytham mitsamt Tyr, Thor, Odin und Heimdall um Edward herumstand und ihm Anweisungen für den Umgang mit seinem Schwert gab.
„Die Beinarbeit, Junge!“
„Nein, stell dich leicht schräg hin, so…“
„Wen willst du damit kitzeln? Du musst es mit einer schnellen Bewegung nach vorne stoßen!“
„Nein, lass unfaire Techniken raus. Du bist mit dem Schwert ein Gentleman, Edward!“
Für einen Moment stand ich fasziniert daneben und kam aus dem Staunen nicht heraus.
Alle redeten immer wieder auf den kleinen Kenway ein, welcher sich aber erstaunlich gut schlug! Seine Bewegungen waren präzise, schnell und zackig.
„Ha… jetzt hab ichs!“ hörte ich ihn freudig rufen, als er seinem Paten einen Streich verpasste.
„Das war reines Glück.“ lachte der Donnergott und belehrte ihn eines besseren indem er gekonnt konterte.
„Lerne ich das auch bald?“ flüsterte meine Tochter neben mir. Auch sie sah staunend ihrem Bruder bei seinem kleinen Training zu.
„Bald wird dein Vater auch dich unterrichten, min lille engel. Also pass schon mal auf, dann weißt du später ein bisschen, wie es geht.“ sprach ich ebenso leise.
„Dann bin ich besser als mein Bruder.“ kicherte sie.

 

Für einen kurzen Moment betrachtete ich sie traurig, weil auch sie größer wurde und nicht mehr meine kleine Maus war. Florence war schon 5 Jahre alt.
Plötzlich schoss mir ein absurder Gedanke in den Sinn. Ich würde gerne noch ein Kind haben. Was würde Haytham dazu sagen?
„Ah, verdammt…“ hörte ich ihn fluchen.
Danke mi sol, du hast mich abgelenkt! Hörte ich ihn in meinem Kopf!
Entschuldige, ich kann doch nichts dafür, dass ich so komische Momente ab und an habe. Schmollte ich, weil ich es ja nicht mit Absicht getan hatte.
„Edward! Das war ein perfekter Streich! Du hast genau den richtigen Moment abgepasst, als dein Gegner nicht aufgepasst hat.“ hörte ich meinen Schwiegervater stolz rufen, während er mich lächelnd ansah.
Dann hatte auch er meine Gedanken gesehen.
„Ich denke, das werdet ihr sicher auch ohne uns schaffen.“ lachte der Allvater und begann Edward wie aus dem Nichts anzugreifen.
„Was…“ verwirrt von der Pause und der abrupten Fortsetzung des Trainings, konnte unser Sohn nicht parieren und fiel hinten über. „Das ist …“ doch mehr konnte er nicht sagen.
„DAS nennt man Ablenkung, mein Sohn. Du hast doch das selbe gerade auch bei mir gemacht.“ lachte mein Templer. „Ich denke, für heute reicht es erst einmal. Wir sollten die nächsten Tage noch Zeit fürs Üben haben. Edward, leg dein Schwert zurück in den Kasten, bitte.“
„Jetzt schon?“ Ein Blick zu seinem Vater reichte, dass er gehorchte, wenn auch leise vor sich hin maulend.

 

Nachdem sich die Götter wieder zurück gezogen hatten – nicht ohne noch einmal zu betonen, dass wir dieses mal auch ohne sie zurecht kommen würden – stand auch schon das Mittagessen an.
Am Nachmittag kamen einige Kinder der Pächter vorbei um Edward zu gratulieren und es gab für alle mehr als genug Kuchen und heiße Schokolade.
Die Kinderschar spielte draußen, machte eine Schneeballschlacht oder sie bauten kleine Schneemänner.
Am Abend bekam Haytham noch Besuch von einigen Gratulanten und wir stießen auf sein Wohl an. Leider war es Connor und Achilles nicht möglich gewesen hierher zu reisen aufgrund des Schnees und einiger Dinge, die in der Siedlung noch zu erledigen wären.
Im Grunde verlief der Tag ohne besondere Vorkommnisse, was mich etwas entspannen ließ.

 

Als wir später dann im Bett lagen, kam Haytham noch einmal auf das Thema Kinderwunsch zu sprechen.
„Bist du dir wirklich sicher, dass wir noch ein weiteres Kind bekommen sollten?“
Für einen kurzen Moment dachte ich ebenfalls erneut darüber nach, kam aber zu dem Schluss, dass wir es doch einfach probieren sollten.
„Warum nicht, mi amor? Natürlich weiß ich, dass dadurch mehr Arbeit anfällt und ich wieder eine Weile ans Haus gefesselt sein werde. Aber… irgendwie fühle ich mich bei dem Gedanken wohl.“ ich kuschelte mich an meinen Templer und gab ihm einen vorsichtigen Kuss auf die Wange.
„Tatsächlich geht es mir ähnlich, mi sol.“ in seiner Stimme klang eine leise Sehnsucht mit, als er mich an sich drückte.
In dieser Nacht aber starteten wir keinen Versuch. Dafür hätten wir sicherlich noch genügend Zeit.

Kapitel 32

~~~ Silvester mit überraschendem königlichen Feuerwerk ~~~

 

Es war Silvester 1771 und als ich an diesem Morgen erwachte, war der erste Gedanke „Wow, ich bin schon 9 Jahre hier und verheiratet!“
Vorsichtig drehte ich mich zu meinem Mann, welcher natürlich schon wach war, sich aber wie üblich nicht regte.
„Guten Morgen, mi sol. Wer hätte gedacht, dass du es so lange mit mir aushältst?“ grinste er mich breit an.
„Es ist nicht immer leicht, du hast Recht.“ kicherte ich und umschlang ihn wieder mit Arm und Bein.
„Dabei bemühe ich mich dir in den Lektionen zu zeigen, wie man am einfachsten mit mir umgehen sollte.“ langsam drehte er mich unter sich. „Ich befürchte, ich habe immer noch eine Heiden Arbeit mit dir in den nächsten Jahren.“ seufzte er leise.
Dieser Moment der Vereinigung ging völlig still von Statten. Es war einfach wunderschön und wir konnten für ein paar Minuten alles um uns herum vergessen. Sogar mein Gatte hatte nicht mehr an eine Lehrstunde gedacht.
„Das hole ich später nach…“ hörte ich ihn etwas außer Atem an meiner Brust sprechen.
Er bescherte mir ebenfalls eine wohlige Erleichterung, die ich etwas lauter als geplant kundtat.
„Psssssssst…“ grinste Haytham mich an, als er meinen Mund schnell mit seinen Lippen versiegelte.
„Danke“ brachte ich leise heraus.

 

Nach dem Frühstück machten wir uns reisefertig, weil wir eine Einladung unseres Advokaten erhalten hatten.
Odin sei Dank hatte es nicht weiter geschneit. Es lagen zwar einige Zentimeter Schnee, aber die Wege waren gut befahrbar und wir kamen zügig voran.
Angekommen bei Rory wurden wir herzlich begrüßt und unsere Zimmer wurden uns gezeigt.
„Ich will nicht mit Flo in einem Zimmer schlafen, sie nervt immer.“ jammerte Edward Junior als man ihn gemeinsam mit ihr unterbringen wollte.
„Junger Mann, es ist nur für eine Nacht. Das geht.“ ermahnte ihn mein Templer.
„Aber Vater, du weißt ja gar nicht…“ begann klein Kenway eine Erklärung.
„Ich sagte, es ist nur für eine Nacht.“ damit drehte sich Haytham um und ging wieder hinunter.
„Eddy mag mich nicht mehr!“ jetzt begann Florence zu weinen und klammerte sich an meine Röcke.
Bei Odin! Warum jetzt?
„Min lille engel, er hat dich immer noch lieb. Oder nicht, min lille skat?“ ich saß jetzt auf einem der Betten und sah beide fragend an.
„Jaaaaaaaaa, ich hab dich lieb.“ stöhnte unser Sohn mit Augenrollen.
Ich versicherte den beiden noch einmal, dass wir ja nur heute hier blieben. Morgen hätte dann jeder wieder sein eigenes Zimmer.

 

Wir hatten Glück, dass einige andere Gäste ihren Nachwuchs mit gebracht hatten. So kam bestimmt keine Langeweile auf. Natürlich hoffte ich, dass auch keine größeren Katastrophen passierten oder Streiche ausgeheckt wurden.
Somit konnten wir Erwachsenen einen ruhigen Nachmittag verbringen und uns über die neue Situation hinsichtlich der Landverteilungen oder des Kontinental Kongresses unterhalten.
Mittlerweile war es soweit, dass die Kolonisten mobil machten. Sie, oder besser WIR, waren nicht mehr gewillt uns so mit den Füßen treten zu lassen.
Für mich persönlich war es vor kurzem zu einigen Einbußen beim Import von den Zuckerwaren meiner Schwägerin gekommen. Neuerdings sollte man auf bereits gefertigte Waren extra Steuern entrichten. Diese war natürlich um einiges höher, als würde man die Rohstoffe importieren. Von diesem Geld würde aber Jenny nichts sehen, im Gegenteil! Auch sie wurde besteuert, weil sie ihre Waren exportierte. Ein wahnwitziges System, das kann ich euch versichern.

 

Was erschwerend hinzukam waren die vielen in Amerika stationierten Soldaten und Einheiten. Man fand kaum noch Unterkünfte für diese Masse. Also wurden immer mehr Bürger dazu verpflichtet, gerade in den Städten, die Männer bei sich aufzunehmen. Unentgeltlich versteht sich.
„Meine Schwester musste 4 Herren bei sich aufnehmen! Aber glaubt ja nicht, dass sie nur einen Penny für Verpflegung oder die warmen Zimmer bezahlen!“ erzählte uns einer unserer Nachbarn. „Sie hinterlassen immer einen Saustall und vergnügen sich in einer Taverne. Man kann sich vorstellen, dass es nicht immer leise zugeht, wenn sie zurück kehren!“ fuhr der Herr mit einer hochgezogenen Augenbraue fort.
„Ganz zu schweigen von anderen Schandtaten dieser Widerlinge!“ bei ihren Worten schüttelte sich eine Dame neben mir. Wir konnten uns vorstellen, WAS sie meinte.
Ob man es nun glauben will oder nicht, aber auch in mir keimte immer mehr der Wunsch nach einem freien Amerika auf. Die kleine Patriotin kroch an die Oberfläche. Wo ich damals noch dachte, dass die Briten besser bleiben sollten, dort dachte ich jetzt „Lieber nicht!“.
Auch auf umliegenden Farmen oder Plantagen von zum Beispiel Wellington oder Boston kam es mittlerweile zu Diebstählen im Namen des Königs. Die Begründung, dass es unsere Pflicht sei, die Soldaten zu versorgen, traf auf taube Ohren.
Und so kochte die Wut immer weiter hoch. Jetzt erlebte ich es persönlich mit, so dass ich verstand, warum dieser Krieg tatsächlich ausbrach. Das Volk wird mürbe gemacht, in der Hoffnung, klein beizugeben. Doch King George hat nicht mit dem starken Willen der Menschen hier gerechnet.

 

Auf der einen Seite war ich stolz, das alles selber zu erleben. Umgekehrt aber schlich sich Angst mit in dieses Gefühl. Angst davor, was uns noch widerfährt, wie es mit unseren Geschäften weitergehen wird.
Aber dazu dann vermutlich später mehr.
Zum ersten Male war Edward bis Mitternacht wach und bestaunte mit uns und einigen anderen Kindern das wunderschöne kleine Feuerwerk.
Man hörte hier und da von ein paar Jungs, dass sie sich die Reste vom Schwarzpulver schnappen wollten, um ihre eigenen Feuerwerkskörper zu basteln!
„So schwer kann das ja nicht sein.“ oder „Wir nehmen einfach einen von den Tontöpfen und stopfen da alles rein.“ was ich auch vernahm war „Wir könnten eine Pechschnur zum Zünden nehmen. Weiß jemand, wo die hier sind?“
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sich ein paar Jungs entfernten. Als Edward ebenfalls hinterher wollte, hielt ich ihn zurück.
„Oh nein, du wirst nicht mithelfen. Du weißt doch wie gefährlich sowas sein kann.“ ermahnte ich ihn.
„Alle machen mit, nur ich darf wieder nicht.“ maulte er mich an.
„Wo darfst du nicht mitmachen?“ Haytham schien die Unterhaltung also nicht ganz mit bekommen zu haben.
„Ähhhh… nichts Vater.“ nuschelte unser Sohn leise und sah betreten zu Boden.
„Wenn es an der Zeit ist, werden wir dir erklären, wie man solche kleinen Sprengkörper herstellt. Vorher wirst du erst beweisen müssen, dass du nicht leichtfertig mit solchen Dingen umgehst, mein Sohn.“ Also hatte er doch alles gehört.
Mit einem Male erhellten sich die graublauen Augen meines Sohnes.
„Wirklich? Ich lerne auch sowas? WANN, Vater?“ aufgeregt trat er von einem aufs andere Bein.
„Edward, das dauert noch. Du bist noch zu jung und kennst nicht die Gef…“ Haythams Erklärung ging in einem lautem Knall unter, welcher von einer der Scheunen kam.

 

Wir sahen nur noch, wie sich eine hohe Feuersäule aus dem Dach schlängelte und laute Schreie einiger Kinder.
In Windeseile waren wir am Ort des Geschehens, wo uns die Verursacher auch schon entgegen kamen. Odin sei Dank, war niemand schwer verletzt. Es gab bei zwei Jungen verbrannte Finger, aber soweit ich sehen konnte, nicht allzu schwer.
„Was in Gottes Namen habt ihr gemacht!“ brüllte ein Vater und half mit einigen anderen bereits dabei, das Feuer zu löschen.
„Es war doch gar nicht so viel, aber…“ stammelte der erste.
„Wir wussten doch nicht, dass die Schnur so schnell…“ auch dieser junge Herr bekam keinen ganzen Satz zustande.
Was ich mich allerdings fragte, woher sie alles so schnell beisammen hatten. Auf diese Frage, sahen die Kinder mich mit großen Augen an.
„Also, da waren Kisten in der Scheune und… da war das Pulver…“
Eine neue Explosion war zu vernehmen und ich spürte eine Druckwelle.
Jetzt eilte man in die Scheune um die restlichen Kisten zu sichern! Für so unbedacht hätte ich Rory gar nicht gehalten!

 

Dieser jedoch sah völlig erschrocken aus.
„Die gehören nicht mir! Ich lagere meine Waffen und die Munition unten in meinem Keller!“ weiterhin sah er ungläubig auf die brennende Scheune.
„Da sind Zeichen drauf, Sir.“ sagte ein Junge leise und deutete darauf.
Es war das Wappen von King George III.! Wie kamen sie hierher?
„Das verstehe ich nicht.“ Unser Advokat sah sich um, jedoch war es dunkel und die Gegend hier wurde nur von dem langsam verglimmendem Feuer erleuchtet.
Es war Glück im Unglück, dass das Gebäude nicht vollends abbrannte oder eines der Kinder ernsthaft zu schaden gekommen war. Trotzdem blieb die Frage, wer die Munition hier versteckt hatte.
„Ich werde morgen früh die Gegend absuchen lassen. Anscheinend hat man sich hier heimlich bei mir eingenistet, ohne dass ich etwas bemerkt habe. VERDAMMT!“ Rory war außer sich, verständlicherweise.
„Ich helfe euch dabei, Master Gillehand.“ Haytham war nicht der einzige der ihm die Hilfe zusicherte. „Wir werden noch ein paar Tage hierbleiben, damit wir auch wirklich sicher gehen können, dass wir die Schuldigen finden!“ ihm stimmten weitere Herren zu.
„Müssen wir auch bleiben, Mama?“ flüsternd hakte Edward jetzt nach.
„Vermutlich nicht, aber das sehen wir dann morgen. Und jetzt weißt du, warum du nicht mit solchen Dingen spielen sollst.“ mein Sohn sah in diesem Moment erleichtert zu mir auf.
„Das weiß ich. Schuster Ehrenwort, ich werde nie solche Kisten anrühren oder die Fässer bei uns!“ er war froh, dass nicht er die Schelte bekommen würde. In diesem Falle wäre es mit Walka-Entzug nämlich nicht mehr abgetan gewesen!

 

Als man sicher war, dass keine weiteren Brandherde vorhanden waren und man im Hellen die Schäden genauer unter die Lupe nehmen würde, gingen wir alle zu Bett.
Erstaunlicherweise hatte Florence nichts von alledem mitbekommen. Ich ging in das Zimmer unserer Kinder, wo Sophia noch saß und aufpasste.
„Mistress Kenway, ich hoffe, es ist niemand zu Schaden gekommen bei der Explosion?“ fragte sie flüsternd nach.
„Nein, es gab ein paar verbrannte Finger, aber nichts schlimmeres. Hat Florence wirklich nichts bemerkt?“ hakte ich erstaunt nach.
„Sie ist nur kurz aufgeschreckt und sagte, Edward ginge es gut. Auch euch würde nichts geschehen sein. Dann hat sie sich wieder hingelegt.“ Sogar das Kindermädchen war darüber erstaunt.
„Odin sei Dank, ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Edward komm jetzt, noch schnell das Gesicht waschen und dann gehts für dich auch ins Bett.“ sprach ich leise, während ich schon den Lappen in die Schüssel tunkte.
Bei dem Licht der Kerzen hier, sah ich erst, dass er ein wenig Ruß im Gesicht hatte. Meine Kleidung roch ebenso nach Qualm und wies ein paar Flecken auf.
Die Kinder bekamen noch einen Kuss zur guten Nacht ehe ich mich auch endlich fertig machen konnte.

 

„Mi amor, du kannst dir nicht vorstellen, wie froh Edward war, dass er nicht dabei mitgemacht hat.“ grinste ich, als ich vorm Spiegel stand und Magda mich von meinem Kleid befreite.
„Mistress Kenway, es war aber auch ein ohrenbetäubender Knall. Wir haben uns alle wahnsinnig erschreckt. Warum die Männer heute Nachmittag diese Kisten nicht in den Keller gebracht haben, frage ich mich. Master Gillehand hat doch auch seine Waffen und Munition dort gelagert, oder nicht?“
Ich sah von meiner Kammerzofe zu Haytham.
„Ihr habt dort ein paar Leute gesehen? Wie sahen sie aus? Trugen sie Uniformen?“ fragte ich aufgeregt nach.
„Ja, es waren 10 Mann und sie trugen dicke Wintermäntel, eine Uniform konnte ich nicht erkennen. Es tut mir leid.“ Magda sah betreten zu Boden.
„Wohin sind sie danach gegangen, habt ihr das auch gesehen?“ Auch Haytham war wieder hellwach.
„Sie sind hinter der Scheune verschwunden. Ich habe mir nichts dabei gedacht und habe nicht weiter auf sie geachtet.“ ihr Blick ging von mir zu meinem Mann.
„Dann werden wir jetzt noch nach ihnen suchen. MICHAEL!“
„Haytham, mitten in der Nacht könnt ihr doch gar nichts…“ ich sprach nicht weiter, weil ich mal wieder nicht an seinen Adlerblick gedacht hatte.
Gerade als ich Magda bitten wollte, mich auch wieder einzukleiden, fiel mir ein, dass ich keine passenden Sachen dabei hatte. Und mit einem feinen Kleid wäre ich keine Hilfe. Wer weiß, was uns dort draußen erwarten würde.

 

Es waren also die Herren, die sich allesamt, nachdem sie informiert und wieder eingekleidet waren, auf den Weg machten um eine Spur der Soldaten zu finden. Wir nahmen an, es waren Soldaten.
Auf die Nachfrage von Rory, hatten auch andere Angestellte sie gesehen.
Für einen Moment saß ich auf dem Bett, hatte aber keine Ruhe und ging nach unten in den Salon, wo zwei ebenfalls unruhige Frauen saßen.
„Dann heißt es jetzt wohl warten.“ seufzte ich und ließ mich auf dem Sofa vor dem Kamin nieder.

 

 

Kapitel 33

~~~ Königliche Kundschafter? ~~~

 

Die Stunden der Warterei zogen sich zäh wie Kaugummi dahin. Wir versuchten uns gemeinsam abzulenken, in dem wir uns über unsere Kinder unterhielten oder über die Aufgaben als Hausherrin.
Eine der Damen hier in der Runde war die Mutter eines Jungen, der sich die Finger verbrannt hatte. Sie berichtete, was ihr Sohn so erzählt hatte.
„Sie sind erst tatsächlich im Keller gewesen, der ist aber gut gesichert, da kamen sie nicht weiter. Also machten sie sich weiter auf die Suche und wurde alsbald fündig, wie wir ja wissen. Zuerst inspizierten sie die Kisten vorsichtig, öffneten sie mit Bedacht und sahen kleine Beutel, Kugeln und auch Pistolen. In einem Behälter waren sogar 10 Musketen, die wollten sie aber nicht anrühren.“
Die Jungs hatten begonnen, das Pulver aus den Tütchen zu holen und in einen Tontopf, wie sie besprochen hatten, zu kippen. Die Pechschnur war nicht schwer zu finden, weil eine ganze Rolle ebenso in diesen Holzkisten lag. Keiner von ihnen wusste, wie man das Pulver richtig dosierte, demnach kam alles was auf die Schnelle zu finden war in den Topf. Danach schnitt man einen kleinen Teil der Schnur ab und steckte das eine Ende oben in das Pulver.
Das ganze platzierten sie auf einem Balken in der Nähe der anderen Waffen aus Unwissenheit.
Einer von ihnen hatte Zunder und einen Feuerstein dabei. Als sie versuchten Feuer zu machen, entzündeten ein paar Funken das am Boden liegende Stroh. Zu spät kamen sie auf die Idee einfach mit einer Jacke den kleinen Brand zu löschen. Stattdessen schlugen sie mit ihren Händen darauf, weswegen zwei Jungen Verbrennungen erlitten.
Aus einem glücklichen Zufall bemerkten sie alle, dass die Schnur jetzt zündelte und brachten sich schreiend in Sicherheit. Den Rest hatten wir selber erlebt.

 

„Du meine Güte, wer bitte hinterlässt dieses gefährliche Material so ungeschützt? Es hätte sonst was passieren können.“ warf eine andere Mutter aufgebracht ein.
„Wir können nur hoffen, dass die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden!“ fauchte eine weitere Frau am Kamin.
„Wie unsere Männer allerdings in dieser Dunkelheit etwas erkennen wollen, frage ich mich ja schon die ganze Zeit. Ich hatte meinem Frank noch einmal ausdrücklich gebeten, erst im Morgengrauen die Suche zu beginnen. Aber wir kennen die Herren ja. Immer wissen sie es besser.“
Ich war kurz versucht ihr zu sagen, dass mein Mann genug sah für alle. Besann mich aber eines besseren.
„Hoffen wir auch, dass es nicht zu einem Kampf kommt. Wir haben gerade keinen Arzt hier.“ hörte ich eine kleine blasse Dame, die sich an ihrem Brandyglas festklammerte. „Wir sollten für sie beten!“ sie stellte das Glas ab und faltete ihre Hände. Die anderen Frauen taten es ihr gleich. Nur ich fühlte mich gerade nicht so wohl dabei, machte aber mit. Auch wenn ich still zu meinen Göttern sprach.
Tatsächlich suchte ich meinen Mann im Geist, damit ich beruhigter war.

 

Es dauerte einen Moment, bis ich sah, wo sie waren.
Anscheinend mussten sie nicht suchen, sondern die anderen waren schon auf dem Weg in die Richtung der Explosion!
„Wohin des Weges, Sirs?“ hakte Haytham gerade nach.
„Wir wollten nachschauen, wer dort hinten ein so schönes Feuerwerk gezündet hat.“ diese Antwort triefte vor Sarkasmus.
„So so. Dann lasst euch sagen, es waren ein paar junge Burschen, die eine Menge Schwarzpulver gefunden haben und sich einen Spaß erlauben wollten. Wie ihr seht, ist aber Gott sei Dank nichts weiter passiert.“ wieder war es mein Mann der sprach.
„Das ist doch ein Glück für uns alle, nicht wahr?“ jetzt schwenkte die Stimmung ein wenig um.
„Vielleicht wollt ihr uns begleiten und euch selber überzeugen?“ dieses mal redete Rory.
„Sir, danke. Aber… wir sollten lieber wieder unserer Wege ziehen. Es gibt noch viel zu tun für uns.“ mit einem Tippen des Fingers an seinem Hut, verabschiedete er sich.
„Nicht so schnell. Wer seid ihr eigentlich und was macht ihr auf meinem Grund und Boden?“ der Advokat stellte die richtige vorsichtige Frage.
„Wir sind nur auf der Durchreise, Sir. Und jetzt entschuldigt uns, wir sollten unsere Zelte abbrechen und uns auf den Weg machen. Je eher desto besser.“ gerade als er sich umwandte sah ich diesen roten Stoff einer Uniform aufblitzen, als sein Mantel sich kurz öffnete.

 

Er selber hatte es bemerkt und drehte sich langsam mit der Hand an seinem Schwert wieder um.
„Wir alle wissen, was jetzt passiert, oder?“ ein zynisches Grinsen hing in seinem Gesicht ehe er etwas unbeholfen die Herren vor sich angriff.
Gebannt blieb ich in Haythams Kopf, weil es spannend wurde, doch mich holte eine andere Stimme heraus… Verdammt!

 

„Mistress Kenway! HALLO! Was ist denn los?“ man rüttelte mich, wedelte mir Luft zu und tätschelte meine Wange.
„Was …“ ich bemerkte, dass ich auf dem Sofa lag, die Füße hoch. „Oh, mir ist wohl etwas schlecht vor Aufregung geworden. Entschuldigt.“ sprach ich leise, weil ich mal wieder nicht bedacht hatte, dass ich einen unheimlichen Anblick abgeben musste, wenn ich so weit weg war.
„Wir dachten schon, es ist etwas ernstes. Hier, trinkt einen Schluck, dann geht es euch besser. Das wird sicherlich auch die Müdigkeit mittlerweile sein.“ sprach eine Frau fürsorglich an meiner Seite.
„Das wird es sein. Schaut, es ist ja auch schon fast 6 Uhr in der Früh.“ wir alle waren uns einig, dass es sich nicht lohnte, sich noch hinzulegen. Kurzum ließen wir uns Tee und Kaffee bringen um die müden Geister wieder anzuregen.
Ich selber ging kurz nach oben um nach Edward und Florence zu schauen. Walka hob schläfrig den Kopf, sah mich, ließ sich aber wieder nieder.
„Beide haben tief und fest geschlafen.“ Sybill und Sophia waren bereits auf den Beinen und legten die Kleider der Kinder bereit.
„Vielleicht können wir ja doch heute schon abreisen.“ flüsterte ich, als ich an die Worte von meinem Sohn dachte.

 

Bevor ich aber wieder in den Salon zu den anderen ging, öffnete ich die Eingangstür und atmete die kalte Winterluft ein. Eine Wohltat und mein Kopf wurde klarer. Für einen kurzen Moment versuchte ich noch einmal Haytham zu finden, aber es war vergebens. Ich war zu unkonzentriert, weil ich immer befürchten musste, dass man wieder denkt, ich sei ohnmächtig oder schlafwandele.
Etwas frustriert ging ich wieder hinein und genoss den heißen Kaffee.
Gegen halb acht waren die Kinder wach und gesellten sich zu uns.
Natürlich fragte man nach, wann die Väter zurück kämen. Es wäre doch schon wieder hell.
„Wir wissen ja nicht, ob sie die Soldaten hier in der Nähe finden konnten.“ versuchte ich eine Erklärung.
„Mein Vater vertreibt sie sicher alle! Der kann richtig gut kämpfen!“ posaunte einer der Jungs.
„Natürlich! Aber meiner hat schon vor Jahren im Krieg gekämpft, der macht das mit einer Hand!“ erklärte ein weiterer mit stolz geschwellter Brust.
Und jetzt ging der Wettkampf los, welcher Vater besser ist. Edward durfte nicht fehlen und hätte sich fast verplappert mit den Fähigkeiten und denen uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Gerade noch rechtzeitig reichte ein Stupser von mir!
Wir beendeten gerade das Frühstück, als die schwer vermissten Männer und Väter wieder hier erschienen.

 

„Mi amor, da bist du ja wieder!“ stieß ich erleichtert aus, als ich ihn in der Tür stehen sah. Sein Aufzug deutete auf einen etwas länger dauernden Kampf hin. Seine Hand war bandagiert und sein rechtes Auge war blau unterlaufen. Hastig besah ich mir seinen Zustand genauer, aber Odin sei Dank, waren es nur Prellungen …
Du hast gar nicht gemerkt, wie ich Vater geholfen habe. Hörte ich Edward Junior kichernd in meinem Kopf.
Ich gab ihm einen dicken Kuss auf die Stirn. „Das war gute Arbeit, min lille skat.“ flüsterte ich leise und schloss auch meinen Mann in die Arme.
Nachdem alle Herren fast gänzlich ohne Wunden wieder hier waren, breitete sich Erleichterung aus und wir alle wollten wissen, was nun genau passiert war. Vorher jedoch machten sich die Helden wieder frisch und vorzeigbar, ehe sie Antworten gaben.

 

Besagte Soldaten stellten sich als eine Art Vorhut heraus, die sich hier in Virginia einen Überblick verschaffen sollte. Sie sollten auskundschaften, wo man Unterschlupf finden konnte, bei welcher Plantage es sich lohnte Lebensmittel oder Nutzvieh zu konfiszieren und so weiter.
Es geht los - dachte ich im Stillen.
Dieser Trupp hatte sich unseren Advokaten auserkoren, weil dieser unter der Woche meist in Philadelphia oder Richmond lebte. Somit würden ihre kleinen Diebstähle nicht sofort auffallen.
Warum sie aber bereits Munition und Waffen herbrachten, konnten sie kaum beantworten.
„Sie behaupten, dass man dachte, es wäre sicherer in einer Scheune unter dem ganzen Stroh. Gerade in der Winterzeit würde es kaum auffallen. Niemand hatte einen Gedanken an einen Brand oder ähnliches verschwendet. Im Gegenteil, einer sagte noch `Schwund sei bei jeder Sache dabei´!“
So unverantwortlich zu sein ist schon erschreckend.

 

Auf unsere Frage, was aus ihnen geworden sei, antwortete Rory stolz „Wir haben, nachdem leider 4 ihr Leben lassen mussten, sie hier im Kellergewölbe vorerst untergebracht. Ich werde mit Master Kenway einen Transport vorbereiten und sie nach Richmond bringen lassen. Dort werde ich sie fürs erste hinter Gitter bringen und überlegen, was wir gegen so eine Unverfrorenheit machen können. So einfach kann ich leider keinen Mann aus der königlichen Armee verurteilen.“
Ich fragte mich ernsthaft, warum eigentlich nicht? Sie hatten sich unrechtmäßig auf dem Grundstück aufgehalten und alle in Gefahr gebracht.
„Mistress Kenway, das ist richtig. Aber das ist kein triftiger Grund für eine Verurteilung. Sie plädieren ja auch darauf, dass in den Wintermonaten kaum ein Weiterkommen möglich ist und sie deshalb hier erst einmal ihr vorläufiges Lager aufgeschlagen haben. Ihr seht, es ist etwas kompliziert. Aber seid alle versichert, ich werde mich mit den anderen Richtern beraten und wir werden eine Lösung finden, welche alle befriedigt.“ versicherte der Advokat noch einmal nachdrücklich.

 

Wir verblieben so, dass mein Mann und zwei weitere Männer mit Rory gemeinsam diese Überführung nach Richmond heute Nachmittag noch starten würden.
Somit konnte ich mit Edward und Florence schon mal zurück nach Hause.
„Darf ich Vater nicht einfach begleiten, vielleicht braucht er Hilfe.“ fragte unser Sohn bei Rory nach.
„Master Edward, ihr seid noch zu jung und außerdem müsst ihr eure Mutter und Schwester auf dem Heimweg beschützen.“ dabei wuschelte er ihm durchs Haar.
„Also schön, einer muss ja auf die Damen aufpassen.“ seufzte Edward theatralisch und grinste mich an.
„Ich bin froh, dass du auf uns aufpasst. Du doch auch, min lille engel. Nicht wahr?“ sie sah ihren Bruder an und dann wieder zu mir.
„Aber hör auf mich zu ärgern, Eddy! Du erzählst immer böse Geschichten, die machen mir Angst!“ maulte sie ihn an. Gut, damit hätten wir ihre Albträume jetzt geklärt.
„Schuster Ehrenwort! Da ist aber noch der kopflose Reiter…“ bevor er noch mehr sagen konnte, unterbrach ich ihn.
„Die kannst du gerne mir erzählen, min lille skat!“

 

Das Mittagessen als letzte Stärkung für unsere Männer war vorbei und wir mussten uns verabschieden.
„Sei vorsichtig, mi amor! Ich denke an dich!“ flüsterte ich und gab ihm einen langen Abschiedskuss.
„Das bin ich immer, mi sol. Meine Gedanken werden sicherlich des öfteren bei dir sein. Wir werden durch den Schnee sicher zwei Tage länger brauchen und einen Gasthof aufsuchen müssen. Vergiss mich nicht.“ auch er bedachte mich mit einem sehr wollüstigen Kuss.
„Darf ich Vater jetzt auch verabschieden?“ maulte Edward neben mir.
„Ja, darfst du, mein Sohn. Pass gut auf, dass euch nichts passiert.“ ermahnte Haytham ihn. „Und du mein kleiner Engel, sei artig und ärgere deinen großen Bruder nicht.“ sie bekam noch einen Kuss auf die Wange und dann stiegen die Männer auf die Pferde und der Tross setzte sich in Bewegung.
„Wann kommt Papa wieder?“ schniefte Florence leise an meiner Schulter.
„Vielleicht in einer Woche, es kommt darauf an, wie viel Schnee unterwegs liegt oder noch fällt. Aber dann kannst du ihm wieder alles erzählen, was du willst. Versprochen.“ versuchte ich sie zu beruhigen. Seufzend ließ sie ihren Kopf wieder an meine Schulter sinken.
Gemeinsam gingen wir hinein und ich ließ unsere Sachen ebenfalls packen. Die Kutsche wurde fertig gemacht, so dass wir kurz darauf ebenfalls aufbrechen konnte.

 

Ich vermisste meinen Mann schon jetzt. Hoffentlich passierte unterwegs nichts. Es könnten ja auch ein paar Helfer der Inhaftierten auf die Truppe lauern. Aber ich schüttelte diesen Gedanken ab, er machte mich nur unruhig und das war nicht gut für die Kinder.

 

Kapitel 34

~~~ Trautes Heim – Unglück allein? ~~~

 

Auf der Rückfahrt berichtete mein Sohn von seinen Plänen, sobald er wieder zur Schule ginge. Im Moment fand kein Unterricht statt, weil man eine Art Ferienplan erstellt hatte. Zu Weihnachten, Silvester oder auch Ostern zum Beispiel sollten alle frei haben.
Im Grunde fielen auch meine Schulferien auf diese Zeiten, wenn ich darüber nachdachte.
„Mama, warst du gut in Mathematik?“ fragte Edward irgendwann, als er erzählte, dass er noch ein paar Aufgaben aufbekommen hatte von Mr Hathaway.
„Nun, nicht wirklich. Ich kam erst richtig zurecht mit den vielen Zahlen, als es um Buchführung ging. Also sehr sehr spät in meiner Schulzeit.“ erklärte ich ihm.
„Wie lange musstest du zur Schule? Musstest du länger bleiben, weil du es nicht verstanden hast?“ sein Erstaunen in der Stimme ließ mich schmunzeln.
„Nein, ich musste nicht länger bleiben. Ich habe ganz normal wie viele andere auch 10 Jahre die Schulbank gedrückt. Danach noch einmal ein Jahr um Buchführung zu lernen.“ gab ich als Kurzfassung an.
„Flo, willst du auch in die Schule? Ich kann ja mal Mr Hathaway fragen, ob das geht. Dann können wir gemeinsam hinlaufen!“ Siedendheiß fiel mir ein, dass ich tatsächlich noch gar nicht an den Schulbesuch von Florence gedacht hatte.
DAS sollte ich vielleicht dann dieses Jahr in Angriff nehmen!
„Au fein! Mama, ich will auch dahin!“ freudig klatschte sie in ihre Hände dabei.
„Ein wenig musst du dich aber noch gedulden. Ich muss ja erst einmal fragen, ob das schon geht, min lille engel. Ich denke, dein Bruder wird dir vorher sicherlich schon ein bisschen was zeigen.“ Vor einiger Zeit hatte ich festgestellt, dass meine Tochter mehr Geduld aufbrachte als Edward oder ich selber. In ihrem Alter war es oft ganz anders. Wie vieles bei ihr, ging es mir durch den Kopf.

 

Am Abend kamen wir endlich daheim an und ich war froh mich wieder bewegen zu können. Meine Knochen waren gefühlt eingefroren und meine Finger wollten sich nicht bewegen lassen.
Für einen kurzen Moment stand ich mit den Kindern vor dem Kamin. So konnten wir uns alle etwas aufwärmen, ehe wir uns umzogen und zu Abend essen konnten.
„Mistress Kenway, auf eurem Schreibtisch sind zwei Schreiben von euren Geschäftsfreunden aus Übersee. Sie seien dringlich!“ verkündete ein Diener.
Meine Laune war im Nu im Keller. Auf geschäftliches hatte ich gerade gar keine Lust.
Zuerst aber genossen wir das warme Essen und ich brachte die Kinder im Anschluss ins Bett.

 

Die Briefe waren vom Inhaber des „White´s Chocolate House“! Ich ahnte böses und ich sollte recht behalten!

 

London, September den 20sten, 1771


Verehrte Mistress Kenway,

ich hoffe ihr und eure Familie seid bei bester Gesundheit und
mein Brief erreicht euch unversehrt.

Leider gibt es keine guten Neuigkeiten, was eure Lieferung anbelangt.
Ich habe bereits mit Mrs Scott-Mormon ein Gespräch geführt,
weil ihr sie mit diesen Belangen ebenfalls betraut habt.

In letzter Zeit häufen sich Mangellieferungen was die Menge oder
auch die Qualität der Schokolade-Blöcke anbelangt.
Es gibt gravierende Verunreinigungen im Inneren, welche den
gesamten Block ruinieren und ungenießbar machen.
Außerdem verspäten sich die Lieferanten erheblich.
​​​​​Erst neulich sah ich, dass die Kisten bereits einmal geöffnet
worden waren und Teile fehlten. Meist liegt ein Schreiben seiner
königlichen Majestät bei, in dem es heißt, man wolle sicherstellen,
dass keine Schmuggelwaren im Kern seien!

Ich weiß mir nicht zu helfen, weil die Menge natürlich entsprechend
gering ist, welche ich dann nutzen kann. Und – versteht mich bitte nicht falsch –
ich zahle für mehr als ich eigentlich bekomme. Eine Verhandlung mit
den Hafenmeistern, den dortigen Zollbeamten und dergleichen
brachte bisher keine Einigung.

Ich hoffe inständig, dass ihr ein wenig mehr Einfluss auf diese
Machenschaften nehmen könnt und sie bestenfalls sogar
unterbinden könnt.

​​Ich verbleibe hochachtungs- und hoffnungsvoll!

 

 

Das hatte mir gerade noch gefehlt!
Jetzt ging es um meine eigenen Geschäfte, die auf der Kippe standen! Innerlich begann ich zu kochen und verfluchte den König dreifach!
Also setzte ich mich hin und begann ein Schreiben an Jenny zu verfassen. Von hier konnte ich kaum bis gar nichts ausrichten, wir müssten direkt vor Ort sein. Aber das war gerade jetzt nicht möglich. Von der Jahreszeit mal abgesehen, hatten wir hier noch den Untergrundausbau zu überwachen, die neue Pflanz- und Saatzeit würde in drei Monaten beginnen und theoretisch könnte Florence in die Schule.
Ich bat meine Schwägerin im Londoner Büro anzufragen, ob es dort jemanden gäbe, der sich mit den Zollbeamten und Hafenmeistern auseinander setzen konnte. Außerdem mussten Briefe an den König selber verfasst werden, in welchen ich ihm erklärte, woher die Waren stammten und dass man keinen Schmuggel zu befürchten hatte. Ob das wirklich etwas bringen würde, wusste ich noch nicht. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.
Einen weiteren Brief schickte ich direkt ans Büro und teilte die Sachlage mit. Ich schrieb auch gleich, dass sich Mrs Scott-Mormon unverzüglich mit ihnen in Verbindung setzen würde.

 

Das zweite Schreiben kam von Mr André.
Es war aber nicht dringlich, wie der Diener vorhin noch sagte. Er teilte lediglich erfreut mit, dass John, sein Sohn, bald in die Armee seiner Majestät gehen würde. Er hätte alles arrangiert für ein Patent.

 

Ich wäre erleichtert, würdet ihr auf ihn ein Auge haben,
sollte John schon früher als geplant in die Kolonien versetzt
werden. So weit ich unterrichtet bin, wird er in New York stationiert.
Sicher ist diese Information leider noch nicht …

 

So seine Aussage. Er würde mir Bescheid geben, sobald er ein konkretes Datum bekäme. Das ließe sich einrichten, ich würde gerne wissen, wie sich der junge Mann gemacht hat in den letzten Jahren. Mein Mann war damals angetan von ihm, weil auch er Mathe liebte unter anderem.
Also schrieb ich ein paar Zeilen zurück und versicherte Mr André dass ich auf seinen Sohn achten werden so weit es in meiner Macht stand.
Wieder einmal dachte ich über diesen Namen nach. Warum kam er mir so bekannt vor? Ich hatte ihn gehört, gelesen… Aber WO? Und vor allem in welchem Zusammenhang?
Bevor ich jedoch eine schlaflose Nacht bekam, hakte ich im Geiste diese Gedanken vorerst ab und widmete mich meiner Körperpflege. Magda hatte ich bereits für heute Abend entlassen, weil auch sie sich um ihren Sohn kümmern musste. Er hatte seine Eltern sicherlich vermisst.

 

Im Schlafzimmer herrschte völlige Stille, nur das Rascheln der Bürste in meinen Haaren war zu hören. Das war schon fast meditativ und ich entspannte mich langsam. In mein Nachthemd gehüllt, dämmte ich noch das Feuer im Kamin ein und legte mich unter die Decke.
Aber so richtig warm werden wollte mir nicht. Mir fehlte mein Mann.
Ich beschloss wieder aufzustehen um das Feuer noch einmal neu anzufachen. Vielleicht würde mich das etwas aufwärmen. Gedankenverloren stand ich vor dem langsam aufflackernden Feuer und dachte über mein Leben hier nach.
9 Jahre! Fast ein Jahrzehnt war ich bereits in der Vergangenheit.
Hatte ich mich richtig eingelebt? Nein, das würde ich auch nie können vermutlich.
Kurzerhand beschloss ich, mein Tagebuch weiter zu verfassen. Ich hatte es in den letzten Wochen vernachlässigt muss ich zu meiner eigenen Schande gestehen.
Die Worte flossen wie von alleine auf das Papier, immer mit dem Gedanken, dass Yannick sie lesen wird. Auch ihn vermisste ich in diesem Moment.
Bevor ich jedoch gänzlich in ein schwarzes Loch fiel, begann ich mir ein paar Unterlagen anzusehen hinsichtlich meiner Geschäfte. Ich musste mich ablenken und zwar schnell.
Als es bereits dämmerte schloss ich die Bücher, löschte die Kerzen und ging zu Bett.
Sollte ich versuchen meinen Mann zu finden im Geiste? Nein, besser nicht! Auch er braucht seinen Schlaf, gerade wenn die Herren eine Art Wache darstellten.

 

~~~

 

Die nächsten drei Tage nutzte ich unter anderem für ein Gespräch mit den Eheleuten Hathaway. War Florence wirklich schon soweit für die Schule? Sie wurde im Sommer 6 Jahre alt, im Grunde stünde dem nichts im Wege.
„So wie ich das sehe, sollte eure Tochter ruhig unterrichtet werden. Auch sie ist wissbegierig und lernt, laut Mrs Muller, schnell. Wenn es euch beruhigt, Mistress Kenway, dann können wir auch vorher ein paar Übungen machen, um wirklich sicher zu sein.“ Der Prediger wollte sie ein paar Sätze lesen oder, wie bei Edward auch, kleinere Rechenaufgaben lösen lassen
„Das hört sich fantastisch an, Mr Hathaway. Lasst mich wissen, wann ihr Zeit dafür habt.“ sogar ich war plötzlich aufgeregt und freute mich für Florence.

 

~~~

 

Mitten in der Nacht, es muss ungefähr die fünfte gewesen sein allein hier, hörte ich Stimmen von draußen. Sie waren vor unserem Fenster auf dem kleinen Umlauf auf dieser Etage!
Ich bemühte mich ruhig zu atmen um hören zu können, was sie sagten. Plötzlich sah ich mehrere Schatten an den Vorhängen und jemand versuchte ein Fenster zu öffnen.
Langsam stand ich auf, immer darauf bedacht keine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich tapste in Richtung Tür um auf die Galerie zu kommen, mir Waffen zu holen und die Kinder zu warnen.
Kaum hatte ich meine Hand am Türgriff, hörte ich schon auf der anderen Seite Fußgetrappel und leises Jaulen von Walka. Vorsichtig öffnete ich, schob aber gleichzeitig Edward mitsamt Hündin wieder hinaus und wir schlichen auf die gegenüberliegende Seite.
„Mama, da sind ganz seltsame Männer auf den Balkon geklettert. Die haben Masken auf…“ flüsterte mein Sohn und deutete die Gesichtsbedeckung an. Wie es aussah, waren nur die Augen der Eindringlinge frei.
„Wir müssen auch deine Schwester erst einmal wecken und dann gehen wir unten in den Keller. Hast du mich verstanden?“ sprach ich leise und eindringlich auf Edward ein.
„Ja, aber ich kann doch…“ musste er denn immer das letzte Wort haben?
„Nein, du bleibst mit Sybill, Sophia und deiner Schwester dort!“ ermahnte ich ihn und holte ein Schwert, sowie einen Dolch aus dem kleinen versteckten Schrank.

 

Die Kindermädchen waren aber ebenso schon alarmiert, genau wie einige der Diener und Angestellte, welche sich alle leise in Richtung Keller aufmachten.
Ich lauschte auf die Eindringlinge, die sich noch nicht offen haben blicken lassen. Mir pochte mein Herz bis in den Hals bei dem Gedanken, dass es schon wieder Soldaten sein könnten, die vielleicht Rache nehmen wollten an ihren Kameraden die gerade in Richmond inhaftiert waren. Wenn sie denn schon dort waren!
„Geht jetzt alle hinunter, verschließt die Tür und versucht in den Gang zur Scheune zu gelangen. Dort seid ihr alle vorerst sicher!“ flüsterte ich ihnen allen zu.
„Mama, ich habe Angst!“ Florence wollte sich nicht von mir lösen, was verständlich war, aber das konnte ich gerade nicht gebrauchen.
„Min lille engel! Euch passiert nichts, wenn ihr jetzt das tut, was ich sagen! Versprochen!“ versuchte ich es leise und hoffentlich beruhigend.
„Aber…“ Edward Junior ließ aber seine kleine Schwester nicht ausreden.
„Wir gehen jetzt, ich passe auf dich auf! Mutter wird sich um diese Arschlöcher kümmern!“ Ich hätte ihn ermahnen müssen ob dieses Schimpfwortes, aber es war gerade nicht die Zeit.
„Geht jetzt!“ ich versuchte immer noch meine Stimme zu zügeln.

 

Als alle außer Sicht waren, eilten die Wachen zu mir, welche noch nicht ihre Posten bezogen hatten.
„Mistress Kenway! Es sind ungefähr 14 Mann, die sich auch in den Ställen und den Scheunen herumtreiben. Um das Haus, oder besser auf dem oberen Balkonen sind bereits 6 vermummte Gestalten.“ in diesem Moment hörte ich ein Poltern aus der oberen Etage, es kam aus Richtung unseres Schlafzimmers.
Wir eilten leise hinauf, bedacht darauf keinen Lärm zu machen.
„Verfluchte Scheiße! Hier ist nichts versteckt, außer… oiiiiiiiii… Misses hat aber interessantes Zeugs in ihrem Nachtschrank…“ mir stieg eine peinliche Röte ins Gesicht. Odin sei Dank war es zu dunkel, als dass meine Mitstreiter es bemerkt hätten.
„Lass das liegen. Wir müssen also doch noch in eines der Studierzimmer. Wie ich diese Schnüffelei doch hasse… Moment mal, warum ist hier eigentlich keiner?“ hörte ich eine weitere Stimme, welche jetzt nahe der Tür war.
„Das Bett ist noch warm…“ ertönte ein weiterer Herr. „Sie kann also noch nicht weit sein!“

 

Kapitel 35

~~~ Hrymr und seine Helfer ~~~

 

Bevor wir jedoch entdeckt werden konnten, versteckten sich meine Wachen und ich in der hinteren Nische bei den Kinderzimmern.
„Dann wollen wir doch mal sehen…“ damit traten 5 Mann auf die Galerie, demnach waren es noch 9 Personen die draußen ihr Unwesen trieben.
Die Gruppe teilte sich auf. Clever!
„Mathew, du gehst dort nach dem Arbeitszimmer suchen. Laut Plan ist es im oberen Stockwerk, rechte Seite zur Einfahrt raus. Von dem Großkotz ist es direkt darunter! Also los, wir haben nicht ewig Zeit.“ pöbelte eine dunkle Stimme die anderen an.
„Und denkt daran, wir suchen nur nach den Geschäftsbüchern! Hier müssen etliche davon sein!“ Warum in alles in der Welt flüsterten sie nicht? Für Einbrecher oder Diebe war das eher untypisch, oder wollte man uns absichtlich glauben lassen, dass es nur halb so schlimm war? Ich und meine Paranoia!

 

„Das hier sind nur die Räume der Gören! Aber… die sind alle ausgeflogen! Haben wohl doch Schiss gekriegt, wie? Kaum ist der Großmeister aus dem Haus haben sie alle Angst…“ kicherte ein Herr mit rauchiger, hustender Stimme.
„Ist das ein Wunder? Dem will ich auch nicht im Dunkeln begegnen. Der hat meinen Cousin mit einem einzigen Kopfschuss zu seinem Schöpfer geschickt.“ Noch jemand, der nicht gut auf meinen Templer zu sprechen war. „Irgendwann krieg ich diesen Mistkerl und dann Gnade ihm Gott!“ fluchte er weiter.
„Jungs, ich hab hier was!“ ertönte ein erfreuter Ausruf aus meinem Arbeitszimmer.
Hier oben waren noch 2 Typen, die anderen beiden waren bereits unten.
Vorsichtig verließen wir unser Versteck und ich nutzte meinen Blick um mir einen Überblick zu verschaffen.
Sie hatten tatsächlich die Bücher gefunden, welche aber sauber waren. Wir schmuggelten offiziell ja nichts. Alles was verdächtig sein könnte war in meiner Stahltruhe, welche sich in einer Zwischenwand befand. Noch hatte man sie nicht entdeckt, aber selbst wenn…
„Hey, was haben wir denn hier?“ Dieser Mann klang sehr erfreut ob seines Fundes. „Seht euch das an, da ist ein Versteck in der Wand!“
Wieder hörte ich Rumoren und Poltern, Holz knirschte als es aufgebrochen wurde.
„Holla! Hier versteckt die werte Dame also ihren wertvollen Schmuck!“ höhnte man und ich sah, wie sie alle versuchten die Truhe aus ihrem Versteck zu zerren.

 

„Mistress Kenway, sollten wir nicht lieber einschreiten? Ich meine, nicht dass diese Schurken die Kiste noch öffnen…“ die Wache neben mir war noch recht neu bei uns, also klärte ich ihn kurz auf, dass wir uns darüber keine Sorgen machen müssten.
Im selben Moment aber hörten wir von unten freudiges Gejubel. Aber auch dort würden sie nur die üblichen Geschäftsunterlagen finden. Mein Mann war dazu übergegangen, alles was in irgendeiner Form verdächtig sein könnte, in dem Waffenkeller unterzubringen. Wir führten beide doppelte Bücher! Sicher ist Sicher! Wie man jetzt ja sah.
„Ein Tagebuch vom Großmeister persönlich…“ Danach hatten diese seltsamen Gestalten gesucht? Ich verstand gerade gar nichts mehr.
„Hmmmm… seine Frau muss ja ziemlich langweilig sein. Man könnte meinen, er schreibt einen Bericht für seinen Kommandanten.“ die Enttäuschung, dass es keine schlüpfrigen Dinge zu lesen gab, war kaum zu überhören.
„Wir suchen nach was anderem, schon vergessen du Idiot?“ fauchte man den anderen an.

 

„Was zur Hölle ist das für ein Schloss? Das piept … und … es leuchtet… Wie ist das möglich?“ ängstlich und auch ehrfürchtig zu gleich hörte ich einen Eindringling aus meinem Studierzimmer. Sie alle scheiterten an der modernen Technik. Ohne die Powerbank zum Aufladen wäre sogar ich mittlerweile aufgeschmissen.
„Wir nehmen dieses Ding einfach mit und schauen, ob man mit Schwarzpulver was erreichen kann. Ich will nicht noch länger hier bleiben. Die Kenway kommt sicher auch bald auf die Idee nachzusehen, was wir hier machen.“ Anscheinend waren sie alle noch recht unwissend ob meiner Fähigkeiten, gut so!
„Und wenn schon, dann gibts nen Knebel und einen über den Schädel… Ruhe ist!“ lachte diese tiefe Stimme wieder.
Immer noch wusste ich nicht, ob ich einschreiten sollte. Sie hatten ja bis jetzt nichts gefunden, kaputt gemacht, angezündet oder ähnliches.

 

„Wir gehen jetzt rein!“ tat ich meinen Wachen hier kund und ließ die anderen unten wissen, dass sie ebenso ins Arbeitszimmer von Haytham einschreiten sollten.
Gesagt getan!
Mit Schwung riss ich die Tür auf und mich sahen 3 erschrockene Augenpaare an.
„Gentlemen, kann ich euch irgendwie behilflich sein? Habt ihr einen Wunsch?“ mein Sarkasmus gepaart mit einem Hauch Thyra bereitete mir einen wohligen Schauer.
„N...nein… Wir … kommen schon zurecht!“ einer der Herren ließ langsam seine Hand an sein Schwert gleiten.
„Denkt nicht einmal daran.“ ermahnte ihn einer meiner Leute.
Von unten ertönte bereits Kampflärm, also ging es dort nicht so friedlich zu.
„Na, dann warte ich mal hier, bis ihr die Truhe geöffnet habt. Sicherlich seid ihr Meister im Schlösser knacken. Nicht wahr?“ ich lehnte an dem Türrahmen und betrachtete die Diebe vor mir, wie sie von meinem Eigentum zu mir und wieder zurück blickten.
„Das ist Hexenwerk, Weib. Das fasse ich sicherlich nicht mehr an.“ er schüttelte sich bei diesen Worten.

 

Plötzlich sah ich aus dem Augenwinkel flackerndes Licht von draußen! Der Pferdestall war von hier aus direkt zu sehen und ich starrte entsetzt in diese Richtung!
„NEIN! Was habt ihr Idioten gemacht?“ schrie ich in meiner Panik und begann den Kampf! Jetzt reichte es mir!
Die drei Herren vor uns waren so überrascht, dass sie keine Chance hatten und wenig später blutend auf dem Boden lagen.
Ich selber eilte einfach nach draußen, ohne darüber nachzudenken, dass hier noch weitere von diesen Vermummten waren!
Ein Schuss ertönte und ich spürte einen beißenden Schmerz in meiner rechten Flanke! Gekrümmt versuchte ich mich weiter dem Stall zu nähern, aber es war die Hölle. Ich presste meine Hand auf die Wunde, spürte aber gleichzeitig dieses stetige Rinnsal von Blut über meine Haut laufen.
„Bleib stehen!“ brüllte man mir zu, riss mich herum und ich starrte in ein breit grinsendes Gesicht. „Ich wollte dir schon immer einmal ganz persönlich gegenüberstehen! Ein herrliches Gefühl!“ Eugene! Aber hier war keine Magie oder etwas gefaked. Es war alles real!
Meine Barriere war auf einem nicht zu überwindenden Level. Er konnte nicht hindurch.

 

„Schätzchen, ich bin real. Ich bin hier! Und jetzt…“ er zog mich hinter sich her bei den Worten. „… werden wir deine schöne Truhe öffnen!“
Mit Entsetzen sah ich, wie er ohne mit der Wimper zu zucken zwei unserer Wachen erschoss. Er nutzte eine Pistole aus dem 21. Jahrhundert… wie unfair… ging es mir durch den Kopf!
„Fair kann jeder!“ fauchte er und zerrte mich weiter mit sich… die Treppe hinauf… in mein Arbeitszimmer. „Um diese Jungs ist es nicht schlimm…“ Achselzuckend ging er über die Leichen seiner Männer.
Mittlerweile fühlte ich meine rechte Seite kaum noch, mein Arm kribbelte, genau wie mein Bein und ich drohte ohnmächtig zu werden. Kleine Blitze und Sternchen tauchten vor meinen Augen auf.
„So, jetzt mal her mit den Daumen, Alex!“ Eugene zog mich hinunter auf die Knie und legte ihn auf die Markierung. „Machst du es mit links freiwillig, oder muss ich handgreiflich werden?“ flüsterte er mir drohend ins Ohr.
Langsam und zittrig drehte ich meinen Kopf in seine Richtung.
„Ich lass es darauf ankommen…“ flüsterte ich. Gleichzeitig spürte ich die Veränderung wieder in mir vonstatten gehen! Edward ließ seine Kräfte auf mich wirken und Thyra begann sich zu erheben.

 

Doch ich war nicht schnell genug!
Er brauchte nur eine Mikrosekunde, war hinter mir und drückte jetzt beide Daumen auf die Schlösser. Ich hörte ein mir vertrautes „swuuuusch“ und ein leises Klicken.
„Ahhhh, dieser Sound ist ein Wohlklang in meinen Ohren…“ seufzte der Russe hinter mir und strich mir über die Wange. „Dann wollen wir doch mal schauen, was in diesem Wunderkasten alles zu finden ist.“ in diesem Moment gingen bei mir die Lichter aus.

 

~~~

 

Das darf doch nicht wahr sein…
Meine Augen wollten sich nicht so richtig öffnen lassen, es war einfach zu schwer.
„Na, magst du noch etwas bei mir bleiben, Alex? Diese Nacht war grandios!“ Diese Stimme brachte mir Übelkeit und in mir krampfte sich alles zusammen. „Leider hast du mir nicht alles gegeben was ich wollte. Wir üben das noch mal, einverstanden?“ ein Lachen schlimmer als vom Teufel persönlich ertönte neben mir.
Mein Mund öffnete sich, aber kein Ton kam heraus. Meine Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an.
Aber langsam nahm ich meine Umgebung wahr.
Ich lag in einem Bett in einem mir vertrauten Raum. Unser Schlafzimmer… Aber das neben mir war nicht mein Templer…
Warme Hände begannen über meinen Körper zu wandern, welcher in kein Hemd oder sonstige Kleidung gehüllt war! Langsam keimte eine mir bekannte Panik empor!
„Du sagst ja gar nichts, Alex? Bist du immer noch von meinen Qualitäten so begeistert?“ kichernd drehte sich Eugene jetzt über mich, sodass ich ihm in die Augen sehen konnte. „Deine Götterpreisung war Zuspruch genug für mich, also brauchst du auch gar nichts sagen!“ Wieder überkam mich eine lauernde Übelkeit.

 

Plötzlich hatte ich das Gefühl, als würde man mir einen Knebel aus dem Mund nehmen und meine Arme und Beine befreien! Mit einem lauten Aufschrei befreite ich mich unter Avdeyev und sprang aus dem Bett. Leider hatte ich meine Verletzung auf der rechten Seite vergessen und krümmte mich prompt vor Schmerzen!
„Du brauchst Bettruhe, meine Liebe. Komm zurück.“ flüsterte er mir zu.
„Nein… werde ich nicht!“ fauchte ich, während ich gleichzeitig nach meinem Morgenrock angelte, der über dem Fußende lag.
Erstaunlich was man für Kräfte entwickeln konnte, wenn es drauf ankam.
Langsam erhob sich mein Peiniger aber ebenfalls aus dem Bett und kam auf mich zu. Ich ging entsprechend weiter zurück.
„Dann lass mal sehen, was du fertig bringst in deinem Zustand! Und vergiss nicht… du bist nicht mehr alleine in deinem Körper!“ Sein Lachen ließ mich erzittern. Meine Hand wanderte wie ferngesteuerte auf meinen Bauch. „Du kannst es nicht mehr verhindern. Lange genug habe ich auf diese Gelegenheit gewartet. Monatelang habe ich meine Taktiken überarbeitet und Pläne immer wieder neu geschrieben! Und siehe da! Es braucht keine geheimen Fähigkeiten, ein einfacher Einbruch und ein bisschen Hokuspokus, damit mich deine Blagen und dein Vollidiot von Mann nicht stören! Et Voilà! Du gehörst mir!“

 

„Wo sind meine Kinder?“ schrie ich in einer neuen aufkeimenden Panik und lief, so schnell es denn ging, zur Tür. Auf der Galerie herrschte Dunkelheit und nichts war zu hören. Auch sah ich keine zuckenden Lichter von draußen wie vorhin… Hatte man das Feuer schon gelöscht? Was war mit unseren Pferden geschehen?
Zitternd eilte ich die Stufen hinunter und Richtung Keller… Was hatte ich ihnen geraten vorhin? Bis zur Scheune in den darunter liegenden Raum? Jeder Schritt bescherte mir ein Stechen in meiner rechten Flanke, das Atmen tat zusätzlich weh.
„Soll ich dich vielleicht stützen, Alex? Du siehst nicht gut aus und wir wollen doch, dass dem neuen Erdenbürger nichts passiert, oder?“ seine Hand ergriff meinen Ellenbogen und führte mich hinunter.
„Lass mich los, du Wichser!“ brüllte ich ihn an, aber er ließ mich nicht los.
„Na na na, vorhin hat sich das aber noch anders angehört. Komm, ich bring dich zu diesen Nervensägen!“ mit Schwung hob er mich auf seine Arme und trug mich durch den Keller in Richtung der Scheune durch unsere Tunnelgänge. „Schau an, ihr seid wirklich gut voran gekommen. Mal sehen, was ich davon noch machen kann. Solche unterirdischen Gänge sind ja ungemein praktisch.“ Seine Stimme war unerträglich für mich geworden mittlerweile und ich wollte nur noch hier weg.
Es würde aber keine Barriere oder ähnliches helfen, oder?

 

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir besagtes Ziel und Eugene ließ mich auf meine Beine runter.
„Da wären wir.“ hörte ich ihn freudig sagen, als er die schwere Eisentür vor uns öffnete. Dahinter saßen Edward, Florence und die Kindermädchen, sowie einige der Angestellten. Entsetzt sah man mich jetzt an.
„Mama…“ mein Sohn stand langsam auf, kam aber nicht näher! Stattdessen wurde sein Blick hart und musterte meinen Bauch! „Nein!“ plötzlich stürzte er sich auf den Russen und schlug wie wild auf ihn ein.
„Autsch… lass das!“ mit einer Hand schlug er meinen Sohn von sich. „Freut euch lieber, ihr bekommt noch einen Bruder!“ dieses Lachen, widerlich!
Alex, wie konnte das passieren? Hörte ich Sybill flüsternd in meinem Kopf.
Ich weiß es nicht! Meine Stimme klang schluchzend und gleichzeitig verzweifelt, weil ich mir keinen Reim auf das ganze hier machen konnte.
Florence starrte wie in Trance vor sich hin, sagte keinen Mucks und sah mich auch nicht an. Als ich mich langsam vor ihr auf die Knie sinken ließ, richtete sich ihr leerer Blick auf mich. Für einen winzigen Moment sah ich, dass sie mit Brünhild an einem Plan arbeitete. Augenblicklich verbarrikadierte ich diese Bilder, weil Eugene sie unter keinen Umständen sehen durfte.
„Mutter und Tochter im Zwiegespräch… wie schön. Hilft euch aber auch nicht weiter. Es ist vollbracht und damit hat es sich! Nur noch ein wenig Ruhe und die richtigen Drinks, dann wird es ein kleines Meisterwerk!“ er war lauter geworden, vermutlich etwas genervt von der ganzen Situation.

 

„Und jetzt reicht es auch erstmal! Komm Alex, wir wollen dich in Sicherheit bringen, damit unserem Nachwuchs nichts passieren kann!“ Der Russe packte mich und zog mich hoch. Perplex, was er meinen könnte, sah ich mich um.
„Du kannst meine Mutter nicht einfach …“ Edward hatte gegen diesen Faustschlag meines Widersachers keine Chance und lag bewusstlos am Boden.
Ich spürte immer wieder wie die Götter versuchten zu uns durch zu kommen, aber etwas verhinderte ihr Eindringen.
„DAS ist eine ganz geheime Zutat meiner Kräfte, Schätzchen! Wenn du lieb bist, dann zeig ich sie dir…“ damit erhob er sich im wahrsten Sinne des Wortes und zog mich mit sich. Es war, als würde ich plötzlich von oben herab erst auf die Menschen im Keller schauen, dann auf die darüber liegende Scheune und im nächsten Augenblick war ich an Bord eines großen schwarzen Schiffes.
„Willkommen an Bord der Naglfar!“ grölte der Russe und ließ Segel setzen!

Kapitel 36

~~~ Von Hexen und Schwangerschaften ~~~

 

Dieser Mann führte mich durch das Schiff, zeigte mir die Räumlichkeiten in welchen ich in der nächsten Zeit unterkommen sollte.
„Du darfst in meiner Kajüte mit mir nächtigen. Na, ist das nicht ein tolles Angebot?“ dieser Zynismus war widerwärtig! „Das beste ist, dein Sohn Yannick ist gerade mit der Suche nach mir beschäftigt und kann mich hier gar nicht finden! Somit haben wir alle Zeit der Welt um uns auf unseren Sohn vorzubereiten! Er wird ein mächtiger Zeitenwanderer und Herrscher werden, gepaart mit den Mächten der Götter!“ Immer wieder schnippte er mit den Fingern bei seinen eigenen Worten.
Ich selber sagte nichts, weil mir die Worte fehlten. Mein Gehirn war wie ausgeschaltet und ich wartete die ganze Zeit nur darauf endlich aus diesem Albtraum zu erwachen.
„Komm, zuerst werde ich dich meiner Heilerin überlassen, damit du gesund wirst. Wir wollen ja keine weiteren Risiken eingehen, nicht wahr?“
Mir wäre es scheißegal, wenn ich ehrlich sein soll.

 

Wir näherten uns einer Tür unter welcher ein leichter Nebel mit einem seltsamen Licht hindurchströmte.
„Ich habe schon auf euch gewartet. Leg dich, Liebchen. Das haben wir gleich…“ hörte ich diese alte Frau mit kratziger Stimme sagen. Sie klang wie eine typische Hexe aus den Märchenbüchern und sah auch so aus.
„Sei vorsichtig, Mütterchen! Ich will meine Liebste gesund und munter haben. Und sieh zu, dass du dich versicherst, dass sie das Kind nicht verliert!“ die letzten Worten klangen eher wie eine Mahnung, so als hätte diese Alte schon ein paar Mal Mist gebaut.
„Natürlich werde ich dafür ebenfalls Sorge tragen!“ …
Mir wurde schwindelig, als sie mit einem Büschel Kräutern vor meinem Gesicht herumwedelte und seltsame Worte vor sich hin sang.
Hin und wieder musste ich mich dann doch übergeben, was die Frau mit den Worten „Ja ja, diese Übelkeit am Anfang vergeht bald“ kommentierte.

 

Ich fiel in einen seltsamen ruhigen Traumzustand nach einer Weile …

 

Immer wieder tauchte Haytham auf, welcher sich suchend umsah und meinen Namen rief. Oder aber Edward und Florence erschienen vor meinem geistigen Auge. Auch sie versuchten mich zu finden. Aber ich konnte ihnen keine Hinweise geben, es war als hätte man mir die Zunge gestohlen, die Stimme oder meinen ganzen Verstand. Etwas blockierte mich für meine Familie.
Eine eigens von Eugene für mich persönlich errichtete Barriere?
Dieser Gedanke beflügelte mich etwas. Konnte ich nicht solche Mauern durchbrechen?
Was hat mir Edward Senior immer eingetrichtert im Training? „Die gesamte Konzentration auf die Steine, versuche sie alle einzeln zu bewegen. Nur so lernst du sie im gesamten zu durchbrechen!“
Leider war meine Konzentration an einem Nullpunkt, weil dieses Kind in meinem Bauch mich zusätzlich hinderte!
„Lass es, meine Liebste! Du schadest nur dir selber…“ flüsterte man mir immer wieder zu.


Eine Unendlichkeit später fühlte ich mich kräftiger, ausgeruhter und … schwangerer! Entsetzt bemerkte ich erste Bewegungen in meinem Bauch! Bei Odin… NEIN! In mir schrie alles wie so oft nach meinem Allvater, aber es war wie immer. Nichts drang nach außen oder zu mir!
Diese Trance in mir verstärkte das Gefühl dieser Hilflosigkeit nur noch mehr und es kam immer öfter vor, dass ich resignierte. Ja, ich begann aufzugeben, gegen das alles hier anzukämpfen!
Irgendwann fühlten sich Eugenes Zuwendung normaler und richtig an, so als sei ich nie mit Haytham zusammen gewesen. Die vermeintliche Hexe half mir darüber hinaus über Wehwehchen hinweg, was zusätzlich diese Gleichgültigkeit in mir nährte!
„So sollte es immer sein, Alex. Du hast einfach zu lange gewartet. Jetzt braucht es Zeit, bis du dich an deine Rolle als Mutter des zukünftigen Welten- und Zeitengottes gewöhnt hast. Aber wir werden es gemeinsam schaffen und du wirst sehen, sie alle werden sich vor uns verneigen!“ Seine Stimme hatte einen liebevollen Ton angenommen. So kannte ich ihn nicht, aber ich empfand es als wohltuend, nicht abschreckend.
Man könnte auch meinen ich hätte tatsächlich komplett resigniert.

 

So vergingen Wochen, vermutlich auch Monate ohne dass ich mich weiter bemühte einen Ausweg zu finden. Mir fehlte schlichtweg die Kraft zum Kämpfen. Das Kind in meinem Bauch schien sie mir zu rauben. Erschreckend stellte ich fest, dass das Wachstum in großen schnellen Schritten vonstatten ging. Oder täuschte ich mich? Galten hier andere Rechnungen für das Leben?
„Du bist nicht mehr in deiner Welt, Alex!“ begann Eugene eines Nachts als wir in seiner Kajüte im Bett lagen. „Die Zeitrechnung, wie du sie kennst, existiert hier nicht. Wir leben für einige wenige wichtige Momente und beschleunigen sie. Wenn es soweit ist, können wir sie auch verlangsamen, damit alles korrekt ablaufen kann!“ Diese Information speicherte ich seltsamerweise wie selbstverständlich ab, wohingegen ich andere Dinge einfach abhakte und vergaß.

 

Eines Morgens war ich recht früh auf den Beinen und ging an Deck um die frühen Sonnenstrahlen zu genießen. Versonnen strich ich über meinen bereits beachtlichen Bauch und dachte im Stillen, dass es ja nicht mehr allzu lange dauern könnte bis zur Geburt.

Geburt!

Yannick!

Edward!

Florence!

Diese Namen kamen wie aus dem Nichts und fühlten sich vertraut an… wo hatte ich sie vorher schon einmal gehört?
Plötzlich zuckten Blitze in meinem Kopf und mich überkam eine immense Übelkeit. Mein Vorteil war, dass ich schon an der Reling stand und mich nur vornüber beugen musste. Bei Odin… woher kam das so plötzlich…

 

Wie durch einen Kurzschluss flackerten Bruchstücke von Stimmen, Bildern und Gefühlen zu mir in meinen Kopf.
Ich bin hier …
Alex, hör mir zu …
Du musst auf deine Stärke …
Er darf nicht siegen! …
Sie ist doch da…
MAMAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA…

Mir war unendlich schwindelig, meine Augen schlossen sich immer wieder, ich fühlte mich wie nach einer stundenlangen Narkose…
Plötzlich sah ich in weiter Ferne ein Funkeln. Morsezeichen… dachte ich noch bei mir.
Beim genaueren Betrachten waren diese Lichtblitze wirklich konstant, immer dieselben und regelmäßig.
Aber ich war dem Morsealphabet nicht mächtig! Was sollte mir das bringen!

 

Nicht DIR! Dröhnte eine tiefe mir wohlvertraute Stimme plötzlich im Kopf. ENDLICH hörst du mich. Konzentrier dich auf die Lichter weiter und hör mir zu!
Es war mein Allvater und allmählich klärte sich mein Geist, wenn auch recht langsam und es vergingen gefühlte Stunden.
Keine Angst, wir steuern gerade die Zeit und haben somit, hoffentlich, keine Eile.
Er erklärte weiter, was passiert war und in mir keimte ein unsagbar schlechtes Gewissen auf. Meine Kinder, mein Mann, meine Freunde! Sie alle hatte ich im Stich gelassen, weil ich mich einlullen ließ von den Worten und Mächten Hrymrs oder besser Eugenes. Er hatte es geschafft mich mit einer kompakten Mauer zu umgeben, die mich komplett abschottet. Nichts drang nach draußen, nichts kam an mich heran. Seit Monaten versuchten Haytham, Edward Senior, die Kinder … einfach ALLE versuchten mich aus diesen Fängen zu befreien.
Erst jetzt kamen wir dank des jungen Edwards auf die Idee, es mit einem Trick zu versuchen. Die Naglfar war in den letzten Monaten immer wieder aufgetaucht, hatte hier und da für Unruhe gesorgt, aber war dann plötzlich verschwunden. Bis zu dem Zeitpunkt, als dein kleiner Sohn dich mit einem Spiegel blendete. Du erinnerst dich vermutlich nicht mehr daran, aber zum ersten Mal konnte ich deinen Geist wieder wahrnehmen. Also haben wir darauf aufgebaut. Jeden Morgen stehst du hier an Deck, genau wie auf der Jackdaw auch! Deine Gewohnheiten kannst du auch bei dem Erzfeind nicht abstellen. Mein Kind! Du musst zu uns zurück, befreie dich von dieser imaginären Kette…

 

Meine Jackdaw! Wie habe ich das Segeln mit Edward in der Karibik genossen… Aber das war gefühlte Jahrhunderte her. Es WAR Jahrhunderte her!
Ein Pirat! Mein Schwiegervater!
Deswegen hieß auch mein kleiner Sohn so!
Langsam wuchs in mir die Erkenntnis, dass ich in einer angepassten Scheinwelt dahin vegetierte. Man hatte mich mit was auch immer außer Gefecht gesetzt.
Es war dein eigener Wille, mein Kind. Leider warst du durch die Schusswunde zu geschwächt um dagegen zu kämpfen und Hrymr … er hatte leichtes Spiel… diese Trauer in der Stimme Odins war für mich erschütternd und ich begann zu weinen.
Immer mehr spürte ich eine neue Kraft in mir aufsteigen und im wahrsten Sinne richtete ich mich auf.
„Meine Liebe, so früh schon wieder wach…“ doch etwas an der Stimme des Russen war anders. „Komm da weg, SOFORT!“ donnerte es hinter mir.
„Nein, ich bleibe wo ich bin und werde mich nicht mehr kontrollieren lassen.“ mir war selber nicht ganz klar, woher diese Bestimmtheit und Ruhe in meinen Worten kam. Sie war da.
„Sie wollen dich nur benutzen um noch mehr Macht zu bekommen, aber wir können es ihnen ALLEN zeigen, Alex. Sei nicht dumm und komm zu mir!“ rief dieser Mann vor mir, während er versuchte meinen Arm zu ergreifen!

 

„Jeder strebt nach eigenen Zielen, Eugene. Du, ich, die Menschheit allgemein. Aber DU willst ALLES! Du willst die alleinige Kontrolle! Aber du wirst ohne mich an dein Ziel kommen müssen!“ in mir tobte eine Woge aus Wut, Angst, schlechtem Gewissen, Stolz auf meine Kinder… einfach aus so vielem, dass es mich immer weiter öffnete und mich klarer sehen ließ.
Dieser Hrymr hatte es tatsächlich doch noch geschafft mich willenlos zu machen. Und das ohne große Hilfsmittel, musste ich mir eingestehen. Das Ganze mit meiner Truhe war nur eine Ablenkung gewesen…
„Nein, ich brauchte deine DNA! Ohne sie hätte ich nicht den perfekten neuen Herrscher erschaffen können, oder dachtest du, wenn du bewusstlos bist, bekomme ich ALLES von dir?“ in mir zog sich alles vor Angst zusammen, weil ich das schlimmste Szenario völlig ausgeblendet hatte. Er hat mich vergewaltigt.
Er hatte die Abdrücke genutzt… in meinem Kopf spielte sich ein ganzer Spionagekrimi ab… James Bond und die X Akten lassen grüßen.

 

Du brauchst nur an mich denken und ich helfe dir … diese Stimme einer Frau in meinem Kopf klang so vertraut, dass ich mich einfach fallen ließ und sie machen ließ.
Mein Körper veränderte sich, meine Kleidung wich einem ledernen Wams und ich spürte wohltuende Gewichte an meiner Hüfte. Äxte!
Du bist wieder da! Und jetzt… du wirst nicht die Mutter des neuen Weltenbeherrschers werden! Wir sind zu etwas höherem bestimmt! Rief sie mir zu und ich durchbrach im wahrsten Sinne des Wortes eine unsichtbare Mauer hinter welcher sich eine ganz andere Welt verbarg und den Blick auf das tatsächliche Geschehen frei gab.
Das Meer, die Jackdaw, die Aquila … ich sah die Küste von Great Inagua … ich sah die Sonne am Horizont aufgehen …
„Du wirst nicht wieder… aaaaaaaaarghhhhhhhhhhhh!“ dieser schmerzerfüllte Ausruf kam von Eugene, als ihn das Schwert meines Piraten in der Körpermitte durchbohrte.
Um uns begann ein Kampf der seines gleichen sucht. Jeder gegen jeden, weil man kaum unterscheiden konnte, wer zu wem gehörte.

 

Meine Kräfte waren schier neu erwacht, die Schwangerschaft war nebensächlich. Was zählte war mein Leben, meine Familie und unsere Zukunft OHNE Hrymr!
„Er ist gerade nicht bei Bewusstsein, wir müssen das Schiff in die Luft jagen…“ rief mir mein Pirat entgegen und eilte schon nach unten um nach Pulverfässern zu suchen. Ich tat es ihm gleich und wir konnten einige strategisch gut platzieren.
Wenn wir an einem bestimmten Punkt die Zündung initiierten dann könnten wir es unbeschadet auf die Aquila schaffen. Die Jackdaw war leider nicht nahe genug um hinüber zu schwimmen.
Leider kam es anders, wie so oft.
Der Russe regte sich, aber nicht als der Mensch der er die letzte Zeit war, sondern sein innewohnender Gott erhob sich und begann damit, die Naglfar mit Wasser zu füllen um sie wieder in die Tiefe sinken zu lassen. Nur so konnte er dem Unglück entgegenwirken.
Uns blieb kaum Zeit für eine Planänderung und so mussten wir uns alle in Sekundenschnelle von diesem Schiff retten.
Genauso hat er es damals auch geschafft zu flüchten als er Walka kurzerhand mit in die Tiefe riss.
Edward, mein Sohn! Nein, er sollte nicht auch bei seinen Eltern diesen Anblick ertragen müssen!
Ich sprang beherzt über Bord und sah mich umringt von hohen Wellen, welche mir die Sicht und Orientierung nahmen! Verdammt nochmal, wo war jetzt die Aquila? Links? Geradeaus?

 

Plötzlich fühlte ich ein Seil, welches auf meinen Rücken schlug!
„Mistress Kenway! Greift das Tau!“ rief man mir zu und ich klammerte mich daran wie eine Ertrinkende...

Kapitel 37

~~~ Fehlgeburt und Erwachen ~~~

 

Ich zog mich mit den letzten Kräften an dem Seil zur Aquila und war dankbar für die dortige Hilfe beim Hinaufklettern.
An Deck konnte ich endlich durchatmen und ließ mich einfach an der Reling heruntergleiten. Dort blieb ich sitzen und lehnte mich an das Holz hinter mir.
„Alex, wie geht es dir?“ hörte ich die leise Stimme von Connor, welcher vor mir kniete.
„Ich … weiß es irgendwie noch nicht. Wo ist dein Vater?“ Plötzlich schoss mir dieser Gedanke in den Kopf. Ich hatte meinen Templer weder gehört noch gesehen! Wo war er? Ging es ihm gut? Ich war aufgesprungen, bereute es aber sofort.
„Bleib lieber noch etwas sitzen, ich hole dir etwas zu trinken.“ tadelte mich Haythams großer Sohn.
„Mistress Kenway, euer Mann ist auf der Suche nach euch noch immer in Europa unterwegs. Wir haben aber regelmäßig Nachricht von ihm erhalten und ihm geht es den Umständen entsprechend gut. Aber das alles hat Zeit, bis wir wieder in Virginia sind…“ Achilles war also mit von der Partie gewesen um mich zu suchen.
„Ihr habt auch geholfen? Ich danke euch, Master Davenport. Aber … meine Kinder?“ flüsterte ich, weil ich Angst vor einer schlechten Nachricht hatte.
„Edward und Florence geht es gut, sie sind in Davenport sicher untergebracht.“ seine Hand tätschelte meinen Arm bei diesen Worten.
„Odin sei Dank…“ noch immer war es mir nicht möglich, wirklich klar zu denken. Alles verschwamm immer wieder in meinem Kopf.
Die Wut auf mich und meine Unzulänglichkeit wuchs von Sekunde zu Sekunde und drohte mich zu überrollen.

 

Connor erschien neben mir mit einem Becher Tee, welcher verdächtig nach Baldrian und irgendwelchen anderen seltsamen Kräutern roch.
Ich hatte das auf der Naglfar oft wahrgenommen, dieser Geruch nach eigenartigen Gewächsen und die Speisen waren auch eher gewöhnungsbedürftig gewesen.
„Was genau ist da drin?“ ich spürte, dass ich unwirsch reagierte. Meine Helfer konnten ja nichts dafür! „Entschuldigt, aber …“
„Nein, das ist schon in Ordnung. Unser Arzt hat eine Mischung aus Baldrian, Johanniskraut und Fenchel für euch gemischt. Keine Sorge, es ist nichts böses in diesem Tee und niemand will euch vergiften.“ Es war Mr Falkner der sich jetzt zu Wort meldete und ebenso besorgt auf mich heruntersah.
„Dieser Geruch… er erinnert mich an… ich habe diese Dinge immer trinken müssen…“ in mir keimte ein weiterer Verdacht auf, dass man mich mit entsprechend ausgesuchten Kräutern lahmgelegt hatte. Man hatte mich betäubt! Und das nicht zu knapp wie ich entsetzt jetzt feststellte. Es waren keine einfachen Tees oder ein paar Blättchen im Essen! Auf meiner Zunge fühlte ich noch dieses Sirupartige Gefühl von meinen Medikamenten wie Eugene es genannt hatte.
„Danke aber… ich möchte das nicht mehr… ich würde gerne einfaches Wasser trinken!“ bettelte ich regelrecht, weil ich hoffte, dadurch einen klaren Kopf zu bekommen.
​​​​​​„Natürlich, ich bringe dir gleich einen Becher.“ Connor verschwand erneut nach unten.

 

Langsam versuchte ich mich aufzurichten und als ich endlich stand, sah ich auf die Position wo eigentlich noch vor wenigen Momenten die Naglfar zu sehen war.
Mir liefen die Tränen die Wangen herunter. Erleichterung, Wut, ein schlechtes Gewissen und die Gewissheit, dass ich nicht freiwillig schwanger geworden bin. Meine Hände glitten über meinen Bauch, er fühlte sich fest und irgendwie kalt an. Merkwürdig, vorhin noch hatte ich Bewegungen gespürt.
„Mistress Kenway, der Arzt lässt fragen, ob er euch einmal untersuchen soll. Wie ich sehe, seit ihr etwas verunsichert?“ zögerlich hakte der alte Assassine nach und ich folgte ihm hinunter zur Krankenstation.
„Ah, wie ich sehe habt ihr euch etwas erholt. Wie fühlt ihr euch?“ dabei deutete er mir auf der Pritsche Platz zu nehmen und bat die anderen Herren draußen zu warten.
„Wenn ich ehrlich sein darf, Doktor. Mir geht es alles andere als gut. Mir ist kalt, gleichzeitig fühle ich mich aber auch heiß an. Vom Schwindel einmal ganz abgesehen, habe ich Kopfschmerzen und mir ist … übel.“ ich versuchte mich unter seiner Untersuchung zu entspannen.
„Ich werde euch jetzt einmal abtasten müssen, es kann etwas schmerzen. Aber es ist wichtig um zu sehen, wie weit diese … Schwangerschaft fortgeschritten ist.“ Odin sei Dank hatte der Arzt warme Hände als er mit den Fingern vordrang und mit der anderen Hand meinen Bauch abtastete.

 

Für einen kurzen Moment runzelte er die Stirn, fuhr dann aber fort. Dann hielt er wieder inne und begann meinen Bauch mit beiden Händen abzutasten. Neben sich greifend nahm er das Hörrohr um mich abzuhören oder besser das kleine Lebewesen in mir.
Plötzlich schüttelte er den Kopf und sah mich besorgt an.
„Mistress Kenway, es … dieses Kind bewegt sich nicht und ich kann partout keine Herztöne wahrnehmen. Ist es … also habt ihr vorhin noch etwas bemerkt?“ Dieser Mann hatte Angst auszusprechen, dass das Baby in mir nicht mehr lebte.
„Ja, ich hatte Bewegungen kurz bevor die Naglfar unterging noch gespürt.“ Ich versuchte aus seinem Blick schlau zu werden. Wollte er einen Kaiserschnitt wagen? Wollte er abwarten bis ich Wehen bekam? Was wollte er?
„Ihr sagtet euch ist übel, heiß und kalt zugleich und ihr habt Kopfschmerzen, richtig? Darf ich einmal in eure Augen sehen?“ ohne auf eine Antwort zu warten bat er mich, mich aufzurichten. Ich folgte seinen Anweisungen als er eine kleine Petroleumlampe vor mein Gesicht hielt.
„Ich befürchte, wir müssen schnell handeln! Eure Augen verfärben sich gelblich und auch eure Haut ist gräulich und mit dunklen Adern übersät. Das alles deutete auf eine Vergiftung hin. Aber habt keine Angst, wir werden das alles hinbekommen.“

 

Ab jetzt ging alles ganz schnell, aber nicht so, wie der Arzt es vorgesehen hatte. Denn man schloss ihn aus seinem eigenen Reich aus.
Idun, Snotra, Sigyn, Odin und auch Tyr waren plötzlich aufgetaucht. So auch Heimdallr. Und was tat ich? Ich weinte vor Erleichterung und dass ich sie wieder um mich hatte.
„Du wirst von der Prozedur nicht viel spüren, nur im Anschluss hast du absolute Bettruhe einzuhalten. Hast du mich verstanden du sture Preußin?“ DAS war Tyr, welcher mich ermahnte.
Ich bin bei dir, mi sol! Mehr sagte Haytham nicht, als er in meinem Geist auftauchte. Dieses Gefühl von Geborgenheit in seiner Gegenwart übermannte mich und ließ mich entspannen.
Mein Bauch wurde gedrückt und von vielen Händen bearbeitet.
Sie alle halfen mit um Wehen auszulösen.
Also demnach wollte man keinen Kaiserschnitt machen, was mir auch lieber war.

 

Wollte ich jedoch dieses Kind sehen?
Wollte ich es überhaupt in den Armen halten?
Man sagt ja immer so schön, dass das Kind nichts für seinen Vater oder die Mutter kann. Aber mir fiel es schwer mich als Mutter für dieses Baby zu sehen. Ich wollte es nicht! Ich hatte Angst vor meiner eigenen Courage und schrie im wahrsten Sinne des Wortes dieses Individuum aus mir heraus!
Mir fehlte seit dem Untergang der Naglfar jegliches Zeitgefühl. Wie lange dieser Prozess der eingeleiteten Geburt gedauert hatte, weiß ich nicht einzuschätzen.
„Willst du … es sehen?“ fragte Idun mich leise. Sie hatte ein kleines, sehr kleines Bündel blutdurchtränkter Tücher auf dem Arm.
Wieder begann ich zu weinen! Nicht weil ich trauerte, nein. Ich weinte, weil es vorbei war!
„Nein, macht damit was ihr wollt. Ich … möchte nicht wissen, was es ist.“ flüsterte ich unterbrochen von einigen Schluchzern.
Mi sol, es tut mir so leid. Und wieder war ich nicht da um dich zu beschützen. Kannst du mir erneut verzeihen? Hörte ich meinen Templer zögerlich fragen.
Natürlich kann ich dir verzeihen! Ich hätte genauso aufpassen müssen, auch ich war zu unachtsam wie es scheint. Bei meinen eigenen Worten wurde ich erneut extrem wütend und schlug auf meinen Bauch ein. Ich schrie meine ganzen Gefühle heraus in diesem Moment.
Niemand unterbrach mich.
Im Gegenteil, die Götter standen um mich und warteten bis ich mich beruhigt hatte.
Schwer atmend ließ ich mich wieder auf der Pritsche nieder. Mein Kopf fühlte sich wunderbar leicht an und ich glitt in einen traumlosen Schlaf.

 

„Alexandra, bist du wach?“ flüsterte mir Connor ins Ohr.
Erschrocken drehte ich meinen Kopf in die Richtung und sah, wie er voller Erwartung vor meinem
Bett stand. Aber er war nicht alleine!
Edward und Florence waren ebenfalls anwesend und warteten, dass ich endlich wach wurde.
Ohne große Worte richtete ich mich auf und nahm meine beiden Lieblinge in die Arme.
„Ich habe euch so vermisst! Es tut mir leid, dass ihr so lange ohne mich wart. Das passiert bestimmt nicht noch einmal…“ die Worte sprudelten mir einfach so aus dem Mund.
„Wir haben dich auch vermisst! Wir waren aber ganz artig bei Miss … Connor, wie heißt die Dame bei Achilles im Haus nochmal?“ hakte Edward jetzt nach, weil auch er so aufgeregt war, dass er den Namen vergessen hatte.
„Mama, ich hab dich lieb!“ Florence war auf meinen Schoss geklettert und klammerte sich an mich.
„Ich dich auch, min lille engel.“ ich küsste ihre mittlerweile dunkelblonden Haare und strich behutsam über ihren Rücken.
„Vater kommt auch bald nach Hause, sagt er!“ mein kleiner Sohn war heute also der Botschafter und war sichtlich stolz darauf. „Er hat gesagt, dass ich auf dich achten soll, damit du auch die Bettruhe einhältst.“ seine Tonlage hatte die von Haytham angenommen, was mich schmunzeln ließ.
„Natürlich werde ich auf dich hören, min lille skat. Komm her und lass dich auch drücken!“
Dieser Familienmoment tat meiner Seele gut und ich atmete erleichtert aus.

 

Erst jetzt bemerkte ich, dass ich in meiner Kajüte auf der Jackdaw war.
„Wie lange war ich denn eingeschlafen?“ fragte ich neugierig nach.
„4 Tage, Mistress Kenway. Aber es war ein guter und sehr erholsamer Schlaf. Ihr habt kein Fieber mehr und eure Haut sieht auch wieder rosig aus. Außerdem …“ Achilles beugte sich peinlich berührt zu mir herunter „… die Blutung hat auch aufgehört.“ nuschelte er leise.
„Oh, ich verstehe.“ erst jetzt kam ich auf den Gedanken diese forcierte Geburt Revue passieren zu lassen. Doch noch wollte ich nicht weiter daran denken, sondern unterzog meinem Körper einer kleiner eigenen Inspektion.
Der Bauch war weg, Schmerzen im Unterleib hatte ich nur leichte und mein Appetit war wieder da.
„Könnte mir bitte jemand einen Kaffee bringen und ich hätte gerne einen Toast, gebuttert mit ein paar Eiern.“ mir lief dabei das Wasser im Munde zusammen.
„Natürlich, Alex. Ich gebe dem Smutje Bescheid.“ Connor eilte hinaus.

 

Nachdem ich dieses hervorragende Mahl verspeist hatte, ging es mir noch einmal um Längen besser und ich wagte mich aus dem Bett.
Man hatte eine Truhe mit einigen bequemen Sachen für mich hier bereitgestellt. Also wusch ich mich ausgiebig und kleidete mich in ein einfaches blaues Wollkleid. Außerdem hatte ich eine Art „Einlage“ gegen die Blutung zwischen den Nachthemden gefunden! Sehr aufmerksam!
Noch ein Schluck aus dem Kaffeebecher und ich machte mich auf an Deck.
„Ahhhh, es ist schön, euch bei guter Gesundheit wieder zu sehen.“ Mr Hargreaves nahm mich schwungvoll in den Arm, ließ aber das Steuerrad nicht ganz aus der Hand.
„Danke, ich bin auch froh, dass ich wieder auf den Beinen bin.“ Ich atmete die Seeluft tief ein und fühlte mich ein weiteres Stück besser.
Mit meinem Mann wäre es jetzt noch schöner hier… dachte ich wehmütig.
Mi sol, ich bin unterwegs… hörte ich ihn in meinem Kopf.
Ich werde ungeduldig warten, mi amor. Antwortete ich ebenso still.

 

Es dauerte noch ungefähr 5 Tage, ehe wir an unserer Plantage anlegen konnten. Meine Dankbarkeit festen Boden zu spüren kannte keine Grenzen und so kniete ich mich zum ersten Mal wirklich hin und küsste die Holzbohlen an der Anlegestelle.
„Mama! Warum tust du das? Wen betest du denn an?“ wollte Edward erstaunt wissen.
„Niemanden! Ich bin nur unendlich Dankbar wieder daheim zu sein!“ erwiderte ich trocken und nahm sie beide an die Hand. „Was meint ihr, wollen wir zum Haus laufen? Es ist gerade so schönes Wetter.“
Edward und Florence stimmten freudig zu und so machten wir uns auf den Weg in Richtung Herrenhaus. Begleitet von Walka, welche ich erst jetzt bemerkte.
„Walka meine Liebe! Du bist ja auch hier!“ bei meinen Worten tappte sie an mir hoch und ich knuddelte sie. „Es ist schön, dich auch gesund wieder zusehen.“ kicherte ich, als ich ihre Zunge über meinem Gesicht spürte.
„Sie hat immer Laut gegeben, wenn wir in deiner Nähe waren…“ plötzlich brach mein Sohn ab zu sprechen.
Ich nahm ihn in den Arm, drückte ihn an mich. Ich versuchte ihn zu trösten, weil auch er erst einmal das Ganze verdauen musste.
„Ich hab dich vermisst MAMA!!!!!“ rief er plötzlich und klammerte sich an mich.
Man kann sich vorstellen, dass dieser Weg zum Haus länger dauerte als geplant. Aber ich genoss jede Minute hier auf unserer Plantage.
Wir würden noch eine Weile brauchen, bis alles gesackt war und Gras über die Sache gewachsen war. Ich hoffte, dass auch Haytham bald nach Hause käme. Ich vermisste seine Nähe, seinen Lavendelduft …

Kapitel 38

Mai 1772

~~~ Das endgültige Aus unserer Ehe ~~~

 

Es mag sich seltsam anhören, aber erst jetzt kam mir der Gedanke, mal nach dem Datum zu fragen! Wie lange war ich fort?
Sophia zählte schnell nach und sah mich mit großen Augen an.
„Es waren ungefähr 4 Monate, Mistress Kenway. Wir haben jetzt Mai.“ erklärte sie mir.
4 Monate war ich weg.
4 Monate die mir dieser Widerling gestohlen hatte. Nicht nur mir, auch meiner Familie.
4 Monate in denen man mich willenlos und gefügig gemacht hatte mit irgendwelchen Drogen! Odin sei Dank hatte ich keine Entzugserscheinungen gespürt. Und wenn doch, dann habe ich sie vermutlich auf die Hormonschwankungen geschoben.

 

Ungefähr 3 Wochen nachdem wir wieder hier waren, erschien auch mein geliebter Templer daheim.
„Mi sol!“ rief er von der Eingangstür und rannte auf mich zu. Seine Arme umschlangen mich, hoben mich hoch und seine Lippen bedeckten meine Wangen, meine Augen und meinen Mund mit Küssen. „Ich kann nicht in Worte fassen, wie sehr ich dich vermisst habe!“ atemlos ließ er mich wieder auf meine Füße herunter.
„Ich dich auch, mi amor!“ meine Augen füllten sich mit Tränen vor Freude und Erleichterung ihn gesund wieder zuhaben!
„Wie geht es dir?“ in seiner Stimme spürte ich dieses Zögern, noch war er nicht bereit, alles zu besprechen vermutete ich einfach.
„Mir geht es gut, wirklich. Wenn du mir nicht glaubst, frag doch einfach Tyr.“ grinste ich breit.
„Aber ich war nicht da, als …“ ihm fehlten die Worte und ich half ihm aus.
„Doch, warst du. Als man mich gerettet hatte und einen Weg zu mir und meinem Geist gefunden hatte, warst du wieder da. Und das ist alles was zählt, mi amor.“ hauchte ich an seiner Brust. Wie hatte ich seinen ganz eigenen Geruch vermisst.

 

Wir genossen an diesem Abend, nachdem die Kinder im Bett waren, ein gemeinsames Bad. Es war einfach nur diese Nähe, welche wir beide vermisst hatten.
„Es tut gut, dich wieder in den Armen zu halten. Als ich erfuhr, dass dieser Russe dich einfach entführt hatte, war ich krank vor Sorge. Gott sei Dank, konnte ich sofort aus Richmond aufbrechen, weil bereits alles unter Dach und Fach war mit den Soldaten. Aber leider fanden wir keinerlei Spuren, die uns zu dir oder Eugene führen konnten.“ sein Seufzen war so tief, dass ich mich erschrocken umdrehte, weil ich befürchtete er würde weinen.
„Die Tage danach begannen wir alles und jeden Mobil zu machen. Wir suchten Informanten auf, setzten Spione an den Grenzen und Häfen ein. Aber wir fanden nicht den kleinsten Anhaltspunkt. Es dauerte fast einen Monat bis ich Nachricht erhielt, dass man ein riesiges schwarzes Schiff in einem Nebel gesehen hatte. Es war angeblich in Richtung Europa unterwegs. Alex, es war wie die Nadel im Heuhaufen suchen! Wir verfolgten die eine Spur, schon war eine neue Nachricht eingetroffen.“ seine Hände strichen über meinen Rücken, als er mich eindringlich musterte, so als überlegte er, wie er seinen nächsten Gedanken formulieren sollte.

 

„Und dann… eines Nachts konnte ich kein Auge zu tun, es war wie verhext. Ich hörte dich, deine Stimme… du… es war, als… Alex, ich habe gesehen wie du in seinen Armen gelegen hast! Wie vernebelt sahst du zu ihm auf, aber ich konnte… es regelrecht fühlen wie du ihn und nicht mich begehrt hast…“ seine Wangen wurden rot bei diesen Worten.
„Bei Odin!“ ich zuckte von ihm zurück, vor Scham, dass er mich so gesehen hatte. „Es ist nicht… Haytham, ich weiß nicht, warum ich diese Gefühle so zulassen konnte… mich ekelt es ja immer noch…“ erst jetzt mit meinem Mann in meiner Nähe konnte ich diese Momente besprechen, mich erklären und es beginnen zu verarbeiten!
„Das weiß ich, mi sol. Das weiß ich.“ Haytham lehnte am Rand des Beckens und sah mich lange an ohne ein Wort zu sagen. „Darf ich dich etwas fragen? Du musst mir nicht antworten…“ schoss es plötzlich aus ihm heraus und ich wusste, was jetzt kam.
„Nein, ich habe dieses Baby in mir nicht wirklich geliebt. Es war … ja, es war einfach da. Aber ich wollte es eigentlich nicht. Außerdem entstand dieses Kind durch eine Vergewaltigung, auch wenn es sich anscheinend nicht so angehört hat für dich. Aber ich wollte das doch nicht! Bitte! Glaub mir!“ mein ganzer Körper begann zu zittern, als ich meine ganze Wut endlich rauslassen konnte.

 

Langsam stand mein Mann auf und trocknete sich ab. Sein Blick war unergründlich in die Ferne gerichtet. Er sagte nicht ein einziges Wort, als er sich anzog und einfach hinaus ging.
Wie lange ich noch im Wasser blieb vermag ich nicht zu sagen. Irgendwann wurde mir kalt und auch ich zog mich an. Verloren stand ich hier im Bad und sah mich um.
War es das jetzt mit unserer Ehe?
Versteht Haytham irgendwann, dass ich nicht Frau meiner Sinne war, als Eugene sich an mir verging?
Ein Kind wollte ich sicherlich auch nicht mit diesem Russen in die Welt setzen!
In mir keimte Angst auf, dass mein Templer nichts mehr mit mir zu tun haben will. Mit diesem Gedanken ging ich hinauf, aber weder im Salon noch im Arbeitszimmer fand ich ihn.
Auch nicht oben in unserem Schlafzimmer.
„Mistress Kenway, soll ich euch noch bei euren Haaren helfen?“ hörte ich plötzlich Magdas Stimme hinter mir.
„Nein danke, ich brauche euch heute nicht mehr. Aber wisst ihr, wo mein Mann ist?“ fragte ich leise.
„Er … Michael sagte, Master Kenway nächtigt im Gästehaus nebenan. Er hat angeordnet einige Sachen hinüber bringen zu lassen.“ mit einem Knicks und entschuldigendem Ausdruck im Gesicht ging meine Kammerzofe wieder hinaus.
Aber vorhin war doch noch alles in Ordnung als er mich freudig in der Eingangshalle umarmt hatte. Oder habe ich mir das nur eingebildet?

 

Ich beschloss in mein Arbeitszimmer zu gehen um dort mein Tagebuch wieder fortzusetzen! Ich brauchte einen klaren Kopf, die Gedanken mussten sortiert werden. Als ich eintrat überkam mich aber, wie die letzten Tage auch immer wieder ein mulmiges Gefühl.
Ich hatte bereits meine Truhe überprüft, es fehlte nichts. Eugene hatte noch nicht einmal den Inhalt durchwühlt! Es ging ihm damals wirklich nur um die DNA von mir! Aber es waren doch diese Schwerter, die angeblich so wichtig für ihn waren, oder nicht? Er hätte hier ja Hinweise auf deren Verblieb finden können. War ihm dieses Kind wichtiger als diese Artefakte? Warum?
Gefühlte Stunden schrieb ich Seite um Seite und irgendwann dämmerte es. Langsam ging die Sonne auf und die ersten Lichtstrahlen brachen durch die Vorhänge. Das Zimmer wurde in ein seltsames Zwielicht getaucht, was mich erschauern ließ.
Plötzlich tauchten Bilder vor meinem geistigen Auge auf! Ein Raum mit eben diesem Licht, aber es schwankte und ich hörte ein leises Plätschern. Wasser brach sich an der Bordwand der Naglfar, während ich in diesem Bett lag, eingelullt von den Worten Hrymrs, dass wir bald am Ziel seien.
„Es dauert nur noch ein paar Monate, dann bist du wieder frei und ein neues Zeitalter wird anbrechen…“ diese Worte sprach er so oft, dass ich sie mittlerweile schon glaubte.
Von jetzt auf gleich änderte sich die Szenerie aber und ich lag auf der Pritsche der Aquila und brachte diesen neuen Erdenbürger zur Welt!
Langsam klärte sich mein Blick wieder! Ich saß in meinem Arbeitszimmer auf dem Fußboden vor dem Kamin und heulte.
Ich weinte um das tote Kind – auch wenn ich es nicht haben wollte -! Meine Tränen galten meinen Kindern und meinem geliebten Templer, welche ich so lange allein gelassen hatte…

 

„Mama?“ flüsterte eine helle Mädchenstimme neben mir. „Mama? Hast du wieder Bauchweh?“ Florence setzte sich neben mich und lehnte an meiner Schulter.
„Nein, min lille engel. Mir geht es gut. Aber ab und an weint man, weil so viele Erinnerungen aus einem heraus wollen. Verstehst du das schon?“ in ihrem Blick sah ich, sie wusste, was ich meinte.
„Miss Sophia hat gesagt, dass ich ruhig ab und an weinen soll, dass würde gut tun.“ sprach sie leise und strich über meinen Arm.
„Da hat sie Recht, Florence. Aber warum bist du denn schon wach, es ist noch viel zu früh.“ etwas schwerfällig erhob ich mich und zog meine Tochter mit hoch.
Ihre grünen Augen sahen mich seltsam an, als sie jetzt sprach.
„Ich hatte das Gefühl, dass du bald wieder weggehen würdest und hatte Angst. Deswegen habe ich dich gesucht, Mama.“ diese Worte klangen so unglaublich erwachsen aus ihrem Mund, dass es mich schüttelte.
„Hab keine Angst, min lille engel. So schnell werde ich euch nicht mehr verlassen.“ meine Lippen berührten vorsichtig ihre Stirn.
„Und was ist mit Papa?“ flüsterte sie traurig.
„Auch er lässt uns nicht alleine!“ sagte ich etwas bestimmter, viel mehr um mich selber zu beruhigen als meine Tochter.
Sie schlang ihre Arme um meine Beine und drückte mich an sich.
So standen wir eine Weile hier im Arbeitszimmer, bis die Sonne den Raum hell erleuchtete.

 

Im Wintergarten war das Frühstück schon vorbereitet und Edward hatte schon Platz genommen, als ich mit Florence dazu kam.
Aber von meinem Mann fehlte jede Spur.
Traurig ließ ich mich auf meinen Stuhl sinken, selbst der Kaffee konnte meine Laune nicht heben.
„Wo ist Vater?“ fragte mein Sohn nach und sah sich um.
„Er … hat sicher schon auf den Feldern zu tun. Und … es ist bestimmt auch viel Arbeit liegen geblieben in den letzten Wochen und Monaten.“ ich war bemüht souverän und neutral zu klingen, was mir aber nicht wirklich gelang.
„Habt ihr euch nicht mehr lieb, Mama?“ Sein Blick war vorwurfsvoll auf mich gerichtet.
„Was? Edward, nein. Wir haben uns noch lieb. Aber … es ist halt etwas schwierig gerade.“ ein kläglicher Versuch einer Erklärung.
„Wenn du meinst. Kann ich aufstehen? Ich wollte mit Jessy Frösche fangen gehen.“ seine gelangweilte Art so zu fragen, trieb mir eine Gänsehaut über den Rücken.
„Ja, geh nur.“ mehr als ein Krächzen brachte ich nicht zu Stande.
Auch Florence hielt es nicht lange hier, Mrs Muller hatte noch eine Kräuterwanderung mit ihr vor. Jetzt im Mai war eine gute Zeit dafür.

 

Also verbrachte ich eine Weile alleine hier und begann erneut das Grübeln.
Irgendwann saß ich mit einem Becher Kaffee auf der Terrasse und starrte auf unseren Garten.
„Da bist du ja.“ seine tiefe Stimme klang mehr als gelangweilt.
„Wo sollte ich auch sonst sein?“ kam es bissig aus meinem Mund. „Vielleicht kann ich ja wieder bei Eugene anheuern, dann weißt du auf jeden Fall WO ich bin!“
Haytham schritt an mir vorbei auf die Stufen zum Garten zu, blieb aber stehen und kreuzte die Arme auf dem Rücken.
„Ich könnte dich vermutlich überall hören, so wie du ihn angefeuert hast!“ fauchte er, ohne mich eines Blickes zu würdigen!
„Wie bitte? Haytham, bei Odin! Was ist auf einmal los mit dir? Vertraust du mir nicht mehr? Gestern noch hast du mich freudig begrüßt und jetzt das? Du kannst nicht ernsthaft glauben, dass ich dieses Arschloch in irgendeiner Art liebe oder begehre! Ich… ich weiß nicht einmal mehr etwas von diesen … Nächten oder Tagen … HAYTHAM! Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!“ meine Hände zerrten an seinen Ärmeln, damit er sich umdrehte.
„Lass mich los! Du weißt also wirklich nicht, warum ich so reagiere? Denk mal darüber nach, Alex! Gestern als wir im Bad waren, hast du mich Eugene genannt!“ jetzt war er es, der laut wurde!

 

Ich hatte bitte was getan? Nein, das konnte nicht sein. Ich erinnerte mich noch sehr gut an das Bad gestern! Ich hatte meinen Templer niemals Eugene genannt!
„Doch hast du. Du hast dich zu mir umgedreht, als ich dich wegen des Kindes fragen wollte. Deine Worte waren eiskalt, dass du mit diesem Templer NIE Kinder haben wollen würdest… Du hast es mir ins Gesicht gesagt…“ Haythams Blick war starr und kalt auf mich gerichtet.
„Ich… das ist unmöglich. Ich habe dir erklärt, dass ich Eugene verabscheue und dieses Kind nie haben wollen würde… Bitte glaub mir, ich habe…“ krampfhaft versuchte ich mich an meinen eigenen Wortlaut zu erinnern, fand aber keinen Zugang zu dieser Erinnerung!

 

Alex, Haytham! Hört zu! Hier überschneidet sich wieder alles! Ich habe es schon die ganze Nacht gespürt. Man könnte es als Nebenwirkung der Drogen und der … Geburt bezeichnen. Die Hormone spielen gerade verrückt und Haytham, bei dir ist es einfach diese Ungewissheit, ob nicht doch ein Fünkchen Wahrheit in der Aussage des Russen stecken könnte. Ich kann euch beiden versichern, es ist alles nicht wonach es aussieht.
Mein Schwiegervater hatte sich allmählich aus dem Nebel manifestiert und stand zwischen uns.
Ihr dürft euch nicht wieder manipulieren lassen. Es mag sich gerade nicht so anfühlen, aber noch sind die Ereignisse zu frisch um sie gänzlich abschütteln zu können. Seit füreinander da und … lernt euch noch einmal neu kennen.
Edward Senior sah uns beide nacheinander eindringlich an, damit wir auch wirklich verstanden was er meinte.
Haytham und ich brauchten einen kleinen Neuanfang. Etwas, wo alles vergangene verblasste und wir von Vorne anfangen konnten.
DAS meine ich. Keine Sorge, die Kinder sind gut behütet. Macht euch um die beiden keine Gedanken.
Damit verschwand er wieder und hinterließ ein Bild in unseren Köpfen.

Ein Zelt, ein Wald, ein Lagerfeuer … und nur wir beide!

Kapitel 39

~~~ Die Auszeit ~~~

 

Beide standen wir wie verlorene Kinder hier auf der Terrasse und sahen uns an.
„Alex, sind wir schon so verblendet, dass wir außer Acht lassen wie lange wir eine Einheit sind? Nehmen wir das Ganze wirklich als so gegeben hin?“ langsam schritt er auf mich zu.
„Ich weiß es nicht, aber eines kann ich dir mit Bestimmtheit sagen. Ich liebe dich und NUR dich! Ohne dich gehe ich ein wie eine Pflanze ohne Wasser, mi amor.“ flüsterte ich, als ich meinen Kopf an seine Brust lehnen konnte.
„Ich erinnere mich noch an die Zeit, als ich auf dich warten musste… es war unerträglich damals, mi sol. Lass uns einfach für ein paar Nächte in die Wälder gehen und… sehen, was dann passiert…“ Seine Stimme nahm langsam wieder diesen warmen mir so vertrauten Ton an.
„Das sollten wir.“ ich lächelte zaghaft zu ihm auf, als sich seine Lippen meinen Mund suchten. Dieser Kuss schmeckte nach mehr, nach meinem Mann und nach Liebe!

 

Am nächsten Morgen erklärten wir Edward und Florence, dass wir noch etwas wichtiges zu klären hätten und für ein paar Tage bei den Bassiters unterkämen.
„Warum dürfen wir denn nicht mit?“ jammerte meine Tochter beim Mittagessen und verzog weinerlich das Gesicht.
„Weil es nur die Erwachsenen etwas angeht, mein Engel. Und ja Edward, auch du bist noch zu jung für derlei Unterfangen!“ ermahnte Haytham unsere Kinder.
„Ja, schon gut. Wenn ich 100 bin, darf ich dann auch endlich mal etwas erleben…“ wütend verschränkte klein Kenway die Arme vor der Brust
„Wenn du so weitermachst, musst du 200 werden!“ eigentlich wollte ich ernst klingen, aber das misslang mir völlig bei seinem Anblick. Man stelle sich Haytham schmollend vor… muss ich da noch mehr sagen?

 

Wir brachen am frühen Nachmittag auf. Mr Mackenzie hatte die Pferde gesattelt und ein Packpferd mit Zelt und Proviant bereitstehen. Das Küchenpersonal hatte uns einige Speisen vorbereitet, so dass man meinen könnte, wir würden eine Kompanie zum Abendessen erwarten.
Nach einem langen und tränenreichen Abschied konnten wir los reiten.
„Wohin genau wollen wir eigentlich?“ kicherte ich, als ich mich auf Fenrir schwang.
„Nun, ich würde sagen… einfach… geradeaus, mi sol.“ mein Templer schien wie ausgewechselt und gab seiner Stute die Sporen.
Ich genoss diese kleine Freiheit auf dem Rücken meines Hengstes, sog die frische Mailuft in meine Lungen und ließ mein Gesicht von der Sonne wärmen. Es war einfach herrlich.
„Du siehst sagenhaft aus, wenn du so befreit bist, mi sol.“ hörte ich meinen Mann neben mir.
„Glaub mir, mi amor. Dich erkennt man auch kaum wieder, sobald du einmal die Fesseln des guten Anstands ablegst.“ kicherte ich und zog an ihm vorbei über einen umgestürzten Baumstand springend.

 

Gegen Abend fanden wir eine wirklich wunderschöne Lichtung, welche noch völlig unberührt schien.
Haytham begann das Zelt zu bauen und ich suchte nach Brennholz für das Feuer. Zum ersten Mal war ich mit diesem Mann völlig alleine. Wir waren auf uns alleine gestellt. Keine Angestellten, keine Annehmlichkeiten eines Hauses oder ähnliches.
Unsere Unterkunft für die Nacht, oder Nächte besser gesagt, stand. Das Lagerfeuer war bereit um angefacht zu werden und diese Stille um uns herum ließ uns weiter entspannen.
„Mi sol, hier. Den Wein hat mir Miss Tabea extra eingepackt. Er kommt aus Spanien!“ Haytham reichte mir einen der zwei Becher und setzte sich dann neben mich auf die Decke.
„Mmmmmh, er ist wirklich köstlich.“ seufzte ich zufrieden und lehnte mich an die Schulter meines Templers.

 

„Alex, kann ich dich etwas fragen?“ leise und zögerlich formulierte er diese Frage.
„Natürlich. Immer raus damit.“ meine Stimme war kaum zu vernehmen befürchtete ich.
„Wie fühlt es sich an, wenn du an mich denkst, oder wenn du mich vermisst?“ diese Frage war neu und kam unvorbereitet.
„Ähm, also …“ für einen Moment musste ich in mich gehen, aber im Grunde kannte ich die Antwort. „Wenn ich an dich denke, sehe ich deine grauen Augen vor mir, wie du mich liebevoll betrachtest, spüre deine Hände, wie sie mich halten. Wenn ich dich vermisse kommt noch dazu, dass ich diesen Duft von Lavendel und Seife in der Nase habe. Es ist wie damals in New York, als du das erste mal dicht an mir vorbei gegangen bist… du kannst dich vermutlich nicht mehr daran erinnern …“ kicherte ich leise.
„Doch, ich weiß noch, wie du tief geseufzt hast und ziemlich rot geworden bist.“ auch mein Mann gluckste leise vor sich hin.
„Ich hätte nie gedacht, dass du mich so um den Finger wickeln kannst, mi amor. Heute bin ich sehr glücklich darüber, dass du es getan hast!“ ich nahm seine Hand und küsste sie.
„Deine Haare haben immer noch diesen Duft von Vanille, deine Haut fühlt sich weich an und ich liebe es, wenn meine Finger eine Gänsehaut hinterlassen. Der Gedanke an dich bringt mich immer wieder zu dem Moment, wo du von Bord gingst in New York. Weißt du, woran ich auch ab und an denken muss? Du standest mit offenem Mund in der Tür des Fort Arsenals, als ich um Einlass bat. Einfach hinreißend, mi sol.“ jetzt nahm er meine Hand und küsste sie, aber dabei blieb es nicht.

 

Langsam fuhren seine Lippen hinauf zu meinem Hals, meinem Mund. Vorsichtig legte er mich auf die Decke und wir begannen uns zu erkunden. Seine warme Haut an meiner… Die Finger welche sich einen Weg durch die Stoffe bahnten … in einer Seelenruhe befreiten wir uns von allen Kleidungsstücken und konnten uns weiter kennenlernen.
„Mi sol… ich liebe dich!“ atemlos küsste er meine Halsbeuge, während ich mich darauf konzentrierte nicht sofort zu zerfließen unter seinen Händen.
„Ich liebe dich viel mehr, mi amor!“ stöhnend bog ich meinem Templer mein Becken entgegen und er tauchte begierig in mich ein!
Es war unbeschreiblich! Wir waren wieder eins! Die Einheit, welche wir sein sollten! DAS was zählte!
Mit diesem Gedanken ließ ich mit einem lauten Ausruf an die Götter los und klammerte mich an meinen Mann
„Jesus! Ich hatte ganz vergessen, wie sich das anfühlt…“ Haytham machte zwischen jedem Wort eine Atempause, was mich schmunzeln ließ.
„Du bist doch nicht etwa aus der Form für solche… Aktivitäten, oder?“ neckte ich ihn und erntete eine hochgezogene Augenbraue.
„Die Dame wünscht also einen Beweis meiner Ausdauer bezüglich dieser Betätigung?“ mit einem breiten Grinsen hob er mich auf seinen Schoß und schloss seine Hände um meine Hüften. „Was ist mit deiner Ausdauer? Beweg dich…“ mehr Befehl brauchte ich nicht…

 

Später als wir unter den Decken im Zelt lagen, erzählte mir Haytham von seinen Übernachtungen während er noch unter Braddock gedient hatte.
„Das hier ist Luxus im Gegensatz zu den Zelten der Armee. Ganz zu schweigen von den Uniformen. Schrecklich sind die, sie kratzen und sitzen einfach nicht richtig. Kein Wunder dass die Soldaten so schlechte Laune haben.“ in seiner Stimme hörte ich ein leises Lachen.
„Aber wenn ihr so lange unterwegs ward, wie konntet ihr euch dann verpflegen? Es müsste doch haufenweise Proviant mitgeführt worden sein.“ diese Frage hatte ich mir oft gestellt, weil ich noch nicht so ganz in diesem Jahrhundert angekommen war in solchen Dingen.
„Man muss selber jagen oder fischen, Alex. Außerdem kann man nicht jeden Abend ein ausgiebiges Dinner erwarten. Das war eine Seltenheit, glaub mir. Ich kann mich an ein Essen erinnern, welches bei einem Colonel in New York stattfand. Es war erschreckend, was dort alles aufgetischt wurde. Die Menge an Fleisch oder auch Pudding war immens. Was aber für mich mehr als abschreckend war, waren die Damen, welche im Anschluss für … die Herren zuständig waren. Alles bis ins kleinste Detail geplant.“ bei diesen Worten ließ er mich an den Bildern teilhaben und ich konnte verstehen, warum Haytham damit so seine Probleme hatte.
Diese Freizügigkeit und Zügellosigkeit wie sie dort praktiziert wurde, war ihm fremd. So auch mir.

 

„Denk nicht mehr daran, mi amor.“ flüsterte ich leise, als ich mich langsam über ihn beugte und seinen Mund mit meinen Lippen bedeckte.
„Wenn du bei mir bist, fällt es mir leicht.“ stöhnte er leise und seine Lust war deutlich zu spüren.

 

~~~

 

Nach einem weiteren Tag Walderkundung und Lehrstunde über die Tiere des Waldes, verbrachten wir noch eine Nacht in unserer kleinen provisorischen Schlafstätte.
Diese völlige Ruhe und Zweisamkeit ohne Störung war genau das Richtige und wir konnten uns komplett auf den anderen besinnen.
Natürlich mussten wir dann auch mal, im wahrsten Sinne des Wortes, die Zelte hier abbrechen und nach Hause zurückkehren.
Schweren Herzens packten wir alles zusammen und sattelten die Pferde.
„Lass uns das in den Sommermonaten ab und an wiederholen, mi amor.“ bat ich Haytham, als wir aufsaßen und uns auf den Heimweg machten.
„Ich verspreche dir, dass wird in meinen Terminplan mit aufgenommen.“ seine Hand ergriff meine und drückte zu.

 

Die Zeit bis zur Plantage nutzten wir um uns weiter auszusprechen. Es gab noch so einiges, was Haytham wissen wollte und umgekehrt wollte ich mehr über meine Rettung erfahren.
Nachdem mich Eugene auf die Naglfar gebracht hatte, wurde sofort ein Reiter losgeschickt um Haytham zu benachrichtigen. Die Wachen hatten sich entsprechend aufgeteilt, ihre Kameraden würdig beerdigt und so weiter.
Edward und Florence wurden mit ihren Kindermädchen nach Davenport gebracht, weil man sie aus der Schusslinie haben wollte. Diesen Gedanken konnte ich durchaus nachvollziehen und war dankbar für diesen Geistesblitz der Wachen und Kindermädchen.
Alle mir bekannten Götter waren ebenso in Alarmbereitschaft, zum Bedauern aller fand man keinen Zugang zu meinem Geist.
Leider war auch meine Schwester nicht in der Lage zu mir durchzukommen, weswegen man die Familie Cormac nicht weiter in die Suche mit einbezog. Sie hatten selber genug Dinge zu bedenken, erklärte mir Haytham. Ich hoffte, dass ich später noch Gelegenheit hätte mit Faith zu sprechen. Die Kommunikation mit ihr, wortlos meine ich, war nicht mehr so einfach möglich hatte ich traurig einige Male festgestellt.

Mein Templer hatte alle seine Beziehungen innerhalb der Armee, des Kongresses, des Ordens und in den entsprechenden Behörden spielen lassen um mich ausfindig zu machen. Wie er jedoch schon sagte – heute diese Nachricht, morgen schon die nächste -! Es war einfach unmöglich wirklich einen Weg oder eine Route auszukundschaften. Eugene schlug Haken wie ein pfiffiger Fuchs und verwischte seine und Hrymrs Spuren.
Unser Allvater war deswegen oft erzürnt, weil er sogar auf seinen Widersacher keinen Einfluss nehmen konnte!

 

„Und weißt du, was sehr seltsam war? Als Edward in der Davenportsiedlung mit Achilles auf dem Felsen stand und auf die Bucht sah, hatte er das Gefühl ein großes Schiff ausfindig machen zu können. Es läge auf der anderen Seite und er konnte die Umrisse sogar beschreiben. Unser Sohn nahm sich einen kleinen Spiegel und sagte, so könnte er dich auf ihn aufmerksam machen.“ dieser Unglaube in Haythams Stimme war nicht zu überhören. Es klang wirklich absurd.
„Du wirst es nicht glauben, aber für den Bruchteil einer Sekunde konnte dieser Junge dich wirklich sehen! Leider verschwamm sofort wieder alles, aber es war ein kleiner Anlaufpunkt, welchen Master Davenport sofort nutzte und mit Connor und Mr Falkner die Aquila bereit machen ließ. Ich war mittlerweile in Europa, weil man angeblich vor der Küste Spaniens die Naglfar gesichtet hatte. Leider war das eine Finte und ich musste noch einmal Richtung Italien mit der Jackdaw, weil dort immer wieder an einigen Häfen seltsamer Nebel aufgetaucht war. Alles nur Gerüchte und falsche Wege. Sackgassen!“ wütend klatschte er sich auf den Oberschenkel.

 

„Du hast aber gesagt, du hast die Nacht oder auch andere… also du hast mich doch wahrnehmen können…“ wie war das möglich, wenn er doch – wie alle anderen auch – sonst nicht zu mir durchkam.
„DAS war vermutlich genau geplant von dem Russen! Er wollte mich glauben lassen, dass ich dich an ihn verloren habe. Dieser Mann ist gerissener als wir glauben!“ da war was dran. Eugene hatte die große Macht seines Gottes voll und ganz genutzt, außerdem wuchs er an ihr zusätzlich. Etwas was ihn zusätzlich noch gefährlicher machen könnte in Zukunft.
Was aber letztendlich zählte war, dass man mich durch Zufall wieder ausfindig gemacht hatte. Fischer hatten fast eine Woche lang seltsame Schemen auf dem Wasser wahrnehmen können. Alles spielte sich vor der Küste von Great Inagua ab. Warum gerade da?
„Irgendetwas hielt das Schiff dort auf. Niemand vermag zu sagen was genau. Aber es war erneut unser Sohn, der mit einem Spiegel auf dem Felsen in Davenport stand. Alex, du musst dir das vorstellen. Du hättest es niemals sehen können, Edward muss die Hilfe von allen Göttern gleichzeitig bekommen haben um so an dich heran kommen zu können. Du kannst dir nicht vorstellen wie stolz ich auf ihn bin!“ tief durchatmend sah mich mein Mann voller Stolz an. Der Stolz eines Vaters!
„Unglaublich! Mir fehlen wirklich die Worte.“ meine Stimme brach sich, weil ich die Tränen vor Freude versuchte zu unterdrücken.
Wenn ich genauer darüber nachdachte, dann brauchte ich auch nicht nach meinem Heilungsprozess fragen. Er würde vermutlich genauso phantastisch und unfassbar von statten gegangen sein, wie so vieles in unserem Leben seit ich hier bin.

„Ich habe dieses Kind gesehen, Alex.“ flüsterte Haytham plötzlich entschuldigend.

 

Sommer 1772

Kapitel 40

~~~ Die Albträume im Rücken ~~~

 

Für einen Moment klammerte ich mich stocksteif an die Zügel, brachte aber vor Angst kein Wort heraus.
Wollte ich Einzelheiten wissen?
War ich schon soweit?
Vor allem eine Frage stellte sich mir: War es nötig, dass ich wusste ob es ein Junge oder Mädchen war?
„Alex, sag doch etwas.“ Haytham lenkte Brida näher an mich und legte eine Hand auf meinen Oberschenkel.
„Was… ja… ich…“ aus einem Impuls fragte ich, wie es aussah, ob Mädchen oder Junge. Aus mir klang ein gewisses Desinteresse, welches mich vor mir selber zurückschrecken ließ.
Was bist du doch für eine grausame Person, dass du nicht einmal das winzigste Gefühl für diesen kleinen Mensch aufbringen kannst.
Ich hatte nicht verdient, Mutter genannt zu werden!
Plötzlich sah ich Eugene wieder vor mir, wie er diabolisch lachte bei diesen Worten.
„NEIN!“ mit einem Satz war ich von Fenrir herunter gesprungen und rannte blindlings in den tiefen Wald.
„ALEX! Warte…“ hörte ich hinter mir eine vertraute Stimme.
Oh nein, ich werde mich doch nicht noch einmal so einlullen lassen. Nicht mit mir!

 

Irgendwann stand ich unter einer dichten Decke aus Baumkronen, es fühlte sich an als wäre es schon Nacht. Schwer atmend lehnte ich an einem dicken Baumstamm und versuchte mich zu konzentrieren…
Worauf denn?
Wo wollte ich hin?
Was war gerade noch mal passiert?
Warum war ich so in Panik davon gelaufen?
Dieser Templer war hinter mir her. Genau! Ich musste mich verstecken, er war es nämlich, den es zu beseitigen galt.
Ich schlich vorsichtig weiter zu einem nahen Gebüsch und hockte mich hinein. Meinen Blick aktivierend sah ich mich um. Aber ich hörte nur die vertrauten Tiergeräusche, das Rascheln der Blätter der Bäume wenn der Wind hindurch strich.
Rote Auren sah ich keine, Tiere sah ich ebenso wenig…
Ein wohliger Mantel aus Ruhe und Entspannung legte sich über mich, während ich so dahockte.
Doch dann drangen wieder die Bilder eines großen schwarzen Schiffes zu mir, der Geruch von seltsamen Kräutern … die Hände eines fremden Mannes an meinem Körper …

 

„Mi sol! Wach auf… ich bin es, Haytham!“ vorsichtig strich mir jemand über die Wangen. „Du brauchst keine Angst mehr haben. Sieh mich bitte an.“
Vorsichtig öffnete ich die Augen. Aber die Angst, dass ich etwas sehen könnte, was ich nicht wollte, ließ mich nicht los und ich zögerte. Als mir der Geruch von Lavendel in die Nase stieg, wurde mir schlagartig klar, dass ich wirklich nichts zu befürchten hatte.
„HAYTHAM!“ ich klammerte mich an diesen Mann, als wäre er meine letzte Rettung!
„Wir haben unterschätzt, wie sehr diese Monate noch in dir nachklingen, mi sol. Du brauchst noch
Zeit und Ruhe. Komm, lass uns nach Hause reiten.“ vorsichtig half er mir hoch und auf mein Pferd.
Etwas schlaftrunken, so fühlte es sich gerade an, saß ich auf Fenrir und strich ihm vorsichtig über das Fell. Ohne dass ich noch etwas machen musste, brachte er uns nach Hause. Sogar Brida brauchte keine Anweisungen von Haytham.
Als es jedoch dunkel wurde, schlug mein Mann ein neues Nachtlager vor. Dieses mal nutzten wir das Zelt nicht, sondern er spannte die Tücher zwischen die Bäume, legte die Decken darunter so das wir vor dem Gröbsten geschützt waren.
In seinen Armen schlief ich tatsächlich auch friedlich ein.

 

Ich kann es nicht erklären!
Jedes mal wenn dieser Mensch in meiner Nähe ist, fühle ich mich wohl. Mir kann nichts passieren und im Grunde konnte ich mich umgehend entspannen. Es brauchte noch nicht einmal Worte seinerseits. Kleine Gesten, sein Geruch und einfach seine Wärme waren mein Zuhause, mein Ankerpunkt!
Kitschig, ich weiß. Es ist aber ein wundervolles Gefühl für mich!

 

Der nächste Morgen war etwas bewölkt, leider war es drückend warm geworden. Kein Wunder, es war Mai und die Luftfeuchtigkeit nahm hier zu, genau wie die Temperaturen anstiegen.
Nach einem kleinen Frühstück brachen wir wieder auf.
„Ich werde diese Tage hier im Wald vermissen.“ seufzte ich leise, als wir aus dem Dickicht auf das offene Feld kamen.
„Das einfache Leben ist oft wirklich der beste Weg um sich wieder auf sich besinnen zu können.“ auch Haytham atmete tief durch und streckte sich im Sattel.
Ich hatte vor Jahren einmal meinem Mann von der „Entschleunigung“ berichtet. Momente, wo man sein Leben auf ein Minimum schraubt, um sich auf das Wesentliche wieder konzentrieren zu können. Einfach nur Natur zum Beispiel, keine Einflüsse von Internet oder ähnlichem.
Gerade diese letzten Tage zeigten mir, wie wichtig das doch ist um seine Gedanken wieder in die richtigen Bahnen zu lenken.

 

~~~

 

„Ihr seid wieder da!“ hörte ich begeisterte Rufe unserer Tochter, welche gerade mit Sophia auf der Koppel bei ihrem Pferd war.
„Min lille engel, ich habe dich vermisst.“ etwas steif stieg ich von Fenrir und nahm sie in den Arm. „Warst du auch artig?“ fragte ich grinsend nach.
„Ja, Mama. Aber es ist so still ohne dich oder Papa.“ flüsterte sie an mein Ohr.
„Dein Bruder macht doch sicherlich genügend Krach, oder nicht?“ hakte jetzt Haytham grinsend nach. „Wo ist er eigentlich?“ suchend sah er sich um.
„Master Kenway, Master Edward ist bei Mr Hathaway. Er muss noch eine Strafarbeit fertig schreiben.“ erklärte Sybill entschuldigend.
Der Blick meines Templers in meine Richtung zeugte von „Man kann ihn nie allein lassen!“ aber er sagte es nicht. Haytham war entspannt und wollte sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Nicht so kurz nach der Ankunft Daheim!
Was soll ich sagen, die Strafe für Edward blieb am heutigen Abend aus, nachdem meine Männer ein Gespräch unter vier Augen geführt hatten.

 

~~~ Eine unerwartete Expedition ~~~

 

Vor einigen Tagen erhielten wir endlich einmal erfreulichere Nachrichten, welche uns in unserer Suche nach den Artefakten weiter bringen sollte.
Ein Brief des Dolmetschers, der das Journal von Reginald Birch für uns übersetzt hatte. Einiges war schwer zu entziffern oder die Sprache war niemandem wirklich geläufig. Mir ging die Frage durch den Kopf, welche Erziehung Haythams alter Mentor genossen haben mochte, dass er solche Kenntnisse besaß? Viel wusste ich über Birch tatsächlich nicht, vielleicht hätte ich meine Recherche auch dahingehend erweitern sollen.
Doch ich schweife ab.

 

Beginnen wir damit, dass sich der zu suchende Gegenstand auf einem Schiff befunden hatte, als es sank. Der Unglücksort befand sich vor der Küste North Carolinas, wo es 1718 auf Grund lief.
Wir sprechen hier nicht von irgendeinem Schiff, nein.
Es geht um die „Queen Anne´s Revenge“! Edward Thatchs alias Blackbeards Galeone!
Als ich den Namen las, schlug mein Herz höher und es verschlug mir die Sprache.
„Das ist …!“ sogar Haytham fand keine passenden Worte.
„Aber ich weiß etwas zu sagen.“ hörte ich Edward Senior hinter uns plötzlich. „Ich hätte auch selber darauf kommen können, dass wir dort nach diesem Artefakt suchen sollten. Es ist so offensichtlich!“ seine flache Hand schlug auf den Schreibtisch, als er Kopfschüttelnd ebenfalls über die Zeilen las.

 

Dort auf dem Grund des Meeres schlummerte seit nunmehr fast 54 Jahren eine Kiste, deren Inhalt eine Karte von noch nicht offiziell entdeckten Orten und ein sogenannter Sonnenstein war.
Ein Navigationsgerät, welches die Wikinger nutzten besonders wenn es bewölkt oder neblig war.
„Ed hatte dieser Stein schon einige Male aus einer misslichen Lage geholfen. Ja, schaut nicht so. Auch er war nicht immer so erfahren. Jeder fängt mal klein an, so auch ich.“ in den Augen meines Schwiegervaters sah ich plötzlich Trauer aufsteigen. Thatch war in gewisserweise wie eine Vaterfigur für ihn geworden in den Jahren. Was dazu kam war, dass Edward Senior zu dem damaligen Zeitpunkt noch nichts von seinem göttlichen Paten wusste!
Plötzlich fühlte ich die Präsenz meines Allvaters.
„Wenn wir dieses Artefakt erst wieder im Besitz haben, können wir besser manövrieren mit der Jackdaw. Zusammen mit einem geschulten Seefahrer und gutem Sextanten sollten wir Wege ergründen können, die anderen verborgen bleiben!“ diese Euphorie in seiner Stimme ließ mich aufhorchen.
„WELCHE Wege? Wissen wir schon wieder etwas nicht …“ man unterbrach mich.
„Mein Kind! Diesen Stein wirst du, wenn er endlich in deinem Besitz ist, nicht wie die anderen Dinge in deiner Kiste verstauben lassen! Er wird immer bei dir sein, du wirst ihn immer an dir tragen! Du wirst sehen, er hängt an einer robusten Kette. Sie ist fast so unzerstörbar wie der Anhänger. Man könnte sagen, es ist wie Gleipnir womit wir Fenrir binden wollten.“ Odin schien sich bei seinen eigenen Worten wahnsinnig zu freuen und sah uns zufrieden einen nach dem anderen an.

 

„Dann sollten wir also alsbald eine kleine Expedition planen!“ Haytham war es, der sich die Hände rieb und nach einer Karte suchte.
„Haytham, warte. Du brauchst keine Karte, ich weiß schon, wen wir befragen können.“ grinste mein Pirat wissend in die Runde. „Kommt ihr nicht drauf?“ jetzt hatte sein Blick etwas triumphierendes an sich.
„Nein, erleuchte uns bitte!“ bat ich leise, weil mir seine Art gerade etwas unheimlich war.
Anne Bonny!“ rief er freudig.
„Ähm, sie lebt noch?“ wieder stieg Frust in mir hoch, dass ich nicht so tiefgehende Forschungen betrieben hatte. Wer hätte auch ahnen können, dass wir diese Dame irgendwann einmal aufsuchen würden.
„Sie lebt, hat ein paar Kinder mit ihrem Ehemann in die Welt gesetzt und genießt vermutlich gerade ihren Ruhestand.“ wenn man nun meinen Schwiegervater betrachtete, könnte man meinen, er ist wieder 19 Jahre alt und auf dem Weg das erste Mal auf einem Schiff anzuheuern. Ich ertappte mich, wie ich ihn tatsächlich anstarrte.
„Und wie sollen wir mit ihr in Kontakt kommen? Wir können ja schlecht sagen, dass sie uns bei der Suche nach etwas helfen soll. Sie kennt mich …“ mein Mann sprach nicht weiter, weil auch ihm klar wurde, dass er ebenso Kenway hieß.
„Vergiss nicht, mein Sohn. Ich werde ihr schon alles erklären.“ dabei klopfte er seinem Sohn auf die Schulter.
„Du willst dich vor ihr so zeigen? Edward!“ mir wurde etwas mulmig bei diesem Gedanken. Wer weiß, wie sie reagieren würde, wenn er plötzlich so leibhaftig vor ihr stand.

 

Auf der anderen Seite wussten wir nicht, ob Anne überhaupt von Edwards Geschichte wusste
„Man hat sie damals, so weit ich jetzt weiß, unterrichtet, dass ich … dass es einen Überfall auf uns gab.“ jetzt wich seine Freude einer alten Erinnerung.
„Ich bin auch noch da und kann eingreifen, sollte sie vor Schreck in Ohnmacht fallen!“ grinste Odin etwas anzüglich.
„Dann ist es abgemacht. Wann brechen wir auf?“ wenn es nach mir ginge, könnten wir morgen gleich los. Leider war gerade Sommer und die Aufsicht der Plantage oblag immer noch Haytham, welcher sein Eigentum derzeit nicht gerne „alleine“ ließ.
Die drei Herren beschlossen, dass wir im Oktober aufbrechen sollten.
Bei meinem genervten tiefen Seufzen erntete ich hochgezogene Augenbrauen.
„Meine Tochter muss immer noch lernen Geduld zu haben. Vielleicht sollten wir des öfteren solche Dinge planen, was meinst du?“ die Stimme des Allvaters hatte einen sarkastischen Unterton angenommen, als er mich betrachtete.
„Danke, aber ich habe das schon ganz gut im Griff.“ nuschelte ich beleidigt, weil ich es nicht mochte, wenn man sich über meine Schwächen lustig machte.

 

Wir besahen uns jetzt noch einmal in Ruhe die Aufzeichnung Reginalds, die Zeichnungen die etwas verblasst waren und es wurde eine Karte hinzugezogen um den Ort, vorerst zumindest, grob zu bestimmen.
Blackbeards Schiff lag also vor der Küste North Carolinas, aber ohne exakte Koordinaten.
„Und wie sollen wir hinunter zum Wrack tauchen? Wie tief ist es denn dort?“ hakte ich nach, weil ich selber zwar schwimmen konnte, aber ich war halt kein Apnoetaucher.
„Die Jackdaw bekommt einfach wieder eine Taucherglocke und es gibt, soweit ich weiß, auch Helme wo ein Schlauch befestigt ist der einen atmen lässt.“ wieder war es mein Pirat, der sich an die alten Zeiten erinnerte.
„Davon habe ich auch schon gehört, Vater. Franklin arbeitet an diesen flexiblen Rohren oder besser Schläuchen. Er hat mir von seinen ersten Fehlkonstruktionen berichtet.“ auch mein Mann war ganz in seinem Element. Er konnte etwas planen und koordinieren.
Fasziniert stand ich eine Weile daneben und sah die Herren über der Karte und den Bildern grübeln.

 

Nicht mehr lange und wir würden die „Queen Anne´s Revenge“ besuchen. Ich muss gestehen, meine Freude war die gleiche wie sie mein Pirat gerade vermutlich empfand!

Sommer 1772

Kapitel 41

~~~ Goodbye, Mrs Wallace! ~~~

 

Am darauffolgenden Tag verkündeten wir dann auch unseren Kindern von der im Herbst anstehenden Expedition. DAS hätten wir besser nicht gemacht.
„Warum denn so spät erst? Vielleicht ist das Wrack dann schon ganz kaputt und man findet gar nichts mehr. Vor allem wissen das bestimmt auch diese fiesen Piraten und plündern das Schiff schon!“ Edward Junior war sichtlich sauer, dass wir nicht schon heute aufbrachen.
„Wir können nicht so einfach hier weg und wer hat gesagt, dass ihr beiden mitkommt?“ in Haythams Stimme lag diese sarkastische Ton, was aber sein Sohn nicht so ganz verstand.
„Was? Ich muss hier bleiben? Aber … das ist gemein! Ich bin schon groß genug und ich kann schwimmen…“ versuchte er zu argumentieren, als ihm das breite Grinsen seines Vaters auffiel. „Achso, du hast mich nur geärgert.“ maulte er leise.
„Darf ich auch mitkommen, Vater?“ Florence hatte extra in ihrer zuckersüßen Papas-Engelchen Stimme gefragt.
„Ja, du darfst uns begleiten. Ich hoffe, du zeigst mir bis dahin, dass du geduldig bist, mein Engel.“ mein Templer verstand es, mit ihr umzugehen. Was soll ich sagen, die beiden hatten ein ganz eigenes Verhältnis zueinander.
„Natüüüüülich, Vater!“ stolz reckte sie sich.
Augenrollend sah jetzt Edward zu mir. Ich muss gestehen, ich tat es ihm gleich und grinste dabei.

 

~~~

 

Ungefähr zwei Monate später kam unser Sohn mit einem Veilchen und kaputten Hosen daheim an, während Sybill ihn mitleidig betrachtete.
„Edward, was ist passiert?“ ich betrachtete ihn von allen Seiten um sicher zu gehen, dass er nicht ernsthaft verletzt war.
„Nichts ist passiert!“ fauchte er mich an, riss sich los und rannte wieder nach draußen!
„Sybill, was ist los mit ihm?“ dieses Verhalten war mir neu bei meinem Sohn.
„Ich weiß gar nicht, wie und wo ich anfangen soll.“ sie seufzte tief und ich führte sie mit auf die Terrasse, wo wir beide Platz nahmen.
Mrs Wallace erzählte, dass Edward schon einige Male von anderen Jungs gehänselt worden wäre, weil er ein Kindermädchen an seiner Seite hätte. Sie zogen ihn mit diversen bösen Namen auf unter anderem auch „Feigling“. Was aber besonders schwer wog war, dass er immer wieder zu hören bekam, dass er dort nicht hingehörte. Er sei ein „reicher verzogener Idiot“ der sich über sie nur lustig machen würde.
Diese Beleidigungen, Beschimpfungen und kleineren Handgreiflichkeiten gingen schon eine Weile so. Sie kamen aber von neu hinzugezogenen Jungs hier auf der Plantage. Unter anderem von den Jungs des Gerbers und Schlachters. Edward könne ja noch nicht mal eine Maus töten, weil er so ein verzogenes Baby sei.
Ich denke, ich brauche diese Tiraden nicht näher ausführen.

 

Immer wieder hatte sich unser Sohn verbal gewehrt, hatte gut sachlich versucht sich zu verteidigen, aber stieß dabei auf taube Ohren der pöbelnden Jungs.
Bis heute!
„Alex, ich konnte nicht so schnell reagieren. Ich sah von weitem, wie Edward auf diese vier Jungs zuhielt und laut schrie, sie sollten sich in Acht nehmen. Er würde ihnen jetzt zeigen, wer hier das Sagen hätte und schlug zu. Damit aber nicht genug, leider! Seine Kampffähigkeiten ließ er sie zusätzlich spüren und ich sah, wie sogar Thor seine Schwierigkeiten hatte, ihn zurück zuhalten! Edward war außer sich und tobte wie eine Furie!“ in den Augen des Kindermädchen sah ich Tränen, weil sie ihren Schützling so auch noch nie erlebt hatte. Außerdem waren wir jetzt an einem Punkt, an welchem er sie nicht mehr brauchte, sondern … ich muss es zugeben … einen Kammerdiener!
„Dann ist das jetzt das Zeichen, dass wir umdenken müssen in seiner Erziehung? Aber ich will nicht, dass ihr geht.“ in mir stieg eine große Panik auf, Sybill zu verlieren! Aber hieß es nicht die ganze Zeit, sie sei für die Kinder IMMER da?

 

„Das werde ich, die Frage ist nur für welches werde ich gebraucht?“ in ihren Augen sah ich ein goldenes Leuchten und um ihre Lippen spielte plötzlich ein warmes Lächeln.
„Ihr … ihr meint … wir …“ nein, das konnte nicht sein. Ich war nicht schwanger, da war ich mir sicher. Gerade erst waren meine Blutungen am abklingen!
„Nicht jetzt sofort, nein. Aber es ist an der Zeit!“ flüsterte sie wissend. In mir kribbelte es leicht vor Freude und auch ein wenig Angst wollte durchbrechen.

 

Doch leider war damit das Thema um Edward und dieses Mobbing noch nicht abgeschlossen.
Ich ging nach diesem Gespräch auf die Suche nach meinem Sohn und fand ihn, wie war es anders zu erwarten, bei seinem Darius auf der Koppel.
„Min lille skat …“ doch er sah mich wütend an.
„Lass das, Mama! Das ist lächerlich! Ich bin lächerlich! Ich bin ein Baby, weil ich nicht einmal alleine von der Schule nach Hause gehe.“ schrie er mich an und wollte sich schon auf den Rücken seines Hengstes schwingen, als ich ihn schneller zu packen bekam.
„Stopp! Nicht so mein Freundchen!“ auch ich war plötzlich in Rage. „Wir unterhalten uns jetzt, wie es normale Menschen machen!“ damit zog ich ihn zur Treppe der Veranda und hieß ihn, sich zu setzen.
„Was denn?“ fauchte er und wollte sich immer noch losreißen.
„Hör mir erstmal zu und beruhige dich. Ich habe mit Sybill gesprochen, sie hat mir alles erzählt. EDWARD!“ meine Stimme erhob sich und ich drückte ihn auf die Stufen neben mir. „Bei Odin, sei doch nicht so stur!“
„Ich will aber nicht reden!“ seine Hand holte aus, aber ich war schneller und hielt sie auf.
„Wage es nicht, Edward! Ich kann auch anders.“ mein ganzer Körper zitterte, weil ich spürte, dass hier göttlicher Einfluss mitspielte, welchen wir BEIDE noch zügeln mussten!

 

„Sie haben gesagt, ich bin ein Wichtigtuer! Der arrogante Sohn des Plantagenbesitzers! Der Bastard einer Hure aus Europa!“ brach es mit einem Male aus ihm heraus und mir blieb der Mund offen stehen.
„Bitte WAS? WER hat das gesagt?“ ich war schon drauf und dran aufzuspringen um diesen kleinen Widerlingen meine Meinung zu geigen. Besann mich aber eines besseren, weil ich ja ein Vorbild für meinen Sohn sein sollte.
„Diese Idioten vom Gerber und 4 Blödmänner von den Bauern.“ nuschelte Edward in die Gegend starrend vor sich hin.
Was sollte ich jetzt machen?
Wenn ich zu ihnen ging, wäre es für meinen Sohn noch schlimmer. Sie würden ihn als Mamasöhnchen bezeichnen. Würde Haytham die Initiative ergreifen, dann könnte das ebenso nach hinten losgehen.
Eine Antwort! Wir brauchten einen Rat!

 

„Du wirst in Zukunft ohne mich zur Schule reiten, Thor wird dich natürlich weiterhin begleiten. Von den Wachen sprechen wir nicht, weil sie sich gut im Hintergrund halten und eigentlich für alle immer präsent sind. Edward, ich werde ab jetzt nur noch hier anwesend sein und du wirst …“ Mrs Wallace saß plötzlich neben ihrem Schützling. Ihre Augen waren gefüllt mit Tränen. „… einen eigenen Diener an deine Seite bekommen, welcher nur für dein Wohl da sein wird und dir beim Ankleiden helfen wird. Ab jetzt …“ wieder schluckte sie schwer. „… bist du Master Edward und wirst auch so von mir behandelt.“ abrupt stand sie auf und ging. Ohne noch einmal zurück zuschauen.
„Aber… Mama! Ich will … Sie kann doch nicht einfach gehen! Vater soll Mrs Wallace das auch sagen!“ er stand auf in der Absicht hinter seinem Kindermädchen her zu rennen.
„Nein, sie hat Recht. Es ist an der Zeit, Edward. Du siehst doch, dass die anderen Kinder das nicht verstehen und ich möchte nicht, dass du so behandelt wirst.“ versuchte ich ihn zu beruhigen.
„Ich bin alleine!“ meine Hände griffen ins Leere so schnell war er verschwunden!
„EDWARD! WARTE!“ rief ich ihm hinterher.

 

„Was ist denn hier los? Was hat er dieses mal angestellt!“ Warum musste Haytham JETZT dazukommen?
„Nichts! Du kannst schon mal eine Stellenausschreibung für einen Kammerdiener für deinen Sohn aufstellen!“ fauchte ich und bereute es im Grunde sofort, weil mein Mann nichts für meine Laune konnte.
„Jesus! Ich habe es schon geahnt …“ doch ich hörte schon nicht mehr hin, sondern sah unseren Sohn noch in dem kleinen Wäldchen Richtung James River verschwinden!

 

Dieses Schluchzen war vermutlich über den Fluss zur anderen Seite zu hören.
Mein kleiner Schatz saß an der Uferböschung und hatte seinen Kopf auf seinen Knie liegen!
Vorsichtig ging ich auf ihn zu.
„Edward.“ sprach ich leise, als ich mich zu ihm setzte. Mit einem Male drehte er sich zu mir und
​​​​​klammerte sich an mich!
„Bin ich wirklich so ein Arschloch, wie sie sagen?“ völlig entsetzt schob ich ihn ein Stück von mir und sah ihn an.
„Bitte? Nein, bist du nicht! Das ist nur Unwissenheit und vielleicht sind sie auch etwas neidisch. Wer weiß das schon.“ zeitgleich ging mir durch den Kopf, dass ich jetzt nur SEINE Seite kannte. Was hatte er so von sich gegeben bei den anderen Kindern? Ich hoffte und im Grunde wusste ich, dass er nicht den reichen Sohn des Plantagenbesitzers „raushängen“ ließ. Er verstand sich mit den anderen bis jetzt immer gut.

 

Edward begann wie von alleine die ganze Geschichte zu erzählen …

 

Die Jungs hatten ihn aufgezogen, weil er einem Mädchen aufgeholfen hatte, welches sie geschubst hatten weil es frech zu ihnen war. Sie hatten seine Geste des Mitgefühls falsch verstanden, weil sie es, leider, nicht besser gelehrt bekamen. Ein MANN war höflich, hilfsbereit und respektvoll einer „Lady“ gegenüber, aber ließ auf der anderen Seite diese ebenso fallen, wenn sie nicht „vom gleichen Stand“ war.
Diese Unterschiede waren mir immer noch fremd, diese Lehren hatten sich in meinem Kopf noch nicht manifestiert. Wieder wurde mir bewusst, dass ich in diesem Jahrhundert noch lange nicht angekommen war.
„Du handelst aus Nächstenliebe, Edward! Mr Hathaway predigt es jeden Sonntag, oder nicht? Also haben die anderen Jungs ihm wohl nicht zugehört und die Bibeltexte nicht richtig verstanden!“ ich versuchte diesen Vorstoß auf der christlichen Ebene, weil alle Bauern und Pächter, Arbeiter und so weiter, sehr gläubig waren.
„Ich hoffe aber, du hast sie nie spüren lassen, dass du eben dieser arrogante Sohn bist?“ hakte ich vorsichtig nach.
Sein Blick hing an meinem. Standhaft. Kein Zucken. Kein Zwinkern.
„Nein! Ich habe ihnen auch keine meiner Fähigkeiten mehr gezeigt. Wir spielen eigentlich immer alle zusammen, nur … ich kann es nicht leiden, wenn jemand einem Mädchen wehtut, weil es … nicht so hübsch ist wie sie sagen.“ wieder glitten seine Augen auf den Fluss bei diesen Worten.

 

„Du hast eines der Mädchen besonders beschützt, nicht wahr?“ langsam dämmerte mir, warum er so aufgebracht reagiert hatte. Die ersten Anzeichen von Zuneigung für ein Mädchen zeigten sich bei ihm, was natürlich den „harten“ Jungs fremd war.
„Penelope ist anders als die anderen kichernden Mädchen, Mama. Glaub mir. Sie liest auch gerne Abenteuergeschichten und mag Fische fangen!“ bei dieser Schilderung leuchteten seine Augen plötzlich!
„Du hast dich nicht nur wegen Sybill mit den Jungs geschlagen, sondern auch wegen Penelope?“ ich benutzte absichtlich ihren Namen, damit er wusste, dass ich ihm wirklich zuhörte.
„Eigentlich war es beides. Wenn Mrs Wallace jetzt geht, was passiert dann?“ seine Frage kam so zögerlich, weil er vermutlich Angst hatte vor der Antwort.
„Sie wird nicht gehen, sie bleibt, weil … Sybill hat noch eine weitere Aufgabe. Du weißt doch, sie beschützt die Jünglinge.“ lächelte ich Edward an und seine Augen weiteten sich, als er verstand.
„Snotra wird wieder Kindermädchen sein? Sie… Mama, bekomme ich noch einen Bruder?“ aufgeregt war er aufgesprungen.
„Noch bin ich nicht guter Hoffnung, Edward. Aber wie es aussieht, ist es für uns vorgesehen.“ meine Stimme war kaum hörbar, weil ich selber noch gar nicht diese These verinnerlicht hatte.

 

„Dann würde ich gerne mit Vater meinen Kammerdiener suchen. Er hat mir schon gesagt, dass es bald an der Zeit ist.“ in diesem Moment wuchs er sprichwörtlich noch einmal um einige Zentimeter als er mit geschwellter stolzer Brust vor mir stand.
Dieser Herr würde dann aber wirklich nur hier daheim sein und nicht während der Schulstunden um ihn herum scharwenzeln.
„Und du wirst dich nicht mehr rechtfertigen müssen vor den anderen Burschen. Sag ihnen, dass es sich für einen Gentleman gehört, die Frauen zu respektieren und ihnen zu helfen. Sollte aber noch einmal jemand dich so beleidigen und als Bastard einer Hure beschimpfen, dann suche ich ihn nachts heim!“ bei diesen Worten ließ ich meine Vorfahrin ein wenig in Erscheinung treten.
„Das wird sie alle verjagen und kleinlaut werden lassen.“ kicherte klein Kenway, Verzeihung, Master Edward.

 

Und so schnell werden sie groß und bedürfen nicht mehr unserer kompletten Aufsicht! Die ersten Züge der Zuneigung fürs andere Geschlecht sind mitunter noch nicht ganz zu verstehen, aber auch das wird sich in den nächsten Jahren weiter ausbilden.

 

Kapitel 42

~~~ Der Untergrund auf der Kenway-Plantage ~~~

August 1772

 

Die Einweihung der unterirdischen Gänge und Keller wurde selbstverständlich nicht an die große Glocke gehängt, sondern wir zelebrierten die Fertigstellung nur mit den tatsächlichen Arbeitern, Architekten und den Plantagenbewohnern.
Es hatte sage und schreibe fast ein Jahr gedauert, aber das Warten hatte sich gelohnt! Wir hatten von nun an 5 zusätzliche Räume, welche nicht von außen ersichtlich waren. Außerdem geheime Eingänge, 6 an der Zahl, und entsprechende Sicherheitsschlösser- und -türen. Die Gänge waren zusätzlich noch mit Ziegelsteinen verstärkt worden!

 

Wir begannen einen Raum mit den Artefakten, welche wir in unserem Besitz aus unserer Liste hatten, zu befüllen. Eine stattliche Anzahl muss ich anmerken, was mir erst jetzt wirklich auffiel.
Ein Munitions- sowie Waffenlager wurde ebenfalls eingerichtet. Zusätzlich hatten wir hier auch die Möglichkeit für Notunterkünfte, sollte es einmal zu einem Überfall kommen. Von der gesamten Plantage aus gab es versteckte Einstiege die nur unseren Pächtern bekannt waren.
Diese neue Einrichtung brachte mir eine gewisse Ruhe, weil wir uns jetzt immer öfter mit Soldaten, Spähtrupps und so weiter konfrontiert sahen.
Man schreckte nicht davor zurück einfach die Hütte einer Familie in Beschlag zu nehmen um dort zu nächtigen! Immer im Namen seiner Majestät König George III!
„Master Kenway, unsere Vorräte hat man einfach konfisziert! Und… meine Tochter…“ der Herr war außer sich, weil die Rotröcke vor nichts zurück schreckten.
Das war nur ein Übergriff von mehreren, welcher zeigte, dass wir uns wappnen mussten!

 

Unser Hab und und Gut war aber nicht das einzige, was man ins Auge gefasst hatte. Auch Rory wurde Opfer von sogenannten Beschlagnahmungen im Namen des Königs!
„Jeder hat seinen Beitrag zu leisten!“ hörte man die Parole immer wieder, sogar in Boston oder Richmond begann die Armee das Eigentum an sich zu nehmen.
Vor ein paar Wochen hatte uns Master Johnson einen Besuch abgestattet und erzählte von seiner neuen „Einnahmequelle“ von welcher er sicher war, sie sei unantastbar. Er hatte sich mit dem Teehandel beschäftigt und hielt einige Anteile an einer entsprechende Handelsgesellschaft.
TEE! Natürlich! Die berühmte „Boston-Tea-Party“ … die größte Teetasse der Welt … Bei Odin! William lief Gefahr ein Vermögen zu verlieren!
Vorsichtig tastete ich mich vor und versuchte ihn noch umzustimmen, dass er nicht zu viel investierte!
„Mistress Kenway, wir können so einiges an Gelder gewinnen für unseren Orden. Meine bescheidenen Mittel reichen für größere Unterfangen nicht aus und meine Berater sind zuversichtlich, dass es gerade mit dem Tee eine sichere Einnahmequelle ist. Außerdem stehe ich in Verhandlungen mit den Konföderierten Stämmen der Indianer. Eine zusätzliche Sicherheit für uns und die Kolonien. Ich kann damit die Ländereien sichern, bevor sie einfach besetzt werden!“ Seine Worte klangen vielversprechend, jedoch wusste ich mehr als er. Wenn ich mich recht erinnerte, dann gab es in Fort Stanwix 1768, vor 4 Jahren ungefähr, bereits entsprechende Verhandlungen mit den Irokesen. Versprechen und Verträge konnten aber auch leicht gebrochen werden oder missverstanden werden! Und wie ich aus einigen Aufzeichnungen über William Johnson noch dunkel wusste war, dass er mitunter nicht gerade sehr diplomatisch vorging.
„Natürlich Master Johnson, aber seid auf der Hut. Es gibt im Untergrund sicherlich auch viele Widersacher, welche einen ganz anderen Blickwinkel haben und euer Engagement durchaus auch falsch verstehen könnten.“ etwas zögerlich brachte ich diese Warnung hervor, weil ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen wollte. Immer noch lief ich Gefahr zu viel von meinem Wissen preis zu geben!
„Ich verspreche euch, dass ich Vorsicht walten lassen, Mistress Kenway. Seid unbesorgt.“ väterlich tätschelte er meinen Unterarm bei diesen Worten.

 

September 1772

 

Die Expedition rückte immer näher. So langsam mussten wir uns darauf vorbereiten. Jedoch wollte ich vorher noch etwas gänzlich anderes erledigt wissen!

 

Wir hatten es jetzt lange aufgeschoben, oder besser gesagt wir hatten nicht die Zeit für das Familienportrait. Immer wieder war ich versucht mein Handy zu zücken und einfach ein Foto zu machen! Nein, ich wollte es wie in diesem Jahrhundert üblich haben. Also hatte ich mich umgehört, wer solche Arbeiten anbot und wurde nach einer langen Suche endlich fündig.
Der Herr war Mitte 40, recht klein, sogar für meine Begriffe, leuchtende rote Haare und … ziemlich dürr. Ich hatte das Bedürfnis ihm etwas zu Essen anzubieten, weil ich Angst hatte, er würde nicht einmal den Pinsel lange genug halten können.
Friedrich Mentzel war kein Deutscher, sondern kam aus Böhmen und war vor einigen Jahren mit seiner gesamten Familie in die Kolonien gereist. Eltern, Großeltern, Kinder und seine Frau. Man hatte sich in Richmond niedergelassen und er hatte sich schnell einen Namen gemacht als Maler.
Ich hatte es mit allen so abgesprochen, dass Edward Senior einfach schon manifestiert hier war, genau wie Tessa!

 

Außerdem war es gerade recht günstig, weil auch Jennifer mit ihrem Gatten zu Besuch war.
Die beiden würden noch bis wir unsere Expedition starteten hier bleiben und dann in unserer Abwesenheit hier nach dem Rechten schauen. Mein Mann war darüber mehr als erleichtert, weil jemand die Aufsicht übernahm den er kannte und dem er vertraute!
„Somit kann ich auch noch etwas über die Bewirtschaftung einer Plantage lernen.“ freute sich Daniel, als wir einen Morgen beim Frühstück saßen und er mit Haytham einen Ausritt über das Anwesen plante für den Tag.
„Vielleicht sollten wir uns hier in der Gegend auch noch niederlassen.“ Jenny dachte ernsthaft darüber nach in die Kolonien auszuwandern?
„Das können wir sicherlich auch noch später besprechen, meine Liebe.“ Master Mormon war also noch nicht überzeugt von diesem Umzug, oder wollten sie nur einen zweiten Wohnsitz hier haben?
Wer weiß das schon. Lassen wir uns überraschen, ging es mir durch den Kopf.

 

Wie lange konnte es schon dauern, dieses Bild fertig zu stellen? Länger als ich dachte, musste ich mir nach ein paar Tagen eingestehen!
Einen Tag bevor Herr Mentzel beginnen wollte, wurde weiterer Besuch angekündigt! Achilles und Connor hatten sich überraschend für eine Stippvisite entschieden.
Haytham war völlig überwältigt, dass auch sein großer Sohn mit auf dem Bild sein würde.
„Mir fehlen tatsächlich gerade die Worte!“ dabei klopfte er Connor auf die Schulter.
„Ich habe so etwas noch nie gemacht, was soll ich tun?“ hakte der Junge nach.
„Hinsetzen und nicht bewegen.“ lachte ich, während ich dem Maler meiner Wahl kundtat, dass wir noch eine Person mehr mit drauf haben werden.
Und dann begann das ganze Prozedere.
Stillsitzen, die perfekte Umgebung finden, den Lichteinfall optimal einbauen, Konzeptzeichnungen anfertigen und einen groben Umriss schaffen. Am nächsten Tag das Prozedere erneut, dieses mal mit Farbabgleich und Lichteinfluss einfügen!
Wir waren so aufgereiht worden, dass wir Frauen auf dem großen Sofa saßen und mit uns die Kinder. Unsere Ehemänner standen hinter uns und legten ihre linken Hände auf unsere Schultern, die andere lag am Schwertknauf. Für meinen Gatten hatten wir seine neueste Großmeister-Montur ausgesucht, wohingegen Edward Senior in seinem feinsten Zwirn gesteckt worden war.
Connor stand neben seinem Vater und hatte seinen Ornat an. Für einen Moment konnte ich die beiden betrachten und es gab doch ein paar Ähnlichkeiten von der Größe her und auch im Gesicht.
„Ich fühle mich wie eingeschnürt in dieser Garderobe.“ hörte ich meinen Schwiegervater, als er sich in Position stellte.
„Und was sollen wir sagen? Glaubt ihr ein Korsett fühlt sich wie die große Freiheit an?“ hörte ich Jenny kichern.
Florence und Edward Junior hatten ebenfalls ihre besten Sonntagssachen an.
Dieser Anblick unserer Familie war fantastisch.
„Vater, mir ist langweilig. Wie lange muss ich noch stillhalten?“ kam es von Edward UND Florence einige Male. Gerade für unseren Sohn war es eine Qual, das wusste ich.
„Master Edward, ich möchte doch, dass ihr grandios auf diesem Familienportrait ausseht. Ich verspreche euch, es wird nicht mehr lange dauern.“ Friedrich verstand sich auf Kinder, was sich in seiner Stimme widerspiegelte.

 

In einer Nacht überkam mich jedoch das große schlechte Gewissen, weil Yannick nicht mit uns auf diesem Bild sein würde.
Dieser Gedanke ließ mich nicht einschlafen und ich suchte meinen Enkel in meinem Kopf auf.
„Oma, es ist schon spät…“ hörte ich ihn gähnend.
„Ich weiß, es tut mir leid, Alex. Aber könntest du Papa rufen?“ fragte ich leise entschuldigend nach.
Ein Nicken und er tauchte kurz darauf mit meinem älteren Sohn wieder auf.
„Mum, ist alles in Ordnung?“ seine Stimme hatte einen ängstlichen Unterton, aber ich konnte ihn beruhigen.
„Alles ok hier. Wirklich. Es geht um … wir lassen gerade ein Portrait malen und … ich habe nicht darüber nachgedacht, dass auch du darauf verewigt sein solltest…“ er unterbrach leise lachend.
„DAS Bild haben wir, auch wenn ich nicht sicher bin, ob ich dir das sagen darf. Es hängt bereits im Esszimmer an der großen Wand Richtung Flur. Mach dir keinen Kopf! Es wäre eher für Außenstehende merkwürdig, wenn sie mich dort auch drauf sehen würden. Ich bin dir nicht böse oder so. Glaub mir übrigens, es wird fantastisch aussehen!“ Yannick hörte sich wirklich begeistert an, keine Spur davon dass er mir böse sein könnte.
„Dann bin ich ja beruhigt! Jetzt kann ich endlich schlafen. Das hat mir nämlich keine Ruhe gelassen, mein Schatz!“ ich spürte seine Präsenz, wie er mich in den Arm nahm.
„Gute Nacht, Mum. Ich hab dich lieb!“ flüsterte er und langsam verblassten die beiden Gestalten in meinem Kopf nachdem sich auch Alexander noch verabschiedet hatte.
„Mi sol, du hast es gehört. Mach dir keine Sorgen und schlaf jetzt.“ Haytham nahm mich in den Arm und drehte mich etwas zu sich.
„Du weißt aber doch, mein schlechtes Gewissen. Es ist eine echte Plage damit.“ kicherte ich leise, als ich ihm noch einen Kuss gab und mich dann in einen wohligen Schlaf gleiten ließ.

 

Nach ungefähr dreieinhalb Wochen konnten wir endlich das Endergebnis sehen.
Herr Mentzel bat uns ehrfürchtig in den Wintergarten, wo auf einer großen Staffelei das Bild verhüllt mit Laken stand.
„Master Kenway, Mistress Kenway. Ich kann nun verkünden, dass ich das Portrait vollendet habe. Master Edward, wollt ihr mir vielleicht die Ehre erweisen, das Tuch zu entfernen? Ihr ward so brav und habt lange stillgesessen, so etwas sollte belohnt werden!“ Ja, er verstand es, mit Kindern umzugehen!
„Vater, darf ich?“ seit wann war unser Sohn so zurückhaltend? Doch schon sah ich, wie Florence sich schnurstracks auf den Weg zur Staffelei machte! Sophia nahm sie aber schnell auf den Arm.
„Geh mein Sohn, wir sind schon alle gespannt.“ in der Tür erschienen Tessa und mein Pirat. Auch sie hatten diesen neugierigen Blick.

 

Und dann zog mein kleiner Schatz das Tuch herunter und ich stand mit offenem Mund vor diesem Bildnis unserer Familie! Es… es war einfach unglaublich! Ich brach in Tränen aus, weil ich endlich meine Familie verewigt sah! Sie alle waren wie fotografiert getroffen!
„Herr Mentzel, ihr … das ist einfach unfassbar. Ihr seid ein wahrer Meister eures Faches!“ mehr brachte ich nicht heraus, weil ich so schniefte.
„Meine Frau hat durchaus Recht. Es ist einfach wunderbar!“ Haytham legte seinen Arm um mich.
„Darauf habe ich seit Jahren gewartet!“ hörte ich meinen Piraten und auch er hatte leicht feuchte Augen. Tessa machte keinen Hehl aus ihren Gefühlen!
„Es ist wunderschön!“ schluchzte sie an Edwards Brust, welcher ihr vorsichtig über den Rücken strich!
„Ich muss mich bedanken, dass ihr mir dieses Vertrauen entgegen gebracht habt, Master Kenway, Mistress Kenway…“ etwas irritiert sah er zu meinem Schwiegervater. Normalerweise redete man den Vater so an, nicht den Sohn… doch ich schweife schon wieder ab.
Dieses Bild wurde nun über den Kamin hier im Wintergarten gehängt und wir planten noch weitere mit Herrn Mentzel. Florence, Edward, Haytham und ich noch einmal einzeln. Dafür waren aber jetzt nur noch Skizzen nötig, welche Friedrich in den nächsten Tagen anfertigte und dann im Anschluss uns präsentieren würde. Natürlich wollte sich Edward mit seinem Pferd und seiner Hündin malen lassen.
„Das ist eine schöne Idee, Master Edward.“ und beide gingen hinaus, um sich einen schönen Platz fürs Skizzieren zu suchen.

 

Als am Abend alle im Bett waren, nahm ich mir doch mein Handy, welches ich mit der Powerbank aufladen konnte, und fotografierte dieses kleine Meisterwerk. Ich wollte, dass Yannick es auch sah. Ich wusste zwar, dass er es erhält aber sicher ist sicher, dachte ich bei mir.
„Mi sol, was machst du da?“ ertappt drehte ich mich um und sah in die großen Augen von Haytham.
„Ich… wollte für Yannick dieses Gemälde festhalten. Ich weiß doch nicht, ob es die Jahrhunderte übersteht.“ zum ersten Mal ging mir durch den Kopf, was uns noch bevorstand und was noch alles passieren könnte. Wenn wir großes Pech hatten, dann würde unsere Plantage, wie viele andere auch, von der britischen Armee geplündert werden. Wenn nicht sogar noch schlimmeres.
„Wenn es brenzlig wird, werden wir es in den gesicherten Keller bringen, mi sol. Auch mir liegt viel daran, die Familiengeschichte weiterzugeben!“ diese Worte beruhigten mich.
Wie es wohl nach all den Jahren aussah in meinem alten Esszimmer? Aber nein, ich werde jetzt nicht deswegen wieder in meine alte Zeit reisen.
Großes Schuster Ehrenwort!

 

Kapitel 43

~~~ Oktober/November 1772 ~~~

Aufbruch zur Expedition

 

Es war Ende Oktober als wir zu unserer Expedition zum Wrack von Blackbeards Galeone aufbrachen.
Im Gepäck hatten wir einen Bauplan des Schiffes, welchen Edward Senior noch etwas grob verfasst hatte und die ungefähren Koordinaten der Unglücksstelle. Wir mussten die Strömung, die Witterung und alles drumherum bedenken. Auch war uns zu Ohren gekommen, dass es, wie Edward Junior schon befürchtet hatte, Plünderer gab, die sich dort bedienen wollten. Meine Hoffnung war, dass wir ihnen nicht begegnen würden.
Meine Jackdaw war beladen und wir konnten Segel setzen. Zuerst hatten wir überlegt mit Kutschen nach Charles Town zu reisen, aber da wir ja auch noch zu dem Wrack wollten, mussten wir auf mein Schiff bauen.
Ich freute mich, mal wieder ein wenig zu segeln und ich sah unserem ersten Maat diese Freude ebenfalls an. Die Besatzung hatte sich schon vorbereiten können, weil ich es recht zeitig angekündigt hatte. Außerdem würden wir kein ganzes Jahr unterwegs sein. In zwei Wochen spätestens sollten wir wieder hier sein.
Mit Mr Hargreaves hatten wir die Entfernungen und Dauer der Reise berechnet. Zu Anne Bonny würde es ungefähr 3 Tage dauern bei gutem Wetter und von dort zur Queen Anne´s Revenge wären es nur 2 Tage.
In Charles Town würden wir die Jackdaw mit einer Taucherglocke ausrüsten können, so erklärte es unser Schmied. Er hatte Nachricht an den dort ansässigen Kollegen geschickt um den Auftrag zu erteilen.
Langsam stieg die Aufregung in mir und meinem Mann.
„Es fühlt sich seltsam an, dass ich einer alten Freundin meines Vaters plötzlich begegne.“ als er in meine Richtung blickte, bemerkte er, dass ich schon in Gedanken bei Adéwalé war, den er ja vor Jahren in die Mangel genommen hatte. „Schon gut, du brauchst mich nicht daran erinnern.“ er war tatsächlich beleidigt, zumindest hörte man es in seiner Stimme.

 

Zuerst jedoch ging es zu Mrs Anne Bonny. Viel wusste ich nicht über sie, aber mein Pirat erzählte auf unserem Weg dorthin einige Geschichten aus ihrer gemeinsamen Zeit.
Mir ging im Zuge seiner Erzählungen meine eigene Begegnung mit ihr durch den Kopf. Sie war hübsch in jungen Jahren und ich hörte noch diesen irischen Akzent in ihrer Stimme. Ab und an hatte auch Shay eine leichte Abwandlung davon.
Die Dame lebte in Charles Town und hatte mit ihrem Ehemann vier Kinder. Alles Jungs!
„Vor ein paar Wochen schon habe ich sie spüren lassen, dass ich nicht ganz verschwunden bin. Ihr könnt euch ihr erschrockenes Gesicht vorstellen, als ich sagte, dass sie bald Besuch von meinem Sohn bekommen würde. Natürlich hat sie mir kein Wort geglaubt! Ein paar Mal baute ich eine Verbindung zu ihr auf und Anne begann tatsächlich mit mir zu sprechen. Jedoch habe ich mich ihr noch nicht so gezeigt. Sie glaubt, dass ich einfach nur die Seele bin, welche mit ihr spricht. Die Iren haben mitunter seltsame Vorstellungen von dem Tod muss ich gestehen.“
Also würde Mrs Bonny meinen Schwiegervater das erste Mal leibhaftig wiedersehen, wenn wir alle bei ihr erschienen. Hoffentlich überforderten wir die Dame nicht.

 

„Ich will auch mal Piratin werden!“ tat eines Abends Florence kund, als ihr Großvater von seinen Abenteuern berichtete.
„Nein, wirst du nicht!“ Edward Seniors Stimme hatte diesen Befehlston angenommen, den auch Haytham immer mal wieder an den Tag legte. „Das ist kein Beruf, den du so einfach erlernen kannst. Jeder Tag könnte deinen Tod bringen!“
Entsetzt sah sie ihn an und ihre Lippen begannen zu zittern.
„Min lille engel, das ist wirklich gefährlich ein Pirat zu sein. Dein Großvater hatte einfach nur Glück damals.“ auch wenn ich Gefahr lief, dass ich eine Standpauke des Angesprochenen kassierte, sollte ich meiner Tochter die Wahrheit sagen. „Er hätte auch an seinen ganzen Verletzungen in den Jahren sterben können.“
„Mein Bruder kommt mit und passt doch auf mich auf. Nicht wahr?“ ihr Blick ging hilfesuchend in Richtung Edward Junior. Dieser aber war nicht von dieser Idee begeistert, obwohl ich immer dachte, dass gerade er auf Abenteuer aus wäre.
„Ich werde gar keine Zeit haben, Flo! Jemand muss ja die Plantage beschützen.“ der große Bruder hatte also schon seine ganz eigenen Zukunftspläne wie es schien.
Seufzend und mit verschränkten Armen lehnte sich unsere Tochter an die Lehne ihres Stuhls und sah uns böse an, sagte aber nichts mehr.
Ich hoffte, dass Anne ihr nicht irgendwelche Flausen in den Kopf setzen würde. Von wegen dass auch Frauen zu sowas fähig wären und so weiter. Natürlich plädierte ich FÜR die Frauen! Aber Piraterie wurde hart bestraft und es war verboten.

 

~~~ Wiedersehen nach 50 Jahren ~~~

 

Nach drei Tagen liefen wir im Hafen von Charleston ein wo reger Betrieb herrschte. Der Hafenmeister nahm seine Bezahlung entgegen und überließ uns einen gut erreichbaren Anlegeplatz.
Die Crew hatte bis auf weiteres Landgang, die Wachen wurden eingeteilt weil auch hier neugieriges Fußvolk unterwegs war und wir machten uns auf zu Mrs Bonny.
Edward Senior würde erst in Erscheinung treten, wenn wir uns vorgestellt und bereits ein wenig bekannt mit ihr waren.
Die Adresse war nicht schwer zu finden, weil das Haus der Familie an einer der Hauptstraßen lag, welche vom Hafen ins Landesinnere führte.

 

Dieses wuselige Treiben in der Stadt war unbeschreiblich und leider auch traurig. Hier war einer der größten Umschlagplätze für den Sklavenhandel und das sah man an allen Ecken.
„Warum sind diese Menschen angekettet? Waren die böse?“ Florence kannte keine Sklaven, weil wir keine hatten.
„Diese Menschen werden von reichen Leuten gekauft, damit sie für sie arbeiten. Das sind Sklaven, mein Engel. Nicht jeder Plantagenbesitzer hat verstanden, dass man die Felder auch mit einfachen Arbeitern bewirtschaften kann. Deine Mutter und ich sind uns einig, dass wir diese Geschäfte nicht unterstützen! Das ist einfach menschenverachtend und würdelos!“ in Haythams Stimme hörte man die Wut über diese Machenschaften deutlich raus.
„Sie sehen unheimlich aus, Vater.“ etwas ängstlich sah sie weiterhin aus dem Fenster, als wir an einer Kreuzung nicht weiterkamen, weil man eine Schar Schafe gerade durch die Straßen trieb. „Wo wohnen diese Männer und Frauen? Haben die keine Eltern?“
Wie sollte man einer 5jährigen bitte dieses Verbrechen erklären?
„Die haben sie, aber oft sind auch die Eltern schon Sklaven gewesen und die Kinder werden einfach weiterverkauft oder bleiben bei den alten Besitzern. Diese Menschen kommen von überall her, Florence. Aus ganz unterschiedlichen Ländern. Wenn wir wieder daheim sind, dann zeige ich dir auf einer Karte woher sie stammen.“ erklärte mein Mann jetzt ruhig und sachlich.
Bis unsere Tochter den Verstand besaß, diese Thematik zu verarbeiten, würde es noch ein paar Jahre dauern.
Etwas abwesend nickte sie, als sie immer noch aus dem kleinen Fenster auf das Treiben in der Stadt sah.

 

Nach etwas über einer Stunde standen wir vor Annes Haus. Ein unscheinbares Gebäude, aber gepflegt.
Ich wusste einfach nicht, wie wir ein Gespräch mit ihr anfangen sollten. War sie überhaupt daheim? Meine Nervosität stieg ins Unermessliche plötzlich!
Ich werde Anne schon erklären, was es mit unserem Besuch auf sich hat. Hörte ich meinen Schwiegervater in meinem Kopf.
Dann mal los und wir klopften.
Uns öffnete ein stattlicher Herr mit langen rotbraunen Haaren und einer kleinen Narbe auf der Wange.
„Was kann ich für euch tun?“ neugierig besah er sich unsere Gruppe.
„Mein Name ist Haytham Kenway, zu euren Diensten, Sir. Mein Vater war …“ bevor mein Mann weitersprechen konnte, fuhr ihm der Mann über den Mund.
„Ich weiß, wer ihr seid!“ fauchte er plötzlich und wollte schon die Tür wieder vor unserer Nase zuschlagen, besann sich aber eines besseren. „Ihr seid für Adéwalés Tod verantwortlich! Ich war dabei!“

 

Nicht nur mir verschlug es die Sprache.
„William, was ist hier los?“ drang eine Frauenstimme hinter ihm zu uns mit einem leichten irischen Singsang. „Wir haben Besuch?“
„Mutter, dass ist …“ sie ließ ihn nicht ausreden, weil man sie vermutlich gerade schon in Kenntnis gesetzt hatte über unsere Ankunft.
„Kenways Sprössling aus London, hab ich Recht?“ fragend zog sie eine Augenbraue hoch und musterte meinen Mann grinsend.
„Genau der, Mrs Bonny.“ selten erlebte ich meinen Templer so befangen und schüchtern.
„Mrs Manning, wenn ich bitten darf.“ entgegnete sie und bat uns mit einer Handbewegung hinein. Etwas widerwillig ließ uns auch, ich nahm jetzt an, dass es ihr Sohn ist, William vorbei.

 

Im Wohn- und Esszimmer hieß man uns Platz nehmen an dem großen Tisch und bot uns Erfrischungen an.
Erst jetzt begann mein Verstand wieder zu arbeiten und mir fielen die Kinder wieder ein, die Kindermädchen, die Wachen… wir waren mit einem recht großen Trupp hier erschienen.
„Verzeiht, Mrs Manning, dass wir euch mit so vielen Menschen regelrecht überfallen.“ versuchte ich einen vorsichtigen Vorstoß.
„Ich erinnere mich an euch…“ grübelnd sah mich diese Frau an.
„Du hast sie schon vor über 50 Jahren einmal getroffen, Anne. Wir waren gerade in Nassau, da ist sie aus heiterem Himmel vor meine Füße gefallen.“ nicht nur die ehemalige Piratin sah erschrocken auf die Erscheinung am Tisch, auch ich musste kurz schlucken.
„Edward! Warum musst du immer solche Auftritte hinlegen? Kannst du nicht wie jeder normale…“ sie unterbrach sich selber, weil der Rest sich mehr als merkwürdig anhören würde.
Und so begann erst einmal eine kleine Vorstellungsrunde, die Wachen wurden eingewiesen, die Kindermädchen konnten ihre Kammer beziehen und auch uns zeigte man unser Nachtlager. Eine kleine Kammer, wo wir aber alle vier genügend Platz hatten.
Nur Edward Junior passte es nicht, dass er sich das Bett mit seiner kleinen Schwester teilen musste.
„Das wird nicht das letzte Mal gewesen sein, mein Sohn und jetzt schweig still.“ ermahnte ihn Haytham leise, als wir wieder hinunter gingen.
„Ja, Vater. Aber Florence nervt mich und dreht sich ständig hin und her …“ seufzend sah er in meine Richtung, aber ich konnte ihm schlecht helfen. Es war ja nur für ein paar Nächte, wenn überhaupt.

 

Leider war Mr Manning gerade nicht anwesend, erklärte Anne. Er war unterwegs mit seinem Schiff um für Vorräte zu sorgen.
„Nicht was ihr denkt.“ grinste sie in die Runde. „Ich bin bodenständig geworden. Alleine schon für meine Kinder.“
„Ihr ward sehr nett damals, als ich bei euch die Nacht bleiben durfte. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, kommt es mir so unwirklich vor. In Nassau hat für mich alles begonnen damals!“ plötzlich wurde mir genau DAS bewusst und ich starrte sie an.
„Dein Weg hat meinen ebenso geebnet, wir wussten beide noch nicht, was auf uns zukommt.“ mein Pirat saß mit uns am Tisch und sah von Anne zu mir. „Es war und ist Schicksal.“
Und wieder schien ein weiteres Puzzleteil hinzuzukommen zu meinem Leben. Ich sollte dieser Frau noch einmal begegnen!
Annes andere Söhne waren derweil nicht zugegen, sie waren mit ihren Familien aufs Land gezogen und einer war tatsächlich zur Marine gegangen.
Nachdem William nach einer Weile endlich etwas aufgetaut war und seine Wut auf Haytham etwas abgeklungen war, berichtete er von seinem Leben.

 

William Manning war Assassine! Nachdem seine Mutter sich hier niedergelassen hatte, tauchte Adéwalé eines Tages auf und bat Anne um Hilfe. Der Hafen war für seine große Reichweite bekannt, sie konnte so Nachrichten schnell verbreiten und war damit ein Ankerpunkt für die Aktivitäten der Assassinen damals.
Sogar Louis Joseph Gaultier Chevalier de la Verandrýe profitierte davon. Seine „Expedition“ wurde erfolgreich getarnt durch die Kundgebung, dass er zum Beispiel gerade nach Europa aufgebrochen sei.
Es gab gefühlt hunderte von Anhängern, welche Fehlinformationen weitergaben und die korrekten Daten unter der Hand weiterleiteten.
„Wir sind Assassinen, wir arbeiten im Dunkeln…“ er stockte und sah mich an, als wolle er mich analysieren und abschätzen, was oder wer ich bin.
„… um dem Licht zu dienen. Wir sind Assassinen!“ beendete ich diesen Satz. „Glaubt mir, ich bin Assassine, immer noch. Auch wenn ich übergreifend dem Orden angehöre. Aber das hat alles seinen Grund!“

 

William berichtete von seiner Reise mit Adé und wie sie den Auftrag bekamen, die Schatulle zu beschützen. Es war wie ein Staffellauf. An jedem neuen Ziel wurde der Gegenstand jemand anderem überlassen, der so schnell wie möglich seine Fracht weiterreichen sollte. Jahrelang war das auch geglückt, bis zu dem Zeitpunkt, an dem Shay wieder auf die Bildfläche trat.
Er war geschult für die Bruderschaft, hatte aber auch über den Orden noch weiterlernen können. Somit war er wirklich eine wahre Bedrohung geworden und als den Assassinen klar wurde, dass er GEGEN sie arbeitete, wurden sie aktiv und begannen immer tiefer im Untergrund zu agieren.
Das war auch der Grund, warum JETZT die Schatulle wie vom Erdboden verschluckt zu sein schien.
Leider fiel hier wieder der Begriff „Verräter“ im Zusammenhang mit Shays Namen!
„Nein, ist er nicht! Denkt einmal darüber nach, wie IHR euch gefühlt hättet nach Lissabon!“ warf ich ohne Nachzudenken ein und sah in ein erstauntes Gesicht.

Kapitel 44

~~~ Missverständnisse aus dem Weg räumen ~~~

 

Annes Sohn öffnete den Mund, schloss ihn aber gleich wieder.
„Ihr meint das Erdbeben? Woher sollte Achilles denn wissen, dass durch diese Artefakte der Vorläufer so ein Unglück passieren kann?“ Eine Frage, die wir uns alle sicherlich zu irgendeinem Zeitpunkt gestellt hatten.
Für einen kurzen Moment musste ich in mich gehen um nicht wütend zu werden. Hätte Master Davenport damals Adéwalé richtig zugehört, dann hätte er genau diese Tragödie auch verhindern können. Haiti ereilte das gleiche Schicksal wie später Lissabon!
„Instinkt und ein wenig Analyse, Master William. Jedoch ist es müßig jetzt darüber zu diskutieren. Das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen und BEIDE Seiten tragen eine gewisse Schuld an diesem Desaster!“ langsam atmete ich tief ein und aus um mich zu beruhigen.
„Es gibt noch mehr von ihnen, Mistress Kenway. Wie sollen wir sie alle schützen?“ Wollte er uns nur testen, ob wir wirklich auch auf seiner Seite standen? Schließlich saßen sich gerade, das wurde mir jetzt erst richtig bewusst, Templer und Assassinen gegenüber, von denen einer noch nichts von einer Zusammenarbeit vernommen hatte. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt ihm von unserem Vorhaben zu berichten.
„Das wissen wir und es ist möglich, dafür zu sorgen, dass diese anderen Orte nicht angetastet werden. ABER das geht nur, wenn Orden und Bruderschaft gemeinsam arbeiten.“
„Edward, ich bin kein Assassine, das weißt du. Ich habe immer versucht möglichst neutral zu sein um nicht wieder das Gesprächsthema zu sein. Aber ich habe von … IHR seid es wirklich! Ihr versucht beide Bünde zu vereinen!“ die ehemalige Piratin sah mich erstaunt an. „Wir haben hier einige Händler, welche von einem Frieden sprachen. Einem Waffenstillstand. Ich hatte es immer nur für ein Hirngespinst gehalten.“ Jetzt sah sie zu ihrem Sohn. „William! Sag doch auch etwas.“ forderte sie ihn auf.

 

„Mutter, natürlich haben wir davon Wind bekommen.“ begann er widerwillig zu sprechen. Seine Augen richteten sich auf Haytham, dann glitt sein Blick zu Edward Senior. „Aber wir können doch nicht einfach solche Verbrechen ignorieren wie sie unter anderem an Adéwalé begangen wurden.“
„Es geht hier nicht darum, dass man von euch die Absolution erbittet. Umgekehrt gibt es auch Opfer auf Seiten der Templer zu beklagen. Doch es geht hier um etwas höheres und ihr könnt jetzt etwas zur friedlichen Zusammenarbeit beisteuern.“ mein Pirat lächelte zögerlich, als er in die Runde sah.
„Dann ist es wahr? Wir sind in Gefahr, so wie ich in meinen Träumen schon des öfteren eine große Schlacht gesehen habe? Aber wie kann das sein? Dort waren Fabelwesen, seltsame Geschöpfe, gegen die wir kämpfen mussten.“ Williams Gesichtsausdruck wirkte verwirrt.
„Eine höhere Macht, William. Genau darum geht es. Diese Schatulle zum Beispiel ist ein kleines Puzzleteil in dem großen Ganzen!“ meine Stimme war kaum zu vernehmen, weil ich plötzlich Angst hatte, er könnte mich auslachen. „Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde als wir alle bisher angenommen haben.“

 

„Dann hatte Adé immer Recht, als er sagte, dass wir uns noch umgucken werden. Dass es nicht immer so einfach sein würde an Gegenstände der Vorläufer zu gelangen, sie seien oft für das sterbliche Auge nicht sichtbar! Er hat mir damals eine Karte gezeigt, auf welcher noch weitere Orte eingezeichnet waren, welche auf einem Ozean zu sein scheinen. Seine Worte waren, dass wir auch dort suchen müssten.“
Dieser Sohn von Anne kannte geheime Passagen und Koordinaten, welche Artefakte und Geheimnisse bargen? Vielleicht konnten wir mit unserer Liste gemeinsam diese Dinge suchen?
In mir platzte förmlich eine Bombe, die mich abenteuerlustig machte!
„Wir haben eine Liste von Relikten, die es zu suchen gilt. IHR habt eine Karte mit einigen interessanten Orten! Vielleicht können wir das abgleichen und …“ der Herr ließ mich nicht ausreden.
„… gemeinsam diese Sachen bergen?“ seine Stimme klang gelangweilt und gleichzeitig überheblich. „Wer versichert mir, dass …“
Jetzt war ich es, die ihm über den Mund fuhr.
„Genau DAS ist es! Dieses Misstrauen sobald man ein Angebot, ein EHRLICHES in diesem Falle, bekommt. Glaubt ihr wirklich, ihr könntet all diese Punkte alleine abarbeiten? Und was dann? Wollt ihr die Weltherrschaft an euch reißen? Und wenn ihr glaubt, dass die Templer genau das planen seit Jahrhunderten, kann ich euch beruhigen. Nein, das tun sie nicht. Auch sie oder besser WIR wollen die Menschheit vor großem Schaden beschützen. DAFÜR sind diese ganzen Artefakte wichtig!“ die Hand meines Mannes, welcher recht schweigsam bisher war, legte sich auf meinen Unterarm um mich zu beruhigen.

 

„Ihr müsst gestehen, dass wir in den Jahren gelernt haben, dass … der Orden den Erzfeind unserer Bruderschaft darstellt. Seit hunderten von Jahren herrscht ein von Zivilisten nicht bekannter Krieg. Warum sollte ich gerade jetzt glauben, dass es nicht mehr so ist?“ William sah etwas angewidert zu Haytham, welcher sich nichts anmerken ließ und immer noch stillschwieg.
„Auch ich habe gelernt, dass es einen Kompromiss gibt. Ich habe ihn in meiner Zeit erreicht und dort wird er weiter ausgebaut…“ ich hielt plötzlich inne, weil ich gar nicht wusste, ob hier JEDER davon Kenntnis hatte, dass ich aus einem anderen Jahrhundert stammte.
Anne sah mich mit großen Augen an.
„Ihr seid nicht zufällig damals in Nassau angekommen? DAS war geplant? EDWARD! Jetzt red schon! Du weißt davon?“ fauchte die Hausherrin meinen Piraten an.
Er antwortete und begann in aller Seelenruhe von unserer gemeinsamen Zeit zu sprechen. Sein Bericht enthielt berechtigte Lücken, weil auch Haytham nicht über pikante Details unterrichtet werden wollte. Als er nach einer sehr langen Story zum Punkt meiner Ankunft hier vor ein paar Jahren kam, hörte ich unsere Gastgeber beide schwer atmen.

 

Zwischenzeitlich waren wir auch alleine, weil unsere Kinder zu Bett gebracht worden waren. Natürlich unter Protest, versteht sich.
Wir hatten jetzt die Möglichkeit frei raus zu sprechen.
Jetzt war es nämlich auch an mir, aus meinem Leben zu berichten. Die Geschichte, wie ich Edward und später dann Haytham kennen lernte und so weiter. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass es doch sehr umfangreich war, was wir gemeinsam alle erlebt hatten.
„Und jetzt sind wir hier, weil wir auf Thatchs Galeone ein weiteres Artefakt vermuten.“ schloss ich meinen Bericht.
„Die Götter also, hm?“ fragend sah mich Anne an. „Ich hatte immer den Eindruck, dass dich mehr umgibt, als du selber weißt, Edward.“
„Mary hat es damals auch erkannt, nur ich selber war noch nicht soweit.“ seufzte mein Pirat.
Für einen kurzen Moment herrschte eine bedrückende Stille im Raum, weil ihr Tod uns in den Sinn kam und es tat mir für Edward Senior unendlich leid.
„Vater, du hattest mehr Gefühle für sie, als du ahntest?“ Haytham sah seinen Vater mit großen Augen an. Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich auch noch Eifersucht in diesen Worten vermuten.
„Hatte ich, mein Sohn.“ sprach er leise und die Trauer war deutlich zu spüren in diesen wenigen Worten.

 

„Lasst uns auf die Freunde anstoßen, welche nicht mehr auf dieser Welt wandeln!“ sprach William plötzlich und erhob seinen Kelch mit Wein.
Wir taten es ihm gleich und tranken auf alle, die jetzt hier sein sollten!
In meinem Kopf formte sich eine riesige Tafel in Odins Halle, wo sie alle beisammen saßen. Es war wie immer ein beruhigendes Bild und der Gedanke, dass auch wir irgendwann dort sein werden, tröstete mich.

 

Kurz vor Mitternacht überkam mich eine ungeheuerliche Müdigkeit und ich verabschiedete mich für die Nacht. Mein Gatte tat es mir gleich und auch William ging zu Bett.
Nur Edward und Anne blieben auf.
Wir sollten ihnen noch diese Zeit für sich gönnen, dachte ich und ging hinauf in unser Zimmer.

 

„Alex, manchmal glaube ich, dass ich immer wieder neue Dinge über dich oder meinen Vater, eure Leben erfahre. Das heute war wieder der Beweis, dass viele Kleinigkeiten und Details zusammenspielen für das gesamte Bild.“ schwer seufzend ließ sich Haytham auf unser Bett sinken.
„Pssssst, sprich leise. Du machst die Kinder sonst noch wach.“ bat ich flüsternd, als ich nach ihnen sah. Aber sie lagen in ihrem Bett und rührten sich nicht. Von wegen Florence würde sich immer nur hin und her drehen.
Dann eben so! Mein Vater war verheiratet, hatte aber eine Affäre mit dieser Mary Read? Theoretisch hätte ich noch einen Bruder oder eine Schwester? Aber niemand weiß, wo man ihn oder sie hingebracht hat? Hat Vater sich nie damit weiter beschäftigt?
(nicht ganz so, wie es im Buch/Spiel dargestellt wurde. Eine kleine Autorenfreiheit nehme ich mir hier raus!)

 

Haytham ließ sich erschöpft nach hinten fallen.
Nein, warum hätte er es tun sollen? Mi amor, dein Vater hatte ganz andere Sorgen und musste sich um sein Leben kümmern.
Mein Versuch ihn zu beruhigen scheiterte kläglich.
Er hat seinen Sohn wie ich meinen im Stich gelassen!
So hatte ich es noch nicht betrachtet, aber … nein, die Geschichte würde sich nicht so wiederholen! Nein!
Hier hat niemand jemanden im Stich gelassen, bei Odin! Marys Kind wurde ihr weggenommen und irgendwohin gebracht. Weder dein Vater hatte die Möglichkeiten nachzuforschen noch irgendwer sonst. Und vielleicht ist es auch besser so.
Ich spürte wie sich mein Gehirn verknotete bei all diesen Optionen und Möglichkeiten!
Es gibt also noch jemanden, der mit mir verwandt ist. Irgendwo in dieser Welt!
Dieser plötzliche ruhige, aber gleichzeitig aufgeregte Ton war erstaunlich.
Du willst nicht ernsthaft die Suche nach ihm oder ihr starten, oder?
Das würde eine sehr lange Zeit in Anspruch nehmen, befürchtete ich.

 

Schlaf jetzt, mi amor. Es ist spät und du kannst JETZT nichts mehr ausrichten.
Wir sollten uns damit beschäftigen, aber nicht mehr heute und hier und jetzt, ging es mir durch den Kopf.
Ich ahnte aber, dass sich Haytham Ähnlichkeiten ausmalte, vorstellte, wie ein Zusammentreffen irgendwann aussehen könnte.
Wer weiß, vielleicht wächst die Familie auf eine ganz andere Weise noch weiter.
Diese Worte stachen in mein Herz, weil ich plötzlich das Gefühl hatte, er würde gar keine Kinder mehr haben wollen, dass ihm dieser Gedanke völlig ausreichen würde. Vielleicht war dieser Satz auch ohne Hintergedanken.
Jetzt lag ich hellwach hier und starrte zur Zimmerdecke.
Bis auf Walkas leises Schnarchen war es still im Raum.
„Ich habe diese Vision von uns und einem weiteren Kind gehabt, mi sol. Glaub mir, dieser Wunsch ist nicht verschwunden nach heute.“ flüsterte Haytham plötzlich neben mir und drehte mich mit dem Rücken zu sich und strich mein Nachthemd langsam über meinen Oberschenkel hoch.
„Du glaubst doch nicht, dass ich jetzt…“ seine andere Hand drehte mein Gesicht zu sich nach hinten und seine Lippen senkten sich auf meinen Mund.
„Doch, das habe ich mir gewünscht und jetzt sei still…“
Diese Zweisamkeit war mal wieder eine entspannende Erfahrung. Kleine Bewegungen, seine Hand hielt meinen Oberschenkel in Position … Es war ruhig und vor allem befriedigend.
Nicht ein einziger Ton trat über meine Lippen! Wir waren ja nicht alleine hier in diesem Zimmer!
Wir ließen fast gleichzeitig los und ich hätte meinem Mann so gerne meine Erleichterung lautstark kundgetan, aber sein Mund bedeckte mich mit Küssen.

 

~~~

 

Nach dem Frühstück begannen wir unsere Route zur Queen Anne´s Revenge zu planen .
„Mama, das ist wirklich ein großes Schiff. Wie kann das sinken?“ ungläubig sah unser Sohn auf die Zeichnung und dann auf die Karte.
„Sobald die Bordwand stark beschädigt ist, dringt Wasser ein und wenn man dem nicht mehr Herr wird, passiert es, dass das Schiff untergeht.“ erklärte Anne Edward Junior.
„Dann muss man das aber dringend verstärken!“ er hielt eine Hand reibend unter sein Kinn und sah wieder einmal aus wie Haytham dabei.
Sogar Mrs Manning betrachtete ihn lächelnd.
„Wisst ihr, Klein Edward hat viel von seinem Großvater.“ dabei sah sie entschuldigend zu meinem Templer.
„Das haben wir schon bemerkt.“ bemerkte ich grinsend.
Mein Mann war sich dessen ebenfalls mehr als bewusst!

 

Kapitel 45

~~~ Die „Queen Anne´s Revenge“ Expedition ~~~

 

Ein wichtiger Punkt auf der Tagesordnung für heute war die Taucherglocke! Unser Schmied hatte ja bereits eine Nachricht schicken lassen. Ich hoffte außerdem, dass ich so etwas ähnliches wie einen Taucherhelm auftreiben konnte. Genügend Experimente mit flexiblen Schläuchen gab es auch in diesem Jahrhundert schon. Man beachte Franklins Forschungen in dieser Richtung. Man wird sehen, ob wir hier in dieser kleinen Stadt fündig werden können.
Aber zuerst mussten wir die Galeone überhaupt ausfindig machen.
Laut Karte würden wir mindestens 2 Tage benötigen um dorthin zu gelangen, je nach Wetterlage.
Kurz darauf steuerten wir den Hafenbereich an und fragten uns durch zu dem Händler, welcher sich mit Tauchzubehör beschäftigte. Eigentlich sehr hochtrabend beschrieben für die primitiven Vorrichtungen zu dieser Zeit.
„Oh Kundschaft!“ hörte wir ihn freudig rufen. Ein recht großer Herr eilte auf uns zu, als wir das Geschäft betraten. Mitte 40 schätzte ich ihn, schwarze Haare mit einem Vollbart im Gesicht. Ein wenig verwegen sah er ja schon aus.
„Sir, wir sind auf der Suche nach einer Tauchvorrichtung.“ Haytham übernahm das Kaufgespräch und die beiden begannen zu fachsimpeln und zu feilschen. Erneut dachte ich an einen Händler auf einem Basar oder diese Marktschreier auf den Fischmärkten. Doch ich schweife vermutlich gerade ab.

 

„Damit bin ich einverstanden, Mister!“ und der Herr reichte Haytham zum erfolgreichen Kaufabschluss die Hand. Wir hatten eine Taucherglocke erstanden und eine kleine Vorrichtung die Luft hineinpumpen konnte, sowie 2 Schläuche und einen kleinen Helm.
Beim genaueren Betrachten konnte ich nur beten, dass dieses Teil auch wirklich Wasserdicht war. Man hatte Kautschuk benutzt um die Übergänge abzudichten zum Beispiel.
Bis zu wie viele Meter war es wohl wirklich sicher zu tauchen damit?
„Mam, macht euch keine Sorgen! Eurem Gatten wird schon nichts passieren! Ich habe es selber getestet und kann mit gutem Gewissen sagen, dass er stundenlang im Meer verweilen kann damit.“ versicherte mir der Händler.
Man würde abwarten müssen. Dennoch war ich auch aufgeregt und wollte es am liebsten sofort selber testen. Meine Geduld musste ich aber noch zügeln.
„Sollten wir nicht zufrieden sein, seid versichert, werden wir euch alsbald wieder aufsuchen!“ mahnte ihn jetzt William, welcher uns begleitet hatte.
„Natürlich, Sir! Selbstverständlich!“ ein leicht eingeschüchtertes Lächeln erschien auf den Lippen des Herren.

 

Am Nachmittag wurde meine Jackdaw mit diesem Wunderwerk endlich ausgestattet und staunend sah ich bei der Montage zu.
Die Schläuche selber waren locker auf eine Trommel gewickelt, die nun fest mit dem Oberdeck verbunden wurde. Es erstaunte mich, dass meine Brig sich nicht auf die Seite legte, als dieses riesige Metallkonstrukt an einem Flaschenzug in die Höhe gehievt wurde.
„Alex! Das aus deinem Mund? Du bist doch diejenige die sich mit physikalischen Dinge bereits besser auskennt, als wir hier.“ lachte Haytham als er sich auch schon wieder den Arbeitern zuwandte.
Genau wegen dieser Kenntnis war ich ja so überrascht. Mittlerweile sollte ich aber meine Skepsis etwas verloren haben für die Unzulänglichkeiten in diesem Jahrhundert.
Wir testeten die Pumpe, die man ebenfalls fest mit dem Deck verband. Der erste Luftzug war unangenehm und es fühlte sich falsch an. Der Geruch oder besser Geschmack war widerlich. Abgestanden und modrig würde ich sagen.
„Das legt sich noch, glaubt mir.“ erklärte ein Mann der sich gerade mit einer Seilwinde befasste.
Sein Wort in Odins Ohr!

 

Am Abend konnten wir uns einem guten Abendessen widmen und noch einmal die Pläne für die Fahrt zum Wrack durchgehen.
Die Jackdaw sollte dem Küstenverlauf in nördlicher Richtung folgen und unter anderem an Wilmington vorbei segeln bis zum eigentlichen Ziel.
„Wir hätten auch dort starten können.“ grübelte ich für einen Moment, aber es war wichtig, dass auch Anne benachrichtigt wurde.
Meine Frage, wie tief es dort eigentlich sei, konnte mir niemand beantworten.
„Tief genug auf jeden Fall um ein Schiff dieser Größe sinken zu lassen.“ Achselzuckend stand Mrs Manning über die Karte gebeugt.
Wir würden also wirklich mit der ersten ausgerechneten Zeitspanne rechnen müssen.
„Vater, darf ich dann auch mit hinuntertauchen?“ bettelte Edward Junior nun schon zum gefühlten Millionsten Male.
„Du darfst uns mit Florence begleiten, aber ob du mit hinunter darfst, entscheide ich vor Ort und jetzt schweig still, sonst bleibst du alleine hier!“ mahnte Haytham unseren Sohn, der sich schmollend zu seiner Schwester umdrehte.
„Und wenn wir da sind, beachtet man uns gar nicht mehr, Flo. Wie immer!“ flüsterte er wütend.
„EDWARD!“ schimpfte ich ihn, weil ich diese Art des Provozierens einfach nicht gut fand!
„Entschuldige.“ kaum hörbar kam es bei mir an.

 

Am Morgen machten wir uns wieder auf zur Jackdaw. Der Himmel war wolkenverhangen, es nieselte und es war gefühlt um 20 Grad abgekühlt. Fantastisch! Genau das richtige Wetter für eine kleine Seereise!
Nicht nur meine Stimmung war hinüber, auch die der Mitreisenden.
Anne hatte es sich nicht ausreden lassen mitzukommen. Wer konnte es ihr verübeln?
Als sie auf meine Brig zuging sah ich in ihren Augen ein seliges Leuchten.
Ihre Erinnerungen an die Zeit an Bord waren sicherlich nicht immer von Freude und Glück geprägt, dennoch vermisste sie diese Jahre unter der „Black Flag“ und dem Kommando Edward Seniors. Genau wie ich diese Wochen ebenso für ewig in meinem Gedächtnis behalten werde.

 

Wir legten 2 Stunden später ab unter den aufmerksamen Blicken der Bewohner von Charles Town welche mal wieder zahlreich erschienen waren.
Auf der einen Seite bin ich stolz solch einen Eindruck hinterlassen zu haben, umgekehrt ist es aber erschreckend, an WAS sich die Menschen wirklich erinnern! Mein Schwiegervater sinnierte in meinem Geist und dem der Mitreisenden über seine Vergangenheit.
Florence sah dem Treiben am Pier noch eine Weile zu und winkte plötzlich ganz aufgeregt einer Person zu.
Ich versuchte auszumachen, wem diese Geste galt.
„Schau Mama, da! Der große Mann mit dem schwarzen Mantel.“ sie deutete auf die Gestalt und ich versuchte es mit dem Adlerblick. Es pellte sich eine goldene Aura aus den Anwesenden heraus, aber … es war kein realer Mensch.
„Flo, der Bart sieht ja riesig aus!“ hörte ich plötzlich meinen Sohn sprechen und versuchte immer noch meine Sinne zu schärfen.
Langsam wurde mir bewusst, dass die Kinder einen anderen Blick für diese Art von Erscheinung hatten, als wir.
Es ist Edward Thatch, Alex! Ich … habe ihn seit … nun ja, seit Jahren nicht mehr gesehen.
Mir war schon aufgefallen, dass mein Schwiegervater selten bis gar nicht das Wort Ableben oder Tod – seinen eigenen – in den Mund nahm. Warum auch immer.
Wir sahen es kurz darauf vermutlich alle.
Er hob die Hand und winkte zurück.
Bei dieser Geste überzog sich mein Rücken mit einer kalten Gänsehaut. Ein leichtes schlechtes Gewissen zog in mir auf, weil ich mich an sein Eigentum und seine Hinterlassenschaften machte. Auch wenn mein Pirat bereits die Tagebücher und ähnliches in seinem Besitz hatte. Verdammte Axt noch mal! Ich konnte es nicht abstellen.

 

Diese wirren Gedanken begleiteten mich die nächsten Stunden.
„Mi sol, was ist auf einmal los? Du hast Thatch doch schon kennengelernt. Was ist jetzt anders?“ fragte mein Templer skeptisch nach.
„Ich habe ihn als lebende Person kennengelernt! Und er hat mir eine schriftliche Warnung hinterlassen, du erinnerst dich? Ich sollte deinen Vater in Ruhe lassen. Und jetzt steht er dort im Hafen, winkt uns zu und ich soll mit ruhigem Gewissen zu seinem Schiff segeln um es zu plündern?“ als ich diese Worte ausgesprochen hatte, wurde mir klar woher mein schlechtes Gewissen kam. Ich war keine geborene Diebin oder Piratin! Nein, meine Moral ließ das nicht zu.
„Alex, wirklich?“ kopfschüttelnd stand Haytham vor mir und grinste mich an. „Wir rauben ihn nicht aus, sondern bergen etwas, was noch an Bord ist. Etwas, was er selber nicht mehr retten konnte. Das ist kein Raubüberfall!“
Was du auch mit in Betracht ziehen solltest, er wird uns zeigen können, WO sich dieses Artefakt befindet. Somit werden wir – hoffentlich – auch nicht unnütz herum suchen müssen. Edward hatte ja Recht und allmählich schwächte dieses Gefühl wieder ab.

 

Wir begegnete einigen Handelsschiffen, britischen Kriegsschiffen und auch kleinen Fischerbooten.
„Was machen die denn soweit hier draußen?“ hörte ich Mr Hargreaves laut fragen, als er immer wieder den Versuch startete ihnen auszuweichen.
Meine Kenntnis über den Fischfang bezog sich auf das Krabbenfischen in den heimischen Häfen in Norddeutschland.
„Mr Hargreaves, sie werden sicherlich Ausschau nach großen Fischen halten, die sie dann mit ebenso großem Gewinn verkaufen können.“ Edward Junior stand wie ein alter Kaufmann an der Reling und betrachtete die Fischerboote.
„Natürlich, Master Edward. So wird es sein.“ mein erster Maat konnte sich ein leises Kichern nicht verkneifen.

 

Nach einem weiteren Tag waren wir an unserem auserkorenem Ziel angekommen.
Enttäuscht sah ich mich auf der Wasseroberfläche um! Was hatte ich denn bitte erwartet? Eine Fahne die aus dem Wasser ragt und mir die Position anzeigt?
Mein Pirat manifestierte sich, weil es hier sicher für ihn war. Aber nicht nur ER zeigte sich!
Dieser schwarze Mantel mit dem ebenso getünchten Dreispitz zeichneten sich in einem leichten Nebel ab. Eine imposante Silhouette deutete sich immer mehr an bis meine Augen den Kapitän der unter uns liegenden Galeone in Gänze erkannte.
Ich ging ein paar Schritte zurück, weil ich für den Bruchteil einer Sekunde die Befürchtung hatte, er würde mich rügen. Ein absolut absurder Gedanke jetzt im Nachhinein!
„Miss Frederickson! Ich hatte schon gedacht, ich würde euch nie wieder sehen!“ seine tiefe, raunende Stimme war mir noch in Erinnerung geblieben.
Mit offenem Mund starrte ich auf diese Erscheinung, brachte jedoch keinen Ton über die Lippen.
Es war unser Sohn, der sich Luft verschaffte.
„Ihr seid Blackbeard! Der gefürchtetste Pirat in der Karibik!“ seine Stimme überschlug sich dabei vor Aufregung.
„Und ihr müsst Master Edward sein, richtig? Euer Großvater war wie ein Sohn für mich und wie ich sehe, seid ihr ihm sehr ähnlich.“ Thatch hatte eine einnehmende Art an sich. Wenn er wollte war er furchteinflößend oder wie jetzt einfach freundlich.
„Danke, Sir! Ich würde zu gerne einmal euer Schiff sehen und ihr habt bestimmt auch viele Geschichten zu erzählen!“ Unser Sohn hatte sich in seinem Kauderwelsch verheddert und Thatch lächelte mich an.
Wir würden sicherlich später noch für so etwas Zeit finden, erklärte ich und erntete ein enttäuschtes Schnauben Seitens Edward Juniors.
„Ich heiße euch willkommen an Bord der Jackdaw.“ meine Manieren brachen mit einem Male durch und Haytham ebenso wie Edward Senior glucksten amüsiert neben mir.
„Danke, Miss Fred… entschuldigt. Mistress Kenway!“ bei diesen Worten hob der alte Pirat eine Augenbraue. „Dass ich das je sagen würde, hätte ich nicht gedacht. Aber ihr habt meinen RAT angenommen damals. Gut für euch!“ dieser Ton war etwas zu sarkastisch für meinen Geschmack. Aber sei es drum!

 

Nachdem wir die Vorstellungsrunden beendet hatten und wir uns alle etwas akklimatisieren konnten, besprachen wir unser weiteres Vorgehen.
Eigentlich war es sogar von großem Vorteil, dass Blackbeard uns anleiten konnte. Wer kannte dieses Schiff besser als er?
„Ihr werdet beeindruckt sein, Mistress Kenway.“ seine Worte waren voller Stolz und ich dachte mal wieder an Shay, der ebenso begeistert seine Morrigan lobte. Die Liebe zu Schiffen war mir wohl bekannt und auch ich hegte sie zu meiner Brig!
Dann war es Zeit, dass wir uns dem eigentlichen Ziel, dem Wrack der Queen Anne´s Revenge widmeten.
Alle mit Adlerblick ließen ihn über das Wasser gleiten.
Es dauerte nicht lange, bis jeder eine eigene Interpretation des Schiffes hatte, was einfach daran lag, dass wir alle unterschiedliche Fähigkeiten oder besser Sinne besaßen.
Haytham konnte zum Beispiel genauer beschreiben, wie es zu diesem Abschuss kam, wohingegen mein Pirat besser die Position orten konnte.
Mein kleiner Sohn sah mehr die eigentlichen Goldleuchtenden Umrisse von wichtigen Gegenständen und einigen dringend zu umgehenden gefährlichen Passagen!
Florence hingegen konnte die tatsächliche Geschichte der Galeone wahrnehmen. Ich fand diese kurze aber dennoch prägnante Erzählung spannend und hoffte, ich könnte noch mehr in den nächsten Tagen erfahren.
Ich selber sah die Umrisse und versuchte einen genauen Plan in meinem Kopf zu formen. Wo sollten wir die Notfall-Luftfässer strategisch am günstigsten platzieren zum Beispiel. Wir sollten uns nicht alleine auf die Pumpe verlassen!

 

Edward Senior war es, der mit einem Male abwesend auf das Meer starrte. Sein Körper schien eingefroren zu sein. Neben ihm stand sein Mentor Thatch, seine Leitfigur damals!
Für eine Weile sahen wir ihnen zu. Weder sprachen noch bewegten sie sich.
„Wir können jetzt noch etwas bewirken, Kenway! Lass uns mit dem Sonnenstein beginnen!“ diese Worte hörten sich an, als hätte Thatch eine völlig neue Sicht auf die Welt, das Leben und die Existenz bekommen!
„Dann lass uns keine Zeit verlieren!“ rief mein Schwiegervater über seine Schulter in unsere Richtung!

Kapitel 46

~~~ Fantastische Aussichten ~~~

 

Die Pumpe wurde besetzt, die Luftfässer wurden bereit gemacht, die Taucherglocke brachte man ihre Position.
„Hievt! Hievt!“ brüllte man sich an Deck zu.
„Weiter hierher! Herr Gott noch eins! HÖHER!“ schrie einer der Männer der sich in schwindelerregender Höhe über unserem Tauchapparat befand.
All das besah ich mit Staunen! Ganz ohne Maschinerie, ohne Strom – nur die Muskelkraft der Männer an Bord brachte alles zum Laufen. Es gab zwar Flaschenzüge, dennoch war körperliche Anstrengung dabei. Das metallene Gebilde wog nicht nur zwei Kilo!
„Master Kenway, Mistress Kenway. Es wäre jetzt an der Zeit, dass ihr euch …“ Mr Hargreaves sah an mir herunter dabei. „… umzieht und bereit macht. Einer der kleinen Helme mit diesem seltsamen Ding ist dort drüben und wir haben alles noch einmal überprüft.“ er klopfte uns auf die Schulter und widmete sich wieder der Aufsicht seiner Leute.

 

„Irgendwie ist mir etwas komisch bei dem Gedanken ohne einen modernen Taucheranzug da runter zu gehen.“ gab ich ehrlich zu, als mein Mann und ich uns in der Kajüte fertig machten.
„Die Pumpe funktioniert aber doch ähnlich wie diese … Kanister auf dem Rücken bei euch? Hast du Angst, willst du lieber hier bei den Kindern bleiben?“
Im Zuge dieser Recherchen über die Galeone hatte ich Haytham von Neoprenanzügen, mit Sauerstoff gefüllten Flaschen und Kompressoren erzählt.
Nein, ich würde mit hinunter tauchen! Ich wollte das Schiff Blackbeards einfach mit eigenen Augen gesehen haben. Damals vor gefühlten 300 Jahren hatte ich sie nur als Umriss wahrnehmen können im Hafen von Nassau oder war es doch erst auf Great Inagua? Bei Odin, mein Gedächtnis lässt mich ab und an im Stich!
Meinem Templer versicherte ich zu seiner Beruhigung – und meiner eigenen! -, dass die Kinder sehr gut hier bei Anne und ihrem Sohn aufgehoben sind. Und wir sollten nicht vergessen, es gab da noch einige andere Wesen, welche ein Auge auf uns ALLE hatten.

 

Mit einem Male lief mir ein kalter Schauer über den Rücken und Bilder von Eugene tauchten vor meinem geistigen Auge auf!
Er war im Begriff eine Luke zu öffnen um dort in den darunter liegenden Raum zu gelangen! Gezielt schwamm er auf ein Regal zu, welches im Begriff war jederzeit einzustürzen! Seine gierigen Finger griffen nach einer von Algen überzogenen Kiste!
Doch sie zerfiel augenblicklich zu Staub bei seiner Berührung!
Nichts gab sie frei, sie war leer!
Ein wütender Schrei drang aus Eugenes Kehle und Flüche auf russisch! Seltsam, er war im Wasser … wie konnte er sprechen und atmen?
Mir gingen Bilder von Aquaman oder auch anderen fiktionalen Helden durch den Kopf!

 

Als mich etwas an der Schulter berührte, verschwanden diese Momentaufnahmen aus meinem Kopf und meine Hände stützten sich auf den Schreibtisch vor mir in meiner Kajüte.
„Mi amor, ist er hier?“ flüsterte ich aus Angst, dass wir wieder einmal nicht alleine hier waren.
„Nein, keine Sorge! Diese Eindrücke konnte ich mit dir gemeinsam sehen, aber Hrymr oder sein lebendes Pendant ist nicht hier.“ versicherte mir mein Templer. Ein Blick in seine Augen verriet mir, dass er nicht log.
Mit einem tiefen Aufatmen fuhr ich fort mich für den Tauchgang weiter anzukleiden.
Es durfte nicht zu viel Stoff sein, aber auch nicht zu wenig. Mrs Fischer hatte uns Hosen und Hemden aus Leinen mit innen liegenden Taschen gefüllt mit öliger Baumwolle genäht. So hoffte sie, dass sich das Material nicht zu schnell mit Wasser vollsog.
Kurz darauf sah ich an mir herunter und dachte sofort an das Michelin-Männchen! Bei Odin! Ich kicherte bei diesem Anblick und als ich Haytham sah, musste ich arg an mich ​​​​​halten um nicht laut zu Lachen.
Wage es nicht, Alex, hörte ich ihn mahnend in meinem Kopf.
Diese Kleidung war wenig schmeichelhaft für ihn!
Doch das sollte sie ja auch nicht, rief ich mir ins Gedächtnis. Sie sollte PRAKTISCH und FUNKTIONELL sein.

 

An Deck war alles bereit!
Dort wo ich mich noch mit einem Lachen zurückhalten konnte, war es für Edward und Florence, kaum dass sie uns sahen, vorbei. Sie konnten sich kaum halten und saßen irgendwann mit vor dem Bauch gehaltenen Händen auf den Bohlen.
„Ihr seht zu komisch aus in diesen Dingern!“
„Mama, du musst aufhören so viel zu essen!“
„Flo, wir sollten …“ Edward Junior wurde unwirsch von seinem Vater unterbrochen.
„Es reicht, ihr beiden!“ fauchte er und wandte sich kopfschüttelnd an seinen eigenen Erzeuger. „Unverschämt!“ hörte ich noch.
Nur leider war auch mein Pirat in Kicherlaune und zwinkerte seinen Enkeln ermutigend zu.

 

Doch genug davon, wir wollten ja noch mit dem Tageslicht im Rücken in die Tiefe steigen!
Meine Ungeduld übermannte mich und ließ mich meine lächerliche Garderobe beiseite schieben.
„Mr Hargreaves! Wir sind soweit!“ rief ich ihm zu.
„Dann zeige ich euch jetzt, wie ihr mit dem Helm umgeht und die Luftzufuhr etwas regulieren könnt. Master Kenway würdet ihr bitte auch dazu kommen? Dann muss ich es nicht doppelt erklären.“ Ich fühlte mich in meine Schulzeit versetzt, wo der Lehrer auch immer alle zusammen trommelte um ein Thema nur EINMAL erläutern zu müssen.
Es gab ein Rädchen an der Unterseite vor der Brust des Kragens, der auf den Schultern lag. Als ich ihn aufsetzte staunte ich über das Gewicht, ich hätte mit weniger gerechnet. Man könnte auch meinen, er würde mich sofort in die Tiefen zerren! Mir wurde wieder etwas flau bei diesem Gedanken.
Mit dieser Vorrichtung konnte man den Druck der gepumpten Luft entweder erhöhen oder senken. Je nach Tiefenmeter. Die Seile, welche uns noch umgelegt wurden, dienten zur Verständigung zur Jackdaw. Eine Art Morsezeichen wurde vereinbart.
Zum Hochziehen, für Gefahr oder aber auch einfach ABBRUCH!
Hoffentlich konnte ich mir all das auch merken.

 

„Aber was ist, wenn wir uns in einem der unteren Decks befinden? Ihr werdet uns nicht einfach so hinauf ziehen können, Mr Hargreaves. Wie soll das gehen?“ hakte mein Mann nach.
„Dann werden Männer ins Wasser geschickt, die sich von Fass zu Fass hangeln um den Verlauf des Seils zu orten. Diese werden euch hoffentlich finden und hinauf befördern können.“ diese doch recht klägliche und vor allem nicht sehr zuversichtliche Erklärung mussten wir dann wohl vorerst so hinnehmen und das beste aus der Expedition machen.
„Ich verstehe, das ist gut zu wissen.“ Haytham ließ sich seine eigenen Bedenken nicht anmerken.
„Oh und eine Frage noch. Wie sollen wir vorgehen, wenn schon mehr als eine Stunde vergangen ist? Sollen wir …“ natürlich wollte er einen Plan B haben, verständlich.
Da wir aber augenscheinlich abgesichert über die bereitstehenden Matrosen und eben über unsere Fähigkeiten waren, brauchte auch er sich nicht sorgen. Das redete ich mir jetzt immer wieder ein.

 

Und dann begann unser Tauchgang hinunter zur „Queen Anne´s Revenge“!

~~~

Wir hangelten uns zur Taucherglocke hinunter, ich mit Helm und Haytham noch ohne. Wir würden uns hier regelmäßig treffen um zu tauschen. So war es vereinbart gewesen.
Als erstes machte ich mich auf den Weg um einen Eingang zu finden und einen ersten Eindruck von der Lage, dem Zustand und um mir allgemein einen Überblick zu verschaffen.
Stetig hoffte ich, dass der Schlauch nicht undicht war, die Pumpe funktionierte und wir auch wirklich fündig wurden.
Immer weiter tauchte ich hinab und vor mir sah ich Bilder aus dem Film „The Abyss“. Es war hier nicht so tief, keine Frage, aber die Lichtverhältnisse spielten einem einen Streich. Unheimlich und faszinierend zugleich spiegelten sich hier noch vereinzelte Strahlen wieder. Ein sehr spektakulärer erster Eindruck!
Das Schiff selber war gekippt auf Steuerbord-Seite und war weit in den Untergrund gesunken. Dabei überwucherten den Rumpf hunderte von Muscheln, Algen und einfach Dreck.
Dennoch muss ich gestehen, die Größe war mehr als beeindruckend!
„Bei 48 Kanonen habe ich aufgehört zu zählen.“ ging mir ein Satz von Thatch durch den Kopf. Nicht gerade ein bescheidener Mensch dieser Blackbeard!

 

Die Luken waren allesamt schon verrottet, was mir oder besser uns den Einstieg in die unteren Decks und Sektionen erleichtern würde.
Wo sollten wir anfangen?
Ich beschloss als erstes die Kapitänskajüte aufzusuchen. Auch wenn es zu offensichtlich wäre, dort ein Artefakt solcher Macht zu verstecken. Einen Versuch war es wert. Aber schon beim Hereinkommen sah ich, dass hier der Zahn der natürlichen Zerstörung bereits gewütet hatte.
Man konnte kaum noch ausmachen, was was gewesen sein mochte. Bis auf ein paar Regale oder Gegenstände aus Metall die sich allesamt auf der einen Seite geschichtet hatten aufgrund des Neigungswinkel des Schiffes.
Ich machte mich daran mich näher umzusehen und begann mit meinen Händen das morsche Holz beiseite zu schaffen, suchte nach Geheimverstecken zwischen den Wänden und so weiter.
Immer wieder fielen mir in Leder gebundene Schriften entgegen, doch sobald meine Finger sie berührten zerfielen sie und es blieb ein nebliger Film im Wasser zurück.
Hier war nichts, als beschloss ich mich in die untere „Etage“ dieser Galeone zu begeben.

 

Es war alles noch recht gut erhalten und in meinem Kopf stellte ich mir den Aufbau dieses Schiffes vor, damit ich nicht die Orientierung verlor.
Ich nahm mir einen ersten Teil des Mannschaftsdecks vor, welches mit dem entsprechenden großen Kanonendeck einherging. Platzmangel herrschte auch hier und die Bilder von kämpfenden und auch überraschten Piraten drängten sich in meinen Geist. Schaukelnde Hängematten, die von der tosenden See bewegt wurden. Männer die sich laut rufend über den Wind hinweg Anweisungen gaben! Die Geschichte dieser Galeone war ein Buch wert!
Leider konnte ich auch hier nicht wirklich fündig werden und mein Sohn meldete sich zu Wort.
Mama, weiter unten ist ein komisch aussehender Korridor. Der sieht aus wie in den Tunneln bei uns zuhause! Aber du musst zuerst wieder zu Vater! Er sollte das übernehmen. ​​​​​​
Unser Sohn klang merkwürdig bestimmt dabei. Was war auf einmal los?
Du sagst mir nicht alles, min lille skat! Was ist dort unten?
Er schwieg.
EDWARD! Sprich gefälligst mit mir! Mahnte ich ihn.
Weiterhin keine Antwort!

 

Frustriert schwamm ich wieder in Richtung Taucherglocke und meine Wut über dieses Schweigen brach sich sofort Bahn, als ich meinen Templer erblickte.
„Da bist du ja wieder, mi sol…“ wütend über diese gut gelaunte Begrüßung sah ich ihn an.
„Du bist dann wohl dran jetzt, laut Aussage und Rates unseres Sohnes.“ maulte ich, sobald ich den Helm abgenommen hatte und mich versuchte an die Luft hier drin zu gewöhnen.
„Edward hat es nicht böse gemeint, glaub mir. Aber hier geht es um meine Kenntnisse von Schiffen dieses Jahrhunderts und deren geheime, ja das mag sich seltsam anhören in deinen Ohren, Ausgänge und Notluken! Ich konnte sie hier sehen und auch diesen Tunnel von welchem unser Sohn sprach. Nimm es doch nicht gleich persönlich!“ seufzte Haytham, während er sich mit dem Helm vertraut machte und ihn aufsetzte.
Als er bereit war, nickte er mir zu und ich sah ihm immer noch genervt hinterher.
Was würde er dort finden? Konnte ich ihm überhaupt folgen?
Grinsend, weil ich erst jetzt auf diese Idee kam, drang ich in seinen Geist und konnte so sehen, was er erblickte.

 

Mein Templer nahm im Grunde den gleichen Weg wie ich ich auch hinunter zum ersten Kanonendeck, dann weiter geradeaus zu einer weiteren Luke und noch eine Etage tiefer. Hier wurden die Lichtverhältnisse aber immer schlechter und unsere Sinne wurden zu 100 Prozent gefordert!
Ich konnte im Grunde überall ein leichtes Schimmern wahrnehmen, doch es war Haytham welcher mir zeigte, was wirklich von Bedeutung war.
Mit einem Male deutete er auf ein Loch im Holz auf der rechten Seite und schwamm darauf zu.
Plötzlich hantierte er hektisch am Schlauch herum und ich sah, wie dieser sich verheddert hatte.
Nicht mit Gewalt, Haytham. Du könntest ein Loch hineinreißen! Rief ich ihm in Gedanken zu!
Was du nicht sagst! Fluchte er und versuchte sein Glück auf die sanftere Tour. Mit Erfolg und er befreite sich um weiter tauchen zu können.
Dieser Tunnel hatte wirklich Ähnlichkeit mit unseren neu angelegten Gängen unter der Plantage. Hier waren sie allerdings natürlichem Ursprung. Haytham folgte vorsichtig dem Verlauf um nicht wieder hängenzubleiben.

 

Wie viele Meter Schlauch hatten wir eigentlich zur Verfügung?

 

Kapitel 47

~~~ Dem Artefakt so nah ~~~

 

Keine Sorge, mi sol. Es ist genügend vorhanden.
Mein Mann klang wie einer dieser Verkäufer im Fernsehen, der sogar einen Gefrierschrank in der Antarktis verkaufen konnte.
Sein Wort in Odins Ohr.
Apropos! Wo waren die Götter gerade? Ich hatte bis jetzt nichts gehört oder gesehen, geschweige denn von ihnen gespürt?
Waren wir wieder einmal in so einer von den Isu gemachten Isolation?
Nicht ganz, auch wenn es gerade schwer ist zu euch durchzudringen!
Das war Tyrs Stimme die wir hörten, wenn auch leicht verstümmelt.
Wie ein Aal schlängelte sich Haytham weiter durch diesen Gang. Irgendwann hatte ich persönlich die Orientierung verloren, weil ich selber stillstand. Im Grunde war es ähnlich zu vergleichen mit der Motionsickness. Wir bewegen uns nicht, aber das Gehirn glaubt es und suggeriert uns dass wir uns hoch oder runter bewegen. Für meinen Magen keine gute Idee, aber ich versuchte mich zusammenzureißen.

 

Wir sahen zeitgleich diesen hell erleuchteten Spalt in dem Felsen und mein Templer steuerte ohne zu zögern darauf zu! Das Licht wurde greller und tat in den Augen weh, auch wenn ich nur als Hintergrundzuschauer agierte.
Das ist phänomenal! Solch eine Intensität von Licht habe ich noch nie gesehen.
Seine Stimme war voller Ehrfurcht in diesem Moment.
Wer konnte es ihm verübeln? Sogar ich war mehr als beeindruckt!
Die Ausmaße dieser Öffnung waren wider erwartend größer sodass Haytham sich ohne Probleme hindurch bewegen konnte.
Was jetzt aber vor uns auftauchte war majestätisch … es war atemberaubend … Worte vermögen es nicht auszudrücken.

 

Diese Höhle war nicht nur wie durch Halogenstrahler erleuchtet, nein, sie war auch recht kompakt aber dennoch machte sie den Eindruck wie durch Mutter Natur geformt zu sein. Nichts deutete auf eine Fremdeinwirkung hin!
Mi amor, streiche einfach einmal über diese Wände und diese diffusen Lichtquellen! Ich muss sicher sein, dass es keine Isu-Errungenschaften sind! Bat ich ihn leise. Wer weiß, wer noch mithörte und uns … beeinflusste! Sicher ist sicher!
Mi sol, es ist … einfach nur eine Steinformation, die sich im Laufe der Jahre gebildet hat. Aber … warum sollte genau hier dieses Artefakt sein. Thatch wird es ja nicht persönlich hierher gebracht haben.
Seine Worte ließ ich mir auf der Zunge zergehen. Er hatte Recht! Es wurde der Eindruck erweckt, als hätten hier mehrere Personen, oder Wesen oder wie auch immer, als der alte Pirat ihre Finger im Spiel gehabt.

 

Eine große dunkle Silhouette zeichnete sich in diesem Raum ab, langsam aber stetig.
Daneben erschien Edward Senior.
Nach langer Zeit sah ich den gefürchtetsten Piraten der Westindischen Inseln wieder. Ich spreche hier von Thatch übrigens.
Wer hätte gedacht, dass ich noch einmal hierher kommen werde. Andächtig sah sich Blackbeard um.
Ich auf jeden Fall nicht. Edward bestaunte ebenfalls diesen hellerleuchteten Raum vor sich.
Langsam begann Haytham sich an den Wänden entlang zu bewegen und tastete hier und da mit Bedacht über den Stein.
Er fühlt sich seltsam warm an, obwohl wir in sehr kaltem Wasser unterwegs sind.
Jetzt wo er es sagte, wurde mir bewusst, dass es tatsächlich recht kühl war. Wir hatten ja auch keinen Sommer mehr, das sollten wir bedenken.

 

Vereinzelt sah man Holzstückchen herumliegen, oder Scharniere und Schlösser von vermeintlichen Truhen, welche hier vor langer Zeit einmal gelagert worden waren. Mein Schwiegervater ließ mich mit seinen Augen sehen und bewegte sich jetzt ebenfalls umher.
Einige kleinere Fische schwammen an uns vorbei, ignorierten aber meinen Mann wie es schien.
Immer noch fragte ich mich, woher dieses Licht kam. War es möglich, dass es fluoreszierenden Pflanzen gab, die so hell strahlen konnten? Leider war ich keine Botanikerin und meine Kenntnisse sehr beschränkt auf diesem Gebiet.
Die gibt es, aber nicht in diesen geringen Tiefen. Hörte ich Thatch nachdenklich sprechen. Ich muss gestehen, ich kann mich nicht mehr wirklich erinnern.
Seine Stimme hatte plötzlich einen traurigen Ton angenommen und dieser spiegelte sich auch in seinem Gesicht wieder.
Je länger ich … nicht mehr unter euch Lebenden weile, desto mehr verblasst mein Leben vor meinem inneren Auge. Ich schlage daher vor, wir sollten uns beeilen, ehe ich nicht mehr weiß wie ich heiße!
Dieser Stimmungsumschwung zeigte sich aber nicht in seinen Augen, im Gegenteil. Ich spürte, dass Blackbeard daran zu knabbern hatte. Doch nach außen wollte er sich nichts anmerken lassen. Verständlich!

 

Mit Haythams Augen konnte ich nun diese Auren hier unten wahrnehmen. Ein faszinierender Anblick von Schemenhaften Gestalten die sich hier hin und her bewegten. Dinge abstellten, etwas darin verstauten oder einfach nur Wache standen.
Diese Höhle muss später voll gelaufen sein mit Wasser, weil alle Helfer die ich sah weder schwammen noch schwebten. Aber wie war das nun schon wieder möglich. Wir waren hier weit unter der Oberfläche!
Das werde ich auch nie verstehen und vermutlich werde ich es eh bald vergessen haben. Der alte Pirat grinste dabei in Richtung meines Templers.
Was aber sehr bedauerlich wäre, Mr Thatch! Diese Höflichkeit meines Gatten ließ ihn lachen.
Da muss ich euch recht geben, Haytham! Edward! Du warst bis jetzt so schweigsam. Hat es dir die Sprache vor Staunen verschlagen?
Hm, nein. Aber sieh dich um. An was kannst du dich erinnern? Hier deutete nichts auf ein Artefakt hin, Thatch. Nur Gerümpel, altes Tuch und morsches Holz. Willst du mir etwa weismachen, dass du einen so wichtigen Gegenstand in einer lumpigen Holzkiste aufbewahrt hast?
Wie gut ich diese fragend hochgezogene Augenbraue doch kannte. Wie der Vater so der Sohn!
Ich … nein, vermutlich nicht. Wo … verdammt nochmal! Fluchend bewegte sich Blackbeard hier umher und sah sich weiter um.

 

Wie von einer Tarantel gestochen eilte er an uns vorbei zurück zu seinem Schiff. Haytham und Edward taten es ihm gleich und ich hatte Mühe meinen Mageninhalt bei diesen hektischen Bewegungen nicht von mir zu geben. Noch immer hing ich in dieser Taucherglocke mit einem Gefühl von Übelkeit!
Mama, denk an was schönes! Dann geht das weg! Hörte ich meine Tochter leise in meinem Kopf. Denk an unsere Katze!
Das brachte mich wirklich etwas runter und ich konnte mich wieder auf die Herren hier im Meer konzentrieren.
Kurz darauf blieben wir vor einer im Boden eingelassenen unscheinbaren Luke stehen. Man sah bereits, dass bei der kleinsten Berührung alles zerbersten würde. Immer noch hoffte ich, dass uns nicht die gesamte Galeone über den Köpfen zusammenbrach.
Zögerlich streckte Haytham seine Hand aus um den Ring zu greifen.
Wozu machst du das? Er wird eh abreißen und … sagte ich, als er bereits fluchend vor einem Loch im Boden schwamm.
Ein undurchsichtiges Gemisch aus Algen, morschem Holz und aufgewühltem Dreck stob um uns herum, welches die Sicht in die Tiefe verdeckte!

 

Mein Mann atmete tief durch, streckte seinen Körper und sagte feierlich Dann werde ich mal meines Amtes walten und schauen, welche Überraschungen uns dort noch erwarten werden!
Und schon war er in dieser unwirklichen Dunkelheit verschwunden und ich mit ihm.
Einen kleinen Moment später spürte ich, wie Haytham auch, dass hier etwas lagerte. Sein Sinn schärfte sich noch einmal, bis wir beide eine grelle Aura um eine Truhe ausmachten. Ich muss sagen, es war eine sehr reich geschmückte Kiste, aus Metall vermutete ich. Aber weder war sie angelaufen noch sah sie alt aus.
Es waren Bilder darauf zu erkennen, dazu Gravuren in einer mir unbekannten Sprache. Was uns aber ins Auge stach waren die vielen Schlösser. 6 an der Zahl und alle mit unterschiedlichen Mechanismen!
Etwas irritierte mich jedoch an diesem Ding, weil es wie eine dunkle Erinnerung in meinem Gedächtnis auf ploppte. Dazu eine böse Vorahnung!
Oft wird leicht daher gesagt, man hätte die Büchse der Pandora geöffnet oder gefunden! In diesem Moment glaubte ich, ich stünde direkt davor!

 

Mi amor, sei vorsichtig. Ich hörte meine eigene Stimme vor Angst zittern.
Edward meldete sich zu Wort und kam grübelnd näher darauf zu.
Du hast sie nicht wirklich damals an dich genommen, oder? Hörte ich da etwa einen Vorwurf aus seiner Stimme?
Ich musste sicherstellen, dass sich niemand daran wagt! Was hätte ich sonst tun sollen? Das Artefakt in einem Regal ausstellen? Thatch war sichtlich ungehalten ob der Worte meines Schwiegervaters.
Natürlich nicht! Diese … Behältnisse der Maya sind aber gefährlich, wie du sicherlich noch weißt! Rief Edward ihm erinnernd ins Gedächtnis.
Ach was! Alles Hirngespinste. Mir ist nichts passiert, als ich alles dort verstaut habe.
Plötzlich jedoch sah Blackbeard aus, als wäre ihm ein Licht aufgegangen! Sie wollten mich glauben lassen, dass alles in Ordnung sei! Ich erinnere mich! Die Schlösser schnappten zu und … dann weiß ich noch, wie ich wieder oben an Deck stand!
Wir müssen einige Männer hierher bringen, damit sie uns helfen diese Kiste nach oben zu bringen auf die Jackdaw. Hier unten werden wir nichts ausrichten können.
Mein Templer war schon im Begriff wieder zu mir zu schwimmen, als ich ihn aufhielt.
Warte, ich werde Bescheid geben.
Aber das brauchte ich gar nicht, weil Edward Junior bereits Mr Hargreaves über unser Vorhaben informiert hatte.

 

Mama, die Männer machen sich schon bereit. Warte einfach in der Taucherglocke auf sie und gib ihnen dann Anweisungen. Dieser Stolz in der Stimme meines Sohnes war kaum zu überhören. Er liebte es, wenn er seinen Beitrag leisten konnte.
Danke, min lille skat! Sprach ich, während ich mich wieder auf Haytham konzentrierte. Fühlst du etwas in ihrer Nähe? Ein Kribbeln oder so? Hakte ich nach.
Nein, sie ist aber genau wie die Wände in der Höhle seltsam warm. Hörte ich ihn nachdenklich.

 

Es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, bis sich 5 Herren hier bei mir einfanden. Erstaunt sah ich sie an, weil sie kaum außer Atem waren.
„Mistress Kenway, wir sind ein paar wenige die geübt in solchen Tauchgängen sind. Macht euch keine Sorgen, so schnell geht uns nicht die Luft aus!“ Da konnte man neidisch werden.
Sie alle holten einige Male tief Luft und hangelten sich dann entlang des Luftschlauches zu meinem Mann hinunter. Ich begann die Sekunden zu zählen und hielt selber dabei den Atem an. Es dauerte nicht lange, da musste ich hektisch nach Luft schnappen. Nein, das war nichts für mich. Apnoe-Taucher waren schon sehr faszinierend, zu ihnen würde ich jedoch nie zählen!

 

Als ich wieder in dem Kopf meines Gatten war, weilte er in der unmittelbaren Nähe dieser leuchtenden Truhe. Sie war eigentlich nicht wirklich groß. Ungefähr so groß wie eine übliche Reisekiste. Wie schwer sie war, vermochte man aber nicht zu sagen.
Hoffentlich haben alle Sachen darin die Jahre gut überstanden. Andächtig sah Blackbeard auf sein Eigentum.
Das hoffen wir auch. Mein Pirat seufzte dabei tief. Uns ging es vermutlich allen so.
Wisst ihr noch, was alles darin sein sollte? Hakte ich nach, weil mir nämlich in den Sinn kam, dass hier eventuell schon einmal jemand etwas gesucht haben könnte. Ich wollte eigentlich auch nur sichergehen, dass wir ALLES mit an die Oberfläche bringen und nicht noch zig mal hinunter tauchen mussten.
In diesen grauen von einigen Falten umgebenen Augen sah ich ein überhebliches Leuchten aufflackern.
Ganz so senil bin ich noch nicht, Miss Frederickson! Doch schon als er es ausgesprochen hatte, wurde ihm bewusst, dass sein Gedächtnis ihn immer mehr im Stich ließ. Entschuldigt…
Sei es drum, da sind ja die Helfer!
Rief mein Schwiegervater und mein Mann winkte sie zu sich.
Für diese Herren war ja nur Haytham hier, also hielt ich mich jetzt etwas zurück, so auch die beiden Piraten.

 

Mit Handzeichen signalisierten sich die Männer nur, was sie machen wollten.
​​​​​​Zuerst musste dieses Gebilde aus dem sandigen Boden und stellenweise löchrigem Boden des Schiffes gehievt werden.
Aber als sie die Oberfläche der Kiste berührten sah es aus, als würde das Wasser beginnen zu kochen! Es blubberte regelrecht an den entsprechenden Stellen.
Nehmt den Stoff eurer Hemden! Deutete Haytham den Herren und zupfte an seinem eigenen herum. Nickend schoben sich die Helfer ihre Ärmel über die Hände und begannen erneut einen Versuch.
Dieses Mal blieb alles ruhig bis sie sie ganz hochheben und mit Seilen sichern wollten!
Kaum vom Boden angehoben gab dieser nach und eine heftige Vibration ging durch das gesamte Wrack! Wie sollte es auch anders ein? Natürlich gab es, so vermutete ich, Sicherheitsmaßnahmen, damit sich niemand diese Artefakte unrechtmäßig aneignen konnte.

In ihrer Panik ließen sie alle los und die Truhe krachte durch die Bohlen nach unten und versank in der Dunkelheit darunter!

 

Kapitel 48

~~~ Artefakt auf Abwegen und nächtlicher Beschuss ~~~

 

Mir entwich ein lautes „Scheiße!“ in diesem Moment!
Wer weiß wie tief es ab hier noch hinunterging?
Aber eines nach dem anderen. Die Taucher machten sich auf um in den Luftfässern ringsum zu Atem zu kommen. Danach sollten wir weiter schauen. Ich gab unserem Sohn die Anweisung, Mr Hargreaves zu sagen, dass die Fässer umgehend erneuert werden sollten.
Mein Mann schwamm jetzt fürs erste auch zurück um sich ein wenig zu erholen, soweit es denn ging.
Vielleicht sollten wir eine Pause einlegen und ganz auftauchen? Schlug ich vor, weil mir mittlerweile ein wenig kalt geworden war
Eine gute Idee, das Artefakt wird ja nicht in den Schlund eines Monsters gefallen sein. Haytham wollte sarkastisch klingen. Leider vernahm ich deutlichen Frust in seinen Worten.

 

Eine halbe Stunde später waren unsere Helfer und wir selber an Deck der Jackdaw
In der Messe wärmten wir uns alle auf, trockneten die Sachen und berieten das weitere Vorgehen
„Es ist wichtig, dass wir jetzt zügig arbeiten. Hier an der Reling werden die Seile mit Winden befestigt. Sie müssen vor allem genügend Spielraum haben um im Wrack nirgends hängen zu bleiben!“ erklärte mein Templer den Männern. „Den Weg in das unterste Deck werden wir mit Leichtigkeit wiederfinden, darüber mache ich mir keine Sorgen. Was aber ab da schwierig wird, ist dieses Gebilde heile ohne weitere Zwischenfälle hier herauf zu bekommen.“ sein Blick ging von einem zum anderen, als er auch schon fortfuhr.
„Solltet ihr ein Kribbeln spüren oder etwas merkwürdiges wahrnehmen, lasst euch nicht irritieren. In den Tiefen des Meeres gibt es oft seltsam anmutende Tiere oder Pflanzen.“ Seine Augen waren auf mich gerichtet.
„Das heißt, es umgibt sie ein Leuchten oder ihr fühlt ein vibrieren.“ klärte ich sie ebenso auf.

 

„Davon habe ich auch schon gehört.“ flüsterte einer der Herren ehrfürchtig. Natürlich hatte man hier noch keine großen Kenntnisse von den Bewohnern des Meeres, außer den üblichen die man alltäglich sah. Oder eben den sagenumwobenen Meeresungeheuern. Wer weiß, was wir noch zu sehen bekamen dort unten.
Kurz darauf begaben wir uns alle wieder zum Wrack hinunter, mit einer Ausnahme. Ein zweiter Helm war für mich fertiggestellt worden, damit ich ebenso helfen konnte.
Ich prägte mir die vereinbarten Handzeichen ein und hoffte, sie nicht zu verwechseln oder in der Hektik eventuell zu vergessen.

 

Je tiefer wir uns hinabließen um so unwohler fühlte ich mich. Nicht weil es so dunkel wurde oder kalt war, nein, es war das Gefühl von eingesperrt sein in diesem alten Schiff. Die Angst davor, dass es komplett einstürzt und wir nicht hinauskämen stieg in mir empor.
Nein, uns würde nichts geschehen. Wir gehen mit Bedacht vor! Mahnte ich mich immer wieder selber und langsam beruhigte ich mich tatsächlich.
Mi sol, wir schaffen das schon. Versicherte mir auch noch einmal Haytham und legte behutsam seine Hand auf meinen Arm damit ich ihn ansah.
Lächelnd nickte ich ihm zu um ihn zu beruhigen und tauchte dann den Helfer weiter hinterher.

 

In der untersten Sektion, wo die Truhe in die gefühlte Unendlichkeit gefallen war, angekommen, besah ich mir das Ausmaß der Verwüstung.
Meine Finger brauchten nur über eine Planke streichen und sie zerbröselte augenblicklich. Das hieß im Umkehrschluss, dass wir nach Möglichkeit nichts anfassen sollten und uns möglichst fern von allem Interieur, den Wänden, dem Boden und allem fernhalten sollten. Ein etwas schwieriges Unterfangen, aber wir sollten uns nicht so schnell ins Bockshorn jagen lassen.
An der Einbruchstelle angekommen ließ ich meinen Blick hindurch in die Dunkelheit wandern. Ich nahm ein schwaches goldenes Leuchten wahr, welches sich verstärkte, als Haytham mich berührte.
Die Truhe hatte sich im Gebälk dort verkantet zu unserem Glück. So war es nicht allzu tief. Vielleicht einen höchstens eineinhalb Meter.
Wir richteten die Seile aus und zwei Taucher so wie mein Templer tauchten durch das Loch.
Neben mir warteten die anderen drei Herren auf ihr Zeichen um langsam zu ziehen. Schon einige Sekunden später war wieder diese Vibration zu spüren und ein greller Lichtschein drang zu uns hinauf.
Erschrocken wichen die Helfer zurück. Ich aber winkte ab und signalisierte, sie sollten keine Angst haben. Alles wäre in Ordnung.
Trotzdem starrten sie skeptisch hinab.

 

Als alle wieder hier im Zwischendeck waren, wurde das Signal nach oben gegeben damit man beginnt die Winden zu betätigen.
Langsam begannen sich die Taue zu spannen genau wie meine Nerven!
Die Lichtquelle wurde förmlich aus einem Grab geholt bis wir in diesem warmen Leuchten schwammen.
Unsere Helfer hatten sich dieses mal Handschuhe übergezogen, damit sie kein Risiko beim Berühren des Metalls eingingen. Mit vereinten Kräften begannen sie alle damit, das Gebilde ohne es anecken zu lassen hier heraus zu befördern.
Doch je weiter man an die Oberfläche kam, desto mehr barst das morsche Holz um uns herum und die Seile begannen sich aufzulösen.
Entsetzt sah ich diesem Verfall zu, bis ich begriff, dass wir so nicht weiterkamen. Es war zu spät um noch zu reagieren, als unser Fund erneut in die Tiefe krachte und fast einen unserer Männer mit hinabzog.
Er krallte sich an meinem Hosenbein fest und sah mich mit weit aufgerissenen Augen flehend an, während ich versuchte mich selber irgendwo zu halten. Der Schlauch an meinem Helm war mittlerweile stark gespannt! Anscheinend hatte er sich irgendwo verhakt! Verdammt!

 

Egal wo ich Halt suchte, alles brach weg. Die anderen Herren halfen wo sie konnten, doch auch sie fanden keine Möglichkeit mich zu halten.
Mittlerweile konnten man schon fast die Hand nicht mehr vor Augen sehen, so dreckig war das Wasser um uns herum geworden!
Alex, versuch dich an den Resten der Seile fest zuhalten! Rief mir mein Mann im Geiste zu und griff nach dem Taucher an meinem Bein.
Wo sollten diese denn jetzt bitte sein? Ich sah nichts mehr! In meiner Panik griff ich willkürlich um mich und bekam etwas zu packen und zerrte daran. Plötzlich verstärkte sich die Spannung und ich wurde in die Höhe gehievt.
Dabei spürte ich, wie das Gewicht an mir verschwunden war. Es mag sich grausam anhören, aber erleichtert atmete ich auf, nur um kurz darauf festzustellen, dass sich mein Luftschlauch gelöst hatte. Wasser drang stetig, wenn auch langsam, in meinen Helm.
Wieder stieg Panik in mir auf und ich versuchte das Leck mit einer Hand abzudichten und mit der anderen hielt ich weiter am Seil fest. Doch ich spürte schnell wie mir die Luft ausging.
Beruhige dich und denk nach! Denk nach! Mahnte ich mich selber. Da ich nichts sehen konnte, musste ich mich auf meinen Tastsinn verlassen. Mein Adlerblick war einfach nicht so gut ausgebildet wie bei meinem Mann, vermutlich würde er hier ohne weiteres wieder herausfinden, ging es mir frustriert durch den Kopf.

 

Auch ich muss mich auf andere Sinne verlassen, Alex. Und jetzt schwimm weiter! Meckerte er mich in meinem Kopf hat.
Ist ja schon gut! Ich mach ja schon!
Um mich herum spürte ich Bretter die herabfielen und den dadurch entstehenden leichten Sog im Wasser. Die Queen Anne´s Revenge war im Begriff in sich zusammen zufallen! Warum ich plötzlich diese Trauer in mir spürte vermochte ich nicht zu sagen, aber sie war da und ließ mich schneller nach oben schwimmen. Mittlerweile blockierte mich nichts mehr und ich sah das Glitzern der Meeresoberfläche bereits über mir.
Erleichtert tauchte ich vollends auf und sah hinauf zur Jackdaw. An der Reling standen sie alle mit starren erwartungsvollen Blicken auf das Wasser.
Zusammen mit zwei anderen Tauchern wurde ich hinaufgezogen, danach folgten Haytham und die drei anderen Herren.
Erleichtert und erschöpft ließ ich mich aufs Deck nieder, löste den Helm von meinem Kopf und atmete die frische Luft ein.

 

Als wir alle etwas zu Atem gekommen waren, hörten wir blubbernde Geräusche auf dem Meer und drehten uns in die Richtung.
Vor uns tat sich ein kleiner Strudel auf, der signalisierte dass die Galeone weiter gesunken und damit auch vollends zerstört war.
Mein Schiff! Hörte ich Thatch plötzlich in meinem Kopf. Sie hat sich sprichwörtlich vor meinen Augen in Luft aufgelöst. Dieses Entsetzen in der Stimme konnte ich nur zu gut nachempfinden.
Sie hat euch gute Dienste geleistet. Vergesst das nicht. Aber wir sollten jetzt zusehen, dass wir die Truhe bergen. Wir wissen immer noch nicht, wie tief sie herabgerutscht ist oder ob hier noch ein weiterer Abgrund auf uns wartet. Meine Ungeduld nahm überhand und ließ mich meine Manieren ein wenig vergessen. Doch ich ging davon aus, dass ich dem alten Piraten wohl kaum eine Trauerrede für seine Galeone schreiben musste.
Unsere Sachen wurden noch einmal in der Messe an den beiden Öfen und dem Herd des Smutjes getrocknet, der Schlauch wurde wieder am Helm befestigt und einige neue Luftfässer wurde bereits zu Wasser gelassen.

 

Es war Mr Hargreaves, der sich an uns wandte.
„Heute solltet ihr besser nicht mehr hinab tauchen. Es ist bereits zu dunkel.“ Er hatte Recht, die Dämmerung war bereits eingebrochen und wir sollten besser abwarten.
„Also gut, dann werde ich mich mal frisch machen und mich den Kindern widmen.“ seufzte ich leicht frustriert. Vermutlich würde ich die Nacht kein Auge zumachen vor Ungeduld!
„Mama, deine Haare sehen ja lustig aus.“ kicherte Florence, als ich versuchte sie zu bändigen. Das Salzwasser war nicht gerade Gnädig mit ihnen umgegangen. Magda hatte mir für Notfälle ein Öl eingepackt, welches meine wirren Strähnen umgehend zu bändigen wusste und ich sah im Handumdrehen wieder ordentlich aus.
An Deck stand ich eine Weile an der Reling und sah dem dunkler werdendem Wasser zu. Von oben wurden wir von einem Halbmond beleuchtet der alles in ein unwirkliches Licht tauchte. Das Meer war ruhig an diesem Abend.

 

„Schiff in SICHT!“ brüllte einer der Matrosen im Ausguck. „Sie näherte sich von Osten her!“
Der erste Maat eilte hektisch an meine Seite mit seinem Fernrohr und ließ es über den Horizont gleiten. Es dauerte nicht lange, da hielt er inne. Ich blickte in die Richtung und tatsächlich konnte ich Segel ausmachen, alle gehisst und dieses Schiff näherte sich schnell.
„Ich kann nicht sagen, welches es ist, ich kann keinen Namen ausmachen!“ fluchte Mr Hargreaves laut.
Jetzt standen auch einige der Männer hier und mein Mann ebenso. Es war unser Sohn welcher sich freudig zu Wort meldete.
„Ich… sie heißt „Ocean Princess“. Wem sie wohl gehört?“ grübelte er laut vor sich hin.
Mir sagte der Name nichts, ebenso wie Haytham oder Edward Senior nichts damit anfangen konnte.
„Mir kommt sie auch nicht bekannt vor.“ Mr Hargreaves schüttelte bedauernd den Kopf.
„Aber warum hat sie es so eilig hierher zu kommen? Sieht so aus, als steuere sie direkt auf uns zu.“ Das war einer meiner Gedanken.
„Und sie … macht sich Schussbereit! Männer in Gefechtsstellung! Besetzt die Kanonen und die Scharfschützen sollen sich bereit halten! Los jetzt!“ rief mein erster Maat und begann sich ebenfalls zu wappnen.

 

„Edward, Florence! Ihr geht mit Sophia und Sybill in die Messe!“ befahl Haytham in einem Ton der keinerlei Widerworte duldete. Die Kinder verschwanden schmollend mit den Kindermädchen nach unten.
„Da könnte ich endlich etwas lernen und dann muss ich wie ein Baby in Sicherheit gebracht werden!“ Edward Junior maulte lautstark vor sich hin, was meinem Templer nicht entging, er aber nichts erwiderte.
Und dann platschen die ersten Kugeln dicht an der Bordwand ins Wasser. Noch waren es wohl Warnschüsse und auch wir schossen zurück. Ebenso nur als Warnung!
Wir hatten auch kaum Zeit den Anker zu lichten oder die Fässer aus dem Wasser zu holen. Die Jackdaw lag auf einem Präsentierteller und war bewegungsunfähig! So ein Mist. Also musste ich mir eine Taktik einfallen lassen!
„Das untere Kanonendeck soll die Spitzgeschosse bereit halten und die darüber liegenden Bereiche die Splittergeschosse. Die anderen werden die herkömmlichen Kugeln nutzen. Wir müssen die Bordwand der Ocean Princess aufsprengen und sie so zum kippen bringen. Danach mit den Splittergeschossen das Deck beschießen um möglichst viele Besatzungsmitglieder außer Gefecht zu setzen!“ befahl ich lautstark über den Lärm der donnernden Kanonen.

 

Mir war immer noch nicht ganz klar, mit wem wir es zu tun hatten, weil auch noch nie der Name des Schiffes in den Listen aufgetaucht war.
Darüber grübeln konnte ich aber später, jetzt hieß es das Schiff und das Leben unserer Besatzung zu schützen.
Unsere Verteidigung klappte recht gut und die Einschläge der Geschosse, wie ich sie gewünscht hatte, waren ein Wohlklang in meinen Ohren. Leider war meine Brig aber nicht aus unverwüstbarem Titan. Auch wir mussten böse Treffer hinnehmen und mittlerweile war die Fregatte gefährlich nahe für einen direkten Angriff Mann gegen Mann.
Die Scharfschützen der beiden Fraktionen mähten sich durch die Matrosen und ich sah mit Entsetzen, dass wir einige Verluste zu beklagen hätten am Ende der Nacht, genau wie der Kapitän des feindliches Schiffes.

Kapitel 49

~~~ Expedition in Gefahr? ~~~

 

„Eine gute Taktik, Alex! Hut ab! Du hast schnell gelernt!“ dieses Lob meines Schwiegervaters, welcher sich jetzt in diesem Getümmel manifestiert hatte, ging runter wie Öl.
Das feindliche Schiff, eine Fregatte wie ich jetzt endlich sah, begann ihrerseits sich zu verteidigen und ihre eigenen Scharfschützen brachten sich in Position. Sie hatten genau wie wir einige Puckelgewehre an der Reling mit Geschossen, die uns jetzt um die Ohren flogen und das Holz splittern ließen! Doch nicht nur das passierte, einige von ihnen explodierten über uns.

 

Beißender roter Nebel welcher sich über uns senkte und alles wie in ein rotes Tuch hüllte. So fühlten sich auch die Lungen aller an, wenn man nach dem Keuchen und Husten der Männer um uns ging.
Mir blieb ebenfalls die Luft weg, aber es half ja nichts. Wir mussten uns verteidigen. Schnell! Odin sei Dank hatten die Kanoniere bereits unter Deck ihre Positionen eingenommen und schossen, wie befohlen, die entsprechenden Sektionen ab. Dieses Geräusch des Kanonendonners war ein Wohlklang für meine Ohren!
Aber nicht nur das tat gut, nein auch der Einschlag beim feindlichen Schiff befriedigte mich auf eine absonderliche Art!

 

Als sich die rote Wand lichtete, meine Atemwege wieder freier wurden, sah ich mir die Fregatte näher an. Sie hatte einige unschöne Löcher einstecken müssen und an Deck herrschte hektisches Treiben.
Das war das Signal für unsere Scharfschützen, welche sich bereit machten in den Wanten und im Krähennest.
Die Besatzung der Ocean Princess war ebenso gut eingespielt und bemerkte schnell, was wir vorhatten und taten es uns gleich.
Für einen Moment hatte ich die Befürchtung, dass wieder dieser Dunst auf uns niederregnen würde. Er blieb aus.

 

Haytham schloss sich den Fernkämpfern an. Sein Adlerblick half ihm dabei den Fokus zu behalten.
Hatte ich gehofft, dass ich mich kurz nach unseren Kindern erkundigen konnte, so musste ich mit Entsetzen feststellen, dass hier an Bord etwas nicht stimmte. Ich fühlte plötzlich fremde Personen unter uns. Nein, Hrymr war es definitiv nicht auch keine seiner Anhänger. Es waren … einfache Assassinen des feindlichen Schiffes!
Ich machte ihre roten Auren zwischen meinen Männern aus. Sie hatten sich perfekt integriert wie es aussah.
Natürlich! Der Rote Nebel war nur eine Ablenkung! Verdammt, meine eigene Ausbildung zur Meuchelmörderin hatte ich mittlerweile wohl völlig vergessen! Mist!
Jetzt hieß es sich einer Person nach der anderen zu entledigen ehe noch mehr hier auf meine Jackdaw kamen. Doch ich war nicht die einzige, die sich dieser anderen Menschen bewusst wurde. Unsere Besatzung kannte sich recht gut und das war unser Vorteil jetzt. Also gab ich nach und nach einigen von ihnen den Befehl sich dieser Assassinen anzunehmen.
Aber schon bald gab es großes Durcheinander hier an Deck und es war schwer den Überblick zu behalten. Es half nichts, ich setzte meinen Blick ein um mich zu den roten Auren durch zuarbeiten und sie so zu töten. Sie durften nicht die Oberhand gewinnen. Nebenbei warf ich immer wieder einen Blick auf meine Kajüte und das Unterdeck mit der Messe. Dort waren sie – noch – nicht eingedrungen.

 

Es lag auf der Hand wonach man hier suchen wollte. Die Bruderschaft hatte Wind von unserer Suche bekommen! Und wer wären sie, wenn sie nicht dieses Artefakt ebenfalls in ihrem Besitz haben wollten?
Wer aber war der Spitzel in unseren Reihen? Es konnte unmöglich William, Annes Sohn, sein, ging es mir durch den Kopf.
Jemand hier an Bord musste die Infos weiter gegeben haben. Leider blieb mir jetzt gerade keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Ich musste auf die Fregatte um dort die Antwort zu finden.
Ohne darüber nachzudenken schwang ich mich hinüber und landete etwas unsanft auf den Bohlen der Ocean Princess.
„Das sollten wir noch einmal üben, oder nicht?“ lachte man mich aus, als ich mich wieder aufrappelte.
„Wie ihr seht bin ich schon dabei!“ rief ich den Männern um mich zu.
„Bei einer Templerin hätten wir mehr Eleganz erwartet, oder auch nicht. Ihr seid einfach grobschlächtig.“ hörte ich eine Stimme hinter mir.

 

Langsam drehte ich mich um.
Ein Mann Mitte 20, schätzte ich, mit einem roten Dreispitz und schwarzer Garderobe grinste mich breit an. An seinem Gürtel prangte das Symbol der Assassinen. Schlicht und nicht verschnörkelt, so konnte ich leider keine spezifische Bruderschaft ausmachen, ebenso war sein Akzent einfach englisch.
Was aber seltsam war, dass hier mein Ruf anscheinend noch nicht ganz vorgedrungen war. Normalerweise wurde ich als Templerschlampe oder ähnliches wie Verräterin betitelt. Also spielte ich mit.
„Wir müssen uns ja auch mit tiefgründigerem und schwereren Gegner als kleinen Assassinen herumschlagen. Ihr seid lediglich Kanonenfutter, da reichen meine bescheidenen Tötungstechniken sicher aus.“ meine Hand griff blitzschnell zu meinem Schwert und ich ließ meine versteckte Klinge vorschnellen.
„Templerin und Diebin! Was für eine interessante Kombination! Dann lasst mal sehen wie ihr mit eurer gestohlenen Waffe umgehen könnt.“ rief er in die Runde und man hörte laute Zustimmung der Mannschaft. Erst jetzt bemerkte ich, dass der eigentliche Schiffskampf abflaute. Gut für mich, so konnte ich mich hierauf voll und ganz konzentrieren.

 

Seine Unkenntnis über mich gereichte mir zu einigen guten Treffern, sodass ich auch nicht meine Vorfahrin ausgraben musste. Im wahrsten Sinne des Wortes!
Wir waren im Grunde beide gleich geschult, nur dass dieser Herr vor mir nicht so schnell in den Kampf fand wie ich.
Seine Taktiken konnte ich recht schnell ausmachen, wohingegen er immer noch versuchte sich zu verteidigen und nicht so recht schlau aus meinem Tempo wurde. Mein Kampfrhythmus war oft mit Liedern in meinem Kopf verbunden, die den Menschen hier in diesem Jahrhundert fremd waren. Doch das half mir im Takt zu bleiben und das meine ich sprichwörtlich so. Außerdem konnte ich mich so immer wieder konzentrieren.
Oder aber ich sah meine eigenen Trainingskämpfe mit William vor mir oder auch mit Odin oder Tyr.

 

 

Dann änderte sich mit einem Male etwas an diesem Mann und er begann mich unvermittelt anzugreifen! Und das mit einer Wucht, die ich ihm gar nicht zugetraut hätte! Er hatte nur auf einen Moment gewartet in dem ich mich sicher gefühlt hatte! Oh verdammt noch eins!
Leider half ihm das nur für einen kurzen Moment, weil ich mich zügig wieder auf ihn einstellen konnte. Noch war ich im Kampfmodus! Abgeschaltet hatte ich noch lange nicht!
Seine Verletzungen schwächten ihn zunehmend, aber auch ich musste schon einiges einstecken. Meiner Eingebung dankend, mir meine Montur doch noch überzuziehen, ging ich weiter in die Offensive um diesem hartnäckigen Herren vor mir eine Lektion zu erteilen. Wo wir davon sprechen …

 

Aus den Augenwinkeln sah ich meinen Schwiegervater gemeinsam mit uns kämpfen, was mir unweigerlich ein Lächeln auf die Lippen brachte. Ich hatte ihn selten so erlebt und es schien, dass er seine helle Freude gerade hatte.
Mein Templer selber war ebenso in seinem Element und kämpfte sich gekonnt von einem zu anderen.
Und dann sah ich ihn! Unser Sohn stand auf einer Kiste mit seinem Kurzschwert und verteidigt sich gegen einen Assassinen, der es amüsant fand gegen ein Kind zu kämpfen! In mir kroch die Löwin hoch! Nicht mit meinem KIND!
Doch mich hielt die Stimme von Haytham auf.
Lass ihn, Alex. Schau dir an wie gut er sich macht! Er klang begeistert und stolz gleichermaßen über diesen Fortschritt unseres Sohnes.
Bist du noch bei Trost, Haytham? Er ist doch erst … in diesem Moment wurde mir klar, dass er in diesem Jahrhundert ein Alter hatte, wo man erwartete, dass er sich entsprechend verteidigen konnte. Doch jetzt schon? Hier und heute? ER war vielleicht bereit, aber ich noch nicht.
Du hast es erkannt und sieh genau hin, er ist nicht alleine. Erst jetzt sah ich dieses leichte Leuchten um ihn herum. Edward Junior war eins mit seinem Paten und dieser schulte ihn so weiter. Wie würde man sagen? Learning by doing!
Aber die Angst einer Mutter blieb in mir und ich betete erneut zu Odin, er möge auch seine Hände schützend über unseren Sohn halten. Eine Antwort erhielt ich jedoch nicht.

 

Nein, ich bekam stattdessen einen Tritt in den Rücken von meinem Gegner, der mich vornüber kippen ließ. Gerade rechtzeitig konnte ich mein Gesicht zur Seite drehen, ehe ich mir die Nase brach. Wütend rappelte ich mich auf und kassierte einen weiteren Kick in die Magengrube!
Irgendwann würde meine Unachtsamkeit mein Todesurteil bedeuten, ging mir dieser panische Gedanke durch den Kopf.
Was für ein Arschloch! Doch das ließ meinen Kampfgeist weiter wachsen und ich zeigte ihm, was ich in diesen Jahren alles gelernt hatte.
Ich war klein, gemein und flink, wie der Herr vor mir jetzt wütend feststellen musste!
Mein Schwert stieß nach vorne, er wich aus und so konnte ich mit einem kleinen Roundkick seine Seite treffen so dass er etwas taumelte. Das nutzte ich um mich mit einem Rutsch an ihm vorbei in seinen Rücken bringen konnte. Ich ließ mich auf die Knie fallen und durchschnitt die Sehnen in seinen Kniekehlen.
Somit sackte er in sich zusammen und schrie auf. Aber auch er wollte nicht so schnell aufgeben und versuchte es jetzt aus dieser knienden Position aus mit der Verteidigung. Das Glück war mir aber beschieden, als ich seinem Schwert auswich und mehr oder weniger aus Versehen mich an seiner Schulter festhielt. Somit schnitt meine versteckte Klinge eine unschöne Wunde oberhalb des Schulterknochens in die Haut und traf die Schlagader. Sekunden später war der Mann tot.

 

Ich widmete mich noch weiteren Angreifern, welche ich nicht unbedingt ihrem Schöpfern übergab. Vielmehr verwundete ich sie nur stark genug, dass sie mir nicht mehr zu nahe kommen konnte.
Der Kapitän? Wir mussten ihn ausfindig machen! Aber ich sah niemanden, der diesen Rang hier inne hätte. Für einen Feigling der sich versteckte hielt ich ihn, oder war es eine sie, nicht!
Da ich auf der Jackdaw nicht fündig wurde, schwang ich mich wieder hinüber zur Fregatte und der Weg zur Kapitänskajüte war frei. Das war zu einfach, wie immer!
Als ich mich der Tür näherte, hörte ich bereits Kampflärm, Metall schlug auf Metall! War Haytham mir zuvorgekommen?
Ich brauchte nicht einmal eintreten, weil plötzlich zwei Herren in einem Knäuel aus der Kajüte fielen! Es war mein Schwiegervater, der sich mit diesem Mann auf den Bohlen prügelte!
Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich fasziniert dabei zu, ehe ich eingriff.
„Nein, überlass diesen Großkotz mir! Er war schon immer ein Großmaul, genau wie sein Vater!“ hörte ich Edward keuchend rufen.
„Großkotz! Das sagt der richtige! Mein Vater hat mir dasselbe von dir erzählt und jetzt halt die Fresse und ergib dich!“ dieser Akzent war mir vertraut. Holländer klangen so wenn ich mich nicht täuschte.

 

Ich sah zurück zur Jackdaw. Der Kampf dort war fast vorüber und es wurde leiser. Auf seiner Kiste stehend, schwenkte mein Sohn triumphierend sein Schwert in meine Richtung!
„Mama, ich habe nur ein paar Kratzer!“ hörte ich seine Stimme herüberwehen. Die Erleichterung in mir kann man sich sicher vorstellen.
„Das hast du großartig gemacht, Edward! Ich bin stolz auf dich!“ rief ich winkend zurück.

 

Doch weiter im Geschehen an Bord der Ocean Princess!
Der einzige Holländer, welcher mit auf der Jackdaw unter Edward Seniors Kommando segelte, war der Tischler! War er doch nicht so begeistert von seinem Kapitän? Damals klang das noch anders, aber ich hatte jetzt auch keine tiefgründigen Gespräche mit ihm geführt, wenn ich darüber nachdachte. Welcher Holländer könnte also sonst noch schlecht auf meinen Schwiegervater zu sprechen sein? Ich musste davon ausgehen, dass es nach meiner Zeit war.
Mein Schwiegervater erlangte die Überhand und hielt den Kapitän unter sich fest.
„Sprich jetzt, Kieboom! Woher wusstest du von dieser Expedition hier?“
„Unsere Informanten sind überall, Kenway!“ lachte der Mann unter ihm.
„Das ist nichts neues, aber WER gab euch den Auftrag uns aufzusuchen?“ fragte ich neutral wie möglich nach.
„Niemand, Weib! Dir werde ich sicherlich …“ die Faust Edwards landete ins einem Gesicht.
„Sprich und antworte meiner Schwiegertochter!“ wieder hatte der Kapitän einen Schlag ins Gesicht bekommen.
Kieboom musste sich allmählich eingestehen, dass es klüger war zu antworten.

 

„Gut, alles klar… lasst mich los und ich sage es euch.“ maulte er frustriert.
Mein Schwiegervater zog ihn hoch, drehte ihm aber sofort den Arm schmerzhaft auf den Rücken und verfrachtete ihn zurück in seine Kajüte.

Kapitel 50

~~~ Die Geister die ich rief ~~~

 

Mittlerweile war auch Haytham hier auf der Fregatte und berichtete mir kurz, wie es drüben auf der Jackdaw aussah. Es gab einige Schwerverletzte und 6 Tote unserer Besatzung. Der Rest war ausschließlich von der Ocean Princess. Sie alle trugen das Zeichen der Bruderschaft an ihrer Kleidung und auch mein Mann hatte festgestellt, dass es ein holländisches oder besser niederländisches Schiff war.
„Wir sollten zeitnah einen Brief an die de Gooijers schicken, vielleicht können sie etwas über die Familie aufdecken? Hast du schon einen Namen?“
Leider konnte ich ihm noch nicht viel berichten.
„Dein Vater unterhält sich gerade mit dem Kapitän, komm lass uns nachsehen!“ damit zog ich ihn hinter mir her.

 

Vor uns bot sich das übliche Bild eines Verhörs. Der Befragte war auf einem Stuhl gefesselt, vor ihm baute sich sein Widersacher auf. Mit gezückter versteckter Klinge und wütendem Blick.
„Arwin van den Kieboom… so so! Und womit habe ich den Zorn deines Vaters verdient, Gerrie? Du warst noch gar nicht auf der Welt, wenn ich mich recht erinnere. Du warst noch nicht einmal das Gedankengut deines Vaters!“
Doch Gerrie ließ sich nicht so schnell einschüchtern und antwortete, wenn auch mit leicht zitternder Stimme.
„Du hast ihm Versprechen gemacht, dass er in Reichtum schwimmen würde, wenn er sich nur deiner Crew anschließen würde. Doch was bekam er tatsächlich? Einen irren Piraten, welcher sich nicht unter Kontrolle hatte und irgendwann mit Wahnvorstellungen besoffen an einem Strand angespült wurde!“
Ich versuchte eins und eins zusammenzuzählen. Er sprach von Edwards mentalem Breakdown, als er sich kurz darauf tatsächlich entschloss, der Bruderschaft beizutreten. Im Umkehrschluss hieß das aber, dass Arwin das nicht mehr erfahren hatte, weil er sich bereits von ihm abgewandt hatte.

 

Gerries Vater hatte sich in einer Nacht und Nebel Aktion auf und davon gemacht, zurück in seine Heimat. Dort hatte er sich den Assassinen angeschlossen, weil diese auf ihn aufmerksam geworden waren, als er einige gekonnte Diebstähle vollzogen hatte, ohne aufzufliegen.
Er heiratete Marisje Beentje und sie lebten eine Zeitlang unbehelligt in den Niederlanden. Kleinere Attentate oder Raube waren an der Tagesordnung, bis eines Tages die Nachricht zu ihm drang, dass man Edward ermordet hatte, wegen eines unbezahlbaren Reliktes.
„Du hattest ihm alles vorenthalten, also war es nur rechtens dass …“ plötzlich starrte er meinen Schwiegervater ungläubig an. „Du bist tot! Was machst du hier?“ Diese Frage war so seltsam, dass ich lachen musste.
„Ach, das fällt dir jetzt auch schon auf?“ brachte ich japsend hervor.
Sein Blick ging ängstlich in meine Richtung und erst jetzt sah ich, dass er kreidebleich war.
„Das ist unmöglich!“ nach Luft schnappend wich er mit dem Kopf zurück, als Edward immer näher kam mit einem diabolischem Grinsen im Gesicht.
„Na, hast du dir schon in die Hosen geschissen, Jungchen? Du siehst hier vor dir den Mann, der deinen Vater sicher nicht belogen hat.“ mit einer zackigen Bewegung war er hinter dem Mann und schnitt die Fesseln durch.

 

Seine Handgelenke reibend beugte er sich etwas vornüber und atmete tief durch.
Er flüsterte ein paar beruhigende Worte auf niederländisch in seinen nicht vorhandenen Bart, welche ich aber leider nicht verstand. Mir ging die Frage unvermittelt durch den Kopf, ob sich Sprachen in den Jahrhunderten wirklich so stark verändert haben konnten, dass sie mir jetzt noch fremd waren? Dazu vielleicht später noch mehr.
„Ihr seid ein Geist und sollt mich heimsuchen, richtig? Ich soll meinen Verstand verlieren, damit eure Leute sich an uns bereichern können. Ich habe davon gehört. Meine Großmutter hat mich immer vor solchen Geistern gewarnt!“ Arwins Stimme klang ehrfürchtig aber zugleich auch ängstlich. Er glaubte an diese Ammenmärchen.
„Nichts dergleichen haben wir vor, Master van den Kieboom. Wir wollen lediglich wissen WER euch hier auf diese Spur angesetzt hat. Danach könnt ihr wieder eurer Wege ziehen. Vergesst nicht, IHR habt uns zuerst angegriffen und wir haben jedes Recht gehabt uns zu verteidigen. Also, raus mit der Sprache!“ Haytham hatte sich seiner jetzt angenommen und stand mit verschränkten Armen im Rücken vor ihm, so wie er es auch bei einer Standpauke für unseren Sohn machte.

 

Van den Kieboom seufzte tief, ließ ich auf seinem Stuhl nach hinten sinken und sah meinem Mann direkt in die Augen.
„Nicht nur ihr suchtet nach Blackbeards Wrack. Es sind einige diebische Gruppierungen hierher unterwegs oder waren es zumindest. Zwei Schiffe konnten wir schon, nun, an ihrem Eintreffen hier hindern.“ bei diesen Worten entwich ihm ein fieses Lachen. „Meine Bruderschaft oder besser gesagt mein Mentor hat mich beauftragt hier nach dem Rechten zu sehen und wenn möglich das Artefakt an mich zubringen. Dass es tatsächlich auf der Queen Anne´s Revenge sein soll, glaubte ich erst nicht und konzentrierte mich auf private Aufzeichnungen von diesem Piraten.“ sein Blick ging durch den Raum auf der Suche nach etwas.
„Oh, ihr glaubt, auch er wird euch heimsuchen?“ Edward gluckste bei seinen Worten und ich sah, er überlegte ob er es wahr machen sollte. Nur so zur Einschüchterung versteht sich.
„Ihr könnt mir keine Angst machen, Mann!“
Mein Schwiegervater zuckte nur kurz, was den Befragten sofort wieder kreidebleich werden ließ!
„Ich bin nicht fündig geworden!“ fluchte Gerrie mit enttäuschten Blick auf uns Anwesende.
„Irgendwo musste sich ja diese Kiste verstecken mit dem Buch…“ er war lauter geworden vor Wut.

 

Buch? Wir suchten aber nach dem Sonnenstein! Ich verbiss mir diese Bemerkung, weil er also wegen einer ganz anderen Sache nachforschte.
„Wie sieht dieses Buch denn aus, Master van den Kieboom? Wenn ihr es beschreibt, können wir vielleicht schon sagen, ob wir es unten gefunden oder gesehen haben. Aber seid versichert, alles was dort aus Papier gelagert wurde, zerfällt beim bloßen Anschauen schon. Vermutlich werdet ihr zu spät kommen!“ Edward schaltete sich wieder ein. Dieses mal auf die etwas freundlichere Art, Odin sei Dank.
„Es … es ist in dunkles Leder gebunden mit Goldecken und goldenen Buchstaben auf dem Deckel. Ich weiß nicht, wie es heißt, weil ich die Sprache nicht beherrsche.“ da klang doch Trotz in der Stimme mit!
„Aha, also würdet ihr einfach ALLE Bücher die so ähnlich aussehen mit an die Oberfläche holen? Wisst ihr eigentlich wie viele davon in meinem Schiff lagerten?“ dröhnte Thatch plötzlich hinter mir, so dass ich einen spitzen Schrei vor Schrecken ausstieß, nicht nur ich.
„Geht weg! Kommt mir nicht zu nahe! Ich schwöre, ich werde es nie wagen …“ japste Gerrie zitternd als die Erscheinung weiter auf ihn zukam. Sein hastiges Aufspringen als die beiden nur noch wenige Zentimeter von einander entfernt waren ließ den Stuhl polternd kippen. Blackbeards Hand schnellte hervor und griff die Kehle des abgelenkten Gefangenen.

 

„Ihr wollt auf MEIN Schiff, ihr wollt MEINE Habseligkeiten unrechtmäßig an euch nehmen um EUCH zu bereichern! Ihr wisst doch gar nicht, was ihr mit diesem Buch anrichten würdet, wäre es erst einmal in euer aller unfähigen Hände.“ schrie der alte Pirat Gerrie an. Seine Fingerknöchel färbten sich unter dem Druck bereits weiß, wohingegen sich die Gesichtsfarbe des Befragten in ein sehr dunkles Rot änderte.
„Ed, lass den Jungen in Ruhe! Er wird nichts dergleichen tun. Das Buch ist nicht dort unten!“ mein Schwiegervater versuchte seinen ehemaligen Freund zu besänftigen.
„Doch ist es! Ich habe es ja selber…“ langsam drehte er seinen Kopf in Richtung Edward und grinste ihn an. „Du gerissener Hund!“ so schnell seine Hand an der Kehle war, so schnell war sie auch wieder weg.
Er tätschelte noch die Brust des Mannes und ging ein paar Schritte zurück.
„Du hörst es, es ist anscheinend schon gefunden worden. Such also woanders und jetzt scher dich hier weg!“ mit einer ausladenden Handbewegung deutete Blackbeard auf die Tür der Kajüte.
„Das ist MEIN Schiff, ich bin der Kapitän und ICH gebe hier die Befehle!“ fauchte van den Kieboom jetzt mutig und selbstsicher. „Meine Crew wird euch sicherlich nicht tatenlos davon marschieren lassen.“

 

„Ihr wart schon einige Zeit nicht mehr an Deck der Ocean Princess, aye?“ langsam ging ich auf ihn zu um seine Reaktion deutlicher sehen zu können. „Da ist nicht mehr viel Crew übrig! Und das habt ihr euch selber auf die Fahne zu schreiben!“
Seine Augen weiteten sich und sein Blick ging von einem zum anderen. Wir sahen alle, dass er sich ertappt fühlte. Ertappt dabei, seine Leute im Stich gelassen zu haben. Ich hatte mich die ganze Zeit schon gefragt, warum er hier war und so ein leichtes Ziel für meinen Schwiegervater bot. Und wer war dann dieser andere gut gekleidet Mann, der mich angegriffen hatte? Alle anderen Besatzungsmitglieder waren in einfache Hemden und Hosen wie für Matrosen ähnlich gehüllt.
„Ich … musste doch sicher gehen … dass niemand an meine … Unterlagen gelangen konnte … die Aufzeichnungen …“ mittlerweile stand er hinter seinem Schreibtisch, neben dem sich rechts ein Passgenaues Regal befand. Es war voll mit Büchern, Schreibutensilien, Büsten und Nippes, soweit ich das in diesem Zwielicht ausmachen konnte. Aber das konnte nicht alles sein, was er beschützen wollte. Hier musste etwas viel wichtigeres lagern! Etwas was vermutlich mit diesem verschollenen Buch zu tun hatte.

 

Haytham legte kurz seine Hand auf meinen Unterarm und ließ mich mit seinem Blick den Raum absuchen. Wir sahen im ersten Moment nur die obligatorischen blauen neutralen Umrisse, ein paar bewegte Bilder aus der Koje wo ich aber nicht näher drauf eingehen werde. Gerrie selber war in Gold getaucht, aber nicht nur er! Hinter ihm in einem der Einbaubänke, dort wo auch eine kleine Luke für die Notdurft mit verbaut ist, befand sich ein Fach mit ebenfalls leuchtendem Inhalt.
Eine Kiste oder kleine Truhe den Umrissen nach zu Urteilen. Dank dem Detailreichtum Haythams Fähigkeit, machte ich sogar gefaltetes Papier aus. Also waren Aufzeichnungen im Besitz von van den Kieboom, die Aufschluss über den Fundort gaben und ganz allgemeine Dinge über dieses mysteriöse Buch enthielten.
„Geht beiseite.“ mein Mann sprach in einem ruhigen, aber bestimmten Tonfall.
„Nur über meine Leiche!“ rief Gerrie und griff unter die Arbeitsfläche seines Schreibtisches. Ein Dolch tauchte in seiner Hand auf, den er auf uns richtete und herumfuchtelte. „Ich warne euch!“ In seinem Blick machte ich gespielten Mut aus, gepaart mit der Angst, dass man ihm sein Schauspiel nicht abnahm. Wie recht er behalten sollte!

 

Edward Thatch schwebte im wahrsten Sinne des Wortes auf ihn zu und funkelte ihn wütend an.
„Du Grünschnabel glaubst also immer noch, dass du es mit mir aufnehmen kannst, ja? Versuchs doch mal!“ dieser Wahnsinn in Eds Stimme ließ mich zittern.
Mein Schwiegervater ließ mich wissen, dass er diese Taktik des öfteren schon erlebt hatte.
Die Gegner waren entweder sofort eingeschüchtert oder unterlagen ihm einfach, weil sie sich selber überschätzten. Seine Stimme klang so unbekümmert, als erzählte er mir einen Schwank aus seiner Jugend.
„I...i...i...ihr macht … m...m...m...mir keine A...a...a...a...a...ngst!“ doch machte er ihm! „W...w...w...w….w...weiche von mir … d...du Hirngespinst meines G...g...g...g...g...geistes!“
Entschuldigt, aber dieses Stottern brachte mich einfach zum Kichern.
Und mit einem Male hechtete van den Kieboom zur Seite und gab unfreiwillig das Versteck preis. Die Klappe war bereits offen, dass hatte ich gar nicht in dem ganzen Trubel bemerkt.
Solange der Kapitän beschäftigt war, widmete ich mich dem Inhalt des Versteckes.
Es waren Schriftstücke von ihm selber, von seinem Vater und einigen anderen Personen, welche ich aber nicht zuordnen konnte. Was aber noch interessanter war, waren die Karten von einzelnen Fundorten verschiedener Gegenstände. Bücher, Schmuckstücke, Waffen oder auch Rüstungen und Kleidung.
Hatten wir nicht auch noch einiges auf unserer Liste, was sich hiermit vergleichen ließ? Ich nahm einfach alles an mich und drehte mich zu meinen Mitstreitern um.

 

„Wir haben alles, wir können gehen.“ bemerkte ich beiläufig und wollte mich schon aus der Kajüte begeben, als mich mein Mann aufhielt.
„Warte noch.“ dabei deutete er auf Blackbeard. Dieser stand gebeugt über Arwin und starrte ihn an.
„Sehe ich dich noch einmal in der Nähe meiner Galeone oder meines Eigentums, dann kann dich nichts mehr retten. Du hattest Glück heute, mehr nicht. Das wird nicht noch einmal vorkommen.“ mahnte er den jungen Kapitän und ließ von ihm ab.
Edward und Blackbeard tauchten in diesem Nebel unter und verschwanden.
Ein wenig unheimlich sollte es für diesen Mann schon bleiben. Seine Hosen sind auf jeden nicht mehr die saubersten. Lachte mein Schwiegervater in unseren Köpfen, ehe er sich mit seinem alten Mentor gänzlich zurückzog.

 

Schwer atmend tauchte Gerrie hinter seinem Schreibtisch auf.
„Ist … es… vorbei? Sind sie weg?“ mit zitternder Stimme ließ er sich auf einem Stuhl nieder.
„Es ist für euch nie vorbei, oder habt ihr Blackbeards Worte bereits wieder vergessen? Denkt in Zukunft nicht einmal daran, nach irgendetwas aus seinem Privatbesitz zu suchen. Und sagt das auch euren Kumpanen! Ihr wollt sicher nicht, dass auch sie die Bekanntschaft mit dem Geist des gefürchtetsten Piraten der Karibik machen, oder?“ Haythams fieses Lachen dabei ließ selbst mir eine Gänsehaut über den Rücken laufen.
„N...nein Sir, sicher … n...n….n….n...nicht!“ leichenblass saß der Kapitän da und starrte ins Nichts.
Ohne weitere Worte gingen wir hinaus, zurück auf die Jackdaw.

 

Kapitel 51

~~~ Unerwartete Neuigkeiten ~~~

 

„Wie soll dieser Mann denn jetzt bitte sein Schiff wieder in Gang bringen, Haytham?“ hakte ich nach, als ich für einen Moment an der Reling meiner Brig stand und hinüber zu diesem ramponierten Etwas sah.
„Das ist nicht unser Problem!“ war die kurze knappe Antwort meines Gatten.
Anne meldete sich plötzlich zu Wort.
„Ich hätte nie gedacht, das irgendein Crewmitglied sich irgendwann als abtrünnig erweisen würde. Sie alle waren Edward immer loyal. Natürlich gab es hier und da Unzufriedenheit bei der Führung des Schiffes, aber nie hätte ich mit so einer Wut gerechnet. Und das über Jahre.“ Wer sich ungerecht behandelt fühlte, konnte sicherlich sehr lange auf eine Revenge hinarbeiten. Das setzte aber voraus, dass nichts anderes die Aufmerksamkeit beanspruchte. In diesem Falle war es eine, wie sagt man so schön, Besessenheit.

 

Wir sahen, wie man begann die Ocean Princess notdürftig zu reparieren. Ich ignorierte das Treiben und widmete mich meiner Jackdaw. Auch hier musste einiges getan werden, auch wenn Mr Hargreaves schon gute Vorarbeit geleistet hatte.
In meiner Kajüte widmete ich mich den ganzen Schriftstücken in Ruhe, während Edward Junior und Florence mir über die Schulter sahen.
Die beiden kommentierten fleißig was sie sahen und brachten mir immer wieder neue Denkanstöße. Kinder hatten wirklich eine ganz andere Sicht und brachten neue Inspirationen.
So war eine Karte einer Stadt, keine eigentliche Beschreibung, sondern vielmehr ein Wegweiser! Man musste nur die Zeichen richtig deuten.
Hier war es ein Pfad aus dem mathematischen Bereich oder dort war es einfach die Beschreibung der Botanik.
Zwischen den Zeilen lesen, ging es mir durch den Kopf.
Insgeheim hoffte ich, dass wir auch die Assassinen auf der Seite van den Kiebooms von unserer Sache überzeugen konnten.

 

Als alle schliefen setzte ich ein Schreiben für ihn auf und bat um ein privates Treffen!
Ich drückte mein Siegel auf den Brief und sah dabei zu meinem Mann. Ihm würde es nicht gefallen, wenn ich mal wieder allein vorpreschte, das wusste ich. Aber es war mir ein Bedürfnis reinen Tisch mit diesem Herren zu machen. Auch schon Edward Senior zuliebe.
Ich wollte gerade aus der Kajüte hinaus und ein Crewmitglied bitten, den Brief hinüber zubringen, da hörte ich Haythams Stimme hinter mir.
„Ich wusste, dass du mal wieder eine Versöhnung versuchen würdest. In diesem Falle aber sage ich dir, lass es! Dieser Mann wird sich in Zukunft von uns fernhalten und seinen Weg gehen. Mein Eindruck von ihm ist, dass er wankelmütig ist, wie ein Fähnchen im Wind. Das ist zu gefährlich. Außerdem wird er immer noch von den Erfahrungen seines Vaters geleitet, die ihn ebenfalls geprägt haben. Wir werden unsere Suche fortsetzen und die Schriftstücke aus seinem Besitz weiter untersuchen. Mehr aber nicht. Und jetzt zerreiß das Papier!“ mittlerweile stand er nur Millimeter entfernt vor mir und funkelte mich böse an.
Sollte ich klein beigeben? Es wäre doch einen Versuch wert, oder nicht?
War meine Menschenkenntnis aber wirklich so schlecht, dass ich das Wesentliche übersah?
Mein Bauchgefühl meldete sich und sagte ebenfalls, dass Gerrie mit Vorsicht zu genießen sei.
„Also schön…“ seufzend zerriss ich meinen Brief und warf die Fetzen wütend auf den Boden.
Plötzlich fühlte ich mich müde und erschöpft wie nach einem langen Arbeitstag. Mein einziger Gedanke war, dass ich schnell aus den Sachen raus muss und ins Bett. Ohne noch mit meinem Mann zu reden zog ich mich aus und legte mich ins Bett. Mir war weder nach seiner Nähe, noch nach Reden! Ich wollte meine Ruhe haben!
Mal wieder wurde mir vor Augen geführt, dass ich mein Denken auf dieses Jahrhundert gänzlich ändern musste und auf die Aussagen der Menschen hier vertrauen sollte. Doch das fiel mir schwer, wie so oft!

 

Die Nacht war unruhig, weil ich immer darauf bedacht war, Haytham nicht zu nahe zu kommen. Ich war nicht wütend auf ihn oder böse mit ihm, nein! Ich war frustriert, genervt könnte man sagen.
Im Morgengrauen stand ich auf und wusch mir durchs Gesicht. Im Bett regte sich mein Mann und machte Anstalten aufzustehen.
„Bleib ruhig liegen, es ist noch früh.“ flüsterte ich, als ich mir meinen Mantel gegen die Kälte überzog und die Kajüte verließ.
An Deck sah ich die Nachtschicht gähnend auf ihren Posten.
Über dem Wasser waberte eine leichte Nebelschicht.
Die Ocean Princess lag friedlich neben uns. Dort würde vermutlich bald wieder mit der Fortführung der Reparatur begonnen. Noch war es aber still an Bord.

 

Der Smutje war schon auf den Beinen und die Kessel mit dem Wasser waren auf dem Feuer.
„Ihr seid meine Rettung! Könnte ich schon einen Becher Kaffee haben?“ fragte ich bettelnd nach, als ich mich auf die Arbeitsfläche stützte.
„Natürlich, wartet einen Moment!“ er kramte eine Dose aus dem Schrank hervor, befüllte meinen Becher und goss dann das brodelnde Wasser hinein. „Ich vermute ihr braucht heute etwas stärkeres als sonst, Mistress?“ grinste er, als er nach ein paar Minuten das göttliche Getränk durch ein Tuch goss. Der erste Filter, ging es mir durch den Kopf.
„Ihr könnt Gedanken lesen!“ lachte ich und nahm meinen Kaffee dankend entgegen.
Wieder oben an Deck hielt ich mich mit beiden Händen daran fest und beobachtete das Erwachen meines Schiffes und der neben uns liegenden Fregatte. Immer lauter wurden die Stimmen, die Schritte und das emsige Umherlaufen der Crewmitglieder – zumindest die die noch übrig waren -.

 

Dann sah ich mit einem Male Gerrie van den Kieboom an der Reling auftauchen, ebenfalls einen Becher dampfendem Inhalts in den Händen haltend.
Auch sein Blick ging zu mir und wir sahen uns für einige stille Momente einfach nur an.
„Wir werden heute um die Mittagszeit aufbrechen können! Ich denke, ihr seid deswegen glücklich, dass ihr mich loswerdet, Mistress Kenway! Ich hoffe, dass ich euch nie wieder begegnen werde!“ rief er herüber! In seinen Augen lag ein seltsamer Ausdruck bei diesen Worten. Sie waren hasserfüllt!
Und wieder dachte ich über ein Gespräch mit ihm nach. Vielleicht hätte ich ihn milde stimmen können.
Ich sah ihn nur an, brachte aber keine passenden Worte über die Lippen. Stattdessen hoffte ich, dass wir hiermit nicht einen Weg verbaut hatten, der uns vielleicht noch weitergebracht hätte.
„Ach schau an, da steht er aufgeplustert an Deck seiner Fregatte, dieser arrogante Kapitän.“ hörte ich meinen Mann hinter mir verächtlich sagen.
„Du solltest dich jetzt gerade mal selber hören, Haytham!“ fauchte ich und ging an ihm vorbei hinunter um nach den Kindern zu sehen.
Ich zermarterte mir den Kopf, was auf einmal mit mir los war? Ich war wütend, frustriert, genervt, aber umgekehrt wollte ich Frieden und Harmonie haben. Am liebsten würde ich in diesem Moment ganz laut schreien, doch ein Kopfkissen oder ein einsamer Wald waren nicht greifbar! Leider!

 

„Guten Morgen, Mama.“ gähnte Edward als er langsam seine Augen öffnete.
Florence regte sich ebenfalls und richtete sich auf. Ihr Gesicht war noch völlig verquollen vom Schlaf, aber sie sah zum Anbeißen aus.
„Habt ihr gut geschlafen?“ flüsterte ich, als ich meine Tochter auf meinen Schoß nahm.
„Das Schaukeln von der Jackdaw macht mich müde, Mama. Können wir nicht immer hier schlafen?“ hakte Florence nach während sie sich ausgiebig streckte.
„Leider nein, min lille engel. Ich verspreche aber, dass wir noch einige Male mit der Brig eures Großvaters unterwegs sein werden.“ lächelte ich die beiden an.
„Auja!“ riefen beide wie aus einem Mund.

 

Anne gesellte sich kurz darauf auch zu uns als wir in der Messe frühstückten.
„Wie habe ich dieses Schiff doch vermisst.“ seufzte sie tief und griff beherzt zu ihrem Tee. „Auch wenn ich gerade die Sonne und Wärme der Karibik gerne wieder dabei zurück hätte.“ in ihren Augen konnte man diese Erinnerungen förmlich sehen und auch ich kannte dieses Gefühl.
Mit einem Mal spürte ich, wie mir die Tränen über die Wange liefen und ich vertrieb die Bilder von damals schnell aus meinem Geist.
Ihre Hand legte sich auf meine, drückte zu und als ich mich Anne zuwandte lächelte sie mich an.
„Kann es sein, dass ihr guter Hoffnung seid?“ fragte sie kaum hörbar.
Schwanger? Ich?
Ich wusste nur, dass meine Emotionen gerade Achterbahn fuhren, dass ich gefühlt nichts unter Kontrolle hatte.
„Ich weiß es nicht.“ entgegnete ich ebenso leise, damit Edward und Florence es nicht hörten. „Vielleicht sind es auch nur die Blutungen.“
„Vermutlich sind sie es.“ doch ich sah, dass sie eine Schwangerschaft dahinter vermutete.
Sollte ich Haytham bitten einmal seinen Blick für mich zu nutzen? Ich wurde mit einem Male immer unruhiger!
Mit einer hastigen Verabschiedung erhob ich mich und eilte nach oben an Deck, wo ich nach meinem Mann suchte.

 

Ich fand ihn, wie sollte es anders sein, bei den Reparaturen, wo er tatkräftig mithalf.
„Mi amor, hast du einen Moment Zeit?“ mein schlechtes Gewissen, weil ich ihm die letzten Stunden die kalte Schulter gezeigt hatte, brach wieder durch.
„Natürlich, was ist passiert?“ warum, bei Odin, klang das jetzt so vorwurfsvoll? Ich hätte am liebsten wie ein wütendes Kleinkind mit dem Fuß aufgestampft, so angefressen war ich schon wieder.
„Nichts. Aber … komm bitte mit!“ ich zog ihn zum Bug, wo kaum jemand war. „Tu mir einen Gefallen und lass deinen Adlerblick einmal über mich gleiten. Frag nicht, tu es einfach!“ bei den Worten liefen mir erneut die Tränen über die Wangen. Dieses Gefühlschaos… in mir überschlugen sich die Gedanken. Wann hatte ich meine Blutung? Wie oder wann … Beim Allvater! Zitternd sah ich Haytham an, welcher mich plötzlich ängstlich ansah.
„Alex, was ist los? Bist du krank?“ frag nicht, mach einfach, dachte ich!
Mit den Händen fuchtelnd bat ich ihn, endlich anzufangen.

 

Seine Augen hingen an mir, dieser Schleier legte sich über sie und langsam wanderte er über meinen Körper. Wie erwartet blieb er auf Bauchhöhe hängen, runzelte die Stirn und fokussierte noch einmal.
„Alex!“ dieser Ausruf war eine Mischung aus Angst, Freude, Erstaunen und ein Quäntchen Wut über mein Verhalten! „Ich… du… wann ist das passiert? Wir bekommen noch ein Kind!“ überschwänglich hob er mich hoch und umschlang mich.
Ich war wie paralysiert, konnte nicht realisieren, dass in mir neues Leben wuchs! Ich hatte es nicht bemerkt!
Und wieder überkam mich dieser böse Gedanke, dass ich eine schlechte Mutter war, weil ich es nicht gespürt habe.
Umgekehrt aber freute ich mich und strich vorsichtig über meinen Bauch.

 

„Ich habe Angst!“ meine Stimme war kaum hörbar. Als sich seine Arme wieder um mich schlossen, brachten sie mir die Sicherheit die ich brauchte!

Kapitel 52

~~~ Saboteur am Werk! ~~~

 

Diese Nachricht musste ich jetzt erst einmal verdauen, genau wie mein Mann auch.
„Sobald wir wieder daheim sind, suche ich den Doktor auf. Irgendwie lässt mir das gerade keine Ruhe!“
„Ein guter Vorschlag. Ich erinnere mich übrigens daran, was Idun über ein weiteres Kind gesagt hat. Wir würden ohne göttlichen Einfluss auskommen. Was soll ich sagen? Sie hatte Recht.“ sein warmes Lächeln ließ mich für einen Moment mein inneres Chaos vergessen.
Wir wurden aus unseren Gedanken mit lauten „Mama! Papa!“ Rufen gerissen.
Plötzlich blieb Edward abrupt stehen und starrte mich an. Seine Augen verdunkelten sich, während sie über meinen Bauch glitten. Ein breites Grinsen erschien in seinem Gesicht!
„Wir bekommen noch einen Bruder? Oder eine Schwester?“
Unsere Tochter hingegen reagierte mit zitternden Lippen und sah zu ihrem Vater.
Natürlich! Das Papa-Kind hatte Angst um sein Vorrecht.
„Florence, was ist los? Freust du dich gar nicht?“ hakte Haytham nach, obwohl er sich das auch hätte sparen können, weil er nur ein Schluchzen als Antwort bekam.
„Min lille engel, noch ist es ja nicht soweit. Du hast noch viel Zeit …“
Mit einem Male funkelte sie uns an.
„Ihr habt mich dann nicht mehr lieb!“ sie drehte sich um und rannte hinunter.
Ihr Bruder rief ihr noch nach, doch sie hörte ihn nicht, oder wollte es nicht.
Es war mein Mann welcher sich auf die Suche nach Florence machte. Ich hoffte, er könnte es ihr etwas erklären und sie beruhigen.

 

Edward hingegen verstand gerade nicht, warum seine Schwester so reagierte.
„Sie ist noch zu klein. Auch du warst nicht gleich glücklich darüber, dass du eine kleine Schwester bekommst. Wir sollten Florence etwas Zeit geben um sich an den Gedanken zu gewöhnen. Auch ich muss damit erst mal klar kommen, min lille skat.“ langsam wurde ich ruhiger und strich ihm über den Wuschelkopf.
„Musst du dann auch wieder im Bett bleiben?“ traurig sah er zu mir hoch.
„Ich hoffe es nicht, Edward. Wenn wir wieder zuhause sind, gehe ich zum Arzt und lasse mich untersuchen. Es ist auch noch viel zu früh um irgendetwas zu fühlen.“ langsam gingen wir an der Reling entlang, als wir eine laute Explosion von der neben uns liegenden Fregatte vernahmen.
Erschrocken sah ich hinüber in eine riesige Rauchwolke, die sich nur langsam lichtete.
Nach und nach konnte man wieder etwas erkennen, vor allem ein großes sehr unschönes Loch in der Bordwand, welches sich über 2 Sektionen erstreckte.
Schreie hallten zu uns hinüber von den Verwundeten und gehetzte Rufe waren auszumachen.

 

Ein wütender Kapitän stand an Deck und brüllte Befehle zum Löschen des Brandes und dessen Eindämmung.
In dem ganzen Durcheinander auf der Ocean Princess sah ich eine Gestalt umher huschen, die klammheimlich versuchte von Bord zu verschwinden. Sie wurde jedoch immer wieder daran gehindert, weil man sie an ihre Pflicht zu Helfen erinnerte. Ich brauchte keine Worte vernehmen, es reichten die Gesten dieser Person. Man SAH die Frustration regelrecht in den Bewegungen.
Haytham war mittlerweile neben mich getreten.
„Sieh dir das an, da will doch wirklich jemand einfach Reiß-Aus nehmen!“ kopfschüttelnd deutete ich hinüber zu dem Schiff und er folgte meinem Blick.
Der Adlerblick brachte dann die Erkenntnis, dass dieser Jemand nichts gutes im Schilde führte. Die Aura war rot, wenn auch etwas schwach.
Man musste also vermuten, dass das der Brandstifter und Bombenleger war.

 

Plötzlich war die Silhouette aus unserem Sichtfeld verschwunden und ich lehnte mich weiter über die Reling, konnte aber nichts mehr ausmachen als das Meer unter uns. Verdammt noch eins, wo war er oder sie so mir nichts dir nichts verschwunden?
„Wenn ihr nach eurem Saboteur sucht, der hat das zeitliche gesegnet!“ hörte ich Gerrie brüllen.
Mit hochrotem Kopf stand er mit einem blutigen Schwert da und starrte zu uns herüber.
„Dieses Individuum gehört nicht zu uns.“ rief Haytham zurück als sich schon aufmachte, auf die Fregatte zu kommen. Ich tat es ihm gleich, weil auch ich wissen wollte, WER denn jetzt für diese Explosion verantwortlich war.
Der Kapitän wollte uns schon aufhalten, als mein Templer bereits bei dem Toten anlangte und ihn unter die Lupe nahm.
Der Kleidung nach zu urteilen ein einfacher Matrose, mit einer kleinen aber feinen Unterscheidung. An seinem Hemd prangte das Zeichen der Assassinen. Bei genauerer Untersuchung des Körpers förderte mein Mann ein an einem Lederband befestigtes Templerkreuz hervor.
Unsere Blicke begegneten sich.
Entweder war es ein Überläufer, ein einfacher Verräter oder aber er hatte sich beiden Seiten verschworen und stand auf unserer Seite. Leider konnten wir keine Fragen mehr stellen.

 

„Wisst ihr wer das war? Habt ihr einen Namen oder wisst wo sein Schlafplatz ist, Kapitän van den Kieboom?“ fragte Haytham nach.
„Ich merke mir doch nicht jeden kleinen Deckschrubber!“ erwiderte er arrogant mit einem abfälligen Blick auf den Toten.
Ich wandte mich an die Crew um zu erfahren, wen wir hier vor uns hatten.
Ich bekam ein Kopfschütteln, Achselzucken oder verächtliches Schnauben. Aber keine Antwort.
Gerade als ich mich genervt umdrehte um noch einmal mit Gerrie zu sprechen, zog man an meinem Ärmel und deutete mir mitzukommen. Mit der Hand an meinem Schwert folgte ich diesem Herrn zu ein paar Kisten, hinter welcher er mich zog.
„Mistress Kenway, ich kannte ihn. Seinen echten Namen hat er nie genannt, für uns hieß er immer nur Morpheus. Er war mir schon immer seltsam vorgekommen. Kämpfen konnte er nicht, Segel reffen konnte er nicht, eigentlich war er zu nichts zu gebrauchen. Ein Dummkopf sage ich euch. Trotzdem war er seltsam und …“ der Mann drehte sich suchend um, fuhr dann aber noch leiser fort. „… des Nächtens verschwand er oft einfach und kam erst Stunden später wieder. Ich bin ihm einmal gefolgt, weil er seine Hängematte direkt neben meiner hatte und ich wach geworden bin von ihm.“ tiefes Luftholen und man erzählte weiter.

 

Dieser Morpheus war hinunter in einen der Laderäume gegangen, hatte sich dort hinter ein paar Fässer verkrochen. Den Geräuschen nach zu urteilen schrieb er wohl etwas auf, tauchte aber ohne Papier und Feder wieder auf. Auch als er gefragt wurde, was er so spät noch hier machen würde, schüttelte er nur den Kopf. Kein einziges Wort kam über seine Lippen.
Man durchsuchte sogar die Habseligkeiten und das Versteck im Laderaum. Ohne Erfolg, teilte der Herr vor mir frustriert mit.
Wo aber waren die Aufzeichnung hin verschwunden?
„Könnt ihr mir zeigen, wohin ihr ihm das erste mal gefolgt seit?“ nickend und irgendwie erleichtert bat der Mann mich ihm wieder zu folgen.
Es ging hinunter in den besagten Raum, wo es nach Ziege und fauligem Holz roch.
Eine Lampe brachte etwas Licht und ich sah mich mit meinem Blick um. Die Kisten und Fässer standen zwar etwas anders, dennoch konnte ich die Spuren Morpheus´ ausmachen.
Ruß oder besser Kohlereste fanden sich auf einer der kleinen Kisten in der Ecke, ebenso ein winziger Kerzenstummel.

 

Mein Blick brachte etwas verdächtig leuchtendes hinter einem Holzbrett an der Bordwand hervor.
Mein Begleiter half mir und gemeinsam sahen wir suchend in das Geheimversteck.
Einige Papiere, sowie Schreibutensilien und ein kleines Lederbuch förderte ich zu Tage.
Für einen kurzen Moment ging mir durch den Kopf, ob wir es vielleicht wieder mit „Neuzeit-Assassinen“ zu tun haben könnten, doch als ich mir die handgeschriebenen Seiten ansah, wurde schnell klar, dass es jemand aus diesem Jahrhundert sein musste.
Jemand der ziemlich wütend auf Gerrie van den Kieboom sein musste.

 

„Wir haben den 20. Seetag und dieser selbsternannte Kapitän spielt sich wie ein König auf. Dabei hat er von der Seefahrt soviel Ahnung wie ein Stein vom Schwimmen! Erst heute Nacht wäre die Fregatte beinahe auf einer kleinen Sandbank aufgelaufen, hätten wir nicht ALLE rechtzeitig eingegriffen. Trotzdem halten seine Männer zu ihm, als wäre er ein Heiliger.“
Das war nur ein kleiner Auszug aus Morpheus Tagebuch.
Demnach war der Holländer kein erfahrener Kapitän. Aber musste man sich nicht irgendwie beweisen, eine Art Prüfung oder so etwas ähnliches ablegen, bevor man so einen Kahn schippern darf? Es waren ja Menschenleben mit denen er hier gespielt hat, wenn man es genauer betrachtet.
Mittlerweile wurde mir bewusst, dass Haytham recht hatte mit Gerrie. Er ist mit Vorsicht zu genießen. Ein skrupelloser und vermutlich machthungriger Mann, der über Leichen ging!
Jetzt hatte ich aber immer noch nicht herausgefunden, wie der richtige Name des Toten Saboteurs lautete. War das überhaupt noch wichtig?
„Ich werde seine persönlichen Schriften mitnehmen und durchgehen. Ich danke euch für die Hilfe, Sir.“ bedankte ich mit lächelnd und wir gingen wieder hinauf zu den anderen.

 

„Na, habt ihr ihn überführt diesen Verräter, der mein Schiff am liebsten ebenfalls auf dem Grund des Meeres sehen würde? Der Tod war noch viel zu milde für ihn!“ meckerte Gerrie drauflos als er uns sah.
„Wir haben nichts gefunden, Kapitän van den Kieboom!“ ich betonte die Worte absichtlich in der Hoffnung, er würde reagieren. Doch anscheinend war er nicht in der Lage meinen Unterton zu deuten. Schade.
„Hatte ich auch nicht anders erwartet, Miss!“ sein Blick wanderte abschätzig über mich und meinen Begleiter.
Damit hatte er meine Sympathie und den Wunsch mit ihm persönlich ein paar Worte zu wechseln gänzlich verloren. Ja, ich würde seine Fregatte auch am liebsten unter dem Meeresspiegel sehen, zerstört in tausende kleine Krümelchen! Bei Odin, meine Wut war schier übermächtig, ich zitterte am ganzen Körper.
„Wisst ihr was, Kieboom? Ihr könnt mich mal Kreuzweise und den Buckel runterrutschen!“ brüllte ich während ich mich daran machte auf meine Jackdaw zu kommen. Was für Widerling!
Soll ich vielleicht noch einmal … hörte ich meinen Schwiegervater nachdenklich reden.
Nein, bei Odin! Lass diesen Idioten einfach seiner Wege ziehen. Er ist nicht fündig geworden und wir haben einige seiner Aufzeichnungen. Das reicht. Genervt wandte ich mich um und ging zu meiner Kajüte, genau diese Papiere würde ich mir nun in Ruhe ansehen.

Immer noch mussten wir diese verflixte Truhe aus den Tiefen herauf befördern, doch dass musste jetzt leider noch etwas warten.

 

 

Kapitel 53

~~~ Und das alles für nichts? ~~~

 

Ausgebreitet auf dem Schreibtisch lag unsere Ausbeute von van den Kieboom und Morpheus! Wo sollte ich nur anfangen?
In solchen Momenten hörte ich immer eine Stimme in meinem Kopf, die mir sagte: Fang einfach an, egal wo! Also schön!

 

Ich las im Tagebuch des Saboteurs weiter, welcher sich Notizen zu der Mannschaft und deren Gewohnheiten gemacht hatte. Er beschrieb auf einigen Seiten den ganz normalen Alltag auf einer Fregatte, dann wieder beleidigte er einige seiner Kameraden als Nichtsnutze und Dummköpfe.
„Stewie kann nicht einmal bis drei zählen. Erst gestern brachte er dem Quartiermeister 5 anstatt der 7 aufgetragenen Leinentücher. Er hätte selber noch einmal nachgezählt, versicherte er. Wer es glaubt! Dumm und zu nichts zu gebrauchen wie feuchtes Segeltuch ist er!“ ein leichtes Glucksen kam mir über die Lippen bei diesem Ausdruck. Das ist also die Seefahrer-Beleidigung für `Dumm wie ein Meter Feldweg` auf dem Lande.
Bei seinen weiteren Erläuterungen kam immer wieder dieser besagte Quartiermeister vor. Diesen schätzte er, weil er nicht ein einziges Mal ein schlechtes Wort über ihn niederschrieb.
Besagter Herr trug den Namen Hubrecht Braspennig, war laut Morpheus stattlich mit vollem Haar und gut gekleidet. Man könnte meinen, er brenne für diesen Herren.
Doch jetzt wusste ICH, dass ich den Quartiermeister auf dem Gewissen hatte. Er war der Einzige an Bord, bis auf den Kapitän, der keine abgewetzte Kleidung trug. Mitleid wollte sich trotzdem nicht so recht bei mir breitmachen oder mein sonst oft nerviges schlechtes Gewissen.

 

Um mich wieder auf das wesentliche zu konzentrieren schüttelte ich mich einmal und atmete tief durch.
Die restlichen Zeilen kreisten immer wieder um eine mögliche Meuterei, wer dabei sein sollte, wen man unbedingt unbehelligt lassen sollte.
Alles in allem wurde mir klar, dass es sich hierbei um Peanuts handelte. Diese Spur war einfach Pech für den Kapitän, aber hatte nichts mit meiner oder besser unserer Mission zu tun. Warum trug er aber unsere Symbole?
In einem der Schriftstücke wurde lediglich sein Auftrag, van den Kieboom als unfähig dastehen zu lassen, erläutert. Das Zeichen der Bruderschaft war am Kopf des Briefes, aber weder Namen noch sonstige Details konnte ich finde.
Die Vermutung lag nahe, dass es sich um eine eher private Fehde handelte, weil ja auch Gerrie Assassine war. Das Templerkreuz hatte auch keinen Aufschluss über seinen Träger gebracht.
Widerwillig gestand ich mir ein, dass das eine Sackgasse war und wir uns jetzt auf unser Unterfangen wieder konzentrieren sollten.

 

Gerrie würde ohne seine Karten ab jetzt nicht mehr weiterkommen und wird vermutlich reumütig zu seinem Mentor zurück kehren müssen ohne einen Erfolg vermelden zu können. Ein wenig schadenfroh war ich in diesem Moment dann doch. Geschieht diesem arroganten … Kapitän recht.
Somit widmete ich meine Aufmerksamkeit weiter seinen Karten. Diese waren nämlich ganz und gar nicht uninteressant. Routen, Häfen, Schiffsnamen und entsprechende Symbole prangten darauf.
Mein Blick glitt über die Küstenregion Amerikas und da sah ich auch meine Brig. Sie hatte aber „nur“ das Templerkreuz als Merkmal darüber nicht das Assassinen Symbol.
An der Seite stand ein kleiner Text, welcher verlauten ließ, dass man der Jackdaw mit Vorsicht begegnen sollte und Abstand halten sollte. Sie sei wie ein böses Omen zu deuten auf hoher See, weil sie nicht existieren dürfte.
Ich rechnete im Kopf einen Moment zurück.
Wir waren jetzt schon einige Jahre mit ihr unterwegs und immer noch gab es diese Abergläubischen Menschen, die dachten sie sei eine Art Fatamorgana?
Unter welchem Stein hatte dieser van den Kieboom bitte geschlafen? Vielleicht sollte er besser wieder darunter kriechen und nie wieder erscheinen. Wieder einmal stand ich kopfschüttelnd über diesen Aufzeichnungen.

 

„Mi sol, alles in Ordnung?“ hörte ich Haytham hinter mir.
Etwas erschrocken drehte ich mich um und versuchte mein Grinsen etwas in den Griff zu bekommen.
„Es ist alles bestens. Aber dieser Aberglaube und diese Gottesfürchtigkeit hier ist für mich nicht so wirklich zu verstehen.“ ich erläuterte meinem Mann meinen Eindruck von dem was ich bisher gelesen hatte.
„Wenn ich ehrlich sein soll, dann muss ich gestehen, dass auch ich nicht ganz frei von diesem Hokuspokus bin. Du weißt wie klein unsere Weltanschauung ist im Vergleich zu deiner, weil ihr einfach mehr Einblick habt und …“ für einen kurzen Moment stockte er. „… ihr wisst einfach mehr und das macht eure Sicht-, Denk- und Glaubensweise wesentlich umfangreicher. Ihr seid, ich gebe es nicht gerne zu, besser aufgeklärt als ich zum Beispiel.“
Ich glaube, dass war das erste Mal, dass er das vor mir zugab. Ich mag mich auch irren, dennoch hatte er recht. Mein Blickwinkel auf die Geschichte unter anderem war ausgeprägter und tiefer als seiner.
„Jeden bekehren und eines besseren belehren kann ich aber leider immer noch nicht.“ gab ich schmunzelnd zu bedenken.

 

Wir arbeiteten die Schriftsätze noch durch um eventuell etwas über verborgene Passagen oder ähnliches zu erfahren, doch leider war auch das eine Sackgasse. Van den Kieboom war mehr als unerfahren, folgte lediglich dem Wort seines Vaters und wollte ihn rächen, wofür auch immer.
Dieses Buch was er suchte entpuppte sich, laut seiner ganzen Einträge als eine Art Almanach für die Seefahrt. Geschrieben über die Jahre von den erfahrensten Kapitänen der Welt.
Die Schriftzeichen die er beschrieb deuteten auf Runen hin und einige auf die alte arabische Schrift.
„Diese Barbaren haben eine absonderliche Schrift genutzt, welche mir unmöglich ist zu lesen. Niemand den ich gefragt habe, war im Stande eine Analyse abzugeben. Somit tappe ich immer noch im Dunkeln.“ las ich in seinen persönlichen Schriften.
Ein Buch mit Runen und anderen Schriftzeichen darauf?
„Haytham, was ist, wenn er das Voynik-Manuskript beschreibt? Was wenn er das Buch, was dein Vater gehütet hat damit meint?“ dieser Geistesblitz durchfuhr mich schier unerwartet.
Mein Mann sah mich für einen Moment fragend an, bis ihm ein Licht aufging.
„Das wäre sogar plausibel. WIR haben dieses Buch, suchen aber die Schatulle. Umgekehrt müssten sie also im Besitz dieser Box sein…“ Haytham verfiel ins Grübeln und wanderte auf und ab.

 

„Sie ist aber nicht hier, mi amor. Du weißt, das sie gerade wer-weiß-wo ist.“ seufzte ich und lehnte mich wieder über meinen Schreibtisch.
„Gerrie wird sie nicht haben, dass ist mir schon klar. Aber wir sollten ihn im Auge behalten.“ damit setzte er sich hin und begann einen Brief an den Orden in Übersee zu schreiben. Sie sollten Leute für die Observation unter anderem in den Niederlanden einsetzen.
Sein Gedankengang, dass wir so schneller an unser Ziel kommen könnten, war verständlich. Trotzdem musste ich Haytham erneut daran erinnern, dass wir den Lauf der Geschichte nicht ändern können. Shay WIRD die Schatulle in Frankreich an sich nehmen, ob wir es nun wollten oder nicht, spielte keine Rolle.
„Es ist so unendlich frustrierend, Alex.“ seiner Wut machte er mit der flachen Hand auf meinem Schreibtisch Luft. Wie gut ich ihn doch verstehen konnte.
„Aber wir sollten jetzt über die Truhe nachdenken! Sie ist immer noch dort unten und wer weiß wie zugeschüttet sie mittlerweile ist.“ das hätte ich jetzt besser nicht auch noch angebracht.
„Danke, das setzt meiner Wut noch die Krone auf!“ schnaubend sprang er auf und war schon auf Deck verschwunden ehe ich etwas sagen konnte.

 

Die Unterlagen verstaute ich sorgfältig in einer Tasche und schloss sie in meine Reisetruhe, ehe ich ebenfalls nach draußen ging.
Mein Mann gestikulierte wild mit einem der Besatzungsmitglieder, während Mr Hargreaves zähneknirschend an der Reling stand.
Für eine Millisekunde war ich versucht zu fragen, ob alles in Ordnung sei, besann mich dann aber eines besseren. Dieser Mann würde mir keine ehrliche Antwort geben, das gab dieses Jahrhundert einfach nicht her. Außerdem waren wir keine engen Busenfreunde, sondern er war mein erster Maat.
Im Grunde konnte ich mir zusammenreimen, was hier passiert war.
Haytham ging es nicht schnell genug mit der Ausführung seiner Anweisungen. So simpel ist das.
„Ich sagte, ihr sollt die Luftfässer schon einmal bereit machen, nicht sie schon hinunterlassen! Spreche ich etwa undeutlich oder seid ihr taub?“ rief er einem jungen Mann hinterher, welcher mit Seilen über der Schulter zum Bug eilte.
„Du kannst ihn doch nicht so anfahren …“ bevor ich jedoch noch weiter reden konnte, sah ich in wütend funkelnde graue Augen!
„Sag mir nicht, ich soll mich beruhigen! Alles geht irgendwie schief und wir sitzen hier immer noch wie auf dem Präsentierteller! Und was macht die Mannschaft? Sie lungern faul herum und … ach, was rege ich mich auf. Das Artefakt werden wir eh nicht mehr bekommen!“ damit drehte er sich schwungvoll um und marschierte ans Heck der Jackdaw, wo er sich an die Reling lehnte mit dem Kopf in den Händen.

 

Man könnte annehmen, dass ER schwanger sei, nicht ich! Solche Ausbrüche hatte ich nur selten erlebt und dieser hier war recht irrational meiner Meinung nach.
Aus gutem Grund ließ ich ihn alleine und widmete mich dem eigentlichen Tauchgang, welcher bereits in Vorbereitung war.
Dieser Sonnenstein ließ mich plötzlich nicht mehr los und ich verfiel ins Grübeln. Ein Wegweiser… Ein Zeichen wohin uns das Schicksal bringen könnte … ´Wenn du ihn siehst, weißt du was zu tun ist`
Seit Jahren höre ich solche und ähnliche Aussagen und weiß immer noch nicht, wohin mich das Ganze führen wird!

Kapitel 54

~~~ Ein zickiger Ehemann und eine Truhe ~~~

 

Die Ocean Princess hatte sich wieder in Bewegung gesetzt und verschwand langsam am Horizont.
Diese Begegnung war auf eine seltsame Art und Weise unnötig, zumindest fühlte es sich genauso an. Ein etwas ungutes Gefühl blieb trotzdem zurück in meinem Hinterkopf, so wie sich eine schlechte Vorahnung versteckt.
Der Tauchgang!
Tief durchatmend trat ich neben Mr Hargreaves.
„Wie weit sind die Vorbereitungen?“ ich war bedacht darauf ihn nicht auch noch unnötig zu verärgern, weil ich sah, wie er sich an der Reling festklammerte.
„Ihr könnt in einer halben Stunde wieder hinunter, wenn es dieses faule Pack endlich schafft die Seile zu entwirren.“ ich folgte seinem Blick.
In drei Beibooten hockten Matrosen die sich mit Unmengen an verknoteten Seilen herumschlugen.
„Wie kann so etwas denn passieren, Mr Hargreaves?“ ich wusste es wirklich nicht, weil doch eigentlich immer eine Führungsöse alles ordnete.
„Dadurch, dass diese vermaledeite Fregatte so nah war und zusätzlich noch dieser Kampf stattfand, lösten sich die meisten Metallringe und gefühlt die gesamte Vertauung folgte dem Wrack von Blackbeard! Ich kann von Glück reden, dass wir gute Taucher haben, die einige retten konnten. Wir haben nicht mehr sehr viel Material an Bord, Mistress Kenway.“ wenigstens verstand ich jetzt seine Verärgerung, Hilfe konnte ich leider nicht anbieten.
„Also habe ich noch genügend Zeit um mich umzuziehen.“ ich klopfte ihm auf die Schulter und ging zu meiner Kajüte.

 

„Mama, darf ich auch mal den Helm aufsetzen? Bitteeeeee!“ bettelte Edward plötzlich neben mir. Die ganze Zeit über war er still neben mir her gelaufen.
„Also schön.“ meine Geduld für Diskussionen war im Keller.
Wir gingen zu der Seilwinde, wo unsere Tauchmontur zum Anlegen bereit war.
Vorsichtig hievte ich den Helm über seinen Kopf und ließ ihn langsam runter.
„Uffffffff… der ist aber schwer.“ schnaufte mein Sohn und wankte gefährlich hin und her.
„Das muss er ja auch, er soll uns ja beim Tauchen nicht davon schwimmen.“ kicherte ich bei dem Anblick Edwards in dieser Aufmachung.
„Was macht ihr hier? Das ist kein Spielzeug, Edward!“ fauchte mein Gatte und nahm den Helm an sich.
Bei Odin!
„Ich habe nicht gespielt, Vater, ich wollte nur wissen, wie es sich darin anfühlt.“ man konnte förmlich sehen, wie er sich zusammenriss um nicht wütend zu werden. Er ging mit hochrotem Kopf an uns vorbei und unter Deck.
„Haytham, sag mir jetzt endlich warum du so zickig bist. Was ist dir über die Leber gelaufen?“ hakte ich etwas lauter nach!

 

„Wie würdest du es sagen? Die Gesamtsituation ist gerade nicht so, wie ich es mir wünsche! Erst dieser sinnlose Kampf mit diesem unfähigem Kapitän, dann dieser Saboteur der auch eine Null zu sein scheint und dann ganz zu schweigen davon, dass ich mal wieder wie ein Kleingeist in deinen Augen dastehe.“ diese Worte sprudelten geradezu aus seinem Mund, während meiner offen stand.
„Kleingeist? Ich verstehe nicht.“ ich drehte ihn zu mir, weil er sich auf die Reling stützte.
„Weil … Alex, ich muss mich immer an dir orientieren, weil du die Zukunft kennst. Ich habe gerade jetzt wieder das Gefühl, nichts bestimmen zu können, weil es an deiner Aussage hängt, mit der Schatulle als Beispiel. Und meine Wut an sich … ist eigentlich keine oder nur ein wenig. Es ist wieder diese Angst, dem Ganzen nicht gerecht werden zu können.“ sein Blick hing an meinem Bauch plötzlich.
Ich versuchte mein Bestes ihn zu beruhigen, indem ich ihm noch einmal umgekehrt klar machte, dass auch ICH mich oft nach ihm richten musste. Er war nun mal der Experte für mich in diesem Jahrhundert, auch mich frustrierte das sehr oft.
Vorsichtig griff ich seine Hand und legte sie auf meinen Bauch, dabei sah ich ihm direkt in die Augen.
„Und DAS ist unser Werk und wir werden das Kind schon schaukeln, im wahrsten Sinne des Wortes. Du bist ein großartiger Vater für Florence und Edward. Ich denke auch, dass Connor dich sehr schätzt. Die Angst kann ich dir nicht nehmen, weil auch ich ein wenig verunsichert bin. Bis jetzt konnten wir aber immer alles irgendwie deichseln.“ meine andere Hand strich über seine Wange und ich zog sein Gesicht zu mir herunter. Dieser Kuss sollte meine Aussage noch einmal unterstreichen.
„Ich glaube, du hast mich soeben wieder etwas auf den Boden der Tatsachen zurück geholt. Aber ein wenig intensivere Überzeugungsarbeit fehlt da noch…“ flüsterte er und küsste mich mehr als leidenschaftlich.

 

„Bahhhhhh…“ hörte ich Florence helle Stimme neben uns.
„Das machen sie ständig, Flo. Gewöhn dich dran.“ Edward schien wieder besserer Laune zu sein.
„Stimmt das Mama, dass ihr mich immer lieb haben werdet? Auch wenn wir noch einen Bruder bekommen? Ich werde dann nicht weggeschickt?“ wenn ich jetzt sage, dass die Angst hier auf diesem Schiff derzeit um sich griff, trifft es das ganz gut. Jeder schien sich hier vor etwas zu fürchten.
„Min lille engel, wir werden immer für dich da sein und niemand schickt dich weg. Wir haben dich doch lieb und wollen, dass du bei uns bist.“ kniend hielt ihr kleines Tränenüberströmtes Gesicht in meinen Händen.
„Dann ist ja gut.“ flüsterte sie und schmiegte sich an mich. Ich sah zu Haytham auf, welcher sanft lächelte und sich neben uns kniete.
Ein kleiner Moment für uns als Familie und irgendwie kamen wir alle etwas zur Ruhe.

 

Dieser Moment währte allerdings nicht lange.
„Master Kenway, wir wären für den nächsten Tauchgang dann soweit!“ rief einer unserer Männer und hielt auf uns zu. „Ich wollte eigentlich nicht stören, aber wir haben schon späten Mittag. Die Lichtverhältnisse könnten schnell schlechter werden.“ mit einer Verbeugung ging er wieder zur Taucherglocke.
„Dann wollen wir mal.“ seufzend erhob sich mein Templer.
Sophia und Sybill folgten uns gemeinsam mit den Kindern. In diesem Moment fiel mir ein, dass ich mich noch nicht umgezogen hatte und ging zurück in meine Kajüte.
Fertig für unser nächstes Abenteuer in den Tiefen eilte ich wieder zu meiner Familie.
Jetzt wurden die Luftfässer zu Wasser gelassen und Haytham zog den Anzug an, ehe man ihm bei dem Helm half. Dieses mal war ich es, die den zweiten Part übernehme sollte.
Die Glocke wurde ebenfalls in Position gebracht und langsam herunter gelassen. Nach einer herzlichen Verabschiedung an unsere Kinder, hielt ich mich, wie mein Mann auch, an an der Kette fest und wir ließen uns nach unten ziehen.
Ich war froh, als ich wieder Luft holen konnte. Es waren keine 10 Minuten, aber unheimlich in diesem trüben Wasser hinunter zu gleiten.

 

Haytham signalisierte mir, er würde gleich weiter tauchen und ich drang in seinen Geist. Meine Neugierde war dann doch zu groß.

 

Zuerst war nicht einmal mehr das Wrack wirklich auszumachen, doch dann tauchten die Umrisse auf und so fand er schnell die Orientierung wieder.
Die Truhe war deutlich auszumachen, aber wie wir bereits vermutet hatten, völlig verschüttet und bedeckt mit allerlei Holzteilen und Sand.
Vorsichtig tastet sich Haytham durch diesen Schmodder, bis er auf einen Widerstand traf. Es war nicht alles morsch, einige Teile waren dem Anschein nach noch gut in Takt. Diese Bretter hatten sich allerdings ungünstig verkeilt und ließen sich nicht so einfach bewegen. Die anderen Taucher bei mir eilten zur Hilfe und hatten auch schon vorsorglich Taue am Manne.
Immer wieder wirbelte feiner Sand auf, wenn man etwas beiseite schob und verdeckte die Sicht. Odin sei Dank konnten wir uns auch mit unserer Fähigkeit fast blind voranbewegen.

 

Dann endlich signalisierte mein Mann einem Herren, dass er fündig geworden sei. Gemeinsam versuchten sie das Gebilde jetzt aus diesem kleinen, ich nenne es mal Fach heraus zu bugsieren. Im Freien band man die Seile wie bei einem Paket drumherum und ich betete zu allen Göttern, dass es dieses mal klappte.
Unsere Begleiter kamen kurz in meinen Unterschlupf, schnappte hektisch nach Luft.
„Mistress Kenway, jetzt heißt es Daumen drücken! Ich werde hoch schwimmen und den Befehl zum hochziehen geben.“ nickend verschwand dieser Mann wieder im Wasser, während die anderen beiden noch ein paar mal ihre Lungen befüllten und dann zu meinem Mann schwammen.
Mi sol, es klappt. Ich konnte keine Erschütterungen oder irgendwelche Turbulenzen ausmachen. Er klang euphorisch und gar nicht mehr zickig. Dieses Erfolgserlebnis beflügelte meinen Gatten und mich natürlich auch.
Du kannst dir nicht vorstellen, wie gespannt ich bin, was wir im Inneren wirklich finden werden. Mein Herz schlug nervös in meiner Brust und mein Atem ging etwas hektisch vor Aufregung.

 

Mit Haythams Augen sah ich, wie sich das Seil plötzlich spannte und die Truhe sich schwebend in Bewegung setzte.
Ich konnte es nicht abwarten und schwamm ihnen entgegen, sie waren nur wenige Meter von mir entfernt.
Bevor mein Mann mich jedoch belehren konnte, ich solle auf mich achten weil ich schwanger sei, kam ich ihm zuvor.
Es ist nur ein kurzes Hinaufschwimmen. Das habe ich jetzt schon des öfteren gemacht. Keine Sorge.
Ein Kopfschütteln war alles was ich bekam
Je näher wir der Wasseroberfläche kamen, desto heller funkelte das Gebilde in den Seilen. Meine Hand berührte eines der Scharniere und ich spürte ein warmes Kribbeln auf der Haut. Kein Isuwerk! Erleichtert konnte ich aufatmen.

 

Als alles an Deck meines Schiffes war, lehnte ich mich etwas erschöpft aufgrund des Sauerstoffmangels an die Reling und atmete die frische Luft ein.
Wie aus dem Nichts spürte ich eine Art Flimmern in meinem Bauch, so als würden sich dort zig kleine Bläschen bewegen. Grinsend hielt ich meine Hand darauf.
„Ich wusste doch, dass es zu viel für dich sein wird.“ hörte ich Haytham vorwurfsvoll neben mir.
„Nein, es tut nichts weh. Es … kribbelt angenehm.“ ich musste leise kichern, weil ich ehrlich gesagt auch etwas erleichtert war.

 

Die Beute stand nun in unserer Mitte und die gesamte Mannschaft hatte sich versammelt und bestaunte sie.
Wie wir vermutet hatten bestand sie aus Metall, welches erschloss sich mir nicht. Kein Rost oder irgendwelche Korrosion war auszumachen. Sie sah wie neu aus! Fasziniert strich wieder über die Oberfläche und dabei hinterließ ich eine leuchtende Spur auf dem Material.
Die Schlösser waren ebenso in Takt, doch ich sah schon, dass wir noch eine Menge Arbeit damit hätten.
Also dann mal ran ans Werk!

 

Kapitel 55

~~~ Schlösserknacken für Fortgeschrittene ~~~

 

Nachdem ich mich umgezogen hatte, brachte man die Kiste in meine Kajüte. Auf dem Kartentisch, welcher sich leicht unter diesem Gewicht bog, besah ich mir das gute Stück genauer.
Sechs Schlösser galt es zu knacken. Eines war offensichtlich mit einem einfachen Schlüssel zu öffnen, bei einem anderen war eine komische Form zu sehen und ich fragte mich, woher ich das passende Werkzeug bekommen sollte. Wieder ein anderes bestand nur aus einem Schlitz.
Alles in allem mussten wir sie irgendwie bearbeiten.
Der ehemalige Besitzer hatte sich seit geraumer Zeit nicht mehr hier blicken lassen. Gerade jetzt wäre es aber von Vorteil, stünde er uns zur Seite. Vermutlich wäre er genau der richtige Ansprechpartner für unser Vorhaben.
Mein Schwiegervater zuckte entschuldigend mit den Schultern, als ich ihn bat seinen alten Freund um Hilfe zu bitten.

 

Die Oberfläche schimmerte im Licht des kleinen Leuchters über ihr und brachte uns genügend Licht.
Meine Hände tasteten die Truhe wie in einem Raster ab. Der Deckel wies jedoch keine Geheimverstecke auf, leider.
Auf der linken Seite jedoch spürte ich einen leichten Widerstand wenn ich eine der Nieten drückte. Etwas fester und ein kleines Fach klappte auf. Darin befand sich bereits beschriebener einfache Schlüssel.
„Hey, Nummer eins hätten wir schon mal.“ frohlockte ich und steckte ihn in seine vorgesehen Öffnung. Ein befriedigendes Klicken war zu hören.
„Und jetzt suchen wir Nummer zwei.“ grinste Haytham und begutachtete auch noch einmal alle Seiten.

 

„Mama, schau mal. Da ist ein kleiner Ring am Deckel.“ machte mich Florence auf dieses Merkmal aufmerksam. Ich hob sie hoch, damit sie ihn bewegen konnte. Sie hatte ihn schließlich entdeckt.
Wieder hörten wir einen Mechanismus klicken und auf dem Deckel öffnete sich ebenfalls ein Teil des Metalls. Darunter befand sich welliger dicker Draht.
„Passt der wohl in diesen kleinen Schlitz dort?“ bevor ich jedoch selber testen konnte, übernahm meine Tochter diesen Part.
Langsam schob sie das Gebilde hinein und man hörte immer wieder wie sich Scharniere im Inneren bewegten. Ein etwas lauteres KLACK deutete an, dass auch dieses Schloss frei war.
„Und jetzt?“ etwas ratlos sah ich von einem zum anderen.
„Alex, wie wäre es, wenn du mal deine Fähigkeiten nutzen würdest, die dir gegeben wurden.“ Edward Senior stand mit verschränkten Armen und hochgezogener Augenbraue am Tisch.
„Den Blick nutzen? Was soll das ….“ natürlich!

 

Mit neuem Elan betrachtete ich Blackbeards Eigentum mit meinem Adlerblick. Plötzlich taten es mir alle gleich und einer nach dem anderen rief, dass sie etwas gefunden hatte. Warum waren wir eigentlich nicht schon früher darauf gekommen?
Edward Junior drehte einen der kleinen Haltegriffe an der Truhenseite und öffnete damit wieder ein Fach darunter, worin sich ein klobiger Metallstift befand.
Ich hatte so etwas ähnliches bereits gesehen! Diese formbaren Schlüssel von Idun zum Beispiel als wir noch gar nicht wussten, was alles auf uns zukommt. Sie hatten damit die Artefakttruhen geöffnet.
Ich ließ unseren Sohn damit herum experimentieren. Immer wieder hielt er ihn an das entsprechende Schloss um die Lage der Stifte zu kontrollieren. Nach einigen Fehlversuchen rutschte der Schlüssel ohne Probleme hinein und ließ sich drehen! Das befriedigende Klacken war wieder zu hören.

 

Auf zu Nummer 4!
„Ich sehe einen Mechanismus in der darunter liegenden Schicht. Aber wo oder wie sollen wir ihn bewegen können.“ Haytham betrachtete jeden Millimeter der Truhe genau. Plötzlich stutzte er und kippte sie etwas. Auf der Unterseite war eine Lochscheibe versteckt hinter einem kleinen Gitter.
Damit hatten wir weniger ein Problem, wir konnten es mit wenigen Handgriffen zur Seite schieben. Diese Scheibe war aber fest montiert. Ich würde sagen es waren Nieten!
Etwas frustriert überlegte ich, wie wir die am besten losbekommen könnten, als mein Mann erneut ein freudiges „Hah!“ ausstieß und den Zirkel, welchen wir zur Entfernungsbestimmung immer nutzten, an sich nahm.
Seine Spitze passte in diese winzige Öffnung auf diesen Nieten und ließ sie zur Seite kippen.
Mit dem Inhalt konnten wir bei genauerem Betrachten aber erst einmal nichts anfangen. Der Durchmesser war ungefähr 10 Zentimeter, keines der Schlösser war so groß!
„Gib mir das Ding mal.“ bat mein Schwiegervater grübelnd und betrachtete die Rückseite gerade. Ich stellte mich neben ihn und tatsächlich! Dort war ein Bild zu sehen, welches aus kleinen Metallhalbkugeln bestand. Mit Bedacht legte er die Platte drauf und drückte sie an. Die Löcher ließen die Fake-Kugeln offen, wohingegen der Rest den Mechanismus für das 4. Schloss darstellten!
KLACK! Dieses Geräusch beflügelte uns vermutlich gerade alle! Wir waren fast am Ziel.

 

Noch ZWEI Schlösser!
„Ich glaube, ich kann euch sicherlich behilflich sein.“ die dunkle Stimme Blackbeards ertönte hinter meinem Schwiegervater und er trat grinsend vor.
„Ihr gebt euch die Ehre um uns zu helfen, ich bin erfreut.“ in Haythams Stimme klang der pure Sarkasmus mit, was er blitzschnell auch bereute.
„Jungchen, ich kann auch einfach wieder verschwinden…“ Seine Silhouette flimmerte kurz auf.
„Verzeiht, so war es nicht gemeint.“ schmollend stand mein Mann am Tisch und sah zu seinem Vater.
„Das klingt schon besser, mein Sohn!“ zwinkernd sah er zu seinem Enkel.
Etwas ungeduldig wartete ich darauf, dass nun etwas passierte.
Edward Thatch sah sich in der Kajüte um, öffnete hier und da einen der Schränke, ging dann zum Schreibtisch und öffnete die Schubladen. Stirnrunzelnd besah er sich deren Inhalt.
„Was für eine Unordnung. Kenway, wo hast du mein Messer gelassen?“ fragte er, während er in meinen Habseligkeiten weiter wühlte.
„Oh, das habe ich hier unter dem Kartentisch in einem Hohlraum versteckt.“
Warum wusste ich nichts davon? Wir hatten die Jackdaw damals komplett auf Links gezogen, alles war sprichwörtlich auseinander genommen worden!
„Wer redet denn von dieser Zeit, Alex. Ich hatte genügend Zeit es hier zu platzieren, seit du wieder hier bist.“ dieses Grinsen!

 

Nun gut, mein Schwiegervater griff unter den Tisch und beförderte in sekundenschnelle ein kleines Messer hervor. Als er es aus der Scheide zog, offenbarte es seine wahre Form. Es war wie ein Wellenschliff. Sehr kunstvoll muss ich sagen und vermutlich auch sehr scharf und tödlich, wenn man denn wollte.
„Ein wunderschönes Messer!“ entwich es begeistert Anne!
Als es in seinem entsprechenden Platz steckte, ließ es sich ganz leicht einführen und wir alle hörten diesen Wohlklang von sich zur Seite schiebenden Stiften.

 

Mittlerweile zitterte ich am ganzen Körper, weil ich es kaum noch abwarten konnte!
Nur noch EINES!
„Alex, komm zu dir!“ hörte ich die Stimme Haythams wie durch einen Nebel. Eine Hand tätschelte meine Wange und ein kühles Tuch berührte meine Stirn.
Erschrocken fuhr ich hoch!
„Was ist passiert?“
„Du bist plötzlich ganz blass geworden und bist einfach hintenüber gekippt.“ mein Mann war nicht ohne Grund besorgt, denn ich konnte mich nicht erinnern.
„Mama, geht es dir wieder gut?“ kam es wie aus einem Mund von Edward und Florence.
„Ähm, ja. Ich denke schon. Aber ihr habt nicht ohne mich weiter gemacht oder?“
Bei diesen Worten sah ich Haytham mit den Augen rollen mit Blick auf seinen Vater. Auch dieser schüttelte den Kopf, so als wolle er sagen: Typisch deine Frau!
Vorsichtig stand ich auf, ich wollte nichts verpassen!
Anne reichte mir schmunzelnd ein Glas Wasser und half mir dabei, mein Gleichgewicht zu halten.
„Danke.“ flüsterte ich und genoss die kühle Flüssigkeit in meiner Kehle.

 

Jetzt aber zurück zum Thema! Das letzte Schloss!
Erneut ließen wir unsere Blicke über diese Truhe gleiten und sahen ein paar kleine Zahnräder dicht unter der Oberfläche. Erst bei genauerer Analyse war ersichtlich, dass die daneben liegenden AUF der Oberfläche montierten Nieten dazu dienten, das Innenleben zu steuern.
Wir mussten im Grunde nur den Weg für die Zahnräder frei machen. Leichter gesagt als getan.
Wenn wir die linke Seite verschoben, dann reagierten gleich zwei der Räder, wenn wir aber die rechte Seite anfassten, dann drehte sich eine Stange in die andere Richtung und blockierte wieder alles.
Linke Seite zweimal betätigen, rechte Seite einmal. Das war schon mal näher dran. Dann noch einmal links nur einmal, rechts zweimal schieben. Nein, so begab sich alles wieder in Ausgangsposition! Mist!
Es gab kein wirklich erkennbares Muster oder ich übersah es, was ja vorkommen kann.
Nach einigen Anläufen und dem endgültigen Verschiebeschema hörten wir ein letztes lautes Knirschen und kurz darauf ruckte der Deckel etwas nach oben. Seichtes Leuchten drang aus dem Inneren heraus.

 

Ehrfürchtig standen wir alle um den Tisch. Keiner traute sich, sich zu bewegen.
„Jemand sollte sie vielleicht aufmachen, oder wollt ihr gar nicht mehr wissen, was darin ist?“ Thatch war mitunter etwas seltsam. Trotzdem hatte er Recht.
Aus einem Impuls heraus, bat ich ihn sie zu öffnen. Schließlich war es sein Eigentum.
„Wie ihr wünscht, Miss Fred…. Mistress Kenway.“ aber auch er war vorsichtig und nur langsam hob er den Deckel an.
Ein unfassbar helles Leuchten breitete sich aus und umhüllte uns. Erkennen konnte man dadurch leider nicht, was genau dort lagerte.
Blackbeard griff beherzt hinein und hielt kurz darauf einen Lederbeutel in der Hand.
„Ich kann den Stein nicht an mich nehmen. Ihr müsst das tun.“ damit reichte er ihn mir und ging ein wenig von mir weg.
Jetzt war ich verunsichert.
„Master Thatch! Was passiert mit mir, wenn ich hineingreife? Ihr seht aus, als hättet ihr selber Angst.“ äußerte ich meine Sorge!
Sein Zögern bei der Antwort war nicht sehr förderlich, eher im Gegenteil.
Seine Antwort war allerdings nicht das, was ich hören wollte!

 

 

Kapitel 56

~~~ Der Sonnenstein – der Wegweiser ~~~

 

„Als ich dieses Artefakt entdeckte, flüsterte mir eine Stimme zu, dass wenn ich ihn ein weiteres Mal berühren würde, den endgültigen Tod finden würde. Nichts könnte mich dann noch zurückholen. Meine Seele sei verloren!“ dabei sah er zu Edward, welcher etwas traurig seinem alten Freund zuhörte.
„Du meinst, du … verschwindest dann … für immer? Dir wird es nie wieder möglich sein…“ mein Schwiegervater sprach nicht weiter und wir alle wussten, worauf er anspielte.
Blackbeard würde so die Möglichkeit genommen, sich zu manifestieren. Auch wenn er es sicherlich nicht als tägliches Hobby getan hätte, dennoch war es ein Verlust für ihn. Vielleicht war auch der Gedanke nicht so leicht zu ertragen, dass er SICH verlor und seine Erinnerungen und alles drum herum. Ein Gedanke, der auch mich verunsichern würde, gebe ich zu.
„Das kann ich verstehen, dann lasst mich einen Blick darauf werfen.“ in seinem Blick lag Dankbarkeit, weswegen ich kein schlechtes Gewissen hatte, als ich meine Finger in den Beutel steckte und diesen warmen Gegenstand erfühlte.
Langsam zog ich ihn heraus und hielt eine Art Bergkristall in meiner Hand. Nicht gleichmäßig rund wie eine Kugel, aber er lag angenehm in meiner Hand.

 

Vor meinem inneren Auge taten sich plötzlich Karten auf, Wege zeigten sich, die Sonne war auszumachen, die die Richtung anzeigte. Ich hielt den Wikinger-Kompass in Händen! Ein Relikt aus Zeiten meiner Vorfahren mit dessen Hilfe Nordamerika, Grönland und einiges mehr bereist worden ist und noch bereist werden wird!
Doch dieser Stein offenbarte noch mehr, er zeigte lebendige Bilder von Küstenabschnitten, Stränden und Häfen!
Fasziniert betrachtete ich diese Illusion und kam aus dem Staunen nicht wieder heraus.
„Das ist ja unglaublich.“ flüsterte Anne neben meinem Schwiegervater und sah in meine Richtung, gerade als sich mein Blick langsam klärte.
„Ihr habt es auch gesehen?“ alle um den Tisch herum nickten schweigend. In ihren Gesichtern sah man diese Verblüffung des gerade gesehenen.
Thatch trat vor und griff erneut in die Truhe.
„Es gibt noch mehr, Mistress Kenway!“ damit reichte er mir ein reich verziertes Buch. Auf dem Deckel sah ich Runen und darunter arabische Schrift!
„Ihr hattet es die ganze Zeit unter Verschluss?“ ich wusste nicht, ob ich sauer sein sollte, mich freuen oder einfach nur dankbar sein sollte.
„Ich konnte diesem Grünschnabel doch nicht mein Werk überlassen! Er würde nichts damit anfangen können.“ ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht!
„Nein, natürlich nicht.“ erwiderte ich ebenfalls grinsend und schlug dieses Buch auf.

 

„WOW“ entwich es mir lautstark!
„Lass mich auch sehen!“ Haytham schob sich an meine Seite und wollte schon danach greifen, als ich ihm auf die Finger schlug.
„Das ist einfach zu unglaublich, als dass ich es je wieder aus den Händen legen werde.“
Lasst mich erklären!
Ich schlug das Buch auf und der Inhalt der Seite formte sich vor meinen Augen. Eine Art Einleitung erschien und erklärte, wie ich den Stein nutzen sollte.
Blätterte ich weiter, erschienen immer wieder neue Einträge, einige Seiten blieben noch leer.
„Das Buch der Seefahrer!“ hörte ich meinen Schwiegervater ehrfürchtig sagen.
Ich verstand nicht, was er meinen könnte.
„Alex, du gehörst zu denjenigen, die es weiterschreiben und immer neues hinzufügen. Nicht jedem ist dieses Werk zugänglich, nicht jeder kann es nutzen. Du und Haytham seid es, die es für eure Kinder und die Nachwelt verfassen werden. Ihr könnt damit einen Wegweiser erstellen für die nachfolgenden Generationen.“ Seine Stimme hallte in meinem Kopf wieder, ich sah, wie alle um mich herum ihre Faszination kaum bändigen konnten!
Thatch trat erneut neben mich, führte meine Hand zu einem Lesezeichen und ich schlug diese Seite auf.
Vor mir erschien einer seiner Einträge, kurz vor seinem Ableben mitsamt der entsprechenden Seekarte.
Seine Hand legte sich auf die Seite um mir die Sicht zu versperren.
„Es ist mein letzter Bericht und daher nicht nötig, dass ihr ihn vorlest!“

 

Ich werde auch jetzt nicht diese Zeilen wiedergeben, weil es mir Tränen in die Augen treiben würde. Soviel sei gesagt, Edward Thatch honorierte seine treuen Männer, ließ sein altes Leben noch einmal Revue passieren und … bereute nichts! Seine Krankheit würde ihn ohnehin dahinraffen und damit ließ er dieses kleine Journal enden.
Langsam ließ ich das Buch sinken und nahm noch einmal den Sonnenstein in die Hand.
„Wohin sollen wir jetzt als nächstes?“ fragte ich mehr rhetorisch die Umstehenden.
Ein kleiner Blitz schoss daraus hervor und brannte ein kleines Loch in die Seekarte vor uns auf dem Tisch.
Was soll ich sagen?
Wir würden wohl als nächstes Great Inagua ansteuern!
„Eine gute Entscheidung!“ lachte mein Schwiegervater neben Blackbeard, welcher ebenso ein breites Grinsen im Gesicht hatte.
Edward Junior meldete sich fast brüllend zu Wort, so aufgeregt war er plötzlich.
„Wir segeln zu dieser Pirateninsel von Großvater? Ich sehe endlich echte Piraten?“ er freute sich riesig, erntete aber eine etwas enttäuscht hochgezogene Augenbraue seines Namensgebers.
„Und was bin ich dann in deinen Augen, junger Mann?“
„Großvater, du bist … also… ich meine doch die Piraten aus dem Buch, was Vater mir ab und an vorgelesen hat.“ seine Verlegenheit konnte er nicht verbergen und in seine Wangen stieg eine unfassbar tiefe Schamesröte.
„Schon gut, Edward. Ich weiß doch, was du gemeint hast. Komm her, ich kann dir ja mit Blackbeard schon jetzt ein paar Geschichten erzählen. Aber sag es nicht deiner Mutter. Hörst du?“ die drei gingen langsam aus meiner Kajüte, doch ich hatte noch jedes Wort gehört.

 

„Darf ich nicht mitkommen?“ weinte Florence jetzt zwischen mir und Haytham. Ich sah ihn hilfesuchend an, weil ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte.
„Doch, ich denke du wirst uns genauso auf der Reise begleiten, mein Engel.“ er hob sie auf seinen Arm und wir besahen uns gemeinsam dieses seltsame Buch noch eine Weile.
Annes Stimme riss mich aus meinen Gedanken, an sie hatte ich gar nicht mehr gedacht.
„Das ist schon in Ordnung, ich bin selber mehr als überwältigt von diesem Fund. Ich hätte damals vermutlich mein Leben für diese Artefakte gegeben. Ich wusste nicht einmal, dass es solch magische Dinge gibt.“ staunend besah sie sich weiter die Truhe, das Buch, den Stein und MICH!
„Ihr ward damals schon anders, ich hätte wissen müssen, dass ihr etwas verbergt. Versteht mich nicht falsch, es ist nicht böse gemeint. Ich fand es nur faszinierend, als ihr wie aus dem Himmel gefallen plötzlich im Old Avery auf dem Boden landetet. Dieses Wasser durch welches ihr kamt, war sonderlich. Fragt mich nicht, warum ich es nicht weiter hinterfragte. Mir fehlte die Zeit leider und mein Leben nahm ja auch kurz darauf eine ganz andere Wendung.“ begann sie zu berichten.
Sie hatte mich etwas beobachtet, fand aber nichts wirklich gefährliches oder absonderliches an mir. Lediglich mein seltsamer Akzent, den sie nicht zuordnen konnte, kam ihr seltsam vor. Im Grunde verblasste dieses Ereignis irgendwann.
„Euch hier erneut zu treffen, war im ersten Moment ein Schock. Edward hatte es sicherlich versucht zu erklären damals, aber seien wir ehrlich, ich konnte es kaum glauben.“

 

Im Grunde versuchte ich dieser Frau nun meine Geschichte etwas zu erklären, während Haytham einiges anmerkte und eigene Erfahrungen beitrug.
Irgendwann wurde es jedoch Florence zu langweilig und mein Templer ging mit ihr hinaus.
Annes Stimme schlug um, als sie mich fragte, ob ich je über gemeinsame Kinder mit Edward nachgedacht hätte.
Konnte ich es mit ruhigem Gewissen verneinen? Auf keinen Fall! Dieser Gedanke war mir damals gekommen.
„Wisst ihr, Alex, Marys Sohn würde ich zu gerne einmal kennenlernen. Leider wissen wir nicht, was aus ihm geworden ist.“ ich sah, dass sie hoffte, ich könnte weiterhelfen.
„Es tut mir leid, aber auch ich weiß nicht, wo wir da ansetzen müssten. Außerdem wird man ihm nicht erzählt haben, wer sein Vater ist. Das kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht ist es auch besser so.“ War es das? Hatte nicht jedes Kind ein Recht darauf zu erfahren, wer seine Eltern waren? Ich musste aber auch wieder das Jahrhundert bedenken, nur sehr wenige Menschen waren so eingestellt oder dachten so.
„Haytham sieht seinem Vater nicht wirklich ähnlich, ich denke er hat mehr von seiner Mutter geerbt, nicht wahr?“ Ein etwas seltsamer Themenwechsel.
Natürlich hatte er das, es war offensichtlich. Diese besonnene, meist ruhige Art kam von Tessa. Aber mein Mann konnte auch ins genaue Gegenteil umschlagen, wo dann Edward durchschlug.
Und dann war da noch unser Sohn, welcher stark nach seinem Großvater schlug. Ein wenig Stolz ließ meine Brust schwellen bei diesem Gedanken. Er hatte Durchsetzungsvermögen, war zielstrebig und wissbegierig. Leider warfen seine Gene auch Schattenseiten, wie zum Beispiel unkontrollierte Wutausbrüche, eine gewisse Ignoranz bezüglich seiner Aufgaben oder ähnlichem. Ja, das waren die Gene väterlicherseits.

 

Plötzlich beförderte Anne eine kleine Lederbörse aus ihrer Rocktasche ans Licht und reichte sie mir.
„Das ist eine kleine Karte einer Insel in der Nähe von Tulum. Rackham, einige Besatzungsmitglieder und ich, haben dort ein paar Dinge vergraben. Ich werde nie dorthin reisen um sie zu bergen. Nehmt meinen Sohn mit und überlasst ihm meinen Anteil.“ in ihren Augen glitzerten Tränen bei diesen Worten.
„Wenn es euer Wunsch ist, werde ich das natürlich machen. Aber ihr könntet uns doch begleiten. Das ist doch nur eine Frage der Organisation und Planung…“ mir wurde mit einem Wisch über den Mund gefahren.
„Ich bin nicht mehr die Jüngste und mich plagen einige Leiden. Edward sprach immer sehr wohlwollend von euch, deswegen sollt ihr meinen Sohn dorthin begleiten, weil ich denke, ich kann euch vertrauen. Wann immer ihr bereit seid.“
Ich muss ziemlich dämlich aus der Wäsche geschaut haben, da Anne mich plötzlich leicht schüttelte.
„Habt ihr mir zugehört?“ hakte sie nach.
„Ja, … natürlich habe ich das. Ich verspreche, dass ich euren Wunsch erfüllen werde. Versprecht mir aber auch, dass ich euch eure Beute überreichen kann.“ das war mein voller Ernst.
„Klopft an meine Tür und ich werde euch öffnen.“ lächelnd hielt sie meine Hand. In diesem Moment konnte ich in ihren Geist dringen, in ihren Augen sah ich, dass sie genau DAS wollte. Ihre Zeit war gekommen! Ein Schlussstrich sollte es sein.
„Dann sei es so.“ flüsterte ich mit Tränen in den Augen.

 

 

Kapitel 57

~~~ Die Plantage hat uns wieder ~~~

 

Kurz darauf machten wir uns auf den Weg zurück nach Charleston, von dort sollte es möglichst zeitnah auch wieder nach Hause gehen.
Den Sonnenstein führte ich immer bei mir in dem kleinen Lederbeutel, der jetzt an meiner Kleidung befestigt war. Ein faszinierender Gegenstand, dessen Geheimnisse ich noch ergründen werde.
„Great Inagua! Ich kann es kaum erwarten, Mistress Kenway.“ Mr Hargreaves war wegen der bald anstehenden Reise ganz aufgeregt. Ich muss gestehen, mir ging es nicht anders.
„Vielleicht wäre es ja sogar Connor möglich uns zu begleiten.“ dachte ich laut nach und erntete die Zustimmung meines ersten Maats.
„Ein zweites Schiff kann nie schaden.“ dabei sah er lächelnd in Richtung der untergehenden Sonne.
Ich ging derweil zu meiner Familie um auch ihnen meine Idee kundzutun.
„Sobald wir daheim sind, werde ich ihm eine Nachricht schicken.“ in Haythams Gesicht lag ein seliges Leuchten. Für ihn war es ein Familienausflug. Es klingt etwas lapidar, aber ich weiß nicht recht wie ich es anders nennen soll.
Und wer weiß, was uns auf der Insel noch alles erwarten wird.

 

Zwei Tage später erreichten wir den Hafen von Charleston und verabschiedeten uns von Anne. Ich versprach ihr noch einmal, dass ich mich sobald es möglich war, mit William gemeinsam nach dieser anderen Insel suchen werde um ihre Beute zu bergen.
„Ich danke euch.“ mit einem warmen Lächeln drehte sie sich um und ging zur wartenden Kutsche, wo ihr Sohn schon auf sie wartete.
Erst jetzt wurde mir bewusst, dass es noch eine Weile dauern könnte, bis ich dorthin segeln könnte. Die Schwangerschaft machte mir eigentlich einen kleinen Strich durch die Rechnung! Hoffentlich würde ich nicht wieder unter diesen Übelkeitsattacken leiden.
Tief durchatmend ging ich wieder auf mein Schiff und wir setzten Segel.
Ich vermisste mein eigenes Bett und unser Zuhause wieder zusehends.
„Die Insel von der sie sprach war damals noch völlig unbewohnt. Hoffen wir, dass sich das nicht geändert hat in den letzten Jahren.“ gab Edward Senior zu bedenken. Auch ich hatte darüber schon nachgedacht.
„Was, wenn jemand die Stelle bereits gefunden hat und alles an sich genommen hat? Anne wäre sicherlich enttäuscht.“ seufzte ich leise und besah mir diese kleine Karte noch einmal. Sehr groß war das Eiland nicht, da stellte sich die Frage, ob es überhaupt jemanden dorthin zog. Wir würden es jedoch erst herausfinden, wenn wir direkt vor Ort waren.

 

Die nächsten Tage vergingen Odin sei Dank zügig und die Anlegestelle unserer Plantage war auszumachen.
Mit Erstaunen sahen wir, dass bereits ein weiteres Schiff dort ankerte. Die Aquila! Mein Blick ging zu Haytham, welcher ebenso stirnrunzelnd da stand.
„Es wird doch wohl nichts passiert sein?“ mir schnürte es etwas die Kehle zu, weil ich gerade nicht die geschichtlichen Daten der Revolution im Kopf hatte und Angst bekam, dass wir etwas vergessen haben könnten.
Das Schiff hatte aber erst vor kurzem angelegt. Connor war mit Mr Faulkner dabei alle Taue zu sichern. Von weitem hatte ich sie erst gar nicht bemerkt. Etwas erleichtert atmete ich auf, als die beiden uns bemerkten und zuwinkten.

 

Meine Brig nahm den Platz daneben ein und auch wir konnten endlich von Bord.
„Vater, ich hatte mich schon gewundert wo die Jackdaw war. Wir wollten schon umkehren.“ rief Haythams großer Sohn während er mit einem Reisesack auf der Schulter in unsere Richtung marschierte.
„Dann hattest du ja die richtig Intuition, mein Sohn. Es ist gut, dich gesund zu sehen. Mr Faulkner.“ er verbeugte sich vor dem Herren und nahm dann seinen Sohn in den Arm.
Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zum Herrenhaus.
Nach den ganzen Tagen freute ich mich auf ein warmes Bad am Abend. Ganz abgesehen von einem guten Essen.
„Es ist auch schön, dass es euch allen gut geht. Wohin hatte es euch verschlagen?“ fragte Connor nach, als wir in der Kutsche saßen.
In kurzen Sätzen erklärte mein Templer ihm unsere kleine Reise, der Rest würde dann später folgen.
„Ich würde zu gerne einmal nach Great Inagua.“ wir alle wollten vermutlich gerne einmal dorthin.

 

Edward Junior wurde, kaum dass er aus der Kutsche gestiegen war, von ein paar Jungs stürmisch begrüßt.
Ich nahm nur ein paar Wortfetzen auf, wo es um eine Steinschleuder und irgendeine Schlange ging, ehe sie beim Pferdestall verschwunden waren.
Sollte ich mir Sorgen machen? Nein, ich würde mich nicht mehr wie eine Glucke benehmen.
Florence hingegen war traurig, dass sie jetzt hier alleine war und bat energisch bei ihrem Vater auf den Arm zu dürfen. Wie programmiert nahm er sie hoch und ging weiter ins Haus, während er angeregt mit Mr Faulkner über die neuesten Aktivitäten auf See sprach.

 

Jetzt war ich es, die sich etwas über fühlte. Für einen winzigen Moment wollte ich schon wütend darauf reagiere, bis mir einfiel, dass ich einfach diese Zeit nutzen sollte. Für MICH!
Magda wusch mich kurz und ich konnte mir saubere Kleidung anziehen. Anschließend ging ich in mein Arbeitszimmer und begann unsere Ausbeute auf dem großen Tisch im Raum auszubreiten.
Meine Hand befühlte den Lederbeutel an meiner Gürtelschlaufe und ein beruhigendes Gefühl breitete sich in mir aus.
Ich nahm mir mein Notizbuch und begann kleine Stichpunkte aufzuschreiben für die anstehende Reise zur Insel meines Schwiegervaters. Eigentlich klingt das viel zu hochtrabend, ich weiß. Aber ich wüsste nicht, wie ich sie sonst nennen sollte.
Ein Vergleich der Karten von van den Kieboom und unseren brachte nicht viele neue Erkenntnisse, außer, dass er leichte Kursabweichungen verzeichnet hatte. Mein Blick offenbarte leider keine Geheimnisse.

 

Das Buch der Seefahrer, wie es mein Schwiegervater genannt hatte, lag ebenfalls hier. Noch einmal schlug ich es auf, betrachtete die Seiten und langsam erschien auf einigen leeren Seiten die Darstellung der Queen Anne´s Revenge, die Koordinaten standen daneben wo sie gesunken war und kleinere Bemerkungen über die Ocean Princess mit ihrem unfähigem Kapitän. Lächelnd verfolgte ich, wie sich die Blätter füllten und schloss dieses Manuskript anschließend.
Es war fast so, als hätte ich mein Tagebuch verfasst. Mein Kopf fühlte sich freier an, aber auch etwas erschöpfter.
Ich wollte gerade hinunter gehen, weil das Dinner fertig war, als ich sah wie Edward in die Eingangshalle eilte, sich hastig den Dreck von seinen Hosen klopfte und sich verstohlen umsah.
„Min lille skat! Da bist du ja wieder. Gerade richtig zum Essen.“ rief ich ihm entgegen.
Erschrocken sah er mich an, wollte schon etwas erwidern, da kam auch Haytham mitsamt unseres Besuchs aus dem Arbeitszimmer.
„Das ist hervorragend! Alle sind versammelt, dann können wir ja zu Abend essen.“ Haytham war sichtlich guter Laune, genau wie Florence die immer noch an seinem Hosenbein klebte.
„Ja, Vater. Ich gehe … mich nur eben umziehen.“ schnellen Schrittes eilte er die Treppe hinauf und verschwand in seinem Zimmer. Skeptisch sah ich ihm nach. Hatte er etwas angestellt, so kurz nach unserer Ankunft?

 

Da fiel mir wieder ein, dass wir nach einem Kammerdiener für ihn suchen wollten! Unten waren nämlich Sophia, die sich jetzt Florence schnappte, und Sybill erschienen. Doch sie ging ihrem ehemaligem Schützling nicht mehr nach. Ein kleiner Stich in meinem Herz ließ sich nicht vermeiden, aber er war zu groß für ein Kindermädchen.
Es dauerte auch nicht lange, da erschien unser Sohn im Wintergarten und nahm seinen gewohnten Platz neben Haytham ein.
Ich konnte nicht aufhören ihn zu betrachten.
„Alex, du sagst ja gar nichts dazu, dass ihr Erfolg bei eurer Suche hattet.“ hörte ich Connor lachend sagen.
„Bitte? Verzeih mir, ich war wohl ein wenig in Gedanken.“ mein Blick lag immer noch auf Edward. Ich musste doch irgendwas finden, was ihn überführen könnte, verdammt.
„Ich glaube, sie ist derzeit mit ganz anderen Dingen beschäftigt.“ dabei tätschelte mein Mann mahnend meine Hand.
„Ja, ja natürlich. Das wird es sein.“ plötzlich fühlte ich mich wie erschlagen und mein Kopf begann zu dröhnen. Dazu gesellte sich ein flaues Gefühl im Magen und ich entschuldigte mich.

 

Bei Odin, was war das auf einmal?
Draußen auf der Veranda saß ich kurz darauf schnaufend mit dem Kopf zwischen meinen Knien um diese Übelkeit wieder abzuschütteln. Es klappte leider nicht und die Blumen mussten dran glauben. Oh bitte nicht wieder Monate mit diesem Mist!
Meine Kammerzofe trat hinter mich und strich mir über den Rücken.
„Mistress Kenway, dann ist es wahr? Ihr seid wieder guter Hoffnung?“ sie klang dabei so glücklich und aufgeregt, dass mir die Tränen kamen. Ich konnte ihr nur nickend antworten, weil ich heulte wie ein Schlosshund.
„Das wird schon, ihr habt mir geholfen und ich werde auch dieses mal wieder an eurer Seite sein.“ wer könnte mich besser verstehen, als eine Mutter!
Langsam beruhigte ich mich und wir gingen wieder hinein.
„Magda, könntet ihr mir bitte einen Tee machen mit den Kräutern gegen meine Übelkeit? Danke!“ bat ich und ging langsam wieder zu meiner Familie.

 

Bevor jedoch Fragen bezüglich meiner Gesundheit aufkamen, fragte ich nach, ob ich etwas verpasst hätte.
Anscheinend nicht, sie alle hatten sich über diesen Sonnenstein unterhalten, gerätselt was es noch mit dem Buch auf sich haben könnte und was uns auf Great Inagua alles erwarten könnte.
„Wir sollten noch einmal diese Maya-Ruinen aufsuchen, ich würde zu gerne wissen, ob es dort nicht noch mehr zu erforschen gibt.“ euphorisch und mit einem leichteren Gefühl genoss ich zumindest mein Gemüse.
„Das ist keine gute Idee, mi sol. Du hast doch gesagt, dass das Gemäuer größtenteils eingestürzt ist und ihr nur noch über diesen Wasserfall entkommen konntet.“ in seiner Stimme klang plötzlich ein leicht zickiger Unterton mit. Eifersucht! Er wusste, was damals dort noch geschehen war.
Verlegen sah ich ihn an.
„Vielleicht gibt es aber noch andere Zugänge, wir sollten es zumindest versuchen.“ brachte ich, nachdem ich mir den Kloß aus dem Hals geräuspert hatte, energisch vor.
„Das hat ja Gott sei Dank noch Zeit!“ wie ich diese Art, manche Diskussionen zu beenden, von meinem Mann doch hasste.

 

Kapitel 58

~~~ Schwarzmarkt, Sklaverei und die Plantage im Mittelpunkt ~~~

 

Unsere Gäste hatten sich nichts anmerken lassen, so hatte ich den Eindruck.
Florence wurde als erste zu Bett gebracht, wohingegen Edward noch etwas aufbleiben durfte. Immer noch kam er mir seltsam ruhig vor.
Wir waren mittlerweile vor den Kamin umgezogen, weil es doch ein wenig kalt geworden war in den letzten Stunden.
Endlich erfuhr ich dann auch mal, warum Connor hier erschienen war.
Erstmal sei zu sagen, es war alles in Ordnung, es war niemand krank oder verstorben. Nur Achilles fühlte sich nicht im Stande mit ihm zu reisen. Verständlich, er war auch nicht mehr der Jüngste.
Ein kurzes Schweigen unterbrach den Redefluss plötzlich, ehe Haythams Sohn fortfuhr um auch mich auf den neuesten Stand zu bringen.
Ihm war zu Ohren gekommen, dass immer mehr Land seines Volkes aufgekauft wurde. GEGEN ihren Willen und er wollte und konnte es so nicht einfach hinnehmen. Ich ahnte, worauf das hinauslaufen würde. William Johnson handelte mit Land, nicht nur aus reiner Nächstenliebe. Auch er wollte etwas verdienen, von Luft und Liebe konnte auch seine Familie nicht leben.
„Johnson und einige seiner Unterhändler gehen erst gar nicht auf die Argumente der Dorfältesten ein, sie ignorieren unsere Grenzen einfach!“ seine Stimme hatte sich erhoben und zum ersten mal wurde mir bewusst, dass er nicht nur für sich alleine kämpfte.

 

„Er versucht doch nur diese Landstriche zu schützen, Connor. Es mag sich jetzt falsch anfühlen, aber später könnte es passieren, dass es euch einfach weggenommen wird. Ohne irgendeine Gegenleistung!“ versuchte mein Templer sachlich zu argumentieren.
„Dennoch geht er sehr skrupellos mit meinen Leuten um, Vater! Wie würdest du dich fühlen?“ erwartungsvoll sah er ihn an.
„Ungerecht behandelt, vermute ich.“ für einen Moment sahen sie sich an, sagten aber nichts. „Vielleicht sollte ich mit William das Gespräch suchen.“ die Worte kamen etwas zerknirscht aus seinem Mund.
„Ich hoffe, sie treffen auf fruchtbaren Boden, Vater.“ Connors Ton klang unterkühlt, also war zwischen ihnen noch lange nicht alles bereinigt.
Gerade als ich zu einem anderen Thema ansetzen wollte, fiel mir der junge Indianer ins Wort.
„Wusstet ihr eigentlich, dass Hickey die Plantage für seinen Schwarzmarkt mittlerweile nutzt?“
Mir fiel die Kinnlade herunter und ich sah zu Haytham. Auch er war mehr als sprachlos, zugleich rötete sich sein Gesicht vor Zorn.
„Seit wann?“ brachte er hinter zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Das geht schon einige Monate so.“ immer noch saß er triumphierend grinsend da und wartete auf weitere Reaktionen.

 

„Dieser … verdammte IDIOT!“ rief mein Mann, sprang auf und eilte nach draußen auf die Terrasse.
„Ähm, das habe ich nicht erwartet.“ gab ich zu. Doch ehe ich meinem Mann hinterher gehen konnte, war Connor schon an seiner Seite.
Ich sah fragend zu Mr Faulkner.
„Es ist wahr, Mistress Kenway. Immer wieder erhielten wir die Nachricht, dass des nächtens aus New York, Boston oder auch Wilmington kleinere Trupps und Schiffe aufbrachen in diese Richtung. Einer der Spitzel konnte es dann selber beobachten. Mehrere etwas von hier abgelegene Scheunen werden dafür genutzt. Die Bauern oder besser Pächter wissen nichts davon, falls ihr Bestechung vermutet.“ damit nahm er mir die erste große Befürchtung, dass wir es hier mit illoyalen Personen auf der Plantage zu tun hatten.
„Wir laufen also Gefahr, dass die königlichen Truppen uns auseinander nehmen können wegen Verrat und Unterschlagung.“ flüsterte ich und sah dabei zu Edward, der jetzt auch aufmerksam geworden war.
„Wir sollten schleunigst herausfinden, wann die nächste Lieferung kommt. Wir müssen ihnen zuvor kommen.“ grübelte ich laut nach und überlegte schon, wo genau diese Verstecke sein könnten.
Theoretisch UNTER den Gebäuden, weil oberhalb würde es irgendwann auffallen. Wusste Thomas von unseren Tunneln? Hatte es ihm vielleicht jemand verraten?
„Vorerst ist nichts geplant, soviel ich weiß. Erst letzte Woche war ein Transport hierher gereist.“
Damit hätten wir also noch Zeit um uns umzuhören.

 

„Dann werden wir morgen die Plantage unter die Lupe nehmen und uns gründlich umsehen müssen.“ hörte ich meinen Mann, als er mit Connor wieder eintrat. Er war wieder etwas ruhiger, aber im Grunde genau wie ich verunsichert.
Meinen Gedanken bezüglich eines Verräters bestätigte er auch, es musste hier jemanden geben, der diese Informationen einfach weitergab.
„Ich sah Thomas oft mit Lee zusammen sitzen. Was ungewöhnlich ist, weil sie sich sonst nicht ausstehen können.“ erzählte Connor ebenfalls grübelnd.
Charles hatte mittlerweile auch in der Gegend eine Plantage erworben, welche aber Odin sei Dank auf der anderen Flussseite und sehr sehr weit von uns weg war.
„Warum nutzt man dann nicht einfach sein Land für die Güter?“ fragte ich ganz pragmatisch, weil es Sinn machen würde. Meiner Meinung nach.
„Charles wird einen Teufel tun und sich noch weiter in Bedrängnis bringen. Seine Militärlaufbahn ist eh schon stark angekratzt und wie er sich seit neuestem zu Washington äußert hilft ihm auch nicht gerade, es besser zu machen.“ Haythams großer Sohn hatte Recht, damit würde er sich keinen Gefallen tun, wenn er in der Armee bleiben wollte. Mehr Verstöße wären sein Untergang.
Man könnte aber doch so etwas nachhelfen … leider wusste ich, dass ich das nicht durfte. Die Zeit war immer noch nicht reif für ihn. Verdammt.
„Er bekommt schon noch, was er verdient, Alex.“ versicherte mir Connor grinsend. Darauf hoffte ich inständig.

 

Langsam war es Zeit für Edward ins Bett zu gehen und ich brachte ihn hinauf.
Ich ließ ihn sein Schlafhemd alleine anziehen, kämmte lediglich seine Haare. Ich hatte vergessen ein Bad zu ordern, fiel es mir siedendheiß ein!
Seufzend setzte ich mich neben ihn auf das Bett und zog seine Decke hoch.
„Gute Nacht, min lille skat.“ flüsterte ich und gab ihm einen Kuss.
„Gute Nacht.“ dann drehte er sich um.
Jetzt riss mir der Geduldsfaden. So ruhig war er wirklich noch nie.
„Was ist los?“ hakte ich energisch nach und drehte ihn wieder zu mir.
„Nichts.“
„Aha, wie sieht das nichts denn aus?“ ich ließ nicht locker!
Stöhnend richtete er sich auf, lehnte am Kopfende und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Schlafen darf ich erst, wenn ich es dir erzählt habe, oder?“ er erhielt nickend meine Bestätigung. „Also … ich weiß, wo die drei Scheunen sind, Mama. Jessy, Gilbert und noch ein paar andere haben diese Männer schon dreimal dabei beobachtet, wenn sie hier auftauchten. Sie haben sich aber nicht getraut, Vater davon zu erzählen, weil sie dachten, sie bekämen dann Ärger.“ hilfesuchend sah er mich an.
„Warum sollten sie Ärger bekommen? Sie haben doch gar nichts falsch gemacht.“ so dachte ich zumindest.
„Najaaaaaa…“ kam es langgezogen und mit gesenktem Blick. „Ein paar Dinge haben die Jungs mitgenommen.“

 

Im Grunde hatten sie nur Schnaps an sich genommen, welcher unter das seltsame Zollgesetz gefallen war. Fragt mich nicht, es ist lächerlich. Die Jungs haben aber auch gesehen, dass einmal ein paar Sklaven in eine Scheune gebracht wurden und zwei Tage später von einem anderen Herren wieder abgeholt wurden.
Wie bitte?
Das wurde ja immer besser. Ich hielt Thomas eh für ein Schwein, aber dass er auch noch die Sklaverei und den Menschenhandel unterstützte, ging definitiv zu weit!
„Edward, es ist gut, dass du mir das erzählt hast. Dein Vater muss das wissen und mach dir keine Sorgen, Jessy und die anderen bekommen keinen Ärger, versprochen! Sie haben ja nichts wirklich falsch gemacht. Oder habt ihr den Schnaps probiert?“
Mit großen Augen sah mein Sohn mich an und schüttelte energisch den Kopf.
„Nein, der riecht so eklig, dass ich mich davon schon fast übergeben musste!“ plötzlich stand er auf, ging zu seiner Kommode und holte aus einem Fach einen Zettel. „Das hat mir Olli gegeben. Einer der Sklaven hat das wohl verloren bei dem Transport.“
Es war eine Art Kaufbeleg, anders kann ich es nicht beschreiben. Die Namen vom Vorbesitzer und des neuen standen darauf, genau wie der Preis und Name des Sklaven. In mir kochte es und ich würde am liebsten Hickey und Lee direkt gen Hel schicken! Kein geringerer als Charles war nämlich der Käufer.
„Danke, dass du mir das gesagt hast, Edward. Und mach dir keine Gedanken. Dein Vater wird nicht mit dir schimpfen, im Gegenteil. Du hast uns dabei geholfen, dass wir dem ein Ende setzen können.“ sagte ich sanft und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
Jetzt schlang er seine Arme wie gewohnt um mich, drückte mich und gab mir auch einen Kuss auf die Wange.

 

Vor der Tür atmete ich ein paar mal tief ein und aus. Sklaverei! So etwas konnte und wollte ich hier einfach nicht dulden und schon gar nicht haben.
Im Wintergarten waren die Herren in einem Gespräch über den Schwarzmarkt und dessen Auswirkungen auf die einfachen Bürger vertieft.
„Gentlemen, ich störe nur sehr ungern, aber wir haben etwas weitaus schlimmeres zu besprechen.“ mein Blick wanderte zu meinem Mann.
„Was hat er dieses mal …“ seufzend fuhr ich ihm über den Mund.
„Nichts, mi sol. Im Gegenteil.“ ich reichte ihm den Verkaufsbeleg, bei Odin, das klingt so falsch!
Seine Augen wurden groß, seine Wangen begannen sich wieder zu röten und sein Atem ging schneller.
Ohne Worte reichte er Connor das Schriftstück, auch dieser war kurz darauf auf 180, ebenso Mr Faulkner.
„Befinden sich gerade jetzt Sklaven auf unserem Grundstück?“ fragte Haytham nach. Da konnte ich ihn beruhigen. „Für heute ist es zu spät noch etwas zu unternehmen, ich werde lediglich Charles und Hickey hierher … gut gut, ich werde sie nach Boston zitieren, Alex!“ genervt sah er zu mir auf, die ich neben ihm mit hochgezogener Augenbraue stand. Er hatte schnell geschaltet. Gut für ihn.

Kapitel 59

~~~ John André und das MI6 anno 1772 ~~~

 

Mir stieg die Müdigkeit in die Knochen und ich verabschiedete mich bei den Herren für die Nacht.
Magda half mir aus meinen Sachen und gerade als sie meine Haare für die Nacht einflechten wollte, fragte sie mich, ob wir schon wüssten, was es wird.
Etwas verwirrt sah ich zu ihr auf, weil ich für einen Moment gar nicht an mein kleines Würmchen im Bauch gedacht hatte.
„Nicht wirklich, aber da ich vorhin über dem Blumenbeet hing, könnte es wieder ein Mädchen werden.“ lächelte ich etwas zerknirscht. Zwei Mädchen und ich dazu. Na, da wird sich Haytham ja drüber freuen!
„Oh, das wäre so schön, Mistress Kenway! Ich habe so viele Namen für ein Mädchen im Kopf, weil ich selber auf eines gehofft hatte.“ in den nächsten Minuten erfuhr ich ihre Vorliebe für Johanna, Elisabeth, Magdalena und und und.
„Mir raucht schon der Kopf und ich sehe, die Entscheidung wird keine Leichte sein!“ lachte ich, als ich mich ins Bett kuschelte. Meine Knochen fühlten sie mit einem Male wie Blei an und ich war dankbar mich strecken zu können. „Ich wünsche euch eine gute Nacht und sorgt gut für euren Jungen.
„Danke, Mistress Kenway. Ich habe für die Andacht morgen schon ein passendes Kleid für euch heraus gehängt. Gute Nacht.“ knickste sie und ich stöhnte aufgrund der Tatsache, dass morgen schon wieder Sonntag war.

 

Irgendwann spürte ich einen warmen Körper hinter mir, Hände welche meinen Oberschenkel hinauf wanderten und mein Nachthemd hochschoben. Sein warmer Atem in meinem Nacken, geschwängert von dem leichten Whiskey-Aroma ließ mich leise seufzen. Eigentlich war mir nicht wirklich nach Zärtlichkeit, aber irgendwie konnte ich mich auch nicht so recht wehren.
Ein wenig ausgehungert war ich ja schon, muss ich gestehen und drückte mich an meinen Mann.
In aller Seelenruhe liebten wir uns, wortlos und still. Ich hatte den Eindruck als hätte Haytham Angst, etwas kaputt zu machen. Seine langsamen und vorsichtigen Bewegungen waren einfach fantastisch.
„Ich habe dich vermisst, mi sol.“ flüsterte er später in meine Haare, als ich wieder an ihn geschmiegt lag.
„Ich dich auch, mi amor.“ langsam driftete ich wieder in meinen Schlaf, dieses mal aber sehr befriedigt und entspannt.

 

Connor blieb am nächsten Morgen hier, während wir uns auf zur Andacht machten.
„Aber ich kann doch hier bleiben und ihm Gesellschaft leisten.“ nörgelte ich leise, als wir uns fertig machten.
„Wie sieht das aus, wenn du als meine Frau nicht mitkommst.“ da war er wieder, dieser belehrende Ton in seiner Stimme.
Ich erhaschte einen kurzen Blick von dem jungen Indianer, der mich etwas mitleidig ansah, mir aber auch nicht helfen konnte.
Im Grunde stand ich ja keine Höllenqualen aus, es war nur einfach nicht meins und meine Religion. Punkt.
Unsere Kinder blieben während des Gottesdienstes brav wie immer auf der kleinen Stufe sitzen neben den anderen. Edward war sichtlich erleichtert, dass wir gestern noch gesprochen hatten.
Wieder daheim wurde uns Tee gereicht, weil es schon fast winterliche Temperaturen hatte. Nun gut, wir hatten ja auch schon Mitte November, ich war mit der Zeitrechnung seltsamerweise etwas durcheinander in den letzten Wochen.
So auch mein Blitzgedanke, WANN denn unser drittes Kind das Licht der Welt erblicken würde. Wie lange war ich überhaupt schon schwanger?
Ich entschuldigte mich kurz und ging hinauf in mein Arbeitszimmer um mein Tagebuch zu durchforsten. Es ließ mir einfach keine Ruhe!
Ende September oder Anfang Oktober? Es hätten einige Momente gepasst. Weiter als 5 oder 8 Wochen war ich ganz bestimmt nicht, das konnte nicht sein.
Ich bat in einer Notiz unsere Hebamme um einen Termin. Ich brauchte Gewissheit, so seltsam wie es auch klingen mag.
Ein Diener machte sich postwendend auf den Weg und ich konnte Etwas beruhigter wieder hinunter zu den anderen gehen.

 

Es ging gerade um die Waren wie Schnaps, Juwelen die den Damen wie von Zauberhand vom Hals gefallen waren oder auch feine Gewürze, mit denen Hickey seinen Markt bereicherte.
„Ich habe mit zwei Pächtern gesprochen und sie sagten, dass man ihnen gedroht hätte, sollten sie nicht kooperieren, ihnen diesen Schmuggel unterzujubeln.“ in mir keimte ein leichtes schlechtes Gewissen auf, weil auch wir immer noch mit einigen Waren an der Krone vorbei Handel trieben. War es etwas anderes, nur weil WIR es machten und nicht Thomas? Ja, war es, beschloss ich rigoros.
Wir bereicherten uns nicht daran, im Gegenteil, die Einnahmen waren mit den Ausgaben fast gleichzusetzen. Es gab nur einen leichten Verkaufsgewinn.
Plötzlich brach mir der kalte Schweiß aus!
Auch ich betrieb im weitesten Sinne Menschenhandel. Die Damen für das Bordell standen ja auch auf meiner Liste! Japsend sah ich von einem zum anderen, brachte aber kein Wort heraus.

 

„Herr je, Alex. Was ist?“ Haytham war sofort neben mir, hielt mich fest und strich mir beruhigend über den Rücken.
Ich schilderte meine Angst und die Befürchtung, dass ich nicht besser als diese Sklavenhändler sei.
Anstatt des erwarteten „Nein, ist alles gut!“ kam ein vorwurfsvoller Blick meines Gatten.
„Damit musst du leben, aber die Zustände sind andere und sie werden nicht gezwungen, sondern sie werden lediglich von A nach B gebracht.“ diese überaus sachliche Herangehensweise war nicht das, was ich hören wollte. Nicht ganz zumindest.
„Mama! Du verkaufst auch Menschen?“ Edward sah mich plötzlich entsetzt an! Die Kinder hatte ich gerade völlig vergessen!
Irgendwie musste ich jetzt eine Erklärung herbeizaubern, aber das war nicht so leicht, weil meine Gedanken völlig durcheinander waren. Was war noch richtig, was war falsch. Was tat ich hier überhaupt!
„Ähm, nein, so ist es nicht…“ setzte ich an, konnte aber nicht weitersprechen.
„Die Damen werden nicht unfreiwillig einfach aus ihrer Heimat geholt und irgendwohin gebracht.“ versuchte es jetzt mein Mann wieder etwas ruhiger.
„Wir haben nur die Schiffe für sie zur Verfügung gestellt.“ kleinlaut brachte ich diese Worte leise heraus und hoffte, es wäre eine gute Erklärung.
„Geht es den Damen denn gut?“ traurig sah mich Edward an. Noch konnte ich ihm schlecht erklären, dass es ihnen auf der Reise sicherlich besser ginge, als später im Bordell. Odin sei Dank hakte er wegen dieses Begriffes nicht nach. Das müsste dann mein Mann übernehmen, ich war nicht für alles zuständig.
„Es geht ihnen gut, min lille skat. Dafür sorgt eine Aufsicht an Bord, die ich extra mitschicke.“ immer noch traute ich mich kaum zu sprechen, dieses schlechte Gewissen war grauenhaft.
Nachdem wir ihm noch erklären mussten, woher die Frauen kamen, ob sie auch Kinder hatten oder ihre Familien sie besuchen dürfen und so weiter, war Edward etwas zufriedener und ich sah, er hatte etwas dazu gelernt. Nächstenliebe! Wenn auch etwas versteckt.

 

Das Mittagessen verlief schweigsamer, weil wir alle unseren eigenen Gedanken nachhingen.
„Wir sollten später einmal die Pächter mit den entsprechenden Lagern aufsuchen. Connor, du weißt ja, wer es ist?“ hakte Haytham nach und die beiden besprachen ihre Vorgehensweise.
„Weißt du was erstaunlich ist oder besser gesagt, unvorsichtig?“ grinste er plötzlich seinen Vater an.
„Nein, du wirst es mir sicherlich gleich sagen.“
„Die Lage der Scheunen ist immer unmittelbar in Flussnähe. Jede kleinste Schaluppe kann dort Waren aufnehmen ohne groß aufzufallen. Und ich habe gehört, dass seit geraumer Zeit sehr viele dieser kleinen Transportschiffe auf dem James River unterwegs sind.“ damit hatte er einen weiteren Punkt angesprochen.
Wenn es IHM schon auffiel, dann sicherlich auch der Obrigkeit! Es gab genügend Spione und Spitzel des britischen Königs hier in den Kolonien. Ich wartete immer noch auf eine Einheit des MI6

 

Wortlos verließ ich den Wintergarten, weil mir plötzlich einfiel, wo ich den Namen John André schon gelesen oder gehört hatte! Dieser Gedanke kam wie aus dem Nichts!
Der junge Mann, welcher mit seinen Eltern in London bei uns zu Besuch war damals, wird alsbald in den ersten Geheimdienst seiner Majestät eintreten, nachdem er sich einen Namen bei der Armee gemacht hat! Er wird Major! Und jetzt kamen die ganzen kleinen Berichte in mir hoch, die ich gelesen hatte.
Er kommt in ein paar Jahren mit Benedict Arnold in Kontakt! Die Pläne für West Point sind sein Todesurteil schlussendlich. Eine mehr als kurze Zusammenfassung, ich weiß.
Außerdem wir Charles Lee ihm ebenfalls Truppenstärken oder auch Marschrouten von Washington und Kontinentalarmee übergeben!
Bei Odin! Langsam realisierte ich, dass wir bald in einen Verschwörer- und Spitzelkreis geraten werden.
Erneut wurde mir schlecht und ich schaffte es nur noch bis zur Waschschüssel in unserem Schlafzimmer. Wo war ich nur hingeraten, warum tat ich mir das an? Dieses Wissen war gerade zu viel für meine Nerven!
„Mistress Kenway! Ist alles in Ordnung? Bei Gott, hier trinkt das!“ hörte ich Magdas beruhigende Stimme neben mir, als ich realisierte, dass ich zitternd auf dem Boden unseres Schlafzimmers saß.
„Ich kann nichts trinken, ich kriege keine Luft!“ wie ein Fisch öffnete ich immer wieder den Mund, schien aber nicht einatmen zu können.
„RUFT EINEN ARZT!“ hörte ich sie noch und mir schwanden die Sinne.

 

„Mi sol, komm bitte wieder zu dir.“ die dunkle Stimme ließ mich aufhorchen.
„Was … Haytham! Ich fühle mich … seltsam.“ das Sprechen war unglaublich schwer in diesem Moment.
„Du bist wieder wach, Gott sei Dank.“ seine warmen Lippen auf meiner Stirn fühlten sich beruhigend an.
Unser Arzt, es war übrigens jetzt nicht mehr Dr. Ambrosch, sondern der `Neue`, erklärte leise, dass sich meine Lungen wohl entzündet hätten und ich deswegen keine Luft mehr bekommen hätte. Mein Fieber sei aber noch nicht besorgniserregend, aber die Tatsache dass ich schwanger war, schon.
„Euer Gatte erklärte, dass ihr vor einigen Tagen noch in kalten Gewässern getaucht wäret. Das würde den Zustand der Atemwege erklären. Ich empfehle euch Bettruhe für ein oder zwei Tage, danach solltet ihr warm angezogen immer mal wieder an die frische Luft gehen. Aber keine großen Anstrengungen! Ich schreibe euch eine Kräutermischung für einen Tee auf, den ihr bitte mehrmals am Tag zu euch nehmt. Auch sind warme Bäder am Abend und anschließende Bettruhe für eure Genesung zuträglich.“ er verbeugte sich tief und übergab einen Zettel an meine Kammerzofe.

 

Diese Schwangerschaft begann ja hervorragend!

Kapitel 60

~~~ Die Illusion platzt ~~~

 

Ende Dezember 1772

Bettruhe! Da klingelt wieder etwas bei mir und ich ließ mich genervt in die Kissen sinken!
„Es ist doch nur für ein paar Tage, mi sol. Du musst nur ein wenig kürzer treten und nicht für die nächsten Wochen liegen.“ konnte mein Mann nicht einfach mal seinen Mund halten? Das wusste ich doch schon alles, ich war ja nicht dumm!
Bevor ich aber noch reagieren konnte stand Abbigail in der Tür.
„Mistress Kenway, ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte.“ sie nickte in die Runde, knickste vor Haytham und bat dann in einem strengen Tonfall alle hinaus.
„Danke, Abbi!“ irgendwie fiel mir immer noch das Sprechen schwer.
Sie untersuchte mich, tastet über meinen noch flachen Bauch, drückte hier und da, nickte ab und an.
„Könnt ihr ungefähr selber bestimmen, wann ihr empfangen haben könntet?“ fragte sie leise, als sie mich erneut mit ihren Fingern abtastete.
„Es könnte Ende September oder Anfang Oktober gewesen sein. Ich muss gestehen, ich weiß es wirklich nicht.“ heulte ich plötzlich! Du meine Güte! Wie hatte ich diese Gefühlsachterbahn mal gar nicht vermisst.
„Das ist doch nicht schlimm, aber ich würde ebenso vermuten, dass ihr seit ungefähr 9 Wochen guter Hoffnung seid.“ ihre Stimme war beruhigend und ich entspannte mich langsam, auch wenn meine Tränen immer noch liefen.
Sie gab aber grünes Licht für mich, dass ich nicht ans Bett gefesselt bliebe wie bei Florence.

 

Als sie gegangen war, trat mein Mann ungeduldig ein.
„Und? Was hat sie gesagt? Geht es unserem Kind gut? Müssen wir auf etwas achten?“ langsam ließ er sich neben mir auf die Bettkante sinken und strich über meinen nur mit dem Nachthemd bedeckten Bauch.
Seine grauen Augen hatten diesen typischen warmen und liebevollen Ausdruck wieder angenommen, wie bei Edward und auch Florence.
„Mir, nein, UNS geht es gut, mi amor. Ich muss nur wegen dieser Lungenentzündung vorerst kürzer treten.“ diese machte mir aber Angst, weil es hier kein Antibiotikum gab und viele daran starben in dieser Zeit.
Seine Hände umschlossen die meinen und er küsste sie vorsichtig.
„Also sind Tauchgänge in Zukunft keine Option mehr für dich.“ grinste er und versuchte zu überspielen, dass er sich ernste Sorgen machte. Wir beide überspielten diese Angst in uns!
„Ich schwöre, ich werde nur noch im warmen Wasser in unserem heimischen Bad tauchen.“ fast hätte ich noch hinzugefügt, dass ich das nicht gerne alleine tun würde, doch ich hielt mich zurück. Dafür war gerade nicht der richtige Zeitpunkt.

 

Ich wurde in den nächsten Tagen mit allerlei Leckereien verwöhnt, vor allem tat mir dieser Tee aus Minze, Fenchel und einem mir unbekannten Kraut gut. Ganz zu schweigen von dem Honig darin.
Ab und an erstatteten mir Haytham oder Connor Bericht über die Vorkommnisse und neuesten Erkenntnisse.
Am dritten Tage saß Florence neben mir auf dem Bett und lehnte an mir, als sie mich unvermittelt fragte, ob ich bald sterben werde.
Erschrocken sah ich sie an.
„Wie kommst du denn darauf, min lille engel?“ in ihren Augen glitzerten Tränen die sie krampfhaft versuchte zu unterdrücken.
„Das ist so ein böses Gefühl in meinem Bauch, Mama. Du liegst hier so müde und … das macht mir Angst.“ ihre Stimme wurde immer leiser dabei.
„Gib mir etwas Zeit und ich verspreche dir, ich bin ganz schnell wieder auf den Beinen.“ vorsichtig strich ich ihr über die Haare und gab ihr einen Kuss.
„Das finde ich schön, Mama.“ es sind nur wenige Worte, aber ich hatte arge Probleme meinen Gefühlsausbruch unter Kontrolle zu bringen. Ich wollte meiner Tochter doch nicht noch mehr Angst machen, weil ich begann zu weinen!
„Ich auch, min lille engel.“

 

Es dauerte ungefähr 14 Tage bis ich wieder unter den Lebenden weilte. Mittlerweile war auch schon ein neuer Konvoi hier eingetroffen im Namen von Thomas Hickey. Haytham und Connor hatten sich dem angenommen und vermeldeten, dass es dieses Mal ausschließlich Waffen waren.
Wozu schmuggelte oder lagerte man heimlich irgendwo Waffen?
„Sie werden in Britannien produziert und hierher geliefert. Noch ist es hier eher selten, dass es so gute Musketen wie von den Briten gibt. Die Kolonisten sind noch nicht so geschult darin!“ erklärte mir Haytham das Ganze.
Ach ja, da war er wieder. Mein Gedanke, dass es besser sein könnte, wenn die Briten hier in Amerika blieben! Erneut schluckte ich diesen Satz herunter, auch vor Haytham.
Nach und nach weitete ich meine Mittäglichen Spaziergänge etwas aus und ging die Felder ab. Leider war die Übelkeit auch dieses Mal wieder vorhanden, was mich darin bestärkte, dass wir eine Tochter bekommen werden.
Rohes Fleisch war ein Graus für mich anzusehen, Plätzchenteig war einfach der Horror in meinem Mund und was besonders schlimm war, dass ich plötzlich keinen Fencheltee mehr trinken konnte. Mir wurde alleine vom minimalsten Geruch schon übel. Edward hatte es einige Male gut gemeint und mir eine Tasse in mein Arbeitszimmer gebracht. Aber als er sah, dass es mir die grüne Farbe ins Gesicht trieb, rannte er schnell wieder hinaus.

 

Nachdem wir Edwards und Haythams Geburtstage zelebriert hatten, verabschiedete sich Connor. Auch er musste sich um seinen Mentor kümmern und sich mit seinen Leuten zusammenschließen für die nächsten Schritte des Landverkaufs. Seine Stimme musste sie einfach besänftigen, so hoffte ich.
„Es gibt leider ein paar unter ihnen, die mir meine Herkunft übel nehmen.“ dabei sah er seinen Vater an.
Man sollte Kinder nicht für seine Eltern verdammen!
„Ich wünschte es wäre anders …“ Haytham hielt inne, als ihm bewusst wurde, WAS er gerade formulieren wollte. Dieser Satz wäre Contra für mich ausgegangen!
Ich verabschiedete Mr Faulkner und Connor und ging dann wieder hinauf in mein Arbeitszimmer.
Gefühlt wurde es immer schwieriger für mich hier, ich geriet ins Kreuzfeuer, in die Bredouille was Schmuggel anging, mein Wissen machte es auch nicht eben leichter.
An diesem Abend schloss ich mich nach langer Zeit mal wieder in mein Studierzimmer ein. Niemand sollte mich stören. Ich wollte für mich sein.

 

Die Kerzen auf meinem Schreibtisch brannten, ebenso prasselte das Kaminfeuer und brachte wohlige Wärme in den Raum. Die Karaffe mit dem Rotwein stand auf dem kleinen Tisch vor dem Sofa und warf faszinierende Reflektionen an die Decke.
Ich saß völlig still mit dem Kopf im Nacken da und betrachtete dieses Schatten- und Farbspiel!
Würde Haytham es wirklich lieber sehen, noch mit Ziio zusammen zu sein, als mit mir? War ich nur eine Alternative, die ihm aufgezwungen wurde oder welche er nicht ignorieren durfte? Könnte Connor ihm ein schlechtes Gewissen einreden und …
Wieder keimte eine Krise auf. Eine Art nächste Hürde, die es entweder zu überwinden galt oder … würden wir dieses mal an ihr scheitern?
Mein Blick fiel auf meinen Ehering.
Die Bilder unserer Hochzeit in New York im Fort Arsenal tauchten vor meinem inneren Auge auf.
War doch alles nur eine Illusion, die bald an diesen geschichtlichen Dingen zerbrechen würde?
Das erste Mal seit Wochen ging mir durch den Kopf, dass ich nichts von meinen Göttern mehr vernommen hatte! Niemand stand mir bei! Niemand sagte etwas!
Ich fühlte mich plötzlich Mutterseelen-allein! Sie alle hatten mich veranlassen, mein Mann wandte sich langsam von mir ab…

 

Als ich erwachte, war es noch nicht richtig hell. Langsam richtete ich mich auf und sah mich blinzelnd um. War ich einfach so in meinem Studierzimmer eingeschlafen? Es verpasste meinem Herzen einen Stich, dass Haytham nicht nach mir gesehen zu haben scheint. Demnach war ich ihm egal, oder?
Ich erhob mich, nahm noch einen kräftigen Schluck aus meinem Glas und bereute es sofort! Alkohol in der Schwangerschaft! Ein Unding!
Doch was tat ich? Ich heulte anstatt mich zusammen zu reißen und weiter zu machen! Ich schlich mich förmlich in unser Schlafzimmer und zog mich, so gut es eben ging, leise aus. Als ich unter die Decke schlupfte, hörte ich nur ein leises Grummeln meinen Mannes. Er schlief, tief und fest!
Plötzlich überkam mich der Gedanke, dass das gar nicht real sein konnte. Noch nie hatte Haytham so einen tiefen Schlaf gehabt, oder täuschte ich mich? Hatte ich etwas vergessen?
Um etwas zur Ruhe zu kommen, legte ich mich auf den Rücken. Arme links und rechts angelegt und tief ein- und ausatmend. Wir beginnen mit der Entspannung von den Füßen an aufwärts… mit diesem Satz wanderte ich gedanklich und mit jedem langsamen Atemzug zu den einzelnen Gliedmaßen. Anspannen, lockerlassen. Immer und immer wieder!
Es funktionierte! Langsam spürte ich diese Leichtigkeit meiner Muskeln und die Entspannung ließ mich befreiter atmen.

 

„Mi sol, wach auf.“ flüsterte mir Haytham ins Ohr, während er meine Hand hielt.
„Hmmmm, was denn, ich will noch schlafen…“ nörgelte ich, weil ich wirklich noch müde war.
„Es ist schon später Nachmittag, so langsam solltest du zumindest etwas essen.“ bat er mich leise.
Nur schwer konnte ich die Augen öffnen und sah mich hier um. Es war dämmrig und der Kamin war angefeuert. Diese Wärme des knisternden Feuers umhüllte mich einfach und ich wollte nicht aufstehen.
Moment, es war schon später … WAS?
Ich fuhr in meiner Panik hoch!
„Wann bin ich ins Bett gekommen?“
Grübelnd runzelte er die Stirn, ehe er antwortete.
„Es muss gegen 5 Uhr gewesen sein. Alex, was ist denn los? Du bist nicht wieder zuerkennen.“ das sagte gerade der richtige.

 

Also erklärte ich ihm meine Ängste!

Kapitel 61

~~~ Die Angst, die Aussprache und die Erkenntnis ~~~

 

Aber das war leichter gesagt als getan.
„Du hast gestern etwas geäußert, was Ziio betrifft, mi amor. Du sagtest zu Connor du wünschtest es wäre anders.“ die Angst bei meinen eigenen Worten schnürte mir die Kehle zu, ich traute mich nicht in seine Augen zu sehen. Die Furcht, dass ich Recht hatte, war unerträglich in diesem Moment.
Haytham erhob sich, verschränkte die Arme hinter seinem Rücken und ging langsam neben dem Bett auf und ab. Aha, er dachte über die richtigen Worte für die Antwort nach.
Mein Herz sprang mir vor Angst schon beinahe aus der Brust und meine Augen brannten vor Tränen. Nein, er konnte nicht ernsthaft diesen Wunsch haben! Bitte …
Abrupt blieb er stehen und sah mich kopfschüttelnd an.
„Ich hatte solche Gedanken, natürlich! Oder bist du frei von solchen Gefühlen deinem verstorbenen Verlobten gegenüber? Hast du nie über eine alternative Zukunft nachgedacht? Was wäre wenn? Gerade DU solltest es nachvollziehen können, dass man viele Dinge hinterfragt.“
Warum hatte jetzt ICH das schlechte Gewissen? Bei Odin, er verstand es die Waagschale gekonnt zu kippen!
Die Angst verschwand und machte einer Wut über diese Art und Weise Platz.
Haytham war geschult in diesen Dingen, er war ein Meister im Diskutieren und auch, dass wurde mir gerade bewusst, Manipulieren.

 

Ich hatte über sehr viele alternative Zukunftsperspektiven nachgedacht!
Was wäre, wenn ich schon damals bei Edward geblieben wäre?
Würde Marius noch leben, hätte ich diese Reisen wirklich aufgegeben?
In mir wurde es mit einem Male still und ich schloss mich sprichwörtlich ein.
Eine Aussprache konnte ich gerade nicht mit ihm durchstehen, wollte ich auch gar nicht.
Stattdessen stand ich auf, ging wortlos an ihm vorbei und zog mich an.
„Lass mich raten, ich habe einen wunden Punkt getroffen, richtig?“ höhnte er im Türrahmen lehnend.
Nein, ich würde ihm nicht die Genugtuung geben, Recht zu haben.
Schweigend machte ich mich zurecht und vermied den Blickkontakt mit Haytham.
„Wie du willst.“
Die Tür fiel scheppernd ins Schloss und ließ die Fensterscheiben klirren.

 

Erst jetzt traute ich mich wieder richtig zu atmen und etwas zu entspannen.
Mir war nicht ganz klar, was er wirklich mit dieser Ansage bezwecken wollte. Sollte es einfach nur meinen Geist wachrütteln, damit wir beide über unsere Vergangenheit und die Kinder nachdachten mit den jeweils anderen Partnern?
Wollte er nur MIR ein schlechtes Gewissen einreden um selber in einem besseren Licht dazustehen?
Wir würden nur durch ein gemeinsames Gespräch eine Lösung finden können. Gerade in diesem Augenblick wollte ich es aber nicht, weil mein Stolz ein wenig angekratzt war. Hatte ich aber nicht umgekehrt seinen auch entsprechend in Frage gestellt?
Beim allmächtigen Allvater!
Ordne meine Gedanken und leite mich wieder!

 

Es ist nicht leicht euch beide in Linie zu halten! Hörte ich Odin plötzlich in meinem Kopf. Eure Persönlichkeiten sind auf der einen Seite sehr ähnlich, aber auf der anderen auch wieder so verschieden, dass es fast unmöglich ist euch immer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Ihr seid schwierig!
War er wirklich genervt von uns?
Nun, ich würde es nicht so harsch nennen, aber … ja doch, es ist anstrengend! Geh und sprich mit Haytham, sag ihm wie du denkst und fühlst!
In meinem Kopf breitete sich eine angenehme Leichtigkeit aus, so als hätte ich einen perfekt ausgearbeiteten Plan bekommen bei dem nichts mehr schief gehen könnte.
Mit neuem Elan ging ich auf die Suche nach Haytham.

 

Ich fand ihn in seinem Arbeitszimmer über einigen Papieren grübelnd vor.
Langsam schritt ich auf seinen Schreibtisch zu.
Wie heißt es so schön?
Der Klügere gibt nach und ich wollte nachgeben und mit ihm das Gespräch suchen. Ein kleiner Sieg oder besser gesagt Triumph beflügelte mich mit einem Male.
„Um deine Frage zu beantworten, Haytham. Ja, ich habe über Marius nachgedacht. Genauso wie ich auch über deinen Vater und eine eventuelle Zukunft mit ihm nachgedacht habe. Aber ich würde nie im Leben darauf kommen, dir genau DAS zu sagen. Einfach aus dem Grund, weil wir beide … verbunden sind. Nicht alles muss ausgesprochen werden!“
Seine Hände falteten sich auf den Papieren, sein Atem ging tief, ehe er mich ansah.
„Dann kannst du ja meine Sichtweise nachvollziehen.“ dieser sarkastische Unterton brachte mich in Rage!
„Nein, kann ich nicht. Würdest du es lieber sehen, wenn Connor, Ziio und du eine Familie wärt?“ platzte es aus mir heraus.
„Mach dich nicht lächerlich, du weißt, dass das unmöglich gewesen wäre.“ in seinem Gesicht spiegelte sich etwas belehrendes wieder.
„Warum hast du dann gesagt, du wünschst dir, dass es anders gekommen wäre?“ so, jetzt war es raus.

 

Seine Augen funkelten mich an als er sich langsam erhob und auf mich zuging.
„Ich habe sie damals belogen, was mir aber nicht gleich bewusst war. Hätte ich mit offenen Karten gespielt was Braddock anging, wäre es vielleicht anders ausgegangen. Aber ihre Herkunft und meine wären einfach ein zu großes Hindernis und würden Connor auch jetzt im Weg stehen. Es würde sich für IHN nichts ändern. Alex, sieh mich nicht so an. Du weißt, dass ich dich liebe. Um nichts in der Welt würde ich dich wieder gehen lassen wollen.“ (Ziios Worte, als sie Haytham wegschickte sind nachzulesen in „Forsaken“ von Oliver Bowden!)
Implizierten seine Worte aber nicht genau diesen Wunsch mit ihr immer noch vereint sein zu können? Der einzige Grund warum es nicht dazu kam war, dass ihrer beider Welten zu weit auseinander drifteten. Aber sein Wunsch war ja da, oder nicht?
„Herr Gott, Alex. Ich kann dich lesen!“ genervt stand er jetzt vor mir und hatte meine Oberarme gegriffen. „Sei doch ehrlich mit dir selber! Marius oder … mein Vater! Du könntest dir doch ebenso ein gemeinsames Leben vorstellen oder hast es dir vielleicht auch gewünscht. Aber das heißt doch nicht, dass WIR nicht mehr diese Einheit sein können, oder? Ohne dich würde mir etwas fehlen.“
Sein Gesicht verschwamm vor mir aufgrund der aufsteigenden Tränen!
Ich wollte diesen Mann!
Ich habe mein altes Leben für Haytham hinter mir gelassen um bei ihm sein zu können.
Edward war wie ein wunderschöner Traum, der in meinem Hinterkopf herumspukt, genauso wie die Erinnerungen an Marius. Lebten wir nicht alle mit solchen Emotionen?

 

Aber ich musste es loswerden!
„Es tut weh und stachelt meine Eifersucht an.“ nuschelte ich und spürte die Röte in meine Wangen steigen.
Plötzlich kam mir meine Aussage, dass wir noch einmal zu diesen Maya-Ruinen gehen sollten, ebenso unangebracht vor. Mir wurde klar, dass ich wirklich den Moment mit Edward vor mir gesehen hatte nachdem wir über den Wasserfall entkommen waren. Auch Haytham hatte allen Grund eifersüchtig zu sein!
Mit dieser Erkenntnis schlang ich meine Arme um meinen Mann, stammelte immer nur wieder ein „Entschuldigung“ und „Ich liebe dich“ an seine Brust.
„Auch mir tut es leid, dass ich dir diese Angst gemacht habe, mi sol. Lass unsere Vergangenheiten ruhen und uns auf die Zukunft berufen.“ bei diesen Worten klang ein leises Seufzen mit, also war auch er erleichtert, dieses Thema – vorerst – ad Akta legen zu können.

 

Außerdem gab es wichtigeres zu besprechen und siedendheiß fiel mir wieder der Schmuggel und die hier heimlich versteckten Sklaven wieder ein.
„Ich treffe mich mit Charles und Hickey in Richmond in unserem Büro. Jetzt wo du wieder auf den Beinen bist, werde ich morgen abreisen und alles klären. So hoffe ich doch.“ in seinen Augen sah ich, dass er nicht überzeugt von seiner Aussage war. Es gab wohl in letzter Zeit immer häufiger sogenannter Missverständnisse unter den Ordensmitgliedern, welche Haytham damals vereint hatte.
Benjamin Church gehörte zum Beispiel dazu und machte seiner Arroganz alle Ehre. Auch er unterschlug Hab und Gut anderer um sich zu bereichern. Anscheinend verdiente der feine Herr wohl doch nicht genug als Schlächter, verzeiht, Chirurg! Die Kontinental-Armee war nicht dafür bekannt regelmäßig den Sold zahlen zu können, wenn ich es recht in Erinnerung habe.
Die britische Armee litt unter dem gleichen Debakel. Wo ich dann auch beim Thema John André wäre.
Mein Wissen über den Herren teilte ich mit meinem Mann so gut es eben ging. Nicht alles war mir bis ins kleinste Detail bekannt, leider, aber ich hoffte, wir könnten ihm so ein wenig aus dem Weg gehen. Er stand hinter seiner Berufung als Mitglied der britischen Armee.

 

„Wäre es aber nicht eher für uns von Vorteil, wenn wir jemand so spezielles in unseren Reihen hätten?“ spekulierte mein Templer laut vor sich hin.
„Nein, nicht wirklich. Denk an unseren eigenen Handel welcher teilweise unter der Hand stattfindet. Wenn man uns auf die Schliche kommt, sind wir dran und ich möchte ungern die Plantage an die Briten abgeben müssen. Es wird schon schwer genug werden, sie gegen die Kontinental-Armee zu verteidigen, wenn der Krieg erst hier vor der Tür steht.“ dabei schüttelte es mich. Wie viele historische Filme hatte ich gesehen, wo genau DAS passiert war?
„Wo wir bei einem anderen Thema wären, mi sol. Die Ausbildung von Edward! Er sollte ein intensiveres Training bekommen und auf seine Position in unseren Reihen vorbereitete werden.“ eine logische Schlussfolgerung aus den ganzen neuen Erkenntnissen und Nachrichten. „Spätestens nächstes Jahr würde ich es gerne sehen, wenn er mit seinem richtigen Schwert beginnt zu üben. Du solltest ihn in die Lehre der Assassinen einweisen. Und ich werde Connor diesbezüglich auch mit einbeziehen, er wird ihm sicherlich auch noch nützliche Techniken zeigen können.“ das mein Gatte nicht förmlich vor Stolz explodierte, war eigentlich alles.

Würde er bei Florence genauso euphorisch an ihre Ausbildung gehen? Ein leiser Zweifel beschlich mich in diesem Moment.

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Autor

MrsHEKenways Profilbild MrsHEKenway

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Statistik

Kapitel: 61
Sätze: 9.649
Wörter: 132.190
Zeichen: 770.617

Kurzbeschreibung

Atlantik, 6. August 1768. Die Jackdaw ist auf dem Heimweg nach Virginia. Die Familie Kenway wähnt sich in Sicherheit, bis die Naglfar mit ihrem Kapitän Hrymr auftaucht. Damit starten wir in den zweiten Part und von jetzt an rückt der Revolutionskrieg mit seinen Schattenseiten immer näher. Ratonhnhaké:ton tritt auf den Plan und wird bald zu einer wichtigen Unterstützung, nicht nur für seinen Vater!

Kategorisierung

Diese Fanfiction wurde mit Übernatürliches, Mythologie, Nordische Mythologie, Abenteuer, Familie und Liebe getaggt.