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Kapitel: | 97 | |
Sätze: | 14.318 | |
Wörter: | 198.750 | |
Zeichen: | 1.155.777 |
Wir hatten ein neues winziges Besatzungsmitglied, eine kleine schmusige Katze. Florence verbrachte jede Minute mit ihr, streichelte sie, kuschelte mit ihr, fütterte sie mit kleinen Fischstückchen, welche ihr die Matrosen hin und wieder reichten.
„Du musst ihr noch einen Namen geben, min lille engel.“
Meine Tochter sah auf ihr kleines Haustier, dann wieder zu mir. „Weiß nicht, Mama!“
„Ist das eine Mädchenkatze?“ fragte Edward grübelnd, während er unser neues Familienmitglied streichelte.
„Ja, hast du vielleicht einen Namen?“ ein heftiges Nicken meines Sohnes sagte mir, dass er einen Einfall hatte.
„Mina! Flo mag doch die Geschichten von Jasmin so gerne, die Tante Jenny ihr immer erzählt hat.“ Stolz sah er zu mir.
„Gefällt dir der Name auch?“ jetzt war es meine Tochter die glücklich nickte und ihren Bruder umarmte.
Somit hätten wir das geklärt. Was für mich aber noch entscheidend war, war dass Walka sich mit der kleinen Katze vertrug. Bis jetzt war alles friedlich verlaufen.
Zum ersten Mal schliefen die Kinder nicht in meiner Kajüte, sondern bei ihren Kindermädchen unter Deck in deren Kammern. Wir hatten sie dafür extra noch herrichten lassen, weil oben kaum Platz war. Wir konnten ja schlecht anbauen!
Der heutige Tag begann friedlich, ich hatte mich mit Mr. Hargreaves über die Möglichkeit unterhalten, im nächsten Jahr Great Inagua eventuell einmal anzusteuern.
„Ich würde mich sehr darüber freuen.“ in seinem Gesicht war ein Strahlen erschienen! Dieser Mann liebte die Seefahrt wirklich!
Am Nachmittag zogen ein paar Wolken auf, aber es sah nicht nach Unwetter aus.
Allerdings begann sich gegen Abend ein dichter Nebel über dem Wasser zu bilden.
„Das ist aber ungewöhnlich zu dieser Jahreszeit!“ dachte mein erster Maat laut nach!
Auch die Temperaturen waren plötzlich eisig und alles fühlte sich irgendwie klamm an. Der Mann im Krähennest rief, dass dieser Dunst immer dichter wird.
Plötzlich eilte Haytham auf die Brücke.
„Alex! Setz deinen Sinn ein!“ dabei zog er mich zum Bug. „Siehst du es auch?“ in seiner Panik war er lauter geworden.
Ich konzentrierte mich, sah aber nur Nebel. Aber er sah anders aus, er … waberte nicht wie wir es kannten. Dann sah ich feine rote Linie in einiger Entfernung, welche sich zu einem Gebilde formten! Zuerst dachte ich, meine Sinne spielten mir einen Streich. Aber nein!
Ein Bild erschien! Ein Schiff! Ein sehr GROSSES Schiff mit einer jetzt deutlichen rot pulsierenden Aura!
Mein Herz schlug mir bis zum Hals! War das die Naglfar?
Mit einem Male tauchten etliche goldene Silhouetten um uns auf.
Mein Allvater sprach als erster.
„Da ist er ja, der Feigling. Traut sich doch tatsächlich endlich mal, sich zu zeigen!“ seine Stimme durchschnitt schon fast diesen Nebel! „Macht euch bereit für einen etwas unschönen Kampf!“ brüllte er alle Umstehenden an.
Meine Mannschaft sah ängstlich auf die helle Wand um uns, weil sie rein gar nichts sahen.
„Mistress Kenway! Da ist nichts…“ einer der jungen Männer traute sich dann doch etwas zu sagen!
„Ihr könnt es noch nicht wahrnehmen, aber ich versichere euch, dort vorne lauert ein mehr als gefährliches Schiff mit einem Gegner, der uns vernichtet sehen will!“ ich traute mich gar nicht mehr laut zu sprechen, aus Angst, dass mich Hrymr hören könnte.
Hach, wie schön! Ich höre dich, Schätzchen! Hier kannst du mir nicht so einfach entwischen! Du solltest dich schon einmal von deinem langweiligen Gatten und den nervigen Gören verabschieden! UNSERE Zeit beginnt bald!
Ich schaffte es gerade noch so, mich über die Reling zu lehnen, damit ich mich nicht aufs Deck übergebe!
Alle Männer begannen jetzt ihre Positionen für eine Schlacht einzunehmen, die Kanonen wurden bemannt und geladen, die Scharfschützen machten sich in den oberen Wanten ebenso bereit. Odin sei Dank, hatten wir noch einige von den neuen Gewehren bekommen, auch wenn sie bei diesem Nebel fürs erste unbrauchbar waren was das genaue Zielen anging.
Auch die Götter machten sich bereit und umgaben mein Schiff mit einer Art Schutzschild. Fasziniert sah ich auf dieses goldene Fließ um mich herum, bis mich Edward Junior aus meinen Gedanken holte.
„Mama! Mach dass der böse Kapitän wieder verschwindet!“ mit zitternden Lippen sah er zu mir auf.
„Ich verspreche dir und deiner Schwester, dass euch nichts passieren wird!“ ich sah zu Haytham, der sich ebenfalls gewappnet hatte. „Geht jetzt mit Sybill und Sophia hinunter, bitte! Hör auf mich, min lille skat!“ ich versuchte souverän zu klingen um ihm nicht noch mehr Angst zu machen.
„Aber geh nicht mit ihm mit, ich will auch brav sein. Ich bin auch keine nervige Göre!“ jetzt schniefte er an meiner Brust.
„Ich weiß, ich weiß, Edward. Bitte! Ich muss mich umziehen. Geh jetzt hinunter und pass auf deine Schwester auf, ja?“ flüsterte ich, strich ihm noch einmal über seine dunklen Haare, ehe ich mich umwandte um mich umzuziehen.
Ein seltsames Gefühl von Ruhe breitete sich plötzlich in mir aus, als ich nach und nach meine Montur anlegte.
Du siehst fantastisch darin aus! Ich freue mich schon, sie dir vom Leib zu reißen und dir zu zeigen, was dir noch alles gut stehen wird!
Dieses mal verursachten seine Worte keine unangenehmen Gefühle. Es stieg eine gewisse Wut in mir hoch. Diese nutzte ich jetzt um meine Mauer zu errichten. Oh nein, er wird mich nicht kriegen! Diese Genugtuung gebe ich ihm nicht!, schwor ich im Stillen.
Fertig angezogen ging ich wieder an Deck, wo ich vor einer Kampftruppe stand, die nur noch auf den Befehl zum losschlagen wartete.
Langsam löste sich diese helle Wand auf, hinter welcher die Naglfar sichtbar wurde. Mir sank nun doch mein Herz, sie war wirklich beeindruckend.
Du glaubst doch nicht, dass ich mit einer Nussschale meine Schlachten gewinne, oder?
Dieses Lachen war widerlich. Nicht nur ich hörte es, die Besatzung sah sich etwas verwirrt um, bekam aber von Thor eine entsprechende kurze Erklärung.
„Stellt euch vor, dort ist eine Man of War, die gleich angreift und ihr Kapitän ist ein großes Arschloch, welchem wir gehörig ans Bein pissen werden!“ grölte er Hammer schwingend. Ein lauter Kampfschrei war von den Männer zu hören, das hatten sie anscheinend noch gebraucht.
„Die Naglfar macht aber nicht den Eindruck, als wolle sie angreifen.“ das war mir auch schon aufgefallen. Ich sah keine Kanonenluken oder ähnliches. Ebenso wenig konnte ich jetzt, wo sich der Nebel verzogen hatte, eine Mannschaft an Deck ausmachen!
Haytham und ich ließen unsere Blicke noch einmal darüber gleiten, überall sahen wir aber diese feindlichen Auren, welche sich bewegten.
„Er hat sie getarnt, Alex!“ ich starrte fasziniert auf das andere Schiff, weil ich versuchte heraus zu finden, WIE das funktionierte.
Komm rüber, dann zeig ich dir meine Magie! Hörten wir ihn alle jetzt mit einem lauten Lachen.
Jetzt reichte es mir!
„Macht die Kanonen klar, eine Breitseite direkt auf das Mitteldeck!“ brüllte ich meinen ersten Befehl und es kam endlich Bewegung in die Mannschaft.
Auf der Naglfar konnte ich plötzlich ebenso Bewegungen ausmachen, wenn auch wie durch eine Wasserwand hindurch.
Die erste Salve donnerte los… aber nichts passierte! Wir sahen alle nur, wie die Kugeln an einer wabernden Wand abprallten und ins Wasser fielen!
„So, jetzt weißt du, dass du so nicht weiterkommst, mein Kind! Was schlägst du jetzt vor?“ mit einer hochgezogenen Augenbraue stand Odin vor mir.
„Ist das jetzt eine Fangfrage, ein Test, oder was? Woher soll ich…“ fauchte ich ihn an, weil ich mir einfach verarscht vorkam.
„Hier helfen im Moment noch keine weltlichen Waffen, dass solltest du wissen! Worauf glaubst du, haben wir euch vorbereitet? Auf einen Besuch im Streichelzoo?“ Der Göttervater hatte sich manifestiert. Er starrte mich wütend in Grund und Boden. „Nutze … deine … Fähigkeiten!“ jedes Wort betonte er einzeln!
Aber WAS sollte ich tun?
Haytham erschien neben mir mitsamt Tyr, auf der anderen Seite versuchte Thyra sich zu zeigen.
Immer noch schien Hrymr auf irgend etwas zu warten, es kam kein Gegenschlag von seiner Seite.
Mittlerweile hatten sich auch die anderen Götter in ihrer wahren Gestalt hier eingefunden! Eine recht beeindruckende Kampftruppe hatten wir beisammen.
Mit einem Male dämmerte mir, WAS Odin gemeint hatte. Ich musste meine Gedanken auf das mittlerweile neben uns liegende Schiff richten. Wenn ich das schaffte, dann konnte ich auch diesen Schild dort durchbrechen, ich wäre nicht alleine dabei.
„Ahhhh, du hast verstanden.“ freudig sah mich Sigyn an, die einen silbernen Brustpanzer trug. Auf ihrem Rücken sah ich einen Köcher mit Pfeilen und einen Bogen.
Ich schloss meine Augen, konzentrierte mich auf die Naglfar, versuchte sie in meinen Gedanken zu visualisieren! Nach und nach tauchte sie in meinem Kopf auf. Ich spürte, dass ich nicht mehr alleine war! Gemeinsam begannen wir diesen Schutz alleine durch den Willen zu durchbrechen. Wir rissen Hrymrs Mauer ein, wie er es schon so oft bei mir gemacht hatte!
NEIN! Ihr werdet mich nicht kleinkriegen! Fauchte er, als er begann doch zurück zuschlagen. Dieser Widerling versuchte jetzt mich mit Bildern zu manipulieren, zeigte mir wieder irgendwelche Trugbilder!
Das wird nicht funktionieren, du Idiot! Brüllte ich in meinen Gedanken.
Doch ehe ich mich versah, hörte ich schrille Schreie aus Richtung des feindlichen Schiffes! Was ich sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren!
Dort hing meine Tochter wie an Seilen in der Luft, neben ihr versuchte Edward Junior sich zu befreien. Seine Wut war bis zu mir zu spüren!
Es hört sich gemein und herzlos an, aber ich durfte mich davon nicht ablenken lassen.
Mir liefen die Tränen über die Wangen, als ich hörte, wie Fulla leise zu mir sprach. „Ich werde sie befreien, gemeinsam mit Heimdall! Vertrau mir!“ mehr als Nicken konnte ich nicht, weil jetzt eine Salve auf uns abgeschossen wurde.
Aber auch hier prallten die Kugeln wie an einer eisernen Wand ab.
Ich gab nicht auf, ordnete immer wieder das Nachladen an um die Naglfar ein wenig mürbe zu machen, weil das Schutzschild dort bereits rissig war!
Wir hörten Schüsse, welche aber immer nur in der Luft hängen blieben.
Leider sah ich, wie auch unser Schutz langsam zu bröckeln begann.
Eine weitere Breitseite aus beiden Kanonendecks auf die Naglfar brachte endlich den gewünschten Effekt. Einige Kugeln durchbrachen das feste schwarze Holz!
Um mich hörte ich lauten Jubel, aber noch war es nicht vorbei.
Jetzt begannen auch die Männer an Deck mit den Puckelgewehren die jetzt sichtbare feindliche Mannschaft zu beschießen.
Als ich hinauf zu meinen Kindern sah, bemerkte ich zwei goldene Schleier um sie! Warum aber bemerkte Hrymr diese Aktion nicht? Wo war er überhaupt?
Suchend sah ich mich um, fand weder ihn noch konnte ich irgendwo seine Aura ausmachen.
Ich bin ganz in deiner Nähe, Schätzchen! Flüsterte seine Stimme, aber nicht in meinem Geist, sondern direkt neben mir!
Erschrocken drehte ich mich in diese Richtung. Mich sahen glühend rote Augen aus dem Gesicht meines Mannes an.
Um uns war mittlerweile der Kampf im vollen Gange, die Schreie meiner Kinder waren aber Odin sei Dank verstummt. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie wieder auf die Jackdaw gebracht wurden, klammheimlich hinter Hrymrs Rücken. Wobei ich glaube, dass er es bemerkte, es auch so beabsichtigt hatte…
Es war eine hervorragende Ablenkung, findest du nicht? Dieses Arschloch hatte es geplant! Ich bin doch echt zu blöd!, schoss es mir in den Kopf.
„Diese Trugbilder haben immer kleine Unterschiede… Geruch… kleine Narben…“ Ging mir der Satz von einer meiner ersten Trainingsstunden bei Elias durch den Kopf.
Vor mir stand wirklich nicht Haytham! Dieser Geruch nach Holz und Rauch war nicht er! Bevor ich aber darüber nachdenken konnte, wo mein echter Mann ist, wurde ich von diesem falschen Gatten angegriffen. Immer noch verstand ich nicht, warum er mit mir kämpfte, wenn Hrymr doch eigentlich einen würdigen Nachfolger wünschte? Tot würde ich ihm DEN sicherlich nicht geben können!
Ich kriege immer was ich will!
Darauf kannst du lange warten! Schrie ich, gleichzeitig ließ ich meine Klingen vorschnellen und zückte mein Schwert.
Holla, er war ein erprobter Kämpfer und hatte eine gewisse Stärke inne.
Immer wieder traf er meinen Schwertarm, durchtrennte immer wieder den Stoff meiner Jacke! Aber nie schnitt er in mein Fleisch!
Ich hingegen landete tatsächlich hin und wieder einen Treffer, leider musste ich nebenbei auch noch immer irgendwelchen Kugeln ausweichen, die um uns herumflogen! Weil es ja nicht nur Schwerter waren, die hier zum Einsatz kamen.
Mach es mir doch noch leichter! Das ist langweilig so! Hörte ich diesen Gott maulen, als er mal wieder lustlos auf mich einschlug!
Du willst es spannender? Mir war der Gedanke gekommen, IHN zu infiltrieren. SEINEN Geist zu manipulieren!
Ahhhhhh, willkommen in meinem Kopf! Jubelte Hrymr, während zeitgleich um mich Wände emporschossen! Dann ist es doch noch so einfach, dich für mich zu gewinnen! Mal sehen, wie lange es dieses Mal dauert, bis dich dein Mann oder dieses andere Pack befreit haben!
Ich war auf den ältesten Trick der Geschichte hereingefallen!
Ich war eingesperrt!
Dieser Gott hatte es mal wieder geschafft, mich zu verarschen! Innerlich kochte ich vor Wut über mich selber, über meine Unfähigkeit!
Ich begann mich auf mich zu konzentrieren, hier zählte sonst nichts anderes. Ich würde einen Teufel tun und weiter versuchen, in SEINEN Geist zu dringen. Vermutlich würde ich Dinge sehen, die mir die nächsten hundert Jahre Albträume bescheren würden! Das Risiko wollte und konnte ich nicht eingehen!
Langsam ruhte ich in mir, sah Yannick vor mir, wie er seine ersten Schritte tat, wie er strahlend seine Geschenke an Weihnachten auspackte. Meine Gedanken glitten zu Haytham, welcher stolz seinen Sohn im Arm hielt…
Diese ganzen Eindrückte stärkten mich und meinen Geist!
Als ich sicher war, dass mir dieser Gott nichts mehr anhaben konnte, stand ich auf! Immer wieder schlug ich auf die mich umgebenden Steine ein, sagte aber nichts, dachte nur an meine Familie!
Ich sah diese Blockade nach und nach verschwinden, sie rieselte in kleinen Kaskaden herunter!
NEIN! DU BLEIBST HIER! Seine Stimme überschlug sich bereits.
Ob du es nun glaubst oder nicht, aber ich werde nie bei dir bleiben! Niemals würde ich bei Hrymr bleiben.
Jetzt begann ein Kampf hier in seinem Kopf, wo er mir eindeutig überlegen war.
Leider spürte ich nämlich nicht mehr die Anwesenheit der anderen Götter!
Nein, fang nicht an an dir zu zweifeln! Du schaffst das! Redete ich mir immer wieder ein. Ein neues Mantra!
Ach Weib, es ist wirklich langweilig mit dir! Vielleicht sollte ich auf deine Tochter warten, bis sie reif genug ist… Bei diesen Worten sah ich ihn vor mir stehen. Bevor er noch weiter sprechen konnte, donnerte ich ihm meine Faust ins Gesicht!
Eugene war in Erscheinung getreten, welchen ich nun mit Faustschlägen, Tritten, Kinnhaken malträtierte! In mir war eine seltsame Kraft, welche ich so noch nicht gespürt hatte.
Plötzlich blendete mich ein gleißendes Licht, ließ mich zurückweichen.
Diesen unbedachten Moment nutzte er, um mich mit seinem Säbel zu durchbohren. Ja, genauso war es. Als ich zu meiner Körpermitte sah, steckte die Waffe bis zum Knauf in meinem Fleisch!
Erschrocken keuchte ich auf, mein Atem ging hektisch und langsam sank ich auf die Knie. Mir wurde schwindelig, meine Finger begannen zu kribbeln, mein Kopf wurde leicht…
Das war nicht die Realität!
Das war nicht die Realität!
Wieder und wieder sprach ich diese Worte, versuchte mich wieder an die Oberfläche dieses dunklen Sumpfes zu bringen! Vergebens!
Ich strampelte regelrecht, schien darin zu ersticken! Nein, ich wollte hier nicht so enden!
NEIN! Mein ganzer Körper schrie nach Leben, ich war noch nicht bereit zu sterben!
Meine Hand griff nach dem Säbel, zog ihn langsam heraus und mein Blick glitt zu Eugene. Er stand über mir mit einem breiten Grinsen im Gesicht!
Was hast du jetzt vor? Ein letztes Mal aufbäumen, bevor ich mir das nehmen kann, was mir zusteht?
Gar nichts wirst du von mir bekommen. Flüsterte ich. Mit meiner letzten Kraft erhob ich mich und rammte meinerseits den Säbel in seinen Bauch!
Mit einem erstaunten Blick sah er auf seine eigene Waffe. Aber nichts geschah.
Ich hatte das Gefühl, als wäre die Szene eingefroren.
„ALEX! Hilf mir!“ Hörte ich die vertraute dunkle Stimme meines Templers in meiner Nähe. Als mein Blick wieder klarer wurde, wurde mir bewusst, dass ich bereits wieder auf der Jackdaw war! Vor mir sah ich einen Mann der Naglfar, welcher mich mit weit aufgerissenen Augen ansah, dann wieder auf den Dolch in seinem Bauch.
Ich hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Es waren wieder nur Bilder in meinem Kopf gewesen und ich hatte gerade jemanden umgebracht!
Ich sah mich um und entdeckte Haytham inmitten einer Gruppe von seltsam aussehenden Wesen. Sie hätten auch aus einem Marvel-Film stammen können. Die Haut glich der von Echsen, aber sie gingen auf zwei Beinen… Ach was solls…
Außerdem sah ich, wie Thor und Heimdall Seite an Seite eine andere Gattung von seltsamen Lebewesen dem Garaus machten!
Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich sagen, ich war in die Aufnahmen für einen Fantasyfilm geraten!
Ich rannte in Richtung meines Mannes um ihm beizustehen. Gemeinsam schafften wir es, wenn auch nicht ganz unbeschadet, diese Viecher ihrem Schöpfer zu übergeben!
Aber damit war noch nicht Schluss, denn ich sah, wie auf der Naglfar plötzlich weitere Gestalten auftauchten.
Die Naglfar regeneriert ihn und seine Kraft! War es wirklich so?
Ich eilte jetzt hinunter zum ersten Kanonendeck, ließ alles laden und gab dann den Befehl zu feuern. Die darunter liegende Sektion wurde ebenso angewiesen und feuerte nur Sekunden später!
Wieder an Deck sah ich einige unschöne Löcher und Risse in dem schwarzen Holz des Schiffes!
Du wirst mich nicht mit meinem Schiff versenken, Hure! Nicht bevor ich bekommen habe, was mir zusteht!
Die noch intakten Luken der Naglfar öffneten sich, die Kanonen wurden in Position gebracht. Der Befehl aber ließ auf sich warten, was mir natürlich reichte um mein Schiff einigermaßen in Sicherheit zu bringen!
Ich ließ unerwartet die Segel setzen! Vorerst nur die nötigsten! Hauptsache wir kamen hier etwas weg, weil ich bemerkte, wie sich der Wind erhob!
„Soll ich dir vielleicht dabei etwas helfen?“ grinste Thor, als er auch schon einen Sturm lostrat! Erst jetzt sah ich, dass plötzlich Edward Junior auf seinem Arm war und ihn anfeuerte! Mein Sohn! Er sollte doch…
„Jetzt hab dich nicht so, ihm passiert schon nichts!“ Augenrollend machte der Donnergott in seinem Tun weiter.
Dann hörte ich die ersten Einschläge von Kugeln, ängstlich stürmte ich an die Reling und besah mir die Schäden. Es waren keine großen Geschosse, aber sie waren spitz zulaufend.
Plötzlich stürmten einige Männer hustend und spuckend an Deck!
„Mistress Kenway! Diese Dinger explodieren… da kommt blauer Rauch aus den Viechern…“ keuchte mir ein Kanonier entgegen.
Also hieß es, dass wir schnellstens diese Naglfar unschädlich machen mussten! Meine Taktik von damals mit der HMS Iron Duke kam mir in den Sinn.
„Ja, ich bin immer noch wütend deswegen! Aber… es hat funktioniert. Dann mal los!“ hörte ich den Allvater in dem ganzen Tumult rufen.
Haytham sah mich entgeistert an, dann zu Thor. Als er aber über meine Schulter blickte, weiteten sich seine Augen noch mehr.
Vorsichtig drehte ich mich um, weil ich Angst vor dem hatte, was ich zu sehen bekam!
Brünhild schwebte mit Florence ein wenig über das Deck, aus ihrem Speer zuckten unaufhörlich Blitze, welche die Segel der Naglfar immer wieder trafen und so nach und nach zerstörten!
Jetzt auch noch meine Tochter? Ihr kleines Gesicht strahlte, während sie gemeinsam mit ihrer Patin den Speer hielt.
Ich war so perplex, dass ich unter Deck ging, weil wir hier Durchzug brauchten und ich Ablenkung!
Diese Geschosse waren also Bomben, die irgendwas Gasartiges losließen!
Auf der Treppe schoss mir schon ein widerlicher Geruch entgegen! Es mussten sich wohl einige Männer übergeben haben hier, kein Wunder…
Hektisch öffnete ich mit ein paar anderen Besatzungsmitgliedern die Lüftungsluken!
Für den Bruchteil einer Sekunde ging mir die Frage durch den Kopf, wo eigentlich die Kindermädchen waren, oder Michael und Magda.
Darum musste ich mich später kümmern, denn ich hörte schon das nächste Donnern von abgefeuerten Kugeln!
Erfreut stellte ich aber fest, dass wir schon recht gut voran gekommen waren, so dass nur ungefähr sechs dieser Teile meine Brig trafen und sie nur ein wenig ankratzten.
Wieder oben an Deck, sah ich, wie sich Hrymr jetzt ebenso auf seinem Schiff blicken ließ. Zum ersten Mal sah ich ihn in seiner Gestalt als Gott. Auch er hatte sich entsprechend manifestiert.
Neben ihm bauten sich vier weitere Gestalten auf.
„Er hat sie wieder zu sich geholt!“ Odin sah hinüber zu seinem Widersacher, als würde er ihn zum ersten Mal bemerken!
„WEN hat er geholt?“ meine Frage wurde vom Kapitän der Naglfar nur dürftig beantwortet.
„Meine treuesten Gefährten!“ sein Lachen war wieder mehr als unangenehm. Aber es erstarb abrupt! „Wie…“ sein Blick glitt an mir vorbei und blieb an Walka hängen!
Die Hündin erhob sich, oder besser sie wuchs! In ihrem Maul erschienen spitze Fangzähne, ihr Fell war lang und zottelig…
Wir alle hörten ihr Ohrenbetäubendes Geheul, welches mich erzittern ließ!
Dann sprang dieses… ich muss es so nennen, Monster mit einem schnellen Satz hinüber zum Totenschiff.
Für Walka - Bitte im Hintergrund ab jetzt laufen lassen
Mein Sohn schrie ihr noch hinterher, aber es war schon zu spät. Hrymrs Gefährten hatten keine Chance ihren Krallen und den Nadelspitzen Zähnen zu entkommen. Nur den Gott selber ließ sie in Ruhe. Dieser aber wich immer weiter zurück!
„Das ist unmöglich! Er kann nicht…“
Um uns herum schien sich die Welt plötzlich zu schütteln. Diese Erschütterung war so stark, dass ich befürchtete, meine Brig würde in ihre Einzelteile zerlegt werden. Gleichzeitig aber sah ich die Naglfar im Meer verschwinden und mit ihr… Walka!
„NEIN!“ die schrillen Schreie meines Sohnes übertönten sogar den lauten Wind um uns herum! Er versuchte sich von Thors Armen zu befreien, dieser hielt ihn aber eisern fest. „Du kannst nichts mehr für sie tun.“ diese Trauer in der Stimme des Gottes war herzzerreißend!
Wie versteinert stand ich da und sah auf diese Szenerie. Es war ein Albtraum, oder? Ich würde gleich aufwachen! Bitte, lass mich aufwachen!, flehte ich!
Langsam legte sich der Sturm, die Mannschaft reffte die Segel und ließ den Anker fallen. Es brauchte noch nicht einmal Befehle von mir!
Meine Kinder!, war der nächste Gedanke. Brünhild und Thor ließen sie jetzt runter. Die beiden rannten auf mich und Haytham zu, welchen ich bis jetzt gar nicht weiter mehr beachtet hatte. Es war einfach keine Zeit gewesen!
„Mama, hol Walka wieder!“ Edwards Weinen trieb mir ebenfalls die Tränen in die Augen, aber es lag nicht in meiner Macht. Auch wenn ich diese eigentlich „aufgedrückt“ bekommen habe damals, zu entscheiden, wer lebt und wer stirbt. Hier war es aber noch nicht an der Zeit. Mein Blick zum Allvater sagte mir genau das!
„Es tut mir so leid, min lille skat.“ vorsichtig strich ich über seinen Kopf, während ich auf der anderen Seite Florence versuchte zu beruhigen.
Erst jetzt schienen alle wieder in die Realität zu kommen. Mr. Hargreaves war als erster wieder in seinem Element und delegierte die Mannschaft entsprechend für Ordnung zu sorgen, die Schäden zu inspizieren und so weiter.
Haytham kniete nun auch neben uns. In seinen Augen sah ich ebenfalls diese Trauer.
„Edward, sie hat uns alle gerettet. Denk immer daran.“ flüsterte er, als er ihn auf den Schoß nahm.
„Aber… wer beschützt MICH jetzt?“ Unser Sohn klammerte sich an seinen Vater in der Hoffnung, dass ER etwas unternehmen würde.
„WIR werden das tun.“ wie aus einem Mund hatten alle Götter gleichzeitig gesprochen. Das reichte aber Edward nicht. Er würde noch lange seiner treuen Gefährtin hinterher trauern, befürchtete ich.
Auch Florence kullerten die Tränen über die Wange, während sie ihre kleine Hand auf Edwards Wange legte.
Ich werde sie mit Brünhild sicher nach Asgard bringen… diese leise Stimme konnten vermutlich nur wir hören. Doch auch das war für ihn kein Trost.
„Edward mein Schatz! Komm!“ diese Stimme kannte ich. Ich sah in die Richtung. Dort stand sie, Idun! In ihrer leuchtenden Gestalt und reichte meinem Sohn ihre Hand. Beide gingen zur Reling, wo sie Edward darauf hob.
„Und jetzt, nimm diesen Apfel… siehst du sie?“ flüsterte die Göttin. „Konzentriere dich..“ Von dieser goldenen Kugel ging ein immer stärker werdendes Leuchten aus, ebenso strahlte die Haut meines Sohnes. Deshalb sollte ich nach dem richtigen Artefakt damals suchen!
Die Lichtstrahlen trafen auf die Wasseroberfläche. Es sah aus, als würde sie dadurch geteilt. Ein Trichter entstand…
„Das machst du hervorragend… weiter… du kannst das!“ Iduns Stimme war immer noch sanft und leitete ihn an, sich auf seine Gefährtin zu konzentrieren.
Vermutlich sah es bei Moses auch so aus, als er das rote Meer geteilt hat, hier sah man allerdings in einen Strudel.
Immer wieder drohte er sich zu schließen, jedes mal sagte Idun, Edward solle seine Gedanken bündeln.
Mit einem lauten Platsch schloss sich dieser Trichter auf dem Meer.
Wir alle eilten an die Reling, um zu sehen, was genau passiert war!
Ich traute meinen Augen nicht! Vor uns paddelte Walka auf die Jackdaw zu und ehe ich etwas unternehmen konnte, sprang klein Kenway ihr entgegen! Odin sei Dank, konnte er schon schwimmen und die See war Dank Thor auch ruhig!
Haytham zog sich hastig seine Stiefel und den Mantel aus, damit er ihm helfen konnte. Die Männer ließen die Jakobsleiter herunter um ihnen wieder hinauf zu helfen!
Ich konnte nicht anders, ich heulte! Dieser Anblick war einfach… ich kann es nicht in Worte fassen!
„Ich habe mein Kind schon einmal verloren, das sollte nicht noch einmal geschehen. Ich danke dir, Idun.“ neben mir sah ich wie Loki dankbar Mutter Idun umarmte.
„Walka… sie ist wirklich Fenrir? Aber…“ mir fehlten die Worte!
„Du hast deinen Hengst nach ihm benannt, also warum sollten wir dann nicht einfach auch einen Gefährten an die Seite dieser Hündin stellen. So ist dein Kind zusätzlich immer beschützt.“ Wer würde diesem trickreichen Gott so eine warmherzige Seite schon zutrauen? „Na na na… du weißt doch…“ Ja, Loki war im tiefsten Inneren kein wirklich schlechter Mensch… nein Gott…
Edward war überglücklich, als er mit Walka wieder an Deck war. Die Hündin schlabberte aufgeregt über sein Gesicht. Sie genoss diese große Aufmerksamkeit, weil auch die Mannschaft sie tätschelte und knuddeln wollte.
„Ich hab dich doch lieb!“ mein Sohn klebte an diesem Tier, wir konnten ihn kaum dazu bewegen, sich trockene Sachen anzuziehen.
Erst jetzt hatte ich die Zeit mir meinen Mann genauer anzusehen, auch er stand wie ein begossener Pudel daneben.
„Mi amor, auch du musst dir was trockenes anziehen, ich will nicht, dass du noch krank wirst.“ flüsterte ich leise, während ich ihn hinter mir herzog.
In meiner Kajüte ließ er sich seufzend auf einen Stuhl sinken, zog mich aber zu sich und schlang seine Arme um mich. Sein Kopf ruhte auf meinem Bauch, sodass ich ihm vorsichtig durch die Haare streichen konnte.
„Das war grausam, mi sol. Edward tat mir so leid.“ seine Stimme versagte dabei, was ich ihm nicht verübeln konnte.
„Mir tat er auch leid. Ich danke dir, dass du hinterher gesprungen bist, mi amor! Ich bin aber immer noch völlig durcheinander, weil… meine Wunde am Bauch nicht existiert, die Götter aber noch alle da sind. Die Mannschaft scheint auch kein Problem damit zu haben. Haytham, was ist hier los auf einmal?“ die Worte sprudelten plötzlich aus mir heraus, weil mein Verstand erst jetzt wieder richtig begann zu arbeiten.
„Im Grunde hast du alles selber miterlebt, aber es gab wieder diesen einen Moment, in welchem du auf einen der Männer von Hrymr losgegangen bist. Du hast mit ihm gestritten, verstehen konnten wir es aber nicht genau. Du hast eine andere Sprache benutzt. Odin hat für mich immer mal übersetzt. Aber deine Wunde, von der du sprichst, war nie wirklich da. Dieser Mann vor dir hatte lediglich versucht mit einem kleinen Messer auf dich loszugehen! Die winzige Fleischwunde die er damit verursacht hat, ließ Edward mit Idun im Nu verheilen… Den Rest weißt du ja selber. Aber es ist ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass wir jetzt wirklich diese Trugbilder auseinander halten können. Hrymr war außer sich, als er sah, dass er dich in seinem Geist nicht aufhalten konnte.“ plötzlich kicherte mein Mann. „Du hättest sein wütendes Gesicht sehen sollen, mi sol.“
Also war der Kampf zwar real gewesen, aber immer noch unterlegt von einzelnen imaginären Bildern.
„Er hatte mal wieder versucht, dich für seine Zwecke zu nutzen. Aber ich würde dich unter tausenden an deinem Lavendel-Geruch erkennen.“ hauchte ich, weil ich Haytham das schon einmal so gesagt hatte. Mir huschte dabei ein Grinsen über das Gesicht.
„Da bin ich ja froh, wenn du nicht noch tiefergehende Forschungen anstellen musst, um sicher zu gehen, dass ich es wirklich bin…“ mir kam ein tiefes Seufzen über die Lippen.
„Ich würde gerne diese Forschungen vorantreiben, aber lass uns das auf später verschieben.“ Wir mussten uns um unsere Kinder, die Mannschaft, die Götter und um die Schäden an meinem Schiff kümmern.
An diesem Abend feierten wir gemeinsam mit gutem Ale, Wein und Gesang diesen kleinen ersten Erfolg im Bezug auf die Jagd nach Hrymr.
In den nächsten Wochen verbrachte ich viel Zeit mit Florence und Edward. Mir war klar geworden, dass ich immer wieder unterschätzte, wer ihnen zur Seite stand.
Eines Abends, als ich meinen Sohn zu Bett brachte, fragte er, ob er wenn er groß ist, auch so stark wie Thor sein wird. Ob er auch nach Asgard kommt und so weiter.
„Das weiß ich nicht. Aber ich glaube, du wirst so kämpfen können. Außerdem hast du ja gesehen was du mithilfe von Mutter Idun und einem Artefakt erreichen kannst.“
Ich hatte ihn nach dem Ereignis gefragt, was er für Bilder gesehen hatte. In seiner noch recht kindlichen Art, schilderte er mir, dass er sich Walka im James River vorgestellt hatte, wie sie mit ihm im Wasser gespielt hatte.
Diese Erklärung fand ich sehr schön und vor allem beruhigend.
Florence hingegen hatte noch eine Weile mit dem Ganzen zu kämpfen, weswegen sie einige Nächte auch bei Haytham und mir schlief.
Hrymr hatte sich tatsächlich in ihren Geist eingeklinkt. Er hatte sie wissen lassen, dass er mich beiseite schafft, damit ich keinen Einfluss mehr nehmen könnte. Das alles konnte ich in ihrem Kopf sehen. Wie grausam kann man sein, einem kleinen Kind so etwas zu zeigen? Tief in mir wünschte ich mir den Tag herbei, diesen Widerling endlich zur Strecke bringen zu können!
Ab diesem Zeitpunkt seltsamerweise begann unsere Tochter noch eifriger zu sprechen, sie schien zu wissen, dass sie sich artikulieren können muss. Das klingt vermutlich völlig absurd, aber genau diesen Eindruck erweckte sie!
Ich bekam die Gelegenheit mit Brünhild zu sprechen, welche mir noch einmal versicherte, sie hätte Walka gebührend begleitet. Als sie jedoch sah, dass Edward diese Trauer plagte, hatte sie mit Mutter Idun diesen Plan geschmiedet. Für uns waren Minuten verstrichen, in ihrer Welt waren Tage vergangen, erklärte sie mir noch einmal.
Meine Dankbarkeit für diese Rückführung konnte ich kaum in Worte fassen, vor allem wenn ich Edward mit seiner Gefährtin spielend über das Deck rennen sah.
Ab jetzt würde es nur noch ungefähr zwei Wochen dauern, erklärte Mr. Hargreaves und hatte mir und Haytham auf der Karte gezeigt, wo wir gerade sind.
Mein Finger glitt den Weg darüber nach Hause… Ich mag es woanders zu sein, keine Frage. Aber ich liebte es auch, wieder in meinem eigenen Bett zu schlafen. Das war schon immer so.
„Mom, ach komm. Lass uns doch dieses Jahr endlich mal nach Italien fahren! Da gibt es auch Betten und das Essen magst du auch!“ Yannick hatte mich immer wieder versucht in einen Urlaub zu drücken. Weiter als in meine alte Heimat hatte ich es nie geschafft! Zumindest im Privaten, die Reisen nach Korsika und Russland waren etwas anderes. Das reichte mir und meinem Wohlbefinden.
Was vor allem nach dem Kampf mit der Naglfar noch wichtig war, war die Mannschaft einzunorden. In Zukunft könnte uns das bestimmt noch einmal passieren. Also erteilte mir der Göttervater die Erlaubnis, die Männer einzuweisen. Es brauchte sage und schreibe eine Woche um sie alle aufzuklären, ihnen die Mythologie, meinen Glauben und so weiter, näher zu bringen.
„Mistress Kenway, aber dann brauchen wir uns ja nie wieder Sorgen machen. Die Götter beschützen euch und uns immer.“ eine logische Schlussfolgerung, welche aber in normalen Kriegssituationen so nicht stimmte.
Nach und nach begriffen die Männer aber, worauf es ankam, dass sie aber nicht damit hausieren gehen durften!
„Dabei wären das wunderbare Geschichten für Rupert! Mein Sohn liebt Abenteuererzählungen über alles.“ Welcher Junge tat das nicht?
In den ganzen Monaten hatte ich Magdas und Michaels Sohn bewundert, er war seefest, außerdem begann er zu sprechen. Er war ein kleiner Sonnenschein, man bemerkte ihn kaum. Leider ging das alles in dem ganzen Tumult unter und auch dort plagte mich hin und wieder mein schlechtes Gewissen.
Seit dem Vorfall mit Hrymr hatte sich Walka verändert, sie war zwar immer noch dicht an Edwards Seite, aber etwas in ihren Augen war anders.
„Mama, ich glaube sie hat auch ganz viel gelernt, als ich sie aus dem Wasser geholt habe.“ flüsterte mein Sohn mir eines Abends ans Ohr, so als dürfte seine Gefährtin es nicht hören.
„Siehst du! Dann lernt ihr gemeinsam, min lille skat!“ ich sprach ebenfalls ganz leise.
Dann endlich am 20. September sah ich unsere Anlegestelle, welche in der untergehenden Sonne lag.
„ENDLICH!“ rief ich über die Schulter meinem Mann zu, welcher mit den Kindern auf einer der Truhen saß und ihnen vorlas.
Kurz nach unserem Anlegen, rannte Edward von Bord, weil er Gilbert und Jessy schon gesehen hatte. Die Jungen begrüßten sich stürmisch und schon wurden unserem Sohn die tollsten Neuigkeiten erzählt.
Auch ich war dankbar, wieder an Land zu können, auch wenn wir dieses mal von bösen Unwettern verschont geblieben waren.
Die Wiedersehensfreude war wieder einmal Herz zerreißend. Jeder lag gefühlt jedem im Arm, begrüßte seine Freunde, Familie und so weiter.
Ich hingegen überwachte noch kurz das Entladen, dann setzte ich mich ebenfalls in die Kutsche, welche uns in unser Heim bringen sollte.
Wie immer, als ich die Eingangshalle betrat, schnippte ich die Schuhe von den Füßen und genoss diesen harten Dielenboden unter mir.
Florence stand neben mir, wankte aber immer noch gefährlich hin und her.
„Mama…“ jammerte sie plötzlich und erbrach sich auf dem Teppich. Da war die Seekrankheit mal umgekehrt. Tabea hatte aber schon eines der Mädchen angewiesen, die Sauerei wegzumachen.
Für später hatte ich ein Bad in Auftrag gegeben, welches wir ALLE dringend brauchten. Edwards Haare standen in alle Himmelsrichtungen, da half auch keine Bürste mehr. Bei Florence sah es nicht viel anders aus.
Aber fürs erste, weil es erst später Nachmittag war, machten wir uns alle auf zu den Pferden. Besonders unser Sohn wollte Darius sehen! Da fiel mir auch wieder ein, dass ich in den nächsten Tagen ein Schreiben an Master Gillehand verfassen sollte. Florence sollte ja auch ein eigenes Pferd bekommen.
Zur großen Erleichterung aller, waren alle Pferde gesund und wohlauf!
Mr. Mackenzie besprach sich kurz mit Haytham, wegen der bevorstehenden Wintervorräte und einer eventuellen Erweiterung des Stalls, da im Zuge der Vergrößerung der Felder auch einige Arbeitstiere dazukämen im kommenden Jahr.
Ich hingegen hatte Florence auf dem Arm, damit sie Brida und Fenrir ausreichend streicheln konnte.
„Mama, ich auch … ich auch…“ hibbelte sie herum.
„Min lille engel, wir werden Master Gillehand einen Besuch in den nächsten Wochen abstatten und mal schauen, vielleicht bekommst du dann auch ein eigenes Pferd.“ lächelte ich sie an.
Ihre kleine Katze hatten wir in einem vergitterten Körbchen im Haus gelassen, damit sich das Tier langsam an die neue Umgebung gewöhnen konnte. Auch dort würde Florence jetzt lernen, Verantwortung zu übernehmen. Im Grunde ging ich davon aus, dass Mina aber keine reine Hauskatze werden wird, weil wir gar nicht die Möglichkeit hatten, immer darauf zu achten, dass sie wieder zurück kam. Ich malte mir schon aus, dass meine Tochter des öfteren in Zukunft mit dicken Tränen da sitzen würde.
Nachdem die Tiere ausgiebig inspiziert worden waren, mein Mann alles besprochen hatte, war auch schon das Abendessen fertig. Ich freute mich riesig auf ein gutes Essen, ohne aufpassen zu müssen, dass der Teller nicht vom Tisch rutscht.
Jetzt saß auch unsere Tochter in ihrem eigenen Hochstuhl, wohingegen Edward eine kleine Erhöhung für seinen normalen Stuhl bekommen hatte. Sybill und Sophia hatten bereits für die beiden alles ausgepackt, so konnten sie sich nun um ihre Schützlinge kümmern.
Ich freute mich schon auf das Bad im Anschluss.
Leider kam es anders, weil der Alltag uns sofort wieder eingeholt hatte.
Mr. Robinson und zwei Vorarbeiter waren erschienen und baten um ein Gespräch, es sei dringend.
Wir gingen in Haythams Arbeitszimmer, wo noch nicht einmal alles wieder verstaut war. Die Kinder wurden unterdessen ohne uns gebadet.
„Es ist mir etwas unangenehm, euch gleich bei eurer Ankunft so zu überrennen. Aber die Neuigkeiten dulden keinen Aufschub.“ Der Aufseher begann von einigen Banditen, Dieben und anderem Gesindel zu berichten, welches sich mal wieder hier herumtrieb. Dieses mal jedoch waren sie hartnäckiger und nicht so leicht zu vertreiben gewesen! Immer wieder fand man die Überreste von kleinen Camps oder Lagern in unmittelbarer Nähe der Plantage.
Nicht nur wir waren betroffen, auch die anderen Nachbarn.
Besonders schlimm hatte es die Donovan-Plantage erwischt, wo sich im Mai ein Großbrand ereignet hatte. Dabei waren 5 Männer beim Versuch zu Löschen ums Leben gekommen. Das Herrenhaus war Odin sei Dank nicht betroffen, aber der Nutzvieh-Stall und 6 große Felder, wo Mais und Baumwolle angepflanzt wurde. Leider war nichts für die Ernte zu retten gewesen, weswegen wir dort einige Einbußen haben würden.
Verantwortlich für diesen Brand waren, laut des einen Vorarbeiters, diese Vandalen!
„Sie kommen aus dem Hinterland! Sind alle dumm wie ein Weizenkorn! Nicht einmal deutlich sprechen können sie!“ fluchte er lautstark, als er von einer Begegnung mit ihnen sprach. „Es wäre gut, wenn wir sie endlich vertreiben könnten. Aber das wird immer schwieriger!“ Diese Meute schien nicht kleiner zu werden, im Gegenteil! „Einer verschwindet, dafür tauchen gefühlt 2 neue auf!“
Wir würden uns also damit in den nächsten Wochen beschäftigen müssen. Auch die Nachbarn wussten schon Bescheid und hatten sich entsprechend vorbereitet!
Morgen werde ich dann auch eine Nachricht an die Williams-Plantage schicken. Wir sollten mitteilen, dass wir wieder im Lande waren. Insgeheim hoffte ich, dass auch Faith wieder daheim sei.
Nachdem Haytham mit den Herren das weitere Vorgehen besprochen hatte, entließen wir sie für den Abend. So langsam wurde ich nämlich müde. Außerdem wollte ich auch noch baden. Wenn möglich nicht alleine!
Auf dem Weg in den Keller hörte ich bereits freudiges Lachen von Edward und Florence. Beide waren noch am Planschen, die Haare sahen aber schon mal wieder ordentlich aus.
Als sie mich sahen, kam gleich ein „Kommst du auch mit rein, Mama!“ vom kleinen Kenway.
„Nein, ihr müsst jetzt aus dem Wasser raus. Ihr seid schon ganz schrumpelig.“ kicherte ich, nachdem mir Florence ihre Hände entgegen gestreckt hatte.
„Na guuuuut…“ da war jemand nicht so ganz mit meinem Vorschlag einverstanden.
Gemeinsam mit Sybill und Sophia machte ich meine Kinder bettfertig.
Gerade als ich auf der Treppe mit ihnen war, kam Haytham aus dem Schlafzimmer im Morgenrock.
„Ahhh, wie ich sehe, kann man euch wiedererkennen!“ Florence und Edward bekamen beide noch einen Kuss, ehe mein Mann nach unten verschwand.
„Willst du mit Papa baden?“ fragte unsere Tochter mit zitternden Lippen, weil sie nicht mehr ins Wasser durfte.
„Ja, auch ich muss doch sauber sein, min lille engel.“
Das erste Mal ins Bett bringen daheim ist immer etwas schwierig.
Aber ich wäre ja nicht weit weg, versicherte ich ihnen noch eindringlich. Dann endlich konnte auch ich mich im warmen Wasser entspannen. Es war eine echte Wohltat, wie mir Haytham ebenfalls bestätigte.
„Bei Gott, ich habe diese Annehmlichkeit vermisst.“ stöhnte er, als er sich langsam ins Wasser gleiten ließ, mich aber dabei mit sich zog.
„Hmmmmmmmmm…“ mehr kam nicht über meine Lippen. Mit dem Rücken lehnte ich mich an seine Brust. Wir genossen diese Wärme, die Nähe des anderen. Kurzum, diese Ruhe breitete sich aus.
Schnell bemerkte ich aber, dass meinem Mann nicht unbedingt der Sinn NUR nach Ruhe stand. Ich hatte seine Hände, seinen Körper ebenso vermisst und so holten wir einige Wochen Abstinenz innerhalb von wenigen Minuten nach!
Außer Atem und leicht verschwitzt trotz des Wasser, saß ich wenig später auf seinem Schoß. In seinen Augen lag diese wundervolle Befriedigung, die sich auch auf seinem Gesicht widerspiegelte.
„Ich habe dich vermisst.“ flüsterte er leise in meine wirren Haare. „Hoffentlich muss ich in absehbarer Zeit nicht schon wieder so lange warten…“ dabei glitten seine Hände über meinen Rücken hinunter zu meinem Po und blieben dort massierend liegen.
„Ich hege dieselbe Hoffnung, mi amor. Aber wir haben ja jetzt noch ein wenig Zeit und Gelegenheit…“ mit seinen Lippen versiegelte er meinen Mund, während er mich langsam von sich herunterhob.
„Die haben wir, mi sol…“ vorsichtig drehte er mich mit dem Rücken zu sich, gleichzeitig schob er mich an den Rand, so dass ich mich darauf abstützen konnte. „Gib mir deine Hände…“ mit einem festen Griff hielt er sie auf meinem Rücken.
In meinem Kopf bekam ich wieder meinen geliebten Templer, seine Befehle und Wünsche…
Im Anschluss saßen wir einen Moment hinten auf der Terrasse, weil die Temperaturen noch recht angenehm waren.
Wirklich zur Ruhe kam ich aber nicht, weil mir diese Banditen einfach nicht aus dem Kopf wollten. Immer wieder lauschte ich auf verdächtige Geräusche im Garten.
„Alex, bitte! Unsere Wachen würden sofort Alarm schlagen, wenn sich hier Gesindel rumtreiben würde!“ versuchte Haytham mich zu beruhigen.
„Trotzdem! Ich kann nicht anders…“ nuschelte ich nörgelig, weil es mir ja selber auf die Nerven ging im Grunde.
In der Nacht hörte ich dann leises Tapsen auf der Galerie vor unserer Tür, welche vorsichtig geöffnet wurde.
„Mama…“ flüsterte Edward. „Bist du wach? Ich kann nicht schlafen.“
„Dann komm her, min lille skat.“ sprach ich ebenso leise, Haytham hatte es aber bereits mitbekommen.
„Junger Mann, du hast ein eigenes…“ unser Sohn unterbrach ihn entschuldigend.
„Vater, es ist aber so still. Da höre ich immer was ich denke. Das ist unheimlich…“ damit kuschelte er sich direkt an die Seite von Haytham.
„Aber nur heute Nacht.“ mein Mann versuchte etwas streng zu klingen, was ihm gründlich misslang, weil er herzhaft dabei gähnen musste.
Walka blieb vor unserem Bett auf dem Boden zusammen gerollt liegen.
Kurz darauf waren wir alle wieder eingeschlafen.
Der Morgen begann mit einer, mal wieder, sehr aufgeregten Mrs. Wallace, welche erneut dachte, dass ihr Schützling verschwunden war.
„Edward! Geh schnell und sag Sybill, dass du bei uns geschlafen hast.“ grinste ich, neben mir musste sich mein Templer auch ein leises Lachen verkneifen.
„Vielleicht sollte er immer eine Botschaft für sie hinterlassen…“ das ist ein hervorragender Vorschlag, leider konnte unser Sohn aber vorerst nur seinen Namen, Mama und Papa schreiben.
Die Schule! Ich musste mit den Eheleuten Hathaway darüber sprechen, ob es wirklich schon sinnvoll war, Edward bereits jetzt zu unterrichten.
Florence erzählte während des gesamten Frühstücks munter vor sich hin. In einem Kauderwelsch, welches wir alle nicht so ganz verstanden! Ab und an konnte ich ein Wort verstehen, oder mir etwas zusammenreimen.
„Flo, red ordentlich! So versteh ich dich nicht!“ ihr Bruder klang ziemlich genervt, vermutlich weil auch er sich versuchte darauf zu konzentrieren.
Ein tiefes Seufzen meiner Tochter zeugte von ihrem eigenen Frust, dass man sie nicht verstand. Prompt begann sie zu weinen.
„Papa! ARM!“ jammerte sie mit einem Mal. Natürlich tat Haytham ihr den Gefallen.
„Was gibt es denn so wichtiges, was du uns schon beim Frühstück erzählen willst?“ fragend sah er sie an.
Es kam aber wieder nur ein Durcheinander an Sprachen und Wörtern aus ihr heraus.
Meine Liste für heute sah vor, dass ich ein Schreiben an Mr. Gillehand verfasste, wo ich mich und die Kinder für einen Besuch anmeldete. Haytham hatte mir schon mitgeteilt, dass er leider nicht mitkommen würde. Er müsse sich hier mit den widrigen Umständen der Überfälle und einiger Ernteproblematiken befassen. Wie schon erwähnt, von der anderen Plantage fehlten einige Einnahmen leider.
Anfang Oktober würde sich anbieten für den kleinen Ausflug. Wir würden auch nur wenige Tage dort bleiben vermutete ich.
Eine weitere Nachricht ging an die Williams-Plantage, immer noch hatte ich die Hoffnung, dass Faith bereits wieder oder besser NOCH hier war. Da war man sich ja nie ganz sicher.
Damit kam ich dann zu meinem wichtigsten Punkt auf der gesamten Liste, den ich im Grunde immer nur wieder aufgeschoben hatte. Entweder weil es die Zeit nicht zuließ oder andere Dinge, wie Schwangerschaften mich daran hinderten!
Das Zusammentreffen mit Achilles Davenport!
Wenn ich mich nicht beeilte, dann würde Connor vermutlich schon bei ihm sein. Das wollte ich unter allen Umständen vermeiden! Es musste erst einiges im Vorfeld geklärt sein.
„Alex, ich weiß nicht, ob du dort alleine hinreisen solltest. Vielleicht besprichst du dich noch einmal mit Shay. Er kennt diesen Mann besser!“ Haytham war es immer noch nicht wirklich recht, dass ich den alten Mentor seines besten Freundes traf.
„Ich weiß aber nicht, was das bringen sollte. Ich habe genug über ihn erfahren, dass ich sagen kann, er wird mich nicht gleich erschießen, wenn ich deinen Namen erwähne.“ in diesem Moment dachte ich wirklich darüber nach, wie dieser Herr reagieren könnte, wenn er erfuhr, dass ich mit dem Mann verheiratet war, der für seine Verwundung verantwortlich war.
„Seien wir ehrlich, er wird nicht gut zu sprechen sein auf mich.“ Nein, mein Mann hatte sich mit seiner Aktion keinen Gefallen getan. Im Grunde können wir von Glück reden, dass Shay ihn in seinem Vorhaben, Achilles zu töten, unterbrochen hatte. Dennoch! Achilles wird sicherlich immer noch humpeln und Schmerzen haben.
„Die habe ich auch immer noch von Lucios Schwertattacke.“ fauchte er mich an. Daran hatte ich gerade gar nicht mehr gedacht.
„Das glaube ich dir…“ flüsterte ich etwas verlegen.
Da ich aber einige Wochen unterwegs sein würde, plante ich für die Reise zu Master Davenport erst den kommenden Februar ein. Ich würde mich mit Fenrir alleine und einer Wache auf den Weg machen.
So verging der Vormittag mit Schreibarbeit und ohne größere Vorkommnisse.
Mr. Hargreaves war noch erschienen um die Gelder für die Mannschaft in Empfang zu nehmen. Außerdem berichtete er mir von den Reparaturen an meiner Brig, die jetzt anfingen.
Mindestens 4 Wochen müsste ich auf die Jackdaw verzichten. Ein wenig besorgt war ich schon, was ist, wenn wir dringend irgendwohin mussten? Aber ändern konnte ich es leider nicht.
Außerdem bat ich die Eheleute Hathaway um ein Gespräch am Nachmittag. Gerade wären sie vermutlich noch beschäftigt in der Schule. Ich nahm mir vor, dass auch Edward dabei sein sollte, damit sich die Lehrer ein Bild von ihm machen konnten.
Trotzdem wäre es noch recht früh, er wurde in zwei Monaten erst 5. Ich selber wurde mit 6 Jahren eingeschult, machte das aber einen so großen Unterschied, wenn die Lernbereitschaft doch da ist? Bis Januar wollte ich mir selber noch Bedenkzeit einräumen.
Mit diesem Gedanken ging ich hinunter zu Haytham.
„Bist du damit einverstanden, wenn wir Edward im Januar in die Schule schicken?“ ich lehnte hinter ihm mit den Armen um ihn geschlungen. Ich sah, er überarbeitete gerade das Geschäftsbuch für die ehemalige Donovan-Plantage.
„Hm, ehrlich gesagt, habe ich noch gar nicht über einen Zeitpunkt nachgedacht.“ grübelte mein Templer leise vor sich hin. „Aber er würde gerne mit den anderen Kindern zusammen sein. Wann werden die Hathaways hier erscheinen?“
Ich hatte 16 Uhr vorgeschlagen, eine gute Zeit wie ich fand.
Das Mittagessen war recht anstrengend, weil, wie ich schon befürchtet hatte, Mina einfach auf und davon war, kaum dass Florence sie aus ihrem Körbchen gelassen hatte.
Meine Tochter weinte ununterbrochen, wollte nicht essen, geschweige denn trinken. Immer wieder machte sie Anstalten aufzustehen, aber Sophia hielt sie mit mir zusammen auf.
„Min lille engel, deine Katze kommt sicher wieder. Sie will ihr neues Zuhause auch einmal erkunden.“ erklärte ich auch für mich als Beruhigung. Vermutlich würden Tage vergehen, bis wir das kleine Knäuel wiedersehen würden.
„Chat … wieder ... hier … haben …“ zwischen den Worten schluchzte sie unentwegt. Dazu kam auch der französische Ausdruck für Katze, was ich interessant fand, dass Florence das behalten hatte.
„Mein Engel, sie kommt sicher wieder. Was meinst du? Wollen wir nachher einmal nach ihr suchen?“ fragte Haytham, was ihr ein breites Lächeln entlockte.
„Ja …“ jubelte unsere Tochter und klatschte dabei in die Hände.
„Ich kann auch mitkommen. Ich finde Mina ganz bestimmt. Vater hat gesagt, dass ich meinen Adlersinn noch üben muss.“
Leider musste ich allen dreien jetzt den Wind aus den Segeln nehmen, weil wir noch den Termin mit den Lehrern hatten.
„Mi sol, ich glaube, das bekommst du mit Edward auch ganz alleine geregelt.“ mein Gatte sah mich auffordernd an, dem zuzustimmen. Er konnte seiner Tochter kaum einen Wunsch abschlagen, dafür verzichtete er sogar auf das Recht des Familienoberhauptes, wie es schien.
„Na gut. Edward, du kannst ja dann später deiner Schwester beim Suchen helfen. Aber erst werden wir mit Mr. und Mrs. Hathaway über einen Schulbesuch für dich sprechen!“ ich brauchte nichts weiter sagen, er war sofort Feuer und Flamme!
„Ich darf endlich mit Gilbert und Jessy lernen?“ nun war auch er glücklich, Odin sei Dank.
Die nächsten Stunden machte mich Edward wahnsinnig! Alle Nase lang fragte er, wann die beiden endlich erscheinen, ob es noch lange dauert und so weiter! Er saß keine Sekunde wirklich still, was auch Walka nervös werden ließ. Sie tigerte genauso unruhig herum. Kurzerhand scheuchte ich die beiden nach draußen. Die Sonne schien, da sollten sie sich ruhig austoben.
Ich hingegen setzte mich auf die Terrasse mit einem Buch und einer Tasse Kaffee.
„Mi sol, Edward ist ja nicht aufzuhalten!“ kicherte Haytham hinter mir, als er im Garten seinen herum rennenden Sohn beobachtete.
„Ich hätte erst etwas sagen sollen, wenn die Hathaways hier angekommen wären.“ aber ich musste auch grinsen.
Dann endlich wurden uns die beiden angekündigt, während Florence sich mit ihrem Vater auf machte, Mina zu suchen.
„Mistress Kenway, es ist schön euch wiederzusehen. Wie ist es euch in Europa ergangen?“ bewusst ließ Mr. Hathaway das Thema Schulbesuch noch ruhen, weil er gesehen hatte, dass Edward aufgeregt neben mir saß.
Ich spielte mit und berichtete ein wenig von den Vorkommnissen in London oder auch in Frankreich.
„Mama, nun sag schon, dass ich zur Schule soll.“ flüsterte klein Kenway in mein Ohr.
„Master Edward! Aber seid ihr nicht zu jung dafür?“ lächelte die Lehrerin ihn an.
„Nein, ganz bestimmt nicht…“ mit einem Satz war mein Sohn aufgesprungen und im Haus verschwunden! Ich wollte ihn gerade entschuldigen, weil ich dachte er sei wütend wegen dieser Frage. Aber weit gefehlt!
Mit einem Zettel und einem Kohlestift in der Hand erschien er wieder auf der Terrasse. Beides legte er vorsichtig auf den Tisch, setzte sich und begann seinen Namen zu schreiben, ebenso Mama, Papa mit der englischen Bezeichnung zusätzlich. Stolz reichte er nun den Eheleuten sein Werk.
„Ich kann schon ganz toll schreiben!“ mit stolzgeschwellter Brust stand er da.
„Das sehe ich, Master Edward! Ihr habt fleißig geübt wie ich sehe. Könnt ihr denn auch schon rechnen?“ fragte Mr. Hathaway jetzt leise.
„Ähm…“ mein Sohn sah mich verzweifelt an, weil er zwar ein bisschen addieren konnte, traute sich aber anscheinend nicht, es zu sagen. Aufmunternd nickte ich ihm zu, er solle es ruhig zeigen. „Ich… ich weiß was 1 plus 1 ist und auch 5 plus 6.“
„Hervorragend! Wirklich! Wie sieht es mit dem Lesen aus? Euer Vater berichtete, dass ihr auch das fleißig geübt habt.“ Wann bitte hatte Haytham mit ihnen darüber gesprochen? Wir waren doch gerade erst wieder hier.
Er reichte meinem Sohn ein kleines Büchlein, schlug es auf und deutete auf eine Zeile. Ich sah, dass es eine Lesefibel war.
Angestrengt stand Edward davor, fuhr mit seinen kleinen Fingern die Buchstaben entlang, öffnete immer wieder den Mund. Aber es hatte den Anschein, als traute er sich nicht, weil er Angst hatte Fehler zu machen.
„Nur zu, Master Edward. Wörter beißen nicht.“ lächelte Mrs. Hathaway ihn aufmunternd an.
Stotternd begann er „Ddder … Hhhhund … be… bbbbe… bellt!“ mit hochroten Wangen sah er zu uns auf.
„Hervorragend, Master Edward!“ der Lehrer wuschelte ihm durch die Haare. Stolz sah mich mein Sohn an.
„Kann ich jetzt wieder spielen gehen?“ mehr Konzentration konnte er also noch nicht aufbringen, was mir zeigte, wir sollten wirklich noch bis mindestens Januar mit dem Schulbesuch warten. Außerdem gefiel mir das Stottern nicht. Entweder lag es an der Aufregung oder er hatte wirklich ein Sprachproblem.
Wir entließen ihn alle. Fröhlich vor sich hin jubelnd rannte Edward jetzt nach vorne um seinem Vater und seiner Schwester beim Suchen der kleinen Mina zu helfen!
„Euer Sohn ist wirklich schon sehr weit für sein Alter. Wann ist sein Vater in die Schule gekommen?“ fragte mich unser Prediger.
„Mein Mann wurde daheim unterrichtet, er hatte Hauslehrer. Schon recht früh, weil sein Vater darauf drängte, ihm die bestmögliche Ausbildung angedeihen zu lassen.“ ob das so wirklich richtig war, entzieht sich ein wenig meiner Kenntnis, aber ich schätzte meinen Piraten genauso ein.
„Man merkt, das Master Edward wissbegierig ist. Jedoch sollte er noch ein wenig warten. Aber ich sehe es euch an, dass auch ihr noch eine gewisse Bedenkzeit braucht.“
Wir kamen also überein, dass wir im Januar noch einmal ein eingehenderes Gespräch führen werden.
Damit verabschiedeten sich die beiden Eheleute mit den Worten, sie würden sich freuen, uns morgen wieder bei der Andacht begrüßen zu dürfen. Es war schon wieder Sonntag morgen? Natürlich würden wir erscheinen, versicherte ich ihnen.
Für einen Moment saß ich anschließend alleine auf der Terrasse, sah auf den Zettel von Edward und dachte über seine ersten Leseversuche gerade nach. Vielleicht machte ich mir auch zu viele Gedanken und es war lediglich die Aufregung gewesen.
Es dauerte nicht lange und ich hörte lautes Weinen aus dem Wintergarten, welches in meine Richtung kam.
Florence hing an Haythams Schulter, welcher ihr beruhigend zusprach. An mich gewandt schüttelte er nur den Kopf.
Wir haben sie noch nicht gefunden. Sprach er im Geiste, weil er sah, dass ich befürchtete, Mina sei tot.
„Wir können ja Tante Faith nach ihren Mäusen fragen, die können wir dann hier für die Katze verteilen…“ natürlich dachte Edward praktisch, weil er vermutlich auch nicht gerne sah, wenn seine kleine Schwester weinte.
„Glaub mir, min lille skat. Mäuse gibt es hier genug. Vergiss auch nicht, dass Athene immer mal ein Häppchen braucht.“ ich gab ihm einen Kuss auf den Kopf, als ich mich erhob um Florence auf den Arm zu nehmen. „Und du, min lille engel? Sei nicht traurig, deine Mina kommt bestimmt wieder. Aber Katzen gehören nach draußen, sie mögen es nicht, in einem Haus eingesperrt zu sein.“ im Hinterkopf gingen mir aber unsere Wohnungskatzen im 21. Jahrhundert durch den Kopf, welche das Jagen völlig verlernt hatten.
„Ja, Mina … kommt… zu… mir?“ die kleine Maus konnte sich kaum beruhigen. Eine Garantie konnte ich ihr zwar nicht geben, aber ich versicherte noch einmal, dass die kleine Mina sie ja auch ganz doll vermissen wird.
Unsere Nacht war entsprechend unruhig, weil Florence der Meinung war, sie müsse vor der Haustür ihr Nachtlager aufschlagen um ihre Katze gleich hineinzulassen, sollte sie in der Nacht wieder kommen.
Edward erklärte sich kurzerhand bereit, mit ihr dort zu bleiben. „Einer muss ja Acht geben, dass du nicht frierst.“ Er schlang ihre Bettdecken um sich und seine Schwester, während sie auf dem kleinen Sofa neben der Tür zusammen kuschelten. Ein wirklich wunderschöner Anblick.
Sybill und Sophia nächtigten in ihrer Nähe im Salon, während sich eine Wache auf einen Stuhl neben die beiden setzte. Damit war ich beruhigter, gab meinen Kindern noch ihre Gute-Nacht-Küsse und sie bekamen ein gemeinsames Lied.
Im Schlafzimmer erwartete mich ein grinsender Ehemann. „Mi sol, Edward entwickelt sich zu einem Gentleman.“
„Du hast ihm ja auch bereits einige Lektionen diesbezüglich erteilt in Frankreich! Also sei stolz, dass deine Erziehung anscheinend auf fruchtbaren Boden stößt.“ Dieser kleine Kenway lernte wirklich wie man sich benehmen musste. Vermutlich hatte er auch Angst, dass Walka wieder weggesperrt wurde, wenn er etwas falsch machte.
„Da fällt mir ein, auch DIR könnten einige Lektionen nicht schaden, mi sol. Komm her.“ raunte er leise in meine Richtung, während sich seine Augen wieder verdunkelten.
„Dabei habe ich mich so arg zusammen gerissen, mi amor.“ flüsterte ich an seinen Lippen, als ich auf seinen Schoß geklettert war.
„Das reicht bei weitem nicht…“ wir verloren uns in diesem Rausch wieder, welcher sich in meinen ganzen Zellen auszubreiten schien.
Am nächsten Morgen machten wir uns nach dem Frühstück auf zum Versammlungshaus zur Andacht.
Wir begrüßten nun die Bauern und Pächter, welche erleichtert waren, dass wir wieder heile hier angekommen waren. Vor allem Mildred war sichtlich froh, weil ihr Kleinster Edward schon vermisst hatte. Bartholomeus war etwas jünger als unser Sohn, aber sie verstanden sich recht gut.
Florence hingegen beäugte jeden kritisch und schüchtern, während sie sich auf Haythams Arm an seine Schulter schmiegte.
„Mistress Kenway, die beiden sind ja unglaublich gewachsen in dem Jahr! Miss Florence kommt ganz nach euch, diese Augen.“ ihr entwich ein Seufzen was von dem Wunsch zeugte, auch ein Mädchen zu bekommen.
„Von euren Jungs kann ich dasselbe sagen, Mildred. Sie helfen sicher tüchtig mit, so kräftig wie sie aussehen.“ dabei sah ich den beiden größeren Jungs hinterher, wie sie mit ein paar anderen Burschen dicht beieinander gedrängt standen. Ihren Blicken folgend, sah ich, dass sie sich eine kleine Mädchengruppe auserkoren hatten. Ich vergaß immer, dass hier andere Maßstäbe galten, weswegen die jungen Herren durchaus schon mal ein Auge auf eine junge Magd oder ähnliches warfen.
Bevor wir aber noch weiter ins Tratschen kommen konnten, wurde eine kleine Glocke geläutet. Sieh an, unser Schmied hatte sie im Juni fertiggestellt. Das freute mich, weil es jetzt wirklich mehr den Eindruck einer kleinen Kirche erweckte.
Nach der Andacht, während der sich mal wieder der gesamte Nachwuchs am Riemen riss, konnten wir wieder zurück. Aber erst nachdem Edward sich mit allen zum Spielen verabredet hatte. Leider hatten aber viele der Kinder erst am Nachmittag Zeit, wegen der Schule.
„Das ist unfair!“ mit verschränkten Armen vor der Brust, saß Edward in der Kutsche. „Und was soll ich die ganze Zeit machen?“
„Ich glaube, ich werde mir ab jetzt wohl ab und an die Zeit nehmen, dir ein wenig den Schwertkampf näher zu bringen, Edward.“ dieses Lächeln von Haytham war so voller Stolz und Liebe zu seinem Sohn, dass dieser über beide Ohren strahlte.
„Au ja, Vater! Ich verspreche auch, ganz doll aufzupassen.“ Vermutlich würde er heute Nacht deswegen vor Aufregung nicht schlafen können, grinste ich jetzt meinerseits in mich hinein.
Am Nachmittag erhielt ich von meiner Schwester die ersehnte Nachricht, dass sie sich freuen würde, wenn ich sie besuchen komme. Ihr fiele die Decke auf den Kopf, weil sie nicht 5 Minuten allein gelassen wurde. Seit ihrer Schwangerschaft und weil sie „den Erben“ in sich trug, ließ man sie nicht aus den Augen. Oh wie gut ich sie da verstand. Da fühlte man sich regelrecht wie eingesperrt.
Ich versprach, dass ich sobald wie möglich vorbei kommen werde, um sie auf andere Gedanken zu bringen und vielleicht mal die Meute ein wenig auf Abstand zu halten. Beim Schreiben musste ich mir die ganze Zeit ein Kichern verkneifen, weil ich Shay schon vor mir sah, der darüber sicher nicht erfreut sein würde.
Mit ihm müsste ich aber auch während meines Besuches dann einmal über Achilles sprechen. Ich hatte mir nochmal Gedanken gemacht, vielleicht war es wirklich von Vorteil, wenn er mir noch ein wenig über diesen Mann erzählte.
Mit dem Boten schickte ich meinen Brief los.
„Du siehst aus, als würdest du am liebsten das Schriftstück selber vorbei bringen wollen, mi sol.“ lachte Haytham neben mir, als er sah, wie ich dem Reiter gedankenverloren nachsah.
„Ja, aber… ich muss zuerst mein Versprechen für Florence einlösen. Sie freut sich doch auf ein eigenes Pferd. Außerdem muss ich auch erst einmal hier wieder ankommen und alles auf Vordermann bringen.“ seufzte ich an seine Brust gelehnt.
„Wenn du Hilfe brauchst, dann sag Bescheid.“ flüsterte mein Templer in meine Haare, während er über meinen Rücken strich.
Rory hatte mir freudig mitgeteilt, dass er sich über den Besuch freuen würde. Mittlerweile wäre seine Zucht schon in aller Munde und sein bester Hengst war oft das Hauptgesprächsthema bei einigen Empfängen und Bällen.
Edward war ebenso aufgeregt, als ich ihm erzählte, dass wir uns die Tiere bei dem Advokaten anschauen würden.
„Darf ich Florence dann das Reiten beibringen, Mama? Ich kann das schon…“ dabei sah er zu seiner Schwester, welche gerade eingeschlafen war, es war eigentlich Mittagsschlafzeit.
„Ja, aber Mr. Mackenzie wird ihr trotzdem auch dabei helfen. Außerdem muss er ja das Pferd an die neue Umgebung gewöhnen…“ bevor ich weiter sprechen konnte, fiel mir mein Sohn ins Wort.
„Aber ich kann doch einfach schon mal damit zurückreiten, dann ist mehr Platz hier…“ er deutete auf den beengten Raum der Kutsche.
„Nein, Edward! Zumal ich doch auch noch gar nicht weiß, wie alt denn das Pferd sein wird, welches deine Schwester bekommt.“ Manchmal war es nervend, wenn er so vorpreschte, auch wenn Edward es nur gut meinte.
„Ja, Mama!“ kam es zickig von ihm, während er sich wegdrehte und aus dem Fenster sah. Mehr als seufzen konnte ich nicht, ich wollte keinen Streit vom Zaun brechen.
Mr. Gillehand erwartete uns schon auf der Veranda, die malerisch in der Sonne lag. Heute war es für den Oktober noch sehr warm, was die Fahrt natürlich sehr angenehm gemacht hatte.
„Mistress Kenway, Master Edward, Miss Florence! Ich freue mich, euch hier begrüßen zu dürfen. Ich hoffe, die Fahrt war angenehm?“ ich begrüßte den Herren, so auch meine Kinder, welche dann mit den Kindermädchen im Haus verschwanden.
Wir folgten ihnen, während mir Rory in kurzen Sätzen den neuesten Tratsch erzählte. Es war nichts Spektakuläres darunter, die üblichen Bettgeschichten, oder Neureiche, die sich übernommen hatten. Vor Gericht war er aufgestiegen und würde in Kürze tatsächlich in einen Richterposten erhoben werden.
„Das sind gute Neuigkeiten, Mr. Gillehand. Ich freue mich für euch!“ das tat ich wirklich.
Nach einer kleinen Stärkung gingen wir zu den Ställen, welche eine beachtliche Größe hatten. Man beherbergte mittlerweile 21 wunderschöne Pferde auf dieser Plantage. Der Advokat führte uns schnurstracks zu den ganz jungen Tieren, welche für den Verkauf vorgesehen waren.
Voller Stolz präsentierte er sie. 5 waren es an der Zahl, eines schöner als das andere. Florence war auf Rorys Arm und streichelte sich durch die Reihe.
„Ei...lieb…“ kam es jedes Mal leise kichernd von ihr.
„Miss Florence, welches mögt ihr am liebsten, oder habt ihr euch noch nicht entschieden?“ fragte er leise. Meine Tochter sah zu den Pferden, dann zu ihm. Kurzerhand zeigte sie auf ein niedliches braunes Tier, welches mir persönlich erst einmal gar nicht aufgefallen wäre. Es war völlig unscheinbar.
„Da habt ihr aber ein gute Wahl getroffen.“ hörte ich Rory leise sagen, als er mit ihr hinüber ging.
Also verbrachten wir hier eine ganze Weile, damit sich Florence näher mit ihrem Reittier beschäftigen konnte, während Edward ein Fachgespräch mit dem hiesigen Stallmeister führte.
Der war aber nicht gut zu sprechen auf Kinder, wie es schien und war sichtlich mürrisch.
„Das werdet ihr alles noch lernen, Master Edward. Das könnt ihr noch gar nicht wissen.“ so oder so ähnlich antwortete dieser Mann immer wieder, was aber meinen Sohn nicht davon abhielt, weiter zureden.
Nach einer unruhigen Nacht in einer ungewohnten Umgebung, verbrachten wir den Tag wieder mit den Pferden.
Edward und Walka tollten auf der Koppel herum, ab und an durfte er auch einmal „Probereiten“, was aber dem Stallmeister nicht gefiel, nur Rory hatte keine Probleme damit.
„Ich denke, der kleine Hengst wird bei euch in guten Händen sein, Miss Florence! Ich beglückwünsche euch zu diesem Kauf.“ er verneigte sich vor meiner Tochter.
Mit großen Augen sah sie ihn an, dann zu ihrem Tier. „Meins!“ hörte ich sie stolz sagen. Ihre kleine Hand fuhr langsam über das weiche Fell. „Mama, will hoch!“ dabei hampelte sie auf meinem Arm herum, also ließ ich sie auf dem Rücken kurz nieder. Noch war das Tier nicht alt genug zum Einreiten, ich hatte die Worte von Mackenzie nicht vergessen!
Wir beschlossen den Tag mit der Unterschrift des Kaufvertrages, gepaart mit einem Glas Champagner. Die Kinder bekamen selbst gepressten Apfelsaft mit ein paar Keksen dazu.
Dieser Abend war ausgesprochen entspannt und ich beriet mich mit Mr. Gillehand noch über die Banditen, die auch ihn nicht verschont hatten.
„Man hat eines Nachts eine meiner Vorratsscheunen in Brand gesteckt und einige Hühner geklaut. Bisher bin ich noch glimpflich dabei weggekommen wie es scheint, wenn ich so höre, was hier drumherum alles so passiert ist.“ ich sah ihm diese Erleichterung förmlich an.
„Ja, ich hoffe, dass es auch so bleibt, Mr. Gillehand.“ sprach ich über den Rand meines Glases, während ich in das Feuer des Kamins sah.
Am nächsten Morgen machte ich mich mit Florence und Edward wieder auf nach Hause. Wir würden erst am späten Nachmittag zurück sein.
Wiederholt versicherte mir Rory aber, dass er entsprechende Wachleute hätte und auch seine Arbeiter seien gut mit Waffen geschult worden.
Unseren Neuerwerb führte die Wache neben uns an einem Seil. Zuhause sollten wir uns Gedanken über einen Namen machen, fiel es mir ein. Darüber hatte ich nämlich nicht weiter nachgedacht.
Um die Zeit bis nach Hause zu verkürzen, erzählte ich Geschichten oder sang mit den Kindern.
„Klingt schön, Mama. Noch mal.“ flüsterte meine Tochter, als ich ein Lied über die Sternzeichen gesungen hatte. Damit hatte sie ein neues Lieblingslied, wie es schien.
„Flo, wie soll dein Pferd eigentlich heißen?“ kam es plötzlich von Edward, der bisher recht ruhig gewesen war.
Sie zuckte mit den Schultern, sah dann hilfesuchend zu ihrem Kindermädchen, dann zu mir.
In diesem Moment kam mir ein Name in den Sinn, welchen ich aus einem Videospiel noch gut in Erinnerung hatte. „Brynjolf!“ rief ich freudig und erntete einen mehr als erstaunten Ausdruck auf dem Gesicht meines Sohnes.
„Wer ist das denn, Mama?“ ich atmete tief ein und tief aus. Dann begann ich meinen Kinder von der wunderbaren Welt von „Elder Scrolls V – Skyrim“ zu berichten!
Und so vergingen die nächsten Stunden recht zügig. Meine Kinder hatten mal wieder ein „Märchen“ gehört, was so fantastisch war, dass man es kaum glauben konnte. Vor allem fand Edward den Teil mit den Drachen besonders spannend!
„Die musste man auch mit einem Zauberspruch aufwecken? Wie groß waren die? Hatten die spitze Zähne?“ in einer Tour kamen solche Fragen, wohingegen Florence am liebsten die Geschichten um die Jarls hören wollte.
Daheim wurden wir von Haytham in Empfang genommen.
„Da seid ihr ja wieder. Wie ich sehe, hast du jetzt ein eigenes Pferd, mein Engel.“ mit Schwung hob er sie hoch, damit sie ihm ihr Tier zeigen konnte. Mr. Mackenzie war schon zur Stelle mit dem Stallburschen und den Helfern, um die Pferde abzuspannen und den Neuzugang zu begutachten.
„Ein stattlicher Hengst. 2 Jahre vermute ich?“ der Stallmeister rieb sich nachdenklich das Kinn, während er um ihn herum ging.
„Ja, vor einem Monat ist er 2 geworden.“ erklärte ich. Bevor ich aber den Namen kundgeben konnte, fragte mein Mann seine Tochter, ob sie sich schon entschieden hatte.
„Bimwolf!“ rief sie. Mit einem großen Fragezeichen über dem Kopf sah mich Haytham an, ebenso stand der Stallmeister ratlos vor uns.
„Brynjolf, so heißt er.“ lachte ich, weil Bimwolf auch eine interessante Variante war.
„Ein seltsamer Name…“ beide Herren sahen sich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Da ich aber jetzt schon eher wieder zurück war, konnte ich eigentlich auch in ein paar Tagen zu Faith aufbrechen, ging es mir durch den Kopf. Am nächsten Tag besprach ich das Ganze dann noch mit Haytham, welcher nicht ganz so damit einverstanden war, weil er nicht mitkommen könnte.
„Dann komm einfach für einen Tag mal dorthin. Die beiden freuen sich sicher, auch dich mal wieder zusehen, mi amor.“ flüsterte ich an ihn geschmiegt, nachdem ich meinem Mann intensiv davon überzeugt hatte, dorthin fahren zu müssen.
„Das ließe sich ja einrichten.“ nuschelte er leise an meiner Seite. „Aber vergiss mich nicht, mi sol.“ hauchte er an mein Ohr, während sich seine Finger auf Wanderschaft begaben.
„Wie könnte ich das, mi sol.“ stöhnte ich, als er mein Piercing leicht berührte.
Am 10. Oktober brach ich mit den Kindern, den Kindermädchen und 4 Wachen auf. Es klingt kindisch, aber ich freute mich wahnsinnig Faith wieder in die Arme nehmen zu können.
Nach knapp 6 Stunden Fahrt kamen wir auf der Plantage an, wo uns Shay in Empfang nahm.
„Alex, schön dich gesund und munter wieder hier zu haben. Du meine Güte, Edward! Wo willst du noch hin wachsen, du bist ja groß geworden!“ stolz stand mein Sohn vor dem Iren.
„Ich will mal so groß wie mein Vater werden, Onkel Shay! Dann kann ich auch auf Mama und Florence aufpassen.“ zu mehr kam er aber nicht, weil Cadan, Cillian und July um die Ecke rannten.
„Eddy!“ sie begrüßten sich alle stürmisch und schwups, war mein Sohn mitsamt seiner Schwester im Garten verschwunden. Sybill und Sophia knicksten Shay zu, eilten aber dann schnell hinterher.
„Im Grunde freue ich mich wirklich, dass du hier bist. Vielleicht kannst du meine Frau ja ein wenig in bessere Laune versetzen. Sie mault uns ständig an. Dabei meinen wir es doch nur gut…“ wenn ich jetzt sage, dass er jammerte, kommt es dem Ganzen sehr nahe. Natürlich tat er mir leid, aber ich konnte Faiths Laune nur zu gut verstehen.
„Vielleicht könntet ihr Faith auch einfach mal eine kleine Pause von eurer Anwesenheit gönnen? Sie beginnt bestimmt keinen Marathon oder zettelt einen Krieg an!“ ich klopfte Shay dabei aufmunternd auf die Schulter.
Im Salon saß eine Faith, die sich lautstark mit Imhotep über die Ruhe in der Schwangerschaft stritt!
„Mo rionnag! Ich glaube, ich hätte auch zuhause bleiben können. Dich hört man ja bis dorthin!“ lachend nahm ich sie in den Arm.
„Endlich jemand, der mich vielleicht auch mal versteht!“ fauchte sie beide Herren um uns an.
„Ich glaube schon.“ flüsterte ich. Dann besah ich sie mir erst einmal genauer. Sie war etwas blasser als sonst, aber sie hatte schon geschrieben, dass ihr oft übel sei. Dieses Kind verlangte ihr alles ab, wie es schien.
Irgendwann verließen Imhotep und Shay uns, sodass wir ein wenig alleine reden konnten. Kaum waren die beiden verschwunden, platzte es aus ihr heraus!
Sie ließ sich über alles und jeden aus, ließ im Grunde kein gutes Haar an irgendjemanden! Ihre Wut auf dieses Eingesperrtsein, dieser Frust nicht einmal alleine zum Abort gehen zu dürfen und so weiter, machten sie mürbe.
„Du meine Güte, haben sie schon eine Sänfte für dich gebaut, damit du nicht laufen musst, um zum Frühstück zu kommen?“ kicherte ich kopfschüttelnd.
„Das ist nicht witzig, Alex!“ jetzt war ich also ihr auserkorenes Ziel. Nun gut! Sollte sie sich weiter auskotzen!
Nach gefühlten Stunden ebbte ein wenig der Redefluss, die Wut und alles ab.
Beim Abendessen herrschte ein für mich wunderbar normales Chaos. Ich hatte die vielen Menschen am Tisch vermisst.
„Shay, wenn du vielleicht morgen ein wenig Zeit für mich hättest, würde ich dich gerne in Beschlag nehmen.“ fragte ich mit leider vollem Mund, aber das Essen war so köstlich!
Mit großen Augen sah er mich an. „Das klingt ernst. Ist etwas mit Haytham?“ Wie kam er denn darauf, DAS hätte ich wohl gleich erzählt, oder besser geschrieben!
„Nein, es geht um meine Reise zu Master Davenport!“ plapperte ich weiter.
„Aha, warum willst du zu ihm?“ immer noch sah er mich seltsam an.
„Weil… könnten wir das bitte unter vier Augen besprechen?“ ich sah die vielen neugierigen Kinderaugen, die vorerst davon noch keinen Wind bekommen sollten.
„Gut, ich habe morgen noch keine Termine.“ Dabei sah er mahnend zu seiner Frau. Bei Odin! Sie konnte auch mal fünf Minuten ohne seine wachsamen Augen zubringen!
Als dann etwas Ruhe eingekehrt war, nachdem alle Kinder im Bett waren, saßen wir im Salon und genossen für einen Moment diese Stille.
Leider fielen mir recht schnell die Augen zu, sogar bei meinen Erzählungen über die Reise in Deutschland, konnte ich ein Gähnen nicht mehr unterdrücken. Also verabschiedete ich mich.
„Gute Nacht, mo rionnag.“ als ich ihre warmen Lippen auf meinen spürte, hätte ich sie am liebsten ins nächstbeste Bett gezerrt, aber… das würden wir auf die Zeit NACH der Schwangerschaft verschieben. Auch ich wollte kein Risiko eingehen, außerdem war mir nicht nach dem Unmut von allen „Aufpassern“ hier ringsum, die sich schon warnend aufgerichtet hatten, als ich meiner Schwester etwas näher gekommen war.
„Keine Sorge, Gentleman. Meine Finger bleiben bei mir.“ kicherte ich und machte mich auf in mein Zimmer.
Dort sah ich noch nach Edward und Florence, welche beide friedlich in ihren Betten schliefen.
Als ich eintrat, richtete sich Walka auf. Sie sah mich, erkannte mich sofort und ich mag mich täuschen, aber sie machte einen erleichterten Eindruck. Dann legte sie sich wieder zusammengerollt ans Fußende von Edward.
„Gute Nacht ihr drei.“ flüsterte ich bevor ich mich fürs Bett fertig machte.
Dort lag ich dann… starrte auf den Betthimmel… und konnte nicht einschlafen. Verflixt nochmal! Ich dachte an die weiche Haut von Faith, ihre warmen Lippen, ihre filigranen Finger…
„Mi sol!“ hörte ich eine warnende dunkle Stimme in meinem Kopf.
„Entschuldige… ich… kann nichts dafür…“ gab ich verlegen zurück.
„Lass dich fallen…“ dieser Ton in Haythams Stimme brachte meinen Unterleib zum Zittern.
Wir genossen diese Bilder des jeweils anderen in unseren Gedanken, wir ließen uns unendlich Zeit um im Einklang zu sein.
Ein erleichtertes „Jesus…“ von Haytham brachte auch mir die Erlösung, welche mir ein wohlig gestöhntes „Bei Odin…“ entlockte.
„Ich liebe dich…“ das kam wie aus einem Mund.
Nach dem Frühstück wurde der gesamte Nachwuchs nach draußen gescheucht, um sich auszutoben. Edward hatte sein Übungsschwert dabei und einiges an Spielzeug. Florence hatte mit Sophia ebenso einiges eingepackt. Langeweile würde also hoffentlich nicht so schnell aufkommen.
Shay bat mich ins Arbeitszimmer, wo wir ungestört waren. Im Grunde wusste ich gar nicht, was genau ich mit ihm besprechen sollte. Also beschloss ich, mit der Tür ins Haus zu fallen!
„Ich sagte ja schon, dass ich zu Achilles reisen möchte. Möglichst noch bevor… Haythams Sohn dort ankommt…“ in diesem Moment war mir gar nicht klar, ob ich davon schon erzählt hatte. Ich fuhr einfach fort, weil der Mann vor mir auch nichts weiter dazu äußerte. Ich erklärte jetzt meine Beweggründe, dass ich Master Davenport ein wenig den Wind aus den Segeln nehmen müsse, damit er Connor nicht in ein Meer aus Lügen und Zorn wirft.
„Er hat also wirklich bereits einen Sohn? Und dieser wird von Achilles ausgebildet? Zum Assassinen?“ ungläubig sah er mich an. „Bist du dir wirklich sicher? Der alte Mann ist kaum in der Lage gerade zu laufen, glaube mir! Wie soll er …“ er unterbrach sich selber. „Oh, es geht hier nicht nur ums Kämpfen, richtig? Aber das gehört ja auch dazu…“ es trat eine unangenehme Pause ein.
„Achilles wird einen unglaublichen Groll auf Haytham haben, welchen er auf diesen Jungen überträgt. Vielleicht kann ich ihn auch ein wenig besänftigen, wenn ich noch einmal darauf hinweise, dass DU das schlimmste verhindert hast…“ jetzt wo ich es ausgesprochen hörte, klang es wirklich völlig absurd. Das würde diesen Herren sicherlich nicht von seiner Meinung abbringen. Im Gegenteil! Verdammte Axt!
Shay erzählte mir über seine Ausbildung, das Training und so weiter bei Achilles. Leichte Zeiten waren es nicht und oft hatte er das Gefühl, nicht gut genug zu sein. An einigen Stellen tat er mir wirklich leid, weil Davenport immer ein leichtes Misstrauen ihm gegenüber hatte. Nur Liam stand eigentlich IMMER auf seiner Seite. Bei dem Namen sah ich diese Trauer in Shays Augen!
„Er hat mich nie im Stich gelassen. Wir haben einige Schlägereien gemeinsam erlebt…“ bei diesen Worten wanderte sein Blick in die Vergangenheit. Ich unterdrückte diesen Impuls ihm dorthin in Gedanken zu folgen, auch wenn ich immer noch nicht alles aus seinem Leben wusste! Nein! Die Zeit für Forschungen war vorbei!
Wir verblieben so, wenn ich noch Fragen haben, sollte ich einfach auf ihn zukommen.
Im Grunde war es wie ein kleiner Urlaub, den ich hier noch verbrachte.
Am nächsten Nachmittag erschien mein Mann plötzlich. Für einen Moment setzte mein Herz aus, weil ich schlechte Nachrichten befürchtete.
„Mi sol, ich hatte Sehnsucht nach meiner Familie…“ sein Kuss zusammen mit diesen Worten beruhigte mich postwendend.
Auch er wurde nun noch herzlich begrüßt.
Als ich Shay und Haytham neben Imhotep sah, begann ich erneut darüber zu grübeln, wo ich diesen Mann schon einmal gesehen hatte, wenn auch nicht in dieser stattlichen Größe. Aber… dieses Gesicht, diese dunkle Haut und vor allem die Augen! Es war doch zum Verrückt werden! Ich kam einfach nicht drauf!
Wir saßen noch nicht ganz auf der hinteren Terrasse in der noch warmen Nachmittagssonne, als plötzlich Florence aufsprang und hinter irgend etwas im Garten her rannte.
In meiner Panik, weil ich wieder ein Stinktier befürchtete, hechtete ich ihr förmlich nach.
„Florence! Bleib stehen! Was ist…“ zu mehr kam ich aber nicht, da lag sie schon im Dreck mit einem schmutzigen Fellknäuel im Arm.
„Mama… Mina ist daaaaaaaa…“ rief sie mit Tränen in den Augen.
Wir wuschelten ein wenig den Sand aus dem Fell und siehe da! Es war tatsächlich die eindeutige Zeichnung des Fells ihrer Katze.
Überglücklich knuddelte sie den kleinen Ausreißer, während July und die Jungs mit großen Augen dabei standen.
„Das ist deine Katze? Aber warum ist sie hier?“ fragte July neugierig.
„Die Kleine muss erst noch ihr neues Zuhause und die Gegend erkunden. Aber es ist doch schön, dass sie hierher gekommen ist.“ im Grunde war ich einfach nur erleichtert. Eine echte Erklärung hatte ich nicht auf Lager und ehrlich gesagt hatte ich darauf auch gerade keine Lust.
Der Abend hätte ja auch einfach entspannt ablaufen können, doch blöderweise fiel das Thema noch einmal auf meine Reise zu Achilles.
„Haytham, ihr wisst, wie ich zu diesem Herren stehe. Er ist nicht unbedingt mein bester Freund.“ grummelte Shay vor sich hin, als ich meinem Mann erzählte, dass ich mit dem Iren bereits gesprochen hatte.
„Das ist mir bewusst. Alex hat aber Recht, wir müssen diesen Versuch starten, ihn …“ mein Mann wollte es nicht aussprechen, wer konnte es ihm verübeln.
„Vielleicht sollte ich es auch einfach auf mich zukommen lassen. Ich bin ja nicht auf den Mund gefallen.“ lächelte ich zuversichtlicher als ich eigentlich war.
Plötzlich nahm ich im Augenwinkel wahr, wie Faith unruhig in die Runde sah.
„Mo rionnag, geht es dir nicht gut?“ besorgt ging ich zu ihr hinüber, weil ich mich an meine eigene Unruhe bei Edwards Geburt erinnerte.
„Es… mir geht es gut… aber… ich glaube ich sollte etwas erklären.“ flüsterte Faith leise. Sie starrte auf ihre im Schoß gefalteten Hände.
Bevor ich noch einmal den Mund aufmachen konnte, begann sie zu erzählen!
„Bevor ich wieder zur Morrigan ging… also…“ sie schilderte wie sie mit Adam, ihrem Cousin, auf Master Davenport traf. Faith berichtete von der mauligen Art Achilles´, weil er puren Egoismus in ihrer Hilfe vermutete. Im Grunde war es das auch, wenn wir ehrlich sind. Dennoch hat sie die Kugel aus seinem Knie entfernt, damit er schnellstmöglich zu seinem Schiff mithilfe von ihrem Cousin eilen konnte. Ohne ihre Hilfe hätte er es vielleicht auch gar nicht überlebt, wäre nicht rechtzeitig an Bord gelangt. Diverse Szenarien spielten sich in meinem Kopf ab.
Mit einem Satz sprang Haytham auf, funkelte Faith wütend an und dann brach es aus ihm heraus.
„Du hast bitte was getan? Du hast diesem Assassinen, welcher tausende unschuldiger Leben auf dem Gewissen hat, geholfen zu Überleben? Bist du noch bei Trost?“ seine Stimme zitterte vor Wut, aber er riss sich noch zusammen.
„Ich bin Heilerin, Haytham, schon vergessen? Und eigentlich war es eine Mischung aus allem, der Gesamtsituation wenn man es so nennen möchte.“ dabei sah sie mich an, wartete auf Zustimmung. Ja, damit hatte sie Recht, aber auch ich war sprachlos! DAS wusste sogar ich nicht, woher auch?
„Ich kann es nicht glauben, er hätte es auch ohne deine Hilfe geschafft. Achilles ist ein zäher Bursche!“ fauchte Shay, aber nicht ganz so aufgebracht wie Haytham.
„Und jetzt? Ich habe die Kugel entfernt, er lebt und… vielleicht habe ich den Weg für… DEINEN Sohn damit geebnet? Schon mal darüber nachgedacht?“ Faith wurde wieder ungehalten, dieses mal jedoch brachen auch die Isugene durch. Ihre Haut begann zu leuchten!
„Reiß dich zusammen, Faith. Ich lasse nicht in so einem Ton mit mir reden!“ jetzt standen sich die beiden wie wütende Wölfe gegenüber. So etwas hatte ich noch nie zwischen ihnen erlebt. Ich sah, wie bei meinem Mann Tyr begann sich erheben! Bevor es aber noch eskaliert, warf ich einen Gedanken in den Raum!
„Vielleicht betrachtet ihr es aus beiden Blickwinkeln einmal. Haytham, du hast ihm deinen Standpunkt, deine Sicht auf die Dinge klarmachen wollen, wenn auch etwas zu brutal. Das musst du selber zugeben, oder? Faith hat im Grunde nur auf Grund ihres moralischen Eides gehandelt mit einer sehr großen Prise Egoismus!“ ich versuchte eine logische Brücke für beide zu bauen, scheiterte aber an zwei Dickköpfen, welche sehr selten zum Vorschein kamen. Und wenn, dann in den unpassendsten Momenten, wie jetzt zum Beispiel! Bei Odin!
Plötzlich hatte ich das Gefühl, als wären wir vier völlig alleine. Es gab keine Götter, keine Isu, nichts mehr um uns… die Gemüter beruhigten sich langsam. Aber dann war da etwas… wir fühlten es alle! Die Vorsehung oder man möge es auch wieder einmal das Schicksal nennen. Auch damals schon war es ein Eingriff, welcher nicht nur meinen Weg ebnen sollte, sondern auch den von Connor und allen anderen.
„Achilles hat es verstanden…“ flüsterte Faith, als ihr Blick auf Shay fiel, welcher ebenso diesen Gedankenblitz des Schicksals hatte.
Ich weiß, dass es völlig unpassend in dem Moment war, aber mir schoss ein Gedanke in den Kopf.
„Aber genau damit kann ich Master Davenport von seinem Hass ein wenig abbringen. Wenn ich ihm erkläre, dass auch er nicht frei von Schuld ist, Haytham ebenso wenig, dann kann ich diesen Moment noch mit anbringen!“ in meinem Kopf spielte ich das Gespräch bereits durch, wie ich es schon oft in der Vergangenheit in ähnlichen Situationen gemacht hatte, wenn etwas zu klären war.
„Du lässt dich eh nicht von deinem Vorhaben abbringen, oder Alex?“ immer noch klang mein Mann sauer.
„Nein, aber das weißt du ja! Wenn ich dich und deinen Sohn friedlich an einen Tisch bringen will, muss Achilles im Vorfeld ruhiger werden. Versteh doch, so kann ich es vielleicht schaffen.“ Der Rest würde von mir improvisiert werden müssen, weil ich noch kein Wort mit diesem Herren gewechselt hatte. Shays Beschreibung war auch eher neutral gehalten.
„Aber noch einmal lasse ich mich nicht so vorführen, Faith. Ist das klar?“ fauchte Haytham meine Schwester an, während er sich vor ihr aufbaute.
„Natürlich, BRUDER! Ich tue immer das, was man mir sagt.“ oh bei Odin, dieser Satz kam so zynisch aus ihrem Mund, dass man sehen konnte sie sprach auch Shay an, Imhotep und alle, die sie seit Monaten in Watte packten! Die bösen Hormone machen eben, was sie wollen!
Wir alle genehmigten uns noch etwas Hochprozentiges um die Gemüter zu kühlen. Jetzt kam es nur noch darauf an, dass ich rechtzeitig bei Master Davenport ankam und dass ich ihm wirklich etwas von diesem Hass nehmen konnte.
Zwei Tage später machten wir uns wieder auf den Weg nach Hause.
Florence hatte ihre Katze kaum aus den Augen gelassen und in der Nacht hatte sie im Bett meiner Tochter geschlafen. Ich hoffte, dass es auch daheim so sein würde.
Walka hatte sich leider gestern noch mit einem der Wachhunde hier angelegt. Ihr Angreifer hatte eine Schramme an der linken Flanke und sie hatte ein kleines Loch im Ohr. Es war uns leider nicht möglich, dazwischen zu gehen, ohne selber zu Schaden zu kommen. Es war halt nicht das Revier von Edwards Hündin, aber die hiesigen tierischen Wachen wussten sie schon in ihre Schranken zu weisen.
Edward verarztete seine Hündin, so gut er konnte. Aber Sybill mahnte ihn, bei ihr keine Heilungskräfte einzusetzen.
Darauf angesprochen bekam ich nur „Sie ist gesegnet.“ von Snotra. Fragend sah ich sie an, bekam aber keine weitere Erklärung. Es war also wirklich so, dass diese Hündin von jetzt an ebenfalls beschützt wurde.
Auf der Fahrt zurück saß Edward bei Haytham mit auf dessen Stute, was natürlich Florence sichtlich missfiel. Also bat ich darum, dass sich die beiden Geschwister bitte abwechseln sollten. Auch meine Nerven waren irgendwann nicht mehr so vorhanden, wie sie sollten! Besonders nach derlei Gesprächen in den letzten Tagen!
Leider war ich recht unaufmerksam und zu spät bekam ich mit, dass man uns bereits seit einer Ewigkeit verfolgte!
Haytham war alleine zur Williams-Plantage geritten, sprich wir hatten die vier Wachen und uns selber.
Es mag Eingebung gewesen sein, aber ich hatte mein Stiefelmesser in meinem Strumpfband und die schmalen versteckten Klingen in meinen Ärmeln!
Florence wurde mir gereicht, während Haytham langsam von seinem Pferd stieg. Man stellte sich um die Kutsche und beobachtete die Umgebung.
Auch ich war ausgestiegen, nachdem die Kindermädchen noch strikte Anweisungen bekommen hatten. Ich sah einen leichten goldenen Schimmer um die Personen im Inneren, welcher mich beruhigte.
„Alex, siehst du sie auch?“ was bitte war das für eine dämliche Frage, ich war ja nicht blind. Bevor ich aber genau DAS sagen konnte, atmete ich noch einmal tief durch.
„Vier in den Büschen auf der linken Seite, drei vor uns im Unterholz, weitere vier auf der anderen Seite und ÜBER uns sind 2 in den Ästen!“ unsere stille Kommunikation zahlte sich jetzt aus. Ebenso waren unsere Wachen zeitgleich informiert.
In diesem Moment dankte ich meiner Schwester für diese Wurfhaken und konnte so den ersten Angreifer mit Überraschungsmoment aus seinem Versteck im Baum ziehen. Der Mechanismus hatte eine enorme Rückholkraft fiel mir auf, naja, musste er ja auch haben, wenn er mein Gewicht nach oben hieven sollte beim Gebäude erklimmen!
Im Nu waren die ersten beiden Herren Geschichte.
Aber die anderen Angreifer versuchten ebenso ihr Glück, landeten aber in ihrem eigenen Unglück!
Der nächste Bandit hatte es in sich, wie ich genervt feststellte. Er sprang hin und her, wirbelte mit seinem kleinen Schwert herum, deutete hier einen Streich an, schlug aber auf der anderen Seite zu. Dann tänzelte er leichtfüßig um mich herum, verschwand plötzlich völlig aus meinem Blickwinkel, nur um dann wieder aus dem Hinterhalt auf mich einzustechen!
Ninja! Dieser erste Gedanke ging mir durch den Kopf!
Fast alle waren so flink in ihren Bewegungen, dass selbst meine antrainierten Assassinen-Fähigkeiten wie eine Farce wirkten!
Und sie waren leise, fast lautlos! Ich spürte dieses Kribbeln wieder im Nacken. Widerlich!
Haytham hatte, im Gegensatz zu mir, seine Montur an und auch entsprechende Rauchbomben am Manne.
Damit hatten die Kämpfer die uns direkt angriffen nicht gerechnet und wurden Opfer unserer Klingen und dem Schwert einer unserer Wachen. Die anderen Wachleute beschützten die Kutsche!
„Mama! Hinter DIR!“ brüllte es in meinem Kopf und ich wirbelte herum, gerade rechtzeitig um einem Schlag mit einer Kugelkeule ausweichen zu können. Aber das reichte nicht, weil ich das Messer in der anderen Hand übersehen hatte.
Dieser Schnitt in meiner linken Seite brannte wie die Hölle und ließ mich kurz straucheln. Nein, ich musste mich konzentrieren.
Weiter!
Ich drosch jetzt mit meinen Klingen auf den Mann vor mir ein, welcher ein wenig überrascht zu sein schien, dass ich im Kampf blieb. Das gereichte mir für einen Hieb in seine… Kronjuwelen! Es war ein widerliches matschiges Gefühl und ließ nicht nur ihn würgen!
Ich hatte erst ein einziges Mal einem Mann sowas angetan, als Thyra mich damals in New York übernommen hatte!
Mir spritzte schubweise sein Blut entgegen, ehe er zu Boden sank. Leichenblass!
Der nächste im Bunde ließ nicht lange auf sich warten und rannte mit einem Kampfschrei auf mich zu!
„In den Schuhen sind Messer!“ brüllte wieder Edwards Stimme in meinem Kopf.
Dann sah ich dieses Aufblitzen von Metall in der Sonne. Die Klinge kam mir gefährlich nahe. Ich konnte ihr nicht mehr vollends ausweichen. Dieser Einstich war ebenso schmerzhaft wie der vorherige, dieses mal am rechten Oberarm, wo er eine tiefe Fleischwunde hinterließ.
Meine Sinne konzentrierten sich auf den Kampf, ich durfte nicht aufgeben!
„Wer bitte hat euch ausgebildet. Sonst hatten wir doch auch leichtes Spiel mit euch britischen Ausbeutern!“ brüllte mir ein weiterer Angreifer entgegen. „Jungs… Rückzug! Wir brauchen…“ bevor dieser Herr aber noch etwas sagen konnte, ragte eine Schwertspitze aus seinem Oberbauch! Entsetzt sah er auf diese Wunde, brachte aber kein weiteres Wort mehr über die Lippen!
„Das war dann wohl der Letzte im Bunde.“ frohlockte eine der Wachen, welche ihr Schwert schon an der Jacke des Banditen säuberte.
„Hoffen wir es…“ meine Stimme war kaum zu hören. „Edward! Florence!“ brüllte ich, als ich auch schon auf die Kutsche zu rannte.
„Mama, uns geht es gut…“ vorsichtig lugte mein Sohn hinaus. „Sind sie jetzt wirklich weg?“ flüsterte er plötzlich.
„Ja, mein Sohn! Danke für deine Hilfe!“ Haytham drückte ihn an sich.
Unsere Wachen atmeten tief durch, ehe sie begannen die Toten in die nahegelegenen Büsche zu ziehen. Ein Begräbnis wäre vermutlich besser, oder?
„Nein, diese Männer haben keine solche Behandlung verdient, Mistress Kenway.“ das kam wie aus einem Mund der vier Männer! Trotzdem begannen sie auf meinen Wunsch hin eine Grube auszuheben, damit die Leichen keine wilden Tiere anlocken konnten.
Währenddessen setzte mein Verstand langsam auch wieder ein.
„Wir müssen dringend diese Wege bewachen lassen! Sie sind ja überall, Haytham.“ gab ich grübelnd von mir.
„Sie waren aber… es waren keine gewöhnlichen Diebe. Sie waren flink, schnell…“ Ninjas! Ja, sie waren anders trainiert wie es schien. „Wer ist ihr Mentor hier in den Kolonien?“ jetzt war es mein Mann welcher darüber nachdachte, wer sich hinter diesen ganzen Anschlägen verbergen könnte.
„Da bin ich überfragt…“ mir fiel auch gerade nichts besseres ein. Ich wischte meine Klingen am Gras ab. Magda reichte mir einen nassen Lappen, damit ich meine Hände und mein Gesicht waschen konnte. Vermutlich gab ich ein gruseliges Bild ab. Die Wunden! Hastig sah ich danach… aber sie waren nicht mehr vorhanden. Nur der Stoff meines Kleides war noch kaputt und blutverschmiert. Aber keine Verletzungen waren auszumachen.
„Danke min lille skat!“ ich knuddelte meinen Schatz dafür.
Florence schien das ganze nicht im geringsten beeindruckt zu haben, sie saß auf Sophias Schoß und sah sich mit ihr ein Bilderbuch über Pflanzen an.
Erleichtert, dass es ihr und auch Edward gut ging, ließ ich mich auf den Sitz plumpsen.
„Mama, das waren aber schnelle Menschen. Das will ich auch können.“ ehrfürchtig sah er mich an.
„Das waren Ninjas, wenn ich richtig liege. Die Meister kommen von ganz weit her…“ aber ich konnte nicht ausreden.
„Jahaaaaaa…. Das weiß ich doch! Aber ich will das auch können!“ maulte mein Sohn mit einem Male.
„Ich werde mich einmal nach so einem Meister umhören, min lille skat.“ ich sprach mehr zu mir selber, weil auch ich noch nicht ganz den Kampf verarbeitet hatte.
„Aber nicht vergessen, Mama! Versprochen?“ Kinder können anstrengend sein, oder?
„Ja, ich verspreche es… Schusterehrenwort!“ bei diesem Ausdruck musste ich selber lachen.
Der restliche Weg nach Hause verlief friedlich, naja, bis auf den Wasserfall von Edward, welcher mir nun berichtete, dass er diesen oder jenen Konter-Move toll fand und ich ihm unbedingt zeigen sollte, wie das geht…
Als wir Abends an unserem Haus ankamen, war ich dankbar fürs Essen und für die Kindermädchen! Ich weiß, aber ich war einfach müde. Mein Sohn hatte nicht EINE Sekunde geschwiegen, er malte sich die dollsten Geschichten aus, stellte sich die einzelnen Szenen vor und so weiter!
Als er im Bett lag, die Augen und den Mund schloss, machte ich drei Kreuze!
Ja, in diesem Bezug bin ich ab und an eine gaaaanz böse Mutter. Seid ehrlich, jeder hat so einen Moment im Leben mit Kindern schon erlebt, oder?
Trotz dieser Vorkommnisse hatten wir eine ruhige Nacht, nachdem ich noch mit meinem Mann ein Bad genommen hatte. Auch er hatte es nötig gehabt und ich spreche hier nicht nur von der Haarwäsche.
Erschöpft ließ ich mich anschließend ins Bett fallen und schlief alsbald auch ein.
Die nächsten Wochen verbrachte ich mit der Überarbeitung der ganzen Geschäftsangelegenheiten! Mit Faith würde ich in Ruhe darüber sprechen, wenn ihr Kind auf der Welt war.
Vor einiger Zeit hatte ich ja schon die Konten entsprechend angeglichen oder auch ändern lassen.
Heute saß ich also mit Mr. Gillehand beisammen, damit wir das auch entsprechend besiegeln konnten.
„Mistress Kenway, ihr habt einen wirklich guten Sinn für Geschäfte. So etwas sieht man sehr selten.“ der Advokat hatte anerkennend über meine Geschäftsbücher geschaut, welche ich alle selber führte! Da war ich etwas pingelig, sie waren halt sehr übersichtlich, weil ich mir entsprechende Zeitpläne und Kalender gefertigt hatte. Ordnung, Struktur und Disziplin …
Am Abend stießen wir auf den Abschluss dieser Arbeiten an.
„Darf ich offen sprechen?“ so schüchtern hatte ich Rory noch nicht erlebt. Er schaute nervös auf seine gefalteten Hände.
„Immer raus damit.“ Haytham sah ihn fragend an.
„Ich… lebe nicht mehr alleine.“ mit einem erleichterten Seufzer ließ er sich in seinen Sessel sinken.
„Das freut mich für euch! Wer ist die Glückliche?“ erwartungsvoll saß ich nun auch etwas zappelig neben meinem Mann.
„SEIN Name ist Thomas Withelston, er kommt aus Baltimore…“ flüsterte er jetzt beinahe schon, bevor er uns wieder ansah.
Für einen Moment war ich dann tatsächlich sprachlos! Ich meine, ich bin keineswegs intolerant und richte über andere Menschen. Aber in diesem Jahrhundert stand die Todesstrafe auf Homosexualität! Dass unser Advokat diesen Mut besaß, uns seine Liaison so offen mitzuteilen, schmeichelte mir alleine schon wegen seines Vertrauens uns gegenüber. Im Grunde konnten wir ihm nur alles Gute für seine Beziehung wünschen, dass sie lange hält und vor allem, dass niemand sie verurteilen oder stören wird.
„Ihr seid sehr verständnisvoll, Mistress Kenway. Ich wusste, ihr werdet mich nicht gleich für einen kranken Menschen halten!“ jetzt strahlte er uns an.
„Es wird nicht leicht werden für euch und euren Lebensgefährten, Mr. Gillehand. Das wird euch selber vermutlich auch klar sein, nehme ich an. Ihr könnt aber jederzeit mit unserem Zuspruch rechnen.“ sagte mein Mann, erhob sich um unserem Besucher die Hand zu reichen.
„Ich danke euch, Master Kenway!“ diese Erleichterung in seinem Gesicht war herzzerreißend. Ich hoffte wirklich für die beiden Herren, dass sie lange friedlich zusammen leben können.
Mr. Withelston war als Verwalter für die Plantage eingesetzt worden, als der Vorgänger leider zu alt geworden war. So lernte man sich in den nächsten Monaten näher kennen und eines gab das andere.
Erst jetzt fiel mir ein, dass man mir bei unserem Besuch gar nichts dergleichen berichtet hatte. Ebenso war mir dieser andere Mann nicht aufgefallen.
Als ich Rory darauf ansprach, erklärte er sich. „Ich wusste nicht genau, ob es gerade sinnvoll war. Ihr ward gerade erst wieder zurück und die Kinder waren mit anwesend…“ Im Grunde tat es jetzt nichts weiter zur Sachen, wir wussten jetzt Bescheid. Dass reichte mir.
Auch Haytham sah ich an, dass er mit diesem Arrangement konform ging, wenn auch etwas skeptisch. Seine moralischen Ansprüche waren eben seiner Erziehung und der Zeit hier angepasst.
Leider musste Mr. Gillehand am nächsten Tag schon wieder aufbrechen, weil er in ein paar Tagen einen größeren Prozess vor Gericht hatte, auf den er sich noch weiter vorbereiten wollte.
Es ging um Veruntreuung von Steuergeldern ihrer Majestät, welche einem hochrangigen Mitglied des Stadtrates vorgeworfen wurden. Auch der Gouverneur in Richmond würde als Zeuge fungieren.
„Es ist, verzeiht wenn ich das so sage, aber es ist lächerlich, was wir hier an Steuern auferlegt bekommen, damit King George fröhlich gegen irgendwelche anderen Staaten in den Krieg ziehen kann.“ fauchte Rory, als er von seiner Recherche und ähnlichem berichtete.
„Leider wird es auch nicht in absehbarer Zeit besser, befürchte ich.“ sprach ich leise.
„Ihr habt es schon gesehen und ich muss gestehen, ich fürchte mich vor den kommenden Jahren ein wenig.“ wer konnte ihm das verübeln, beizeiten würde er sich für eine Seite entscheiden müssen. Neutral konnte er als Richter, der er jetzt war, nicht ewig bleiben. „Glaubt mir, ich weiß welcher Seite ich im richtigen Moment den Rücken kehren werde!“
Anfang Dezember trafen die Eheleute Lestrange ein, um mit uns die Geburtstage von Haytham und Edward zu begehen. Außerdem waren einige Nachbarn und Geschäftspartner eingeladen. Natürlich ließ es sich Madame de L´Isle nicht nehmen, ebenfalls zu erscheinen.
Sie hatte im vergangenen Jahr gute Profite eingefahren, was nicht zuletzt daran lag, dass die Routen auf See oder auch über Land nahezu Narrensicher waren!
Unser Sohn hatte sich zu einem kleinen Streichespieler entwickelt!
So hatte er die Zuckerdosen alle mit Salz befüllt, was natürlich für großen Unmut bei unseren Besuchern, besonders aber bei Haytham sorgte!
„Du wirst jetzt alle Dosen hierher holen und du kannst erst wieder gehen, wenn alle wieder mit Zucker befüllt sind, Edward!“ Mein Mann war zurecht wütend!
Maulend tat der kleine Kenway was ihm aufgetragen worden war. Kaum hatte er das erledigt, folgte bereits am nächsten Tag der nächste „Anschlag“.
Dieses Mal traf es Madame de L´Isle persönlich! Edward hatte eine der Mäuse, welche Mina ab und an ins Hause brachte, tot Odin sei Dank!, in das Bett der Dame gelegt!
Die Strafe kam prompt! Haytham hatte Walka am Halsband und brachte sie nach draußen zu ihren Brüdern und Schwestern!
„Das ist gemein!“ schrie Edward hinterher. Hilfesuchend sah er zu mir auf.
„Du bist zu weit gegangen, min lille skat. So etwas macht man nicht. Geh jetzt und entschuldige dich sofort bei Madeleine!“ mein Blick ließ keine Widerworte zu. Wütend stampfte mein Sohn von dannen, nuschelnd, dass wir alle böse sind und er niemanden mehr lieb hat.
„Alex, was ist nur in ihn gefahren?“ fragte mich mein Templer am Abend, als wir im Bett lagen.
„Das weiß ich nicht, ehrlich nicht. Ich weiß aber von Mildred, dass ihre Jungs auch gerne mal solche Streiche spielen. Sie verstecken die guten Schuhe oder neulich haben sie eine ganze Flasche Rum ausgekippt und Essig hinein gefüllt. Ihr Vater war nicht glücklich darüber, wie du dir sicherlich denken kannst.“ ich seufzte an seiner Seite, weil ich mir vorstellte, wie alle Jungs hier auf der Plantage zusammen hockten und sich irgendwelchen Blödsinn ausdachten!
„Vielleicht sollte man Edward für einige Zeit einfach verbieten mit ihnen zu spielen!“ kam es resolut von Haytham.
„Dann kannst du ihm auch gleich Hausarrest geben! Aber du müsstest ihn anketten, weil Edward sicherlich flinker ist und schneller abhaut, als wir schauen können.“ warum ich kichern musste bei diesem Gedanken, kann ich gar nicht sagen, aber ich erntete einen bösen Blick meines Gatten.
„Nun gut, wir sehen morgen weiter. Hoffentlich hat er nicht noch mehr ausgeheckt.“ gähnte er jetzt, zog mich in eine feste Umarmung. „Wir sind dieses Jahr übrigens 6 Jahre verheiratet, mi sol.“ flüsterte er leise in meine Haare.
„Die Zeit ist so schnell vergangen. Ich bin aber immer noch froh, dass ich hierher gekommen bin.“ nuschelte ich gähnend.
„Guten morgen, mi amor!“ flüsterte ich leise. Dabei ließ ich meine Lippen über Haythams Hals wandern, während meine Hände weiter über seine Brust und den Bauch strichen, bis sie ihr auserkorenes Ziel erreicht hatten. „Herzlichen Glückwunsch zu deinem Ehrentag.“ hauchte ich weiterhin leise an seine Haut.
„Mi sol… mach weiter…“ stöhnte mein Mann mit einem Mal, während er meine Hand ergriff um sie zu führen.
Doch nicht für lange! Mit Schwung zog er mich über sich, seine Finger lagen auf meinem Hintern und begannen mich zu dirigieren.
Ich lehnte mich etwas zurück, weil auch ich diesen Moment genoss. Es war immer noch ein fantastisches Gefühl, wenn ich Haytham so spürte.
Wir halfen uns gegenseitig über die Schwelle, was mir mein Mann mit einem gehauchten „Ich liebe dich!“ dankte.
Ich lag noch nicht ganz neben ihm, als es auch schon laut klopfte!
„Mama! Papa! Seid ihr wach? Was macht ihr gerade? Darf ich reinkommen?“ du meine Güte, hatte Edward schon Sabbelwasser getrunken?
„Ja, du darfst hereinkommen, wir sind schon wach! Und ich habe deinem Vater gerade … zu seinem Geburtstag gratuliert.“ grinste ich.
„Ich hab auch…“ traurig sah er mich an.
„Min lille skat! Wie könnte ich das vergessen, komm her und lass dich drücken!“ vermutlich erdrückte ich diesen Knirps gerade, aber das war mir egal. Diese Geburtstage waren immer sehr emotional für mich, ich sagte es ja schon einmal. Der Fluch der Mütter!
„Hast du gerade mit Papa hier aufgeräumt?“ fragend sah sich jetzt unser Sohn hier um. Für einen Moment starrte ich ihn sprachlos an… dann fiel mir wieder ein, dass wir ihm ja das laute Stöhnen von Jennifer damals so erklärt hatten! „Hier ist es aber gar nicht ordentlich!“ verwundert blieb sein Blick auf unserer Nachtwäsche, welche auf dem Boden lag, hängen.
„Nein, wir haben … einfach gekuschelt und uns … geküsst … und …“ ich war mir nicht sicher, ob es wirklich schon an der Zeit war aufzuklären.
„Ihr habt euch lieb gehabt, oder? Nathaniels Eltern machen das auch immer, sagt er.“ ich starrte diesen jungen Herren auf meinem Bett an! DAS würde ihm schon reichen, das ging ja schnell… Erleichtert atmete ich aus, erklärte ebenso, dass wir genau DAS gerade gemacht hatten.
„Bekomm ich dann auch bald noch einen Bruder? Oh bitte… ich will einen Bruder haben!“ Edward sah von einem zum anderen.
„Irgendwann vielleicht, mein Sohn. Wir müssen uns da überraschen lassen!“ lächelte ihn Haytham jetzt an.
„Aber ihr dürft nicht vergessen, mir das dann auch zu sagen!“ jetzt musste ich aber wirklich Prusten, weil er sicherlich eines der ersten Familienmitglieder sein würde, welches davon erfährt.
Damit war für meinen kleinen Schatz das Thema fürs erste vom Tisch. Wer weiß, wann er mehr wissen wollte, dachte ich mir.
Edward verschwand wieder in sein Zimmer, weil Sybill ihn schon gesucht hatte.
„Ich würde es gerne steuern können, dass wir noch ein Kind bekommen…“ dachte Haytham laut nach, während er bereits ein Hemd überzog.
„Hmmmm, wir können es ein wenig steuern, mi amor.“ schmunzelte ich, weil ich an meinen Zyklus und die fruchtbaren Tage dachte. Aber wie sollte ich IHM das mit den Spermien erklären? Faiths Mikroskop!
„Was? Wie soll das gehen, mi sol? Nur weil wir miteinander schlafen, wirst du ja nicht gleich schwanger…“ er hielt mit gerunzelter Stirn inne, weil ihm klar wurde, dass ich mehr als er wusste. „Ich glaube, auch ich muss aufgeklärt werden?“ fragte er mit einem breiten Grinsen und hochgezogener Augenbraue!
„Auf jeden Fall, mi amor. Und es wird mir ein Vergnügen sein, dir jedes Detail zu erklären.“ hauchte ich in seine Halsbeuge, nachdem auch ich mich aus dem Bett gepellt hatte. Seine flache Hand landete auf meinem nackten Po.
„Warum glaube ich dir das aufs Wort?“ seine Augen hatten sich schon wieder verdunkelt.
„Ich muss nur noch ein paar Vorbereitungen treffen. Lass dich überraschen, Haytham.“ hauchte ich und verschwand im Ankleidezimmer.
Unten im Esszimmer wurden wir von den Gästen erwartet, welche sich schon angeregt über die anstehende Feier unterhielten. Dieses Jahr würde es ein großes Barbecue auf dem „Dorfplatz“ geben, zu dem auch die Pächter mit eingeladen waren. Zu diesem Anlass war Haytham mit ein paar Männern vor drei Wochen auf der Jagd gewesen.
Bei dieser Gelegenheit konnten sie auch noch ein paar Landstreicher verscheuchen, welche sich mal wieder als Deserteure entpuppten.
Es gab insgesamt 4 große Spanferkel, diverses Kleinwild und natürlich die Beilagen. Die entsprechenden Gruben waren schon vor drei Tagen ausgehoben worden. Zu unserem Glück hatte es bis jetzt noch nicht wirklich viel geschneit, aber der Boden war schon ordentlich durchgefroren!
Im Laufe des Vormittags verfasste ich eine Nachricht an Faith, in der ich sie bat, mir ihr Mikroskop für ein paar Tage zu „Versuchszwecken“ zur Verfügung zu stellen.
… „Mo rionnag, ich glaube es ist an der Zeit meinen Mann über die Gene, die DNA und die Spermien aufzuklären. Auch Edward wird neugieriger. Ich verspreche dir, ich mache auch alles wieder sauber. Warum klingt das eigentlich so falsch, es ist ja nichts schlimmes, oder? Ich bin schon gespannt, wie Haytham auf diese Neuigkeiten reagiert.“ …
„Mi sol, schon wieder ein Brief an sie?“ genervt sah mich Haytham an.
„Du hast recht! Ich kann ja auch ganz anders mit ihr kommunizieren, wenn dir das lieber ist…“ grinste ich breit.
„Nein, lass das! Muss ich etwas vorher wissen, oder… tauscht ihr euch mal wieder über… Kochrezepte aus!“ perplex folgte ich dem Blick meines Mannes, welcher sich auf Edward gerichtet hatte. Ihn hatte ich gar nicht hereinkommen hören.
„Ja, genau so ist es. Für Silvester wollte ich doch etwas besonderes für dich machen.“ Bei Odin, ich war in solchen Dingen einfach wahnsinnig schlecht.
„Du kochst für uns? Was gibt es denn dann? Darf ich dir auch helfen? Flo will bestimmt auch…“ jetzt kannte unser Sohn kein Halten mehr und das Thema war vom Tisch!
Ich war gespannt, wie lange Edward heute wach bleiben würde. Das Barbecue würde erst am späten Nachmittag beginnen, auch wenn hier schon hin und wieder der Geruch von brennendem Holz hinüber wehte. Es war recht windig, stellte ich frustriert fest und begann mit Sybill und Sophia die Kleidung für die Kinder zurecht zulegen.
Wir hatten bereits vor einiger Zeit alle Wintersachen in den Schränken verstaut. Beim Einräumen war mir dann aufgefallen, dass Florence UND Edward ein paar neue warme Sachen brauchten. Wir hatten wunderbar weiche Handschuhe oder auch Strümpfe aus der Wolle von unseren Schafen dieses Jahr. Auch ich hatte mir ein neues Paar zugelegt, weil ich immer recht schnell kalte Finger bekam.
Nach dem Mittagsschlaf meiner Tochter wollten wir uns langsam auf den Weg machen. Aber Florence sah irgendwie blass aus, Fieber hatte sie keines, Bauchweh schien sie auch nicht zu haben.
„Min lille engel, ist dir schlecht? Musst du spucken?“ fragte ich leise, während ich ihr durch die Haare strich.
„Bin müde, Mama!“ gähnte sie herzhaft.
„Miss Florence hat die letzten Nächte wohl nicht gut geschlafen, Mistress Kenway. Ich hatte es auf den Vollmond geschoben. Aber jetzt bei Tage…“ Sophia sah mich entschuldigend an.
„Wenn es nicht mehr geht, dann fahre ich mit ihr wieder zurück. Vielleicht ist auch einfach eine Erkältung im Anmarsch.“ im Grunde versuchte ich mich selber mit diesen Worten zu beruhigen.
Heute durfte dann auch Walka wieder mit dabei sein, was natürlich ihr Herrchen am meisten freute. Er ließ sie nicht aus den Augen!
Wir wurden herzlichst begrüßt, meinem Mann und Edward wurde ausgiebig zum Wiegenfeste gratuliert und bevor ich noch etwas sagen konnte, war unser Sohn mit ein paar anderen Kindern verschwunden.
Florence hingegen klammerte sich an mich und wollte nicht von meinem Arm.
„Ich friere…“ flüsterte sie, obwohl sie doch ganz dick eingepackt war! Seltsam. Also setzte ich mich mit ihr in die Nähe eines der großen Feuer für die Spanferkel. Dort sollte es ihr wärmer werden, hoffte ich.
Haytham ging mit einigen Herren herum, begutachtete das Wild und die Schweine. Auch stieß er hier und da mit ihnen auf die gelungene Jagd an.
„Mama… kalt…“ bibberte Florence auf meinem Schoß, welche ich schon zusätzlich in eine dicke Decke gehüllt hatte. Immer noch fühlte ich kein Fieber.
„Min lille engel. Tut dir denn etwas weh?“ flüsterte ich leise, während ich sie hin und her wiegte.
„Nein…“ das kam so leise aus ihrem Mund, dass ich erschrocken auf sie hinunter sah. Ihre Augen waren glasig, sahen wie durch mich hindurch.
„Mein Kind! Komm her!“ hörte ich Elias in meinem Kopf und folgte seiner Stimme.
„Deine Tochter steckt ihre letzte Lektion von Brünhild nicht einfach so weg.“ flüsterte er mir zu, als wir etwas abseits beim Versammlungshaus standen.
„Wie… Welche Lektion? Was habt ihr mit meiner Tochter gemacht?“ ich wurde panisch, was sich in meiner lauten Stimme auch prompt wieder spiegelte.
Neben mir erschien die Walküre zusammen mit Idun.
„Wir haben ihr versucht beizubringen, wie sie ihre Sprache weiter fördern kann. Wie sie über weite Strecken mit… wie sie mit ihrem Geist nach Asgard gelangen kann.“ ich hörte diese Worte, ich sah, wie Brünhild unsicher zu Odin blickte, ich spürte meine Wut…
„Ihr seid doch alle nicht mehr ganz dicht, oder? Weder ich beherrsche es, noch Haytham. Edward hat ebenfalls noch keine Einweisung bekommen! Aber meine Tochter mit 2 Jahren soll sich so verausgaben?“ ich zitterte vor Wut, in mir kochte es.
„Es war ein Versuch, aber es hat nicht funktioniert. Florence war aber in ihren Träumen so oft bei uns, dass wir… wir dachten, es wäre an der Zeit für sie!“ Mutter Idun stand etwas beschämt zwischen den beiden.
„Toll… und jetzt? Mein kleiner Engel ist krank und keiner kann ihr helfen?“ mit einem Schwung drehte ich mich um und verschwand Richtung der Lagerfeuer. Dort suchte ich nach meinem Mann, ich musste mir Luft machen.
Aber er kam mir schon entgegen, weil er meinen inneren Zorn gespürt hatte.
„Mi sol, ich habe es mitbekommen.“ vorsichtig nahm er seine mittlerweile schlafende Tochter auf den Arm. „Bleib du hier, ich werde …“ So weit kommt es noch, es ist SEIN Geburtstag.
„Nein, DU bleibst mit Edward hier! Ich nehme Sophia zur Vorsicht noch mit und fahre zurück, mi amor. Es ist EUER Geburtstag!“ Ich strich ihm über die Wange und gab meinem Mann einen liebevollen Kuss.
Gerade als ich mich in die Kutsche setzen wollte, erwachte Florence! Und das im wahrsten Sinne des Wortes!
„Mama, ich habe alles gesehen!“ ich starrte meine kleine Maus in meinen Armen an.
„Du hast… was hast du gesehen?“ Vor allem, sie sprach plötzlich ganz deutlich!
„Die Welt!“ bei diesen Worten versank ich in ihren grünen Augen… sah, was sie alles gesehen hatte… Es war fantastisch! Florence hatte wirklich alles, naja fast alles, gesehen. Odins Thron, auf welchem sie mit ihm sitzen durfte, die Halle der Krieger, wo man gerade einige Dinge beratschlagte.
Sie war am Brunnen der Nornen gewesen, welche ihr etwas von ihrem Wissen weitergegeben haben. Meine Tochter war hoch oben im Baum des Lebens gewesen und hatte alles überblicken können. Immer an ihrer Seite war Brünhild, welche auch jetzt plötzlich neben mir auftauchte. Mit Tränen in den Augen!
„Es hat doch funktioniert.“ flüsterte die Walküre leise, während ihre zartgliedrige Hand über den Kopf meiner Tochter strich. „Du würdest es einen „lag“ nennen, eine Verzögerung! Deine Tochter ist ein wunderbarer Mensch und wird wirklich mit euch gemeinsam das Gleichgewicht stützen.“
„Sie spricht plötzlich anders…“ warum gerade DAS in meinen Gedanken aufkam, wusste ich nicht.
„Florence wird sich noch nicht wie eine Erwachsene artikulieren können, aber ihr Wortschatz ist wesentlich größer geworden. Bedenke auch, dass die Sprachen noch einen großen Einfluss auf sie haben. Euer Sohn hatte auch immer wieder so seine Probleme, oder?“ immer noch streichelte Brünhild meine Tochter beruhigend, die mittlerweile wieder eingenickt war.
„Dann geht es ihr aber gut, ja?“ ich spürte die Tränen über meine Wange laufen.
„Ja, sie ist nicht krank und sie hat auch keine Schäden davongetragen. Im Gegenteil!“ lautlos verschwand die Walküre in einem Nebel.
„Min lille engel, ich hab dich so lieb. Odin sei Dank… nein, nicht ganz! Aber ich bin froh, dass es dir besser geht.“ weinte ich vor mich hin, während ich meine Tochter an mich drückte.
„Mi sol, ich … weiß gar nicht was ich sagen soll…“ Haytham war neben uns getreten, genauso wie Edward.
„Meine Schwester ist toll!“ kam es ehrfürchtig und voller Stolz aus dem Mund unseres Sohnes.
„Ihr ZWEI seid einfach großartig!“ ich kniete mich zu Edward hinunter und knuddelte auch ihn an mich.
„Ich habe Hunger!“ hörte ich plötzlich Florence an meinem Ohr sprechen.
„Magst du auch etwas von dem Spanferkel, was dein Vater erlegt hat?“ als hätte man das Licht angeknipst waren beide Kinder plötzlich Feuer und Flamme und vor allem … hellwach!
Florence war wie ausgewechselt, marschierte von einem zum anderen, plapperte was das Zeug hielt, so als wäre nichts passiert vorher.
Außerdem hatten sie und Edward einen gesegneten Appetit, was mich natürlich freute, so konnte ich mit Sicherheit sagen, dass niemand krank war.
Irgendwann stand aber Stephen, Mildreds Gatte, vor mir und bot mir von dem Hasen, welchen ER erlegt hatte an. Etwas verstohlen sah ich zu meinem Mann, welcher mit hochgezogener Augenbraue nickte. Es wäre unhöflich, abzulehnen. Also kostete ich ein kleines Stück.
„Das schmeckt hervorragend, aber ich glaube, ich bin mittlerweile einfach zu satt.“ ich hoffte, dass würde als Erklärung und Entschuldigung reichen.
„Wenn ich sehe, dass nur noch etwas von diesem Hasen und etwas von den Hühnchen übrig ist, kann ich mir das vorstellen…“ lachte Stephen, während er sich um die anstehenden Aufräumarbeiten kümmerte.
Es war mittlerweile schon nach 10 Uhr, wie ich erschrocken feststellte, als ich mir Haythams Taschenuhr geschnappt hatte. Ein Blick auf die Kinder zeigte mir aber, für sie war… die Nacht zum Tage geworden! Na großartig!
Wir machten uns jetzt alle nach und nach auf den Heimweg, einige der Nachbarn fuhren direkt nach Hause, ein paar blieben noch über Nacht.
Beim Herrenhaus angekommen, brachte ich Edward und Florence hinauf, während Haytham die anderen Gäste noch bewirtete.
„Mama, das war ein schöner Geburtstag!“ gähnte mir mein Sohn im Bett entgegen. „Wie bin ich eigentlich in deinen Bauch gekommen?“ bei diesen Worten lag er schon mit geschlossenen Augen da.
„Das erkläre ich dir die nächsten Tage, min lille skat. Heute ist es dafür zu spät.“ ich selber war zu müde.
Florence lag ebenfalls bereits gähnend in ihrem Bett, aber sie verlangte mal nicht nach ihrem Vater.
„Kommst du mit zu Brünhild…“ nuschelte sie, als ich sie zudeckte.
„Wenn du es möchtest, dann mache ich das bald einmal, versprochen, min lille engel.“ sprach ich leise und gab ihr einen Kuss auf die Wange, welche wieder rosig war.
„Sophia…“ mehr brauchte ich nicht sagen.
„Ich gebe euch sofort Bescheid, sollte etwas sein.“ das Kindermädchen lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und begann in einem Buch zu lesen.
Für einen Moment stand ich einfach auf der Schwelle, weil ich das alles noch nicht ganz verpackt hatte.
Florence wird anders unterrichtet, mein Kind. Mach dir heute keine Gedanken mehr darüber. Komm herunter und feier den Ehrentag deines Mannes noch ein wenig mit uns!
Es hatten sich aber jetzt bis auf Rory, Thomas, Elias und seine Frau alle anderen zur Nacht verabschiedet.
Da ich jetzt beruhigter war, konnte ich mir auch etwas alkoholisches gönnen und das tat ich. In nicht besonders kleinen Mengen, weil… es waren plötzlich Thor, Idun, Tyr (wie immer eigentlich), Heimdall und so weiter hier erschienen und waren der Meinung, dass der hiesige Met auch gefeiert werden sollte!
Ich hielt mich an meinem Champagner fest, was mir immer wieder ein Kopfschütteln einbrachte.
„Man könnte glauben, du leidest an Geschmacksverirrung. Aber wenn ich mir deinen Mann ansehe… nein, du hast einen sehr guten Geschmack.“ grinste Sigyn über ihr Glas hinweg in meine Richtung!
In dieser illustren Runde wurde heute auch der Lebensgefährte von Rory vorgestellt. Jetzt wo wir „unter uns“ waren, konnten die beiden sich ganz natürlich geben, ohne auf jedes Wort oder jede Geste achten zu müssen. Thomas war ein fröhlicher Mensch, unterhaltsam und seine Zuneigung zu unserem Advokaten sah man ihm einfach an.
„Ich wusste gar nicht, wie ich diesem Mann meine Liebe überhaupt gestehen sollte. Da sitzt man sich gegenüber und schweigt sich an. Dabei bin ich nicht gerade auf den Mund gefallen.“ lachend schilderten uns die beiden nun, wie sie sich näher gekommen waren.
„Du hattest aber immer so eine Zurückhaltung an dir, Rory. Wirklich getraut habe ich mich halt auch nicht.“ Thomas lächelte ihn liebevoll an.
Die beiden hatten dann den ersten klassischen Klischeekuss. Einer stolpert, der andere „fängt“ ihn auf und dann gibt eines das andere.
„Es war wie eine Offenbarung!“ in Rorys Stimme klang diese Erleichterung mit, welche er damals empfunden haben muss.
Gegen 4 Uhr verabschiedeten wir uns aber, die Kinder würden sicherlich wieder zeitig nach Aufmerksamkeit verlangen.
Als ich im Nachthemd noch einen Moment auf der Bettkante saß, fragte mich Haytham, ob alles in Ordnung wäre.
„Ja, es war halt sehr ereignisreich heute. Vor allem mit Florence und Brünhild. Ich bin gespannt, was sie mir zeigen möchte.“ ich erklärte meinem Mann, dass unsere Tochter mich danach gefragt hatte.
„Ich würde es wirklich gerne sehen, wie es dort ist.“ flüsterte er hinter mir, während er seine Arme um mich schlang. „Aber wie wäre es, wenn du mich heute noch ein wenig aufklären würdest?“ seine Stimme war so rau und lüstern, dass ich ihm diesen Wunsch natürlich erfüllte, auch wenn es schon so spät war.
„Solche Lektionen lasse ich mir doch gefallen, mi sol.“ hauchte er in meinen Nacken, als wir später aneinander geschmiegt im Bett lagen.
„Ich gebe mein bestes.“ kicherte ich leise und zog seine Arme um mich. „Jetzt schlaf aber, ein intensiverer Unterricht steht dir sicherlich bald ins Haus.“ bei diesen Worten gähnte ich so herzhaft, dass ich befürchtete, er hätte sie nicht verstanden.
„Ich werde da sein, versprochen!“
Langsam glitten wir in unsere wohlverdiente Nachtruhe!
Ich wurde von einem lauten „Mama! Guten Morgen!“ geweckt!
„Edward, lass deine Mutter noch ein wenig schlafen. Es war gestern spät.“ gähnte Haytham.
„Dann gehe ich mit Walka schon mal runter.“ seufzte Edward theatralisch.
„Mach das…“ nuschelte ich leise, weil mein Mund sich wie mit Kleister bestrichen anfühlte.
„Mi sol, hast du etwa zu viel von dem guten Champagner gehabt?“ kicherte mein Templer neben mir.
„Kann sein, lass mich jetzt schlafen…“ leider konnte ich nicht weitersprechen.
„Mama… kuscheln!“ hörte ich die freudige Stimme von Florence, welche dabei war, auf unser Bett zu klettern.
„Verzeiht, Mistress Kenway. Miss Florence war einfach nicht aufzuhalten.“ gerade wollte Sophia ihren Schützling auf den Arm nehmen, als diese anfing zu zetern.
„Nein, will Mama und Papa Bünhit zeigen!“ dieser kleine Wirbelwind war richtig wütend, was in dem Fauchen in ihrer Stimme ganz eindeutig zu hören war.
„Aber…“ ich winkte ab und nahm sie an meine Seite, auch wenn mir mein Kopf drohte zu zerplatzen.
Das Kindermädchen knickste und ging dann.
„Min lille engel, kannst du damit bitte noch warten, bis ich angezogen und wach bin? Mir tut mein Kopf weh…“ flüsterte ich leise.
„Pusten?“ schon hauchte mir meine Tochter über die Stirn. Erwartungsvoll sah sie mich jetzt an. „Ist dein Kopf besser?“
Es klingt völlig absurd, aber tatsächlich waren die Kopfschmerzen weg.
„Ja, das hast du gut gemacht! Jetzt lass mich aber noch etwas trinken.“ dabei drückte ich sie doll an mich und gab ihr einen dicken Kuss.
„Florence, wie hast du das gemacht?“ wollte Haytham jetzt wissen, weil eigentlich Edward derjenige mit den Heilungskräften war…
„Eddy hilft…“ grinste sie, sah sich aber jetzt suchend nach ihrem großen Bruder um.“EDDY!“ brüllte sie plötzlich.
Kurz darauf flog erneut unsere Tür auf.
„WAS denn?“ rief er ebenso laut, aber als er mich sah, entschuldigte er sich gleich für seinen Ton. „Aber dir tut nichts mehr weh, hab ich recht?“ grinste mein Sohn breit.
„Nein, danke min lille skat!“ nuschelte ich über den Rand meines Glases mit Wasser hinweg.
Die Reise zu Brünhild verschoben wir auf nach dem Frühstück. Wir alle hatten Hunger und brauchten erst einmal eine kleine Stärkung.
Unten erschienen hintereinander weg alle Gäste, welche hier genächtigt hatten.
Als letztes erschien Elias, welcher leicht grün im Gesicht war, was mir ein Schmunzeln über die Lippen brachte.
„Kein Wort, Kind. Oder ich vergesse mich.“ ok ok … ich würde nichts sagen, nicht laut zumindest.
Rory und Thomas verabschiedeten sich direkt im Anschluss, wohingegen die Bassiters noch einen Moment blieben um sich mit Haytham über einen Auftrag nach Italien zu beraten. Der Tabak lag nicht in meinen Händen, also kümmerte ich mich mit Sigyn um einen verkaterten Allvater.
„Ihr tut gerade so, als wäre ich gerade erst von der Ragnarök auferstanden. Ich brauche nur etwas Ruhe. Ich bin alt!“ leider konnte ich mein Lachen nicht mehr bremsen, weil es so wehleidig und maulig klang, eben genau wie jeder normale Mann der krank ist auch. „Hatte ich dich nicht gewarnt…“ aber es passierte nichts, als er seine Hand hob.
Sigyn hielt ihn alleine mit ihrem Blick auf. „Und jetzt, sei still.“ gebot sie ihm.
Unser Advokat hatte gestern noch berichtet, dass eine Gruppe der „Söhne der Freiheit“ sich in Boston niederließen. Sie sammelten sich dort um Pläne zu schmieden diese Steuern und Unterdrückung endlich beenden zu können.
Haytham hatte die Bassiters verabschiedet mit der Bitte sich umgehend zu melden, wenn das Schiff für die Lieferung auslaufen sollte.
Anschließend kam er in den Salon um uns Gesellschaft zu leisten.
Wir beratschlagten nun ebenfalls, wie wir mit diesem Thema umgehen sollten. Da ich wusste, wo wir am besten mitmachten und wo wir lieber die Finger von lassen sollten, war ich ein gefragter Ansprechpartner an diesem Tag.
Vor allem musste ich den ersten Moment, wo auch Connor in Erscheinung treten würde, verhindern. Das „Boston-Massaker“ durfte nicht auf die Templer und die Bruderschaften zurück zuführen sein.
„Dann sollten wir dort alle bereits ansässigen Brüder und Schwestern entsprechend unterrichten, sich an entsprechenden Tagen möglichst nicht blicken zu lassen. Vor allem nicht an irgendwelchen Versammlungen teilzunehmen.“ grübelte mein Mann vor sich hin.
„Das ist eine Sache, dazu kommt, dass ich auch das schon mit Achilles im Vorfeld besprechen müsste…“ Haytham ließ mich nicht ausreden.
„Sag mir jetzt nicht, dass mein Sohn dort eigentlich die Verantwortung trägt.“ jetzt war ich es, die ihn mit großen Augen entgeistert ansah.
„Was? Nein… aber laut Aufzeichnung von Master Davenport und … deinem Sohn sind beide an dem Tag in Boston. Eigentlich müsstest auch du… dort sein…“ nuschelte ich leise.
„Wann wäre das, Alex?“ fragte mein Mann leise, aber er war nicht wütend, sondern einfach nur neugierig.
„Im März übernächsten Jahres glaube ich. Anfang März, wenn ich richtig liege.“
Alle waren sich einig, dass wir noch etwas Zeit hätten, entsprechend zu planen. Außerdem musste ich noch dieses Gespräch mit Shays altem Mentor abwarten!
Am Nachmittag verabschiedete man sich.
Als ich für einen Moment meine Ruhe hatte, saß ich auf der Bank hinten bei der Weideneiche und genoss die Wintersonne auf meinem Gesicht.
„Mama, hast du wieder Aua?“ flüsterte Florence neben.
„Nein, min lille engel. Es ist nur gerade so schön ruhig und warm hier draußen. Komm, setz dich zu mir.“ ich hob meine Tochter auf die Bank neben mich. Gemeinsam sahen wir auf den Fluss. „Wie geht es dir denn? Bist du immer noch müde, so wie gestern?“ fragte ich leise.
„Bin nicht müde. Hab Eddy gekuschelt.“ in ihrer Stimme klang eine niedlich Freude mit, wie immer wenn sie über ihren Bruder sprach. Er hatte sich wirklich zu einem GROSSEN Bruder entwickelt. Edward hatte, fast, immer ein Auge auf sie.
Als die Sonne dann langsam verschwand gingen wir beide hinein. Florence hatte noch einige Sachen erzählt, leider hatte ich nur die Hälfte verstanden, weil zu meinem großen Erstaunen plötzlich auch die alte nordische Sprache durchbrach. Faszinierend!
Ein Bote erschien und brachte mir von Faith die Nachricht, dass sie auch gespannt sei, wie mein Gatte mit diesem Thema dann umgehen würde. Zusammen mit dem Brief hatte sie das Mikroskop auch gleich mitgeschickt. Langsam wuchs eine gewisse Nervosität in mir, weil ich ehrlich gesagt noch nicht konkret darüber nachgedacht hatte, WIE ich die Spermien unter das Mikroskop bekomme.
„Du siehst aus, als würdest du eine wissenschaftliche Abhandlung in deinem Kopf ausarbeiten, mi sol.“ lachte Haytham, als er sah, wie ich dieses Instrument musterte. „Ich hoffe aber, du weißt, wie man das benutzt?“
„Ja, das schon aber… ich glaube, ich sollte vielleicht noch eine Nacht drüber schlafen. Dann sehe ich morgen weiter.“ hüllte ich mich in ein kryptisches Schweigen.
„Irgendwie macht mir das Angst.“ hörte ich meinen Templer neben mir.
„Gut so.“ grinste ich und drehte mich um, um das Mikroskop in unser Schlafzimmer zu bringen.
„Wozu ist das? Was macht man damit? Kann ich auch mal damit spielen?“ Edward hatte mich beobachtet, als ich hinauf ging.
„Das ist kein Spielzeug, min lille skat. Damit kann man Dinge erkennen, die man so nicht sehen kann, weil sie viel zu klein sind.“ versuchte ich eine Erklärung.
„Aber was willst du denn sehen?“ ich seufzte tief, weil ich mit diesen Fragen hätte rechnen müssen.
„Das ist ja das spannende, ich weiß es noch nicht.“ einem 5-jährigen würde ich sicherlich nicht die Gene, Spermien oder ähnliches erklären.
„Das ist ja langweilig.“ damit drehte er sich um und ging wieder hinunter.
Ich atmete tief durch, stellte den Kasten auf die kleine Kommode vor dem Fenster und sah mich nach einem kleinen Behälter um. Hier würde ich nicht fündig werden, also beschloss ich, in der Küche nach zu fragen.
Mich blickten erschrockene Gesichter der Belegschaft an.
„Keine Angst, es ist nichts passiert und ich habe auch keinen Anschlag auf euch vor. Ich bräuchte nur ein kleines Glas.“ ich deutete mit den Fingern, wie groß. Ein kleines Wasserglas sollte genügen.
Auf dem Weg nach oben kam Haytham gerade aus seinem Arbeitszimmer.
„Warum bringst du noch mehr Trinkgläser nach oben? Für dein Wasser haben wir schon genügend dort verteilt.“ lachte er, aber verstummte, als er meine hochgezogene Augenbraue sah. „Ah, ich verstehe. Das Experiment?“ ich nickte stumm. „Sag mir Bescheid, wenn du soweit bist, ich bin neugierig.“
Heute Nacht würde ich ihm, hoffentlich, alles erklären können. Ich hoffte vor allem, dass die Petroleumlampe genügend Helligkeit spenden würde, ansonsten müssten wir bei Tageslicht noch einmal… bei diesem Gedanken lief ich dunkelrot an und mein Unterleib begann zu kribbeln.
Ein Räuspern riss mich aus meinen schmutzigen Gedanken.
„Wie es scheint, ist es ein sehr tiefgehendes Experiment.“ Haythams flache Hand landete auf meinem Po, als ich mich umwandte um nach oben zu gehen.
„Auf jeden Fall, mi amor.“ hauchte ich leise.
Eheleute de L´Isle und de Granpré waren noch geblieben, weil sie sich bei Mr. Gillehand nach ein paar Pferden umsehen wollten. Vor morgen würden sie sicherlich nicht wieder hier sein.
Ich hatte mit meiner Geschäftspartnerin noch ein paar nette Unterredungen bezüglich Aveline gehabt. Das Mädchen war mittlerweile gut ausgebildet und machte sich einen Namen in der Bruderschaft im Süden.
„Sie hat schon einige Widersacher in die Flucht schlagen können, Mistress Kenway. Aveline ist eine Meisterin was Giftpfeile und Schleichen angeht.“ flüsterte sie verschwörerisch an meiner Seite.
„DAS ist immer sehr hilfreich, da stimme ich euch zu. Wie sieht der bisherige Zusammenschluss im Moment aus. Können wir von einem kleinen Erfolg bereits sprechen?“ meine Worte kamen etwas zögerlich, weil ich immer befürchtete, dass wir Null Fortschritt dort gemacht hätten.
„Ja, es sind immer nur kleine Gruppen von Assassinen oder auch abtrünnigen Templern, welche sich querstellen. Einigen kann man mit Argumenten und guten Worten beikommen, anderen wieder rum muss man das Schwert an den Hals legen.“ ihre resolute Art war manchmal unheimlich und ich stellte mir vor, wie sie dabei war, einen ihrer Feinde gerade zu töten.
Ich wurde im Laufe des Abends immer nervöser, was natürlich Haytham auffiel.
„Alex, du ziehst doch nicht in die Schlacht, es ist doch nur…“ er hielt inne, weil auch die Kinder noch anwesend waren.
„Was macht ihr heute noch? Willst du Vater das Mikroskop zeigen? Darf ich auch dabei sein? Bitte, Mama!“ bettelte Edward, während er mal wieder heimlich Fleisch von seinem Teller seiner Hündin gab.
„Nichts, min lille skat. Ich habe nur Angst, dass ich … es vielleicht kaputt machen könnte. Dann wäre Tante Faith sicherlich ziemlich böse mit mir.“ diese Worte sollten hoffentlich reichen, dass unser Sohn nicht heimlich an dieses Gerät ging!
„Oh, Tante Faith kann wirklich böse werden…“ dabei duckte sich Edward etwas. Mir entwich ein leises Prusten, weil sie anscheinend beim letzten Besuch Eindruck gemacht hat, durch ihre Übellaunigkeit.
„Genau deswegen!“
Florence und Edward waren im Bett, ich hatte alles was ich brauchte bereits zurecht gelegt. Von dem kleinen Glas, zur Pipette bis hin zum Objektträger und der Petroleumlampe war alles am Start. Fehlte nur noch mein Mann!
Dieser saß in seinem Arbeitszimmer über einigen Schriftstücken als ich eintrat.
Ich stellte mich hinter ihn und begann seinen Nacken zu massieren.
„Hmmmm, das tut gut, mi sol.“ flüsterte er an mich gelehnt. Seine Augen ruhten auf mir.
„So soll es sein, mi amor. Brauchst du noch lange oder…“ bevor ich noch etwas sagen konnte, donnerte er das Buch neben sich zu, verschloss das Tintenfass und löschte die Kerzen!
„Nein, ich bin fertig!“ in seinem Gesicht lag eine kindliche Vorfreude, die ich schon lange nicht mehr an ihm gesehen hatte.
„Dann komm mit.“ flüsterte ich lüstern.
Oben schloss ich leise die Tür hinter uns. Dieses Mal aber schloss ich ab, weil ich sicher gehen wollte, dass uns niemand stört. Denn das wäre nur sehr sehr schwer zu erklären für Edward oder auch Florence.
Ich schob meinen Mann Richtung des Sessels vor der Kommode. Sein Blick glitt über die Utensilien dort.
„Wenn ich es recht bedenke…“ kam es etwas zögerlich von ihm.
„Setz dich, mi amor und lass mich machen.“ küssend drückte ich ihn nach unten. Dann ließ ich mich vor ihm auf die Knie nieder.
Als meine Hände an den Knöpfen seiner Hose hantierten, sah er mich fragend an, ich aber schüttelte nur lächelnd den Kopf.
Vorsichtig begann ich ihn mit dem Mund zu verwöhnen, was mir ein großes Lob seitens meines Mannes einbrachte.
„Jesus, Alex!“ seine Hand vergrub sich in meinen Haaren, während die andere die Lehne umklammerte.
Jetzt musste ich den richtigen Zeitpunkt abpassen… aber da ich meinen Mann bereits in- und auswendig kannte, klappte alles wie geplant.
Langsam ließ ich dann von ihm ab und erhob mich vorsichtig.
Sein Blick lag skeptisch aber befriedigt auf mir.
Mit der Pipette beförderte ich einige Tropfen auf den Objektträger, legte diesen unter das Mikroskop und unweigerlich hielt ich die Luft an, als ich hindurch sah!
Ein wenig musste ich noch die Lampe näher heranbringen, aber dann… DA! Ich sah diese kleinen Schwimmer, die wie Kaulquappen aussahen und… Holla! Es waren einige und darunter auch recht flinke Spermien!
Ich konnte mir jetzt ein breites Grinsen einfach nicht mehr verkneifen!
„Schau hindurch und sag mir, was du siehst.“
Vorsichtig, als hätte ich ihn gebeten eine Bombe zu entschärfen, trat er an das Mikroskop. Eine Weile kam gar keine Reaktion, nicht einmal eine gerunzelte Stirn.
„Was… was in drei Teufels Namen sehe ich da? Und das…“
„Das, Haytham, sind Spermien. Sie sind dafür verantwortlich, dass ich schwanger werden kann. In diesen kleinen Schwimmern sind deine Gene, deine DNA vorhanden. Deswegen haben unsere Kinder viele Ähnlichkeiten mit mir und dir, weil wir das alles dadurch weitergeben.“ aber ich sah, das reichte ihm noch nicht.
Ich nahm mir das Blatt und den Kohlestift, was ebenso schon parat lag. Also malte ich, so gut es ging meine Gebärmutter auf. Anhand davon erklärte ich meinen Zyklus, wie die Eizellen auf diese Spermien warteten, wie die Zellteilung dann beginnen würde und so weiter.
„Und das alles weißt du woher? Das können doch noch nicht einmal die Ärzte wissen. Das ist… fantastisch, aber auch unheimlich.“ seine Stimme hatte einen leichten Unglauben angenommen, verständlich.
Als ich ihm berichtete, dass wir in der Schule Sexualkundeunterricht gehabt hätten und auch entsprechend aufgeklärt wurden, wuchs sein Erstaunen weiter.
„In der Schule, vor allen wird euch sowas gezeigt?“ natürlich nicht live und in Farbe, als ich das erwähnte atmete er etwas erleichtert aus.
Gene und DNA versuchte ich auch möglichst genau zu beschreiben. Ich hoffte, das würde fürs erste reichen.
„Ich bin ehrlich etwas sprachlos. Das heißt, jedes mal wenn wir miteinander schlafen könntest du schwanger werden. Aber das klappt nur an diesen, wie nanntest du sie, fruchtbaren Tagen. Warum aber nicht zwischendurch?“ also beschrieb ich, dass auch die äußerlichen Umstände oft dazu beitrugen, dass man nicht schwanger wurde. Oder auch dass man vielleicht schwanger war, bekommt aber doch seine Blutung.
„Überwältigend, Alex. Wirklich!“ kam es etwas später, als er bereits im Bett lag und ich alles wieder gereinigt hatte.
Ich wollte mir gerade mein Nachthemd anziehen, da sah ich aus dem Augenwinkel, wie Haytham mit dem Kopf schüttelte und mit einem Fingerzeig mich ins Bett orderte.
„Für diesen ausgiebigen und lehrreichen Unterricht hast du dir eine Belohnung verdient!“ raunte er an meinem Hals und ließ sich langsam an meinem Körper nach unten gleiten!
Und ich kann euch sagen, ich würde ihm jeden Tag so etwas beibringen, wenn DAS dabei herausspringt für mich!
„Guten morgen, mi sol.“ hörte ich die tiefe Stimme meines Mannes an meiner Seite. Ohne ein Wort kuschelte ich mich an ihn, weil ich noch an die letzte Nacht denken musste. Meine Hand strich vorsichtig über seine Brust gefolgt von meinen Lippen. „Du bist also schon mehr als wach, wie ich sehe.“ flüsterte er, während er mich langsam unter sich drehte.
„Ich glaube schon, aber vielleicht solltest du noch einmal auf Nummer sicher gehen.“ meine Stimme versagte mir, als ich ihn in mir spürte.
„Wacher geht es nicht…“ dabei wurden seine Bewegungen schneller, genau wie unsere Atmung, aber es war einer dieser stillen Momente zwischen uns. Nur unsere Körper zählten.
Als er meine Hände wieder frei gab, strich ich vorsichtig über seinen Rücken.
„Das war wundervoll.“ flüsterte ich leise.
Sein liebevoller Blick reichte völlig aus.
Lautes Klopfen war plötzlich zu hören!
„Warum habt ihr abgeschlossen!“ jammerte Edward vor der Tür und Walka stimmte jaulend mit ein.
„Weil es gerade die Zeit für deine Mutter und mich ist, mein Sohn.“ rief Haytham grinsend.
„Ich geh ja schon wieder.“ dieses Stampfen ließ mich wütend werden und ich war drauf und dran unseren Sohn zurecht zuweisen!
„Beruhige dich. Auch er darf mal wütend sein, oder?“ perplex sah ich meinen Templer an.
„Und das aus deinem Munde? Was hast du mit meinem Ehemann gemacht, wo ist er hin?“ grinste ich jetzt.
„Ich… weiß nicht. Aber ich bin überaus entspannt und ausgeglichen gerade. Ich kann auch gerne wieder…“ bevor er weitersprechen konnte, bedeckte ich seinen Mund mit Küssen!
Trotzdem mussten wir aufstehen, es war schon hell und ich hörte Florence bereits.
Mit einem bösen Blick von Edward wurden wir unten im Esszimmer begrüßt.
„Min lille skat, du weißt doch, dass es diese Zeiten nur für uns Eltern gibt. Das haben wir dir erklärt.“ versuchte ich noch einmal eine Erklärung.
„Schon verstanden!“ fauchte er mich an.
Florence hingegen war guter Dinge und ließ sich ihr Frühstück schmecken. Erfreut stellte ich fest, dass sie seit neuestem auch gerne Äpfel aß. Sonst spuckte sie die immer wieder aus, weil sie zu sauer oder zu hart waren.
Die nächsten Wochen verbrachte ich intensiver mit Edward, weil wir im Januar ein erneutes Gespräch mit Mr. Hathaway vereinbart hatten bezüglich des Unterrichts für ihn.
Ich muss sagen, unser Sohn machte sich wirklich gut. Er war konzentrierter als ich dachte.
Sogar beim Vorlesen war er ruhig, stotterte nicht mehr.
Nur mit dem Rechnen, da haperte es immer wieder. Wenn ich aber als Beispiel für die Zahlen Äpfel aufmalte, verstand er es schneller. Schnell hatte Edward auch raus mit den Fingern nach zuzählen, oder er rechnete anhand der Blumen auf der Tischdecke im Wintergarten. Sobald aber die nackten Zahlen zu sehen waren, sah ich regelrecht das Wirrwarr in seinem Kopf.
Ich ließ deshalb einen Abakus für Edward anfertigen, damit er üben konnte.
Derweil würden seine Zinnsoldaten oder die Holztiere herhalten müssen.
Auch Florence machte sich im Laufe dieser Dezemberwochen. Wir merkten aber, wie bei Edward am Anfang auch, dass sie oft die Sprachen nicht auseinander halten konnte, oder sie verstand mich zum Beispiel nicht, wenn ich deutsch mit ihr sprach.
Das würde sich noch legen, dass wusste ich ja bereits.
Außerdem hatte sie einen niedlichen Sprachfehler, sie konnte beispielsweise nicht Schmetterling sagen, sondern sagte Metterbim. Es klang halt einfach süß, das finden aber vermutlich auch nur die Eltern niedlich. Also weiter im Text!
Am Silvestermorgen rannte mir unser Sohn entgegen und brüllte „Und Mama? Was kochst du heute? Du hast doch mit Tante Faith darüber gesprochen!“
Ich sah ihn verwirrt an, bis mir einfiel, dass das ja nur als Notlüge gedacht war und ich jetzt in der Bredouille saß. In die Küche durfte ich laut Haytham nicht und ich hatte ja gar nichts geplant.
„Wir… ich…“ Der Boston-Apple-Pie! „ Wir machen diesen Apfelkuchen mal wieder, ja? Hilfst du mir?“ oh das würde jetzt lustig werden, weil ich gar nicht wusste, ob auch alles noch genügend vorrätig war.
Auf dem Weg zur Küche fing mich mein Templer ab.
„Wohin des Weges?“ diese zynische Frage überging ich, indem ich ihm mitteilte, dass ich ja das Versprechen an unseren Sohn einhalten musste. „Ohh, ja… natürlich… Versprechen muss man halten.“ grinste er mich an als er verstand, dann sah er zu Edward. „Hilf deiner Mutter und hol auch deine Schwester dazu.“ damit drehte er sich um und verschwand Richtung Arbeitszimmer.
Mit vereinten Kräften improvisierten wir mit dem Küchenpersonal diesen Kuchen. Die Kinder waren begeistert bei der Sache, vor allem als es um den Mürbeteig ging. Davon landete mehr in den Bäuchen von Edward und Florence, als in der Backform.
„Miss Florence, so haltet ihr den Kochlöffel besser zum Rühren.“ hörte ich eine der Mägde, welche meine Tochter unter ihren Fittichen hatte, während Edward der Köchin half, die Marinade zu machen.
„Die schmeckt so lecker…“ mit einem kleinen Löffel davon lief er zu seiner Schwester, damit sie kosten konnte.
„Njjjjjjjammmmm!“ quietschte sie.
Im Anschluss mussten wir nur noch auf das Endergebnis warten. Bis dahin wusch ich die beiden und zog sie um.
Beim Mittagessen erzählte man nun Haytham von der erfolgreichen Herstellung des Boston-Apple-Pies.
„Ich hoffe er schmeckt so gut, wie ihr es beschreibt.“ lächelte mein Templer seine Kinder an.
„Natürlich Vater! Ich hab ja mitgeholfen….und Flo auch!“ kam es nach kurzer Pause.
Dieses Jahr verbrachten wir Silvester bei den Bassiters. Das hieß keinen Mittagsschlaf für Florence, weil wir direkt nach dem Mittagessen aufbrechen wollten, damit wir am Abend zeitig dort erscheinen konnten. Der Kuchen wurde als Gastgeschenk mitgenommen. Ich hatte den Kindern versprochen, dass sie ihn übergeben dürften, weil sie ihn ja auch gebacken hatten.
Dort angekommen herrschte schon rege Betriebsamkeit.
Wir waren einige der letzten Gäste die eintrafen. Wir würden über Nacht bleiben, alleine schon wegen der Kinder!
Es gab ein erlesenes Abendessen, welches meine Tochter fast verschlief, weil sie immer wieder einnickte. Sophia brachte sie kurzerhand ins Bett.
Edward durfte noch aufbleiben, so lange er denn konnte. Gegen 9 Uhr war aber auch er eingeschlafen!
Wir saßen gerade alle im Salon, als wir lautes Klirren aus der oberen Etage hörten, dann war lautes Geschrei zu vernehmen.
In meiner Panik wollte ich schon meine Klingen vorschnellen lassen, als mir einfiel, dass ich mal wieder völlig unbewaffnet erschienen war! Scheiße!
Haytham hingegen hatte sein Schwert auf einem Tisch bei der Eingangstür abgelegt, wie alle Herren!
„Warte hier, wir sehen nach, mi sol.“ mahnte mich mein Mann, weil er sah, dass alle Frauen in einer Schockstarre beisammen standen. Musste ich jetzt hier Wache halten? Aber… er drückte mir seinen Dolch in die Hand!
Nicht viel, aber wenigstens etwas. Wenn alle Stricke reißen, dann wissen wir ja, worauf wir uns berufen können! Hörte ich ihn in meinem Kopf, was mich postwendend beruhigte, da ich diese Möglichkeit immer noch nicht so ganz verinnerlicht hatte.
„Setzt euch bitte dort an die Wand und rührt euch nicht. Keiner geht ans Fenster oder die Tür!“ instruierte ich die Damen, welche alle durch die Bank weg blass geworden waren.
„Aber meine Kinder…“ jammerte eine junge Frau.
„Ihnen passiert nichts! Unsere Männer sind ja da.“ Bei Odin, ich hasste es, wenn ich nicht selber für diese Sicherheit sorgen konnte, sondern sie den Herren der Schöpfung überlassen musste.
Ich ließ meinen Blick nach oben wandern und sah einige rote Auren, welche sich aber ausschließlich, bis jetzt noch, auf der linken Seite befanden. Dort waren nur Angestellten-Zimmer. Die Gäste- und Kinderzimmer waren auf der anderen Seite, einige davon auch eine Etage höher! Etwas erleichterter atmete ich aus und gab Entwarnung!
„Woher wisst ihr das, Mistress Kenway?“ hörte ich die zweifelnde Stimme einer Mutter. Verdammt!
„Weil ich die Geräusche direkt über uns höre, also sind sie augenscheinlich nicht dort drüben eingestiegen!“ hoffentlich reichte das fürs erste.
„Aha… Euer Wort in Gottes Ohr!“ Nein, Odins Ohr bitte!
Plötzlich hörten wir Getrampel und erneutes Glas springen aus dem Eingangsbereich, was mich sofort in Hab-Acht-Stellung versetzte. Vorsichtig schlich ich mich zur Tür, öffnete sie einen Spalt, damit ich hinaus lugen konnte.
Alle Herren waren hinauf gestiefelt, sodass hier unten keiner mehr war! Ich alleine konnte gegen diese Angreifer aber nicht viel ausrichten! Oder sollte ich es einfach versuchen?
„Ich werde jetzt da raus gehen, verschließt hinter mir die Tür und schiebt etwas schweres davor. Die Kommode dort drüben wäre ideal. Tut einfach, was ich sage!“ befahl ich, während ich schon fast draußen war.
„Ihr könnt uns doch nicht auch noch alleine lassen!“ flehte eine der Frauen!
„Doch, weil diese Meute sonst hier hereinplatzt! Wenn ihr gerne Opfer einer Vergewaltigung oder Schlimmeres werden wollt, dann bitte…“ ich wurde ungehalten, Thyra brach langsam durch, ich musste JETZT dort hinaus!
„Versprecht uns, dass den Kindern nichts passiert!“ heulte eine andere Dame!
„Ich verspreche es!“ sagte ich knapp, wappnete mich und war im Eingangsbereich!
Für einen Moment konzentrierte ich mich, sah meine Vorfahrin vor mir, ihre Montur, ihre Waffen… dann fühlte ich sie!
„Dann wollen wir diesen Arslingen (ein veralteter nordischer Ausdrück für A... ihr wisst schon) mal zeigen, wer hier das Sagen hat!“ brüllte sie, oder ich, als sie schon vorstürmte.
Wie immer lagen diese Äxte wie ein Wohlfühlgewicht in meinen Händen, dieses weiche Leder der Hose und des Harnischs… ich war angekommen!
„Jungs, da will sich so ein komisches Weib in unsere Angelegenheiten mischen!“ rief einer der Einbrecher belustigt zu seinen Kumpanen!
„Das komische Weib zeigt euch schon, wohin ihr gehört! Ihr werdet gleich nur noch ein kleiner jammernden Haufen Elend sein!“ brüllte sie mit einem Kampfschrei und stürmte auf die Männer zu!
Diese Äxte schnetzelten sich durch Arme, Oberschenkel und -körper! Ha, sie alle hatten keinen echten Kampfgeist, geschweige denn konnten sie sich gegen zwei Waffen gleichzeitig verteidigen.
Aber auch ich hatte es nicht leicht!
Sie versuchten es von allen Seiten, wollten links antäuschen und rechts ausführen! Nicht mit mir.
Dann erwischte mich doch tatsächlich eines dieser Schwerter auf der rechten Seite meines Bauches! Verdutzt schaute ich auf die Klinge, welche in meinem Fleisch steckte!
Erschrocken wich ich zurück, fühlte den Schmerz und das Blut, welches sich seinen Weg nach draußen bahnte! Aber es beflügelte mich auf eine eigenartige Weise!
Der nächste in der Reihe, war der Ansicht er könne mit seiner Faust mein Gesicht neu modellieren! Nein, ich verschönerte seinen Hals mit einem breiten Schnitt meiner Axt!
„Hier stimmt was nicht, Männer! Dieses Weib … sie ist … da stimmt was nicht…“ brüllte einer dieser Banditen mit aufgerissenen Augen, während er bereits röchelnd zu Boden ging.
Mittlerweile lagen 5 seiner Leute ebenfalls auf dem guten Parkett! Was für eine Sauerei!
„Oh mein Gott! Sie ist es wirklich! Leute! Diese… es gibt diese leuchtende Frau wirklich!“ Schwert schwingend rannte er dennoch auf mich zu, schlug zu, unachtsam und in Panik.
Auch er fand einen Weg mich zu verletzen, dieses mal drang die Schwertspitze direkt in meinen Oberschenkel. Dort blieb sie stecken! Vor Schreck weil er seine Waffe nicht mehr herausbekam zerrte er an mir, aber das machte mich nur wütender.
„Bei Odin! Mach schon, du Schlappschwanz. Oder soll ich ihn dir auch noch beim Pissen halten!“ brüllte ich diesen Idioten vor mir an und zog das Schwert mit meiner bloßen Hand heraus.
Ich hörte um mich herum ein lautes „ES REICHT!“ was alle verstummen ließ!
Wie angewurzelt stand ich da, schaute mich um! WER hatte mir hier zu sagen, wann Schluss ist? Noch kann ich das alleine entscheiden.
Vor mir tauchte Hemsleth auf, welcher mich mahnend ansah! „Sie haben genug, es gibt keine Sieger!“ ich sah das Schlachtfeld vor mir, die vielen Toten Sachsen und Clan-Mitglieder um mich herum.
Langsam ließ ich meine Äxte sinken und lehnte meine Stirn an die Brust meines Geliebten.
„Es ist vorbei!“ diese Stimme…
Langsam kehrte ICH wieder zurück, aber nicht ohne einen bissigen Kommentar von Thyra.
„Bei Odin! Tyr, such dir ein besseres Timing!“ grinsend verzog sich meine Vorfahrin in meinem Geist.
Jetzt realisierte ich, was passiert war.
Fast alle von dieser Meute waren tot oder schwer verletzt. Nicht nur hier unten, auch auf der ersten Etage gab es Verluste. Leider auch von zwei Ehemännern der anwesenden Damen!
Vorsichtig warf ich einen Blick auf meinen Körper, ich trug mein Kleid! Aber die Wunden! Sie waren da und taten höllisch weh. In dem Moment wo ich das realisierte sackte ich zusammen und ab da… hörte ich dumpfes Stimmengewirr um mich herum.
Als ich wieder zu mir kam, war es bereits hell. Ich lag in einem Bett, an meiner Seite saß mein Sohn.
„Mama, du bist wieder wach!“ flüsterte er, während er mir einen kalten Lappen auf die Stirn legte!
„Danke, min lille skat! Aber was machst du hier, wo sind dein Vater und deine Schwester? Geht es euch gut…“ mehr konnte ich gerade nicht zustande bringen, weil mich ein brennender Schmerz im Oberschenkel vom Sprechen abhielt.
„Dein Knochen ist kaputt, Mama! Nicht bewegen. Das dauert noch ein paar Tage, aber ich verspreche dir…“ mein Sohn warf sich auf meine Brust und weinte bitterlich!
„Es ist in Ordnung, min lille skat!“ flüsterte ich, bevor ich wieder in diesen dunklen Sumpf versank…
„Edward… du machst das gut… aber ruh dich jetzt aus…“
„Sie hat zu viel Blut verloren…“
„Dieses Fieber macht mir Sorgen…“
Das und noch mehr vernahm ich in einigen kurzen lichten Momenten! Sie blitzten immer für den Bruchteil einer Sekunde auf, blieben aber nicht lange!
Im Grunde fühlte ich mich gut. Ich war in einer weichen kuscheligen Welt aus Nichts! Meine Gedanken kreisten um… nichts.
Ab und an hatte ich Bilder vor Augen von spielenden Kindern, von einem Mann, der mich liebevoll ansah… Aber nie für lange!
Irgendwann lief ich durch einen Wald, welcher gerade erblühte, es musste wohl gerade Mai sein! Dieses Grün der Bäume ist einfach unverkennbar.
Auf einer Lichtung blendete mich die Sonne so stark, dass ich ins Straucheln geriet… Aber es war etwas anderes, das so hell erstrahlte.
Ich sah dieses riesige Tor vor mir und wusste, dass ich dahinter endlich meinen Frieden finden würde. Meine Beine trugen mich wie von alleine dorthin.
Ich hörte nichts in diesem Moment, selbst meine Schritte waren nicht zu vernehmen. Plötzlich realisierte ich das und sah an mir herunter.
Ich trug ein blutdurchtränktes Nachthemd, welches in Fetzen an mir herunterhing. Meine Haut hatte einen blassen gräulichen Schimmer! Meine Atmung ging hektisch, hyperventilierend. Mein Herz schien mir aus der Brust springen zu wollen.
Aber ich ging weiter, ich musste dort durch!
Kurz bevor ich das Tor erreichte zerrte etwas an mir und drehte mich zu sich herum. Ich blickte in das faltige Gesicht des Wanderers, welcher mich kopfschüttelnd und zugleich traurig ansah!
„Das ist noch nicht deine Zeit, Kind!“ seine Stimme klang seltsamerweise beruhigend.
Mein Blick glitt an ihm vorbei, wo ich drei Menschen sah. Alle schimmerten in einem hellen gelbgold und zogen mich damit magisch an.
„DORTHIN gehörst du, mein Kind!“ wieder fühlte ich diese Stimme richtig. Sie führte mich in die Richtung dieser Personen.
Als ich näher kam, kristallisierten sich die Umrisse, ich nahm die Konturen wahr und erkannte meine kleine Familie wieder. Haytham, Edward und Florence! Sie warteten auf mich!
Das letzte Stück sprintete ich regelrecht, weil ich es nicht abwarten konnte, sie alle wieder in meinen Armen zu haben!
„Alex! Du bist wieder wach!“
„Mama…“
„Du musst bei uns bleiben…“
„Es dauert jetzt noch ein wenig. Aber seid unbesorgt, es wird eurer Gattin bald wieder gut gehen!“ diese Stimme kannte ich doch?
Vorsichtig öffnete ich die Augen! Verschwommen nahm ich ein paar Umrisse wahr, welche langsam klarer wurden!
An meinem Bett standen mein Mann und meine Kinder!
„Mom! Ich bin so froh, dass du wieder wach bist!“ das war doch…
„Yannick?… Aber…“ meine Kehle fühlte sich an, als hätte ich Stacheldraht geschluckt!
„Ich bin hier…“ diese Umarmung tat mir gut. Sein Zittern durch seinen Gefühlsausbruch konnte ich nur erwidern. Es tat unendlich gut meinen großen Sohn in meiner Nähe zu haben! Leider verabschiedete er sich kurz danach mit den Worten, wir würden uns wiedersehen. Traurig lehnte ich in den Kissen, weil ich ihn wirklich vermisste!
Langsam kam ich wieder an, man reichte mir einen Becher mit Wasser. Außerdem kühlte man immer noch meine Stirn.
Als ich jedoch mein linkes Bein bewegen wollte, dachte ich, es würde abfallen!
„Noch nicht so viel bewegen, wir werden in den nächsten Tagen versuchen dich wieder mobil zu kriegen. Aber du hast eine heftige Blutvergiftung gehabt, welche zuerst behandelt werden musste!“ Haytham setzte sich neben mich und hielt meine Hand.
„Was ist denn passiert?“ flüsterte ich, weil ich nicht mehr alles zusammen bekam.
Nachdem ich wieder ICH war, sackte ich zusammen, weil ich wirklich sehr viel Blut verloren hatte.
Man hatte mich danach in unser Zimmer gebracht und nach dem hiesigen Arzt geschickt. Während man auf diesen wartete, hat Edward Junior bereits angefangen mich zu heilen. Er hat es versucht. Aber das Schwert hatte meinen Knochen durchstoßen, weswegen einige Splitter in meinen Blutkreislauf gerieten. Dadurch hatte ich auch noch innere Blutungen und eine Blutvergiftung kam ebenso hinzu, weil die Waffen der Banditen natürlich nicht steril waren!
Das ganze dauerte nun schon 5 Tage, aber dank Edward und Alex konnte das schlimmste verhindert werden.
Du warst auf dem Weg in die große Halle, mein Kind. Aber ich hätte es nicht verhindern können. Dein Sohn und dein Enkel haben Hand in Hand gearbeitet um dich wieder nach Hause zu bringen. Brünhild stand schon bereit, aber deine Tochter wachte ebenso an deiner Seite und hat dir die nötige Kraft gegeben dem Drang zu widerstehen, durch diese Tore zu gehen! Es ist noch nicht deine Zeit, mein Kind. Mein Allvater flüsterte diese Worte, ich spürte, dass er erleichtert war. Auf der anderen Seite würde er auch mich gerne dort sehen!
Aber wann weiß ich, dass ich wirklich dorthin gehen kann? Fragte ich leise, erhielt aber keine Antwort. Frustriert ließ ich mich in die Kissen sinken.
„Mi sol, hier. Trink etwas.“ wieder hielt mir mein Mann den Becher hin.
Sein Ernst? „Ich brauch das nicht…“ bevor ich aber noch ausholen konnte, setzte er das Gefäß an meine Lippen und kippte. „TRINK!“ was soll ich sagen, es war eine Wohltat, als ich dieses kühle Wasser in meinem Hals fühlte.
„Danke…“ nuschelte ich verlegen.
„Mama, ich hab dich lieb!“ hörte ich Edward und Florence wie aus einem Mund sprechen. Beide saßen neben mir und sahen mich traurig an.
„Ich habe euch auch ganz doll lieb und danke, dass ihr mir so geholfen habt. Das habt ihr fantastisch gemacht!“ flüsterte ich, weil mir meine Stimme versagte.
„Miss Florence, Master Edward, jetzt lasst eure Mutter noch ein wenig ausruhen. Kommt, wir wollen nach dem kleinen Fohlen schauen.“ das war Sybills Stimme wenn ich mich nicht täuschte. Nein, mein Blick in die Richtung bestätigte es.
So waren es jetzt nur noch Haytham und ich in diesem Zimmer. Es war aber nicht unser Schlafzimmer, sondern unser Gästezimmer bei den Bassiters.
„Mi sol, ich bin so froh, dass es dir besser geht.“ plötzlich lag er auf meinen Oberschenkeln und… seine Schultern bebten!
„Mi amor! Was… ich… war es wirklich so weit …“ ich mochte es nicht aussprechen.
„Dein Leben hing an einem seidenen Faden. Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich sagen, Sigyn hat für dich einen neuen gesponnen!“ ich hatte Haytham wirklich noch nie so erlebt! Diese Erleichterung, gepaart mit der Angst, dass ich im Sterben liege, war herzzerreißend. Es tat weh!
Ich wäre dort in Odins Halle nicht alleine, meine Familie wäre schon dort. Ich würde von dort alle weiter beschützen, oder nicht? Aber plötzlich war dieser Gedanke doch nicht mehr so tröstend!
Mein Mann, meine Kinder… sie wären nicht mit mir dort!
War es das, was man Lebenswille nannte? Man wollte NOCH nicht dort sein?
„Vermutlich, mi sol. Aber du bist wieder hier und die Knochen… wenn du dich ein wenig weiter erholt hast, dann wird Edward mit Idun… sie werden es wieder richten.“ dabei druckste Haytham ein wenig herum.
„WAS genau werden sie machen? Es wird wehtun, oder?“ fragte ich pragmatisch nach.
„Ja, SEHR schmerzhaft und es wäre von Vorteil, wenn du nicht bei Bewusstsein bist.“ Chloroform! Aber… das war mir zu riskant, weil noch niemand wirklich wusste, wie man es richtig dosierte!
„Wir müssen es… ausprobieren!“ ich sah in seinen Augen den Widerwillen, genau das tun zu müssen. Es widerstrebte meinem Mann, nicht zu wissen, was genau passierte. Er brauchte diese Liste, diese Ordnung, diese Struktur… Ja, auch ich war Templer, mittlerweile wurde es mir immer bewusster. Ich war es im Herzen schon viel länger!
Man hatte bereits Dr. Ambrosch informiert, welcher nun die entsprechende Ration besorgte. In den nächsten Tagen würde er hier damit erscheinen.
„Versprich mir nur eins, Haytham! Bleib bei mir! Lass mich nicht alleine!“ ich brach plötzlich in Tränen aus, weil ich Angst bekam. Was wenn ich danach nicht mehr aufwachte?
„DAS werde ich nicht zulassen!“ mit einem Male leuchtete sein gesamter Körper und diese Kraft übertrug sich auf mich… Sie brachte mir den Mut, mich auf dieses Abenteuer einzulassen!
Die nächsten Tage, es müssen drei gewesen sein, vermute ich, habe ich mich langsam weiter erholt und fühlte mich immer besser. Die Vergiftung schien wirklich nicht mehr vorhanden zu sein.
Aber diese Schmerzen in meinem Bein waren, besonders nachts wenn man zur Ruhe kam, kaum auszuhalten.
„Ich kann dir noch etwas Laudanum geben…“ danke nein! Immer wenn ich es vehement ablehnte erntete ich fragende Gesichter. Ich wollte mich doch nicht abhängig machen, bin ich denn verrückt?
Dann endlich erschien der kleine Arzt, welcher mich mitleidig ansah.
„Ach, Mistress Kenway. Es wird schon wieder. Wir bekommen das hin, nicht wahr.“ dabei tätschelte er mir die Wange. Er war wie der gute Opa mit großer Zuversicht, der einem jede Angst nehmen konnte. Wehmütig dachte ich plötzlich an meinen Großvater, auch er war so…
Es wurde ernst.
Im Raum blieb nur Haytham, Dr. Ambrosch und Edward. Man hatte den Arzt bereits entsprechend eingewiesen.
Das Leinentuch wurde vor meinem Gesicht auf ein kleines Gestell gespannt.
„Mistress Kenway, habt keine Angst. Ihr werdet das Gefühl haben, dass ihr ohnmächtig werdet. Aber das geht schnell vorbei. Wenn ihr wieder aufwacht, dann ist alles vorbei!“ Bitte, lasst einen Anästhesisten hier erscheinen mit den Narkosemitteln, ging es mir durch den Kopf, ehe ich wirklich weg war…
Hach das ging ja schnell…
„Die Splitter sind zu tief… nein… hier ist der größte… wir müssen weiter schneiden… ah verdammt! HIER! Jetzt zieht fester zu… genauso! Gott sei es gedankt, dass nicht der gesamte Knochen geborsten ist… Die Arterie… ABKLEMMEN! … Verdammt…“
Blöderweise hatte ich Bilder vor mir von den Geschehnissen und mir wurde schlecht…
„Laß alles raus, mi sol.“ ich fühlte eine kühle Hand auf meiner Stirn, welche mich über ein Gefäß hielt.
Ich erwachte in einem dunklen Raum, erleuchtet von ein paar Kerzen.
Neben mir hörte ich gleichmäßiges Atmen.
Wo war ich?
Es war nicht mein Bett! Nicht in Virginia… nicht in Pyrmont…
WO WAR ICH!
Leider muss ich das geschrien haben, weil mich plötzlich jemand umarmte und festhielt.
„Alex, du bist bei mir! Sieh mich an…“ hektisches erschrockenes Atmen…
„Wer…“ es dauerte einen Moment bis ich wirklich spürte, das mich Haytham im Arm hielt. „Oh Odin sei Dank!“ flüsterte ich mit krächzender Stimme.
„Mi sol, ich bin so froh…“ seine Lippen bedeckten mich mit tausenden erleichterten Küssen. „Sag was… du bist wieder wach…“
„Ich liebe dich!“ genau das kam mir in den Sinn, nichts anderes seltsamerweise.
Zwei Tage später, spekulierte ich einfach mal, saß ich in diesem Bett am Kopfende angelehnt und sah auf diesen dicken Verband an meinem Bein.
„Ich werde nie wieder normal laufen können, oder reiten können… ich werde nie mehr meinen Kinder hinterher rennen können…“ ich brach in Tränen aus!
Plötzlich ging die Tür auf und Edward mit seiner Schwester an der Hand erschienen. Sofort eilten beiden auf mich zu!
„Mama… nicht weinen…“ wie aus einem Mund kam das.
Ich konnte nicht anders…
So etwas hatte ich noch nicht erlebt. Mein Leben hing an seidenen Fäden, welche neu gesponnen worden waren.
Ich war eigentlich auf dem Weg in Odins Halle…
Aber ich habe dich nicht auf Great Inagua empfangen, Alex! Hörte ich meinen Piraten.
Nein, musste ich wirklich erst BEIDES empfangen, bevor ich… sterben durfte?
Vor meinem geistigen Auge erschienen Edward Senior und Odin.
Genau DAS ist es! Eines reicht bei weitem nicht…
Die Nornen hatten es bereits vorher gesagt, ich würde hier noch einige Jahre mein Schicksal erfüllen!
„Mama, kommst du jetzt mit mir zu Brünhild?“ hörte ich die Stimme meiner Tochter. Natürlich folgte ich ihr!
Beide führten mich durch Asgard! Sie zeigten mir die Welt, die wir Menschen nie sehen würden. Ich sah Bifröst, ich sah Heimdall… Diese Eindrücke waren unglaublich! Ich hatte sie erwähnt, die Halle der Krieger wo das Recht des Stärkeren galt… jetzt konnte ich mich davon überzeugen…
Die Welt, welche ich von klein auf im Kopf hatte baute sich auf. Ich konnte sie sehen und fühlen!
Natürlich gab es auch nicht so schöne Seiten…
Wie immer im Leben eigentlich, oder?
Diese kleine sehr minimalistische Reise brachte mir aber die Kraft, wieder in meinem Leben weiter zumachen!
Noch einmal dauerte es ein paar Tage bis ich realisierte, dass ich fast genesen war!
„Alex, komm… steh auf…“ vorsichtig half mir Haytham bei den ersten Schritten. Aus Angst, dass es weh tun könnte zögerte ich, stockte ich… aber… es war ungewohnt, fühlte sich seltsam an. Es schmerzte aber nicht.
Und plötzlich konnte ich fühlen, wie sich die Fragmente meines Knochens wieder vereinten, sie verbanden sich.
Ende Januar konnte ich dann auch wieder die Treppen steigen, ich absolvierte das Ganze wie ein Fitnesstraining, weil ich mich allgemein völlig unwohl fühlte! Meine Personal-Trainer waren meine Kinder…
„Mama… komm schon… nur noch eine Stufe… und noch mal…“ Edward entpuppte sich als perfekter Coach!
Mit ihm gelang es mir wirklich in kürzester Zeit wieder in meine fast alte Konstitution zu finden! Wenn auch mit kleineren Einschränkungen, welche aber nicht sehr gravierend waren.
Anfang Februar konnten wir uns von den Bassiters verabschieden.
Ich fühlte mich nicht gut, dass ich solche Umstände gemacht hatte.
„Mistress Kenway! Ich bitte euch. Ihr habt die Frauen vor dem Schlimmsten bewahrt!“ in einigen Schreiben erhielt ich dieselbe Mitteilung. Sie alle wünschten mir gute Genesung, gratulierten mir zu diesem gelungenen „Niederschlag“ der Banditen!
Dieser Mut wäre ihnen ja nicht vergönnt gewesen, gerade als Mutter hätte man ja eher nur die Kinder im Sinn. Ja genau deswegen habe ich so gehandelt! Aber ich befürchte, dass ich „hier und jetzt“ auf Fragezeichen über den Köpfen stoßen würde.
Ich konnte mich tatsächlich fast frei von Schmerzen bewegen, was Haytham dazu veranlasste, als wir ein paar Tage daheim waren, mich zum Training zu zitieren.
Edward Junior stand ebenfalls neben ihm und grinste breit.
„Vater, Mutter ist doch aber keine Anfängerin.“ flüsterte er, als ich bereits mein Schwert zog.
„Das weiß ich, mein Sohn. Deswegen sollte man immer auf der Hut sein.“ grinste mein Templer ebenso breit, als er zum ersten Streich ausholte.
Dieses kleine Training brachte meine Lebensgeister weiter zurück, zeigte mir, dass ich nicht verkrüppelt bin.
Ich erholte mich immer mehr, fokussierte mich und meine Konstitution, meine Muskeln… es tat gut wieder in Bewegung zu sein!
Aber so langsam musste ich meine Reise zu Master Davenport planen. Diese Zwangspause passte eigentlich überhaupt nicht in mein Zeitmanagement, was mich wirklich frustrierte.
„Alex, wenn du im März aufbrichst, reicht es doch auch noch. Außerdem ist es dann auch schon wärmer!“ Haytham hatte ja Recht. Wenn ich so darüber nachdachte wäre es wirklich noch nicht zu spät.
Bevor die Planung in die finale Phase ging, hatten wir noch einmal mit den Hathaways bezüglich Edwards Schulbesuch gesprochen.
Unser Sohn war mal wieder so aufgeregt, dass er alle Sprachen durcheinander warf, er stotterte wieder beim Lesen und mit dem Rechnen fange ich gar nicht an.
Haytham warf ihm immer wieder ein enttäuschtes Kopfschütteln zu, weil er dieses Verhalten nicht nachvollziehen konnte. Edward war selber traurig darüber. Das musste man ihm ja nicht auch noch so deutlich aufs Brot schmieren!
„Master Edward, ich denke, es ist aber an der Zeit, dass ihr in die Schule geht. Ich glaube nämlich, dass ihr dann beruhigter seid. Oder täusche ich mich, dass ihr nur nervös seid?“ Mrs. Hathaway hatte es verstanden.
Freudestrahlend sah er mich an, dann wieder zu seiner zukünftigen Lehrerin.
„Ich … ich darf doch zur Schule?“ rief Edward laut, gleichzeitig umarmte er sie.
Damit war das Thema jetzt abgeschlossen. Ich hoffte, der kleine Kenway würde keinen Blödsinn machen, wenn er mit den anderen Jungs den ganzen Vormittag verbrachte.
Am Abend sprach ich meinen Templer auf seine doch recht unfaire Art hin, seinem Sohn sein Missfallen so deutlich zu zeigen.
„Es war mir halt unangenehm, weil ich weiß, dass er es besser kann. Ich hatte den Eindruck Edward würde es absichtlich machen.“ schulterzuckend saß Haytham auf der Bettkante.
„Warum sollte er es mit Absicht machen? Er möchte doch gerne auch wie die anderen Kinder in die Schule. Edward ist einfach schnell aus der Ruhe zu bringen, wenn er einem etwas zeigen soll. Ich kann ihn da sehr gut verstehen.“ versuchte ich jetzt eine Erklärung.
„Ob sich das dann später legen wird?“ mein Mann hatte sich zu mir umgedreht.
„Davon gehe ich aus. Versprich mir nur, unseren Sohn nicht unter Druck zu setzen, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt, ja?“
Für einen kurzen Moment klappte sein Mund auf, aber er schloss ihn wieder.
„Ich werde es versuchen, mi sol.“ grinste er. Ich wusste, DAS wäre eine der schwersten Übungen für ihn als Vater!
„Zur Not kann ich dir ja auch mal ein paar Lektionen beibringen…“ flüsterte ich an sein Ohr und zog ihn zu mir herunter.
Langsam ritt ich auf das große Herrenhaus zu, welches in der Morgensonne ziemlich beeindruckend aussah.
Leider bemerkte man schnell, dass es in den letzten Jahren etwas vernachlässigt worden war, hier und da blätterte die Farbe von den Fensterrahmen und das Unkraut wucherte über dem Weg zum Eingang.
In den letzten Tagen meiner Reise hatte ich mich immer wieder gefragt, ob es die richtige Entscheidung ist, ihn aufzusuchen. Und jedes mal kam ich zu dem Schluss, dass es sein musste, damit wir diese Einigung erreichen konnten.
Siedlung ist hier wohl auch der falsche Ausdruck, eher eine Ansammlung von ein paar verfallenen Hütten würde ich es nennen.
Als ich meine Reise hierher plante, kam mir der Gedanke mit der Jackdaw den Weg zurück zulegen, jetzt war ich froh, es nicht getan zu haben. Ich sah in der kleinen Bucht ein zerfallenes Schiff dümpeln, so hätte ich keinen Platz zum Anlegen gehabt. Ist das womöglich die Aquila, welche in dem Sturm damals vor 14 Jahren hinter der Providence her war?
Für einen Moment hielt ich inne und betrachtete das Wrack traurig, wie konnte man ein Schiff nur so verkommen lassen? Ich schüttelte mich und ritt wieder zurück auf den Weg Richtung Herrenhaus!
Fenrir band ich an einen kleinen Zaun, welcher ziemlich morsch war, aber ich wusste, mein Hengst würde mir nicht davonlaufen, außerdem war meine Wache ja auch noch da. Mein Gepäck ließ ich noch verschnürt auf seinem Rücken und ging die gepflasterten Stufen hinauf.
Ich hatte weder den Ornat an noch trug ich die Templermontur, ich war neutral in Reitkleidung oder besser gesagt, Reisekleidern unterwegs!
Wieder dachte ich darüber nach, wie ich am besten beginnen sollte, oder ob mir dieser Mann überhaupt öffnen würde. Vor der Tür atmete ich tief durch, straffte mich und betätigte den Türklopfer! Es passierte nichts, ich hörte auch keine Schritte oder überhaupt ein Geräusch. Ich zählte bis 20 und klopfte erneut und dann hörte ich schlurfende Schritte und ein tock-tock-tock wie von einem Stock.
Er riss die Tür mit Schwung auf und starrte mich wütend an.
„Was wollt ihr, Miss? Ich brauche nichts!“ er wollte schon wieder schließen!
„Master Davenport? Wartet einen Augenblick, ich bin nicht hier um etwas zu verkaufen oder ähnliches. Ich würde gerne für einen Moment mit euch sprechen. Mein Name ist...“ ich zögerte kurz und wollte schon Frederickson angeben, besann mich jedoch eines besseren, ich wollte ja bei der Wahrheit bleiben. „... Alexandra Kenway. Wir kennen uns nicht...“ ein Prusten von seiner Seite zeigte deutlich seine Missbilligung.
„Nein und dabei wird es auch bleiben!“ wieder versuchte er die Tür zu zuwerfen, doch ich hielt jetzt dreist meinen Fuß dazwischen.
„Hört mich doch wenigstens an, Master Davenport. Es ist wichtig, glaubt mir!“ sprach ich nun mit etwas mehr Enthusiasmus und es schien zu wirken. Achilles sah mich mit gerunzelter Stirn an und fing an mich zu mustern, auch er besaß den Adlerblick? Interessant!
„Also schön, kommt herein, aber achtet auf eure Schritte, das Holz könnte an einigen Stellen morsch und von Termiten zerfressen sein!“ er drehte sich um und humpelte auf einen Stock gestützt in Richtung Küche.
Haythams Schuss hatte gesessen, aber Master Davenport konnte von Glück reden, dass Faith ihm die Kugel entfernt hatte damals. Es hätte sonst passieren können, dass er zum Beispiel an Ort und Stelle verblutet wäre, oder später das Bein verloren hätte.
Auf diese Hilfsaktion baute ich im Stillen, sie könnte einen positiven Effekt auf unser Gespräch haben. Achilles ließ sich auf der großen Bank nieder und deutete mir, auf der gegenüberliegenden Sitzgelegenheit Platz zu nehmen.
Für einen Moment betrachtete ich diesen Mann, er war jetzt ungefähr 58 Jahre alt, sah aber wesentlich älter aus. Sein graues Haar hing in Rastazöpfen um sein Gesicht, welches von vielen Falten durchzogen war.
Wenn man diesen Herren so vor sich sah, bekam man ein schlechtes Gewissen. Weder er noch Robert Faulkner waren in der Lage gewesen, die Bruderschaft wieder aufzubauen. Sie hatten keine Verbündeten mehr, genau wie ich theoretisch auch nicht mehr und auch darauf baute ich für das kommende Gespräch!
„Nun Mrs. Kenway, was habt ihr so wichtiges mit mir zu besprechen? Gehe ich Recht in der Annahme, ihr wollt euch für euren Mann entschuldigen?“ kam es zynisch und lauernd von ihm.
„Nein, eine Entschuldigung wäre wohl zum einen zu spät und zum anderen unangebracht, Master Davenport. Denkt ihr nicht?“ über mir breitete sich wieder der Ruhemantel aus und meine Worte waren völlig freundlich gesprochen.
Sein Blick ruhte immer noch auf mir und für einen winzigen Moment war ich versucht, in seinen Geist zu dringen. Konnte mich aber gerade noch so zügeln.
„Warum seid ihr dann hier?“ und jetzt saß ich da und wusste nicht, wie ich anfangen sollte. „Ehrlich gesagt, weiß ich nicht so recht, WO ich anfangen soll, Master Davenport. Wie ich ja sagte, eine Entschuldigung wäre nicht mehr angebracht und dass mein Gatte kein Recht hatte, auf euch zu schießen, wissen wir beide. Aber erinnert ihr euch noch an Mrs. Cormac, welche die Kugel aus eurem Knie entfernte? Ohne ihre Hilfe hättet ihr es nie lebend zum Schiff geschafft, oder hättet später das Bein verlieren können. Natürlich tat sie es nicht ganz uneigennützig, doch sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Kranken zu helfen, ohne Wenn und Aber.“ ich hielt inne und wartete auf eine Reaktion.
„Und das soll mich jetzt dankbar stimmen? Diese Frau tat es nur, damit sie an ihr Ziel kommt, mehr nicht. Ihr Templer seid einfach alle gleich und daran wird sich nie etwas ändern.“ zum Schluss war er lauter geworden, doch ich blieb ruhig.
„Nein, das stimmt nicht, die Zeiten ändern sich und sie werden sich noch weiter drastisch verändern, Master Davenport. Also schön, wenn ihr es genau wissen wollt, strebe ich einen gewissen Waffenstillstand zwischen Bruderschaft und Orden an. Es geht hier nicht nur um euch alleine, eure Frustration oder ähnliches. Es geht um das große Ganze, es geht um die gesamte Menschheit...“ er fuhr mir über den Mund.
„Das kann nicht euer Ernst sein, oder? Es gibt hier keine Bruderschaft in den Kolonien mehr, dass wisst ihr. Weil euer Gatte mit Shay dafür gesorgt hat!“ wieder wurde seine Stimme lauter und fing an zu zittern. Wut stieg in ihm auf, das konnte ich sehen.
„Umgekehrt habt ihr aber auch unbedacht gehandelt und das müsst ihr euch auch auf die eigene Fahne schreiben, Master Davenport! Dieses ganze Schuld zu schieben bringt doch keiner Seite etwas, im Gegenteil, wir verlieren wertvolle Zeit!“ sollte ich ihm gegenüber ehrlich sein und meine Zeitreise erwähnen?
Ich hatte damals bei Tobias auch immer die Wahrheit gesprochen, also baute ich auch jetzt wieder darauf, dass ich damit weiterkam. „Was ich euch jetzt erzählen werde, klingt vermutlich völlig phantastisch und ausgedacht, doch ich stamme aus einer ganz anderen Zeit, Master Davenport!“ seine Augen weiteten sich und wie ich es erwartet hatte, lachte er über diese Aussage.
„Das ist lächerlich, Mrs. Kenway!“ gut, wie beweise ich es am besten?
Du wirst ihn nur mit Bildern überzeugen können! Hörte ich meinen Allvater in meinem Geist.
Ich sah ihm in die Augen und konzentrierte mich auf seinen Geist... langsam drang ich zu ihm durch und fing an, ihm Bilder zu zeigen. Nur so konnte ich ihm verdeutlichen was ich meinte.
Er bekam einen kurzen Einblick in das 21. Jahrhundert, ähnlich wie Haytham es damals auch erlebt hatte, als er besessen war.
Gerade als ich fortfahren wollte, war auch Elias mit dabei. Für den Bruchteil einer Sekunde fuhr Achilles erschrocken zurück, weil es nicht Master Lestrange als solcher war, sondern er erschien als der Gott, der er war. Odin!
„Ihr tut gut daran, wenn ihr meinem Kind Glauben schenkt, sie wurde nicht ohne Grund auf die Artefakte aufmerksam gemacht!“ und auch er erzeugte Bilder, welche den alten Mann überzeugen sollten.
Dann verschwand Odin einfach wieder und ließ einen Achilles mit offenem Mund zurück. Ich zog mich ebenfalls aus seinem Geiste zurück und wartete ab, was nun kommen würde.
„Ich kann nicht glauben, was ich gerade gesehen und gehört habe! Das ist doch alles nicht wahr, oder? Haben diese Vorläufer und Götter wirklich eine so große Macht über uns?“ kam es jetzt staunend aus seinem Mund, gleichzeitig starrte er mich weiterhin an.
„Es gibt diese Mächte tatsächlich, Master Davenport.“ ich begann meine Geschichte um Edward James Kenway zu erzählen, wie ich ihm begegnet bin und wie dann eines zum anderen kam.
„Ihr wollt mir wirklich sagen, dass ihr Master Kenway kanntet und mit ihm zur See gefahren seid? Verzeiht wenn mir das zu glauben gerade etwas schwer fällt.“ ich seufzte tief, er müsste mir glauben oder eben nicht. Beweisen konnte ich es gerade nicht, denn die Jackdaw war in Virginia an ihrer Anlegestelle und die Papiere hatte ich natürlich nicht bei mir. Also berichtete ich auch noch davon und erntete große Augen mal wieder.
„Diese alte Brig gehört euch? Man hatte mir darüber berichtete vor etlichen Jahren, dass sie in New York eingelaufen war und die Eignerin eine Preußin sei.“ jetzt dämmerte es ihm. Lächelnd nickte ich ihm zu. „Das ward also ihr?“ meinte er leise.
„Das war ich, ja und so habe ich auch die Kontakte zu Master Cormac und Master Haytham geknüpft, wenn auch erst unbeabsichtigt. Ich war eigentlich nur dorthin gereist, um Licht in das lückenhafte Leben von Shay zu bringen!“ sprach ich jetzt ebenso leise und ruhig.
„Erklärt mir bitte, warum ihr dann den Assassinen abgeschworen habt, ihr hättet hier sicherlich eine Gefolgschaft aufbauen können.“ Ein plausibles Argument von dem Alten.
„Den Gedanken hatte ich auch, jedoch habe ich was die Lehren der Bruderschaft in diesem Jahrhundert angeht meine Bedenken. Ihr denkt und handelt eher so, wie die Templer in meiner Zeit und umgekehrt! Doch ich gehöre noch zu den Assassinen, inoffiziell und eben in meiner Zeit. Mein Auftrag lautet, auch hier in den alten Kolonien dieses Gleichgewicht herzustellen, welches ich im 21. Jahrhundert erreicht habe.“ diese Worte konnte ich etwas erleichterter aussprechen und hoffte auf Zustimmung.
Leider war Achilles noch lange nicht überzeugt, das würde vermutlich auch noch einige Zeit dauern, doch ich hatte einen Anfang gemacht.
„Wie sieht dieses Gleichgewicht aus, welches ihr anstrebt? Wer übernimmt die Führung? Ohne wird es nicht gehen.“
Verdammt, immer diese Machtgedanken!
„Das ist natürlich nicht so einfach, fürs erste brauchen beide Seiten einen Vertrauensbonus, ohne diesen wird gar nichts funktionieren. Aber denkt doch einmal darüber nach, beide Seiten wollen eigentlich das gleiche. Auch wenn Freiheit nicht gleich Frieden ist, wir wissen alle, dass es irgendwo einen übergeordneten Punkt geben muss. Wie der aussieht, wird sich später entscheiden.“ ich hatte keine Ahnung, ob er mich überhaupt verstand, ich hatte selber Schwierigkeiten meinen eigenen Worten zu folgen!
„Aber wozu braucht ihr dann mich? Welche Rolle spiele ich in diesem Szenario, Mrs. Kenway?“ jetzt kamen wir zum schwierigsten Punkt, wie sollte ich ihm sagen, dass Mitte diesen Jahres ein ungefähr 14jähirger Halbindianer vor seiner Tür stehen würde und um Training bitten würde. Ich versuchte es, wie immer, mit dem Vorpreschen!
„Es ist so, Master Davenport. In einigen Monate wird hier ein Mohawk-Junge auftauchen, welcher von seiner Stammesmutter geschickt wird, oder auch von den Vorläufern um genau zu sein. Ihr sollt ihn zum Assassinen ausbilden, seinen indianischen Namen kann ich leider nicht aussprechen, das tut aber auch gerade nichts zur Sache.“ ich vermied es zu sagen, das Achilles ihn Connor nennen würde, nach seinem verstorbenen Sohn. „Dieser Halbindianer ist Master Kenways Sohn und seine Mutter kennt ihr ebenfalls, Ziio!“ so jetzt war es raus und ich saß etwas zittrig vor diesem Mann.
In seinem Gesicht wechselte sich Erstaunen, Belustigung und … war das Stolz?... ab. Dann lachte er kurz auf.
„Ihr meint, ich soll diesen Bengel unterrichten? Wie komme ich dazu und WARUM?“
Hatte ich das nicht gerade erläutert?
„Es ist eure Bestimmung, jetzt jedoch mit einer kleinen Änderung, Master Davenport! Ihr solltet eure Wut, welche ihr meinem Mann gegenüber habt, nicht auf ihn übertragen. Der Junge kann nichts für seinen Vater und sollte ihn kennenlernen. Wenn ihr jedoch anfangt, schlecht über Haytham zu reden, wird es in einer Katastrophe enden, welche für keine Seite gut ausgehen wird!“ Wieder sah er mich völlig ungläubig an und schüttelte mit dem Kopf.
„Mrs. Kenway, ihr verlangt allen Ernstes von mir, dass ich von meinen Prinzipien abweiche und meine Erfahrungen mit den Templern über Bord werfe. Gleichzeitig soll ich auch noch einen Jungen ausbilden, ohne ihm jedoch die tieferen Lehren der Assassinen näherzubringen. Wie stellt ihr euch das vor?“ so wie ich es gesagt habe, denke ich mal.
„Nicht ganz, Master Davenport! Natürlich könnt ihr nicht von heute auf morgen ein Umdenken in euch hervorrufen, auch bei meinem Gatten hat es lange gedauert. Doch auch Haytham wünscht sich ebenso wie ich eine Einigung der beiden Bünde und sogar sein Vater hat ihm dazu geraten! Glaubt mir, wir können mehr erreichen, wenn wir gemeinsam arbeiten!“
Herrje, ich hörte mich an wie Connor später, wenn er Haytham getroffen hat... ich verwarf aber kopfschüttelnd diese Bilder wieder.
„Darüber werde ich wohl erst einmal nachdenken müssen, Mrs. Kenway.“ seufzte er schwer. Plötzlich wirkte er erschöpft und müde, so als hätte er einen langen Arbeitstag hinter sich.
„Master Davenport, das war es weswegen ich gekommen bin. Ich sähe es gerne, wenn ihr dem Ganzen wenigstens eine Chance geben könntet. Es ist für unser aller Wohl am besten, ich habe gesehen was passieren wird, wenn wie bisher gehandelt wird.“ kam es bittend von mir.
„Mrs. Kenway, habt ihr eigene Kinder?“ fragte er mich jetzt völlig unerwartet und ich blinzelte ihn erstaunt an, ob dieses Themenwechsels.
„Ja, ich habe einen erwachsenen Sohn, welcher im 21. Jahrhundert geblieben ist und mit Master Kenway habe ich zwei Kinder, unser Sohn ist 5 und unsere Tochter wird bald 3 Jahre alt.“ erklärte ich ehrlich und sah ihn weiter fragend an.
„Dann wollt ihr auch nur das beste für eure Kinder nehme ich an?“ diese Frage war mehr als merkwürdig, jede Mutter oder Vater wollte nur das Beste für seinen Nachwuchs! „Natürlich wünsche ich mir das, Master Davenport!“
„Ich hatte auch einen Sohn, wisst ihr? Und eine Frau, leider habe ich beide vor vielen Jahren zu Grabe tragen müssen, es war Typhus, welcher die beiden dahin gerafft hat.“ sprach er traurig und vor allem sehr leise.
„Das tut mir schrecklich leid für euch, Master Davenport!“ mehr konnte ich nicht sagen, es war die Wahrheit!
„Dieser Junge, welcher um das Training bitten wird, weiß er, wer sein Vater ist?“
Das war natürlich eine gute Frage, aber ich meine mich zu erinnern, dass Ziio ihm erzählte, wer sein Vater ist.
Achilles sackte immer mehr in sich zusammen.
„Master Davenport, geht es euch nicht gut?“ fragte ich nun etwas besorgt.
„Wisst ihr, Mrs. Kenway, ich habe mit vielem gerechnet, doch dass hier eine Frau auftaucht, welche aus einer anderen Zeit stammt, die mich dann auch noch belehrt und mir sagt, ich werde bald einen Schüler haben, ist für mich etwas viel so früh am Tag!“ ein leichtes Lächeln spielte um seine Mundwinkel.
„Verzeiht, Master Davenport, aber ich bin schneller voran gekommen, als ich dachte. Ich mache mich dann aber auch wieder auf den Weg zurück. Bis zur nächsten Herberge ist es ja eine ganze Ecke.“
Als ich mich erhob um mich zu verabschieden, stand er langsam auf und sah mich wieder musternd an.
„Mrs. Kenway, ihr solltet vielleicht wenigstens diesen Tag und die Nacht hier verbringen. Euer Pferd wird sicherlich auch diese Ruhe benötigen genau wie eure Wache draußen, dann könnt ihr morgen erfrischt wieder aufbrechen! Seid mein Gast, Mrs. Kenway!“ sein Ton war leise und freundlich. Sollte ich wirklich bleiben?
„Ich möchte euch aber keine Umstände bereiten, Master Davenport.“ sagte ich zögerlich, mir lag so etwas einfach nicht.
„Ihr könnt mir ja zur Hand beim Essen zubereiten gehen, das genügt mir schon!“ kam es breit lächelnd von ihm und wieder keimte in mir das schlechte Gewissen. Dieser Mann war alleine hier, versorgte sich alleine, da war es verständlich, dass er ein wenig Gesellschaft doch ab und an genoss.
Ich blieb! Gemeinsam gingen wir hinaus und Achilles führte Fenrir, die Wache und mich zu den Ställen, wo ich meinen Hengst absattelte und trockenrieb. Dann nahm ich mein Gepäck und wir gingen wieder hinein.
Das Mittagessen bestand, zu meinem Leidwesen, aus frisch geschossenem Hasen! Wieder einmal musste ich mich zusammenreißen, aber unbemerkt blieb meine Abneigung dieses mal nicht. Der alte Mann hatte ein gutes Auge und fragte auch gleich nach.
„Ihr seid kein Freund von diesem Fleisch, wie ich sehe. Lasst mich raten, diese Tiere tun euch leid, oder?“ etwas schüchtern sah ich ihn an und nickte.
„Ja, es ist ein Kindheitsalbtraum, als mein Großonkel mein eigenes Kaninchen häutete und ich zufällig gerade dann aus dem Fenster sah. Seitdem fällt es mir schwer, diese Tiere zu essen!“ gab ich als ehrliche Antwort. „Ich halte mich einfach an die Beilage, Master Davenport, wenn es euch nichts ausmacht.“
Nach dem Essen zog sich Achilles zurück, um sich auszuruhen und überließ mir die im oberen Stockwerk befindliche Büchersammlung. Es war wieder erstaunlich, auch dieser Mann besaß im Grunde regelrechte Schätze und ich vertiefte mich in ein Buch, welches sich mit der Geschichte der Assassinen beschäftigte.
Irgendwann hörte ich Master Davenport von unten rufen.
„Mrs. Kenway, seid ihr noch dort oben?“
„Ich hoffe, ihr konntet euch ein wenig erholen.“ fragte ich, als ich unten ankam.
„Dieser Schlaf war nötig, nach so vielen Neuigkeiten heute!“ lächelte er mich an.
„Verzeiht, wenn ich euch so überrannt habe. Doch ich musste ja einen Anfang wagen!“
„Ich denke, den habt ihr gemacht und ich hoffe, dass, wie sagtet ihr noch gleich, dieser Vertrauensbonus in euch nicht missbraucht wird.“ sein Blick sagte alles, eine hochgezogene Augenbraue und leicht tadelnd.
„Keine Angst, Master Davenport. Es gibt ja bereits einige hier ansässige Assassinen-Zweige aus England oder Frankreich, welche sich ebenfalls unserer Sache schon angeschlossen haben.“ versuchte ich eine Erklärung um meine Loyalität zu bekunden. „Sogar aus Frankreich sind Brüder und Schwestern hier? Das hört sich doch vielversprechend an.“ jetzt hörte ich zum ersten Mal so etwas wie Begeisterung in seiner Stimme.
Den Rest des Nachmittags erzählte ich ihm dann noch von meinen Geschäften, welche ich auch mit den verschiedenen Bruderschaften und Riten tätigte. Irgendwann standen wir an der Klippe, dabei kam ich auf das Wrack in der Bucht zu sprechen und ein trauriger Schleier legte sich für einen Moment auf sein Gesicht.
„Ja, es ist die Aquila. Mr. Faulkner hat sich leider dem Rum verschrieben und das in großen Mengen, so dass das Schiff vor sich hin verrottet. Ich finde es auch sehr schade, doch wir haben niemanden, der sich um den Wiederaufbau kümmern könnte.“
Dabei sah er auf die Bucht hinunter und stützte sich auf seinen Stock.
„Ihr werdet mit dem Jungen einen ganz neuen Anfang machen, vertraut mir.“
„Mrs. Kenway, warum seid ihr alleine hierher gekommen?“ eine berechtigte Frage, welche ich aber nicht wirklich beantworten konnte, außerdem kam sie etwas unerwartet.
„Nun, ich wollte lieber erst einmal mit euch unter vier Augen sprechen. Zumal mein Gatte auch auf der Plantage derzeit alle Hände voll zu tun hat...“
Achilles unterbrach mich unwirsch.
„Sagt mir nicht, ihr besitzt Sklaven...“ auch ich unterbrach ihn.
„Nein, wir beschäftigen Pächter und Arbeiter, welche auch bezahlt werden. Die meisten von ihnen sind Auswanderer und wollen nur ein neues Leben hier beginnen. Master Davenport, mein Gewissen verbietet mir schon, Sklaven zu haben. Es ist mir sogar mehr als unangenehm mit den ganzen Angestellten um mich herum.“ gab ich als ehrlich Antwort.
„Eure Einstellung gefällt mir, sie ist selten in diesen Zeiten zu finden, wisst ihr das?“ wieder wanderte sein Blick über die Bucht.
Als es Zeit fürs Abendessen war, stand ich mit dem alten Mann wieder in der Küche und ich muss sagen, er war was das Schnippeln von Gemüse anging unglaublich schnell.
Es gab zwar nur einen einfachen Eintopf, aber dieser war köstlich und ich notierte mir die Zutaten, das wollte ich zuhause auch einmal ausprobieren, oder besser ausprobieren lassen. Haytham würde mir die Hölle heiß machen, wenn ich selber in der Küche stünde.
Am Abend saßen wir noch lange im Esszimmer zusammen und er erzählte mir, wie er sich hier angesiedelt hatte, wie er seine Frau kennenlernte und im Grunde ein wenig aus seinem doch sehr turbulentem Leben.
„Wie geht es Master Cormac?“ fragte er plötzlich völlig unvermittelt und für einen Moment war ich irritiert.
„Nun, also... es geht ihm gut. Auch er hat sich mit Faith in Virginia niedergelassen und sie sind unsere unmittelbaren Nachbarn. Die beiden haben ebenfalls Kinder, 4 um genau zu sein. Eines ist adoptiert...“ und jetzt wusste ich nicht, wie und ob ich es überhaupt erwähnen sollte. Doch es würde vielleicht auch ein positives Licht auf Shay werfen! „Shay hat Mr. O´Briens Sohn an Kindes statt angenommen, als die Mutter, Caroline, von einer Verrückten niedergemetzelt worden war.“ Eine Kurzfassung der Ereignisse, aber weiter ausholen musste ich wohl nicht.
„Wer tut bitte einer armen Frau so etwas an?“ kam es entrüstet von ihm.
„Sie war Assassine und war die Nichte des Dukes of Ironside, Master Elias Lestrange. Doch dieses Vergehen hat sie mit ihrem Leben bezahlt, man hat sie erschossen!“ gab ich als Erklärung. Ich hörte, wie meine Stimme dabei eiskalt wurde, weil ich nicht gerne an Zoe zurück dachte!
„Ihr ward bei der Hinrichtung zugegen, nehme ich an?“ auch seine Stimme wirkte kalt.
„Ja, und Mrs. Cormac hat diese Zoe erschossen, als eine Art Rache, was ich durchaus verstehen kann.“ sprach ich leise, wenn man Faith umbringen würde, dann würde der Mörder keine Sekunde mehr Frieden vor mir haben.
„Wir leben in grausamen Zeiten, findet ihr nicht, Mrs. Kenway?“ worauf wollte er nun hinaus?
„Ja, das stimmt und ich habe oft Angst um meine Familie und meine Freunde!“ gab ich ehrlich zu.
„Vielleicht können wir doch etwas verändern, gemeinsam!“ sagte er, als er sich vorsichtig erhob. „Ich denke, wir sollten jetzt schlafen gehen, es ist schon spät.“
Achilles reichte mir seine Hand und wünschte mir eine gute Nacht.
„Die wünsche ich euch auch, Master Davenport!“ mit diesen Worten ging ich hinauf und machte mich Bettfertig.
Langsam kam mein Verstand auch wieder runter und meine Gedanken verlangsamten sich allmählich.
Als ich in diesem fremden Bett lag, alleine ohne meinen Templer, war es mal wieder eine dieser Nächte, welche ich gerne übersprungen hätte. Auch vermisste ich so langsam meine Kinder und mein Zuhause!
Mit diesen Bildern meiner Familie schlief ich dann langsam ein.
Der nächste Morgen begann früh, da ich von einem Scheppern aus der Küche geweckt wurde.
Es war noch nicht ganz hell, ich wusste nicht, wie spät es sein mochte.
Leise schlich ich die Treppe hinunter mit meinem Stiefelmesser in der Hand. Man weiß ja nie, wer einem hier in der verlassenen Gegend alles über den Weg laufen könnte.
Aber dann sah ich schon, wie Achilles mit einem Wasserkessel hantierte und ihn übers Feuer hing. Beim Befüllen muss er wohl einige von den Zinntellern herunter geworfen haben.
„Guten Morgen, Master Davenport!“ sprach ich ihn an und er drehte sich etwas erschrocken um.
„Oh, guten Morgen, Mrs. Kenway. Habe ich euch etwa geweckt?“ in seinem Gesicht lag ernsthaft ein schlechtes Gewissen.
„Nein, keine Sorge. Mein Tag beginnt daheim ja auch immer sehr zeitig! Aber kann ich euch behilflich sein?“ bot ich meine Arbeitskraft an, doch er schüttelte nur mit dem Kopf. „Nein, es ist schon gut. Ihr könnt euch in Ruhe fertig machen. Dann ist das Frühstück auch sicherlich fertig!“ erst jetzt bemerkte ich, dass sein Blick starr auf den Herd gerichtet war.
Oh verdammt, ich stand hier in meinem sehr, sehr dünnen Sommernachthemd, vor einem wildfremden Mann.
„Ich... bin dann oben.“ nuschelte ich verlegen und huschte schnell die Treppe hinauf.
Fertig angezogen mit gemachten Haaren und gepackter Tasche erschien ich wieder unten in der Küche.
Es stand wirklich Kaffee auf dem Tisch und ich jubelte innerlich, so konnte der Tag doch anfangen.
Während des Essens unterhielten wir uns noch über meine Route, welche ich genutzt hatte, um hierher zukommen. Master Davenport zeigte mir auf einer Karte aber eine weitaus kürzere und auch, man glaubt es kaum, sicherere Route. Ich notierte mir in kurzen Worten die wichtigsten Wegpunkte und dann ging ich hinaus zu den Ställen.
Fenrir schnaubte als er mich bemerkte. Er bekam noch zwei Möhren von mir, als Belohnung für seine Geduld.
Als mein Hengst gesattelt war, verabschiedete ich mich von dem Meisterassassinen und wünschte ihm noch alles Gute und dass wir uns sicherlich bald wiedersehen werden. Spätestens Anfang nächsten Jahres, vermutete ich mal in Boston. Ich hoffte aber inständig, dass wir nicht Zeuge dieses Boston-Massakers werden würden im März! Außerdem musste Connor erst einmal ein Grundtraining erhalten, welches nicht mit zwei Wochen abgetan war.
Ich drehte mich noch einmal in meinem Sattel um und winkte Achilles zum Abschied, dann verschwand ich im Wald. Auf dem ganzen Rückweg sinnierte ich über die Gespräche, von denen ich hoffte, dass sie Master Davenport als Warnung, Erklärung und Ehrlichkeit genug waren.
Auch hoffte ich, dass ich nichts vergessen hatte, sonst müsste ich ihm halt schreiben, was ich mir auch vorgenommen hatte. Der Kontakt, auch wenn er nur ganz klein war, sollte nicht gleich wieder abreißen.
Ende April war ich wieder zuhause angekommen, wo man mich schon sehnsüchtig erwartete.
Florence und Edward stürmten auf mich zu.
„Mama, hast du uns was mitgebracht! Hast du uns auch so vermisst wie wir dich? Vater war auch ganz traurig, dass du nicht hier warst. Ich habe schon ganz viel gelernt in der Schule…“ ich wuschelte durch die Haare meines Sohnes, als ich ihn in seinem Redefluss unterbrach.
„Ich habe jedem von euch etwas mitgebracht.“ flüsterte ich verschwörerisch, während ich in meine Tasche griff.
Ich holte ein Bilderbuch für Florence heraus und für Edward einen kleinen Dreispitz, der aussah wie ein Piratenhut.
„Oh danke… dann kann ich ja jetzt mit den Jungs auf der Jackdaw spielen!“ gerade als er laut nach seinen Freunden rief, hielt ich ihn auf.
„Versprich mir, dass ihr nichts kaputt macht und nicht mit den Zündhölzern herumspielt, verstanden?“ mahnte ich den Wirbelwind.
„Ja, Schusterehrenwort…“ rief er über seine Schulter hinweg.
Florence hatte sich einfach auf die Verandatreppe plumpsen lassen und sah sich ihr Buch an.
„Mama, schau… ein Schme..metter...bim…“ das kam so konzentriert aus ihrem Mund, dass ihre Wangen ganz rot geworden waren.
„Der ist wirklich hübsch, guck mal. Hast du den kleinen Kautz dort in dem Baum auch gesehen.“ für einen Moment saß ich mit meiner Tochter hier. Ich genoss es, wieder zuhause zu sein!
Haytham war auf den Feldern unterwegs, weswegen ich jetzt erst einmal in Ruhe auspacken konnte.
„Tabea! Macht ein Bad nach dem Abendessen bereit.“ ich hatte es dringend nötig, wenn ich mich so im Spiegel betrachtete.
Pünktlich zur Teezeit erschien dann auch endlich mein Mann, welcher mich ebenfalls stürmisch umarmte.
„Du hast mir gefehlt, mi sol.“ flüsterte er leise in meine wuscheligen Haare. „Gehe ich recht in der Annahme, dass wir nachher noch eine Verabredung im Bad haben?“ dabei strich er mir langsam über den Rücken.
„Du gehst recht damit…“ ich war etwas atemlos gerade, weil mich seine Nähe und Duft wieder dahinschmelzen ließen.
„Wir wollen auch!“ Edward hatte sich zwischen uns gedrängelt und schob uns auseinander! „Flo, wir wollen doch auch baden oder?“ sein heftiges Nicken, damit sie mitmachte, war süß. Wenn ich mir die beiden so ansah, sollten sie wirklich auch in der Wanne verschwinden.
„Also schön, aber nur wer auch artig aufisst darf mitkommen.“ mahnte Haytham unsere Kinder.
Jubelnd verschwanden die beiden wieder im Wintergarten, während ich ihnen breit grinsend hinterher sah.
„Wie ist es denn gelaufen, als ich weg war? Haben sich beide gut benommen?“ fragte ich jetzt vorsichtig nach.
„Bis auf ein paar Kleinigkeiten lief es wie am Schnürchen. Walka war aber mal wieder eine Woche bei ihren Geschwistern! Edward hat mit Gilbert zusammen Spinnen gefangen und diese dann im Versammlungshaus herausgelassen. Du kannst dir einige der Mädchen sicher vorstellen, wie sie schreiend hinausgelaufen sind.“ Haythams Gesichtsmuskeln zeigten mir, er wollte den strengen Vater spielen, konnte sich aber ein Kichern nicht verkneifen.
„Vielleicht wollten die jungen Herren auch einfach die Retter für die kleinen Damen sein. Schon mal daran gedacht, mi amor?“ grinste ich breit. „Du weißt doch, wir Frauen wollen beschützt werden von euch…“ oh verdammt, ich musste dringend ein bisschen Abstand zu meinem Mann nehmen, sonst…
Doch mein Templer eroberte mich im Sturm, in unserem Schlafzimmer, so schnell konnte ich nicht schauen.
„Sieh mich an!“ mahnte er mich, als er mich unter sich auf dem Bett begrub.
Bei Odin, es war dringend nötig!
Befriedigt und selig lächelnd konnten wir dann wieder hinunter gehen, weil eigentlich der Tee auf uns wartete.
Haytham berichtete, was hier so während meiner Abwesenheit sonst noch passiert war. Im Grunde nichts spektakuläres, die üblichen Plantagenbelange oder hier und da kaputtes Arbeitsmaterial.
Dieses Jahr sollte eine neue Sorte Weizen ausprobiert werden, welche strapazierfähiger sei. Dazu hatte man ein eigenes Versuchsfeld abgegrenzt.
„Ich bin schon gespannt, ob diese vollmundigen Versprechen der Wahrheit entsprechen.“
Edward hatte sich in der Schule gut eingelebt, lernte fleißig und gab auch gerne sein Wissen an seine kleine Schwester weiter.
Diese war natürlich jetzt immer sehr traurig, wenn ihr Bruder morgens das Haus mit Sybill verließ. Sein Kindermädchen brachte ihn nur zum Versammlungshaus, ging dann aber immer wieder nach Hause.
Florence hatte jetzt eine Vorliebe für Pflanzen entwickelt. Aus diesem Grunde hatte sie ein eigenes kleines Beet bekommen, in welchem meine Tochter ihre eigenen Kräuter oder Blumen pflanzen durfte.
Aber die Abende waren immer etwas schwierig gewesen, weil ich den beiden fehlte. Ab und an hatte ich sie ja im Geiste besucht, ganz ohne ging es auch für mich nicht!
Unser Familienbad war ein voller Erfolg an diesem Abend! Ich genoss diesen Moment in vollen Zügen, ließ mir von Florence die Haare einschäumen, umgekehrt machte ich es bei ihr.
Im Anschluss brachte ich sie beide ins Bett! Auch das hatte mir wahnsinnig gefehlt, dieses Ritual!
„Mama, ich kann jetzt schon unseren ganzen Namen schreiben…“ gähnte Edward an meine Schulter gelehnt, als ich mit seinem Lied fertig war.
„Großartig, min lille skat. Das zeigst du mir morgen!“ ich gab ihm noch einen vorsichtigen Kuss auf die Wange, bevor ich hinüber zu Florence ging.
Dort erwartete mich mein Mann, welcher ihr noch vorlas. Danach konnte ich auch noch gute Nacht sagen. Ihr Lied verschlief sie aber schon fast.
„Hab lieb…“ nuschelte sie leise mit Daumen im Mund.
Sie gab ein zuckersüßes Bild ab, wie sie so dalag.
„Florence ist ihre Mutter in Klein, mi sol.“ flüsterte Haytham hinter mir, als er auf seine Tochter sah.
Leise gingen wir hinaus, weil ich jetzt auch noch ein wenig Zeit mit meinem Mann haben wollte.
Wir verbrachten in dieser Nacht einige wundervolle Momente, erlebten Höhepunkte, die bitter nötig waren, bis wir beide müde und erschöpft in den Schlaf fielen.
„Ich liebe dich.“ flüsterte ich an Haythams Brust geschmiegt.
„Und ich dich erst.“ seine Arme drückten mich zur Bestätigung.
Der nächste Tag!
Ich hatte vergessen, dass es Sonntag war. Während meiner Reise hatte ich mich damit nicht weiter beschäftigt. Das hieß jetzt früh aufstehen, weil die Andacht anstand.
Mr. Hathaway begrüßte mich und fragte nach meinem Befinden, nach dieser Reise. Auch im Hinblick auf meine Verwundung. Daran hatte ich nur gelegentlich gedacht, weil die Schmerzen immer weiter nachgelassen hatten.
Im Anschluss berichteten mir die beiden Lehrer noch von Edwards Fortschritten. Er hatte sich wirklich gemacht. Das Stottern blieb aus, er hatte eine klare Handschrift, nur mit dem Rechnen da haperte es. Mittlerweile hatte er aber seinen Abakus, der ihm bisher gut geholfen hat.
Beruhigt konnten wir uns dann auf den Rückweg machen, wo uns schon das Mittagessen erwartete.
Am Nachmittag erschien ein Eilbote, welcher ein Schreiben aus Philadelphia überbrachte, mit der Bitte SOFORT zu antworten. Er müsse heute noch wieder zurück.
Der Brief kam vom Gouverneur, welchen man vor Gericht zerren wollte!
Er hätte sich abfällig über King George III geäußert und andere Personen mit seinen Hassreden beeinflusst. Außerdem wäre er in den Verruf geraten, sein Amt zu seinen Gunsten zu nutzen und um Geldwäsche zu betreiben. Hier ging es jetzt auch noch um Schmiergelder, Falschgeld und Erpressung!
Völlig entgeistert starrte Haytham auf diese Zeilen!
„Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen!“ kam es nach einer Ewigkeit wütend von ihm.
Er schrieb ein paar Zeilen zurück, in welchen wir unsere Hilfe anboten. Wir würden nun Mr. Gillehand mit zu Rate ziehen, für den mein Mann auch gleich einen Brief verfasste, um ein Treffen mit ihm zu vereinbaren.
Wir begannen wieder zu packen, was natürlich Edward nicht so gut fand. So sah er seine Freunde eine Weile nicht.
„Was meinst du, Haytham. Kann er nicht einfach bei Mildred so lange bleiben? Sie würde sicherlich gut auf ihn aufpassen.“ ging es mir laut gedacht durch den Kopf.
„Ich glaube schon. Reite zu ihr und frag am besten nach.“ neben Haytham stand ein strahlender Edward, der sich auf dieses kleine Abenteuer ohne Mama und Papa in der Nähe zu freuen schien.
Selbstverständlich wäre aber immer noch Sybill an seiner Seite, das sollte er nicht vergessen.
„Mistress Kenway, sicher kann Master Edward ein paar Tage hier bleiben.“ hinter der Frauenanführerin standen ihre Söhne, die sich vermutlich schon ausmalten gemeinsam ein paar Streiche aushecken zu können. Also war das abgemacht.
Am nächsten Tag brachte ich meinen Sohn mit seiner kleinen Tasche dorthin.
„Du benimmst dich bei Mrs. Mildred, verstanden? Ich will keine Klagen hören!“ mahnte ich ihn noch eindringlich, ehe ich mich dann verabschiedete. Sybill würde immer wieder hier vorbeischauen, was mich zusätzlich neben Walka noch beruhigte.
Mit Florence und unseren Angestellten machten wir uns dann wenig später ebenso auf den Weg Richtung Philadelphia.
Rory hatte uns mitgeteilt, dass er ebenfalls dorthin fuhr und uns im dortigen Büro erwarten würde.
Als ich endlich wieder die Zivilisation einer Stadt sah, freute ich mich auf ein weiches Bett am Abend. Diese zwei Übernachtungen in den Gasthöfen unterwegs waren grauenhaft gewesen.
Wir bezogen in unserem Büro im oberen Stockwerk Quartier, wo man schon die Zimmer hergerichtet hatte. Florence überließ ich jetzt Sophia, damit wir uns mit dem Gouverneur und Mr. Gillehand treffen konnten.
Ich hoffte, dass es keine echten Beweise gab, die handfest waren. Ich traute diesem Mann einfach nicht zu, dass er Geld veruntreuen würde oder ähnliches. Hetzreden lagen ihm eigentlich auch nicht, auch wenn man den Leuten immer nur VOR den Kopf gucken konnte!
Vor dem Haus des Gouverneurs hatte sich eine wütende Schar an Menschen versammelt. Sie grölten „Hängt ihn für seine schändlichen Worte“, „Werft ihn ins Gefängnis“, „Soll er sich den Buckel krumm arbeiten auf den Feldern, damit er weiß, wie sich das anfühlt“ und so weiter!
Bei Odin, was hatte dieser Mann denn bitte für einen Eindruck gemacht?
Wir versuchten uns einen Weg durch diesen Auflauf an Menschen zu bahnen, was Haytham schließlich mit kräftigen Stößen seiner Ellbogen bewerkstelligen konnte.
„Ach schau an. Da hat sich der feine Herr noch mehr patriotische Diebe ins Haus geholt!“ rief ein Herr in meiner Nähe. Gerade als er mich schubsen wollte, griff Haytham ihn beim Schlafittchen.
„Finger weg von meiner Frau, oder ihr könnt ohne eure Zähne die nächste Mahlzeit einnehmen!“ fauchte er ihn an.
„Ich mach mir an so einer Gouverneurshure doch nicht die Finger schmutzig!“ mit einer, der umstehenden Menge angepassten, ausladenden Bewegung hatte er Haythams Faust im Gesicht!
„Ich hatte euch gewarnt und jetzt schert euch weg!“ mit der Hand vor der Nase torkelte der Mann durch die Menge und verschwand. So konnten wir jetzt ungehindert bis zur Tür gelangen, wo uns unser Gastgeber schon erwartete.
Unsere Wachen wurden vor der Haustür eingeteilt um weitere Übergriffe zu vermeiden!
„Gott sei Dank, seid ihr unbeschadet hier angekommen. Diese Meute ist kaum zu bändigen und es werden von Tag zu Tag mehr abstruse Gerüchte über mich in Umlauf gebracht!“ verzweifelt ließ er sich auf das Sofa im Salon fallen, wo seine Gattin uns auch noch begrüßte.
„Wir können keinen Fuß mehr nach draußen setzen, dabei gibt es noch laufende Geschäfte und die Versammlungen…“ sie war den Tränen nahe, weil auch sie nichts gegen diese Anschuldigen tun konnte.
„Wir werden jetzt in den nächsten Tagen nach stichhaltigen Beweisen suchen, die euch entlasten werden. Schriftverkehr, Zeugen und so weiter müssen befragt werden, Sir. Aber vielleicht solltet ihr von Anfang an erst einmal berichten, wie es überhaupt zu diesen Aussagen gekommen ist.“ Haytham war die Professionalität in Person wieder.
Alles hatte seinen Anfang genommen nach einer Versammlung, in welcher es um die Steuern ging, die neuerlich erhoben wurden. Die Auflage besagte, dass der Briefwechsel nach England eine extra ausgeführte Steuer auf alles in Schriftform erhalten sollte.
Für einen Moment ließ ich mir das auf der Zunge zergehen. Wenn ich einen Brief zu Jenny schickte, musste ich EXTRA dafür bezahlen, weil es auf Papier verfasst war? Das klang mehr als absurd, man könnte es auch gleich eine Papiersteuer nennen. So ähnlich hieß es auch in dieser Auflage!
Der Gouverneur hatte sich entsprechend entrüstet dazu geäußert, in meinen Augen verständlicherweise. Wir alle schrieben Briefe an Freunde oder Familie in Britannien.
Danach wurden die ersten Gerüchte in Umlauf gebracht, dass er angeblich um das Ganze zu umgehen, seine Geschäfte nutzte um die Briefe zu schmuggeln. Außerdem sei er auch in illegale Machenschaften von Schmugglern verstrickt, welche seine Schriftstücke in ihren Fässern oder Warentruhen versteckten!
Seiner Frau wurde zudem auch noch Untreue vorgeworfen, weil sie sich mit diesen Herren nicht am Tisch sondern immer nur im Bett über den Preis einigte. Das wurde immer besser!
Bei diesen Worten brach sie in Tränen aus.
„Das ist so beschämend! Ich würde so etwas nie tun. Man konnte mich auch gar nicht bei so… ich habe mich nie mit fremden Männer getroffen, das müsst ihr mir glauben!“ schluchzte sie laut.
„Das glaube ich euch, Mrs. McKean! Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, diese Gerüchte von euch weisen zu können.“ ich drückte dabei ihre Hand, weil ich sie gut verstehen konnte.
Im Grunde kam eines zum anderen. Jeder sponn noch etwas hinzu wie es schien!
Aber dann hörte ich jetzt zum ersten Mal, dass dieser Mann regen Austausch mit den Söhnen der Freiheit hatte! Dazu kam, dass die Stimmung hier in den Kolonien wirklich immer mehr ins Anti-Britische rutschte.
Die Herrschaften die also vor dem Haus hier Stellung bezogen hatten, waren die Loyalisten. Ich musste mir jetzt selber alles zusammen basteln, weil ich leider auf politischer Ebene und auch zeitlich nicht alles hier in Amerika im Kopf hatte. Also hörte ich erst einmal zu.
McKean versuchte zum Wohle „seiner“ Bevölkerung hier entsprechende Erlasse durchzusetzen, die sie entlasten sollten. Nicht umgekehrt! Das stieß also vielen treuen Briten sauer auf, weil sie dahinter Verrat am König vermuteten.
Immer wieder hatte man auch Kutschen der Familie überfallen, weil man „Beweise“ sichern wollte, die man dann vor Gericht verwenden konnte. Sogar das Büro des Gouverneurs hatte man durchsucht in einer Nacht- und Nebelaktion!
Aber es wurde nichts belastendes gefunden, gestohlen wurde auch nichts, laut Aussage unseres Gastgebers.
„Ich versuche doch nur nicht selber unterzugehen. Wir alle wollen friedlich miteinander leben, oder sehe ich das falsch?“ fragte er jetzt mit großen Augen.
„Natürlich ist das der Wunsch eines jeden, Sir. Dennoch solltet ihr euch ein wenig bedeckter halten, was ihr vor den großen Versammlungen erzählt. Ihr seht leider jetzt, dass es so einige Personen gibt, die nur zu gerne euer Amt übernehmen würden.“ Haytham versuchte das Ganze nicht allzu bedrohlich klingen zu lassen, aber es ließ sich nicht von der Hand weisen, dass diese Familie jetzt einer echten Gefahr ausgesetzt war.
Ein Diener brachte Mr. Gillehand herein.
Er war völlig dreckig! Seine gesamte Garderobe stank zum Himmel und seine Erscheinung war unheimlich! Sein Gesicht war wutverzerrt und mit Dreck übersät!
„Mr. Gillehand! Das tut mir unendlich leid.“ McKean war aufgestanden und rief eine Bedienstete, damit sie dem Gast eine Möglichkeit zum Waschen und Umkleiden gab!
Es dauerte eine Weile, bis unser Advokat sauber wieder bei uns erschien.
„Das ist ja unfassbar da draußen!“ seufzte er, als er sich langsam auf einem Sessel niederließ.
Kurz wurde ihm noch alles berichtet, damit er im Bilde war.
Jetzt mussten wir beratschlagen, WIE wir weiter vorgehen sollten!
Rorys Vorschlag erst einmal Wachen zu engagieren war auch einer unserer Gedanken gewesen. Unsere konnten wir leider hier nicht abstellen, wir brauchten sie selber. Auch weil mir die Angst um Florence in den Kopf kam, was wenn diese Leute da draußen eine Verschwörung rochen und auch uns gegenüber übergriffig wurden? Bei Odin! Ich hoffte, dass es dazu nie käme!
Ein Bote wurde mit einer Nachricht zu unserem Büro geschickt, damit von dort die entsprechenden Leute einberufen werden konnten. Gegen Abend, so hofften wir, hätten wir den ersten Schutz schon hier!
Wir folgten dem Hausherrn jetzt in sein Arbeitszimmer, wo wir uns um den Papierkram kümmern wollten.
Seine Bücher, welche er angeblich frisiert haben sollte um Geldwäsche zu betreiben, reichte er mir hinüber. Damit wäre ich eine Weile beschäftigt.
Die anderen Herren machten sich an die Geldfälschereigerüchte. Thomas Hickey! Aber nicht nur mir war dieser Gedanke gerade gekommen.
„Nein, du hast Recht. Ich werde ihm eine Nachricht zukommen lassen. Derzeit ist er wieder in New York unterwegs, wenn ich seinen Berichten Glauben schenken kann! Er soll sich bei seinen Leuten umhören!“
McKean sah uns etwas verwundert an.
„Ihr kennt solch …“ er wollte den Begriff ‚gesetzloses Pack‘ nicht in den Mund nehmen so schien es.
„Es ist immer wichtig sich auch in diesen Kreisen auszukennen. So kann man schneller an die gewünschten Informationen kommen, Mr. McKean. Wir selber haben natürlich nicht die Finger in dubiosen Geldgeschichten!“ versicherte Haytham jetzt noch einmal eindringlich!
Ich setzte mich ans Fenster an einen kleinen Tisch und sah mir die Geschäftsaufzeichnungen an.
Er war ein guter Händler, ihn hätte ich gerne noch in meiner Liste. Aber erst, wenn diese Gerüchteküche abgeflaut ist. Ich konnte mir so etwas einfach nicht leisten. Es reichte schon, dass wir hier waren.
Ich fand aber nichts auf diesen ganzen Seiten, welche voll mit Zahlen waren. Korrekte Abrechnungen gepaart mit akkuraten Auflistungen von Warenmengen! Da war nichts, wer auch immer etwas dort gesehen haben will, muss blind gewesen sein.
Insgesamt verbrachte ich 2 Stunden oder mehr mit der in Augenscheinnahme der Bücher, bis mir die Zahlen vor den Augen verschwammen.
„Ich werde kurz nach draußen gehen, Gentlemen.“ seufzte ich. Als ich zur Tür raus wollte, bat mich Haytham bitte nur hinten in den Garten zu gehen. Ich war ja nicht lebensmüde, versicherte ich ihm.
Die frische Luft tat gut, auch wenn es recht kühl war mittlerweile. Von der Straße hörte ich immer noch diese Leute. Aber langsam wurden es weniger, vermutlich würden morgen früh wieder zig Dutzende von ihnen hier aufschlagen!
Zu spät bemerkte ich, dass ich beobachtet wurde!
Eine verhüllte Gestalt ließ sich neben mir auf den Boden fallen, ergriff sogleich meine Arme und verschränkte sie auf meinem Rücken!
„So, da ist ja die Helferin dieses Widerlings! Sag schon, besorgst du seiner Frau die Männer oder geht ihr gemeinsam auf Jagd?“ der Mann hatte einen schrecklich nuschelnden Akzent, so dass ich Mühe hatte ihn zu verstehen. Aber ich war immer noch in Schockstarre, dass ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte.
Langsam zog er mich in die hintere Ecke des Gartens, wo eine kleine Laube war. Dahinter drückte er mich bäuchlings an die Wand!
Plötzlich hörte ich das verdächtige Geräusch einer hervorschnellenden Klinge! Ein Assassine?
Langsam fand ich meine Sprache wieder.
„Welcher Bruderschaft gehört ihr an?“ ich versuchte dabei souverän zu klingen, aber meine Atmung ging stoßweise, weil dieses Gewicht von ihm mich schier erdrückte.
„Zu wem soll ich gehören?“ in dieser Stimme klang völlige Unwissenheit mit.
„Die Klinge! Wem habt ihr sie abgenommen?“ mittlerweile konnte ich nur noch flüstern.
„Geht dich nichts an, hab ich gefunden! Und jetzt beantworte meine Frage, oder muss ich handgreiflich werden?“ Kein Assassine also.
„Ich weiß nicht wovon ihr redet! Mrs. McKean hat sich nie mit irgendwelchen Kerlen getroffen. Wer hat das denn gesehen?“ fauchte ich jetzt, weil es mir zu bunt wurde.
„Ihr Dirnen haltet aber auch immer zusammen, wie? Eine gute Freundin hat die wehrte Gouverneursgattin gesehen, wie sie mit einem jungen Mann in eine Kutsche gestiegen ist.“ ich spürte den kalten Stahl jetzt an meinem Hals. „Sag schon, wie viel gibt sie dir, damit du deinen Mund hälst.“
„Mehr als du dir leisten kannst!“ hörte ich plötzlich Haythams tiefe Stimme hinter uns.
Im Nu waren die beiden in einen Kampf verstrickt, mit Klingen und Schwert. Es wurde schnell klar, dass es wirklich kein Assassine war, wenn er sich auch so gab. Er kämpfte wie ein gewöhnlicher Soldat!
Als er wutschnaubend am Boden lag, stellte Haytham IHM ein paar Fragen.
„Ich weiß von keiner Bruderschaft, Mann! Wir sollten hier nur für Ordnung sorgen. Diese ganzen Aufstände führen doch zu nichts!“ der Herr wandt sich unter meinem Mann wie ein Aal.
„Hoch mit euch, wir besprechen alles weitere vor dem Gouverneur!“ damit zerrte er ihn auf die Beine und schob ihn ins Haus.
Im Arbeitszimmer des Hausherrn ging die Befragung dann weiter.
Wir erfuhren, dass es eigens von der britischen Krone angeheuerte Gruppen gab, die sich ausschließlich um diese „Aufwiegler“ hier in Amerika kümmern sollten.
Dem König gefiel es nämlich nicht mehr, dass niemand bereit war, seinen Krieg zu finanzieren! Aber er brauchte das Geld, sonst wären bald die Schatzkammern leer, überspitzt gesagt.
„Wie viele seid ihr hier in Pennsylvania? Oder zieht ihr wie die Heuschrecken weiter?“ tönte Rory, weil auch er schon von diesen Leuten gehört zu haben schien. Also waren auch in Virginia nicht mehr alle sicher.
Der Gefangene stöhnte auf, sah von einem zum anderen.
„Ihr reichen Schmarotzer habt doch keine Ahnung, wie es ist, zu hungern, weil sich Leute wie ihr an unserem Leid laben! McKean stopft sich die Taschen voll mit den Steuergeldern, die eigentlich für uns Soldaten als Sold gedacht waren…“ plötzlich bekam er große Augen! Er hatte sich verraten!
„Ihr seid ein Soldat eurer königlichen Majestät?“ verdutzt sah Haytham zu mir, dann wieder zu dem Herrn auf dem Stuhl.
„Nicht direkt…“ nuschelte er leise, weil er im Grunde jetzt Gefahr lief, mehr als er durfte auszuplaudern!
„SPRECHT!“ brüllte unser Gastgeber, welcher sich kaum noch beherrschen konnte!
Diese „Gruppierung“ war ein Teil des britischen neu einberufenen Geheimdienstes. In der Armee gab es Leute, es gab bei Gericht entsprechende Leute oder auch einfache Händler hatten sich diesem Dienst verschrieben. Die Bezahlung schien auf jeden Fall besser zu sein, als bei der Armee als Soldat!
Aber dieser Mann hier war kein Deserteur, er war eine Art Kundschafter und sollte immer wieder Gerüchte verbreiten, die den Patrioten oder eben Gegnern der Krone entsprechend schadeten.
Überall hier in Amerika hatten sie sich etabliert und kaum jemand war bisher aufgeflogen. Besonders in Boston und New York waren sie aktiv, weil es dort aufgrund der Häfen recht schnell mit der Verbreitung von Nachrichten ging.
Einen Anführer hatte er nicht, er sei dem König direkt unterstellt.
In seiner Rocktasche fanden wir ein entsprechendes Schreiben, welches ihn als „Gesandten“ deklarierte.
Dennoch wollte ich wissen, woher er diese Klingen hatte. Bei der Antwort druckste er herum.
„Die habe ich vor ein paar Jahren bei einem Toten in der Themse gefunden.“ er war in seinem Stuhl weiter zusammengesackt, traute sich nicht mehr hoch zusehen.
Ich nahm ihm seine Waffen ab und besah sie mir genauer.
Der Verschluss war… diese Technik kannte man hier noch nicht! Dieses genähte Leder mit den Ösen und Nieten war ohne entsprechende Maschinen nicht hinzu bekommen! Außerdem war dieser Federmechanismus mit dem rostfreien Stahl auch nicht aus dieser Zeit.
Erschrocken sah ich meinen Mann an.
Diese Klingen gehörten demnach einem unserer Verfolger von damals!
„Habt ihr noch mehr solcher Dinge gefunden?“ hakte ich jetzt vorsichtig nach.
„Ich weiß es nicht, ich war gerade mal 17 als ich diese Leiche fand, ich hab mir nichts dabei gedacht.“ eine ehrliche Antwort zur Abwechslung mal.
„Wir werden sie behalten, ihr habt kein Recht, sie zu tragen!“ ich klang vermutlich sehr theatralisch, aber so fühlte ich gerade. Man nahm sich nicht einfach so die Klinge eines toten Assassinen!
Hoffen wir, dass niemand noch weitere Dinge aus der Themse damals gefischt hat!
Aber eines erfuhren wir dennoch, wenn wir einen der Drahtzieher finden wollten, sollten wir uns in dem hiesigen Bordell umhören! Dort gab es eine Prostituierte, die sich Madame Fleur nannte.
Bei Odin, mehr Klischee ging für einen Namen einer Hure nicht. Hoffentlich roch sie wenigstens wie eine Blume um ihrem Namen Ehre zu machen.
Rory und Haytham brachten diesen Mann jetzt zum Gefängnis, damit er morgen entsprechend vor den hiesigen Richter gebracht werden konnte. Würde man ihn wegen Aufwiegelung hinrichten? Was wird jetzt aus den Gerüchten um die Familie des Gouverneurs?
„Ich werde in Umlauf bringen, dass das alles nur ein … großes … Missverständnis war. Dass man mich falsch unterrichtet hatte und mir gefälschte Dokumente zugespielt hat. Ich… hoffe, ich kann mich auf meinen König berufen.“ diese Worte kamen völlig desillusioniert über seine Lippen, sodass er mir für den Bruchteil einer Sekunde leid tat. „Vermutlich werde ich in England dann einen ordentlichen Prozess erhalten.“ diese Worte sprach er über seine Schulter, als er schon von meinem Mann hinausgeführt wurde!
Vor dem Haus waren keine Menschen mehr zu sehen, weswegen die drei unbehelligt in eine Kutsche steigen konnten.
Ich blieb beim Gouverneur und seiner Gattin, weil ich im Moment auch nichts weiter ausrichten konnte.
„Mistress Kenway, ihr spracht von einer Bruderschaft? Was habt ihr damit gemeint?“ fragte Mrs. McKean nach, als wir wieder im Salon saßen und warteten.
„Eine alte Kriegergilde wenn ihr es so nennen wollt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Menschen zu beschützen. Aber vieles davon ist eine reine Legende, ein Märchen, so würdet ihr es bezeichnen.“ ich konnte ihr gegenüber nicht mehr sagen, wollte es auch nicht!
„Und diese trugen solch seltsame Waffen an sich?“ weiterhin sah sie mich mit großen Augen an.
„So sagt man, ja.“ ich wurde leiser, weil ich nichts preisgeben durfte.
Im Grunde hakte man jetzt auch nicht weiter nach. Die Eheleute taten es als Hirngespinst ab! Odin sei Dank, kann ich da nur sagen!
Etwa eine Stunde später waren der Advokat und mein Templer zurück. Beide sahen mehr als wütend und aufgebracht aus.
„Es ist nicht zu fassen! Der Mann brauchte nur sagen, dass er dem König unterstellt ist und mit seinen Papieren wedeln, schon ließ man ihn wieder laufen!“ meckerte Rory lautstark vor uns!
„Aber er weiß jetzt, dass er besser seinen Mund halten sollte. Noch einmal kommt er nicht so glimpflich davon.“ auch Haytham war stocksauer deswegen.
„Du hast ihm gedroht? Ob das eine so gute Idee war…“ bevor ich aber noch etwas sagen konnte, sah er mich wütend an mit einem leichten goldenen Schimmer in den Augen.
„Sag mir nicht, was ich tun soll, hast du mich verstanden?“ erschrocken stand ich vor ihm, konnte hier aber schlecht Tyrs Namen erwähnen!
„Master Kenway, wir werden heute Abend zu diesem Bordell fahren, dann wissen wir, ob er weiter diese Gerüchte anfeuert oder ob er sich zurückgezogen hat.“ Mr. Gillehand hatte seine Hand auf den Arm von Haytham gelegt. Ich konnte spüren, dass auch er gerade seinen Gott repräsentierte. Gerechtigkeit!
Mit einem Male schüttelte sich mein Templer.
„Verzeih mir. Das war unbedacht von mir.“ ein Kuss auf meine Stirn war als Entschuldigung fürs erste genug, den Rest würde ich später mit ihm klären. ALLEINE!
Moment, die beiden wollten dieses Etablissement nachher aufsuchen?
„Wann hattet ihr gedacht brechen wir dorthin auf?“ fragte ich jetzt nach.
„WIR? DU bleibst in unserem Büro, mi sol. Das ist ein Bordell, schon vergessen?“ dieses fiese Lächeln konnte sich mein Mann sparen!
„Ja und? Auch ich kann mich dort umhören! Zur Not kann ich ja etwas netter zu einigen Herren sein…“ entsetzt sahen mich die Herren im Raum an.
„Bist du eigentlich noch bei Trost? Ich sagte NEIN und dabei bleibt es!“ Haytham war wieder nicht er selbst, verdammt!
Ich habs verstanden! Maulte ich jetzt im Geiste.
Schön für dich! In seinen Augen las ich, dass er mir diese Unterredung noch in einer Lektion unter die Nase reiben wird.
Wir blieben noch zum Abendessen. Mein schlechtes Gewissen meiner Tochter gegenüber wurde aber immer schlimmer, sodass wir kurz danach aufbrachen. Rory begleitete uns, weil auch er im Büro übernachten würde.
Wir planten noch ein paar Tage hier ein, nur um sicher zugehen, dass auch alles an Gerüchten vom Tisch war! Ein Stadtschreier würde die ersten Neuigkeiten im Bezug auf die weiße Weste des Gouverneurs gleich morgen früh kundtun.
Beim Büro erwartete mich eine weinende Tochter und eine erschöpfte Sophia!
„Mama…“ jammerte Florence als ich sie auf den Arm nahm.
„Min lille engel. Wir sind doch wieder da. Das hat lange gedauert ich weiß, aber jetzt erzählt dein Vater dir noch eine Geschichte und ich singe dir etwas vor. Komm.“ flüsterte ich leise, während ich über ihre blonden Haare strich.
Danach zog sich mein Mann um. Man könnte meinen er würde einen Staatsempfang geben wollen.
In mir begann meine Eifersucht zu brodeln… wozu putzte er sich wie ein Gockel heraus? Er sollte nur ein paar Leute befragen! Oder hatte er noch andere Pläne, wenn er schon mal in einem Bordell war?
„ALEX! Hör auf damit! Ich kann dich lesen und ich vermute JEDER könnte es gerade!“ Haytham war unglaublich ungehalten, aber seine Aura war normal gelbgold, kein Hrymr Einfluss. Nur… Tyr schien heute schlechte Laune zu haben. „Ist das ein Wunder bei deinen Unterstellungen?“ fauchte er mich an, als er neben mich griff um seinen Gehrock zu nehmen.
„Ich warne dich. Finde ich EIN fremdes Haar auf deinen Sachen oder sehe ich…“ mit einem schnellen Schritt war er bei mir, presste sich an mich und küsste mich mit einer Wut, die… irgendwie berauschend war.
„Ich werde solange mit meiner Lust warten, bis ich dich unter mir habe!“ in seiner Stimme klang dieses Versprechen es wirklich umzusetzen mit, was mich kribbelig werden ließ!
Und jetzt hieß es warten!
Ich erwähnte meine Ungeduld bereits einige Male, dazu kam jetzt meine unberechtigte Eifersucht, welche ich aber nicht abstellen konnte!
Wie ein eingesperrtes Tier wanderte ich erst in unseren Zimmern umher, dann durch das ganze Haus.
Unten in einem Arbeitszimmer sah ich noch Licht. Vorsichtig klopfte ich.
„Herein!“ hörte ich die Stimme einer Frau.
Hier in Philadelphia hatten sich in den letzten vier Monaten noch zwei weitere Schwestern niedergelassen. Eine davon saß nun vor mir an ihrem Schreibtisch.
„Ah, Mistress Kenway! Kann ich euch irgendwie helfen? Ihr seht besorgt aus.“ lächelte sie mich an.
Sie war ungefähr Mitte 30, dunkelblonde gelockte Haare. Ihr Name war Beatrice DonBonne! Sie kam aus der Schweiz, soweit ich unterrichtet war. Ihr Großmeister hatte sie beauftragt, die Geschäfte einiger abtrünniger Templer aus den einzelnen Kantonen unter die Lupe zu nehmen.
„Nein, aber mir sind gerade die Hände gebunden. Ich muss auf meinen Mann warten. Ein Bordellbesuch sei für mich nicht das richtige.“ grinste ich breit.
„Ich hatte das Gespräch kurz mitbekommen. Dann ist euer Mann also mit Rory dorthin unterwegs?“ meine hochgezogene Augenbraue sollte reichen. „Ich verstehe… Aber… ich denke, ihr braucht euch keine Sorgen machen.“
Gerade als ich etwas erwidern wollte, stand sie abrupt auf.
„Wisst ihr was? Ich habe hier für heute alles erledigt. Wie wäre es, wenn wir… ganz zufällig…“ ihr verschwörerisches Grinsen gefiel mir.
„Wartet, ich hole mir meinen Mantel…“ damit ging ich in die Eingangshalle um mich anzuziehen.
Gemeinsam machten wir uns auf den Weg, nachdem ich Sophia noch Bescheid gegeben hatte.
Wir wurden unterwegs von einigen männlichen Passanten seltsam beäugt. Es war gegen elf Uhr nachts, zwei Frauen alleine unterwegs war immer noch eine Seltenheit in dieser Zeit.
Wir kamen vor besagtem Gebäude an und hörten dieses übliche Stimmengewirr, dieses Stöhnen und noch so einiges andere mehr.
Gemeinsam beschlossen wir, uns durch den Hintereingang hinein zu schleichen. Gerade als wir vor der besagten Türe standen, wurde diese aufgerissen und ein halbnackter Mann wurde uns entgegen geschleudert.
„Verpiss dich, du räudiger Hurensohn! Und komm erst wieder, wenn du die Krätze los bist!“ brüllte ein Herr ihm hinterher.
Als er uns bemerkte, lächelte er mit ein paar fehlenden Schneidezähnen im Mund. „Ladies, was kann ich für euch tun. Ihr seht nicht aus, als suchtet ihr eine Anstellung oder gar einen Schwanz für heute Nacht.“ dabei leckte er sich über seine Lippen.
„Sir, nein. Wir sind gut versorgt. Aber uns ist zu Ohren gekommen, dass hier zwei sehr gutaussehende Herren mit viel Geld abgestiegen sind heute Abend.“ ich hatte ein paar Geldscheine zusammengefaltet in meiner Hand und schob sie ihm in seine gierigen Finger.
Ein breites Grinsen erschien in seinem Gesicht, als er sie betrachtete.
„Fühlt euch wie zuhause, Ladies! Und wenn etwas ist, ihr wisst wo ich zu finden bin.“ mit einer freundlichen einladenden Bewegung hieß er uns einzutreten.
Ich kannte diesen sehr eigentümlichen Geruch von dem Bordell in New York noch. Man kann es nicht richtig beschreiben, aber für mich war er einfach nicht sehr anregend, immer noch nicht.
Beatrice und ich gingen den kleinen Flur hier unten entlang, bis wir zu den drei großen „Gemeinschaftsräumen“ kamen. Hier saßen die Freier bei einem guten Ale zusammen, beratschlagten vermutlich einige Schandtaten, begrapschten die auserkorene Dame für die Nacht und so weiter!
„Dort drüben in der Ecke!“ ich deutete in die Richtung und meine Begleiterin begann zu lächeln.
„Mr. Gillehand ist aber ein echtes Schmuckstück, findet ihr nicht, Mistress Kenway?“ erstaunt sah ich sie an.
„Ich… habe ehrlich gesagt nie so darauf geachtet.“ stotterte ich etwas verlegen. Erst jetzt besah ich mir unseren Advokaten genauer.
Ja, er hatte etwas. Ein markantes Äußeres, aber mit feinen Zügen im Gesicht. Seine langen dunklen Haare taten ihr übriges.
Die beiden Herren saßen mit drei anderen beisammen. Sie machten den Anschein, als wäre dies ein ganz üblicher Herrenabend.
Wir gingen etwas näher und ließen uns in einer dahinter liegende Nische an einem kleinen Tisch nieder. Von hier konnten wir einen Blick auf die Männer haben, während wir sogar ihre Gespräche mitverfolgen konnten!
An Haythams Bewegungen konnte ich sehen, er war nicht mehr ganz nüchtern, aber immer noch diszipliniert. So wie in unserer Hochzeitsnacht… mir kamen die Bilder in den Kopf…
„Es ist schön, euch so lächeln zu sehen.“ hörte ich Beatrice leise neben mir. „Das heißt, euer Gatte ist ein guter Mensch!“ in dieser Stimme lag plötzlich eine gewisse Sehnsucht, ebenfalls nicht mehr alleine sein zu wollen.
„Ihr seid nicht liiert nehme ich an, oder? Verzeiht wenn ich euch zu nahe trete damit.“ entschuldigte ich mich auch gleich noch.
„Nein, ich war verheiratet. Aber mein Mann verstarb kurz nach unserer Hochzeit und ließ mich mit einem Haufen Schulden alleine…“ irgendwie kam mir diese Geschichte bekannt vor, es war die, die ich am Anfang allen aufgetischt hatte.
„Das tut mir leid zu hören, Beatrice!“ dabei drückte ich ihre Hand.
„Aber ich hatte Freunde im Orden, die mir helfend zur Seite standen. Trotzdem hat es gedauert, bis ich wieder auf eigenen Beinen stand.“ ihr Blick wanderte in weite Fernen, also beließ ich es dabei.
Stattdessen beobachtete ich die Männer neben uns, wie sie einen Krug nach dem anderen leerten.
„Na mein Hübscher, du siehst aus, als könntest du mal einen guten Ritt vertragen. Deine Frau wird mir danken…“ hauchte eine Dirne lüstern am Ohr meines Mannes, welcher ein breites Grinsen auf dem Gesicht hatte und direkt in meine Richtung sah.
„Vielleicht brauchst auch du nur wieder einmal einen Mann, der dir zeigt, wo es lang geht.“ dieses lüsterne in seiner Stimme, ließ mich ebenso kribbelig werden. „Mein Freund hier verbringt heute seine letzte Nacht als freier Mann! Zeig ihm, was ihm entgeht, wenn er erst einmal in der Ehefalle steckt.“ Haytham sah dabei immer noch in meine Augen mit einer hochgezogenen Braue.
Die Prostituierte wandte sich jetzt an seinen Tischnachbarn und ich sah, wie sie sich verstohlen ein paar Scheine in den Ausschnitt steckte. Da war mein Mann wohl in Spendierlaune. Kurz darauf verschwand sie mit dem Herren im Schlepptau, welcher vermutlich selbst mit Viagra seine Probleme hätte… aber lassen wir das.
Was tust du hier? Diese raue Stimme war betörend!
Auf dich aufpassen! Selbst in meinem Geist hörte ich mich atemlos an!
Du wirst dich noch umschauen, mi sol! Dazu dieser Blick aus seinen dunklen Augen gepaart mit einem leichten goldenen Blitzen!
Ich freu mich schon drauf! War das jetzt eine Verabredung?
„Mistress Kenway!“ dabei stupste mich jemand an.
„Entschuldigt, aber… diese Eifersucht.“ ich war keine gute Schauspielerin musste ich mir eingestehen.
„Es sah eher aus, als würdet ihr vor Verlegenheit rot werden.“ kicherte Beatrice.
Wir bestellten noch zwei Becher Wein und beobachteten den Tisch neben uns weiter. Jetzt war es mit Heimlichkeit eh nicht mehr zu retten.
Immer wieder erschienen einige Frauen bei den Herren!
Dann endlich tauchte eine, wie sage ich es politisch korrekt?, Wuchtbrumme auf.
Alle am Tisch versammelten männliche Wesen waren von dieser Erscheinung eingenommen. Bei Haytham sah ich aber mehr den Gedanken, dass er es lieber etwas, nunja, kleiner hatte. Dabei fiel mal wieder sein Blick auf mich.
Die Dame war also Madame Fleur! Sie trug passend zum Namen ein Kleid mit eben solchem bunten Aufdruck und passenden Stickereien.
Nach ein paar ausgetauschten Freundlichkeiten und einem Kelch Wein, verschwanden sie alle mit ihr im, ich vermutete, Hinterzimmer.
Es ließ mir keine Ruhe!
Ich schnappte mir meine Begleiterin und wir schlichen hinterher.
Es ging die Treppe hinauf auf die linke Seite. Dort folgten wir einem schmalen Korridor, von welchem einige Türen abgingen, hinter denen reger „Betrieb“ herrschte. Wir sahen, wie die Gruppe am Ende im linken Zimmer verschwand.
Vermutlich war es das Büro der Madame!
Plötzlich wurde eine Tür aufgerissen, an welcher wir gerade vorbeikamen. Hinaus torkelte ein Herr, den ich sehr wohl kannte!
Thomas Hickey!
Entsetzt sah ich ihn an, umgekehrt starrte er mich mit leicht vernebelten Augen an!
„Was macht ihr hier, reicht euer Mann euch nicht mehr? Ich stelle mich gerne zur Verfügung…“ lallte er mir entgegen.
„Oh bitte… Thomas… lass die Gäste…“ die Dirne hinter ihm sah mich entgeistert an. „Wir haben Frischfleisch? Warum weiß ich nichts davon?“ maulte sie los.
„DAS ist die Hure vom Großmeister…“ bevor er noch mehr sagen konnte, hatte er meine flache Hand auf der Wange.
„Ein Wort noch und ich vergesse mich, Thomas!“ stieß ich hinter zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Ohhhh, wie immer… hochnäsig bis zum letzten, Weib! Vielleicht sollte ich Haytham mitteilen, dass ihr hier nach mehr Spaß im Bett sucht!“ lachte er jetzt laut und griff unter mein Kinn.
„Sagt ihm, was ich hier mache. Er ist gerade mit der Madame dort hinten verschwunden. Vielleicht wollt ihr ihm Gesellschaft leisten?“ ich zog ihn jetzt einfach hinter mir her, er war so perplex, dass er fahrig reagierte.
„Nein… ich… bin doch… gar nicht hier…“ also hatte er mal wieder Lügen aufgetischt für meinen Mann?
„Ihr werdet euch noch umsehen, Thomas. Meine Rache wird über euch kommen, aber nicht ICH selber werde es sein!“ diesen Worten ließ ich ein leichtes goldenes Leuchten meiner Augen folgen!
„Charles hatte immer Recht! Ihr seid verhext!“ fluchte er laut. Dann fiel sein Blick auf meine Begleitung. „Und ihr? Vögelt ihr auch mit dem Teufel persönlich?“ diese Worte kamen mit einem lauten Rülpser aus seinem Mund. Bei dem Gestank wären sogar die Fliegen von der Wand gefallen!
„Oh, ihr seid der berüchtigte Hickey?“ Beatrice spielte mit, was mich ehrlich überraschte. „Master Kenway kann sich ja glücklich schätzen, dass IHR an seiner Seite seid. Er wird sicherlich erfreut sein, euch hier zu sehen, nachdem man euch ja nun lange genug gesucht hat!“ die letzten Worte spie diese Frau ihm entgegen!
Bevor wir reagieren konnten, türmte dieser kleine Feigling!
„Ist er wirklich so feige, dass er seinem Großmeister nicht in die Augen sehen kann? Ich dachte immer, dass sei nur so daher geredet.“ flüsterte Beatrice jetzt leise, als wir näher an das besagte Zimmer kamen.
Jetzt hätte ich zumindest noch ein Ass im Ärmel, sollte mir Hickey noch einmal blöd kommen. Ich könnte ihn locker verpfeifen, dass er sich hier in Philadelphia rumtrieb, obwohl er angegeben hatte, er sei in New York.
Aus dem Inneren vernahmen wir die Stimme von Madame Fleur.
„Wer glaubt ihr seid ihr, hier herein zu marschieren und meine Mädchen zu befragen? Ich habe strikte Richtlinien und wünsche, dass man sie befolgt.“
Das Gespräch kam langsam in Gang und als dann die Fragerunde bezüglich dieser Königstreuen kam, herrschte für einen kurzen Moment Stille!
„Auch für mich wird es schwierig mich über Wasser zu halten! Die Mädchen werden von diesen Soldaten regelrecht überrannt, die immer darauf pochen, umsonst vögeln zu dürfen, weil sie uns ja beschützen würden! Natürlich suche ich mir dann entsprechende Einnahmequellen um das kompensieren zu können! Ich kann auch nicht von der Hand in den Mund leben und Aufpasser für die Mädchen sind teuer.“ sie seufzte laut. „In den letzten Monaten sind viele von ihnen plötzlich verschwunden, kurz darauf sehe ich sie tot in einem Hinterhof liegen. Ihnen werden die größten Versprechen gemacht und dann… zack… Kehle aufgeschnitten! Und wofür? Für eine Nummer umsonst!“ Madame wurde laut, sehr laut und haute vermutlich auf den Tisch, im wahrsten Sinne des Wortes!
„Madame Fleur, wir wollen diese Zustände ebenso ändern. Deswegen sind wir hier. Aber wir brauchen vorab Informationen um die Hintermänner zu finden. Immer wieder fiel euer Name…“ Rory schlug einen leisen freundschaftlichen Ton an.
„Wir brauchen persönlichen Schutz, Schätzchen!“ damit hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen.
„Dafür können wir sorgen, wenn wir umgekehrt auf eure Loyalität unserer Sache gegenüber zählen können.“ das war Haytham der sprach.
„Bekomme ich Sicherheiten?“ Profi war die Dame, keine Frage.
„Selbstverständlich!“ kam es wie aus einem Mund von Rory und Haytham.
Hier in der Stadt gäbe es einen General der britischen Armee, der ein Auge auf das Geschehen hatte. Ihn selber würde sie aber nicht kennen, sondern nur seine Frau, welche sich immer mal wieder sporadisch mit ihr in Verbindung setzen würde.
„Im Grunde ist sie eine eiskalte Person, aber sie hat Einblick in die Interna der Armee! Ihr Name ist Amber Hutchinson! Wenn ich recht informiert bin, dann ist sie die Witwe eines hochverschuldeten Farmers aus Virginia!“ bevor sie noch mehr sagen konnte, fiel ihr Haytham ins Wort.
„Der verstorbene Gatte hieß nicht zufällig Donovan?“ stöhnte mein Mann. In diesem Moment ging mir ein Licht auf. Ich hatte damals aufgeschnappt, dass Mrs. Donovan im Begriff war, wieder zu heiraten, ein hochrangiges Mitglied der britischen Armee.
„Doch, genauso hieß er. Kanntet ihr ihn? Wenn er euch noch etwas schuldet, dann kann…“ sie sprach nicht weiter.
„Sagt mir nur, wo ich diese Frau finde. Ich werde alles weitere selber klären können.“ ich sah meinen Mann vor mir, wie er sich über das Gesicht strich. Sein Akku war von 100 auf Null und der Alkohol tat den Rest.
Sie hatte sich mit ihrem Gatten etwas abseits der Innenstadt niedergelassen.
„Hier ist die Adresse.“ hörte ich die Madame noch sagen, als auch schon die Tür geöffnet wurde.
Meine Begleiterin und ich huschten schnell in eine Nische und warteten, bis die Männer an uns vorbei waren!
Du kannst dich nicht vor mir verstecken! Das wollte ich ja auch nicht, oder doch?
Als sie alle unten waren, gingen auch wir los.
„Kennt ihr diese Frau etwa? Die Witwe meine ich.“ also erzählte ich Beatrice von dieser Frau und dem Abend, als sie ihren Mann ermordet hat. Beim Büro angekommen, endete ich mit den Worten „Und ich bin froh gewesen, dieses Weib nicht mehr sehen zu müssen.“
Mrs. DonBonne verabschiedete sich jetzt auch für dich Nacht.
„Es war ein doch noch guter Abend, wir haben einige neue Erkenntnisse gewonnen. Ich wünsche eine geruhsame Nacht, Mistress Kenway!“ grinste sie breit, bevor sie den Verschlag schloss und sich nach Hause bringen ließ.
Ich hingegen ging ins Haus und hinauf in unser Zimmer. Dort erwartete mich mein Mann bereits.
„Das hat ja eine Ewigkeit gedauert! Habt ihr euch verlaufen, oder muss ich noch etwas wissen?“ er malte sich anscheinend einige schmutzige Dinge aus, welche ich mit meiner Begleiterin getan haben könnte.
„Nein, ich war anständig und werde jetzt zu Bett gehen.“ sprach ich leise, während ich die Schnüre meines Kleides lockerte.
„Warst du nicht, mi sol. Ich habe die Bilder in deinem Kopf gesehen!“ Haytham stand hinter mir, langsam zogen seine Finger den Stoff der Röcke höher, bis er meine bloße Haut fühlen konnte. Ich sah im Spiegel, wie er sich gleichzeitig sein Hemd auszog, mehr hatte er nicht mehr an!
„Ich kann diesen Gedanken nicht ertragen, dass dich andere Frauen so lüstern ansehen und sich ausmalen, wie es mit dir im Bett ist!“ jetzt war es raus!
„Sie sind eifersüchtig, weil sie nicht das bekommen, was DU hast!“ mit diesen harschen Worten drehte er mich zu sich um und schob mich auf die Kommode. „Ich kann nur mit dir all dies erleben und ausleben. Nur wir beide haben dieselben Gedanken, ohne etwas erklären zu müssen!“ langsam entblätterte mich mein Mann, unendlich langsam. Während dessen strichen seine Fingerspitzen immer wieder über meinen Hals, meine Brüste… Es verging schier eine Ewigkeit, ehe ich von all dem Stoff befreit war.
Haytham zeigte mir, dass er seine Lust bis jetzt zurück gehalten hatte und das in einer Geschwindigkeit, die mir hätte bewusst sein sollen. Umgekehrt konnte ich mich ihm dabei völlig hingeben, weil es diese angestauten Gefühle über den ganzen Tag waren.
Gepaart mit Tyr und Thyra war es natürlich um einiges härter, weil wir diesem alten Drang nachgaben, aber es war befreiend und ich wusste wieder, dass mein Mann nur mich begehrte.
Trotzdem würde ich immer wieder eifersüchtig werden… An jeder Ecke konnte so eine „Melody“ lauern…
„Oh bitte… nicht dieses Frauenzimmer. Ich hasse diese trällernde Stimme und sie… dieses Parfum ist grauenhaft…“ bei diesen Worten fuhren seine Finger erneut über meinen Körper und hinterließen eine dicke wohlige Gänsehaut. Seine Lippen folgten dem gleichen Weg und mir wurde klar gemacht, dass kein Parfum der Welt MEINES ersetzen konnte.
Mit einem lauten Aufstöhnen und einer Götterpreisung kam ich erneut in dieser Nacht, was Haytham ein zufriedenes Lächeln bescherte.
„Du gehörst mir.“ hauchte er kurz darauf an meinem Ohr, als ich auf seinem Schoß saß und er sich langsam in mir bewegte.
Florence war mehr als schlecht gelaunt am nächsten Morgen.
„Mag nicht…“ maulte sie beim Frühstück und warf ihren Löffeln mit dem Porridge über den Tisch.
„Florence! Benimmt sich so eine junge Dame!“ ihr Vater sah sie tadelnd an! Bei diesen Worten kräuselten sich ihre Lippen und sie begann zu weinen. „Es gibt nicht immer nur das, was du gerne isst. Benimm dich!“ mahnte sie Haytham erneut.
Sophia hatte den Löffel wieder herübergereicht, welchen unsere Tochter jetzt widerwillig in die Schüssel tunkte.
Bei jedem Bissen rollte sie theatralisch mit den Augen.
„Herr Gott, sie hat zu viel von dir!“ bei diesen Worten musste ich lachen, weil … ja, ich sah es ja selber!
„Aber sie vergöttert dich, mi amor.“ flüsterte ich leise, weil ich wusste, dass Haytham dieser Gedanke im Grunde immer wieder friedlich stimmte. Und genauso war es auch.
Er verbrachte eine Weile nach dem Frühstück mit seiner Tochter, zeigte ihr den Garten hinter dem Haus und versuchte sie weiter an ihren Adlerblick zu gewöhnen. Noch hatte sie damit ihre Probleme. Oft hörte ich Florence sagen, dass ihr der Kopf dann wehtun würde. Auch etwas das wir noch im Auge behalten sollten.
Wir ließen eine Nachricht an Mrs. Donovan, nein Mrs. Hutchinson, schicken, in welcher wir unseren Besuch ankündigten. Im Grunde konnten wir fürs erste vorgeben sie einfach wiedersehen zu wollen. Seit dem Verkauf hätte man sich ja nicht mehr gesehen und man wollte sich nach dem Wohlergehen erkundigen.
Natürlich mussten wir davon ausgehen, dass die Dame bereits ausreichend informiert worden war, dass wir entsprechende Untersuchungen vorangetrieben hatten.
Mal wieder hieß es, auf alles vorbereitet sein.
Ich zog eines der Kleider in Monturform an, damit ich die Klingen verstecken konnte und mein geheiligtes Stiefelmesser durfte im Strumpfband nicht fehlen.
Das Haus der Eheleute Hutchinson war einfach gehalten, aber gut gepflegt. Man öffnete uns und brachte uns in den Salon, wo uns die Witwe bereits erwartete.
An ihrem Blick sah ich bereits, dass sie im Bilde war, was unsere Anwesenheit in der Stadt anbelangte.
„Master Kenway, Mistress Kenway! Es freut mich, dass ihr mich besuchen kommt.“ in diesen wenigen Worten klang ein solch schwerer Zynismus mit, dass es mich schüttelte. Sie war keine gute Schauspielerin, genau wie ich. „Womit habe ich diese Ehre nur verdient?“ dabei warf sie meinem Mann einen lasziven Augenaufschlag zu.
Dieser überging diese Avancen wie immer.
„Mrs. Hutchinson, es freut mich, dass ihr euch hier so gut eingelebt habt. Dann ist Philadelphia jetzt eure neue Heimat?“ auch Haytham beherrschte dieses Spielchen.
Wir nahmen Platz und es begann dieses belanglose oberflächliche Gerede.
Vor Langeweile hielt ich mich an meiner Teetasse fest, weil ich sonst vermutlich eingeschlafen wäre.
Etwa eine Stunde später erschien Mr. Hutchinson, Offizier seiner königlichen Majestät. Makellose Uniform, auf Hochglanz polierte Stiefel und Schnallen und dazu ein breites falsches Lächeln auf dem Gesicht.
Die Begrüßung war steif und kalt, ebenso wie die Hand welche meine berührte. Mich überzog es mit einem eisigen Schauer!
„Es freut mich überaus, euch einmal persönlich kennen zu lernen. Meine Gattin hat mir schon so viel über euch berichtet. Eure Hilfe, Master Kenway, damals beim Verkauf der verschuldeten Plantage, war ein Segen für meine Frau. Männer haben nicht immer ein gutes Händchen für das geschäftliche wie es scheint.“
Entweder spielte er den Unwissenden, oder sie hatte ihn einfach dreist angelogen über die damaligen Umstände.
Mir wurde es etwas zu dumm mit diesem Geplänkel, ich wollte endlich auf den Punkt kommen, bevor ich jedoch etwas sagen konnte, preschte die Gastgeberin vor.
„Ich weiß weswegen ihr hier seid! Ihr wollt uns zum Schweigen bringen, nicht wahr?“ fauchte sie besonders in meine Richtung.
„Wenn ihr schon so fragt, ja. Im Grunde habt ihr es auf den Punkt gebracht. Aber nicht so schnell mit den jungen Pferden! Wir sollten vorab ein paar Kleinigkeiten aus der Welt schaffen!“ hörte ich die kalte drohende Stimme meines Mannes neben mir.
„Ihr wollt uns auf eure Seite bringen? Ist es das, was ihr wollt? Oh nein, ich werde meinen Eid King George gegenüber sicherlich nicht brechen! Oder an was hattet ihr gedacht?“ diese lauernden Worte des Generals waren eigenartig, weil er den Eindruck erweckte, als wüsste er nichts von seinen eigenen Taten hinsichtlich der Verleumdung des Gouverneurs zum Beispiel.
„Auf UNSERE Seite? Welche wäre das?“ wieder war es mein Gatte, welcher völlig gelassen nachhakte.
„Sagt ihr es mir!“ so langsam wurde es lächerlich.
„Bei Odin, wir gehören keiner Seite an! Hier geht es um die Verbreitung von Falschaussagen und Gerüchten, Mr. Hutchinson, welche EUER Werk sind!“ fauchte ich. Dafür erntete ich ein leises Lachen des Herren.
„Ich habe bitte WAS getan?“ sein Blick ging in Richtung seiner Frau, die plötzlich ein wenig von ihm abgerückt war. Mrs. Hutchinson sah aus, als hätte man sie ertappt. Sie war einfach keine gute Schauspielerin!
War SIE die einzige Drahtzieherin und hat einfach nur den Namen ihres Gatten für diese Zwecke missbraucht?
Langsam dämmerte es mir, sie hatte ihre Beziehungen zu Madame Fleur und deren weitere Bekanntschaften genutzt um an Informationen zu kommen. Anschließend hat sie sie mit ein paar kleinen Änderungen verbreiten lassen, von Stadtschreiern, von einigen Loyalen der Krone und so weiter. Sie hatte durch die Heirat wieder Geld und konnte sich diese Schmiergelder leisten!
„Ich fasse es nicht! Ihr steckt dahinter? Was bitte habt ihr davon, wenn ihr gute Bürger in Verruf bringt?“ aber die Antwort konnte ich mir auch selber geben.
„Was soll ich mit einem mickrigen General schon anfangen? Ich habe besseres verdient, aber es ist ein Anfang…“ mit einem Satz war sie aufgesprungen und wollte aus dem Zimmer stürmen. Mr. Hutchinson hielt sie mit eisernem Griff und Blick auf.
„Sag mir, dass du mich nicht nur geheiratet hast, um an die Informationen der Armee zu kommen!“ hinter zusammengepressten Lippen zischte er diese Frage hervor.
„Warum hätte ich mich sonst mit so einem Nichtsnutz wie dir abfinden sollen.“ dabei glitt ihr Blick in Richtung meines Mannes.
„Ihr seid erbärmlich, wisst ihr das, Mrs. Hutchinson? Ich als Frau schäme mich für euer Verhalten!“ ich schämte mich wirklich, weil solche Frauen den Männern den Glauben an die wahre Liebe einfach raubten.
Aus meinen Gedanken holten mich die Worte des Generals.
„Führt sie ab.“ sie kamen nur leise und erst jetzt sah ich, dass bereits weitere Beamte ihrer Majestät hier erschienen waren, oder sie waren schon im Haus… ich habe keine Ahnung. Kopfschüttelnd, weil mir die Worte fehlten, ließ ich mich neben Haytham nieder.
„Ich könnte so etwas nie tun, mi amor.“ flüsterte ich. „So skrupellos kann doch nur jemand sein, der nicht ganz bei Verstand ist!“
„Mistress Kenway, diese Vermutung hatte ich jetzt seit einigen Tagen bereits. Meine Frau hat sich immer merkwürdiger verhalten. Natürlich ist mir bewusst, dass sie mit anderen Männer das Bett geteilt hat um an Informationen zu kommen, oder sie hat entsprechende Beamte bestochen damit diese passende Gerüchte verbreiten!“ er ließ sich uns gegenüber auf dem anderen Sofa nieder.
„Wie werdet ihr jetzt weiter vorgehen? Wir wissen um den britischen Geheimdienst und um einige Hintermänner!“ Haytham war wieder in seine Templerart gerutscht. Seine Stimme hatte diesen abgeklärten Ton angenommen.
„Diese Gerüchte klingen langsam ab, wie ich hörte. Der Mann welcher für die Beschattung des Gouverneurs eingesetzt wurde, ist heute in den frühen Morgenstunden tot aufgefunden worden. Ich vermute, ihr seid nicht dafür verantwortlich?“ entsetzt sah ich den General an.
„Nein, er… du meine Güte.“ mir fehlten schon wieder die Worte.
„Damit weiß ich genug, Mistress Kenway! Hier und auch in den anderen Städten gibt es ein weitaus tiefer gehendes Netz an Informanten, welche auch meiner Gattin bekannt zu sein scheinen! Ich werde umgehend ein Verhör anordnen und euch postwendend informieren, falls Namen fallen sollten!“ aus betrübten Augen sah er uns abwechselnd an. Man hatte ihn betrogen und ausgenutzt. Niemand würde diese Neuigkeit einfach so wegstecken, weswegen wir uns umgehend verabschiedeten.
Wir hatten sein Versprechen, dass er uns in Kenntnis setzen würde, sollten entsprechende Neuigkeiten bekannt werden.
Auf dem Weg zum Büro sah ich, wie Haytham gedankenverloren vor sich hin starrte.
„Ist alles in Ordnung?“ hakte ich leise nach.
„Hmmm? Ja, natürlich. Ich frage mich nur, wie man auf so ein Weib hereinfallen kann? Liegt es an der nicht vorhandenen Menschenkenntnis, oder vielleicht Unerfahrenheit dieser Männer?“ Im Grunde hatte Haytham bisher, nunja, einfach Glück gehabt und war nie einer Betrügerin aufgesessen.
„Sicherlich sind das unter anderem die Gründe. Aber es gibt die Frauen die es mit… einigen körperlichen Tricks schaffen, einen Mann zu beeinflussen. Frag die Dirnen, die werden dir das sicherlich bestätigen.“ im selben Moment fiel mir auf, dass ich im Grunde die Witwe Donovan mit diesen Prostituierten gleichsetzte. Aber mal Hand aufs Herz! Sie hatte immer einen Blick für die reichen, gut situierten Männer. Nicht bei allen konnte sie landen, also musste sie an die „schwächelnden“ heran, welchen sie sich auch recht zügig entledigte, wenn ihr langweilig geworden war.
„Das klingt wie eine schwarze Witwe!“ er hatte es noch nicht ganz ausgesprochen, als er mich mit großen Augen ansah. „Sie ist so eine von der Sorte!“ dabei schüttelte sich mein Templer vor Widerwillen.
„Leider…“ flüsterte ich.
Noch am selben Abend, es muss ungefähr nach dem Abendessen gewesen sein, erhielten wir eine Nachricht von den Eheleuten McKean.
Am morgigen Tag sollte eine Verhandlung vor dem Schiedsgericht stattfinden, wo man die Beschuldigungen und Verleumdungen ad acta legen wollte. Es hätten sich aufgrund der Aussage eines Generals und eines anderen Soldaten neue Erkenntnisse aufgetan, die es galt in Augenschein zu nehmen. Von Mrs. Hutchinson lasen wir kein einziges Wort.
„Haytham, wenn sie hier in einem Gefängnis sitzt… hoffentlich…“ beim Gedanken, dass man die Frau misshandelte, kräuselten sich mir alle Nackenhaare. Auch wenn ich dieses Weib hasste, DAS hatte niemand verdient.
„Was soll ich tun? Sie da heraus holen und bei uns einquartieren?“ Bei Odin, er konnte aber auch wirklich kaltherzig sein.
„Nein, aber gibt es nicht…“ mein Mann ließ mich nicht ausreden.
„Gibt es nicht! Sie ist eine Aufwieglerin, sie hat falsche Anschuldigungen in Umlauf gebracht und wer weiß was noch alles. Sie wird vor ein Gericht gestellt und verurteilt. DAS war es!“ Haythams Wut konnte mitunter gnadenlos sein, aber das hier?
„Du verschweigst mir etwas!“ in diesem Moment kam mir ein absonderlicher Gedanke.
Vor ein paar Jahren, als sie sich mit einigen Dingen übernommen hatte, war Haytham ihr zur Hand gegangen. Ist in den Tagen, wo er dort war, etwas vorgefallen? „Sag es!“ zischte ich wütend.
Sein Blick war unergründlich auf mich gerichtet. Seine Körpersprache nicht zu deuten!
„Ich weiß nicht, was du meinst.“ damit drehte sich Haytham um und wollte schon aus dem Zimmer gehen, aber ich hielt ihn auf.
„Du weißt, ich kann auch anders…“ meine Stimme dröhnte selbst mir in den Ohren.
„Das wagst du nicht, Alex!“ fauchte er mich an.
„Wir werden ja sehen…“ meine gesamte Konzentration ging in seinen Geist! Aber ich stand im wahrsten Sinne des Wortes vor verschlossenen Türen! Ein fieses Grinsen ging über sein Gesicht!
„Vergiss nicht, wir beide haben diese entscheidende Technik gelernt.“ diesen Sarkasmus konnte er sich sparen!
„Dann sag mir, was passiert ist?“ War er mit ihr doch ins Bett gestiegen, hatte sie ihm irgendwelche Versprechen gemacht…
„Oh bitte, lass das! Nein, nichts dergleichen ist passiert!“ seufzend ließ sich Haytham jetzt in einen der Sessel sinken!
„Dann rede gefälligst mit mir!“ Meine Stimme überschlug sich bei diesen Worten, weil ich unendlich wütend, zornig und vor allem … ja ich war enttäuscht und die Angst, er könnte mich betrogen haben, nahm immer weiter zu!
Ich hörte, wie er tief ein- und ausatmete, wie als würde er eine Meditation beginnen wollen. Geduld! Ihr wisst noch? Habe ich nicht!
„Wir saßen einen Abend in ihrem Arbeitszimmer und sahen die Bücher durch! Ich wollte sicher gehen, nichts übersehen zu haben. Auch Master Donovan könnte ja unter der Hand Handel getrieben haben, auch wenn er den Anschein eines zuverlässigen Händlers machte. Irgendwann stieß ich dann auf tatsächliche Ungereimtheiten, was einige Lieferungen anging. Amber nahm mir das Geschäftsbuch aus der Hand, überflog die Seiten, riss sie heraus und warf sie ins Feuer, mit den Worten, das hätte sich ja jetzt erledigt.“ müde rieb sich Haytham übers Gesicht.
„Sie berichtete von einigen Zahlungen, die sie an ihrem Gatten vorbei an die Krone entrichtete, damit sie sich eine Art Freifahrtschein erkaufen konnte, sollte sie einmal in Bedrängnis geraten. Aber dafür musste sie die Bücher manipulieren, wenn auch nur im kleinen Rahmen. Doch Amber hatte sich immer mehr Verbündete gesucht, welche aber damals durch diesen Bankrott nichts mehr mit ihr zu tun haben wollten.“
Kurzum, Mrs. Donovan oder besser Mrs. Hutchinson musste plötzlich ihre Belange alleine klären, weswegen sie auf Haytham kam. Er war der einzige der nicht auf ihrer „Bezahlliste“ stand! Sie dachte, sie könnte sich sein Geld zunutze machen, indem sie mich beseitigte um seine Gunst zu erlangen.
Amber hatte tatsächlich einige Spione, welche dubiose Dinge über mich ans Licht gebracht hatten, angeheuert. Aber Haytham wusste es besser, weil ich eben nicht „hier“ geboren war, weder in der Zeit noch in den Kolonien!
Aber nach stundenlangen Debatten holte sie ein Schriftstück hervor, welches eindeutig aus der Zeit von Edward Senior stammte. Dort sprach man von mir und meinem Mordversuch an meinem Schwiegervater!
„Alex, ich wusste nicht, dass dir so etwas unterstellt wurde. Ich sah diese Papiere durch und sie waren von einem Orden aus Übersee. Diesen gibt es jedoch schon lange nicht mehr, aber es gibt noch ein paar gläubige Anhänger, welchen der Tod meines Vaters gerade Recht kam. JEDER bezichtigte DICH für seinen Mord.“ Sein Blick war mittlerweile verzweifelt.
Diese Frau gehörte aber keinem Orden an, keiner Bruderschaft!
„Nein, sie nicht! Aber ihr Großvater! MacAllister!“
Ich starrte meinen Mann mit großen Augen an. Ich hatte nie nach dem Mädchennamen oder der Familie von Mrs. Donovan gefragt, warum auch.
Dieser MacAllister hatte einige Tagebücher hinterlassen, nicht nur über mich waren dort Einträge, sondern auch über andere mögliche Widersacher des Ordens. Nach seinem Tod verfolgte man diese Liste und brachte einige unter die Erde oder holte sie auf die Seite der Templer.
Mich fand man nicht mehr. Aber Amber hatte herausgefunden, dass ich Frederickson hieß und hat dann eins und eins zusammengezählt. Dass sie damit aber bei meinem Mann nicht weiterkommen würde, weil er ja im Bilde war, machte sie wütend.
Gleichzeitig fühlte sie sich in die Ecke gedrängt, weil sie nun kein Druckmittel mehr hatte. Umgekehrt konnte sie jetzt aber auch meinem Mann unterstellen, dass er mit einer Namensfälscherin und Mörderin gemeinsame Sache machte.
Eines gab das andere und irgendwann stand Mrs. Donovan vor den Scherben ihrer eigenen Intrigen und ihres Lebens. Haytham hatte mit offenen Karten gespielt und meine Geschichte erzählt, nicht ganz wahrheitsgemäß versteht sich. Aber da sie nun keinen Trumpf mehr im Ärmel hatte, hisste sie die weiße Fahne und gab auf.
Leider nur bis sie diesen General kennen lernte!
Auch ihm wird sie sicherlich vorher schon einige ihrer Spione auf den Hals gehetzt haben! Mittlerweile schätzte ich die Dame so ein, dass sie ein hochgradig ungesundes Misstrauen allen Menschen gegenüber hegte.
„Das heißt aber auch, dass sie im Gefängnis vermutlich wirklich eine Sonderbehandlung genießen wird.“ meine Schlussfolgerung aus den ganzen bisher gewonnen Erkenntnissen ließ mich das annehmen.
„Genauso ist es. Mrs. Hutchinson genießt ein Privileg sondergleichen, Alex. Natürlich wird sie verurteilt, aber sie hat viel Geld investiert für ihre Freiheit.“ Großartig, dieses intrigante Flittchen kommt also davon, vermutlich sogar ohne Prozess.
„Darauf wird es hinaus laufen.“ wieder dieses tiefe Seufzen von Haytham.
„Warum hast du mir damals nicht gleich davon erzählt, dass du es so herausgefunden hast? Ich hätte dir doch diese Geschichte erzählt.“ eigentlich war ich enttäuscht, dass er mit mir nicht darüber gesprochen hatte.
„In deinem Zustand? Alex! Du hattest ganz andere Sorgen gerade.“ plötzlich stand er vor mir, zog mich an sich und sah auf mich herunter. „Außerdem habe ich es ehrlich gesagt auch einfach verdrängt, weil es im Grunde damals nicht mehr wichtig war.“
Wer hätte auch gedacht, dass man DAS nochmal ausgraben würde!
Die Generalsgattin würde aber sicherlich nicht mit diesen Fakten auftrumpfen können, weil sie zum einen verjährt waren und vor allem konnte sie nichts mehr beweisen. Die meisten Unterlagen hatte sie in ihrer Panik anscheinend verbrannt. Gut für mich, schlecht für sie.
Schon am nächsten Tag erhielten wir die Nachricht, dass das Gericht von einer Verhandlung absah. Mrs Hutchinson würde wieder auf freien Fuß gesetzt in den nächsten Tagen, mit der Auflage wieder in ihre Heimat zurück zukehren. Ein Tross aus Wachen würde das, angeblich, überwachen.
„Sie hat, laut ihrer Urkunden, irische Wurzeln. Ob sie aber dort noch Verwandte hat, ist fraglich…“ grübelte Haytham vor sich hin.
„Bei Odin, dann soll sie dort verhungern!“ pöbelte ich in meiner Eifersucht, weil er schon wieder über ihr zukünftiges Leben nachdachte. Was ging ihn das an.
„Alex, du müsstest dich selber dabei sehen! Ich sorge mich um meine Mitmenschen, da könnte es auch Lion sein, oder Rory… ich würde mir auch bei ihnen solche Gedanken machen. Ich finde nichts an dieser Frau, was mich anziehen würde!“ Als ich seine Lippen auf meinen spürte und seine Arme sich mich umschlungen, war ich auf seltsame Weise beruhigt. Ich konnte mich auf sein Wort verlassen.
Also erzählte ich Haytham jetzt von diesem MacAllister, welcher mich mit in seine Machenschaften ziehen wollte.
„Du musst wirklich gedacht haben, Templer sind durch die Bank weg das reine Böse.“ kopfschüttelnd saß mein Mann neben mir.
„Aber du konntest mich ja eines besseren belehren, mi amor. Ich bin dir dafür sehr dankbar.“ ich ließ meinen Worten einen vorsichtigen Kuss auf seine Wange folgen.
Wir waren uns einig, dass wir viel mehr Menschen zeigen sollten, wie es auf der anderen Seite des Tellerrandes aussieht.
Mittlerweile waren sich auch Monsieur de la Sèrre und Monsieur Dorian ein kleines Stück entgegengekommen. Ein Bote hatte vor ein paar Wochen einen Brief von Dorian überbracht. Damit waren wir auf einem guten Weg, wie ich fand.
Wir statteten dem Gouverneur noch einmal einen Besuch an diesem Tag ab, um uns zu erkundigen, ob wirklich langsam Ruhe einkehrte.
Auch die Eheleute McKean waren entsetzt, als sie hörten dass dieser Spitzel ermordet worden war.
„Anscheinend wird kurzer Prozess mit den Leuten gemacht, die ihre Aufgabe nicht korrekt erledigen. In meinen Augen ist das aber doch etwas zu hart, findet ihr nicht auch?“ fragte der Gouverneur stirnrunzelnd nach.
„Das ist es in der Tat. Aber wir wissen nicht, wer noch alles dahinter steckt. Vermutlich wollte man jetzt noch auf Nummer sicher gehen, damit wirklich nichts mehr nach Außen getragen wird.“ Haytham hatte sich diesbezüglich auch schon Gedanken gemacht.
„Werdet ihr noch weitere Nachforschungen anstellen, Master Kenway?“ McKean hoffte auf unsere weitere Unterstützung wie es aussah. Ich konnte ihn verstehen, er hatte einfach Angst um sein Leben.
„Das werden wir, Mr. McKean. Ich habe unser Büro hier bereits entsprechend eingewiesen. Die Madame des Bordells wird beschattet und zwar durch die Personen, die sie auch zeitgleich beschützen. So haben wir zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Ich bitte euch jedoch noch einmal ausdrücklich, achtet auf eure Worte in der Öffentlichkeit!“ mein Templer appellierte eindringlich an den gesunden Menschenverstand des Herren vor ihm.
„Glaubt mir, ich werde meine Zunge in Zukunft hüten.“ erleichtert, dass ja noch einmal alles recht glimpflich ausging, konnten wir uns nun verabschieden.
Auf dem Weg zum Büro und unserer Tochter dachte ich aber noch einmal über diese vertrackte Situation nach.
„Haytham, so langsam kommen wir an den Punkt, wo auch WIR eine Entscheidung treffen müssen. Das macht mir Angst.“ flüsterte ich, während ich aus dem Fenster sah.
„Wir könnten uns auch vorerst noch neutral verhalten. Wer Hilfe braucht, bekommt sie. Und vergiss nicht, wir sind nicht alleine, wir können auf einige Brüder und Schwestern mittlerweile zurückgreifen!“ leider kam das nicht so überzeugend über seine Lippen, wie er vermutlich wollte.
Ich seufzte tief als ich mich zu ihm umdrehte.
„Weder die Loyalisten noch die Patrioten gehen friedlich vor, wie immer glauben beide Parteien sie seien auf der richtigen Seite. Sie versuchen es mit allen Mitteln durchzusetzen. Es ist im Grunde wie zwischen den Bruderschaften und den Orden! Aber leider werde ich es nicht schaffen, auf dieser hohen politischen Ebene eine Einigung zu erreichen. Auch wenn ich es gerne hätte. Wenn ich mir überlege was aus Amerika einmal wird…“ ich schüttelte den Kopf, weil ich insgeheim oft gedacht hatte, dass es vielleicht doch besser wäre, wenn die Briten blieben. Würde ich DAS laut aussprechen könnte mir die Todesstrafe vermutlich irgendwann drohen. Dieses Risiko konnte ich schlecht eingehen. Nur meinem Mann erzählte ich von meinen Gedanken.
„King George knechtet aber seine Kolonisten, hast du das schon vergessen?“ damit hatte er ja Recht, dennoch würde die Nation ohne die Briten völlig nackt dastehen. Sie wird sich ganz alleine aufbauen müssen, das Resultat sieht man dann erst später. Im Grunde brachte es nichts, darüber zu reden. Ich konnte es nicht ändern, ich durfte es nicht!
Auch Haytham kam zu diesem Schluss.
Wir verbrachten diesen Tag mit Florence in der Stadt. Ich bemerkte oft, dass sie vor den vielen Menschen Angst bekam und sich immer wieder an Haythams Bein klammerte. Irgendwann nahm er sie auf den Arm, was unsere Tochter mit einem glücklichen Lächeln dankte.
Sie bekam heute noch ein paar neue Anziehsachen, da auch sie wieder ein Stück gewachsen war. Unseren Schuster daheim würde ich noch beauftragen, ihr ein paar gute Stiefel zu machen, weil ihre Zehen schon vorne anstießen.
Als wir in einer kleinen Wirtschaft zu Abend aßen, sah ich plötzlich aus den Augenwinkeln, wie sich Mrs. Hutchinson einen Weg zu uns bahnte. Oh bitte nicht sie noch heute!
„Wie ich sehe, genießt ihr es, mich endlich losgeworden zu sein! Was hatte ich auch von euch erwartet, Haytham? Ihr seid herzlos, wie alle sagen. Ich hoffe, eure Tochter wird nicht so wie ihr.“ flüsterte sie wütend an seiner Seite.
In meinem Mann begann es zu brodeln, seine Finger bewegten sich unaufhörlich.
„Ich warne euch, Mrs. Hutchinson! Treibt es nicht zu weit. Ihr habt schon genug Schaden angerichtet. Außerdem haltet euch von meiner Familie fern, wenn euch euer Leben lieb ist!“ sein Gesicht strafte ihn Lügen bei diesen ruhig gesprochenen Worten.
„Ich schwöre, ich werde die Machenschaften eurer ach so geheiligten Frau schon noch aufdecken! Verlasst euch drauf! Und dann sehen wir ja, wer das letzte Wort hat.“ damit drehte sie sich um und verschwand.
Ich selber starrte ihr hinterher, weil mir gerade die Worte fehlten.
Plötzlich hörte ich ein Schniefen neben mir. Sophia hatte ihren Schützling noch auf dem Schoß, aber Florence rollten die Tränen über die Wange.
„Min lille engel, was ist los?“ als sie auf meinem Schoß saß, sah sie zu ihrem Vater, dann wieder zu mir.
„Mama ist lieb, Papa … auch. Die … Frau…!“ dabei klammerte sie sich ängstlich an mich! Erschrocken sah ich zu Haytham, welcher auch nicht so recht wusste, was er sagen sollte.
„Mein Engel, diese Frau ist weg und wird uns nie wieder belästigen! Das verspreche ich dir. Komm! Möchtest du noch etwas von dem Nachtisch haben?“ flüsterte er seiner Tochter verschwörerisch zu. Nickend öffnete sie einfach den Mund.
„Hauptsache von Papa!“ lächelte ich und strich ihr über die nasse Wange.
Nach einer regnerischen anstrengenden Rückfahrt kamen wir Mitte Mai wieder daheim an. Es war Nachmittag, aber Odin sei Dank endlich einmal trocken. Mit einer mürrischen Florence ging ich hinein um sie umzuziehen, weil sie sich während der Fahrt mit Marmelade voll gekleckert hatte. Eine der Herbergsdamen hatte für sie extra ein paar Brote gestrichen, damit unsere Tochter nicht hungrig wurde.
„Mama, wo ist Mina?“ suchend sah sie sich in ihrem Zimmer um.
„Sie wird sicherlich draußen auf Mäusejagd sein, min lille engel.“ sagte ich, während ich ihr ein neues Hemdchen überzog, was nicht so leicht war. Sie war so am Herumzappeln, dass ich meine Mühe mit ihr hatte.
Wieder unten wollte Florence schon zur Tür raus, als die kleine Katze uns entgegen stiefelte.
Zwischen ihren Zähnen hielt sie eine fette Maus, welche sich noch bewegte. Meine Tochter streichelte begeistert das flauschige Tier. Dabei ließ Mina ihre Beute los, die natürlich sofort die Flucht ergriff. Ich sah dieses Nagetier nur noch in Richtung Küche verschwinden! Oh nein…
Plötzlich vernahm ich spitze Schreie neben klopfenden Geräusche. Mit einem triumphalen „Hab ich dich endlich!“ kam die Köchin in die Eingangshalle. Als sie Mina und Florence sah bekam sie große Augen. „Miss Florence, hat eure Katze dieses Vieh hierher gebracht? Ihr müsst aufpassen, dass nicht noch mehr davon hier rein kommen!“
Entsetzt sah mein kleiner Engel auf das tote Tier, dann zu ihrer Katze, die sich um die Beine von ihr schlängelte mit einem Schnurren.
„Das ist Minas Essen!“ brachte sie wütend hervor und streckte ihre kleine Hand aus.
Seufzend mit einem Blick auf mich, ich nickte der Köchin zu, gab sie der kleinen Dame das Mahl für ihr Haustier.
„Das nächste Mal bringe ich das Vieh gleich raus. Das fehlte noch, dass die Vorräte angeknabbert werden!“ damit drehte sich die Köchin wieder um und ging.
Katze und Kind verschwanden nach draußen, wo die Maus sogleich wieder in Beschlag genommen wurde von Mina.
„Schau, es ist doch gut, dass wir sogar eine Katze fürs Haus haben!“ anerkennend stand jetzt mein Mann neben mir.
„Ja, aber nicht, wenn sie lebende Mäuse herein bringt.“ grinste ich ihn an und erzählte von der Jagd in der Küche.
„Aber es ist ja nichts weiter passiert. Nicht wahr, mein Engel?“ lächelnd hockte er neben seiner Tochter, die jetzt wieder in allen ihr möglichen Sprachen erzählte.
„Ich lasse euch dann mal alleine! Ich werde jetzt Edward abholen…“ bevor ich noch etwas sagen konnte, sprang Florence auf!
„Will mitkommen, Mama!“ rief sie glücklich!
„Wie heißt das, mein Engel?“ hörte ich Haytham streng fragen.
„Ma...mö...möchte ich mitkommen.“ flüsterte sie jetzt mit gesenktem Kopf. Ich sah wieder Edward Junior vor mir, wie auch er so da stand, wenn sein Vater ihn mal wieder korrigierte.
„Alex, ich kann schon fast das Augenrollen hören!“ lachte er, nahm mich aber in den Arm.
Mein Mann hatte einiges an Post in seinem Arbeitszimmer liegen, welche er schon einmal bearbeiten wollte. Also machte ich mich alleine auf den Weg unseren Sohn zu holen.
Vor mir im Sattel saß jetzt Florence, welche vorsichtig über das schwarze Fell meines Hengstes strich. Bald dürfte sie dann auch ihr eigenes Pferd reiten, fiel mir wieder ein. Im September oder Oktober sollte Mackenzie ihr ein paar Reitstunden geben.
Als wir bei Mildred ankamen, rannten die Jungs alle nur in Hosen im Garten herum. Sie hatten von einem der Bewässerungsgräben eine kleine Abzweigung gebuddelt und hatten nun ihren Spaß mit dem Schlamm und ihren Booten, die sie dort in dem Wasser herum schippern ließen.
Edward bemerkte mich zuerst gar nicht, erst als er die Rufe seiner kleinen Schwester hörte, drehte er sich erschrocken um.
„Mama, Flo, ihr seid wieder da!“ schnell rannte er auf uns zu, aber bevor er noch meine Sachen einsauen konnte, erschien auch schon die Frauenanführerin selber.
Sie nahm mir Florence ab, sodass auch ich absteigen konnte und den Dreckspatz in die Arme nehmen konnte. Mit etwas Abstand versteht sich, aber sogar mein Sohn entschuldigte sich für seinen Aufzug.
„Schau mal, wir haben einen … Dings… Befestidings… Befestigungsgraben für die Burg gegraben!“ er war so aufgeregt, dass er begann sich zu verhaspeln.
„Das sieht ja fantastisch aus!“ lobte ich die Jungs.
„Danke, Mistress Kenway. Miss Florence, wollt ihr auch ein Boot in die Schlacht schicken?“ fragte der Älteste nach. Natürlich wollte sie das und folgte dem Jungen.
Nun gut, dann würde ich sie nachher auch noch mal neu anziehen müssen.
Ich ging unterdessen mit Mildred hinein um mich zu erkundigen, ob Edward auch artig war.
Seufzend ließ sie sich auf einem Stuhl im Wohn- und Esszimmer nieder. An ihrem etwas müden Gesicht konnte ich erahnen, dass es nicht so leicht war, alle 4 Jungs zu bändigen. Mrs. Wallace war natürlich jeden Tag mit anwesend, aber auch sie konnte nicht alle Kinder zähmen.
„Aber euer Sohn hat sich gut benommen, wirklich. Er ist ein lieber Junge. Er hat sogar beim Tischdecken geholfen, ohne dass ich etwas sagen musste. Ihr könnt euch den verwunderten Blick von Sybill gar nicht vorstellen.“ lachte sie bei dem Gedanken daran. „Dennoch war es schön, dass er hier war. Sie alle haben sich Geschichten zum Einschlafen erzählt, oder mein Mann hat den Jungs noch ein paar gruselige Dinge aus der Gegend berichtet.“ jetzt aber stockte sie und sah mich für einen Moment fragend an.
„Mistress Kenway, Edward erzählte von so vielen unglaublichen Wesen, von Göttern und von Drachen, so als wäre er direkt dabei gewesen. Diese Phantasie ist großartig! Habt ihr ihm diese Geschichten erzählt? Ich würde sie auch gerne lesen, weil ich so begeistert war beim Zuhören.“
„Es gibt darüber nichts auf Papier, Mildred, leider. Ich habe meist frei aus dem Gedächtnis etwas… erfunden. Vielleicht könnte man im Sommer für die Kinder ab und an ein kleines Campinglager errichten, wo sie sich gegenseitig am Lagerfeuer Geschichten erzählen. Ich glaube, das würde sie alle begeistern!“ So etwas wie ein „Ferienlager“, ging es mir durch den Kopf.
„Eine wunderbare Idee.“
Nachdem sie mir noch von der Schule, Edwards Fortschritten und den dann doch etwas bösen Streichen der Jungen berichtet hatte, brach ich auf. Es wurde Zeit fürs Abendessen. Ich verblieb mit ihr so, dass auch ihre Jungs gerne mal bei uns übernachten durften, wenn sie ein wenig „Ruhe“ bräuchte.
„Mistress Kenway, aber…“ ich schüttelte den Kopf.
„Nein, das ist das wenigste was ich als Wiedergutmachung tun kann.“ ich nahm sie kurzerhand in den Arm, was sie mit einem tiefen Seufzen erwiderte.
Auf dem Rückweg saß Edward vor mir und Florence vor ihm.
„Min lille skat, was habt ihr nur wieder angestellt? Ihr habt Kuhfladen vor den Türen der Bauern angezündet und ihr seid mitten in der Nacht einfach hinaus in die Kälte, nur um nach Geistern zu suchen?“ tadelnd hob ich eine Augenbraue, auch wenn er es nicht sehen konnte.
„Aber… das war doch nicht böse gemeint. Die Leute wollten dann das Feuer austreten und …“ kicherte er für einen Moment, weil er die Bilder der in diese sprichwörtliche Scheiße getretenen Leute wieder vor sich sah. Dann aber wurde ihm klar, dass auch sein Vater davon erfahren würde oder im schlimmsten Fall bereits unterrichtet worden war. „Vater wird das nicht gut finden, oder?“ flüsterte er ängstlich.
„Damit musst du rechnen. Walka scheint es aber gut gegangen zu sein, wie ich sehe.“ Die Hündin trottete neben uns her, jagte hier und da einigen Insekten hinterher.
„Mama… ich… ich glaube, sie kann mich verstehen…“ dieser Unglaube in seiner Stimme ließ mich aufhorchen.
„Wie kommst du darauf?“ hakte ich jetzt ebenfalls neugierig nach.
„Walka sitzt oft neben mir, schaut wirklich zu. Manchmal glaube ich, nickt sie, wenn ich etwas richtig mache oder sie… ich bin doof, oder? Das gibt es nicht, oder?“ ich sah zu seiner Gefährtin hinunter, welche plötzlich neben uns herlief und zu uns aufsah.
„Doch, ich glaube, das ist tatsächlich so.“ ich sah in den Augen der Hündin ein leichtes Leuchten! Sie war nicht mehr alleine und leitete zusätzlich Edwards Geschicke. Als ich ihm das erklärte, sah er entgeistert zu ihr.
„Haaaaaaah… ich hab mir das nicht eingebildet!“ rief er, aber bevor er vom Sattel hüpfen konnte, hielt ich ihn fest.
„Min lille skat, warte bis wir zuhause sind. Ich bin müde und habe Hunger!“ ich trieb Fenrir etwas an, damit es schneller ging. So hatte Walka auch noch genügend Bewegung für heute.
Beim Herrenhaus angekommen, trat ein mürrischer Ehemann auf die Veranda, kreuzte seine Arme auf dem Rücken und betrachtete seinen Sohn, wie er langsam die Stufen heraufkam.
„Edward! Hinauf auf dein Zimmer! Das Abendessen ist für dich gestrichen und Walka kommt wieder zu ihren Geschwistern!“ Ohne Begrüßung ohne alles schnappte er sich die Hündin und marschierte zum Zwinger mit ihr.
Selbst mir blieb der Mund wieder einmal offen stehen.
Edward hingegen schrie ihm hinterher, er könne ihn mal und rannte ins Haus! Oh… bitte! Florence hatte die beiden nur beobachtet, brach aber jetzt ebenfalls in Tränen aus!
Toller Einstieg hier daheim, wirklich!
Mrs. Wallace tauchte plötzlich in der Tür auf, sah mich fragend an, sagte aber nichts, als sie sah, wie Haytham mit Walka davon ging.
Sophia stand ebenfalls dort, nahm dann ihren Schützling auf den Arm und versuchte auch sie noch zu trösten.
„Sybill, ich werde jetzt hinauf gehen. Vielleicht kann ich Edward etwas beruhigen.“ sie sah mich kopfschüttelnd an, dann glitt ihr Blick Richtung der Zwinger.
„Lasst das, Mistress Kenway. Master Kenway ist in Rage, ich habe gehört, was die Jungs alles angestellt haben, von dem ich gar nichts wusste.“ Beim Hineingehen berichtete sie mir nun von den ganzen Schandtaten, Mildred hatte anscheinend auch nicht alles mitbekommen. Die jungen Herren waren also doch recht geschickt im Vertuschen!
Fast alle Jungen in unserer Siedlung hatten es sich zur Aufgabe gemacht, immer reihum irgendjemandem einen Streich zu spielen.
Dem einen wurde der Pfeifentabak gegen Gras ausgetauscht, einem anderem nähte man alle Hosenbeine zu oder aber versteckte ganze Garderoben auf dem nahe gelegenen Heuboden. Außerdem hatten sie ein kleines Fass Schwarzpulver gefunden und damit herum gespielt. Odin sei Dank hat es aber noch ein Arbeiter rechtzeitig gesehen, sonst wäre das Ding hochgegangen. Dabei hatte ich Edward ausdrücklich verboten mit den Zündhölzern zu spielen!
Die Liste wurde immer länger und ich fragte mich irgendwann, woher nahmen sie sich die Zeit? So viele Stunden konnte kein Tag haben und wir waren auch kein halbes Jahr unterwegs gewesen!
„Bedenkt, es sind sehr viele junge Burschen hier.“ sagte Sybill zögerlich, weil sie sah, dass ich damit noch nicht so umgehen konnte. Natürlich gab es auch in meiner Zeit solche „Lausebengels“, waren die auch so wie hier? Mir selber ist das als junges Mädchen nie so aufgefallen, im Gegenteil… ich hatte des öfteren mitgemacht. Bei dem Gedanken schoss mir vor Verlegenheit die Röte ins Gesicht und Mrs. Wallace grinste mich breit an. „Ich hatte auch nichts anderes erwartet.“ sie konnte sich das Lachen kaum verkneifen!
Uns beiden verging es aber, als Haytham durch die Tür trat.
„Alex, wir müssen reden!“ donnerte er mir entgegen, gleichzeitig schritt er zügig in sein Arbeitszimmer. Sybill tätschelte meinen Arm und lächelte mir aufmunternd zu.
Warum hatte ich jetzt bitte ein schlechtes Gewissen und eine gewisse Angst in mir? ICH habe doch diesen Unfug nicht angestellt! Verdammte Axt nochmal!
Ich war noch nicht ganz im Raum, da hörte ich nur ein lautes „Mach die Tür zu!“. Danach setzte ich mich auf einen der Sessel und wartete, während mein Mann, wie gewohnt wenn er nachdachte oder wütend war, mit verschränkten Armen auf dem Rücken umher lief.
„WAS ist in dieses Kind gefahren? Weißt du was er alles angestellt hat, als wir nicht da waren? DAS geht einfach zu weit! Wenn er so weitermacht schicke ich ihn nach Europa auf eine Militärschule oder Internat!“ seine Stimme wurde immer lauter und wütender.
„Das wagst du nicht, Haytham!“ erwiderte ich ebenso zornig. Nein, dann würde ich mit meinem Sohn dorthin gehen und würde auch gleich Florence mitnehmen!
„Doch, ich kann und ich werde es tun, wenn das so weiter geht.“ jetzt stand er vor mir, sah mich wutentbrannt an.
Langsam erhob ich mich!
„Es sind einfach Jungs, die sich noch ausprobieren, die erforschen, die einfach noch lernen müssen. Dazu gehören auch solche Streiche! Dabei erfahren sie die Konsequenzen was passiert wenn sie etwas anzünden oder ähnliches…“ bevor ich aber noch ausholen konnte, fuhr er mir schon fast brüllend über den Mund.
„Es war so klar, dass du versuchst Edward in Schutz zu nehmen! Ihn verteidigst bis aufs Blut! Aber das wird ihn in seinem späteren Leben nicht weiterbringen, Alex. Er braucht eine strengere Hand als meine, wie es scheint. Und du hör auf ihn in Watte zu packen!“ Millimeter trennten uns nur voneinander, sein aufgebrachter Herzschlag war über diese Distanz deutlich zu spüren.
„Ich bin seine Mutter, vergiss das nicht! Auch ich habe ein Mitspracherecht in seiner Erziehung! Du wirst ihn nicht wegschicken, nur weil sein Verhalten dir lästig wird!“ zischte ich Haytham entgegen. „Wage es und ich bin auch weg!“ seine Augen weiteten sich bei meinen letzten Worten.
„Du hebst ihn auf eine höhere Stufe als mich, deinen Ehemann?“ in diesem Moment wurde mir erst richtig bewusst, dass Haytham noch lange nicht meine Ansichten des 21. Jahrhundert zu 100 Prozent verstand, geschweige denn umsetzen konnte. Er lebte in diesem von Männern bestimmten Jahrhundert, wo ich als Ehefrau kein Recht hatte, ihm zu widersprechen!
Plötzlich stiegen mir die Tränen in die Augen, weil mir genau das klar wurde. Ich hatte es mir nie wirklich vorstellen können, dass dieser Mann irgendwann einmal doch in diese typische Vater- und Ehemannrolle fallen könnte. Ich hatte mir also vieles einfach nur schön geredet? War ich so verblendet?
Ich ließ mich wieder auf den Sessel nieder und starrte auf meine Hände in meinem Schoß! Ich suchte nach passenden Worten.
„Ja, das tue ich dann wohl in deinen Augen.“ flüsterte ich leise, bemüht meine Wut und die Tränen zu unterdrücken.
„Dann solltest du schon einmal darüber nachdenken, wohin du mit Edward gehen willst.“ diese Worte waren so kalt, dass es mich schüttelte. Ich würde sicherlich nicht mit unserem Sohn alleine gehen, Florence würde mich begleiten!
„Nein, das wird sie nicht!“ seine Hand griff mein Kinn und drückte zu. Aus Angst ließ ich meinen Blick über ihn wandern, suchte nach Anzeichen für Hrymr oder Tyr… da war nichts. Es war tatsächlich die echte Wut über die Taten seines Sohnes!
In mir stieg jetzt reale Angst empor, weil ich zum ersten Mal erfuhr, was es hieß, wenn der Ehemann einen fallen ließ!
Im selben Moment fiel mir aber auch ein, dass ich recht unabhängig war. Die Jackdaw war mein, die Geschäfte liefen, neben denen von Faith, auf meinen Namen!
„Ich weiß mich schon durchzubeißen, es wäre nicht das erste Mal, Haytham!“ maulte ich mit Schmerzen in meinem Kiefer.
„Du wirst hier in dieser Zeit alleine nicht so einfach überleben, glaub mir. Ich kann auch anders. Unterschätze nicht meinen Einfluss…“ jetzt reichte es mir.
„Weißt du was? Wir sollten vielleicht einmal ein wenig Abstand voneinander haben. Ich werde packen und die Jackdaw beladen. Ich werde …“ verdammt, ich hatte noch nicht zu Ende gedacht, WOHIN ich sollte. Zu Faith wäre Quatsch, dorthin würde er zu schnell nachkommen können. Denk nach… wohin… denk nach… „Ich reise nach London und werde bei den Bradshaws für eine Weile bleiben mit den Kindern!“
Gerade als ich mich umdrehen und den Raum verlassen wollte, griff seine Hand nach meinem Oberarm.
„Nichts wirst du tun und wenn ich dich einschließen muss…“ sprachlos stand ich vor ihm und sah in seine grauen wütenden Augen.
„Gut, versuch es doch!“ provozierte ich ihn aus welchem Grund auch immer. Verdammt, was war denn auf einmal mit uns los? War es wirklich dieses ganze unausgesprochene, für selbstverständlich erachtete gegenseitige Verständnis?
Plötzlich ließ er von mir ab. Sein Blick blieb aber eisig auf mich gerichtet.
„Haben wir uns vielleicht doch die ganze Zeit nur etwas vorgemacht, dass unsere Beziehung und Ehe so einfach funktioniert?“ in seiner Stimme schwang ein seltsamer Ton mit, so als würde ihm erst jetzt bewusst, dass ich nicht hierher gehörte.
Jetzt bekam ich Panik, weil … weil ich diese Ehe nicht aufs Spiel setzen wollte. Ich liebte diesen Mann, ich wusste, dass er schwierig sein kann…
Beide standen wir uns jetzt mit einigem Abstand gegenüber und musterten einander.
„Du kennst mein Leben, Haytham. Ich musste auf eigenen Beinen stehen, weswegen ich über Erziehung auch anders als du denke.“ Warum ich den nächsten Satz sagte, weiß ich nicht, aber ich hoffte auf eine unerklärliche Art, er würde Haytham zur Vernunft bringen. „Ich habe schon einmal einen Sohn alleine gelassen, ich werde es nicht noch einmal zulassen. Schon gar nicht mit seinen gerade mal 5 Jahren.“ Im Grunde flüsterte ich das Ganze, weil ich Angst hatte, wieder weinen zu müssen.
„Ich ließ meinen Sohn ganz im Stich…“ mit einem Male sah ich diese übermächtige Trauer in seinen Augen. Sein ganzer Körper schien in sich zusammen zufallen.
Langsam schritt ich auf meinen Mann zu.
„Das hast du nicht, du hattest keine Zeit und Gelegenheit bekommen, für ihn da zu sein.“ mir kamen die Worte fast tonlos über die Lippen, weil mir auch noch der Satz auf der Zunge lag, dass er ja bald einiges nachholen könnte. Aber das würde sich wie ein Vorwurf anhören.
Dann lagen plötzlich seine Arme um mich, Haytham klammerte sich an mich. So ähnlich war es, als er vor unserem Bett auf die Knie ging, als Edward gerade geboren war.
„Ich will doch nur, dass er ein guter Mensch wird. Aber wie soll ich das schaffen?“ diese Worte klangen nicht flehend oder verzweifelt, sie waren einfach eine Frage nach dem WIE!
„Darauf habe ich auch keine Antwort, Haytham. Du hast Edward vorhin klar gemacht, was passiert, wenn er wieder etwas anstellt. Dadurch wird er lernen, aber das geht nicht von einem auf den anderen Tag. Es werden noch viele Streiche und Verfehlungen von ihm kommen, glaub mir. Ihn aber von uns zu trennen, dass würde nicht nur ihm wehtun.“ flüsterte ich leise in seine Haare, als er seinen Kopf an meine Schulter lehnte.
Geduld!, ging es mir durch den Kopf.
„Verdammt, Alex. Ich fühle mich völlig… nicht überfordert, aber… ein wenig hilflos…“ im Raum tauchte ein leichter Nebel auf, aus ihm trat Edward Senior.
„Haytham!“ mein Pirat legte eine Hand auf die Schulter seines Sohnes. „Glaubst du, ich habe alles richtig gemacht? Du hattest nur nicht die Möglichkeiten, so viel… Unsinn anzustellen wie mein Enkel jetzt, aber hättest du es genauso getan… auch ich hätte dich entsprechend gestraft. Aber niemals hätte ich dich weggeschickt.“ die letzten Worte waren kaum hörbar. „Euer Sohn ist mir, leider, doch sehr ähnlich und wird euch sicherlich in Zukunft noch mehr Ungemach bereiten. Das ist aber doch normal! Alex, aber bitte lass in solchen Momenten DEINE Lehren aus dem 21. Jahrhundert außen vor! Sie sind nicht der heutige Maßstab, wir müssen an die Sicherheit denken, welche hier ganz anders einzuordnen ist als in deiner Zeit.“ seine blauen Augen ruhten jetzt auf mir.
„Ja, ich weiß. Wir haben es leichter, als ihr hier. Das habe ich schon verstanden, ich bin ja nicht blöd…“ maulte ich drauflos, weil mal wieder jeder davon ausging, ich … Bei Odin, ich ging wirklich etwas zu leichtsinnig mit den Gepflogenheiten hier um!
„Siehst du, DAS meine ich damit!“ grinsend sah er wieder zu seinem Sohn. „Aber schick Edward nicht weg, er liebt dich und braucht euch beide gleichermaßen um ein guter Mensch zu werden. Außerdem, was würde Florence ohne ihren großen Bruder machen. Er muss sie beschützen.“ dieser Satz kam mit einem leichten ironischen Unterton aus Edward Seniors Mund.
Jetzt erschien ein Lächeln auf Haythams Gesicht.
„Du hast Recht, dieser kleine Lausebengel braucht unsere Erziehung. Aber es wäre ab und an ganz hilfreich, wenn du MIR zur Seite stehen könntest, Vater. Weil… ich … ich hatte nicht diese…“
„Ich weiß, Haytham.“ Beiden ging der Gedanke im Kopf herum, dass Haytham einfach alleine war, er hatte niemanden der ihn auch noch zu irgendwelchem Dummfug hätte anstiften können.
Ich stand neben den beiden Kenways und sah von einem zum anderen.
„DU bist für Florence verantwortlich, hast du mich verstanden?“ grinste mein Pirat mich an.
„Aha, ich darf wieder die Frauenarbeit übernehmen…“ im selben Moment biss ich mir auf die Zunge…
„Nein… du hast bewiesen, dass du auch ganz anders kannst. Aber mein Enkel braucht seinen Vater als Orientierung! Die Zeiten hier sind andere Alex!“ lächelte Edward, während er meine Wange tätschelte.
Damit war das jetzt geklärt, hoffte ich.
Edward Senior verabschiedete sich mit den Worten, dass unsere Kinder ihren Weg meistern werden. Wir würden ihnen schon die richtige Erziehung geben.
Als wir alleine im Arbeitszimmer standen, sah mich Haytham fragend an.
„Ich wäre nie auf solche… Ideen wie unser Sohn gekommen. Vater hat Recht, genau wie du auch. Niemand konnte mich anstiften, Jenny war mit sich beschäftigt…“ in meinen Augen brannten Tränen, weil ich immer noch diese Zeit vor Augen hatte, wo er völlig einsam war. So etwas tat mir einfach in der Seele weh.
„Mi amor, du oder besser WIR können es doch jetzt anders machen. Unser Sohn ist ein kleiner aufsässiger Mensch, der noch in seine Schranken gewiesen werden muss. Auch Florence wird nicht immer einfach zu handeln sein.“
Jetzt sah mich Haytham mit großen Augen an.
„Meine Tochter wird… Nein…“ ich unterbrach ihn in diesem Moment grinsend.
„Auch sie wird nicht immer das befolgen, was du ihr sagst! Jedes Kind sucht sich eigene Wege und lernt dadurch die eigenen Grenzen kennen!“ In diesem Moment hatte ich Yannick wieder vor Augen, wenn er mal wieder Mist in der Schule gebaut hatte, oder mit seinen Freunden irgendwelche seltsamen „Mutproben“ gemacht hatte. DAS waren Kinder, sie mussten sich erproben, sich kennenlernen, die Konsequenzen aus ihrem Handeln lernen!
Wir blieben noch für einen Moment hier umschlungen stehen, bis ich spürte, dass wir uns beide beruhigt hatten.
„Haytham, lass uns hinauf gehen zu Edward. Ich weiß, er hat dich vorhin sehr übel beschimpft, aber… sieh mich nicht so an. Das Abendessen ist nach wie vor gestrichen und Walka bleibt im Zwinger! Aber versuchen wir ihm das ganze ein wenig zu erklären, ja?“ ich strich über seine Wange, dabei erhellten sich seine grauen Augen wieder und er gab mir einen vorsichtigen Kuss.
„Ich könnte ihn auch gar nicht wegschicken. Es würde auch mein Herz brechen.“ flüsterte er.
Oben vor Edwards Zimmer stand Sybill mit einem traurigen Blick. Als sie uns sah, erhellte er sich, weil sie bemerkte, dass wir eine längst überfällige Aussprache hatten.
„Master Edward wartet sicherlich schon…“ sprach sie leise.
Im Zimmer selber saß unser Sohn auf dem Bett, vor ihm waren seine Zinnsoldaten ausgebreitet, ein paar Bücher lagen ebenfalls aufgeschlagen auf der Decke.
„Wohin schickt ihr mich.“ flüsterte er leise, sah uns aber nicht an.
„Nirgendwohin, mein Sohn. Komm her.“ Haytham hatte sich auf die Bettkante gesetzt und zog Edward auf seinen Schoß. „Was du gemacht hast, war nicht richtig und du hast anderen Menschen wehgetan und sie geärgert. Das ist falsch und gehört sich nicht. Jedes mal, wenn du in Zukunft wieder solche Ideen hast, wirst du bestraft. Aber ich werde dich nicht wegschicken. Darüber sind deine Mutter und ich uns einig. Deine Freunde sind hier, dein Zuhause ist hier.“ plötzlich versagte die Stimme meines Mannes als er sein Gesicht in die wuscheligen Haare von Edward vergrub.
„Ich hab dich lieb, Vater.“ die kleinen Arme umschlangen Haythams Hals als wäre es die letzte Rettung.
Für einen Moment stand ich heulend daneben, weil es einfach ein wunderschöner Anblick war. Neben mir tauchte Mrs. Wallace auf, nahm meinen Arm und drückte ihn. In ihren Augen sah ich, dass sie nichts anderes erwartet hatte.
Wir gehörten alle in welcher Form auch immer zusammen!
An diesem Abend war an Schlaf kaum zu denken, weil beide Kinder irgendwie unruhig waren. Also veranstalteten wir ein Familienkuscheln in unserem Schlafzimmer.
Edward erzählte von seinen Abenteuern, während Florence ihm wie gebannt zuhörte.
„Und dann haben wir mit einem spitzen Holzstock Fische versucht zu fangen, aber nur Nathaniel und ich konnten das!“ diese Beute hatten sie dann mit den staunenden Mädchen geteilt, nachdem jemand einen Feuerstein und Zunder besorgt hatte.
Dieser Abend verging einmal mit Geschichten meines Sohnes, welche mit so viel Phantasie erzählte wurden, dass man wirklich meinen könnte, man wäre dabei gewesen!
Aber irgendwann waren beide dann übermüdet eingeschlafen. Florence hing halb auf Haytham, während Edward auf meinen Oberschenkeln eingeschlafen war.
„So kann ich mich nicht bewegen…“ ich versuchte flüsternd mein Kichern zu unterdrücken. Nicht so leicht!
„Also ich kann mich nicht beklagen.“ hörte ich meinen Mann gähnend sagen, während er sich ausgiebig streckte. Fehlte eigentlich nur die herausgestreckte Zunge.
Ich wurde von einem leisen Gemurmel geweckt.
Als ich mich umsah, saßen Florence und Edward am Fußende und spielten mit ihren Kuscheltieren.
„Guten Morgen ihr beiden!“ flüsterte ich, weil ich… vergesst es! Haytham war bereits wach!
Es dauerte auch nicht lange, bis die Kindermädchen an die Tür klopften.
„Master Edward, kommt. Ihr müsst euch für die Andacht fertig machen.“ sprach Sybill tadelnd, während Sophia eine gähnende Florence in ihre Obhut nahm.
Oh nein, es war schon wieder soweit? Entschuldigt, ich bin ungerecht.
„Leider haben wir gerade keine Zeit für …“ seine Lippen überzogen kurzerhand meine Brüste mit Küssen, so das ich wusste, dass wir dies später nachholen würden.
Auf dem Heimweg von der Andacht, bei welcher Mr. Hathaway mahnende Worte an die jungen Herren der Gemeinde gerichtet hatte, erzählte uns Sybill noch von einigen anderen erfreulicheren Dingen während unserer Abwesenheit.
Es gab Nachwuchs bei einem Pächter-Ehepaar, außerdem hatte es einen Büchsenmacher hierher verschlagen. Er kam aus dem Norden, woher wusste Sybill leider nicht. Aber er hatte viel Erfahrung bei der Pelztierjagd, beschäftigte sich demnach mit Scharfschützen-Gewehren. Das würde uns mal wieder zu Gute kommen.
Die nächsten Tage zerrten an meinen und Haythams Nerven! Edward fragte im Minutentakt, wann Walka wieder ins Haus dürfte.
„Wenn du noch einmal fragst, hänge ich noch einen Tag daran.“ kam es irgendwann ungehalten von meinem Mann.
„Das…“ bei dem Blick seines Vaters verstummte er augenblicklich und verkrümelte sich nach draußen. Im Grunde wussten wir, dass er beim Zwinger bei seiner Walka war.
Dann stand der 3. Geburtstag von Florence an. Wieder einmal überkam mich eine gewisse Wehmut, wenn ich an ihre Geburt dachte.
Der 4. Juli… sie würde tatsächlich mit der Unabhängigkeitserklärung ihren Ehrentag feiern dürfen. Gedankenverloren sah ich dabei auf meine Tochter, welche im Garten in ihrem Beet mit Sophia und einer Magd werkelte.
„Die Unabhängigkeitserklärung?“ hörte ich plötzlich Haytham hinter mir und drehte mich erschrocken herum.
„Kannst du das offen Buch nicht einfach auch mal übersehen, mi amor?“ grinste ich ihn breit an.
„Nein, es ist einfach zu spannend!“ dieses spitzbübische Grinsen war hinreißend. „Und jetzt sag mir, was es damit auf sich hat.“
Nun gut, ich erklärte es ihm, genau wie ich auch gleichzeitig betonte, dass wir noch einen winzigen Einfluss haben werden bezüglich Lee und Washington. Alles andere werden wir, ich selber auch!, in den nächsten Jahren dann ausarbeiten müssen.
Vorhersagen, was ich noch tun konnte, stand nicht in meiner Macht.
„Aber im Grunde ist das ein großartiger Erfolg oder nicht? King George kann ja nicht ewig so mit uns herum springen!“ Haytham sah sich natürlich als der Kolonist, welcher von seinem König mit Steuern bombardiert wurde. Verständlich, auch ich musste damit erst einmal leben.
Leider konnte ich nicht alle unterzeichnenden Herren aufzählen, weil mir da ein wenig das geschichtliche Wissen fehlte. Aber die wichtigsten wie Washington, Franklin, Amherst, Jefferson, Hamilton oder auch Adams waren einfach die bekanntesten Persönlichkeiten!
„Du wirst auch bei der Unterzeichnung dabei sein, Haytham. Auch wenn deine Unterschrift nicht auf dem Papier ist. Aber du wirst Zeuge sein.“ flüsterte ich, weil ich das noch aus, wenn auch etwas versteckten, Dokumenten wusste.
Bei diesen Worten begannen seine Augen zu leuchten.
„Wirklich? Ich… das ist eine große Ehre, nehme ich an?“ damit traf er den Nagel auf den Kopf, wenn auch das Ganze erst ab da wirklich in Fahrt kam. „Aber wer wird dann das Oberhaupt dieser Nation?“
Für einen kleinen Moment starrte ich ihn entsetzt an. Sollte ich ihm sagen, dass George Washington der erste gewählte Präsident der Vereinigten Staaten werden sollte? Wirklich gut zusprechen war er nicht auf den Mann. Auch wenn er ihn schon mal lobend erwähnte.
„In ein paar Jahren werde ich dir das erst sagen, Haytham.“ wir waren an einem Punkt, an welchem ich wirklich nicht so vorgreifen durfte. Connor musste noch mit Washington seinen eigenen Konflikt austragen. Vorher sollte ich mich bedeckt halten!
„Ich vermute, jeder spekuliert auf irgend jemanden. Charles wird es sicherlich nicht werden, aber ich hoffe, dass wir seine Position in der Armee noch weiter ausbauen können…“ das hörte ich von Haytham, während ich versuchte mich nicht zu verplappern. „Jesus, du siehst aus, als müsstest du mir einen Mord gestehen!“ in Haythams Augen sah ich diese Skepsis.
„Nein, keine Sorge…“ flüsterte ich. Aber im Grunde hatte er mal wieder den Nagel auf den Kopf getroffen.
Die Bradshaws waren neben dem Duke und einigen Nachbarn ebenfalls an diesem Ehrentag mit anwesend. Man hatte noch ein paar kleinere Geschäfte zu besprechen, weswegen es eher ein Überraschungsbesuch der beiden war.
„Miss Florence, ihr seht zum Anbeißen aus.“ kam es lachend von Loki, als er sie hochhob um sie zu umarmen. Ihr lautes Gequietsche hörte man vermutlich bis nach Kanada… das es noch nicht so gab!
Unsere Tochter hatte die volle Aufmerksamkeit an diesem Tag, von allen. Was aber Edward Junior irgendwann zu blöd wurde und er, mal wieder, mit ein paar Jungs in einer stillen Ecke verschwand.
Ohhhh nein… ich ging hinterher, weil ich das Risiko eines Streits heute aus dem Weg gehen wollte.
Aber… die jungen Herren standen hinter dem Geräteschuppen und… Bei Odin… sie rauchten!
„EDWARD!“ fauchte ich, als ich um die Ecke trat.
Alle anderen standen stocksteif da und starrten in meine Richtung!
„Ähm!“
„Ich… das…“
„Wir haben nur…“
„Sagt nichts unseren Eltern…“
Sie alle stammelten nur kurze Sätze!
Bevor ich jedoch etwas erwidern konnte, erbrach sich mein Sohn hustend. Pfeifentabak sollte man nicht inhalieren! Das wusste jedes Kind… ha, welch Ironie. Hier wusste man das alles noch nicht.
Ich scheuchte die anderen Kinder zu ihren Eltern, während ich Edward festhielt als er sich immer noch stoßweise übergab.
„Ich hoffe, das ist dir eine Lehre! Rauchen, in egal welcher Art, ist totaler Blödsinn!“ ich war in meine Mutterrolle gefallen und tadelte ihn wütend. Ich selber hatte das Rauchen aufgegeben und wusste, wie man sich MIT dem Dunst fühlte, aber auch OHNE!
„Mir ist…“ ein Würgen… „… so…“ er krampfte wieder zusammen… „...schlecht“ jammerte er im Anschluss.
„Das geschieht dir recht. Komm jetzt, ab ins Bett. Tabea macht dir noch einen Tee für den Magen! Wage es aber nicht, noch einmal nach unten zu kommen. Hast du mich gehört?“ meine Stimme war lauter geworden, ich hoffte, dass Edward es auch verstanden hatte.
„Ich bin aber noch nicht…“ wieder hörte ich ihn würgen! „Ich geh schon, Mama.“ flüsternd kam dann noch „Liest du mir noch etwas vor?"
Seufzend stimmte ich zu, weil ich meinen kleinen Schatz auch nicht so leiden sehen konnte.
Nachdem er dann eingeschlafen war, Florence auch mittlerweile im Bett war, saßen wir Erwachsenen noch beisammen.
Mittlerweile hatte anscheinend jeder so seine Probleme mit den heranwachsenden Kindern. Entweder sie probierten heimlich vom Rumtopf, oder stibitzten, wie in Edwards Falle, den Pfeifentabak. Sogar einige der jungen Mädchen waren mit von der Partie.
„Wo soll das mit den jungen Menschen denn noch hinführen?“ hörte ich eine Mutter fragen.
„Es wird immer schlimmer mit ihnen!“ kam es von einem anderen Vater.
„Respekt fehlt ihnen, ganz eindeutig. Die Jugend wird immer undankbarer.“ vernahmen wir von einem anderem Ehepaar.
Jedes Jahrhundert, jede Epoche dachte exakt so über die „Jugend“. Aber im Grunde, wir sollten es uns eingestehen, war es auch immer ein kleiner Fortschritt in der Entwicklung der Menschheit, oder nicht.
Diese „Rebellen“ ebneten einer anderen Generation neue Wege! Große Geschwister öffneten den Weg für die kleinen Geschwister, weil die ELTERN gelernt hatten. Somit war der Kreislauf des Lebens gesichert.
Man gab alles an die „jüngeren“ weiter. So wird es auch immer bleiben!
Später in unserem Schlafzimmer fühlte ich Tyrs Gegenwart, genauso wie ich Thyras Präsenz wahrnahm.
„Auch wir haben damals die neue Generation kritisch beäugt…“ hörte ich den Kriegsgott sagen.
„Natürlich, das ist auch gut so. Wir brauchen unerschrockene Gemüter auf dem Schlachtfeld!“ kam es von Thyra, ohne dass ich noch etwas dazu beitragen konnte.
Es war… seltsam. Ich stand vor meinem Mann und sah zu ihm auf.
Plötzlich verband sich wieder alles und wir konnten uns im wahrsten Sinne des Wortes vereinen!
Mein Mann ließ mich den Kriegsgott spüren, ebenso bekam er umgekehrt meine kleine Wikingerin.
Für einen Moment war es, als würden wir in dieser abgelegenen Höhle unsere Vereinigung haben. Ich fühlte die Felle unter mir, die nasse Kälte um uns…
„Lass mich dich wärmen…“ raunte mein Templer an meinem Ohr, während seine warmen Hände meinen Körper erkundeten.
Es war wie losgelöst, wir waren in diesem Moment in Wessex, wir waren Hemsleth und Thyra. Diese Momente hatte ich nie so bewusst erlebt, aber sie waren unglaublich.
Und Plötzlich ließ man uns in diese Welt eintauchen! Wir waren in dieser Höhle, lagen auf diesen Fellen und liebten uns!
Beide genossen wir diese kleine Reise, diese Auszeit, wenn sie auch nur kurz sein würde.
Als wir in den frühen Morgenstunden wieder erwachten, sah ich in die klaren grauen Augen meines Mannes.
„Lass uns diese Höhle suchen, Alex. Ich will wissen, wo sie ist.“
„Aber wo sollen wir anfangen? Ich weiß nur, es war in der Nähe von London…“ er unterbrach mich.
„Das weiß ich bereits, aber es könnte ein kleines Gebirgsmassiv sein…“ Haytham erzählte, wo er es vermutete und wie wir dorthin gelangen konnten.
Frustriert und OHNE Koffein fragte ich nörgelnd, ob das nicht noch warten könnte. Dieser Mann machte einen manchmal wahnsinnig.
„Gut, erst dein Kaffee, dann werden wir uns damit befassen.“ beschwingt stand er auf… nackt…
Seufzend lehnte ich am Kopfende und sah ihm zu, wie er sich das Gesicht wusch.
„Der Kaffee alleine wird heute nicht reichen, Master Kenway!“ säuselte ich lasziv in seine Richtung.
„Oh? Ich muss euch wohl noch einmal verdeutlichen, dass ich…“ aber ich bedeckte seine Lippen mit meinem Mund, als er wieder auf das Bett kam.
Wenig später fühlte ich mich fast so, als hätte ich einen Koffeinschub.
Vor der Tür hörten wir bereits die Kinder und einige Gäste miteinander reden. Auch wir sollten uns fertig machen.
Es wurde immer anstrengender mit Edward. Ich möchte es nicht als leicht beeinflussbar bezeichnen, aber ihm gefielen die Ideen seiner Freunde, welche sich immer neue Streiche einfallen ließen.
Aber umgekehrt war er ein guter Schüler, was mir auch immer wieder Mr. Hathaway versicherte, sogar in Mathematik machte er große Fortschritte.
An einem Abend, als Haytham von seiner Tour der Ernteaufsicht wieder daheim war, verschwand unser Sohn plötzlich still und heimlich.
„Ist etwas mit Edward, mi sol?“ fragte mein Templer besorgt und sah sich um.
„Ich… ich weiß es nicht.“ gab ich leise von mir, weil ich befürchtete, dass der kleine Kenway wieder irgend etwas ausgeheckt hatte, was ihm eine Strafe einbringen könnte.
Haytham ging nach oben und ließ sich von Michael fürs Abendessen umziehen und ich meinerseits, ging Edward suchen.
Ich fand ihn bei seinem Hengst Darius.
„Ich wollte das doch nicht… jetzt wird Vater wieder wütend sein und… Walka muss wieder alleine draußen bleiben…“ hörte ich die schniefenden Worte meines Sohnes.
Langsam näherte ich mich den beiden und sah, wie er seinen Kopf an das Pferd schmiegte und vorsichtig über das Fell strich.
„Min lille skat, was ist passiert?“ fragte ich leise und trat näher.
Erschrocken sahen mich diese blaugrauen Augen an.
„Mama! Was… es ist nichts!“ stammelte er und wandt sich um zum Tor. Bevor er aber verschwinden konnte hielt ich ihn auf.
„Edward! Was ist passiert? Wir werden es doch eh erfahren! Sag was geschehen ist.“ versuchte ich ihn zu ermuntern zu berichten.
„Wir… ich… also…“ stotterte Edward ängstlich. „Ich habe… Gilbert hatte sich mit dem Jagdmesser seines Vaters geschnitten und… wir wussten nicht was wir tun sollten… Sein Vater hatte ihm verboten damit zu spielen…“ verzweifelt sah er in meine Augen. „Ich … Ich weiß, Mutter Idun hat es mir verboten… aber Gilbert ist einfach umgefallen und das Blut aus seiner Hand… Mama, das war unheimlich! Ich … wollte dass es ihm wieder gut geht… ich habe ihm doch nur geholfen!“
Edward Junior hatte seine Heilungskräfte auf Gilbert wirken lassen während die anderen Kinder ebenfalls anwesend waren. Sie alle waren zuerst entsetzt zurück gewichen, als sie sahen, wie sich seine Haut mit diesem goldenen Schimmer, den Zeichen überzog und sich die Wunden ihres Freundes langsam schlossen.
„Jessie fragte welchem Hexenkult wir angehören würden, weil ich wüsste, wie man jemanden heilt. Er meinte, dass seine Mutter ganz viele Kräuter und so zuhause hat, die genauso helfen. Aber sie traute sich wohl nicht, uns das auch zu zeigen. Mama… warum darf man nicht heilen?“
Bei dieser pragmatischen Frage sah ich meinen Sohn lange an und wusste nicht so recht, was ich sagen sollte.
„Die Zeit ist einfach noch nicht soweit derlei Können ohne Zweifel und Vorbehalte zuzulassen. DU beherrscht etwas, das NIEMAND sonst kann, Edward. Jessies Mutter ist, wie Tante Faith, eine Heilerin! Sie tut nichts böses, sie ist auch keine Hexe oder ähnliches. Und DU bist auch nicht böse oder verflucht. Aber…“ ich seufzte tief. „… min lille skat! Du weißt doch, dass du ein ganz besonderes Talent hast. Du musst vorsichtig sein!“
Wir gingen langsam zurück zum Haus, weil ich befürchtete, dass mein Gatte bereits davon erfahren hatte.
In der Eingangshalle kam er schon aus seinem Arbeitszimmer geschossen und funkelte Edward böse an.
„Was hast du dieses mal zu deiner Verteidigung zu sagen?“ fauchte er unserem Sohn entgegen.
„Ich weiß, dass ich nicht darüber nachgedacht habe. Aber… Gilbert wäre sonst vielleicht gestorben…“ flüsterte Edward leise und ich sah diese Angst um seinen Freund in seinen Augen.
Die Hände auf dem Rücken verschränkt wanderte Haytham nun vor seinem Sohn auf und ab.
Bitte, lass das sein, dachte ich im Stillen!
„Wie erklärst du ihnen diese plötzliche Heilung, Edward?“ in seiner Stimme klang wieder dieser Oberlehrerton mit, welcher einfach unangenehm war.
„Genauso wie Jessies Mutter auch die Genesung von Nathaniel erklärt hat. Sie hat gesagt, dass Geduld, Ruhe und der Glaube an die Genesung das wichtigste seien!“ Unser Sohn stand plötzlich mit erhobenem Haupt vor seinem Vater und trotzte jedem steinernen Blick!
„Mi sol, ich wünsche diese Frau umgehend zu sprechen!“ damit drehte er sich ohne weitere Worte um und ging in sein Arbeitszimmer zurück.
Ich hingegen hieß Edward hinauf zugehen, damit Sybill ihn fürs Abendessen umziehen konnte.
Ich ging hinaus und rief nach einem Diener, welcher Jessies Mutter bitten sollte, umgehend hier vorstellig zu werden.
Das Abendessen fiel entsprechend schweigsam aus, was auch Florence nicht entging. Trotzdem fragte sie unentwegt, ob ihr Vater morgen wieder mit ihr den Adlersinn trainiert und ob die beiden dann auch wieder Versteck-spielen üben würden.
Abwesend gab Haytham zur Antwort „Ja… das werden wir wohl…“ sah aber zu seinem Sohn, welcher immer kleiner wurde auf seinem Stuhl.
Beide Kinder waren im Bett, als Jessies Mutter erschien. Verständlicherweise brachte auch sie erst die Kinder zu Bett, ehe sie uns aufsuchen konnte. Aber … mein Mann war einfach ungehalten und konnte wieder seine anerzogene Disziplin nicht ablegen. Beruhigend legte ich ihm meine Hand auf den Arm, als die Dame eintrat.
Zögerlich nahm sie auf dem Sofa Platz und sah uns nervös an.
„Mrs Muller, wie mir zu Ohren gekommen ist, habt ihr den Kindern von irgendwelchen Wunderheilungen berichtet?“ hörte ich Haytham lauernd sagen, während er die Frau vor sich musterte. Ohne darüber nachzudenken tat ich es ihm gleich, aber ihre Aura war neutral, nichts auffälliges konnte ich wahrnehmen.
„Sir, Master Kenway, bei allem Respekt. Ich habe ihnen nur versucht zu erklären, dass… Heilung Zeit braucht, gute Fürsorge und heilende Kräuter.“ erklärte sie sich leise und sah wieder auf ihre Hände im Schoß.
„Warum habt ihr dann Gilbert nicht geholfen, als er diesen tiefen Schnitt hatte? Wo wart ihr in diesem Moment? Oder seid ihr erst später zufällig dazu gekommen, als er sich verletzt hat?“ weiter sah er sie musternd an, aber seine Haltung hatte an Spannung zugenommen.
„Die Kinder brachten ihn nachdem… Edward die erste Versorgung übernommen hatte, zu mir. Glaubt mir, Master Edward hat nichts schlimmes getan! Ich sah schon einmal in… meinen Träumen diese Art der Heilkunst.“ jetzt wurde ihre Stimme zittrig. Ihr Blick glitt vorsichtig hinauf zu Haytham, der sich auf einen Sessel vor Mrs Muller setzte.
„Ihr meint eine Art Vision? Habt ihr solche schon öfter erlebt?“ diese kalte Tonlage ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen!
Plötzlich sah die Frau mir direkt in die Augen, an ihrer Haltung konnte ich erahnen, dass sie um die richtigen Worte rang.
„Ja, Sir. Ich… träume oft von seltsamen Dingen…“ stockend brach sie ab, aber sah mich weiterhin an. „Bitte, ich bin nicht verrückt oder… noch schlimmer, mit dem Teufel im Bunde! Ich schwöre…“ sie klang verzweifelt, weil sie Angst hatte, wir würden sie tatsächlich als Hexe brandmarken wollen!
„Mrs Muller, wenn dem so ist, dann erzählt mir davon. WAS seht ihr? Vielleicht … kann man aus den Bildern etwas herleiten…“ versuchte ich die Dame zu beruhigen. „Auch ich kenne so etwas und seid versichert, wir glauben nicht, dass ihr einen Packt mit dem Herrn der Unterwelt geschlossen habt. Mein Sohn erzählte von euren Kräutern und dass ihr auch schon anderen geholfen habt."
„Mistress Kenway, aber die Dinge die ich sehe sind völlig surreal! Ihr werdet mir meine Kinder wegnehmen und mich verbannen!“ mit einem Satz war sie aufgesprungen und wollte hinaus rennen. Haytham konnte sie aber aufhalten!
„Wartet, Mrs Muller! WER hat euch gesagt, dass wir so eine Art der Bestrafung praktizieren?“ hakte mein Mann jetzt wesentlich freundlicher nach, weil er spürte, dass seine Templerrolle gerade nicht gefragt war.
„Ich… habe es gesehen!“ schluchzte sie und hielt sich die Hände vors Gesicht.
Ich sah zu Haytham, welcher mich ebenso fragend ansah.
„Mrs Muller, ihr habt von solchen Strafen geträumt?“ mir kräuselten sich die Nackenhaare, weil ich befürchten musste, dass hier unser Erzfeind Hrymr seine Finger mit im Spiel haben könnte.
„Ja…“ hauchte sie stockend. „Es war, als wäre ich dabei gewesen. Ich … konnte alles fühlen und riechen …“
Ich ermunterte sie, weiter zusprechen, indem ich sie wieder auf das Sofa zuschob.
In diesem Moment kam mir ein etwas absonderlicher Gedanke. Wenn ich ihr den Vorschlag machte, sie zu hypnotisieren um an diesen Bildern teilhaben zu können, hoffte ich, sie würde dem zustimmen! Etwas skeptisch willigte sie ein und ich setzte mich neben sie, nahm ihre Hand in meine. Langsam drang ich in ihren Geist, während Haytham die Frau mit dem Adlerblick im Auge behielt. Sicher ist sicher!
Wie bereits vermutet, herrschte Ruhe in ihrem Kopf. Die Gänge waren nicht verworren, sie waren geradlinig und übersichtlich. Langsam schritt ich weiter, öffnete hier und da eine Tür, aber es waren lediglich Erinnerungen an die Geburten ihrer Kinder zum Beispiel, an ihre Hochzeit und so weiter.
Ich wollte schon wieder auftauchen, als ein abseits gelegener dunkler Gang meine Aufmerksamkeit erregte. Als ich um die Ecke trat, sah ich verschwommene Gestalten umher laufen. Es sah aus, als würde ich in ein Feuer schauen, so flimmerten die Bilder dort.
Mit einem Mal hörte ich aber deutliche Stimmen von zwei Herren, welche sich zu streiten schienen. Je näher ich kam, desto mehr spürte ich ein elektrisches Kribbeln auf meiner Haut! Isu! Schoss es mir in den Kopf.
„Wir sollten hier nicht länger verweilen, du siehst, was du angerichtet hast.“ fauchte der eine.
„Aber wir sind noch nicht am Ziel, wir müssen diesen Jungen überzeugen, dass er hier nicht hingehört. Er muss glauben, dass er auf unserer Seite besser aufgehoben ist.“ erklärte sich der andere wütend.
„Und dann? Wie willst du erklären, dass diese Sterbliche ihn mit sich nimmt? Dieses Weib ist unwissend…“ immer noch war die Stimme dieses Mannes ungehalten.
„Das ist das nächste Problem. Sie merkt langsam, dass… etwas nicht stimmt. Deswegen müssen wir schnell handeln! Wir müssen hier schnellstmöglich weg! Aber OHNE dieses Kind geht es nicht!“ worauf wollte er hinaus? Langsam bekam ich es mit der Angst zu tun, weil ich keine Verbindung sah, die auf uns und Mrs Muller hindeuten könnte.
Gerade als der andere wieder ansetzen wollte, drehten sich beide erschrocken in meine Richtung!
„Verdammt! Ich habs dir gesagt! Wir waren zu langsam!“ schrie er, zog eine seltsame Waffe aus seinem Gürtel und rannte auf mich zu. Sein Kumpan tat es ihm gleich.
Aber bevor die beiden bei mir waren, hatte auch ich mich bewaffnet! Ich hatte zusätzlich aber noch meinen eigenen Geist in Sicherheit gebracht. Je näher sie kamen, desto unangenehmer war das Gefühl auf meiner Haut!
„Diese Menschen sind mir immer noch ein Rätsel. Diese ganze Fürsorge für den Nachwuchs… das ist doch lästig!“ brüllte einer von ihnen. „Na komm schon, verteidige dich!“
Damit war der Kampf eröffnet, so dachte ich zumindest. Aber als hätte ich, wie damals in Versailles, die Zeit verlangsamt, konnte ich in Ruhe die beiden Angreifer betrachten und auch entwaffnen.
Sieh an mein Kind. Sie sind doch nicht so dumm, wie ich immer dachte. Diese Rasse ist lästig, wenn auch ab und an mal nützlich. Aber das kann man auch an zwei Fingern abzählen! Sprach mein Allvater abwertend und stand jetzt neben mir mit erhobener Hand. Die Szene stand jetzt komplett still!
WER ist das vor uns und warum belagern sie diese arme Frau? Hakte ich leicht gereizt nach, weil mal wieder nur kryptische Aussagen auf mich trafen.
Du siehst hier zwei Isu-Krieger vor dir, welche den Rang eines Latrinen-Aushebers haben! Dieses Lachen von Odin donnerte durch den ganzen Gang und ich befürchtete schon, dass mich das aus meiner Konzentration reißen könnte. Sie sollten anscheinend unseren kleinen Edward für ihre Sache gewinnen, ihn überzeugen, dass ich keine Macht über ihn habe. Sie schrecken einfach vor keinen unfairen Mitteln zurück. Dann müssen wir halt andere Seiten aufziehen und ihnen eine Lektion erteilen. Lass mich das mit Thor, weil er ja nun einmal der Pate deines Sohnes ist, übernehmen.
Diese Männer vor uns sollten also eine harmlose Heilerin benutzen um unserem Sohn ein schlechtes Gewissen einzureden, weil sie ebenso davon ausgehen konnten, dass Haytham ihn für seine unbedachte Art bestrafen würde. Doch so leicht ließ sich Edward nicht beeinflussen, das hatte er vorhin bewiesen, als er seinem Vater fest in die Augen sehen konnte.
Ich wurde jetzt Zeuge, nicht nur ich, auch Haytham bekam die Bilder zu sehen, wie Thor und Odin sich diese beiden Isu zur Brust nahmen. Sie taten mir zwischenzeitlich schon bald leid, weil sie sich gegen Blitze, Druckwellen, Speere, Schwerter und allgemeiner göttlicher Kraft gegenüber sahen.
Der Donnergott zeigte kein Erbarmen, als er dem linken Angreifer den Schädel zertrümmerte, während dieser von ihm an die Wand gedrückt wurde.
Ebenso musste sich der andere Herr ebenso geschlagen geben, als ihn der Allvater nach einem schnellen Schlagabtausch mit dem Speer regelrecht auf dem Boden aufspießte.
Du weißt, was du jetzt zu tun hast! Sprach Odin zufrieden aber leicht außer Atem zu mir.
Ja, ich wusste, dass ich Mrs Muller nun diese Illusionen nehmen musste, damit sie die Heilerin, liebende Mutter und Ehefrau wieder war, als die sie hier jeder in der Gemeinde kannte.
Man hatte ihr also diese „Visionen“ geschickt um sie glauben zu lassen, dass sie sich alsbald absetzen musste. Sie sollte das Gefühl haben, nicht mehr willkommen zu sein! Gemeinsam mit unserem Sohn sollte sie dann verschwinden. Ich bezweifelte aber weiterhin, dass Edward da mit gespielt hätte.
Langsam tauchte ich im Arbeitszimmer von Haytham wieder auf und sah die Dame vor mir musternd an. Ihre Aura war in ein Blaugold umsprungen und diese hinterließ auf meiner Haut ein warmes Kribbeln. Da hatte man dieser Frau also ein kleines bisschen göttliche Gabe überlassen.
Sie hat es verdient, weil sie sich der Heilkunst, wie sie Freya zum Beispiel nutzt, verschrieben hat. Sie ehrt uns, genau wie auch du uns zugetan bist, mein Kind. Mit diesen leisen aber doch zufriedenen Worten verschwand der Gottvater wieder.
„Mistress Kenway! Habt ihr das auch gespürt?“ fragte Mrs Muller erstaunt aber leise nach.
Mit einem Lächeln konnte ich sie beruhigen und sagte ihr, dass auch ich unsere Götter um uns gespürt habe. Im gleichen Zuge erwähnte ich auch, dass ich eine enge Verbundenheit zu der nordischen Mythologie habe.
„Das beruhigt mich.“ seufzte sie tief, als sich ihr Körper entspannte. „Verzeiht, Master Kenway. Ich konnte ja nicht wissen, warum ihr mich sprechen wolltet.“ fragend sah ich sie an.
„Mrs Muller, auch ich habe mich zu entschuldigen. Aber versteht meine Angst um meinen Sohn. Er ist fasziniert davon, jemandem eine Wunde zu versorgen und den Prozess der Heilung dann beobachten zu können. Ich musste aber davon ausgehen, dass ihr… andere Praktiken anwendet. Aber jetzt wissen wir um eure Fähigkeiten und es ist immer gut noch eine weiter Person hier in der Gemeinde zu haben, welche im Notfall ebenso zur Hilfe kommen kann.“ DAS hatte Haytham jetzt sehr geschickt umschrieben und ich sah, dass die Dame vor uns mehr als erleichtert war.
Für sie waren jetzt die Visionen und seltsamen Träume Geschichte und ich hoffte, dass auch wir nicht mehr auf Isu in den Köpfen unserer Arbeiter oder Pächter stoßen würden.
Als wir sie verabschiedet hatten, saßen wir noch beisammen, weil uns beiden noch der Kopf schwirrte.
„Warum wollen uns jetzt diese Vorläufer auch noch an den Kragen? Wir sollten doch mit ihnen gemeinsam, gerade auch wegen Faith, eine Sicherheit für die Menschen schaffen.“ grübelte mein Mann jetzt laut vor sich hin, während er ein Glas Whiskey in der Hand schwenkte.
„Vielleicht sollten diese beiden Herrschaften einen Keil zwischen die Zusammenarbeit treiben, damit eine Seite der anderen immer mehr misstraut! Vermutlich gibt es auch auf Seiten der Götter, ob nun Isu oder Nord, Widersacher, die einer Übereinkunft nicht wohlgesonnen sind.“ seufzte ich und lehnte mich an meinen Mann.
„Also müssen wir auch darauf ein Auge haben?“ auch er klang leicht genervt.
„Darauf wird es wohl hinauslaufen.“ sagte ich leise, dabei lief es mir eiskalt den Rücken herunter, weil ich befürchtete, dem Ganzen irgendwann einfach nicht mehr gerecht werden zu können. Auf der anderen Seite waren wir nicht alleine, wir könnten noch weitere Personen für diese „Überwachung“ mit einbeziehen.
„Wir müssen dringend Edward und Florence weiter aufklären, mi sol. Ich möchte nicht, dass sie irgendwann diesen Vorläufern völlig unwissend gegenüberstehen.“
Haytham hatte Recht, die nächsten Lektionen für unsere Kinder.
In dieser Nacht tat ich nicht wirklich ein Auge zu, weil mir ein Bild in Mrs Mullers Geist nicht aus dem Kopf wollte.
Die Dame hatte tatsächlich meine Heimatstadt gesehen, so wie ich sie damals verlassen hatte. Kurze sekundenschnelle Bildaufläufe zeigten meine Wohnung, die Umgebung, meinen Arbeitsplatz und so weiter. Ich hatte Haytham nichts davon berichtet, weil… ja, weil ich selber nicht wusste, was ich davon halten sollte.
Diese beiden Vorläufer schienen also genauestens informiert zu sein, woher ich kam. Schon in meiner Zeit war uns klar, dass die Isu eine mächtige Technologie beherrschten, welche wir sterblichen nie erreichen würden.
Ich ging jetzt davon aus, dass es keine „echten“ Zeitreisenden wie ich waren, sondern diese Herrschaften über die DNA anderer Isu gespeist wurden. So etwas hatte ich nämlich einmal in einem Bericht von Tobias gelesen, welcher sich mit dieser Rasse ausführlich befasste.
Dennoch blieb ein fader Nachgeschmack bei dem Gedanken, dass wir nie vor anderen Zeitreisenden sicher waren.
In den letzten Wochen wurde ich zusehends nervöser, weil ein geschichtliches Ereignis anstand vor dem ich bereits gewarnt hatte.
Das Boston Massaker! März diesen Jahre
Die Söhne der Freiheit dort waren informiert worden, sich an diesen Tagen jeglichen Versammlungen, Aufläufen oder Demonstrationen fernzuhalten! Außerdem hatte ich mit Master Davenport diesbezüglich noch korrespondiert und er versicherte mir, dass er vorher mit dem jungen Connor in die Stadt reisen würde für die Besorgungen. Das ließ mich ein wenig aufatmen. Auch wenn ich wusste, dass bis in „meine“ Zeit nie der oder die Schuldigen gefunden werden würden. Der erste Schuss blieb ein Rätsel.
Mittlerweile war mir aber leider zu Ohren gekommen, dass Charles Lee wieder in den Kolonien war und sich nach einer für sich passenden Bleibe umsah. Mein Mann hatte mir davon berichtet.
„Mi sol, ja ich weiß! Ich habe ihm geraten sich im Landesinnere eine entsprechende Plantage zu suchen. Mir ist auch eine für ihn passend eingefallen. Keine Sorge, er wird nicht direkt neben uns wohnen!“ versicherte mir Haytham immer wieder, als er meine Besorgnis bemerkte.
Florence hatte sich zu einer Botanikerin gemausert. Sie liebte ihre Kräuter, ihre Beete und ließ sich alles genauestens erklären. Ich war dazu übergangen Mrs Muller zu Rate zu ziehen, weil sie sich ebenso hervorragend auskannte und meine Tochter war ihr sehr zugetan!
Es gab einige Nachmittage an denen die beiden in die Wälder gingen, natürlich nur mit einer Wache und dem Kindermädchen!, um neue Samen zu finden. Was wirklich mehr als nützlich war, Jessies Mutter zeigte ihr auch gleich, welche Pilze essbar waren und welche man nicht anfassen sollte.
An einem Abend als sie nach Hause kamen, reichte mir Mrs Muller ein kleines Buch. Dort hatte sie einige Aufzeichnungen verfasst, die meiner Tochter noch nützlich sein könnten.
„Mistress Kenway, ich denke Miss Florence ist soweit, dass sie anhand der Bilder schon erkennen kann, welche Pflanzen heilen und welche den Tod bringen können. Ich möchte, dass sie dieses kleine Leitwerk bei sich trägt. Es ist wichtig. Später kann eure Tochter dann auch noch selber etwas dazu beitragen.“ Ihre Stimme war regelrecht glücklich, aber ich wusste, dass ihre Söhne nicht von dieser Kräuterkunde angetan waren. Sie wollten lieber in die Schlacht ziehen! Jungs halt, dachte ich resigniert.
Florence bedankte sich bei der Dame noch und begann sich die Zeichnungen anzusehen, ohne ein weiteres Wort zu sprechen.
Am heutigen Nachmittag saßen wir im Wintergarten beisammen, weil es recht stürmisch und kalt draußen war. Edward hatte leider noch eine Strafarbeit nachzuarbeiten für Mr Hathaway, weil er mit seinen dreckigen Stiefeln auf dessen Pult gesprungen war um zu verkünden, dass er besser predigen könnte als Mr Hathaway. Dafür musste er nun 100mal auf ein Blatt schreiben „Ich darf nicht den Lehrer und Prediger beleidigen“
Ich sah, wie Haytham mit, im wahrsten Sinne des Wortes, Adleraugen über diese Aufgabe wachte, während ich Florence noch erklärte, wie man aus verschiedenen Kräutern einen Tee oder auch eine schmackhafte Suppe machen konnte.
Immer wieder hörte ich ein genervtes Schnauben, weil Edward die Finger langsam wehtaten, Haytham hingegen ermahnte ihn sich zu beeilen, sonst würde er beim Abendessen zusehen müssen!
„Mama, wie schmeckt Minze?“ riss mich unsere Tochter aus meinen Gedanken.
„Frisch, min lille engel. Schwer zu beschreiben, es fühlt sich etwas kalt auf der Zunge an, aber es erfrischt den Hals. Wenn man einen bösen Husten hat, macht man eine Salbe aus Minze und Fett und streicht sie über Brust und Rücken. Dadurch fällt das Atmen dann leichter.“ wie selbstverständlich gab ich mal wieder mein Wissen weiter und sah in große grüne Augen.
„Du weißt aber viel!“ dieses Staunen in ihrer Stimme ging runter wie Öl.
Leider konnten wir uns dem Ganzen nicht weiter widmen, was Florence mit einem Schmollmund quittierte, wohingegen Edward erleichtert seufzte.
„Mistress Kenway, Master Kenway! Es ist Besuch für euch eingetroffen. Master Achilles Davenport und der junge Master Connor.“ verkündete einer der Diener und stand wartend im Wintergarten.
Ich sah zu Haytham, welcher für den Bruchteil einer Sekunde einen erschrockenen Ausdruck im Gesicht hatte, dann aber wieder die Professionalität in Person war. Achilles hatte mir aber gar keine Benachrichtigung geschickt!
Mi sol, ich würde die beiden gerne ohne die Kinder begrüßen! Hörte ich ihn in meinem Kopf.
Auf der einen Seite konnte ich ihn verstehen, aber es war besser, wenn wir als die Familie auftraten, die wir auch waren. Connor gehörte, genau wie Yannick, einfach dazu. Das würde ich ihm gerne jetzt auch beweisen. Natürlich würde mein Mann noch ein bisschen brauchen, bis er sich an diesen neuen Umstand gewöhnt hatte.
„Bitte, sie sollen eintreten.“ sprach Haytham vorsichtig. So habe ich ihn wirklich noch nicht erlebt. Aber auch ich war mehr als nervös! Nicht wegen Achilles und dem Konflikt mit Haytham, sondern…
Mein Mann sah zum ersten Mal seinen Sohn. Das Ergebnis aus seiner Beziehung zu Ziio! Auch ich würde diesen Jungen zum ersten Mal sehen und kennenlernen, so hoffte ich. In mir begann es zu kribbeln, mein ganzer Körper zitterte mit einem Male. Es wurde ernst, war ich aber schon soweit und konnte dem gerecht werden?
Die Zeit fehlte jetzt aber um in mich zu gehen und ein Mantra zu verfassen.
Dann traten sie ein!
Achilles gestützt auf seinen Gehstock und Connor, welcher dicht an seiner Seite ging.
Ich hatte Florence und Edward völlig vergessen, welche jetzt neben mir und Haytham standen und gebannt auf die beiden Besucher starrten.
„Mama, ist das unser Bruder von dem Vater erzählt hat?“ flüsterte Edward leise, während seine Augen auf diesen Jungen gerichtet waren.
„Ja, dass ist euer großer Bruder…“ sprach ich ebenso leise, weil meine Stimme plötzlich versagte.
Es war Achilles, welcher mir die Hand reichte, um sich und Connor vorzustellen.
„Mrs Kenway, es freut mich, euch einmal wieder zusehen. Darf ich euch nun meinen Schüler Connor vorstellen.“ Dieser Mann war gefasst und seine Stimme war fest, als er auch zu Haytham sah.
Dieser sah gebannt auf seinen Sohn, brachte aber tatsächlich keinen Ton heraus! Fürs erste!
Connor reichte auch mir zögerlich die Hand und begrüßte mich höflich. Seine Stimme hatte einen warmen tiefen Klang, welche ihn sehr sympathisch machte.
Als mein Mann sich wieder rührte und seine Sprache wieder gefunden hatte, kam er seinen Manieren als Hausherr endlich nach, was ihm ein verschmitztes Grinsen des alten Assassinen einbrachte.
„Master Davenport, es freut mich euch hier begrüßen zu dürfen. Darf ich euch … unsere Kinder vorstellen.“ Die Pause war nicht zu überhören!
Bis jetzt hatte der junge Indianer noch nicht viel gesprochen, aber als ihn Haytham jetzt direkt ansprach, sah man wie sie sich musterten.
Leider hatte ich kein Bild von Ziio um Vergleiche zu ziehen, also suchte ich nach Ähnlichkeiten zu meinem Templer. Sie waren vorhanden, wenn auch recht versteckt. Beide waren annähernd gleich groß, Connors Statur war aber „stabiler“, eben weil er viel in der Natur aufgewachsen ist und sich dort beweisen musste. Sein Gesicht hatte, wie Haythams auch, eine gewisse aristokratische Form.
„Connor, endlich können wir uns kennenlernen. Ich gehe davon aus, dass deine Mutter dir aber einen anderen Namen gegeben haben wird?“ Der Hausherr hatte sich wieder im Griff und ging in seine disziplinierte Art über.
Bevor wir aber das Gespräch im Stehen weiter führen würden, bat ich alle Platz zu nehmen und orderte frischen Tee, weil ich sah, wie Achilles sich verstohlen die Hände rieb. Es war, wie ich schon schrieb, frostig draußen.
„Ratonhnhaké:ton nannte sie mich.“ erklärte er leise.
Edward versuchte das jetzt auszusprechen, aber scheiterte kläglich. Jeder würde das vermutete ich einfach mal.
Lächelnd erklärte Connor die Art wie sein Name gesprochen wurde. Dabei sah er immer wieder zu Haytham. Es war Florence die leicht lispelnd, es fehlten gerade 2 Schneidezähne, die richtige Aussprache hinbekam.
Anerkennend sah Achilles zu meiner Tochter. „Miss Florence, das war ja großartig. Nicht einmal ich kann das.“
Stolz stand sie vor ihm und begann in allen ihr möglichen Sprachen vor Aufregung zu reden. Mit einer fragend hochgezogenen Augenbraue sah mich der Assassine an.
„Sie wird mehrsprachig erzogen, Master Davenport. Wie Edward auch. Aber sie ist noch ganz am Anfang und bringt manches durcheinander.“ erklärte ich dieses Kauderwelsch.
Wir unterhielten uns eine Weile über die Erziehung im Allgemeinen, das Training für Connor, seine Fortschritte und auch dass die Siedlung langsam wieder zum Leben erwachte. Dank des jungen Assassinen.
„Wir sind gerade dabei die Aquila wieder flott zu machen.“ sagte er stolz und sah dabei zu seinem Vater.
„Wird Mr Falkner auch wieder Kapitän sein?“ fragte Haytham nach. „Mich würde nämlich interessieren, WER genau damals hinter mir her war und mir das Leben auf der Providence schwer machen wollte.“
„Die Londoner Bruderschaft ist dafür verantwortlich gewesen. Aber wie wir sehen, konntet ihr euch hervorragend verteidigen.“ Davenports Stimme hatte einen lauernden Unterton angenommen.
„Genau wie ihr ja auch den Umständen entsprechend wieder genesen seid. Dank Mrs Cormac.“ Auch Haytham schlug diesen Ton an.
Ich selber wurde nervös und sah, dass auch der junge Indianer unruhig wurde. Würden sich die beiden an die Kehle gehen? Hier vor den Kindern? Mein Blick wanderte von Haytham zu Achilles, aber sie blieben äußerlich völlig ruhig.
„Wie geht es eigentlich Master Cormac derzeit und seiner Gattin?“ hakte der Alte in einem sehr zynischen Tonfall nach.
„Soweit wir wissen, geht es der Familie blendend. Sie bewohnen eine Plantage auf der gegenüberliegenden Seite des James Rivers.“ erklärte mein Mann in kühlem Ton. Aber man hörte heraus, dass er sich zusammenreißen musste.
„Vielleicht sollte ich mich beizeiten bei Mrs Cormac einmal bedanken. Ohne sie, auch wenn es aus purem Egoismus war wie ich vermute, wäre ich nicht heile zurück zum Schiff gekommen.“ Achilles Blick ging in meine Richtung und er deutete auf Edward und Florence. Vermutlich war ihm dass Ganze doch ein wenig unangenehm in ihrer Gegenwart.
Kurzum bat ich die Kindermädchen mit ihnen hinaus zugehen. Die Vier hatten gerade die Tür geschlossen, als mein Mann wie aufgezogen begann los zulegen!
„Ihr habt ohne zu hinterfragen die Vorläufertempel gestört und habt tausenden Unschuldigen den Tod gebracht! Shay kam euch vermutlich gerade gelegen, als es um Lissabon ging! Anstatt ihn aufzuklären, habt ihr ihm nur Halbwahrheiten kundgetan! Euer Misstrauen ihm gegenüber war unbegründet, aber es hat ihn im Endeffekt nur bestärkt die Bruderschaft hinter sich zu lassen!“ schwer atmend saß Haytham neben mir und wischte sich übers Gesicht.
„Ihr wagt es mich zu kritisieren? IHR? Ihr habt ebenso willkürlich gehandelt und euch die Leute zunutze gemacht, die sich auf eure falschen Versprechungen eingelassen haben! Auch ihr habt keineswegs eine weiße Weste, MASTER KENWAY!“ Achilles´ Stimme hatte sich leicht erhoben, wurde jedoch nicht wütend sondern nur bestimmter. „Ich könnte euch einige Dinge aufzählen, welche euer Orden hier in den Kolonien verbrochen hat…“ er atmete schwer, gleichzeitig griff er hastig nach seiner Tasse.
Mein Blick wanderte zu Connor, der sich sichtlich unwohl fühlte. Auch er sah von einem zum anderen.
„Achilles, aber seien wir ehrlich. Wenn ich alles überdenke, was ihr mir in den letzten Monaten erzählt und beigebracht habt, dann… sind beide Bünde nicht ganz unschuldig. Wir sollten versuchen…“ leider unterbrach ihn jetzt mein Templer recht unwirsch.
„Du hast sicherlich recht und ich begrüße diese Einstellung! Bedenke aber, dass der Weg dahin noch sehr lang sein wird. Wie du siehst, kann dein Mentor nicht über seinen Schatten springen…“ ein fieses Lächeln umspielte seine Lippen als er zu Achilles sah.
„Es reicht!“ sagte ich mit zittriger und sehr wütender Stimme. „Ich habe von Anfang an gesagt, dass es schwer werden wird und ein Kompromiss ist ebenso kein leichtes Unterfangen! Aber jetzt seht euch an! Genau hier wird es deutlich. HIER müssen wir die nächsten Schritte beginnen um eine Einigung zu erreichen.“ tief durchatmend setzte ich mich wieder, ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich aufgestanden war.
Mich blickten drei verwunderte Augenpaare an.
„Mrs Kenway, es… natürlich sollten wir uns erst einmal einig sein. Es war etwas unbedacht von mir, versteht mich aber auch. Jahre der Ungewissheit und Zurückgezogenheit haben mich immer misstrauischer werden lassen.“ sprach nun der alte Mann leise.
Wie aus heiterem Himmel stand Haytham auf, ging um den kleinen Tisch herum und stellte sich vor Achilles.
„Master Davenport, ich vertraue auf das Bauchgefühl meiner Frau und... ich hoffe, wir können unseren Konflikt ab heute ad akta legen.“ Seine rechte Hand streckte er vor und wartete auf eine Reaktion seitens des Assassinen.
Langsam, wie in Zeitlupe, erhob sich dieser etwas schwerfällig und schaute einen Moment Haytham ohne jegliche Regung an. Doch dann reichte auch er ihm seine Hand und es mag sich kitschig anhören, aber mir fiel ein Stein vom Herzen.
Connor war ebenfalls aufgestanden und sein erleichtertes Lächeln konnte ich teilen. Ich nickte ihm lediglich stumm zu.
„Wir sollten von jetzt an vielleicht überlegen, wie wir die bevorstehenden Streitigkeiten, Konflikte und Aggressionen hier in den Kolonien eindämmen können, Gentlemen.“ warf ich leise ein, weil ich nicht genau wusste, ob es schon angebracht war.
„Das sollten wir, Mrs Kenway. Auf dem Weg hierher haben wir übrigens ein paar Truppen seiner königlichen Majestät gesehen, welche sich unrechtmäßig Zutritt zu einigen Häusern verschaffen wollten. Sie behelligen unbescholtene Bürger um ihren Sold aufzubessern, könnte man meinen.“ Kopfschüttelnd stand der Alte vor uns.
„In unserer Siedlung sind wir noch verschont geblieben, aber ich befürchte dass auch dort bald die Soldaten auftauchen werden.“ in Connors Stimme klang Angst mit und ich konnte ihn voll und ganz verstehen. Vermutlich dachte er an die Attacke auf sein Dorf vor etlichen Jahren. Bei dem Gedanken lief mir eine Gänsehaut über den Rücken.
„Hier haben wir auch schon mit diesem Abschaum Bekanntschaft machen müssen. Das letzte Mal waren es wieder Deserteure die sich mordend und plündernd hier über die Plantagen hermachten. Wie die Heuschrecken könnte man schon fast sagen.“ fauchte Haytham wütend.
„Dann sollten wir genau dort ansetzen, was meint ihr?“ fragte ich in die Runde und die drei Herren nickten mir zustimmend zu.
Plötzlich sah sich Haythams ältester Sohn zur Tür um.
„Ich habe also noch Geschwister, Vater?“ fragte er leise und wir begannen auch ihm unsere Geschichte ein wenig näher zubringen. Achilles hatte vieles nur andeuten können, weil auch er nicht exakt alles wusste.
Als wir zum Punkt mit den nordischen Göttern und deren Einfluss auf uns kamen, sah ich große braune Augen.
„Das klingt so fantastisch, Mrs Kenway!“ Connor konnte man ansehen, dass er es spannend fand.
„Bitte, du kannst mich Alexandra nennen.“ bot ich ihm an, weil ich es mehr als seltsam fand, dass gerade ER mich mit Mrs Kenway ansprach.
„Ähm… natürlich, Mrs… Alexandra!“ stammelte er leise mit rotem Kopf.
Langsam war es aber Zeit für das Abendessen.
Florence und Edward kamen wieder in den Wintergarten und man trug das Essen auf. Während wir so beisammen saßen und es uns schmecken ließen, erklärte unser Sohn Connor erst einmal, dass Walka seine Beschützerin sei.
„Sie ist immer an meiner Seite und weißt du, Connor, sie hat den bösen Kapitän verjagt, der hinter uns her war!“ aus ihm sprudelte die ganze Geschichte heraus und sein Halbbruder hörte gebannt zu. „Und dann hat Vater mich mit ihr wieder auf die Jackdaw geholt! Weißt du? Alle haben sich gefreut, dass meine Wächterin wieder heile da war! Ohne einen einzigen Kratzer!“
Zwischendurch ermahnte ich die kleine Plaudertasche bitte auch zu essen, ehe es kalt wurde.
Florence ließ es sich beim Nachtisch dann nicht nehmen, unseren Gästen ihre Liebe zu Kräutern und Pflanzen zu erzählen.
„Mrs Muller ist ganz toll. Sie hat mir … Plitze gezeigt, die nicht gut sind. Da sind weiße Punkte drauf. Hast du die mal gesehen?“ voller Erwartung, dass Connor sowas auch schon kannte, sah sie ihn an.
„Ja, davon habe ich gehört…“ weiter kam er aber nicht.
„Ich habe ein Buch mit Bildern von Ballistitum und … Mama, wie heißt das kalte Gras?“ Florence sah mich auffordernd an. Für einen Moment musste ich in mich gehen, damit ich mein Kichern unterdrücken konnte. Ihre Wörter waren mal wieder ein Sammelsurium aus allem, was sie wusste.
„Du meinst Minze, min lille engel?“ eifriges Nicken ihrerseits und sie redete weiter auf Connor und Achilles ein.
Am heutigen Abend war es mehr als schwer beide Kinder zum Schlafen zu bringen, weil sie völlig aufgedreht waren wegen des Besuchs.
„Mama, habe ich noch mehr Brüder oder Schwestern? Mag Papa uns immer noch, obwohl Connor jetzt da ist? Bleibt er jetzt bei uns und wohnt auch hier? Darf ich ihm morgen mein Pferd zeigen?“ und so weiter und so weiter.
Ich unterbrach Edwards Redefluss, weil es den Anschein hatte, als reiße dieser Strom nie ab!
„Nein, du hast vermutlich sonst keine weiteren Geschwister, Papa hat euch immer noch lieb. Ob er hier bei uns wohnen wird, weiß ich noch nicht. Aber Master Davenport wird sicherlich noch eine Weile hier bleiben, damit dein Vater mit Connor ebenfalls trainieren kann. Und ja, du darfst morgen mit ihnen zu Darius, min lille skat. Aber jetzt… Schlaf!“ grinste ich ihn an und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Ich freu mich schon!“ hörte ich ihn noch glücklich sagen, als ich an der Tür stand.
Bei Florence hatte Haytham die Antworten bereits gegeben auf Fragen, die er kaum verstanden hatte.
„Mein Engel, Connor muss auch noch viel lernen und ich werde ihm dabei helfen. Gemeinsam mit Master Davenport. Und du kannst ihnen bestimmt morgen auch dein Kräuterkunde-Buch von Mrs Muller zeigen. Jetzt ist aber Schlafenszeit.“ auch sie bekam einen Kuss auf die Wange, ehe ich ihr noch gute Nacht sagte.
„Mama, bist du jetzt Connors neue Mama?“ erstaunt sah ich sie an.
„Nein, niemand kann eine Mutter ersetzen, min lille engel. Seine Mama ist in Valhalla und wartet auf ihn, so wie meine eigene Mutter auch. Das weißt du doch.“ ich gab auch ihr noch einen Kuss und ging dann leise hinaus. Ziio würde natürlich bei ihren Göttern sein, leider kannte ich mich nicht hinreichend in dieser Beziehung aus. Vielleicht sollte ich Connor einmal fragen, überlegte ich mir beim Hinausgehen.
Unten im Wintergarten wieder angekommen, ließ ich mich neben Haytham nieder, welcher mir ein Glas Portwein reichte.
„Die beiden Kleinen sind ja kaum zu bremsen.“ lachte Achilles und nippte an dem Glas Whiskey.
„Sie sind sehr neugierig, ich entschuldige mich, sollte es euch unangenehm…“ der Assassine ließ mich nicht ausreden.
„Ach wo, Kinder sollten viele Fragen stellen. Nur so können sie lernen und sich weiter entwickeln.“ sein Blick ging anerkennend zu Connor.
Der restliche Abend verlief friedlich und wir konnten ein wenig die politischen Dinge besprechen. Unter anderem ging es um die Aufkäufe von indianischem Land, was natürlich Connor wütend machte.
„Ich weiß, dass es dort draußen Menschen gibt, die einfach nur ihre Börsen füllen wollen. Aber ich kann doch nicht einfach dabei zusehen, wie mein Land an irgendwelche Fremden geht.“ dieser Gedanke war einfach grausam. Ich hoffte immer noch, dass ich Connor von William Johnson fernhalten konnte. Der junge Indianer sollte nicht Hand an ihn legen, weil ich es dem Schicksal, in meinem Falle aber auch meinem geschichtlichen Wissen, überlassen wollte. William würde bei einer Versammlung oder Verhandlung mit den indianischen Stämmen seinen Tod finden.
„Wir müssen versuchen, dem Ganzen einen Riegel vorzuschieben. Aber ich befürchte, ganz ohne Kämpfe und Blutvergießen werden wir nicht weiterkommen.“ seufzte Haytham neben mir.
„Nein, das sicherlich nicht.“ aus Achilles Stimme hörte man große Frustration. Er hatte schon so einiges miterlebt und vermutlich war er diese Machenschaften überdrüssig.
Gegen Mitternacht verabschiedeten wir unsere Gäste. Mein Vorschlag, dass Connor eines der noch freien Kinderzimmer und Achilles das Gästezimmer oben beziehen könnte, stieß auf keine Zustimmung. Ich hatte nämlich nicht bedacht, dass der alte Assassine nicht mehr so gut zu Fuß ist. Also wurde er kurzerhand in das Gästehaus im Erdgeschoss einquartiert. Auch Connor entschloss sich, dort zu schlafen, weil er seinen Mentor nicht alleine lassen wollte. Löblich und man sah diese doch recht enge Bindung der beiden.
In Haythams Ausdruck bemerkte ich, dass er ein wenig eifersüchtig wurde. Vorsichtig nahm ich seine Hand und drückte sie.
Lächelnd drehte er sich zu mir, als die beiden nebenan verschwanden.
„Es… ist ein merkwürdiges Gefühl, mi sol. Ich hatte mir oft versucht ein Bild zu machen. Der Traum damals konnte aber nicht ansatzweise mithalten. Der Junge… er sieht Ziio so unfassbar ähnlich.“
Auch für mich war es noch seltsam, gab ich zu.
„Vielleicht solltest du dir einen Moment mit Connor alleine nehmen, damit ihr… euch etwas besser kennen lernen könnt, mi amor.“ schlug ich leise vor.
„Das werde ich, versprochen.“
Wir gingen hinauf um uns für die Nacht fertig machen zu lassen, weil mir plötzlich die Müdigkeit in die Knochen fuhr.
Natürlich wurden wir von einem aufgeregten Edward geweckt, der fragte wo sein großer Bruder hin sei.
„Sind sie schon wieder weg? Warum habt ihr mir nicht Bescheid …“ maulte er am Bett stehend herum.
„Edward! Beide sind noch da, aber sie haben nebenan im Gästehaus geschlafen. Master Davenport kann nicht so gut Treppen steigen, da war es besser, dass er dort nächtigt. Und Connor wollte ihn nicht alleine dort lassen.“ in Haythams Stimme hörte man, dass er ein wenig gereizt war. Kein Wunder wenn man morgens einfach so überrannt wird.
„Entschuldige, das wusste ich ja nicht.“ kam es jetzt kleinlaut von unserem Sohn.
„Dann frag das nächste Mal vorher ordentlich nach. Und jetzt geh und zieh dich an.“ immer noch war mein Mann genervt.
Ich stand auf, stieg in meine Hausschuhe und warf mir den Morgenrock über.
„Du meine Güte, dass ist ja ein toller Start in den Tag und das noch vor meinem Kaffee.“ auch ich war etwas angefressen, weil ich nicht besonders gut geschlafen hatte.
„Dann solltest auch du zusehen, dass du dich ankleidest und dein Körper mit Koffein versorgt wird. Du bist unausstehlich, mi sol.“ sein leises Kichern hinter mir veranlasste mich, ihm einen bösen Blick zuzuwerfen.
Unten im Wintergarten saß bereits Achilles, aber keine Spur von Connor.
„Wo habt ihr euren Schützling gelassen, Master Davenport?“ fragte ich, während ich mich suchend umsah.
„Der Junge ist schon draußen bei den Ställen. Er war einfach zu neugierig, was ihr für Tiere habt und wie es hier im Hellen aussieht.“ der Assassine musste bei seiner Erzählung selber lachen. Da war also auch der ältere Spross meines Mannes ein wissbegieriger Mensch.
Schon kurz darauf erschien er bei uns und wir konnten das Frühstück beginnen. Mein Kaffee war mir aber schon zum Opfer gefallen und die zweite Tasse war in meinen Händen.
„Das sind wunderschöne Pferde, Vater. Der Stallmeister hat ein gutes Auge für die Tiere. Er hat mir berichtet, woran er erkennt, ob es einem Pferd gut geht oder nicht. Er ist gut zu ihnen!“ Connor war sichtlich angetan von dem Herren und unseren Reittieren.
„Darius ist besonders schön, nicht wahr?“ hörte ich Edward mit Nachdruck fragen.
„Oh, der Hengst gehört dir, oder? Ja, er ist wirklich fantastisch. Vielleicht lässt dich Vater ja mit mir ein wenig ausreiten. Du kannst mir ein wenig die Gegend zeigen?“ fragend sah er in die Richtung seines Vaters.
Dieser sah mit großen Augen auf seinen Ältesten, dann zu mir und antwortete dann mit einer so liebevollen Stimme, dass sicher nichts dagegen spräche.
Damit war es abgemacht, aber nur unter der Bedingung, dass zwei Wachen mit ritten.
Die nächsten Tage vergingen mit dem eigentlichen Kennenlernen.
Haytham nahm sich immer wieder Zeit, um mit seinem Sohn unter vier Augen zu reden. Es gab einiges, was erklärt werden musste oder besser gesagt werden sollte.
„Connor hat ein Recht darauf zu erfahren, wer den Überfall auf sein Dorf damals befohlen hat. Er scheint zu glauben, dass ich es gewesen sei. Du hattest mir ja schon von der Begegnung im Wald mit Charles berichtet und der Junge geht davon aus, dass ER auf meinen Befehl hin den Brand gelegt hat. Es ist einfach unfassbar! Niemand hat ihn aufgeklärt…“ seufzte mein Templer eines Abends, nachdem er erneut ein Gespräch mit Connor hatte.
„Dich hat man auch oft im Unklaren gelassen, mi amor. Deswegen war ich von Anfang an dafür, dass wir unseren Kindern gegenüber keine Geheimnisse haben sollte. Jeder hat ein Recht zu erfahren, woher er kommt und was mit unserer Familie los ist. Du kannst ihm jetzt in Ruhe alles erzählen. Vielleicht kann er ja auch noch etwas über Ziio berichten, wer weiß.“ ich hoffte es wirklich, dass die beiden sich so annähern konnten.
„Er erzählte mir vorhin, dass er heimlich in dem Tagebuch seiner Mutter gelesen hat und als sie ihn erwischte gab es großen Ärger (*). Danach hatte er nicht mehr das Bedürfnis mehr zu erfahren.“ in Haythams Stimme klang Belustigung mit. „Sie hat ihn, auch wenn es nur kurz war, zu einem guten Jungen erzogen, mi sol.“
Da konnte ich ihm zustimmen, den Rest hatten die Stammesmutter und Achilles übernommen. Im Grunde war Connor immer noch am Lernen und was das Training anging, so musste er auch noch einiges beigebracht bekommen.
Florence hatte sich Master Davenport auserkoren um ihm ihre Leidenschaft für die Kräuter näher zubringen. Wenn ich es nicht besser wüsste, dann könnte man meinen, der Großvater säße mit seiner Enkelin vor dem Kamin. Er hörte aufmerksam zu, wenn sie ihm die Bilder in ihrem niedlichen Kauderwelsch erklärte, oder wenn sie ihn mit sich zog, um ihm auf der Veranda ein paar kleine Pflanztöpfe zu zeigen.
„Master Davenport, wenn es euch zu viel wird, dann sagt mir das bitte. Unsere Tochter kann manchmal sehr anstrengend sein.“ sprach ich den Assassinen eines Mittags an, als er sich seufzend auf dem Sofa vor dem Kamin niederließ.
„Das macht mir nichts aus, Mrs Kenway. Ganz bestimmt nicht. Die Kleine ist in ihrem Element dabei und auch ich lerne noch etwas. Könnt ihr euch das vorstellen?“ lachte er, während ich ihm eine Tasse Kaffee reichte.
Endlich wurden die Temperaturen angenehmer und langsam begann der Frühling. Eine Wohltat wenn man mich fragte. Die Tage wurden wieder länger, es begann zaghaft zu blühen und mein Gemüt erhellte sich zusehends.
Es muss der 15. März gewesen sein, als wir gerade mit dem Mittagessen fertig waren und ein aufgeregter Bote in den Wintergarten stürzte.
„Master Kenway! In Boston gab es ein grausames Massaker! Es gab viele Verletzte und Tote…“ japsend stand er vor meinem Mann.
„Das ist ja schrecklich.“ Achilles war eingeweiht, weswegen er nicht sonderlich überrascht klang. Aber diese Nachricht stimmt einen bisweilen doch traurig und wütend zugleich.
„Weiß man schon, wer dafür verantwortlich ist?“ fragte Haytham mit einem Blick auf mich nach.
„Nein, es fiel ein Schuss bei einer Versammlung und… mehr weiß man nicht. Verzeiht, Sir, dass ich nicht mehr berichten kann.“ verlegen sah der Bote auf seine Füße. ER konnte ja nichts dafür.
„Nichts für Ungut, es ist ja nicht eure Schuld. Ich sehe aber, ihr habt ein Schreiben?“ mein Templer hielt seine Hand auf um den Brief entgegen zunehmen.
„Oh Verzeihung, Sir. Natürlich. Er ist von Master Lee!“ der junge Mann verbeugte sich tief und Haytham drückte ihm ein paar Münzen in die Hand, dann verschwand er wieder.
„Du hattest Recht, Alex.“ die Stimme meines Mannes klang erschüttert nachdem er die Zeilen von Charles gelesen hatte. „ER ist verantwortlich! Charles hat sich meinem Befehl widersetzt und ist nach Boston gereist. Seiner Meinung nach musste man diesen Rotröcken endlich ihren gerechten Platz zeigen! Herr Gott, sein Hass auf diese Soldaten muss grenzenlos sein! Damit hat er nicht nur ihnen, sondern auch noch der Bevölkerung Verluste beschert. Ich… bin fassungslos.“ ohne ein weiteres Wort stand er auf und verschwand in sein Arbeitszimmer.
„Alexandra, sollten wir deshalb nicht an dem Tag in Boston sein?“ fragte Connor leise nach, nachdem er sich vergewissert hatte, dass Haytham außer Hörweite war.
„Genau deshalb. Sonst hätte man eventuell DICH beschuldigt. Aber das kann ich dir nicht wirklich erläutern, es wäre halt so gewesen. Aber dass Charles sich gegen Haythams Befehl stellt ist schon etwas anderes. Dieser Mann macht was er will, wenn das so weitergeht reitet er den Orden hier in den Kolonien noch vor die Wand, verdammt.“ in mir kochte es auf vor Wut auf diesen Widerling.
„Du scheinst ebenfalls einen ganz persönlichen Hass auf ihn zu haben, habe ich recht?“ zögerlich kamen diese Worte von dem Jungen.
„Davon kannst du ausgehen, Connor. Er hat… also, er hat mich versucht zu vergewaltigen und hat mich gemeinsam mit Hickey vor Jahren entführt. Ich konnte mich aber befreien.“ ich begann die Geschichte von damals zu erzählen, erst etwas zögerlich, weil ich Angst hatte, Connor würde es nicht ganz verstehen. Die Geschichte mit July und dem Biss von Charles´ Köter berichtete ich auch. Bei dem Satz, dass Shay den Spitz einfach erschossen hat, grinste er mich an.
„Auch wenn mir das Tier leid tut, aber für Lee war es eine gute Strafe!“ diese Genugtuung in der Stimme ließ mich lächeln. Wir waren uns alle einig, dass dieser Hundefreund nirgendwo gerne gesehen war.
Zwei Tage später hörte ich aus der Eingangshalle laute Stimmen. Ich trat aus meinem Arbeitszimmer, wo ich gerade über ein paar neuen Routen mit Mr Hargreaves gebrütet hatte.
Unten sah ich ihn dann stehen. Charles Lee! Er diskutierte mit dem Diener darüber, dass er dringend mit Master Kenway reden müsse! Es gäbe wichtige Neuigkeiten!
Als er mich auf der Treppe bemerkte, grinste er überheblich zu mir hoch.
„Mit euch werde ich gewiss nicht solch wichtige Neuigkeiten besprechen, Weib. Also könnt ihr auch genauso gut wieder gehen.“ fauchte er in meine Richtung.
Was ER aber nicht bemerkt hatte, war, dass mein Mann bereits eingetreten war und hinter ihm stand. Haytham war mit Achilles und Connor auf der Plantage unterwegs gewesen.
„CHARLES!“ sprach er ihn laut an.
Erschrocken drehte sich der Angesprochene um.
„M...m...master Kenway! Ich… habe euch… gar nicht kommen hören!“ stotterte er mit hochrotem Kopf, weil er jetzt eine Standpauke zu befürchten hatte.
„Das habe ich bemerkt und jetzt sagt mir, was ihr in meinem Haus zu suchen habt. Ihr habt Hausverbot. Wisst ihr nicht mehr?“ mein Templer stand nur wenige Zentimeter von ihm entfernt und versuchte seine Wut zu zügeln.
Hinter Haytham waren Connor und Achilles jetzt eingetreten. In den Augen des jungen Indianers loderte eine Wut auf, welche ihres gleichen sucht! Ziio hätte einen ebensolchen Ausdruck ab und an gehabt, hatte mir mein Mann einmal erzählt. Jetzt hatte ich eine Vorstellung, wie das ausgesehen haben muss.
Auch Charles sah die beiden und ich mag mich täuschen, aber es schien, als würde er sich ducken wollen.
Weiter passierte aber nichts, da Connor sich unter Kontrolle hielt, genau wie sein Mentor und mein Mann.
„Folgt mir in mein Arbeitszimmer!“ befahl Haytham kalt und ging schnellen Schrittes voraus! Ein nervöser Lee folgte ihm etwas zögerlich.
Ich würde zu gerne Mäuschen spielen, ging es mir durch den Kopf. Vor allem fiel mir wieder der Elfenbeinstab ein, welchen ich ihm einfach nur zu zeigen brauchte. In meinem Kopf breitete sich eine Idee aus, wie ich diesen Idioten gebührend verabschieden würde! Vermutlich wuchsen mir gerade kleine Teufelshörnchen auf der Stirn und ich kicherte in mich hinein.
„Mrs Kenway, ihr scheint amüsiert zu sein, dass dieser Mann nun die Leviten gelesen bekommt.“ grinste mich Achilles an.
„Oh glaubt mir, ich freue mich wirklich darüber.“ mit erhobenem Haupt ging ich weiter hinunter und bat die beiden Herren mit in den Salon zu kommen. Vermutlich würde das Gespräch im Arbeitszimmer noch eine Weile dauern, hoffte ich zumindest. Mr Hargreaves verabschiedete sich mit den Worten, er wolle bei solch wichtigen Dingen nicht stören.
Bevor wir uns jedoch setzen konnten, hörten wir erneut lautes Stimmengewirr aus dem Eingangsbereich.
Dieses mal staunte ich nicht schlecht, es waren 6 Soldaten mit ihrem Kommandanten, welche um Einlass baten. Der arme Diener war sichtlich überfordert, weil schon wieder verlangt wurde, unverzüglich beim Hausherrn vorgelassen zu werden.
„Wir haben den dringenden Verdacht, dass sich hier der potenzielle Attentäter und sein Auftraggeber für das schreckliche Blutbad in Boston aufhalten!“ als man mich sah, verbeugten sich die Gentlemen selbstverständlich.
„Es tut mir leid, aber mein Gatte ist gerade in einem sehr wichtigen Gespräch. Leider kann ich auch nicht sagen, wie lange…“ in diesem Moment erschien besagter Hausherr und im Schlepptau hatte er einen zerknirschten Charles. Als dieser die Rotröcke sah, konnte man förmlich den Wunsch in ihm sehen, unverzüglich zu flüchten.
„Gentlemen, was kann ich für euch tun?“ fragte Haytham in seiner Rolle als Templer.
„Sir, uns ist zu Ohren gekommen, dass sich hier der Verursacher für den Anschlag in Boston verstecken soll. Wir müssen sichergehen, dass ihr ihn nicht beherbergt oder gar selber einer der Drahtzieher seid, Sir!“ immer diese so extrem höfliche Art, oft hatte ich damit noch meine Probleme.
„Und habt ihr auch eine Beschreibung des Herren? Vielleicht kann ich euch dann eher weiterhelfen?“ er bat den Kommandanten ihm zu folgen, während die anderen Soldaten sich wieder nach draußen begaben.
Leider blieb aber Charles wie angetackert hier stehen.
Ich ging einfach wieder zu den anderen und schloss demonstrativ die Tür, nachdem ich zwei unserer Wachen aufgetragen hatte, sie mögen ihn im Auge behalten.
„Das ging aber schnell.“ staunte Achilles.
„Zu schnell, wenn ihr mich fragt. Diese Nachricht kann sich doch gar nicht so zügig verbreiten.“ grübelte ich jetzt nach.
„So ungewöhnlich ist das nicht.“ Connor sah von mir zu seinem Mentor und nachdem wir ihn nickend aufforderten weiter zusprechen, erklärte er sich. „Es gibt berittene Boten, die schneller als normale Reiter Briefe und Nachrichten überbringen können. Außerdem sind sie gut darin, sich einfach in Luft aufzulösen, sollte es einmal brenzlig werden. Ich selber habe vor einigen Monaten auf meinem Weg zu Master Davenport zwei solche Männer gesehen. Sie bewegen sich völlig lautlos, sind schneller als das Auge sehen kann verschwunden und im selben Moment tauchen sie an einer anderen Stelle wieder auf.“ plötzlich kam mir der Gedanke an diese Ninjas wieder, die uns vor einiger Zeit auf unserem Weg von Mr Gillehand hierher überfallen hatten.
„Weißt du, wie ihre Kleidung aussieht?“ fragte ich nach, weil sie im Grunde ähnliches trugen wie Assassinen. Es musste ja eine leichte Robe sein.
Der junge Indianer bestätigte meinen Gedanken.
„Die Mäntel und Hosen gleichen denen der Ornate, Alexandra. Aber… es sind keine Assassinen. Das wüssten wir doch, oder nicht?“ in seiner Stimme klang Besorgnis mit, weil auch er sich bewusst wurde, dass da draußen nicht nur WIR agierten, sondern noch eine Vielzahl an Assassinen, Templer oder auch noch andere Gruppierungen.
„Ich dachte eher an Ninjas, weil ihre Kampftechniken auch anders sind. Wozu setzt man sie aber als Boten ein?“ im Grunde war es logisch, weil sie halt schnell waren und sich ihrer Umgebung auch schnell anpassen konnten. So verschwanden wichtige Dokumente seltener als mit einer Postkutsche (welche es so noch nicht gab!).
„Was ich mich aber noch frage, wo die Soldaten herkamen? Gibt es hier einen Stützpunkt in der Nähe?“ Achilles grübelte ebenfalls über diesen Vorfall nach. „Sie sahen nicht aus, als hätten sie einen längeren Weg hinter sich.“
Weiter östlich unserer Plantage hatten sich mehrere Einheiten niedergelassen, dass wusste ich von Mr Gillehand, welcher das nicht wirklich gut hieß. Diese Truppen brachten keine Sicherheit, im Gegenteil, man musste immer fürchten, dass sie einfach Nutzvieh mitnahmen, im Namen seiner königlichen Majestät.
Bei diesen Worten schüttelte Achilles traurig den Kopf.
„Es wird immer schlimmer und ich befürchte, dass wir kaum etwas ausrichten können.“ da hatte er leider recht, aber wir konnten ein wenig dagegen steuern.
Wieder hörten wir Stimmen aus dem Eingangsbereich, dieses mal aber keine lauten!
Wir drei traten aus dem Salon und ich sah noch, wie der Kommandant mit seinen Leuten frustriert wieder abzog.
„Und ihr Charles solltet euch für eine lange Zeit mehr als bedeckt halten. Es hat mich einiges an Überredung und Bestechung gekostet, dass man nicht euch beschuldigt! Die Beschreibung war EINDEUTIG! Ihr beschämt die Armee und den Orden, ist euch das eigentlich bewusst, Mann? Und jetzt, geht mir aus den Augen und finde ich euch noch einmal hier in der Nähe meiner Familie, dann Gnade euch Gott!“ erneut sah ich, dass Haytham sich nicht ganz unter Kontrolle hatte.
Seine Wut schwappte über, sein Atem ging schwer und seine Hand lag schon an seinem Dolch. Bei der kleinsten Bewegung von Lee würde er ihn zücken und das wäre das Ende von Charles! Doch wäre das jetzt so schlimm? Ja, weil er wirklich noch einen geschichtlichen, wenn auch eher peinlichen, Auftritt in dem Unabhängigkeitskrieg haben würde.
Mit einer tiefen Verbeugung in Richtung seines Großmeisters nuschelte er nur „Sir…“ und wollte sich gerade zum Gehen umdrehen, als ich unvermittelt den kleinen Stab aus meiner Rocktasche fischte und ihn ausgiebig inspizierte. So schnell konnten wir nicht schauen, wie Charles hinaus rannte und man ein Würgen hörte. Zufrieden sah ich mich um. Die Blicke der Herren waren durch die Bank weg belustigt. Das war meine Absicht gewesen.
„Böse, aber effektiv, Alex“ hörte ich meinen Mann leise sprechen.
Erwartungsvoll standen Achilles, Connor und ich jetzt vor ihm und hofften auf Erklärungen.
„Was seht ihr mich so an?“ fauchte Haytham plötzlich, drehte sich um und verschwand in seinem Arbeitszimmer. Er donnerte die Tür zu, was eigentlich eher untypisch für ihn war. Gerade noch bester Laune wie es schien und jetzt das?
„Ich befürchte, wir müssen Geduld haben, ehe wir erleuchtet werden, was alles besprochen wurde!“ seufzte der alte Assassine und ging wieder in den Salon.
„Dieser Lee ist einfach…“ Connor sprach nicht weiter, er schüttelte sich angeekelt, was mir persönlich als Erklärung völlig reichte.
Wir hatten immer noch mit diesen widrigen Umständen des beginnenden Krieges zu tun. Man las es in der Zeitung, die Nachbarn begannen sich zu sorgen, zu Recht wie ich betonen möchte. Es begann immer mehr zu brodeln, weswegen auch Achilles immer unruhiger wurde.
Im Sommer diesen Jahres, es war August mittlerweile, zog es den alternden Assassinen wieder in seine Siedlung. Connor folgte ihm fürs erste, weil er dem alten Mann zur Hand gehen wollte.
„Vater, ich verspreche, ich werde weiter trainieren und mich nicht mehr so leicht von Neuigkeiten beeindrucken lassen. Es scheint, als würden diese Zeitungsschreiber versuchen, die Menschen in eine bestimmte Richtung zu schieben. Auch wenn es nicht der Wahrheit entspricht. Aber warum stoppt man diese Art der Berichterstattung nicht einfach. Die wirkliche, die ECHTE Wahrheit muss verbreitet werden…“ Connor verstand wie so viele, auch ich gehörte in meiner Zeit und jetzt ebenso dazu, nicht, warum Lügen verbreitet wurden.
Natürlich versuchte man die Menschen auf eine perverse Art zu manipulieren! Ich möchte es nicht Propaganda nennen was dort geschah, aber das kam dem schon recht nahe.
„Connor, ich bitte dich lediglich darum, dass du hinterfragst was dir erzählt wird. Du musst nicht misstrauisch sein, sondern einfach nur die Information noch einmal hinterfragen, ob alles auch einen Sinn ergibt oder ob es Lücken gibt. DAS ist entscheidend. Nimm das geschriebene Wort nicht einfach so hin, sondern überlege, ob es wirklich so passiert sein kann.“ Haytham erklärte ihm genau das, was auch Edward IHM beigebracht hatte. Ein Lehrer oder Tutor bringt dir etwas bei, aber was wollte der Dichter zum Beispiel mit seinem Werk ausdrücken. DAS ist wichtig.
„Großvater hat mir dasselbe bereits gesagt.“ grinste der Junge breit. „Auch dir hat er diese Denkweise beigebracht.“
„Ich hätte mir denken können, dass Vater auch mit dir einige Unterredungen haben wird.“ das Gesicht meines Mannes erhellte sich, als er seinen großen Sohn in den Arm nahm um ihn zu verabschieden.
Wir standen auf der Veranda und winkten den beiden noch hinterher in ihrer Kutsche.
„Mama, kommt Connor wieder?“ fragte Edward neben mir und lehnte auf seine Arme gestützt an der Brüstung.
„Natürlich, min lille skat. Aber er muss auch an die Davenport Siedlung denken. Dort fehlt es an Handwerkern und Bewohnern allgemein. Vielleicht sollten wir Achilles einmal besuchen gehen?“ Die Augen meines Sohnes weiteten sich vor Freude.
„Auja! Dann kann ich Darius endlich auch mal richtig reiten und nicht nur über die Felder oder durch den Wald!“ er malte sich schon diesen kleinen Urlaub aus, leider musste ich ihn bremsen.
„Wir werden sehen, wann die Schule ein paar Wochen nicht stattfindet. Erst dann können wir dorthin, Edward. Es geht nicht, dass du einfach beim Unterricht fehlst.“ Bei diesen Worten ließ er die Schultern hängen und seufzte schwer.
„Also nie…“ enttäuscht stiefelte er Richtung Pferdestall… ich ließ meinen Sohn in Ruhe. Darius war in solchen Momenten oft der Ruhepol und brachte ihn wieder runter.
Wir hatten einen nicht ganz so heißen Sommer zu verzeichnen, aber die Überfälle nahmen zu. Manchmal waren es nur kleine Diebstähle aus Hühnerställen oder mal eine Schaufel Weizen aus dem Speicher.
Trotzdem fiel auf, dass sich diese kleinen Dinge immer mehr häuften. Aus der Zeitung war zu lesen, dass es Steuern gab, die sogar die Boten betrafen. Wer einen Brief zum Beispiel beförderte musste Seitenzahlen, Absender- und Empfängerort genauesten angeben. Meilen und Menge der Papiere wurden dann entsprechend ausgerechnet. Es artete ins Lächerliche aus!
Meine Briefe in die Niederlande, Frankreich oder auch zu Jenny verschiffte ich einfach mit den normalen Waren. Aber auch dort wurden wir immer öfter an entsprechenden Posten, dem mittlerweile einberufenen Zollstationen, untersucht. Es wurde immer schwieriger.
„Mistress Kenway, was haltet ihr davon wenn wir noch einige Schiffe oder Überlandkonvois so tarnen, dass sie lediglich normale Reisende befördern?“ Mr Gillehand, welcher auch schwer betroffen war, hatte mich vor ein paar Tagen diesbezüglich kontaktiert. „Auch für mich wird es immer umständlicher meine Korrespondenz unbehelligt von A nach B zu bekommen. Da muss man doch etwas unternehmen können.“
Natürlich könnte man da etwas machen.
Kurz darauf erschien mein erster Maat bei mir.
„Ich komme gleich auf den Punkt, Mr Hargreaves. Ich möchte, dass ihr versteckte Zwischenräume in die Jackdaw bauen lasst. Es sollte möglich sein, Briefe, Päckchen oder auch etwas größere Waren ungesehen zu verstauen. Ich denke da an die unterste Sektion, dort wo kaum jemand eine Inspektion starten würde. Und wenn doch, dann würde man – in unserem Falle – nichts vorfinden!“ ich hatte mir diesbezüglich schon Gedanken gemacht und legte ihm eine provisorische Zeichnung vor.
„Ich sehe…“ seine Hand strich über den Mund und er inspizierte meine Illustration. „Das ist etwas schwierig zu bewerkstelligen, aber nicht unmöglich. Gebt mir und den Zimmerleuten ein paar Tage, dann sollten wir entsprechende Hohlräume gebaut haben.“ Jetzt lächelte er mich verschmitzt an. „Und ja, auch ich habe schon darüber nachgedacht. Es wird immer etwas geben, was ungesehen von einem Ort zum anderen geschafft werden muss.“ Damit nahm der diese Zeichnungen an sich, verbeugte sich und wünschte mir noch einen guten Tag.
Damit hätten wir ein Problem, wenn auch nur kleines, gelöst!
Einige Tage später bekamen wir einen Brief, welcher von Kapitän James Cook geschickt wurde. So lädiert wie dieser Umschlag aussah, musste er Monatelang unterwegs gewesen sein und durch einige Hände gegangen sein.
„Ich habe schon länger nichts mehr von ihm gehört. Da fängt man an sich Sorgen zu machen. Ich bin gespannt, was er auf seiner diesjährigen Entdeckungsreise erlebt hat.“ Haytham war sichtlich erfreut von dem Herren zu lesen.
„Du meinst DEN James Cook? Der der auch Austra….“ ich hielt inne, weil ich gar nicht wusste, WANN Cook diesen Kontinent wirklich entdecken würde.
„Warum wundert es mich nicht, dass du auch diesen Herren bereits kennst, mi sol?“ grinste mein Mann mich an und wir gingen in sein Arbeitszimmer um die Zeilen zu lesen.
Tatsächlich war Kapitän Cook Anfang des Jahres aufgebrochen mit der Endeavour, hatte einige widrige Umstände welche Wetterbedingt waren zu meistern. Stolz berichtete er davon, dass er eine Inselgruppe entdeckt hätte, sich aber noch nicht sicher sei, wie er sie benennen sollte. An Bord sei ein Botaniker namens Solander, der sich mit den auf den Eilanden befindlichen Pflanzen beschäftigte.
… Was haltet ihr von dem Namen „Solander Islands“? Es würde den Herren ehren und ihn für immer verewigen…
Sein Enthusiasmus war in diesen Worten förmlich zu spüren.
Es ging aber noch weiter. Man sei eine lange Küste entlang gesegelt, welche schier kein Ende nehmen wollte. Die Temperaturen waren der Region angemessen, laut James. Warm, aber noch erträglich.
… Wir haben anscheinend einen, ich nenne es einfach mal so, neuen Kontinent entdeckt! Könnt ihr euch das vorstellen? Es gibt so vieles, was wir noch gar nicht erforscht haben oder noch finden müssen. In den nächsten Monaten werde ich mich daran setzen und mich mit diesem Land hier beschäftigen. Es scheint riesig zu sein…
Hier endete der Brief mit einem Gruß von Cook, dass er sich auf ein Wiedersehen freute, um alles genauestens berichten zu können. Das Datum war der 25. Mai 1770.
Australien! Er hatte es entdeckt. Ich sah immer wieder auf seine Worte, las sie vermutlich 3 oder 4 mal, weil ich mir sicher sein wollte. Aber er war südwärts gesegelt, es war eine Südseereise, wie er es bei seinem Aufbruch nannte. Außerdem kam mir der Name Solander bekannt vor.
Etwas zögerlich sprach ich Haytham auf meinen Verdacht an.
„Ich glaube, er hat tatsächlich Australien, den großen Kontinent am Äquator, entdeckt. Vermutlich greife ich jetzt vor, aber ich muss es loswerden. Man wird ihn kolonialisieren und er geht in britische Hände.“
Mein Templer musterte mich mit zusammen gezogenen Augenbrauen einen Moment.
„Hmmm, ich muss dir das glauben, weil ich noch nie von diesem Australien gehört habe. Vielleicht sollten wir aber noch nicht allen kundtun, dass Kapitän Cook so einen Erfolg hatte.“ gab er zu bedenken. Falls ich nämlich falsch läge, wäre es sehr unangenehm, für alle Beteiligten.
„Ich werde nichts sagen, versprochen. Aber es klingt aufregend, dass ich das miterleben darf!“ wie ein kleines Kind freute ich mich gerade.
„Das glaube ich dir aufs Wort.“ lachte Haytham, während er den Brief in eine Schublade legte.
Mitte des Monats bekamen wir Besuch von Master Johnson, welcher um eine dringende Unterredung bat. Auch er war betroffen von den vielen Steuern und suchte nach Geldquellen um weiteres Land aufkaufen zu können. Ich erinnerte mich, dass er es nur erwarb um die dort lebenden Eingeborenen schützen zu können. Leider würden sie es auch nur bedingt verstehen, wenn ich meinem geschichtlichen Wissen trauen konnte.
William und Haytham verbrachten einige Stunde im Arbeitszimmer, unterbrochen vom Mittagessen oder dem Abendessen.
„Die Lage für Master Johnson scheint ja ernster zu sein, als ich dachte.“ ich hatte meinen Mann etwas zur Seite genommen, während sich unser Besuch „die Füße“ vertrat.
„Wir planen uns in den Teehandel mit einzuklinken. So können wir über Steuern vielleicht zusätzlich die Kosten für den Landerwerb decken. William ist ja auch kein Millionär und der Orden kann nicht so große Summen zur Verfügung stellen. Wie du ja weißt, muss ich noch Reserven bereithalten für den Fall eines Krieges… Ja, er wird kommen, mi sol.“ unterbrach er seinen Redeschwall, als er sah, dass ich etwas erwidern wollte. „Ich weiß das, aber Jonathan zum Beispiel glaubt noch an den friedlichen Ausgang der Auseinandersetzungen.“
„Mi amor, aber wenn ihr darin investiert, verliert ihr bald eine Menge an Geld. Britannien wird eine immens hohe Teesteuer verlangen, welche die Kolonisten hier in ein paar Jahren nicht mehr hinnehmen werden. Der Aufstand ist vorprogrammiert! Genau wie Anfang diesen Jahres in Boston.“ flüsterte ich jetzt, weil ich sah, dass Master Johnson wieder ins Arbeitszimmer trat.
„Wir besprechen das später, Alex.“ Haytham war in seine Rolle als Großmeister geschlüpft, das Zeichen für mich, dass ich mich jetzt zurückhalten sollte bei dem weiterführenden Gespräch.
„Master Johnson, ihr entschuldigt mich? Ich muss mich noch um… einige Schiffsreparaturen kümmern.“ log ich ihm freundlich ins Gesicht und ging hinaus.
Für einen Moment atmete ich tief durch, als ich in der Eingangshalle stand. Es war bereits dunkel draußen, die Kinder waren im Bett und im Grunde hätte ich nichts weiter zu erledigen.
Also zog ich mir meinen Mantel über und ging hinüber zu den Pferdeställen. Der Anbau war groß genug für die 10 neuen Arbeitstiere, 5 weitere Pferde waren mittig der Plantage in einem kleineren Stall untergebracht. Dort beaufsichtigte unser Stallbursche, welcher jetzt Stallmeister war, die Tiere und deren Gesundheit.
„Mistress Kenway, kann ich euch helfen?“ Mr Mackenzie striegelte gerade Brida als ich eintrat.
„Danke, Mr Mackenzie, ich wollte mir nur die Beine vertreten und da dachte ich mir, ich schaue mal nach meinem Liebling.“
Fenrir stand in seiner Box, die frisch mit Stroh ausgefüllt war. Immer noch war ich fasziniert von diesem stolzen Hengst und betrachtet ihn mit einem verträumten Lächeln.
„Darius und Brynjolf geht es übrigens hervorragend. Master Edwards Reitkünste werden von Tag zu Tag besser. Ich freue mich schon, wenn ich der kleinen Miss Florence ebenfalls dabei helfen kann.“ in seiner Stimme klang ein klein wenig Wehmut mit. Er war nicht verheiratet und hatte auch keine Kinder. Vermutlich kompensierte unser Stallmeister das mit unseren Kindern, was uns nur zu Gute kam.
„Sie freut sich auch schon. Immer wenn sie bei mir mit reitet versucht sie die Zügel zu übernehmen.“ ich ließ lachend meine Hand über Fenrirs Hals streichen, welcher mich dabei anstupste.
„Dann wird es ja ein Leichtes ihr alles beizubringen!“ auch Isaac musste dabei kichern.
Mein Weg führte mich hinters Haus, wo ich in unserem Obstgarten nach dem Rechten sah. Nunja, es war dunkel, erkennen konnte ich also nicht viel und im November trugen die Bäume auch keine Früchte mehr.
Plötzlich nahm ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Alarmiert setzte ich meinen Adlersinn ein und siehe da, eine leichte rote Aura war auszumachen. Aber sie war nicht menschlich, sondern auf 4 Beinen und schlich zwischen den Bäumen und Büschen umher. Ich konnte nicht genau sehen, WAS es war, es könnte vielleicht ein Wolf sein. Langsam ging ich rückwärts um dieses Tier im Auge zu behalten. Wie war das noch? Keine hektischen schnellen Bewegungen, ging es mir durch den Kopf.
Mit einem Mal schoss dieses Tier auf etwas in seiner Nähe zu, ebenfalls auf vier Beinen aber in diesem neutralen Ton der Aura. Ein ohrenbetäubendes schmerzerfülltes Miauen war zu hören und der erste Gedanke war, dass Mina ja hier draußen herumstreunte.
Vorsichtig ging ich näher und als mich dieser vermeintliche Wolf bemerkte zuckte er zurück und sprintete in Richtung der Felder für den Eigenbedarf. Ich sah mich um, weil diese Tiere ja eigentlich nie alleine auftauchten, aber ich sah nichts, außer dem kleinen Fellknäuel zu meinen Füßen. Ohne groß darüber nachzudenken nahm ich es auf den Arm und ging hinein. Im Salon musste ich mit Schrecken feststellen, dass es tatsächlich Florences kleine Katze war. Ihre Flanke war aufgerissen und ihr lebloser Körper lag jetzt vor mir.
„Oh nein…“ ich begann zu weinen, dieser Anblick war fürchterlich. WAS aber hatte sie angegriffen. Eigentlich hatten wir hier noch nie einen Wolf gesehen und ich war mir auch nicht sicher, ob sie hier so verbreitet waren.
Gerade als ich mit unserer Katze hinaus in die Eingangshalle trat, kamen auch Haytham und William aus dem Arbeitszimmer.
„Was…“ mein Mann schritt schnellen Schrittes auf mich zu und betrachtete das blutende Fellbündel in meinen Armen. „Das kann doch nicht sein…“ flüsterte er.
„Ich glaube, es war ein Wolf, der sie angefallen hat…“ doch zu mehr ließ mich Master Johnson nicht kommen.
„Das glaube ich nicht, ich vermute dahinter einen Kojoten, der auf der Suche nach Beute hier herum streunerte. Wenn auch selten, reißen sie unter anderem auch Hauskatzen. Das Angebot an Nahrung ist ja in diesen kalten Tagen eher beschränkt.“ bedauernd sah er mich an.
„Wie soll ich das Florence morgen erklären?“ schniefend sah ich von einem zum anderen.
„Wir erklären es ihr ganz normal und werden Mina einen schönen Platz unter der Weideneiche geben. So hat unsere Tochter einen Ort, wo sie um ihre Katze trauern kann.“ Haythams Arm legte sich um meine Schultern, während William mir den Leichnam vom Arm nahm.
In ein Tuch gewickelt legten wir sie unten in den Vorratskeller, dort war es kühl, sicher und keine anderen Tiere konnten dort hin.
Am nächsten Tag nach dem Frühstück erklärten wir unserer Tochter, was sich letzte Nacht im Garten zugetragen hatte. Wie erwartet brach Florence in Tränen aus und klammerte sich an ihren Vater, der sie mit hinunter in den Keller nahm.
Eigentlich hatte ich ihn gebeten, der kleinen Maus die Katze nicht mehr zu zeigen, weil es kein schöner Anblick sei, aber er war der Ansicht, dass es für ihre Entwicklung wichtig ist.
„Mi sol, der Tod gehört nun mal zu unserem Leben. Auch unsere Tochter muss das lernen!“ sein Ton duldete mal wieder keine andere Meinung oder Ansicht.
„Haytham! Sie ist vier Jahre alt! Wie…“ begann ich, als er mir über den Mund fuhr.
„Florence wird es begreifen, glaub mir. Hätte Edward etwas ähnliches erlebt, würde ich genauso verfahren.“ es war zwecklos etwas logisches als Gegenargument zu bringen, weil mein Gatte „dicht“ gemacht hatte.
„Wie du meinst!“ zischte ich aus zusammen gebissenen Zähnen in seine Richtung und ging schon mal hinaus zur Weideneiche.
Die Beerdigung des kleinen Lieblings war untermalt von lautem Schniefen. Auch Edward liefen die Tränen über die Wange.
„Mama, kann ich sie nicht wieder…“ bevor er jedoch noch etwas sagen konnte, unterbrach ich ihn.
„Nein, das geht nicht. In diesem Falle müssen wir es so hinnehmen. Bei Walka war es etwas anderes.“ plötzlich lief mir eine kalte Gänsehaut über den Rücken, weil mir Bilder von dem Film „Friedhof der Kuscheltiere“ im Kopf herumspukten. Seltsamerweise ließ sich auch keiner der Götter blicken, geschweige denn hörte ich etwas von ihnen. Anscheinend war es wirklich endgültig mit Mina, so hart es klingt.
Der ganze Tag verlief trüb, wie das Wetter heute. Florence saß vor dem Fenster im Wintergarten und starrte in Richtung der Weideneiche. Wir konnten sie nicht einmal mit gemeinsamen Spielen aufmuntern und ich begann mir Sorgen zu machen.
„Min lille engel, wollen wir etwas zusammen malen oder …“ aber zu mehr kam ich nicht, sie schüttelte ihren kleinen Blondschopf und sah wieder hinaus.
Mir tat es in der Seele weh, meine Tochter so zu sehen. Ich selber hatte als ich klein war, eine Katze verloren, sie hatte sich im gekippten Fenster „aufgehängt“. Ich konnte meine Tochter sehr gut verstehen, aber sie war noch so klein und ich war mir nicht sicher, ob sie es wirklich schon verstand.
Am Abend brachte ich sie zu Bett und als ich ihr Schlaflied anstimmen wollte, fragte sie, ob ich es auch für Mina singen könne.
Natürlich tat ich ihr den Gefallen und hielt Florence dabei im Arm bis sie eingeschlafen war.
Bei Edward saß gerade noch mein Mann und versuchte ihn davon abzuhalten die tote Katze wiederzubeleben.
„Das darfst du nicht tun, mein Sohn. Das ist wider der Natur und wie deine Mutter schon sagte, bei Walka war es eine andere Situation.“ seine Stimme war ruhig, aber hatte einen feinen Befehlston inne.
„Flo ist aber so traurig! Ich will nicht, dass sie weint!“ traurig sah er von Haytham zu mir. „Mama, sag doch auch was!“
„Dein Vater hat Recht, min lille skat. In ein paar Wochen ist dieser Schmerz weniger und Florence wird wieder fröhlich sein. Das Leben geht halt einfach weiter.“ sprach ich leise, weil dieser Satz mir Tränen in die Augen steigen ließ. Nach dem Tod meiner Mutter hatte ich ihn zu oft von Freunden und Verwandten zu hören bekommen. Er war abgedroschen und eigentlich nur eine Phrase. Nichts weiter. Dennoch steckte ein Fünkchen Wahrheit in ihm.
„Wenn ich groß bin, dann ändere ich das.“ mit diesen Worten drehte er sich in seine Decke mit dem Rücken zu uns.
Zum ersten Mal in all den Jahren schickte er uns regelrecht hinaus. Keine Geschichte, kein Lied wollte er hören. Ihr könnt euch vorstellen, wie ich mich in diesem Moment gefühlt habe.
Trauriger als zuvor. Es tat mir weh!
„Mi sol…“ mein Mann kam hinter mir her, als ich in mein Arbeitszimmer gehen wollte. Für heute hatte ich keine Lust mehr auf Gesellschaft. Ich wollte einen guten Wein, ein Buch was mich ablenkte und alleine sein.
„Nein, ich brauche eine Auszeit, Haytham!“ meine Stimme war kaum hörbar, weil mir immer noch ein Kloß im Halse steckte und ich den Tränen nahe war.
Enttäuscht ließ er die Schultern hängen und ging ohne weitere Worte an mir vorbei hinunter. Noch jemand der mir nicht wohlgesonnen war heute. Toll.
Ich bat Magda mir den Wein zu bringen, als sie mich in mein Nachthemd gesteckt hatte.
„Mistress Kenway, der Tag war ja nicht sehr schön. Es tut mir aufrichtig leid.“ flüsterte sie, als sie mir meinen Morgenmantel reichte.
„Danke, Magda. Es kann ja nicht immer nur Sonnenschein geben, nicht wahr?“ ich versuchte ein Lächeln, aber es erstarb schon beim Gedanken daran.
Wie lange ich in meinem Arbeitszimmer am Kamin verbrachte, kann ich nicht sagen. Aber irgendwann war das Feuer heruntergebrannt und ich dämmte es noch ein. Dann ging ich leisen Schrittes hinüber in unser Schlafzimmer, wo mich niemand zu erwarten schien.
Auf der Galerie stehend, sah ich aus dem Salon noch einen Lichtschimmer und ging hinunter.
Vor dem Kamin saß mein Mann, versunken in einem Buch, ähnlich wie ich kurz zuvor auch.
„Darf ich hereinkommen?“ fragte ich zögerlich, weil ich nicht wusste wie ich anfangen sollte.
„Natürlich, es ist ja auch dein Zuhause.“ Bei Odin! Warum war dieser Mann manchmal so seltsam?
Es war noch warm hier und ich stellte mich vor den Kamin um meine Hände zu wärmen. Wie fange ich jetzt ein Gespräch an? Warum hatte ich ein schlechtes Gewissen? Verdammt noch mal!
„Alex, ich weiß, dir gefällt meine Einstellung nicht, was die Erziehung im Bezug auf den Verlust von Haustieren angeht. Es ist aber und das musst du zugeben, ein normaler Prozess im Leben. Auch unsere Kinder werden sich dem stellen müssen. Je früher, desto besser. Sie müssen sich dem stellen können und lernen damit umzugehen! Ich will sie nicht zu eiskalten Monstern erziehen, aber wenn es zu diesen Aufständen und dem späteren Krieg kommen wird, sollten sie mit solchen Dingen vertraut sein!“ für einen Moment sah ich ihn an, weil er im Grunde ja Recht hatte.
„Trotzdem! Florence ist noch zu jung, um das überhaupt zu begreifen. Warum musstest du ihr den toten Körper von Mina noch zeigen, war das auch zu Lehrzwecke? Das geht dann doch zu weit, finde ich.“ ich erinnerte mich an das Sezieren von Fröschen an unserer und auch Yannicks Schule. Für mein persönliches Empfinden, muss man mit so etwas nicht konfrontiert werden.
„Und wie hättest du es unserer Tochter erklärt, wenn SIE Mina gefunden hätte? Sie wäre dann sicherlich noch mehr erschrocken, weil die Katze einfach so draußen in den Büschen lag. Glaub mir, es ist besser so sie aufzuklären.“ Haytham hatte sich erhoben und kam zu mir herüber. „Lass uns den beiden bitte die Wahrheit über Leben und Tod erklären. Unsere Kinder können mehr verkraften als du annimmst. Sie wachsen nicht in deiner Zeit …“ plötzlich wurde ich bei diesem Ansatz wütend.
„Ach, du glaubst also, ich bin verweichlicht großgezogen worden? Immer noch gehst du davon aus, dass ich all das hier nicht einfach so wegstecken kann, wie ihr hier?“ fauchte ich ihn an.
„Herr Gott, Alex. Dreh mir doch nicht das Wort im Munde rum. Du selber hast gesagt, dass es friedlicher bei euch zuging und man nicht immer mit Kriegen, Verlusten und ähnlichen Ängsten wie das nackte Überleben konfrontiert war. Natürlich hast du deswegen eine andere Einstellung, dass spreche ich dir ja auch nicht ab. Bedenke aber, wir müssen wissen, dass die Kinder nicht gleich aufgeben, sobald sie mit solchen Dingen in Kontakt kommen.“ vorsichtig legten sich seine Arme um meine Taille.
„Oh man, ja ich weiß ja…“ seufzend legte ich meinen Kopf auf seine Brust. Ja, er hatte Recht. Es fiel mir aber auch nach 8 Jahren noch schwer mich an diese Gepflogenheiten zu gewöhnen. Auch ich würde mich bald einem Krieg stellen müssen, welcher uns die Angst lehren wird, alles zu verlieren.
Ein leises Glucksen war zu vernehmen.
„Ich finde deine Ausdrucksweise hin und wieder immer noch faszinierend.“ langsam hob er mein Kinn an und gab mir einen vorsichtigen Kuss. „Bitte, wir werden gemeinsam weiter zusammen wachsen und die Kinder ebenso. Hab auch du ein wenig mehr Vertrauen in mich in solchen Momenten!“
Stumm nickte ich und schmiegte mich in seine Arme. Meine Wut und die Trauer ebbten langsam ab und machten Platz für … eine unerwartete heftige Müdigkeit, welche mich herzhaft gähnen ließ.
„Wir sollten zu Bett gehen, mi sol. Der Wein hat dich wohl ein wenig müde werden lassen.“ er drehte mich Richtung Tür und gab mir einen Klaps auf den Po. „Verführerisch wenn du in deiner Nachtwäsche so vor mir hergehst.“ ich konnte seine dunklen Augen auf meinem Hintern regelrecht spüren.
„Du hast es aber erfasst, ich bin müde, mi amor. Das Bett ruft nach mir.“ kicherte ich leise.
Ich weiß noch, dass ich angekuschelt an meinen Mann einschlief und in einen traumlosen Schlaf glitt.
Das diesjährige Silvesterfest verbrachten wir bei unserem Advokaten, welcher mittlerweile zum Richter berufen worden war.
Wir konnten also auch darauf mit ihm anstoßen.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich so schnell hier Fuß fassen könnte.“ diesen Satz ließ er nicht nur einmal an diesem Abend verlauten!
„Wir gratulieren euch auch noch einmal zu dieser großen Leistung, Master Gillehand. Auf das ihr noch lange dieses Amt bekleiden werdet.“ wir erhoben die Gläser und ein einvernehmliches „Hört! Hört!“ kam von allen Gästen gleichzeitig.
Das kleine Feuerwerk bestaunten wir in diesem Jahr mit ein wenig Schnee. Odin sei Dank hatte es noch nicht zu heftig geschneit.
Plötzlich zupfte jemand an meinem Rock.
„Mama, das ist laut.“ jammernd stand Florence vor mir. Ich hob sie hoch und wir standen andächtig bei den anderen und bestaunten die bunten Lichter. Wie jedes Jahr fiel es mir schwer die Tränen zu unterdrücken. Es war doch ein Fluch mit dem Jahreswechsel.
„Bist du taurig?“ flüsterte meine Tochter in mein Ohr.
„Nein, eigentlich nicht. Aber es ist so schön, dass ihr alle bei mir seid. Manchmal weint man auch, wenn etwas sehr schön ist, weißt du min lille engel.“ in ihren Augen sah ich, dass sie überlegte, was ich meinen könnte.
„Mein kleiner Engel, du bist ja einfach wieder aufgestanden. Das war aber gefährlich, dass du alleine…“ Haytham konnte nicht weitersprechen, als ich auf Sophia deutete, welche etwas abseits stand und zu uns hinüber schaute. „Oh, ich verstehe.“
Gemeinsam gingen wir zu dem Kindermädchen um auch ihr ein frohes neues Jahr zu wünschen.
„Ich danke euch, Master Kenway, Mistress Kenway. Und ich möchte noch einmal sagen, dass ich sehr froh bin, für euch arbeiten zu können. Nicht wahr kleine Miss?“ lächelnd mit einem Glitzern in den Augen sah sie ihren Schützling an.
Florence jedoch gähnte herzhaft an meiner Schulter und war im Begriff einzuschlafen.
„Wir sind auch dankbar, euch diesen Posten gegeben zu haben.“ sprach ich leise, damit unsere Tochter gar nicht erst wieder munter wurde.
Die beiden gingen jetzt hinauf und ich sah ihnen lächelnd hinterher.
„Ohne Sophia oder Sybill wären wir oft aufgeschmissen, mi amor.“ mein Kopf lehnte an Haythams Seite.
„Die beiden sind Goldwert, mi sol.“ sein Kuss schmeckte nach dem gerade gereichten Champagner und ich kostete ihn ausgiebig.
Genauso wie ich meinen Mann entsprechend genoss in dieser Nacht.
Der Morgen war zu früh angebrochen für meinen Geschmack. Mein Kopf fühlte sich benebelt an, mein Mund war zugeklebt und mein Hintern fühlte sich sehr warm an.
„Guten Morgen, mi sol. Das neue Jahr wartet auf uns. Aufstehen!“ hörte ich meinen Templer neben mir freudig sagen.
„Das kann noch warten.“ nuschelte ich in die Kissen und drehte mich wieder um.
„Nein, das Frühstück ist sicherlich gleich fertig. Hopp!“ ein Klatschen seiner flachen Hand auf meinem Po war mein Stichwort.
„Bei Odin, sei doch nicht immer so gemein.“ ich pellte mich aus dem Bett und saß für einen Moment schweigend auf der Bettkante. „Wasser, ich brauche etwas zu trinken.“ auf dem Nachttisch hatte ich mir schon ein Glas zurechtgestellt. Auch wenn der Inhalt eiskalt geworden war über Nacht und damit meine Zähne klappern ließ.
„Gleich bekommst du heißen Kaffee, das versöhnt dich hoffentlich dann wieder.“ grinste mein Templer mich an.
Wir verbrachten noch zwei Stunden bei Master Gillehand, weil es doch noch geschneit hatte und die Kutschen entsprechend gerüstet werden sollten. Mit den Kindermädchen hatte ich Edward und Florence dick eingepackt und mich auch gleich mit. Nur Haytham schien mal wieder die Kälte nicht zu bemerken, er ließ es sich zumindest nichts anmerken.
Gerade als wir in unser Gefährt stiegen, hörte ich einen freudigen Schrei meiner Tochter.
„Da, eine Katze…“ in Windeseile hatte sie sie auf dem Schoß und streichelte sie.
Das Tier war nicht sehr groß und sah etwas verwildert aus. Dann bemerkte ich die tränenden Augen.
„Min lille engel, die Katze scheint einen Schnupfen zu haben. Lass sie lieber hier, damit Master Gillehand…“ entsetzt sahen mich grüne funkelnde Augen an.
„Nein, ich passe auf!“ es war jetzt an mir erstaunt zu schauen.
Haytham neben mir nickte mir zu.
„Versprich mir mein kleiner Engel, dass du wirklich auf sie aufpasst. Vielleicht kannst du ja bei Mrs Muller nach ein paar Kräutern fragen, damit sie wieder gesund wird.“ sein Blick glitt von der Katze, zu Florence und dann zu mir. Damit war ich einverstanden und nickte erleichtert, weil wir uns einig waren.
Den gesamten Weg über wurde das wuschelige Tier gestreichelt, bekam Geschichten zu hören oder man sang ihr vor.
Siehst du, ihre Trauer ist verflogen. Hörte ich Haytham in meinem Kopf.
Es ist schön zu sehen, dass sie wieder glücklich ist.
Sogar Edward ließ es sich nicht nehmen, die Mieze auch mal auf den Schoß zu nehmen und ausgiebig zu streicheln.
So begann unser 1771 glücklich, was mich unendlich beruhigte. Florence konnte wieder lächeln und verbrachte die nächsten Tage oft mit Mrs Muller, welche ich hatte rufen lassen.
„Dieser Katzenschnupfen ist sehr lästig für das arme Tier, aber ich denke, wir bekommen das schon wieder hin. Was meint ihr Miss Florence?“ Unsere Kräuterkundlerin war uns mehr als willkommen, weil sie für vieles, was auch ich nicht wusste, ein Mittel hatte. Sie alle halfen, wenn auch nicht so schnell wie die Medikamente in meiner Zeit.
Nach ungefähr drei Wochen ging es unserer neuen Mitbewohnerin wieder gut und erst jetzt fiel mir ein, dass sie ja auch einen Namen brauchte.
„Min lille engel, wie soll denn deine Katze jetzt heißen?“ fragte ich eines Morgens nach dem Frühstück, als sich das Fellknäuel hier im Wintergarten vor dem Kamin zusammengerollte hatte.
Für einen Moment herrschte Stille. Ihr Blick ging zu der schlummernden Katze, dann wieder zu mir.
„Ida, Mama.“ flüsterte meine Tochter.
„Der ist schön, wie kommst du darauf?“ Aber meine Frage wurde nicht beantwortet, sondern Florence schlängelte sich von meinem Schoß und legte sich neben Ida.
Vermutlich werde ich nie eine Erklärung bekommen.
Lächelnd und zufrieden ließ ich die beiden alleine und ging hinauf in mein Arbeitszimmer.
Es war in letzter Zeit einiges liegen geblieben, wie ich mir frustriert eingestehen musste.
Am späten Nachmittag, es war schon wieder fast dunkel, traf ein Bote ein mit einer eiligen Nachricht aus Davenport.
Mein Herz setzte für einen Moment aus, weil ich schlechte Kunde befürchtete.
„Nein, es ist nichts passiert, mi sol. Du kannst beruhigt sein.“ aber auch in Haythams Stimme klang Erleichterung mit. „Connor warnt uns, Hickey noch weiter zu unterstützen. Er hat von einem Informanten erfahren, dass er seinen Schmuggel und die Schwarzmarktgeschäfte gefährlich weit ausgedehnt zu haben scheint. Die Briten sind hinter ihm her, aber auch die Soldaten der kontinental Armee. Verdammt noch mal, dieser Mann entwickelt sich, neben Charles, zu einer Plage! Ich kann ihn schlecht beschützen. Seine Geschäfte haben mit mir und dem Orden im Grunde nichts zu tun, sie dienen ja lediglich dazu Informationen zu beschaffen.“ er war ins Grübeln verfallen bei diesen Worten.
Wenn ich mich nicht täuschte, würde Thomas in 5 Jahren am Galgen landen wegen Schmuggelhandel, Geldfälscherei und Verrat.
„So lange kann ich ihn aber nicht vor der Justiz schützen!“ da hatte er Recht, also musste er Thomas vorerst sich selbst überlassen. „Ich werde nach New York reiten und ihn auch noch einmal persönlich warnen! Vielleicht kommt er ja doch noch zur Vernunft.“
Mein abfälliges Lachen blieb nicht unbemerkt.
„Ich weiß, du magst ihn nicht, aber das war unangebracht.“
„Er wird nicht auf dich hören, Haytham. Er wiegt sich in Sicherheit, glaub mir. Seine Leute sind um ihn herum und halten das Schlimmste von ihm fern. Lass ihn machen, er reitet sich selber in die Sch… entschuldige. Außerdem… wird Connor noch dafür sorgen, dass er seine gerechte Strafe bekommt.“ In kurzen Worten schilderte ich noch einmal, was später passieren würde.
„Das gefällt mir auch nicht wirklich.“ seufzte er als er bemerkte, dass er kaum eine andere Wahl hatte. „Gut, ich werde Achilles und Connor schreiben, dass sie Hickey ebenso noch im Auge behalten sollen. Sollte es zu größeren Katastrophen kommen, dann schreiten wir ein.“
Mein Geburtstag fiel dieses Jahr auf einen warmen sonnigen Tag und wir genossen gutes Essen und guten Wein auf der Terrasse. Elias war mit Gattin erschienen und sogar Jennifer hatte es rechtzeitig geschafft uns besuchen zu kommen.
Elias war aber nicht nur mit guten Neuigkeiten erschienen, auch Jennifer berichtete nichts gutes aus England.
Wir bekamen hier den Unmut der Kolonisten immer mehr zu spüren, die Steuern waren, wenn man sie nicht geschickt umgehen konnte, eine Farce! Steuern auf ALLES was zum Beispiel auch den täglichen Bedarf anging. Ob wir ihn nun nach Europa verschifften oder wir hier etwas kauften, was aus Britannien kam. Ganz zu schweigen von der für mich immer noch absonderlichen Steuer auf Druckerzeugnisse!
Mittlerweile hallte die Parole der aufgebrachten Kolonisten „No taxation without represantation“ (Keine Steuer ohne politische Mitwirkung) durch die Straßen der Städte.
Von einigen Freunden in New York hatten wir erfahren, dass man ihnen auferlegt hatte, britische Soldaten bei sich aufzunehmen, weil in den Garnisonen nicht ausreichend Platz sei und sie in ihrer Pflicht als britische Bürger dazu verpflichtet seien.
„Ich verstehe das einfach nicht! Es sind ja noch nicht einmal nur Briten dort, sondern auch Deutsche oder Italiener. Wie kann man bitte auch von denen solche Gelder erpressen?“ hakte ich mal wieder nach, auch wenn mir niemand darauf eine befriedigende Antwort geben konnte.
„Der Aufstand wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.“ warf Elias seufzend ein. „Auch ihr müsst euch hier weiter darauf vorbereiten. Die Schlachten werden nicht immer so weit entfernt ausgefochten. Aber das weißt du ja, mein Kind.“ sein Blick war betrübt, weil auch in Philadelphia nicht alles zum Besten bestellt war. Dort brodelte es auch hier und da und die Wut der Bürger war deutlich zu spüren.
„Die Söhne der Freiheit sollten in naher Zukunft aktiver werden. Wir brauchen eine Armee und keine Bauern die sich selbst verteidigen müssen.“ Haytham kannte meine Ausführungen über den Unabhängigkeitskrieg und hatte sich, zu meinem Leidwesen, einige Male mit Lee getroffen um ihn in die neu einberufene Kontinental-Armee einzuschleusen. Er selber hatte einige Versammlungen des Kongresses mittlerweile besucht um sich ein Bild von den Fortschritten zu machen.
„Daniel und ich haben uns aus einigen Kreisen bereits zurück gezogen und versuchen möglichst unsichtbar zu bleiben. Wir haben von einigen Inhaftierungen gehört, welche einfach nur auf einen Verdacht fußen. Man könnte meinen, King George hätte den Verstand verloren allmählich.“ Jennifer sah mich kopfschüttelnd an. Im Grunde war es so, dass der König – verzeiht den Ausdruck – aber nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. Und das war nur der Anfang seiner geistigen Umnachtung!
Ein paar Tage später setzten wir uns alle mit einem Architekten zusammen um ein neues Projekt hier auf der Plantage in die Tat umzusetzen.
Wir wollten in die Tiefe bauen! Unsere geldlichen Möglichkeiten waren solide und so konnten wir entsprechende Pläne ausarbeiten. Im Grunde wäre es ein großangelegter Keller, welcher sich nicht direkt unter dem Haupthaus sondern etwas weiter weg in der Nähe der Felder für den Eigenbedarf befand. Der Eingang sollte von einem der Lagerhäuser am Fluss aus zugänglich sein, ein weiterer würde in unserem hiesigen Keller liegen und der dritte dann unscheinbar in einem Schuppen in der Nähe des Feldes. Dort lagerten Werkzeuge und Handwerkszeug für die Bauern.
Nach 5 Tagen stand ein erster Plan.
„Diese Ausmaße sind aber nicht innerhalb von ein paar Wochen zu schaffen, Master Kenway.“ gab der Architekt zu bedenken. „Wir werden einige Monate brauchen befürchte ich. Ihr solltet mit mindestens 5 Monaten rechnen. Dabei gehe ich von guten Wetter- und Untergrundbedingungen aus.“
„Ich hatte tatsächlich mit einem Jahr gerechnet.“ wir hatten wirklich in größeren zeitlichen Dimensionen gedacht. Umso erleichterter konnten wir mit der neuen Berechnung sein.
„Und jetzt weiß ich auch, wer diese Tunnel und Lagerräume hier errichtet hatte.“ lächelte ich die Umstehenden Personen an, sie alle, sogar der Architekt, waren über meine Zeitreisen informiert. „Dieses Portal in der Zukunft ist nämlich genau dort unten.“ Diese Erinnerung der Dame damals im Gefängnis erschien vor meinem inneren Auge.
Somit beschlossen wir mit dem Bau bald möglichst zu beginnen und stießen auf dieses große Vorhaben noch an.
In 3 Wochen sollten die Bauarbeiter anrücken und ihre Arbeit aufnehmen. Der Architekt selber wird in der ganzen Zeit ebenfalls hier wohnen. Platz war zu genüge da, versicherte ich dem Herren immer wieder, welcher sich schon in den Arbeiterquartieren einrichten wollte.
Pünktlich Anfang Juni erschienen alle hier und begannen mit den ersten Spatenstichen. Gebannt sah ich eine Weile zu, weil ich es überaus interessant fand, wie man mit diesen einfachen Mitteln solche „Wunder“ bewirken konnte.
Natürlich war es harte körperliche Arbeit, keine Frage und die Männer auf der hiesigen Baustelle mussten bei guter körperlicher Gesundheit sein. Aber ich sah, dass man tüchtige Herren gefunden hatte und – das war mir und Haytham am wichtigsten gewesen – KEINE Sklaven! Es gab Italiener, Deutsche, Spanier und auch Franzosen. Diese hatten sich von ihrem Militärdienst losgesagt, weil sie keinen Sinn im Krieg sahen. Leider wurden die Männer am Anfang trotzdem schief angesehen, das legte sich aber nach den ersten gemeinsamen Tagen.
Über William Johnson hatten wir noch vertrauenswürdige Briten anheuern können, welche im wahrsten Sinne des Wortes, vor Haytham und mir einen Eid ablegen mussten, Stillschweigen zu bewahren und nicht bei der erst besten Gelegenheit ihrem König von solchen Geheimaktionen zu berichten.
„Wir haben kein Interesse an den ungerechten Machenschaften unseres Königs. Wir können unseren Lebensunterhalt kaum bestreiten aufgrund der Steuern. Meine Frau und meine Kinder haben oft nichts zu essen, weil wir es uns einfach nicht leisten können. Aber jetzt kann ich ihnen immer etwas Geld schicken.“ der Herr verbeugte sich tief und in seinen Augen sah man die Aufrichtigkeit seiner Worte.
Um die Gänge im Untergrund zu stützen wurden zunächst Holzbalken verwendet und wenn ein gewisser Abschnitt fertig gestellt war, wurde der Bereich mit Backsteinen ausgekleidet.
Die erste Lieferung Mitte Juli kam auch unbeschadet hier bei uns an aus Boston. Der Kapitän des Handelsschiffes jedoch betonte, dass diese Menge an Steinen bereits für Aufsehen gesorgt hatte.
„Mistress Kenway, ich schlage vor, ihr solltet in unregelmäßigen Abständen kleinere Menge in Auftrag geben, auch wenn dadurch ein Verzug im Bau entsteht. Leider erregt ihr so die Aufmerksamkeit einiger königstreuer Bürger und Soldaten, die im Hafen zum Beispiel Patrouille laufen.“ sein Blick glitt auch zu meinem Mann.
„Wir werden wohl nicht drumherum kommen, nehme ich an.“ seufzte mein Templer und setzte sich an dem Abend gleich noch einmal mit dem Architekten zusammen.
Mindestens 2 weitere Monate würden ins Land gehen, bis alles fertig wäre. Trotzdem war dies kein Weltuntergang, denn schließlich hatten wir keinen echten Zeitdruck. Wir machten ihn uns selber.
Somit kamen häufiger kleine Mengen hier an, abwechselnd über Land und Fluss. Wir sorgten außerdem dafür, dass nie dieselben Lieferanten und Händler involviert waren! Kein leichtes Unterfangen und dieser Bau beanspruchte einen Großteil unserer Zeit.
Leider litten die Kinder darunter, die immer wieder zu kurz kamen. Mein schlechtes Gewissen versuchte ich zu beruhigen, indem ich mir mit Haytham einen Tag in der Woche nahm, an dem wir etwas mit den beiden unternehmen konnten.
„Mi sol, das passt mir aber gerade nicht in den Zeitplan. Ich muss noch …“ mein hochgezogene Augenbraue sollte reichen, ihn an seine Pflichten als Vater zu erinnern. „Schon gut, ich habe verstanden.“ hörte ich etwa Trotz in seiner Stimme?
„Die beiden brauchen aber diese Momente mit uns. Wir haben so wenig Gelegenheiten derzeit mit ihnen etwas zu unternehmen. Und sieh, es ist ein Tag. Danach kannst du gerne wieder zu den Maulwürfen gehen.“ Wir hatten den Männer unter Tage diesen Namen gegeben, damit auch die Kinder wussten, was hier eigentlich passierte. Haytham ließ es sich nämlich nicht nehmen regelmäßig dort nach dem Rechten zu sehen.
Heute also, es war der 25. August, trafen wir uns beim Versammlungshaus erst zur Andacht und danach sollte noch ein Barbecue stattfinden. Heute ruhten auch die Arbeiten an den unterirdischen Räumen, in Folge dessen war kaum noch ein Sitzplatz zu bekommen, was aber Mr. Hathaway nicht davon abhielt seine einstündige Ansprache zu halten.
Mein Blick glitt über die ganzen Menschen um mich herum, während wir gemeinsam um die Feuer saßen. So viele unterschiedliche Sprachen und Religionen trafen hier auf einander, aber man verstand sich auch ohne vieler Worte hatte ich den Eindruck.
Gegen Mitternacht machten Haytham und ich uns auch auf den Weg zurück, die Kinder waren schon früher mit ihren Kindermädchen nach Hause gefahren.
Im Bett lag ich noch eine Weile wach und sinnierte über die neuen Fortschritte.
„Mi sol, versuch jetzt zu schlafen.“ flüsterte er in meine Haare, während er mich zu sich zog.
„Das sagst du so einfach. Es ist ein großartiges Gefühl, dass wir etwas vorantreiben und erreichen können. Nicht nur für uns, sondern auch für andere.“ sprach ich leise, als ich an ihn gekuschelt war.
„Ich hoffe immer noch, dass es auch reichen wird.“ ich hörte diese Skepsis in seiner Stimme.
„Es wird nie genug sein, mi amor. Leider. Aber tatenlos herumsitzen wäre noch schlimmer.“ so langsam überkam mich jetzt die Müdigkeit und ich schlang mich um meinen Templer.
„Das könnte ich auch gar nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, mi sol.“ er hauchte mir noch einen Kuss auf die Stirn und langsam glitten wir in unseren Schlaf.
In der Nacht des 29. Septembers hatte es ein heftiges Unwetter gegeben und einige Bereiche unseres Tunnelsystems standen unter Wasser. Teilweise waren Gänge etwas abschüssig und somit staute sich das Wasser entsprechend.
Am Mittag des darauffolgenden Tages spürte man eine leichte Erschütterung der Erde und für einen kurzen Moment hatte ich die Befürchtung ein Erdbeben würde sich ankündigen. Doch die Entwarnung kam kurz darauf durch einen Vorarbeiter.
„Master Kenway! Master Kenway!“ rief er, als er auch schon ohne auf Einlass zu warten, in das Arbeitszimmer meines Mannes stürzte. „Es gab heftige Wassereinbrüche, die die Wände aufgeweicht haben und dadurch sind mehrere Gänge eingestürzt!“ rief er und gestikulierte heftig mit den Armen.
„Bei Gott! Gibt es Tote und Verletzte?“ dabei hatte sich Haytham bereits erhoben und seinen Gehrock gegriffen.
„Sir, wir versuchen in diese Sektionen zu gelangen, aber die Erdmassen sind vollgesogen und nur schwer beiseite zu schaffen. Wir arbeiten daran!“ beide Herren eilten jetzt nach draußen und ich folgte ohne Worte!
Die Angst, dass es Tote bei diesem Unterfangen gab, brachte mir eine Gänsehaut.
Bei der Unfallstelle oder besser beim Ort des Geschehens angekommen, stieg mein Templer mit dem Vorarbeiter hinunter und hieß mich, oben zu warten. Verdammte Axt! Ich hatte natürlich – nur – ein Kleid an, damit wäre ich kaum eine Hilfe.
Ich sah mich hier bei den Umstehenden Damen und Herren um. Einige Frauen lehnte weinend an der Schulter einer anderen oder weinten hemmungslos.
Es waren natürlich deren Ehemänner und auch einige Söhne dort unten am Arbeiten und nicht mehr heraufgekommen. Ihre Angst, dass sie sie vor wenigen Stunden das letzte Mal gesehen haben, ließ mich zittern.
Einer der Tunnelgräber, welcher nass und voller Schlamm bedeckt, ebenfalls hier stand sah ebenfalls ängstlich zum Eingang. Ich nahm mir ein Herz und sprach ihn an.
„Sir, sind dort eure Kameraden gefangen?“ fragte ich leise.
„Mistress Kenway, es war… wir waren gerade dabei einen neuen Abschnitt zu beginnen. Die Balken waren fest verankert und wir waren uns sicher, dass wir nun fortfahren könnten. Doch als wir noch einmal zurück wollten um neue Laternen und Werkzeuge zu holen, brach auf halber Strecke plötzlich die Decke ein. Ich konnte mich mit Witczek gerade noch hier nach draußen retten, aber die anderen wurden unter dem Schlamm begraben…“ er zitterte am ganzen Körper bei der Erzählung.
Sie taten ihr bestes, sogar mit bloßen Händen, ihre Kameraden zu befreien. Aber immer wieder gab es kleinere Erdrutsche und sie mussten sich weiter zurück ziehen. Keine Stimmen waren dort zu vernehmen, keine grabenden Geräusche.
„Es war plötzlich totenstill dort unten…“ kam es heiser aus seinem Mund.
„Wir brauchen hier unten mehr Licht und mehr Schubkarren, Eimer und Schaufeln!“ rief mit einem Mal mein Mann, der wieder an der Oberfläche erschienen war.
„Hast du etwas gehört, Haytham? Leben sie noch?“ mir stiegen die Tränen in die Augen, weil ich nicht wahrhaben wollte, dass hier Menschen bei lebendigem Leib begraben worden waren. Und das nur, damit WIR hier unentdeckt bleiben konnten!
„Leider nicht, aber ich konnte … Lebenszeichen ausmachen.“ flüsterte er mir nur zu. Auren nutzte er nicht, weil er befürchtete, dass auch andere uns hörten.
„Wirklich?“ etwas erleichterter atmeten ich aus.
„Nur schwach, aber sie sind da. Es müssen an die 12 Personen sein…“ Haytham ging an mir vorbei zu dem Herren, mit dem ich gerade gesprochen hatte und berichtete von seinen ersten Eindrücken.
Als dieser diese Nachricht hörte, sah man, dass er mit neuem Eifer den anderen Helfern zur Hand ging. Das war die Motivation, die gefehlt hatte.
Die Stunden vergingen und Unmengen an Erde wurde heraus geschafft, oder aber in andere kleinere Abschnitte umgelagert.
Mittlerweile hatte man Fackeln und Decken organisiert, auch einige Lagerfeuer waren entfacht worden um die Überlebenden gleich wärmen zu können. Die Temperaturen waren seit einigen Tagen in den Keller gegangen, was eigentlich eher ungewöhnlich für September war.
Mehrere Frauen hatten Essen herangeschafft und es wurde ein Schichtplan fürs Graben aufgestellt.
Länger als 4 Stunden sollte niemand dort unten schuften, weil auch mittlerweile die Luftzufuhr nicht mehr die Beste dort war. Noch gab es keine kleineren Entlüftungsschächte wie in den ausgebauten Tunneln.
Um 2 Uhr nachts endlich hörte man freudige Schreie und zwei Träger brachten einen Arbeiter herauf! Er war über und über mit Schlamm bedeckt, regte sich aber, wenn auch recht fahrig und langsam.
Sofort war eine Frau mit 2 Kindern an seiner Seite und kniete neben ihm nieder. Betend dankte sie Gott für die Rettung ihres geliebten Gatten. Auch ich war mehr erleichtert, dass der erste geborgen worden war.
Immer noch hegte ich die Hoffnung, dass auch alle anderen lebend bei ihren Familien ankamen!
Nach und nach brachte man immer weitere Herren hier an die Lagerfeuer. Alle, wie es schien, am Leben, wenn auch sehr sehr schwach. Unser Arzt und Dr. Ambrosch – welcher eigentlich bereits im Ruhestand war – nahmen sich ihrer an und taten ihr bestes, sie wieder auf die Beine zu bringen. Auch Mrs Muller war mit dabei!
Um 7 Uhr in der Früh, es waren mittlerweile 8 Tunnelgräber lebend hier oben, traten die Helfer durch den Eingang heraus und trugen zwei leblose Körper über ihren Schultern. Vorsichtig legten sie Toten auf die vorbereiteten Decken und bedeckten sie mit einer weiteren.
Mit einem Male hörte man ein herzzerreißendes Schluchzen aus den Reihen der Anwesenden, als die Ehefrauen registrierten, dass es sich um ihre eigenen Gatten handelten.
Mir brach wirklich das Herz in diesem Moment. Wie würde ich in so einer Situation reagieren, wenn Haytham so vor mir liegen würde? In meinem Kopf tauchten entsprechende Bilder auf, die ich einfach nicht loswurde. Hektisch sah ich mich nach ihm um, sah ihn hier aber nicht.
„Wo ist Master Kenway?“ rief ich in die Runde, doch alle schüttelten nur unwissend den Kopf.
„Er hat sich für diese Männer geopfert, Schätzchen! Nur damit du deinen perfiden Plan des Schmuggelns aufrecht erhalten kannst. Sieh nur, was du angerichtet hast! Die Toten werden sich an dir rächen! Sie werden dich Nacht für Nacht heimsuchen und du kannst nichts dagegen tun!“ hörte ich die mir so vertraute Stimme von Hrymr plötzlich in meinem Kopf. Sein Lachen schüttelte mich!
„Mistress Kenway! So wacht doch auf! Es ist alles in Ordnung!“ jemand rüttelte an mir und plötzlich spürte ich eine flache Hand auf meiner Wange.
„Was fällt euch ein…“ fauchte ich und sah in die Augen von Dr. Ambrosch.
„Verzeiht, aber ihr wolltet schon dort in den Tunnel hinabsteigen! Ich musste euch aufhalten!“ rief er mir immer noch aufgeregt zu.
„Warum sollte ich das tun…?“ fragte ich immer noch völlig benebelt.
„Ihr, also… ihr seid erneut schlafgewandelt. Etwas oder Jemand schien euch zu sagen, dass ihr dort hinunter gehen sollt. Ihr habt immer wieder nach eurem Gatten gerufen.“ erklärte mir der Arzt jetzt in einem etwas ruhigerem Ton. „Ihr hattet wohl einen Albtraum, Mistress Kenway. Master Kenway ist wohlauf, bis auf ein paar Schürfwunden und einer verstauchten Hand.“ jetzt klang er entschuldigend.
„Sind alle Bauarbeiter geborgen worden? Leben sie noch?“ ich hörte meine eigene Stimme kaum, aus Angst, dass ich etwas falsches sagen oder fragen könnte.
„Nein, leider sind 5 der Herren ums Leben gekommen. Ertrunken oder erstickt.“ sein Blick ging Richtung des mittlerweile 3. Lagerfeuers, wo sich im Morgengrauen die abgedeckten toten Körper befanden.
„Bei Odin! Das wollte ich nicht.“ ich brachte kaum einen Ton heraus. Es war wirklich alles meine Schuld.
Natürlich ist es deine Schuld, du dumme Gans. Warum wolltest du mich auch so hintergehen Hrymrs Stimme klang so fies, dass es mich erneut schüttelte.
Du hast es nicht anders verdient! Niemals wirst du deinen Willen, deinen Wunsch und dein Ziel erreichen und durchsetzen können! Voller Wut hallten meine eigene Worte in meinem Kopf wider.
Langsam beruhigte ich mich, die Barriere stand wieder wie eine Stahlbetonwand und ich richtete mich auf.
„Dr. Ambrosch, bitte sagt mir wo mein Mann ist.“ bat ich ihn leise.
„Er sitzt dort bei den Überlebenden und bespricht sich mit ihnen wegen der anstehenden Begräbnisse.“ der Arzt bot mir seine Hand und half mir auf. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich auf dem kalten feuchten Boden hockte.
Ängstlich schritt ich an den Verstorbenen vorbei zu meinem Templer. Der saß mit einer Schlinge um Arm und Schulter am Feuer und sprach leise mit den Männer. Als er mich bemerkte, lächelte er mich an, sodass ich wusste, es ging ihm den Umständen entsprechend gut.
„Wir werden eine Messe für alle Toten halten und ich werde für eine entsprechende …“ für einen kurzen Moment zögerte Haytham. Weil eine geldliche Entschädigung niemals ausreichen sein würde, geschweige denn akzeptiert werden würde.
„Sir, die Frauen haben ihre Ehemänner verloren. Sie brauchen Schutz und weiterhin ein Dach über dem Kopf. Ich schlage vor, wir suchen ihnen entsprechende Anstellungen auf den umliegenden Plantagen. Oder vielleicht können sie auch hier selber mit Hand anlegen.“ Einer der Überlebenden sprach für seine anderen Kollegen und die Angehörigen.
„Das sollten wir tun und ich werde mich umgehend darum kümmern. Seid versichert, dass ich auch entsprechende Vorsichtsmaßnahmen beim Bau der Tunnel ausarbeiten werde.“ seine Stimme hatte den üblichen autoritären Ton des Templergroßmeisters angenommen.
„Ich danke euch, Master Kenway.“ fürs erste war damit das Thema abgehakt und man konnte die Verletzten jetzt entsprechend weiterbehandeln.
Mr Hathaway war mittlerweile auch erschienen und sprach ein paar tröstende Worte für die trauernden Familienangehörigen.
Langsam zerstreuten sich die Menschen und die eigentlichen Schichten wurden fortgeführt. Noch galt es, die eingestürzten Bereiche wieder zu sichern, dass eingebrochene Wasser abzupumpen und die Schlammmassen zu entsorgen. Die nächsten Tage würden zeigen, wie weit wir mit unserem Unterfangen noch kommen konnten.
„Haytham, Hrymr scheint sich eingemischt zu haben.“ flüsterte ich, als wir auf dem Weg nach Hause waren.
„Dieser Gott hat mich auch versucht zu verunsichern. Ich habe mit zwei Männern gesprochen, die schwören eine leuchtende Gestalt kurz vor dem Unglück gesehen zu haben. Er manipuliert also nicht nur den Geist, sondern auch materielle Dinge!“ zum ersten Mal sah ich echte Angst in seinen grauen Augen.
„Also muss auch hier eine Wand gegen ihn errichtet werden? Aber wie sollen wir das auch noch schaffen? Denk an London, wo die Barriere auch nur temporär war und wir mit weltlichen Mitteln zusätzlich nachhelfen mussten. Im Untergrund HIER ist das kaum möglich! Wir können keine Sicherheit garantieren!“ frustriert stieß ich die Luft aus. Wie gerne würde ich jetzt einfach entsprechende Sicherungen einbauen! Aber ich musste mich auf die hiesigen Mittel beschränken und berufen! DAS war nicht viel!
„Erinnerst du dich noch an deine Aufzeichnungen im Fort George? Daran dass du diese Cherubs angesprochen hattest? Gäbe es nicht die Möglichkeit solcher Begleiter, die sich unsichtbar dort umherbewegen können und entsprechend Rückmeldung geben könnten? Es wäre ja auch nur während des eigentlichen Baus.“ er erinnerte sich an meine Recherchen damals!
„Das könnte funktionieren, aber… sie sind eine Art Schutzengel der christlichen Menschen. Das bin ich nicht…“ etwas verunsichert sah ich ihn an.
Gerade als wir in Haythams Arbeitszimmer getreten waren und die Türe hinter uns geschlossen hatten, traten meine Götter hervor.
„Wir können sicher noch ein paar Rekruten entbehren, Kind. Trotzdem müsst ihr immer auf der Hut sein. Ihr ward, nunja, etwas nachlässig in letzter Zeit!“ Bei … okay… ich sag es nicht!
„Aber es ist einfach anstrengend und ab und an habe ich das Gefühl, als bräuchte mein Kopf einfach mal eine Pause…“ jammerte ich Odin an.
„Na und? Glaubst du, mir gefällt es IMMER auf dich achten zu müssen? Weißt du eigentlich wie anstrengend DAS ist!“ donnerte er seine Worte entgegen.
„Woher soll ich das wissen, ich bin kein Gott…“ platzte es aus mir heraus!
„Hör mir gut zu! Wir sind mit dir noch lange nicht am Ziel, aber reiß dich zusammen! Niemand hat gesagt, es wird ein Kindergeburtstag und du kannst dich bei jeder Gelegenheit ausruhen! Du hast deine Ruhephasen und das weißt du. Nutze sie weise, dann kannst du auch entsprechende Kraft daraus ziehen. Haytham, sieh nicht so abwertend! Auch DU musst es nutzen können.“ etwas irritiert sah ich zu meinem Templer, welcher ebenfalls erstaunt in Richtung des Allvaters ah.
„Selbstverständlich werde ich das tun. Dennoch ist es nicht so einfach, solche Katastrophen vorherzusehen.“ damit hatte er Recht.
„Man muss auch mit dem Unvorhergesehenen rechnen!“ fauchte Heimdall uns an. „Dann werde ich wohl mal wieder eine extra Trainingseinheit für euch einplanen. Aber nicht mehr heute!“
Für einen kurzen Moment hatte ich diesen absurden Gedanken, dass ich doch eigentlich die Zukunft kannte. Ich wusste, was passieren würde… aber im selben Moment wurde mir klar, dass ich DIESE Momente noch nicht kannte. Sie waren in keinem Geschichtsbuch verzeichnet, niemand hatte sie in einem Tagebuch oder Bericht verfasst.
Wir schrieben gerade ein kleines Stück Geschichte selber dazu!
Im November mussten wir mit dem Bau pausieren, weil der Boden immer weiter gefror und ich keine weiteren Unglücke wie Lungenentzündungen durch die Kälte heraufbeschwören wollte.
Aber der Fortschritt war beachtlich.
Es fehlten – nur – noch zwei längere Gänge Richtung Fluss und einer hinauf zu den neu geplanten Weinanbau-Abschnitten.
Ja, ihr habt richtig gelesen. Es war hier möglich eben diesen anzubauen und zu kultivieren. Der Vorschlag kam von meinem Templer selber, als er sich mit einem Geschäftspartner für die Tabaklieferung eines Abends unterhielt.
„Master Kenway, glaubt mir. Gerade hier in den kleineren Hügeln ist der Boden hervorragend für dieses Unterfangen geeignet. Ich kenne mich ein wenig mit dem Weinanbau aus und stelle mich gerne für weitere Fragen oder auch Hilfe zur Verfügung.“
Und so begab es sich, dass wir uns mit diesem Thema auch begannen zu befassen. Natürlich vorerst nur in einem kleinen Rahmen um zu schauen, wie gut unsere Früchte gedeihen und wie das Endresultat dann schmeckt.
Ich war gespannt und musste mal wieder meiner Geduld eine Lehrstunde erteilen.
Die Geburtstage von Haytham und Edward standen an, als es gerade begonnen hatte zu schneien.
Unser kleiner Lausebengel wurde jetzt schon 8 Jahre alt! Die Zeit ist wie im Fluge vergangen!
„Und vergiss nicht, dass wir 9 Jahre verheiratet sind.“ raunte mir mein Gatte am Morgen seines Ehrentages seufzend ins Ohr, als sich seine Muskeln langsam wieder beruhigten. Er hatte es sich nach dieser doch recht langen Abstinenz verdient, auch wenn wir uns ab und an einen kurzen Moment in seinem oder meinem Arbeitszimmer nahmen.
Wir hatten diese kleine Zweisamkeit im Schlafzimmer in den letzten Wochen kaum gehabt, weil Florence des öfteren bei uns geschlafen hatte. Immer wieder plagten sie Albträume in denen sie von einem hohen Berg fiel oder ein „böser“ Mann sie in eine Kiste sperrt.
Mir stellten sich bei diesen Schilderungen immer die Nackenhaare auf. Aber ich konnte nie den Ursprung herauszufinden, ob es wirklich Hrymr war oder ob Edward mal wieder Gruselgeschichten mit ihr teilte.
Haytham hielt sein Wort und heute sollte unser Sohn sein erstes echtes Schwert bekommen. Wir hatten es damals in New Orleans erstanden, als ich noch schwanger war.
„Ich freue mich darauf und bin gespannt auf seine Reaktion, mi sol. Wenn ich an meinen 8. Geburtstag denke…“ plötzlich glitt sein Blick an mir vorbei und ich spürte die Präsenz Edward Seniors im Raum.
„Du führst eine Tradition weiter, mein Sohn. Das freut mich. Ich hoffe auch, dass mein Enkel sich über dieses Geschenk freuen wird. Aber denke daran es sicher zu verwahren, dass er nicht so leicht daran kommt. Er ist clever, Haytham! Genau wie du auch. Ja, ich weiß, dass DU wusstest wie du das Fach öffnen kannst.“ dieses wissende Grinsen konnten nur Eltern an den Tag legen!
„Aber ich bin nur ein einziges Mal…“ mehr sagte mein Mann nicht. Ich sah, wie er leicht rot wurde im Gesicht. Immer noch hatte er großen Respekt vor seinem Vater, auch wenn dieser ihn schlecht jetzt noch bestrafen könnte.
„Natürlich kann ich das auch heute noch tun, Alex.“ lachte er, als er langsam in diesem Nebel wieder verschwand.
Nach dem Frühstück bat Haytham unseren Sohn hier im Wintergarten vor dem Kamin zu warten.
„Mama, was bekomme ich denn? Bitte, sag es mir. Ich habe schon die ganze Nacht gewartet!“ bettelte klein Kenway zappelnd.
„Nein, ich sage noch nichts. Gedulde dich noch für ein paar Minuten.“ ermahnte ich ihn leise.
„Ich will auch Geschenke.“ schmollte jetzt Florence. Natürlich wollte sie das, aber heute war ja nicht ihr Ehrentag.
„Du hast schon im Sommer was bekommen. Jetzt bin ich dran!“ dabei streckte Edward ihr die Zunge heraus, genau in dem Moment, wo Haytham im Raum erschien.
„Edward! Was soll das?“ mein Templer verbarg den Kasten mit dem Schwert hinter seinem Rücken und sah ihn böse an.
„Verzeihung Vater.“ flüsterte unser Sohn mit gesenktem Kopf.
Seufzend setzte sich Haytham neben mich.
„Ob du das Geschenk jetzt noch verdient hast? Ich weiß ja nicht…“ dabei sah er mit einem leichten Grinsen und hochgezogener Augenbraue in meine Richtung.
„Oh, das weiß ich nicht, mi amor. Das musst du jetzt entscheiden.“ wir sahen uns weiter an und ich spürte die immer größer werdende Ungeduld von unserem Sohn.
Aber er sagte nichts, sondern atmete konzentriert ein und aus. Eine Lektion welche ich ihm beigebracht habe um seine Wut oder wie in diesem Falle nicht vorhandene Geduld zu zügeln.
„Hmmmm, ich glaube, ich werde es bis heute Abend hier auf den Tisch legen und darüber nachdenken, ob es wirklich schon an der Zeit ist.“ damit legte er den Kasten dorthin und lehnte sich grinsend zurück.
Mit großen Augen sah Edward von einem zum anderen, sagte aber immer noch nichts. Nur sein Mund öffnete und schloss sich immer wieder wie bei einem Karpfen. Dieser kleine Junge zügelte gerade seine gesamten Emotionen und seinen Körper! Es war sehr faszinierend wie weit er doch mittlerweile durch das ganze Training war.
Die Minuten vergingen wie in Zeitlupe bis Haytham sich erbarmte und endlich das Geschenk herüber reichte.
„Herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag, Edward!“ Bei Odin, so schnell habe ich noch nie jemanden eine Verpackung öffnen sehen.
Als unser Sohn den Deckel anhob hörten wir einen Ohrenbetäubenden Freudesschrei!
„Jaaaaaaaaaaaaaaaaaa!!! Ich hab ein Schwert! Ein ECHTES SCHWERT!!!!“ Aber er riss es nicht hoch, sondern holte es vorsichtig heraus und hielt es staunend in den Händen.
Mit Bedacht legte er es zurück und kam eilig auf uns zu.
„DANKE!“ mittlerweile brauchte ich mich gar nicht mehr hinknien, er reichte mir bereits zur Brust. Wir nahmen ihn in den Arm und er drückte uns!
„Hol es noch einmal heraus, Edward.“ bat mein Mann leise.
Mit dem Schwert stand er wartend vor uns.
„Du wirst darauf achten, es pflegen und erwische ich dich, dass du es ohne meine Erlaubnis in die Hand nimmst und damit herum spielst, dann schließe ich es bis du volljährig bist weg. Ist das klar, Edward?“ diese Mahnung sollte reichen, weil sie mit einem leichten Leuchten um Haytham einherging.
„Ja Vater! Aber… wann zeigst du mir, wie man damit kämpft?“ auf diese Frage hatte ich schon gewartet.
„Wie wäre es mit JETZT?“ lachte mein Templer und wieder ertönte ein lauter Jubel unseres Sohnes. „Ich hole nur kurz mein eigenes Schwert, dann können wir beginnen.“ die beiden Herren machten sich auf in die Eingangshalle und ich sah ihnen lächelnd hinterher.
„Mama, ich will auch…“ schniefte Florence neben mir.
„Aber dein Geburtstag war schon, min lille engel. Komm, lass uns in der Küche nachschauen ob Miss Tabea ein paar Plätzchen fertig hat.“ ich hoffte, ich könnte sie so etwas ablenken, auch wenn man das nicht machen sollte. Ich weiß das!
Gemeinsam standen wir kurz darauf in der Küche und uns wehte ein leckerer Duft von gebratenem Fleisch und vor allem KAFFEE in die Nase.
„Hier riecht es nach dem Major!“ rief meine Tochter mit einem Mal.
Mein fragender Blick muss sie irritiert haben, weil ich wirklich nicht wusste, was sie meinen könnte.
„Mama, das was ich dir doch gezeigt habe. Das riecht lecker und Mrs Muller hat gesagt, dass man das hervorragend für Kartoffeln nutzen kann.“ langsam dämmerte es mir.
Sie meinte Majoran! Das Kraut!
Lachend sahen mich die Mägde an, als auch sie verstanden was gemeint war.
„Natürlich, jetzt rieche ich es auch.“ eigentlich nicht, weil ich mich mit Kräutern nicht ganz so gut auskannte. Nur die Handelsüblichen waren mir geläufig.
Wir verbrachten eine Weile hier und ich wurde ein wenig in Kräuterkunde unterrichtet. Irgendwann jedoch hörten wir aus dem Eingangsbereich ein lautes Fluchen!
Dort angekommen sah ich, wie Haytham mitsamt Tyr, Thor, Odin und Heimdall um Edward herumstand und ihm Anweisungen für den Umgang mit seinem Schwert gab.
„Die Beinarbeit, Junge!“
„Nein, stell dich leicht schräg hin, so…“
„Wen willst du damit kitzeln? Du musst es mit einer schnellen Bewegung nach vorne stoßen!“
„Nein, lass unfaire Techniken raus. Du bist mit dem Schwert ein Gentleman, Edward!“
Für einen Moment stand ich fasziniert daneben und kam aus dem Staunen nicht heraus.
Alle redeten immer wieder auf den kleinen Kenway ein, welcher sich aber erstaunlich gut schlug! Seine Bewegungen waren präzise, schnell und zackig.
„Ha… jetzt hab ichs!“ hörte ich ihn freudig rufen, als er seinem Paten einen Streich verpasste.
„Das war reines Glück.“ lachte der Donnergott und belehrte ihn eines besseren indem er gekonnt konterte.
„Lerne ich das auch bald?“ flüsterte meine Tochter neben mir. Auch sie sah staunend ihrem Bruder bei seinem kleinen Training zu.
„Bald wird dein Vater auch dich unterrichten, min lille engel. Also pass schon mal auf, dann weißt du später ein bisschen, wie es geht.“ sprach ich ebenso leise.
„Dann bin ich besser als mein Bruder.“ kicherte sie.
Für einen kurzen Moment betrachtete ich sie traurig, weil auch sie größer wurde und nicht mehr meine kleine Maus war. Florence war schon 5 Jahre alt.
Plötzlich schoss mir ein absurder Gedanke in den Sinn. Ich würde gerne noch ein Kind haben. Was würde Haytham dazu sagen?
„Ah, verdammt…“ hörte ich ihn fluchen.
Danke mi sol, du hast mich abgelenkt! Hörte ich ihn in meinem Kopf!
Entschuldige, ich kann doch nichts dafür, dass ich so komische Momente ab und an habe. Schmollte ich, weil ich es ja nicht mit Absicht getan hatte.
„Edward! Das war ein perfekter Streich! Du hast genau den richtigen Moment abgepasst, als dein Gegner nicht aufgepasst hat.“ hörte ich meinen Schwiegervater stolz rufen, während er mich lächelnd ansah.
Dann hatte auch er meine Gedanken gesehen.
„Ich denke, das werdet ihr sicher auch ohne uns schaffen.“ lachte der Allvater und begann Edward wie aus dem Nichts anzugreifen.
„Was…“ verwirrt von der Pause und der abrupten Fortsetzung des Trainings, konnte unser Sohn nicht parieren und fiel hinten über. „Das ist …“ doch mehr konnte er nicht sagen.
„DAS nennt man Ablenkung, mein Sohn. Du hast doch das selbe gerade auch bei mir gemacht.“ lachte mein Templer. „Ich denke, für heute reicht es erst einmal. Wir sollten die nächsten Tage noch Zeit fürs Üben haben. Edward, leg dein Schwert zurück in den Kasten, bitte.“
„Jetzt schon?“ Ein Blick zu seinem Vater reichte, dass er gehorchte, wenn auch leise vor sich hin maulend.
Nachdem sich die Götter wieder zurück gezogen hatten – nicht ohne noch einmal zu betonen, dass wir dieses mal auch ohne sie zurecht kommen würden – stand auch schon das Mittagessen an.
Am Nachmittag kamen einige Kinder der Pächter vorbei um Edward zu gratulieren und es gab für alle mehr als genug Kuchen und heiße Schokolade.
Die Kinderschar spielte draußen, machte eine Schneeballschlacht oder sie bauten kleine Schneemänner.
Am Abend bekam Haytham noch Besuch von einigen Gratulanten und wir stießen auf sein Wohl an. Leider war es Connor und Achilles nicht möglich gewesen hierher zu reisen aufgrund des Schnees und einiger Dinge, die in der Siedlung noch zu erledigen wären.
Im Grunde verlief der Tag ohne besondere Vorkommnisse, was mich etwas entspannen ließ.
Als wir später dann im Bett lagen, kam Haytham noch einmal auf das Thema Kinderwunsch zu sprechen.
„Bist du dir wirklich sicher, dass wir noch ein weiteres Kind bekommen sollten?“
Für einen kurzen Moment dachte ich ebenfalls erneut darüber nach, kam aber zu dem Schluss, dass wir es doch einfach probieren sollten.
„Warum nicht, mi amor? Natürlich weiß ich, dass dadurch mehr Arbeit anfällt und ich wieder eine Weile ans Haus gefesselt sein werde. Aber… irgendwie fühle ich mich bei dem Gedanken wohl.“ ich kuschelte mich an meinen Templer und gab ihm einen vorsichtigen Kuss auf die Wange.
„Tatsächlich geht es mir ähnlich, mi sol.“ in seiner Stimme klang eine leise Sehnsucht mit, als er mich an sich drückte.
In dieser Nacht aber starteten wir keinen Versuch. Dafür hätten wir sicherlich noch genügend Zeit.
Es war Silvester 1771 und als ich an diesem Morgen erwachte, war der erste Gedanke „Wow, ich bin schon 9 Jahre hier und verheiratet!“
Vorsichtig drehte ich mich zu meinem Mann, welcher natürlich schon wach war, sich aber wie üblich nicht regte.
„Guten Morgen, mi sol. Wer hätte gedacht, dass du es so lange mit mir aushältst?“ grinste er mich breit an.
„Es ist nicht immer leicht, du hast Recht.“ kicherte ich und umschlang ihn wieder mit Arm und Bein.
„Dabei bemühe ich mich dir in den Lektionen zu zeigen, wie man am einfachsten mit mir umgehen sollte.“ langsam drehte er mich unter sich. „Ich befürchte, ich habe immer noch eine Heiden Arbeit mit dir in den nächsten Jahren.“ seufzte er leise.
Dieser Moment der Vereinigung ging völlig still von Statten. Es war einfach wunderschön und wir konnten für ein paar Minuten alles um uns herum vergessen. Sogar mein Gatte hatte nicht mehr an eine Lehrstunde gedacht.
„Das hole ich später nach…“ hörte ich ihn etwas außer Atem an meiner Brust sprechen.
Er bescherte mir ebenfalls eine wohlige Erleichterung, die ich etwas lauter als geplant kundtat.
„Psssssssst…“ grinste Haytham mich an, als er meinen Mund schnell mit seinen Lippen versiegelte.
„Danke“ brachte ich leise heraus.
Nach dem Frühstück machten wir uns reisefertig, weil wir eine Einladung unseres Advokaten erhalten hatten.
Odin sei Dank hatte es nicht weiter geschneit. Es lagen zwar einige Zentimeter Schnee, aber die Wege waren gut befahrbar und wir kamen zügig voran.
Angekommen bei Rory wurden wir herzlich begrüßt und unsere Zimmer wurden uns gezeigt.
„Ich will nicht mit Flo in einem Zimmer schlafen, sie nervt immer.“ jammerte Edward Junior als man ihn gemeinsam mit ihr unterbringen wollte.
„Junger Mann, es ist nur für eine Nacht. Das geht.“ ermahnte ihn mein Templer.
„Aber Vater, du weißt ja gar nicht…“ begann klein Kenway eine Erklärung.
„Ich sagte, es ist nur für eine Nacht.“ damit drehte sich Haytham um und ging wieder hinunter.
„Eddy mag mich nicht mehr!“ jetzt begann Florence zu weinen und klammerte sich an meine Röcke.
Bei Odin! Warum jetzt?
„Min lille engel, er hat dich immer noch lieb. Oder nicht, min lille skat?“ ich saß jetzt auf einem der Betten und sah beide fragend an.
„Jaaaaaaaaa, ich hab dich lieb.“ stöhnte unser Sohn mit Augenrollen.
Ich versicherte den beiden noch einmal, dass wir ja nur heute hier blieben. Morgen hätte dann jeder wieder sein eigenes Zimmer.
Wir hatten Glück, dass einige andere Gäste ihren Nachwuchs mit gebracht hatten. So kam bestimmt keine Langeweile auf. Natürlich hoffte ich, dass auch keine größeren Katastrophen passierten oder Streiche ausgeheckt wurden.
Somit konnten wir Erwachsenen einen ruhigen Nachmittag verbringen und uns über die neue Situation hinsichtlich der Landverteilungen oder des Kontinental Kongresses unterhalten.
Mittlerweile war es soweit, dass die Kolonisten mobil machten. Sie, oder besser WIR, waren nicht mehr gewillt uns so mit den Füßen treten zu lassen.
Für mich persönlich war es vor kurzem zu einigen Einbußen beim Import von den Zuckerwaren meiner Schwägerin gekommen. Neuerdings sollte man auf bereits gefertigte Waren extra Steuern entrichten. Diese war natürlich um einiges höher, als würde man die Rohstoffe importieren. Von diesem Geld würde aber Jenny nichts sehen, im Gegenteil! Auch sie wurde besteuert, weil sie ihre Waren exportierte. Ein wahnwitziges System, das kann ich euch versichern.
Was erschwerend hinzukam waren die vielen in Amerika stationierten Soldaten und Einheiten. Man fand kaum noch Unterkünfte für diese Masse. Also wurden immer mehr Bürger dazu verpflichtet, gerade in den Städten, die Männer bei sich aufzunehmen. Unentgeltlich versteht sich.
„Meine Schwester musste 4 Herren bei sich aufnehmen! Aber glaubt ja nicht, dass sie nur einen Penny für Verpflegung oder die warmen Zimmer bezahlen!“ erzählte uns einer unserer Nachbarn. „Sie hinterlassen immer einen Saustall und vergnügen sich in einer Taverne. Man kann sich vorstellen, dass es nicht immer leise zugeht, wenn sie zurück kehren!“ fuhr der Herr mit einer hochgezogenen Augenbraue fort.
„Ganz zu schweigen von anderen Schandtaten dieser Widerlinge!“ bei ihren Worten schüttelte sich eine Dame neben mir. Wir konnten uns vorstellen, WAS sie meinte.
Ob man es nun glauben will oder nicht, aber auch in mir keimte immer mehr der Wunsch nach einem freien Amerika auf. Die kleine Patriotin kroch an die Oberfläche. Wo ich damals noch dachte, dass die Briten besser bleiben sollten, dort dachte ich jetzt „Lieber nicht!“.
Auch auf umliegenden Farmen oder Plantagen von zum Beispiel Wellington oder Boston kam es mittlerweile zu Diebstählen im Namen des Königs. Die Begründung, dass es unsere Pflicht sei, die Soldaten zu versorgen, traf auf taube Ohren.
Und so kochte die Wut immer weiter hoch. Jetzt erlebte ich es persönlich mit, so dass ich verstand, warum dieser Krieg tatsächlich ausbrach. Das Volk wird mürbe gemacht, in der Hoffnung, klein beizugeben. Doch King George hat nicht mit dem starken Willen der Menschen hier gerechnet.
Auf der einen Seite war ich stolz, das alles selber zu erleben. Umgekehrt aber schlich sich Angst mit in dieses Gefühl. Angst davor, was uns noch widerfährt, wie es mit unseren Geschäften weitergehen wird.
Aber dazu dann vermutlich später mehr.
Zum ersten Male war Edward bis Mitternacht wach und bestaunte mit uns und einigen anderen Kindern das wunderschöne kleine Feuerwerk.
Man hörte hier und da von ein paar Jungs, dass sie sich die Reste vom Schwarzpulver schnappen wollten, um ihre eigenen Feuerwerkskörper zu basteln!
„So schwer kann das ja nicht sein.“ oder „Wir nehmen einfach einen von den Tontöpfen und stopfen da alles rein.“ was ich auch vernahm war „Wir könnten eine Pechschnur zum Zünden nehmen. Weiß jemand, wo die hier sind?“
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sich ein paar Jungs entfernten. Als Edward ebenfalls hinterher wollte, hielt ich ihn zurück.
„Oh nein, du wirst nicht mithelfen. Du weißt doch wie gefährlich sowas sein kann.“ ermahnte ich ihn.
„Alle machen mit, nur ich darf wieder nicht.“ maulte er mich an.
„Wo darfst du nicht mitmachen?“ Haytham schien die Unterhaltung also nicht ganz mit bekommen zu haben.
„Ähhhh… nichts Vater.“ nuschelte unser Sohn leise und sah betreten zu Boden.
„Wenn es an der Zeit ist, werden wir dir erklären, wie man solche kleinen Sprengkörper herstellt. Vorher wirst du erst beweisen müssen, dass du nicht leichtfertig mit solchen Dingen umgehst, mein Sohn.“ Also hatte er doch alles gehört.
Mit einem Male erhellten sich die graublauen Augen meines Sohnes.
„Wirklich? Ich lerne auch sowas? WANN, Vater?“ aufgeregt trat er von einem aufs andere Bein.
„Edward, das dauert noch. Du bist noch zu jung und kennst nicht die Gef…“ Haythams Erklärung ging in einem lautem Knall unter, welcher von einer der Scheunen kam.
Wir sahen nur noch, wie sich eine hohe Feuersäule aus dem Dach schlängelte und laute Schreie einiger Kinder.
In Windeseile waren wir am Ort des Geschehens, wo uns die Verursacher auch schon entgegen kamen. Odin sei Dank, war niemand schwer verletzt. Es gab bei zwei Jungen verbrannte Finger, aber soweit ich sehen konnte, nicht allzu schwer.
„Was in Gottes Namen habt ihr gemacht!“ brüllte ein Vater und half mit einigen anderen bereits dabei, das Feuer zu löschen.
„Es war doch gar nicht so viel, aber…“ stammelte der erste.
„Wir wussten doch nicht, dass die Schnur so schnell…“ auch dieser junge Herr bekam keinen ganzen Satz zustande.
Was ich mich allerdings fragte, woher sie alles so schnell beisammen hatten. Auf diese Frage, sahen die Kinder mich mit großen Augen an.
„Also, da waren Kisten in der Scheune und… da war das Pulver…“
Eine neue Explosion war zu vernehmen und ich spürte eine Druckwelle.
Jetzt eilte man in die Scheune um die restlichen Kisten zu sichern! Für so unbedacht hätte ich Rory gar nicht gehalten!
Dieser jedoch sah völlig erschrocken aus.
„Die gehören nicht mir! Ich lagere meine Waffen und die Munition unten in meinem Keller!“ weiterhin sah er ungläubig auf die brennende Scheune.
„Da sind Zeichen drauf, Sir.“ sagte ein Junge leise und deutete darauf.
Es war das Wappen von King George III.! Wie kamen sie hierher?
„Das verstehe ich nicht.“ Unser Advokat sah sich um, jedoch war es dunkel und die Gegend hier wurde nur von dem langsam verglimmendem Feuer erleuchtet.
Es war Glück im Unglück, dass das Gebäude nicht vollends abbrannte oder eines der Kinder ernsthaft zu schaden gekommen war. Trotzdem blieb die Frage, wer die Munition hier versteckt hatte.
„Ich werde morgen früh die Gegend absuchen lassen. Anscheinend hat man sich hier heimlich bei mir eingenistet, ohne dass ich etwas bemerkt habe. VERDAMMT!“ Rory war außer sich, verständlicherweise.
„Ich helfe euch dabei, Master Gillehand.“ Haytham war nicht der einzige der ihm die Hilfe zusicherte. „Wir werden noch ein paar Tage hierbleiben, damit wir auch wirklich sicher gehen können, dass wir die Schuldigen finden!“ ihm stimmten weitere Herren zu.
„Müssen wir auch bleiben, Mama?“ flüsternd hakte Edward jetzt nach.
„Vermutlich nicht, aber das sehen wir dann morgen. Und jetzt weißt du, warum du nicht mit solchen Dingen spielen sollst.“ mein Sohn sah in diesem Moment erleichtert zu mir auf.
„Das weiß ich. Schuster Ehrenwort, ich werde nie solche Kisten anrühren oder die Fässer bei uns!“ er war froh, dass nicht er die Schelte bekommen würde. In diesem Falle wäre es mit Walka-Entzug nämlich nicht mehr abgetan gewesen!
Als man sicher war, dass keine weiteren Brandherde vorhanden waren und man im Hellen die Schäden genauer unter die Lupe nehmen würde, gingen wir alle zu Bett.
Erstaunlicherweise hatte Florence nichts von alledem mitbekommen. Ich ging in das Zimmer unserer Kinder, wo Sophia noch saß und aufpasste.
„Mistress Kenway, ich hoffe, es ist niemand zu Schaden gekommen bei der Explosion?“ fragte sie flüsternd nach.
„Nein, es gab ein paar verbrannte Finger, aber nichts schlimmeres. Hat Florence wirklich nichts bemerkt?“ hakte ich erstaunt nach.
„Sie ist nur kurz aufgeschreckt und sagte, Edward ginge es gut. Auch euch würde nichts geschehen sein. Dann hat sie sich wieder hingelegt.“ Sogar das Kindermädchen war darüber erstaunt.
„Odin sei Dank, ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Edward komm jetzt, noch schnell das Gesicht waschen und dann gehts für dich auch ins Bett.“ sprach ich leise, während ich schon den Lappen in die Schüssel tunkte.
Bei dem Licht der Kerzen hier, sah ich erst, dass er ein wenig Ruß im Gesicht hatte. Meine Kleidung roch ebenso nach Qualm und wies ein paar Flecken auf.
Die Kinder bekamen noch einen Kuss zur guten Nacht ehe ich mich auch endlich fertig machen konnte.
„Mi amor, du kannst dir nicht vorstellen, wie froh Edward war, dass er nicht dabei mitgemacht hat.“ grinste ich, als ich vorm Spiegel stand und Magda mich von meinem Kleid befreite.
„Mistress Kenway, es war aber auch ein ohrenbetäubender Knall. Wir haben uns alle wahnsinnig erschreckt. Warum die Männer heute Nachmittag diese Kisten nicht in den Keller gebracht haben, frage ich mich. Master Gillehand hat doch auch seine Waffen und Munition dort gelagert, oder nicht?“
Ich sah von meiner Kammerzofe zu Haytham.
„Ihr habt dort ein paar Leute gesehen? Wie sahen sie aus? Trugen sie Uniformen?“ fragte ich aufgeregt nach.
„Ja, es waren 10 Mann und sie trugen dicke Wintermäntel, eine Uniform konnte ich nicht erkennen. Es tut mir leid.“ Magda sah betreten zu Boden.
„Wohin sind sie danach gegangen, habt ihr das auch gesehen?“ Auch Haytham war wieder hellwach.
„Sie sind hinter der Scheune verschwunden. Ich habe mir nichts dabei gedacht und habe nicht weiter auf sie geachtet.“ ihr Blick ging von mir zu meinem Mann.
„Dann werden wir jetzt noch nach ihnen suchen. MICHAEL!“
„Haytham, mitten in der Nacht könnt ihr doch gar nichts…“ ich sprach nicht weiter, weil ich mal wieder nicht an seinen Adlerblick gedacht hatte.
Gerade als ich Magda bitten wollte, mich auch wieder einzukleiden, fiel mir ein, dass ich keine passenden Sachen dabei hatte. Und mit einem feinen Kleid wäre ich keine Hilfe. Wer weiß, was uns dort draußen erwarten würde.
Es waren also die Herren, die sich allesamt, nachdem sie informiert und wieder eingekleidet waren, auf den Weg machten um eine Spur der Soldaten zu finden. Wir nahmen an, es waren Soldaten.
Auf die Nachfrage von Rory, hatten auch andere Angestellte sie gesehen.
Für einen Moment saß ich auf dem Bett, hatte aber keine Ruhe und ging nach unten in den Salon, wo zwei ebenfalls unruhige Frauen saßen.
„Dann heißt es jetzt wohl warten.“ seufzte ich und ließ mich auf dem Sofa vor dem Kamin nieder.
Die Stunden der Warterei zogen sich zäh wie Kaugummi dahin. Wir versuchten uns gemeinsam abzulenken, in dem wir uns über unsere Kinder unterhielten oder über die Aufgaben als Hausherrin.
Eine der Damen hier in der Runde war die Mutter eines Jungen, der sich die Finger verbrannt hatte. Sie berichtete, was ihr Sohn so erzählt hatte.
„Sie sind erst tatsächlich im Keller gewesen, der ist aber gut gesichert, da kamen sie nicht weiter. Also machten sie sich weiter auf die Suche und wurde alsbald fündig, wie wir ja wissen. Zuerst inspizierten sie die Kisten vorsichtig, öffneten sie mit Bedacht und sahen kleine Beutel, Kugeln und auch Pistolen. In einem Behälter waren sogar 10 Musketen, die wollten sie aber nicht anrühren.“
Die Jungs hatten begonnen, das Pulver aus den Tütchen zu holen und in einen Tontopf, wie sie besprochen hatten, zu kippen. Die Pechschnur war nicht schwer zu finden, weil eine ganze Rolle ebenso in diesen Holzkisten lag. Keiner von ihnen wusste, wie man das Pulver richtig dosierte, demnach kam alles was auf die Schnelle zu finden war in den Topf. Danach schnitt man einen kleinen Teil der Schnur ab und steckte das eine Ende oben in das Pulver.
Das ganze platzierten sie auf einem Balken in der Nähe der anderen Waffen aus Unwissenheit.
Einer von ihnen hatte Zunder und einen Feuerstein dabei. Als sie versuchten Feuer zu machen, entzündeten ein paar Funken das am Boden liegende Stroh. Zu spät kamen sie auf die Idee einfach mit einer Jacke den kleinen Brand zu löschen. Stattdessen schlugen sie mit ihren Händen darauf, weswegen zwei Jungen Verbrennungen erlitten.
Aus einem glücklichen Zufall bemerkten sie alle, dass die Schnur jetzt zündelte und brachten sich schreiend in Sicherheit. Den Rest hatten wir selber erlebt.
„Du meine Güte, wer bitte hinterlässt dieses gefährliche Material so ungeschützt? Es hätte sonst was passieren können.“ warf eine andere Mutter aufgebracht ein.
„Wir können nur hoffen, dass die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden!“ fauchte eine weitere Frau am Kamin.
„Wie unsere Männer allerdings in dieser Dunkelheit etwas erkennen wollen, frage ich mich ja schon die ganze Zeit. Ich hatte meinem Frank noch einmal ausdrücklich gebeten, erst im Morgengrauen die Suche zu beginnen. Aber wir kennen die Herren ja. Immer wissen sie es besser.“
Ich war kurz versucht ihr zu sagen, dass mein Mann genug sah für alle. Besann mich aber eines besseren.
„Hoffen wir auch, dass es nicht zu einem Kampf kommt. Wir haben gerade keinen Arzt hier.“ hörte ich eine kleine blasse Dame, die sich an ihrem Brandyglas festklammerte. „Wir sollten für sie beten!“ sie stellte das Glas ab und faltete ihre Hände. Die anderen Frauen taten es ihr gleich. Nur ich fühlte mich gerade nicht so wohl dabei, machte aber mit. Auch wenn ich still zu meinen Göttern sprach.
Tatsächlich suchte ich meinen Mann im Geist, damit ich beruhigter war.
Es dauerte einen Moment, bis ich sah, wo sie waren.
Anscheinend mussten sie nicht suchen, sondern die anderen waren schon auf dem Weg in die Richtung der Explosion!
„Wohin des Weges, Sirs?“ hakte Haytham gerade nach.
„Wir wollten nachschauen, wer dort hinten ein so schönes Feuerwerk gezündet hat.“ diese Antwort triefte vor Sarkasmus.
„So so. Dann lasst euch sagen, es waren ein paar junge Burschen, die eine Menge Schwarzpulver gefunden haben und sich einen Spaß erlauben wollten. Wie ihr seht, ist aber Gott sei Dank nichts weiter passiert.“ wieder war es mein Mann der sprach.
„Das ist doch ein Glück für uns alle, nicht wahr?“ jetzt schwenkte die Stimmung ein wenig um.
„Vielleicht wollt ihr uns begleiten und euch selber überzeugen?“ dieses mal redete Rory.
„Sir, danke. Aber… wir sollten lieber wieder unserer Wege ziehen. Es gibt noch viel zu tun für uns.“ mit einem Tippen des Fingers an seinem Hut, verabschiedete er sich.
„Nicht so schnell. Wer seid ihr eigentlich und was macht ihr auf meinem Grund und Boden?“ der Advokat stellte die richtige vorsichtige Frage.
„Wir sind nur auf der Durchreise, Sir. Und jetzt entschuldigt uns, wir sollten unsere Zelte abbrechen und uns auf den Weg machen. Je eher desto besser.“ gerade als er sich umwandte sah ich diesen roten Stoff einer Uniform aufblitzen, als sein Mantel sich kurz öffnete.
Er selber hatte es bemerkt und drehte sich langsam mit der Hand an seinem Schwert wieder um.
„Wir alle wissen, was jetzt passiert, oder?“ ein zynisches Grinsen hing in seinem Gesicht ehe er etwas unbeholfen die Herren vor sich angriff.
Gebannt blieb ich in Haythams Kopf, weil es spannend wurde, doch mich holte eine andere Stimme heraus… Verdammt!
„Mistress Kenway! HALLO! Was ist denn los?“ man rüttelte mich, wedelte mir Luft zu und tätschelte meine Wange.
„Was …“ ich bemerkte, dass ich auf dem Sofa lag, die Füße hoch. „Oh, mir ist wohl etwas schlecht vor Aufregung geworden. Entschuldigt.“ sprach ich leise, weil ich mal wieder nicht bedacht hatte, dass ich einen unheimlichen Anblick abgeben musste, wenn ich so weit weg war.
„Wir dachten schon, es ist etwas ernstes. Hier, trinkt einen Schluck, dann geht es euch besser. Das wird sicherlich auch die Müdigkeit mittlerweile sein.“ sprach eine Frau fürsorglich an meiner Seite.
„Das wird es sein. Schaut, es ist ja auch schon fast 6 Uhr in der Früh.“ wir alle waren uns einig, dass es sich nicht lohnte, sich noch hinzulegen. Kurzum ließen wir uns Tee und Kaffee bringen um die müden Geister wieder anzuregen.
Ich selber ging kurz nach oben um nach Edward und Florence zu schauen. Walka hob schläfrig den Kopf, sah mich, ließ sich aber wieder nieder.
„Beide haben tief und fest geschlafen.“ Sybill und Sophia waren bereits auf den Beinen und legten die Kleider der Kinder bereit.
„Vielleicht können wir ja doch heute schon abreisen.“ flüsterte ich, als ich an die Worte von meinem Sohn dachte.
Bevor ich aber wieder in den Salon zu den anderen ging, öffnete ich die Eingangstür und atmete die kalte Winterluft ein. Eine Wohltat und mein Kopf wurde klarer. Für einen kurzen Moment versuchte ich noch einmal Haytham zu finden, aber es war vergebens. Ich war zu unkonzentriert, weil ich immer befürchten musste, dass man wieder denkt, ich sei ohnmächtig oder schlafwandele.
Etwas frustriert ging ich wieder hinein und genoss den heißen Kaffee.
Gegen halb acht waren die Kinder wach und gesellten sich zu uns.
Natürlich fragte man nach, wann die Väter zurück kämen. Es wäre doch schon wieder hell.
„Wir wissen ja nicht, ob sie die Soldaten hier in der Nähe finden konnten.“ versuchte ich eine Erklärung.
„Mein Vater vertreibt sie sicher alle! Der kann richtig gut kämpfen!“ posaunte einer der Jungs.
„Natürlich! Aber meiner hat schon vor Jahren im Krieg gekämpft, der macht das mit einer Hand!“ erklärte ein weiterer mit stolz geschwellter Brust.
Und jetzt ging der Wettkampf los, welcher Vater besser ist. Edward durfte nicht fehlen und hätte sich fast verplappert mit den Fähigkeiten und denen uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Gerade noch rechtzeitig reichte ein Stupser von mir!
Wir beendeten gerade das Frühstück, als die schwer vermissten Männer und Väter wieder hier erschienen.
„Mi amor, da bist du ja wieder!“ stieß ich erleichtert aus, als ich ihn in der Tür stehen sah. Sein Aufzug deutete auf einen etwas länger dauernden Kampf hin. Seine Hand war bandagiert und sein rechtes Auge war blau unterlaufen. Hastig besah ich mir seinen Zustand genauer, aber Odin sei Dank, waren es nur Prellungen …
Du hast gar nicht gemerkt, wie ich Vater geholfen habe. Hörte ich Edward Junior kichernd in meinem Kopf.
Ich gab ihm einen dicken Kuss auf die Stirn. „Das war gute Arbeit, min lille skat.“ flüsterte ich leise und schloss auch meinen Mann in die Arme.
Nachdem alle Herren fast gänzlich ohne Wunden wieder hier waren, breitete sich Erleichterung aus und wir alle wollten wissen, was nun genau passiert war. Vorher jedoch machten sich die Helden wieder frisch und vorzeigbar, ehe sie Antworten gaben.
Besagte Soldaten stellten sich als eine Art Vorhut heraus, die sich hier in Virginia einen Überblick verschaffen sollte. Sie sollten auskundschaften, wo man Unterschlupf finden konnte, bei welcher Plantage es sich lohnte Lebensmittel oder Nutzvieh zu konfiszieren und so weiter.
Es geht los - dachte ich im Stillen.
Dieser Trupp hatte sich unseren Advokaten auserkoren, weil dieser unter der Woche meist in Philadelphia oder Richmond lebte. Somit würden ihre kleinen Diebstähle nicht sofort auffallen.
Warum sie aber bereits Munition und Waffen herbrachten, konnten sie kaum beantworten.
„Sie behaupten, dass man dachte, es wäre sicherer in einer Scheune unter dem ganzen Stroh. Gerade in der Winterzeit würde es kaum auffallen. Niemand hatte einen Gedanken an einen Brand oder ähnliches verschwendet. Im Gegenteil, einer sagte noch `Schwund sei bei jeder Sache dabei´!“
So unverantwortlich zu sein ist schon erschreckend.
Auf unsere Frage, was aus ihnen geworden sei, antwortete Rory stolz „Wir haben, nachdem leider 4 ihr Leben lassen mussten, sie hier im Kellergewölbe vorerst untergebracht. Ich werde mit Master Kenway einen Transport vorbereiten und sie nach Richmond bringen lassen. Dort werde ich sie fürs erste hinter Gitter bringen und überlegen, was wir gegen so eine Unverfrorenheit machen können. So einfach kann ich leider keinen Mann aus der königlichen Armee verurteilen.“
Ich fragte mich ernsthaft, warum eigentlich nicht? Sie hatten sich unrechtmäßig auf dem Grundstück aufgehalten und alle in Gefahr gebracht.
„Mistress Kenway, das ist richtig. Aber das ist kein triftiger Grund für eine Verurteilung. Sie plädieren ja auch darauf, dass in den Wintermonaten kaum ein Weiterkommen möglich ist und sie deshalb hier erst einmal ihr vorläufiges Lager aufgeschlagen haben. Ihr seht, es ist etwas kompliziert. Aber seid alle versichert, ich werde mich mit den anderen Richtern beraten und wir werden eine Lösung finden, welche alle befriedigt.“ versicherte der Advokat noch einmal nachdrücklich.
Wir verblieben so, dass mein Mann und zwei weitere Männer mit Rory gemeinsam diese Überführung nach Richmond heute Nachmittag noch starten würden.
Somit konnte ich mit Edward und Florence schon mal zurück nach Hause.
„Darf ich Vater nicht einfach begleiten, vielleicht braucht er Hilfe.“ fragte unser Sohn bei Rory nach.
„Master Edward, ihr seid noch zu jung und außerdem müsst ihr eure Mutter und Schwester auf dem Heimweg beschützen.“ dabei wuschelte er ihm durchs Haar.
„Also schön, einer muss ja auf die Damen aufpassen.“ seufzte Edward theatralisch und grinste mich an.
„Ich bin froh, dass du auf uns aufpasst. Du doch auch, min lille engel. Nicht wahr?“ sie sah ihren Bruder an und dann wieder zu mir.
„Aber hör auf mich zu ärgern, Eddy! Du erzählst immer böse Geschichten, die machen mir Angst!“ maulte sie ihn an. Gut, damit hätten wir ihre Albträume jetzt geklärt.
„Schuster Ehrenwort! Da ist aber noch der kopflose Reiter…“ bevor er noch mehr sagen konnte, unterbrach ich ihn.
„Die kannst du gerne mir erzählen, min lille skat!“
Das Mittagessen als letzte Stärkung für unsere Männer war vorbei und wir mussten uns verabschieden.
„Sei vorsichtig, mi amor! Ich denke an dich!“ flüsterte ich und gab ihm einen langen Abschiedskuss.
„Das bin ich immer, mi sol. Meine Gedanken werden sicherlich des öfteren bei dir sein. Wir werden durch den Schnee sicher zwei Tage länger brauchen und einen Gasthof aufsuchen müssen. Vergiss mich nicht.“ auch er bedachte mich mit einem sehr wollüstigen Kuss.
„Darf ich Vater jetzt auch verabschieden?“ maulte Edward neben mir.
„Ja, darfst du, mein Sohn. Pass gut auf, dass euch nichts passiert.“ ermahnte Haytham ihn. „Und du mein kleiner Engel, sei artig und ärgere deinen großen Bruder nicht.“ sie bekam noch einen Kuss auf die Wange und dann stiegen die Männer auf die Pferde und der Tross setzte sich in Bewegung.
„Wann kommt Papa wieder?“ schniefte Florence leise an meiner Schulter.
„Vielleicht in einer Woche, es kommt darauf an, wie viel Schnee unterwegs liegt oder noch fällt. Aber dann kannst du ihm wieder alles erzählen, was du willst. Versprochen.“ versuchte ich sie zu beruhigen. Seufzend ließ sie ihren Kopf wieder an meine Schulter sinken.
Gemeinsam gingen wir hinein und ich ließ unsere Sachen ebenfalls packen. Die Kutsche wurde fertig gemacht, so dass wir kurz darauf ebenfalls aufbrechen konnte.
Ich vermisste meinen Mann schon jetzt. Hoffentlich passierte unterwegs nichts. Es könnten ja auch ein paar Helfer der Inhaftierten auf die Truppe lauern. Aber ich schüttelte diesen Gedanken ab, er machte mich nur unruhig und das war nicht gut für die Kinder.
Auf der Rückfahrt berichtete mein Sohn von seinen Plänen, sobald er wieder zur Schule ginge. Im Moment fand kein Unterricht statt, weil man eine Art Ferienplan erstellt hatte. Zu Weihnachten, Silvester oder auch Ostern zum Beispiel sollten alle frei haben.
Im Grunde fielen auch meine Schulferien auf diese Zeiten, wenn ich darüber nachdachte.
„Mama, warst du gut in Mathematik?“ fragte Edward irgendwann, als er erzählte, dass er noch ein paar Aufgaben aufbekommen hatte von Mr Hathaway.
„Nun, nicht wirklich. Ich kam erst richtig zurecht mit den vielen Zahlen, als es um Buchführung ging. Also sehr sehr spät in meiner Schulzeit.“ erklärte ich ihm.
„Wie lange musstest du zur Schule? Musstest du länger bleiben, weil du es nicht verstanden hast?“ sein Erstaunen in der Stimme ließ mich schmunzeln.
„Nein, ich musste nicht länger bleiben. Ich habe ganz normal wie viele andere auch 10 Jahre die Schulbank gedrückt. Danach noch einmal ein Jahr um Buchführung zu lernen.“ gab ich als Kurzfassung an.
„Flo, willst du auch in die Schule? Ich kann ja mal Mr Hathaway fragen, ob das geht. Dann können wir gemeinsam hinlaufen!“ Siedendheiß fiel mir ein, dass ich tatsächlich noch gar nicht an den Schulbesuch von Florence gedacht hatte.
DAS sollte ich vielleicht dann dieses Jahr in Angriff nehmen!
„Au fein! Mama, ich will auch dahin!“ freudig klatschte sie in ihre Hände dabei.
„Ein wenig musst du dich aber noch gedulden. Ich muss ja erst einmal fragen, ob das schon geht, min lille engel. Ich denke, dein Bruder wird dir vorher sicherlich schon ein bisschen was zeigen.“ Vor einiger Zeit hatte ich festgestellt, dass meine Tochter mehr Geduld aufbrachte als Edward oder ich selber. In ihrem Alter war es oft ganz anders. Wie vieles bei ihr, ging es mir durch den Kopf.
Am Abend kamen wir endlich daheim an und ich war froh mich wieder bewegen zu können. Meine Knochen waren gefühlt eingefroren und meine Finger wollten sich nicht bewegen lassen.
Für einen kurzen Moment stand ich mit den Kindern vor dem Kamin. So konnten wir uns alle etwas aufwärmen, ehe wir uns umzogen und zu Abend essen konnten.
„Mistress Kenway, auf eurem Schreibtisch sind zwei Schreiben von euren Geschäftsfreunden aus Übersee. Sie seien dringlich!“ verkündete ein Diener.
Meine Laune war im Nu im Keller. Auf geschäftliches hatte ich gerade gar keine Lust.
Zuerst aber genossen wir das warme Essen und ich brachte die Kinder im Anschluss ins Bett.
Die Briefe waren vom Inhaber des „White´s Chocolate House“! Ich ahnte böses und ich sollte recht behalten!
London, September den 20sten, 1771
Verehrte Mistress Kenway,
ich hoffe ihr und eure Familie seid bei bester Gesundheit und
mein Brief erreicht euch unversehrt.
Leider gibt es keine guten Neuigkeiten, was eure Lieferung anbelangt.
Ich habe bereits mit Mrs Scott-Mormon ein Gespräch geführt,
weil ihr sie mit diesen Belangen ebenfalls betraut habt.
In letzter Zeit häufen sich Mangellieferungen was die Menge oder
auch die Qualität der Schokolade-Blöcke anbelangt.
Es gibt gravierende Verunreinigungen im Inneren, welche den
gesamten Block ruinieren und ungenießbar machen.
Außerdem verspäten sich die Lieferanten erheblich.
Erst neulich sah ich, dass die Kisten bereits einmal geöffnet
worden waren und Teile fehlten. Meist liegt ein Schreiben seiner
königlichen Majestät bei, in dem es heißt, man wolle sicherstellen,
dass keine Schmuggelwaren im Kern seien!
Ich weiß mir nicht zu helfen, weil die Menge natürlich entsprechend
gering ist, welche ich dann nutzen kann. Und – versteht mich bitte nicht falsch –
ich zahle für mehr als ich eigentlich bekomme. Eine Verhandlung mit
den Hafenmeistern, den dortigen Zollbeamten und dergleichen
brachte bisher keine Einigung.
Ich hoffe inständig, dass ihr ein wenig mehr Einfluss auf diese
Machenschaften nehmen könnt und sie bestenfalls sogar
unterbinden könnt.
Ich verbleibe hochachtungs- und hoffnungsvoll!
Das hatte mir gerade noch gefehlt!
Jetzt ging es um meine eigenen Geschäfte, die auf der Kippe standen! Innerlich begann ich zu kochen und verfluchte den König dreifach!
Also setzte ich mich hin und begann ein Schreiben an Jenny zu verfassen. Von hier konnte ich kaum bis gar nichts ausrichten, wir müssten direkt vor Ort sein. Aber das war gerade jetzt nicht möglich. Von der Jahreszeit mal abgesehen, hatten wir hier noch den Untergrundausbau zu überwachen, die neue Pflanz- und Saatzeit würde in drei Monaten beginnen und theoretisch könnte Florence in die Schule.
Ich bat meine Schwägerin im Londoner Büro anzufragen, ob es dort jemanden gäbe, der sich mit den Zollbeamten und Hafenmeistern auseinander setzen konnte. Außerdem mussten Briefe an den König selber verfasst werden, in welchen ich ihm erklärte, woher die Waren stammten und dass man keinen Schmuggel zu befürchten hatte. Ob das wirklich etwas bringen würde, wusste ich noch nicht. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.
Einen weiteren Brief schickte ich direkt ans Büro und teilte die Sachlage mit. Ich schrieb auch gleich, dass sich Mrs Scott-Mormon unverzüglich mit ihnen in Verbindung setzen würde.
Das zweite Schreiben kam von Mr André.
Es war aber nicht dringlich, wie der Diener vorhin noch sagte. Er teilte lediglich erfreut mit, dass John, sein Sohn, bald in die Armee seiner Majestät gehen würde. Er hätte alles arrangiert für ein Patent.
… Ich wäre erleichtert, würdet ihr auf ihn ein Auge haben,
sollte John schon früher als geplant in die Kolonien versetzt
werden. So weit ich unterrichtet bin, wird er in New York stationiert.
Sicher ist diese Information leider noch nicht …
So seine Aussage. Er würde mir Bescheid geben, sobald er ein konkretes Datum bekäme. Das ließe sich einrichten, ich würde gerne wissen, wie sich der junge Mann gemacht hat in den letzten Jahren. Mein Mann war damals angetan von ihm, weil auch er Mathe liebte unter anderem.
Also schrieb ich ein paar Zeilen zurück und versicherte Mr André dass ich auf seinen Sohn achten werden so weit es in meiner Macht stand.
Wieder einmal dachte ich über diesen Namen nach. Warum kam er mir so bekannt vor? Ich hatte ihn gehört, gelesen… Aber WO? Und vor allem in welchem Zusammenhang?
Bevor ich jedoch eine schlaflose Nacht bekam, hakte ich im Geiste diese Gedanken vorerst ab und widmete mich meiner Körperpflege. Magda hatte ich bereits für heute Abend entlassen, weil auch sie sich um ihren Sohn kümmern musste. Er hatte seine Eltern sicherlich vermisst.
Im Schlafzimmer herrschte völlige Stille, nur das Rascheln der Bürste in meinen Haaren war zu hören. Das war schon fast meditativ und ich entspannte mich langsam. In mein Nachthemd gehüllt, dämmte ich noch das Feuer im Kamin ein und legte mich unter die Decke.
Aber so richtig warm werden wollte mir nicht. Mir fehlte mein Mann.
Ich beschloss wieder aufzustehen um das Feuer noch einmal neu anzufachen. Vielleicht würde mich das etwas aufwärmen. Gedankenverloren stand ich vor dem langsam aufflackernden Feuer und dachte über mein Leben hier nach.
9 Jahre! Fast ein Jahrzehnt war ich bereits in der Vergangenheit.
Hatte ich mich richtig eingelebt? Nein, das würde ich auch nie können vermutlich.
Kurzerhand beschloss ich, mein Tagebuch weiter zu verfassen. Ich hatte es in den letzten Wochen vernachlässigt muss ich zu meiner eigenen Schande gestehen.
Die Worte flossen wie von alleine auf das Papier, immer mit dem Gedanken, dass Yannick sie lesen wird. Auch ihn vermisste ich in diesem Moment.
Bevor ich jedoch gänzlich in ein schwarzes Loch fiel, begann ich mir ein paar Unterlagen anzusehen hinsichtlich meiner Geschäfte. Ich musste mich ablenken und zwar schnell.
Als es bereits dämmerte schloss ich die Bücher, löschte die Kerzen und ging zu Bett.
Sollte ich versuchen meinen Mann zu finden im Geiste? Nein, besser nicht! Auch er braucht seinen Schlaf, gerade wenn die Herren eine Art Wache darstellten.
Die nächsten drei Tage nutzte ich unter anderem für ein Gespräch mit den Eheleuten Hathaway. War Florence wirklich schon soweit für die Schule? Sie wurde im Sommer 6 Jahre alt, im Grunde stünde dem nichts im Wege.
„So wie ich das sehe, sollte eure Tochter ruhig unterrichtet werden. Auch sie ist wissbegierig und lernt, laut Mrs Muller, schnell. Wenn es euch beruhigt, Mistress Kenway, dann können wir auch vorher ein paar Übungen machen, um wirklich sicher zu sein.“ Der Prediger wollte sie ein paar Sätze lesen oder, wie bei Edward auch, kleinere Rechenaufgaben lösen lassen
„Das hört sich fantastisch an, Mr Hathaway. Lasst mich wissen, wann ihr Zeit dafür habt.“ sogar ich war plötzlich aufgeregt und freute mich für Florence.
Mitten in der Nacht, es muss ungefähr die fünfte gewesen sein allein hier, hörte ich Stimmen von draußen. Sie waren vor unserem Fenster auf dem kleinen Umlauf auf dieser Etage!
Ich bemühte mich ruhig zu atmen um hören zu können, was sie sagten. Plötzlich sah ich mehrere Schatten an den Vorhängen und jemand versuchte ein Fenster zu öffnen.
Langsam stand ich auf, immer darauf bedacht keine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich tapste in Richtung Tür um auf die Galerie zu kommen, mir Waffen zu holen und die Kinder zu warnen.
Kaum hatte ich meine Hand am Türgriff, hörte ich schon auf der anderen Seite Fußgetrappel und leises Jaulen von Walka. Vorsichtig öffnete ich, schob aber gleichzeitig Edward mitsamt Hündin wieder hinaus und wir schlichen auf die gegenüberliegende Seite.
„Mama, da sind ganz seltsame Männer auf den Balkon geklettert. Die haben Masken auf…“ flüsterte mein Sohn und deutete die Gesichtsbedeckung an. Wie es aussah, waren nur die Augen der Eindringlinge frei.
„Wir müssen auch deine Schwester erst einmal wecken und dann gehen wir unten in den Keller. Hast du mich verstanden?“ sprach ich leise und eindringlich auf Edward ein.
„Ja, aber ich kann doch…“ musste er denn immer das letzte Wort haben?
„Nein, du bleibst mit Sybill, Sophia und deiner Schwester dort!“ ermahnte ich ihn und holte ein Schwert, sowie einen Dolch aus dem kleinen versteckten Schrank.
Die Kindermädchen waren aber ebenso schon alarmiert, genau wie einige der Diener und Angestellte, welche sich alle leise in Richtung Keller aufmachten.
Ich lauschte auf die Eindringlinge, die sich noch nicht offen haben blicken lassen. Mir pochte mein Herz bis in den Hals bei dem Gedanken, dass es schon wieder Soldaten sein könnten, die vielleicht Rache nehmen wollten an ihren Kameraden die gerade in Richmond inhaftiert waren. Wenn sie denn schon dort waren!
„Geht jetzt alle hinunter, verschließt die Tür und versucht in den Gang zur Scheune zu gelangen. Dort seid ihr alle vorerst sicher!“ flüsterte ich ihnen allen zu.
„Mama, ich habe Angst!“ Florence wollte sich nicht von mir lösen, was verständlich war, aber das konnte ich gerade nicht gebrauchen.
„Min lille engel! Euch passiert nichts, wenn ihr jetzt das tut, was ich sagen! Versprochen!“ versuchte ich es leise und hoffentlich beruhigend.
„Aber…“ Edward Junior ließ aber seine kleine Schwester nicht ausreden.
„Wir gehen jetzt, ich passe auf dich auf! Mutter wird sich um diese Arschlöcher kümmern!“ Ich hätte ihn ermahnen müssen ob dieses Schimpfwortes, aber es war gerade nicht die Zeit.
„Geht jetzt!“ ich versuchte immer noch meine Stimme zu zügeln.
Als alle außer Sicht waren, eilten die Wachen zu mir, welche noch nicht ihre Posten bezogen hatten.
„Mistress Kenway! Es sind ungefähr 14 Mann, die sich auch in den Ställen und den Scheunen herumtreiben. Um das Haus, oder besser auf dem oberen Balkonen sind bereits 6 vermummte Gestalten.“ in diesem Moment hörte ich ein Poltern aus der oberen Etage, es kam aus Richtung unseres Schlafzimmers.
Wir eilten leise hinauf, bedacht darauf keinen Lärm zu machen.
„Verfluchte Scheiße! Hier ist nichts versteckt, außer… oiiiiiiiii… Misses hat aber interessantes Zeugs in ihrem Nachtschrank…“ mir stieg eine peinliche Röte ins Gesicht. Odin sei Dank war es zu dunkel, als dass meine Mitstreiter es bemerkt hätten.
„Lass das liegen. Wir müssen also doch noch in eines der Studierzimmer. Wie ich diese Schnüffelei doch hasse… Moment mal, warum ist hier eigentlich keiner?“ hörte ich eine weitere Stimme, welche jetzt nahe der Tür war.
„Das Bett ist noch warm…“ ertönte ein weiterer Herr. „Sie kann also noch nicht weit sein!“
Bevor wir jedoch entdeckt werden konnten, versteckten sich meine Wachen und ich in der hinteren Nische bei den Kinderzimmern.
„Dann wollen wir doch mal sehen…“ damit traten 5 Mann auf die Galerie, demnach waren es noch 9 Personen die draußen ihr Unwesen trieben.
Die Gruppe teilte sich auf. Clever!
„Mathew, du gehst dort nach dem Arbeitszimmer suchen. Laut Plan ist es im oberen Stockwerk, rechte Seite zur Einfahrt raus. Von dem Großkotz ist es direkt darunter! Also los, wir haben nicht ewig Zeit.“ pöbelte eine dunkle Stimme die anderen an.
„Und denkt daran, wir suchen nur nach den Geschäftsbüchern! Hier müssen etliche davon sein!“ Warum in alles in der Welt flüsterten sie nicht? Für Einbrecher oder Diebe war das eher untypisch, oder wollte man uns absichtlich glauben lassen, dass es nur halb so schlimm war? Ich und meine Paranoia!
„Das hier sind nur die Räume der Gören! Aber… die sind alle ausgeflogen! Haben wohl doch Schiss gekriegt, wie? Kaum ist der Großmeister aus dem Haus haben sie alle Angst…“ kicherte ein Herr mit rauchiger, hustender Stimme.
„Ist das ein Wunder? Dem will ich auch nicht im Dunkeln begegnen. Der hat meinen Cousin mit einem einzigen Kopfschuss zu seinem Schöpfer geschickt.“ Noch jemand, der nicht gut auf meinen Templer zu sprechen war. „Irgendwann krieg ich diesen Mistkerl und dann Gnade ihm Gott!“ fluchte er weiter.
„Jungs, ich hab hier was!“ ertönte ein erfreuter Ausruf aus meinem Arbeitszimmer.
Hier oben waren noch 2 Typen, die anderen beiden waren bereits unten.
Vorsichtig verließen wir unser Versteck und ich nutzte meinen Blick um mir einen Überblick zu verschaffen.
Sie hatten tatsächlich die Bücher gefunden, welche aber sauber waren. Wir schmuggelten offiziell ja nichts. Alles was verdächtig sein könnte war in meiner Stahltruhe, welche sich in einer Zwischenwand befand. Noch hatte man sie nicht entdeckt, aber selbst wenn…
„Hey, was haben wir denn hier?“ Dieser Mann klang sehr erfreut ob seines Fundes. „Seht euch das an, da ist ein Versteck in der Wand!“
Wieder hörte ich Rumoren und Poltern, Holz knirschte als es aufgebrochen wurde.
„Holla! Hier versteckt die werte Dame also ihren wertvollen Schmuck!“ höhnte man und ich sah, wie sie alle versuchten die Truhe aus ihrem Versteck zu zerren.
„Mistress Kenway, sollten wir nicht lieber einschreiten? Ich meine, nicht dass diese Schurken die Kiste noch öffnen…“ die Wache neben mir war noch recht neu bei uns, also klärte ich ihn kurz auf, dass wir uns darüber keine Sorgen machen müssten.
Im selben Moment aber hörten wir von unten freudiges Gejubel. Aber auch dort würden sie nur die üblichen Geschäftsunterlagen finden. Mein Mann war dazu übergegangen, alles was in irgendeiner Form verdächtig sein könnte, in dem Waffenkeller unterzubringen. Wir führten beide doppelte Bücher! Sicher ist Sicher! Wie man jetzt ja sah.
„Ein Tagebuch vom Großmeister persönlich…“ Danach hatten diese seltsamen Gestalten gesucht? Ich verstand gerade gar nichts mehr.
„Hmmmm… seine Frau muss ja ziemlich langweilig sein. Man könnte meinen, er schreibt einen Bericht für seinen Kommandanten.“ die Enttäuschung, dass es keine schlüpfrigen Dinge zu lesen gab, war kaum zu überhören.
„Wir suchen nach was anderem, schon vergessen du Idiot?“ fauchte man den anderen an.
„Was zur Hölle ist das für ein Schloss? Das piept … und … es leuchtet… Wie ist das möglich?“ ängstlich und auch ehrfürchtig zu gleich hörte ich einen Eindringling aus meinem Studierzimmer. Sie alle scheiterten an der modernen Technik. Ohne die Powerbank zum Aufladen wäre sogar ich mittlerweile aufgeschmissen.
„Wir nehmen dieses Ding einfach mit und schauen, ob man mit Schwarzpulver was erreichen kann. Ich will nicht noch länger hier bleiben. Die Kenway kommt sicher auch bald auf die Idee nachzusehen, was wir hier machen.“ Anscheinend waren sie alle noch recht unwissend ob meiner Fähigkeiten, gut so!
„Und wenn schon, dann gibts nen Knebel und einen über den Schädel… Ruhe ist!“ lachte diese tiefe Stimme wieder.
Immer noch wusste ich nicht, ob ich einschreiten sollte. Sie hatten ja bis jetzt nichts gefunden, kaputt gemacht, angezündet oder ähnliches.
„Wir gehen jetzt rein!“ tat ich meinen Wachen hier kund und ließ die anderen unten wissen, dass sie ebenso ins Arbeitszimmer von Haytham einschreiten sollten.
Gesagt getan!
Mit Schwung riss ich die Tür auf und mich sahen 3 erschrockene Augenpaare an.
„Gentlemen, kann ich euch irgendwie behilflich sein? Habt ihr einen Wunsch?“ mein Sarkasmus gepaart mit einem Hauch Thyra bereitete mir einen wohligen Schauer.
„N...nein… Wir … kommen schon zurecht!“ einer der Herren ließ langsam seine Hand an sein Schwert gleiten.
„Denkt nicht einmal daran.“ ermahnte ihn einer meiner Leute.
Von unten ertönte bereits Kampflärm, also ging es dort nicht so friedlich zu.
„Na, dann warte ich mal hier, bis ihr die Truhe geöffnet habt. Sicherlich seid ihr Meister im Schlösser knacken. Nicht wahr?“ ich lehnte an dem Türrahmen und betrachtete die Diebe vor mir, wie sie von meinem Eigentum zu mir und wieder zurück blickten.
„Das ist Hexenwerk, Weib. Das fasse ich sicherlich nicht mehr an.“ er schüttelte sich bei diesen Worten.
Plötzlich sah ich aus dem Augenwinkel flackerndes Licht von draußen! Der Pferdestall war von hier aus direkt zu sehen und ich starrte entsetzt in diese Richtung!
„NEIN! Was habt ihr Idioten gemacht?“ schrie ich in meiner Panik und begann den Kampf! Jetzt reichte es mir!
Die drei Herren vor uns waren so überrascht, dass sie keine Chance hatten und wenig später blutend auf dem Boden lagen.
Ich selber eilte einfach nach draußen, ohne darüber nachzudenken, dass hier noch weitere von diesen Vermummten waren!
Ein Schuss ertönte und ich spürte einen beißenden Schmerz in meiner rechten Flanke! Gekrümmt versuchte ich mich weiter dem Stall zu nähern, aber es war die Hölle. Ich presste meine Hand auf die Wunde, spürte aber gleichzeitig dieses stetige Rinnsal von Blut über meine Haut laufen.
„Bleib stehen!“ brüllte man mir zu, riss mich herum und ich starrte in ein breit grinsendes Gesicht. „Ich wollte dir schon immer einmal ganz persönlich gegenüberstehen! Ein herrliches Gefühl!“ Eugene! Aber hier war keine Magie oder etwas gefaked. Es war alles real!
Meine Barriere war auf einem nicht zu überwindenden Level. Er konnte nicht hindurch.
„Schätzchen, ich bin real. Ich bin hier! Und jetzt…“ er zog mich hinter sich her bei den Worten. „… werden wir deine schöne Truhe öffnen!“
Mit Entsetzen sah ich, wie er ohne mit der Wimper zu zucken zwei unserer Wachen erschoss. Er nutzte eine Pistole aus dem 21. Jahrhundert… wie unfair… ging es mir durch den Kopf!
„Fair kann jeder!“ fauchte er und zerrte mich weiter mit sich… die Treppe hinauf… in mein Arbeitszimmer. „Um diese Jungs ist es nicht schlimm…“ Achselzuckend ging er über die Leichen seiner Männer.
Mittlerweile fühlte ich meine rechte Seite kaum noch, mein Arm kribbelte, genau wie mein Bein und ich drohte ohnmächtig zu werden. Kleine Blitze und Sternchen tauchten vor meinen Augen auf.
„So, jetzt mal her mit den Daumen, Alex!“ Eugene zog mich hinunter auf die Knie und legte ihn auf die Markierung. „Machst du es mit links freiwillig, oder muss ich handgreiflich werden?“ flüsterte er mir drohend ins Ohr.
Langsam und zittrig drehte ich meinen Kopf in seine Richtung.
„Ich lass es darauf ankommen…“ flüsterte ich. Gleichzeitig spürte ich die Veränderung wieder in mir vonstatten gehen! Edward ließ seine Kräfte auf mich wirken und Thyra begann sich zu erheben.
Doch ich war nicht schnell genug!
Er brauchte nur eine Mikrosekunde, war hinter mir und drückte jetzt beide Daumen auf die Schlösser. Ich hörte ein mir vertrautes „swuuuusch“ und ein leises Klicken.
„Ahhhh, dieser Sound ist ein Wohlklang in meinen Ohren…“ seufzte der Russe hinter mir und strich mir über die Wange. „Dann wollen wir doch mal schauen, was in diesem Wunderkasten alles zu finden ist.“ in diesem Moment gingen bei mir die Lichter aus.
Das darf doch nicht wahr sein…
Meine Augen wollten sich nicht so richtig öffnen lassen, es war einfach zu schwer.
„Na, magst du noch etwas bei mir bleiben, Alex? Diese Nacht war grandios!“ Diese Stimme brachte mir Übelkeit und in mir krampfte sich alles zusammen. „Leider hast du mir nicht alles gegeben was ich wollte. Wir üben das noch mal, einverstanden?“ ein Lachen schlimmer als vom Teufel persönlich ertönte neben mir.
Mein Mund öffnete sich, aber kein Ton kam heraus. Meine Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an.
Aber langsam nahm ich meine Umgebung wahr.
Ich lag in einem Bett in einem mir vertrauten Raum. Unser Schlafzimmer… Aber das neben mir war nicht mein Templer…
Warme Hände begannen über meinen Körper zu wandern, welcher in kein Hemd oder sonstige Kleidung gehüllt war! Langsam keimte eine mir bekannte Panik empor!
„Du sagst ja gar nichts, Alex? Bist du immer noch von meinen Qualitäten so begeistert?“ kichernd drehte sich Eugene jetzt über mich, sodass ich ihm in die Augen sehen konnte. „Deine Götterpreisung war Zuspruch genug für mich, also brauchst du auch gar nichts sagen!“ Wieder überkam mich eine lauernde Übelkeit.
Plötzlich hatte ich das Gefühl, als würde man mir einen Knebel aus dem Mund nehmen und meine Arme und Beine befreien! Mit einem lauten Aufschrei befreite ich mich unter Avdeyev und sprang aus dem Bett. Leider hatte ich meine Verletzung auf der rechten Seite vergessen und krümmte mich prompt vor Schmerzen!
„Du brauchst Bettruhe, meine Liebe. Komm zurück.“ flüsterte er mir zu.
„Nein… werde ich nicht!“ fauchte ich, während ich gleichzeitig nach meinem Morgenrock angelte, der über dem Fußende lag.
Erstaunlich was man für Kräfte entwickeln konnte, wenn es drauf ankam.
Langsam erhob sich mein Peiniger aber ebenfalls aus dem Bett und kam auf mich zu. Ich ging entsprechend weiter zurück.
„Dann lass mal sehen, was du fertig bringst in deinem Zustand! Und vergiss nicht… du bist nicht mehr alleine in deinem Körper!“ Sein Lachen ließ mich erzittern. Meine Hand wanderte wie ferngesteuerte auf meinen Bauch. „Du kannst es nicht mehr verhindern. Lange genug habe ich auf diese Gelegenheit gewartet. Monatelang habe ich meine Taktiken überarbeitet und Pläne immer wieder neu geschrieben! Und siehe da! Es braucht keine geheimen Fähigkeiten, ein einfacher Einbruch und ein bisschen Hokuspokus, damit mich deine Blagen und dein Vollidiot von Mann nicht stören! Et Voilà! Du gehörst mir!“
„Wo sind meine Kinder?“ schrie ich in einer neuen aufkeimenden Panik und lief, so schnell es denn ging, zur Tür. Auf der Galerie herrschte Dunkelheit und nichts war zu hören. Auch sah ich keine zuckenden Lichter von draußen wie vorhin… Hatte man das Feuer schon gelöscht? Was war mit unseren Pferden geschehen?
Zitternd eilte ich die Stufen hinunter und Richtung Keller… Was hatte ich ihnen geraten vorhin? Bis zur Scheune in den darunter liegenden Raum? Jeder Schritt bescherte mir ein Stechen in meiner rechten Flanke, das Atmen tat zusätzlich weh.
„Soll ich dich vielleicht stützen, Alex? Du siehst nicht gut aus und wir wollen doch, dass dem neuen Erdenbürger nichts passiert, oder?“ seine Hand ergriff meinen Ellenbogen und führte mich hinunter.
„Lass mich los, du Wichser!“ brüllte ich ihn an, aber er ließ mich nicht los.
„Na na na, vorhin hat sich das aber noch anders angehört. Komm, ich bring dich zu diesen Nervensägen!“ mit Schwung hob er mich auf seine Arme und trug mich durch den Keller in Richtung der Scheune durch unsere Tunnelgänge. „Schau an, ihr seid wirklich gut voran gekommen. Mal sehen, was ich davon noch machen kann. Solche unterirdischen Gänge sind ja ungemein praktisch.“ Seine Stimme war unerträglich für mich geworden mittlerweile und ich wollte nur noch hier weg.
Es würde aber keine Barriere oder ähnliches helfen, oder?
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir besagtes Ziel und Eugene ließ mich auf meine Beine runter.
„Da wären wir.“ hörte ich ihn freudig sagen, als er die schwere Eisentür vor uns öffnete. Dahinter saßen Edward, Florence und die Kindermädchen, sowie einige der Angestellten. Entsetzt sah man mich jetzt an.
„Mama…“ mein Sohn stand langsam auf, kam aber nicht näher! Stattdessen wurde sein Blick hart und musterte meinen Bauch! „Nein!“ plötzlich stürzte er sich auf den Russen und schlug wie wild auf ihn ein.
„Autsch… lass das!“ mit einer Hand schlug er meinen Sohn von sich. „Freut euch lieber, ihr bekommt noch einen Bruder!“ dieses Lachen, widerlich!
Alex, wie konnte das passieren? Hörte ich Sybill flüsternd in meinem Kopf.
Ich weiß es nicht! Meine Stimme klang schluchzend und gleichzeitig verzweifelt, weil ich mir keinen Reim auf das ganze hier machen konnte.
Florence starrte wie in Trance vor sich hin, sagte keinen Mucks und sah mich auch nicht an. Als ich mich langsam vor ihr auf die Knie sinken ließ, richtete sich ihr leerer Blick auf mich. Für einen winzigen Moment sah ich, dass sie mit Brünhild an einem Plan arbeitete. Augenblicklich verbarrikadierte ich diese Bilder, weil Eugene sie unter keinen Umständen sehen durfte.
„Mutter und Tochter im Zwiegespräch… wie schön. Hilft euch aber auch nicht weiter. Es ist vollbracht und damit hat es sich! Nur noch ein wenig Ruhe und die richtigen Drinks, dann wird es ein kleines Meisterwerk!“ er war lauter geworden, vermutlich etwas genervt von der ganzen Situation.
„Und jetzt reicht es auch erstmal! Komm Alex, wir wollen dich in Sicherheit bringen, damit unserem Nachwuchs nichts passieren kann!“ Der Russe packte mich und zog mich hoch. Perplex, was er meinen könnte, sah ich mich um.
„Du kannst meine Mutter nicht einfach …“ Edward hatte gegen diesen Faustschlag meines Widersachers keine Chance und lag bewusstlos am Boden.
Ich spürte immer wieder wie die Götter versuchten zu uns durch zu kommen, aber etwas verhinderte ihr Eindringen.
„DAS ist eine ganz geheime Zutat meiner Kräfte, Schätzchen! Wenn du lieb bist, dann zeig ich sie dir…“ damit erhob er sich im wahrsten Sinne des Wortes und zog mich mit sich. Es war, als würde ich plötzlich von oben herab erst auf die Menschen im Keller schauen, dann auf die darüber liegende Scheune und im nächsten Augenblick war ich an Bord eines großen schwarzen Schiffes.
„Willkommen an Bord der Naglfar!“ grölte der Russe und ließ Segel setzen!
Dieser Mann führte mich durch das Schiff, zeigte mir die Räumlichkeiten in welchen ich in der nächsten Zeit unterkommen sollte.
„Du darfst in meiner Kajüte mit mir nächtigen. Na, ist das nicht ein tolles Angebot?“ dieser Zynismus war widerwärtig! „Das beste ist, dein Sohn Yannick ist gerade mit der Suche nach mir beschäftigt und kann mich hier gar nicht finden! Somit haben wir alle Zeit der Welt um uns auf unseren Sohn vorzubereiten! Er wird ein mächtiger Zeitenwanderer und Herrscher werden, gepaart mit den Mächten der Götter!“ Immer wieder schnippte er mit den Fingern bei seinen eigenen Worten.
Ich selber sagte nichts, weil mir die Worte fehlten. Mein Gehirn war wie ausgeschaltet und ich wartete die ganze Zeit nur darauf endlich aus diesem Albtraum zu erwachen.
„Komm, zuerst werde ich dich meiner Heilerin überlassen, damit du gesund wirst. Wir wollen ja keine weiteren Risiken eingehen, nicht wahr?“
Mir wäre es scheißegal, wenn ich ehrlich sein soll.
Wir näherten uns einer Tür unter welcher ein leichter Nebel mit einem seltsamen Licht hindurchströmte.
„Ich habe schon auf euch gewartet. Leg dich, Liebchen. Das haben wir gleich…“ hörte ich diese alte Frau mit kratziger Stimme sagen. Sie klang wie eine typische Hexe aus den Märchenbüchern und sah auch so aus.
„Sei vorsichtig, Mütterchen! Ich will meine Liebste gesund und munter haben. Und sieh zu, dass du dich versicherst, dass sie das Kind nicht verliert!“ die letzten Worten klangen eher wie eine Mahnung, so als hätte diese Alte schon ein paar Mal Mist gebaut.
„Natürlich werde ich dafür ebenfalls Sorge tragen!“ …
Mir wurde schwindelig, als sie mit einem Büschel Kräutern vor meinem Gesicht herumwedelte und seltsame Worte vor sich hin sang.
Hin und wieder musste ich mich dann doch übergeben, was die Frau mit den Worten „Ja ja, diese Übelkeit am Anfang vergeht bald“ kommentierte.
Ich fiel in einen seltsamen ruhigen Traumzustand nach einer Weile …
Immer wieder tauchte Haytham auf, welcher sich suchend umsah und meinen Namen rief. Oder aber Edward und Florence erschienen vor meinem geistigen Auge. Auch sie versuchten mich zu finden. Aber ich konnte ihnen keine Hinweise geben, es war als hätte man mir die Zunge gestohlen, die Stimme oder meinen ganzen Verstand. Etwas blockierte mich für meine Familie.
Eine eigens von Eugene für mich persönlich errichtete Barriere?
Dieser Gedanke beflügelte mich etwas. Konnte ich nicht solche Mauern durchbrechen?
Was hat mir Edward Senior immer eingetrichtert im Training? „Die gesamte Konzentration auf die Steine, versuche sie alle einzeln zu bewegen. Nur so lernst du sie im gesamten zu durchbrechen!“
Leider war meine Konzentration an einem Nullpunkt, weil dieses Kind in meinem Bauch mich zusätzlich hinderte!
„Lass es, meine Liebste! Du schadest nur dir selber…“ flüsterte man mir immer wieder zu.
Eine Unendlichkeit später fühlte ich mich kräftiger, ausgeruhter und … schwangerer! Entsetzt bemerkte ich erste Bewegungen in meinem Bauch! Bei Odin… NEIN! In mir schrie alles wie so oft nach meinem Allvater, aber es war wie immer. Nichts drang nach außen oder zu mir!
Diese Trance in mir verstärkte das Gefühl dieser Hilflosigkeit nur noch mehr und es kam immer öfter vor, dass ich resignierte. Ja, ich begann aufzugeben, gegen das alles hier anzukämpfen!
Irgendwann fühlten sich Eugenes Zuwendung normaler und richtig an, so als sei ich nie mit Haytham zusammen gewesen. Die vermeintliche Hexe half mir darüber hinaus über Wehwehchen hinweg, was zusätzlich diese Gleichgültigkeit in mir nährte!
„So sollte es immer sein, Alex. Du hast einfach zu lange gewartet. Jetzt braucht es Zeit, bis du dich an deine Rolle als Mutter des zukünftigen Welten- und Zeitengottes gewöhnt hast. Aber wir werden es gemeinsam schaffen und du wirst sehen, sie alle werden sich vor uns verneigen!“ Seine Stimme hatte einen liebevollen Ton angenommen. So kannte ich ihn nicht, aber ich empfand es als wohltuend, nicht abschreckend.
Man könnte auch meinen ich hätte tatsächlich komplett resigniert.
So vergingen Wochen, vermutlich auch Monate ohne dass ich mich weiter bemühte einen Ausweg zu finden. Mir fehlte schlichtweg die Kraft zum Kämpfen. Das Kind in meinem Bauch schien sie mir zu rauben. Erschreckend stellte ich fest, dass das Wachstum in großen schnellen Schritten vonstatten ging. Oder täuschte ich mich? Galten hier andere Rechnungen für das Leben?
„Du bist nicht mehr in deiner Welt, Alex!“ begann Eugene eines Nachts als wir in seiner Kajüte im Bett lagen. „Die Zeitrechnung, wie du sie kennst, existiert hier nicht. Wir leben für einige wenige wichtige Momente und beschleunigen sie. Wenn es soweit ist, können wir sie auch verlangsamen, damit alles korrekt ablaufen kann!“ Diese Information speicherte ich seltsamerweise wie selbstverständlich ab, wohingegen ich andere Dinge einfach abhakte und vergaß.
Eines Morgens war ich recht früh auf den Beinen und ging an Deck um die frühen Sonnenstrahlen zu genießen. Versonnen strich ich über meinen bereits beachtlichen Bauch und dachte im Stillen, dass es ja nicht mehr allzu lange dauern könnte bis zur Geburt.
Geburt!
Yannick!
Edward!
Florence!
Diese Namen kamen wie aus dem Nichts und fühlten sich vertraut an… wo hatte ich sie vorher schon einmal gehört?
Plötzlich zuckten Blitze in meinem Kopf und mich überkam eine immense Übelkeit. Mein Vorteil war, dass ich schon an der Reling stand und mich nur vornüber beugen musste. Bei Odin… woher kam das so plötzlich…
Wie durch einen Kurzschluss flackerten Bruchstücke von Stimmen, Bildern und Gefühlen zu mir in meinen Kopf.
Ich bin hier …
Alex, hör mir zu …
Du musst auf deine Stärke …
Er darf nicht siegen! …
Sie ist doch da…
MAMAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA…
Mir war unendlich schwindelig, meine Augen schlossen sich immer wieder, ich fühlte mich wie nach einer stundenlangen Narkose…
Plötzlich sah ich in weiter Ferne ein Funkeln. Morsezeichen… dachte ich noch bei mir.
Beim genaueren Betrachten waren diese Lichtblitze wirklich konstant, immer dieselben und regelmäßig.
Aber ich war dem Morsealphabet nicht mächtig! Was sollte mir das bringen!
Nicht DIR! Dröhnte eine tiefe mir wohlvertraute Stimme plötzlich im Kopf. ENDLICH hörst du mich. Konzentrier dich auf die Lichter weiter und hör mir zu!
Es war mein Allvater und allmählich klärte sich mein Geist, wenn auch recht langsam und es vergingen gefühlte Stunden.
Keine Angst, wir steuern gerade die Zeit und haben somit, hoffentlich, keine Eile.
Er erklärte weiter, was passiert war und in mir keimte ein unsagbar schlechtes Gewissen auf. Meine Kinder, mein Mann, meine Freunde! Sie alle hatte ich im Stich gelassen, weil ich mich einlullen ließ von den Worten und Mächten Hrymrs oder besser Eugenes. Er hatte es geschafft mich mit einer kompakten Mauer zu umgeben, die mich komplett abschottet. Nichts drang nach draußen, nichts kam an mich heran. Seit Monaten versuchten Haytham, Edward Senior, die Kinder … einfach ALLE versuchten mich aus diesen Fängen zu befreien.
Erst jetzt kamen wir dank des jungen Edwards auf die Idee, es mit einem Trick zu versuchen. Die Naglfar war in den letzten Monaten immer wieder aufgetaucht, hatte hier und da für Unruhe gesorgt, aber war dann plötzlich verschwunden. Bis zu dem Zeitpunkt, als dein kleiner Sohn dich mit einem Spiegel blendete. Du erinnerst dich vermutlich nicht mehr daran, aber zum ersten Mal konnte ich deinen Geist wieder wahrnehmen. Also haben wir darauf aufgebaut. Jeden Morgen stehst du hier an Deck, genau wie auf der Jackdaw auch! Deine Gewohnheiten kannst du auch bei dem Erzfeind nicht abstellen. Mein Kind! Du musst zu uns zurück, befreie dich von dieser imaginären Kette…
Meine Jackdaw! Wie habe ich das Segeln mit Edward in der Karibik genossen… Aber das war gefühlte Jahrhunderte her. Es WAR Jahrhunderte her!
Ein Pirat! Mein Schwiegervater!
Deswegen hieß auch mein kleiner Sohn so!
Langsam wuchs in mir die Erkenntnis, dass ich in einer angepassten Scheinwelt dahin vegetierte. Man hatte mich mit was auch immer außer Gefecht gesetzt.
Es war dein eigener Wille, mein Kind. Leider warst du durch die Schusswunde zu geschwächt um dagegen zu kämpfen und Hrymr … er hatte leichtes Spiel… diese Trauer in der Stimme Odins war für mich erschütternd und ich begann zu weinen.
Immer mehr spürte ich eine neue Kraft in mir aufsteigen und im wahrsten Sinne richtete ich mich auf.
„Meine Liebe, so früh schon wieder wach…“ doch etwas an der Stimme des Russen war anders. „Komm da weg, SOFORT!“ donnerte es hinter mir.
„Nein, ich bleibe wo ich bin und werde mich nicht mehr kontrollieren lassen.“ mir war selber nicht ganz klar, woher diese Bestimmtheit und Ruhe in meinen Worten kam. Sie war da.
„Sie wollen dich nur benutzen um noch mehr Macht zu bekommen, aber wir können es ihnen ALLEN zeigen, Alex. Sei nicht dumm und komm zu mir!“ rief dieser Mann vor mir, während er versuchte meinen Arm zu ergreifen!
„Jeder strebt nach eigenen Zielen, Eugene. Du, ich, die Menschheit allgemein. Aber DU willst ALLES! Du willst die alleinige Kontrolle! Aber du wirst ohne mich an dein Ziel kommen müssen!“ in mir tobte eine Woge aus Wut, Angst, schlechtem Gewissen, Stolz auf meine Kinder… einfach aus so vielem, dass es mich immer weiter öffnete und mich klarer sehen ließ.
Dieser Hrymr hatte es tatsächlich doch noch geschafft mich willenlos zu machen. Und das ohne große Hilfsmittel, musste ich mir eingestehen. Das Ganze mit meiner Truhe war nur eine Ablenkung gewesen…
„Nein, ich brauchte deine DNA! Ohne sie hätte ich nicht den perfekten neuen Herrscher erschaffen können, oder dachtest du, wenn du bewusstlos bist, bekomme ich ALLES von dir?“ in mir zog sich alles vor Angst zusammen, weil ich das schlimmste Szenario völlig ausgeblendet hatte. Er hat mich vergewaltigt.
Er hatte die Abdrücke genutzt… in meinem Kopf spielte sich ein ganzer Spionagekrimi ab… James Bond und die X Akten lassen grüßen.
Du brauchst nur an mich denken und ich helfe dir … diese Stimme einer Frau in meinem Kopf klang so vertraut, dass ich mich einfach fallen ließ und sie machen ließ.
Mein Körper veränderte sich, meine Kleidung wich einem ledernen Wams und ich spürte wohltuende Gewichte an meiner Hüfte. Äxte!
Du bist wieder da! Und jetzt… du wirst nicht die Mutter des neuen Weltenbeherrschers werden! Wir sind zu etwas höherem bestimmt! Rief sie mir zu und ich durchbrach im wahrsten Sinne des Wortes eine unsichtbare Mauer hinter welcher sich eine ganz andere Welt verbarg und den Blick auf das tatsächliche Geschehen frei gab.
Das Meer, die Jackdaw, die Aquila … ich sah die Küste von Great Inagua … ich sah die Sonne am Horizont aufgehen …
„Du wirst nicht wieder… aaaaaaaaarghhhhhhhhhhhh!“ dieser schmerzerfüllte Ausruf kam von Eugene, als ihn das Schwert meines Piraten in der Körpermitte durchbohrte.
Um uns begann ein Kampf der seines gleichen sucht. Jeder gegen jeden, weil man kaum unterscheiden konnte, wer zu wem gehörte.
Meine Kräfte waren schier neu erwacht, die Schwangerschaft war nebensächlich. Was zählte war mein Leben, meine Familie und unsere Zukunft OHNE Hrymr!
„Er ist gerade nicht bei Bewusstsein, wir müssen das Schiff in die Luft jagen…“ rief mir mein Pirat entgegen und eilte schon nach unten um nach Pulverfässern zu suchen. Ich tat es ihm gleich und wir konnten einige strategisch gut platzieren.
Wenn wir an einem bestimmten Punkt die Zündung initiierten dann könnten wir es unbeschadet auf die Aquila schaffen. Die Jackdaw war leider nicht nahe genug um hinüber zu schwimmen.
Leider kam es anders, wie so oft.
Der Russe regte sich, aber nicht als der Mensch der er die letzte Zeit war, sondern sein innewohnender Gott erhob sich und begann damit, die Naglfar mit Wasser zu füllen um sie wieder in die Tiefe sinken zu lassen. Nur so konnte er dem Unglück entgegenwirken.
Uns blieb kaum Zeit für eine Planänderung und so mussten wir uns alle in Sekundenschnelle von diesem Schiff retten.
Genauso hat er es damals auch geschafft zu flüchten als er Walka kurzerhand mit in die Tiefe riss.
Edward, mein Sohn! Nein, er sollte nicht auch bei seinen Eltern diesen Anblick ertragen müssen!
Ich sprang beherzt über Bord und sah mich umringt von hohen Wellen, welche mir die Sicht und Orientierung nahmen! Verdammt nochmal, wo war jetzt die Aquila? Links? Geradeaus?
Plötzlich fühlte ich ein Seil, welches auf meinen Rücken schlug!
„Mistress Kenway! Greift das Tau!“ rief man mir zu und ich klammerte mich daran wie eine Ertrinkende...
Ich zog mich mit den letzten Kräften an dem Seil zur Aquila und war dankbar für die dortige Hilfe beim Hinaufklettern.
An Deck konnte ich endlich durchatmen und ließ mich einfach an der Reling heruntergleiten. Dort blieb ich sitzen und lehnte mich an das Holz hinter mir.
„Alex, wie geht es dir?“ hörte ich die leise Stimme von Connor, welcher vor mir kniete.
„Ich … weiß es irgendwie noch nicht. Wo ist dein Vater?“ Plötzlich schoss mir dieser Gedanke in den Kopf. Ich hatte meinen Templer weder gehört noch gesehen! Wo war er? Ging es ihm gut? Ich war aufgesprungen, bereute es aber sofort.
„Bleib lieber noch etwas sitzen, ich hole dir etwas zu trinken.“ tadelte mich Haythams großer Sohn.
„Mistress Kenway, euer Mann ist auf der Suche nach euch noch immer in Europa unterwegs. Wir haben aber regelmäßig Nachricht von ihm erhalten und ihm geht es den Umständen entsprechend gut. Aber das alles hat Zeit, bis wir wieder in Virginia sind…“ Achilles war also mit von der Partie gewesen um mich zu suchen.
„Ihr habt auch geholfen? Ich danke euch, Master Davenport. Aber … meine Kinder?“ flüsterte ich, weil ich Angst vor einer schlechten Nachricht hatte.
„Edward und Florence geht es gut, sie sind in Davenport sicher untergebracht.“ seine Hand tätschelte meinen Arm bei diesen Worten.
„Odin sei Dank…“ noch immer war es mir nicht möglich, wirklich klar zu denken. Alles verschwamm immer wieder in meinem Kopf.
Die Wut auf mich und meine Unzulänglichkeit wuchs von Sekunde zu Sekunde und drohte mich zu überrollen.
Connor erschien neben mir mit einem Becher Tee, welcher verdächtig nach Baldrian und irgendwelchen anderen seltsamen Kräutern roch.
Ich hatte das auf der Naglfar oft wahrgenommen, dieser Geruch nach eigenartigen Gewächsen und die Speisen waren auch eher gewöhnungsbedürftig gewesen.
„Was genau ist da drin?“ ich spürte, dass ich unwirsch reagierte. Meine Helfer konnten ja nichts dafür! „Entschuldigt, aber …“
„Nein, das ist schon in Ordnung. Unser Arzt hat eine Mischung aus Baldrian, Johanniskraut und Fenchel für euch gemischt. Keine Sorge, es ist nichts böses in diesem Tee und niemand will euch vergiften.“ Es war Mr Falkner der sich jetzt zu Wort meldete und ebenso besorgt auf mich heruntersah.
„Dieser Geruch… er erinnert mich an… ich habe diese Dinge immer trinken müssen…“ in mir keimte ein weiterer Verdacht auf, dass man mich mit entsprechend ausgesuchten Kräutern lahmgelegt hatte. Man hatte mich betäubt! Und das nicht zu knapp wie ich entsetzt jetzt feststellte. Es waren keine einfachen Tees oder ein paar Blättchen im Essen! Auf meiner Zunge fühlte ich noch dieses Sirupartige Gefühl von meinen Medikamenten wie Eugene es genannt hatte.
„Danke aber… ich möchte das nicht mehr… ich würde gerne einfaches Wasser trinken!“ bettelte ich regelrecht, weil ich hoffte, dadurch einen klaren Kopf zu bekommen.
„Natürlich, ich bringe dir gleich einen Becher.“ Connor verschwand erneut nach unten.
Langsam versuchte ich mich aufzurichten und als ich endlich stand, sah ich auf die Position wo eigentlich noch vor wenigen Momenten die Naglfar zu sehen war.
Mir liefen die Tränen die Wangen herunter. Erleichterung, Wut, ein schlechtes Gewissen und die Gewissheit, dass ich nicht freiwillig schwanger geworden bin. Meine Hände glitten über meinen Bauch, er fühlte sich fest und irgendwie kalt an. Merkwürdig, vorhin noch hatte ich Bewegungen gespürt.
„Mistress Kenway, der Arzt lässt fragen, ob er euch einmal untersuchen soll. Wie ich sehe, seit ihr etwas verunsichert?“ zögerlich hakte der alte Assassine nach und ich folgte ihm hinunter zur Krankenstation.
„Ah, wie ich sehe habt ihr euch etwas erholt. Wie fühlt ihr euch?“ dabei deutete er mir auf der Pritsche Platz zu nehmen und bat die anderen Herren draußen zu warten.
„Wenn ich ehrlich sein darf, Doktor. Mir geht es alles andere als gut. Mir ist kalt, gleichzeitig fühle ich mich aber auch heiß an. Vom Schwindel einmal ganz abgesehen, habe ich Kopfschmerzen und mir ist … übel.“ ich versuchte mich unter seiner Untersuchung zu entspannen.
„Ich werde euch jetzt einmal abtasten müssen, es kann etwas schmerzen. Aber es ist wichtig um zu sehen, wie weit diese … Schwangerschaft fortgeschritten ist.“ Odin sei Dank hatte der Arzt warme Hände als er mit den Fingern vordrang und mit der anderen Hand meinen Bauch abtastete.
Für einen kurzen Moment runzelte er die Stirn, fuhr dann aber fort. Dann hielt er wieder inne und begann meinen Bauch mit beiden Händen abzutasten. Neben sich greifend nahm er das Hörrohr um mich abzuhören oder besser das kleine Lebewesen in mir.
Plötzlich schüttelte er den Kopf und sah mich besorgt an.
„Mistress Kenway, es … dieses Kind bewegt sich nicht und ich kann partout keine Herztöne wahrnehmen. Ist es … also habt ihr vorhin noch etwas bemerkt?“ Dieser Mann hatte Angst auszusprechen, dass das Baby in mir nicht mehr lebte.
„Ja, ich hatte Bewegungen kurz bevor die Naglfar unterging noch gespürt.“ Ich versuchte aus seinem Blick schlau zu werden. Wollte er einen Kaiserschnitt wagen? Wollte er abwarten bis ich Wehen bekam? Was wollte er?
„Ihr sagtet euch ist übel, heiß und kalt zugleich und ihr habt Kopfschmerzen, richtig? Darf ich einmal in eure Augen sehen?“ ohne auf eine Antwort zu warten bat er mich, mich aufzurichten. Ich folgte seinen Anweisungen als er eine kleine Petroleumlampe vor mein Gesicht hielt.
„Ich befürchte, wir müssen schnell handeln! Eure Augen verfärben sich gelblich und auch eure Haut ist gräulich und mit dunklen Adern übersät. Das alles deutete auf eine Vergiftung hin. Aber habt keine Angst, wir werden das alles hinbekommen.“
Ab jetzt ging alles ganz schnell, aber nicht so, wie der Arzt es vorgesehen hatte. Denn man schloss ihn aus seinem eigenen Reich aus.
Idun, Snotra, Sigyn, Odin und auch Tyr waren plötzlich aufgetaucht. So auch Heimdallr. Und was tat ich? Ich weinte vor Erleichterung und dass ich sie wieder um mich hatte.
„Du wirst von der Prozedur nicht viel spüren, nur im Anschluss hast du absolute Bettruhe einzuhalten. Hast du mich verstanden du sture Preußin?“ DAS war Tyr, welcher mich ermahnte.
Ich bin bei dir, mi sol! Mehr sagte Haytham nicht, als er in meinem Geist auftauchte. Dieses Gefühl von Geborgenheit in seiner Gegenwart übermannte mich und ließ mich entspannen.
Mein Bauch wurde gedrückt und von vielen Händen bearbeitet.
Sie alle halfen mit um Wehen auszulösen.
Also demnach wollte man keinen Kaiserschnitt machen, was mir auch lieber war.
Wollte ich jedoch dieses Kind sehen?
Wollte ich es überhaupt in den Armen halten?
Man sagt ja immer so schön, dass das Kind nichts für seinen Vater oder die Mutter kann. Aber mir fiel es schwer mich als Mutter für dieses Baby zu sehen. Ich wollte es nicht! Ich hatte Angst vor meiner eigenen Courage und schrie im wahrsten Sinne des Wortes dieses Individuum aus mir heraus!
Mir fehlte seit dem Untergang der Naglfar jegliches Zeitgefühl. Wie lange dieser Prozess der eingeleiteten Geburt gedauert hatte, weiß ich nicht einzuschätzen.
„Willst du … es sehen?“ fragte Idun mich leise. Sie hatte ein kleines, sehr kleines Bündel blutdurchtränkter Tücher auf dem Arm.
Wieder begann ich zu weinen! Nicht weil ich trauerte, nein. Ich weinte, weil es vorbei war!
„Nein, macht damit was ihr wollt. Ich … möchte nicht wissen, was es ist.“ flüsterte ich unterbrochen von einigen Schluchzern.
Mi sol, es tut mir so leid. Und wieder war ich nicht da um dich zu beschützen. Kannst du mir erneut verzeihen? Hörte ich meinen Templer zögerlich fragen.
Natürlich kann ich dir verzeihen! Ich hätte genauso aufpassen müssen, auch ich war zu unachtsam wie es scheint. Bei meinen eigenen Worten wurde ich erneut extrem wütend und schlug auf meinen Bauch ein. Ich schrie meine ganzen Gefühle heraus in diesem Moment.
Niemand unterbrach mich.
Im Gegenteil, die Götter standen um mich und warteten bis ich mich beruhigt hatte.
Schwer atmend ließ ich mich wieder auf der Pritsche nieder. Mein Kopf fühlte sich wunderbar leicht an und ich glitt in einen traumlosen Schlaf.
„Alexandra, bist du wach?“ flüsterte mir Connor ins Ohr.
Erschrocken drehte ich meinen Kopf in die Richtung und sah, wie er voller Erwartung vor meinem
Bett stand. Aber er war nicht alleine!
Edward und Florence waren ebenfalls anwesend und warteten, dass ich endlich wach wurde.
Ohne große Worte richtete ich mich auf und nahm meine beiden Lieblinge in die Arme.
„Ich habe euch so vermisst! Es tut mir leid, dass ihr so lange ohne mich wart. Das passiert bestimmt nicht noch einmal…“ die Worte sprudelten mir einfach so aus dem Mund.
„Wir haben dich auch vermisst! Wir waren aber ganz artig bei Miss … Connor, wie heißt die Dame bei Achilles im Haus nochmal?“ hakte Edward jetzt nach, weil auch er so aufgeregt war, dass er den Namen vergessen hatte.
„Mama, ich hab dich lieb!“ Florence war auf meinen Schoss geklettert und klammerte sich an mich.
„Ich dich auch, min lille engel.“ ich küsste ihre mittlerweile dunkelblonden Haare und strich behutsam über ihren Rücken.
„Vater kommt auch bald nach Hause, sagt er!“ mein kleiner Sohn war heute also der Botschafter und war sichtlich stolz darauf. „Er hat gesagt, dass ich auf dich achten soll, damit du auch die Bettruhe einhältst.“ seine Tonlage hatte die von Haytham angenommen, was mich schmunzeln ließ.
„Natürlich werde ich auf dich hören, min lille skat. Komm her und lass dich auch drücken!“
Dieser Familienmoment tat meiner Seele gut und ich atmete erleichtert aus.
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich in meiner Kajüte auf der Jackdaw war.
„Wie lange war ich denn eingeschlafen?“ fragte ich neugierig nach.
„4 Tage, Mistress Kenway. Aber es war ein guter und sehr erholsamer Schlaf. Ihr habt kein Fieber mehr und eure Haut sieht auch wieder rosig aus. Außerdem …“ Achilles beugte sich peinlich berührt zu mir herunter „… die Blutung hat auch aufgehört.“ nuschelte er leise.
„Oh, ich verstehe.“ erst jetzt kam ich auf den Gedanken diese forcierte Geburt Revue passieren zu lassen. Doch noch wollte ich nicht weiter daran denken, sondern unterzog meinem Körper einer kleiner eigenen Inspektion.
Der Bauch war weg, Schmerzen im Unterleib hatte ich nur leichte und mein Appetit war wieder da.
„Könnte mir bitte jemand einen Kaffee bringen und ich hätte gerne einen Toast, gebuttert mit ein paar Eiern.“ mir lief dabei das Wasser im Munde zusammen.
„Natürlich, Alex. Ich gebe dem Smutje Bescheid.“ Connor eilte hinaus.
Nachdem ich dieses hervorragende Mahl verspeist hatte, ging es mir noch einmal um Längen besser und ich wagte mich aus dem Bett.
Man hatte eine Truhe mit einigen bequemen Sachen für mich hier bereitgestellt. Also wusch ich mich ausgiebig und kleidete mich in ein einfaches blaues Wollkleid. Außerdem hatte ich eine Art „Einlage“ gegen die Blutung zwischen den Nachthemden gefunden! Sehr aufmerksam!
Noch ein Schluck aus dem Kaffeebecher und ich machte mich auf an Deck.
„Ahhhh, es ist schön, euch bei guter Gesundheit wieder zu sehen.“ Mr Hargreaves nahm mich schwungvoll in den Arm, ließ aber das Steuerrad nicht ganz aus der Hand.
„Danke, ich bin auch froh, dass ich wieder auf den Beinen bin.“ Ich atmete die Seeluft tief ein und fühlte mich ein weiteres Stück besser.
Mit meinem Mann wäre es jetzt noch schöner hier… dachte ich wehmütig.
Mi sol, ich bin unterwegs… hörte ich ihn in meinem Kopf.
Ich werde ungeduldig warten, mi amor. Antwortete ich ebenso still.
Es dauerte noch ungefähr 5 Tage, ehe wir an unserer Plantage anlegen konnten. Meine Dankbarkeit festen Boden zu spüren kannte keine Grenzen und so kniete ich mich zum ersten Mal wirklich hin und küsste die Holzbohlen an der Anlegestelle.
„Mama! Warum tust du das? Wen betest du denn an?“ wollte Edward erstaunt wissen.
„Niemanden! Ich bin nur unendlich Dankbar wieder daheim zu sein!“ erwiderte ich trocken und nahm sie beide an die Hand. „Was meint ihr, wollen wir zum Haus laufen? Es ist gerade so schönes Wetter.“
Edward und Florence stimmten freudig zu und so machten wir uns auf den Weg in Richtung Herrenhaus. Begleitet von Walka, welche ich erst jetzt bemerkte.
„Walka meine Liebe! Du bist ja auch hier!“ bei meinen Worten tappte sie an mir hoch und ich knuddelte sie. „Es ist schön, dich auch gesund wieder zusehen.“ kicherte ich, als ich ihre Zunge über meinem Gesicht spürte.
„Sie hat immer Laut gegeben, wenn wir in deiner Nähe waren…“ plötzlich brach mein Sohn ab zu sprechen.
Ich nahm ihn in den Arm, drückte ihn an mich. Ich versuchte ihn zu trösten, weil auch er erst einmal das Ganze verdauen musste.
„Ich hab dich vermisst MAMA!!!!!“ rief er plötzlich und klammerte sich an mich.
Man kann sich vorstellen, dass dieser Weg zum Haus länger dauerte als geplant. Aber ich genoss jede Minute hier auf unserer Plantage.
Wir würden noch eine Weile brauchen, bis alles gesackt war und Gras über die Sache gewachsen war. Ich hoffte, dass auch Haytham bald nach Hause käme. Ich vermisste seine Nähe, seinen Lavendelduft …
Es mag sich seltsam anhören, aber erst jetzt kam mir der Gedanke, mal nach dem Datum zu fragen! Wie lange war ich fort?
Sophia zählte schnell nach und sah mich mit großen Augen an.
„Es waren ungefähr 4 Monate, Mistress Kenway. Wir haben jetzt Mai.“ erklärte sie mir.
4 Monate war ich weg.
4 Monate die mir dieser Widerling gestohlen hatte. Nicht nur mir, auch meiner Familie.
4 Monate in denen man mich willenlos und gefügig gemacht hatte mit irgendwelchen Drogen! Odin sei Dank hatte ich keine Entzugserscheinungen gespürt. Und wenn doch, dann habe ich sie vermutlich auf die Hormonschwankungen geschoben.
Ungefähr 3 Wochen nachdem wir wieder hier waren, erschien auch mein geliebter Templer daheim.
„Mi sol!“ rief er von der Eingangstür und rannte auf mich zu. Seine Arme umschlangen mich, hoben mich hoch und seine Lippen bedeckten meine Wangen, meine Augen und meinen Mund mit Küssen. „Ich kann nicht in Worte fassen, wie sehr ich dich vermisst habe!“ atemlos ließ er mich wieder auf meine Füße herunter.
„Ich dich auch, mi amor!“ meine Augen füllten sich mit Tränen vor Freude und Erleichterung ihn gesund wieder zuhaben!
„Wie geht es dir?“ in seiner Stimme spürte ich dieses Zögern, noch war er nicht bereit, alles zu besprechen vermutete ich einfach.
„Mir geht es gut, wirklich. Wenn du mir nicht glaubst, frag doch einfach Tyr.“ grinste ich breit.
„Aber ich war nicht da, als …“ ihm fehlten die Worte und ich half ihm aus.
„Doch, warst du. Als man mich gerettet hatte und einen Weg zu mir und meinem Geist gefunden hatte, warst du wieder da. Und das ist alles was zählt, mi amor.“ hauchte ich an seiner Brust. Wie hatte ich seinen ganz eigenen Geruch vermisst.
Wir genossen an diesem Abend, nachdem die Kinder im Bett waren, ein gemeinsames Bad. Es war einfach nur diese Nähe, welche wir beide vermisst hatten.
„Es tut gut, dich wieder in den Armen zu halten. Als ich erfuhr, dass dieser Russe dich einfach entführt hatte, war ich krank vor Sorge. Gott sei Dank, konnte ich sofort aus Richmond aufbrechen, weil bereits alles unter Dach und Fach war mit den Soldaten. Aber leider fanden wir keinerlei Spuren, die uns zu dir oder Eugene führen konnten.“ sein Seufzen war so tief, dass ich mich erschrocken umdrehte, weil ich befürchtete er würde weinen.
„Die Tage danach begannen wir alles und jeden Mobil zu machen. Wir suchten Informanten auf, setzten Spione an den Grenzen und Häfen ein. Aber wir fanden nicht den kleinsten Anhaltspunkt. Es dauerte fast einen Monat bis ich Nachricht erhielt, dass man ein riesiges schwarzes Schiff in einem Nebel gesehen hatte. Es war angeblich in Richtung Europa unterwegs. Alex, es war wie die Nadel im Heuhaufen suchen! Wir verfolgten die eine Spur, schon war eine neue Nachricht eingetroffen.“ seine Hände strichen über meinen Rücken, als er mich eindringlich musterte, so als überlegte er, wie er seinen nächsten Gedanken formulieren sollte.
„Und dann… eines Nachts konnte ich kein Auge zu tun, es war wie verhext. Ich hörte dich, deine Stimme… du… es war, als… Alex, ich habe gesehen wie du in seinen Armen gelegen hast! Wie vernebelt sahst du zu ihm auf, aber ich konnte… es regelrecht fühlen wie du ihn und nicht mich begehrt hast…“ seine Wangen wurden rot bei diesen Worten.
„Bei Odin!“ ich zuckte von ihm zurück, vor Scham, dass er mich so gesehen hatte. „Es ist nicht… Haytham, ich weiß nicht, warum ich diese Gefühle so zulassen konnte… mich ekelt es ja immer noch…“ erst jetzt mit meinem Mann in meiner Nähe konnte ich diese Momente besprechen, mich erklären und es beginnen zu verarbeiten!
„Das weiß ich, mi sol. Das weiß ich.“ Haytham lehnte am Rand des Beckens und sah mich lange an ohne ein Wort zu sagen. „Darf ich dich etwas fragen? Du musst mir nicht antworten…“ schoss es plötzlich aus ihm heraus und ich wusste, was jetzt kam.
„Nein, ich habe dieses Baby in mir nicht wirklich geliebt. Es war … ja, es war einfach da. Aber ich wollte es eigentlich nicht. Außerdem entstand dieses Kind durch eine Vergewaltigung, auch wenn es sich anscheinend nicht so angehört hat für dich. Aber ich wollte das doch nicht! Bitte! Glaub mir!“ mein ganzer Körper begann zu zittern, als ich meine ganze Wut endlich rauslassen konnte.
Langsam stand mein Mann auf und trocknete sich ab. Sein Blick war unergründlich in die Ferne gerichtet. Er sagte nicht ein einziges Wort, als er sich anzog und einfach hinaus ging.
Wie lange ich noch im Wasser blieb vermag ich nicht zu sagen. Irgendwann wurde mir kalt und auch ich zog mich an. Verloren stand ich hier im Bad und sah mich um.
War es das jetzt mit unserer Ehe?
Versteht Haytham irgendwann, dass ich nicht Frau meiner Sinne war, als Eugene sich an mir verging?
Ein Kind wollte ich sicherlich auch nicht mit diesem Russen in die Welt setzen!
In mir keimte Angst auf, dass mein Templer nichts mehr mit mir zu tun haben will. Mit diesem Gedanken ging ich hinauf, aber weder im Salon noch im Arbeitszimmer fand ich ihn.
Auch nicht oben in unserem Schlafzimmer.
„Mistress Kenway, soll ich euch noch bei euren Haaren helfen?“ hörte ich plötzlich Magdas Stimme hinter mir.
„Nein danke, ich brauche euch heute nicht mehr. Aber wisst ihr, wo mein Mann ist?“ fragte ich leise.
„Er … Michael sagte, Master Kenway nächtigt im Gästehaus nebenan. Er hat angeordnet einige Sachen hinüber bringen zu lassen.“ mit einem Knicks und entschuldigendem Ausdruck im Gesicht ging meine Kammerzofe wieder hinaus.
Aber vorhin war doch noch alles in Ordnung als er mich freudig in der Eingangshalle umarmt hatte. Oder habe ich mir das nur eingebildet?
Ich beschloss in mein Arbeitszimmer zu gehen um dort mein Tagebuch wieder fortzusetzen! Ich brauchte einen klaren Kopf, die Gedanken mussten sortiert werden. Als ich eintrat überkam mich aber, wie die letzten Tage auch immer wieder ein mulmiges Gefühl.
Ich hatte bereits meine Truhe überprüft, es fehlte nichts. Eugene hatte noch nicht einmal den Inhalt durchwühlt! Es ging ihm damals wirklich nur um die DNA von mir! Aber es waren doch diese Schwerter, die angeblich so wichtig für ihn waren, oder nicht? Er hätte hier ja Hinweise auf deren Verblieb finden können. War ihm dieses Kind wichtiger als diese Artefakte? Warum?
Gefühlte Stunden schrieb ich Seite um Seite und irgendwann dämmerte es. Langsam ging die Sonne auf und die ersten Lichtstrahlen brachen durch die Vorhänge. Das Zimmer wurde in ein seltsames Zwielicht getaucht, was mich erschauern ließ.
Plötzlich tauchten Bilder vor meinem geistigen Auge auf! Ein Raum mit eben diesem Licht, aber es schwankte und ich hörte ein leises Plätschern. Wasser brach sich an der Bordwand der Naglfar, während ich in diesem Bett lag, eingelullt von den Worten Hrymrs, dass wir bald am Ziel seien.
„Es dauert nur noch ein paar Monate, dann bist du wieder frei und ein neues Zeitalter wird anbrechen…“ diese Worte sprach er so oft, dass ich sie mittlerweile schon glaubte.
Von jetzt auf gleich änderte sich die Szenerie aber und ich lag auf der Pritsche der Aquila und brachte diesen neuen Erdenbürger zur Welt!
Langsam klärte sich mein Blick wieder! Ich saß in meinem Arbeitszimmer auf dem Fußboden vor dem Kamin und heulte.
Ich weinte um das tote Kind – auch wenn ich es nicht haben wollte -! Meine Tränen galten meinen Kindern und meinem geliebten Templer, welche ich so lange allein gelassen hatte…
„Mama?“ flüsterte eine helle Mädchenstimme neben mir. „Mama? Hast du wieder Bauchweh?“ Florence setzte sich neben mich und lehnte an meiner Schulter.
„Nein, min lille engel. Mir geht es gut. Aber ab und an weint man, weil so viele Erinnerungen aus einem heraus wollen. Verstehst du das schon?“ in ihrem Blick sah ich, sie wusste, was ich meinte.
„Miss Sophia hat gesagt, dass ich ruhig ab und an weinen soll, dass würde gut tun.“ sprach sie leise und strich über meinen Arm.
„Da hat sie Recht, Florence. Aber warum bist du denn schon wach, es ist noch viel zu früh.“ etwas schwerfällig erhob ich mich und zog meine Tochter mit hoch.
Ihre grünen Augen sahen mich seltsam an, als sie jetzt sprach.
„Ich hatte das Gefühl, dass du bald wieder weggehen würdest und hatte Angst. Deswegen habe ich dich gesucht, Mama.“ diese Worte klangen so unglaublich erwachsen aus ihrem Mund, dass es mich schüttelte.
„Hab keine Angst, min lille engel. So schnell werde ich euch nicht mehr verlassen.“ meine Lippen berührten vorsichtig ihre Stirn.
„Und was ist mit Papa?“ flüsterte sie traurig.
„Auch er lässt uns nicht alleine!“ sagte ich etwas bestimmter, viel mehr um mich selber zu beruhigen als meine Tochter.
Sie schlang ihre Arme um meine Beine und drückte mich an sich.
So standen wir eine Weile hier im Arbeitszimmer, bis die Sonne den Raum hell erleuchtete.
Im Wintergarten war das Frühstück schon vorbereitet und Edward hatte schon Platz genommen, als ich mit Florence dazu kam.
Aber von meinem Mann fehlte jede Spur.
Traurig ließ ich mich auf meinen Stuhl sinken, selbst der Kaffee konnte meine Laune nicht heben.
„Wo ist Vater?“ fragte mein Sohn nach und sah sich um.
„Er … hat sicher schon auf den Feldern zu tun. Und … es ist bestimmt auch viel Arbeit liegen geblieben in den letzten Wochen und Monaten.“ ich war bemüht souverän und neutral zu klingen, was mir aber nicht wirklich gelang.
„Habt ihr euch nicht mehr lieb, Mama?“ Sein Blick war vorwurfsvoll auf mich gerichtet.
„Was? Edward, nein. Wir haben uns noch lieb. Aber … es ist halt etwas schwierig gerade.“ ein kläglicher Versuch einer Erklärung.
„Wenn du meinst. Kann ich aufstehen? Ich wollte mit Jessy Frösche fangen gehen.“ seine gelangweilte Art so zu fragen, trieb mir eine Gänsehaut über den Rücken.
„Ja, geh nur.“ mehr als ein Krächzen brachte ich nicht zu Stande.
Auch Florence hielt es nicht lange hier, Mrs Muller hatte noch eine Kräuterwanderung mit ihr vor. Jetzt im Mai war eine gute Zeit dafür.
Also verbrachte ich eine Weile alleine hier und begann erneut das Grübeln.
Irgendwann saß ich mit einem Becher Kaffee auf der Terrasse und starrte auf unseren Garten.
„Da bist du ja.“ seine tiefe Stimme klang mehr als gelangweilt.
„Wo sollte ich auch sonst sein?“ kam es bissig aus meinem Mund. „Vielleicht kann ich ja wieder bei Eugene anheuern, dann weißt du auf jeden Fall WO ich bin!“
Haytham schritt an mir vorbei auf die Stufen zum Garten zu, blieb aber stehen und kreuzte die Arme auf dem Rücken.
„Ich könnte dich vermutlich überall hören, so wie du ihn angefeuert hast!“ fauchte er, ohne mich eines Blickes zu würdigen!
„Wie bitte? Haytham, bei Odin! Was ist auf einmal los mit dir? Vertraust du mir nicht mehr? Gestern noch hast du mich freudig begrüßt und jetzt das? Du kannst nicht ernsthaft glauben, dass ich dieses Arschloch in irgendeiner Art liebe oder begehre! Ich… ich weiß nicht einmal mehr etwas von diesen … Nächten oder Tagen … HAYTHAM! Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!“ meine Hände zerrten an seinen Ärmeln, damit er sich umdrehte.
„Lass mich los! Du weißt also wirklich nicht, warum ich so reagiere? Denk mal darüber nach, Alex! Gestern als wir im Bad waren, hast du mich Eugene genannt!“ jetzt war er es, der laut wurde!
Ich hatte bitte was getan? Nein, das konnte nicht sein. Ich erinnerte mich noch sehr gut an das Bad gestern! Ich hatte meinen Templer niemals Eugene genannt!
„Doch hast du. Du hast dich zu mir umgedreht, als ich dich wegen des Kindes fragen wollte. Deine Worte waren eiskalt, dass du mit diesem Templer NIE Kinder haben wollen würdest… Du hast es mir ins Gesicht gesagt…“ Haythams Blick war starr und kalt auf mich gerichtet.
„Ich… das ist unmöglich. Ich habe dir erklärt, dass ich Eugene verabscheue und dieses Kind nie haben wollen würde… Bitte glaub mir, ich habe…“ krampfhaft versuchte ich mich an meinen eigenen Wortlaut zu erinnern, fand aber keinen Zugang zu dieser Erinnerung!
Alex, Haytham! Hört zu! Hier überschneidet sich wieder alles! Ich habe es schon die ganze Nacht gespürt. Man könnte es als Nebenwirkung der Drogen und der … Geburt bezeichnen. Die Hormone spielen gerade verrückt und Haytham, bei dir ist es einfach diese Ungewissheit, ob nicht doch ein Fünkchen Wahrheit in der Aussage des Russen stecken könnte. Ich kann euch beiden versichern, es ist alles nicht wonach es aussieht.
Mein Schwiegervater hatte sich allmählich aus dem Nebel manifestiert und stand zwischen uns.
Ihr dürft euch nicht wieder manipulieren lassen. Es mag sich gerade nicht so anfühlen, aber noch sind die Ereignisse zu frisch um sie gänzlich abschütteln zu können. Seit füreinander da und … lernt euch noch einmal neu kennen.
Edward Senior sah uns beide nacheinander eindringlich an, damit wir auch wirklich verstanden was er meinte.
Haytham und ich brauchten einen kleinen Neuanfang. Etwas, wo alles vergangene verblasste und wir von Vorne anfangen konnten.
DAS meine ich. Keine Sorge, die Kinder sind gut behütet. Macht euch um die beiden keine Gedanken.
Damit verschwand er wieder und hinterließ ein Bild in unseren Köpfen.
Ein Zelt, ein Wald, ein Lagerfeuer … und nur wir beide!
Beide standen wir wie verlorene Kinder hier auf der Terrasse und sahen uns an.
„Alex, sind wir schon so verblendet, dass wir außer Acht lassen wie lange wir eine Einheit sind? Nehmen wir das Ganze wirklich als so gegeben hin?“ langsam schritt er auf mich zu.
„Ich weiß es nicht, aber eines kann ich dir mit Bestimmtheit sagen. Ich liebe dich und NUR dich! Ohne dich gehe ich ein wie eine Pflanze ohne Wasser, mi amor.“ flüsterte ich, als ich meinen Kopf an seine Brust lehnen konnte.
„Ich erinnere mich noch an die Zeit, als ich auf dich warten musste… es war unerträglich damals, mi sol. Lass uns einfach für ein paar Nächte in die Wälder gehen und… sehen, was dann passiert…“ Seine Stimme nahm langsam wieder diesen warmen mir so vertrauten Ton an.
„Das sollten wir.“ ich lächelte zaghaft zu ihm auf, als sich seine Lippen meinen Mund suchten. Dieser Kuss schmeckte nach mehr, nach meinem Mann und nach Liebe!
Am nächsten Morgen erklärten wir Edward und Florence, dass wir noch etwas wichtiges zu klären hätten und für ein paar Tage bei den Bassiters unterkämen.
„Warum dürfen wir denn nicht mit?“ jammerte meine Tochter beim Mittagessen und verzog weinerlich das Gesicht.
„Weil es nur die Erwachsenen etwas angeht, mein Engel. Und ja Edward, auch du bist noch zu jung für derlei Unterfangen!“ ermahnte Haytham unsere Kinder.
„Ja, schon gut. Wenn ich 100 bin, darf ich dann auch endlich mal etwas erleben…“ wütend verschränkte klein Kenway die Arme vor der Brust
„Wenn du so weitermachst, musst du 200 werden!“ eigentlich wollte ich ernst klingen, aber das misslang mir völlig bei seinem Anblick. Man stelle sich Haytham schmollend vor… muss ich da noch mehr sagen?
Wir brachen am frühen Nachmittag auf. Mr Mackenzie hatte die Pferde gesattelt und ein Packpferd mit Zelt und Proviant bereitstehen. Das Küchenpersonal hatte uns einige Speisen vorbereitet, so dass man meinen könnte, wir würden eine Kompanie zum Abendessen erwarten.
Nach einem langen und tränenreichen Abschied konnten wir los reiten.
„Wohin genau wollen wir eigentlich?“ kicherte ich, als ich mich auf Fenrir schwang.
„Nun, ich würde sagen… einfach… geradeaus, mi sol.“ mein Templer schien wie ausgewechselt und gab seiner Stute die Sporen.
Ich genoss diese kleine Freiheit auf dem Rücken meines Hengstes, sog die frische Mailuft in meine Lungen und ließ mein Gesicht von der Sonne wärmen. Es war einfach herrlich.
„Du siehst sagenhaft aus, wenn du so befreit bist, mi sol.“ hörte ich meinen Mann neben mir.
„Glaub mir, mi amor. Dich erkennt man auch kaum wieder, sobald du einmal die Fesseln des guten Anstands ablegst.“ kicherte ich und zog an ihm vorbei über einen umgestürzten Baumstand springend.
Gegen Abend fanden wir eine wirklich wunderschöne Lichtung, welche noch völlig unberührt schien.
Haytham begann das Zelt zu bauen und ich suchte nach Brennholz für das Feuer. Zum ersten Mal war ich mit diesem Mann völlig alleine. Wir waren auf uns alleine gestellt. Keine Angestellten, keine Annehmlichkeiten eines Hauses oder ähnliches.
Unsere Unterkunft für die Nacht, oder Nächte besser gesagt, stand. Das Lagerfeuer war bereit um angefacht zu werden und diese Stille um uns herum ließ uns weiter entspannen.
„Mi sol, hier. Den Wein hat mir Miss Tabea extra eingepackt. Er kommt aus Spanien!“ Haytham reichte mir einen der zwei Becher und setzte sich dann neben mich auf die Decke.
„Mmmmmh, er ist wirklich köstlich.“ seufzte ich zufrieden und lehnte mich an die Schulter meines Templers.
„Alex, kann ich dich etwas fragen?“ leise und zögerlich formulierte er diese Frage.
„Natürlich. Immer raus damit.“ meine Stimme war kaum zu vernehmen befürchtete ich.
„Wie fühlt es sich an, wenn du an mich denkst, oder wenn du mich vermisst?“ diese Frage war neu und kam unvorbereitet.
„Ähm, also …“ für einen Moment musste ich in mich gehen, aber im Grunde kannte ich die Antwort. „Wenn ich an dich denke, sehe ich deine grauen Augen vor mir, wie du mich liebevoll betrachtest, spüre deine Hände, wie sie mich halten. Wenn ich dich vermisse kommt noch dazu, dass ich diesen Duft von Lavendel und Seife in der Nase habe. Es ist wie damals in New York, als du das erste mal dicht an mir vorbei gegangen bist… du kannst dich vermutlich nicht mehr daran erinnern …“ kicherte ich leise.
„Doch, ich weiß noch, wie du tief geseufzt hast und ziemlich rot geworden bist.“ auch mein Mann gluckste leise vor sich hin.
„Ich hätte nie gedacht, dass du mich so um den Finger wickeln kannst, mi amor. Heute bin ich sehr glücklich darüber, dass du es getan hast!“ ich nahm seine Hand und küsste sie.
„Deine Haare haben immer noch diesen Duft von Vanille, deine Haut fühlt sich weich an und ich liebe es, wenn meine Finger eine Gänsehaut hinterlassen. Der Gedanke an dich bringt mich immer wieder zu dem Moment, wo du von Bord gingst in New York. Weißt du, woran ich auch ab und an denken muss? Du standest mit offenem Mund in der Tür des Fort Arsenals, als ich um Einlass bat. Einfach hinreißend, mi sol.“ jetzt nahm er meine Hand und küsste sie, aber dabei blieb es nicht.
Langsam fuhren seine Lippen hinauf zu meinem Hals, meinem Mund. Vorsichtig legte er mich auf die Decke und wir begannen uns zu erkunden. Seine warme Haut an meiner… Die Finger welche sich einen Weg durch die Stoffe bahnten … in einer Seelenruhe befreiten wir uns von allen Kleidungsstücken und konnten uns weiter kennenlernen.
„Mi sol… ich liebe dich!“ atemlos küsste er meine Halsbeuge, während ich mich darauf konzentrierte nicht sofort zu zerfließen unter seinen Händen.
„Ich liebe dich viel mehr, mi amor!“ stöhnend bog ich meinem Templer mein Becken entgegen und er tauchte begierig in mich ein!
Es war unbeschreiblich! Wir waren wieder eins! Die Einheit, welche wir sein sollten! DAS was zählte!
Mit diesem Gedanken ließ ich mit einem lauten Ausruf an die Götter los und klammerte mich an meinen Mann
„Jesus! Ich hatte ganz vergessen, wie sich das anfühlt…“ Haytham machte zwischen jedem Wort eine Atempause, was mich schmunzeln ließ.
„Du bist doch nicht etwa aus der Form für solche… Aktivitäten, oder?“ neckte ich ihn und erntete eine hochgezogene Augenbraue.
„Die Dame wünscht also einen Beweis meiner Ausdauer bezüglich dieser Betätigung?“ mit einem breiten Grinsen hob er mich auf seinen Schoß und schloss seine Hände um meine Hüften. „Was ist mit deiner Ausdauer? Beweg dich…“ mehr Befehl brauchte ich nicht…
Später als wir unter den Decken im Zelt lagen, erzählte mir Haytham von seinen Übernachtungen während er noch unter Braddock gedient hatte.
„Das hier ist Luxus im Gegensatz zu den Zelten der Armee. Ganz zu schweigen von den Uniformen. Schrecklich sind die, sie kratzen und sitzen einfach nicht richtig. Kein Wunder dass die Soldaten so schlechte Laune haben.“ in seiner Stimme hörte ich ein leises Lachen.
„Aber wenn ihr so lange unterwegs ward, wie konntet ihr euch dann verpflegen? Es müsste doch haufenweise Proviant mitgeführt worden sein.“ diese Frage hatte ich mir oft gestellt, weil ich noch nicht so ganz in diesem Jahrhundert angekommen war in solchen Dingen.
„Man muss selber jagen oder fischen, Alex. Außerdem kann man nicht jeden Abend ein ausgiebiges Dinner erwarten. Das war eine Seltenheit, glaub mir. Ich kann mich an ein Essen erinnern, welches bei einem Colonel in New York stattfand. Es war erschreckend, was dort alles aufgetischt wurde. Die Menge an Fleisch oder auch Pudding war immens. Was aber für mich mehr als abschreckend war, waren die Damen, welche im Anschluss für … die Herren zuständig waren. Alles bis ins kleinste Detail geplant.“ bei diesen Worten ließ er mich an den Bildern teilhaben und ich konnte verstehen, warum Haytham damit so seine Probleme hatte.
Diese Freizügigkeit und Zügellosigkeit wie sie dort praktiziert wurde, war ihm fremd. So auch mir.
„Denk nicht mehr daran, mi amor.“ flüsterte ich leise, als ich mich langsam über ihn beugte und seinen Mund mit meinen Lippen bedeckte.
„Wenn du bei mir bist, fällt es mir leicht.“ stöhnte er leise und seine Lust war deutlich zu spüren.
Nach einem weiteren Tag Walderkundung und Lehrstunde über die Tiere des Waldes, verbrachten wir noch eine Nacht in unserer kleinen provisorischen Schlafstätte.
Diese völlige Ruhe und Zweisamkeit ohne Störung war genau das Richtige und wir konnten uns komplett auf den anderen besinnen.
Natürlich mussten wir dann auch mal, im wahrsten Sinne des Wortes, die Zelte hier abbrechen und nach Hause zurückkehren.
Schweren Herzens packten wir alles zusammen und sattelten die Pferde.
„Lass uns das in den Sommermonaten ab und an wiederholen, mi amor.“ bat ich Haytham, als wir aufsaßen und uns auf den Heimweg machten.
„Ich verspreche dir, dass wird in meinen Terminplan mit aufgenommen.“ seine Hand ergriff meine und drückte zu.
Die Zeit bis zur Plantage nutzten wir um uns weiter auszusprechen. Es gab noch so einiges, was Haytham wissen wollte und umgekehrt wollte ich mehr über meine Rettung erfahren.
Nachdem mich Eugene auf die Naglfar gebracht hatte, wurde sofort ein Reiter losgeschickt um Haytham zu benachrichtigen. Die Wachen hatten sich entsprechend aufgeteilt, ihre Kameraden würdig beerdigt und so weiter.
Edward und Florence wurden mit ihren Kindermädchen nach Davenport gebracht, weil man sie aus der Schusslinie haben wollte. Diesen Gedanken konnte ich durchaus nachvollziehen und war dankbar für diesen Geistesblitz der Wachen und Kindermädchen.
Alle mir bekannten Götter waren ebenso in Alarmbereitschaft, zum Bedauern aller fand man keinen Zugang zu meinem Geist.
Leider war auch meine Schwester nicht in der Lage zu mir durchzukommen, weswegen man die Familie Cormac nicht weiter in die Suche mit einbezog. Sie hatten selber genug Dinge zu bedenken, erklärte mir Haytham. Ich hoffte, dass ich später noch Gelegenheit hätte mit Faith zu sprechen. Die Kommunikation mit ihr, wortlos meine ich, war nicht mehr so einfach möglich hatte ich traurig einige Male festgestellt.
Mein Templer hatte alle seine Beziehungen innerhalb der Armee, des Kongresses, des Ordens und in den entsprechenden Behörden spielen lassen um mich ausfindig zu machen. Wie er jedoch schon sagte – heute diese Nachricht, morgen schon die nächste -! Es war einfach unmöglich wirklich einen Weg oder eine Route auszukundschaften. Eugene schlug Haken wie ein pfiffiger Fuchs und verwischte seine und Hrymrs Spuren.
Unser Allvater war deswegen oft erzürnt, weil er sogar auf seinen Widersacher keinen Einfluss nehmen konnte!
„Und weißt du, was sehr seltsam war? Als Edward in der Davenportsiedlung mit Achilles auf dem Felsen stand und auf die Bucht sah, hatte er das Gefühl ein großes Schiff ausfindig machen zu können. Es läge auf der anderen Seite und er konnte die Umrisse sogar beschreiben. Unser Sohn nahm sich einen kleinen Spiegel und sagte, so könnte er dich auf ihn aufmerksam machen.“ dieser Unglaube in Haythams Stimme war nicht zu überhören. Es klang wirklich absurd.
„Du wirst es nicht glauben, aber für den Bruchteil einer Sekunde konnte dieser Junge dich wirklich sehen! Leider verschwamm sofort wieder alles, aber es war ein kleiner Anlaufpunkt, welchen Master Davenport sofort nutzte und mit Connor und Mr Falkner die Aquila bereit machen ließ. Ich war mittlerweile in Europa, weil man angeblich vor der Küste Spaniens die Naglfar gesichtet hatte. Leider war das eine Finte und ich musste noch einmal Richtung Italien mit der Jackdaw, weil dort immer wieder an einigen Häfen seltsamer Nebel aufgetaucht war. Alles nur Gerüchte und falsche Wege. Sackgassen!“ wütend klatschte er sich auf den Oberschenkel.
„Du hast aber gesagt, du hast die Nacht oder auch andere… also du hast mich doch wahrnehmen können…“ wie war das möglich, wenn er doch – wie alle anderen auch – sonst nicht zu mir durchkam.
„DAS war vermutlich genau geplant von dem Russen! Er wollte mich glauben lassen, dass ich dich an ihn verloren habe. Dieser Mann ist gerissener als wir glauben!“ da war was dran. Eugene hatte die große Macht seines Gottes voll und ganz genutzt, außerdem wuchs er an ihr zusätzlich. Etwas was ihn zusätzlich noch gefährlicher machen könnte in Zukunft.
Was aber letztendlich zählte war, dass man mich durch Zufall wieder ausfindig gemacht hatte. Fischer hatten fast eine Woche lang seltsame Schemen auf dem Wasser wahrnehmen können. Alles spielte sich vor der Küste von Great Inagua ab. Warum gerade da?
„Irgendetwas hielt das Schiff dort auf. Niemand vermag zu sagen was genau. Aber es war erneut unser Sohn, der mit einem Spiegel auf dem Felsen in Davenport stand. Alex, du musst dir das vorstellen. Du hättest es niemals sehen können, Edward muss die Hilfe von allen Göttern gleichzeitig bekommen haben um so an dich heran kommen zu können. Du kannst dir nicht vorstellen wie stolz ich auf ihn bin!“ tief durchatmend sah mich mein Mann voller Stolz an. Der Stolz eines Vaters!
„Unglaublich! Mir fehlen wirklich die Worte.“ meine Stimme brach sich, weil ich die Tränen vor Freude versuchte zu unterdrücken.
Wenn ich genauer darüber nachdachte, dann brauchte ich auch nicht nach meinem Heilungsprozess fragen. Er würde vermutlich genauso phantastisch und unfassbar von statten gegangen sein, wie so vieles in unserem Leben seit ich hier bin.
„Ich habe dieses Kind gesehen, Alex.“ flüsterte Haytham plötzlich entschuldigend.
Sommer 1772
Kapitel 40
~~~ Die Albträume im Rücken ~~~
Für einen Moment klammerte ich mich stocksteif an die Zügel, brachte aber vor Angst kein Wort heraus.
Wollte ich Einzelheiten wissen?
War ich schon soweit?
Vor allem eine Frage stellte sich mir: War es nötig, dass ich wusste ob es ein Junge oder Mädchen war?
„Alex, sag doch etwas.“ Haytham lenkte Brida näher an mich und legte eine Hand auf meinen Oberschenkel.
„Was… ja… ich…“ aus einem Impuls fragte ich, wie es aussah, ob Mädchen oder Junge. Aus mir klang ein gewisses Desinteresse, welches mich vor mir selber zurückschrecken ließ.
Was bist du doch für eine grausame Person, dass du nicht einmal das winzigste Gefühl für diesen kleinen Mensch aufbringen kannst.
Ich hatte nicht verdient, Mutter genannt zu werden!
Plötzlich sah ich Eugene wieder vor mir, wie er diabolisch lachte bei diesen Worten.
„NEIN!“ mit einem Satz war ich von Fenrir herunter gesprungen und rannte blindlings in den tiefen Wald.
„ALEX! Warte…“ hörte ich hinter mir eine vertraute Stimme.
Oh nein, ich werde mich doch nicht noch einmal so einlullen lassen. Nicht mit mir!
Irgendwann stand ich unter einer dichten Decke aus Baumkronen, es fühlte sich an als wäre es schon Nacht. Schwer atmend lehnte ich an einem dicken Baumstamm und versuchte mich zu konzentrieren…
Worauf denn?
Wo wollte ich hin?
Was war gerade noch mal passiert?
Warum war ich so in Panik davon gelaufen?
Dieser Templer war hinter mir her. Genau! Ich musste mich verstecken, er war es nämlich, den es zu beseitigen galt.
Ich schlich vorsichtig weiter zu einem nahen Gebüsch und hockte mich hinein. Meinen Blick aktivierend sah ich mich um. Aber ich hörte nur die vertrauten Tiergeräusche, das Rascheln der Blätter der Bäume wenn der Wind hindurch strich.
Rote Auren sah ich keine, Tiere sah ich ebenso wenig…
Ein wohliger Mantel aus Ruhe und Entspannung legte sich über mich, während ich so dahockte.
Doch dann drangen wieder die Bilder eines großen schwarzen Schiffes zu mir, der Geruch von seltsamen Kräutern … die Hände eines fremden Mannes an meinem Körper …
„Mi sol! Wach auf… ich bin es, Haytham!“ vorsichtig strich mir jemand über die Wangen. „Du brauchst keine Angst mehr haben. Sieh mich bitte an.“
Vorsichtig öffnete ich die Augen. Aber die Angst, dass ich etwas sehen könnte, was ich nicht wollte, ließ mich nicht los und ich zögerte. Als mir der Geruch von Lavendel in die Nase stieg, wurde mir schlagartig klar, dass ich wirklich nichts zu befürchten hatte.
„HAYTHAM!“ ich klammerte mich an diesen Mann, als wäre er meine letzte Rettung!
„Wir haben unterschätzt, wie sehr diese Monate noch in dir nachklingen, mi sol. Du brauchst noch
Zeit und Ruhe. Komm, lass uns nach Hause reiten.“ vorsichtig half er mir hoch und auf mein Pferd.
Etwas schlaftrunken, so fühlte es sich gerade an, saß ich auf Fenrir und strich ihm vorsichtig über das Fell. Ohne dass ich noch etwas machen musste, brachte er uns nach Hause. Sogar Brida brauchte keine Anweisungen von Haytham.
Als es jedoch dunkel wurde, schlug mein Mann ein neues Nachtlager vor. Dieses mal nutzten wir das Zelt nicht, sondern er spannte die Tücher zwischen die Bäume, legte die Decken darunter so das wir vor dem Gröbsten geschützt waren.
In seinen Armen schlief ich tatsächlich auch friedlich ein.
Ich kann es nicht erklären!
Jedes mal wenn dieser Mensch in meiner Nähe ist, fühle ich mich wohl. Mir kann nichts passieren und im Grunde konnte ich mich umgehend entspannen. Es brauchte noch nicht einmal Worte seinerseits. Kleine Gesten, sein Geruch und einfach seine Wärme waren mein Zuhause, mein Ankerpunkt!
Kitschig, ich weiß. Es ist aber ein wundervolles Gefühl für mich!
Der nächste Morgen war etwas bewölkt, leider war es drückend warm geworden. Kein Wunder, es war Mai und die Luftfeuchtigkeit nahm hier zu, genau wie die Temperaturen anstiegen.
Nach einem kleinen Frühstück brachen wir wieder auf.
„Ich werde diese Tage hier im Wald vermissen.“ seufzte ich leise, als wir aus dem Dickicht auf das offene Feld kamen.
„Das einfache Leben ist oft wirklich der beste Weg um sich wieder auf sich besinnen zu können.“ auch Haytham atmete tief durch und streckte sich im Sattel.
Ich hatte vor Jahren einmal meinem Mann von der „Entschleunigung“ berichtet. Momente, wo man sein Leben auf ein Minimum schraubt, um sich auf das Wesentliche wieder konzentrieren zu können. Einfach nur Natur zum Beispiel, keine Einflüsse von Internet oder ähnlichem.
Gerade diese letzten Tage zeigten mir, wie wichtig das doch ist um seine Gedanken wieder in die richtigen Bahnen zu lenken.
„Ihr seid wieder da!“ hörte ich begeisterte Rufe unserer Tochter, welche gerade mit Sophia auf der Koppel bei ihrem Pferd war.
„Min lille engel, ich habe dich vermisst.“ etwas steif stieg ich von Fenrir und nahm sie in den Arm. „Warst du auch artig?“ fragte ich grinsend nach.
„Ja, Mama. Aber es ist so still ohne dich oder Papa.“ flüsterte sie an mein Ohr.
„Dein Bruder macht doch sicherlich genügend Krach, oder nicht?“ hakte jetzt Haytham grinsend nach. „Wo ist er eigentlich?“ suchend sah er sich um.
„Master Kenway, Master Edward ist bei Mr Hathaway. Er muss noch eine Strafarbeit fertig schreiben.“ erklärte Sybill entschuldigend.
Der Blick meines Templers in meine Richtung zeugte von „Man kann ihn nie allein lassen!“ aber er sagte es nicht. Haytham war entspannt und wollte sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Nicht so kurz nach der Ankunft Daheim!
Was soll ich sagen, die Strafe für Edward blieb am heutigen Abend aus, nachdem meine Männer ein Gespräch unter vier Augen geführt hatten.
Vor einigen Tagen erhielten wir endlich einmal erfreulichere Nachrichten, welche uns in unserer Suche nach den Artefakten weiter bringen sollte.
Ein Brief des Dolmetschers, der das Journal von Reginald Birch für uns übersetzt hatte. Einiges war schwer zu entziffern oder die Sprache war niemandem wirklich geläufig. Mir ging die Frage durch den Kopf, welche Erziehung Haythams alter Mentor genossen haben mochte, dass er solche Kenntnisse besaß? Viel wusste ich über Birch tatsächlich nicht, vielleicht hätte ich meine Recherche auch dahingehend erweitern sollen.
Doch ich schweife ab.
Beginnen wir damit, dass sich der zu suchende Gegenstand auf einem Schiff befunden hatte, als es sank. Der Unglücksort befand sich vor der Küste North Carolinas, wo es 1718 auf Grund lief.
Wir sprechen hier nicht von irgendeinem Schiff, nein.
Es geht um die „Queen Anne´s Revenge“! Edward Thatchs alias Blackbeards Galeone!
Als ich den Namen las, schlug mein Herz höher und es verschlug mir die Sprache.
„Das ist …!“ sogar Haytham fand keine passenden Worte.
„Aber ich weiß etwas zu sagen.“ hörte ich Edward Senior hinter uns plötzlich. „Ich hätte auch selber darauf kommen können, dass wir dort nach diesem Artefakt suchen sollten. Es ist so offensichtlich!“ seine flache Hand schlug auf den Schreibtisch, als er Kopfschüttelnd ebenfalls über die Zeilen las.
Dort auf dem Grund des Meeres schlummerte seit nunmehr fast 54 Jahren eine Kiste, deren Inhalt eine Karte von noch nicht offiziell entdeckten Orten und ein sogenannter Sonnenstein war.
Ein Navigationsgerät, welches die Wikinger nutzten besonders wenn es bewölkt oder neblig war.
„Ed hatte dieser Stein schon einige Male aus einer misslichen Lage geholfen. Ja, schaut nicht so. Auch er war nicht immer so erfahren. Jeder fängt mal klein an, so auch ich.“ in den Augen meines Schwiegervaters sah ich plötzlich Trauer aufsteigen. Thatch war in gewisserweise wie eine Vaterfigur für ihn geworden in den Jahren. Was dazu kam war, dass Edward Senior zu dem damaligen Zeitpunkt noch nichts von seinem göttlichen Paten wusste!
Plötzlich fühlte ich die Präsenz meines Allvaters.
„Wenn wir dieses Artefakt erst wieder im Besitz haben, können wir besser manövrieren mit der Jackdaw. Zusammen mit einem geschulten Seefahrer und gutem Sextanten sollten wir Wege ergründen können, die anderen verborgen bleiben!“ diese Euphorie in seiner Stimme ließ mich aufhorchen.
„WELCHE Wege? Wissen wir schon wieder etwas nicht …“ man unterbrach mich.
„Mein Kind! Diesen Stein wirst du, wenn er endlich in deinem Besitz ist, nicht wie die anderen Dinge in deiner Kiste verstauben lassen! Er wird immer bei dir sein, du wirst ihn immer an dir tragen! Du wirst sehen, er hängt an einer robusten Kette. Sie ist fast so unzerstörbar wie der Anhänger. Man könnte sagen, es ist wie Gleipnir womit wir Fenrir binden wollten.“ Odin schien sich bei seinen eigenen Worten wahnsinnig zu freuen und sah uns zufrieden einen nach dem anderen an.
„Dann sollten wir also alsbald eine kleine Expedition planen!“ Haytham war es, der sich die Hände rieb und nach einer Karte suchte.
„Haytham, warte. Du brauchst keine Karte, ich weiß schon, wen wir befragen können.“ grinste mein Pirat wissend in die Runde. „Kommt ihr nicht drauf?“ jetzt hatte sein Blick etwas triumphierendes an sich.
„Nein, erleuchte uns bitte!“ bat ich leise, weil mir seine Art gerade etwas unheimlich war.
„Anne Bonny!“ rief er freudig.
„Ähm, sie lebt noch?“ wieder stieg Frust in mir hoch, dass ich nicht so tiefgehende Forschungen betrieben hatte. Wer hätte auch ahnen können, dass wir diese Dame irgendwann einmal aufsuchen würden.
„Sie lebt, hat ein paar Kinder mit ihrem Ehemann in die Welt gesetzt und genießt vermutlich gerade ihren Ruhestand.“ wenn man nun meinen Schwiegervater betrachtete, könnte man meinen, er ist wieder 19 Jahre alt und auf dem Weg das erste Mal auf einem Schiff anzuheuern. Ich ertappte mich, wie ich ihn tatsächlich anstarrte.
„Und wie sollen wir mit ihr in Kontakt kommen? Wir können ja schlecht sagen, dass sie uns bei der Suche nach etwas helfen soll. Sie kennt mich …“ mein Mann sprach nicht weiter, weil auch ihm klar wurde, dass er ebenso Kenway hieß.
„Vergiss nicht, mein Sohn. Ich werde ihr schon alles erklären.“ dabei klopfte er seinem Sohn auf die Schulter.
„Du willst dich vor ihr so zeigen? Edward!“ mir wurde etwas mulmig bei diesem Gedanken. Wer weiß, wie sie reagieren würde, wenn er plötzlich so leibhaftig vor ihr stand.
Auf der anderen Seite wussten wir nicht, ob Anne überhaupt von Edwards Geschichte wusste
„Man hat sie damals, so weit ich jetzt weiß, unterrichtet, dass ich … dass es einen Überfall auf uns gab.“ jetzt wich seine Freude einer alten Erinnerung.
„Ich bin auch noch da und kann eingreifen, sollte sie vor Schreck in Ohnmacht fallen!“ grinste Odin etwas anzüglich.
„Dann ist es abgemacht. Wann brechen wir auf?“ wenn es nach mir ginge, könnten wir morgen gleich los. Leider war gerade Sommer und die Aufsicht der Plantage oblag immer noch Haytham, welcher sein Eigentum derzeit nicht gerne „alleine“ ließ.
Die drei Herren beschlossen, dass wir im Oktober aufbrechen sollten.
Bei meinem genervten tiefen Seufzen erntete ich hochgezogene Augenbrauen.
„Meine Tochter muss immer noch lernen Geduld zu haben. Vielleicht sollten wir des öfteren solche Dinge planen, was meinst du?“ die Stimme des Allvaters hatte einen sarkastischen Unterton angenommen, als er mich betrachtete.
„Danke, aber ich habe das schon ganz gut im Griff.“ nuschelte ich beleidigt, weil ich es nicht mochte, wenn man sich über meine Schwächen lustig machte.
Wir besahen uns jetzt noch einmal in Ruhe die Aufzeichnung Reginalds, die Zeichnungen die etwas verblasst waren und es wurde eine Karte hinzugezogen um den Ort, vorerst zumindest, grob zu bestimmen.
Blackbeards Schiff lag also vor der Küste North Carolinas, aber ohne exakte Koordinaten.
„Und wie sollen wir hinunter zum Wrack tauchen? Wie tief ist es denn dort?“ hakte ich nach, weil ich selber zwar schwimmen konnte, aber ich war halt kein Apnoetaucher.
„Die Jackdaw bekommt einfach wieder eine Taucherglocke und es gibt, soweit ich weiß, auch Helme wo ein Schlauch befestigt ist der einen atmen lässt.“ wieder war es mein Pirat, der sich an die alten Zeiten erinnerte.
„Davon habe ich auch schon gehört, Vater. Franklin arbeitet an diesen flexiblen Rohren oder besser Schläuchen. Er hat mir von seinen ersten Fehlkonstruktionen berichtet.“ auch mein Mann war ganz in seinem Element. Er konnte etwas planen und koordinieren.
Fasziniert stand ich eine Weile daneben und sah die Herren über der Karte und den Bildern grübeln.
Nicht mehr lange und wir würden die „Queen Anne´s Revenge“ besuchen. Ich muss gestehen, meine Freude war die gleiche wie sie mein Pirat gerade vermutlich empfand!
Am darauffolgenden Tag verkündeten wir dann auch unseren Kindern von der im Herbst anstehenden Expedition. DAS hätten wir besser nicht gemacht.
„Warum denn so spät erst? Vielleicht ist das Wrack dann schon ganz kaputt und man findet gar nichts mehr. Vor allem wissen das bestimmt auch diese fiesen Piraten und plündern das Schiff schon!“ Edward Junior war sichtlich sauer, dass wir nicht schon heute aufbrachen.
„Wir können nicht so einfach hier weg und wer hat gesagt, dass ihr beiden mitkommt?“ in Haythams Stimme lag diese sarkastische Ton, was aber sein Sohn nicht so ganz verstand.
„Was? Ich muss hier bleiben? Aber … das ist gemein! Ich bin schon groß genug und ich kann schwimmen…“ versuchte er zu argumentieren, als ihm das breite Grinsen seines Vaters auffiel. „Achso, du hast mich nur geärgert.“ maulte er leise.
„Darf ich auch mitkommen, Vater?“ Florence hatte extra in ihrer zuckersüßen Papas-Engelchen Stimme gefragt.
„Ja, du darfst uns begleiten. Ich hoffe, du zeigst mir bis dahin, dass du geduldig bist, mein Engel.“ mein Templer verstand es, mit ihr umzugehen. Was soll ich sagen, die beiden hatten ein ganz eigenes Verhältnis zueinander.
„Natüüüüülich, Vater!“ stolz reckte sie sich.
Augenrollend sah jetzt Edward zu mir. Ich muss gestehen, ich tat es ihm gleich und grinste dabei.
Ungefähr zwei Monate später kam unser Sohn mit einem Veilchen und kaputten Hosen daheim an, während Sybill ihn mitleidig betrachtete.
„Edward, was ist passiert?“ ich betrachtete ihn von allen Seiten um sicher zu gehen, dass er nicht ernsthaft verletzt war.
„Nichts ist passiert!“ fauchte er mich an, riss sich los und rannte wieder nach draußen!
„Sybill, was ist los mit ihm?“ dieses Verhalten war mir neu bei meinem Sohn.
„Ich weiß gar nicht, wie und wo ich anfangen soll.“ sie seufzte tief und ich führte sie mit auf die Terrasse, wo wir beide Platz nahmen.
Mrs Wallace erzählte, dass Edward schon einige Male von anderen Jungs gehänselt worden wäre, weil er ein Kindermädchen an seiner Seite hätte. Sie zogen ihn mit diversen bösen Namen auf unter anderem auch „Feigling“. Was aber besonders schwer wog war, dass er immer wieder zu hören bekam, dass er dort nicht hingehörte. Er sei ein „reicher verzogener Idiot“ der sich über sie nur lustig machen würde.
Diese Beleidigungen, Beschimpfungen und kleineren Handgreiflichkeiten gingen schon eine Weile so. Sie kamen aber von neu hinzugezogenen Jungs hier auf der Plantage. Unter anderem von den Jungs des Gerbers und Schlachters. Edward könne ja noch nicht mal eine Maus töten, weil er so ein verzogenes Baby sei.
Ich denke, ich brauche diese Tiraden nicht näher ausführen.
Immer wieder hatte sich unser Sohn verbal gewehrt, hatte gut sachlich versucht sich zu verteidigen, aber stieß dabei auf taube Ohren der pöbelnden Jungs.
Bis heute!
„Alex, ich konnte nicht so schnell reagieren. Ich sah von weitem, wie Edward auf diese vier Jungs zuhielt und laut schrie, sie sollten sich in Acht nehmen. Er würde ihnen jetzt zeigen, wer hier das Sagen hätte und schlug zu. Damit aber nicht genug, leider! Seine Kampffähigkeiten ließ er sie zusätzlich spüren und ich sah, wie sogar Thor seine Schwierigkeiten hatte, ihn zurück zuhalten! Edward war außer sich und tobte wie eine Furie!“ in den Augen des Kindermädchen sah ich Tränen, weil sie ihren Schützling so auch noch nie erlebt hatte. Außerdem waren wir jetzt an einem Punkt, an welchem er sie nicht mehr brauchte, sondern … ich muss es zugeben … einen Kammerdiener!
„Dann ist das jetzt das Zeichen, dass wir umdenken müssen in seiner Erziehung? Aber ich will nicht, dass ihr geht.“ in mir stieg eine große Panik auf, Sybill zu verlieren! Aber hieß es nicht die ganze Zeit, sie sei für die Kinder IMMER da?
„Das werde ich, die Frage ist nur für welches werde ich gebraucht?“ in ihren Augen sah ich ein goldenes Leuchten und um ihre Lippen spielte plötzlich ein warmes Lächeln.
„Ihr … ihr meint … wir …“ nein, das konnte nicht sein. Ich war nicht schwanger, da war ich mir sicher. Gerade erst waren meine Blutungen am abklingen!
„Nicht jetzt sofort, nein. Aber es ist an der Zeit!“ flüsterte sie wissend. In mir kribbelte es leicht vor Freude und auch ein wenig Angst wollte durchbrechen.
Doch leider war damit das Thema um Edward und dieses Mobbing noch nicht abgeschlossen.
Ich ging nach diesem Gespräch auf die Suche nach meinem Sohn und fand ihn, wie war es anders zu erwarten, bei seinem Darius auf der Koppel.
„Min lille skat …“ doch er sah mich wütend an.
„Lass das, Mama! Das ist lächerlich! Ich bin lächerlich! Ich bin ein Baby, weil ich nicht einmal alleine von der Schule nach Hause gehe.“ schrie er mich an und wollte sich schon auf den Rücken seines Hengstes schwingen, als ich ihn schneller zu packen bekam.
„Stopp! Nicht so mein Freundchen!“ auch ich war plötzlich in Rage. „Wir unterhalten uns jetzt, wie es normale Menschen machen!“ damit zog ich ihn zur Treppe der Veranda und hieß ihn, sich zu setzen.
„Was denn?“ fauchte er und wollte sich immer noch losreißen.
„Hör mir erstmal zu und beruhige dich. Ich habe mit Sybill gesprochen, sie hat mir alles erzählt. EDWARD!“ meine Stimme erhob sich und ich drückte ihn auf die Stufen neben mir. „Bei Odin, sei doch nicht so stur!“
„Ich will aber nicht reden!“ seine Hand holte aus, aber ich war schneller und hielt sie auf.
„Wage es nicht, Edward! Ich kann auch anders.“ mein ganzer Körper zitterte, weil ich spürte, dass hier göttlicher Einfluss mitspielte, welchen wir BEIDE noch zügeln mussten!
„Sie haben gesagt, ich bin ein Wichtigtuer! Der arrogante Sohn des Plantagenbesitzers! Der Bastard einer Hure aus Europa!“ brach es mit einem Male aus ihm heraus und mir blieb der Mund offen stehen.
„Bitte WAS? WER hat das gesagt?“ ich war schon drauf und dran aufzuspringen um diesen kleinen Widerlingen meine Meinung zu geigen. Besann mich aber eines besseren, weil ich ja ein Vorbild für meinen Sohn sein sollte.
„Diese Idioten vom Gerber und 4 Blödmänner von den Bauern.“ nuschelte Edward in die Gegend starrend vor sich hin.
Was sollte ich jetzt machen?
Wenn ich zu ihnen ging, wäre es für meinen Sohn noch schlimmer. Sie würden ihn als Mamasöhnchen bezeichnen. Würde Haytham die Initiative ergreifen, dann könnte das ebenso nach hinten losgehen.
Eine Antwort! Wir brauchten einen Rat!
„Du wirst in Zukunft ohne mich zur Schule reiten, Thor wird dich natürlich weiterhin begleiten. Von den Wachen sprechen wir nicht, weil sie sich gut im Hintergrund halten und eigentlich für alle immer präsent sind. Edward, ich werde ab jetzt nur noch hier anwesend sein und du wirst …“ Mrs Wallace saß plötzlich neben ihrem Schützling. Ihre Augen waren gefüllt mit Tränen. „… einen eigenen Diener an deine Seite bekommen, welcher nur für dein Wohl da sein wird und dir beim Ankleiden helfen wird. Ab jetzt …“ wieder schluckte sie schwer. „… bist du Master Edward und wirst auch so von mir behandelt.“ abrupt stand sie auf und ging. Ohne noch einmal zurück zuschauen.
„Aber… Mama! Ich will … Sie kann doch nicht einfach gehen! Vater soll Mrs Wallace das auch sagen!“ er stand auf in der Absicht hinter seinem Kindermädchen her zu rennen.
„Nein, sie hat Recht. Es ist an der Zeit, Edward. Du siehst doch, dass die anderen Kinder das nicht verstehen und ich möchte nicht, dass du so behandelt wirst.“ versuchte ich ihn zu beruhigen.
„Ich bin alleine!“ meine Hände griffen ins Leere so schnell war er verschwunden!
„EDWARD! WARTE!“ rief ich ihm hinterher.
„Was ist denn hier los? Was hat er dieses mal angestellt!“ Warum musste Haytham JETZT dazukommen?
„Nichts! Du kannst schon mal eine Stellenausschreibung für einen Kammerdiener für deinen Sohn aufstellen!“ fauchte ich und bereute es im Grunde sofort, weil mein Mann nichts für meine Laune konnte.
„Jesus! Ich habe es schon geahnt …“ doch ich hörte schon nicht mehr hin, sondern sah unseren Sohn noch in dem kleinen Wäldchen Richtung James River verschwinden!
Dieses Schluchzen war vermutlich über den Fluss zur anderen Seite zu hören.
Mein kleiner Schatz saß an der Uferböschung und hatte seinen Kopf auf seinen Knie liegen!
Vorsichtig ging ich auf ihn zu.
„Edward.“ sprach ich leise, als ich mich zu ihm setzte. Mit einem Male drehte er sich zu mir und
klammerte sich an mich!
„Bin ich wirklich so ein Arschloch, wie sie sagen?“ völlig entsetzt schob ich ihn ein Stück von mir und sah ihn an.
„Bitte? Nein, bist du nicht! Das ist nur Unwissenheit und vielleicht sind sie auch etwas neidisch. Wer weiß das schon.“ zeitgleich ging mir durch den Kopf, dass ich jetzt nur SEINE Seite kannte. Was hatte er so von sich gegeben bei den anderen Kindern? Ich hoffte und im Grunde wusste ich, dass er nicht den reichen Sohn des Plantagenbesitzers „raushängen“ ließ. Er verstand sich mit den anderen bis jetzt immer gut.
Edward begann wie von alleine die ganze Geschichte zu erzählen …
Die Jungs hatten ihn aufgezogen, weil er einem Mädchen aufgeholfen hatte, welches sie geschubst hatten weil es frech zu ihnen war. Sie hatten seine Geste des Mitgefühls falsch verstanden, weil sie es, leider, nicht besser gelehrt bekamen. Ein MANN war höflich, hilfsbereit und respektvoll einer „Lady“ gegenüber, aber ließ auf der anderen Seite diese ebenso fallen, wenn sie nicht „vom gleichen Stand“ war.
Diese Unterschiede waren mir immer noch fremd, diese Lehren hatten sich in meinem Kopf noch nicht manifestiert. Wieder wurde mir bewusst, dass ich in diesem Jahrhundert noch lange nicht angekommen war.
„Du handelst aus Nächstenliebe, Edward! Mr Hathaway predigt es jeden Sonntag, oder nicht? Also haben die anderen Jungs ihm wohl nicht zugehört und die Bibeltexte nicht richtig verstanden!“ ich versuchte diesen Vorstoß auf der christlichen Ebene, weil alle Bauern und Pächter, Arbeiter und so weiter, sehr gläubig waren.
„Ich hoffe aber, du hast sie nie spüren lassen, dass du eben dieser arrogante Sohn bist?“ hakte ich vorsichtig nach.
Sein Blick hing an meinem. Standhaft. Kein Zucken. Kein Zwinkern.
„Nein! Ich habe ihnen auch keine meiner Fähigkeiten mehr gezeigt. Wir spielen eigentlich immer alle zusammen, nur … ich kann es nicht leiden, wenn jemand einem Mädchen wehtut, weil es … nicht so hübsch ist wie sie sagen.“ wieder glitten seine Augen auf den Fluss bei diesen Worten.
„Du hast eines der Mädchen besonders beschützt, nicht wahr?“ langsam dämmerte mir, warum er so aufgebracht reagiert hatte. Die ersten Anzeichen von Zuneigung für ein Mädchen zeigten sich bei ihm, was natürlich den „harten“ Jungs fremd war.
„Penelope ist anders als die anderen kichernden Mädchen, Mama. Glaub mir. Sie liest auch gerne Abenteuergeschichten und mag Fische fangen!“ bei dieser Schilderung leuchteten seine Augen plötzlich!
„Du hast dich nicht nur wegen Sybill mit den Jungs geschlagen, sondern auch wegen Penelope?“ ich benutzte absichtlich ihren Namen, damit er wusste, dass ich ihm wirklich zuhörte.
„Eigentlich war es beides. Wenn Mrs Wallace jetzt geht, was passiert dann?“ seine Frage kam so zögerlich, weil er vermutlich Angst hatte vor der Antwort.
„Sie wird nicht gehen, sie bleibt, weil … Sybill hat noch eine weitere Aufgabe. Du weißt doch, sie beschützt die Jünglinge.“ lächelte ich Edward an und seine Augen weiteten sich, als er verstand.
„Snotra wird wieder Kindermädchen sein? Sie… Mama, bekomme ich noch einen Bruder?“ aufgeregt war er aufgesprungen.
„Noch bin ich nicht guter Hoffnung, Edward. Aber wie es aussieht, ist es für uns vorgesehen.“ meine Stimme war kaum hörbar, weil ich selber noch gar nicht diese These verinnerlicht hatte.
„Dann würde ich gerne mit Vater meinen Kammerdiener suchen. Er hat mir schon gesagt, dass es bald an der Zeit ist.“ in diesem Moment wuchs er sprichwörtlich noch einmal um einige Zentimeter als er mit geschwellter stolzer Brust vor mir stand.
Dieser Herr würde dann aber wirklich nur hier daheim sein und nicht während der Schulstunden um ihn herum scharwenzeln.
„Und du wirst dich nicht mehr rechtfertigen müssen vor den anderen Burschen. Sag ihnen, dass es sich für einen Gentleman gehört, die Frauen zu respektieren und ihnen zu helfen. Sollte aber noch einmal jemand dich so beleidigen und als Bastard einer Hure beschimpfen, dann suche ich ihn nachts heim!“ bei diesen Worten ließ ich meine Vorfahrin ein wenig in Erscheinung treten.
„Das wird sie alle verjagen und kleinlaut werden lassen.“ kicherte klein Kenway, Verzeihung, Master Edward.
Und so schnell werden sie groß und bedürfen nicht mehr unserer kompletten Aufsicht! Die ersten Züge der Zuneigung fürs andere Geschlecht sind mitunter noch nicht ganz zu verstehen, aber auch das wird sich in den nächsten Jahren weiter ausbilden.
Die Einweihung der unterirdischen Gänge und Keller wurde selbstverständlich nicht an die große Glocke gehängt, sondern wir zelebrierten die Fertigstellung nur mit den tatsächlichen Arbeitern, Architekten und den Plantagenbewohnern.
Es hatte sage und schreibe fast ein Jahr gedauert, aber das Warten hatte sich gelohnt! Wir hatten von nun an 5 zusätzliche Räume, welche nicht von außen ersichtlich waren. Außerdem geheime Eingänge, 6 an der Zahl, und entsprechende Sicherheitsschlösser- und -türen. Die Gänge waren zusätzlich noch mit Ziegelsteinen verstärkt worden!
Wir begannen einen Raum mit den Artefakten, welche wir in unserem Besitz aus unserer Liste hatten, zu befüllen. Eine stattliche Anzahl muss ich anmerken, was mir erst jetzt wirklich auffiel.
Ein Munitions- sowie Waffenlager wurde ebenfalls eingerichtet. Zusätzlich hatten wir hier auch die Möglichkeit für Notunterkünfte, sollte es einmal zu einem Überfall kommen. Von der gesamten Plantage aus gab es versteckte Einstiege die nur unseren Pächtern bekannt waren.
Diese neue Einrichtung brachte mir eine gewisse Ruhe, weil wir uns jetzt immer öfter mit Soldaten, Spähtrupps und so weiter konfrontiert sahen.
Man schreckte nicht davor zurück einfach die Hütte einer Familie in Beschlag zu nehmen um dort zu nächtigen! Immer im Namen seiner Majestät König George III!
„Master Kenway, unsere Vorräte hat man einfach konfisziert! Und… meine Tochter…“ der Herr war außer sich, weil die Rotröcke vor nichts zurück schreckten.
Das war nur ein Übergriff von mehreren, welcher zeigte, dass wir uns wappnen mussten!
Unser Hab und und Gut war aber nicht das einzige, was man ins Auge gefasst hatte. Auch Rory wurde Opfer von sogenannten Beschlagnahmungen im Namen des Königs!
„Jeder hat seinen Beitrag zu leisten!“ hörte man die Parole immer wieder, sogar in Boston oder Richmond begann die Armee das Eigentum an sich zu nehmen.
Vor ein paar Wochen hatte uns Master Johnson einen Besuch abgestattet und erzählte von seiner neuen „Einnahmequelle“ von welcher er sicher war, sie sei unantastbar. Er hatte sich mit dem Teehandel beschäftigt und hielt einige Anteile an einer entsprechende Handelsgesellschaft.
TEE! Natürlich! Die berühmte „Boston-Tea-Party“ … die größte Teetasse der Welt … Bei Odin! William lief Gefahr ein Vermögen zu verlieren!
Vorsichtig tastete ich mich vor und versuchte ihn noch umzustimmen, dass er nicht zu viel investierte!
„Mistress Kenway, wir können so einiges an Gelder gewinnen für unseren Orden. Meine bescheidenen Mittel reichen für größere Unterfangen nicht aus und meine Berater sind zuversichtlich, dass es gerade mit dem Tee eine sichere Einnahmequelle ist. Außerdem stehe ich in Verhandlungen mit den Konföderierten Stämmen der Indianer. Eine zusätzliche Sicherheit für uns und die Kolonien. Ich kann damit die Ländereien sichern, bevor sie einfach besetzt werden!“ Seine Worte klangen vielversprechend, jedoch wusste ich mehr als er. Wenn ich mich recht erinnerte, dann gab es in Fort Stanwix 1768, vor 4 Jahren ungefähr, bereits entsprechende Verhandlungen mit den Irokesen. Versprechen und Verträge konnten aber auch leicht gebrochen werden oder missverstanden werden! Und wie ich aus einigen Aufzeichnungen über William Johnson noch dunkel wusste war, dass er mitunter nicht gerade sehr diplomatisch vorging.
„Natürlich Master Johnson, aber seid auf der Hut. Es gibt im Untergrund sicherlich auch viele Widersacher, welche einen ganz anderen Blickwinkel haben und euer Engagement durchaus auch falsch verstehen könnten.“ etwas zögerlich brachte ich diese Warnung hervor, weil ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen wollte. Immer noch lief ich Gefahr zu viel von meinem Wissen preis zu geben!
„Ich verspreche euch, dass ich Vorsicht walten lassen, Mistress Kenway. Seid unbesorgt.“ väterlich tätschelte er meinen Unterarm bei diesen Worten.
Die Expedition rückte immer näher. So langsam mussten wir uns darauf vorbereiten. Jedoch wollte ich vorher noch etwas gänzlich anderes erledigt wissen!
Wir hatten es jetzt lange aufgeschoben, oder besser gesagt wir hatten nicht die Zeit für das Familienportrait. Immer wieder war ich versucht mein Handy zu zücken und einfach ein Foto zu machen! Nein, ich wollte es wie in diesem Jahrhundert üblich haben. Also hatte ich mich umgehört, wer solche Arbeiten anbot und wurde nach einer langen Suche endlich fündig.
Der Herr war Mitte 40, recht klein, sogar für meine Begriffe, leuchtende rote Haare und … ziemlich dürr. Ich hatte das Bedürfnis ihm etwas zu Essen anzubieten, weil ich Angst hatte, er würde nicht einmal den Pinsel lange genug halten können.
Friedrich Mentzel war kein Deutscher, sondern kam aus Böhmen und war vor einigen Jahren mit seiner gesamten Familie in die Kolonien gereist. Eltern, Großeltern, Kinder und seine Frau. Man hatte sich in Richmond niedergelassen und er hatte sich schnell einen Namen gemacht als Maler.
Ich hatte es mit allen so abgesprochen, dass Edward Senior einfach schon manifestiert hier war, genau wie Tessa!
Außerdem war es gerade recht günstig, weil auch Jennifer mit ihrem Gatten zu Besuch war.
Die beiden würden noch bis wir unsere Expedition starteten hier bleiben und dann in unserer Abwesenheit hier nach dem Rechten schauen. Mein Mann war darüber mehr als erleichtert, weil jemand die Aufsicht übernahm den er kannte und dem er vertraute!
„Somit kann ich auch noch etwas über die Bewirtschaftung einer Plantage lernen.“ freute sich Daniel, als wir einen Morgen beim Frühstück saßen und er mit Haytham einen Ausritt über das Anwesen plante für den Tag.
„Vielleicht sollten wir uns hier in der Gegend auch noch niederlassen.“ Jenny dachte ernsthaft darüber nach in die Kolonien auszuwandern?
„Das können wir sicherlich auch noch später besprechen, meine Liebe.“ Master Mormon war also noch nicht überzeugt von diesem Umzug, oder wollten sie nur einen zweiten Wohnsitz hier haben?
Wer weiß das schon. Lassen wir uns überraschen, ging es mir durch den Kopf.
Wie lange konnte es schon dauern, dieses Bild fertig zu stellen? Länger als ich dachte, musste ich mir nach ein paar Tagen eingestehen!
Einen Tag bevor Herr Mentzel beginnen wollte, wurde weiterer Besuch angekündigt! Achilles und Connor hatten sich überraschend für eine Stippvisite entschieden.
Haytham war völlig überwältigt, dass auch sein großer Sohn mit auf dem Bild sein würde.
„Mir fehlen tatsächlich gerade die Worte!“ dabei klopfte er Connor auf die Schulter.
„Ich habe so etwas noch nie gemacht, was soll ich tun?“ hakte der Junge nach.
„Hinsetzen und nicht bewegen.“ lachte ich, während ich dem Maler meiner Wahl kundtat, dass wir noch eine Person mehr mit drauf haben werden.
Und dann begann das ganze Prozedere.
Stillsitzen, die perfekte Umgebung finden, den Lichteinfall optimal einbauen, Konzeptzeichnungen anfertigen und einen groben Umriss schaffen. Am nächsten Tag das Prozedere erneut, dieses mal mit Farbabgleich und Lichteinfluss einfügen!
Wir waren so aufgereiht worden, dass wir Frauen auf dem großen Sofa saßen und mit uns die Kinder. Unsere Ehemänner standen hinter uns und legten ihre linken Hände auf unsere Schultern, die andere lag am Schwertknauf. Für meinen Gatten hatten wir seine neueste Großmeister-Montur ausgesucht, wohingegen Edward Senior in seinem feinsten Zwirn gesteckt worden war.
Connor stand neben seinem Vater und hatte seinen Ornat an. Für einen Moment konnte ich die beiden betrachten und es gab doch ein paar Ähnlichkeiten von der Größe her und auch im Gesicht.
„Ich fühle mich wie eingeschnürt in dieser Garderobe.“ hörte ich meinen Schwiegervater, als er sich in Position stellte.
„Und was sollen wir sagen? Glaubt ihr ein Korsett fühlt sich wie die große Freiheit an?“ hörte ich Jenny kichern.
Florence und Edward Junior hatten ebenfalls ihre besten Sonntagssachen an.
Dieser Anblick unserer Familie war fantastisch.
„Vater, mir ist langweilig. Wie lange muss ich noch stillhalten?“ kam es von Edward UND Florence einige Male. Gerade für unseren Sohn war es eine Qual, das wusste ich.
„Master Edward, ich möchte doch, dass ihr grandios auf diesem Familienportrait ausseht. Ich verspreche euch, es wird nicht mehr lange dauern.“ Friedrich verstand sich auf Kinder, was sich in seiner Stimme widerspiegelte.
In einer Nacht überkam mich jedoch das große schlechte Gewissen, weil Yannick nicht mit uns auf diesem Bild sein würde.
Dieser Gedanke ließ mich nicht einschlafen und ich suchte meinen Enkel in meinem Kopf auf.
„Oma, es ist schon spät…“ hörte ich ihn gähnend.
„Ich weiß, es tut mir leid, Alex. Aber könntest du Papa rufen?“ fragte ich leise entschuldigend nach.
Ein Nicken und er tauchte kurz darauf mit meinem älteren Sohn wieder auf.
„Mum, ist alles in Ordnung?“ seine Stimme hatte einen ängstlichen Unterton, aber ich konnte ihn beruhigen.
„Alles ok hier. Wirklich. Es geht um … wir lassen gerade ein Portrait malen und … ich habe nicht darüber nachgedacht, dass auch du darauf verewigt sein solltest…“ er unterbrach leise lachend.
„DAS Bild haben wir, auch wenn ich nicht sicher bin, ob ich dir das sagen darf. Es hängt bereits im Esszimmer an der großen Wand Richtung Flur. Mach dir keinen Kopf! Es wäre eher für Außenstehende merkwürdig, wenn sie mich dort auch drauf sehen würden. Ich bin dir nicht böse oder so. Glaub mir übrigens, es wird fantastisch aussehen!“ Yannick hörte sich wirklich begeistert an, keine Spur davon dass er mir böse sein könnte.
„Dann bin ich ja beruhigt! Jetzt kann ich endlich schlafen. Das hat mir nämlich keine Ruhe gelassen, mein Schatz!“ ich spürte seine Präsenz, wie er mich in den Arm nahm.
„Gute Nacht, Mum. Ich hab dich lieb!“ flüsterte er und langsam verblassten die beiden Gestalten in meinem Kopf nachdem sich auch Alexander noch verabschiedet hatte.
„Mi sol, du hast es gehört. Mach dir keine Sorgen und schlaf jetzt.“ Haytham nahm mich in den Arm und drehte mich etwas zu sich.
„Du weißt aber doch, mein schlechtes Gewissen. Es ist eine echte Plage damit.“ kicherte ich leise, als ich ihm noch einen Kuss gab und mich dann in einen wohligen Schlaf gleiten ließ.
Nach ungefähr dreieinhalb Wochen konnten wir endlich das Endergebnis sehen.
Herr Mentzel bat uns ehrfürchtig in den Wintergarten, wo auf einer großen Staffelei das Bild verhüllt mit Laken stand.
„Master Kenway, Mistress Kenway. Ich kann nun verkünden, dass ich das Portrait vollendet habe. Master Edward, wollt ihr mir vielleicht die Ehre erweisen, das Tuch zu entfernen? Ihr ward so brav und habt lange stillgesessen, so etwas sollte belohnt werden!“ Ja, er verstand es, mit Kindern umzugehen!
„Vater, darf ich?“ seit wann war unser Sohn so zurückhaltend? Doch schon sah ich, wie Florence sich schnurstracks auf den Weg zur Staffelei machte! Sophia nahm sie aber schnell auf den Arm.
„Geh mein Sohn, wir sind schon alle gespannt.“ in der Tür erschienen Tessa und mein Pirat. Auch sie hatten diesen neugierigen Blick.
Und dann zog mein kleiner Schatz das Tuch herunter und ich stand mit offenem Mund vor diesem Bildnis unserer Familie! Es… es war einfach unglaublich! Ich brach in Tränen aus, weil ich endlich meine Familie verewigt sah! Sie alle waren wie fotografiert getroffen!
„Herr Mentzel, ihr … das ist einfach unfassbar. Ihr seid ein wahrer Meister eures Faches!“ mehr brachte ich nicht heraus, weil ich so schniefte.
„Meine Frau hat durchaus Recht. Es ist einfach wunderbar!“ Haytham legte seinen Arm um mich.
„Darauf habe ich seit Jahren gewartet!“ hörte ich meinen Piraten und auch er hatte leicht feuchte Augen. Tessa machte keinen Hehl aus ihren Gefühlen!
„Es ist wunderschön!“ schluchzte sie an Edwards Brust, welcher ihr vorsichtig über den Rücken strich!
„Ich muss mich bedanken, dass ihr mir dieses Vertrauen entgegen gebracht habt, Master Kenway, Mistress Kenway…“ etwas irritiert sah er zu meinem Schwiegervater. Normalerweise redete man den Vater so an, nicht den Sohn… doch ich schweife schon wieder ab.
Dieses Bild wurde nun über den Kamin hier im Wintergarten gehängt und wir planten noch weitere mit Herrn Mentzel. Florence, Edward, Haytham und ich noch einmal einzeln. Dafür waren aber jetzt nur noch Skizzen nötig, welche Friedrich in den nächsten Tagen anfertigte und dann im Anschluss uns präsentieren würde. Natürlich wollte sich Edward mit seinem Pferd und seiner Hündin malen lassen.
„Das ist eine schöne Idee, Master Edward.“ und beide gingen hinaus, um sich einen schönen Platz fürs Skizzieren zu suchen.
Als am Abend alle im Bett waren, nahm ich mir doch mein Handy, welches ich mit der Powerbank aufladen konnte, und fotografierte dieses kleine Meisterwerk. Ich wollte, dass Yannick es auch sah. Ich wusste zwar, dass er es erhält aber sicher ist sicher, dachte ich bei mir.
„Mi sol, was machst du da?“ ertappt drehte ich mich um und sah in die großen Augen von Haytham.
„Ich… wollte für Yannick dieses Gemälde festhalten. Ich weiß doch nicht, ob es die Jahrhunderte übersteht.“ zum ersten Mal ging mir durch den Kopf, was uns noch bevorstand und was noch alles passieren könnte. Wenn wir großes Pech hatten, dann würde unsere Plantage, wie viele andere auch, von der britischen Armee geplündert werden. Wenn nicht sogar noch schlimmeres.
„Wenn es brenzlig wird, werden wir es in den gesicherten Keller bringen, mi sol. Auch mir liegt viel daran, die Familiengeschichte weiterzugeben!“ diese Worte beruhigten mich.
Wie es wohl nach all den Jahren aussah in meinem alten Esszimmer? Aber nein, ich werde jetzt nicht deswegen wieder in meine alte Zeit reisen.
Großes Schuster Ehrenwort!
Kapitel 43
~~~ Oktober/November 1772 ~~~
Aufbruch zur Expedition
Es war Ende Oktober als wir zu unserer Expedition zum Wrack von Blackbeards Galeone aufbrachen.
Im Gepäck hatten wir einen Bauplan des Schiffes, welchen Edward Senior noch etwas grob verfasst hatte und die ungefähren Koordinaten der Unglücksstelle. Wir mussten die Strömung, die Witterung und alles drumherum bedenken. Auch war uns zu Ohren gekommen, dass es, wie Edward Junior schon befürchtet hatte, Plünderer gab, die sich dort bedienen wollten. Meine Hoffnung war, dass wir ihnen nicht begegnen würden.
Meine Jackdaw war beladen und wir konnten Segel setzen. Zuerst hatten wir überlegt mit Kutschen nach Charles Town zu reisen, aber da wir ja auch noch zu dem Wrack wollten, mussten wir auf mein Schiff bauen.
Ich freute mich, mal wieder ein wenig zu segeln und ich sah unserem ersten Maat diese Freude ebenfalls an. Die Besatzung hatte sich schon vorbereiten können, weil ich es recht zeitig angekündigt hatte. Außerdem würden wir kein ganzes Jahr unterwegs sein. In zwei Wochen spätestens sollten wir wieder hier sein.
Mit Mr Hargreaves hatten wir die Entfernungen und Dauer der Reise berechnet. Zu Anne Bonny würde es ungefähr 3 Tage dauern bei gutem Wetter und von dort zur Queen Anne´s Revenge wären es nur 2 Tage.
In Charles Town würden wir die Jackdaw mit einer Taucherglocke ausrüsten können, so erklärte es unser Schmied. Er hatte Nachricht an den dort ansässigen Kollegen geschickt um den Auftrag zu erteilen.
Langsam stieg die Aufregung in mir und meinem Mann.
„Es fühlt sich seltsam an, dass ich einer alten Freundin meines Vaters plötzlich begegne.“ als er in meine Richtung blickte, bemerkte er, dass ich schon in Gedanken bei Adéwalé war, den er ja vor Jahren in die Mangel genommen hatte. „Schon gut, du brauchst mich nicht daran erinnern.“ er war tatsächlich beleidigt, zumindest hörte man es in seiner Stimme.
Zuerst jedoch ging es zu Mrs Anne Bonny. Viel wusste ich nicht über sie, aber mein Pirat erzählte auf unserem Weg dorthin einige Geschichten aus ihrer gemeinsamen Zeit.
Mir ging im Zuge seiner Erzählungen meine eigene Begegnung mit ihr durch den Kopf. Sie war hübsch in jungen Jahren und ich hörte noch diesen irischen Akzent in ihrer Stimme. Ab und an hatte auch Shay eine leichte Abwandlung davon.
Die Dame lebte in Charles Town und hatte mit ihrem Ehemann vier Kinder. Alles Jungs!
„Vor ein paar Wochen schon habe ich sie spüren lassen, dass ich nicht ganz verschwunden bin. Ihr könnt euch ihr erschrockenes Gesicht vorstellen, als ich sagte, dass sie bald Besuch von meinem Sohn bekommen würde. Natürlich hat sie mir kein Wort geglaubt! Ein paar Mal baute ich eine Verbindung zu ihr auf und Anne begann tatsächlich mit mir zu sprechen. Jedoch habe ich mich ihr noch nicht so gezeigt. Sie glaubt, dass ich einfach nur die Seele bin, welche mit ihr spricht. Die Iren haben mitunter seltsame Vorstellungen von dem Tod muss ich gestehen.“
Also würde Mrs Bonny meinen Schwiegervater das erste Mal leibhaftig wiedersehen, wenn wir alle bei ihr erschienen. Hoffentlich überforderten wir die Dame nicht.
„Ich will auch mal Piratin werden!“ tat eines Abends Florence kund, als ihr Großvater von seinen Abenteuern berichtete.
„Nein, wirst du nicht!“ Edward Seniors Stimme hatte diesen Befehlston angenommen, den auch Haytham immer mal wieder an den Tag legte. „Das ist kein Beruf, den du so einfach erlernen kannst. Jeder Tag könnte deinen Tod bringen!“
Entsetzt sah sie ihn an und ihre Lippen begannen zu zittern.
„Min lille engel, das ist wirklich gefährlich ein Pirat zu sein. Dein Großvater hatte einfach nur Glück damals.“ auch wenn ich Gefahr lief, dass ich eine Standpauke des Angesprochenen kassierte, sollte ich meiner Tochter die Wahrheit sagen. „Er hätte auch an seinen ganzen Verletzungen in den Jahren sterben können.“
„Mein Bruder kommt mit und passt doch auf mich auf. Nicht wahr?“ ihr Blick ging hilfesuchend in Richtung Edward Junior. Dieser aber war nicht von dieser Idee begeistert, obwohl ich immer dachte, dass gerade er auf Abenteuer aus wäre.
„Ich werde gar keine Zeit haben, Flo! Jemand muss ja die Plantage beschützen.“ der große Bruder hatte also schon seine ganz eigenen Zukunftspläne wie es schien.
Seufzend und mit verschränkten Armen lehnte sich unsere Tochter an die Lehne ihres Stuhls und sah uns böse an, sagte aber nichts mehr.
Ich hoffte, dass Anne ihr nicht irgendwelche Flausen in den Kopf setzen würde. Von wegen dass auch Frauen zu sowas fähig wären und so weiter. Natürlich plädierte ich FÜR die Frauen! Aber Piraterie wurde hart bestraft und es war verboten.
Nach drei Tagen liefen wir im Hafen von Charleston ein wo reger Betrieb herrschte. Der Hafenmeister nahm seine Bezahlung entgegen und überließ uns einen gut erreichbaren Anlegeplatz.
Die Crew hatte bis auf weiteres Landgang, die Wachen wurden eingeteilt weil auch hier neugieriges Fußvolk unterwegs war und wir machten uns auf zu Mrs Bonny.
Edward Senior würde erst in Erscheinung treten, wenn wir uns vorgestellt und bereits ein wenig bekannt mit ihr waren.
Die Adresse war nicht schwer zu finden, weil das Haus der Familie an einer der Hauptstraßen lag, welche vom Hafen ins Landesinnere führte.
Dieses wuselige Treiben in der Stadt war unbeschreiblich und leider auch traurig. Hier war einer der größten Umschlagplätze für den Sklavenhandel und das sah man an allen Ecken.
„Warum sind diese Menschen angekettet? Waren die böse?“ Florence kannte keine Sklaven, weil wir keine hatten.
„Diese Menschen werden von reichen Leuten gekauft, damit sie für sie arbeiten. Das sind Sklaven, mein Engel. Nicht jeder Plantagenbesitzer hat verstanden, dass man die Felder auch mit einfachen Arbeitern bewirtschaften kann. Deine Mutter und ich sind uns einig, dass wir diese Geschäfte nicht unterstützen! Das ist einfach menschenverachtend und würdelos!“ in Haythams Stimme hörte man die Wut über diese Machenschaften deutlich raus.
„Sie sehen unheimlich aus, Vater.“ etwas ängstlich sah sie weiterhin aus dem Fenster, als wir an einer Kreuzung nicht weiterkamen, weil man eine Schar Schafe gerade durch die Straßen trieb. „Wo wohnen diese Männer und Frauen? Haben die keine Eltern?“
Wie sollte man einer 5jährigen bitte dieses Verbrechen erklären?
„Die haben sie, aber oft sind auch die Eltern schon Sklaven gewesen und die Kinder werden einfach weiterverkauft oder bleiben bei den alten Besitzern. Diese Menschen kommen von überall her, Florence. Aus ganz unterschiedlichen Ländern. Wenn wir wieder daheim sind, dann zeige ich dir auf einer Karte woher sie stammen.“ erklärte mein Mann jetzt ruhig und sachlich.
Bis unsere Tochter den Verstand besaß, diese Thematik zu verarbeiten, würde es noch ein paar Jahre dauern.
Etwas abwesend nickte sie, als sie immer noch aus dem kleinen Fenster auf das Treiben in der Stadt sah.
Nach etwas über einer Stunde standen wir vor Annes Haus. Ein unscheinbares Gebäude, aber gepflegt.
Ich wusste einfach nicht, wie wir ein Gespräch mit ihr anfangen sollten. War sie überhaupt daheim? Meine Nervosität stieg ins Unermessliche plötzlich!
Ich werde Anne schon erklären, was es mit unserem Besuch auf sich hat. Hörte ich meinen Schwiegervater in meinem Kopf.
Dann mal los und wir klopften.
Uns öffnete ein stattlicher Herr mit langen rotbraunen Haaren und einer kleinen Narbe auf der Wange.
„Was kann ich für euch tun?“ neugierig besah er sich unsere Gruppe.
„Mein Name ist Haytham Kenway, zu euren Diensten, Sir. Mein Vater war …“ bevor mein Mann weitersprechen konnte, fuhr ihm der Mann über den Mund.
„Ich weiß, wer ihr seid!“ fauchte er plötzlich und wollte schon die Tür wieder vor unserer Nase zuschlagen, besann sich aber eines besseren. „Ihr seid für Adéwalés Tod verantwortlich! Ich war dabei!“
Nicht nur mir verschlug es die Sprache.
„William, was ist hier los?“ drang eine Frauenstimme hinter ihm zu uns mit einem leichten irischen Singsang. „Wir haben Besuch?“
„Mutter, dass ist …“ sie ließ ihn nicht ausreden, weil man sie vermutlich gerade schon in Kenntnis gesetzt hatte über unsere Ankunft.
„Kenways Sprössling aus London, hab ich Recht?“ fragend zog sie eine Augenbraue hoch und musterte meinen Mann grinsend.
„Genau der, Mrs Bonny.“ selten erlebte ich meinen Templer so befangen und schüchtern.
„Mrs Manning, wenn ich bitten darf.“ entgegnete sie und bat uns mit einer Handbewegung hinein. Etwas widerwillig ließ uns auch, ich nahm jetzt an, dass es ihr Sohn ist, William vorbei.
Im Wohn- und Esszimmer hieß man uns Platz nehmen an dem großen Tisch und bot uns Erfrischungen an.
Erst jetzt begann mein Verstand wieder zu arbeiten und mir fielen die Kinder wieder ein, die Kindermädchen, die Wachen… wir waren mit einem recht großen Trupp hier erschienen.
„Verzeiht, Mrs Manning, dass wir euch mit so vielen Menschen regelrecht überfallen.“ versuchte ich einen vorsichtigen Vorstoß.
„Ich erinnere mich an euch…“ grübelnd sah mich diese Frau an.
„Du hast sie schon vor über 50 Jahren einmal getroffen, Anne. Wir waren gerade in Nassau, da ist sie aus heiterem Himmel vor meine Füße gefallen.“ nicht nur die ehemalige Piratin sah erschrocken auf die Erscheinung am Tisch, auch ich musste kurz schlucken.
„Edward! Warum musst du immer solche Auftritte hinlegen? Kannst du nicht wie jeder normale…“ sie unterbrach sich selber, weil der Rest sich mehr als merkwürdig anhören würde.
Und so begann erst einmal eine kleine Vorstellungsrunde, die Wachen wurden eingewiesen, die Kindermädchen konnten ihre Kammer beziehen und auch uns zeigte man unser Nachtlager. Eine kleine Kammer, wo wir aber alle vier genügend Platz hatten.
Nur Edward Junior passte es nicht, dass er sich das Bett mit seiner kleinen Schwester teilen musste.
„Das wird nicht das letzte Mal gewesen sein, mein Sohn und jetzt schweig still.“ ermahnte ihn Haytham leise, als wir wieder hinunter gingen.
„Ja, Vater. Aber Florence nervt mich und dreht sich ständig hin und her …“ seufzend sah er in meine Richtung, aber ich konnte ihm schlecht helfen. Es war ja nur für ein paar Nächte, wenn überhaupt.
Leider war Mr Manning gerade nicht anwesend, erklärte Anne. Er war unterwegs mit seinem Schiff um für Vorräte zu sorgen.
„Nicht was ihr denkt.“ grinste sie in die Runde. „Ich bin bodenständig geworden. Alleine schon für meine Kinder.“
„Ihr ward sehr nett damals, als ich bei euch die Nacht bleiben durfte. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, kommt es mir so unwirklich vor. In Nassau hat für mich alles begonnen damals!“ plötzlich wurde mir genau DAS bewusst und ich starrte sie an.
„Dein Weg hat meinen ebenso geebnet, wir wussten beide noch nicht, was auf uns zukommt.“ mein Pirat saß mit uns am Tisch und sah von Anne zu mir. „Es war und ist Schicksal.“
Und wieder schien ein weiteres Puzzleteil hinzuzukommen zu meinem Leben. Ich sollte dieser Frau noch einmal begegnen!
Annes andere Söhne waren derweil nicht zugegen, sie waren mit ihren Familien aufs Land gezogen und einer war tatsächlich zur Marine gegangen.
Nachdem William nach einer Weile endlich etwas aufgetaut war und seine Wut auf Haytham etwas abgeklungen war, berichtete er von seinem Leben.
William Manning war Assassine! Nachdem seine Mutter sich hier niedergelassen hatte, tauchte Adéwalé eines Tages auf und bat Anne um Hilfe. Der Hafen war für seine große Reichweite bekannt, sie konnte so Nachrichten schnell verbreiten und war damit ein Ankerpunkt für die Aktivitäten der Assassinen damals.
Sogar Louis Joseph Gaultier Chevalier de la Verandrýe profitierte davon. Seine „Expedition“ wurde erfolgreich getarnt durch die Kundgebung, dass er zum Beispiel gerade nach Europa aufgebrochen sei.
Es gab gefühlt hunderte von Anhängern, welche Fehlinformationen weitergaben und die korrekten Daten unter der Hand weiterleiteten.
„Wir sind Assassinen, wir arbeiten im Dunkeln…“ er stockte und sah mich an, als wolle er mich analysieren und abschätzen, was oder wer ich bin.
„… um dem Licht zu dienen. Wir sind Assassinen!“ beendete ich diesen Satz. „Glaubt mir, ich bin Assassine, immer noch. Auch wenn ich übergreifend dem Orden angehöre. Aber das hat alles seinen Grund!“
William berichtete von seiner Reise mit Adé und wie sie den Auftrag bekamen, die Schatulle zu beschützen. Es war wie ein Staffellauf. An jedem neuen Ziel wurde der Gegenstand jemand anderem überlassen, der so schnell wie möglich seine Fracht weiterreichen sollte. Jahrelang war das auch geglückt, bis zu dem Zeitpunkt, an dem Shay wieder auf die Bildfläche trat.
Er war geschult für die Bruderschaft, hatte aber auch über den Orden noch weiterlernen können. Somit war er wirklich eine wahre Bedrohung geworden und als den Assassinen klar wurde, dass er GEGEN sie arbeitete, wurden sie aktiv und begannen immer tiefer im Untergrund zu agieren.
Das war auch der Grund, warum JETZT die Schatulle wie vom Erdboden verschluckt zu sein schien.
Leider fiel hier wieder der Begriff „Verräter“ im Zusammenhang mit Shays Namen!
„Nein, ist er nicht! Denkt einmal darüber nach, wie IHR euch gefühlt hättet nach Lissabon!“ warf ich ohne Nachzudenken ein und sah in ein erstauntes Gesicht.
Annes Sohn öffnete den Mund, schloss ihn aber gleich wieder.
„Ihr meint das Erdbeben? Woher sollte Achilles denn wissen, dass durch diese Artefakte der Vorläufer so ein Unglück passieren kann?“ Eine Frage, die wir uns alle sicherlich zu irgendeinem Zeitpunkt gestellt hatten.
Für einen kurzen Moment musste ich in mich gehen um nicht wütend zu werden. Hätte Master Davenport damals Adéwalé richtig zugehört, dann hätte er genau diese Tragödie auch verhindern können. Haiti ereilte das gleiche Schicksal wie später Lissabon!
„Instinkt und ein wenig Analyse, Master William. Jedoch ist es müßig jetzt darüber zu diskutieren. Das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen und BEIDE Seiten tragen eine gewisse Schuld an diesem Desaster!“ langsam atmete ich tief ein und aus um mich zu beruhigen.
„Es gibt noch mehr von ihnen, Mistress Kenway. Wie sollen wir sie alle schützen?“ Wollte er uns nur testen, ob wir wirklich auch auf seiner Seite standen? Schließlich saßen sich gerade, das wurde mir jetzt erst richtig bewusst, Templer und Assassinen gegenüber, von denen einer noch nichts von einer Zusammenarbeit vernommen hatte. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt ihm von unserem Vorhaben zu berichten.
„Das wissen wir und es ist möglich, dafür zu sorgen, dass diese anderen Orte nicht angetastet werden. ABER das geht nur, wenn Orden und Bruderschaft gemeinsam arbeiten.“
„Edward, ich bin kein Assassine, das weißt du. Ich habe immer versucht möglichst neutral zu sein um nicht wieder das Gesprächsthema zu sein. Aber ich habe von … IHR seid es wirklich! Ihr versucht beide Bünde zu vereinen!“ die ehemalige Piratin sah mich erstaunt an. „Wir haben hier einige Händler, welche von einem Frieden sprachen. Einem Waffenstillstand. Ich hatte es immer nur für ein Hirngespinst gehalten.“ Jetzt sah sie zu ihrem Sohn. „William! Sag doch auch etwas.“ forderte sie ihn auf.
„Mutter, natürlich haben wir davon Wind bekommen.“ begann er widerwillig zu sprechen. Seine Augen richteten sich auf Haytham, dann glitt sein Blick zu Edward Senior. „Aber wir können doch nicht einfach solche Verbrechen ignorieren wie sie unter anderem an Adéwalé begangen wurden.“
„Es geht hier nicht darum, dass man von euch die Absolution erbittet. Umgekehrt gibt es auch Opfer auf Seiten der Templer zu beklagen. Doch es geht hier um etwas höheres und ihr könnt jetzt etwas zur friedlichen Zusammenarbeit beisteuern.“ mein Pirat lächelte zögerlich, als er in die Runde sah.
„Dann ist es wahr? Wir sind in Gefahr, so wie ich in meinen Träumen schon des öfteren eine große Schlacht gesehen habe? Aber wie kann das sein? Dort waren Fabelwesen, seltsame Geschöpfe, gegen die wir kämpfen mussten.“ Williams Gesichtsausdruck wirkte verwirrt.
„Eine höhere Macht, William. Genau darum geht es. Diese Schatulle zum Beispiel ist ein kleines Puzzleteil in dem großen Ganzen!“ meine Stimme war kaum zu vernehmen, weil ich plötzlich Angst hatte, er könnte mich auslachen. „Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde als wir alle bisher angenommen haben.“
„Dann hatte Adé immer Recht, als er sagte, dass wir uns noch umgucken werden. Dass es nicht immer so einfach sein würde an Gegenstände der Vorläufer zu gelangen, sie seien oft für das sterbliche Auge nicht sichtbar! Er hat mir damals eine Karte gezeigt, auf welcher noch weitere Orte eingezeichnet waren, welche auf einem Ozean zu sein scheinen. Seine Worte waren, dass wir auch dort suchen müssten.“
Dieser Sohn von Anne kannte geheime Passagen und Koordinaten, welche Artefakte und Geheimnisse bargen? Vielleicht konnten wir mit unserer Liste gemeinsam diese Dinge suchen?
In mir platzte förmlich eine Bombe, die mich abenteuerlustig machte!
„Wir haben eine Liste von Relikten, die es zu suchen gilt. IHR habt eine Karte mit einigen interessanten Orten! Vielleicht können wir das abgleichen und …“ der Herr ließ mich nicht ausreden.
„… gemeinsam diese Sachen bergen?“ seine Stimme klang gelangweilt und gleichzeitig überheblich. „Wer versichert mir, dass …“
Jetzt war ich es, die ihm über den Mund fuhr.
„Genau DAS ist es! Dieses Misstrauen sobald man ein Angebot, ein EHRLICHES in diesem Falle, bekommt. Glaubt ihr wirklich, ihr könntet all diese Punkte alleine abarbeiten? Und was dann? Wollt ihr die Weltherrschaft an euch reißen? Und wenn ihr glaubt, dass die Templer genau das planen seit Jahrhunderten, kann ich euch beruhigen. Nein, das tun sie nicht. Auch sie oder besser WIR wollen die Menschheit vor großem Schaden beschützen. DAFÜR sind diese ganzen Artefakte wichtig!“ die Hand meines Mannes, welcher recht schweigsam bisher war, legte sich auf meinen Unterarm um mich zu beruhigen.
„Ihr müsst gestehen, dass wir in den Jahren gelernt haben, dass … der Orden den Erzfeind unserer Bruderschaft darstellt. Seit hunderten von Jahren herrscht ein von Zivilisten nicht bekannter Krieg. Warum sollte ich gerade jetzt glauben, dass es nicht mehr so ist?“ William sah etwas angewidert zu Haytham, welcher sich nichts anmerken ließ und immer noch stillschwieg.
„Auch ich habe gelernt, dass es einen Kompromiss gibt. Ich habe ihn in meiner Zeit erreicht und dort wird er weiter ausgebaut…“ ich hielt plötzlich inne, weil ich gar nicht wusste, ob hier JEDER davon Kenntnis hatte, dass ich aus einem anderen Jahrhundert stammte.
Anne sah mich mit großen Augen an.
„Ihr seid nicht zufällig damals in Nassau angekommen? DAS war geplant? EDWARD! Jetzt red schon! Du weißt davon?“ fauchte die Hausherrin meinen Piraten an.
Er antwortete und begann in aller Seelenruhe von unserer gemeinsamen Zeit zu sprechen. Sein Bericht enthielt berechtigte Lücken, weil auch Haytham nicht über pikante Details unterrichtet werden wollte. Als er nach einer sehr langen Story zum Punkt meiner Ankunft hier vor ein paar Jahren kam, hörte ich unsere Gastgeber beide schwer atmen.
Zwischenzeitlich waren wir auch alleine, weil unsere Kinder zu Bett gebracht worden waren. Natürlich unter Protest, versteht sich.
Wir hatten jetzt die Möglichkeit frei raus zu sprechen.
Jetzt war es nämlich auch an mir, aus meinem Leben zu berichten. Die Geschichte, wie ich Edward und später dann Haytham kennen lernte und so weiter. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass es doch sehr umfangreich war, was wir gemeinsam alle erlebt hatten.
„Und jetzt sind wir hier, weil wir auf Thatchs Galeone ein weiteres Artefakt vermuten.“ schloss ich meinen Bericht.
„Die Götter also, hm?“ fragend sah mich Anne an. „Ich hatte immer den Eindruck, dass dich mehr umgibt, als du selber weißt, Edward.“
„Mary hat es damals auch erkannt, nur ich selber war noch nicht soweit.“ seufzte mein Pirat.
Für einen kurzen Moment herrschte eine bedrückende Stille im Raum, weil ihr Tod uns in den Sinn kam und es tat mir für Edward Senior unendlich leid.
„Vater, du hattest mehr Gefühle für sie, als du ahntest?“ Haytham sah seinen Vater mit großen Augen an. Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich auch noch Eifersucht in diesen Worten vermuten.
„Hatte ich, mein Sohn.“ sprach er leise und die Trauer war deutlich zu spüren in diesen wenigen Worten.
„Lasst uns auf die Freunde anstoßen, welche nicht mehr auf dieser Welt wandeln!“ sprach William plötzlich und erhob seinen Kelch mit Wein.
Wir taten es ihm gleich und tranken auf alle, die jetzt hier sein sollten!
In meinem Kopf formte sich eine riesige Tafel in Odins Halle, wo sie alle beisammen saßen. Es war wie immer ein beruhigendes Bild und der Gedanke, dass auch wir irgendwann dort sein werden, tröstete mich.
Kurz vor Mitternacht überkam mich eine ungeheuerliche Müdigkeit und ich verabschiedete mich für die Nacht. Mein Gatte tat es mir gleich und auch William ging zu Bett.
Nur Edward und Anne blieben auf.
Wir sollten ihnen noch diese Zeit für sich gönnen, dachte ich und ging hinauf in unser Zimmer.
„Alex, manchmal glaube ich, dass ich immer wieder neue Dinge über dich oder meinen Vater, eure Leben erfahre. Das heute war wieder der Beweis, dass viele Kleinigkeiten und Details zusammenspielen für das gesamte Bild.“ schwer seufzend ließ sich Haytham auf unser Bett sinken.
„Pssssst, sprich leise. Du machst die Kinder sonst noch wach.“ bat ich flüsternd, als ich nach ihnen sah. Aber sie lagen in ihrem Bett und rührten sich nicht. Von wegen Florence würde sich immer nur hin und her drehen.
Dann eben so! Mein Vater war verheiratet, hatte aber eine Affäre mit dieser Mary Read? Theoretisch hätte ich noch einen Bruder oder eine Schwester? Aber niemand weiß, wo man ihn oder sie hingebracht hat? Hat Vater sich nie damit weiter beschäftigt?
(nicht ganz so, wie es im Buch/Spiel dargestellt wurde. Eine kleine Autorenfreiheit nehme ich mir hier raus!)
Haytham ließ sich erschöpft nach hinten fallen.
Nein, warum hätte er es tun sollen? Mi amor, dein Vater hatte ganz andere Sorgen und musste sich um sein Leben kümmern.
Mein Versuch ihn zu beruhigen scheiterte kläglich.
Er hat seinen Sohn wie ich meinen im Stich gelassen!
So hatte ich es noch nicht betrachtet, aber … nein, die Geschichte würde sich nicht so wiederholen! Nein!
Hier hat niemand jemanden im Stich gelassen, bei Odin! Marys Kind wurde ihr weggenommen und irgendwohin gebracht. Weder dein Vater hatte die Möglichkeiten nachzuforschen noch irgendwer sonst. Und vielleicht ist es auch besser so.
Ich spürte wie sich mein Gehirn verknotete bei all diesen Optionen und Möglichkeiten!
Es gibt also noch jemanden, der mit mir verwandt ist. Irgendwo in dieser Welt!
Dieser plötzliche ruhige, aber gleichzeitig aufgeregte Ton war erstaunlich.
Du willst nicht ernsthaft die Suche nach ihm oder ihr starten, oder?
Das würde eine sehr lange Zeit in Anspruch nehmen, befürchtete ich.
Schlaf jetzt, mi amor. Es ist spät und du kannst JETZT nichts mehr ausrichten.
Wir sollten uns damit beschäftigen, aber nicht mehr heute und hier und jetzt, ging es mir durch den Kopf.
Ich ahnte aber, dass sich Haytham Ähnlichkeiten ausmalte, vorstellte, wie ein Zusammentreffen irgendwann aussehen könnte.
Wer weiß, vielleicht wächst die Familie auf eine ganz andere Weise noch weiter.
Diese Worte stachen in mein Herz, weil ich plötzlich das Gefühl hatte, er würde gar keine Kinder mehr haben wollen, dass ihm dieser Gedanke völlig ausreichen würde. Vielleicht war dieser Satz auch ohne Hintergedanken.
Jetzt lag ich hellwach hier und starrte zur Zimmerdecke.
Bis auf Walkas leises Schnarchen war es still im Raum.
„Ich habe diese Vision von uns und einem weiteren Kind gehabt, mi sol. Glaub mir, dieser Wunsch ist nicht verschwunden nach heute.“ flüsterte Haytham plötzlich neben mir und drehte mich mit dem Rücken zu sich und strich mein Nachthemd langsam über meinen Oberschenkel hoch.
„Du glaubst doch nicht, dass ich jetzt…“ seine andere Hand drehte mein Gesicht zu sich nach hinten und seine Lippen senkten sich auf meinen Mund.
„Doch, das habe ich mir gewünscht und jetzt sei still…“
Diese Zweisamkeit war mal wieder eine entspannende Erfahrung. Kleine Bewegungen, seine Hand hielt meinen Oberschenkel in Position … Es war ruhig und vor allem befriedigend.
Nicht ein einziger Ton trat über meine Lippen! Wir waren ja nicht alleine hier in diesem Zimmer!
Wir ließen fast gleichzeitig los und ich hätte meinem Mann so gerne meine Erleichterung lautstark kundgetan, aber sein Mund bedeckte mich mit Küssen.
Nach dem Frühstück begannen wir unsere Route zur Queen Anne´s Revenge zu planen .
„Mama, das ist wirklich ein großes Schiff. Wie kann das sinken?“ ungläubig sah unser Sohn auf die Zeichnung und dann auf die Karte.
„Sobald die Bordwand stark beschädigt ist, dringt Wasser ein und wenn man dem nicht mehr Herr wird, passiert es, dass das Schiff untergeht.“ erklärte Anne Edward Junior.
„Dann muss man das aber dringend verstärken!“ er hielt eine Hand reibend unter sein Kinn und sah wieder einmal aus wie Haytham dabei.
Sogar Mrs Manning betrachtete ihn lächelnd.
„Wisst ihr, Klein Edward hat viel von seinem Großvater.“ dabei sah sie entschuldigend zu meinem Templer.
„Das haben wir schon bemerkt.“ bemerkte ich grinsend.
Mein Mann war sich dessen ebenfalls mehr als bewusst!
Ein wichtiger Punkt auf der Tagesordnung für heute war die Taucherglocke! Unser Schmied hatte ja bereits eine Nachricht schicken lassen. Ich hoffte außerdem, dass ich so etwas ähnliches wie einen Taucherhelm auftreiben konnte. Genügend Experimente mit flexiblen Schläuchen gab es auch in diesem Jahrhundert schon. Man beachte Franklins Forschungen in dieser Richtung. Man wird sehen, ob wir hier in dieser kleinen Stadt fündig werden können.
Aber zuerst mussten wir die Galeone überhaupt ausfindig machen.
Laut Karte würden wir mindestens 2 Tage benötigen um dorthin zu gelangen, je nach Wetterlage.
Kurz darauf steuerten wir den Hafenbereich an und fragten uns durch zu dem Händler, welcher sich mit Tauchzubehör beschäftigte. Eigentlich sehr hochtrabend beschrieben für die primitiven Vorrichtungen zu dieser Zeit.
„Oh Kundschaft!“ hörte wir ihn freudig rufen. Ein recht großer Herr eilte auf uns zu, als wir das Geschäft betraten. Mitte 40 schätzte ich ihn, schwarze Haare mit einem Vollbart im Gesicht. Ein wenig verwegen sah er ja schon aus.
„Sir, wir sind auf der Suche nach einer Tauchvorrichtung.“ Haytham übernahm das Kaufgespräch und die beiden begannen zu fachsimpeln und zu feilschen. Erneut dachte ich an einen Händler auf einem Basar oder diese Marktschreier auf den Fischmärkten. Doch ich schweife vermutlich gerade ab.
„Damit bin ich einverstanden, Mister!“ und der Herr reichte Haytham zum erfolgreichen Kaufabschluss die Hand. Wir hatten eine Taucherglocke erstanden und eine kleine Vorrichtung die Luft hineinpumpen konnte, sowie 2 Schläuche und einen kleinen Helm.
Beim genaueren Betrachten konnte ich nur beten, dass dieses Teil auch wirklich Wasserdicht war. Man hatte Kautschuk benutzt um die Übergänge abzudichten zum Beispiel.
Bis zu wie viele Meter war es wohl wirklich sicher zu tauchen damit?
„Mam, macht euch keine Sorgen! Eurem Gatten wird schon nichts passieren! Ich habe es selber getestet und kann mit gutem Gewissen sagen, dass er stundenlang im Meer verweilen kann damit.“ versicherte mir der Händler.
Man würde abwarten müssen. Dennoch war ich auch aufgeregt und wollte es am liebsten sofort selber testen. Meine Geduld musste ich aber noch zügeln.
„Sollten wir nicht zufrieden sein, seid versichert, werden wir euch alsbald wieder aufsuchen!“ mahnte ihn jetzt William, welcher uns begleitet hatte.
„Natürlich, Sir! Selbstverständlich!“ ein leicht eingeschüchtertes Lächeln erschien auf den Lippen des Herren.
Am Nachmittag wurde meine Jackdaw mit diesem Wunderwerk endlich ausgestattet und staunend sah ich bei der Montage zu.
Die Schläuche selber waren locker auf eine Trommel gewickelt, die nun fest mit dem Oberdeck verbunden wurde. Es erstaunte mich, dass meine Brig sich nicht auf die Seite legte, als dieses riesige Metallkonstrukt an einem Flaschenzug in die Höhe gehievt wurde.
„Alex! Das aus deinem Mund? Du bist doch diejenige die sich mit physikalischen Dinge bereits besser auskennt, als wir hier.“ lachte Haytham als er sich auch schon wieder den Arbeitern zuwandte.
Genau wegen dieser Kenntnis war ich ja so überrascht. Mittlerweile sollte ich aber meine Skepsis etwas verloren haben für die Unzulänglichkeiten in diesem Jahrhundert.
Wir testeten die Pumpe, die man ebenfalls fest mit dem Deck verband. Der erste Luftzug war unangenehm und es fühlte sich falsch an. Der Geruch oder besser Geschmack war widerlich. Abgestanden und modrig würde ich sagen.
„Das legt sich noch, glaubt mir.“ erklärte ein Mann der sich gerade mit einer Seilwinde befasste.
Sein Wort in Odins Ohr!
Am Abend konnten wir uns einem guten Abendessen widmen und noch einmal die Pläne für die Fahrt zum Wrack durchgehen.
Die Jackdaw sollte dem Küstenverlauf in nördlicher Richtung folgen und unter anderem an Wilmington vorbei segeln bis zum eigentlichen Ziel.
„Wir hätten auch dort starten können.“ grübelte ich für einen Moment, aber es war wichtig, dass auch Anne benachrichtigt wurde.
Meine Frage, wie tief es dort eigentlich sei, konnte mir niemand beantworten.
„Tief genug auf jeden Fall um ein Schiff dieser Größe sinken zu lassen.“ Achselzuckend stand Mrs Manning über die Karte gebeugt.
Wir würden also wirklich mit der ersten ausgerechneten Zeitspanne rechnen müssen.
„Vater, darf ich dann auch mit hinuntertauchen?“ bettelte Edward Junior nun schon zum gefühlten Millionsten Male.
„Du darfst uns mit Florence begleiten, aber ob du mit hinunter darfst, entscheide ich vor Ort und jetzt schweig still, sonst bleibst du alleine hier!“ mahnte Haytham unseren Sohn, der sich schmollend zu seiner Schwester umdrehte.
„Und wenn wir da sind, beachtet man uns gar nicht mehr, Flo. Wie immer!“ flüsterte er wütend.
„EDWARD!“ schimpfte ich ihn, weil ich diese Art des Provozierens einfach nicht gut fand!
„Entschuldige.“ kaum hörbar kam es bei mir an.
Am Morgen machten wir uns wieder auf zur Jackdaw. Der Himmel war wolkenverhangen, es nieselte und es war gefühlt um 20 Grad abgekühlt. Fantastisch! Genau das richtige Wetter für eine kleine Seereise!
Nicht nur meine Stimmung war hinüber, auch die der Mitreisenden.
Anne hatte es sich nicht ausreden lassen mitzukommen. Wer konnte es ihr verübeln?
Als sie auf meine Brig zuging sah ich in ihren Augen ein seliges Leuchten.
Ihre Erinnerungen an die Zeit an Bord waren sicherlich nicht immer von Freude und Glück geprägt, dennoch vermisste sie diese Jahre unter der „Black Flag“ und dem Kommando Edward Seniors. Genau wie ich diese Wochen ebenso für ewig in meinem Gedächtnis behalten werde.
Wir legten 2 Stunden später ab unter den aufmerksamen Blicken der Bewohner von Charles Town welche mal wieder zahlreich erschienen waren.
Auf der einen Seite bin ich stolz solch einen Eindruck hinterlassen zu haben, umgekehrt ist es aber erschreckend, an WAS sich die Menschen wirklich erinnern! Mein Schwiegervater sinnierte in meinem Geist und dem der Mitreisenden über seine Vergangenheit.
Florence sah dem Treiben am Pier noch eine Weile zu und winkte plötzlich ganz aufgeregt einer Person zu.
Ich versuchte auszumachen, wem diese Geste galt.
„Schau Mama, da! Der große Mann mit dem schwarzen Mantel.“ sie deutete auf die Gestalt und ich versuchte es mit dem Adlerblick. Es pellte sich eine goldene Aura aus den Anwesenden heraus, aber … es war kein realer Mensch.
„Flo, der Bart sieht ja riesig aus!“ hörte ich plötzlich meinen Sohn sprechen und versuchte immer noch meine Sinne zu schärfen.
Langsam wurde mir bewusst, dass die Kinder einen anderen Blick für diese Art von Erscheinung hatten, als wir.
Es ist Edward Thatch, Alex! Ich … habe ihn seit … nun ja, seit Jahren nicht mehr gesehen.
Mir war schon aufgefallen, dass mein Schwiegervater selten bis gar nicht das Wort Ableben oder Tod – seinen eigenen – in den Mund nahm. Warum auch immer.
Wir sahen es kurz darauf vermutlich alle.
Er hob die Hand und winkte zurück.
Bei dieser Geste überzog sich mein Rücken mit einer kalten Gänsehaut. Ein leichtes schlechtes Gewissen zog in mir auf, weil ich mich an sein Eigentum und seine Hinterlassenschaften machte. Auch wenn mein Pirat bereits die Tagebücher und ähnliches in seinem Besitz hatte. Verdammte Axt noch mal! Ich konnte es nicht abstellen.
Diese wirren Gedanken begleiteten mich die nächsten Stunden.
„Mi sol, was ist auf einmal los? Du hast Thatch doch schon kennengelernt. Was ist jetzt anders?“ fragte mein Templer skeptisch nach.
„Ich habe ihn als lebende Person kennengelernt! Und er hat mir eine schriftliche Warnung hinterlassen, du erinnerst dich? Ich sollte deinen Vater in Ruhe lassen. Und jetzt steht er dort im Hafen, winkt uns zu und ich soll mit ruhigem Gewissen zu seinem Schiff segeln um es zu plündern?“ als ich diese Worte ausgesprochen hatte, wurde mir klar woher mein schlechtes Gewissen kam. Ich war keine geborene Diebin oder Piratin! Nein, meine Moral ließ das nicht zu.
„Alex, wirklich?“ kopfschüttelnd stand Haytham vor mir und grinste mich an. „Wir rauben ihn nicht aus, sondern bergen etwas, was noch an Bord ist. Etwas, was er selber nicht mehr retten konnte. Das ist kein Raubüberfall!“
Was du auch mit in Betracht ziehen solltest, er wird uns zeigen können, WO sich dieses Artefakt befindet. Somit werden wir – hoffentlich – auch nicht unnütz herum suchen müssen. Edward hatte ja Recht und allmählich schwächte dieses Gefühl wieder ab.
Wir begegnete einigen Handelsschiffen, britischen Kriegsschiffen und auch kleinen Fischerbooten.
„Was machen die denn soweit hier draußen?“ hörte ich Mr Hargreaves laut fragen, als er immer wieder den Versuch startete ihnen auszuweichen.
Meine Kenntnis über den Fischfang bezog sich auf das Krabbenfischen in den heimischen Häfen in Norddeutschland.
„Mr Hargreaves, sie werden sicherlich Ausschau nach großen Fischen halten, die sie dann mit ebenso großem Gewinn verkaufen können.“ Edward Junior stand wie ein alter Kaufmann an der Reling und betrachtete die Fischerboote.
„Natürlich, Master Edward. So wird es sein.“ mein erster Maat konnte sich ein leises Kichern nicht verkneifen.
Nach einem weiteren Tag waren wir an unserem auserkorenem Ziel angekommen.
Enttäuscht sah ich mich auf der Wasseroberfläche um! Was hatte ich denn bitte erwartet? Eine Fahne die aus dem Wasser ragt und mir die Position anzeigt?
Mein Pirat manifestierte sich, weil es hier sicher für ihn war. Aber nicht nur ER zeigte sich!
Dieser schwarze Mantel mit dem ebenso getünchten Dreispitz zeichneten sich in einem leichten Nebel ab. Eine imposante Silhouette deutete sich immer mehr an bis meine Augen den Kapitän der unter uns liegenden Galeone in Gänze erkannte.
Ich ging ein paar Schritte zurück, weil ich für den Bruchteil einer Sekunde die Befürchtung hatte, er würde mich rügen. Ein absolut absurder Gedanke jetzt im Nachhinein!
„Miss Frederickson! Ich hatte schon gedacht, ich würde euch nie wieder sehen!“ seine tiefe, raunende Stimme war mir noch in Erinnerung geblieben.
Mit offenem Mund starrte ich auf diese Erscheinung, brachte jedoch keinen Ton über die Lippen.
Es war unser Sohn, der sich Luft verschaffte.
„Ihr seid Blackbeard! Der gefürchtetste Pirat in der Karibik!“ seine Stimme überschlug sich dabei vor Aufregung.
„Und ihr müsst Master Edward sein, richtig? Euer Großvater war wie ein Sohn für mich und wie ich sehe, seid ihr ihm sehr ähnlich.“ Thatch hatte eine einnehmende Art an sich. Wenn er wollte war er furchteinflößend oder wie jetzt einfach freundlich.
„Danke, Sir! Ich würde zu gerne einmal euer Schiff sehen und ihr habt bestimmt auch viele Geschichten zu erzählen!“ Unser Sohn hatte sich in seinem Kauderwelsch verheddert und Thatch lächelte mich an.
Wir würden sicherlich später noch für so etwas Zeit finden, erklärte ich und erntete ein enttäuschtes Schnauben Seitens Edward Juniors.
„Ich heiße euch willkommen an Bord der Jackdaw.“ meine Manieren brachen mit einem Male durch und Haytham ebenso wie Edward Senior glucksten amüsiert neben mir.
„Danke, Miss Fred… entschuldigt. Mistress Kenway!“ bei diesen Worten hob der alte Pirat eine Augenbraue. „Dass ich das je sagen würde, hätte ich nicht gedacht. Aber ihr habt meinen RAT angenommen damals. Gut für euch!“ dieser Ton war etwas zu sarkastisch für meinen Geschmack. Aber sei es drum!
Nachdem wir die Vorstellungsrunden beendet hatten und wir uns alle etwas akklimatisieren konnten, besprachen wir unser weiteres Vorgehen.
Eigentlich war es sogar von großem Vorteil, dass Blackbeard uns anleiten konnte. Wer kannte dieses Schiff besser als er?
„Ihr werdet beeindruckt sein, Mistress Kenway.“ seine Worte waren voller Stolz und ich dachte mal wieder an Shay, der ebenso begeistert seine Morrigan lobte. Die Liebe zu Schiffen war mir wohl bekannt und auch ich hegte sie zu meiner Brig!
Dann war es Zeit, dass wir uns dem eigentlichen Ziel, dem Wrack der Queen Anne´s Revenge widmeten.
Alle mit Adlerblick ließen ihn über das Wasser gleiten.
Es dauerte nicht lange, bis jeder eine eigene Interpretation des Schiffes hatte, was einfach daran lag, dass wir alle unterschiedliche Fähigkeiten oder besser Sinne besaßen.
Haytham konnte zum Beispiel genauer beschreiben, wie es zu diesem Abschuss kam, wohingegen mein Pirat besser die Position orten konnte.
Mein kleiner Sohn sah mehr die eigentlichen Goldleuchtenden Umrisse von wichtigen Gegenständen und einigen dringend zu umgehenden gefährlichen Passagen!
Florence hingegen konnte die tatsächliche Geschichte der Galeone wahrnehmen. Ich fand diese kurze aber dennoch prägnante Erzählung spannend und hoffte, ich könnte noch mehr in den nächsten Tagen erfahren.
Ich selber sah die Umrisse und versuchte einen genauen Plan in meinem Kopf zu formen. Wo sollten wir die Notfall-Luftfässer strategisch am günstigsten platzieren zum Beispiel. Wir sollten uns nicht alleine auf die Pumpe verlassen!
Edward Senior war es, der mit einem Male abwesend auf das Meer starrte. Sein Körper schien eingefroren zu sein. Neben ihm stand sein Mentor Thatch, seine Leitfigur damals!
Für eine Weile sahen wir ihnen zu. Weder sprachen noch bewegten sie sich.
„Wir können jetzt noch etwas bewirken, Kenway! Lass uns mit dem Sonnenstein beginnen!“ diese Worte hörten sich an, als hätte Thatch eine völlig neue Sicht auf die Welt, das Leben und die Existenz bekommen!
„Dann lass uns keine Zeit verlieren!“ rief mein Schwiegervater über seine Schulter in unsere Richtung!
Die Pumpe wurde besetzt, die Luftfässer wurden bereit gemacht, die Taucherglocke brachte man ihre Position.
„Hievt! Hievt!“ brüllte man sich an Deck zu.
„Weiter hierher! Herr Gott noch eins! HÖHER!“ schrie einer der Männer der sich in schwindelerregender Höhe über unserem Tauchapparat befand.
All das besah ich mit Staunen! Ganz ohne Maschinerie, ohne Strom – nur die Muskelkraft der Männer an Bord brachte alles zum Laufen. Es gab zwar Flaschenzüge, dennoch war körperliche Anstrengung dabei. Das metallene Gebilde wog nicht nur zwei Kilo!
„Master Kenway, Mistress Kenway. Es wäre jetzt an der Zeit, dass ihr euch …“ Mr Hargreaves sah an mir herunter dabei. „… umzieht und bereit macht. Einer der kleinen Helme mit diesem seltsamen Ding ist dort drüben und wir haben alles noch einmal überprüft.“ er klopfte uns auf die Schulter und widmete sich wieder der Aufsicht seiner Leute.
„Irgendwie ist mir etwas komisch bei dem Gedanken ohne einen modernen Taucheranzug da runter zu gehen.“ gab ich ehrlich zu, als mein Mann und ich uns in der Kajüte fertig machten.
„Die Pumpe funktioniert aber doch ähnlich wie diese … Kanister auf dem Rücken bei euch? Hast du Angst, willst du lieber hier bei den Kindern bleiben?“
Im Zuge dieser Recherchen über die Galeone hatte ich Haytham von Neoprenanzügen, mit Sauerstoff gefüllten Flaschen und Kompressoren erzählt.
Nein, ich würde mit hinunter tauchen! Ich wollte das Schiff Blackbeards einfach mit eigenen Augen gesehen haben. Damals vor gefühlten 300 Jahren hatte ich sie nur als Umriss wahrnehmen können im Hafen von Nassau oder war es doch erst auf Great Inagua? Bei Odin, mein Gedächtnis lässt mich ab und an im Stich!
Meinem Templer versicherte ich zu seiner Beruhigung – und meiner eigenen! -, dass die Kinder sehr gut hier bei Anne und ihrem Sohn aufgehoben sind. Und wir sollten nicht vergessen, es gab da noch einige andere Wesen, welche ein Auge auf uns ALLE hatten.
Mit einem Male lief mir ein kalter Schauer über den Rücken und Bilder von Eugene tauchten vor meinem geistigen Auge auf!
Er war im Begriff eine Luke zu öffnen um dort in den darunter liegenden Raum zu gelangen! Gezielt schwamm er auf ein Regal zu, welches im Begriff war jederzeit einzustürzen! Seine gierigen Finger griffen nach einer von Algen überzogenen Kiste!
Doch sie zerfiel augenblicklich zu Staub bei seiner Berührung!
Nichts gab sie frei, sie war leer!
Ein wütender Schrei drang aus Eugenes Kehle und Flüche auf russisch! Seltsam, er war im Wasser … wie konnte er sprechen und atmen?
Mir gingen Bilder von Aquaman oder auch anderen fiktionalen Helden durch den Kopf!
Als mich etwas an der Schulter berührte, verschwanden diese Momentaufnahmen aus meinem Kopf und meine Hände stützten sich auf den Schreibtisch vor mir in meiner Kajüte.
„Mi amor, ist er hier?“ flüsterte ich aus Angst, dass wir wieder einmal nicht alleine hier waren.
„Nein, keine Sorge! Diese Eindrücke konnte ich mit dir gemeinsam sehen, aber Hrymr oder sein lebendes Pendant ist nicht hier.“ versicherte mir mein Templer. Ein Blick in seine Augen verriet mir, dass er nicht log.
Mit einem tiefen Aufatmen fuhr ich fort mich für den Tauchgang weiter anzukleiden.
Es durfte nicht zu viel Stoff sein, aber auch nicht zu wenig. Mrs Fischer hatte uns Hosen und Hemden aus Leinen mit innen liegenden Taschen gefüllt mit öliger Baumwolle genäht. So hoffte sie, dass sich das Material nicht zu schnell mit Wasser vollsog.
Kurz darauf sah ich an mir herunter und dachte sofort an das Michelin-Männchen! Bei Odin! Ich kicherte bei diesem Anblick und als ich Haytham sah, musste ich arg an mich halten um nicht laut zu Lachen.
Wage es nicht, Alex, hörte ich ihn mahnend in meinem Kopf.
Diese Kleidung war wenig schmeichelhaft für ihn!
Doch das sollte sie ja auch nicht, rief ich mir ins Gedächtnis. Sie sollte PRAKTISCH und FUNKTIONELL sein.
An Deck war alles bereit!
Dort wo ich mich noch mit einem Lachen zurückhalten konnte, war es für Edward und Florence, kaum dass sie uns sahen, vorbei. Sie konnten sich kaum halten und saßen irgendwann mit vor dem Bauch gehaltenen Händen auf den Bohlen.
„Ihr seht zu komisch aus in diesen Dingern!“
„Mama, du musst aufhören so viel zu essen!“
„Flo, wir sollten …“ Edward Junior wurde unwirsch von seinem Vater unterbrochen.
„Es reicht, ihr beiden!“ fauchte er und wandte sich kopfschüttelnd an seinen eigenen Erzeuger. „Unverschämt!“ hörte ich noch.
Nur leider war auch mein Pirat in Kicherlaune und zwinkerte seinen Enkeln ermutigend zu.
Doch genug davon, wir wollten ja noch mit dem Tageslicht im Rücken in die Tiefe steigen!
Meine Ungeduld übermannte mich und ließ mich meine lächerliche Garderobe beiseite schieben.
„Mr Hargreaves! Wir sind soweit!“ rief ich ihm zu.
„Dann zeige ich euch jetzt, wie ihr mit dem Helm umgeht und die Luftzufuhr etwas regulieren könnt. Master Kenway würdet ihr bitte auch dazu kommen? Dann muss ich es nicht doppelt erklären.“ Ich fühlte mich in meine Schulzeit versetzt, wo der Lehrer auch immer alle zusammen trommelte um ein Thema nur EINMAL erläutern zu müssen.
Es gab ein Rädchen an der Unterseite vor der Brust des Kragens, der auf den Schultern lag. Als ich ihn aufsetzte staunte ich über das Gewicht, ich hätte mit weniger gerechnet. Man könnte auch meinen, er würde mich sofort in die Tiefen zerren! Mir wurde wieder etwas flau bei diesem Gedanken.
Mit dieser Vorrichtung konnte man den Druck der gepumpten Luft entweder erhöhen oder senken. Je nach Tiefenmeter. Die Seile, welche uns noch umgelegt wurden, dienten zur Verständigung zur Jackdaw. Eine Art Morsezeichen wurde vereinbart.
Zum Hochziehen, für Gefahr oder aber auch einfach ABBRUCH!
Hoffentlich konnte ich mir all das auch merken.
„Aber was ist, wenn wir uns in einem der unteren Decks befinden? Ihr werdet uns nicht einfach so hinauf ziehen können, Mr Hargreaves. Wie soll das gehen?“ hakte mein Mann nach.
„Dann werden Männer ins Wasser geschickt, die sich von Fass zu Fass hangeln um den Verlauf des Seils zu orten. Diese werden euch hoffentlich finden und hinauf befördern können.“ diese doch recht klägliche und vor allem nicht sehr zuversichtliche Erklärung mussten wir dann wohl vorerst so hinnehmen und das beste aus der Expedition machen.
„Ich verstehe, das ist gut zu wissen.“ Haytham ließ sich seine eigenen Bedenken nicht anmerken.
„Oh und eine Frage noch. Wie sollen wir vorgehen, wenn schon mehr als eine Stunde vergangen ist? Sollen wir …“ natürlich wollte er einen Plan B haben, verständlich.
Da wir aber augenscheinlich abgesichert über die bereitstehenden Matrosen und eben über unsere Fähigkeiten waren, brauchte auch er sich nicht sorgen. Das redete ich mir jetzt immer wieder ein.
Und dann begann unser Tauchgang hinunter zur „Queen Anne´s Revenge“!
Wir hangelten uns zur Taucherglocke hinunter, ich mit Helm und Haytham noch ohne. Wir würden uns hier regelmäßig treffen um zu tauschen. So war es vereinbart gewesen.
Als erstes machte ich mich auf den Weg um einen Eingang zu finden und einen ersten Eindruck von der Lage, dem Zustand und um mir allgemein einen Überblick zu verschaffen.
Stetig hoffte ich, dass der Schlauch nicht undicht war, die Pumpe funktionierte und wir auch wirklich fündig wurden.
Immer weiter tauchte ich hinab und vor mir sah ich Bilder aus dem Film „The Abyss“. Es war hier nicht so tief, keine Frage, aber die Lichtverhältnisse spielten einem einen Streich. Unheimlich und faszinierend zugleich spiegelten sich hier noch vereinzelte Strahlen wieder. Ein sehr spektakulärer erster Eindruck!
Das Schiff selber war gekippt auf Steuerbord-Seite und war weit in den Untergrund gesunken. Dabei überwucherten den Rumpf hunderte von Muscheln, Algen und einfach Dreck.
Dennoch muss ich gestehen, die Größe war mehr als beeindruckend!
„Bei 48 Kanonen habe ich aufgehört zu zählen.“ ging mir ein Satz von Thatch durch den Kopf. Nicht gerade ein bescheidener Mensch dieser Blackbeard!
Die Luken waren allesamt schon verrottet, was mir oder besser uns den Einstieg in die unteren Decks und Sektionen erleichtern würde.
Wo sollten wir anfangen?
Ich beschloss als erstes die Kapitänskajüte aufzusuchen. Auch wenn es zu offensichtlich wäre, dort ein Artefakt solcher Macht zu verstecken. Einen Versuch war es wert. Aber schon beim Hereinkommen sah ich, dass hier der Zahn der natürlichen Zerstörung bereits gewütet hatte.
Man konnte kaum noch ausmachen, was was gewesen sein mochte. Bis auf ein paar Regale oder Gegenstände aus Metall die sich allesamt auf der einen Seite geschichtet hatten aufgrund des Neigungswinkel des Schiffes.
Ich machte mich daran mich näher umzusehen und begann mit meinen Händen das morsche Holz beiseite zu schaffen, suchte nach Geheimverstecken zwischen den Wänden und so weiter.
Immer wieder fielen mir in Leder gebundene Schriften entgegen, doch sobald meine Finger sie berührten zerfielen sie und es blieb ein nebliger Film im Wasser zurück.
Hier war nichts, als beschloss ich mich in die untere „Etage“ dieser Galeone zu begeben.
Es war alles noch recht gut erhalten und in meinem Kopf stellte ich mir den Aufbau dieses Schiffes vor, damit ich nicht die Orientierung verlor.
Ich nahm mir einen ersten Teil des Mannschaftsdecks vor, welches mit dem entsprechenden großen Kanonendeck einherging. Platzmangel herrschte auch hier und die Bilder von kämpfenden und auch überraschten Piraten drängten sich in meinen Geist. Schaukelnde Hängematten, die von der tosenden See bewegt wurden. Männer die sich laut rufend über den Wind hinweg Anweisungen gaben! Die Geschichte dieser Galeone war ein Buch wert!
Leider konnte ich auch hier nicht wirklich fündig werden und mein Sohn meldete sich zu Wort.
Mama, weiter unten ist ein komisch aussehender Korridor. Der sieht aus wie in den Tunneln bei uns zuhause! Aber du musst zuerst wieder zu Vater! Er sollte das übernehmen.
Unser Sohn klang merkwürdig bestimmt dabei. Was war auf einmal los?
Du sagst mir nicht alles, min lille skat! Was ist dort unten?
Er schwieg.
EDWARD! Sprich gefälligst mit mir! Mahnte ich ihn.
Weiterhin keine Antwort!
Frustriert schwamm ich wieder in Richtung Taucherglocke und meine Wut über dieses Schweigen brach sich sofort Bahn, als ich meinen Templer erblickte.
„Da bist du ja wieder, mi sol…“ wütend über diese gut gelaunte Begrüßung sah ich ihn an.
„Du bist dann wohl dran jetzt, laut Aussage und Rates unseres Sohnes.“ maulte ich, sobald ich den Helm abgenommen hatte und mich versuchte an die Luft hier drin zu gewöhnen.
„Edward hat es nicht böse gemeint, glaub mir. Aber hier geht es um meine Kenntnisse von Schiffen dieses Jahrhunderts und deren geheime, ja das mag sich seltsam anhören in deinen Ohren, Ausgänge und Notluken! Ich konnte sie hier sehen und auch diesen Tunnel von welchem unser Sohn sprach. Nimm es doch nicht gleich persönlich!“ seufzte Haytham, während er sich mit dem Helm vertraut machte und ihn aufsetzte.
Als er bereit war, nickte er mir zu und ich sah ihm immer noch genervt hinterher.
Was würde er dort finden? Konnte ich ihm überhaupt folgen?
Grinsend, weil ich erst jetzt auf diese Idee kam, drang ich in seinen Geist und konnte so sehen, was er erblickte.
Mein Templer nahm im Grunde den gleichen Weg wie ich ich auch hinunter zum ersten Kanonendeck, dann weiter geradeaus zu einer weiteren Luke und noch eine Etage tiefer. Hier wurden die Lichtverhältnisse aber immer schlechter und unsere Sinne wurden zu 100 Prozent gefordert!
Ich konnte im Grunde überall ein leichtes Schimmern wahrnehmen, doch es war Haytham welcher mir zeigte, was wirklich von Bedeutung war.
Mit einem Male deutete er auf ein Loch im Holz auf der rechten Seite und schwamm darauf zu.
Plötzlich hantierte er hektisch am Schlauch herum und ich sah, wie dieser sich verheddert hatte.
Nicht mit Gewalt, Haytham. Du könntest ein Loch hineinreißen! Rief ich ihm in Gedanken zu!
Was du nicht sagst! Fluchte er und versuchte sein Glück auf die sanftere Tour. Mit Erfolg und er befreite sich um weiter tauchen zu können.
Dieser Tunnel hatte wirklich Ähnlichkeit mit unseren neu angelegten Gängen unter der Plantage. Hier waren sie allerdings natürlichem Ursprung. Haytham folgte vorsichtig dem Verlauf um nicht wieder hängenzubleiben.
Wie viele Meter Schlauch hatten wir eigentlich zur Verfügung?
Keine Sorge, mi sol. Es ist genügend vorhanden.
Mein Mann klang wie einer dieser Verkäufer im Fernsehen, der sogar einen Gefrierschrank in der Antarktis verkaufen konnte.
Sein Wort in Odins Ohr.
Apropos! Wo waren die Götter gerade? Ich hatte bis jetzt nichts gehört oder gesehen, geschweige denn von ihnen gespürt?
Waren wir wieder einmal in so einer von den Isu gemachten Isolation?
Nicht ganz, auch wenn es gerade schwer ist zu euch durchzudringen!
Das war Tyrs Stimme die wir hörten, wenn auch leicht verstümmelt.
Wie ein Aal schlängelte sich Haytham weiter durch diesen Gang. Irgendwann hatte ich persönlich die Orientierung verloren, weil ich selber stillstand. Im Grunde war es ähnlich zu vergleichen mit der Motionsickness. Wir bewegen uns nicht, aber das Gehirn glaubt es und suggeriert uns dass wir uns hoch oder runter bewegen. Für meinen Magen keine gute Idee, aber ich versuchte mich zusammenzureißen.
Wir sahen zeitgleich diesen hell erleuchteten Spalt in dem Felsen und mein Templer steuerte ohne zu zögern darauf zu! Das Licht wurde greller und tat in den Augen weh, auch wenn ich nur als Hintergrundzuschauer agierte.
Das ist phänomenal! Solch eine Intensität von Licht habe ich noch nie gesehen.
Seine Stimme war voller Ehrfurcht in diesem Moment.
Wer konnte es ihm verübeln? Sogar ich war mehr als beeindruckt!
Die Ausmaße dieser Öffnung waren wider erwartend größer sodass Haytham sich ohne Probleme hindurch bewegen konnte.
Was jetzt aber vor uns auftauchte war majestätisch … es war atemberaubend … Worte vermögen es nicht auszudrücken.
Diese Höhle war nicht nur wie durch Halogenstrahler erleuchtet, nein, sie war auch recht kompakt aber dennoch machte sie den Eindruck wie durch Mutter Natur geformt zu sein. Nichts deutete auf eine Fremdeinwirkung hin!
Mi amor, streiche einfach einmal über diese Wände und diese diffusen Lichtquellen! Ich muss sicher sein, dass es keine Isu-Errungenschaften sind! Bat ich ihn leise. Wer weiß, wer noch mithörte und uns … beeinflusste! Sicher ist sicher!
Mi sol, es ist … einfach nur eine Steinformation, die sich im Laufe der Jahre gebildet hat. Aber … warum sollte genau hier dieses Artefakt sein. Thatch wird es ja nicht persönlich hierher gebracht haben.
Seine Worte ließ ich mir auf der Zunge zergehen. Er hatte Recht! Es wurde der Eindruck erweckt, als hätten hier mehrere Personen, oder Wesen oder wie auch immer, als der alte Pirat ihre Finger im Spiel gehabt.
Eine große dunkle Silhouette zeichnete sich in diesem Raum ab, langsam aber stetig.
Daneben erschien Edward Senior.
Nach langer Zeit sah ich den gefürchtetsten Piraten der Westindischen Inseln wieder. Ich spreche hier von Thatch übrigens.
Wer hätte gedacht, dass ich noch einmal hierher kommen werde. Andächtig sah sich Blackbeard um.
Ich auf jeden Fall nicht. Edward bestaunte ebenfalls diesen hellerleuchteten Raum vor sich.
Langsam begann Haytham sich an den Wänden entlang zu bewegen und tastete hier und da mit Bedacht über den Stein.
Er fühlt sich seltsam warm an, obwohl wir in sehr kaltem Wasser unterwegs sind.
Jetzt wo er es sagte, wurde mir bewusst, dass es tatsächlich recht kühl war. Wir hatten ja auch keinen Sommer mehr, das sollten wir bedenken.
Vereinzelt sah man Holzstückchen herumliegen, oder Scharniere und Schlösser von vermeintlichen Truhen, welche hier vor langer Zeit einmal gelagert worden waren. Mein Schwiegervater ließ mich mit seinen Augen sehen und bewegte sich jetzt ebenfalls umher.
Einige kleinere Fische schwammen an uns vorbei, ignorierten aber meinen Mann wie es schien.
Immer noch fragte ich mich, woher dieses Licht kam. War es möglich, dass es fluoreszierenden Pflanzen gab, die so hell strahlen konnten? Leider war ich keine Botanikerin und meine Kenntnisse sehr beschränkt auf diesem Gebiet.
Die gibt es, aber nicht in diesen geringen Tiefen. Hörte ich Thatch nachdenklich sprechen. Ich muss gestehen, ich kann mich nicht mehr wirklich erinnern.
Seine Stimme hatte plötzlich einen traurigen Ton angenommen und dieser spiegelte sich auch in seinem Gesicht wieder.
Je länger ich … nicht mehr unter euch Lebenden weile, desto mehr verblasst mein Leben vor meinem inneren Auge. Ich schlage daher vor, wir sollten uns beeilen, ehe ich nicht mehr weiß wie ich heiße!
Dieser Stimmungsumschwung zeigte sich aber nicht in seinen Augen, im Gegenteil. Ich spürte, dass Blackbeard daran zu knabbern hatte. Doch nach außen wollte er sich nichts anmerken lassen. Verständlich!
Mit Haythams Augen konnte ich nun diese Auren hier unten wahrnehmen. Ein faszinierender Anblick von Schemenhaften Gestalten die sich hier hin und her bewegten. Dinge abstellten, etwas darin verstauten oder einfach nur Wache standen.
Diese Höhle muss später voll gelaufen sein mit Wasser, weil alle Helfer die ich sah weder schwammen noch schwebten. Aber wie war das nun schon wieder möglich. Wir waren hier weit unter der Oberfläche!
Das werde ich auch nie verstehen und vermutlich werde ich es eh bald vergessen haben. Der alte Pirat grinste dabei in Richtung meines Templers.
Was aber sehr bedauerlich wäre, Mr Thatch! Diese Höflichkeit meines Gatten ließ ihn lachen.
Da muss ich euch recht geben, Haytham! Edward! Du warst bis jetzt so schweigsam. Hat es dir die Sprache vor Staunen verschlagen?
Hm, nein. Aber sieh dich um. An was kannst du dich erinnern? Hier deutete nichts auf ein Artefakt hin, Thatch. Nur Gerümpel, altes Tuch und morsches Holz. Willst du mir etwa weismachen, dass du einen so wichtigen Gegenstand in einer lumpigen Holzkiste aufbewahrt hast? Wie gut ich diese fragend hochgezogene Augenbraue doch kannte. Wie der Vater so der Sohn!
Ich … nein, vermutlich nicht. Wo … verdammt nochmal! Fluchend bewegte sich Blackbeard hier umher und sah sich weiter um.
Wie von einer Tarantel gestochen eilte er an uns vorbei zurück zu seinem Schiff. Haytham und Edward taten es ihm gleich und ich hatte Mühe meinen Mageninhalt bei diesen hektischen Bewegungen nicht von mir zu geben. Noch immer hing ich in dieser Taucherglocke mit einem Gefühl von Übelkeit!
Mama, denk an was schönes! Dann geht das weg! Hörte ich meine Tochter leise in meinem Kopf. Denk an unsere Katze!
Das brachte mich wirklich etwas runter und ich konnte mich wieder auf die Herren hier im Meer konzentrieren.
Kurz darauf blieben wir vor einer im Boden eingelassenen unscheinbaren Luke stehen. Man sah bereits, dass bei der kleinsten Berührung alles zerbersten würde. Immer noch hoffte ich, dass uns nicht die gesamte Galeone über den Köpfen zusammenbrach.
Zögerlich streckte Haytham seine Hand aus um den Ring zu greifen.
Wozu machst du das? Er wird eh abreißen und … sagte ich, als er bereits fluchend vor einem Loch im Boden schwamm.
Ein undurchsichtiges Gemisch aus Algen, morschem Holz und aufgewühltem Dreck stob um uns herum, welches die Sicht in die Tiefe verdeckte!
Mein Mann atmete tief durch, streckte seinen Körper und sagte feierlich Dann werde ich mal meines Amtes walten und schauen, welche Überraschungen uns dort noch erwarten werden!
Und schon war er in dieser unwirklichen Dunkelheit verschwunden und ich mit ihm.
Einen kleinen Moment später spürte ich, wie Haytham auch, dass hier etwas lagerte. Sein Sinn schärfte sich noch einmal, bis wir beide eine grelle Aura um eine Truhe ausmachten. Ich muss sagen, es war eine sehr reich geschmückte Kiste, aus Metall vermutete ich. Aber weder war sie angelaufen noch sah sie alt aus.
Es waren Bilder darauf zu erkennen, dazu Gravuren in einer mir unbekannten Sprache. Was uns aber ins Auge stach waren die vielen Schlösser. 6 an der Zahl und alle mit unterschiedlichen Mechanismen!
Etwas irritierte mich jedoch an diesem Ding, weil es wie eine dunkle Erinnerung in meinem Gedächtnis auf ploppte. Dazu eine böse Vorahnung!
Oft wird leicht daher gesagt, man hätte die Büchse der Pandora geöffnet oder gefunden! In diesem Moment glaubte ich, ich stünde direkt davor!
Mi amor, sei vorsichtig. Ich hörte meine eigene Stimme vor Angst zittern.
Edward meldete sich zu Wort und kam grübelnd näher darauf zu.
Du hast sie nicht wirklich damals an dich genommen, oder? Hörte ich da etwa einen Vorwurf aus seiner Stimme?
Ich musste sicherstellen, dass sich niemand daran wagt! Was hätte ich sonst tun sollen? Das Artefakt in einem Regal ausstellen? Thatch war sichtlich ungehalten ob der Worte meines Schwiegervaters.
Natürlich nicht! Diese … Behältnisse der Maya sind aber gefährlich, wie du sicherlich noch weißt! Rief Edward ihm erinnernd ins Gedächtnis.
Ach was! Alles Hirngespinste. Mir ist nichts passiert, als ich alles dort verstaut habe.
Plötzlich jedoch sah Blackbeard aus, als wäre ihm ein Licht aufgegangen! Sie wollten mich glauben lassen, dass alles in Ordnung sei! Ich erinnere mich! Die Schlösser schnappten zu und … dann weiß ich noch, wie ich wieder oben an Deck stand!
Wir müssen einige Männer hierher bringen, damit sie uns helfen diese Kiste nach oben zu bringen auf die Jackdaw. Hier unten werden wir nichts ausrichten können. Mein Templer war schon im Begriff wieder zu mir zu schwimmen, als ich ihn aufhielt.
Warte, ich werde Bescheid geben.
Aber das brauchte ich gar nicht, weil Edward Junior bereits Mr Hargreaves über unser Vorhaben informiert hatte.
Mama, die Männer machen sich schon bereit. Warte einfach in der Taucherglocke auf sie und gib ihnen dann Anweisungen. Dieser Stolz in der Stimme meines Sohnes war kaum zu überhören. Er liebte es, wenn er seinen Beitrag leisten konnte.
Danke, min lille skat! Sprach ich, während ich mich wieder auf Haytham konzentrierte. Fühlst du etwas in ihrer Nähe? Ein Kribbeln oder so? Hakte ich nach.
Nein, sie ist aber genau wie die Wände in der Höhle seltsam warm. Hörte ich ihn nachdenklich.
Es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, bis sich 5 Herren hier bei mir einfanden. Erstaunt sah ich sie an, weil sie kaum außer Atem waren.
„Mistress Kenway, wir sind ein paar wenige die geübt in solchen Tauchgängen sind. Macht euch keine Sorgen, so schnell geht uns nicht die Luft aus!“ Da konnte man neidisch werden.
Sie alle holten einige Male tief Luft und hangelten sich dann entlang des Luftschlauches zu meinem Mann hinunter. Ich begann die Sekunden zu zählen und hielt selber dabei den Atem an. Es dauerte nicht lange, da musste ich hektisch nach Luft schnappen. Nein, das war nichts für mich. Apnoe-Taucher waren schon sehr faszinierend, zu ihnen würde ich jedoch nie zählen!
Als ich wieder in dem Kopf meines Gatten war, weilte er in der unmittelbaren Nähe dieser leuchtenden Truhe. Sie war eigentlich nicht wirklich groß. Ungefähr so groß wie eine übliche Reisekiste. Wie schwer sie war, vermochte man aber nicht zu sagen.
Hoffentlich haben alle Sachen darin die Jahre gut überstanden. Andächtig sah Blackbeard auf sein Eigentum.
Das hoffen wir auch. Mein Pirat seufzte dabei tief. Uns ging es vermutlich allen so.
Wisst ihr noch, was alles darin sein sollte? Hakte ich nach, weil mir nämlich in den Sinn kam, dass hier eventuell schon einmal jemand etwas gesucht haben könnte. Ich wollte eigentlich auch nur sichergehen, dass wir ALLES mit an die Oberfläche bringen und nicht noch zig mal hinunter tauchen mussten.
In diesen grauen von einigen Falten umgebenen Augen sah ich ein überhebliches Leuchten aufflackern.
Ganz so senil bin ich noch nicht, Miss Frederickson! Doch schon als er es ausgesprochen hatte, wurde ihm bewusst, dass sein Gedächtnis ihn immer mehr im Stich ließ. Entschuldigt…
Sei es drum, da sind ja die Helfer! Rief mein Schwiegervater und mein Mann winkte sie zu sich.
Für diese Herren war ja nur Haytham hier, also hielt ich mich jetzt etwas zurück, so auch die beiden Piraten.
Mit Handzeichen signalisierten sich die Männer nur, was sie machen wollten.
Zuerst musste dieses Gebilde aus dem sandigen Boden und stellenweise löchrigem Boden des Schiffes gehievt werden.
Aber als sie die Oberfläche der Kiste berührten sah es aus, als würde das Wasser beginnen zu kochen! Es blubberte regelrecht an den entsprechenden Stellen.
Nehmt den Stoff eurer Hemden! Deutete Haytham den Herren und zupfte an seinem eigenen herum. Nickend schoben sich die Helfer ihre Ärmel über die Hände und begannen erneut einen Versuch.
Dieses Mal blieb alles ruhig bis sie sie ganz hochheben und mit Seilen sichern wollten!
Kaum vom Boden angehoben gab dieser nach und eine heftige Vibration ging durch das gesamte Wrack! Wie sollte es auch anders ein? Natürlich gab es, so vermutete ich, Sicherheitsmaßnahmen, damit sich niemand diese Artefakte unrechtmäßig aneignen konnte.
In ihrer Panik ließen sie alle los und die Truhe krachte durch die Bohlen nach unten und versank in der Dunkelheit darunter!
Mir entwich ein lautes „Scheiße!“ in diesem Moment!
Wer weiß wie tief es ab hier noch hinunterging?
Aber eines nach dem anderen. Die Taucher machten sich auf um in den Luftfässern ringsum zu Atem zu kommen. Danach sollten wir weiter schauen. Ich gab unserem Sohn die Anweisung, Mr Hargreaves zu sagen, dass die Fässer umgehend erneuert werden sollten.
Mein Mann schwamm jetzt fürs erste auch zurück um sich ein wenig zu erholen, soweit es denn ging.
Vielleicht sollten wir eine Pause einlegen und ganz auftauchen? Schlug ich vor, weil mir mittlerweile ein wenig kalt geworden war
Eine gute Idee, das Artefakt wird ja nicht in den Schlund eines Monsters gefallen sein. Haytham wollte sarkastisch klingen. Leider vernahm ich deutlichen Frust in seinen Worten.
Eine halbe Stunde später waren unsere Helfer und wir selber an Deck der Jackdaw
In der Messe wärmten wir uns alle auf, trockneten die Sachen und berieten das weitere Vorgehen
„Es ist wichtig, dass wir jetzt zügig arbeiten. Hier an der Reling werden die Seile mit Winden befestigt. Sie müssen vor allem genügend Spielraum haben um im Wrack nirgends hängen zu bleiben!“ erklärte mein Templer den Männern. „Den Weg in das unterste Deck werden wir mit Leichtigkeit wiederfinden, darüber mache ich mir keine Sorgen. Was aber ab da schwierig wird, ist dieses Gebilde heile ohne weitere Zwischenfälle hier herauf zu bekommen.“ sein Blick ging von einem zum anderen, als er auch schon fortfuhr.
„Solltet ihr ein Kribbeln spüren oder etwas merkwürdiges wahrnehmen, lasst euch nicht irritieren. In den Tiefen des Meeres gibt es oft seltsam anmutende Tiere oder Pflanzen.“ Seine Augen waren auf mich gerichtet.
„Das heißt, es umgibt sie ein Leuchten oder ihr fühlt ein vibrieren.“ klärte ich sie ebenso auf.
„Davon habe ich auch schon gehört.“ flüsterte einer der Herren ehrfürchtig. Natürlich hatte man hier noch keine großen Kenntnisse von den Bewohnern des Meeres, außer den üblichen die man alltäglich sah. Oder eben den sagenumwobenen Meeresungeheuern. Wer weiß, was wir noch zu sehen bekamen dort unten.
Kurz darauf begaben wir uns alle wieder zum Wrack hinunter, mit einer Ausnahme. Ein zweiter Helm war für mich fertiggestellt worden, damit ich ebenso helfen konnte.
Ich prägte mir die vereinbarten Handzeichen ein und hoffte, sie nicht zu verwechseln oder in der Hektik eventuell zu vergessen.
Je tiefer wir uns hinabließen um so unwohler fühlte ich mich. Nicht weil es so dunkel wurde oder kalt war, nein, es war das Gefühl von eingesperrt sein in diesem alten Schiff. Die Angst davor, dass es komplett einstürzt und wir nicht hinauskämen stieg in mir empor.
Nein, uns würde nichts geschehen. Wir gehen mit Bedacht vor! Mahnte ich mich immer wieder selber und langsam beruhigte ich mich tatsächlich.
Mi sol, wir schaffen das schon. Versicherte mir auch noch einmal Haytham und legte behutsam seine Hand auf meinen Arm damit ich ihn ansah.
Lächelnd nickte ich ihm zu um ihn zu beruhigen und tauchte dann den Helfer weiter hinterher.
In der untersten Sektion, wo die Truhe in die gefühlte Unendlichkeit gefallen war, angekommen, besah ich mir das Ausmaß der Verwüstung.
Meine Finger brauchten nur über eine Planke streichen und sie zerbröselte augenblicklich. Das hieß im Umkehrschluss, dass wir nach Möglichkeit nichts anfassen sollten und uns möglichst fern von allem Interieur, den Wänden, dem Boden und allem fernhalten sollten. Ein etwas schwieriges Unterfangen, aber wir sollten uns nicht so schnell ins Bockshorn jagen lassen.
An der Einbruchstelle angekommen ließ ich meinen Blick hindurch in die Dunkelheit wandern. Ich nahm ein schwaches goldenes Leuchten wahr, welches sich verstärkte, als Haytham mich berührte.
Die Truhe hatte sich im Gebälk dort verkantet zu unserem Glück. So war es nicht allzu tief. Vielleicht einen höchstens eineinhalb Meter.
Wir richteten die Seile aus und zwei Taucher so wie mein Templer tauchten durch das Loch.
Neben mir warteten die anderen drei Herren auf ihr Zeichen um langsam zu ziehen. Schon einige Sekunden später war wieder diese Vibration zu spüren und ein greller Lichtschein drang zu uns hinauf.
Erschrocken wichen die Helfer zurück. Ich aber winkte ab und signalisierte, sie sollten keine Angst haben. Alles wäre in Ordnung.
Trotzdem starrten sie skeptisch hinab.
Als alle wieder hier im Zwischendeck waren, wurde das Signal nach oben gegeben damit man beginnt die Winden zu betätigen.
Langsam begannen sich die Taue zu spannen genau wie meine Nerven!
Die Lichtquelle wurde förmlich aus einem Grab geholt bis wir in diesem warmen Leuchten schwammen.
Unsere Helfer hatten sich dieses mal Handschuhe übergezogen, damit sie kein Risiko beim Berühren des Metalls eingingen. Mit vereinten Kräften begannen sie alle damit, das Gebilde ohne es anecken zu lassen hier heraus zu befördern.
Doch je weiter man an die Oberfläche kam, desto mehr barst das morsche Holz um uns herum und die Seile begannen sich aufzulösen.
Entsetzt sah ich diesem Verfall zu, bis ich begriff, dass wir so nicht weiterkamen. Es war zu spät um noch zu reagieren, als unser Fund erneut in die Tiefe krachte und fast einen unserer Männer mit hinabzog.
Er krallte sich an meinem Hosenbein fest und sah mich mit weit aufgerissenen Augen flehend an, während ich versuchte mich selber irgendwo zu halten. Der Schlauch an meinem Helm war mittlerweile stark gespannt! Anscheinend hatte er sich irgendwo verhakt! Verdammt!
Egal wo ich Halt suchte, alles brach weg. Die anderen Herren halfen wo sie konnten, doch auch sie fanden keine Möglichkeit mich zu halten.
Mittlerweile konnten man schon fast die Hand nicht mehr vor Augen sehen, so dreckig war das Wasser um uns herum geworden!
Alex, versuch dich an den Resten der Seile fest zuhalten! Rief mir mein Mann im Geiste zu und griff nach dem Taucher an meinem Bein.
Wo sollten diese denn jetzt bitte sein? Ich sah nichts mehr! In meiner Panik griff ich willkürlich um mich und bekam etwas zu packen und zerrte daran. Plötzlich verstärkte sich die Spannung und ich wurde in die Höhe gehievt.
Dabei spürte ich, wie das Gewicht an mir verschwunden war. Es mag sich grausam anhören, aber erleichtert atmete ich auf, nur um kurz darauf festzustellen, dass sich mein Luftschlauch gelöst hatte. Wasser drang stetig, wenn auch langsam, in meinen Helm.
Wieder stieg Panik in mir auf und ich versuchte das Leck mit einer Hand abzudichten und mit der anderen hielt ich weiter am Seil fest. Doch ich spürte schnell wie mir die Luft ausging.
Beruhige dich und denk nach! Denk nach! Mahnte ich mich selber. Da ich nichts sehen konnte, musste ich mich auf meinen Tastsinn verlassen. Mein Adlerblick war einfach nicht so gut ausgebildet wie bei meinem Mann, vermutlich würde er hier ohne weiteres wieder herausfinden, ging es mir frustriert durch den Kopf.
Auch ich muss mich auf andere Sinne verlassen, Alex. Und jetzt schwimm weiter! Meckerte er mich in meinem Kopf hat.
Ist ja schon gut! Ich mach ja schon!
Um mich herum spürte ich Bretter die herabfielen und den dadurch entstehenden leichten Sog im Wasser. Die Queen Anne´s Revenge war im Begriff in sich zusammen zufallen! Warum ich plötzlich diese Trauer in mir spürte vermochte ich nicht zu sagen, aber sie war da und ließ mich schneller nach oben schwimmen. Mittlerweile blockierte mich nichts mehr und ich sah das Glitzern der Meeresoberfläche bereits über mir.
Erleichtert tauchte ich vollends auf und sah hinauf zur Jackdaw. An der Reling standen sie alle mit starren erwartungsvollen Blicken auf das Wasser.
Zusammen mit zwei anderen Tauchern wurde ich hinaufgezogen, danach folgten Haytham und die drei anderen Herren.
Erleichtert und erschöpft ließ ich mich aufs Deck nieder, löste den Helm von meinem Kopf und atmete die frische Luft ein.
Als wir alle etwas zu Atem gekommen waren, hörten wir blubbernde Geräusche auf dem Meer und drehten uns in die Richtung.
Vor uns tat sich ein kleiner Strudel auf, der signalisierte dass die Galeone weiter gesunken und damit auch vollends zerstört war.
Mein Schiff! Hörte ich Thatch plötzlich in meinem Kopf. Sie hat sich sprichwörtlich vor meinen Augen in Luft aufgelöst. Dieses Entsetzen in der Stimme konnte ich nur zu gut nachempfinden.
Sie hat euch gute Dienste geleistet. Vergesst das nicht. Aber wir sollten jetzt zusehen, dass wir die Truhe bergen. Wir wissen immer noch nicht, wie tief sie herabgerutscht ist oder ob hier noch ein weiterer Abgrund auf uns wartet. Meine Ungeduld nahm überhand und ließ mich meine Manieren ein wenig vergessen. Doch ich ging davon aus, dass ich dem alten Piraten wohl kaum eine Trauerrede für seine Galeone schreiben musste.
Unsere Sachen wurden noch einmal in der Messe an den beiden Öfen und dem Herd des Smutjes getrocknet, der Schlauch wurde wieder am Helm befestigt und einige neue Luftfässer wurde bereits zu Wasser gelassen.
Es war Mr Hargreaves, der sich an uns wandte.
„Heute solltet ihr besser nicht mehr hinab tauchen. Es ist bereits zu dunkel.“ Er hatte Recht, die Dämmerung war bereits eingebrochen und wir sollten besser abwarten.
„Also gut, dann werde ich mich mal frisch machen und mich den Kindern widmen.“ seufzte ich leicht frustriert. Vermutlich würde ich die Nacht kein Auge zumachen vor Ungeduld!
„Mama, deine Haare sehen ja lustig aus.“ kicherte Florence, als ich versuchte sie zu bändigen. Das Salzwasser war nicht gerade Gnädig mit ihnen umgegangen. Magda hatte mir für Notfälle ein Öl eingepackt, welches meine wirren Strähnen umgehend zu bändigen wusste und ich sah im Handumdrehen wieder ordentlich aus.
An Deck stand ich eine Weile an der Reling und sah dem dunkler werdendem Wasser zu. Von oben wurden wir von einem Halbmond beleuchtet der alles in ein unwirkliches Licht tauchte. Das Meer war ruhig an diesem Abend.
„Schiff in SICHT!“ brüllte einer der Matrosen im Ausguck. „Sie näherte sich von Osten her!“
Der erste Maat eilte hektisch an meine Seite mit seinem Fernrohr und ließ es über den Horizont gleiten. Es dauerte nicht lange, da hielt er inne. Ich blickte in die Richtung und tatsächlich konnte ich Segel ausmachen, alle gehisst und dieses Schiff näherte sich schnell.
„Ich kann nicht sagen, welches es ist, ich kann keinen Namen ausmachen!“ fluchte Mr Hargreaves laut.
Jetzt standen auch einige der Männer hier und mein Mann ebenso. Es war unser Sohn welcher sich freudig zu Wort meldete.
„Ich… sie heißt „Ocean Princess“. Wem sie wohl gehört?“ grübelte er laut vor sich hin.
Mir sagte der Name nichts, ebenso wie Haytham oder Edward Senior nichts damit anfangen konnte.
„Mir kommt sie auch nicht bekannt vor.“ Mr Hargreaves schüttelte bedauernd den Kopf.
„Aber warum hat sie es so eilig hierher zu kommen? Sieht so aus, als steuere sie direkt auf uns zu.“ Das war einer meiner Gedanken.
„Und sie … macht sich Schussbereit! Männer in Gefechtsstellung! Besetzt die Kanonen und die Scharfschützen sollen sich bereit halten! Los jetzt!“ rief mein erster Maat und begann sich ebenfalls zu wappnen.
„Edward, Florence! Ihr geht mit Sophia und Sybill in die Messe!“ befahl Haytham in einem Ton der keinerlei Widerworte duldete. Die Kinder verschwanden schmollend mit den Kindermädchen nach unten.
„Da könnte ich endlich etwas lernen und dann muss ich wie ein Baby in Sicherheit gebracht werden!“ Edward Junior maulte lautstark vor sich hin, was meinem Templer nicht entging, er aber nichts erwiderte.
Und dann platschen die ersten Kugeln dicht an der Bordwand ins Wasser. Noch waren es wohl Warnschüsse und auch wir schossen zurück. Ebenso nur als Warnung!
Wir hatten auch kaum Zeit den Anker zu lichten oder die Fässer aus dem Wasser zu holen. Die Jackdaw lag auf einem Präsentierteller und war bewegungsunfähig! So ein Mist. Also musste ich mir eine Taktik einfallen lassen!
„Das untere Kanonendeck soll die Spitzgeschosse bereit halten und die darüber liegenden Bereiche die Splittergeschosse. Die anderen werden die herkömmlichen Kugeln nutzen. Wir müssen die Bordwand der Ocean Princess aufsprengen und sie so zum kippen bringen. Danach mit den Splittergeschossen das Deck beschießen um möglichst viele Besatzungsmitglieder außer Gefecht zu setzen!“ befahl ich lautstark über den Lärm der donnernden Kanonen.
Mir war immer noch nicht ganz klar, mit wem wir es zu tun hatten, weil auch noch nie der Name des Schiffes in den Listen aufgetaucht war.
Darüber grübeln konnte ich aber später, jetzt hieß es das Schiff und das Leben unserer Besatzung zu schützen.
Unsere Verteidigung klappte recht gut und die Einschläge der Geschosse, wie ich sie gewünscht hatte, waren ein Wohlklang in meinen Ohren. Leider war meine Brig aber nicht aus unverwüstbarem Titan. Auch wir mussten böse Treffer hinnehmen und mittlerweile war die Fregatte gefährlich nahe für einen direkten Angriff Mann gegen Mann.
Die Scharfschützen der beiden Fraktionen mähten sich durch die Matrosen und ich sah mit Entsetzen, dass wir einige Verluste zu beklagen hätten am Ende der Nacht, genau wie der Kapitän des feindliches Schiffes.
„Eine gute Taktik, Alex! Hut ab! Du hast schnell gelernt!“ dieses Lob meines Schwiegervaters, welcher sich jetzt in diesem Getümmel manifestiert hatte, ging runter wie Öl.
Das feindliche Schiff, eine Fregatte wie ich jetzt endlich sah, begann ihrerseits sich zu verteidigen und ihre eigenen Scharfschützen brachten sich in Position. Sie hatten genau wie wir einige Puckelgewehre an der Reling mit Geschossen, die uns jetzt um die Ohren flogen und das Holz splittern ließen! Doch nicht nur das passierte, einige von ihnen explodierten über uns.
Beißender roter Nebel welcher sich über uns senkte und alles wie in ein rotes Tuch hüllte. So fühlten sich auch die Lungen aller an, wenn man nach dem Keuchen und Husten der Männer um uns ging.
Mir blieb ebenfalls die Luft weg, aber es half ja nichts. Wir mussten uns verteidigen. Schnell! Odin sei Dank hatten die Kanoniere bereits unter Deck ihre Positionen eingenommen und schossen, wie befohlen, die entsprechenden Sektionen ab. Dieses Geräusch des Kanonendonners war ein Wohlklang für meine Ohren!
Aber nicht nur das tat gut, nein auch der Einschlag beim feindlichen Schiff befriedigte mich auf eine absonderliche Art!
Als sich die rote Wand lichtete, meine Atemwege wieder freier wurden, sah ich mir die Fregatte näher an. Sie hatte einige unschöne Löcher einstecken müssen und an Deck herrschte hektisches Treiben.
Das war das Signal für unsere Scharfschützen, welche sich bereit machten in den Wanten und im Krähennest.
Die Besatzung der Ocean Princess war ebenso gut eingespielt und bemerkte schnell, was wir vorhatten und taten es uns gleich.
Für einen Moment hatte ich die Befürchtung, dass wieder dieser Dunst auf uns niederregnen würde. Er blieb aus.
Haytham schloss sich den Fernkämpfern an. Sein Adlerblick half ihm dabei den Fokus zu behalten.
Hatte ich gehofft, dass ich mich kurz nach unseren Kindern erkundigen konnte, so musste ich mit Entsetzen feststellen, dass hier an Bord etwas nicht stimmte. Ich fühlte plötzlich fremde Personen unter uns. Nein, Hrymr war es definitiv nicht auch keine seiner Anhänger. Es waren … einfache Assassinen des feindlichen Schiffes!
Ich machte ihre roten Auren zwischen meinen Männern aus. Sie hatten sich perfekt integriert wie es aussah.
Natürlich! Der Rote Nebel war nur eine Ablenkung! Verdammt, meine eigene Ausbildung zur Meuchelmörderin hatte ich mittlerweile wohl völlig vergessen! Mist!
Jetzt hieß es sich einer Person nach der anderen zu entledigen ehe noch mehr hier auf meine Jackdaw kamen. Doch ich war nicht die einzige, die sich dieser anderen Menschen bewusst wurde. Unsere Besatzung kannte sich recht gut und das war unser Vorteil jetzt. Also gab ich nach und nach einigen von ihnen den Befehl sich dieser Assassinen anzunehmen.
Aber schon bald gab es großes Durcheinander hier an Deck und es war schwer den Überblick zu behalten. Es half nichts, ich setzte meinen Blick ein um mich zu den roten Auren durch zuarbeiten und sie so zu töten. Sie durften nicht die Oberhand gewinnen. Nebenbei warf ich immer wieder einen Blick auf meine Kajüte und das Unterdeck mit der Messe. Dort waren sie – noch – nicht eingedrungen.
Es lag auf der Hand wonach man hier suchen wollte. Die Bruderschaft hatte Wind von unserer Suche bekommen! Und wer wären sie, wenn sie nicht dieses Artefakt ebenfalls in ihrem Besitz haben wollten?
Wer aber war der Spitzel in unseren Reihen? Es konnte unmöglich William, Annes Sohn, sein, ging es mir durch den Kopf.
Jemand hier an Bord musste die Infos weiter gegeben haben. Leider blieb mir jetzt gerade keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Ich musste auf die Fregatte um dort die Antwort zu finden.
Ohne darüber nachzudenken schwang ich mich hinüber und landete etwas unsanft auf den Bohlen der Ocean Princess.
„Das sollten wir noch einmal üben, oder nicht?“ lachte man mich aus, als ich mich wieder aufrappelte.
„Wie ihr seht bin ich schon dabei!“ rief ich den Männern um mich zu.
„Bei einer Templerin hätten wir mehr Eleganz erwartet, oder auch nicht. Ihr seid einfach grobschlächtig.“ hörte ich eine Stimme hinter mir.
Langsam drehte ich mich um.
Ein Mann Mitte 20, schätzte ich, mit einem roten Dreispitz und schwarzer Garderobe grinste mich breit an. An seinem Gürtel prangte das Symbol der Assassinen. Schlicht und nicht verschnörkelt, so konnte ich leider keine spezifische Bruderschaft ausmachen, ebenso war sein Akzent einfach englisch.
Was aber seltsam war, dass hier mein Ruf anscheinend noch nicht ganz vorgedrungen war. Normalerweise wurde ich als Templerschlampe oder ähnliches wie Verräterin betitelt. Also spielte ich mit.
„Wir müssen uns ja auch mit tiefgründigerem und schwereren Gegner als kleinen Assassinen herumschlagen. Ihr seid lediglich Kanonenfutter, da reichen meine bescheidenen Tötungstechniken sicher aus.“ meine Hand griff blitzschnell zu meinem Schwert und ich ließ meine versteckte Klinge vorschnellen.
„Templerin und Diebin! Was für eine interessante Kombination! Dann lasst mal sehen wie ihr mit eurer gestohlenen Waffe umgehen könnt.“ rief er in die Runde und man hörte laute Zustimmung der Mannschaft. Erst jetzt bemerkte ich, dass der eigentliche Schiffskampf abflaute. Gut für mich, so konnte ich mich hierauf voll und ganz konzentrieren.
Seine Unkenntnis über mich gereichte mir zu einigen guten Treffern, sodass ich auch nicht meine Vorfahrin ausgraben musste. Im wahrsten Sinne des Wortes!
Wir waren im Grunde beide gleich geschult, nur dass dieser Herr vor mir nicht so schnell in den Kampf fand wie ich.
Seine Taktiken konnte ich recht schnell ausmachen, wohingegen er immer noch versuchte sich zu verteidigen und nicht so recht schlau aus meinem Tempo wurde. Mein Kampfrhythmus war oft mit Liedern in meinem Kopf verbunden, die den Menschen hier in diesem Jahrhundert fremd waren. Doch das half mir im Takt zu bleiben und das meine ich sprichwörtlich so. Außerdem konnte ich mich so immer wieder konzentrieren.
Oder aber ich sah meine eigenen Trainingskämpfe mit William vor mir oder auch mit Odin oder Tyr.
Dann änderte sich mit einem Male etwas an diesem Mann und er begann mich unvermittelt anzugreifen! Und das mit einer Wucht, die ich ihm gar nicht zugetraut hätte! Er hatte nur auf einen Moment gewartet in dem ich mich sicher gefühlt hatte! Oh verdammt noch eins!
Leider half ihm das nur für einen kurzen Moment, weil ich mich zügig wieder auf ihn einstellen konnte. Noch war ich im Kampfmodus! Abgeschaltet hatte ich noch lange nicht!
Seine Verletzungen schwächten ihn zunehmend, aber auch ich musste schon einiges einstecken. Meiner Eingebung dankend, mir meine Montur doch noch überzuziehen, ging ich weiter in die Offensive um diesem hartnäckigen Herren vor mir eine Lektion zu erteilen. Wo wir davon sprechen …
Aus den Augenwinkeln sah ich meinen Schwiegervater gemeinsam mit uns kämpfen, was mir unweigerlich ein Lächeln auf die Lippen brachte. Ich hatte ihn selten so erlebt und es schien, dass er seine helle Freude gerade hatte.
Mein Templer selber war ebenso in seinem Element und kämpfte sich gekonnt von einem zu anderen.
Und dann sah ich ihn! Unser Sohn stand auf einer Kiste mit seinem Kurzschwert und verteidigt sich gegen einen Assassinen, der es amüsant fand gegen ein Kind zu kämpfen! In mir kroch die Löwin hoch! Nicht mit meinem KIND!
Doch mich hielt die Stimme von Haytham auf.
Lass ihn, Alex. Schau dir an wie gut er sich macht! Er klang begeistert und stolz gleichermaßen über diesen Fortschritt unseres Sohnes.
Bist du noch bei Trost, Haytham? Er ist doch erst … in diesem Moment wurde mir klar, dass er in diesem Jahrhundert ein Alter hatte, wo man erwartete, dass er sich entsprechend verteidigen konnte. Doch jetzt schon? Hier und heute? ER war vielleicht bereit, aber ich noch nicht.
Du hast es erkannt und sieh genau hin, er ist nicht alleine. Erst jetzt sah ich dieses leichte Leuchten um ihn herum. Edward Junior war eins mit seinem Paten und dieser schulte ihn so weiter. Wie würde man sagen? Learning by doing!
Aber die Angst einer Mutter blieb in mir und ich betete erneut zu Odin, er möge auch seine Hände schützend über unseren Sohn halten. Eine Antwort erhielt ich jedoch nicht.
Nein, ich bekam stattdessen einen Tritt in den Rücken von meinem Gegner, der mich vornüber kippen ließ. Gerade rechtzeitig konnte ich mein Gesicht zur Seite drehen, ehe ich mir die Nase brach. Wütend rappelte ich mich auf und kassierte einen weiteren Kick in die Magengrube!
Irgendwann würde meine Unachtsamkeit mein Todesurteil bedeuten, ging mir dieser panische Gedanke durch den Kopf.
Was für ein Arschloch! Doch das ließ meinen Kampfgeist weiter wachsen und ich zeigte ihm, was ich in diesen Jahren alles gelernt hatte.
Ich war klein, gemein und flink, wie der Herr vor mir jetzt wütend feststellen musste!
Mein Schwert stieß nach vorne, er wich aus und so konnte ich mit einem kleinen Roundkick seine Seite treffen so dass er etwas taumelte. Das nutzte ich um mich mit einem Rutsch an ihm vorbei in seinen Rücken bringen konnte. Ich ließ mich auf die Knie fallen und durchschnitt die Sehnen in seinen Kniekehlen.
Somit sackte er in sich zusammen und schrie auf. Aber auch er wollte nicht so schnell aufgeben und versuchte es jetzt aus dieser knienden Position aus mit der Verteidigung. Das Glück war mir aber beschieden, als ich seinem Schwert auswich und mehr oder weniger aus Versehen mich an seiner Schulter festhielt. Somit schnitt meine versteckte Klinge eine unschöne Wunde oberhalb des Schulterknochens in die Haut und traf die Schlagader. Sekunden später war der Mann tot.
Ich widmete mich noch weiteren Angreifern, welche ich nicht unbedingt ihrem Schöpfern übergab. Vielmehr verwundete ich sie nur stark genug, dass sie mir nicht mehr zu nahe kommen konnte.
Der Kapitän? Wir mussten ihn ausfindig machen! Aber ich sah niemanden, der diesen Rang hier inne hätte. Für einen Feigling der sich versteckte hielt ich ihn, oder war es eine sie, nicht!
Da ich auf der Jackdaw nicht fündig wurde, schwang ich mich wieder hinüber zur Fregatte und der Weg zur Kapitänskajüte war frei. Das war zu einfach, wie immer!
Als ich mich der Tür näherte, hörte ich bereits Kampflärm, Metall schlug auf Metall! War Haytham mir zuvorgekommen?
Ich brauchte nicht einmal eintreten, weil plötzlich zwei Herren in einem Knäuel aus der Kajüte fielen! Es war mein Schwiegervater, der sich mit diesem Mann auf den Bohlen prügelte!
Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich fasziniert dabei zu, ehe ich eingriff.
„Nein, überlass diesen Großkotz mir! Er war schon immer ein Großmaul, genau wie sein Vater!“ hörte ich Edward keuchend rufen.
„Großkotz! Das sagt der richtige! Mein Vater hat mir dasselbe von dir erzählt und jetzt halt die Fresse und ergib dich!“ dieser Akzent war mir vertraut. Holländer klangen so wenn ich mich nicht täuschte.
Ich sah zurück zur Jackdaw. Der Kampf dort war fast vorüber und es wurde leiser. Auf seiner Kiste stehend, schwenkte mein Sohn triumphierend sein Schwert in meine Richtung!
„Mama, ich habe nur ein paar Kratzer!“ hörte ich seine Stimme herüberwehen. Die Erleichterung in mir kann man sich sicher vorstellen.
„Das hast du großartig gemacht, Edward! Ich bin stolz auf dich!“ rief ich winkend zurück.
Doch weiter im Geschehen an Bord der Ocean Princess!
Der einzige Holländer, welcher mit auf der Jackdaw unter Edward Seniors Kommando segelte, war der Tischler! War er doch nicht so begeistert von seinem Kapitän? Damals klang das noch anders, aber ich hatte jetzt auch keine tiefgründigen Gespräche mit ihm geführt, wenn ich darüber nachdachte. Welcher Holländer könnte also sonst noch schlecht auf meinen Schwiegervater zu sprechen sein? Ich musste davon ausgehen, dass es nach meiner Zeit war.
Mein Schwiegervater erlangte die Überhand und hielt den Kapitän unter sich fest.
„Sprich jetzt, Kieboom! Woher wusstest du von dieser Expedition hier?“
„Unsere Informanten sind überall, Kenway!“ lachte der Mann unter ihm.
„Das ist nichts neues, aber WER gab euch den Auftrag uns aufzusuchen?“ fragte ich neutral wie möglich nach.
„Niemand, Weib! Dir werde ich sicherlich …“ die Faust Edwards landete ins einem Gesicht.
„Sprich und antworte meiner Schwiegertochter!“ wieder hatte der Kapitän einen Schlag ins Gesicht bekommen.
Kieboom musste sich allmählich eingestehen, dass es klüger war zu antworten.
„Gut, alles klar… lasst mich los und ich sage es euch.“ maulte er frustriert.
Mein Schwiegervater zog ihn hoch, drehte ihm aber sofort den Arm schmerzhaft auf den Rücken und verfrachtete ihn zurück in seine Kajüte.
Mittlerweile war auch Haytham hier auf der Fregatte und berichtete mir kurz, wie es drüben auf der Jackdaw aussah. Es gab einige Schwerverletzte und 6 Tote unserer Besatzung. Der Rest war ausschließlich von der Ocean Princess. Sie alle trugen das Zeichen der Bruderschaft an ihrer Kleidung und auch mein Mann hatte festgestellt, dass es ein holländisches oder besser niederländisches Schiff war.
„Wir sollten zeitnah einen Brief an die de Gooijers schicken, vielleicht können sie etwas über die Familie aufdecken? Hast du schon einen Namen?“
Leider konnte ich ihm noch nicht viel berichten.
„Dein Vater unterhält sich gerade mit dem Kapitän, komm lass uns nachsehen!“ damit zog ich ihn hinter mir her.
Vor uns bot sich das übliche Bild eines Verhörs. Der Befragte war auf einem Stuhl gefesselt, vor ihm baute sich sein Widersacher auf. Mit gezückter versteckter Klinge und wütendem Blick.
„Arwin van den Kieboom… so so! Und womit habe ich den Zorn deines Vaters verdient, Gerrie? Du warst noch gar nicht auf der Welt, wenn ich mich recht erinnere. Du warst noch nicht einmal das Gedankengut deines Vaters!“
Doch Gerrie ließ sich nicht so schnell einschüchtern und antwortete, wenn auch mit leicht zitternder Stimme.
„Du hast ihm Versprechen gemacht, dass er in Reichtum schwimmen würde, wenn er sich nur deiner Crew anschließen würde. Doch was bekam er tatsächlich? Einen irren Piraten, welcher sich nicht unter Kontrolle hatte und irgendwann mit Wahnvorstellungen besoffen an einem Strand angespült wurde!“
Ich versuchte eins und eins zusammenzuzählen. Er sprach von Edwards mentalem Breakdown, als er sich kurz darauf tatsächlich entschloss, der Bruderschaft beizutreten. Im Umkehrschluss hieß das aber, dass Arwin das nicht mehr erfahren hatte, weil er sich bereits von ihm abgewandt hatte.
Gerries Vater hatte sich in einer Nacht und Nebel Aktion auf und davon gemacht, zurück in seine Heimat. Dort hatte er sich den Assassinen angeschlossen, weil diese auf ihn aufmerksam geworden waren, als er einige gekonnte Diebstähle vollzogen hatte, ohne aufzufliegen.
Er heiratete Marisje Beentje und sie lebten eine Zeitlang unbehelligt in den Niederlanden. Kleinere Attentate oder Raube waren an der Tagesordnung, bis eines Tages die Nachricht zu ihm drang, dass man Edward ermordet hatte, wegen eines unbezahlbaren Reliktes.
„Du hattest ihm alles vorenthalten, also war es nur rechtens dass …“ plötzlich starrte er meinen Schwiegervater ungläubig an. „Du bist tot! Was machst du hier?“ Diese Frage war so seltsam, dass ich lachen musste.
„Ach, das fällt dir jetzt auch schon auf?“ brachte ich japsend hervor.
Sein Blick ging ängstlich in meine Richtung und erst jetzt sah ich, dass er kreidebleich war.
„Das ist unmöglich!“ nach Luft schnappend wich er mit dem Kopf zurück, als Edward immer näher kam mit einem diabolischem Grinsen im Gesicht.
„Na, hast du dir schon in die Hosen geschissen, Jungchen? Du siehst hier vor dir den Mann, der deinen Vater sicher nicht belogen hat.“ mit einer zackigen Bewegung war er hinter dem Mann und schnitt die Fesseln durch.
Seine Handgelenke reibend beugte er sich etwas vornüber und atmete tief durch.
Er flüsterte ein paar beruhigende Worte auf niederländisch in seinen nicht vorhandenen Bart, welche ich aber leider nicht verstand. Mir ging die Frage unvermittelt durch den Kopf, ob sich Sprachen in den Jahrhunderten wirklich so stark verändert haben konnten, dass sie mir jetzt noch fremd waren? Dazu vielleicht später noch mehr.
„Ihr seid ein Geist und sollt mich heimsuchen, richtig? Ich soll meinen Verstand verlieren, damit eure Leute sich an uns bereichern können. Ich habe davon gehört. Meine Großmutter hat mich immer vor solchen Geistern gewarnt!“ Arwins Stimme klang ehrfürchtig aber zugleich auch ängstlich. Er glaubte an diese Ammenmärchen.
„Nichts dergleichen haben wir vor, Master van den Kieboom. Wir wollen lediglich wissen WER euch hier auf diese Spur angesetzt hat. Danach könnt ihr wieder eurer Wege ziehen. Vergesst nicht, IHR habt uns zuerst angegriffen und wir haben jedes Recht gehabt uns zu verteidigen. Also, raus mit der Sprache!“ Haytham hatte sich seiner jetzt angenommen und stand mit verschränkten Armen im Rücken vor ihm, so wie er es auch bei einer Standpauke für unseren Sohn machte.
Van den Kieboom seufzte tief, ließ ich auf seinem Stuhl nach hinten sinken und sah meinem Mann direkt in die Augen.
„Nicht nur ihr suchtet nach Blackbeards Wrack. Es sind einige diebische Gruppierungen hierher unterwegs oder waren es zumindest. Zwei Schiffe konnten wir schon, nun, an ihrem Eintreffen hier hindern.“ bei diesen Worten entwich ihm ein fieses Lachen. „Meine Bruderschaft oder besser gesagt mein Mentor hat mich beauftragt hier nach dem Rechten zu sehen und wenn möglich das Artefakt an mich zubringen. Dass es tatsächlich auf der Queen Anne´s Revenge sein soll, glaubte ich erst nicht und konzentrierte mich auf private Aufzeichnungen von diesem Piraten.“ sein Blick ging durch den Raum auf der Suche nach etwas.
„Oh, ihr glaubt, auch er wird euch heimsuchen?“ Edward gluckste bei seinen Worten und ich sah, er überlegte ob er es wahr machen sollte. Nur so zur Einschüchterung versteht sich.
„Ihr könnt mir keine Angst machen, Mann!“
Mein Schwiegervater zuckte nur kurz, was den Befragten sofort wieder kreidebleich werden ließ!
„Ich bin nicht fündig geworden!“ fluchte Gerrie mit enttäuschten Blick auf uns Anwesende.
„Irgendwo musste sich ja diese Kiste verstecken mit dem Buch…“ er war lauter geworden vor Wut.
Buch? Wir suchten aber nach dem Sonnenstein! Ich verbiss mir diese Bemerkung, weil er also wegen einer ganz anderen Sache nachforschte.
„Wie sieht dieses Buch denn aus, Master van den Kieboom? Wenn ihr es beschreibt, können wir vielleicht schon sagen, ob wir es unten gefunden oder gesehen haben. Aber seid versichert, alles was dort aus Papier gelagert wurde, zerfällt beim bloßen Anschauen schon. Vermutlich werdet ihr zu spät kommen!“ Edward schaltete sich wieder ein. Dieses mal auf die etwas freundlichere Art, Odin sei Dank.
„Es … es ist in dunkles Leder gebunden mit Goldecken und goldenen Buchstaben auf dem Deckel. Ich weiß nicht, wie es heißt, weil ich die Sprache nicht beherrsche.“ da klang doch Trotz in der Stimme mit!
„Aha, also würdet ihr einfach ALLE Bücher die so ähnlich aussehen mit an die Oberfläche holen? Wisst ihr eigentlich wie viele davon in meinem Schiff lagerten?“ dröhnte Thatch plötzlich hinter mir, so dass ich einen spitzen Schrei vor Schrecken ausstieß, nicht nur ich.
„Geht weg! Kommt mir nicht zu nahe! Ich schwöre, ich werde es nie wagen …“ japste Gerrie zitternd als die Erscheinung weiter auf ihn zukam. Sein hastiges Aufspringen als die beiden nur noch wenige Zentimeter von einander entfernt waren ließ den Stuhl polternd kippen. Blackbeards Hand schnellte hervor und griff die Kehle des abgelenkten Gefangenen.
„Ihr wollt auf MEIN Schiff, ihr wollt MEINE Habseligkeiten unrechtmäßig an euch nehmen um EUCH zu bereichern! Ihr wisst doch gar nicht, was ihr mit diesem Buch anrichten würdet, wäre es erst einmal in euer aller unfähigen Hände.“ schrie der alte Pirat Gerrie an. Seine Fingerknöchel färbten sich unter dem Druck bereits weiß, wohingegen sich die Gesichtsfarbe des Befragten in ein sehr dunkles Rot änderte.
„Ed, lass den Jungen in Ruhe! Er wird nichts dergleichen tun. Das Buch ist nicht dort unten!“ mein Schwiegervater versuchte seinen ehemaligen Freund zu besänftigen.
„Doch ist es! Ich habe es ja selber…“ langsam drehte er seinen Kopf in Richtung Edward und grinste ihn an. „Du gerissener Hund!“ so schnell seine Hand an der Kehle war, so schnell war sie auch wieder weg.
Er tätschelte noch die Brust des Mannes und ging ein paar Schritte zurück.
„Du hörst es, es ist anscheinend schon gefunden worden. Such also woanders und jetzt scher dich hier weg!“ mit einer ausladenden Handbewegung deutete Blackbeard auf die Tür der Kajüte.
„Das ist MEIN Schiff, ich bin der Kapitän und ICH gebe hier die Befehle!“ fauchte van den Kieboom jetzt mutig und selbstsicher. „Meine Crew wird euch sicherlich nicht tatenlos davon marschieren lassen.“
„Ihr wart schon einige Zeit nicht mehr an Deck der Ocean Princess, aye?“ langsam ging ich auf ihn zu um seine Reaktion deutlicher sehen zu können. „Da ist nicht mehr viel Crew übrig! Und das habt ihr euch selber auf die Fahne zu schreiben!“
Seine Augen weiteten sich und sein Blick ging von einem zum anderen. Wir sahen alle, dass er sich ertappt fühlte. Ertappt dabei, seine Leute im Stich gelassen zu haben. Ich hatte mich die ganze Zeit schon gefragt, warum er hier war und so ein leichtes Ziel für meinen Schwiegervater bot. Und wer war dann dieser andere gut gekleidet Mann, der mich angegriffen hatte? Alle anderen Besatzungsmitglieder waren in einfache Hemden und Hosen wie für Matrosen ähnlich gehüllt.
„Ich … musste doch sicher gehen … dass niemand an meine … Unterlagen gelangen konnte … die Aufzeichnungen …“ mittlerweile stand er hinter seinem Schreibtisch, neben dem sich rechts ein Passgenaues Regal befand. Es war voll mit Büchern, Schreibutensilien, Büsten und Nippes, soweit ich das in diesem Zwielicht ausmachen konnte. Aber das konnte nicht alles sein, was er beschützen wollte. Hier musste etwas viel wichtigeres lagern! Etwas was vermutlich mit diesem verschollenen Buch zu tun hatte.
Haytham legte kurz seine Hand auf meinen Unterarm und ließ mich mit seinem Blick den Raum absuchen. Wir sahen im ersten Moment nur die obligatorischen blauen neutralen Umrisse, ein paar bewegte Bilder aus der Koje wo ich aber nicht näher drauf eingehen werde. Gerrie selber war in Gold getaucht, aber nicht nur er! Hinter ihm in einem der Einbaubänke, dort wo auch eine kleine Luke für die Notdurft mit verbaut ist, befand sich ein Fach mit ebenfalls leuchtendem Inhalt.
Eine Kiste oder kleine Truhe den Umrissen nach zu Urteilen. Dank dem Detailreichtum Haythams Fähigkeit, machte ich sogar gefaltetes Papier aus. Also waren Aufzeichnungen im Besitz von van den Kieboom, die Aufschluss über den Fundort gaben und ganz allgemeine Dinge über dieses mysteriöse Buch enthielten.
„Geht beiseite.“ mein Mann sprach in einem ruhigen, aber bestimmten Tonfall.
„Nur über meine Leiche!“ rief Gerrie und griff unter die Arbeitsfläche seines Schreibtisches. Ein Dolch tauchte in seiner Hand auf, den er auf uns richtete und herumfuchtelte. „Ich warne euch!“ In seinem Blick machte ich gespielten Mut aus, gepaart mit der Angst, dass man ihm sein Schauspiel nicht abnahm. Wie recht er behalten sollte!
Edward Thatch schwebte im wahrsten Sinne des Wortes auf ihn zu und funkelte ihn wütend an.
„Du Grünschnabel glaubst also immer noch, dass du es mit mir aufnehmen kannst, ja? Versuchs doch mal!“ dieser Wahnsinn in Eds Stimme ließ mich zittern.
Mein Schwiegervater ließ mich wissen, dass er diese Taktik des öfteren schon erlebt hatte.
Die Gegner waren entweder sofort eingeschüchtert oder unterlagen ihm einfach, weil sie sich selber überschätzten. Seine Stimme klang so unbekümmert, als erzählte er mir einen Schwank aus seiner Jugend.
„I...i...i...ihr macht … m...m...m...mir keine A...a...a...a...a...ngst!“ doch machte er ihm! „W...w...w...w….w...weiche von mir … d...du Hirngespinst meines G...g...g...g...g...geistes!“
Entschuldigt, aber dieses Stottern brachte mich einfach zum Kichern.
Und mit einem Male hechtete van den Kieboom zur Seite und gab unfreiwillig das Versteck preis. Die Klappe war bereits offen, dass hatte ich gar nicht in dem ganzen Trubel bemerkt.
Solange der Kapitän beschäftigt war, widmete ich mich dem Inhalt des Versteckes.
Es waren Schriftstücke von ihm selber, von seinem Vater und einigen anderen Personen, welche ich aber nicht zuordnen konnte. Was aber noch interessanter war, waren die Karten von einzelnen Fundorten verschiedener Gegenstände. Bücher, Schmuckstücke, Waffen oder auch Rüstungen und Kleidung.
Hatten wir nicht auch noch einiges auf unserer Liste, was sich hiermit vergleichen ließ? Ich nahm einfach alles an mich und drehte mich zu meinen Mitstreitern um.
„Wir haben alles, wir können gehen.“ bemerkte ich beiläufig und wollte mich schon aus der Kajüte begeben, als mich mein Mann aufhielt.
„Warte noch.“ dabei deutete er auf Blackbeard. Dieser stand gebeugt über Arwin und starrte ihn an.
„Sehe ich dich noch einmal in der Nähe meiner Galeone oder meines Eigentums, dann kann dich nichts mehr retten. Du hattest Glück heute, mehr nicht. Das wird nicht noch einmal vorkommen.“ mahnte er den jungen Kapitän und ließ von ihm ab.
Edward und Blackbeard tauchten in diesem Nebel unter und verschwanden.
Ein wenig unheimlich sollte es für diesen Mann schon bleiben. Seine Hosen sind auf jeden nicht mehr die saubersten. Lachte mein Schwiegervater in unseren Köpfen, ehe er sich mit seinem alten Mentor gänzlich zurückzog.
Schwer atmend tauchte Gerrie hinter seinem Schreibtisch auf.
„Ist … es… vorbei? Sind sie weg?“ mit zitternder Stimme ließ er sich auf einem Stuhl nieder.
„Es ist für euch nie vorbei, oder habt ihr Blackbeards Worte bereits wieder vergessen? Denkt in Zukunft nicht einmal daran, nach irgendetwas aus seinem Privatbesitz zu suchen. Und sagt das auch euren Kumpanen! Ihr wollt sicher nicht, dass auch sie die Bekanntschaft mit dem Geist des gefürchtetsten Piraten der Karibik machen, oder?“ Haythams fieses Lachen dabei ließ selbst mir eine Gänsehaut über den Rücken laufen.
„N...nein Sir, sicher … n...n….n….n...nicht!“ leichenblass saß der Kapitän da und starrte ins Nichts.
Ohne weitere Worte gingen wir hinaus, zurück auf die Jackdaw.
„Wie soll dieser Mann denn jetzt bitte sein Schiff wieder in Gang bringen, Haytham?“ hakte ich nach, als ich für einen Moment an der Reling meiner Brig stand und hinüber zu diesem ramponierten Etwas sah.
„Das ist nicht unser Problem!“ war die kurze knappe Antwort meines Gatten.
Anne meldete sich plötzlich zu Wort.
„Ich hätte nie gedacht, das irgendein Crewmitglied sich irgendwann als abtrünnig erweisen würde. Sie alle waren Edward immer loyal. Natürlich gab es hier und da Unzufriedenheit bei der Führung des Schiffes, aber nie hätte ich mit so einer Wut gerechnet. Und das über Jahre.“ Wer sich ungerecht behandelt fühlte, konnte sicherlich sehr lange auf eine Revenge hinarbeiten. Das setzte aber voraus, dass nichts anderes die Aufmerksamkeit beanspruchte. In diesem Falle war es eine, wie sagt man so schön, Besessenheit.
Wir sahen, wie man begann die Ocean Princess notdürftig zu reparieren. Ich ignorierte das Treiben und widmete mich meiner Jackdaw. Auch hier musste einiges getan werden, auch wenn Mr Hargreaves schon gute Vorarbeit geleistet hatte.
In meiner Kajüte widmete ich mich den ganzen Schriftstücken in Ruhe, während Edward Junior und Florence mir über die Schulter sahen.
Die beiden kommentierten fleißig was sie sahen und brachten mir immer wieder neue Denkanstöße. Kinder hatten wirklich eine ganz andere Sicht und brachten neue Inspirationen.
So war eine Karte einer Stadt, keine eigentliche Beschreibung, sondern vielmehr ein Wegweiser! Man musste nur die Zeichen richtig deuten.
Hier war es ein Pfad aus dem mathematischen Bereich oder dort war es einfach die Beschreibung der Botanik.
Zwischen den Zeilen lesen, ging es mir durch den Kopf.
Insgeheim hoffte ich, dass wir auch die Assassinen auf der Seite van den Kiebooms von unserer Sache überzeugen konnten.
Als alle schliefen setzte ich ein Schreiben für ihn auf und bat um ein privates Treffen!
Ich drückte mein Siegel auf den Brief und sah dabei zu meinem Mann. Ihm würde es nicht gefallen, wenn ich mal wieder allein vorpreschte, das wusste ich. Aber es war mir ein Bedürfnis reinen Tisch mit diesem Herren zu machen. Auch schon Edward Senior zuliebe.
Ich wollte gerade aus der Kajüte hinaus und ein Crewmitglied bitten, den Brief hinüber zubringen, da hörte ich Haythams Stimme hinter mir.
„Ich wusste, dass du mal wieder eine Versöhnung versuchen würdest. In diesem Falle aber sage ich dir, lass es! Dieser Mann wird sich in Zukunft von uns fernhalten und seinen Weg gehen. Mein Eindruck von ihm ist, dass er wankelmütig ist, wie ein Fähnchen im Wind. Das ist zu gefährlich. Außerdem wird er immer noch von den Erfahrungen seines Vaters geleitet, die ihn ebenfalls geprägt haben. Wir werden unsere Suche fortsetzen und die Schriftstücke aus seinem Besitz weiter untersuchen. Mehr aber nicht. Und jetzt zerreiß das Papier!“ mittlerweile stand er nur Millimeter entfernt vor mir und funkelte mich böse an.
Sollte ich klein beigeben? Es wäre doch einen Versuch wert, oder nicht?
War meine Menschenkenntnis aber wirklich so schlecht, dass ich das Wesentliche übersah?
Mein Bauchgefühl meldete sich und sagte ebenfalls, dass Gerrie mit Vorsicht zu genießen sei.
„Also schön…“ seufzend zerriss ich meinen Brief und warf die Fetzen wütend auf den Boden.
Plötzlich fühlte ich mich müde und erschöpft wie nach einem langen Arbeitstag. Mein einziger Gedanke war, dass ich schnell aus den Sachen raus muss und ins Bett. Ohne noch mit meinem Mann zu reden zog ich mich aus und legte mich ins Bett. Mir war weder nach seiner Nähe, noch nach Reden! Ich wollte meine Ruhe haben!
Mal wieder wurde mir vor Augen geführt, dass ich mein Denken auf dieses Jahrhundert gänzlich ändern musste und auf die Aussagen der Menschen hier vertrauen sollte. Doch das fiel mir schwer, wie so oft!
Die Nacht war unruhig, weil ich immer darauf bedacht war, Haytham nicht zu nahe zu kommen. Ich war nicht wütend auf ihn oder böse mit ihm, nein! Ich war frustriert, genervt könnte man sagen.
Im Morgengrauen stand ich auf und wusch mir durchs Gesicht. Im Bett regte sich mein Mann und machte Anstalten aufzustehen.
„Bleib ruhig liegen, es ist noch früh.“ flüsterte ich, als ich mir meinen Mantel gegen die Kälte überzog und die Kajüte verließ.
An Deck sah ich die Nachtschicht gähnend auf ihren Posten.
Über dem Wasser waberte eine leichte Nebelschicht.
Die Ocean Princess lag friedlich neben uns. Dort würde vermutlich bald wieder mit der Fortführung der Reparatur begonnen. Noch war es aber still an Bord.
Der Smutje war schon auf den Beinen und die Kessel mit dem Wasser waren auf dem Feuer.
„Ihr seid meine Rettung! Könnte ich schon einen Becher Kaffee haben?“ fragte ich bettelnd nach, als ich mich auf die Arbeitsfläche stützte.
„Natürlich, wartet einen Moment!“ er kramte eine Dose aus dem Schrank hervor, befüllte meinen Becher und goss dann das brodelnde Wasser hinein. „Ich vermute ihr braucht heute etwas stärkeres als sonst, Mistress?“ grinste er, als er nach ein paar Minuten das göttliche Getränk durch ein Tuch goss. Der erste Filter, ging es mir durch den Kopf.
„Ihr könnt Gedanken lesen!“ lachte ich und nahm meinen Kaffee dankend entgegen.
Wieder oben an Deck hielt ich mich mit beiden Händen daran fest und beobachtete das Erwachen meines Schiffes und der neben uns liegenden Fregatte. Immer lauter wurden die Stimmen, die Schritte und das emsige Umherlaufen der Crewmitglieder – zumindest die die noch übrig waren -.
Dann sah ich mit einem Male Gerrie van den Kieboom an der Reling auftauchen, ebenfalls einen Becher dampfendem Inhalts in den Händen haltend.
Auch sein Blick ging zu mir und wir sahen uns für einige stille Momente einfach nur an.
„Wir werden heute um die Mittagszeit aufbrechen können! Ich denke, ihr seid deswegen glücklich, dass ihr mich loswerdet, Mistress Kenway! Ich hoffe, dass ich euch nie wieder begegnen werde!“ rief er herüber! In seinen Augen lag ein seltsamer Ausdruck bei diesen Worten. Sie waren hasserfüllt!
Und wieder dachte ich über ein Gespräch mit ihm nach. Vielleicht hätte ich ihn milde stimmen können.
Ich sah ihn nur an, brachte aber keine passenden Worte über die Lippen. Stattdessen hoffte ich, dass wir hiermit nicht einen Weg verbaut hatten, der uns vielleicht noch weitergebracht hätte.
„Ach schau an, da steht er aufgeplustert an Deck seiner Fregatte, dieser arrogante Kapitän.“ hörte ich meinen Mann hinter mir verächtlich sagen.
„Du solltest dich jetzt gerade mal selber hören, Haytham!“ fauchte ich und ging an ihm vorbei hinunter um nach den Kindern zu sehen.
Ich zermarterte mir den Kopf, was auf einmal mit mir los war? Ich war wütend, frustriert, genervt, aber umgekehrt wollte ich Frieden und Harmonie haben. Am liebsten würde ich in diesem Moment ganz laut schreien, doch ein Kopfkissen oder ein einsamer Wald waren nicht greifbar! Leider!
„Guten Morgen, Mama.“ gähnte Edward als er langsam seine Augen öffnete.
Florence regte sich ebenfalls und richtete sich auf. Ihr Gesicht war noch völlig verquollen vom Schlaf, aber sie sah zum Anbeißen aus.
„Habt ihr gut geschlafen?“ flüsterte ich, als ich meine Tochter auf meinen Schoß nahm.
„Das Schaukeln von der Jackdaw macht mich müde, Mama. Können wir nicht immer hier schlafen?“ hakte Florence nach während sie sich ausgiebig streckte.
„Leider nein, min lille engel. Ich verspreche aber, dass wir noch einige Male mit der Brig eures Großvaters unterwegs sein werden.“ lächelte ich die beiden an.
„Auja!“ riefen beide wie aus einem Mund.
Anne gesellte sich kurz darauf auch zu uns als wir in der Messe frühstückten.
„Wie habe ich dieses Schiff doch vermisst.“ seufzte sie tief und griff beherzt zu ihrem Tee. „Auch wenn ich gerade die Sonne und Wärme der Karibik gerne wieder dabei zurück hätte.“ in ihren Augen konnte man diese Erinnerungen förmlich sehen und auch ich kannte dieses Gefühl.
Mit einem Mal spürte ich, wie mir die Tränen über die Wange liefen und ich vertrieb die Bilder von damals schnell aus meinem Geist.
Ihre Hand legte sich auf meine, drückte zu und als ich mich Anne zuwandte lächelte sie mich an.
„Kann es sein, dass ihr guter Hoffnung seid?“ fragte sie kaum hörbar.
Schwanger? Ich?
Ich wusste nur, dass meine Emotionen gerade Achterbahn fuhren, dass ich gefühlt nichts unter Kontrolle hatte.
„Ich weiß es nicht.“ entgegnete ich ebenso leise, damit Edward und Florence es nicht hörten. „Vielleicht sind es auch nur die Blutungen.“
„Vermutlich sind sie es.“ doch ich sah, dass sie eine Schwangerschaft dahinter vermutete.
Sollte ich Haytham bitten einmal seinen Blick für mich zu nutzen? Ich wurde mit einem Male immer unruhiger!
Mit einer hastigen Verabschiedung erhob ich mich und eilte nach oben an Deck, wo ich nach meinem Mann suchte.
Ich fand ihn, wie sollte es anders sein, bei den Reparaturen, wo er tatkräftig mithalf.
„Mi amor, hast du einen Moment Zeit?“ mein schlechtes Gewissen, weil ich ihm die letzten Stunden die kalte Schulter gezeigt hatte, brach wieder durch.
„Natürlich, was ist passiert?“ warum, bei Odin, klang das jetzt so vorwurfsvoll? Ich hätte am liebsten wie ein wütendes Kleinkind mit dem Fuß aufgestampft, so angefressen war ich schon wieder.
„Nichts. Aber … komm bitte mit!“ ich zog ihn zum Bug, wo kaum jemand war. „Tu mir einen Gefallen und lass deinen Adlerblick einmal über mich gleiten. Frag nicht, tu es einfach!“ bei den Worten liefen mir erneut die Tränen über die Wangen. Dieses Gefühlschaos… in mir überschlugen sich die Gedanken. Wann hatte ich meine Blutung? Wie oder wann … Beim Allvater! Zitternd sah ich Haytham an, welcher mich plötzlich ängstlich ansah.
„Alex, was ist los? Bist du krank?“ frag nicht, mach einfach, dachte ich!
Mit den Händen fuchtelnd bat ich ihn, endlich anzufangen.
Seine Augen hingen an mir, dieser Schleier legte sich über sie und langsam wanderte er über meinen Körper. Wie erwartet blieb er auf Bauchhöhe hängen, runzelte die Stirn und fokussierte noch einmal.
„Alex!“ dieser Ausruf war eine Mischung aus Angst, Freude, Erstaunen und ein Quäntchen Wut über mein Verhalten! „Ich… du… wann ist das passiert? Wir bekommen noch ein Kind!“ überschwänglich hob er mich hoch und umschlang mich.
Ich war wie paralysiert, konnte nicht realisieren, dass in mir neues Leben wuchs! Ich hatte es nicht bemerkt!
Und wieder überkam mich dieser böse Gedanke, dass ich eine schlechte Mutter war, weil ich es nicht gespürt habe.
Umgekehrt aber freute ich mich und strich vorsichtig über meinen Bauch.
„Ich habe Angst!“ meine Stimme war kaum hörbar. Als sich seine Arme wieder um mich schlossen, brachten sie mir die Sicherheit die ich brauchte!
Diese Nachricht musste ich jetzt erst einmal verdauen, genau wie mein Mann auch.
„Sobald wir wieder daheim sind, suche ich den Doktor auf. Irgendwie lässt mir das gerade keine Ruhe!“
„Ein guter Vorschlag. Ich erinnere mich übrigens daran, was Idun über ein weiteres Kind gesagt hat. Wir würden ohne göttlichen Einfluss auskommen. Was soll ich sagen? Sie hatte Recht.“ sein warmes Lächeln ließ mich für einen Moment mein inneres Chaos vergessen.
Wir wurden aus unseren Gedanken mit lauten „Mama! Papa!“ Rufen gerissen.
Plötzlich blieb Edward abrupt stehen und starrte mich an. Seine Augen verdunkelten sich, während sie über meinen Bauch glitten. Ein breites Grinsen erschien in seinem Gesicht!
„Wir bekommen noch einen Bruder? Oder eine Schwester?“
Unsere Tochter hingegen reagierte mit zitternden Lippen und sah zu ihrem Vater.
Natürlich! Das Papa-Kind hatte Angst um sein Vorrecht.
„Florence, was ist los? Freust du dich gar nicht?“ hakte Haytham nach, obwohl er sich das auch hätte sparen können, weil er nur ein Schluchzen als Antwort bekam.
„Min lille engel, noch ist es ja nicht soweit. Du hast noch viel Zeit …“
Mit einem Male funkelte sie uns an.
„Ihr habt mich dann nicht mehr lieb!“ sie drehte sich um und rannte hinunter.
Ihr Bruder rief ihr noch nach, doch sie hörte ihn nicht, oder wollte es nicht.
Es war mein Mann welcher sich auf die Suche nach Florence machte. Ich hoffte, er könnte es ihr etwas erklären und sie beruhigen.
Edward hingegen verstand gerade nicht, warum seine Schwester so reagierte.
„Sie ist noch zu klein. Auch du warst nicht gleich glücklich darüber, dass du eine kleine Schwester bekommst. Wir sollten Florence etwas Zeit geben um sich an den Gedanken zu gewöhnen. Auch ich muss damit erst mal klar kommen, min lille skat.“ langsam wurde ich ruhiger und strich ihm über den Wuschelkopf.
„Musst du dann auch wieder im Bett bleiben?“ traurig sah er zu mir hoch.
„Ich hoffe es nicht, Edward. Wenn wir wieder zuhause sind, gehe ich zum Arzt und lasse mich untersuchen. Es ist auch noch viel zu früh um irgendetwas zu fühlen.“ langsam gingen wir an der Reling entlang, als wir eine laute Explosion von der neben uns liegenden Fregatte vernahmen.
Erschrocken sah ich hinüber in eine riesige Rauchwolke, die sich nur langsam lichtete.
Nach und nach konnte man wieder etwas erkennen, vor allem ein großes sehr unschönes Loch in der Bordwand, welches sich über 2 Sektionen erstreckte.
Schreie hallten zu uns hinüber von den Verwundeten und gehetzte Rufe waren auszumachen.
Ein wütender Kapitän stand an Deck und brüllte Befehle zum Löschen des Brandes und dessen Eindämmung.
In dem ganzen Durcheinander auf der Ocean Princess sah ich eine Gestalt umher huschen, die klammheimlich versuchte von Bord zu verschwinden. Sie wurde jedoch immer wieder daran gehindert, weil man sie an ihre Pflicht zu Helfen erinnerte. Ich brauchte keine Worte vernehmen, es reichten die Gesten dieser Person. Man SAH die Frustration regelrecht in den Bewegungen.
Haytham war mittlerweile neben mich getreten.
„Sieh dir das an, da will doch wirklich jemand einfach Reiß-Aus nehmen!“ kopfschüttelnd deutete ich hinüber zu dem Schiff und er folgte meinem Blick.
Der Adlerblick brachte dann die Erkenntnis, dass dieser Jemand nichts gutes im Schilde führte. Die Aura war rot, wenn auch etwas schwach.
Man musste also vermuten, dass das der Brandstifter und Bombenleger war.
Plötzlich war die Silhouette aus unserem Sichtfeld verschwunden und ich lehnte mich weiter über die Reling, konnte aber nichts mehr ausmachen als das Meer unter uns. Verdammt noch eins, wo war er oder sie so mir nichts dir nichts verschwunden?
„Wenn ihr nach eurem Saboteur sucht, der hat das zeitliche gesegnet!“ hörte ich Gerrie brüllen.
Mit hochrotem Kopf stand er mit einem blutigen Schwert da und starrte zu uns herüber.
„Dieses Individuum gehört nicht zu uns.“ rief Haytham zurück als sich schon aufmachte, auf die Fregatte zu kommen. Ich tat es ihm gleich, weil auch ich wissen wollte, WER denn jetzt für diese Explosion verantwortlich war.
Der Kapitän wollte uns schon aufhalten, als mein Templer bereits bei dem Toten anlangte und ihn unter die Lupe nahm.
Der Kleidung nach zu urteilen ein einfacher Matrose, mit einer kleinen aber feinen Unterscheidung. An seinem Hemd prangte das Zeichen der Assassinen. Bei genauerer Untersuchung des Körpers förderte mein Mann ein an einem Lederband befestigtes Templerkreuz hervor.
Unsere Blicke begegneten sich.
Entweder war es ein Überläufer, ein einfacher Verräter oder aber er hatte sich beiden Seiten verschworen und stand auf unserer Seite. Leider konnten wir keine Fragen mehr stellen.
„Wisst ihr wer das war? Habt ihr einen Namen oder wisst wo sein Schlafplatz ist, Kapitän van den Kieboom?“ fragte Haytham nach.
„Ich merke mir doch nicht jeden kleinen Deckschrubber!“ erwiderte er arrogant mit einem abfälligen Blick auf den Toten.
Ich wandte mich an die Crew um zu erfahren, wen wir hier vor uns hatten.
Ich bekam ein Kopfschütteln, Achselzucken oder verächtliches Schnauben. Aber keine Antwort.
Gerade als ich mich genervt umdrehte um noch einmal mit Gerrie zu sprechen, zog man an meinem Ärmel und deutete mir mitzukommen. Mit der Hand an meinem Schwert folgte ich diesem Herrn zu ein paar Kisten, hinter welcher er mich zog.
„Mistress Kenway, ich kannte ihn. Seinen echten Namen hat er nie genannt, für uns hieß er immer nur Morpheus. Er war mir schon immer seltsam vorgekommen. Kämpfen konnte er nicht, Segel reffen konnte er nicht, eigentlich war er zu nichts zu gebrauchen. Ein Dummkopf sage ich euch. Trotzdem war er seltsam und …“ der Mann drehte sich suchend um, fuhr dann aber noch leiser fort. „… des Nächtens verschwand er oft einfach und kam erst Stunden später wieder. Ich bin ihm einmal gefolgt, weil er seine Hängematte direkt neben meiner hatte und ich wach geworden bin von ihm.“ tiefes Luftholen und man erzählte weiter.
Dieser Morpheus war hinunter in einen der Laderäume gegangen, hatte sich dort hinter ein paar Fässer verkrochen. Den Geräuschen nach zu urteilen schrieb er wohl etwas auf, tauchte aber ohne Papier und Feder wieder auf. Auch als er gefragt wurde, was er so spät noch hier machen würde, schüttelte er nur den Kopf. Kein einziges Wort kam über seine Lippen.
Man durchsuchte sogar die Habseligkeiten und das Versteck im Laderaum. Ohne Erfolg, teilte der Herr vor mir frustriert mit.
Wo aber waren die Aufzeichnung hin verschwunden?
„Könnt ihr mir zeigen, wohin ihr ihm das erste mal gefolgt seit?“ nickend und irgendwie erleichtert bat der Mann mich ihm wieder zu folgen.
Es ging hinunter in den besagten Raum, wo es nach Ziege und fauligem Holz roch.
Eine Lampe brachte etwas Licht und ich sah mich mit meinem Blick um. Die Kisten und Fässer standen zwar etwas anders, dennoch konnte ich die Spuren Morpheus´ ausmachen.
Ruß oder besser Kohlereste fanden sich auf einer der kleinen Kisten in der Ecke, ebenso ein winziger Kerzenstummel.
Mein Blick brachte etwas verdächtig leuchtendes hinter einem Holzbrett an der Bordwand hervor.
Mein Begleiter half mir und gemeinsam sahen wir suchend in das Geheimversteck.
Einige Papiere, sowie Schreibutensilien und ein kleines Lederbuch förderte ich zu Tage.
Für einen kurzen Moment ging mir durch den Kopf, ob wir es vielleicht wieder mit „Neuzeit-Assassinen“ zu tun haben könnten, doch als ich mir die handgeschriebenen Seiten ansah, wurde schnell klar, dass es jemand aus diesem Jahrhundert sein musste.
Jemand der ziemlich wütend auf Gerrie van den Kieboom sein musste.
„Wir haben den 20. Seetag und dieser selbsternannte Kapitän spielt sich wie ein König auf. Dabei hat er von der Seefahrt soviel Ahnung wie ein Stein vom Schwimmen! Erst heute Nacht wäre die Fregatte beinahe auf einer kleinen Sandbank aufgelaufen, hätten wir nicht ALLE rechtzeitig eingegriffen. Trotzdem halten seine Männer zu ihm, als wäre er ein Heiliger.“
Das war nur ein kleiner Auszug aus Morpheus Tagebuch.
Demnach war der Holländer kein erfahrener Kapitän. Aber musste man sich nicht irgendwie beweisen, eine Art Prüfung oder so etwas ähnliches ablegen, bevor man so einen Kahn schippern darf? Es waren ja Menschenleben mit denen er hier gespielt hat, wenn man es genauer betrachtet.
Mittlerweile wurde mir bewusst, dass Haytham recht hatte mit Gerrie. Er ist mit Vorsicht zu genießen. Ein skrupelloser und vermutlich machthungriger Mann, der über Leichen ging!
Jetzt hatte ich aber immer noch nicht herausgefunden, wie der richtige Name des Toten Saboteurs lautete. War das überhaupt noch wichtig?
„Ich werde seine persönlichen Schriften mitnehmen und durchgehen. Ich danke euch für die Hilfe, Sir.“ bedankte ich mit lächelnd und wir gingen wieder hinauf zu den anderen.
„Na, habt ihr ihn überführt diesen Verräter, der mein Schiff am liebsten ebenfalls auf dem Grund des Meeres sehen würde? Der Tod war noch viel zu milde für ihn!“ meckerte Gerrie drauflos als er uns sah.
„Wir haben nichts gefunden, Kapitän van den Kieboom!“ ich betonte die Worte absichtlich in der Hoffnung, er würde reagieren. Doch anscheinend war er nicht in der Lage meinen Unterton zu deuten. Schade.
„Hatte ich auch nicht anders erwartet, Miss!“ sein Blick wanderte abschätzig über mich und meinen Begleiter.
Damit hatte er meine Sympathie und den Wunsch mit ihm persönlich ein paar Worte zu wechseln gänzlich verloren. Ja, ich würde seine Fregatte auch am liebsten unter dem Meeresspiegel sehen, zerstört in tausende kleine Krümelchen! Bei Odin, meine Wut war schier übermächtig, ich zitterte am ganzen Körper.
„Wisst ihr was, Kieboom? Ihr könnt mich mal Kreuzweise und den Buckel runterrutschen!“ brüllte ich während ich mich daran machte auf meine Jackdaw zu kommen. Was für Widerling!
Soll ich vielleicht noch einmal … hörte ich meinen Schwiegervater nachdenklich reden.
Nein, bei Odin! Lass diesen Idioten einfach seiner Wege ziehen. Er ist nicht fündig geworden und wir haben einige seiner Aufzeichnungen. Das reicht. Genervt wandte ich mich um und ging zu meiner Kajüte, genau diese Papiere würde ich mir nun in Ruhe ansehen.
Immer noch mussten wir diese verflixte Truhe aus den Tiefen herauf befördern, doch dass musste jetzt leider noch etwas warten.
Ausgebreitet auf dem Schreibtisch lag unsere Ausbeute von van den Kieboom und Morpheus! Wo sollte ich nur anfangen?
In solchen Momenten hörte ich immer eine Stimme in meinem Kopf, die mir sagte: Fang einfach an, egal wo! Also schön!
Ich las im Tagebuch des Saboteurs weiter, welcher sich Notizen zu der Mannschaft und deren Gewohnheiten gemacht hatte. Er beschrieb auf einigen Seiten den ganz normalen Alltag auf einer Fregatte, dann wieder beleidigte er einige seiner Kameraden als Nichtsnutze und Dummköpfe.
„Stewie kann nicht einmal bis drei zählen. Erst gestern brachte er dem Quartiermeister 5 anstatt der 7 aufgetragenen Leinentücher. Er hätte selber noch einmal nachgezählt, versicherte er. Wer es glaubt! Dumm und zu nichts zu gebrauchen wie feuchtes Segeltuch ist er!“ ein leichtes Glucksen kam mir über die Lippen bei diesem Ausdruck. Das ist also die Seefahrer-Beleidigung für `Dumm wie ein Meter Feldweg` auf dem Lande.
Bei seinen weiteren Erläuterungen kam immer wieder dieser besagte Quartiermeister vor. Diesen schätzte er, weil er nicht ein einziges Mal ein schlechtes Wort über ihn niederschrieb.
Besagter Herr trug den Namen Hubrecht Braspennig, war laut Morpheus stattlich mit vollem Haar und gut gekleidet. Man könnte meinen, er brenne für diesen Herren.
Doch jetzt wusste ICH, dass ich den Quartiermeister auf dem Gewissen hatte. Er war der Einzige an Bord, bis auf den Kapitän, der keine abgewetzte Kleidung trug. Mitleid wollte sich trotzdem nicht so recht bei mir breitmachen oder mein sonst oft nerviges schlechtes Gewissen.
Um mich wieder auf das wesentliche zu konzentrieren schüttelte ich mich einmal und atmete tief durch.
Die restlichen Zeilen kreisten immer wieder um eine mögliche Meuterei, wer dabei sein sollte, wen man unbedingt unbehelligt lassen sollte.
Alles in allem wurde mir klar, dass es sich hierbei um Peanuts handelte. Diese Spur war einfach Pech für den Kapitän, aber hatte nichts mit meiner oder besser unserer Mission zu tun. Warum trug er aber unsere Symbole?
In einem der Schriftstücke wurde lediglich sein Auftrag, van den Kieboom als unfähig dastehen zu lassen, erläutert. Das Zeichen der Bruderschaft war am Kopf des Briefes, aber weder Namen noch sonstige Details konnte ich finde.
Die Vermutung lag nahe, dass es sich um eine eher private Fehde handelte, weil ja auch Gerrie Assassine war. Das Templerkreuz hatte auch keinen Aufschluss über seinen Träger gebracht.
Widerwillig gestand ich mir ein, dass das eine Sackgasse war und wir uns jetzt auf unser Unterfangen wieder konzentrieren sollten.
Gerrie würde ohne seine Karten ab jetzt nicht mehr weiterkommen und wird vermutlich reumütig zu seinem Mentor zurück kehren müssen ohne einen Erfolg vermelden zu können. Ein wenig schadenfroh war ich in diesem Moment dann doch. Geschieht diesem arroganten … Kapitän recht.
Somit widmete ich meine Aufmerksamkeit weiter seinen Karten. Diese waren nämlich ganz und gar nicht uninteressant. Routen, Häfen, Schiffsnamen und entsprechende Symbole prangten darauf.
Mein Blick glitt über die Küstenregion Amerikas und da sah ich auch meine Brig. Sie hatte aber „nur“ das Templerkreuz als Merkmal darüber nicht das Assassinen Symbol.
An der Seite stand ein kleiner Text, welcher verlauten ließ, dass man der Jackdaw mit Vorsicht begegnen sollte und Abstand halten sollte. Sie sei wie ein böses Omen zu deuten auf hoher See, weil sie nicht existieren dürfte.
Ich rechnete im Kopf einen Moment zurück.
Wir waren jetzt schon einige Jahre mit ihr unterwegs und immer noch gab es diese Abergläubischen Menschen, die dachten sie sei eine Art Fatamorgana?
Unter welchem Stein hatte dieser van den Kieboom bitte geschlafen? Vielleicht sollte er besser wieder darunter kriechen und nie wieder erscheinen. Wieder einmal stand ich kopfschüttelnd über diesen Aufzeichnungen.
„Mi sol, alles in Ordnung?“ hörte ich Haytham hinter mir.
Etwas erschrocken drehte ich mich um und versuchte mein Grinsen etwas in den Griff zu bekommen.
„Es ist alles bestens. Aber dieser Aberglaube und diese Gottesfürchtigkeit hier ist für mich nicht so wirklich zu verstehen.“ ich erläuterte meinem Mann meinen Eindruck von dem was ich bisher gelesen hatte.
„Wenn ich ehrlich sein soll, dann muss ich gestehen, dass auch ich nicht ganz frei von diesem Hokuspokus bin. Du weißt wie klein unsere Weltanschauung ist im Vergleich zu deiner, weil ihr einfach mehr Einblick habt und …“ für einen kurzen Moment stockte er. „… ihr wisst einfach mehr und das macht eure Sicht-, Denk- und Glaubensweise wesentlich umfangreicher. Ihr seid, ich gebe es nicht gerne zu, besser aufgeklärt als ich zum Beispiel.“
Ich glaube, dass war das erste Mal, dass er das vor mir zugab. Ich mag mich auch irren, dennoch hatte er recht. Mein Blickwinkel auf die Geschichte unter anderem war ausgeprägter und tiefer als seiner.
„Jeden bekehren und eines besseren belehren kann ich aber leider immer noch nicht.“ gab ich schmunzelnd zu bedenken.
Wir arbeiteten die Schriftsätze noch durch um eventuell etwas über verborgene Passagen oder ähnliches zu erfahren, doch leider war auch das eine Sackgasse. Van den Kieboom war mehr als unerfahren, folgte lediglich dem Wort seines Vaters und wollte ihn rächen, wofür auch immer.
Dieses Buch was er suchte entpuppte sich, laut seiner ganzen Einträge als eine Art Almanach für die Seefahrt. Geschrieben über die Jahre von den erfahrensten Kapitänen der Welt.
Die Schriftzeichen die er beschrieb deuteten auf Runen hin und einige auf die alte arabische Schrift.
„Diese Barbaren haben eine absonderliche Schrift genutzt, welche mir unmöglich ist zu lesen. Niemand den ich gefragt habe, war im Stande eine Analyse abzugeben. Somit tappe ich immer noch im Dunkeln.“ las ich in seinen persönlichen Schriften.
Ein Buch mit Runen und anderen Schriftzeichen darauf?
„Haytham, was ist, wenn er das Voynik-Manuskript beschreibt? Was wenn er das Buch, was dein Vater gehütet hat damit meint?“ dieser Geistesblitz durchfuhr mich schier unerwartet.
Mein Mann sah mich für einen Moment fragend an, bis ihm ein Licht aufging.
„Das wäre sogar plausibel. WIR haben dieses Buch, suchen aber die Schatulle. Umgekehrt müssten sie also im Besitz dieser Box sein…“ Haytham verfiel ins Grübeln und wanderte auf und ab.
„Sie ist aber nicht hier, mi amor. Du weißt, das sie gerade wer-weiß-wo ist.“ seufzte ich und lehnte mich wieder über meinen Schreibtisch.
„Gerrie wird sie nicht haben, dass ist mir schon klar. Aber wir sollten ihn im Auge behalten.“ damit setzte er sich hin und begann einen Brief an den Orden in Übersee zu schreiben. Sie sollten Leute für die Observation unter anderem in den Niederlanden einsetzen.
Sein Gedankengang, dass wir so schneller an unser Ziel kommen könnten, war verständlich. Trotzdem musste ich Haytham erneut daran erinnern, dass wir den Lauf der Geschichte nicht ändern können. Shay WIRD die Schatulle in Frankreich an sich nehmen, ob wir es nun wollten oder nicht, spielte keine Rolle.
„Es ist so unendlich frustrierend, Alex.“ seiner Wut machte er mit der flachen Hand auf meinem Schreibtisch Luft. Wie gut ich ihn doch verstehen konnte.
„Aber wir sollten jetzt über die Truhe nachdenken! Sie ist immer noch dort unten und wer weiß wie zugeschüttet sie mittlerweile ist.“ das hätte ich jetzt besser nicht auch noch angebracht.
„Danke, das setzt meiner Wut noch die Krone auf!“ schnaubend sprang er auf und war schon auf Deck verschwunden ehe ich etwas sagen konnte.
Die Unterlagen verstaute ich sorgfältig in einer Tasche und schloss sie in meine Reisetruhe, ehe ich ebenfalls nach draußen ging.
Mein Mann gestikulierte wild mit einem der Besatzungsmitglieder, während Mr Hargreaves zähneknirschend an der Reling stand.
Für eine Millisekunde war ich versucht zu fragen, ob alles in Ordnung sei, besann mich dann aber eines besseren. Dieser Mann würde mir keine ehrliche Antwort geben, das gab dieses Jahrhundert einfach nicht her. Außerdem waren wir keine engen Busenfreunde, sondern er war mein erster Maat.
Im Grunde konnte ich mir zusammenreimen, was hier passiert war.
Haytham ging es nicht schnell genug mit der Ausführung seiner Anweisungen. So simpel ist das.
„Ich sagte, ihr sollt die Luftfässer schon einmal bereit machen, nicht sie schon hinunterlassen! Spreche ich etwa undeutlich oder seid ihr taub?“ rief er einem jungen Mann hinterher, welcher mit Seilen über der Schulter zum Bug eilte.
„Du kannst ihn doch nicht so anfahren …“ bevor ich jedoch noch weiter reden konnte, sah ich in wütend funkelnde graue Augen!
„Sag mir nicht, ich soll mich beruhigen! Alles geht irgendwie schief und wir sitzen hier immer noch wie auf dem Präsentierteller! Und was macht die Mannschaft? Sie lungern faul herum und … ach, was rege ich mich auf. Das Artefakt werden wir eh nicht mehr bekommen!“ damit drehte er sich schwungvoll um und marschierte ans Heck der Jackdaw, wo er sich an die Reling lehnte mit dem Kopf in den Händen.
Man könnte annehmen, dass ER schwanger sei, nicht ich! Solche Ausbrüche hatte ich nur selten erlebt und dieser hier war recht irrational meiner Meinung nach.
Aus gutem Grund ließ ich ihn alleine und widmete mich dem eigentlichen Tauchgang, welcher bereits in Vorbereitung war.
Dieser Sonnenstein ließ mich plötzlich nicht mehr los und ich verfiel ins Grübeln. Ein Wegweiser… Ein Zeichen wohin uns das Schicksal bringen könnte … ´Wenn du ihn siehst, weißt du was zu tun ist`
Seit Jahren höre ich solche und ähnliche Aussagen und weiß immer noch nicht, wohin mich das Ganze führen wird!
Die Ocean Princess hatte sich wieder in Bewegung gesetzt und verschwand langsam am Horizont.
Diese Begegnung war auf eine seltsame Art und Weise unnötig, zumindest fühlte es sich genauso an. Ein etwas ungutes Gefühl blieb trotzdem zurück in meinem Hinterkopf, so wie sich eine schlechte Vorahnung versteckt.
Der Tauchgang!
Tief durchatmend trat ich neben Mr Hargreaves.
„Wie weit sind die Vorbereitungen?“ ich war bedacht darauf ihn nicht auch noch unnötig zu verärgern, weil ich sah, wie er sich an der Reling festklammerte.
„Ihr könnt in einer halben Stunde wieder hinunter, wenn es dieses faule Pack endlich schafft die Seile zu entwirren.“ ich folgte seinem Blick.
In drei Beibooten hockten Matrosen die sich mit Unmengen an verknoteten Seilen herumschlugen.
„Wie kann so etwas denn passieren, Mr Hargreaves?“ ich wusste es wirklich nicht, weil doch eigentlich immer eine Führungsöse alles ordnete.
„Dadurch, dass diese vermaledeite Fregatte so nah war und zusätzlich noch dieser Kampf stattfand, lösten sich die meisten Metallringe und gefühlt die gesamte Vertauung folgte dem Wrack von Blackbeard! Ich kann von Glück reden, dass wir gute Taucher haben, die einige retten konnten. Wir haben nicht mehr sehr viel Material an Bord, Mistress Kenway.“ wenigstens verstand ich jetzt seine Verärgerung, Hilfe konnte ich leider nicht anbieten.
„Also habe ich noch genügend Zeit um mich umzuziehen.“ ich klopfte ihm auf die Schulter und ging zu meiner Kajüte.
„Mama, darf ich auch mal den Helm aufsetzen? Bitteeeeee!“ bettelte Edward plötzlich neben mir. Die ganze Zeit über war er still neben mir her gelaufen.
„Also schön.“ meine Geduld für Diskussionen war im Keller.
Wir gingen zu der Seilwinde, wo unsere Tauchmontur zum Anlegen bereit war.
Vorsichtig hievte ich den Helm über seinen Kopf und ließ ihn langsam runter.
„Uffffffff… der ist aber schwer.“ schnaufte mein Sohn und wankte gefährlich hin und her.
„Das muss er ja auch, er soll uns ja beim Tauchen nicht davon schwimmen.“ kicherte ich bei dem Anblick Edwards in dieser Aufmachung.
„Was macht ihr hier? Das ist kein Spielzeug, Edward!“ fauchte mein Gatte und nahm den Helm an sich.
Bei Odin!
„Ich habe nicht gespielt, Vater, ich wollte nur wissen, wie es sich darin anfühlt.“ man konnte förmlich sehen, wie er sich zusammenriss um nicht wütend zu werden. Er ging mit hochrotem Kopf an uns vorbei und unter Deck.
„Haytham, sag mir jetzt endlich warum du so zickig bist. Was ist dir über die Leber gelaufen?“ hakte ich etwas lauter nach!
„Wie würdest du es sagen? Die Gesamtsituation ist gerade nicht so, wie ich es mir wünsche! Erst dieser sinnlose Kampf mit diesem unfähigem Kapitän, dann dieser Saboteur der auch eine Null zu sein scheint und dann ganz zu schweigen davon, dass ich mal wieder wie ein Kleingeist in deinen Augen dastehe.“ diese Worte sprudelten geradezu aus seinem Mund, während meiner offen stand.
„Kleingeist? Ich verstehe nicht.“ ich drehte ihn zu mir, weil er sich auf die Reling stützte.
„Weil … Alex, ich muss mich immer an dir orientieren, weil du die Zukunft kennst. Ich habe gerade jetzt wieder das Gefühl, nichts bestimmen zu können, weil es an deiner Aussage hängt, mit der Schatulle als Beispiel. Und meine Wut an sich … ist eigentlich keine oder nur ein wenig. Es ist wieder diese Angst, dem Ganzen nicht gerecht werden zu können.“ sein Blick hing an meinem Bauch plötzlich.
Ich versuchte mein Bestes ihn zu beruhigen, indem ich ihm noch einmal umgekehrt klar machte, dass auch ICH mich oft nach ihm richten musste. Er war nun mal der Experte für mich in diesem Jahrhundert, auch mich frustrierte das sehr oft.
Vorsichtig griff ich seine Hand und legte sie auf meinen Bauch, dabei sah ich ihm direkt in die Augen.
„Und DAS ist unser Werk und wir werden das Kind schon schaukeln, im wahrsten Sinne des Wortes. Du bist ein großartiger Vater für Florence und Edward. Ich denke auch, dass Connor dich sehr schätzt. Die Angst kann ich dir nicht nehmen, weil auch ich ein wenig verunsichert bin. Bis jetzt konnten wir aber immer alles irgendwie deichseln.“ meine andere Hand strich über seine Wange und ich zog sein Gesicht zu mir herunter. Dieser Kuss sollte meine Aussage noch einmal unterstreichen.
„Ich glaube, du hast mich soeben wieder etwas auf den Boden der Tatsachen zurück geholt. Aber ein wenig intensivere Überzeugungsarbeit fehlt da noch…“ flüsterte er und küsste mich mehr als leidenschaftlich.
„Bahhhhhh…“ hörte ich Florence helle Stimme neben uns.
„Das machen sie ständig, Flo. Gewöhn dich dran.“ Edward schien wieder besserer Laune zu sein.
„Stimmt das Mama, dass ihr mich immer lieb haben werdet? Auch wenn wir noch einen Bruder bekommen? Ich werde dann nicht weggeschickt?“ wenn ich jetzt sage, dass die Angst hier auf diesem Schiff derzeit um sich griff, trifft es das ganz gut. Jeder schien sich hier vor etwas zu fürchten.
„Min lille engel, wir werden immer für dich da sein und niemand schickt dich weg. Wir haben dich doch lieb und wollen, dass du bei uns bist.“ kniend hielt ihr kleines Tränenüberströmtes Gesicht in meinen Händen.
„Dann ist ja gut.“ flüsterte sie und schmiegte sich an mich. Ich sah zu Haytham auf, welcher sanft lächelte und sich neben uns kniete.
Ein kleiner Moment für uns als Familie und irgendwie kamen wir alle etwas zur Ruhe.
Dieser Moment währte allerdings nicht lange.
„Master Kenway, wir wären für den nächsten Tauchgang dann soweit!“ rief einer unserer Männer und hielt auf uns zu. „Ich wollte eigentlich nicht stören, aber wir haben schon späten Mittag. Die Lichtverhältnisse könnten schnell schlechter werden.“ mit einer Verbeugung ging er wieder zur Taucherglocke.
„Dann wollen wir mal.“ seufzend erhob sich mein Templer.
Sophia und Sybill folgten uns gemeinsam mit den Kindern. In diesem Moment fiel mir ein, dass ich mich noch nicht umgezogen hatte und ging zurück in meine Kajüte.
Fertig für unser nächstes Abenteuer in den Tiefen eilte ich wieder zu meiner Familie.
Jetzt wurden die Luftfässer zu Wasser gelassen und Haytham zog den Anzug an, ehe man ihm bei dem Helm half. Dieses mal war ich es, die den zweiten Part übernehme sollte.
Die Glocke wurde ebenfalls in Position gebracht und langsam herunter gelassen. Nach einer herzlichen Verabschiedung an unsere Kinder, hielt ich mich, wie mein Mann auch, an an der Kette fest und wir ließen uns nach unten ziehen.
Ich war froh, als ich wieder Luft holen konnte. Es waren keine 10 Minuten, aber unheimlich in diesem trüben Wasser hinunter zu gleiten.
Haytham signalisierte mir, er würde gleich weiter tauchen und ich drang in seinen Geist. Meine Neugierde war dann doch zu groß.
Zuerst war nicht einmal mehr das Wrack wirklich auszumachen, doch dann tauchten die Umrisse auf und so fand er schnell die Orientierung wieder.
Die Truhe war deutlich auszumachen, aber wie wir bereits vermutet hatten, völlig verschüttet und bedeckt mit allerlei Holzteilen und Sand.
Vorsichtig tastet sich Haytham durch diesen Schmodder, bis er auf einen Widerstand traf. Es war nicht alles morsch, einige Teile waren dem Anschein nach noch gut in Takt. Diese Bretter hatten sich allerdings ungünstig verkeilt und ließen sich nicht so einfach bewegen. Die anderen Taucher bei mir eilten zur Hilfe und hatten auch schon vorsorglich Taue am Manne.
Immer wieder wirbelte feiner Sand auf, wenn man etwas beiseite schob und verdeckte die Sicht. Odin sei Dank konnten wir uns auch mit unserer Fähigkeit fast blind voranbewegen.
Dann endlich signalisierte mein Mann einem Herren, dass er fündig geworden sei. Gemeinsam versuchten sie das Gebilde jetzt aus diesem kleinen, ich nenne es mal Fach heraus zu bugsieren. Im Freien band man die Seile wie bei einem Paket drumherum und ich betete zu allen Göttern, dass es dieses mal klappte.
Unsere Begleiter kamen kurz in meinen Unterschlupf, schnappte hektisch nach Luft.
„Mistress Kenway, jetzt heißt es Daumen drücken! Ich werde hoch schwimmen und den Befehl zum hochziehen geben.“ nickend verschwand dieser Mann wieder im Wasser, während die anderen beiden noch ein paar mal ihre Lungen befüllten und dann zu meinem Mann schwammen.
Mi sol, es klappt. Ich konnte keine Erschütterungen oder irgendwelche Turbulenzen ausmachen. Er klang euphorisch und gar nicht mehr zickig. Dieses Erfolgserlebnis beflügelte meinen Gatten und mich natürlich auch.
Du kannst dir nicht vorstellen, wie gespannt ich bin, was wir im Inneren wirklich finden werden. Mein Herz schlug nervös in meiner Brust und mein Atem ging etwas hektisch vor Aufregung.
Mit Haythams Augen sah ich, wie sich das Seil plötzlich spannte und die Truhe sich schwebend in Bewegung setzte.
Ich konnte es nicht abwarten und schwamm ihnen entgegen, sie waren nur wenige Meter von mir entfernt.
Bevor mein Mann mich jedoch belehren konnte, ich solle auf mich achten weil ich schwanger sei, kam ich ihm zuvor.
Es ist nur ein kurzes Hinaufschwimmen. Das habe ich jetzt schon des öfteren gemacht. Keine Sorge.
Ein Kopfschütteln war alles was ich bekam
Je näher wir der Wasseroberfläche kamen, desto heller funkelte das Gebilde in den Seilen. Meine Hand berührte eines der Scharniere und ich spürte ein warmes Kribbeln auf der Haut. Kein Isuwerk! Erleichtert konnte ich aufatmen.
Als alles an Deck meines Schiffes war, lehnte ich mich etwas erschöpft aufgrund des Sauerstoffmangels an die Reling und atmete die frische Luft ein.
Wie aus dem Nichts spürte ich eine Art Flimmern in meinem Bauch, so als würden sich dort zig kleine Bläschen bewegen. Grinsend hielt ich meine Hand darauf.
„Ich wusste doch, dass es zu viel für dich sein wird.“ hörte ich Haytham vorwurfsvoll neben mir.
„Nein, es tut nichts weh. Es … kribbelt angenehm.“ ich musste leise kichern, weil ich ehrlich gesagt auch etwas erleichtert war.
Die Beute stand nun in unserer Mitte und die gesamte Mannschaft hatte sich versammelt und bestaunte sie.
Wie wir vermutet hatten bestand sie aus Metall, welches erschloss sich mir nicht. Kein Rost oder irgendwelche Korrosion war auszumachen. Sie sah wie neu aus! Fasziniert strich wieder über die Oberfläche und dabei hinterließ ich eine leuchtende Spur auf dem Material.
Die Schlösser waren ebenso in Takt, doch ich sah schon, dass wir noch eine Menge Arbeit damit hätten.
Also dann mal ran ans Werk!
Nachdem ich mich umgezogen hatte, brachte man die Kiste in meine Kajüte. Auf dem Kartentisch, welcher sich leicht unter diesem Gewicht bog, besah ich mir das gute Stück genauer.
Sechs Schlösser galt es zu knacken. Eines war offensichtlich mit einem einfachen Schlüssel zu öffnen, bei einem anderen war eine komische Form zu sehen und ich fragte mich, woher ich das passende Werkzeug bekommen sollte. Wieder ein anderes bestand nur aus einem Schlitz.
Alles in allem mussten wir sie irgendwie bearbeiten.
Der ehemalige Besitzer hatte sich seit geraumer Zeit nicht mehr hier blicken lassen. Gerade jetzt wäre es aber von Vorteil, stünde er uns zur Seite. Vermutlich wäre er genau der richtige Ansprechpartner für unser Vorhaben.
Mein Schwiegervater zuckte entschuldigend mit den Schultern, als ich ihn bat seinen alten Freund um Hilfe zu bitten.
Die Oberfläche schimmerte im Licht des kleinen Leuchters über ihr und brachte uns genügend Licht.
Meine Hände tasteten die Truhe wie in einem Raster ab. Der Deckel wies jedoch keine Geheimverstecke auf, leider.
Auf der linken Seite jedoch spürte ich einen leichten Widerstand wenn ich eine der Nieten drückte. Etwas fester und ein kleines Fach klappte auf. Darin befand sich bereits beschriebener einfache Schlüssel.
„Hey, Nummer eins hätten wir schon mal.“ frohlockte ich und steckte ihn in seine vorgesehen Öffnung. Ein befriedigendes Klicken war zu hören.
„Und jetzt suchen wir Nummer zwei.“ grinste Haytham und begutachtete auch noch einmal alle Seiten.
„Mama, schau mal. Da ist ein kleiner Ring am Deckel.“ machte mich Florence auf dieses Merkmal aufmerksam. Ich hob sie hoch, damit sie ihn bewegen konnte. Sie hatte ihn schließlich entdeckt.
Wieder hörten wir einen Mechanismus klicken und auf dem Deckel öffnete sich ebenfalls ein Teil des Metalls. Darunter befand sich welliger dicker Draht.
„Passt der wohl in diesen kleinen Schlitz dort?“ bevor ich jedoch selber testen konnte, übernahm meine Tochter diesen Part.
Langsam schob sie das Gebilde hinein und man hörte immer wieder wie sich Scharniere im Inneren bewegten. Ein etwas lauteres KLACK deutete an, dass auch dieses Schloss frei war.
„Und jetzt?“ etwas ratlos sah ich von einem zum anderen.
„Alex, wie wäre es, wenn du mal deine Fähigkeiten nutzen würdest, die dir gegeben wurden.“ Edward Senior stand mit verschränkten Armen und hochgezogener Augenbraue am Tisch.
„Den Blick nutzen? Was soll das ….“ natürlich!
Mit neuem Elan betrachtete ich Blackbeards Eigentum mit meinem Adlerblick. Plötzlich taten es mir alle gleich und einer nach dem anderen rief, dass sie etwas gefunden hatte. Warum waren wir eigentlich nicht schon früher darauf gekommen?
Edward Junior drehte einen der kleinen Haltegriffe an der Truhenseite und öffnete damit wieder ein Fach darunter, worin sich ein klobiger Metallstift befand.
Ich hatte so etwas ähnliches bereits gesehen! Diese formbaren Schlüssel von Idun zum Beispiel als wir noch gar nicht wussten, was alles auf uns zukommt. Sie hatten damit die Artefakttruhen geöffnet.
Ich ließ unseren Sohn damit herum experimentieren. Immer wieder hielt er ihn an das entsprechende Schloss um die Lage der Stifte zu kontrollieren. Nach einigen Fehlversuchen rutschte der Schlüssel ohne Probleme hinein und ließ sich drehen! Das befriedigende Klacken war wieder zu hören.
Auf zu Nummer 4!
„Ich sehe einen Mechanismus in der darunter liegenden Schicht. Aber wo oder wie sollen wir ihn bewegen können.“ Haytham betrachtete jeden Millimeter der Truhe genau. Plötzlich stutzte er und kippte sie etwas. Auf der Unterseite war eine Lochscheibe versteckt hinter einem kleinen Gitter.
Damit hatten wir weniger ein Problem, wir konnten es mit wenigen Handgriffen zur Seite schieben. Diese Scheibe war aber fest montiert. Ich würde sagen es waren Nieten!
Etwas frustriert überlegte ich, wie wir die am besten losbekommen könnten, als mein Mann erneut ein freudiges „Hah!“ ausstieß und den Zirkel, welchen wir zur Entfernungsbestimmung immer nutzten, an sich nahm.
Seine Spitze passte in diese winzige Öffnung auf diesen Nieten und ließ sie zur Seite kippen.
Mit dem Inhalt konnten wir bei genauerem Betrachten aber erst einmal nichts anfangen. Der Durchmesser war ungefähr 10 Zentimeter, keines der Schlösser war so groß!
„Gib mir das Ding mal.“ bat mein Schwiegervater grübelnd und betrachtete die Rückseite gerade. Ich stellte mich neben ihn und tatsächlich! Dort war ein Bild zu sehen, welches aus kleinen Metallhalbkugeln bestand. Mit Bedacht legte er die Platte drauf und drückte sie an. Die Löcher ließen die Fake-Kugeln offen, wohingegen der Rest den Mechanismus für das 4. Schloss darstellten!
KLACK! Dieses Geräusch beflügelte uns vermutlich gerade alle! Wir waren fast am Ziel.
Noch ZWEI Schlösser!
„Ich glaube, ich kann euch sicherlich behilflich sein.“ die dunkle Stimme Blackbeards ertönte hinter meinem Schwiegervater und er trat grinsend vor.
„Ihr gebt euch die Ehre um uns zu helfen, ich bin erfreut.“ in Haythams Stimme klang der pure Sarkasmus mit, was er blitzschnell auch bereute.
„Jungchen, ich kann auch einfach wieder verschwinden…“ Seine Silhouette flimmerte kurz auf.
„Verzeiht, so war es nicht gemeint.“ schmollend stand mein Mann am Tisch und sah zu seinem Vater.
„Das klingt schon besser, mein Sohn!“ zwinkernd sah er zu seinem Enkel.
Etwas ungeduldig wartete ich darauf, dass nun etwas passierte.
Edward Thatch sah sich in der Kajüte um, öffnete hier und da einen der Schränke, ging dann zum Schreibtisch und öffnete die Schubladen. Stirnrunzelnd besah er sich deren Inhalt.
„Was für eine Unordnung. Kenway, wo hast du mein Messer gelassen?“ fragte er, während er in meinen Habseligkeiten weiter wühlte.
„Oh, das habe ich hier unter dem Kartentisch in einem Hohlraum versteckt.“
Warum wusste ich nichts davon? Wir hatten die Jackdaw damals komplett auf Links gezogen, alles war sprichwörtlich auseinander genommen worden!
„Wer redet denn von dieser Zeit, Alex. Ich hatte genügend Zeit es hier zu platzieren, seit du wieder hier bist.“ dieses Grinsen!
Nun gut, mein Schwiegervater griff unter den Tisch und beförderte in sekundenschnelle ein kleines Messer hervor. Als er es aus der Scheide zog, offenbarte es seine wahre Form. Es war wie ein Wellenschliff. Sehr kunstvoll muss ich sagen und vermutlich auch sehr scharf und tödlich, wenn man denn wollte.
„Ein wunderschönes Messer!“ entwich es begeistert Anne!
Als es in seinem entsprechenden Platz steckte, ließ es sich ganz leicht einführen und wir alle hörten diesen Wohlklang von sich zur Seite schiebenden Stiften.
Mittlerweile zitterte ich am ganzen Körper, weil ich es kaum noch abwarten konnte!
Nur noch EINES!
„Alex, komm zu dir!“ hörte ich die Stimme Haythams wie durch einen Nebel. Eine Hand tätschelte meine Wange und ein kühles Tuch berührte meine Stirn.
Erschrocken fuhr ich hoch!
„Was ist passiert?“
„Du bist plötzlich ganz blass geworden und bist einfach hintenüber gekippt.“ mein Mann war nicht ohne Grund besorgt, denn ich konnte mich nicht erinnern.
„Mama, geht es dir wieder gut?“ kam es wie aus einem Mund von Edward und Florence.
„Ähm, ja. Ich denke schon. Aber ihr habt nicht ohne mich weiter gemacht oder?“
Bei diesen Worten sah ich Haytham mit den Augen rollen mit Blick auf seinen Vater. Auch dieser schüttelte den Kopf, so als wolle er sagen: Typisch deine Frau!
Vorsichtig stand ich auf, ich wollte nichts verpassen!
Anne reichte mir schmunzelnd ein Glas Wasser und half mir dabei, mein Gleichgewicht zu halten.
„Danke.“ flüsterte ich und genoss die kühle Flüssigkeit in meiner Kehle.
Jetzt aber zurück zum Thema! Das letzte Schloss!
Erneut ließen wir unsere Blicke über diese Truhe gleiten und sahen ein paar kleine Zahnräder dicht unter der Oberfläche. Erst bei genauerer Analyse war ersichtlich, dass die daneben liegenden AUF der Oberfläche montierten Nieten dazu dienten, das Innenleben zu steuern.
Wir mussten im Grunde nur den Weg für die Zahnräder frei machen. Leichter gesagt als getan.
Wenn wir die linke Seite verschoben, dann reagierten gleich zwei der Räder, wenn wir aber die rechte Seite anfassten, dann drehte sich eine Stange in die andere Richtung und blockierte wieder alles.
Linke Seite zweimal betätigen, rechte Seite einmal. Das war schon mal näher dran. Dann noch einmal links nur einmal, rechts zweimal schieben. Nein, so begab sich alles wieder in Ausgangsposition! Mist!
Es gab kein wirklich erkennbares Muster oder ich übersah es, was ja vorkommen kann.
Nach einigen Anläufen und dem endgültigen Verschiebeschema hörten wir ein letztes lautes Knirschen und kurz darauf ruckte der Deckel etwas nach oben. Seichtes Leuchten drang aus dem Inneren heraus.
Ehrfürchtig standen wir alle um den Tisch. Keiner traute sich, sich zu bewegen.
„Jemand sollte sie vielleicht aufmachen, oder wollt ihr gar nicht mehr wissen, was darin ist?“ Thatch war mitunter etwas seltsam. Trotzdem hatte er Recht.
Aus einem Impuls heraus, bat ich ihn sie zu öffnen. Schließlich war es sein Eigentum.
„Wie ihr wünscht, Miss Fred…. Mistress Kenway.“ aber auch er war vorsichtig und nur langsam hob er den Deckel an.
Ein unfassbar helles Leuchten breitete sich aus und umhüllte uns. Erkennen konnte man dadurch leider nicht, was genau dort lagerte.
Blackbeard griff beherzt hinein und hielt kurz darauf einen Lederbeutel in der Hand.
„Ich kann den Stein nicht an mich nehmen. Ihr müsst das tun.“ damit reichte er ihn mir und ging ein wenig von mir weg.
Jetzt war ich verunsichert.
„Master Thatch! Was passiert mit mir, wenn ich hineingreife? Ihr seht aus, als hättet ihr selber Angst.“ äußerte ich meine Sorge!
Sein Zögern bei der Antwort war nicht sehr förderlich, eher im Gegenteil.
Seine Antwort war allerdings nicht das, was ich hören wollte!
„Als ich dieses Artefakt entdeckte, flüsterte mir eine Stimme zu, dass wenn ich ihn ein weiteres Mal berühren würde, den endgültigen Tod finden würde. Nichts könnte mich dann noch zurückholen. Meine Seele sei verloren!“ dabei sah er zu Edward, welcher etwas traurig seinem alten Freund zuhörte.
„Du meinst, du … verschwindest dann … für immer? Dir wird es nie wieder möglich sein…“ mein Schwiegervater sprach nicht weiter und wir alle wussten, worauf er anspielte.
Blackbeard würde so die Möglichkeit genommen, sich zu manifestieren. Auch wenn er es sicherlich nicht als tägliches Hobby getan hätte, dennoch war es ein Verlust für ihn. Vielleicht war auch der Gedanke nicht so leicht zu ertragen, dass er SICH verlor und seine Erinnerungen und alles drum herum. Ein Gedanke, der auch mich verunsichern würde, gebe ich zu.
„Das kann ich verstehen, dann lasst mich einen Blick darauf werfen.“ in seinem Blick lag Dankbarkeit, weswegen ich kein schlechtes Gewissen hatte, als ich meine Finger in den Beutel steckte und diesen warmen Gegenstand erfühlte.
Langsam zog ich ihn heraus und hielt eine Art Bergkristall in meiner Hand. Nicht gleichmäßig rund wie eine Kugel, aber er lag angenehm in meiner Hand.
Vor meinem inneren Auge taten sich plötzlich Karten auf, Wege zeigten sich, die Sonne war auszumachen, die die Richtung anzeigte. Ich hielt den Wikinger-Kompass in Händen! Ein Relikt aus Zeiten meiner Vorfahren mit dessen Hilfe Nordamerika, Grönland und einiges mehr bereist worden ist und noch bereist werden wird!
Doch dieser Stein offenbarte noch mehr, er zeigte lebendige Bilder von Küstenabschnitten, Stränden und Häfen!
Fasziniert betrachtete ich diese Illusion und kam aus dem Staunen nicht wieder heraus.
„Das ist ja unglaublich.“ flüsterte Anne neben meinem Schwiegervater und sah in meine Richtung, gerade als sich mein Blick langsam klärte.
„Ihr habt es auch gesehen?“ alle um den Tisch herum nickten schweigend. In ihren Gesichtern sah man diese Verblüffung des gerade gesehenen.
Thatch trat vor und griff erneut in die Truhe.
„Es gibt noch mehr, Mistress Kenway!“ damit reichte er mir ein reich verziertes Buch. Auf dem Deckel sah ich Runen und darunter arabische Schrift!
„Ihr hattet es die ganze Zeit unter Verschluss?“ ich wusste nicht, ob ich sauer sein sollte, mich freuen oder einfach nur dankbar sein sollte.
„Ich konnte diesem Grünschnabel doch nicht mein Werk überlassen! Er würde nichts damit anfangen können.“ ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht!
„Nein, natürlich nicht.“ erwiderte ich ebenfalls grinsend und schlug dieses Buch auf.
„WOW“ entwich es mir lautstark!
„Lass mich auch sehen!“ Haytham schob sich an meine Seite und wollte schon danach greifen, als ich ihm auf die Finger schlug.
„Das ist einfach zu unglaublich, als dass ich es je wieder aus den Händen legen werde.“
Lasst mich erklären!
Ich schlug das Buch auf und der Inhalt der Seite formte sich vor meinen Augen. Eine Art Einleitung erschien und erklärte, wie ich den Stein nutzen sollte.
Blätterte ich weiter, erschienen immer wieder neue Einträge, einige Seiten blieben noch leer.
„Das Buch der Seefahrer!“ hörte ich meinen Schwiegervater ehrfürchtig sagen.
Ich verstand nicht, was er meinen könnte.
„Alex, du gehörst zu denjenigen, die es weiterschreiben und immer neues hinzufügen. Nicht jedem ist dieses Werk zugänglich, nicht jeder kann es nutzen. Du und Haytham seid es, die es für eure Kinder und die Nachwelt verfassen werden. Ihr könnt damit einen Wegweiser erstellen für die nachfolgenden Generationen.“ Seine Stimme hallte in meinem Kopf wieder, ich sah, wie alle um mich herum ihre Faszination kaum bändigen konnten!
Thatch trat erneut neben mich, führte meine Hand zu einem Lesezeichen und ich schlug diese Seite auf.
Vor mir erschien einer seiner Einträge, kurz vor seinem Ableben mitsamt der entsprechenden Seekarte.
Seine Hand legte sich auf die Seite um mir die Sicht zu versperren.
„Es ist mein letzter Bericht und daher nicht nötig, dass ihr ihn vorlest!“
Ich werde auch jetzt nicht diese Zeilen wiedergeben, weil es mir Tränen in die Augen treiben würde. Soviel sei gesagt, Edward Thatch honorierte seine treuen Männer, ließ sein altes Leben noch einmal Revue passieren und … bereute nichts! Seine Krankheit würde ihn ohnehin dahinraffen und damit ließ er dieses kleine Journal enden.
Langsam ließ ich das Buch sinken und nahm noch einmal den Sonnenstein in die Hand.
„Wohin sollen wir jetzt als nächstes?“ fragte ich mehr rhetorisch die Umstehenden.
Ein kleiner Blitz schoss daraus hervor und brannte ein kleines Loch in die Seekarte vor uns auf dem Tisch.
Was soll ich sagen?
Wir würden wohl als nächstes Great Inagua ansteuern!
„Eine gute Entscheidung!“ lachte mein Schwiegervater neben Blackbeard, welcher ebenso ein breites Grinsen im Gesicht hatte.
Edward Junior meldete sich fast brüllend zu Wort, so aufgeregt war er plötzlich.
„Wir segeln zu dieser Pirateninsel von Großvater? Ich sehe endlich echte Piraten?“ er freute sich riesig, erntete aber eine etwas enttäuscht hochgezogene Augenbraue seines Namensgebers.
„Und was bin ich dann in deinen Augen, junger Mann?“
„Großvater, du bist … also… ich meine doch die Piraten aus dem Buch, was Vater mir ab und an vorgelesen hat.“ seine Verlegenheit konnte er nicht verbergen und in seine Wangen stieg eine unfassbar tiefe Schamesröte.
„Schon gut, Edward. Ich weiß doch, was du gemeint hast. Komm her, ich kann dir ja mit Blackbeard schon jetzt ein paar Geschichten erzählen. Aber sag es nicht deiner Mutter. Hörst du?“ die drei gingen langsam aus meiner Kajüte, doch ich hatte noch jedes Wort gehört.
„Darf ich nicht mitkommen?“ weinte Florence jetzt zwischen mir und Haytham. Ich sah ihn hilfesuchend an, weil ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte.
„Doch, ich denke du wirst uns genauso auf der Reise begleiten, mein Engel.“ er hob sie auf seinen Arm und wir besahen uns gemeinsam dieses seltsame Buch noch eine Weile.
Annes Stimme riss mich aus meinen Gedanken, an sie hatte ich gar nicht mehr gedacht.
„Das ist schon in Ordnung, ich bin selber mehr als überwältigt von diesem Fund. Ich hätte damals vermutlich mein Leben für diese Artefakte gegeben. Ich wusste nicht einmal, dass es solch magische Dinge gibt.“ staunend besah sie sich weiter die Truhe, das Buch, den Stein und MICH!
„Ihr ward damals schon anders, ich hätte wissen müssen, dass ihr etwas verbergt. Versteht mich nicht falsch, es ist nicht böse gemeint. Ich fand es nur faszinierend, als ihr wie aus dem Himmel gefallen plötzlich im Old Avery auf dem Boden landetet. Dieses Wasser durch welches ihr kamt, war sonderlich. Fragt mich nicht, warum ich es nicht weiter hinterfragte. Mir fehlte die Zeit leider und mein Leben nahm ja auch kurz darauf eine ganz andere Wendung.“ begann sie zu berichten.
Sie hatte mich etwas beobachtet, fand aber nichts wirklich gefährliches oder absonderliches an mir. Lediglich mein seltsamer Akzent, den sie nicht zuordnen konnte, kam ihr seltsam vor. Im Grunde verblasste dieses Ereignis irgendwann.
„Euch hier erneut zu treffen, war im ersten Moment ein Schock. Edward hatte es sicherlich versucht zu erklären damals, aber seien wir ehrlich, ich konnte es kaum glauben.“
Im Grunde versuchte ich dieser Frau nun meine Geschichte etwas zu erklären, während Haytham einiges anmerkte und eigene Erfahrungen beitrug.
Irgendwann wurde es jedoch Florence zu langweilig und mein Templer ging mit ihr hinaus.
Annes Stimme schlug um, als sie mich fragte, ob ich je über gemeinsame Kinder mit Edward nachgedacht hätte.
Konnte ich es mit ruhigem Gewissen verneinen? Auf keinen Fall! Dieser Gedanke war mir damals gekommen.
„Wisst ihr, Alex, Marys Sohn würde ich zu gerne einmal kennenlernen. Leider wissen wir nicht, was aus ihm geworden ist.“ ich sah, dass sie hoffte, ich könnte weiterhelfen.
„Es tut mir leid, aber auch ich weiß nicht, wo wir da ansetzen müssten. Außerdem wird man ihm nicht erzählt haben, wer sein Vater ist. Das kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht ist es auch besser so.“ War es das? Hatte nicht jedes Kind ein Recht darauf zu erfahren, wer seine Eltern waren? Ich musste aber auch wieder das Jahrhundert bedenken, nur sehr wenige Menschen waren so eingestellt oder dachten so.
„Haytham sieht seinem Vater nicht wirklich ähnlich, ich denke er hat mehr von seiner Mutter geerbt, nicht wahr?“ Ein etwas seltsamer Themenwechsel.
Natürlich hatte er das, es war offensichtlich. Diese besonnene, meist ruhige Art kam von Tessa. Aber mein Mann konnte auch ins genaue Gegenteil umschlagen, wo dann Edward durchschlug.
Und dann war da noch unser Sohn, welcher stark nach seinem Großvater schlug. Ein wenig Stolz ließ meine Brust schwellen bei diesem Gedanken. Er hatte Durchsetzungsvermögen, war zielstrebig und wissbegierig. Leider warfen seine Gene auch Schattenseiten, wie zum Beispiel unkontrollierte Wutausbrüche, eine gewisse Ignoranz bezüglich seiner Aufgaben oder ähnlichem. Ja, das waren die Gene väterlicherseits.
Plötzlich beförderte Anne eine kleine Lederbörse aus ihrer Rocktasche ans Licht und reichte sie mir.
„Das ist eine kleine Karte einer Insel in der Nähe von Tulum. Rackham, einige Besatzungsmitglieder und ich, haben dort ein paar Dinge vergraben. Ich werde nie dorthin reisen um sie zu bergen. Nehmt meinen Sohn mit und überlasst ihm meinen Anteil.“ in ihren Augen glitzerten Tränen bei diesen Worten.
„Wenn es euer Wunsch ist, werde ich das natürlich machen. Aber ihr könntet uns doch begleiten. Das ist doch nur eine Frage der Organisation und Planung…“ mir wurde mit einem Wisch über den Mund gefahren.
„Ich bin nicht mehr die Jüngste und mich plagen einige Leiden. Edward sprach immer sehr wohlwollend von euch, deswegen sollt ihr meinen Sohn dorthin begleiten, weil ich denke, ich kann euch vertrauen. Wann immer ihr bereit seid.“
Ich muss ziemlich dämlich aus der Wäsche geschaut haben, da Anne mich plötzlich leicht schüttelte.
„Habt ihr mir zugehört?“ hakte sie nach.
„Ja, … natürlich habe ich das. Ich verspreche, dass ich euren Wunsch erfüllen werde. Versprecht mir aber auch, dass ich euch eure Beute überreichen kann.“ das war mein voller Ernst.
„Klopft an meine Tür und ich werde euch öffnen.“ lächelnd hielt sie meine Hand. In diesem Moment konnte ich in ihren Geist dringen, in ihren Augen sah ich, dass sie genau DAS wollte. Ihre Zeit war gekommen! Ein Schlussstrich sollte es sein.
„Dann sei es so.“ flüsterte ich mit Tränen in den Augen.
Kurz darauf machten wir uns auf den Weg zurück nach Charleston, von dort sollte es möglichst zeitnah auch wieder nach Hause gehen.
Den Sonnenstein führte ich immer bei mir in dem kleinen Lederbeutel, der jetzt an meiner Kleidung befestigt war. Ein faszinierender Gegenstand, dessen Geheimnisse ich noch ergründen werde.
„Great Inagua! Ich kann es kaum erwarten, Mistress Kenway.“ Mr Hargreaves war wegen der bald anstehenden Reise ganz aufgeregt. Ich muss gestehen, mir ging es nicht anders.
„Vielleicht wäre es ja sogar Connor möglich uns zu begleiten.“ dachte ich laut nach und erntete die Zustimmung meines ersten Maats.
„Ein zweites Schiff kann nie schaden.“ dabei sah er lächelnd in Richtung der untergehenden Sonne.
Ich ging derweil zu meiner Familie um auch ihnen meine Idee kundzutun.
„Sobald wir daheim sind, werde ich ihm eine Nachricht schicken.“ in Haythams Gesicht lag ein seliges Leuchten. Für ihn war es ein Familienausflug. Es klingt etwas lapidar, aber ich weiß nicht recht wie ich es anders nennen soll.
Und wer weiß, was uns auf der Insel noch alles erwarten wird.
Zwei Tage später erreichten wir den Hafen von Charleston und verabschiedeten uns von Anne. Ich versprach ihr noch einmal, dass ich mich sobald es möglich war, mit William gemeinsam nach dieser anderen Insel suchen werde um ihre Beute zu bergen.
„Ich danke euch.“ mit einem warmen Lächeln drehte sie sich um und ging zur wartenden Kutsche, wo ihr Sohn schon auf sie wartete.
Erst jetzt wurde mir bewusst, dass es noch eine Weile dauern könnte, bis ich dorthin segeln könnte. Die Schwangerschaft machte mir eigentlich einen kleinen Strich durch die Rechnung! Hoffentlich würde ich nicht wieder unter diesen Übelkeitsattacken leiden.
Tief durchatmend ging ich wieder auf mein Schiff und wir setzten Segel.
Ich vermisste mein eigenes Bett und unser Zuhause wieder zusehends.
„Die Insel von der sie sprach war damals noch völlig unbewohnt. Hoffen wir, dass sich das nicht geändert hat in den letzten Jahren.“ gab Edward Senior zu bedenken. Auch ich hatte darüber schon nachgedacht.
„Was, wenn jemand die Stelle bereits gefunden hat und alles an sich genommen hat? Anne wäre sicherlich enttäuscht.“ seufzte ich leise und besah mir diese kleine Karte noch einmal. Sehr groß war das Eiland nicht, da stellte sich die Frage, ob es überhaupt jemanden dorthin zog. Wir würden es jedoch erst herausfinden, wenn wir direkt vor Ort waren.
Die nächsten Tage vergingen Odin sei Dank zügig und die Anlegestelle unserer Plantage war auszumachen.
Mit Erstaunen sahen wir, dass bereits ein weiteres Schiff dort ankerte. Die Aquila! Mein Blick ging zu Haytham, welcher ebenso stirnrunzelnd da stand.
„Es wird doch wohl nichts passiert sein?“ mir schnürte es etwas die Kehle zu, weil ich gerade nicht die geschichtlichen Daten der Revolution im Kopf hatte und Angst bekam, dass wir etwas vergessen haben könnten.
Das Schiff hatte aber erst vor kurzem angelegt. Connor war mit Mr Faulkner dabei alle Taue zu sichern. Von weitem hatte ich sie erst gar nicht bemerkt. Etwas erleichtert atmete ich auf, als die beiden uns bemerkten und zuwinkten.
Meine Brig nahm den Platz daneben ein und auch wir konnten endlich von Bord.
„Vater, ich hatte mich schon gewundert wo die Jackdaw war. Wir wollten schon umkehren.“ rief Haythams großer Sohn während er mit einem Reisesack auf der Schulter in unsere Richtung marschierte.
„Dann hattest du ja die richtig Intuition, mein Sohn. Es ist gut, dich gesund zu sehen. Mr Faulkner.“ er verbeugte sich vor dem Herren und nahm dann seinen Sohn in den Arm.
Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zum Herrenhaus.
Nach den ganzen Tagen freute ich mich auf ein warmes Bad am Abend. Ganz abgesehen von einem guten Essen.
„Es ist auch schön, dass es euch allen gut geht. Wohin hatte es euch verschlagen?“ fragte Connor nach, als wir in der Kutsche saßen.
In kurzen Sätzen erklärte mein Templer ihm unsere kleine Reise, der Rest würde dann später folgen.
„Ich würde zu gerne einmal nach Great Inagua.“ wir alle wollten vermutlich gerne einmal dorthin.
Edward Junior wurde, kaum dass er aus der Kutsche gestiegen war, von ein paar Jungs stürmisch begrüßt.
Ich nahm nur ein paar Wortfetzen auf, wo es um eine Steinschleuder und irgendeine Schlange ging, ehe sie beim Pferdestall verschwunden waren.
Sollte ich mir Sorgen machen? Nein, ich würde mich nicht mehr wie eine Glucke benehmen.
Florence hingegen war traurig, dass sie jetzt hier alleine war und bat energisch bei ihrem Vater auf den Arm zu dürfen. Wie programmiert nahm er sie hoch und ging weiter ins Haus, während er angeregt mit Mr Faulkner über die neuesten Aktivitäten auf See sprach.
Jetzt war ich es, die sich etwas über fühlte. Für einen winzigen Moment wollte ich schon wütend darauf reagiere, bis mir einfiel, dass ich einfach diese Zeit nutzen sollte. Für MICH!
Magda wusch mich kurz und ich konnte mir saubere Kleidung anziehen. Anschließend ging ich in mein Arbeitszimmer und begann unsere Ausbeute auf dem großen Tisch im Raum auszubreiten.
Meine Hand befühlte den Lederbeutel an meiner Gürtelschlaufe und ein beruhigendes Gefühl breitete sich in mir aus.
Ich nahm mir mein Notizbuch und begann kleine Stichpunkte aufzuschreiben für die anstehende Reise zur Insel meines Schwiegervaters. Eigentlich klingt das viel zu hochtrabend, ich weiß. Aber ich wüsste nicht, wie ich sie sonst nennen sollte.
Ein Vergleich der Karten von van den Kieboom und unseren brachte nicht viele neue Erkenntnisse, außer, dass er leichte Kursabweichungen verzeichnet hatte. Mein Blick offenbarte leider keine Geheimnisse.
Das Buch der Seefahrer, wie es mein Schwiegervater genannt hatte, lag ebenfalls hier. Noch einmal schlug ich es auf, betrachtete die Seiten und langsam erschien auf einigen leeren Seiten die Darstellung der Queen Anne´s Revenge, die Koordinaten standen daneben wo sie gesunken war und kleinere Bemerkungen über die Ocean Princess mit ihrem unfähigem Kapitän. Lächelnd verfolgte ich, wie sich die Blätter füllten und schloss dieses Manuskript anschließend.
Es war fast so, als hätte ich mein Tagebuch verfasst. Mein Kopf fühlte sich freier an, aber auch etwas erschöpfter.
Ich wollte gerade hinunter gehen, weil das Dinner fertig war, als ich sah wie Edward in die Eingangshalle eilte, sich hastig den Dreck von seinen Hosen klopfte und sich verstohlen umsah.
„Min lille skat! Da bist du ja wieder. Gerade richtig zum Essen.“ rief ich ihm entgegen.
Erschrocken sah er mich an, wollte schon etwas erwidern, da kam auch Haytham mitsamt unseres Besuchs aus dem Arbeitszimmer.
„Das ist hervorragend! Alle sind versammelt, dann können wir ja zu Abend essen.“ Haytham war sichtlich guter Laune, genau wie Florence die immer noch an seinem Hosenbein klebte.
„Ja, Vater. Ich gehe … mich nur eben umziehen.“ schnellen Schrittes eilte er die Treppe hinauf und verschwand in seinem Zimmer. Skeptisch sah ich ihm nach. Hatte er etwas angestellt, so kurz nach unserer Ankunft?
Da fiel mir wieder ein, dass wir nach einem Kammerdiener für ihn suchen wollten! Unten waren nämlich Sophia, die sich jetzt Florence schnappte, und Sybill erschienen. Doch sie ging ihrem ehemaligem Schützling nicht mehr nach. Ein kleiner Stich in meinem Herz ließ sich nicht vermeiden, aber er war zu groß für ein Kindermädchen.
Es dauerte auch nicht lange, da erschien unser Sohn im Wintergarten und nahm seinen gewohnten Platz neben Haytham ein.
Ich konnte nicht aufhören ihn zu betrachten.
„Alex, du sagst ja gar nichts dazu, dass ihr Erfolg bei eurer Suche hattet.“ hörte ich Connor lachend sagen.
„Bitte? Verzeih mir, ich war wohl ein wenig in Gedanken.“ mein Blick lag immer noch auf Edward. Ich musste doch irgendwas finden, was ihn überführen könnte, verdammt.
„Ich glaube, sie ist derzeit mit ganz anderen Dingen beschäftigt.“ dabei tätschelte mein Mann mahnend meine Hand.
„Ja, ja natürlich. Das wird es sein.“ plötzlich fühlte ich mich wie erschlagen und mein Kopf begann zu dröhnen. Dazu gesellte sich ein flaues Gefühl im Magen und ich entschuldigte mich.
Bei Odin, was war das auf einmal?
Draußen auf der Veranda saß ich kurz darauf schnaufend mit dem Kopf zwischen meinen Knien um diese Übelkeit wieder abzuschütteln. Es klappte leider nicht und die Blumen mussten dran glauben. Oh bitte nicht wieder Monate mit diesem Mist!
Meine Kammerzofe trat hinter mich und strich mir über den Rücken.
„Mistress Kenway, dann ist es wahr? Ihr seid wieder guter Hoffnung?“ sie klang dabei so glücklich und aufgeregt, dass mir die Tränen kamen. Ich konnte ihr nur nickend antworten, weil ich heulte wie ein Schlosshund.
„Das wird schon, ihr habt mir geholfen und ich werde auch dieses mal wieder an eurer Seite sein.“ wer könnte mich besser verstehen, als eine Mutter!
Langsam beruhigte ich mich und wir gingen wieder hinein.
„Magda, könntet ihr mir bitte einen Tee machen mit den Kräutern gegen meine Übelkeit? Danke!“ bat ich und ging langsam wieder zu meiner Familie.
Bevor jedoch Fragen bezüglich meiner Gesundheit aufkamen, fragte ich nach, ob ich etwas verpasst hätte.
Anscheinend nicht, sie alle hatten sich über diesen Sonnenstein unterhalten, gerätselt was es noch mit dem Buch auf sich haben könnte und was uns auf Great Inagua alles erwarten könnte.
„Wir sollten noch einmal diese Maya-Ruinen aufsuchen, ich würde zu gerne wissen, ob es dort nicht noch mehr zu erforschen gibt.“ euphorisch und mit einem leichteren Gefühl genoss ich zumindest mein Gemüse.
„Das ist keine gute Idee, mi sol. Du hast doch gesagt, dass das Gemäuer größtenteils eingestürzt ist und ihr nur noch über diesen Wasserfall entkommen konntet.“ in seiner Stimme klang plötzlich ein leicht zickiger Unterton mit. Eifersucht! Er wusste, was damals dort noch geschehen war.
Verlegen sah ich ihn an.
„Vielleicht gibt es aber noch andere Zugänge, wir sollten es zumindest versuchen.“ brachte ich, nachdem ich mir den Kloß aus dem Hals geräuspert hatte, energisch vor.
„Das hat ja Gott sei Dank noch Zeit!“ wie ich diese Art, manche Diskussionen zu beenden, von meinem Mann doch hasste.
Unsere Gäste hatten sich nichts anmerken lassen, so hatte ich den Eindruck.
Florence wurde als erste zu Bett gebracht, wohingegen Edward noch etwas aufbleiben durfte. Immer noch kam er mir seltsam ruhig vor.
Wir waren mittlerweile vor den Kamin umgezogen, weil es doch ein wenig kalt geworden war in den letzten Stunden.
Endlich erfuhr ich dann auch mal, warum Connor hier erschienen war.
Erstmal sei zu sagen, es war alles in Ordnung, es war niemand krank oder verstorben. Nur Achilles fühlte sich nicht im Stande mit ihm zu reisen. Verständlich, er war auch nicht mehr der Jüngste.
Ein kurzes Schweigen unterbrach den Redefluss plötzlich, ehe Haythams Sohn fortfuhr um auch mich auf den neuesten Stand zu bringen.
Ihm war zu Ohren gekommen, dass immer mehr Land seines Volkes aufgekauft wurde. GEGEN ihren Willen und er wollte und konnte es so nicht einfach hinnehmen. Ich ahnte, worauf das hinauslaufen würde. William Johnson handelte mit Land, nicht nur aus reiner Nächstenliebe. Auch er wollte etwas verdienen, von Luft und Liebe konnte auch seine Familie nicht leben.
„Johnson und einige seiner Unterhändler gehen erst gar nicht auf die Argumente der Dorfältesten ein, sie ignorieren unsere Grenzen einfach!“ seine Stimme hatte sich erhoben und zum ersten mal wurde mir bewusst, dass er nicht nur für sich alleine kämpfte.
„Er versucht doch nur diese Landstriche zu schützen, Connor. Es mag sich jetzt falsch anfühlen, aber später könnte es passieren, dass es euch einfach weggenommen wird. Ohne irgendeine Gegenleistung!“ versuchte mein Templer sachlich zu argumentieren.
„Dennoch geht er sehr skrupellos mit meinen Leuten um, Vater! Wie würdest du dich fühlen?“ erwartungsvoll sah er ihn an.
„Ungerecht behandelt, vermute ich.“ für einen Moment sahen sie sich an, sagten aber nichts. „Vielleicht sollte ich mit William das Gespräch suchen.“ die Worte kamen etwas zerknirscht aus seinem Mund.
„Ich hoffe, sie treffen auf fruchtbaren Boden, Vater.“ Connors Ton klang unterkühlt, also war zwischen ihnen noch lange nicht alles bereinigt.
Gerade als ich zu einem anderen Thema ansetzen wollte, fiel mir der junge Indianer ins Wort.
„Wusstet ihr eigentlich, dass Hickey die Plantage für seinen Schwarzmarkt mittlerweile nutzt?“
Mir fiel die Kinnlade herunter und ich sah zu Haytham. Auch er war mehr als sprachlos, zugleich rötete sich sein Gesicht vor Zorn.
„Seit wann?“ brachte er hinter zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Das geht schon einige Monate so.“ immer noch saß er triumphierend grinsend da und wartete auf weitere Reaktionen.
„Dieser … verdammte IDIOT!“ rief mein Mann, sprang auf und eilte nach draußen auf die Terrasse.
„Ähm, das habe ich nicht erwartet.“ gab ich zu. Doch ehe ich meinem Mann hinterher gehen konnte, war Connor schon an seiner Seite.
Ich sah fragend zu Mr Faulkner.
„Es ist wahr, Mistress Kenway. Immer wieder erhielten wir die Nachricht, dass des nächtens aus New York, Boston oder auch Wilmington kleinere Trupps und Schiffe aufbrachen in diese Richtung. Einer der Spitzel konnte es dann selber beobachten. Mehrere etwas von hier abgelegene Scheunen werden dafür genutzt. Die Bauern oder besser Pächter wissen nichts davon, falls ihr Bestechung vermutet.“ damit nahm er mir die erste große Befürchtung, dass wir es hier mit illoyalen Personen auf der Plantage zu tun hatten.
„Wir laufen also Gefahr, dass die königlichen Truppen uns auseinander nehmen können wegen Verrat und Unterschlagung.“ flüsterte ich und sah dabei zu Edward, der jetzt auch aufmerksam geworden war.
„Wir sollten schleunigst herausfinden, wann die nächste Lieferung kommt. Wir müssen ihnen zuvor kommen.“ grübelte ich laut nach und überlegte schon, wo genau diese Verstecke sein könnten.
Theoretisch UNTER den Gebäuden, weil oberhalb würde es irgendwann auffallen. Wusste Thomas von unseren Tunneln? Hatte es ihm vielleicht jemand verraten?
„Vorerst ist nichts geplant, soviel ich weiß. Erst letzte Woche war ein Transport hierher gereist.“
Damit hätten wir also noch Zeit um uns umzuhören.
„Dann werden wir morgen die Plantage unter die Lupe nehmen und uns gründlich umsehen müssen.“ hörte ich meinen Mann, als er mit Connor wieder eintrat. Er war wieder etwas ruhiger, aber im Grunde genau wie ich verunsichert.
Meinen Gedanken bezüglich eines Verräters bestätigte er auch, es musste hier jemanden geben, der diese Informationen einfach weitergab.
„Ich sah Thomas oft mit Lee zusammen sitzen. Was ungewöhnlich ist, weil sie sich sonst nicht ausstehen können.“ erzählte Connor ebenfalls grübelnd.
Charles hatte mittlerweile auch in der Gegend eine Plantage erworben, welche aber Odin sei Dank auf der anderen Flussseite und sehr sehr weit von uns weg war.
„Warum nutzt man dann nicht einfach sein Land für die Güter?“ fragte ich ganz pragmatisch, weil es Sinn machen würde. Meiner Meinung nach.
„Charles wird einen Teufel tun und sich noch weiter in Bedrängnis bringen. Seine Militärlaufbahn ist eh schon stark angekratzt und wie er sich seit neuestem zu Washington äußert hilft ihm auch nicht gerade, es besser zu machen.“ Haythams großer Sohn hatte Recht, damit würde er sich keinen Gefallen tun, wenn er in der Armee bleiben wollte. Mehr Verstöße wären sein Untergang.
Man könnte aber doch so etwas nachhelfen … leider wusste ich, dass ich das nicht durfte. Die Zeit war immer noch nicht reif für ihn. Verdammt.
„Er bekommt schon noch, was er verdient, Alex.“ versicherte mir Connor grinsend. Darauf hoffte ich inständig.
Langsam war es Zeit für Edward ins Bett zu gehen und ich brachte ihn hinauf.
Ich ließ ihn sein Schlafhemd alleine anziehen, kämmte lediglich seine Haare. Ich hatte vergessen ein Bad zu ordern, fiel es mir siedendheiß ein!
Seufzend setzte ich mich neben ihn auf das Bett und zog seine Decke hoch.
„Gute Nacht, min lille skat.“ flüsterte ich und gab ihm einen Kuss.
„Gute Nacht.“ dann drehte er sich um.
Jetzt riss mir der Geduldsfaden. So ruhig war er wirklich noch nie.
„Was ist los?“ hakte ich energisch nach und drehte ihn wieder zu mir.
„Nichts.“
„Aha, wie sieht das nichts denn aus?“ ich ließ nicht locker!
Stöhnend richtete er sich auf, lehnte am Kopfende und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Schlafen darf ich erst, wenn ich es dir erzählt habe, oder?“ er erhielt nickend meine Bestätigung. „Also … ich weiß, wo die drei Scheunen sind, Mama. Jessy, Gilbert und noch ein paar andere haben diese Männer schon dreimal dabei beobachtet, wenn sie hier auftauchten. Sie haben sich aber nicht getraut, Vater davon zu erzählen, weil sie dachten, sie bekämen dann Ärger.“ hilfesuchend sah er mich an.
„Warum sollten sie Ärger bekommen? Sie haben doch gar nichts falsch gemacht.“ so dachte ich zumindest.
„Najaaaaaa…“ kam es langgezogen und mit gesenktem Blick. „Ein paar Dinge haben die Jungs mitgenommen.“
Im Grunde hatten sie nur Schnaps an sich genommen, welcher unter das seltsame Zollgesetz gefallen war. Fragt mich nicht, es ist lächerlich. Die Jungs haben aber auch gesehen, dass einmal ein paar Sklaven in eine Scheune gebracht wurden und zwei Tage später von einem anderen Herren wieder abgeholt wurden.
Wie bitte?
Das wurde ja immer besser. Ich hielt Thomas eh für ein Schwein, aber dass er auch noch die Sklaverei und den Menschenhandel unterstützte, ging definitiv zu weit!
„Edward, es ist gut, dass du mir das erzählt hast. Dein Vater muss das wissen und mach dir keine Sorgen, Jessy und die anderen bekommen keinen Ärger, versprochen! Sie haben ja nichts wirklich falsch gemacht. Oder habt ihr den Schnaps probiert?“
Mit großen Augen sah mein Sohn mich an und schüttelte energisch den Kopf.
„Nein, der riecht so eklig, dass ich mich davon schon fast übergeben musste!“ plötzlich stand er auf, ging zu seiner Kommode und holte aus einem Fach einen Zettel. „Das hat mir Olli gegeben. Einer der Sklaven hat das wohl verloren bei dem Transport.“
Es war eine Art Kaufbeleg, anders kann ich es nicht beschreiben. Die Namen vom Vorbesitzer und des neuen standen darauf, genau wie der Preis und Name des Sklaven. In mir kochte es und ich würde am liebsten Hickey und Lee direkt gen Hel schicken! Kein geringerer als Charles war nämlich der Käufer.
„Danke, dass du mir das gesagt hast, Edward. Und mach dir keine Gedanken. Dein Vater wird nicht mit dir schimpfen, im Gegenteil. Du hast uns dabei geholfen, dass wir dem ein Ende setzen können.“ sagte ich sanft und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
Jetzt schlang er seine Arme wie gewohnt um mich, drückte mich und gab mir auch einen Kuss auf die Wange.
Vor der Tür atmete ich ein paar mal tief ein und aus. Sklaverei! So etwas konnte und wollte ich hier einfach nicht dulden und schon gar nicht haben.
Im Wintergarten waren die Herren in einem Gespräch über den Schwarzmarkt und dessen Auswirkungen auf die einfachen Bürger vertieft.
„Gentlemen, ich störe nur sehr ungern, aber wir haben etwas weitaus schlimmeres zu besprechen.“ mein Blick wanderte zu meinem Mann.
„Was hat er dieses mal …“ seufzend fuhr ich ihm über den Mund.
„Nichts, mi sol. Im Gegenteil.“ ich reichte ihm den Verkaufsbeleg, bei Odin, das klingt so falsch!
Seine Augen wurden groß, seine Wangen begannen sich wieder zu röten und sein Atem ging schneller.
Ohne Worte reichte er Connor das Schriftstück, auch dieser war kurz darauf auf 180, ebenso Mr Faulkner.
„Befinden sich gerade jetzt Sklaven auf unserem Grundstück?“ fragte Haytham nach. Da konnte ich ihn beruhigen. „Für heute ist es zu spät noch etwas zu unternehmen, ich werde lediglich Charles und Hickey hierher … gut gut, ich werde sie nach Boston zitieren, Alex!“ genervt sah er zu mir auf, die ich neben ihm mit hochgezogener Augenbraue stand. Er hatte schnell geschaltet. Gut für ihn.
Mir stieg die Müdigkeit in die Knochen und ich verabschiedete mich bei den Herren für die Nacht.
Magda half mir aus meinen Sachen und gerade als sie meine Haare für die Nacht einflechten wollte, fragte sie mich, ob wir schon wüssten, was es wird.
Etwas verwirrt sah ich zu ihr auf, weil ich für einen Moment gar nicht an mein kleines Würmchen im Bauch gedacht hatte.
„Nicht wirklich, aber da ich vorhin über dem Blumenbeet hing, könnte es wieder ein Mädchen werden.“ lächelte ich etwas zerknirscht. Zwei Mädchen und ich dazu. Na, da wird sich Haytham ja drüber freuen!
„Oh, das wäre so schön, Mistress Kenway! Ich habe so viele Namen für ein Mädchen im Kopf, weil ich selber auf eines gehofft hatte.“ in den nächsten Minuten erfuhr ich ihre Vorliebe für Johanna, Elisabeth, Magdalena und und und.
„Mir raucht schon der Kopf und ich sehe, die Entscheidung wird keine Leichte sein!“ lachte ich, als ich mich ins Bett kuschelte. Meine Knochen fühlten sie mit einem Male wie Blei an und ich war dankbar mich strecken zu können. „Ich wünsche euch eine gute Nacht und sorgt gut für euren Jungen.
„Danke, Mistress Kenway. Ich habe für die Andacht morgen schon ein passendes Kleid für euch heraus gehängt. Gute Nacht.“ knickste sie und ich stöhnte aufgrund der Tatsache, dass morgen schon wieder Sonntag war.
Irgendwann spürte ich einen warmen Körper hinter mir, Hände welche meinen Oberschenkel hinauf wanderten und mein Nachthemd hochschoben. Sein warmer Atem in meinem Nacken, geschwängert von dem leichten Whiskey-Aroma ließ mich leise seufzen. Eigentlich war mir nicht wirklich nach Zärtlichkeit, aber irgendwie konnte ich mich auch nicht so recht wehren.
Ein wenig ausgehungert war ich ja schon, muss ich gestehen und drückte mich an meinen Mann.
In aller Seelenruhe liebten wir uns, wortlos und still. Ich hatte den Eindruck als hätte Haytham Angst, etwas kaputt zu machen. Seine langsamen und vorsichtigen Bewegungen waren einfach fantastisch.
„Ich habe dich vermisst, mi sol.“ flüsterte er später in meine Haare, als ich wieder an ihn geschmiegt lag.
„Ich dich auch, mi amor.“ langsam driftete ich wieder in meinen Schlaf, dieses mal aber sehr befriedigt und entspannt.
Connor blieb am nächsten Morgen hier, während wir uns auf zur Andacht machten.
„Aber ich kann doch hier bleiben und ihm Gesellschaft leisten.“ nörgelte ich leise, als wir uns fertig machten.
„Wie sieht das aus, wenn du als meine Frau nicht mitkommst.“ da war er wieder, dieser belehrende Ton in seiner Stimme.
Ich erhaschte einen kurzen Blick von dem jungen Indianer, der mich etwas mitleidig ansah, mir aber auch nicht helfen konnte.
Im Grunde stand ich ja keine Höllenqualen aus, es war nur einfach nicht meins und meine Religion. Punkt.
Unsere Kinder blieben während des Gottesdienstes brav wie immer auf der kleinen Stufe sitzen neben den anderen. Edward war sichtlich erleichtert, dass wir gestern noch gesprochen hatten.
Wieder daheim wurde uns Tee gereicht, weil es schon fast winterliche Temperaturen hatte. Nun gut, wir hatten ja auch schon Mitte November, ich war mit der Zeitrechnung seltsamerweise etwas durcheinander in den letzten Wochen.
So auch mein Blitzgedanke, WANN denn unser drittes Kind das Licht der Welt erblicken würde. Wie lange war ich überhaupt schon schwanger?
Ich entschuldigte mich kurz und ging hinauf in mein Arbeitszimmer um mein Tagebuch zu durchforsten. Es ließ mir einfach keine Ruhe!
Ende September oder Anfang Oktober? Es hätten einige Momente gepasst. Weiter als 5 oder 8 Wochen war ich ganz bestimmt nicht, das konnte nicht sein.
Ich bat in einer Notiz unsere Hebamme um einen Termin. Ich brauchte Gewissheit, so seltsam wie es auch klingen mag.
Ein Diener machte sich postwendend auf den Weg und ich konnte Etwas beruhigter wieder hinunter zu den anderen gehen.
Es ging gerade um die Waren wie Schnaps, Juwelen die den Damen wie von Zauberhand vom Hals gefallen waren oder auch feine Gewürze, mit denen Hickey seinen Markt bereicherte.
„Ich habe mit zwei Pächtern gesprochen und sie sagten, dass man ihnen gedroht hätte, sollten sie nicht kooperieren, ihnen diesen Schmuggel unterzujubeln.“ in mir keimte ein leichtes schlechtes Gewissen auf, weil auch wir immer noch mit einigen Waren an der Krone vorbei Handel trieben. War es etwas anderes, nur weil WIR es machten und nicht Thomas? Ja, war es, beschloss ich rigoros.
Wir bereicherten uns nicht daran, im Gegenteil, die Einnahmen waren mit den Ausgaben fast gleichzusetzen. Es gab nur einen leichten Verkaufsgewinn.
Plötzlich brach mir der kalte Schweiß aus!
Auch ich betrieb im weitesten Sinne Menschenhandel. Die Damen für das Bordell standen ja auch auf meiner Liste! Japsend sah ich von einem zum anderen, brachte aber kein Wort heraus.
„Herr je, Alex. Was ist?“ Haytham war sofort neben mir, hielt mich fest und strich mir beruhigend über den Rücken.
Ich schilderte meine Angst und die Befürchtung, dass ich nicht besser als diese Sklavenhändler sei.
Anstatt des erwarteten „Nein, ist alles gut!“ kam ein vorwurfsvoller Blick meines Gatten.
„Damit musst du leben, aber die Zustände sind andere und sie werden nicht gezwungen, sondern sie werden lediglich von A nach B gebracht.“ diese überaus sachliche Herangehensweise war nicht das, was ich hören wollte. Nicht ganz zumindest.
„Mama! Du verkaufst auch Menschen?“ Edward sah mich plötzlich entsetzt an! Die Kinder hatte ich gerade völlig vergessen!
Irgendwie musste ich jetzt eine Erklärung herbeizaubern, aber das war nicht so leicht, weil meine Gedanken völlig durcheinander waren. Was war noch richtig, was war falsch. Was tat ich hier überhaupt!
„Ähm, nein, so ist es nicht…“ setzte ich an, konnte aber nicht weitersprechen.
„Die Damen werden nicht unfreiwillig einfach aus ihrer Heimat geholt und irgendwohin gebracht.“ versuchte es jetzt mein Mann wieder etwas ruhiger.
„Wir haben nur die Schiffe für sie zur Verfügung gestellt.“ kleinlaut brachte ich diese Worte leise heraus und hoffte, es wäre eine gute Erklärung.
„Geht es den Damen denn gut?“ traurig sah mich Edward an. Noch konnte ich ihm schlecht erklären, dass es ihnen auf der Reise sicherlich besser ginge, als später im Bordell. Odin sei Dank hakte er wegen dieses Begriffes nicht nach. Das müsste dann mein Mann übernehmen, ich war nicht für alles zuständig.
„Es geht ihnen gut, min lille skat. Dafür sorgt eine Aufsicht an Bord, die ich extra mitschicke.“ immer noch traute ich mich kaum zu sprechen, dieses schlechte Gewissen war grauenhaft.
Nachdem wir ihm noch erklären mussten, woher die Frauen kamen, ob sie auch Kinder hatten oder ihre Familien sie besuchen dürfen und so weiter, war Edward etwas zufriedener und ich sah, er hatte etwas dazu gelernt. Nächstenliebe! Wenn auch etwas versteckt.
Das Mittagessen verlief schweigsamer, weil wir alle unseren eigenen Gedanken nachhingen.
„Wir sollten später einmal die Pächter mit den entsprechenden Lagern aufsuchen. Connor, du weißt ja, wer es ist?“ hakte Haytham nach und die beiden besprachen ihre Vorgehensweise.
„Weißt du was erstaunlich ist oder besser gesagt, unvorsichtig?“ grinste er plötzlich seinen Vater an.
„Nein, du wirst es mir sicherlich gleich sagen.“
„Die Lage der Scheunen ist immer unmittelbar in Flussnähe. Jede kleinste Schaluppe kann dort Waren aufnehmen ohne groß aufzufallen. Und ich habe gehört, dass seit geraumer Zeit sehr viele dieser kleinen Transportschiffe auf dem James River unterwegs sind.“ damit hatte er einen weiteren Punkt angesprochen.
Wenn es IHM schon auffiel, dann sicherlich auch der Obrigkeit! Es gab genügend Spione und Spitzel des britischen Königs hier in den Kolonien. Ich wartete immer noch auf eine Einheit des MI6 …
Wortlos verließ ich den Wintergarten, weil mir plötzlich einfiel, wo ich den Namen John André schon gelesen oder gehört hatte! Dieser Gedanke kam wie aus dem Nichts!
Der junge Mann, welcher mit seinen Eltern in London bei uns zu Besuch war damals, wird alsbald in den ersten Geheimdienst seiner Majestät eintreten, nachdem er sich einen Namen bei der Armee gemacht hat! Er wird Major! Und jetzt kamen die ganzen kleinen Berichte in mir hoch, die ich gelesen hatte.
Er kommt in ein paar Jahren mit Benedict Arnold in Kontakt! Die Pläne für West Point sind sein Todesurteil schlussendlich. Eine mehr als kurze Zusammenfassung, ich weiß.
Außerdem wir Charles Lee ihm ebenfalls Truppenstärken oder auch Marschrouten von Washington und Kontinentalarmee übergeben!
Bei Odin! Langsam realisierte ich, dass wir bald in einen Verschwörer- und Spitzelkreis geraten werden.
Erneut wurde mir schlecht und ich schaffte es nur noch bis zur Waschschüssel in unserem Schlafzimmer. Wo war ich nur hingeraten, warum tat ich mir das an? Dieses Wissen war gerade zu viel für meine Nerven!
„Mistress Kenway! Ist alles in Ordnung? Bei Gott, hier trinkt das!“ hörte ich Magdas beruhigende Stimme neben mir, als ich realisierte, dass ich zitternd auf dem Boden unseres Schlafzimmers saß.
„Ich kann nichts trinken, ich kriege keine Luft!“ wie ein Fisch öffnete ich immer wieder den Mund, schien aber nicht einatmen zu können.
„RUFT EINEN ARZT!“ hörte ich sie noch und mir schwanden die Sinne.
„Mi sol, komm bitte wieder zu dir.“ die dunkle Stimme ließ mich aufhorchen.
„Was … Haytham! Ich fühle mich … seltsam.“ das Sprechen war unglaublich schwer in diesem Moment.
„Du bist wieder wach, Gott sei Dank.“ seine warmen Lippen auf meiner Stirn fühlten sich beruhigend an.
Unser Arzt, es war übrigens jetzt nicht mehr Dr. Ambrosch, sondern der `Neue`, erklärte leise, dass sich meine Lungen wohl entzündet hätten und ich deswegen keine Luft mehr bekommen hätte. Mein Fieber sei aber noch nicht besorgniserregend, aber die Tatsache dass ich schwanger war, schon.
„Euer Gatte erklärte, dass ihr vor einigen Tagen noch in kalten Gewässern getaucht wäret. Das würde den Zustand der Atemwege erklären. Ich empfehle euch Bettruhe für ein oder zwei Tage, danach solltet ihr warm angezogen immer mal wieder an die frische Luft gehen. Aber keine großen Anstrengungen! Ich schreibe euch eine Kräutermischung für einen Tee auf, den ihr bitte mehrmals am Tag zu euch nehmt. Auch sind warme Bäder am Abend und anschließende Bettruhe für eure Genesung zuträglich.“ er verbeugte sich tief und übergab einen Zettel an meine Kammerzofe.
Diese Schwangerschaft begann ja hervorragend!
Ende Dezember 1772
Bettruhe! Da klingelt wieder etwas bei mir und ich ließ mich genervt in die Kissen sinken!
„Es ist doch nur für ein paar Tage, mi sol. Du musst nur ein wenig kürzer treten und nicht für die nächsten Wochen liegen.“ konnte mein Mann nicht einfach mal seinen Mund halten? Das wusste ich doch schon alles, ich war ja nicht dumm!
Bevor ich aber noch reagieren konnte stand Abbigail in der Tür.
„Mistress Kenway, ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte.“ sie nickte in die Runde, knickste vor Haytham und bat dann in einem strengen Tonfall alle hinaus.
„Danke, Abbi!“ irgendwie fiel mir immer noch das Sprechen schwer.
Sie untersuchte mich, tastet über meinen noch flachen Bauch, drückte hier und da, nickte ab und an.
„Könnt ihr ungefähr selber bestimmen, wann ihr empfangen haben könntet?“ fragte sie leise, als sie mich erneut mit ihren Fingern abtastete.
„Es könnte Ende September oder Anfang Oktober gewesen sein. Ich muss gestehen, ich weiß es wirklich nicht.“ heulte ich plötzlich! Du meine Güte! Wie hatte ich diese Gefühlsachterbahn mal gar nicht vermisst.
„Das ist doch nicht schlimm, aber ich würde ebenso vermuten, dass ihr seit ungefähr 9 Wochen guter Hoffnung seid.“ ihre Stimme war beruhigend und ich entspannte mich langsam, auch wenn meine Tränen immer noch liefen.
Sie gab aber grünes Licht für mich, dass ich nicht ans Bett gefesselt bliebe wie bei Florence.
Als sie gegangen war, trat mein Mann ungeduldig ein.
„Und? Was hat sie gesagt? Geht es unserem Kind gut? Müssen wir auf etwas achten?“ langsam ließ er sich neben mir auf die Bettkante sinken und strich über meinen nur mit dem Nachthemd bedeckten Bauch.
Seine grauen Augen hatten diesen typischen warmen und liebevollen Ausdruck wieder angenommen, wie bei Edward und auch Florence.
„Mir, nein, UNS geht es gut, mi amor. Ich muss nur wegen dieser Lungenentzündung vorerst kürzer treten.“ diese machte mir aber Angst, weil es hier kein Antibiotikum gab und viele daran starben in dieser Zeit.
Seine Hände umschlossen die meinen und er küsste sie vorsichtig.
„Also sind Tauchgänge in Zukunft keine Option mehr für dich.“ grinste er und versuchte zu überspielen, dass er sich ernste Sorgen machte. Wir beide überspielten diese Angst in uns!
„Ich schwöre, ich werde nur noch im warmen Wasser in unserem heimischen Bad tauchen.“ fast hätte ich noch hinzugefügt, dass ich das nicht gerne alleine tun würde, doch ich hielt mich zurück. Dafür war gerade nicht der richtige Zeitpunkt.
Ich wurde in den nächsten Tagen mit allerlei Leckereien verwöhnt, vor allem tat mir dieser Tee aus Minze, Fenchel und einem mir unbekannten Kraut gut. Ganz zu schweigen von dem Honig darin.
Ab und an erstatteten mir Haytham oder Connor Bericht über die Vorkommnisse und neuesten Erkenntnisse.
Am dritten Tage saß Florence neben mir auf dem Bett und lehnte an mir, als sie mich unvermittelt fragte, ob ich bald sterben werde.
Erschrocken sah ich sie an.
„Wie kommst du denn darauf, min lille engel?“ in ihren Augen glitzerten Tränen die sie krampfhaft versuchte zu unterdrücken.
„Das ist so ein böses Gefühl in meinem Bauch, Mama. Du liegst hier so müde und … das macht mir Angst.“ ihre Stimme wurde immer leiser dabei.
„Gib mir etwas Zeit und ich verspreche dir, ich bin ganz schnell wieder auf den Beinen.“ vorsichtig strich ich ihr über die Haare und gab ihr einen Kuss.
„Das finde ich schön, Mama.“ es sind nur wenige Worte, aber ich hatte arge Probleme meinen Gefühlsausbruch unter Kontrolle zu bringen. Ich wollte meiner Tochter doch nicht noch mehr Angst machen, weil ich begann zu weinen!
„Ich auch, min lille engel.“
Es dauerte ungefähr 14 Tage bis ich wieder unter den Lebenden weilte. Mittlerweile war auch schon ein neuer Konvoi hier eingetroffen im Namen von Thomas Hickey. Haytham und Connor hatten sich dem angenommen und vermeldeten, dass es dieses Mal ausschließlich Waffen waren.
Wozu schmuggelte oder lagerte man heimlich irgendwo Waffen?
„Sie werden in Britannien produziert und hierher geliefert. Noch ist es hier eher selten, dass es so gute Musketen wie von den Briten gibt. Die Kolonisten sind noch nicht so geschult darin!“ erklärte mir Haytham das Ganze.
Ach ja, da war er wieder. Mein Gedanke, dass es besser sein könnte, wenn die Briten hier in Amerika blieben! Erneut schluckte ich diesen Satz herunter, auch vor Haytham.
Nach und nach weitete ich meine Mittäglichen Spaziergänge etwas aus und ging die Felder ab. Leider war die Übelkeit auch dieses Mal wieder vorhanden, was mich darin bestärkte, dass wir eine Tochter bekommen werden.
Rohes Fleisch war ein Graus für mich anzusehen, Plätzchenteig war einfach der Horror in meinem Mund und was besonders schlimm war, dass ich plötzlich keinen Fencheltee mehr trinken konnte. Mir wurde alleine vom minimalsten Geruch schon übel. Edward hatte es einige Male gut gemeint und mir eine Tasse in mein Arbeitszimmer gebracht. Aber als er sah, dass es mir die grüne Farbe ins Gesicht trieb, rannte er schnell wieder hinaus.
Nachdem wir Edwards und Haythams Geburtstage zelebriert hatten, verabschiedete sich Connor. Auch er musste sich um seinen Mentor kümmern und sich mit seinen Leuten zusammenschließen für die nächsten Schritte des Landverkaufs. Seine Stimme musste sie einfach besänftigen, so hoffte ich.
„Es gibt leider ein paar unter ihnen, die mir meine Herkunft übel nehmen.“ dabei sah er seinen Vater an.
Man sollte Kinder nicht für seine Eltern verdammen!
„Ich wünschte es wäre anders …“ Haytham hielt inne, als ihm bewusst wurde, WAS er gerade formulieren wollte. Dieser Satz wäre Contra für mich ausgegangen!
Ich verabschiedete Mr Faulkner und Connor und ging dann wieder hinauf in mein Arbeitszimmer.
Gefühlt wurde es immer schwieriger für mich hier, ich geriet ins Kreuzfeuer, in die Bredouille was Schmuggel anging, mein Wissen machte es auch nicht eben leichter.
An diesem Abend schloss ich mich nach langer Zeit mal wieder in mein Studierzimmer ein. Niemand sollte mich stören. Ich wollte für mich sein.
Die Kerzen auf meinem Schreibtisch brannten, ebenso prasselte das Kaminfeuer und brachte wohlige Wärme in den Raum. Die Karaffe mit dem Rotwein stand auf dem kleinen Tisch vor dem Sofa und warf faszinierende Reflektionen an die Decke.
Ich saß völlig still mit dem Kopf im Nacken da und betrachtete dieses Schatten- und Farbspiel!
Würde Haytham es wirklich lieber sehen, noch mit Ziio zusammen zu sein, als mit mir? War ich nur eine Alternative, die ihm aufgezwungen wurde oder welche er nicht ignorieren durfte? Könnte Connor ihm ein schlechtes Gewissen einreden und …
Wieder keimte eine Krise auf. Eine Art nächste Hürde, die es entweder zu überwinden galt oder … würden wir dieses mal an ihr scheitern?
Mein Blick fiel auf meinen Ehering.
Die Bilder unserer Hochzeit in New York im Fort Arsenal tauchten vor meinem inneren Auge auf.
War doch alles nur eine Illusion, die bald an diesen geschichtlichen Dingen zerbrechen würde?
Das erste Mal seit Wochen ging mir durch den Kopf, dass ich nichts von meinen Göttern mehr vernommen hatte! Niemand stand mir bei! Niemand sagte etwas!
Ich fühlte mich plötzlich Mutterseelen-allein! Sie alle hatten mich veranlassen, mein Mann wandte sich langsam von mir ab…
Als ich erwachte, war es noch nicht richtig hell. Langsam richtete ich mich auf und sah mich blinzelnd um. War ich einfach so in meinem Studierzimmer eingeschlafen? Es verpasste meinem Herzen einen Stich, dass Haytham nicht nach mir gesehen zu haben scheint. Demnach war ich ihm egal, oder?
Ich erhob mich, nahm noch einen kräftigen Schluck aus meinem Glas und bereute es sofort! Alkohol in der Schwangerschaft! Ein Unding!
Doch was tat ich? Ich heulte anstatt mich zusammen zu reißen und weiter zu machen! Ich schlich mich förmlich in unser Schlafzimmer und zog mich, so gut es eben ging, leise aus. Als ich unter die Decke schlupfte, hörte ich nur ein leises Grummeln meinen Mannes. Er schlief, tief und fest!
Plötzlich überkam mich der Gedanke, dass das gar nicht real sein konnte. Noch nie hatte Haytham so einen tiefen Schlaf gehabt, oder täuschte ich mich? Hatte ich etwas vergessen?
Um etwas zur Ruhe zu kommen, legte ich mich auf den Rücken. Arme links und rechts angelegt und tief ein- und ausatmend. Wir beginnen mit der Entspannung von den Füßen an aufwärts… mit diesem Satz wanderte ich gedanklich und mit jedem langsamen Atemzug zu den einzelnen Gliedmaßen. Anspannen, lockerlassen. Immer und immer wieder!
Es funktionierte! Langsam spürte ich diese Leichtigkeit meiner Muskeln und die Entspannung ließ mich befreiter atmen.
„Mi sol, wach auf.“ flüsterte mir Haytham ins Ohr, während er meine Hand hielt.
„Hmmmm, was denn, ich will noch schlafen…“ nörgelte ich, weil ich wirklich noch müde war.
„Es ist schon später Nachmittag, so langsam solltest du zumindest etwas essen.“ bat er mich leise.
Nur schwer konnte ich die Augen öffnen und sah mich hier um. Es war dämmrig und der Kamin war angefeuert. Diese Wärme des knisternden Feuers umhüllte mich einfach und ich wollte nicht aufstehen.
Moment, es war schon später … WAS?
Ich fuhr in meiner Panik hoch!
„Wann bin ich ins Bett gekommen?“
Grübelnd runzelte er die Stirn, ehe er antwortete.
„Es muss gegen 5 Uhr gewesen sein. Alex, was ist denn los? Du bist nicht wieder zuerkennen.“ das sagte gerade der richtige.
Also erklärte ich ihm meine Ängste!
Aber das war leichter gesagt als getan.
„Du hast gestern etwas geäußert, was Ziio betrifft, mi amor. Du sagtest zu Connor du wünschtest es wäre anders.“ die Angst bei meinen eigenen Worten schnürte mir die Kehle zu, ich traute mich nicht in seine Augen zu sehen. Die Furcht, dass ich Recht hatte, war unerträglich in diesem Moment.
Haytham erhob sich, verschränkte die Arme hinter seinem Rücken und ging langsam neben dem Bett auf und ab. Aha, er dachte über die richtigen Worte für die Antwort nach.
Mein Herz sprang mir vor Angst schon beinahe aus der Brust und meine Augen brannten vor Tränen. Nein, er konnte nicht ernsthaft diesen Wunsch haben! Bitte …
Abrupt blieb er stehen und sah mich kopfschüttelnd an.
„Ich hatte solche Gedanken, natürlich! Oder bist du frei von solchen Gefühlen deinem verstorbenen Verlobten gegenüber? Hast du nie über eine alternative Zukunft nachgedacht? Was wäre wenn? Gerade DU solltest es nachvollziehen können, dass man viele Dinge hinterfragt.“
Warum hatte jetzt ICH das schlechte Gewissen? Bei Odin, er verstand es die Waagschale gekonnt zu kippen!
Die Angst verschwand und machte einer Wut über diese Art und Weise Platz.
Haytham war geschult in diesen Dingen, er war ein Meister im Diskutieren und auch, dass wurde mir gerade bewusst, Manipulieren.
Ich hatte über sehr viele alternative Zukunftsperspektiven nachgedacht!
Was wäre, wenn ich schon damals bei Edward geblieben wäre?
Würde Marius noch leben, hätte ich diese Reisen wirklich aufgegeben?
In mir wurde es mit einem Male still und ich schloss mich sprichwörtlich ein.
Eine Aussprache konnte ich gerade nicht mit ihm durchstehen, wollte ich auch gar nicht.
Stattdessen stand ich auf, ging wortlos an ihm vorbei und zog mich an.
„Lass mich raten, ich habe einen wunden Punkt getroffen, richtig?“ höhnte er im Türrahmen lehnend.
Nein, ich würde ihm nicht die Genugtuung geben, Recht zu haben.
Schweigend machte ich mich zurecht und vermied den Blickkontakt mit Haytham.
„Wie du willst.“
Die Tür fiel scheppernd ins Schloss und ließ die Fensterscheiben klirren.
Erst jetzt traute ich mich wieder richtig zu atmen und etwas zu entspannen.
Mir war nicht ganz klar, was er wirklich mit dieser Ansage bezwecken wollte. Sollte es einfach nur meinen Geist wachrütteln, damit wir beide über unsere Vergangenheit und die Kinder nachdachten mit den jeweils anderen Partnern?
Wollte er nur MIR ein schlechtes Gewissen einreden um selber in einem besseren Licht dazustehen?
Wir würden nur durch ein gemeinsames Gespräch eine Lösung finden können. Gerade in diesem Augenblick wollte ich es aber nicht, weil mein Stolz ein wenig angekratzt war. Hatte ich aber nicht umgekehrt seinen auch entsprechend in Frage gestellt?
Beim allmächtigen Allvater!
Ordne meine Gedanken und leite mich wieder!
Es ist nicht leicht euch beide in Linie zu halten! Hörte ich Odin plötzlich in meinem Kopf. Eure Persönlichkeiten sind auf der einen Seite sehr ähnlich, aber auf der anderen auch wieder so verschieden, dass es fast unmöglich ist euch immer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Ihr seid schwierig!
War er wirklich genervt von uns?
Nun, ich würde es nicht so harsch nennen, aber … ja doch, es ist anstrengend! Geh und sprich mit Haytham, sag ihm wie du denkst und fühlst!
In meinem Kopf breitete sich eine angenehme Leichtigkeit aus, so als hätte ich einen perfekt ausgearbeiteten Plan bekommen bei dem nichts mehr schief gehen könnte.
Mit neuem Elan ging ich auf die Suche nach Haytham.
Ich fand ihn in seinem Arbeitszimmer über einigen Papieren grübelnd vor.
Langsam schritt ich auf seinen Schreibtisch zu.
Wie heißt es so schön?
Der Klügere gibt nach und ich wollte nachgeben und mit ihm das Gespräch suchen. Ein kleiner Sieg oder besser gesagt Triumph beflügelte mich mit einem Male.
„Um deine Frage zu beantworten, Haytham. Ja, ich habe über Marius nachgedacht. Genauso wie ich auch über deinen Vater und eine eventuelle Zukunft mit ihm nachgedacht habe. Aber ich würde nie im Leben darauf kommen, dir genau DAS zu sagen. Einfach aus dem Grund, weil wir beide … verbunden sind. Nicht alles muss ausgesprochen werden!“
Seine Hände falteten sich auf den Papieren, sein Atem ging tief, ehe er mich ansah.
„Dann kannst du ja meine Sichtweise nachvollziehen.“ dieser sarkastische Unterton brachte mich in Rage!
„Nein, kann ich nicht. Würdest du es lieber sehen, wenn Connor, Ziio und du eine Familie wärt?“ platzte es aus mir heraus.
„Mach dich nicht lächerlich, du weißt, dass das unmöglich gewesen wäre.“ in seinem Gesicht spiegelte sich etwas belehrendes wieder.
„Warum hast du dann gesagt, du wünschst dir, dass es anders gekommen wäre?“ so, jetzt war es raus.
Seine Augen funkelten mich an als er sich langsam erhob und auf mich zuging.
„Ich habe sie damals belogen, was mir aber nicht gleich bewusst war. Hätte ich mit offenen Karten gespielt was Braddock anging, wäre es vielleicht anders ausgegangen. Aber ihre Herkunft und meine wären einfach ein zu großes Hindernis und würden Connor auch jetzt im Weg stehen. Es würde sich für IHN nichts ändern. Alex, sieh mich nicht so an. Du weißt, dass ich dich liebe. Um nichts in der Welt würde ich dich wieder gehen lassen wollen.“ (Ziios Worte, als sie Haytham wegschickte sind nachzulesen in „Forsaken“ von Oliver Bowden!)
Implizierten seine Worte aber nicht genau diesen Wunsch mit ihr immer noch vereint sein zu können? Der einzige Grund warum es nicht dazu kam war, dass ihrer beider Welten zu weit auseinander drifteten. Aber sein Wunsch war ja da, oder nicht?
„Herr Gott, Alex. Ich kann dich lesen!“ genervt stand er jetzt vor mir und hatte meine Oberarme gegriffen. „Sei doch ehrlich mit dir selber! Marius oder … mein Vater! Du könntest dir doch ebenso ein gemeinsames Leben vorstellen oder hast es dir vielleicht auch gewünscht. Aber das heißt doch nicht, dass WIR nicht mehr diese Einheit sein können, oder? Ohne dich würde mir etwas fehlen.“
Sein Gesicht verschwamm vor mir aufgrund der aufsteigenden Tränen!
Ich wollte diesen Mann!
Ich habe mein altes Leben für Haytham hinter mir gelassen um bei ihm sein zu können.
Edward war wie ein wunderschöner Traum, der in meinem Hinterkopf herumspukt, genauso wie die Erinnerungen an Marius. Lebten wir nicht alle mit solchen Emotionen?
Aber ich musste es loswerden!
„Es tut weh und stachelt meine Eifersucht an.“ nuschelte ich und spürte die Röte in meine Wangen steigen.
Plötzlich kam mir meine Aussage, dass wir noch einmal zu diesen Maya-Ruinen gehen sollten, ebenso unangebracht vor. Mir wurde klar, dass ich wirklich den Moment mit Edward vor mir gesehen hatte nachdem wir über den Wasserfall entkommen waren. Auch Haytham hatte allen Grund eifersüchtig zu sein!
Mit dieser Erkenntnis schlang ich meine Arme um meinen Mann, stammelte immer nur wieder ein „Entschuldigung“ und „Ich liebe dich“ an seine Brust.
„Auch mir tut es leid, dass ich dir diese Angst gemacht habe, mi sol. Lass unsere Vergangenheiten ruhen und uns auf die Zukunft berufen.“ bei diesen Worten klang ein leises Seufzen mit, also war auch er erleichtert, dieses Thema – vorerst – ad Akta legen zu können.
Außerdem gab es wichtigeres zu besprechen und siedendheiß fiel mir wieder der Schmuggel und die hier heimlich versteckten Sklaven wieder ein.
„Ich treffe mich mit Charles und Hickey in Richmond in unserem Büro. Jetzt wo du wieder auf den Beinen bist, werde ich morgen abreisen und alles klären. So hoffe ich doch.“ in seinen Augen sah ich, dass er nicht überzeugt von seiner Aussage war. Es gab wohl in letzter Zeit immer häufiger sogenannter Missverständnisse unter den Ordensmitgliedern, welche Haytham damals vereint hatte.
Benjamin Church gehörte zum Beispiel dazu und machte seiner Arroganz alle Ehre. Auch er unterschlug Hab und Gut anderer um sich zu bereichern. Anscheinend verdiente der feine Herr wohl doch nicht genug als Schlächter, verzeiht, Chirurg! Die Kontinental-Armee war nicht dafür bekannt regelmäßig den Sold zahlen zu können, wenn ich es recht in Erinnerung habe.
Die britische Armee litt unter dem gleichen Debakel. Wo ich dann auch beim Thema John André wäre.
Mein Wissen über den Herren teilte ich mit meinem Mann so gut es eben ging. Nicht alles war mir bis ins kleinste Detail bekannt, leider, aber ich hoffte, wir könnten ihm so ein wenig aus dem Weg gehen. Er stand hinter seiner Berufung als Mitglied der britischen Armee.
„Wäre es aber nicht eher für uns von Vorteil, wenn wir jemand so spezielles in unseren Reihen hätten?“ spekulierte mein Templer laut vor sich hin.
„Nein, nicht wirklich. Denk an unseren eigenen Handel welcher teilweise unter der Hand stattfindet. Wenn man uns auf die Schliche kommt, sind wir dran und ich möchte ungern die Plantage an die Briten abgeben müssen. Es wird schon schwer genug werden, sie gegen die Kontinental-Armee zu verteidigen, wenn der Krieg erst hier vor der Tür steht.“ dabei schüttelte es mich. Wie viele historische Filme hatte ich gesehen, wo genau DAS passiert war?
„Wo wir bei einem anderen Thema wären, mi sol. Die Ausbildung von Edward! Er sollte ein intensiveres Training bekommen und auf seine Position in unseren Reihen vorbereitete werden.“ eine logische Schlussfolgerung aus den ganzen neuen Erkenntnissen und Nachrichten. „Spätestens nächstes Jahr würde ich es gerne sehen, wenn er mit seinem richtigen Schwert beginnt zu üben. Du solltest ihn in die Lehre der Assassinen einweisen. Und ich werde Connor diesbezüglich auch mit einbeziehen, er wird ihm sicherlich auch noch nützliche Techniken zeigen können.“ das mein Gatte nicht förmlich vor Stolz explodierte, war eigentlich alles.
Würde er bei Florence genauso euphorisch an ihre Ausbildung gehen? Ein leiser Zweifel beschlich mich in diesem Moment.
Das Silvesterfest verbrachte ich mit den Kindern bei Rory. Haytham hatte sich mit Charles und Thomas genau jetzt treffen müssen, murrte ich in mich hinein.
Es war seltsam ohne meinen Mann diesen Tag zu begehen, etwas fehlte einfach.
„Mama, Master Gillehand hat gesagt, ich darf bald mit meinem echten Schwert üben! Ist das wahr?“ Edward war mal wieder völlig aufgeregt und konnte seine Lautstärke nicht zügeln.
„Das stimmt, er hat nicht gelogen. Aber das sollte dir doch dein Vater alles erzählen.“ seufzte ich etwas entnervt, als ich unseren Gastgeber mit einem Blick am liebsten von seinem Sofa geschubst hätte.
„Verzeiht, Alexandra. Er hat keine Ruhe gegeben.“ entschuldigte sich Rory mit einem unschuldigen Lächeln auf den Lippen.
„Uiiiiii, ich freu mich schon so darauf.“ rief mein Sohn erneut und rannte zu den anderen drei Jungs, die ebenfalls mit ihren Eltern an diesem Abend anwesend waren.
„Übertreib es nicht, Edward!“ rief ich meinerseits noch hinterher, doch er wird es schon nicht mehr gehört haben.
„Euer Sohn hat fantastische Fortschritte gemacht, Alex, wirklich. Er ist viel ruhiger und besonnener geworden. Das haben mir auch … ANDERE … bestätigt.“ in seinen Augen sah ich, er sprach über unsere Götter. Ob ich nun beruhigter sein sollte, weil Thor sein Pate war bezweifelte ich immer noch.
Eigentlich hatten wir geplant am 2. Januar wieder abzureisen. Ein Schneesturm verhinderte unser Vorhaben aber leider, also blieben wir noch etwas zu Gast bei unserem Advokaten.
In den Abendstunden lernte ich jetzt auch seinen Lebensgefährten etwas kennen und war erstaunt wie selbstsicher die beiden als Paar waren. Wenn ich jetzt sage, es war herzerwärmend wie sie beide auf dem Sofa Händchen haltend saßen, klingt es ziemlich kitschig. Aber sie waren ein wirklich schönes Paar.
In alltäglichen Situationen oder dem normalen Tagesablauf gab es keine Zärtlichkeiten, Anzüglichkeiten oder ähnliches. Niemand sollte einen Verdacht schöpfen.
Der 5. Januar bescherte einen klaren blauen Himmel mit einer strahlenden Sonne. Unser Weg war, soweit man das von hier beurteilen konnte, frei und wir verabschiedeten uns von Rory.
„Ich wollte euch noch sagen, dass auch Florence einen großen Sprung in ihrer Entwicklung gemacht hat. Sie hat ein Händchen für Kräuter und, wie ich erfreut festgestellt habe, die Gerechtigkeit. Wenn es an der Zeit ist, nehme ich sie gerne unter meine Fittiche.“ der Advokat sah mich lächelnd an, so als hätte er meine Gedanken bezüglich Haytham und Florences Ausbildung gelesen. Bei Odin, natürlich hatte er das! „Auch jetzt, Alex.“ grinste er breit und ich bestieg kopfschüttelnd unsere Kutsche.
„Dieses offene Buch werde ich wohl zu Lebzeiten nie schließen können.“ lachte ich, als wir losfuhren und wir alle noch einmal zurück winkten.
Nach einer halben Ewigkeit kamen wir zuhause an und wurden von einer besorgten Miss Tabea erwartet.
„Mistress Kenway, endlich seid ihr wieder hier!“ rief sie uns entgegen, kaum dass wir ausgestiegen waren.
„Was ist passiert. Um Himmels Willen, ihr seht aus, als hätte euch ein Geist heimgesucht!“ mir wurde ganz anders, als ich mir die Haushälterin genauer ansah. Blass, schweißnasses Gesicht und sie zitterte am ganzen Körper.
„Sie haben die Sklaven erhängt!“ platzte es aus ihr heraus.
„Langsam, wer hat das getan und wann? Tabea, beruhigt euch erst einmal.“ sie lag weinend an meiner Brust.
Die Diener, Mägde, Angestellte und so weiter versammelten sich jetzt alle hier auf dem Hof. Ihnen allen war der Schock noch ins Gesicht geschrieben.
Zitternd deutete unsere Haushälterin auf das kleine Waldstück hinter dem Pferdestall und begann laut zu weinen!
„Magda, Sophia, kümmert euch um die Kinder.“ bat ich, als ich mich schon in Bewegung setzte.
In meinem Kopf hatte ich die Bilder von den Hinrichtungen, welchen ich beigewohnt hatte, im Kopf und hoffte, es würde nicht so schlimm werden.
Doch schon kurz darauf, sah ich sie an den Ästen eines kräftigen alten Baumes hängen! 10 Menschen hingen dort. Steif gefroren und mit Rupfensäcken über den Köpfen!
Als ich näher kam, begann ich zu zittern! Nicht aus Angst, nein! Ich weinte, weil dieser Anblick einfach zu viel für mich war.
„Mistress Kenway, wir konnten sie nicht aufhalten. Vor drei Nächten kamen sie hierher und holten sich diese armen Seelen.“ Mr Mackenzie war neben erschienen, selbst er war zu erschüttert um deutlich zu sprechen.
„WER WAR DAS?“ rief ich in meiner Wut und Trauer!
„Britische Soldaten, Mistress Kenway! Im Namen König Georges haben sie unsere Lager durchsucht und einiges an sich genommen. Alles sei rechtens, sagten sie. Als sie auf die Sklaven aufmerksam wurden in einer der Scheunen wollte man euch eine Lektion erteilen. Menschenhandel sei strafbar, sagten sie.“ Bitte was? Gerade die Briten hielten doch Sklaven!
„Habt ihr Namen?“ mittlerweile war meine Stimme kaum noch zu hören, weil es mich schier zu sehr anstrengte zu sprechen.
„Nein, sie haben nichts weiter gesagt.“ hörte ich ihn entschuldigend sagen. „Wir waren alle froh, nicht selber dort zu …“ er schluckte die letzten Worte herunter und ich war ihm dafür dankbar.
„Wir müssen sie dort herunter holen und ordentlich bestatten.“ langsam kehrte mein Verstand wieder zurück und ich sah etwas klarer.
„Das dürfen wir nicht, es ist ein Warnung, haben sie gesagt.“ unser Stallmeister sah ängstlich zum Baum, dann wieder zu mir.
„Wisst ihr was? Das ist mir gerade sowas von egal! Diese Menschen brauchen ein Begräbnis und ich übernehme die volle Verantwortung dafür.“ bei diesen Worten ballten sich meine Fäuste links und rechts an meiner Hüfte. Fahr jetzt bloß nicht aus der Haut, Alex. Sprach ich zu mir selber.
„Wie ihr wünscht, Mistress Kenway.“ und schon rief er nach einigen Männern, die ihm helfen sollten.
Ich selber blieb hier stehen, bis auch der letzte Körper am Boden war.
Mittlerweile hatte es wieder zu schneien begonnen und die Kälte kroch unter meine Röcke. Doch es war mir egal!
Auf meinem Grund und Boden sollte sich so etwas nicht noch einmal ereignen!
„Ihr da!“ rief ich einem Diener zu, welcher sich sputete zu mir zu kommen. „Reitet SOFORT zu Master Kenway nach Richmond und berichtet ihm von dem Vorfall hier!“ befahl ich und sah in ein fragendes Gesicht. „Habe ich mich nicht klar ausgedrückt, oder habe ich chinesisch gesprochen?“ pöbelte ich dieses Milchgesicht an.
„Nein, nein… Mistress Kenway. Ich … werde mich sofort auf den Weg machen.“ stotternd, sich hektisch verneigend und hastig in Richtung Stall eilend verschwand er aus meinem Sichtfeld.
„Mistress Kenway, wir waren machtlos.“ jetzt war eine unserer Wachen an mich herangetreten.
„Das waren unschuldige Personen, die einfach von diesem Arschloch Hickey hier versteckt gehalten wurden. Und ihr habt seelenruhig zugesehen, wie man sie aufgeknüpft hat?“ der Zorn in mir ließ meine Stimme schrill klingen.
„Was hätten wir tun sollen? Sie hätten die Plantage niedergebrannt!“ sein Ton war ungehalten in diesem Moment.
„Wir hätten sie wieder aufgebaut…“ fauchte ich, doch im selben Moment wusste ich, dass das nicht so einfach sein würde. „Es ist an der Zeit, dass wir überall mehr Schutz haben sollten!“ nur die Frage nach dem wie wir das anstellen sollten stellte sich. Ich konnte sie nicht alle beschützen! Ich musste Prioritäten setzen.
Und jetzt schoss dieses schlechte Gewissen hoch. Es übermannte mich und meinen Verstand schier. Ich fühlte eine beruhigende Hand auf meinem Arm.
„Ihr könnt nicht jedem Einzelnen helfen. Seht das Große und Ganze, was man im kleinen Rahmen erreicht. Seht euch doch um. Diese Plantage setzt ein Zeichen GEGEN Sklaverei!“
Dieser Satz ließ mich wütend werden. Warum hatten die Briten dann diese Menschen dort gehängt?
„Die Armee wusste nicht, dass es nicht unsere Sklaven sind und dachten wir wollten sie ungesehen … Bei Odin!“ mein Hass auf Lee und Hickey stieg erneut und es gäbe bald keine messbare Skala mehr, dass kann ich versichern!
Die Gräber waren ausgehoben, die Toten wurden bestattet und Mr Hathaway, welchen wir noch hierher zitiert hatten, sprach ein paar Worte und Gebete.
Nicht alle unserer Pächter und deren Bauern hatten die Geschehnisse mitbekommen. Das hieß im Umkehrschluss, dass die britischen Soldaten gezielt hierher gekommen sind. Sie hatten einen Hinweis bekommen.
Wollte jemand Thomas schaden oder uns? WER war dieser Informant?
Wir hatten nicht nur Freunde in unserem Umfeld, das war mir bewusst. Aber ich begann mir den Kopf zu zermartern wer ein berechtigtes Interesse haben könnte, uns zu vernichten.
Connor und seine neue Bruderschaft würden uns nicht verpfeifen, dafür lege ich meine Hand ins Feuer.
Auch wären Church und Konsorten nicht daran interessiert, sie würden sich selber schaden.
Hatte mir mein Mann irgendwelche Informationen vorenthalten und wusste mehr als ich?
„Verzeiht, aber ich werde mich jetzt zurückziehen. Meine Kinder brauchen mich sicherlich auch.“ nuschelte ich leise und verabschiedete mich nach dieser improvisierten Trauerfeier. Die Gräber sahen unheimlich im aufgehenden Mondschein aus, dachte ich, als ich mich noch einmal umsah.
Im Haus erwartete man mich bereits.
Florence und Edward waren im Wintergarten und spielten gemeinsam. Oder besser gesagt, meine Tochter erklärte ihrem Bruder, wie man Kräuter von gut und schlecht unterschied.
„Das darfst du nicht essen, dann wird dir ganz elend und du brauchst widerliche Medizin!“ sagte sie gerade, als ich eintrat.
Edward war als erster bei mir.
„Wenn ich irgendwann alt genug bin, dann werde ich diesen Soldaten in den Arsch treten!“ in seiner Stimme klang eine Entschlossenheit mit, dass ich wusste, er würde genauso später handeln. Ihn prägten diese Ereignisse, sie würden ihn sein Leben lang begleiten.
Und genau das tat mir in der Seele weh. Wir konnten unsere Kinder nicht vor solchen Dingen bewahren, sie würden nur daraus lernen!
„Das wirst du, min lille skat! Ganz bestimmt.“ flüsterte ich, während ich mich auf das Sofa vor dem Kamin sinken ließ.
Ungefähr eine Woche später war mein Mann wieder daheim und war verständlicherweise aufgebracht und wütend.
Er sprang von Brida, eilte in sein Arbeitszimmer, donnerte die Tür zu und ward nicht mehr gesehen für 3 Stunden.
Wohl wissend, ließen wir ihn in Ruhe.
Die Gespräche mit Charles und Hickey waren ihm an die Nieren gegangen, ebenso, so vermutete ich einfach, die Nachricht von den Vorkommnissen hier während unserer Abwesenheit.
Am Abend begab sich mein Mann hinauf in unser Schlafzimmer, ließ sich von Michael neu einkleiden und erschien zum Essen im Wintergarten.
„Verzeiht, aber ich hatte einiges an … Korrespondenz welche erledigt werden musste.“ entschuldigte er sich und begann auf seinem Teller herumzustochern.
Edward entging seine Laune keinesfalls.
„Vater, was wirst du jetzt gegen diese Rotröcke machen?“ seine Stimme klang etwas ängstlich.
„Das wird die Zeit zeigen, mein Sohn. Erst einmal sollten wir deine Ausbildung im Auge behalten!“
Ihr könnt euch meinen erstaunten Gesichtsausdruck vielleicht vorstellen! War nicht die Rede von … Nun, Haytham hatte von dem nächsten Jahr gesprochen. Er hatte kein Alter unseres Sohnes erwähnt! Clever! Zähneknirschend saß ich da und sah ihnen zu, wie sie sich über die Ausbildung unterhielten.
Als Haytham und ich dann endlich etwas Zeit alleine hatten, saßen wir vor dem angefeuerten Kamin in unserem Schlafzimmer auf der Chaiselounge und genossen diesen Frieden.
„Thomas wird nicht mehr seine … Waren … auf unserer Plantage lagern, mi sol. Ich habe ihm ins Gewissen geredet, glaub mir. Als dann der Bote mit deiner Nachricht kam, war für ihn ohnehin klar, dass er kaum noch eine Chance hatte unentdeckt seinen Handel weiter voranzutreiben. Auch wenn ich bezweifle, dass seine Entschuldigung von Herzen kam, glaube ich, dass er eine Lektion gelernt hat.“ dabei sah er gedankenverloren in sein Whiskyglas.
„Nein, er wird andere Wege finden und er wird sich mit der Geldfälscherei weiter auseinandersetzen. Das ist derzeit auch ein sehr lukratives Geschäft, mi amor.“ gab ich zu bedenken. „New York ist eine perfekte Lokation dafür, oder Philadelphia. Von Boston einmal ganz abgesehen. Es gibt ja auch noch mehr Städte…“ sprach ich meine Gedanken aus.
„DAS ist mir bewusst, aber ich werde ihn wohl kaum diesbezüglich maßregeln können. Im Grunde bringt er Geld für uns und ja, auch für sich!“
Wir wussten, dass es immer wieder Geldquellen gab, die nicht ganz koscher waren. Jeder versuchte sich über Wasser halten zu können. Trotzdem mochte ich Thomas einfach nicht, genau wie Charles.
Die nächsten Tage begann mein Mann mit Edward ein intensiveres Training. Man ließ mich nicht daran teilhaben, was mich ehrlich gesagt, wütend machte. Ich fand es unfair. Doch es waren Haytham und seine Prinzipien. Mehr muss ich vermutlich nicht sagen.
Also widmete ich mich meiner eigenen Geschäfte und vor allem unserer Tochter etwas mehr.
Sie hatte wirklich eine sehr besonnene Art entwickelt, welche einen ruhiger werden ließ. Dafür dass sie gerade einmal 6 Jahre alt war, war das schon erstaunlich.
Doch ab und an durchbrach ihre Patin diesen, ich nenne es einfach mal, Wohlfühlmoment, indem sie Florence auf ihre Bestimmung vorbereitete.
Es kam immer öfter vor, dass ich daran teilhaben durfte und war fasziniert von dieser Art der Begleitung der Walküren. Gespürt hatte ich diese Macht ja schon des öfteren und war ihnen auch dankbar dafür.
Umgekehrt war es unheimlich und traurig zugleich, weil sie eine Art Sterbebegleitung waren.
„Wir helfen nur denen, die auch wirklich am Ende ihres Lebens stehen.“ hörte ich Brünhild wie aus weiter Ferne, als wir gemeinsam einen alten Gentleman begleiteten.
Irgendwann Ende Februar saß ich im Salon vor dem Kamin und hatte ein Buch aufgeschlagen auf meinen Knien liegen. Seit Stunden versuchte ich darin zu lesen, aber immer wieder glitt ich in Gedanken zu Mädchennamen. Wie sollte unser drittes Kind heißen? Traditionell wie Edward oder Florence? Oder sollte es etwas exotischer sein?
Vielleicht sollte ich doch einmal die Namen meiner Großmutter oder meiner Mutter einfließen lassen. Immer noch glaubte ich, dass es ein Mädchen wird.
Sollten nicht auch namentlich die Wurzeln meiner Herkunft in unserer Familie auftauchen? Nun gut, Yannick hatte einfach meine Bauchentscheidung bekommen. Aber das war etwas anderes.
Frieda, Frederike, Elisabeth, Minna, Jutta, Hermine … Magdas Vorliebe für Johanna ging mir durch den Kopf.
Johanna Frederike! Deutsch!
Ich wollte meine Nationalität mit einbringen und jetzt hatte ich die Gelegenheit.
Beflügelt von diesem Einfall ging ich zu Haytham, welcher in seinem Arbeitszimmer saß und gerade Besuch hatte.
„Verzeih, ich wusste nicht, dass du einen Besucher hast.“ entschuldigte ich mich leise und ging wieder hinaus. Konnte er mir nicht sagen, dass noch Termine anstanden?
Den Herrn kannte ich übrigens noch gar nicht und ich hatte auch nicht daran gedacht nachzufragen. Man würde mir sicherlich dann später davon berichten.
Beim Abendessen verkündete ich meiner Familie den Namen für unser Baby.
„Der ist aber lang, Mama. Und was ist, wenn wir doch einen Bruder bekommen?“ fragte Florence grinsend nach.
„Dann überlegen wir uns schnell etwas anderes, min lille engel.“ im Grunde war ich mir sicher, es wird ein Mädchen. Man hat das einfach im Gespür.
„Meine kleinen Schwestern heißen Flo und Jo.“ kicherte Edward und hätte sich beinahe am Kohleintopf verschluckt.
„Edward, wir benutzen immer den ganzen Namen. Wie oft soll ich es dir noch erklären?“ hörte ich da etwas zorniges raus?
„Du hast dich noch nicht geäußert, mi amor.“ erwartungsvoll sah ich ihn an.
„Das kommt jetzt etwas unerwartet, mi sol. Lass uns später darüber reden.“ damit aß er unbeeindruckt weiter.
Irgendetwas beschäftigte ihn, ich sah es an seinem angespannten Gesichtsausdruck und dieser leichten Abwesenheit in seinem Blick.
„Vater, wann werden wir morgen trainieren? Ich muss nämlich nicht so lange zur Schule. Mr Hathaway unterrichtet gerade alleine, weil seine Frau krank ist.“ kauend sah auch er fragend zu seinem Vater.
„Warum fragst du dann? Wir werden am Nachmittag eine Einheit einlegen.“ wieder diese komische Art in seiner Stimme.
Unser Sohn sah mich fragend an, aber ich schüttelte nur leicht den Kopf. Er solle seinen Vater einfach in Ruhe lassen.
Die Kinder waren im Bett und endlich konnte ich mir Haytham zur Brust nehmen. Mittlerweile brodelte eine leicht Wut auf sein Verhalten in mir.
Bevor ich jedoch aus der Haut fahren konnte, atmete ich einige Male tief durch und versuchte mein Gemüt zu besänftigen. Langsam wurde ich ruhiger und ging in Richtung Arbeitszimmer.
„Verschwindet und kommt mir nie wieder unter die Augen! Ich warne euch ein letztes Mal, Theodor!“ hörte ich meinen Mann rufen, als auch schon die Tür aufflog und ein Herr hastig unser Haus verließ. WER war Theodor? Ich erinnerte mich, dass es der Besucher von vorhin war. Hatte er die ganze Zeit hier gewartet? Ich verstand gerade gar nichts mehr und hatte Bedenken meinen Mann jetzt auch noch zu belagern.
Mit hochrotem Kopf stand er an der Eingangstür und starrte dem Mann nach.
Vorsichtig schritt ich hinter ihn und wollte gerade meine Arme um ihn schlingen, als er sich abrupt umdrehte und mich fast mit dem Ellbogen k.o. geschlagen hätte.
„Entschuldige, Alex!“ er schob mich von sich und ging wieder in sein Zimmer.
Aus meiner mittlerweile jahrelangen Erfahrung mit ihm und seinen Launen ließ ich ihn, erneut, alleine und ging in mein eigenes Studierzimmer.
Leider konnte ich mich so gar nicht auf etwas konzentrieren oder den Fokus lenken.
Aber ich hatte einige Anfragen wegen neuer Waren für die Kolonien und eben für Übersee. Es galt die neuen Stoffe wie zb Seide mit einzubinden.
Wir hatten einen Handelspartner an der Küste Chinas, welcher uns von Mr André empfohlen worden war.
Mir fiel sein Brief wieder ein, welcher schon eine Weile zurücklag. Ob ich John wirklich im Auge werde behalten können, bezweifelte ich. Wenn ich richtig lag, war er meist in Philadelphia oder New York. Aber ich könnte mit Elias eine Vereinbarung treffen.
Doch das war alles noch zu verfrüht und ich beschloss auch Haytham nur das nötigste über den zukünftigen Major John André zu berichten.
Weiter mit meinen Handelsrouten, ich wollte ja nicht dass es einer an Waren mangelt.
Die Eigentümerin des Bordells in New York hatte angefragt, wann sie wieder mit neuen Damen rechnen könne.
Nun, das gestaltete sich gerade jetzt etwas schwierig. Ich hatte Angst, dass man das ebenfalls entdeckt und mich abmahnt. In meiner Liste war aber noch ein Schiff welches im Moment in Richtung der Kolonien unterwegs sein sollte. 14 Tage würde es noch brauchen, wenn die Witterung sich nicht verschlechterte.
Ich schrieb ihr eine kurze Notiz und legte sie zu den anderen, die am nächsten Tag mit dem Boten verschickt werden sollten.
Die Arbeit hatte mich doch tatsächlich etwas beruhigt.
Die Kerzen waren schnell gelöscht, das Feuer dämmte ich ein und ging noch einmal nach den Kindern sehen. Beide schliefen tief und fest und bekamen von meinem Kuss gar nichts mit.
In unserem Schlafzimmer feuerte ich den Kamin etwas an und Magda half mir beim Entkleiden.
„Wie findet ihr den Namen Johanna Frederike?“ fragte ich sie, weil sie mir sicherlich auch eine ehrliche Antwort geben wird.
„Er ist wirklich sehr schön. Ihr wisst ja, Johanna ist mein Favorit.“ lachte sie und bürstete versonnen durch meine Haare. „Ich kann es kaum erwarten, auch ein Mädchen zu bekommen.“
„Ich drücke euch beide Daumen, dass es dieses mal klappt. Meine Großmutter hat einmal zu mir gesagt, man muss nur fest genug daran glauben!“
Ich lag noch nicht ganz im Bett, als mein Mann eintrat und wortlos ins Ankleidezimmer ging. Michael folgte ihm zögerlich, weil auch er vermutlich verunsichert war von dieser Laune.
Hin und wieder meckerte Haytham über die Unfähigkeit seines Kammerdieners, dann wieder lobte er seine Arbeit.
Als auch er im Bett lag, gab er mir einen Kuss und wünschte eine gute Nacht.
Jetzt reichte es mir und es platzte aus mir heraus!
„Sag mal was ist eigentlich mit dir los? Rede endlich mit mir!“ befahl ich ihm und drehte ihn zu mir um.
„Ich hatte einen anstrengenden Tag, falls du es nicht bemerkt haben solltest.“ belehrte mich Haytham und wandte sich von mir ab.
„Das ist mir nicht entgangen, aber ich würde gerne wissen, welche Laus dir über die Leber gelaufen ist. Du bist abweisend zu uns allen, pöbelst alles und jeden an. Schlechte Laune hin oder her! Sag was los ist!“ ich ließ nicht locker, nicht dieses mal!
„Der Komplize des Verrats ist vorhin an dir vorbei aus unserem Haus gegangen, mi sol. Und soll ich dir sagen, wer all diese Dinge über Hickeys Schmuggel verbreitet hat?“ jetzt saß er aufrecht neben mir und selbst in dieser Dunkelheit sah ich seine Augen glühen.
„Woher soll ich das wissen, sag es mir ENDLICH!“ ich hätte ihn so gerne geschüttelt.
„Die Witwe Donovan! Oder besser bekannt als Amber Hutchinson!“ für einen kurzen Moment fühlte ich förmlich ein Rattern in meinem Gehirn.
Dieses Weibsstück sollte doch in ihrer Heimat sein und ein elendiges Dasein fristen. So meine Vorstellung und wenn ich ehrlich sein darf auch Hoffnung!
Stattdessen hatte sie sich wieder gefangen, die Röcke glattgestrichen und hat sich dem nächstbesten besser gestellten Herren an den Hals geworfen. In diesem Falle ist es ein Geschäftsmann aus dem nördlichen England, genaue Herkunft war meinem Templer nicht bekannt. Er hatte sowohl in der britischen Armee wie auch in einigen Truppen der Milizen Gönner, welche ihm Informationen anboten, die er gewinnbringend an den höchst bietenden Interessenten weitergab.
Ein Geschäftsmann also? Nannte man seit neuestem Verräter so? Mir kräuselten sich die Nackenhaaren bei dem Gedanken!
„Die Eheleute, sie heißt jetzt Amber Nicholls! Oder sollte ich sagen Mrs Aidan Nicholls? So der Name ihres Gatten für den Moment.“ genervt warf er die Laken von sich und stand wieder auf.
„Die beiden haben sich in kürzester Zeit ein kleines aber feines Netzwerk aus Spitzeln aufgebaut. In jedwedem Bereich haben sie jemanden, der sie mit interessanten Neuigkeiten versorgt.“ plötzlich drehte er sich zu mir um. „Alex, weißt du was das bedeutet?“
Ich ahnte es, aber wollte ich wirklich mit dieser Person noch Kontakt haben, nachdem sie mich unter anderem versucht hatte in der Öffentlichkeit zu verunglimpfen? Sie würde keine Gelegenheit auslassen es wieder zu tun und ich befürchtete, Amber würde auch vor sehr drastischen Unwahrheiten keinen Halt mehr machen. Profit zählte, egal wie er zustande kam.
Auf meine Zweifel reagierte Haytham jedoch nicht wie erhofft zustimmend.
„Verstehst du nicht, dass es wichtig ist, auch völlig unabhängige Informationen zu bekommen? Wir müssen auch aus England wissen, was uns erwartet. Das wäre fast aus erster Hand.“
Verwirrt saß ich jetzt im Bett und starrte auf meine Bettdecke.
Gerade noch war er furchtbar wütend über diese Frau! Millisekunden später pries er ihre ach so großartigen Verbindungen an!
Also hieß es erneut eine absolut verhasste Person in mein näheres Umfeld zu lassen, um Informationen generieren zu können.
Laut Haythams Nachrichten war Amber aber nicht hier in Amerika, sondern residierte mit ihrem frisch gebackenen Ehemann irgendwo im königlichen England. Wo genau, war nicht ganz klar.
Für mich natürlich ein kleiner Pluspunkt! So musste ich mich nicht direkt mir auseinandersetzen. In meinem Haus wollte ich diese Person schon mal gar nicht haben!
„Also werden wir nur schriftlich mit dieser … diesem Individuum kommunizieren?“ hakte ich unschuldig nach, wohl wissend, dass mein Mann meine Abneigung kannte!
„Vorerst, Alex! Aber Master Nicholls wird im August in New York erwartet. Ich werde mich mit den anderen dann dort mit ihm treffen.“ meinen Blick konnte er weiß Odin nicht ignorieren! „Mrs Nicholls ist nicht auf der Passagierliste! Ich habe mich erkundigt!“ Augen rollend sah er mich an.
„Entschuldige dass ich etwas misstrauisch bin, Haytham!“ fuhr ich ihn an. Meiner Meinung nach berechtigt!
In mir tobte eine Wut darüber, dass die Schwangerschaft genau dann ihren Höhepunkt hatte. Er wäre dann nicht hier, sondern bei Amber! Auch wenn er mir versicherte, dass sie nicht an Bord sein wird.
„Du weißt schon, dass ich in deinen Gedanken lesen kann, vor allem wenn du mir so offen in die Augen siehst?“ er versteckte seine Belustigung nicht einmal.
Langsam brach der Frühling auf unserer Plantage an und mein Gemüt war nicht mehr so trübe und verhangen. Ich atmete tief durch, wenn ich morgens auf den Balkon am Schlafzimmer trat um alle neuen Gerüche wahr nehmen zu können. Dieses Gefühl von Ruhe legte sich über mich, jedes mal wenn ich hier so stand.
„Mi sol, ich bin so froh darüber, dich wieder ohne dieses Pfeifen atmen zu hören.“ er hatte seine Arme von hinten um mich gelegt und sein Kinn ruhte auf meinem Kopf.
„Es fühlt sich auch besser an und ich hoffe, dass ich nie wieder so eine Entzündung bekommen werden.“ in einer ruhigen Minute hatte ich Haytham von möglichen Folgen gerade in dieser Zeit berichtet, damit er meine Sorge wirklich verstand. Auch hoffte ich, dass die Kinder nie von ähnlichen Krankheiten befallen werden.
„Ich komme nur ungern auf ein ganz anderes Thema, aber wir sollten über Florences Schulbesuch sprechen.“ seufzte Haytham und küsste meine Wange.
Es gab schon einige Momente in welchen ich genau darüber auch schon nachgedacht hatte und war froh, dass er ebenso an die Bildung seiner Tochter dachte.
„Soll ich eine Nachricht an Mr Hathaway schicken, damit wir uns mit ihm beraten können?“ fragte ich nach, während ich ins Ankleidezimmer ging und mein Gesicht wusch.
„Je früher desto besser.“ schwupps war seine Laune auf dem Höchstpunkt.
Grinsend saß ich jetzt vor der Kommode und Magda begann meine Haare zu kämmen.
„Master Kenway ist ja bester Laune heute morgen.“ flüsterte sie an mein Ohr.
„Wenn es um die Ausbildung seiner Kinder geht immer.“ sprach ich leise und kicherte ein wenig vor mich hin. Diese Art von ihm ließ mein Herz aufgehen, weil sie so liebevoll war und er nicht den strengen Vater markierte.
Beim Frühstück verkündeten wir unserer Tochter, dass auch sie jetzt bald unterrichtet werden sollte.
Mit großen Augen sah sie uns an, sagte aber keinen Ton.
„Flo! Das ist doch fantastisch! Dann können wir gemeinsam zum Versammlungshaus gehen und ich zeige dir auf dem Weg, was es noch so alles an Kräutern für dich gibt. Wir haben auch ein Mädchen bei uns, dass immer alleine spielt…“ Edwards Stimme wurde plötzlich leise dabei.
„Lasst ihr sie nicht mit euch zusammen spielen?“ hakte Haytham etwas forscher nach.
„Nein, Vater. Weil … sie ist ein … Mädchen und …“ hochrot saß unser Sohn am Tisch und starrte sein Porridge an. Langsam wurde er in diese Gepflogenheiten des 18. Jahrhunderts geschoben und konnte sich schlecht dagegen wehren. „Wir haben keine Mädchen in unserer Gruppe.“ flüsterte er weiter und sah mich entschuldigend an. Er wusste sehr wohl, wie ich über dieses Verhalten dachte, wir hatten nicht nur einmal darüber gesprochen. Auch weil unser Sohn erste zaghafte Gefühle für eines dieser Mädchen zeigte. Penelope war immer noch in seinem Kopf und ab und an erwähnte er sie mit einem breiten Lächeln im Gesicht.
„Darüber werden ein anderes Mal sprechen, Edward.“ Haytham sah zu Florence, die immer noch keinen Ton gesagt hatte. „Mein Engel, freust du dich gar nicht, dass auch du bald zur Schule gehen kannst?“ diesen Ton hatte er nur bei ihr.
„Aber wenn ich etwas nicht kann, dann lachen alle…“ ihre Lippen zitterten bei diesen Worten.
Ihr Bruder kam uns zuvor und sah sie entgeistert an.
„Flo! DAS wird keiner machen. Und wenn doch dann werde ich ihm …“ als er seinen Fehler bemerkte, biss er sich auf die Zunge. Gewalt war keine Lösung!
Ihre Angst kreiste noch einige Tage über uns, ehe wir uns mit den Hathaways trafen um ihren Schulbesuch zu besprechen.
Immer wieder versuchte auch ich sie zu beruhigen, dass niemand sie auslachen wird. Leider war ich mir nicht sicher, ob meine eigenen Worte der Wahrheit entsprachen.
Plötzlich kam mir der Gedanke, einfach einen Morgen in Edwards Geist zu schlüpfen und mir den Unterricht anzusehen. Aber unser Sohn könnte es auch falsch auffassen, sollte er mich spüren. Ihn wollte ich ja nicht überwachen, sondern wissen, wie es im Versammlungshaus so zuging.
Ich verwarf diese Idee, weil sie wirklich nicht gut war.
Mit den Eheleuten zogen wir uns in Haythams Arbeitszimmer an diesem Mittwoch Ende März zurück und besprachen, ob es schon sinnvoll wäre, Florence in die Schule zu schicken.
Nach ein paar schüchternen Leseversuchen, fehlgeschlagenen Mathematik Aufgaben und einem überraschenden Wissensschatz über Kräuter, Tees, Salben und so weiter, wurde uns allen bewusst, dass dieses Kind dringend mehr beigebracht bekommen sollte. Sie war, so sagte Mrs Hathaway, etwas unterfordert.
Ich sollte Mrs Müller für ihre fantastische Arbeit mit Florence danken!
Schon eine Woche später ging sie an der Hand von Edward gemeinsam zum Versammlungshaus. Ihre Wachen folgten selbstverständlich ungesehen in einem gewissen Abstand.
Schweren Herzens sah ich diesen beiden Gestalten auf der Veranda stehend nach und brach in Tränen aus, als sie außer Hörweite waren!
Dieses Bild war einfach unbeschreiblich!
„Mistress Kenway, was kann ich jetzt in der Zeit tun?“ fragte Sophia berechtigterweise nach.
„Nun, ich … wir werden sicherlich bald einen normalen Tagesablauf haben. Ihr werdet auch in Abwesenheit von unserer Tochter beschäftigt sein.“ war das so?
Mir kam Sybill zur Hilfe, die sie an die Seite nahm und mit ihr im Garten verschwand.
Immer noch versuchte ich meine Gefühle unter Kontrolle zu bringen, was aber nicht so wirklich funktionierte.
Ich ging ins Haus und hinauf in mein Arbeitszimmer. Dort stand ich eine Weile unschlüssig vor der stählernen Truhe, ehe ich sie beherzt öffnete und mir die kleine Schachtel mit Bildern von Yannick herausholte.
Dieses eine Bild seiner Einschulung wollte ich sehen! Ich hoffte, es würde mich auf andere Gedanken bringen, mich beruhigen. Weit gefehlt!
Die Erinnerungen brachen durch, ich begann wieder alles zu hinterfragen!
„Mi sol! Sei versichert, Yannick meistert sein Leben jetzt mit seiner eigenen Familie und du bist immer an seiner Seite.“ hörte ich die flüsternde Stimme Haythams neben mir, als er sich zu mir setzte.
„Dieses scheiß Gefühlschaos während der Schwangerschaften habe ich so gehasst und jedes mal trifft es mich wieder!“ jammerte ich, weil ich wusste, dass es völlig irrational war, was ich gerade fühlte.
„Die Kinder werden größer und wir müssen beide damit leben. Wenn ich mir Edward ansehe, dann ist es erschreckend, dass er ein Schwert führen und sich verteidigen kann. Alex, sieh mich an, ich sehe dich noch im Türrahmen lehnen, als die Wehen eingesetzt haben. Auch für mich ist es kaum zu verstehen, wie schnell der Nachwuchs groß wird.“
Dieser Moment, als seine Arme sich um mich legte, der Geruch von Lavendel in meine Nase stieg, brachte mir einen kleinen Frieden und ich beruhigte mich etwas.
„Wir brauchen schon wieder ein neues Kindermädchen.“ schoss es mir in den Sinn, aber im selben Atemzug wusste ich, WER diesen Part übernehmen wird! Sybill!
Mein Templer und ich waren uns in diesem Moment ohne Worte einig und baten ein paar Stunden später Haythams ehemalige Haushälterin zu uns um ihr unseren Wunsch kundzutun.
Diese Frau saß vor uns und sah uns durchdringend an.
Minutenlang passierte nichts, sie sagte keinen Ton, ihre Gesichtszüge verrieten keine Gefühle oder Regungen.
„Genau dafür war ich immer noch hier. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich wieder meiner Bestimmung nachgehen kann.“ flüsterte sie leise und um sie herum erschien dieses goldene Leuchten, welches deutlich machte, dass die Kinder von höheren Mächten beschützt sein werden.
In diesem Moment fühlte ich eine tiefe Ruhe und Zufriedenheit in mir. War es das, was ich hören musste um unser drittes Kind entspannt austragen zu können? Wusste ich nicht schon vorher, dass Sybill doch eigentlich nur deswegen hier war?
Immer häufiger sahen wir und auch unsere Nachbarn Rotröcke auf den Plantagen, teilweise marschierten sie mit 30 Mann über unser Land.
Unsere Wachen hatten Anweisung, vorerst nur zu beobachten. Sollten die britischen Soldaten klauen oder die Pächter belästigen, war uns umgehend Bericht zu erstatten, so dass wir einschreiten können.
„Diese Männer sind recht unverfroren, wenn ich das so sagen darf. Eines der größeren Weizenfelder haben sie regelrecht niedergemäht, weil sie direkt hindurch auf die anderen Seite wollten. Eine Abkürzung nannten sie es grinsend.“ Mildred hatte immer mehr Angst um ihre Kinder und sich. Noch war es aber zu keinen Übergriffen gekommen.
Gnade ihnen Odin sollte mir das zu Ohren kommen!
„Alex, die Soldaten haben die Anweisung die Gegend zu erkunden und gegebenenfalls auch zu kartographieren. Es geht hier um geeignete Plätze für Kämpfe, kleinere Scharmützel oder eben um ihre Lager aufzuschlagen. Recht ist mir das auch nicht, aber wir können ihnen schlecht Hausverbot hier erteilen. Das würde für uns negativ ausfallen.“ Haytham hatte Recht, wir sollten so lange wie es ginge im Hintergrund agieren und nicht zu sehr auffallen.
Grinsend dachte ich an die Worte der Assassinen:
Halte dich in der Menge verborgen!
Wir waren dazu übergegangen die Kinder und einige ihrer Freunde morgens mit einem Karren zum Versammlungshaus zu bringen. So konnten wir alle sicherstellen, dass sie heile ankamen und wieder nach Hause zurückkehrten.
Florence hatte in den ersten Wochen ihres Schulbesuchs einige Probleme mit der Eingewöhnung. Sie war es gewohnt, einfach zu reden, wenn sie etwas wusste oder ihr etwas eingefallen war. Jetzt musste sie sich bremsen und das passte ihr nicht.
„Alle denken, dass ich dumm bin, wenn ich nicht sagen darf, dass ich das Ergebnis weiß!“ jammerte sie eines Abends am Esstisch.
Mittlerweile war Edward auch nicht mehr so erfreut seine kleine Schwester fast rund um die Uhr an seiner Seite zu haben.
Ich versuchte mein bestes beide bei Laune zu halten, damit keine größeren Streitereien zwischen ihnen entstanden.
Unser Sohn trainierte daher fast täglich nachmittags alleine mit seinem Vater, so dass Florence und ich Zeit miteinander verbringen konnten. Dieser Abstand war für beide, denke ich, notwendig.
Sie zeigte mir stolz ihre Fortschritte beim Schreiben und ich staunte nicht schlecht, dass sie die Rechenaufgaben zügig erledigen konnte. Sie arbeitete konzentrierter als ihr Bruder fiel mir zu meiner Erleichterung auf.
Langsam aber stetig baute auch Florence ihren Freundeskreis auf und hatte zwei andere Mädchen gefunden, die mit ihr nachmittags oft spielten. Ich freute mich für sie.
In einer warmen Nacht Ende Mai lag ich hellwach in unserem Bett und grübelte über allerlei Dinge nach. Sollte ich den Namen für unser Baby so lassen? Hatte ich an alles für sie gedacht? Was ist, wenn ich dieses mal doch Schwierigkeiten bei der Geburt hatte? Wie ging es eigentlich Yannick und seiner Familie? Wie gerne würde ich jetzt mit ihnen auf dem Balkon sitzen und die ersten warmen Sonnenstrahlen genießen.
Dieser Gedanke brachte mich zum Lächeln und ich seufzte leise.
„Mi sol, du denkst zu viel nach. Ich kann kaum schlafen bei diesem Wirrwarr in deinem Kopf.“ nuschelte mein Templer leicht genervt.
„Entschuldige, ich wusste nicht, dass ich dich daran teilhaben lasse.“ mit einem Kuss wünschte ich ihm süße Träume und drehte mich um.
Plötzlich tauchten Bilder in meinem Geist auf, welche nicht ICH hatte! Haytham hatte sich an mich geschmiegt und strich sanft über meinen Arm.
Wie magisch angezogen von seiner Fantasie ließ ich mich fallen! Seine Fähigkeit mich lesen zu können wie in einem offenen Buch nutzte er mal wieder aus und bescherte uns einen wunderbaren Höhepunkt.
Später lag ich völlig entspannt neben ihm und konnte endlich einschlafen. Es kann so einfach sein, nicht wahr?
Im Juli regnete es fast jeden Tag und die Temperaturen waren zudem unangenehm hoch. Diese Luftfeuchtigkeit trieb mich zusätzlich in den Wahnsinn.
War es nicht auch schon bei den anderen Schwangerschaften so gewesen? Sobald die letzte Phase einsetzte wurde ich ungnädig!
Florences Geburtstag wurde dennoch gebührend gefeiert. Ihre neuen Freundinnen waren ebenfalls dabei und hatten ihr zusammen mit den Eltern ein kleines Notizbuch gefertigt.
Auf dem Einband stand sogar ihr Name in kleinen gestanzten Buchstaben.
„Jetzt kannst du, immer wenn dir etwas einfällt, das sofort aufschreiben. Ich bin schon gespannt, wann wir endlich mehr über die Pflanzen hier lernen…“ die Mädchen gingen schnatternd in den Garten, wo ich mit Miss Tabea ein kleines Picknick für die jungen
Damen vorbereitet hatte. Odin sei Dank hielt sich das überraschend schöne Wetter seit 2 Tagen!
Für einen Moment sah ich ihnen lächelnd nach, weil es ein so schöner Moment war für Florence.
Leider riss mich ein heftiger Tritt in Richtung Magen aus meinen Gedanken und ließ mich schwer atmend am Türrahmen lehnen.
„Mi sol, ist alles in Ordnung?“ hörte ich meinen Mann von der anderen Seite des Raumes rufen und mit schnellen Schritten stand er an meiner Seite.
„Es geht, mi amor. Du weißt doch, die Kinder treten einen gerne mal.“ dabei strich ich vorsichtig über die mittlerweile beachtliche Kugel unter meinem Kleid.
„Ich kann es kaum noch erwarten.“ flüsterte er leise und schloss mich in seine Arme.
Mir ging es nicht anders, aber aus einem etwas profaneren Grund! Die Hitze, meine angeschwollenen Beine und Füße, der dicke Bauch … ach, wem erzähl ich das eigentlich.
Anfang August brach Haytham zu dem geplanten Treffen mit Master Nicholls auf. Er hatte mir die Passagierlisten gezeigt und versicherte immer wieder, dass Amber keinesfalls mit anreisen würde.
Wer weiß? Vielleicht hatte sie sich unter falschem Namen eingetragen? Zuzutrauen wäre es ihr!
Ich winkte ihm hinterher, aber gleichzeitig war ich in Gedanken dabei meine Truhe zupacken und ihm nachzureiten! Meine Eifersucht übermannte mich mit einer unglaublichen Wucht, die ich so noch nicht erlebt hatte.
„Mistress Kenway, euer Mann ist euch treu! Das wisst ihr.“ versuchte Magda mich am Abend bei der Körperpflege zu beruhigen. „Ich habe noch nie einen gefestigteren Geist als den eures Gatten gesehen!“ versicherte sie mir zum gefühlten hundertsten Male eindrücklich.
„Ich weiß das, dennoch macht mich dieses andere Frauenzimmer wahnsinnig. Sie ist einfach eine Schla…. Schlange!“ fauchte ich. „Sie macht vor nichts Halt und ich muss befürchten, dass sie weiter gegen uns arbeitet.“ sprach ich zähneknirschend weiter.
Das würden ja jetzt unruhige Nächte werden, ging es mir durch den Kopf, als ich mich in die Kissen sinken ließ.
Irgendwann schlief ich ein und hatte, wie erwartet, die heftigsten Albträume bezüglich dieses Weibsbildes!
Zur Sicherheit war Abbigail seit ein paar Tagen hier zu Gast in unserem Haus. Wir wussten nicht, wann genau unsere Tochter zur Welt kommen würde.
Dass mein Mann genau JETZT nicht hier war, machte es mir nicht leichter die Ruhe zu bewahren.
Eine Woche nach seiner Abreise saß ich in meinem Arbeitszimmer und überarbeitete die Lieferlisten der letzten Schiffe aus Übersee. Wie zu erwarten waren einige in die Hände von britischen Zollschiffen geraten, die sich meine Waren mehr als gut bezahlen ließen, oder sie gleich einbehielten.
Die Verluste schossen in die Höhe und ich grübelte über eine Alternative nach. Leider war das kaum möglich, weil gefühlt der gesamte Atlantische Ozean voll mit britischen Schiffen war. Es war fast unmöglich ungesehen dort hindurch zukommen.
Wie versteckte man am besten ein Handelsschiff in dieser Zeit? Wie konnte man es tarnen, damit es ungesehen zwischen diesen Horden hindurch manövrieren konnte?
Kriegsschiffe wären zu auffällig und würden wenn es ganz schlecht lief auch noch einen Konflikt auf See herauf beschwören.
Kleinere Schaluppen konnten schlecht diese Distanz zurück legen!
Himmel Herr Gott!
Ich sehnte in diesem Moment die U-Boote herbei! Das würde so vieles vereinfachen! Eine kleine experimentelle Variante existierte bereits, aber nur für eine Person und auch nur über kurze Strecken!
Aber könnte man nicht einige Waren gut gesichert unter Wasser mit Markern platzieren, damit der Nächste sie weitertransportieren konnte? Kurz um, ich begann mir die Routen genauer einzuprägen und bat dann Mr Hargreaves zu einem Gespräch.
Noch am selben Abend begannen wir die Plätze für die „Lagerung“ zu markieren, wählten die entsprechenden Schiffe aus, welche sich – etwas seltsam gesagt, ich weiß – die Klinke in die Hand geben würden.
Es würde wie die stille Post ablaufen. Die sogenannten Schmugglerverstecke waren also eingezeichnet, fehlten nur noch die vertrauenswürdigen Personen. Aber auch da konnte ich auf meinen ersten Maat zählen.
„Aber eines lässt sich nicht oder besser nur schlecht unter der Hand austauschen.“ mit einem wissenden Blick sah er mich über seine Brille hinweg an. „Der Tee wird immer wertvoller, weil immer höhere Zölle erhoben werden. Sogar an den Häfen müssen die Kapitäne ihre Waren noch einmal verzollen. Die Preise könnt ihr euch denken, schießen in die Höhe! Die Bevölkerung ist bald nicht mehr gewillt, dass so hinzunehmen!“
Mit Entsetzen fiel mir ein, dass dieses Jahr im Dezember die „Boston-Tea-Party“ stattfinden wird!
William Johnson war in diesen Handel eingestiegen und hatte bisher immer gute Gewinne erzielt, aber das würde sich jetzt schlagartig ändern! Verdammte Axt!
Ich setzte noch am selben Abend ein Schreiben an ihn auf und bat ihn um ein Gespräch, ich wollte ihn warnen! Ich weiß, dass dieser Mann mir nicht unbedingt blindlings Glauben schenken würde, aber ich musste es versuchen. Seine Verluste wären enorm und würden dem Orden einen tiefen Stich verpassen. Das wollte ich ihm klar machen.
Eine Woche später, es war mittlerweile Mitte August, erschien Master Johnson hier. Misstrauisch wie er nun einmal war, sah er sich um, als er eintrat.
„Mistress Kenway!“ verbeugte er sich vor mir und gab mir einen gehauchten Handkuss. „Eure Nachricht sprach von Dringlichkeit die keinen Aufschub duldet. Ich hoffe, Master Kenway ist nicht in Schwierigkeiten.“
Hatte er meine Worte gar nicht gelesen? Ich hatte doch explizit über den Teehandel gesprochen.
„Meinem Gatten geht es hervorragend, er weilt in Boston aufgrund wichtiger Geschäfte, Master Johnson. Es geht um die Tee-Lieferungen, wie ich euch ja schrieb.“ etwas ungeduldig ging ich voraus hinauf in mein Arbeitszimmer. Ich brauchte die Sicherheit dieses Raumes gerade. Als er Platz genommen hatte, sah er mich fragend an.
„Seid versichert, Mistress Kenway, mit meinem Handel ist alles in bester Ordnung! Habt keine Sorge!“ dieser Ton in seiner Stimme ließ mich wütend werden. Er war immer noch der Auffassung ich wäre eine dumme Gans!
Tief durchatmend versuchte ich die Ruhe zu bewahren.
„Master Johnson, es ist nicht alles in bester Ordnung, wie ihr glaubt. Die Bevölkerung randaliert bald aufgrund der absurden Zölle, Steuern und Auflagen der britischen Krone. Auch IHR werdet es zu spüren bekommen. Ich bitte euch lediglich darum, dass ihr von diesem Geschäftszweig etwas zurücktretet. Es kann sonst passieren, dass eure Verluste kaum noch zu begleichen sein werden!“ die Worte schossen förmlich aus mir heraus, ich musste sie loswerden.
„Glaubt mir, ich bin Geschäftsmann seit Jahren und weiß um entsprechende Risiken! Wir sind abgesichert und können uns auch auf andere Bereiche fokussieren. Meine Existenz hängt nicht von diesem Tee ab.“ etwas in seinen Worten ließ mich stutzen. WAS hatte ER in der Hinterhand.
„Wenn ihr so sicher seid, dass euch nichts passieren kann, dann sagt mir bitte, worauf ihr euch beruft!“ ich wollte es wissen!
„Ländereien, Mistress Kenway!“ das kam so aus der Pistole geschossen, dass ich für einen Moment sprachlos dasaß! Natürlich! Seine Verhandlungen mit den Indianer-Stämmen!
Aber genau das war der nächste Punkt! CONNOR war ganz und gar nicht gut zu sprechen auf ihn. Sollte Johnsons Teehandel also fehlschlagen würde er den Kauf der Landabschnitte der Irokesen oder Mohawk präferieren.
Oh bei Odin! Ich musste jetzt mehrere Baustellen bearbeiten. William von seinem doch recht aggressiven Verhandlungen über die Besitztümer abbringen, gleichzeitig galt es Connor zu besänftigen.
Er wollte seinen Stamm und sein Volk beschützen, so wie es ihm aufgetragen worden war.
In diesem Moment lief mir ein kalter Schauer über den Rücken!
Er tut, was ich ihm aufgetragen habe… Flüsterte eine mir völlig fremde Frauenstimme zu.
Wir waren also an einem Punkt der Geschichte gelangt, welcher über die Zukunft – wenn auch im kleinen Rahmen – Amerikas entschied. Wie sollte ich jetzt aber fortfahren?
William blieb diese Nacht unser Gast und reiste mit den ersten Sonnenstrahlen wieder ab. Wenn ich es nicht besser wüsste, müsste ich annehmen, es war ihm unangenehm hier ohne Haytham zu sein.
Ich setzte mich, als Florence und Edward in der Schule waren, an meinen Schreibtisch und begann einen Brief an Connor zu schreiben.
Zu tief ins Detail wollte ich nicht gehen, wer weiß schon wer alles diesen Schriftwechsel in die Hände bekam. Ich machte ihm aber klar, dass er sich in Gefahr brachte, sollte er mit den Söhnen der Freiheit weiter gegen die Zölle demonstrieren.
Mir war zugetragen worden, dass hier und da in Boston, New York und auch anderen Städten, die Menschen auf die Straßen gingen um gegen diese Misere zu wettern.
Die britischen Soldaten hatten Anweisung, jeden in Gewahrsam zu nehmen, der sich gegen die Krone stellte. Wenn das so weiter ging, waren die Gefängnisse überfüllt und was dann?
Ich wählte meine Worte mit Bedacht, weil ich ihn ungerne auf dumme Gedanken bringen wollte. Er musste sich auf jeden Fall Anfang Dezember von Boston fernhalten, egal ob Revere oder Adams ihn um Hilfe baten.
Connor hatte uns von einigen Rekruten für die Bruderschaft erzählt, welche er trainierte und sie auf eigene Missionen sandte. Er weitete sein Netz aus! Vielleicht könnte man sie in dieses Event schicken?
Ehrlich gesagt hatte ich einfach Angst um den Jungen.
Nachdenklich ließ ich den Wachs auf das Couvert tropfen und drückte meinen Siegelring darauf. Reichten meine Bemühungen für mein Vorhaben? Würde ich die Geschichte bei diesen kleinen Eingriffen zu sehr verändern, oder hätte es vielleicht sogar eine positive Auswirkung auf die Zukunft?
In meinen Gedanken ging ich einen Zeitstrahl ab, wo ich mir die Todestage von einigen Personen wie zum Beispiel auch Hickey oder Pitcairn gemerkt hatte.
Nein, ich wollte nicht, dass Connor Pitcairn auf seinem Gewissen hat und William Johnson sollte er auch nicht auf dieser Liste haben.
Bei den anderen hätte ich vermutlich eh kaum Einfluss, weil sie mir recht egal waren. Besonders Lee!
Einer unserer Informanten hatte mir zugetragen, dass Charles´ Aufmerksamkeit immer häufiger auf Connor lag.
„Er hat scheinbar Angst, dass dieser Indianer ihn kalt macht. Er hat sogar ein paar Leute um sich geschart, die ihn beschützen.“ stand unter anderem in einem Schreiben aus Wilmington, wo er sich wohl nach vertrauenswürdigen Männern umgehört hatte.
Sollte er ruhig Angst haben. Sie war berechtigt. Ich würde den Teufel tun und Haythams großen Sohn diese Rache verwehren! Doch noch war es nicht soweit, ich musste mich leider noch gedulden!
Warum ich mit einem Male so guter Laune war? Dieser Gedanke beflügelte mich einfach!
Am Abend saßen wir beim Abendessen und die Kinder berichteten von ihren Erlebnissen in der Schule und was sie am Nachmittag alles gespielt hatten.
Edward war mittlerweile ein guter Fährtenleser und war mit den Jungs durch die Wälder gestreift auf der Suche nach Kaninchen oder anderem Kleintier. Sie hatten hier und da einen Bau gefunden, aber konnten keine Beute machen.
„Vater muss mir unbedingt beibringen, wie ich mit dem Bogen schießen kann. Dann könnten wir auch jagen gehen.“ ich verstand ihn kaum, weil sein Mund so voll war. Aber das war ihm egal, er musste seine Gedanken sofort kundtun.
„Ihr habt die Tiere verjagt mit eurem Getrampel, Eddy, ihr müsst leiser sein!“ maßregelte Florence ihren Bruder.
„Als wenn du wüsstest, wie man ein Tier fängt, pfffft.“
Empört sah sie ihn an.
„Ja, das weiß ich!“ rief sie und warf ein Stück ihres Brotes in Richtung Edward!
„Hey! Wir sind zivilisierte Menschen! Lass das, Florence!“ mahnte ich sie.
„Entschuldige.“ flüsterte sie und sah ihren Bruder weiter zornig an.
„Wie wäre es, wenn ihr eurem Vater den Vorschlag macht, dass ihr mit ihm gemeinsam auf die Jagd gehen wollt? Bald steht wieder ein Ausflug an, da könnte er euch doch mitnehmen?“ soweit ich wusste, sollte im September wieder Saison sein.
„Mama! Ich will das aber nicht mit ihr machen müssen!“ jammerte Edward und sah mich flehend an.
„Entweder ihr beide, oder gar keiner! Und jetzt gebt Ruhe. Das können wir erst klären, wenn euer Vater wieder hier ist.“ ich hoffte, dass meine rigorose Stimme sie von weiteren Meckereien abhielt.
Bei Tisch ja, aber nicht beim zu Bett bringen!
Florence musste ich begreiflich machen, dass sie noch sehr jung fürs Jagen war und auch noch gar kein Waffentraining bekommen hatte.
„Weil ich ein Mädchen bin.“ ihre Lippen zitterten bei diesen Worten.
Sie hatte leider schnell begriffen, dass uns Frauen nicht zugetraut wird auch solche Dinge zu erlernen.
„Min lille engel, leider sind die Männer und auch die Jungen so erzogen, dass sie auf UNS aufpassen müssen, nicht umgekehrt. Trotzdem darfst du auch das Jagen lernen, ich werde da schon mit deinem Vater drüber sprechen.“ versprach ich leise und gab ihr noch einen dicken Kuss auf die Wange.
„Mama, hast du das auch gelernt?“ fragte sie neugierig nach.
„Nur ein klein wenig, aber du weißt ja, ich bin ganz anders aufgewachsen.“ das hätte ich besser nicht gesagt, weil mir mal wieder nicht bewusst war, dass unsere Tochter noch nicht alles über mich wusste. „Aber das erzähle ich dir ein anderes Mal. Und jetzt schlaf schön.“ flüsterte ich, zog ihre Decke hoch und ging hinaus, bevor sie noch weiter nachhaken konnte.
Tief durchatmend stand ich einen Moment am Geländer der Galerie und sah hinunter in die Eingangshalle.
Bilder von dem Überfall von vor Jahren tauchten vor meinem geistigen Auge auf und ließen mich erschauern. Ja, ich hatte gelernt zu jagen. Aber keine Tiere!
Später brachte ich Edward zu Bett und auch er hatte noch Redebedarf, wenn auch etwas weniger, aber nicht weniger tiefgründig.
Im Grunde meinte er es mit seiner Schwester nicht böse, er wollte ihr den Anblick von Blut und Kadavern ersparen. Weil sie ja ein Mädchen war! Auch er war gefangen in dieser Zeit und der Annahme, dass Frauen sofort aus den Latschen kippen, sobald sie eine Maus sehen.
„Es reicht doch, wenn sie weiß, wie die Tiere aussehen und heißen, nicht wahr? Ihr wird bestimmt schlecht, wenn sie dem Kaninchen das Fell über die Ohren ziehen soll.“ seine Worte erzeugten Bilder in meinem Kopf von dem Tag, als mein Großonkel mein Lieblingskaninchen geschlachtet hat.
„Ihr müsst aber lernen zu überleben, wenn ihr keine Köchin oder Personal habt, was für euch kocht zum Beispiel. Und ich meine wirklich ihr BEIDE müsst das können. Du weißt doch noch, was ich dir über meine Großeltern erzählt habe? Wie meine Großmutter selber schlachten musste, weil mein Großvater im Krieg war?“ konnte ich meinem Sohn so begreiflich machen, dass es einfach eine Notwendigkeit war um Überleben zu können?
„Aber … Flo muss das doch hier gar nicht können.“ plötzlich sah er mich traurig an. „Mama, muss Vater auch bald in den Krieg?“
„Nein, wahrscheinlich nicht, min lille skat. Aber wir müssen uns vor diesem Krieg schützen und
deswegen ist es wichtig, dass du mit deinem Vater trainierst. Dass wir alle wissen, wie wir uns im Ernstfall verteidigen können. Vergiss nicht, wir sind nie alleine und du hast immer noch Thor an deiner Seite!“
Mir fehlten gerade irgendwie die passenden Worte.
„Ich weiß.“ flüsterte mein Sohn als er mich in den Arm nahm.
Gerade als ich aufstand fühlte ich ein fürchterlich schmerzhaftes Ziehen in meinem Bauch und krümmte mich laut stöhnend.
„Mama!“ rief Edward und sprang aus dem Bett.
„Es geht schon wieder.“ schwer atmend brachte ich diese Worte hervor und gab ihm noch einen Kuss auf die Stirn. „Das passiert schon mal von Zeit zu Zeit.“ ich richtete mich wieder auf, weil diese Wehe vorüber war.
Beruhigt war unser Sohn nicht, das wusste ich, aber helfen konnte er mir jetzt – noch – nicht.
Im Schlafzimmer half mir Magda beim Ausziehen und gerade als sie mir mein Nachthemd überzog, war wieder dieser Krampf in meinem Bauch und ließ mich laut stöhnen.
„Oh Mistress Kenway! Es ist soweit?“ sie war so voller Freude, dass ich lächeln musste. Ihre entspannte Art beruhigte mich etwas.
„Ich denke schon, aber es ist erst die zweite Wehe, warten wir also noch ab.“ die Nacht war noch jung, oder?
„Ich werde trotzdem Miss Abbigail Bescheid geben.“ erwiderte sie, als ich ausgestreckt auf dem Bett lag und mich in die Kissen lehnte.
„Danke, Magda.“ gähnte ich, weil ich erst jetzt registrierte, dass die Müdigkeit mich übermannte.
Wie lange ich geschlafen hatte, bis mich weitere Krämpfe hochschrecken ließen, kann ich gar nicht sagen. Es war auf jeden Fall stockdunkel, der Kamin war aus und ich lag schweißgebadet ohne Decke auf dem Bett.
Mein Bauch war steinhart und mir war – verzeiht – kotzübel mit einem Male. Ich rappelte mich aus dem Bett auf und ging vorsichtig zum Fenster um es zu öffnen. Frische Luft konnte nicht schaden.
Diese kühle Brise strich langsam über meine verschwitzte Haut und ließ mich etwas aufatmen.
Wir hatten Vollmond, stellte ich fest und lehnte am Fensterrahmen und bewunderte diese runde Kugel am Himmel. Es ging etwas beruhigendes von ihr aus, dachte ich bei mir, als mich eine erneute Wehe überrollte.
Noch wollte ich Abbigail nicht rufen, es war noch zu früh. Also begann ich mit Atemübungen die Kontraktionen zu lindern. Nach fast zwei Stunden musste ich mir aber eingestehen, dass es nur noch wenige Minuten Pausen zwischen ihnen gab.
Ich ging hinaus auf die Galerie und zum angrenzenden Gästezimmer, wo sie im Moment mit ihren zwei Kindern unterbracht war. Ihr Mann war daheim geblieben, weil er gerade jetzt viel Zeit auf den Feldern verbrachte wegen der Ernte.
Erschrocken sah sie sich um, als sie mich Sekunden später erkannte und sofort aufsprang.
„Oh, Mistress Kenway, ist es soweit?“ fragte sie freudig, aber dennoch leise um die Kleinen nicht zu wecken.
„Ich glaube ja, es sind nur noch kurze Abstände zwischen den Wehen…“ erklärte ich, als wieder ein Krampf durch meinen Bauch fuhr.
„Geht hinüber und ich werde den anderen Bescheid geben.“ befahl sie mir und ich leistete dem Folge, mehr als dankbar, dass ich doch nicht alleine war.
Mir wurde erst jetzt wirklich bewusst, dass mein Mann dieses Mal nicht dabei sein würde! Ich wäre alleine!
Dieser Gedanke ließ mich vor dem Bett auf die Knie sinken während einer Wehe und ich heulte.
Mi sol … ich kann dich spüren, ich kann unser Kind spüren! Du bist nicht alleine! In einer feinen nebligen Silhouette sah ich Haytham im Raum stehen mit nichts an als einem Schlafhemd.
Ich habe Angst… flüsterte ich leise und es war die nackte Wahrheit. Mich durchströmte eine unbändige Furcht vor dem, was in den nächsten Stunden auf mich zukam.
Arme umschlangen mich und halfen mir hoch, während im ganzen Raum die Kerzen angezündet wurden, der Kamin angefacht wurde und das Bett präpariert wurde. Unser kleiner Ameisenhaufen funktionierte wieder wie am Schnürchen und ließ mich etwas erleichterter Durchatmen.
Mit den Händen auf die Waschkommode gestützt stand ich da und atmete die Schmerzen einer erneuten Wehe weg, während um mich herum gewuselt wurde.
„Mama“ flüsterte Edward plötzlich neben mir und sah mich ängstlich an.
„Mir geht es gut, min lille skat. Deine kleine Schwester macht sich aber jetzt auf den Weg und das tut leider ziemlich weh. Erinnerst du dich an den Tag, als Florence geboren wurde?“ ich strich ihm durch den verwuschelten Schopf dabei.
„Du hast ganz fürchterlich geschrien und böse Worte gesagt.“ Edward war sichtlich entrüstet über meine damaligen Entgleisungen.
„Es wird bestimmt nicht anders werden heute. Aber mach dir keine Sorgen, dass ist … normaaaaaaaaaaaaaaaaaaal ….“ die nächste Kontraktion ließ mich ächzend zurück.
Plötzlich erschien Sybill neben uns und ging mit Edward hinaus. Ohne Widerworte folgte er ihr. Ich sah nur diesen leichten goldenen Schimmer um sie herum.
Er war in den besten Händen!
Dann wollen wir mal! Sagte ich zu mir selber und wappnete mich für die anstehende Geburt. Es konnte nicht mehr allzu lange dauern, die Abstände waren mittlerweile Nahtlos und das innerhalb weniger Stunden.
Meine Hebamme untersuchte mich gemeinsam mit dem Arzt, welcher ebenso erschienen war und beide sahen sich ohne ein Wort zu sagen besorgt an.
„WAS?“ fauchte ich unter einer erneuten Wehen!
„Mistress Kenway, das Kind… es liegt in einer sehr ungünstigen Position.“ erklärte mir Abbigail. „Wir müssen es, wie bei Florence damals, drehen. Aber … dieses mal ist es schwieriger.“ ihre Worte wurden immer leiser und klangen entschuldigend.
„Mein Baby liegt mit dem Po nach unten, richtig?“ brachte ich zwischen zwei Kontraktionen hervor.
„So ist es.“ beide sahen mich fragend an.
Was wollten sie jetzt von mir hören? Entschuldigt, aber ich konnte jetzt nicht mehr klar denken und war im wahrsten Sinne des Wortes auf Hilfe angewiesen.
„Für eine Drehung … Mistress Kenway, diese Geburt wird mehr als schwer werden.“ in den Augen des Arztes sah ich, dass er bereits über einen Kaiserschnitt nachdachte. Doch das wäre für ihn der aller letzte Schritt, noch war dieser Eingriff keine Routine.
Der Abend, als Faith Maggie gerettet hat durch diese Operation, kam mir in den Sinn. Warum konnte sie nicht hier sein und mir jetzt helfen? Wo war sie überhaupt? Plötzlich brachen tausende von Emotionen über mich herein, gefühlte Millionen Erinnerungen stoben vor meinem inneren Auge auf …
Doch ich war hier! Allein!
Nein! Das bist du nicht! Hörte ich die Stimme meines Enkels mit einem Male und sah, wie er neben mir auf dem Bett Platz nahm.
Sie sehen mich nicht, aber ich werde ihnen helfen, meine kleine Tante zur Welt zur bringen! Alexanders Worte brachten mir Ruhe und Zuversicht, welche ich dringend brauchte.
So liebevoll seine Worte waren, so schmerzhaft waren die nächsten Stunden!
Immer wieder hörte ich, wie man verwundert feststellte, dass wieder ein Zentimeter Drehung vonstatten gegangen war.
Die Herzschläge machten aber sogar meinem Enkel Sorge, weil er das nicht wirklich steuern konnte. Ich fühlte seine Energie in mir, die meine ungeborene Tochter umgab um sich drehen zu können.
Als mich die ersten Sonnenstrahlen trafen, fühlte ich einen letzten Ruck in meinem Bauch und ich öffnete mich im wahrsten Sinne des Wortes!
Mi sol… ich kann es nicht in Worte fassen… war Haytham wirklich die ganze Zeit schon dabei gewesen? Ich hatte seine Präsenz gar nicht bemerkt. Ich war da, wer wäre ich, dich genau jetzt alleine zu lassen? Seine dunkle ruhige Stimme gab mir den letzten Kick um diesen kleinen Menschen zur Welt zur bringen!
Aber ich konnte auch sehen, dass seine Gedanken sorgenvoll waren, hinsichtlich seines Treffens mit Nicholls. Nein, ich sollte meine Konzentration nicht darauf lenken, die Geburt … das war es was es zu bewältigen galt.
Ich versuchte alle Energie in die Wehen zu bringen, alle Anstrengungen zu tätigen, damit unsere Tochter auf die Welt kam.
Dieser Kraftakt verlangte mir alles ab und ließ mich kaum zu Atem kommen. Es waren nicht einmal nur die Schmerzen, nein, es war dass sich meine Muskeln völlig ausgelaugt anfühlten.
„Holt sie endlich raus!“ rief ich irgendwann und war erschrocken, dass es meine eigenen Worte waren!
„Langsam, Mistress Kenway! Langsam!“ rief Abbigail. Doch ich hörte nicht mehr zu, ich wollte diese Schmerzen nicht mehr!
Es zerriss mich sprichwörtlich mit einem Male, aber zugleich war es eine Erleichterung.
Schwer atmend lehnte ich mich zurück in die Kissen im Rücken und versuchte zu Atem zu kommen.
Plötzlich sah ich in besorgte Gesichter!
Keine freudigen Ausrufe waren zu hören!
Großmutter … es … ich brauche etwas Zeit! Hörte ich Alexander erneut leise sprechen.
In mir keimte eine unwohle Angst auf und ich sah auf meine Tochter hinunter, welche leblos zwischen meinen Schenkeln lag. Kein Schrei! Keine Regung!
Ich griff in einem Reflex nach ihr und hob sie an meine Brust!
NEIN!
NEIN!
Das konnte nicht sein. Sie lebt! Ich hatte ihre Bewegungen doch gespürt!
Hektisch begann ich ihren Rücken zu massieren, ich rieb ihren Brustkorb … dieser kleine Mensch machte keinen Mucks!
Mein kleines Schätzchen, tu mir das nicht an! Du bist stark, du bist meine Tochter! Wir schaffen das! Die Götter beschützen dich! …
Als ich aufblickte, sah ich immer noch in die besorgten Gesichter des Arztes und Abbigails.
Wie aus dem Nichts fühlte ich ein Pulsieren in meinem Körper, was sich über die Nabelschnur leuchtend ausbreitete und dieses kleine Wesen in meinem Arm wärmte.
In Zeitlupe begannen sich die Arme und Beine zu bewegen, zaghaft zuerst und dann energischer.
Ihr Gesichtchen wurde rosig und die Lippen öffneten sich zu einem Schrei!
Ich flehte sie an zu brüllen was das Zeug hielt, ich wäre die glücklichste Mutter auf der ganzen Welt vermutlich in diesem Moment.
Und dann hörten wir es alle …
Es war wie ein erleichtertes Rufen nach einem langen Kampf! Aber sie weinte, sie schrie! Ihr Körper bewegte sich!
„Odin sei DANK!“ rief ich und drückte meine Tochter an mich!
„Mistress Kenway, es ist leider noch nicht vorbei ….“ räuspernd stand der Arzt neben mir und sah hilfesuchend zu meiner Hebamme. „Wir … warten noch die Nachgeburt ab und dann … werden wir euch nähen müssen.“ es war ihm unangenehm mir das zu sagen.
„Aber meine Tochter lebt! Das ist das wichtigste!“ immer noch war ich völlig überwältigt und spürte im Grunde nichts durch diese Euphorie. Vergleichbar ist das wahrscheinlich mit einem Schockzustand.
Erst jetzt registrierte ich, dass Alexander UND Haytham hier unsichtbar für andere anwesend waren.
Darauf eingehen konnte ich aber noch nicht, weil ich die letzten Stunden erst verarbeiten musste.
Dennoch dankte ich ihnen, für die Hilfe und den Beistand.
Mi sol, ich hatte solche Angst, dass … sie nicht lebt. Hörte ich meinen Mann flüsternd in meinem Geist. Noch nie hatte ich solch ein schreckliches Gefühl in mir. Ich werde bald wieder daheim sein! Irgendwie klang er etwas gehetzt, aber ich bildete mir vermutlich gerade zu viel ein.
Ich brauchte Ruhe, dringend!
Als dann der nächste schmerzvolle Part des Nähens abgeschlossen war und ich sauber im frisch bezogenen Bett liegen konnte, fühlte sich mein Körper wieder etwas wohler.
„Ich werde täglich nach euch sehen und bitte haltet euch an meine vorgeschriebenen Bäder, Mistress Kenway. Die Kräuter für das Wasser schreibe ich eurer Kammerzofe auf und ich lasse euch etwas Salbe hier. In ein paar Wochen sollte alles gut verheilt sein.“ er tätschelte meinen Arm, verbeugte sich und verschwand aus dem Zimmer.
Abbigail hingegen räumte noch ihre Sachen zusammen, sah nach meiner Tochter und kam dann zu mir.
„Herzlichen Glückwunsch, Mistress Kenway! Ihr habt das großartig gemacht heute. Ich werde jetzt erst einmal gehen und alles nach den Anweisungen des Arztes für Magda holen. Sollte euch unwohl werden, dann ruft nach mir.“ auch sie strich mir über den Arm.
„Ich muss mich noch bedanken und auch entschuldigen, weil ich mal wieder so geflucht habe.“ ich rang mir ein müdes Lächeln ab.
„Wir wissen alle, ihr habt es nicht so gemeint. Und jetzt ruht euch aus.“
Meine Augen fielen mir wie von alleine zu und ich driftete in einen traumlosen Schlaf.
Mi sol, bist du wach? Fragte mich mein Mann leise in meinem Geiste und ich wollte mich freudig aufrichten, als mir meine Verletzung schmerzlich ins Gedächtnis gerufen wurde.
Oh verdammt, ich bin wach, ja. Jammerte ich.
Entschuldige, ich wollte dir nur sagen, dass ich morgen hier abreisen werde. Also bin ich sehr bald wieder bei euch. Etwas in seiner Stimme ließ mich aufhorchen.
Was ist passiert? Hakte ich skeptisch nach.
Du hattest Recht, Alex! Amber war doch an Bord gemeinsam mit ihrem Mann. Sie hat mobil gegen uns gemacht. Aber ich erzähle dir alles, wenn ich wieder bei euch bin. Mit einem liebevollen ich liebe dich, verschwand er aus meinem Geist.
Dann hatte mich mein Bauchgefühl ja nicht getäuscht! Diese verdammte Hu… verzeiht, Person ist wie eines dieser Steh-auf-Männchen!
Na warte, dachte ich, lauf mir persönlich über den Weg und du wirst den Tag bereuen, als du geboren wurdest.
Tief durchatmend versuchte ich wieder runterzufahren, mein Puls schlug mir bis zum Hals vor Zorn.
Ein Blick auf meine kleine Tochter neben mir war genau das was ich brauchte. Sie lag friedlich in die Tücher geschlungen auf dem Bett und träumte hoffentlich schön. Naja, Babys hatten noch keine echten Träume, aber die Vorstellung beruhigte mich.
Genau wie ich plötzlich anfing über ihren Namen nachzugrübeln.
Johanna Frederike? Nein, sie sah nach was anderem aus.
Ich ging die Vornamen einiger Tanten, Großmütter und so weiter im Kopf durch und formte damit etwas passendes für sie.
Dann schoss mir der Gedanke in den Kopf, dass Helena auch passend wäre. Genau wie Alexandra stammt er aus dem griechischen. Was würde jetzt noch das Pendant dazu sein? Sollte ich meine erste Vorstellung lassen?
Helena Frederike. Ich wiederholte das einige Male und befand, dass es passte.
„Hallo meine kleine Helena Frederike!“ flüsterte ich leise und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
Die Naht ließ mich leise aufkeuchen, als ich mich wieder in die Kissen sinken ließ.
Zufrieden schlief ich jetzt wieder ein. Nur für ein paar Stunden.
„Mama…“ hörte ich es leise neben mir. „Mama, bist du wach?“
„Ja, min lille skat.“ gähnte ich und reckte mich dabei, was ich postwendend bereute. Mein schmerzerfülltes Zischen entging Edward nicht und er strich mir über den Arm.
„Du sollst dich schonen, hat Magda gesagt. Wir sollen dir helfen, wenn du etwas wünschst.“ erwartungsvoll kletterte er aufs Bett, Walka blieb brav auf dem Läufer davor sitzen.
„Das ist lieb. Kannst du mir ein Glas Wasser eingießen? Danke.“ mein Mund fühlte sich wie die Wüste Gobi an.
Vorsichtig schob ich mich hoch und nahm das Glas entgegen. Eine Wohltat für meinen Hals!
Plötzlich prasselten die Erinnerungen an die Geburt wieder auf mich ein und erschrocken sah ich neben mich. Helena lag immer noch dort. Wie aufs Stichwort begann sie sich zu bewegen und begann zu weinen.
„Das wollte ich nicht, Mama! Wirklich nicht!“ erschrocken war mein Sohn wieder vom Bett gesprungen.
„Du bist nicht schuld. Sie ist halt einfach ausgeschlafen für den Moment.“ erklärte ich ihm und nahm seine Schwester auf meinen Arm.
So konnte er sie auch endlich einmal richtig ansahen.
„Wie gut, dass Vater mich im Schwertkampf unterrichtet. So kann ich meine beiden Schwestern und dich auch beschützen, wenn er einmal nicht da ist.“ seine Finger glitten gedankenverloren über ihre rosigen Wangen.
Mir wurde bei dem Gedanken mein Herz schwer und ich schluckte den dicken Kloß in meinem Hals herunter, bevor ich antworten konnte.
„Das wirst du, min lille skat.“ ich räusperte mich und atmete tief durch. Gerade als ich ihm den Namen sagen wollte, sah er mich mit zusammen gekniffenen Augen argwöhnisch an.
„Ich bin nicht wie Vater!“ seine Stimme klang zornig und für einen kurzen Moment konnte ich seinem Gedankengang nicht folgen. „Du hast an etwas aus Vaters Kindheit gedacht, ich hab es gesehen!“ wütend verschränkte er die Arme vor der Brust und starrte mich an.
„Nein, so war das nicht gemeint. Edward, für mich ist das aber noch neu und du bist mein kleiner Schatz. Der Gedanke, dass du wirklich in diese Situation kommst uns verteidigen zu müssen, macht mir Angst.“ mit meiner freien Hand strich ihm über den Kopf. „Gib mir etwas Zeit, damit auch ich noch lernen kann, ja?“
Gerade als er etwas erwidern wollte, kam Florence ins Zimmer.
„Du hast gar nicht auf mich gewartet, Eddy!“ meckerte sie ihren Bruder an und kletterte ebenfalls zu mir aufs Bett.
Erst jetzt sah ich, dass es schon Nachmittag sein musste.
„Habt ihr schon zu Mittag gegessen ihr beide?“
Erstaunt sahen sie mich an.
„Wir waren sogar heute beim Gottesdienst! Weißt du nicht mehr, welcher Tag ist?“ kicherte Florence.
„Oh, nein ich weiß es wirklich nicht. Eure Schwester hat mich nicht nachdenken lassen.“ besagte kleine Dame begann wieder zu jammern und ich legte sie an meine Brust. Gierig umschloss ihr kleiner Mund meine Brust und sog kräftig. Aua, das ist immer wieder am Anfang etwas schmerzhaft. Doch nicht nur das, auch die Narbe tat mir weh und ich bekam leichte Kontraktionen.
Nachdem ich die Krämpfe bekämpft hatte, fragte ich die beiden, ob sie wissen wollten, wie ihre kleine Schwester jetzt wirklich heißen wird.
„Mama, Vater wird uns das schon sagen, wenn er wieder daheim ist.“ Edward hatte diesen für seinen Erzeuger ganz eigenen Ton angeschlagen, wenn er jemanden belehren wollte.
„Er weiß es ja noch nicht einmal.“ grinste ich bei dem Gedanken, dass Haytham etwas überrascht sein könnte.
„Aber Johanna Frederike ist doch schön. Was bekommt sie denn jetzt für einen Namen?“ enttäuscht sah meine große Tochter zu mir auf, während sie mit schief gelegtem Kopf an meiner Seite lehnte.
„Ganz anders wird es nicht, keine Sorge. Aber ich möchte, dass sie die Namen meiner beiden Großmütter erhält. Helena Frederike!“ erwartungsvoll sah ich die beiden Großen an.
„Hmmmm, das klingt auch sehr schön, Mama.“ Edward hatte seine Hand reibend ans Kinn gehalten bei den Worten und sah aus wie ein Professor bei einer Vorlesung.
„Dann bin ich ja beruhigt, min lille skat.“
„Eddy, du kannst sie dann gar nicht Jo nennen!“ feixte Florence und erntete einen bösen Blick ihres Bruders.
„Ich lass mir schon was einfallen, dumme Gans!“ kaum ausgesprochen, fiel ihm sein Fauxpas auf! „Ich meine …. also …“
„Das will ich nicht noch einmal hier hören, EDWARD!“ mein Blick sollte ihm zusätzlich Mahnung genug sein.
„Ja, Mama. Komm Walka, wir gehen raus und jagen wieder die Frösche.“ mit hängenden Schultern verließ er das Schlafzimmer ohne sich noch einmal umzudrehen.
Seufzend kletterte Florence jetzt wieder ganz aufs Bett und sah mir beim Stillen zu.
„Was trinkt Helena da eigentlich?“ fragte sie völlig unvermittelt, als ich die Seite wechselte.
„Milch, min lille engel. Muttermilch. Dich und Edward habe ich auch einige Zeit so gefüttert. Du hast aber leider mit deinem Bauch Probleme damit gehabt. Dir habe ich andere Milch gegeben mit einer kleinen Flaschen.“
Gebannt sah sie mich an, verfolgte jede Mundbewegung ihrer Schwester.
„Aber wie kommt die Milch … darein?“ plötzlich glitt ihr Blick auf ihre Brust.
Ohhhhh nein. Nicht jetzt schon! Ich musste ihr … nun gut. Ich wollte Florence auch nicht im Ungewissen lassen, das verunsicherte sie sonst zu arg.
Die Geschichte der Schwangerschaft, die Entstehung ließ ich vorerst aus, das käme dann später sicherlich, erzählte ich ihr und wie das Baby dann auf die Welt kommt und die ersten Wochen oder auch Monate so ernährt wird. Alles noch in einem für sie verständlichen Rahmen.
Ihre Frage, ob sie Helena auch einmal mit der Flasche füttern dürfte, bejahte ich. Mit dem Zusatz, dass wir ja hofften, dass sie lange gestillt werden konnte. Bis jetzt war ich da noch guter Dinge.
„Miss Florence! Hier seid ihr! Ich habe euch schon überall gesucht.“ Sophia war ins Schlafzimmer getreten und sah ihren Schützling erleichtert aber auch etwas böse an. „Ihr müsst noch die neuen Rechenaufgaben erledigen. Habt ihr das schon wieder vergessen?“ tadelte sie Florence.
„Nein, aber … schaut Miss Sophia. Ist meine Schwester nicht hübsch?“ ihre kleinen Finger strichen über den kleinen Kopf.
„Das ist sie in der Tat. Nun kommt, wir wollen keine Zeit vergeuden, nicht wahr? Mistress Kenway, eure kleine Tochter ist wirklich bildhübsch.“ mit einem Knicks ging sie mit meiner großen Tochter an der Hand wieder hinaus.
Nach ein paar gefühlt durchzechten Nächten aufgrund der Wundschmerzen und einigen warmen Sitzbädern später, wurde laut rufend die Heimkehr des Hausherrn angekündigt. Leider war es mir noch immer nicht möglich lange zu stehen, zu laufen oder zu sitzen. Also begrüßte ich meinen Mann liegend im Bett, gerade mit unserer Tochter an der Brust.
Sein gestresster Ausdruck im Gesicht wich einem weichen liebevollen Blick und er setzte sich zu uns.
„Eine kleine Schönheit ist sie, mi sol.“ flüsterte er und gab erst mir, dann Helena einen Kuss. Oh, dass sollte ich ihm ja noch mitteilen!
„Ich habe mir die Freiheit genommen, ihren Namen noch einmal zu ändern, mi amor. Sie trägt die Namen meiner Großmütter, wenn es auch dir recht ist.“ warum ich so bettelnd klang, konnte ich in diesem Moment nicht erklären. Wunderte mich nur selber darüber. Aber sei es drum.
„Die da wären, mi sol? Ich kenne sie nicht.“ erwartungsvoll sah er jetzt auf seine Tochter herunter.
„Helena Frederike!“ platzte ich heraus und sah ihn fragend an.
„Du hast mir nie erzählt, dass deine Familie auch griechische Wurzeln hat.“
„Das hat doch damit nichts zu tun. Außerdem ist es bei Helena auch auf die jüdischen Vorfahren bezogen.“ erst jetzt wurde mir wieder bewusst, dass meine Familie mehr als durchwachsen von verschiedensten Kulturen, Religionen und ähnlichem war.
Auch Haytham begann diesen Namen einige Male zu wiederholen und sah mich dann lächelnd an.
„Dann werde ich das jetzt so verkünden, mi sol. Wir haben eine kleine Helena Frederike bekommen.“ nachdem ich noch einen Kuss bekam, erhob er sich und ging auf die Galerie. Wie erwartet, standen die Bediensteten alle dort und warteten auf seine Ankündigung. Es reichte nicht, dass der Arzt, die Hebamme oder ich solche Informationen kundtaten. Dieses Jahrhundert war mitunter mehr als seltsam was diese Rituale anging.
Man gratulierte lautstark und ich ahnte, dass heute der Alkohol nicht verschmäht werden würde.
Mitte September war ich wieder in der Lage normal zu sitzen und die Fäden hatte mir unser Arzt unter Schmerzen gezogen.
„Verzeiht, Mistress Kenway. Ich weiß, es ist unangenehm, aber nur 4 Stück…“ er zählte jedes mal dabei runter. Selbstauflösende Fäden wären ein Segen gewesen, ging es mir durch den Kopf.
Unangekündigt stand eines Abends der Allvater mit seiner Gattin vor unserer Tür.
„Wann hattet ihr eigentlich gedacht uns zu benachrichtigen? Nicht dass wir es nicht schon selber wussten. Aber ich erbitte mir eine Nachricht.“ polterte Odin mir entgegen, als ich mit Helena auf dem Arm entgeistert in der Eingangshalle stand.
„Oh sie ist ein kleiner Sonnenschein!“ frohlockte Frigg und nahm sie einfach auf den Arm. „Deine Zukunft ist noch etwas ungewiss, aber du bist jetzt schon in der Lage dich zu verschließen.“ erstaunt sah sie mich an. „Sehr faszinierend.“
Edward klebte an diesem Abend förmlich am Hosenbein Elias´ und die Herren machten sich zu einem kleinen von der Damenwelt unbeobachteten Training auf.
Wir „Damen“ verbrachten den Abend auf der Terrasse und genossen den guten Wein. Florence war in den letzten Wochen auch eher später im Bett und konnte noch ein wenig mit uns den Sonnenuntergang beobachten.
Als ich sie mit min lille engel ansprach, fiel mir ein, dass Helena noch gar keinen Kosenamen hatte. War das aber von Nöten? Ja, war es beschloss ich.
„Hat es dir geschmeckt, min lille solstråle.“ hauchte ich auf ihr kleines Köpfchen, als sie nach einem ausgiebigen Bäuerchen an meiner Schulter lehnte.
Mein kleiner Sonnenschein. Min lille solstråle. Plötzlich stiegen mir Tränen in die Augen, weil ich meine Zeit, meine Heimat und alles wieder einmal vermisste.
Die Hormone trieben ein böses Spiel mit mir, ich weiß.
Aber abstellen kann man das nicht!
Ich muss gestehen, dass ich mich kaum mit den Dingen wie zum Beispiel AMBER NICHOLLS beschäftigt hatte in den letzten Wochen. Meine Gesundheit und Genesung hatte Priorität.
Noch während Elias hier bei uns zu Besuch war, erzählte Haytham von den Vorkommnissen mit eben diesen Eheleuten.
In den Augen des Dukes glomm für den Bruchteil einer Sekunden ein goldenes Leuchten auf und dann polterte er lautstark los, dass es auch die Menschen auf der anderen Flussseite hätten hören konnten.
„Und ihr habt euch nie gefragt, welche Verbindung sie zu euch hat oder woher sie ihre
Informationen bezieht? Seit ihr eigentlich völlig unfähig mittlerweile?“
Etwas irritiert sah ich ihn an.
„Mac Allister! Mehr weiß ich doch auch nicht. Bei … entschuldige. Aber woher soll ich das alles wissen?“ ich hatte diesen Satz noch nicht ganz zu Ende gesprochen, als mir bewusst wurde, dass ja schon damals die Fäden meines Schicksals geknüpft wurden.
Amber selber hatte keine Verbindung zu den Göttern, aber ihre Familie war immer mal wieder in Misskredit gelangt.
„Diese Hexenverbrennungen und Hexentribunate sind euch sicher ein Begriff, nicht wahr?“ hakte Frigg nach, als sie sah, dass wir nicht ganz folgen konnten.
Und wir waren noch lange nicht damit durch!
Die Familie um Amber herum war seit Jahrzehnten- und -hunderten bekannt für ihre akribische und genaue Recherche was die weisen Frauen anging. Es gab im frühen 14. Jahrhundert im heutigen Deutschland diverse christliche Gelehrte, welche sich diesem Phänomen angenommen hatten.
Die Fallakten von damals zeugten von völligem Unwissen und schlichtem Aberglauben. Die Bevölkerung jedoch, die einfach nicht weiter als ihr eigenes Dorf kamen und keine große Weltanschauung genossen, mussten das glauben, was ihnen von den Pastoren zum Beispiel erzählt wurde.
In meiner Zeit nannten wir das hinterwäldlerisch und dumm. Doch im Grunde war es die Norm in diesen Jahren. Auch jetzt sah ich diese Entwicklung hier in den den Kolonien und es würde nicht besser werden.
Im Klartext galt ich in Ambers Augen also als eine Art Hexe und sei mit dem Teufel im Bunde. Eigentlich genau die Aussage welche ihr Großvater damals auch getätigt hatte. Mein Wissen überstieg ihres, ich agierte anders als die braven Damen in diesem Jahrhundert und sie konnte sich mein Auftauchen nicht erklären.
Mittlerweile hatte sie einige Personen angeheuert, welche sich mit meinem Lebenslauf beschäftigen sollten. Natürlich fand man hier keine Anhaltspunkte, weswegen sie sich ihren Teil dazu sponn. Das Tagebuch ihres Großvaters war Anlass genug für sie mich als Hexe oder besser noch Gegner der Krone hinzustellen. Sie erhoffte sich so einen Freifahrtschein für … ja, was wollte diese Frau eigentlich?
Die Gunst meines Templers war jetzt nicht mehr das Ziel, Eifersucht war es nicht!
Was aber dann?
Sollte an mir ein Exempel statuiert werden? Sollte ich als Hexe oder mit dem Teufel paktierende Frau an den Pranger gestellt werden?
Ich hatte als Assassine einen Templer geheiratet! Lassen wir uns das auf der Zunge zergehen!
Was war schlimmer? Diese Verbindung oder die Verehrung des nicht vorhandenen Teufels in meiner Seele?
Die Menschen in diesem Jahrhundert hatten oft nur ihren Glauben um alles Übernatürliche zu erklären.
Oh, ich liebe diese Spielchen!
Erschrocken sah ich mich um!
Und wie programmiert stapelten sich die Steine auf, die Mauer in meinem Geist wurde im Bruchteil einer Sekunde errichtet.
„Jetzt wisst ihr, womit ihr es zu tun habt.“ mein Schwiegervater meldete sich ungeduldig zu Wort. „Ich hätte mich schon zu der damaligen Zeit mehr damit beschäftigen sollen.“
„Du wusstest doch selbst noch gar nichts von deiner Zugehörigkeit.“ so wurde es mir zumindest vor Jahren erklärt.
„Das nicht, aber ich war nie ein Freund von diesen Ammenmärchen über Hexen und dem Teufel. Auch wenn es sicherlich böse Frauen gab, die ihre Ehemänner vergiften wollten …“ dabei sah er zu Haytham und dann zu mir. „Amber gehört in diese Kreise. Mac Allister hatte hier und dort immer wieder angewiderte Andeutungen gemacht, wenn er von irgendwelchen Bekanntschaften berichtete.“
Wir mussten also auf weitere Anschuldigungen und Übergriffe gefasst sein.
Wie ein kleiner Terrier hatte sie sich an uns festgebissen und ließ nicht locker.
In einer ruhigen Stunde als wir wieder alleine waren, erzählte mir Haytham, was sie alles für hanebüchene Neuigkeiten über mich hatte.
Es gab vermeintliche Zeugen, damals noch in New York als ich mit der Jackdaw das erste Mal hierher gereist war, die mich und meine Crew dabei beobachtet haben wollen, wie wir in einem kleinen Waldstück „schändliche“ Rituale durchgeführt hätten. Von den ganzen mehr als ekelerregenden Gerüchten will ich gar nicht berichten.
Später war ich dabei beobachtet worden, wie ich einem Neugeborenen ein Brandmal appliziert hatte und währenddessen heulend wie ein Wolf gen Vollmond geblickt haben soll.
„Ernsthaft?“ mehr viel mir dazu nicht ein.
„Leider ja und diese Gerüchte kursieren weiter. Sie sind nur nicht immer zu uns durchgedrungen.“ in seiner Stimme hörte ich dieses Unwohlsein, dass uns dadurch noch mehr Ärger drohen konnte.
„Ich habe aber nie so etwas getan. WER will es denn gesehen haben? Wo? Wann? Oder gibt es noch eine Doppelgängerin von mir?“ plötzlich schoss mir der Gedanke durch den Kopf, ob sich Hrymr auch dort eingeschlichen haben könnte und eine Frau die aussah wie ich solche grauenhaften Dinge tun ließ? Auch er wollte mir schaden!
Haytham sah mich mit hochgezogener Augenbraue einen Moment schweigend an.
„Durchaus denkbar!“ in seinem Gesicht glomm eine gewisse Erkenntnis auf. „Er ist seit jeher darauf aus, dich zu unterwerfen und so wäre es ihm möglich das ganze zu beschleunigen. Je mehr du dich in die Enge getrieben oder ungerecht behandelt fühlst um so angreifbarer bist du. Sobald du, verzeih wenn ich das so sage, auf dem Scheiterhaufen stehst, fühlt er sich vielleicht am Ziel angekommen.“ seine Worte wählte er sorgfältig. Mein Templer war bedacht mich nicht wütend zu machen.
„Die Mauer bröckelt dann!“ flüsterte ich leise, als mir diese Erkenntnis plötzlich kam. Jedes Mal in so einem Moment war ich angreifbar. „Können wir diese andere Frau nicht ausfindig machen und befragen? Ich weiß, das klingt völlig absurd, aber ich will wissen, WER sie ist. Ob sie wirklich existiert! Wenn sie mir schon ähnlich sieht, sollte ich sie kennenlernen.“
In meinem Kopf türmte sich ein Berg an Informationen und Gedanken auf, den ich nur abarbeiten konnte, indem ich mein Tagebuch fortsetzte. Ich musste das sortieren und ordnen.
„Ich werde an ein Ordensmitglied in New York schreiben, damit man sich dort auf die Suche macht. Ich hoffe inständig, dass wir dadurch nicht zu viel Staub aufwirbeln, mi sol. Unsere Geschäfte könnten in Gefahr geraten, das sollte dir klar sein.“ dabei sah er mich mahnend an.
„Das weiß ich, Haytham.“ Die Angst, dass ich nur einen Schritt zu viel machen könnte, nur eine winzige Kleinigkeit in Bewegung setzen könnte, die die Geschichte damit ins Wanken bringen könnte, ließ mein Herz hektisch schlagen.
Eine Woche später, es war jetzt Ende September, stand der Jagdausflug mit ein paar Geschäftspartnern und Freunden meines Mannes an.
„Alex, ich möchte Florence noch nicht mitnehmen. Sie ist noch …“ ich ließ ihn nicht ausreden, weil ich seine Bedenken kannte.
„Glaub mir, sie braucht dieses Gefühl ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu sein. Wir waren uns doch einig, dass die Gepflogenheiten in deiner Zeit dringend einer Überarbeitung bedürfen?“ dabei ließ ich Haytham teilhaben an meinen Erfahrungen als Frau aus dem 21. Jahrhundert. Er war, leider, immer noch etwas überfordert damit, stimmte mir aber zähneknirschend zu, als ihm klar wurde, dass seine Tochter sich ansonsten zurück geschoben fühlen könnte. Und er würde den Teufel tun, ihr etwas abzuschlagen.
Am Morgen des 29. September brachen sie zu dritt auf mit genügend Verpflegung für eine ganze Kompanie.
Florence war völlig aufgeregt, weil sie diese Gesellschaft begleiten durfte.
Edward hingegen sah etwas missmutig aus, als er auf Darius stieg und an der Seite seines Vaters die Auffahrt hinunter ritt.
Wir waren wieder bei den Geschlechterrollen angekommen und unsere Kinder waren gefangen in einem Muster, welches ICH nicht vertrat. All mein Reden würde nicht zünden, wenn es nicht auch in anderen Köpfen klick machen würde. Die Blicke der anderen Herren würden unsere Tochter auch eher skeptisch mustern.
„Ich passe auf sie auf, Alex. Aber Wunder kann auch nicht bewirken beim Umdenken der Jagdgesellschaft.“ mahnte er mich bei der Abreise noch einmal und umschlang seine Tochter mit seinem Umhang, ehe sie los ritten.
Wie lange würde so ein Ausflug eigentlich dauern? Tage? Wochen?
Als ich wieder ins Haus ging, fühlte es sich plötzlich leer, kalt und still an. Eine unangenehme Gänsehaut lief mir über den Rücken.
Ehe ich aber auf diese melancholischen Gedanken eingehen konnte, meldete sich Helena und verlangte nach Aufmerksamkeit.
Dankbar dafür, auch wenn es sich seltsam anhören mag, ging ich in den Wintergarten, wo sie in ihrem Körbchen am Fenster lag.
„Sie ist ein wirklicher kleiner Sonnenschein. So ruhig und friedlich.“ seufzte Sybill, als sie mir meine Tochter auf den Arm gab.
Als ich ihr in die Augen sah, fiel mir siedendheiß wieder ein, dass Edward immer noch einen Kammerdiener brauchte! Wir hatten das völlig außer Acht gelassen!
Haytham hatte, soweit ich informiert war, einen Aufruf gestartet und Aushang verfasst, aber noch war hier niemand vorstellig geworden.
„Macht euch keine Sorgen, ich kümmere mich trotzdem noch um Master Edward.“ damit beruhigte sie mich und ich konnte mich auf meine kleine Tochter konzentrieren.
Kapitel 70
~~~ Werden wir enteignet? ~~~
In den nächsten Nächten ließ ich Helena bei mir im Bett schlafen, irgendwie beruhigte mich das.
Hin und wieder gab es auch kleinere gedankliche Zwiegespräche mit Haytham, wo es um die Fortschritte von Edward oder Florence ging.
Immer öfter fühlte ich, dass meinem Mann auch ganz andere Dinge im Kopf herumschwirrten. Leider würden wir noch eine Weile abstinent leben müssen, weil die Heilung nur langsam von statten ging.
Man hatte sich mit, wenn ich es recht in Erinnerung hatte, 6 weiteren Herren verabredet. Allesamt aus der näheren Umgebung und auch dort waren die ältesten Kinder mit vertreten. Oder besser gesagt, die Söhne waren bei diesem Ereignis mit dabei.
Wenn ich meinen Mann richtig verstand, machte unsere Tochter gute Fortschritte und scheute sich nicht, sich schmutzig zu machen. DAS betonte er immer wieder, als sei es ein völlig eigenartiges Verhalten.
Am 4. Tag spürte ich Edward in meinem Kopf, genauso wie seine immense Wut.
Mama, das ist einfach nicht fair! Ich bin jünger als die anderen beiden Jungs und deswegen darf ich noch nicht mit dem Gewehr schießen! Wie soll ich aber auch etwas erlegen, wenn ich nur mit einem Brotmesser rumfuchteln darf.
Er suchte nach meiner Bestätigung und nach einem Rat. Wie sollte ich ihm aber von hier helfen?
Also suchte ich nach Haytham und mahnte ihn, unseren Sohn nicht so bloßzustellen.
ALEX! Was ist in dich gefahren? Wir sind gerade einmal dabei ihm den Schwertkampf beizubringen. Ich kann ihm nicht alles auf einmal beibringen! Fauchte er mich an.
DAS erwarte ich doch gar nicht. Könntest du ihm aber nicht wenigstens zeigen, wie man damit umgeht oder mit Pfeil und Bogen? In diesem Moment ging mir durch den Kopf, wie dann Florence reagieren könnte. Auch sie würde genau DAS auch wollen. Oh verdammt. Dieser Ausflug würde sich als größte Erziehungs- und Bildungsreise entpuppen die mein Templer je erlebt hatte.
Ich versuche mein Bestes! Wie immer!
Damit war er aus meinem Geist verschwunden und ward nicht mehr gesehen.
Nein, er hatte nicht klein beigegeben. Er würde das tun, was er für richtig hielt, egal was ich gesagt hatte. Ich kannte ihn zu gut.
Dieser Gedanke trieb mir ein leichtes Lächeln ins Gesicht! Jeder von uns hatte so seine eigenen Macken.
Helena war, wie Sybill es schon sagte, ein kleiner Sonnenschein. Sie trank entspannt an meiner Brust, schlief ihre 4 oder 5 Stunden ehe sie wieder hungrig wurde und begann nach und nach ihre Umgebung mehr wahrzunehmen.
Dieser Jagdausflug kam für mich wie gerufen, so konnte ich mich ganz auf meine Genesung konzentrieren.
Fast jeden Tag ging ich zur Koppel mit meiner kleinen Tochter und zeigte ihr die Pferde. Fenrir tat mir etwas leid, weil ich noch nicht wieder reiten durfte.
Mr Mackenzie versicherte mir jedes Mal, dass er sich um ihn kümmert und mit ihm regelmäßig ausritt.
„Diese Bewegung tut auch mir gut, müsst ihr wissen.“ grinste er mich an.
„Wie ihr die Zeit dafür noch findet, bleibt mir ein Rätsel.“ Kopfschüttelnd strich ich meinem Hengst über den Hals.
„Organisation, Mistress Kenway und ihr dürft meine Leidenschaft für Pferde nicht außer Acht lassen. Da kann ich auch mal alles stehen und liegen lassen.“ diese Freude in seiner Stimme bei den Worten trieb auch mir ein breites Grinsen ins Gesicht.
„Fenrir ist in guten Händen, das sehe ich. Wir sollten uns beizeiten einmal über ein Reittier für die kleine Helena unterhalten. Hoffentlich liebt sie das Reiten genauso wie wir alle.“ in ihren Augen blitzte ein kleiner Funke auf, als ich so leise sprach.
Etwas überrascht sah ich zu meinem Hengst, welcher immer noch ruhig neben uns stand, so als würde er auf etwas warten. Ein kleiner Stupser seinerseits zeigte mir, dass ich wohl mit meiner Vermutung richtig lag.
Es waren ungefähr 14 Tage vergangen, seit Haytham mit den beiden Großen aufgebrochen war, als ein Bote hier eintraf mit einer eiligen Meldung aus New York.
„Mistress Kenway, ich muss auf eine Antwort warten und noch heute wieder zurück reiten.“ er verbeugte sich tief und ich nahm das Schreiben entgegen.
„Miss Tabea, bitte versorgt den jungen Gentleman mit einer Erfrischung solange er wartet.“ bat ich die Haushälterin und ging hinauf in mein Studierzimmer.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals als ich das Siegel des Verfassers sah. Gouverneur Tryon! Bisher hatte ich nicht nur Gutes über ihn gehört. Außerdem war er Brite und stand auf Seiten der Krone. Er hatte dafür gesorgt, dass Geld für die Einquartierung der britischen Truppen bereitgestellt wurde. Wir wissen ja alle, wie fantastisch das geklappt hat, seufzte ich bei dem Gedanken!
Langsam öffnete ich den Brief, weil ich Angst vor seinem Inhalt hatte.
Es begann mit der üblichen harmlosen Anrede und dem oberflächlichem Geplänkel und bla bla.
Doch er kam recht zügig auf den Punkt.
Wir wurden gebeten im Fort George dafür zu sorgen, weil wir ja dort eine Immobilie besaßen, einige Teelieferungen zu lagern bis sich die Lage wieder beruhigt hätte.
„… Wie euch sicherlich auch zu Ohren gekommen ist, wurde dazu aufgerufen, die Häfen nicht mehr anzusteuern um die Ladungen zu schützen. Ich bin der Meinung, es ist besser diese kostbare Fracht im Fort zu behalten, bis wir sicher sein können, dass niemand mehr daran Hand anlegen wird…“
Damit mag er ja Recht haben, aber was hatten wir speziell damit zu tun? Sollten sie doch in der Garnison alles stapeln.
„… Leider muss ich davon ausgehen, dass auch Übergriffe auf die Garnison geplant sein könnten…“
Ah, daher wehte der Wind. Dieser Mann wollte Privatpersonen verpflichten diese Besteuerung zu unterstützen! Wir liefen aber Gefahr, dass auch unser Haus dort nicht mehr sicher war. Unser Büro würde ich auf keinen Fall aufgeben für so eine Schnapsidee!
„… Ich erwarte eure positive Antwort alsbald. Solltet ihr unsere Sache nicht unterstützen wollen, sehe ich mich gezwungen, auch ohne eure Zustimmung euer Anwesen für die Krone zu requirieren. Wir benötigen unter anderem immer noch Quartiere für unsere Soldaten!…“
Sprachlos saß ich für einen Moment da und starrte auf diese Zeilen! Wir hatten gar keine Wahl. Er würde uns, verzeiht mir den Ausdruck, unser Haus unterm Arsch wegnehmen! Ohne meinen Mann würde ich jetzt keine Entscheidung treffen wollen und vor allem können! Also ging ich hinunter in die Küche wo der Bote noch immer saß.
„Verzeiht, aber ich kann euch heute noch keine Antwort mitgeben. Ich würde das gerne mit Master
Kenway vorher besprechen. Leider ist er gerade auf … einer Expedition und wird voraussichtlich erst in ein paar Tagen wieder hier eintreffen.“ Vielleicht konnte ich ihn ja überzeugen.
„Mistress Kenway, es ist aber dringlich und ich habe noch einen weiten Weg wieder zurück. Eure Antwort könnte zu spät eintreffen!“ er zappelte nervös auf dem Stuhl herum.
„Das ist mir bewusst, aber … gebt mir einen Moment.“ bat ich ihn, weil mir der Gedanke kam Haytham einfach im Geiste zu erreichen. Hoffentlich traf ich keinen ungünstigen Moment.
Ich ging in sein Arbeitszimmer und setzte mich an den Schreibtisch.
Es dauerte nicht lange, da spürte ich ihn und berichtete ohne große Begrüßung von der Bitte oder besser des Befehls von Tryon.
Ich hatte schon damit gerechnet, dass wir nicht mehr lange verschont bleiben, mi sol. Hier ging es die Tage sehr oft um diese Steuergesetze und die aufbrausenden Gemüter in den Städten. Ich kann dich aber beruhigen, wir sind morgen früh wieder daheim und dann werden wir gemeinsam eine Antwort verfassen. Versuche den Herren noch etwas hinzuhalten. Ich bin zuversichtlich, dass du das schaffst.
In seiner Stimme klang ein gewisser Sarkasmus mit, der mich lächeln ließ.
Du glaubst gar nicht, wie erleichtert ich bin, dass ihr bald wieder hier seid und das wohlbehalten. Dann werde ich ihn mal ein wenig bezirzen, mi amor. Aber beschwere dich nachher nicht.
Beschweren werde ich mich auf keinen Fall. Dieser laszive Tonfall gefiel mir und es kribbelte überall. Für einen Moment hatte ich die eigentliche Sorge vergessen.
Zurück in der Küche berichtete ich vom morgigen Eintreffen meines Mannes und bat ihn noch eine Nacht unser Gast zu sein.
„Aber … nun gut. Dann hatte ich wohl unterwegs ein paar Unannehmlichkeiten.“ jetzt lächelte er mich an, dankbar vermutlich eine Nacht ausruhen zu können.
Ich bat eines der Zimmer in den Angestelltenquartieren herzurichten, als mir einfiel, dass ich noch gar keinen Namen hatte.
„Oh verzeiht, Mistress Kenway. Meine Manieren! Phillipp Ackelston, zu euren Diensten!“ er verbeugte sich.
Ich hieß ihn noch einmal willkommen, als Helena lautstark auf sich Aufmerksam machte.
„Ich will euch nicht aufhalten, euer Kind braucht euch.“
Die Nacht verlief Odin sei Dank ruhig und der Gedanke, dass Florence und Edward morgen auch wieder hier sein werden, ließ mich friedlich einschlafen.
Nach dem Frühstück, es war gegen 10 Uhr, hörte ich in der Eingangshalle laute Rufe und Getrampel.
„Mama! Wir sind wieder da!“ brüllte Edward und wäre fast über seine Füße gestolpert als er im Wintergarten ankam. „Schau mal, ich habe eine Hasenpfote als Glücksbringer für dich!“ immer noch aufgeregt schnappte er nach Luft.
„Ich habe geholfen, den Hasen auszunehmen.“ stolz stand jetzt auch unsere Tochter neben mir.
„Das hört sich ja großartig an. Dann habt ihr ja richtig viel gelernt.“ ich drückte beide an mich und gab ihnen dicke Küsse auf die Wangen.
„Auch ich habe gelernt, mi sol.“ hörte ich Haythams etwas erschöpfte Stimme, als er näher kam.
Bei Odin! Wie sah er denn aus? Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich vermuten, er wäre verkatert. Leider war mein Gesicht mit einer Reaktion schneller als mein Gehirn und ich grinste breit bei seinem Anblick.
„Danke für diese Begrüßung.“ kam es zerknirscht, ehe er mich hochzog und an sich drückte. „Ich bin so froh wieder daheim zu sein und freue mich auf ein anständiges Bad!“ seine Hand wanderte zu meinen Hüften und drückte zu.
Er hatte es sich verdient! Das Bad meine ich selbstverständlich!
Das Bad musste noch warten, stattdessen gab es für alle eine gründliche Wäsche und frische Sachen zum Anziehen. Anschließend wurde noch Tee und für unsere Kinder warme Milch serviert. Dazu gab es ein paar süße Brötchen mit Butter.
Wie ausgehungert fielen Florence und Edward über ihr Mahl her, was ihnen ein mahnendes Räuspern ihres Vaters einbrachte, der selber recht hastig sein Essen verschlang.
Die Jagd war erfolgreich, wie er mir mitteilte. Der Winter sei gesichert und dem Gerber würde er heute noch entsprechend Bescheid geben.
Die Kinder hatten sich sehr gut gemacht und Edward hatte ein paar kleine Lektionen in der Handhabung einer Muskete gelernt. Pfeil und Bogen waren dennoch wichtiger Bestandteil für ihn geblieben, wohingegen Florence das Fallen stellen und Ausnehmen der Tiere gelernt hatte.
Alles in allem war es eine wertvolle Erfahrung für sie alle gewesen und hatte gezeigt, dass man gemeinsam mehr schaffen kann.
„Wusstest du, dass ein Hirsch riesig ist?“ dabei zeigte unsere Tochter mit erhobener Hand über sich.
„Nein, ich habe ja noch nie einen gesehen. Nicht von Nahem.“ ergänzte ich, weil ich ja wusste wie sie aussahen.
Unser Sohn sah mich mit großen Augen und offenem Mund an.
„Hast du noch nie gejagt, Mama?“ was sollte ich darauf sagen? Wie vor einigen Wochen ging mir durch den Kopf, dass ich jagen konnte, aber eben keine Tiere. Doch das aussprechen konnte ich nicht, noch nicht!
„Nein, habe ich noch nicht. Vielleicht nimmt mich euer Vater das nächste Mal ja mit?“ lächelnd sah ich in Haythams Richtung. In seinem Blick lag eine gewisse Skepsis, ob ich das ernst gemeint haben könnte.
„Jemand muss aber hier auf das Haus achten, Alex. Außerdem ist Helena noch zu klein, als dass du sie alleine lassen kannst.“ nun gut. Er hatte meinen Zynismus nicht ganz mitbekommen.
Im Anschluss wurde der Bote zu uns zitiert und wir saßen mit ihm im Arbeitszimmer meines Templers.
Haytham stellte ihm noch einige Fragen, ob er im Dienste des Gouverneurs stand oder ob er einem einfachen Botendienst unterstellt war.
„Sir, ich bin britischer Soldat und für die Korrespondenz verantwortlich.“ warum trug er dann keine von diesen Uniformen?
Seine Erklärung war natürlich einleuchtend, in ziviler Kleidung fiel er nicht auf und konnte unbeschadet von A nach B gelangen.
Etwas anderes ließ mich aber schaudern.
Er stand im Dienste der Krone und konnte hier übernachten. Unbeobachtet! Meine Paranoia keimte auf und ich sah ihn schon hier herumschleichen und spionieren!
Ich ließ meinen Blick über ihn gleiten, aber er war in neutralem Blau gehalten. Somit stellte er, eigentlich, keine Bedrohung dar.
Uns blieb jetzt keine Wahl, als ein Schreiben für Tryon aufzusetzen und ihm mitzugeben.
Wir waren überein gekommen, dass wir nicht das Büro als solches, jedoch die Nebengebäude wie den Stall oder die kleine Scheune zur Verfügung stellen sollten. Außerdem erwähnte Haytham noch ausdrücklich, dass in der Garnison selber ausreichend Platz wäre für diese Fracht. Ebenso konnten dort noch einige Truppen seiner Majestät untergebracht werden.
Er schlug ebenso vor, eines unserer Lagerhäuser am Hafen an die Krone zu übergeben. Wir hatten eines, welches im Grunde nicht mehr genutzt wurde und es lag etwas abseits. Ideal um Dinge ungesehen lagern zu können.
Unwohl war mir bei diesem ganzen Unterfangen schon, weil mir bewusst wurde, dass ich jetzt in der Geschichte steckte, welche ich nur aus Schulbüchern kannte. Und dort, das wissen wir alle, steht nicht immer alles drin!
Das Siegel trocknete und Haytham nutzte die Gelegenheit Mr Ackelston ein wenig weiter auf den Zahn zu fühlen.
Er war in eine Familie des Militärs geboren worden und war das mittlere Kind von 5 weiteren Söhnen. Seine Ambitionen reichten nicht so weit wie die seiner Brüder, weswegen er sich nicht zum Kämpfen berufen fühlte und die Ausschreibung eines Kuriers annahm. Er war nicht nur dem Gouverneur unterstellt, sondern war wie ein Mädchen-für-alles.
„Ich diene der Krone und verdiene meinen Lebensunterhalt ohne jemandem Schaden zuzufügen. Das reicht mir.“ Dieser Satz beruhigte mich irgendwie und diese Panik dass er uns ausspionieren könnte schwand.
Wir sahen ihm kurz darauf noch hinterher, wie er sein Pferd anspornte und davon preschte.
„Jetzt können wir nur noch hoffen, dass man uns nicht noch mehr behelligt.“ Haytham sah verständlicherweise besorgt aus. „Ich werde William schreiben müssen, dass es bald einen Umschwung geben wird.“
Siedendheiß fiel mir sein Besuch wieder ein!
„Ähm, ich habe ihm schon davon berichtet. Im August!“ Ich hatte ihm nichts davon erzählt!
„WAS? Verdammt noch mal, Alex. Warum weiß ich nichts davon? Wie stehe ich denn jetzt da?“ damit war seine Laune im Keller und er drehte sich ohne weitere Worte um.
Dieses mal ließ ich ihn nicht alleine!
Ich eilte ihm hinterher und fast hätte ich die Tür an die Nase bekommen, doch ich schlug mit der flachen Hand noch rechtzeitig dagegen.
„Entschuldige, aber ich habe es nicht als so dringend erachtet. Ich habe William lediglich darum gebeten Vorsicht walten zu lassen. Es war mir wichtig, dass er zumindest gewarnt ist!“ meine Stimme hatte sich erhoben damit er mich auch wirklich wahrnahm.
„Keine Alleingänge in solchen Angelegenheiten, Alex!“ diese Wut stach ihm förmlich aus den Augen. „Dieses Jahrhundert ist nicht deines!“
„Nein, ist es nicht. Das weiß ich sehr wohl, es wird mir ja immer wieder aufs Brot geschmiert!“ brachte ich zähneknirschend hervor. „Auch Master Johnson ließ mich spüren, dass ich nicht wirklich Ahnung habe.“ vor Wut zitternd verließ ich sein Zimmer und ging in den Wintergarten, goss mir ein Glas von irgendetwas ein was auf dem kleinen Tischchen stand und kippte es in einem Zug hinunter. Es war widerlich und für mich undefinierbar, aber es lenkte mich ab.
Als ich aufsah und mich umwandte, sah ich in entsetzte Kinderaugen. Florence und Edward waren hier und starrten mich an.
„Ihr habt euch gestritten, nicht wahr? Habt ihr euch nicht mehr lieb?“ jammerte meine Tochter und rannte auf mich zu.
Schwer schluckend sah ich zu ihr hinunter.
„Ab und zu ist man nicht einer Meinung, das kann vorkommen. Natürlich haben wir uns noch lieb, min lille engel.“ ich nahm sie in den Arm um meine Aussage zu unterstreichen und sah gleichzeitig zu ihrem Bruder, welcher mich skeptisch ansah.
„Was heißt das, dass dies nicht dein Jahrhundert ist?“ hakte er jetzt nach.
Da waren wir wieder bei meiner Geschichte angelangt, welche wir den beiden nie im Ganzen erzählt hatten.
„Wisst ihr was, ich werde euren Vater holen und dann erzählen wir euch alles. Einverstanden?“ er wollte keine Alleingänge von mir? Das konnte er haben.
Vor der Tür blieb ich kurz stehen, atmete tief durch und trat dann einfach ein.
Haytham saß am Schreibtisch über ein Schriftstück gebeugt und beachtete mich nicht.
Mein Räuspern ließ ihn für den Bruchteil einer Sekunde aufblicken, ehe er mich wieder ignorierte.
WANN hörte das endlich einmal auf?
„Können wir uns kurz unterhalten, es geht um Florence und Edward.“ ich versuchte so neutral wie möglich zu klingen und verbannte meine Wut aus meiner Stimme.
„Wenn sie nichts angestellt haben, dann regle das alleine!“ Beim Allvater!
Ich trat neben ihn und drehte ihn zu mir.
„Wir müssen mit ihnen reden, jetzt! Beide glauben, dass wir streiten und sie haben Angst! Ich würde ihnen meine Geschichte gerne erzählen, unsere Geschichte ist es ja eigentlich!“ mir traten brennende Tränen in die Augen.
Als er mich ansah, trat ein merkwürdiger Ausdruck in sein Gesicht. Ich konnte nicht deuten, was es war. Es fühlte sich unangenehm an.
„Ich bin gespannt, wie du das erklären willst, ohne dass sie beide damit hausieren gehen werden.“ dieser Ton war wieder so spitz, dass ich ihm am liebsten links und rechts welche an die Ohren gegeben hätte.
Genau wie damals in London, als er mich als 9-jähriger so herablassend behandelt hatte.
„Bleib ruhig hier, ich regle das schon. Auf meine Art!“ hörte ich mich fast tonlos sagen.
In der Eingangshalle atmete ich tief durch und sammelte meine Gedanken. Als ich sicher war, dass ich meine Gefühle unter Kontrolle hatte ging ich zu den Kindern. Mittlerweile war auch Helena wieder wach und verlangte nach einer Mahlzeit.
Während ich sie stillte, begann ich ihren Geschwistern von meinem alten Leben und meinem Jahrhundert zu erzählen. Nicht alles hatten wir ihnen kundgetan, weil sie noch zu klein waren.
Bei dem Part ihres Großvaters sahen mich leuchtende Kinderaugen staunend an.
„Echte Piraten! Hattest du gar keine Angst?“ fragte Edward Junior ungläubig.
„Nein, min lille skat. Verteidigen konnte ich mich ja, wenn auch nicht ganz stilecht wie es zu der Zeit verlangt wurde.“ lächelte ich und fuhr mit meinem Abenteuer Zeitreise fort. Mir war mittlerweile egal, ob Haytham damit so einverstanden war oder nicht.
Mein Abschied von Yannick trieb mir wieder Tränen in die Augen und ich musste mich arg konzentrieren um nicht heulend in der Ecke zu sitzen. Helena war mittlerweile satt und ich hatte sie ausnahmsweise an Sybill zum Windelwechsel übergeben, damit ich weiter erzählen konnte.
„Darf ich meinen großen Bruder auch einmal kennenlernen?“ fragte Florence leise, als sie sich an mich kuschelte. „Hattest du auch Spielzeug, Mama?“
Die erste Frage konnte ich nicht beantworten, weil ich nicht einmal selber wusste, wann ich ihn wiedersehen würde.
Das mit dem Spielzeug aber war leicht zu beantworten.
Im Gegensatz zu dem hiesigen sah es einfach bunter aus und war aus Kunststoff. Die Erklärung für einen Fernseher oder Filme ließ ich nur anklingen, weil es Stunden in Anspruch nehmen würde. Bewegte Bilder mit einer Laterna Magica konnte ich ihnen begreiflich machen. Dabei musste ich an meinen Bericht damals im Fort George denken, als Haytham und Shay mich befragten.
„Die Geschichte eurer Mutter ist wahrlich fantastisch, nicht wahr?“ mein Templer stand im Türrahmen und beäugte uns mit einer hochgezogenen Augenbraue.
„Vater, das ist keine Geschichte, das ist wirklich so passiert!“ erwiderte Edward entrüstet.
„Natürlich ist es das, Edward. Man könnte aber meinen es sei aus einem Märchen.“ irgendetwas in seiner Stimme ließ mich wieder aufhorchen.
Was war los mit ihm?
„Ihr müsst wissen, dass ihr niemandem davon erzählen dürft. Es ist ein Familiengeheimnis und bleibt unter uns. Eure Fähigkeiten ebenso. Aber darüber haben wir ja auch bereits gesprochen.“ diese Mahnung lief mir eiskalt über den Rücken.
„Warum bist so böse auf einmal?“ unsere Tochter war näher an mich herangerückt, ebenso wie ihr Bruder. Beide starrten ihren Vater ängstlich an.
„Bin ich das? Ist mir gar nicht aufgefallen.“
Reflexartig ließ ich meinen Blick über ihn schweifen und erschrak! Seine Aura war feuerrot!
„Florence, Edward! Ihr geht zu Sybill und Sophia! Sofort!“ ich duldete keine Widerworte und die beiden schlichen sich förmlich an ihrem Vater vorbei, der sie grinsend ansah.
„Das wird ihnen wohl kaum helfen.“ erwiderte er und schritt langsam auf mich zu.
In meinem Kopf formte ich die Mauer, es brauchte nur wenige Sekunden bis ich realisierte, dass ich mich wieder zu lange in Sicherheit hatte wiegen lassen.
„Was willst du? Hast du immer noch nicht verstanden, dass ich nie an deiner Seite stehen werde?“ langsam driftete ich in die Rolle meiner Vorfahrin, spürte die Äxte an meinen Seiten und die Geburtsschmerzen waren vergessen!
„DU nicht, nein. Aber du hast mir ein Geschenk gemacht. Unbewusst. Ist dir das immer noch nicht klar?“ diese Gestalt vor mir war nicht mehr mein Mann. Ich machte die Umrisse Hrymrs aus.
Er sprach von Helena?
„Du wirst sie nicht bekommen. Sie ist nicht dein Fleisch und Blut.“ noch immer war meine Stimme gefestigt, weil ich die Sicherheit der Barriere in meinem Geist spürte.
„Sie wird sich eines Tages freiwillig von euch trennen. Das ist ihr Schicksal!“ posaunte er laut hinaus!
„DAS glaube ich nicht!“ hörte ich Haythams Stimme hinter ihm und erstarrte bei seinem Anblick!
Dreckig, zerfetztes Hemd und völlig außer Atem stand er unserem Widersacher gegenüber!
Der Kampf der jetzt folgte lief wie in einem Anime ab. Typische dramatische Handbewegungen, Zeitlupe Animationen, verzerrte Gesichter und laute Rufe hallten durch unser Heim.
Thyra hatte mich mittlerweile völlig übernommen und drosch auf diesen Hrymr ein, ebenso Tyr der sich in den Vordergrund drängte.
Die Mauern wirkten Wunder und wir waren in der Lage diesen Gott zu schwächen, ihn mürbe zu machen. Hier an Land hatte er ohne seine Naglfar keine Regenerationsmöglichkeit.
Aber seine Kraft war einfach nicht zu unterschätzen und wir bekamen die geballte Ladung seiner Wut zu spüren. Eine blutige Nase und Schnitte auf der Haut waren nur ein kleiner Teil davon.
Ich spürte hier und da seinen Versuch Trugbilder in meinen Kopf zu pflanzen, aber wie eine vertrocknete Blume blieb es bei einem mickrigen Versuch.
Dieser Gedanke stärkte mich weiter in meinem Kampf! Endlich hatte ich den Dreh raus und konnte unterscheiden zwischen Realität und Illusion!
Meine Äxte hieben auf seinen Brustpanzer ein, während Haytham die Arme übernahm. Die Rüstung begann zu bröckeln, genau wie damals die Mauer in unseren Köpfen.
Neben uns tauchten verschwommene Gestalten auf, die sich um uns kümmern sollten. Doch sie verschwanden so schnell wie sei gekommen waren.
Frustriert brüllte Hrymr auf und verschwand mit lautem Getöse in einem Strudel aus wässrigem Nebel.
Entgeistert sah ich ihm nach.
DAS war es jetzt schon?
Mehr mussten wir nicht tun?
Er kommt wieder! Auch er muss noch lernen, dass ihr jetzt nicht mehr so leicht zu überwältigen seid. Es war ein Augenschmaus euch zuzusehen!
Odins Stimme überschlug sich vor Anerkennung und ich sah im Geiste das breit grinsende Gesicht Elias´.
Langsam ging ich wieder in meinen Körper über und sah mit Entsetzen, dass Haytham schwer atmend am Boden lag.
„Mi amor! Was ist passiert? Geht es dir gut?“ ich nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn überschwänglich! In mir keimte ein leises schlechte Gewissen auf, weil ich nicht registriert hatte, dass nicht ER vorhin hier erschienen war, sondern Hrymr. Doch wie sollte er das angestellt haben?
Florence und Edward! Was hatte er mit ihnen gemacht?
Tausende Fragen gingen mir durch den Kopf.
„Lass mich zu Atem kommen und ich erzähle dir alles, mi sol.“ flüsterte er und erhob sich schwerfällig.
Auf dem Sofa vor dem Kamin ließ er sich fallen und legte den Kopf in den Nacken. Ich begutachtete seine eventuellen Verletzungen, aber Odin sei Dank waren es nur blaue Flecke. Trotzdem sah er sehr mitgenommen aus.
Nachdem ich ihm ein Glas mit dem guten Whiskey eingegossen hatte und er einen kräftigen Zug genommen hatte, begann zu berichten.
In der letzten Nacht hatten sie auf einer kleinen Lichtung Rast gemacht, weil die Kinder bereits zu müde waren.
Das Zelt war schnell aufgebaut, man hatte ein kleines Lagerfeuer entfacht und genoss einen Teil der Ausbeute der Jagd.
Mit Haytham, Florence und Edward war noch ein weiterer Herr und sein Sohn dabei. Die Kinder schliefen recht zügig ein, während die Väter sich noch ein wenig am Feuer wärmten und unterhielten.
Sie besprachen abwechselnd Wache zu halten, Haytham wäre als erster dran. Die nächste Schicht bis zum Morgen wollte sein Begleiter übernehmen.
Mein Mann hatte sich also mit einer Muskete in Richtung der Zelte gesetzt, so hatte er alles gut im Blick. Ab und an stand er auf um einmal um ihr Lager zu gehen, nur zur Sicherheit.
Bei einem dieser Gänge hörte er ein Rascheln in der Nähe und nahm rötliche Umrisse eines Vierbeiners wahr. In Alarmbereitschaft legte er das Gewehr an und verfolgte mit Lauf die Bewegung des vermeintlichen Tieres.
So abgelenkt bemerkte er nicht, wie sich von hinten etwas auf ihn zubewegte und blitzschnell zu Boden warf. Nicht einmal ein Ausruf war mehr möglich.
„Alex, es ist … mir ist so eine Unachtsamkeit noch nicht passiert. Ich war wie gelähmt, als man mir die Hände auf den Rücken schnürte und die Knöchel damit verband! Ich konnte mich nicht mehr rühren! Ein Stück dreckigem Stoff im Mund machte es mir unmöglich die anderen zu warnen. Es war nicht nur Hrymr, das kann einfach nicht sein.“
Seine Wut über seine Fehlbarkeit war deutlich wahrzunehmen. Das war etwas, was für Haytham einfach ein Unding war. Sein Perfektionismus stand ihm in so vielen Dingen im Weg, wie auch hier. Es war nicht seine Schuld, wir waren mal wieder zu sicher gewesen, weil Monatelang nichts passiert war.
„Plötzlich roch ich etwas unfassbar unangenehmes und weiß ab da nichts mehr. Erst als bereits helllichter Tag war, erwachte ich wieder und fand mich auf einem brach liegenden Feld wieder.“ mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb er sich den Kiefer.
Ein vorbeiziehender Bauer wurde auf ihn aufmerksam, erst skeptisch, weil er ihn für einen Trunkenbold hielt. Als er aber die Seile und den Knebel sah, eilte er zu ihm und befreite ihn.
Der Herr bot ihm an, sich bei ihm zu erholen und dann am nächsten Tag zurückzureiten. Einen alten Klepper könnte er ihm überlassen, aber mein Mann lehnte dankend ab. Befreit zu sein war schon Hilfe genug, sagte er und marschierte los.
Den Orientierungssinn von ihm hätte ich auch gerne, ich wüsste nicht einmal in welcher Richtung unsere Plantage liegen würde.
„Vielleicht erkläre ich dir das auch irgendwann einmal, mi sol.“ lächelte er etwas kläglich und nahm noch einmal einen kräftigen Schluck.
Auf meine Frage, mit wem ich denn dann gestern gesprochen hätte im Geiste, erklärte er mir, dass ER es war. Zu dem Zeitpunkt war von dem bösen Kapitän noch nichts zu spüren gewesen.
Aber auf dem ganzen Weg zurück nach Hause versuchte er immer wieder zu mir, Edward, Florence oder auch Helena durchzukommen. Es war vergebene Liebesmüh! Seine geschwächte körperliche Konstitution war entsprechend nicht hilfreich, im Gegenteil.
„Deswegen warst du, oder er, so seltsam vorhin. Ich hätte es doch wissen müssen!“ fluchte ich!
„Er wird trickreicher, Alex. Auch er lernt dazu.“ gab er zähneknirschend zu.
Vorsichtig strich Haytham über mir die Wange und ich lehnte mich an seine Schulter.
„Ich bin so froh, dass du wieder hier bist und …“ plötzlich spürte ich, wie mir jegliche Farbe aus dem Gesicht wich! Der Brief an den Gouverneur! War Hrymr auch daran gelegen uns auszuspionieren und uns so mundtot zu machen?
Darauf angesprochen sahen mich graue Augen müde, aber unfassbar sorgenvoll an.
„Ich befürchte, dass Amber da auch noch eine Rolle spielt.“
Moment, was hatte SIE damit zu tun?
Wir wir ja schon wussten, hatte ihre Familie nichts mit den Göttern zu tun. Die Frau wusste aber, wie man sich Informationen, Strohmänner und jede Menge Helfer an Land ziehen konnte.
Unser persönlicher Erzfeind, der böse Kapitän, spielte dabei hoffentlich keine Rolle. In Ambers Gegenwart, erzählte mir mein Mann, hätte er keinerlei Präsenz spüren können. Was aber nicht bedeutet, dass sie unschuldig ist.
„Ihre Aura strahlt leuchtend Rot.“ erwähnte er nicht zum ersten Mal in diesem Gespräch. „Wie mir zu Ohren gekommen ist, hat sie mit Gouverneur Tryon tatsächlich Kontakt und hin und wieder traf man sich zu einem kleinen, ich nenne es mal so, Plausch in einigen Gasthäusern im Hinterzimmer.“ sein Blick sagte alles.
Der Inhalt unseres Schreibens an besagten Herren könnte auch ihr zu Ohren kommen. Jetzt war es zu spät, der Bote war schon seit Stunden unterwegs, verdammt!
Das mit Mrs Nicholls war nicht unser einziges Problem!
Wir hatten mittlerweile Mitte November und in wenigen Wochen wird die legendäre „Boston Teaparty“ stattfinden.
Ich beschloss, dass wir uns auf den Weg dorthin machen sollten. Ob Connor sich noch rechtzeitig überzeugen ließ, sich nicht involvieren zu lassen von den Söhnen der Freiheit, war fraglich. Wir mussten es aber versuchen.
Als ich sah, dass mein Gatte alles andere als einverstanden war mit dieser Reise, versuchte ich es mal wieder auf meine diplomatische Weise.
„Sieh es als Lehrstunde für Edward und Florence. Sie sollten sehen, was aufgestaute Wut in einem Menschen oder in diesem Falle, hunderten von Menschen, anrichten kann. Sie müssen lernen, dass man sich nicht alles gefallen lassen muss von der Obrigkeit.“ begann ich eines Abends, während ich mit meinem Mann in seinem Arbeitszimmer vor dem Kamin saß. Das Feuer war angenehm warm und das Knistern der Holzscheite löste ein wohliges Gefühl in mir aus, obgleich unser Gespräch alles andere als das war.
„Du hast selber vor nicht allzu langer Zeit noch darauf plädiert, dass weder Connor noch ich dort anwesend sein sollen. William Johnson hast du ebenfalls schon eine Warnung ausgesprochen und jetzt willst du persönlich dort vor Ort sein? Was willst du damit bezwecken?“ in seinem Blick lag echtes Unverständnis bei diesen Worten.
Für einen Moment ging ich in mich, überlegte, was ich jetzt als logische und auch überzeugende Antwort geben könnte.
„Ich bin neugierig!“ rutschte es mir raus, ohne dass ich es verhindern konnte.
„Ernsthaft, mi sol?“ entgeistert sah er mich an. „Ich kann verstehen, dass du einiges, was du nur aus Büchern kennst, selber erleben willst, aber … muss es ausgerechnet dieser Moment sein?“ er klang so, als wolle er Edward belehren, nicht alles auszuprobieren was er las.
„Ein harmloses Event, mi amor. Nun gut, nicht ganz. Aber wir müssen ja auch nicht mithelfen die Kisten ins Wasser zu werfen.“ ich wollte aus einem mir unerfindlichen Grund unbedingt dabei sein! „Wir können die Tumulte davor, währenddessen und danach einfach umgehen. Wir wären nur Zuschauer aus sicherer Entfernung!“ Bei Odin, ich begann ihn anzubetteln! Dabei war ich erwachsen und konnte doch eigentlich tun und lassen was ich wollte, nicht wahr?
„Nein, wir werden nicht die Kinder in diese Gefahr bringen!“ sein abruptes Aufstehen sollte mal wieder das Ende der Diskussion darstellen, das wusste ich mittlerweile.
„Und was ist mit Connor?“ hakte ich zickig nach, ja ich konnte es nicht zügeln.
„Was soll mit ihm sein, er weiß, dass es ratsam wäre, wenn er nicht mit den Söhnen der Freiheit in Kontakt tritt um der britischen Krone eine Lektion zu erteilen. Und hast du auch einmal darüber nachgedacht, dass wir unsere Lagerhäuser für Tryon zur Verfügung gestellt haben? Unser Name wird mit 100 Prozentiger Sicherheit auftauchen, sobald auch in New York die Menschen auf die Barrikaden gehen. Ich will das alles nicht ausreizen!“ seine Stimme hatte sich erhoben bei diesen Worten.
„Gut, wenn du nicht gewillt bist, mit mir zu kommen, dann werde ich alleine nach Boston reisen.“ ich wollte um alles in der Welt bei diesem geschichtlichen Ereignis dabei sein, koste es was es wolle!
„Auf gar keinen Fall!“ langsam drehte er sich jetzt zu mir und sah mich giftig an. „Wir wissen nicht, was Amber noch alles aus dem Ärmel zaubern kann! Es ist einfach zu gefährlich! Verstehst du das nicht?“
In mir kochte eine Welle an Wut hoch, weil man mir Dummheit unterstellte!
„Doch, ich bin nicht auf den Kopf gefallen! Ich weiß mich zu verteidigen, ich kann für mich selber einstehen!“ presste ich hinter zusammen gebissenen Zähnen hervor.
Hände ringend stand mein Mann vor dem Kamin.
„Das meine ich nicht! Wir haben immer noch viele unsichtbare Feinde, die uns ans Leder wollen. Assassinen wie Templer. Du willst dich ihnen wie auf einem Präsentierteller darbieten? Connors Gefolgsleute könnten dir ebenfalls schaden, sollte er nicht rechtzeitig oder gar nicht zur Stelle sein.“ das war ein valider Punkt, dass musste ich zugeben.
„Wenn du mir aber zugehört hättest, dann hättest du verstanden, dass ich mich im Hintergrund halten werde. Keine Ahnung … ich sehe aus einer höheren Position zu.“ im selben Moment kam mir dieser Geistesblitz. Ich konnte mich entspannt auf einem der Häuserdächer platzieren und das Schauspiel genießen. Verzeiht diesen Ausdruck, aber für mich war es einfach grandios diese Teaparty live miterleben zu können, auch wenn es sich mehr als merkwürdig anhört. Wie so vieles in meinem Leben, oder?
„Deine Entspanntheit hätte ich auch gerne einmal.“ wieder dieser Oberlehrerton in seiner Stimme. „Aber wie du willst, reise nach Boston! Erkläre mir aber bitte, was aus Helena in der Zeit deiner egoistischen Idee wird.“ seine Augenbraue hob sich arrogant und er sah auf mich herab. Oh wie gut ich diese Art doch kannte.
„Ich nehme sie mit, genau wie Sybill, damit sie …“ lachte er jetzt etwa?
„Nein, ganz bestimmt nicht, Alex! Ich werde den Teufel tun und meine jüngste Tochter deinem Irrsinn aussetzen!“ dieser Ton ließ mich ihn wieder mit 9 Jahren sehen und in mir kochte es erneut.
„Du wirst mich wohl kaum davon abhalten können!“ fauchte ich.
„Könntet ihr bitte aufhören euch zu streiten!“ tönte Edward Juniors Stimme aus Richtung der Tür.
In seinen Augen sah ich eine Angst, welche mich schaudern ließ. Wovor fürchtete er sich?
„Wir haben eine Meinungsverschiedenheit, mein Sohn, das kommt vor. Geh wieder zu Bett!“ Haytham war in solchen Dingen … ja, er war er selber!
„Das sagst du nur so.“ flüsterte unser Sohn, ließ den Kopf hängen und trollte sich.
„Super hinbekommen!“ seufzend streckte ich mich und wollte schon aus dem Zimmer gehen, als mich seine Hand am Arm festhielt.
„Du bist zu leichtsinnig! Kannst du diesbezüglich meine Sorge nicht verstehen? Mal abgesehen davon, dass du eines unserer Kinder auch noch gefährden könntest.“ seine Stimme wurde etwas ruhiger. Kurz hatte ich die Hoffnung, er würde zustimmen. Weit gefehlt, kann ich euch sagen.
„Ich werde mich überzeugen, dass Master Johnson und Connor außer Gefahr sind und breche übermorgen auf. DU bleibst hier …“
Oh nein, ganz bestimmt nicht.
„Mit mir oder gar nicht!“ ich baute mich wütend vor ihm auf, nun gut, ich war nicht allzu groß leider.
Tief in mir wusste ich aber, dass ich Helena noch nicht alleine lassen konnte, ich stillte sie noch und die Milchpumpen und entsprechende Lagerung waren noch nicht erfunden. Ich könnte sie, genau wie Florence mit der Ziegenmilch füttern. Somit wäre ich nicht ans Haus gebunden. Das würde aber noch Vorbereitungszeit in Anspruch nehmen.
„Alex, hör auf mit diesen Gedanken! Ich weiß, dass es Alternativen gibt. Aber es ist eine nicht ungefährliche Reise nach Boston, geschweige denn IN der Stadt! Es wird zu Aufständen kommen, die du vielleicht nicht in den Geschichtsbüchern lesen konntest, weil sie, und das waren immer wieder deine Worte, nicht jedes Mal niedergeschrieben wurden. Du kannst nicht jedes Detail wissen!“ jetzt klang Haytham wie ein Reiseführer, der einen mahnte nur auf den befestigten Straßen zu bleiben.
Ich ging zum Fenster welches zur Terrasse zeigte und sah hinaus in den novemberlichen kahlen Garten.
Nein, ich würde nicht klein beigeben. Dieses Mal nicht!
„Ich werde dorthin reiten, ob es dir nun passt oder nicht.“ sprach ich leise, aber überzeugt!
„Du musst mich auch einmal verstehen, Haytham. Es gibt für mich Dinge, die ich mit eigenen Augen sehen muss oder die ich miterleben will, weil sie eben, wie du schon sagtest, nicht immer korrekt überliefert wurden.“ ich war um eine ruhige Stimme bemüht und spürte, dass ich mich langsam beruhigte.
„Willst du auch in den bevorstehenden Krieg ziehen?“ dieser Sarkasmus war schon nicht von schlechten Eltern, muss ich sagen.
„Wir werden ihn direkt hier vor der Tür erleben! Ich muss nicht einmal irgendwohin reisen!“ erwiderte ich im selben Ton. Ich war kurz davor zu fragen, was wir dann mit unseren Kindern machen würden. Doch ich verkniff sie mir, es könnte in einen fiesen Streit ausarten. Ehrlich gesagt, wollte ich das generell gar nicht.
Aber hier prallten wieder Haythams Welt und Anschauung mit meiner aufeinander! Wir waren verschieden! Leugnen war zwecklos!
„Ich wünsche dir eine gute Nacht, mi amor. Ich bin müde.“ leise schloss ich die Tür zu seinem Arbeitszimmer hinter mir und ging hinauf.
„Mistress Kenway, geht es euch nicht gut? Ihr seht so blass aus.“ fragte Magda, als sie meine Haare bürstete.
Seufzend lehnte ich mich etwas zurück und sah sie im Spiegel an.
„Seit ihr auch ab und an mit Michael nicht einer Meinung, aber findet dann doch eine Lösung?“
fragte ich jetzt Frank und Frei heraus.
„Ja, das gibt es tatsächlich hin und wieder.“ ihre Schüchternheit frei raus zu sprechen merkte ich.
„Wie … löst ihr solche Konflikte?“ würde ich von einer Frau aus dem 18. Jahrhundert eine Antwort bekommen, die mich unterstützte, oder würde sie eher kontra meiner Meinung ausfallen? Was hatte ich mir dabei nur wieder gedacht.
Lächelnd sah sie mich an.
„Ihr habt mir gezeigt, dass ich für mich selber einstehen soll und auch kann! Dieser Mut verleiht mir immer wieder Kraft mich zu behaupten. Ich bin natürlich nicht soweit wie ihr, Mistress Kenway, ihr habt ein ganz anderes Leben geführt in eurer Zeit. Aber wenn man zu dem steht, was man erreichen will, kann es funktionieren. Egal ob man mit positiven oder negativen Erlebnissen daraus hervorgeht.“ diese Frau stand hinter mir und flocht völlig unbeeindruckt meine Haare bei diesen Worten.
„Magda, ihr habt es haargenau erfasst! Ihr habt Recht!“ grinste ich breit und nahm ihre Hand in meine.
Ich beschloss meinem Mann genau diese Worte, sobald ich hier fertig war, mitzuteilen.
Mit neuer Zuversicht ging ich kurz darauf hinunter um meinem Templer noch einmal meinen Standpunkt klarzumachen. Dieses Mal würde ich nicht klein beigeben!
Auf mein Klopfen reagierte er nicht, auch nicht als ich etwas energischer wurde.
Für einen Moment stand ich etwas verloren dort und wusste nicht, ob ich einfach so hereinplatzen sollte. Haytham fand dieses Verhalten definitiv nicht gut, das war mir bewusst.
Ich atmete tief durch, drückte vorsichtig die Klinke hinunter und trat ein.
Sein Schreibtisch war verwaist, die Kerzen bereits herunter gebrannt.
Suchend sah ich mich um und entdeckte meinen Mann schlafend auf dem Sofa vor dem Kamin.
Langsam trat ich auf ihn zu und betrachtete ihn für eine Weile.
Wenn er so friedlich schlief, hatte er weiche entspannte Gesichtszüge. Ich entdeckte ein paar kleine Fältchen um seine Augen herum. Wir wurden älter, dass vergaß ich des öfteren.
Lächelnd stand ich da und traute mich nicht mich zu bewegen.
Vielleicht sollten wir morgen ausgeruht noch einmal darüber sprechen, ging es mir durch den Kopf und wollte mich schon wieder auf den Weg ins Schlafzimmer machen, als er sich ausgiebig gähnend streckte.
„Mi sol, wie lange stehst du hier schon?“ seine Stimme war schläfrig.
„Du hast wirklich nicht gespürt, dass ich dir beim Schlafen zugesehen habe? Sonst bist du immer sofort hellwach, sobald man sich nur in deine Nähe begibt.“ grinste ich, weil ich in diesen Genuss des Schreckens einige Male gekommen war.
„Es hat den Anschein, dass ich wohl etwas Schlaf nachzuholen habe. Ich werde hinauf gehen.“ er ging an mir vorbei ohne weiter auf mich zu achten.
Enttäuscht setzte ich mich auf das Sofa und starrte auf das herunter brennende Feuerholz. An Schlaf war gerade nicht zu denken. Vielleicht würde ein Buch mich ablenken und auf andere Gedanken bringen.
Ich stand wieder auf und ging hinüber ins Lesezimmer, zündete eine Kerze an und suchte die Regale nach etwas passendem ab.
Nichts sprach mich aber wirklich an, was mich ehrlich gesagt noch mehr frustrierte.
Mein Tagebuch schreiben wäre noch eine Option, aber ich war zu faul alles heraus zu kramen und den Kamin wieder anzuheizen in meinem Arbeitszimmer.
Langsam ging ich die Treppe hinauf, Stufe für Stufe, vorsichtig, als könnte sie unter mir zusammen brechen. Diese Konzentration lenkte mich etwas von meinem Frust ab.
„Ich wünsche euch eine geruhsame Nacht, Master Kenway.“ hörte ich Michael auf der Galerie reden und beschleunigte meine Schritte.
„Michael, ist mein Mann etwas gesprächiger jetzt?“ ob er aus dem Nähkästchen plaudern würde, wusste ich nicht, ebenso war unklar, was Haytham ihm überhaupt so erzählte.
„Mistress Kenway, ich denke, er ist einfach erschöpft. Auch ihr seht übermüdet aus. Sprecht morgen in aller Frische wieder mit ihm.“ sein Blick sprach mehr als tausend Bände. Er wusste, dass gerade der Haussegen etwas schief hing.
Ich bedankte mich leise bei ihm und ging dann zu meinem Mann.
Er lag bereits im Bett mit dem Rücken zu mir und rührte sich nicht.
Ich zog meinen Morgenrock aus, legte ihn über den Hocker am Fußende und schlüpfte dann ebenfalls unter die Bettdecke.
„Gute Nacht, mi amor.“ flüsterte ich und drehte mich um.
Wie lange ich noch wach lag, weiß ich nicht.
Der Morgen war aber zu früh angebrochen und ich hörte bereits unsere Kinder.
Es klopfte und Sybill trat mit Helena ein.
„Die kleine Dame hat einen Bärenhunger, Mistress Kenway.“ lächelte sie, legte mir meine Tochter auf den Arm und öffnete die Vorhänge.
Draußen war es neblig und Eisblumen zierten die Fenster. Ja, es wurde wieder kalt.
Neben mir bewegte sich Haytham und legte seine Hand auf meinen Oberschenkel. Seine Finger strichen behutsam über meine Haut, was ihm ein Lächeln ins Gesicht trieb.
Unsere Tochter hingegen wollte Aufmerksamkeit und begann zu weinen. Sie hatte wahrlich einen riesigen Appetit heute morgen und wir brauchten eine geschlagene Halbe Stunde, bis sie wirklich satt war.
„Siehst du was ich gemeint habe, als ich dich auf Helena angesprochen habe? Sie braucht noch deine volle Aufmerksamkeit, du kannst sie noch nicht alleine lassen!“ hörte ich Haytham aus dem Ankleidezimmer vorwurfsvoll sprechen.
Kein „Guten Morgen“ aber gleich mit der Tür ins Haus fallen, das sah ihm gar nicht ähnlich. Eher mir!
Und dann fiel mir ein, dass ich auch gar nicht alleine nach Boston reisen musste. Ich würde einfach eine Nachricht an Faith schicken, in der Hoffnung, dass sie Zeit hat! Warum bin ich nicht schon früher darauf gekommen?
Während Magda mich einkleidete und Sybill mit Helena bereits nach unten gegangen war, dachte ich über die passenden Worte nach. Ich wollte ihr diese Reise so schmackhaft wie nur möglich machen, sodass sie nicht nein sagen konnte.
„Euch geht es besser, wie ich sehe, Mistress Kenway. Ihr lächelt wieder.“ holte mich meine Kammerzofe aus meinen Gedanken.
„Etwas besser, ja. Ich werde bald nach Boston aufbrechen, mit meiner Freundin.“ in mir kribbelte eine gewisse Vorfreude, die ich so schon lange nicht mehr erlebt hatte.
„Oh, wollt ihr, dass ich euch begleite?“ auch in ihren Augen sah ich eine Begeisterung für meine Idee, doch ich würde sie nicht in Gefahr bringen.
„Es ist klüger, wenn ihr nicht mitkommt. Die nächsten Wochen könnten gefährlich werden. Helena wird mit Sybill zwar mitreisen, aber die beiden werden sicher untergebracht in unserem dortigen Büro.“
Ich sah, dass sie enttäuscht war. Aber sie ließ es sich nicht weiter anmerken, sondern machte weiter mich für den Tag herzurichten.
Am Frühstückstisch sahen mich Florence und Edward erwartungsvoll an. Fragend ging mein Blick zu meinem Mann, der in seine Zeitung vertieft war.
„Mama, können wir mit dir kommen?“ fragte mein Sohn hoffnungsvoll. Leider musste ich auch ihn enttäuschen.
„Nein, das wäre nicht klug, min lille skat…“ gerade als ich es erklären wollte, fiel mir Haytham ins Wort.
„Auch eure Mutter wird nicht dorthin reisen!“ fehlte nur noch, dass er mit der Hand auf den Tisch schlug. Also war seine Laune immer noch im Keller.
„Wir werden das besprechen, wenn wir hier fertig sind, Haytham.“ erwiderte ich ruhig, aber bestimmt.
Die beiden Großen machten sich jetzt für die Schule fertig. Dicke Wollumhänge, kuschelige Handschuhe und vor allem die warmen Stiefel waren jetzt wieder an der Tagesordnung.
Ich winkte ihnen hinterher als sie mit den anderen auf dem kleinen Wagen losfuhren.
Helena schlief noch, also hätte ich noch etwas Zeit, um mir meinen Mann vorzuknöpfen.
Wie erwartet, saß er am Schreibtisch und schrieb irgendetwas in ein Buch.
Lange um den heißen Brei reden brachte nichts, also fiel auch ich mit der Tür ins Haus.
„Ich werde an Faith schreiben und sie bitten mich zu begleiten. So bin ich nicht alleine und Helena wird mit Sybill zusammen in unserem Büro untergebracht. Sechs Wachen werden ebenfalls mit uns kommen. Du wirst mich nicht umstimmen können, Haytham. Ich verstehe deine Besorgnis, keine Frage. Aber ich kann auf mich aufpassen!“
Langsam schritt ich um den Schreibtisch herum und wartete auf eine Reaktion.
„Dann wünsche ich dir eine gute Reise, aber beschwere dich nachher nicht, wenn dir etwas zustößt!“ damit widmete er sich dem Buch und seiner Schreiberei wieder.
Vorsichtig nahm ich ihm die Feder aus der Hand. Mit gerunzelter Stirn sah er mich erstaunt an.
„Was wird das, Alex?“
„Ein Gespräch, Haytham. Sieh mich an, wenn ich mit dir rede. Meinetwegen sei sauer, beleidigt und in deiner Eitelkeit gekränkt, mich nicht beschützen zu können. Bedenke aber eines, mein Wissen über dieses Ereignis reicht weiter und ich kann die Plätze meiden, welche eine Gefahr darstellen. Mit Faith zusammen ist es nochmal sicherer, oder nicht? Auch sie sollte bei diesem Ereignis dabei sein. Es ist nun mal ein historischer Moment. Ich lasse mir das nicht von dir verbieten. Deine Ratschläge habe ich bisher immer beherzigt und werde es auch weiterhin tun. Doch dieses eine Mal kann ich selber beurteilen, ob es brenzlig sein wird oder nicht.“
Er hatte sich zu mir umgedreht und sah mich kopfschüttelnd an.
„Dein Leichtsinn wird dir irgendwann noch mal zum Verhängnis werden, das garantiere ich dir. Passiert meiner Tochter etwas, Gnade dir Gott, Alex! Stößt Faith etwas zu, kannst du dich mit Master Cormac alleine herumärgern! Und jetzt lass mich weiter arbeiten. Die Geschäfte laufen ja nicht von alleine!“ in seiner Stimme klang zwar immer noch Zorn mit, aber eine leichte Note von Erkenntnis war zu vernehmen.
„Nein, das tun sie nicht.“ sagte ich leise und reichte ihm wieder die Feder.
Ich setzte mich in mein Studierzimmer an meinen Arbeitsplatz und begann einen Brief an Faith zu schreiben!
Immer wieder brach ich ab, weil ich einfach nicht die richtigen Worte fand, die ihr das ganze schmackhaft machen sollten.
Nach gefühlten tausendfachen Anläufen, beschloss ich, ihr ganz einfach zu sagen, dass sie an einem historischen Ereignis teilhaben kann, was in die Geschichtsbücher eingehen wird. Ich hoffte, dass auch sie so Euphorisch war wie ich bei diesem Gedanken!
Ich schlug vor, die Jackdaw zu nehmen und sie dann in sicherer Entfernung zum Bostoner Haupthafen vor Anker gehen zu lassen.
Ich schloss diese Nachricht mit den Worten, dass ich sie vermisste und mich auf unseren kleinen Trip freute. Plötzlich verschwammen meine eigenen Worte vor meinen Augen, weil mir die Tränen in die Augen stiegen! Wie lange hatten wir uns nicht mehr gesehen?
Eine Ewigkeit!
Aber es war so viel geschehen und unsere Leben waren so unterschiedlich, dass man sich nur selten zu Gesicht bekam.
Ein Ereignis schlich sich in meine Gedanken, welches ich verdrängt zu haben schien. Prompt überkam mich wieder ein schlechtes Gewissen!
Es war im Februar vor 4 Jahren! Ich hatte mich einigermaßen von meinen Verletzungen nach der blutigen Silvesternacht erholt und wir waren wieder daheim angekommen.
Nach einer Trainingseinheit erschien Faiths Onkel, James Law bei uns und bat, oder besser befahl uns schon fast, sofort mit ihm zu kommen! Es ginge um meine Schwester im Geiste, die Geburt ihres Kindes, des Erben stünde kurz bevor!
Etwas entgeistert starrte ich ihn an.
„Und was soll ich dabei tun? Ich kann ihr doch …“
„Tut was ich sage und beeilt euch!“ fauchte er und stand wartend in der Eingangshalle. Ich mochte ihn einfach nicht, Punkt!
Also schön, ich packte ein paar Sachen, verabschiedete mich von Edward und Florence, die uns nicht begleiten durften, weil sie zu jung seien. Nun gut, wir wären ja bald wieder daheim. So dachte ich noch.
Kurz darauf machten wir uns gemeinsam auf den Weg zur Williams-Plantage.
„Irgendwie habe ich kein gutes Gefühl gerade.“ flüsterte ich meinem Templer zu, der neben mir herritt.
Wir nähern uns einem geballten Pool von Göttern, die nicht alle friedlich gestimmt sind. Hörte ich den Allvater plötzlich in meinem Kopf. Denk immer an dein Training, an die Mauer in deinem Kopf! Du bist noch nicht ganz wieder bei bester Gesundheit! Und Haytham, auch für dich gilt das gleiche!
Diese Mahnung brachte mir eine unwohle Gänsehaut. Wir waren noch nicht einmal in der Nähe der Plantage!
Dann endlich am Nachmittag des 28. Februars kamen wir an und ich war heilfroh, von Fenrir steigen zu können. Mir tat alles weh, weil wir auch keine Pause gemacht hatten. Law war der Meinung, ich müsse die Zähne zusammenbeißen. Idiot! Ihm aber alles erklären, dafür fehlte mir gerade die Geduld.
Als wir eintraten, kam Faith etwas gequält lächelnd auf mich zu. Wehen! Sie versuchte sie wegzuatmen! Warum lag diese Frau nicht im Bett? Warum marschierte sie hier herum?
Sie umarmte mich, winkte aber ab, es sei nicht so schlimm. Ja, das sah ich. Erwähnte ich, dass diese Frau stur sein konnte?
Im Salon sah man uns fragend an als wir durch die Tür kamen. Anscheinend hatte man es nicht für Nötig gehalten uns anzukündigen.
Und dann ging alles recht schnell und ich weiß nicht, ob ich noch alles richtig wiedergeben kann.
Ich hörte Faith in meinem Kopf, welche mich, genau wie Odin vorhin schon, mahnte meinen Geist zu verschließen. Aber der Zusatz, ich solle auf ihr Kind aufpassen, ließ mich böses ahnen.
Die Angst vorm Sterben mein Kind. Denk an deine Reise in der Zeit deines Dämmerzustandes. Auch du hast so etwas gespürt. So auch deine Freundin jetzt. Der Allvater brachte mir etwas Ruhe und ich begann die Mauer in meinem Geiste zu errichten.
Haytham neben mir wappnete sich ebenfalls, aber ihm stand noch Tyr zur Seite, welcher uns zusätzlich abschirmen würde.
Welcher Gott hier aber Werk sein sollte, war für uns noch völlig unklar. Niemand klärte uns auf, vielleicht war es auch besser so, ging es mir durch den Kopf.
Das etwas merkwürdiges um uns herum geschah war deutlich zu spüren, ich hatte in den Monaten meine Sinne schärfen können.
Faith war in ihr Arbeitszimmer gebracht worden!
Jetzt wurde uns auch endlich ein wenig erklärt, was passieren sollte.
Imhotep würde einen Kaiserschnitt durchführen!
Mir lief ein eiskalter Schauer dabei über den Rücken. Ich hoffte und betete zu all meinen Göttern, dass alles glatt ging!
So in Gedanken vertieft, hatte ich gar nicht bemerkt, dass ich tatsächlich mitten im Raum kniete, geschweige denn wie lange.
Plötzlich hörten wir ein lautes „GEH!“ von Shay und Aminata erschien mit einem kleinen Bündel auf dem Arm im Salon, welches sie an mich überreichte.
Kaum dass ich dieses kleine Menschlein auf dem Arm hatte, schrillten sämtliche Alarmglocken in meinem Kopf und mein Körper versteifte sich vor Angst!
Vor meinem geistigen Auge sah ich mit einem Male eine Schlange auftauchen, die sich unserer bemächtigen wollte. Jörmungandr konnte es unmöglich sein!
Haytham neben mir hielt mich und das Kind fest, ließ gleichzeitig eine Kuppel über uns entstehen, als Tyr sein Schild beschwor!
„Es kann nichts passieren, mi sol. Halte durch!“ flüsterte mein Mann und strich mir dabei immer wieder über den Rücken.
Mir tat mein Kopf weh, meine Knochen begannen zu schmerzen und es fühlte sich an, als würde man mir die Lungen zerquetschen wollen.
Mit einem Male war Faith in meinen Gedanken und erschrocken sah ich auf. Sie stand unweit von uns entfernt, so als wäre alles in Ordnung.
„Du schaffst das, mein preußisches Weib.“ hörte ich sie und erst jetzt realisierte ich, dass sie mit einer Rüstung dort stand.
Ich brachte in diesem Moment nur ein „Mach ihn alle!“ zustande, weil meine Konzentration nicht nachlassen durfte.
Hintergrundmusik die euch ans Herz lege!
Was genau jetzt noch passierte, ist kaum in Worte zu fassen, geschweige denn habe ich alles behalten. Vieles verdrängt man einfach. Man möchte es nicht mehr in seinen Gedanken haben, nicht wahr?
Meine Schwester im Geiste wurde von Shay wieder ins Haus gebracht, Blut überströmt, kaum ansprechbar und kaum bei Bewusstsein!
Entsetzt sah ich sie an, dann auf das Kind in meinen Armen! Diese bedrückende Atmosphäre von den Göttern wich einer ebenso unangenehmen Schwere! Faith lag im Sterben, sie hatte das alles so geplant!
Kind, zügle jetzt erstmal deine eigene Wut. Dich nicht eingeweiht zu haben, hat seinen Grund gehabt! Nur so konnte man sicher stellen, dass ihr unbedarft an eure Aufgabe gegangen seid. Und jetzt geh zu deiner Schwester im Geiste! Odin stand plötzlich neben mir und sah mich traurig an.
Gemeinsam mit Haytham ging ich zu ihr und brachte kaum einen Ton über die Lippen. Meine Stimme brach, als ich ihr ihre kleine Tochter auf die Brust legte.
„Deine Tochter, meine störrische Schottin.“ krächzte ich und fühlte, wie mir die Tränen die Wangen herunterliefen.
Das konnte nicht ihr Ernst sein. Sie konnte doch jetzt nicht einfach so gehen! Das war nicht richtig!
Shay stand ebenso machtlos daneben. Seine Frau starb vor unseren Augen. Imhotep konnte ihr auch nicht helfen!
In mir schrie alles nach den Göttern, die doch so allmächtig waren! Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt zu demonstrieren, wie gnädig und mächtig sie sein konnten!
Holt sie zurück! Holt sie zurück! Flüsterte ich vor mich hin, wurde dann aber von der kleinen Anna abgelenkt, welche leise wimmerte.
Ich nahm sie wieder auf meinen Arm und beobachtete das Geschehen vor mir.
„Rette sie!“ bat der Ire erneut und Imhotep versuchte es, leider ohne Erfolg.
„Es ist zu spät!“ gab der ägyptische Gott leise als Antwort.
„Mach Platz Shay, ich rette sie“ Lion Williams war neben seine Enkelin getreten und Shay übergab ihm Faith.
Lady Melanie begann bitterlich zu weinen, klammerte sich an Lucius und sah zu ihrem Gatten, welcher mit Faith im Arm dort stand.
„Lion ich liebe dich“ hörte ich sie leise sagen.
„Und ich dich. Wir sehen uns im nächsten Leben, Melanie“ sprach er leise.
In seiner Hand hielt er das Diadem, welches ich vor Jahren schon einmal gesehen hatte. Der Jungbrunnen!
Lion nickte Imhotep zu und bat, sein Amulett an July weiterzugeben.
Und dann manifestierte sich Thot, dessen Blick in die Runde der Anwesenden hier ging. Es war unheimlich, aber auch faszinierend zugleich.
Das Schmuckstück in seiner Hand überzog sich mit Faiths Blut, gleichzeitig aber sah ich, wie alles Leben aus ihm wich.
Immer noch sprachlos sah ich dabei zu wie Lion Williams sich für seine Enkelin opferte! Einer musste heute sterben? War das so geplant?
Mein Mann neben mir sah mich ebenfalls entsetzt an.
„Das kann nicht sein.“ mehr sagte er nicht, brauchte er auch nicht.
Und dann kam im wahrsten Sinne des Wortes Leben in meine Schwester im Geiste. Ihr Gesicht bekam wieder Farbe und Imhotep versuchte erneut die Kaiserschnittwunde an ihrem Bauch zu schließen.
Als sie ihre Augen öffnete, sackte in genau demselben Moment ihr Großvater tot zu Boden!
Dieser Moment zwischen Freude und Trauer ist oft ein schmaler Grad. Ich freute mich, dass Faith lebte und war traurig über Lions Tod. Diese Mischung bescherte mir ein heilloses Durcheinander in meinem Kopf und ich ging hinaus, nachdem ich Aminata den kleinen Erdenbürger übergeben hatte.
Draußen auf der verschneiten Wiese schlang ich meinen Umhang enger um mich und ging ein paar Schritte in den Garten.
Ein Leben retten heißt oft, dass ein anderes genommen werden muss, mein Kind. Hörte ich Idun in meinem Kopf, der sich immer noch wie verkleistert anfühlte. Das ist der Zyklus des Universums.
Niemand sollte diese Macht haben zu bestimmen, wer geht … begann ich, wurde aber sofort unterbrochen.
Das siehst du jetzt so. Aber DU hast diese Macht inne, hast du das etwa schon vergessen. Wir gaben dir diese Möglichkeit zu Entscheiden für wen es Zeit ist, das Antlitz der Welt zu verlassen. Erklärte mir Mutter Idun eindringlich. Dieser Satz ließ mich wütend schnauben.
Ja, das habe ich mir aber nicht ausgesucht. Warum aber konnte ich dann gerade eben nichts tun für Faith?
Ich konnte niemanden ins Leben zurückholen! Ging es mir durch den Kopf.
Aber im Grunde war es nicht unbedingt ein Fluch, es war vielleicht auch ein Segen. Es kam vermutlich auch auf den Blickwinkel oder die Situation an.
Siehst du, du hast es verstanden. Und nun gehe wieder zu Faith.
Dann war die Göttin wieder verschwunden.
Ich verweilte noch einen Moment in dieser Stille draußen und genoss diesen plötzlichen Frieden, der sich in mir ausbreitete.
Faith erholte sich in den kommenden Tagen und Haytham hatte unsere Kinder zu mir gebracht.
„Da seid ihr ja, ich habe euch so vermisst.“ freute ich mich lautstark, als sie auf mich zuliefen!
„Wir dich auch, Mama.“ flüsterte Edward und etwas in seiner Stimme ließ mich aufhorchen.
„Mi sol, du hattest wohl etwas seltsame Gedanken von Faith und ihrem Großvater!“ hörte ich Haytham hinter mir tadelnd sagen.
„Das war nicht schön.“ schniefte mein Sohn plötzlich und klammerte sich an mich.
Mein Blick glitt zu Florence, welche mit nassen Wangen auf dem Arm ihres Vaters saß.
„Das passiert nicht wieder, ich verspreche es, Schusterehrenwort!“ ich hoffte souverän zu klingen.
Die Beerdigung von Master Williams sollte übermorgen stattfinden. Für einen kurzen Moment fühlte ich mich völlig fehl am Platz. Ich gehörte nicht zur Familie und hatte eigentlich auch kein gutes Verhältnis zu ihm.
„Aber ich, Alex.“ die Worte meines Templers waren mal wieder typisch. Aber er hatte Recht, er ist in jungen Jahren bei der Familie ein- und ausgegangen.
Am dritten Tag sollte nun die Zeremonie für Lion stattfinden und Lady Melanie hatte uns extra Kleidung aufs Zimmer bringen lassen.
Es lag mir fern sie zu verärgern, also zogen wir uns alle um.
Man hatte den Toten im Templerzimmer aufgebahrt und als die Kirchenglocken begannen zu läuten, erschienen immer mehr Leute, welche ihr Beileid der Familie aussprachen. Edward neben mir stand mit offenem Mund da.
Als es etwas überschaubarer wurde, ging ich mit den Kindern und meinem Mann heran. Im Stillen betete ich, dass er wohlbehalten im Reich der Toten angekommen sein möge.
Ein Mönch, Bruder Claudius aus Irland, hielt die Trauerpredigt.
Da ich mit seinen Worten leider nicht so wirklich etwas anfangen konnte, hörte ich still zu und dachte über unser Leben in den letzten 7 Jahren nach. Was stand uns noch bevor? Dabei sah ich meine Kinder an und hoffte, dass sie ihren Weg meistern würden mit unserer Hilfe.
Die eigentlich Beisetzung fand draußen auf einer großen Wiese statt.
„Warum ist da ein Loch in der Erde?“ fragte Edward ängstlich, als er sah, wie man den Sarg hierher trug. Sein Vater war neben Shay und Lucius einer der Sargträger.
Also erklärte ich ihm noch einmal, dass auch seine Großeltern auf dem Friedhof in London so begraben lagen. Wieder war er der Meinung, dass er das so nicht möchte.
Nein, für uns gab es eine andere Bestattung. Haytham wusste von meinen Wünschen.
Langsam ließ man den Sarg in die Erde gleiten und in diesem Moment konnte ich mich kaum halten. Diese Geste war so endgültig!
Faith und Lady Melanie schlugen sich tapfer muss ich sagen. Die kommende Zeit wird für sie alle nicht einfach sein, aber ich wäre jederzeit für meine Schwester im Geiste da. Auch wenn wir nur noch schriftlich kommunizieren konnten.
Wer hätte in diesem Moment gedacht, dass wir uns sehr lange nicht mehr sehen würde? Dieser Gedanke trieb mir erneut Tränen in die Augen und ich drückte meine Kinder an mich.
Dann war es an uns, eine Schaufel mit Erde auf den Sarg zu geben.
Mein Mann hielt mich dabei in seinem Arm und zeigte gleichzeitig Edward, was er machen sollte.
Ich wäre am liebsten einfach davon gelaufen!
Aber im Grunde wusste ich, dass Master Lion Williams nicht in diesem Sarg lag. Seine Bestattung würde unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Stillen stattfinden. Ich hatte Edward und Florence davon nichts erzählt, weil ich befürchtete, sie könnten es laut hinterfragen! Das wäre nicht gut gewesen.
Wir wärmten uns anschließend im Salon auf, als plötzlich die Möbel leicht zu schweben begannen. Postwendend war die Barrikade in meinem Kopf, doch ich sah, dass es aus Richtung Faith kam, die ihre Tochter auf dem Arm hatte.
Das würde ja noch lustig werden, ihr ihre Kräfte genau zu erklären und sie zu unterrichten sie zu zügeln.
Das haben schon ganz andere mit dir geschafft, mein Kind. Dieses leise Lachen meines Allvaters ließ mich ebenfalls grinsen.
Ihr habt aber noch eine Menge Arbeit vor euch. Feixte ich und erntete einen tadelnden Blick meines Mannes.
„Na toll ich hoffe das wird jetzt nicht zur Gewohnheit, wenn sie schreit“ kam es von Faith.
„Du bekommst das schon hin meine Schottin“ grinste ich über den Rand meiner Tasse in ihre Richtung!
Dieser recht friedliche Moment währte nicht lange.
Die Kinder bekamen sich in die Haare und schwupps sah ich nur noch, wie Edwards geliebter Schimmel im hohen Bogen in das Feuer des Kamins flog.
Gerade als ich ihn beruhigen wollte, stand Faith auf, gab mir Anna und griff einfach in die Flammen!
„Hier!“ damit reichte sie meinem Sohn sein Spielzeug, welcher völlig entgeistert diese Frau vor sich ansah. Selten erlebte man ihn sprachlos, Hut ab meine sture Schottin. Dachte ich lachend.
Die Erklärung war recht simpel, wenn man es genau nimmt.
„Keine Ahnung, das Feuer ist nicht heiß, die Rüstung des Ra ist viel schlimmer, da hat man das Gefühl die Knochen würden einem bei lebendigem Leib verbrannt“ erklärte sie völlig trocken.
Ich würde noch Wochen über diese Tage hier auf der Williams-Plantage grübeln!
Am Abend war es dann soweit und wir zogen uns alle wieder an um Lion die letzte wirklich endgültige Ehre zu erteilen.
Das Ziel war eine kleine Lichtung am Fluss. Unser Weg führte uns durch einen kleinen Wald, vorbei am Friedhof und weiter Richtung James River.
Angekommen, sah ich schon die Plattform aus Holz, auf welcher der Tote lag.
Das Feuer würde ihn bald umhüllen und ihn ins Reich der Toten geleiten.
Gemeinsam mit Haytham und den Kindern stand ich mit den anderen in einem Halbkreis um diesen Scheiterhaufen.
„Das will ich auch so haben, mi amor.“ flüsterte ich ehrfürchtig und mein Templer zog mich wortlos an sich heran.
Denk heute nicht darüber nach. Odin war guter Dinge, wie mir schien. Etwas mehr Pietät wäre aber schon angebracht.
Um uns wurde es still, bis ich eine leise Melodie aus Richtung Faith wahrnahm. Sie hielt ein seltsam anmutendes Gerät, für Menschen des 18. Jahrhunderts auf jeden Fall, in den Händen von dem diese Töne kamen.
Langsam bildete sich eine riesige schimmernde Kuppel um uns, ließ den Schnee schmelzen und wärmte uns gleichzeitig.
Als ich mich weiter umsah waren so viele Götter hier erschienen, alle in ihrer wahren Gestalt, dass es anmutete wie in einem Fantasyfilm! Wenn ich sage, es sah wunderschön aus, klingt es vielleicht etwas merkwürdig. Aber so war es nun mal.
Mein Allvater war mit Frigg, Idun, Tyr, Thor und Brünhild erschienen. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich fragte, ob ich ebenfalls einen Paten hatte wie unsere Kinder oder mein Templer.
Eine Antwort erhielt ich aber auch dieses Mal nicht.
Plötzlich schoss ein Phoenix von oben herab, direkt auf den Scheiterhaufen zu und ließ das Holz in Flammen aufgehen. Ein unfassbar schöner Anblick und mir liefen die Tränen über die Wangen.
Der Vogel landete vor dem Podest und im Bruchteil einer Sekunde stand der Gott Ra vor uns. Langsam ging er auf Faith zu, legte seine Hand auf ihren Kopf und begann zu sprechen.
„Wir sind hier um Lion die letzte Ehre zu erweisen, er hat uns treu gedient und dank seinem Opfer, können wir den Krieg gegen diese Schmarotzer gewinnen. Sie verkörpern die Dunkelheit, den Hass und das Chaos. Sie wollen die Welten ins verderben stürzen, doch das werden wir verhindern. Dank meines Erben haben wir eine Schlacht gegen Apophis gewonnen und sein Fluch wurde von unserm Blut genommen. All die hier Anwesenden die Zeit zum Trauern ist vorüber, heute haben wir einen treuen Gefährten verloren, er gab sein Leben für die Zukunft! Ihr Menschen und Götter, sein Opfer wird nicht vergessen sein. Er gab sein Leben um ein anders zu Retten. Meine lieben Mitstreiter, nach 850 Jahren, hat ein neuer Erbe die Welt erblickt. Dieses Kind…“ unterbrach er seine Rede und Faith gab ihm Anna in seine Arme. „... wird mit dem Erben Odins eine bessere Welt erschaffen“ beendete Ra seine Rede und ging zu unserem Sohn.
Ich starrte die beiden an, sah dann zu Odin und in mir brodelte eine leise Wut hoch. Erneut war ich nicht über alles aufgeklärt worden! Wann würde ich je die gesamte Wahrheit meiner Herkunft, meiner Bestimmung erfahren?
Beruhige dich, mi sol. Auch ich bin gerade mehr als überrascht. Lass uns das später klären. Haythams Hand lag beruhigend auf meinem Arm.
Ra und mein Allvater sahen sich wissend grinsend an.
„Edward Haytham Kenway, wenn du groß bist, beschütze sie und sei ihr ein treuer Gefährte.“ Edward trat mit stolz geschwellter Brust einen Schritt auf den Gott zu und nahm die kleine Anna in die Arme.
„Das werde ich“ seine Stimme klang mit einem Male so erwachsen, so als hätte er das alles schon immer so gemacht.
Für einen Moment herrschte eine „ohrenbetäubende“ Stille, ehe ein lautes Jubeln von all den anwesenden Göttern zu hören war.
Um uns herum ploppten Decken, Kissen und Sitzgelegenheiten auf. Kleine Tischchen mit allerlei Leckereien erschienen ebenso und ich sah wie Odin sich einen Becher schnappte.
„Feiern wir ein neues Leben!“ rief er und ließ sich neben Frigg nieder.
Hinter meinem Sohn stand sein Pate und betrachtete warm lächelnd seinen Schützling. Faith ging hinüber und nahm ihm ihre Tochter wieder ab. Gemeinsam würde sie über dieses Mädchen wachen!
Wie aus dem Nichts, eigentlich wie immer bei unseren Göttern, erschien auch Freya und begrüßte meine Schwester im Geiste. Anna wurde ihr in die Arme gelegt und Faiths Hände wanderte zu dem Briesingamen um ihren Hals.
Als sie es abnahm, änderte es umgehend seine Form, aber aus der Entfernung konnte ich es nicht richtig erkennen.
„Ich Freyja, Göttin der Fruchtbarkeit und Anführerin der Walküren werde die Erbin beschützen!“ sprach sie feierlich ehe sich eine weitere Göttin neben sie stellte.
„Ich Nephthys werde sie ebenfalls beschützen. Somit hat sie von beiden Bündnissen einen Schutzgott.“ sagte sie mit einer sehr melodischen Stimme!
Damit war alles gesagt und wir konnten den guten Wein genießen.
Ich merkte mal wieder schnell, dass er viel stärker als der normale uns bekannte war. Aber er schmeckte himmlisch.
„Sei nicht sauer auf meinen Gatten! Ich sehe dir doch an, dass es dich ärgert, so überrumpelt worden zu sein.“ lächelte Frigg mich an und drückte meine Hand besänftigend. Nur half das nicht wirklich.
Faith geselltes sich zu uns und lehnte leicht beschwipst an meiner Schulter!
„Alex, haben Odin und Ra einfach unsere Kinder verlobt?“ nuschelte sie leise und erst jetzt ging mir dieser Gedanke durch den Kopf. Es ging nicht nur um den Schutz für Anna, nein. Es war Bündnis, ein Eheversprechen!
Jetzt reichte es mir!
Ich erhob mich und ging zu Odin um ihm meine Meinung zu sagen!
Als er mich kommen sah, weiteten sich seine Augen und er richtete sich auf.
„Was zum Henker habt ihr euch dabei gedacht? Werde ich gar nicht mehr gefragt? Und was ist, wenn mein Sohn gar kein Interesse an Anna hat? Wie soll ich ihm das ganze in den nächsten Jahren denn immer wieder erklären?“ langsam wurde ich immer lauter.
„Du findest schon einen Weg, da bin ich zuversichtlich. Außerdem hast du noch einen Mann, der ihm sicherlich auch noch hin und wieder an seine Pflicht erinnern wird. Und jetzt beruhige dich, setz dich und stoß mit mir auf Lion an.“ seine Hand lag auf meiner Schulter und drückte leicht zu.
„Ich will mich nicht beruhigen, ich würde dir so gerne …“ bevor meine Hand aber nur in die Nähe seiner Wange kam, hielt mich Haytham auf.
„Na, mi sol. Das geht wohl zu weit, findest du nicht?“ tadelte mich mein Gatte.
Wütend ballte ich die Fäuste und starrte den Allvater wütend an.
„So klein und schon so wütend!“ kicherte er und stupste mich an.
Mit Schwung hob ich mein Knie und traf genau ins Zentrum seiner Männlichkeit.
„Deine Frau wird wohl nicht so viel Spaß heute mit dir haben!“ rief ich über meine Schulter hinweg und marschierte zu Faith, welche mit Imhotep die kleine Showeinlage genossen hatte.
Der Rest dieser Nacht gehörte meinen Kindern und meinem Mann. Eine kleine Auszeit von diesen ganzen schweren vergangenen Stunden.
Bald würden wir auch wieder nach Hause aufbrechen.
Mit einem Lächeln im Gesicht, versiegelte ich meine Nachricht und schickte einen Diener los um den Brief zur Williams-Plantage zu bringen.
Jetzt hieß es warten und ihr wisst, Geduld ist keine meiner Tugenden!
Wie ein aufgescheuchtes Huhn lief ich im Haus umher. Die Zeit wollte einfach nicht vergehen.
Hatte sie überhaupt meinen Brief erhalten? Wollte sie mich wiedersehen? Hätte ich das Ganze anders formulieren sollen? Was, wenn Faith krank ist und ich es nicht wusste. Tausende Gedanken türmten sich hoch wie der Mount Everest in meinem Kopf auf.
Leider konnte ich mit niemanden über dieses Gefühlschaos sprechen, was mich wieder traurig stimmte.
Bei Odin, was war nur los mit mir in letzter Zeit? Waren es immer noch diese Hormone? So langsam nervten sie mich!
Mein Templer vermied es in einem Raum mit mir zu sein und orderte sein Mittagessen und Abendessen in sein Arbeitszimmer.
Die Kinder bekamen das natürlich mit, aber wirklich beruhigen konnte ich sie nicht. Ich wusste ja nicht einmal selber, wie wir diese Anspannung entzerren konnten.
Erst wenn ich wieder daheim wäre, würde das Eis gebrochen sein.
Ich begann an diesem Abend eine Truhe für mich und Helena zu packen, wir würden nicht viel brauchen. Meine Montur, zwei Kleider und Helenas winzige Garderobe passte locker mit hinein.
Gerade als ich den Deckel schloss, trat Haytham ein.
„Wie ich sehe, kannst du es kaum erwarten, hier wegzukommen.“ sein Zynismus hatte sich in den letzten Jahren fast bis zur Perfektion entwickelt, dachte ich genervt.
„Ach, wirklich? Woran hast du das bemerkt?“ giftete ich zurück.
Ich vernahm nur noch ein abwertendes Schnauben, als er schon im Ankleidezimmer verschwand.
Stundenlang lag ich dieser Nacht noch wach! Helena hatte ihre letzte Mahlzeit um 23 Uhr bekommen, also würde sie vor 4 vermutlich nicht wieder aufwachen. Ich betrachtete die Zimmerdecke wo der Schein des Kaminfeuers gelbe und rote Gebilde formte.
Ich versuchte, auch wenn es erfolglos wäre wie immer, eine Verbindung zu meiner Schwester im Geiste herzustellen. Vergebens, wie ich ja bereits anmerkte.
Irgendwann stand ich auf, zog meinen Morgenrock und meine Pantoffeln an und ging hinunter.
Die Küche war verlassen, kalt und stockdunkel. Der Geruch des Abendessens und des Feuers hingen noch in der Luft.
Ich fand eine Kerze, entzündete sie und erschrak!
An der hinteren Tür sah ich eine schattenhafte Silhouette stehen. Als ich näher kam, bewegte sie sich und ich atmete erleichtert aus. Es war mein Mann.
„Kannst du auch nicht schlafen?“ fragte ich unnützerweise und erntete ein energisches Kopfschütteln.
„Wonach sieht es denn aus?“ dabei ging er zu einem Regal, fischte eine Flasche Wein heraus und holte aus einem der Schränke zwei Gläser.
Skeptisch beobachtete ich ihn dabei und konnte mir eine dumme Bemerkung nicht verkneifen.
„Erwartest du noch jemanden?“ ich hätte mir liebend gerne die Zunge abgebissen!
„Setz dich!“ dieser Befehlston hatte etwas an sich, was mich stutzig machte.
Ich nahm ihm gegenüber des großen Tisches Platz, zwischen uns stand die Flasche Wein und die Kerze.
In diesem Licht konnte ich endlich sein Gesicht richtig sehen.
Mein Mann sah müde und erschöpft aus.
„Erzähl mir, was in Boston geschehen wird. In allen Einzelheiten!“
Für einen Moment wusste ich nicht, ob er das wirklich ernst meinte, oder mich aufs Glatteis führen wollte. Haytham verstand es nämlich hervorragend, einen Menschen geschickt auszufragen und seine Belange selber zu anzuzweifeln.
„Ähm, ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.“ diese Verunsicherung in meiner Stimme entging ihm nicht, dass sah ich an seinem überheblichen Grinsen.
Ich straffte mich und kramte in meinem Kopf mein Wissen über die Boston Tea Party heraus.
Ich war kurz in Versuchung es etwas harmloser zu gestalten, damit er beruhigter sein konnte. Doch schon als ich sagte, dass die britischen Soldaten hart durchgriffen, deutete er mir mit einer Handbewegung, dass er ja wohl Recht mit seinen Bedenken hätte.
Das hielt mich aber nicht davon ab, diese Stunden, eigentlich waren es ja Tage bis es zu dem eigentlichen Ereignis kam, in möglichst vielen Details zu beschreiben.
William Johnson erwähnte ich explizit, weil ich wollte dass er weiß, dass es dadurch für eine Weile zu finanziellen Engpässen kommen könnte. Nicht unbedingt für uns selber, aber für den Orden.
„Wir werden schon nicht so schnell am Hungertuch nagen, Alex. Erzähl weiter.“ forderte er mich auf und nahm einen Schluck aus seinem Glas.
„Laut der Aufzeichnungen sollen sich die Menschen auch verkleidet haben als Indianer. Leider weiß ich nicht, ob es tatsächlich der Wahrheit entspricht, oder nicht doch Hilfe der Ureinwohner geleistet wurde.“
„Willst du deswegen Connor da heraus halten?“ hakte er nach.
„Man würde ihn auch Tage später noch verdächtigen. Auch wenn er sich sicher gut verstecken und untertauchen kann. Schließlich hatte er einen guten Mentor.“ und wieder hätte ich mir meine Zunge gerne abgebissen.
Haythams Kiefer arbeitete, ich sah diese Bewegung deutlich. Aber er erwiderte nichts.
Ich endete nach gefühlten Stunden, einer weiteren Flasche Wein und dem beginnenden Morgen.
„Jetzt weißt du, was dort auf mich wartet. Wenn ich nicht direkt mitmische, dann bin ich lediglich eine Randfigur, ein Zuschauer. Außerdem sind die Soldaten völlig überfordert mit der Situation. Dafür sind sie nämlich nicht ausgebildet worden.“ grinste ich bei dem Gedanken, dass die Männer tatenlos zusehen mussten und nur hier und da jemanden festnehmen konnten.
Natürlich gab es auch Tote, aber man vermied das offene Feuer auf die Randalierer. Die Schiffe wären in Gefahr und das Risiko wollte man nicht eingehen, verständlicherweise.
Der Mob war in diesem Moment schon fast übermächtig. Und das nur, weil sich so viel Wut in den letzten Jahren in ihnen aufgestaut hatte.
„Du hast davon gesprochen, dass auch in New York ein ähnlicher Vorfall stattfinden wird. Wann ist das?“ fragte er gähnend mit vorgehaltener Hand nach.
„Ich vermute spätestens im Februar nächsten Jahres. Warum willst du das wissen?“ ich war neugierig, ob er nicht doch ebenso wie ich bei einem solchen Event dabei sein wollte.
„Damit wir unsere Lagerhäuser rechtzeitig bewachen und zur Not leerräumen lassen können.“
Da fiel mir ein, dass wir in Boston ebenso unsere Waren hatten. Auch dort mussten wir für Sicherheit sorgen. Ein neuer Pluspunkt, dass ich mich auf den Weg dorthin machte und nach dem Rechten sah.
„Natürlich spielt dir das jetzt in die Karten, aber wie du willst. Meine Meinung kennst du und meine Warnung war mir ernst!“ Haytham erhob sich und wollte an mir vorbei aus der Küche gehen.
„Das war es jetzt? Dafür habe ich mir die Nacht um die Ohren geschlagen? Dafür, dass du mich hier sitzen lässt mit einer Drohung?“ fauchte ich ihn an.
Kopfschüttelnd sah ich ihm nach wie er mit hängenden Schultern hinauf ging.
Ich musste etwas schlagen, ich musste meiner Wut Luft machen!
Mein Weg führte mich hinaus in die kalte Morgenluft und zur Weideneiche. Meine Fäuste ließ ich auf den Stamm eindreschen, während ich meinen ganzen Frust heraus schrie!
Erschöpft sackte ich mit dem Rücken zum Baum auf den Boden und legte meinen Kopf auf die Knie. Meinen Tränen ließ ich freien Lauf, ungeachtet der kalten Erde unter mir.
Der Nebel lichtete sich langsam und die Sonne versuchte zaghaft durchzubrechen.
Plötzlich hörte ich Edward Seniors Stimme neben mir!
Erschrocken sah ich auf.
„Ihr macht es einem nicht leicht, wisst ihr das?“ seufzte er und setzte sich zu mir. „Du bist stur, genauso wie mein Sohn! Aber ich muss zugeben, dieses eine Mal hast du Recht und es verdient, dorthin zu reisen. Haythams Angst um dich jedoch überwiegt seine eigene Neugierde. Er kann nicht aus seiner Haut.“ versuchte er eine Erklärung.
„Warum sagt er mir das dann nicht selber, Edward? Wie oft hatte ich schon Angst ihn zu verlieren? Warum darf ich eigentlich nicht diejenige sein, die ihm eine Warnung ausspricht, wenn er mal wieder einem gefährlichen Auftrag nachgeht?“ meine Worte kamen stockend aus meinem Mund durch mein Weinen.
„So sind wir Männer hier nun mal! Das weißt du doch mittlerweile, oder nicht?“ sein Arm legte sich um meine Schulter und zog mich zu sich.
„Ihr macht es MIR auch nicht wirklich leicht.“ ein leises Kichern konnte ich mir nicht verkneifen.
Wieder einmal hatte mein Schwiegervater es geschafft mich zu beruhigen und die Situation aus einer anderen Sicht zu betrachten.
Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange und flüsterte leise „Danke!“.
Dann erhob ich mich um wieder hinein zu gehen.
„Pass auf dich auf, Alex. Alleine werden wir dich aber nicht lassen, dass sollte ich meinem Sohn vielleicht auch noch einmal erzählen.“ langsam stand auch er auf und verschwand in einem Nebelschleier.
Mein Weg führte mich ins Schlafzimmer, damit ich mich fertig machen konnte und Magda folgte mir. Die Kinder waren ebenso schon munter und ich hörte meinen Sohn laut singen in seinem Zimmer. Er hatte von Rupert, einem seiner Freunde, ein neues Spottlied gelehrt bekommen und sang es, wann immer er Zeit hatte. Hoffentlich hörte sein Vater das nicht, es waren recht böse Wörter darin.
Schmunzelnd ließ ich mich auf dem Hocker vor der Kommode nieder.
„Mistress Kenway, was wollt ihr morgen zum Gottesdienst anziehen? Bei den Temperaturen würde ich das dunkelgrüne Leinenkleid mit dem passenden Wollumhang empfehlen. Oh und ich habe euch eure Winterstrümpfe bereits zurecht gelegt. Sie sind alle noch in einem tadellosen Zustand.“ sprach sie fröhlich, während sie meine Haare begann zu bürsten.
„Danke Magda! Ich denke, das ist eine gute Kombination für die Ansprache von Mr Hathaway! Würdet ihr aber bitte noch ein paar Leinentücher in meine Reisetruhe legen? Ich möchte sicher stellen, dass ich zur Not ein Laken in einer der Tavernen wechseln kann.“ mittlerweile war ich auf alles vorbereitet.
„Ich werde gleich danach suchen.“ sie reichte mir den kleinen Lappen für mein Gesicht und als ich diese Wärme auf meiner Haut spürte, erwachten langsam auch meine Lebensgeister. Übermüdet war ich trotzdem und hoffte, heute etwas Ruhe zu haben.
Vor Haytham hätte ich sie auf jeden Fall.
Nach dem wortkargen Frühstück und einer Diskussion über gewisse Hündinnen, die wieder vom Tisch gefüttert wurden, stand ich auf um Helena zu füttern. Erstaunlicherweise hatte sie 8 Stunden durchgeschlafen.
Sogar Sybill war davon überrascht, weil Edward damals erst mit 8 Monaten so lange durch hielt.
Ich wollte gerade mit Miss Tabea den Reiseproviant besprechen, als mich mein Mann aufhielt.
„Komm bitte mit.“ damit zog er mich hinter sich her in sein Studierzimmer. „Heute werden ein paar Gentlemen hier erscheinen…“ doch bevor er noch etwas sagen konnte, brodelte wieder Wut in mir hoch.
„Ich brauche keine Aufsichtspersonen für Boston!“ maulte ich lautstark und sah, wie er mit den Augen rollte.
„Wenn du mir zuhören würdest? BITTE!“ Haytham konnte sich kaum zügeln, was an seinem zitternden Körper zu sehen war. „Sie haben sich auf meine Ausschreibung für die Anstellung als Edwards Kammerdiener beworben! Herr Gott noch eins, bist du wieder ungnädig heute, Alex!“
Fragend zog ich meine Augenbraue hoch.
„Ungnädig? Das ist ja mal eine nette Umschreibung. Aber sei es drum. Soll ich dabei sein oder möchtest du dein Recht als Hausherr in Anspruch nehmen…“ manchmal … ja, manchmal war mein Mund leider schneller als meine Gedanken!
Uns trennten nur Millimeter, sein Herzschlag übertrug sich auf mich und wir sahen uns minutenlang an.
„Hier geht es um das Wohl unseres Sohnes und da solltest auch du, als seine fürsorgliche Mutter, bei den Gesprächen dabei sein. Oder ist es dir egal, wer sich um Edward kümmert?“ Touché!
In seinen grauen Augen begann ich mich gerade wieder, wie schon damals in New York, zu verlieren. Wie gerne hätte ich ihn wieder in meine Arme genommen, ihn leidenschaftlich geküsst.
Doch was tat ich stattdessen?
Ich konterte.
„Selbstverständlich werde ich meine bescheidenen Ansichten mit euch teilen, Master Kenway.“
„Um 11 erscheint der erste Herr! Ich würde es begrüßen, wenn du es pünktlich in mein Arbeitszimmer schaffst.“ dabei wanderte sein Blick von oben nach unten über mich.
Grinsend drehte ich mich um, ehe ich wieder einen Spruch ablassen konnte.
In der Eingangshalle stand plötzlich mein Sohn vor mir.
„Vater sagte, dass heute mein Kammerdiener eingestellt werden soll. Wer ist es denn?“ er schaute links und rechts an mir vorbei auf der Suche nach besagtem Herren.
„Einer wird gegen 11 Uhr hier sein. Ich weiß leider auch noch nicht, wer er ist. Aber du lernst ihn ja dann kennen.“ ich hatte beschlossen, dass auch unser Sohn bei der Entscheidung mit anwesend sein sollte.
„Was macht eigentlich ein Kammerdiener, Mama?“ fragte er neugierig.
„Er ist für dein Wohl zuständig. Er sucht dir passende Kleidung heraus, er … dieser Gentlemen wird an deiner Seite sein auf Reisen, damit es dir an nichts fehlt.“ mir fielen keine anderen Beispiele ein, weil ich es im Grunde gar nicht so genau wusste.
„Rufst du mich, wenn der Herr hier ist?“ rief er über seine Schulter hinweg, als er schon auf dem Weg zur Tür war um zu seinem Pferd zu gehen.
„Das mache ich.“ versprach ich und ging in den Wintergarten, wo Florence neben dem Körbchen ihrer kleinen Schwester saß und leise vor sich hin summte.
„Was ist das für ein Lied, min lille engel? Das hört sich schön an.“ ich setzte mich zu den beiden und hob meine große Tochter auf meinen Schoß.
„In der Schule haben wir es gelernt, Mrs Hathaway hat eine schöne Stimme wenn sie singt. Wusstest du das?“ für einen Moment grübelte sie und sprach dann weiter. „Aber der Text ist ganz lang, den kann ich mir noch nicht merken, Mama.“
„Nicht schlimm. Wir können ja nicht alles sofort behalten, dafür kennst du die wunderschöne Melodie.“
Gemeinsam sahen wir uns jetzt eines ihrer Bücher an. Lächelnd sah ich, dass es das mit Jennys Geschichten waren. Meine Schwägerin hatte es vor zwei Jahren zu uns geschickt und die Kinder waren begeistert. Edward mittlerweile nicht mehr so ganz, er wollte lieber die Geschichten der Könige Skandinaviens, Irlands oder Schottlands hören.
„Mistress Kenway, der erste Besucher ist eingetroffen.“ hörte ich den Diener in der Tür sagen und stand auf.
„Wir sehen uns nachher noch ein paar Geschichten an, ja?“ ich wuschelte ihre blonden, mittlerweile etwas dunkleren Locken.
Bevor ich jedoch zu meinem Mann ging, rief ich nach unserem Sohn.
Völlig außer Atem stand er auf der Veranda. Ich musterte seine Garderobe, stellte aber keine Flecken oder kaputten Stoff fest. So konnte er mich begleiten beschloss ich.
„Komm, der erste Gentleman ist schon bei deinem Vater.“
Überrascht sah Haytham erst zu Edward, dann zu mir. Sagte aber nichts. Gut für ihn.
Dieser Herr war Anfang 30, schwarze schulterlange Haare, hageres Gesicht und er war ungefähr 1,70 Meter groß. Seine Kleidung sah jedoch alt und nicht sehr gepflegt aus.
Man klärte mich auf, dass er aus den Vereinten Niederlanden kam und hier in den Kolonien Fuß fassen wollte. Sein Name war Claas van Ewijk.
In einem leicht gebrochenen Englisch mit niederländischem Akzent schilderte er seinen Lebenslauf.
„Meine Familie ist schon seit Generationen als Diener, Kammerdiener oder auch Gouvernanten tätig. Meine jüngere Schwester Hani zum Beispiel ist seit ein paar Jahren bei einer Händlerfamilie angestellt für die Mädchen dort.“ sein Blick glitt zu Edward. „Und ihr müsst Master Edward sein, richtig?“ er reichte ihm seine Hand, zögerlich, nachdem Haytham leicht nickte, griff unser Sohn danach.
„Das bin ich, Sir. Erfreut euch kennenzulernen!“ er klang wie sein Vater, souverän als hätte er nie etwas anderes getan.
Nachdem wir ihm noch einige Fragen bezüglich seiner politischen oder militärischen Gesinnung gestellt hatten, entließen wir ihn fürs erste. Wirklich zufrieden war ich mit ihm nicht, wenn ich ehrlich sein darf.
Eine halbe Stunde später erschien ein weiterer Herr.
Alleine sein arrogantes Auftreten veranlasste mich, ihn gar nicht erst in die engere Auswahl kommen zu lassen.
Haytham hingegen stellte Fragen und unterhielt sich über alles mögliche mit ihm.
Als er gegangen war, sah ich meinen Mann fragend an.
„Was hältst du von ihm?“ ich saß neben unserem Sohn auf dem Sofa gegenüber von Haytham, welcher in einem Stuhl Platz genommen hatte.
„Ein sehr undurchschaubarer Mensch. Eigentlich eine sehr gute Eigenschaft für uns. Aber sehen wir erst einmal, wer sich noch vorstellt.“
Er war also auch nicht ganz überzeugt von ihm.
„Ich mag ihn nicht, er ist mir unheimlich.“ kam es leise von Edward, der sich bis jetzt noch gar nicht geäußert hatte.
„Dann werden wir noch weiter suchen, min lille skat.“ lächelte ich ihn an.
„Es geht hier nicht nur um das mögen, Edward. Der Gentleman, der sich um dich kümmern wird, sollte einen gewissen Standard haben. Da ist es im ersten Moment egal, ob er dir zusagt oder nicht.“ wie war das mit dem Wohl unseres Sohnes?
Bevor ich jedoch etwas erwidern konnte, meldete der Diener den nächsten Kandidaten.
Haytham erhob sich, blieb aber wie angewurzelt stehen und sah in Richtung Tür. Dort stand ein Herr in einem beigen Habit gekleidet, ähnlich der alten Monturen der Bruderschaften um Altair Ibn La´Ahad. Diese hier war jedoch etwas neutraler und es war nicht sofort erkennbar für Unwissende, dass er Assassine war.
Langsam schritt er auf uns zu und mein Mann fand seine Manieren wieder.
Sein Name war Fahad-Sattar al Din Issa, war wie der erste Mann Anfang 30, recht groß, ich schätzte ihn auf mindestens 1,80 Meter mit kurzen schwarzen Haaren.
„Master Kenway, Mistress Kenway.“ begrüßte er uns mit diesem unverkennbaren Akzent und er verbeugte sich. „Und ihr müsst Master Edward sein, nehme ich an?“ auch er wurde mit der gleichen Geste begrüßt.
Mit offenem Mund sah unser Sohn den Herrn vor sich an.
„Ja, bin ich!“ kam es erstaunt aus seinem Mund.
Lächelnd sah der potentielle Kammerdiener in die Runde.
„Ich sehe, man hat nicht mit einem Befürworter eurer Sache gerechnet.“ weiterhin lächelte er unbeeindruckt.
„Nein, da habt ihr Recht. Wie seid ihr auf die Stellenausschreibung aufmerksam geworden? Oder besser gefragt, was ist euer Auftrag hier in den Kolonien?“ fragte ich vorsichtig nach, weil ich immer noch mit einem Angriff rechnete, man weiß ja nie!
„Unsere Bruderschaft in meiner Heimat Istanbul wurde vor einem Jahr fast vollständig ausgelöscht von einer Untergruppierung des Ordens, welche wir nicht kannten. Wir begannen uns neu zu formatieren, rekrutierten wieder neue Männer und Frauen und hofften unsere alte Stärke wieder aufbauen zu können. Leider waren die Templer uns überlegen und wir konnten sie nicht zurück drängen. Also begannen meine Leute und ich zu forschen und stießen dabei auf euren Namen, Mistress Kenway.“ seine dunklen Augen musterten mich aufmerksam.
„Mein Name?“ eilte uns unser Ruf soweit voraus?
„Einer meiner Brüder in New York erfuhr vor vielen Jahren von eurer Absicht, die Bünde zu vereinen und schloss sich euch an. Er ist ein treuer Gefolgsmann und hat gute Kontakte in aller Herren Länder. Er war es, der mich schon vor einigen Monaten bat in die Kolonien zu reisen. Wir können also von euch lernen und vielleicht auch in meiner Heimat etwas ähnliches herbeiführen. Dieser ewige Krieg ist in meinen Augen sinnlos.“ er hatte Recht und seine Ansicht gefiel mir.
„Warum aber wollt ihr dann als Kammerdiener für uns arbeiten? Ihr könntet uns sicherlich in viel wichtigeren Positionen unterstützen.“ hakte mein Mann nach.
„Das weiß ich, aber ich hoffe, dass ich Master Edward in seiner Entwicklung eine Hilfe sein kann. Mein Wissen, meine Kampferfahrung, unser Training… all das gepaart mit meiner Ausbildung zum Kammerdiener am Hofe des Sultans Mustafa III ist, so hoffe ich doch, eine Bereicherung für den jungen Master Edward.“
„Der Sultan selber hat vor ein paar Jahren einen Friedensvertrag mit Preußen geschlossen, Mistress Kenway. Ihr werdet sicher davon gehört haben, nicht wahr?“ erwartungsvoll sah er mich an, leider hatte ich davon nie etwas mitbekommen und sah hilfesuchend zu meinem Mann.
„Ich befürchte, meine Frau war zu dem Zeitpunkt schon hier in Amerika und man hat es nur nebenbei erwähnt. Ihre Familie und ihre Kontakte sind leider sehr spärlich in ihrer Heimat, Mr al Din Issa.“ seine Erklärung schien dem Mann zu reichen.
„Wenn ich frei reden darf? Ich würde sagen, dass es ein Zeichen war, dass ich mich euch anschließen sollte.“ in seiner Stimme klang diese Zuversicht mit, die mich ermunterte ihn einfach einzustellen.
Gebremst wurde ich von Haytham.
„Ich werde eure Bewerbung in die engere Auswahl aufnehmen.“
Neben mir hörte ich ein enttäuschtes Seufzen Edwards.
„Oder bist du anderer Meinung, mein Sohn?“ überrascht sah ich meinen Gatten an.
„Das bin ich, Vater. Mr al Din Issa hat so vieles gelernt und kann mich sicherlich auch seine Religion lehren. Du hast einmal gesagt, dass es wichtig ist, die Menschen und ihre Vielfalt kennenzulernen.“ zum ersten Mal stand unser Sohn wie ein Erwachsener vor uns und sprach auch so. „Und, entschuldige Mutter, ich kann von einem echten Assassinen lernen!“ der letzte Satz klang dann doch wieder typisch für ihn.
Grinsend sah ich zu Haytham, welcher wie ein Karpfen den Mund öffnete und wieder schloss, aber nicht ein einziges Wort über die Lippen brachte.
„Master Edward, ich verspreche euch, ich werde für euer Wohl sorgen, euch verteidigen und wenn ihr es wünscht auch meinen Glauben lehren.“ lächelnd sah der Assassine zu meinem Sohn, welcher über beide Ohren strahlte.
„Vater, bitte.“
Gerade als er antworten wollte, klopfte es und ein Bote überbrachte uns einen Brief. Haythams Blick verdüsterte sich und wortlos reichte er das Schriftstück an mich weiter. Die Nachricht kam von Faith!
Nein, ich würde jetzt hier bleiben. Die Antwort meiner Schwester im Geiste musste warten. So schwer es mir auch fiel, nicht gleich das Siegel zu brechen.
Ich sah wieder zu meinem Mann und wartete, genau wie Edward und der Assassine auf eine Antwort.
„Ich erbitte mir dennoch eine kurze Bedenkzeit, Mr al Din Issa!“ und deutete ihm, draußen zu warten. Ein Diener führte ihn in den Salon, wo auch schon die anderen beiden Bewerber warteten.
Als sich die Tür geschlossen hatte, begann er auf und ab zu laufen.
Edward und ich sahen ihm eine Weile zu und warteten auf eine Aktion.
Abrupt blieb er stehen, dann drehte er sich zu uns um.
„Ich werde ihn einstellen. Aber zusätzlich lasse ich einen Bruder in New York seine Aussage verifizieren. Wir können es uns nicht leisten, einen Spion in unser Haus zu lassen. Verstehst du das, mein Sohn?“ seine Hand lag auf der Schulter Edwards.
„Ja, natürlich, Vater. Seine Aura war auch gar nicht bedrohlich. Im Gegenteil, ich konnte sehen, dass er mit guten Absichten hier erschienen war.“ unbemerkt hatte er diesen Mann also beobachtet!
Ich selber habe nicht an meinen Adlerblick gedacht.
„Das hast du sehr gut erkannt!“ dieses Lob ließ unseren Sohn strahlen.
Haytham wandte sich mir zu.
„Und was denkst du?“ dieser Ton in seiner Stimme sagte mir klar und deutlich, dass er eigentlich keinen Wert auf meine Meinung mehr legte. Dennoch antwortete ich!
„Ich bin auch der Ansicht, dass er eine Bereicherung für unseren Haushalt und die Vereinigung sein kann. Wir sollten ihm eine Chance geben.“
Unschlüssig begann mein Templer wieder auf und ab zu laufen.
Genervt verfolgte ich seine Wanderschaft eine Weile, ehe ich ihn unterbrach.
„Könntest du das bitte sein lassen? Es macht mich nervös!“ … und zieht dieses Gespräch unnötig in die Länge, hätte ich am liebsten noch angefügt, verbiss mir diesen Kommentar aber.
„Dann ist es abgemacht.“ er bat den Diener die ersten beiden Herren zu uns zu bringen.
Kaum das sie vor uns standen, erklärte er, dass man sich gegen sie entschieden hatte. Wir wünschten ihnen noch viel Erfolg bei ihrer weiteren Suche.
Die beiden ließen sich ihre Enttäuschung nicht anmerken und verließen den Raum schweigend.
Der Assassine wurde wieder zu uns gerufen und stand jetzt etwas verunsichert vor uns.
„Mr al Din Issa, wir haben uns beraten und sind zu dem Schluss gekommen, dass ihr der zukünftige Kammerdiener unseres Sohnes sein sollt.“ man reichte sich die Hand und in den dunklen Augen des Arabers sah man die Erleichterung.
„Ich danke euch, Master Kenway.“ er verbeugte sich tief und sah dann zu unserem Sohn. „Master Edward, es ist mir eine Ehre für euer Wohl zu sorgen.“
Es galt jetzt einen Vertrag auszuarbeiten, seinen Lohn, seine Unterkunft hier im Haus und ähnliches. Langsam wurde es hier eng, ging es mir durch den Kopf.
Als diese Formalitäten geklärt waren, war es bereits Zeit für das Mittagessen.
Aber das musste jetzt warten für mich.
Ich ging hinauf in mein Arbeitszimmer, setzte mich an meinen Schreibtisch und öffnete etwas nervös den Brief.
Mit geschlossenen Augen hielt ich ihn in den Händen, weil ich befürchtete, dass Faith mir eine Absage erteilte.
Tief durchatmend schlug ich die Augen auf und sah ihre schwungvolle Handschrift vor mir. Etwas in mir freute sich alleine über diesen Anblick.
Ihre Worte waren genau das, was ich gehofft hatte. Auch sie wollte sehen, was dort passieren würde.
„… bei so einem Spektakel muss man einfach selber dabei sein. Ich freue mich schon darauf, es mit dir erleben zu können…“
Mir fiel ein Stein vom Herzen bei diesen Zeilen und mich ergriff eine neue innere Ruhe und Kraft. Uns konnte nichts passieren. Wir wussten uns zu verteidigen, schließlich standen uns Dinge zur Verfügung von denen jeder Sterbliche nur träumen konnte.
Schmunzelnd legte ich das Papier auf die Arbeitsfläche und ging glücklich über diese Mitteilung hinunter zu meiner Familie.
Es brauchte nur Sekunden, bis ich meinem Templer am liebsten wieder … lassen wir das.
„Wie ich sehe, wird dich meine Schwester begleiten. Wann werdet ihr aufbrechen?“ hakte er kauend nach.
„Wir werden in 2 Wochen aufbrechen, damit wir rechtzeitig in Boston sind und vielleicht auch noch Connor ausfindig machen können. Oder hat er auf deinen Brief geantwortet?“ ich schnitt mir ein großes Stück Fleisch ab und kaute genüsslich darauf herum.
„Nein, ich habe nichts erhalten.“ täuschte ich mich oder verheimlichte er mir etwas?
„Mama, wann bist du wieder zuhause?“ jammerte Florence plötzlich mit Tränen in den Augen.
„Ich glaube, dass ich zum Weihnachtsfest wieder bei euch bin.“ so hoffte ich zumindest.
„Das ist soooo lange…“ ihre Wange war nass von Tränen und ich stand auf um sie zu trösten.„Genieße die Zeit, Alex und behalte diesen Augenblick in Erinnerung.“ seine Arroganz brach wieder
durch!
„Euer Vater…“ bevor ich jedoch weitersprechen konnte, fuhr unser Sohn plötzlich dazwischen!
„Hört auf euch zu streiten!“ mit geballten Fäusten schlug er auf den Tisch!
„Wir streiten nicht, Edward. Ich habe nur … Angst um deine Mutter, weil sie sich unnötig in Gefahr bringt.“ dabei sah er nur mich an.
Entsetzt sah mich unser Sohn an.
„Ist das wahr, Mama?“ jetzt sprach die Angst auch aus ihm. Danke Haytham!
„Ich halte mich im Hintergrund und werde nur als Zuschauer, wie ganz viele andere dabei sein. Ich habe euch doch erklärt, dass mein Wissen anders als eures ist, nicht wahr? Und jetzt kommt es mir zugute. Ich verspreche euch, mir und auch Tante Faith wird nichts passieren. Auch eurem großen Bruder Connor kann nichts zustoßen. Dafür werden wir sorgen.“ die Zuversicht in meiner Stimme überraschte mich mal wieder selber, sie beruhigte sogar mich.
Aber ich muss gestehen, dass mich jetzt eine unfassbare Müdigkeit nach dem Essen überkam. Eine durchzechte Nacht, ein anstrengender Ehemann, Vorstellungsgespräche und Kinder, die Angst hatten, ich käme nicht zurück. Das war alles etwas zu viel und ich beschloss mich hinzulegen für einen Mittagsschlaf, nachdem ich Helena noch gefüttert hatte. Das bot sich an, so konnte mein kleiner Sonnenschein mit in unserem Bett schlafen.
„Mistress Kenway, seid ihr wach?“ flüsterte Magda neben mir und tätschelte meinen Arm.
„Was? Ja, … ich glaube schon.“ verschlafen rieb ich mir übers Gesicht und versuchte herauszufinden, wie spät es war. Odin sei Dank war es noch hell. Demnach war es noch Tag oder zumindest Nachmittag.
„Ich sollte euch wecken, wenn es Teezeit ist.“ immer noch flüsterte sie.
„Danke, Magda. Ein warmer Tee wäre jetzt genau das richtige.“ gähnte ich ausgiebig und stand vorsichtig auf. Helena schlief noch friedlich und für einen Moment betrachtete ich sie, wie sie ab und an ihren Mund zu einem Lächeln verzog. Meine Mutter sagte immer, dass die Kinder gerade von Engeln träumen, die über sie wachen.
Und zack war ich wieder kurz vorm Weinen.
Warum zum Geier hatte ich solche Momente?
Unten im Salon saßen Haytham und die Kinder zusammen mit dem neuen Kammerdiener. Er trug jetzt nur die Unterkleidung und hatte seine Robe abgelegt.
Ich setzte mich zu ihnen, nahm meinen Tee und genoss schweigend diese Wärme die meine Kehle herunterrann.
„Mr al Din Issa, wusstet ihr, dass mein Vaters Vorname arabisch ist und soviel heißt wie junger Adler?“ stolz, dass er sein Wissen weitertragen konnte, sah er seinen neuen Beschützer an.
„Das weiß ich, aber es gibt noch mehr unterschiedliche Übersetzungen für den Namen Hytham.“ dieses mal sprach er ihn in seiner Sprache aus und ließ mich grinsen. Ja, es gab ihn, den Namensgeber meines Mannes. Edward Senior hat ihn nicht einfach so Haytham genannt!
„In unserer Bruderschaft erzählt man sich, dass dieser Mann ein mutiger Krieger und Assassine war.“ dieser Mann hatte eine angenehme Erzählerstimme und ich versank in seinen Geschichten um diesen längst verstorbenen Mann. Charakter aus Assassin´s Creed Valhalla - Hytham
Plötzlich spürte ich die Hand meines Mannes auf meiner und ich blickte überrascht auf.
„Glaubst du daran, dass Namen nicht nur eine Bedeutung haben sondern sogar unsere Instinkte oder Fähigkeiten beeinflussen können?“ diese ruhige Art in seiner Stimme machte mich für einen Moment stutzig. Hatte er sich tatsächlich beruhigt?
„Ja, das glaube ich wirklich. Ich habe oft die Namen von Freunden analysiert und deren Bedeutung. Durch die Bank weg passten die Vornamen zu ihren Charaktern. So auch bei dir, mi amor.“ flüsterte ich und strich über seinen Handrücken.
Seine Finger strichen behutsam über meine Haut, aber kein Wort kam über seine Lippen. Also schwieg ich wieder.
Geduld war mal wieder an der Tagesordnung, dachte ich frustriert.
Als ich am Abend Helena die letzte Mahlzeit gegeben hatte, ließ ich mich seufzend aufs Bett fallen.
Haytham war mit Michael im Ankleidezimmer und sie berieten die Garderobe für den morgigen Gottesdienst.
Meine Kammerzofe hatte meine Haare extra so eingeflochten, dass sie morgen in der Früh weniger Arbeit mit dem Hochstecken haben würde. Dafür wäre es aber auch schwieriger eine geeignete Schlafposition zu finden für mich.
Ich ging noch einmal zu unseren Kindern um nach ihnen zu sehen. In ein oder zwei Wochen würde ich sie eine Weile nicht sehen, was mir ehrlich gesagt mehr als schwer fiel.
Auf dem Weg zurück zu unseren Gemächern sah ich, wie Edwards Kammerdiener an einem der Fenster stand, die zur Auffahrt zeigten.
„Mr al Din Issa, ist alles in Ordnung?“ fragte ich leise nach, ich wollte ihn nicht erschrecken.
„Es geht mir gut, wirklich. Ich kann es nur immer noch nicht fassen, dass ich meiner Bestimmung endlich nachgehen kann und mein Wissen weitergeben kann. Umgekehrt lerne ich von Master Edward ebenso. Ich hoffe, dass ich den jungen Herren nicht enttäusche.“ ein kleiner Anflug von Trauer war in seiner Stimme wahrzunehmen, aber ich traute mich nicht, nachzufragen.
„Das werdet ihr nicht, davon bin ich überzeugt.“ meine Hand legte sich auf seinen Unterarm.
„Danke, Mistress Kenway.“ lächelnd sah er mich an und verabschiedete sich für die Nacht.
Plötzlich überkam mich eine unfassbare Schwere in meinen Knochen und meinem Kopf. Ich brauchte dringend Schlaf, also ging ich in unser Schlafzimmer, wo Haytham mit einem Buch in den Händen auf dem Bett lag. Wie konnte er nicht müde sein?
Gähnend wünschte ich ihm eine gute Nacht und kuschelte mich unter die Decke.
„Ich liebe dich, mi sol. Vergiss das nicht!“ flüsterte er hinter mir und schmiegte sich an mich. Sein Arm legte sich sanft über mich und ich driftete langsam ins Land der Träume.
Der Gottesdienst war wieder einmal sehr inspirierend und sogar Edwards Kammerdiener war mit uns gekommen. Seine Aufgeschlossenheit imponierte mir ehrlich gesagt und ich hoffte, dass mein Sohn davon ebenso profitieren würde.
Ein paar unserer Pächter beäugten den Unbekannten zu Anfang etwas misstrauisch. Aber Haytham stellte ihn allen die fragten vor und so kam man hier und da auch ins Gespräch.
Dieser Sonntag war meiner Familie gewidmet, weil ich bald für einige Zeit mit Faith nach Boston aufbrechen wollte. Die Jackdaw war bereit beladen zu werden und die Mannschaft war informiert.
„Wenn du schon in Boston bist, dann inspiziere unsere Lagerhäuser. Ich habe von einem Informanten gehört, dass man versucht hat, den Rum und Wodka mit Wasser zu strecken um den abgefüllten reinen Alkohol anderweitig zu verhökern. Das ist Geschäftsschädigend!“ womit er nicht unrecht hatte, also hatte ich noch eine zusätzliche Aufgabe.
„Das ist ja wie bei Madame De L´Isle mit ihrem Wein. Einfach unfassbar!“ wenigstens verunreinigte man die Waren nicht mit Pestiziden oder ähnlichem, dachte ich erleichtert. In meiner Zeit gab es einige böse Katastrophen mit Wein, der mit Frostschutzmittel versetzt war.
Am Abend hatte ich ein Bad für die Familie geordert.
Ich wollte noch einen kleinen Moment mit meinen Kindern und auch meinem Mann verbringen.
Im warmen Wasser streckte ich mich ausgiebig und stöhnte wohlig.
„Es ist wirklich herrlich, sich so räkeln zu können.“ bei meinen Worten sah ich in Haythams Augen ein etwas lüsternes Leuchten und spürte ihn in meinem Kopf.
Wir haben einiges nachzuholen, hauchte seine tiefe Stimme in meinem Geist und ließ meinen Unterleib förmlich vibrieren.
Plötzlich stieg Edward aus dem Becken, zog sich hastig seinen Morgenrock über und verabschiedete sich.
„Ich bin müde.“ nuschelte er und verschwand.
Irritiert sah ich ihm hinterher, bis mir der Gedanke kam, dass er eine gewisse Scheu aufgrund seines Alters an den Tag legte. Vielleicht war ihm das alles hier unangenehm. Ich wäre die letzte die ihm da etwas anderes einreden würde.
„Alex, was ist mit ihm?“ mein Mann sah seinem Sohn ebenso fragend hinterher.
„Ich glaube, es ist an der Zeit, dass er … nun ja … alleine ein Bad nimmt.“ ich wusste nicht, wie ich es richtig formulieren sollte.
„Oh … ja … ich verstehe …“ räuspernd sah er jetzt zu Florence, welche sich nicht beirren ließ und ihre kleinen Schiffe eines nach dem anderen versenkte und dabei fröhlich rief „Gewonnen!“
Etwas später ging ich zu Edward um ihm noch gute Nacht zu wünschen und eine Geschichte zu erzählen.
„Mama, ich bin zu alt für sowas. Ich habe jetzt einen Kammerdiener.“ dieser Ernst in seiner Stimme machte mich traurig, weil … er war doch erst …. Bei Odin, er war fast 10 Jahre alt. Wo war die Zeit nur hin?
„Ich … wenn du …“ ich konnte keinen klaren Satz verfassen! „Ist schon in Ordnung.“ flüsterte ich und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
„Bist du jetzt mit mir böse?“ plötzlich traten Tränen in seine Augen.
„Nein, nein! Min lille skat!“ antwortete ich hastig. „Ich bin dir nicht böse. Wenn du spürst, dass es dir unangenehm und nicht mehr angemessen für dich ist, dann können wir daran arbeiten. Aber ich habe dich trotzdem noch lieb.“ sprach ich leise weiter und hielt dabei seine Hand.
Er sah sich kurz um, dann rückte er näher und gab mir einen Kuss auf die Wange.
„Ich hab dich auch lieb, Mama.“ flüsterte er verschwörerisch grinsend.
Ohne das wir es abgesprochen hatten, war uns beiden klar, dass Edward ab und an Mama noch brauchte. Aber ab jetzt brachen andere Zeiten für ihn an und ich musste mich darauf einstellen, dass ich etwas in den Hintergrund gerückt werden würde.
„Gute Nacht, min lille skat. Schlaf gut.“ sagte ich, als ich an der Tür stand.
„Die wünsche ich dir auch, Mama.“ ein zufriedenes Lächeln trat in sein Gesicht, was mich beruhigte.
Auf der Galerie musste ich kurz meine Gedanken sammeln und hörte aus Florence´ Zimmer die Stimme meines Templers.
Sie wurde immer ruhig wenn er ihr vorlas, da war es sogar egal WAS es war.
Vorsichtig öffnete ich die Tür und trat leise ein.
„Du kommst genau zur rechten Zeit, mi sol. Wir wollten gerade das Buch beiseite legen.“ ohne auf den enttäuschten Gesichtsausdruck seiner Tochter zu achten, deckte er sie zu und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Gute Nacht, mein Engel.“
„Aber wie geht die Geschichte weiter, Vater? Jetzt kann ich bestimmt nicht schlafen, weil ich das nicht weiß!“ dieses kleine Mädchen verstand, wie man zu seinem Willen kam. Aber die Rechnung hatte sie ohne Haytham und mir gemacht.
„Min lille engel, es ist schon spät und alle Tiere schlafen auch schon.“ ich hatte mich auf die Bettkante gesetzt und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht.
„Meine Katze schläft noch nicht!“ bockig hatte sie ihre Arme vor der Brust verschränkt und sah mich wütend an.
„Gut, wie du meinst. Dann bleib wach! Ich wünsche dir eine gute Nacht, min lille engel! Schlaf gut.“ gerade als ich ihr einen Kuss geben wollte, drehte sie ihr Gesicht von mir weg. „Wie du willst.“ sagte ich leise und ging hinaus.
Über ihr Verhalten konnte ich nicht nachdenken, weil Helena sich bemerkbar machte.
„Och, kann ich nicht kurz einen Moment haben?“ stöhnte ich, als ich in ihr Zimmer ging.
Nach einer dreiviertel Stunde lag Helena friedlich schlummernd in ihrem Bettchen. Für einen Moment stand ich dort und betrachtete sie. Diese Ruhe gerade war eine Wohltat.
Gleichzeitig ging mir durch den Kopf, wann sie wohl anfing so zickig zu werden. Hoffentlich hatte ich da noch etwas Zeit!
Wirklich schläfrig war ich noch nicht und beschloss daher noch nach unten zu gehen. Im Wintergarten saß mein Mann vor dem Kamin vertieft in die Zeitung.
Noch hatten wir uns nicht ausgesprochen, es war immer noch eine gewisse Kälte zwischen uns. Ich konnte es nicht so einfach abstellen.
„Edward wird so schnell groß, mi amor. Das ist so unheimlich.“ wieder füllten sich meine Augen mit Tränen bei diesem Gedanken.
„Das ist aber doch auch etwas Gutes! Er wird selbstständiger und unabhängiger. An seinem Geburtstag werde ich ihm erklären, dass er ab jetzt seine Ausbildung für den Orden und die Bruderschaft antritt. Glaub mir, es wird ihm nicht schaden.“ versicherte mir mein Mann eindrücklich.
„10 Jahre!“ hauchte ich und wischte mir über die feuchten Wangen. Wie durch Zauberhand hatte ich ein Taschentuch vor meiner Nase. „Danke.“
„Und Florence wird auch lernen, dass sie gewisse Regeln zu befolgen hat. Ich habe sie zu sehr verwöhnt befürchte ich.“ seufzte er.
„Es ist ebenso meine Schuld.“ gestand ich mir auch selber ein.
Schweigend saßen wir beide nebeneinander, als ich seine Hand wieder auf meiner spürte. Ich griff danach, einfach weil es sich richtig anfühlte. Lächelnd sah ich ihn an und verabschiedete mich für die Nacht.
Die Zeit war noch nicht reif für eine Aussprache und nachgeben konnte ich in diesem Falle einfach nicht!
In den letzten Tagen hatte ich mich mit dem Beladen meiner Brig beschäftigt. Sehr viele Vorräte waren nicht von Nöten, da wir höchsten 4 Tage bis nach Boston brauchen würde laut Mr Hargreaves.
Helenas und meine Reisetruhe war bereits fertig und wartete nur darauf aufs Schiff gebracht zu werden. Inständig hoffte ich, dass meine kleine Tochter nicht der Seekrankheit zum Opfer fiel.
„Ich habe vorgesorgt für Miss Helena, Mistress Kenway.“ versicherte mir ihr Kindermädchen zum gefühlten Millionsten Mal.
Und dann war endlich der Geburtstag meiner Männer, wo unser Sohn offiziell in seine Ausbildung gebracht werden sollte.
Die Entscheidung welcher Seite er sich später einmal anschließen würde, überließen wir ihm. Das war eine unausgesprochene Vereinbarung zwischen Haytham und mir.
Im frühen Morgengrauen klopfte es zaghaft an der Schlafzimmertür.
„Darf ich reinkommen?“ fragte Edward leise und ich hörte ein Shhhhhhh welches vermutlich Walka galt, damit sie nicht begann zu bellen.
Wie spät mochte es sein? Auf jeden Fall zu früh für mein Gemüt, beschloss ich.
„Ja, komm herein.“ antwortete ich gähnend und setzte mich auf.
Neben mir vernahm ich unwirsches Grummeln.
„Guten Morgen Vater. Herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag!“ immer noch sprach unser Sohn leise. Er hatte in den Jahren dazu gelernt, dachte ich grinsend.
Ich schloss mich seinen Glückwünschen an und gratulierte auch ihm.
„10 Jahre bist du schon auf der Welt, min lille skat!“ dabei knuddelte ich ihn.
Kichernd sah er zu seinem Vater, welcher sich jetzt auch endlich aufsetzte und seine Sprache wiederfand.
„Ich wünsche dir auch einen schönen Geburtstag, mein Sohn.“ seine Hand lag auf Edwards Wange und in seinen Augen sah ich diesen typischen Vaterstolz.
Walka machte vor dem Bett auf sich aufmerksam.
„Ja, wir gehen ja jetzt raus. Komm! Bei Fuß!“ die beiden verschwanden wieder und etwas unschlüssig, saß ich im Bett.
„Wir sollten uns auch fertig machen, mi amor.“ lächelte ich ihn an und gab ihm einen vorsichtigen Kuss.
Plötzlich drehte mein Mann mich unter sich und sah mir tief in die Augen!
„Ich vermisse dich!“ flüsterte er und seine Lippen berührten sacht meine Stirn, meine Wangen, dann meinen Mund hinunter zur Halsbeuge. „Komm einfach heile wieder! Versprich es mir!“ ich konnte ihn kaum verstehen, so leise sprach er.
„Ich verspreche es!“ hauchte ich und nahm sein Gesicht in meine Hände. „Pass du gut auf die beiden Großen auf!“
In diesem Moment spürte ich, wie ausgehungert ich eigentlich nach ihm war. Die Geburtsverletzung war abgeheilt und es stand uns nichts mehr im Wege. Dennoch scheute ich mich etwas. Die Angst, es könnte wehtun, ließ mich zögern.
Doch mein Mann brachte eine unfassbare Geduld auf, stoppte sobald ich auch nur einen zischenden Laut von mir gab. Er versuchte uns wieder in Einklang zu bringen, was mir leider etwas schwer fiel, muss ich zugeben.
Es brauchte eine Weile ehe ich mich ganz öffnen konnte.
In dem Augenblick wo ich ihn wieder ganz spürte, seine Bewegungen mit mir synchron waren, schloss ich die Augen und genoss diese Zweisamkeit nach dieser langen Abstinenz!
Mein Höhepunkt war wie eine Befreiung für meine Seele! Ich umklammerte Haytham mit den Armen und Beinen, ich wollte ihn vollends auf und in meinem Körper fühlen! Es war berauschend!
Leise stöhnend ging auch er über die Schwelle und hielt dabei meinen Oberschenkel umklammert. Dieser leichte Schweißfilm auf seiner Haut schimmerte im Licht der aufgehenden Sonne! Ein unfassbar faszinierender Anblick, ging es mir durch den Kopf.
„Woran denkst du, mi sol?“ skeptisch sah zu mir herunter.
„Du schimmerst gerade in diesem fahlen Schein durch die Vorhänge. Es sieht fantastisch aus, mi amor.“ hauchte ich und küsste ihn wieder.
„Deine Augen strahlen übrigens gerade in einem umwerfenden Grün! Wie lange musste ich darauf verzichten!“ flüsterte er leise, während sein Mund wieder hinunter zu meinem Hals glitt. Ich liebte diese Geste, sie brachte mir eine sehr wohlige Gänsehaut! Jedes Mal!
Langsam lockerte ich meine Umklammerung und strich mit meiner Hand über seinen Rücken hinunter zu seinem Allerwertesten und kniff zu.
„Darauf musste ich auch zu lange warten.“ kicherte ich.
„Mamaaaaaaaaa, Eddy hat meine Lieblingspuppe einfach auf Walka gebunden!“ rief Florence wütend. Wir schafften es gerade noch uns voneinander zu lösen und die Decken über uns zu werfen. Da platzte sie schon herein!
„Junges Fräulein! So ein Verhalten will ich auch von dir nicht noch einmal sehen, ist das klar?“ fauchte Haytham und erschrocken sah unsere Tochter in unsere Richtung.
„Aber jetzt sind die beiden einfach draußen und …“ jammerte sie weiter ohne auf die Mahnung ihres Vaters achten.
„Es wird ihr schon nichts passieren, min lille engel. Und jetzt geh zu Sophia und lass dich schon mal anziehen. Wir reden dann beim Frühstück darüber.“ ich versuchte eine ruhige aber bestimmte Stimme an den Tag zu legen, was nicht so leicht war, weil ich noch etwas außer Atem war.
„Immer darf er meine Sachen kaputt machen!“ rief sie und rannte wieder hinaus. Ihr Kindermädchen stand in dem Moment schon vor unserem Schlafzimmer, knickste, wünschte einen guten Morgen und gratulierte Haytham, ehe sie die Tür hinter sich und Florence schloss.
„Das war knapp.“ ich atmete erleichtert aus, weil uns das Aufklärungsgespräch auch mit ihr noch bevorstand.
„Jetzt hätten wir sogar noch mal etwas mehr Zeit, mi sol.“ grinste mein Templer anzüglich und zog mich auf seinen Schoß.
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen!
Die Barriere zwischen uns war, so hoffte ich, damit verschwunden und wir konnten wieder vernünftig miteinander kommunizieren.
Das Frühstück verlief vielversprechend und wir konnten Edward und Florence wieder auf einen Nenner bringen. Er versprach nicht mehr mit ihren Sachen zu spielen und sie würde auch nicht mehr seine Zinnsoldaten für einen Ball zu ihren kleinen Puppen mitnehmen.
Helena war an diesem Morgen etwas ungnädig und wollte nicht so recht trinken. Nachdem ich es eine halbe Stunde versucht hatte, gab ich auf und legte sie erst einmal wieder in ihr Körbchen. Diese Unruhe war neu und ich dachte an ihre große Schwester, die so ein Verhalten auch an den Tag gelegt hatte. Aber vielleicht war es auch nur die Allgemeinsituation. Kinder spürten Streit und ähnliches, auch wenn wir Erwachsenen es nicht sehen wollten.
Ich verbrachte den Tag bewusst nur mit meiner Familie, morgen würde ich mit Faith nach Boston aufbrechen.
Zum wiederholten Male musste ich den Kindern versprechen, heile und rechtzeitig zu Weihnachten wieder daheim zu sein. Ich hatte beschlossen, in Boston nach ein paar schönen Geschenken für sie Ausschau zu halten.
Als es Teezeit war, rief mein Mann Edward zu uns. Es war an der Zeit ihm ein paar Dinge bezüglich seiner Zukunft zu erklären.
„Deine Ausbildung beginnt jetzt richtig, mein Sohn. Du sollst lernen, wie du dich verteidigen und wie du andere beschützen kannst. Wir werden dir beibringen dich in der Menge zu verbergen, so dass du dich ungesehen in einer Stadt bewegen kannst. Dein Adlerblick ist eine weitere Fähigkeit, die es auszubauen und zu verfeinern gilt.“ dabei glitt Haythams Blick in Richtung Mr al Din Issa, welcher stumm nickte. „Die Götter werden dich auf deinem neuen Weg weiterhin begleiten und du kannst jedwede Lehre bekommen, die du wünschst. Ab jetzt wirst du mit deinem richtigen Schwert trainieren, mein Sohn.“
Edward sah von einem zum anderen, wusste aber überhaupt nicht, wie er reagieren sollte.
„Bin ich dann ein richtiger Assassinen bald?“ fragte er mit leuchtenden Augen.
„Wenn du das möchtest, ja das kannst du sein.“ ich hörte in Haythams Stimme einen feinen kaum wahrnehmbaren Ton der Enttäuschung und drückte seine Hand.
„Entscheiden kannst du dich, wenn du volljährig bist, min lille skat. Noch lernst du beide Seiten kennen!“ erklärte ich ihm, eigentlich mehr zur Beruhigung meines Templers.
Feierlich überreichte Haytham ihm das Schwert, welches er zum 8. Geburtstag bereits bekommen hatte.
Stolz band er den Gürtel mit der Scheide um seine Hüfte, steckte das Schwert hinein und stand mit leuchtenden Augen vor uns.
Plötzlich stürmte er auf seinen Vater zu und umarmte ihn.
„Danke, Vater.“ flüsterte er.
Dieser Anblick trieb mir mal wieder Tränen in die Augen. Dieser kleine Knirps war gar nicht mehr so klein.
Am Abend brachte man meine Habseligkeiten bereits an Bord meiner Brig und ich besprach mit meinem ersten Maat noch einmal unseren Plan. Wir sollten den Haupthafen meiden und abseits ankern. Ein wenig Angst hatte ich schon um die Jackdaw!
„Mistress Kenway, ich weiß einen perfekten Platz. Verlasst euch auf mich. Wenn die Witterung so bleibt werden wir auch nicht länger als 4 Tage unterwegs sein. Es ist zwar frostig, aber noch sind die Seewege einigermaßen Eisfrei.“ versprach er mir noch einmal.
Nach einem erneutem Bad, welches nur meinem Mann und mir vorbehalten war in dieser Nacht, war es als würden wir unseren Bund ein weiteres Mal erneuern.
Die Stunden mit Haytham fühlten sich beruhigend und wie Balsam an. Ausgehungert! Ja, das war ich und ich gebe es auch zu!
Irgendwann lag ich in seinen Armen und sog seinen wunderbaren Duft in die Nase. Es war einfach … Haytham. Ich sollte ein Parfum kreieren und es so nennen, dachte ich schmunzelnd.
„Was ist?“ fragte er skeptisch nach.
„Dein Geruch, mi amor. Ich könnte doch ein Duftwässerchen machen und es nach dir benennen. Ich würde es auf alles sprühen, was nur geht. Wenn du einmal weg bist erinnert es mich immer an dich.“ es war keine Marktlücke, ich weiß. Dennoch fand ich den Gedanken interessant.
„Hmmm, bekomme ich dann auch den deinen?“ sein breites Grinsen konnte ich sogar in dieser Dunkelheit, welche kaum von dem fast heruntergebrannten Kaminfeuer beleuchtet wurde, erkennen.
„Das ließe sich sicher einrichten. Wir sollten nach Frankreich reisen und dort einen Parfümeur aufsuchen. Sie verstehen ihr Handwerk perfekt!“ Warum hatte ich jetzt den Film „Das Parfum“ im Kopf? Ich schüttelte meinen Kopf um diese Bilder wieder abzuschütteln.
„Jesus! Was für schreckliche, wie heißen diese Dinger, Filme hast du gesehen? So etwas wird öffentlich gezeigt?“ ich konnte ihn sehr gut verstehen, aber hier waren Hinrichtungen auch ein öffentliches Spektakel zum Beispiel.
„Aber lass uns davon jetzt nicht reden.“ flüsterte ich lasziv und glitt mit meinem Mund langsam über seinen Bauch hinunter um ihn endlich einmal wieder kosten zu können.
Ein lautes Aufkeuchen, als ich ihn mit dem Lippen umschloss, zeigte mir, dass ich eine gute Entscheidung getroffen hatte.
„Mi sol, aufwachen.“ flüsterte die tiefe Stimme meines Mannes an mein Ohr.
„Och nö, es ist kalt, ich bin müde und will noch schlafen.“ maulte ich, während ich die Decke über meine Ohren zog.
„Es ist aber schon spät, wir haben etwas länger geschlafen. Außerdem wird Faith bald hier eintreffen.“
Wo er Recht hatte! Trotzdem, ich wäre gerne noch liegengeblieben.
Als ich durch die halb geöffneten Vorhänge sah, waren wieder diese Eisblumen an den Fensterscheiben erschienen. Alleine bei dem Anblick zitterte ich vor Kälte und wollte keinen Fuß aus dem warmen Bett mit meinem Mann darin setzen.
„Raus aus den Federn, Alex.“ seine flache Hand landete schwungvoll auf meinem Hintern.
„Jaaaaaaaahaaaaaaaaa…“ nölte ich und pellte mich widerwillig aus den Decken.
Hungrig wie schon seit langem nicht mehr aß ich meine Rühreier, den gebutterten Toast und den Schinken.
„Mama!“ hörte ich Edwards entrüstete Stimme von der anderen Seite des Tisches.
„Mein Appetit ist wieder zurück und es geht mir gut. Ich muss einiges nachholen.“ erklärte ich mich und sah dabei grinsend zu meinem Mann.
„Hattest du gestern Bauchweh, Mama?“ fragte Florence, während sie sich ihr Porrigde schmecken ließ.
Etwas irritiert sah ich sie an, ehe es mir wie Schuppen von den Augen fiel.
„Oh, ja. Ein wenig, min lille engel. Aber wie du siehst, geht es mir besser.“ der Frühstückstisch war nicht der richtige Ort für ein solches Gespräch.
Ich verbrachte den Vormittag mit den Kindern und las ihnen vor. Oder aber wir spielten Scharade. Florence fand dieses Spiel immer toll.
Nach dem Mittagessen erschien meine Schwester im Geiste.
Aber sie war nicht alleine!
Sie hatte neben July, welche ich freudig begrüßte, einen weiteren Begleiter im Schlepptau!
Imhotep!
Das würde jetzt etwas eng werden, weil ich eigentlich nur zwei weitere Personen angekündigt hatte. Wir würden schon Platz schaffen, so klein war die Jackdaw ja nicht. Also begrüßte ich sie alle, als ich meine Stimme wieder gefunden hatte.
Meine Brig war bereit abzulegen, die Mannschaft vollzählig und alle Vorräte gut verstaut.
Der Abschied von Edward und Florence war mehr als Tränenreich, aber ich konnte ihnen versprechen, dass ich bis Weihnachten wieder hier sein würde.
„Bringst du uns etwas mit, Mama?“ fragte meine große Tochter mit nassen Wangen.
„Ja, ich habe da auch schon eine Idee.“ flüsterte ich verschwörerisch und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
6 unserer Wachen gingen ebenfalls mit uns auf Reisen, was mir eine gewisse Sicherheit gab. Sybill hatte ihr Quartier dieses Mal in meiner Kajüte mit Helena zusammen. So hatten wir ein wenig Platz für die zwei weiteren ungeplanten Mitreisenden.
Haytham stand jetzt vor mir, hatte mein Gesicht in beiden Händen und sah mich lange ohne ein Wort an.
Jetzt habt ihr auf jeden Fall genügend Schutz dabei! Versprich mir nur, auf dich und meine Tochter aufzupassen!
Das mache ich! Vergiss mich nicht, mi amor. Ich liebe dich! Hauchte ich ebenso still in seinen Gedanken.
Sein Kuss war sanft, aber leidenschaftlich.
„Pass auf dich auf und Faith, ich will keine Klagen hören. Verstanden?“ mein Templer grinste sie an und ging dann langsam von Bord.
Die Planke wurde eingeholt, die Segel wurden gehisst und langsam setzte sich mein Schiff in Bewegung Richtung Cheasapeak Bay.
Edward und Florence standen neben ihrem Vater und winkten uns zu, ebenso die Familien der Mannschaft.
Tief durchatmend sah ich dem Treiben eine Weile zu, ehe mich meine kleine Tochter auf ihre Mahlzeit aufmerksam machte.
Während ich mich um ihr leibliches Wohl in meiner Kajüte kümmerte, begann Mr Hargreaves den Wachen, July und Imhotep ihre Unterkunft zu zeigen.
„Störe ich?“ hörte ich Faith an der Tür als sie eintrat.
„Nein, komm rein.“ ihr Eindringen war eigentlich ganz gut, so hatten wir einen kleinen Moment für uns alleine. Wie gesagt, wir hatten uns eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Ihr Blick glitt über den Schreibtisch, wo einige Papiere lagen, unter anderem auch die Berichte über die Überfälle auf die Lagerhäuser.
In ihren Augen lag für einen winzigen Moment etwas trauriges, als sie Helena betrachtete. Doch dann war sie wieder im Hier und Jetzt.
Ich erzählte ihr, wie unser neues Familienmitglied hieß und wie sie zur Welt kam. Die Geburt wird mir vermutlich auf ewig im Kopf bleiben, so wie die anderen auch.
„Scheiße!“ rief ich laut. Zum einen wegen dieses Gedankens und weil mir meine Tochter in die Brust gebissen hatte.
„Das kenne ich!“ kicherte Faith und setzte sich neben mich und ihre Lippen legten sich auf die meinen. „Ich habe dich vermisst, mein preußisches Weib.“ ihr Kuss schmeckte süß und nach mehr.
Leider holte uns Sybill aus diesem Moment.
„Oh, Verzeihung. Lady Cormac, Mistress Kenway.“ verlegen blieb sie in der Tür stehen.
„Ist schon in Ordnung, Sybill. Helena scheint satt zu sein, oder min lille solstråle?“ ich strich ihr über die rosigen Wangen und ihre kleine Hand patsche auf meine Brust.
Mrs Wallace übernahm sie um ihr eine neue Windel zu verpassen.
Ich richtete wieder mein Mieder und das Unterkleid und stand auf.
„Lass uns nach July suchen, ich habe sie eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.“ ich zog Faith dabei hinter mir her an Deck.
In den nächsten Tagen unserer Reise hatte ich hier und da etwas Zeit, mich Faith und Imhotep zu unterhalten. Sie erzählten von ihren Abenteuern und ich von den unseren. Ich nutzte die Gelegenheit auch dazu, ihnen von diesem Ereignis mehr zu berichten. Ob wir nun wirklich nur Zuschauer sein würden? Bei unserem Glück könnte es auch ganz anders kommen. Doch darüber wollte ich noch nicht nachdenken.
Odin sei Dank wurde meine Tochter nicht seekrank, auch wenn wir am zweiten Tag einen etwas heftigeren Sturm hatten. Sie war lediglich unruhig, was ich aber mit leisem Singen und frischer Luft beheben konnte.
July hatte sich verändert. Sie war groß geworden und legte die üblichen Teenager Attitüden an den Tag. Ich erinnerte mich an Yannick, der mich in dem Alter oft zur Weißglut gebracht hatte. Dennoch war sie höflich und es machte Spaß sich mit ihr zu unterhalten. Schmunzelnd stellte ich fest, dass sie eigentlich eine zweite Faith war. Nicht nur wegen des Äußeren, nein, auch wegen ihrer Art. Ihre Liebe zu Büchern und dem Lesen teilten sich hier einige an Bord und sie konnte sich ab und an auch einfach zurückziehen.
Am 4. Tag erreichten wir den Bostoner Hafen, es war gegen Mittag. Meine Berechnung stimmte Odin sei Dank also.
„Wir werden noch um dieses kleine Kap segeln und in der dahinter liegenden Bucht vor Anker gehen. Der dortige Hafenmeister ist ein Freund von mir.“ lachte Mr Hargreaves und gab den Befehl für mehr Geschwindigkeit.
Aus den Augenwinkeln sahen wir einige Schiffe im und vor dem eigentlichen Hafen dümpeln. Es hatte schon begonnen. Dieser Gedanke kroch dunkel in meinen Kopf und ließ mich erschaudern.
„Wann wird es soweit sein, Alex?“ fragte Faith leise, als sie neben mich trat.
„Am 16. Dezember wird der Tee ins Hafenbecken befördert.“ flüsterte ich plötzlich ehrfürchtig, als mir klar wurde, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. Ich war hier! Ich musste bleiben!
„Wir haben also noch eine Woche um die Lage zu inspizieren.“ grübelte sie laut vor sich hin.
„So sieht es aus. Ich muss dringend Connor ausfindig machen und auch William Johnson. Ich hoffe sie haben meine Warnungen ernst genommen.“ ich vermutete, dass ich ängstlicher klang als ich es war, aber diese Mischung aus Wissen UND Angst war nicht von der Hand zu weisen!
„Weißt du, was wir aber als erstes tun werden? Wir suchen unsere Lagerhäuser auf. Es wird gemunkelt, dass die Rum-, Wodka- und Weinvorräte verwässert werden, damit man den abgezapften reinen Alkohol teuer weiterverkaufen kann.“ plötzlich überkam mich eine abenteuerlustige Stimmung und in mir kribbelte es! Endlich wieder etwas Abwechslung in meinem Leben, endlich wieder ein wenig Spannung erleben können!
Ich hörte die mahnenden Worte Haythams in meinem Kopf „Deine Leichtsinnigkeit wird dir irgendwann zum Verhängnis werden.“ Nein, bestimmt nicht!
Wir legten am frühen Nachmittag an und gingen dann von Bord. Eine Unterkunft hatten wir bereits über eine Schwester hier in Boston mieten können. Das Büro war leider für Gäste nicht ausgelegt. Ich hatte nur für Faith, mich und meine Tochter geplant. Die Wachen waren eine andere Sache, sie würden entsprechend in den Dienerkammern untergebracht werden.
Ich hoffte, dass es nicht zu Platzmangel kommen würde. Wobei Imhotep und Faith eh in einem Bett schlafen würden und July könnte eine eigene Kammer bekommen.
Boston war eine sehr belebte Stadt, aber schnell wurde einem hier klar, dass ein Pulverfass über den Köpfen der Bewohner schwebte.
Man spürte, dass es bald richtig scheppern würde.
Ungewollt ging ich mit leicht eingezogenem Kopf durch die Menge in Richtung unserer Pension.
Überall vernahm man die Parolen sich gegen die Steuern zu wehren! Diesen Raub sollte man nicht weiter unterstützen und so weiter.
Ich hatte so etwas wirklich noch nie erlebt und hörte neugierig zu, was man sich sonst noch so berichtete.
Hier und da fiel der Name Samuel Adams oder auch Paul Revere. Mir bekannt aus den Geschichtsbüchern. Würde ich sie hier zu Gesicht bekommen? Wenn ja, würde ich zu gerne ein paar Worte mit ihnen wechseln.
Ich wurde immer aufgeregter und vergaß alles um mich herum.
„Alex, was ist denn auf einmal los mit dir. Du siehst aus, als hättest du ein volles Bonbonglas gesehen!“ lachte Faith und stupste mich an.
„Oh, eigentlich kann man es so vergleichen. Ich bin mittendrin, mo rionnag. Ich … ich erlebe etwas, was ich bisher nur gelesen, oder in Filmen gesehen habe.“ meine Euphorie konnte ich kaum zügeln.
Auf der anderen Seite hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil es ja nichts erfreuliches war, was in ein paar Tagen hier passieren würde.
Kopfschüttelnd ging sie grinsend weiter und wir bahnten uns einen Weg durch die Menge. Eine Kutsche war nicht aufzutreiben gewesen, aber wir hatten mit der Unterkunft Glück, sie war nicht weit entfernt und so konnten unsere Habseligkeiten zügig geholt werden.
Plötzlich trat ein Mann aus der Menge hervor und eilte auf uns zu.
Es war Master Johnson!
„Mistress Kenway! Lady Cormac!“ verneigte er sich vor uns. „Ihr solltet nicht hier sein!“ mahnte er uns und ich zog nur die Augenbraue hoch.
„Ihr aber auch nicht! Ich sagte euch doch, dass ihr euch hier in Gefahr bringt. Nicht nur euch, sondern auch das Vermögen des Ordens. Ich wollte auf Nummer sicher gehen, dass nichts … nun … zu Schaden kommt, Master Johnson!“ erklärte ich mich und sah, dass er ein Problem mit unserer Anwesenheit hatte.
„Ich gehe davon aus, dass ... Master Kenway euch begleitet hat?“ suchend sah er an mir vorbei.
„Nein, er blieb auf der Plantage. Unsere Kinder brauchen ihn.“ schon als ich es ausgesprochen hatte, fühlte ich, dass ich mit meiner Vermutung mein Gatte könnte mir etwas verschwiegen haben, richtig lag.
William schien auf ihn zu warten.
„Oh, ich verstehe. Dann … wünsche ich … einen … angenehmen Aufenthalt hier in Boston.“ stotterte er und verschwand wieder in der Menge der Menschen.
„Faith, glaubst du auch, dass Haytham ebenfalls auf dem Weg hierher ist? Ich habe da so ein Gefühl, so eine Eingebung.“ fragte ich frei raus.
„Zuzutrauen wäre es ihm, Alex.“ ich war also nicht die einzige, die ähnlich dachte.
Nachdem wir uns einquartiert hatten, machte ich mich mit Faith alleine auf den Weg zu den Lagerhäuser. Odin sei Dank, wusste auch sie, welche uns gemeinsam gehörten. Es brauchte keinen Wegweiser meinerseits.
Einige Meter vor dem ersten Gebäude blieben wir abrupt stehen. Beide sahen wir, dass etwas nicht ganz koscher war. Die Wachen am Tor waren britische Soldaten, nicht unsere eingeteilten Leute. Wo aber waren sie?
„Dann ist es also wahr, dass man unseren Whiskey und das Ale panscht.“ wütend stampfte meine Schottin auf und wollte schon vorpreschen, als ich sie zurück hielt. Aus den Augenwinkeln sah ich nämlich einige Herren heran nahen, die sich lautstark über die Wucherpreise für diese alkoholischen Getränke echauffierten!
„Dieser irische Schund ist doch nichts für gut geschulte Gaumen, Sir! Es grenzt an eine geschmackliche Beleidigung.“ höhnte einer der Männer.
„Ich sage euch, die Iren sollten besser lernen, wie man ordentliches Ale braut und nicht diese Plörre, die nach nichts schmeckt! Ich zahle doch nicht für Wischwasser!“ lachte ein anderer Herr!
„Wischwasser?“ Faith neben mir wurde zusehends wütender und ungehaltener. „Wer keine Ahnung von gutem Whiskey oder Ale hat, sollte besser den Mund halten!“ ihre Stimme erhob sich und ich fürchtete schon, dass man uns bemerken würde.
„Wir werden uns jetzt da rein schleichen, uns umsehen und die Fässer und Flaschen überprüfen. Wer weiß, vielleicht haben diese Gentlemen auch einfach nur die gepanschte Ware konsumiert!“ flüsterte ich.
Mein Blick zeigte mir keine weiteren Auren außer den Soldaten vor dem Tor an. An die Hauswand gedrückt näherten wir uns vorsichtig dem kleinen Hintereingang und ich zückte den Schlüssel. Gerade als ich die Klinke berührte sah ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung rechts neben uns!
Ich deutete Faith sich bereit zu halten, aber sie hatte es ebenfalls schon bemerkt.
Dieser Schatten verharrte aber ohne weiter auf uns zuzukommen.
Schnell schloss ich auf und wir schlüpften durch die Tür. Leider kam ich nicht dazu, auch gleich wieder abzuschließen, weil jemand seinen Fuß hindurch steckte! Wir drückten beide jetzt mit Kraft immer wieder dagegen, hörten aber plötzlich Flüche auf Mohawk.
„Alexandra! Ich bin es! Connor!“ er versuchte seine Stimme möglichst leise zu halten, was ihm bei den Schmerzen nicht so ganz gelang.
Perplex ließ ich von der Tür ab und ging etwas zurück.
„Was machst du hier?“ fragte ich unnötigerweise nach.
„Samuel Adams hat mich gebeten hierher zu kommen. Mein Vater müsste auch gleich bei uns sein!“ kaum dass die Worte seinen Mund verlassen hatte, fiel ihm ein, dass ich das nicht wissen konnte und vor allem SOLLTE!
„Ähm, also… kann ich euch vielleicht helfen?“ er tat unschuldig, aber er war kein guter Schauspieler.
„Ich wusste es doch!“ wütend schlug ich mit der Faust auf eine der Weinkisten neben mir und die Flaschen klirrten gefährlich laut. „Er kann es nicht lassen …“ fluchte ich weiter.
„Nein, kann ich nicht!“ grinsend erschien mein Ehemann hinter seinem großen Sohn.
Es herrschte für einen Moment Schweigen, ehe Faith ihre Worte wiederfand. Und erst da fiel mir ein, dass sie diesen Assassinen vor sich noch gar nicht zu Gesicht bekommen hatte. Doch wer wäre sie, wenn sie nicht einfach nachfragen würde.
„So würdest du mir mal erklären was dieser junge Mann hier mit dir macht. Das er ein Assassine ist, sehe ich aber wer ist er?“
„Oh ihr kennt euch noch nicht? Das Faith ist mein Sohn Connor“ mein Templer war ebenfalls etwas überrascht, aber fing sich schnell wieder.
„Gut… du bist Ziios Sohn?“ vergewisserte sie sich noch einmal, würde ich vermutlich in dieser Situation auch machen.
„Ja und ihr seid?“ Connor wusste natürlich eben sowenig wer sein Gegenüber war.
„Faith Cormac, die kleine Schwester von deinem Vater, sozusagen bin ich dann deine Tante. Es freut mich dich kennen zu lernen“ ein Grinsen breitete sich in ihrem Gesicht aus und sie reichte ihm ihre Hand.
Da er diese Geste aber völlig ignorierte, räusperte sich Haytham um ihn an die Höflichkeiten und Manieren zu erinnern.
„Die Freude ist auf meiner Seite“ antwortete er und ergriff die Hand meiner Freundin.
Für einen kurzen Moment standen wir da, sagten nichts.
Ich musste die Anwesenheit Haythams erst einmal sacken lassen.
„Ich gehe davon aus, dass wir hier Proben nehmen werden?“ dabei sah mein Templer suchend in die Runde.
„So war der Plan, mi amor.“ ich hatte mir zwar eine kleine nette Exkursion mit meiner sturen Schottin versprochen, aber nun musste ich umdisponieren. Mit Connor als zusätzlichen Begleiter könnten wir schlecht … wie sage ich es am besten … über die Stränge schlagen.
Wir entfachten zwei kleinere Feuerschalen in der Nähe und versuchten uns etwas zu orientieren.
Eine wirkliche Ordnung nach Art der Ware konnte ich nicht ausmachen und mein innerer Monk meldete sich. Ich hasste dieses Chaos!
Es dauerte nicht lange und schon hatten wir das erste Weinfass gefunden, welches ein frisches Wachssiegel aufwies.
„Sieh an, es ist ja richtig offensichtlich, dass der Inhalt manipuliert wurde.“ mein Mann strich über das Wachs.
Ich wurde auf zwei kleine Fässer neben einem Turm aus Kisten mit Weinflaschen aufmerksam. Sie sahen wie neu aus und ich wusste, das Whiskey länger als ein Jahr gelagert werden musste, damit er überhaupt einigermaßen schmeckte. Diese hier konnten nicht älter als ein paar Wochen sein!
Wir öffneten sie und uns schoss ein widerlicher süßer Geruch entgegen.
„Das ist definitiv nicht das, was wir in der Brennerei herstellen.“ würgte Faith neben mir. Das konnte ich mir auch beim besten Willen nicht vorstellen.
„Aber was ist das zum Teufel?“ ich tunkte meinen Finger todesmutig in die Flüssigkeit und leckte dann daran. Mich überkam ein widerlicher Würgereiz! „Bei Odin! Das ist ja entsetzlich!“ und übergab mich.
„Das müsste noch unvergorene Maische sein, wenn ich recht liege.“ Haytham hatte mit einer Schöpfkelle etwas aus dem Fass geholt und betrachtete es im Schein der Feuerschale.
„Nein, das ist aus einem Kraut, welches wir für einen Trank nutzen um die Sinne zu erweitern.“ erklärte Connor nachdenklich und besah sich den Inhalt der Kelle ebenfalls.
Ein Rauschmittel?
Für den Bruchteil einer Sekunde musste ich an die sagenumwobene Friedenspfeife denken, welche ein Sinne vernebelndes Kraut enthielt, sprach es aber nicht aus.
„Wenn das unter die Leute kommt, dann sind wir ruiniert!“ sagte ich stattdessen.
„Ich werde meinen Leuten Bescheid geben, dass sie sich um die anderen 4 Lagerhäuser kümmern sollen und nach diesen Fässern Ausschau halten sollen. Wir müssen den Inhalt umgehend vernichten!“ mein Stiefsohn nickte uns dreien nur noch zu, als er auch schon fast geräuschlos aus dem Gebäude schlich.
„Er ist gut!“ sagte ich anerkennend.
Haythams Stolz war kaum zu übersehen, wer konnte es ihm verübeln?
Wir hatten noch Zeit für das zweite Lagerhaus, welches Faith und ich alleine aufsuchen würden. Mein Mann machte sich auf um William Johnson zu treffen. Doch so einfach ließ ich ihn nicht gehen.
„Er hatte sich schon gewundert, warum du nicht MIT mir angereist bist. Ich wusste, dass du mir etwas verheimlichst, mi amor. Aber darüber werden wir noch reden.“ hauchte ich leise an sein Ohr und spürte, dass ihm ein wohliger Schauer über die Haut lief.
„Nun komm, mein preußisches Weib. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“ sie hatte es anscheinend eilig, von hier weg zukommen, dachte ich grinsend.
Mit einem Kuss verabschiedete ich mich von meinem Templer und eilte ihr hinterher.
Das nächste Gebäude war zwei Straßen von hier entfernt und ich wusste, dass dort auch mein Kaffee unter anderem gelagert wurde. Hoffentlich hatte man da nicht auch noch Hand angelegt! Da kannte ich keine Gnade!
Hier standen gar keine Wachen vor den Toren!
„Was glauben diese Briten eigentlich wer sie sind?“ fauchte ich, öffnete das Schloss und wir gingen hinein.
Vor uns offenbarte sich ein heilloses Durcheinander!
Kisten lagen zertrümmert auf dem Boden, der Inhalt war überall verstreut und diese Mischung aus Wein, Whiskey, Kaffee und Tee brachte mich zum Husten.
„Das ist ja unfassbar!“ auch Faith sah sich kopfschüttelnd um.
Mein Blick zeigte mir Spuren der Personen, welche sich an unserer Ware vergriffen hatten.
Es waren gar nicht so viele, wie ich erstaunt feststellte.
Höchstens 4 Personen waren hier eingedrungen. Aber wie hatten sie die Wachen überrumpelt?
„Der Trank der Sinne benebelt!“ kam es von Faith und mir gleichzeitig!
Hier konnten wir nichts mehr ausrichten, die Ware war bis auf drei Fässer Ale, welche unangetastet waren, zerstört worden!
Etwas entmutigt ließ ich mich auf eine noch heile leere Kiste sinken und sah mich um.
„Und dann wundert sich die Krone, warum man so aufgebracht und wütend ist, wenn sie unser Hab und Gut zerstören und gleichzeitig Wuchersteuern fordern!“ es kochte in mir und ich überdachte meinen Gedanken, dass man die Briten vielleicht nicht aus den Kolonien vertreiben sollte, noch einmal.
„Diese Spuren sehen auch noch recht frisch aus, die waren erst vor wenigen Tagen hier. Anscheinend wird willkürlich nach allem Ausschau gehalten, was illegal sein könnte. Ich vermute, auch andere Lager sehen genauso aus.“ Faith sah sich ebenfalls wütend um. „Sie nehmen keine Rücksicht!“
Wir wollten gerade wieder ins Freie, als ein Junge aus den Schatten auftauchte.
„Verzeiht, Madames, aber ich weiß, wer hier gestern alles verwüstet hat.“ er trug eine Schirmmütze, ein altes verschlissenes Hemd und löchrige Hosen. Älter als 10 oder 11 schätzte ich ihn nicht.
Als hätte ich es geahnt hielt er seine Hand auf und lächelte wissend zu uns auf.
„Entweder sagst du uns, was hier los war oder ich ziehe dir gleich hier und jetzt den Hosenboden lang!“ mahnte ich ihn, weil ich ehrlich gesagt auf keinerlei Spielchen mehr Lust hatte!
Ein paar Schritte ging er zurück und musterte mich.
Ich war nicht die liebe Dame, die sich von Kindern um den Finger wickeln ließ. Es sei denn, sie waren wirklich bedürftig. Aber bei diesem jungen Mann war schnell klar, er machte aus solchen Informationen immer Geld! Clever und durchtrieben!
„Ist ja schon gut! Es war eine Gruppe von Soldaten hier, die den Hinweis erhalten hatten, dass hier illegale Waren lagerten. Außerdem sollte sichergestellt werden, dass dieser Whiskey aus Schottland und Irland umgehend vernichtet wird…“ mit gesenktem Kopf stand er vor uns und trat von einem Fuß auf den anderen.
„Kennst du sie oder die Namen?“ hakte Faith nach.
„Nein, aber der eine hat ein blasses Auge, das linke. Der muss wohl blind sein darauf. Und der andere war am stottern wie ein Blödmann.“ immer noch würdigte er uns keines Blickes.
„Ein Einäugiger und ein Stotterer. Die werden wir hier nie finden!“ seufzte ich, weil es davon sicherlich so einige gab.
„Die Uniformen die die Männer trugen, waren die echt?“ fragte Faith nach. Woher sollte der Junge das denn wissen?
„Sie waren etwas abgetragen, aber die richtigen!“ natürlich wusste er das, er sah sie tagtäglich und wusste, wie diese Bekleidung auszusehen hatte. Wieder einmal hatte ich nicht bedacht, dass man hier im 18. Jahrhundert noch mit einem anderen Blickwinkel durchs Leben ging.
„Danke, du kannst gehen und …“ ich gab ihm jetzt doch ein paar Münzen und fuhr fort. „… sag deinen Freunden, dass sie die Augen ruhig offen halten sollen. Es kann sich für euch lohnen.“
Wir konnten nie genügend Augen und Ohren an allen Orten haben.
Bevor er aber verschwinden konnte, fragte ich nach einem Namen.
„Chester Winston, Mam! Zu euren Diensten!“ erwiderte er mit einer tiefen Verbeugung und verschwand.
Wir hatten soeben einen „kleinen“ Spion angeheuert.
Als wir ins Freie traten, atmete ich tief durch.
Meine Lungen fühlten sich durch diese Dämpfe und Gerüche überanstrengt an.
„Wir sollten erst einmal wieder zu unserer Unterkunft, ich muss Helena stillen.“ sagte ich frustriert, weil ich eigentlich noch die anderen Warenhäuser begutachten wollte.
„Danach werden wir weitersehen, Alex!“ ihre Hand legte sich auf meinen Unterarm und gemeinsam gingen wir langsam die Straßen entlang.
Eigentlich fühlte es sich an, als würde man über ein Minenfeld gehen. Man musste genau aufpassen wohin man trat, jeder schien sofort in die Luft zu gehen, sobald man nur die kleinste falsche Bewegung machte.
Vor der Tür zu unserer Herberge sah ich einige Soldaten stehen, welche mit Alekrügen in der Hand dastanden und sich lautstark über ihre ungerechtfertigte Behandlung beschwerten.
„Da fragt man so ein Weib höflich, ob sie etwas Zeit erübrigen kann für ein Schäferstündchen und bekommt statt einer Antwort eine Ohrfeige!“ grölte einer von ihnen.
„Niemand weiß unsere Dienste hier zu schätzen!“ lallte der nächste und pfiff einer Dame hinterher, die sich bemühte möglichst schnell an ihnen vorbeizukommen.
„Sieh an, da kommen ja zwei sehr ansehnliche Exemplare! Na, Ladys! Ihr seht aus, als könntet ihr etwas Gesellschaft vertragen!“ nuschelte der nächste im Bunde und sein Alkohol geschwängerte Atem ließ mich würgen.
„Ich genieße schon die Gesellschaft meiner Freundin. Männer haben da nichts zu suchen!“ gab ich grinsend als Antwort und schmiegte mich an Faith.
„Wir brauchen keine Männer in dieser Nacht!“ hauchte sie und strich über meinen Ausschnitt.
Wir sahen uns tief in die Augen.
Ich habe das vermisst. Sprach ich in Gedanken und vernahm plötzlich ihre Stimme in meinem Kopf.
Geht mir genauso.
Beide sahen wir uns überrascht an und vergaßen, dass wir ein ganz anderes Gespräch gerade führten.
„Weiber! Immer das gleiche!“ maulte ein weiterer Soldat und sie ließen von uns ab.
„Wie ist das jetzt auf einmal doch möglich? Ich habe es zig tausendmal versucht und bin nicht zu dir durchgedrungen?“ irritiert sah ich Faith an.
„Nur die Götter werden es wissen. Wir sollten es nicht hinterfragen.“ lächelte sie verschwörerisch und mir kam der Satz Edward Seniors in den Sinn, dass die Götter mich begleiten werden.
Ich ging erst einmal zu meiner Tochter und Sybill. Das duldete keinen Aufschub.
Als ich eintrat sah ich, dass Edward und Florence ebenfalls dort waren.
„Mama!“ riefen die beiden und stürmten auf mich zu.
„Was … warum seid auch ihr hier?“ ich sah zu den Kindermädchen und dann wieder zu meinen Großen.
„Vater hat mich gebeten, dir nichts zu sagen. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass dir etwas zustoßen könnte. Aber da ich ja jetzt Mr al Din Issa an meiner Seite habe, war er der Meinung, dass es Zeit für mich ist mehr zu lernen.“ mein Sohn sah mich voller Stolz an und wartete auf meine Antwort.
Mein Blick wanderte zu seinem Kammerdiener, welcher lächelnd neben ihm stand, schweigend.
Ich brauchte noch einen Moment, bis ich etwas erwidern konnte.
„Und jetzt seid ihr hier.“ sagte ich fast tonlos und meine Angst, dass meine Kinder doch in Gefahr sein könnten übermannte mich. „Das ist nicht richtig!“ flüsterte ich.
„Doch das ist es.“ hörte ich Haythams Stimme hinter mir. „Wir haben ein großes Ziel für uns alle, die Familie, die Menschheit und gerade in diesem Moment für das Seelenheil der Bostoner Bevölkerung, mi sol.“ seine Hände legten sich auf meine Wangen und in seinen Augen sah ich ein leichtes goldenes Leuchten. Tyr war im Hintergrund und brachte meinem Mann diesen Enthusiasmus!
„Wir werden hier nicht tatenlos herumsitzen und uns von King George III auf der Nase herumtanzen lassen, wir werden ihm zeigen, was es heißt, sich mit dem Orden oder der Bruderschaft anzulegen. Hier fängt die Mission die Menschheit vor solchen Tyrannen zu beschützen an. Es hat begonnen, Alex!“
Mich überlief ein eiskalter Schauer der Erkenntnis. All die Jahre hatte ich diesen Gedanken verdrängt!
Nachdem Helena gestillt und frisch gewickelt in ihrem Körbchen lag, setzte sich Haytham zu mir.
„Ich hatte dich nicht unter Druck setzen wollen. Du weißt aber, welche Bürde wir beide tragen! Wir können es nicht weiter schön reden oder verleugnen. Die Zeit ist gekommen und mit ihr unsere Mission.“
Vor meinem inneren Auge formten sich entsprechende anstehende Ereignisse, welche auch meinem Mann nicht unbekannt waren. Hier ging es schlichtweg um das Wohl der Menschen, nicht mehr um die Belange der Templer oder der Assassinen.
„Mr al Din Issa, du hast ihn bewusst zu uns eingeladen, nicht wahr?“ fragte ich nach, weil es mehr als offensichtlich in diesem Moment war.
„Dieser Mann bringt einen weiteren Einfluss in unser Haus, welcher für unsere Zukunft wichtig ist. Du hast mir einmal erzählt, dass die Menschen in deiner Zeit Vielfältigkeit und Individualität präferieren. Wir können einen kleinen Grundstein genau dafür legen. Ich weiß … es wird noch dauern, bis wirklich der letzte es verstanden haben wird, aber der erste Schritt, der Anfang ist getan.“
Wir hatten nicht mehr nur die Götter an unserer Seite, sondern auch die verschiedensten Religionen und Glaubensmänner.
„Mi sol, Edward wird mich morgen zu Master Johnson begleiten mit Mr al Din Issa. Unser Sohn wird, wie wir es besprochen haben, ab jetzt ausgebildet.“ seine Hand lag auf meiner und er sah mir tief in die Augen. „Vertrau meiner Intuition.“ seine hochgezogene Augenbraue hieß mich das ganze nicht zu hinterfragen.
Er hatte ja Recht! Es waren nicht meine Zeiten, kein friedliches 21. Jahrhundert. Hier mussten die Kinder schneller lernen und erwachsen werden. Ich hatte mir das aber leichter vorgestellt, ging es mir schmerzlich durch den Kopf.
„Pass auf unseren Sohn auf, mi amor.“ flüsterte ich an seine Brust gelehnt, während seine Hände beruhigend über meinen Rücken glitten.
„Edward ist stärker als du glaubst und ich weiß, er braucht dich immer mal wieder. Genauso wie ich meine eigene Mutter brauchte …“ seine Stimme brach und seine Hände klammerten sich an mich.
„Ich weiß, mi amor. Niemand kann die Mutter ersetzen oder den Vater.“ langsam liefen mir die Tränen über die Wangen, während ich mein Gesicht an seiner Brust versteckte.
„Vater, Connor ist hier!“ rief Florence freudig mit einem Mal.
„Vielleicht hat er noch etwas mehr erfahren.“ lächelte mich mein Templer an und ging ins Vorzimmer, wo sein großer Sohn schon wartete.
Ich blieb noch einen Moment hier und dachte über diese Sätze nach.
Verdrängt, ja! Ich hatte es immer vor mich hergeschoben. All diese Ereignisse lagen noch weit entfernt, als ich mich entschloss zu Haytham zu reisen und auch zu bleiben. Die Götter hatten mich leider nur marginal aufgeklärt und entließen mich in eine Zukunft, welche ich vermutlich nie überschauen kann.
Wenn ich es richtig verstand, dann würde mich auch noch das 19. Jahrhundert erwarten mit seinem Krieg zwischen den Süd- und Nordstaaten. Wir würden die Sklaverei besiegen, so hoffte ich es in diesem Moment.
Plötzlich kam mir aber ein anderer Gedanken. Mein Alter! Wir wurden älter! Da wir keine Vampire waren würden wir wohl kaum noch ein weiteres Jahrhundert erleben können.
Die leise Stimme Iduns drang in meinen Kopf.
Vorerst sorgen wir dafür, dass ihr nicht dahinscheidet. Sorgt nur selber für ein plausibles Ableben und ihr könnt noch weiterleben. 25 Jahre. Die Zeituhr der Götter!
Du teilst dir die Jahre mit Haytham, vergiss das nicht. Das nächste mal werde ich es gerechter aufteilen. Teilte mir Idun leise mit.
Als ich hier ankam bekam ich 20 Jahre und Haytham ungefähr 5 Jahre geschenkt. Plötzlich begann ich nachzurechnen. Ich wäre jetzt wieder fast 40 und mein Templer annähernd gleichauf.
Es ist nicht nur das Alter, die Jahre oder wie ihr es nennen wollt. Es ist eine Art Konstitution, welche erhalten bleiben muss. Wir haben lange daran gearbeitet. Sprach die Hüterin der goldenen Äpfel leise.
Irgendwann müsste ich ein erneutes Szenario meines und Haythams Tod ausarbeiten. Es war damals schon ein mehr als unangenehmer Gedanke, die Jackdaw sinken zu lassen, damit alle im 21. Jahrhundert glaubten, mich gäbe es nicht mehr.
Wie würde ich es hier planen?
Ein Überfall, ein Feuer auf der Plantage, eine Krankheit?
Und wie sähe es dann mit den Kindern aus?
Etwas in meinem inneren weigerte sich plötzlich noch tiefer in diese dunklen Gedanken einzutauchen.
Um mich abzulenken ging ich auf die Suche nach Connor und Haytham. Bis jetzt wusste ich immer noch nicht, wie die beiden so schnell hier sein konnten.
„Da seid ihr ja.“ lächelte ich als ich eintrat und die beiden in ein Gespräch vertieft am Fenster standen.
„Ich habe gute Neuigkeiten, Alex! Meine Leute und ich konnten einen Großteil der Teelieferungen ungesehen an Land und in Sicherheit bringen. Auch wenn ich mit Master Johnsons Plan Land zu erwerben von dem Erlös nicht einverstanden bin. Ich hoffe nur, du behältst Recht, Alex!“ er sah mich eindringlich an.
„Du wirst so euer Land eher beschützen können. Außerdem bist du nie alleine, wir stehen auch hinter dir!“ mein Mann legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Es wird Zeit brauchen, um meinen Leuten alles zu erklären. Sie werden nicht begeistert sein.“ seufzte Connor immer noch mit den Augen auf mich gerichtet.
„Nein, das glaube ich gerne. Master Johnson ist dennoch mit Vorsicht zu genießen, denke daran. Versprich mir noch eines! Sollte im nächsten Jahr eine Versammlung auf seinem Grund und Boden einberufen werden, bitte ich dich, NICHT dorthin zu gehen!“ ob es klug war den jungen Indianer jetzt schon vorzuwarnen wusste ich nicht. Aber es war mir wichtig, dass er nicht das Blut von William an seinen Händen haben soll!
„Was passiert dort?“ hakte er neugierig nach.
„Er wird sterben!“ die Worte meines Mannes hatten etwas kaltes und endgültiges. Aber es war die Wahrheit!
Das Abendessen genossen wir gemeinsam und ich nutzte die Gelegenheit um die Herren nach ihrem plötzlichen Erscheinen hier zu befragen.
„Was soll ich sagen, mi sol? Du hast dich nicht überreden lassen, also musste ich handeln. Die Aquila lag gut getarnt auf der anderen Flussseite bereits seit 2 Tagen, als du abgereist bist. Damit war sichergestellt, dass wir ebenso rechtzeitig hier in Boston ankommen werden. Connor hat uns geschickt an euch vorbei manövriert, Mr Faulkner hat ihn gut ausgebildet, dass muss ich schon sagen!“ diese anerkennenden Worte ließen Connor lächeln.
„Ihr kamt also schon früher an als wir?“ jetzt wurde mir auch klar, warum ich die ganze Zeit dieses Gefühl von Beobachtung gehabt hatte.
„Und ich habe nichts ausgeplaudert, Mama!“ kicherte Florence und verschluckte sich fast an ihrem Essen dabei.
"Fantastisch, min lille engel. Großartig!“ erwiderte ich etwas säuerlich, weil die Kinder mich völlig unbemerkt hinters Licht geführt hatten.
„Alex, sei nicht sauer! Du wusstest doch, dass mein großer Bruder es nicht sein lassen kann,
selber nach dem Rechten zu sehen.“ kicherte jetzt auch Faith.
Mein Blick glitt zu meinem Templer, welcher mich amüsiert betrachtete.
„Was? Es hat alles geklappt, auch ohne deine Organisation.“ ja, ich weiß. Oft dachte ich, dass einiges ohne mein Zutun nicht klappen könnte.
„Ich habs verstanden.“ maulte ich und leerte meinen Weinkelch in einem Zug.
Haytham hatte schon Tage vorher mit seinem Sohn und William Kontakt aufgenommen und sie hatten sich sogar einmal in Richmond getroffen für die Vorbereitung.
„Der einzige, der noch nichts weiß ist mal wieder Charles. Aber…“
„Was? Der Idiot ist hier in Boston?“ fiel ich meinem Mann lautstark ins Wort.
„Nein! Würdest du mich bitte ausreden lassen?“ Augen rollend lehnte er sich wieder zurück auf Sofa. „Er ist zwar auf dem Weg aus dem Norden hierher, wird aber nicht in den nächsten drei Wochen hier erwartet. Seine Mission hatte ich extra so geplant, dass du ihm nicht über den Weg laufen musst. Der Auftrag war, Informationen über einige Truppenbewegungen der Briten und Franzosen zu beschaffen. Sie bekriegen sich immer noch.“ erklärte er in aller Seelenruhe.
Es gab immer wieder kleinere Scharmützel um einen Meter Land einzunehmen oder zurück zu erobern. Die Grenzen verschoben sich gefühlt täglich.
„Außerdem sollte er auch mir nicht begegnen, Alex. Das weißt du.“ in Connors Augen flammte diese tiefe Wut über Lee auf, welche ich so gut nachvollziehen konnte. „Washington scheint auch noch etwas zu planen, aber ich bin noch nicht im Bilde, was genau er vorhat.“ frustriert rieb er sich übers Gesicht.
„Hoffen wir, dass er sich nicht allzu sehr verkalkuliert mit seinen Truppen. Die Waffen gehen der Kontinentalarmee langsam aus und die Soldaten sind keine Soldaten, sondern fast ausschließlich Bauern.“ warf ich ohne groß nachzudenken in die Runde.
„Und wie sollte man das ändern? Wir haben hier nicht genügend Männer die in den Krieg ziehen könnten.“ hakte Haytham nach. „Sollen wir britische Soldaten in die Dienste Washingtons zwingen? Das wird wohl kaum funktionieren!“
Weiter an dieser Diskussion teilnehmen war mir nicht vergönnt!
Es war Zeit Helena noch einmal zu stillen und ich ging in unser Zimmer, wo auch Florence und Edward ihre Betten hatten.
Mr al Din Issa war gerade dabei meinem Sohn zu erklären, wie man die Halsbinde richtig knotet und welche Techniken es für eine Krawatte gab. Fasziniert sah ich für einen Moment zu, weil ich davon auch so gut wie keine Ahnung hatte.
„Schau mal, Mama. Das ist ganz einfach.“ Edward begann das Tuch geschickt übereinander zuschlagen, sortierte die Falten und machte einen akkuraten geraden Knoten.
„Ihr lernt schnell, Master Edward!“ lobte ihn sein Kammerdiener.
Lächelnd wuschelte ich ihm durchs Haar.
„Dein Vater könnte noch von dir lernen.“ lachte ich leise und setzte mich kurz zu Florence, welche mit Sophia ein paar Schreibübungen machte.
„So schnell kann ich das aber noch nicht.“ jammerte sie, als ihr Kindermädchen zu schnell diktierte. „Mir tun schon die Finger weh.“
„Stell dich nicht so an, Flo. Ich musste mal 100 Mal schreiben, dass Mr Hathaway ein guter Lehrer ist!“ daran erinnerte ich mich ebenfalls noch und er war mehr als ungnädig damals.
Helena begann zu weinen und holte mich aus meinen Gedanken.
Edward verließ das Zimmer mit seinem Kammerdiener, weil es sich nicht gehörte im Raum zu bleiben, wenn eine Frau ihr Kind stillte.
Meine kleine Tochter hatte heute nicht allzu großen Hunger und so war sie schon nach etwas weniger als einer halben Stunde fertig, gewickelt und ich wiegte sie noch etwas in meinen Armen.
Sie hatte ordentlich zugelegt und gewachsen war sie auch wieder.
„Mama, war ich auch mal so klein?“ fragend sah mich Florence an.
„Ja, auch deine Brüder waren einmal ein Baby, ich sogar auch, min lille engel.“ lächelte ich sanft und strich ihr eine Locke aus dem Gesicht.
„Das glaube ich nicht.“ lachte sie und gab ihrer Schwester einen Kuss auf das Köpfchen. „Darf ich ihr heute etwas vorlesen, Mama?“
Erstaunt sah ich sie an.
„Natürlich, das ist eine wunderbare Idee. Was für eine Geschichte wirst du nehmen?“
Sie blätterte in Jennys Geschichtenbuch und tippte auf eine Seite ungefähr auf der Hälfte des Buches.
„Diese hier! Die Prinzessin bekommt eine neue Dienerin und die beiden werden Freundinnen. Aber der Kalif findet das nicht gut.“
Helena lag in ihrem Körbchen, Florence setzte sich im Schneidersitz daneben und begann leise zu erzählen. Ab und an stockte sie, weil sie noch nicht alle Wörter auf Anhieb erkannte. Ich war dennoch erstaunt, wie schnell auch sie sich entwickelte und lernte.
Nachdem ich den beiden noch eine gute Nacht gewünscht hatte, ging ich wieder zu den anderen.
Es war jetzt für unseren Sohn Zeit fürs Bett. Edward wünschte eine geruhsame Nachtruhe und ging dann mit seinem Kammerdiener in unser Zimmer.
„Es ist immer noch seltsam, dass er nicht mehr …“ ich konnte nicht weitersprechen, weil mich meine Gefühle mal wieder übermannten.
„Ist schon in Ordnung, Alex.“ Faiths saß neben mir und hielt meine Hand. Dankbar, dass ich nichts erklären musste, lächelte ich sie an.
„Für morgen werden wir die anderen Lagerhäuser inspizieren, die hier lebenden Brüder und Schwestern mobilisieren und außerdem versuchen herauszufinden, wer hinter dieser Aktion mit dem Gepansche steckt. Ich glaube kaum, dass es nur Soldaten sind, die etwas Geld nebenher machen wollen.“ Haytham hatte also schon einen Plan.
„Dann werde ich mit Faith ebenfalls die Whiskey und Ale Lager durchforsten. Es muss ja irgendeine Spur geben.“ warf ich ein.
„Vergiss nicht den Wein für Madeleine! Sie wird außer sich sein, sollten schon wieder Lieferungen so verwässert bei ihr eintreffen.“ gab meine Schwester im Geiste zu bedenken.
„Wir werden den Inhalt der Fässer auf Nummer sicher testen.“ grinste ich und freute mich auf eine kleine, hoffentlich gute, Weinverkostung.
„Ich weiß, wer dann spätestens übermorgen einen Kater haben wird.“ kopfschüttelnd sah mein Mann mich an.
„Das ist es mir wert.“
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen brachen wir auf, gingen aber getrennte Wege.
Haytham, zwei unserer Wachen, July, Connor, Edward und Mr al Din Issa wollten sich mit Master Johnson treffen und Faith, Imhotep, zwei meiner Wachen und meine Wenigkeit machten sich Richtung eines der Lagerhäuser auf.
Wir waren über eine halbe Stunde unterwegs, als mich meine Schwester plötzlich am Arm packte und mich so zum Halten brachte.
„Hier stimmt was nicht.“ flüsterte sie und ich gab den Wachen entsprechende Signale.
Mein Adlerblick zeigte einige rote Auren an, einige von ihnen hielten Goldleuchtende Gegenstände in den Händen!
Wieder trennten wir uns, damit wir mehrere von ihnen ausschalten konnten.
4 Personen vor mir marschierten völlig unbekümmert durch die Menge auf dem Markt. Wie gut, dass ich keine Montur trug, sondern meine neutrale Kleidung. Ich könnte auch als Händlerin durchgehen.
Plötzlich verschwanden sie um eine Hausecke! Schnellen Schrittes eilte ich ihnen hinterher und konnte mich gerade noch so an die Wand des Gebäudes drücken, bevor sie mich sahen.
Die Herren, wie ich jetzt feststellte, waren an einer Kellertür stehengeblieben und versuchten das Schloss zu öffnen. Von Haytham und aus Geschichtsbüchern wusste ich, dass unter Boston ein Netz aus Tunneln existierte. Freimaurer hatten sie gebaut und als Fluchtwege genutzt in brenzligen Situationen.
„Wir werden ihnen dort hinein folgen, Gentlemen.“ flüsterte ich meinen Wachen zu und beobachtete die Diebe, wie sie einer nach dem anderen hinabstiegen.
Als sich die Luke geschlossen hatte, schlichen wir näher heran und ich lauschte nach verdächtigen Geräusche. Nicht, dass noch einer zurück kommt, weil er etwas vergessen hatte.
Licht! Wir hatten keine Laternen dabei, verdammt. Und ich bezweifelte, dass dort wie in einigen Video-Spielen alle Lampen wie magisch Jahrelang brannten!
„Wartet, dort an der Hauswand hängt eine.“ einer meiner Männer griff danach und wir entzündeten sie. Gut ausgerüstet waren meine Begleiter auf jeden Fall, stellte ich zufrieden fest.
„Dann wollen wir mal.“ grinste ich und machte mich daran, das Schloss zu öffnen. Es war kein Hexenwerk! Der Mechanismus war simpel und mit einer Haarnadeln, wie Klischee mäßig, schnell überwunden.
Vor uns erstreckte sich eine schmale Holztreppe, die ins Dunkel führte.
Wir sahen uns noch einmal um, nur um sicherzugehen, dass uns niemand folgte!
Langsam stiegen wir die Stufen hinab, immer darauf bedacht möglichst keine Geräusche zu machen.
Zum ersten Mal sah ich jetzt diese gemauerten Gänge und mich überkam eine Gänsehaut. Die Kanalisation Londons! Dieser Gedanke kroch eiskalt in mir hoch und ließ mich zittern.
Tief durchatmend schüttelte ich mich um mich auf unser Vorhaben hier zu konzentrieren. Ich durfte mich nicht so leicht ablenken lassen!
Der Gang vor uns wurde von einer Öllampe an der rechten Wand erleuchtet.
Diese Geräusche von rieselndem Sand, knackenden Steinen und leises Tropfen machten es zu einem unheimlichen Ort. Ich hatte wohl doch zu viele Horrorfilme gesehen!
Wir folgten den brennenden Lichtquellen.
„Wir hätten gar keine eigene Laterne gebraucht.“ maulte eine der Wachen.
„Wären wir aber ohne nach unten gestiegen, wäre es zu gefährlich geworden. So können wir zur Not selber den Weg erleuchten.“ erwiderte der andere Herr hinter mir.
Ich mahnte sie mit einem Fingerzeit leise zu sein.
Vor uns hörte ich knirschende Schritte auf dem Sand welche von den Wänden hallten.
Uns könnte man also auch so orten. Verdammt.
Plötzlich hörte ich dieses typische Gequieke von Ratten und spürte, wie eine über meinen Fuß huschte! Erschrocken hielt ich mir die Hand vor den Mund, ehe ich laut werden konnte. Bei Odin! Ich hasste diese Viecher wie die Pest!
Nach einer Weile kamen wir an einer Gabelung an. Weder links noch rechts leuchtete etwas und auch mein Blick brachte keine Erkenntnis.
Aufteilen wäre hier unten aber die dümmste Entscheidung, weil sich hier ein wahres Labyrinth erstreckte!
Ich entschied mich für den rechten Gang und entzündete eine der kleinen Öllampen an der Wand. Weiter geradeaus sah ich wie sich der Weg erneut teilte. Mit einem Male hörte ich ein Knistern wie von einer Lunte und sah auf dem Boden eine schwarze Spur, welche zu einem Gullydeckel führte. Zumindest sah er so aus.
Beim Näherkommen sah ich, dass es das Zeichen der Freimaurer war, welches sich entzündete und uns den Weg wies.
„Faszinierend!“ staunte einer meiner Männer.
„Das ist es in der Tat!“ in meiner Stimme war deutlich die Erleichterung heraus zuhören, dass wir uns so nicht verlaufen konnten. Jeder Abschnitt hatte, laut Aufzeichnungen, mehrere Räume, in denen hin und wieder Lebensmittel, Getränke, Waffen oder auch Stoffe gelagert wurden.
Natürlich! Hier unten war es nochmal sicherer als mitten in der Stadt!
Es ging weiter und wir hörten bald mehrere Stimmen, die sich leise über ihre Beute freuten.
„Wir können nur hoffen, dass die feinen Herren nicht auf die Idee kommen, die Ware vor dem Verladen zu testen.“ lachte einer.
„Die würden sich nicht die Hände schmutzig machen. Hier unten kann uns gar nichts passieren. Niemand kennt mehr diese Tunnel!“ feixte der nächste.
„Doch! Wir kennen sie!“ sprach ich laut und bog um die Ecke mit gezücktem Schwert. „Und ihr werdet mir auf der Stelle sagen, wie lange ihr schon unseren Alkohol panscht und wer euer Anführer ist!“ langsam schritt ich auf die erstaunt drein schauenden Diebe zu.
Nach einander stellten sie ihre Beute an der Tür des kleinen hinter ihnen liegenden Raumes ab.
„Passt besser auf, was ihr redet, Weib! Ihr wisst nicht, mit wem ihr es zu tun habt.“ kam es überheblich grinsend von einem Mann.
„Nein, wissen wir nicht. Deswegen frage ich ja extra nach!“ meine lose Zunge würde mir irgendwann noch einmal zum Verhängnis werden, ging es mir durch den Kopf.
„Wir brauchen keinen Boss der uns herumkommandiert! Wir sind unsere eigenen Herren!“ rief ein weiterer Herr.
„Dann frage ich noch einmal anders, wenn es recht ist. Wer sind eure Abnehmer für eure Waren? Wie bringt ihr den Alkohol unter die Leute?“ langsam ging ich auf die Männer zu.
„Geht dich nichts an!“ pöbelte man mich an und mir riss der Geduldsfaden.
Kurzerhand griff ich an!
Antworten würde ich nur bekommen, wenn einer mein Schwert am Hals hatte. So hoffte ich zumindest. Wie Assassinen oder gut geschulte Templer sahen sie nicht aus. Die Kleidung war auch eher schäbig und zeugte von geringem Einkommen.
Schnell merkte ich aber, dass das Schwert in dem schmalen Gang keine gute Waffe war und begann mich deshalb auf Thyra zu konzentrieren.
Die Gewichte an meinen Hüften ließen mich lächeln und ich sah in ängstliche Augen vor mir.
„Das ist kein dummes Geschwätz gewesen! Sie ist es wirklich!“ rief einer der Diebe und wollte sich schon vom Acker machen. Aber meine Axt war schneller als er und traf ihn von hinten an der linken Schulter.
Meine Wachen übernahmen die anderen Herrschaften um sie von mir fernzuhalten, während ich den am Boden liegenden Mann verhörte.
Ich zog die Axt heraus, drehte seinen Körper um und stellte mich über ihn.
Meine Äxte behielt ich in den Händen, man weiß ja nie.
Ein Zucken seinerseits und ich stellte meinen Fuß auf die verletzte Schulter.
Schwer atmend lag er unter mir, starrte mich immer noch fassungslos an.
„Ich bin es, ganz genau! So und jetzt wirst du lieb und brav antworten, ehe ich dir die Eier abhacke und an die Ratten verfüttere!“ fauchte ich und kniete mich langsam zu ihm herunter.
Sein Mund schloss und öffnete sich hektisch, aber kein Ton war zu hören.
Ich nahm beide Äxte in eine Hand, holte mit der anderen aus und verpasste ihm eine Schelle!
„REDET!“ schrie ich.
„Es … ist wie mein … Kumpel es … gesagt hat. Wir haben keinen Boss! Wenn … also die Ware holen wir … wenn wieder einmal Neues … dazukommt. Und dann … da ist ein Mann, einer bei der Armee… dem sagen wir dann Bescheid. Meistens kauft er alles. Die Bezahlung ist gut…“ stotternd und zitternd sah er mich an.
„Wie wäre es mit einem Namen? Es gibt viele Männer in der Armee seiner Majestät!“ meine Hand lag jetzt an seinem Hals.
„Ein Rotrock? Nein, wie … also eigentlich weiß ich es nicht so genau. Er hat nie eine Uniform getragen…“ ich sah ihm an, dass er plötzlich ins Grübeln kam. Diese Männer waren so leichtsinnig, sich nicht richtig schlau zu machen, ehe sie ihre Beute vertickten.
„Ich brauche einen Namen, den Rest finde ich schon raus!“ ich drückte etwas fester zu.
„Schwört, dass ihr mich am Leben lasst!“ bettelte er mich an.
„Also schön, ihr könnt weiter eurem armseligen Leben nachgehen, wenn ihr mir endlich den Namen sagt!“ langsam wurde ich ungehalten!
„Thomas Hickey!“ erleichtert atmete er aus.
„Geht doch! War doch gar nicht so schwer, oder?“ grinste ich, schlug mit der Kante der Axt zu und ließ ihn ohnmächtig am Boden liegen.
Seine Freunde hatte leider an anderes Schicksal ereilt. Sie waren tot.
In mir jedoch brodelte es wieder einmal.
Schon wieder war dieser Idiot in meine Schusslinie geraten! Er wurde lästig!
„Mistress Kenway, was machen wir jetzt mit dem ganzen hier gelagerten Alkohol?“ fragte mich meine Wache.
„Wir sollten alles wieder zurück bringen, oder wir stellen Thomas eine Falle!“ das wäre in meinen Augen die bessere Variante. So konnte Haytham ihn auch gleich zur Rede stellen. Oh wie gerne würde ich ihn leiden sehen. Lange dauerte es ja nicht mehr, dann wäre Connor hinter ihm her.
Wir luden die kleinen Fässer auf einen Karren der hier unten im Raum stand und verfrachteten soviel wie möglich wieder nach oben und in unsere Lagerhäuser. Es war ausschließlich unser Alkohol, wie ich anhand der Beschriftung auf dem Holz sehen konnte. Ob wir jetzt Ruhe hatten, bezweifelte ich allerdings.
Ich beschloss mich mit Faith heute Nacht auf die Lauer zu legen. Sicher ist sicher!
Wir wollten gerade die letzte Fuhre wegschaffen, als meine Schwester im Gang auftauchte. Sie sah ebenfalls aus, als hätte sie einen Kampf hinter sich, ebenso sah Imhotep etwas abgehetzt aus.
„Oh, hier ist also auch nicht alles so friedlich abgelaufen wie ich sehe.“ grinste sie und warf einen Blick auf den Bewusstlosen vor sich der sich langsam wieder rührte.
Stöhnend öffnete er die Augen und als er auch noch Faith sah, bettelte er erneut um Gnade.
„Ich habe euch alles gesagt, Miss! Ich … ihr gabt mir euer Wort!“ kniend mit erhobenen gefalteten Hände flehte er uns an.
„Haut endlich ab und lasst euch gesagt sein, dass wir euch finden, sollte noch einmal etwas aus unserem Besitz verschwinden!“ mahnte ich ihn laut und hastig rappelte er sich hoch.
Ängstlich sah er sich bei seinem Abgang immer wieder um.
Erstaunlich, dass er so durchhielt. Er hatte eine Menge Blut durch den Axthieb verloren.
„Ob das so gut war ihn gehen zu lassen?“ Faith sah mich skeptisch an.
„Weiß ich nicht, aber er hat genug Angst, sich vorerst nicht mehr blicken zu lassen. Außerdem ist ihm bewusst, dass wir ihre Verstecke jetzt kennen. Dazu kommt, dass er kaum lange überleben wird mit dieser Verletzung in der Schulter! Übrigens, ratet mal wem diese Männer unseren Alkohol verkaufen.“ ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie breit grinsend an.
„Lass mich raten, Hickey? Er hat auch in New York und Philadelphia für Unruhe gesorgt. Das haben wir von den anderen Herren erfahren.“ meine Schwester grinste ebenso.
Gemeinsam schafften wir die letzte Fuhre nach oben und machten uns dann auf den Weg zurück zu unserer Unterkunft.
Ich hoffte, dass Haytham mit den anderen wieder zurück war. Ich wollte ihm unbedingt das neueste Fehlverhalten von Thomas kundtun.
Williams Laufbursche arbeitete nicht für eine Seite, sondern nur für sich. Ich verstand nur nicht, warum er bei den Briten UND der Kontinentalarmee spionierte. Das musste doch irgendwann auffliegen. Seine Leute beschützten ihn, keine Frage. Aber was machte ich mir um sein Seelenheil Sorgen, er konnte mir den Buckel runterrutschen.
Dort angekommen trafen wir alle wieder aufeinander.
Edward kam ganz aufgeregt auf mich zu gelaufen.
„Mama, ich weiß jetzt ganz viel über den Teehandel und die Gesellschaften die ihn liefern. Außerdem hat Master Johnson gesagt, dass wir ihn unbedingt einmal, wenn alles wieder gut ist, besuchen kommen sollen. Er will mir seine Pferde zeigen!“ in diesen blaugrauen Augen spiegelte sich pure Freude wieder.
„Das werden wir, Edward. Jetzt weißt du auch ein bisschen darüber Bescheid, was wir mit unseren Waren auf der Plantage machen. Das gehört auch zum Handelsgeschäft.“ lobte ich ihn. Aber der Gedanke, dass wir William vermutlich hiernach nie wieder sehen würden, ließ mich etwas leiser reden.
Mein Templer hatte ebenso einen betrübten Ausdruck im Gesicht, als er ein Lächeln versuchte.
Das Gespräch mit Master Johnson war von mäßigem Erfolg gekrönt. Noch immer war er davon überzeugt, alles fest im Griff zu haben.
Wir wussten zwar, dass ein Großteil des Tees aus seinem Handel wirklich in Sicherheit war. Dennoch war es ein Risiko sich nur darauf zu verlassen.
Man hatte also noch zusätzlichen Wachschutz eingeteilt um die stillen Lagerhäuser abseits des Hafens im Auge zu behalten. Dort schlichen mitunter des Nachts einige zwielichtige Personen herum, die nichts Gutes im Schilde führten. So die Aussage von Connor.
„Ich habe sie letzte Nacht gesehen und ich kann euch sagen, dass fast jeder Bürger hier zu ihnen zählen könnte. Sie alle hätten einen guten Grund sich an diversen Waren zu bereichern. Die Armut ist stellenweise grausam, die Kinder müssen betteln für einen Laib Brot! Greifen sie beim Markt einfach zu, werden sie so hart bestraft…“ er verstummte und sah zu Edward. „Du hast wirklich Glück, weißt du das?“
Mein Sohn sah erst mich an, dann wieder zu Connor. Er hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen gepaart mit einer leichten Wut auf seinen Halbbruder!
„Das weiß ich!“ er machte auf dem Absatz kehrt und ging in unser Zimmer. Mr al Din Issa eilte ihm hinterher, nachdem ich ihn mit einem Nicken aufgefordert hatte.
„Edward weiß sehr wohl, dass er privilegierter als andere Kinder ist. Was soll er aber deiner Meinung nach tun? Sich zu den bettelnden Kindern setzen? Wir können nur versuchen diese Armut etwas zu lindern. Wir brauchen Armenhäuser und keine Kasernen!“ ich redete mich in Rage.
„So war das nicht gemeint, das weißt du.“ jetzt war Connor beleidigt.
„Wir alle müssen versuchen die Welt etwas besser zu machen. Nicht jedem kann geholfen werden.“ July hatte sich zu Wort gemeldet.
„Dann sind wir uns ja alle im Grunde einig! Lasst uns also in den nächsten Tagen beginnen etwas gegen diese Missstände zu machen!“ das wäre ein guter Toast gewesen, wenn wir etwas zum Anstoßen gehabt hätten. So stimmten wir Haytham mit einem einstimmigen „Hört! Hört!“ zu.
Endlich kam ich dazu, meinem Mann von den neuesten Missetaten Hickeys zu berichten. Ich genoss es diesen Armleuchter bei seinem Großmeister anzuschwärzen. Es war eine mir wichtige Genugtuung, muss ich gestehen.
„Er fährt mehrgleisig.“ sagte ich und man bedachte mich mit fragenden Blicken. Gleise! Sie kannten doch alle die Gleise in Minen mit den Loren oder etwa nicht?
„Oh, dieses Sprichwort kannte ich so noch nicht. Im englischen wird es aber anders genannt.“ belehrte mich mein Templer in einem entsprechenden Lehrerton.
„Schön, dann hätten wir das geklärt. Also, was denkst du? Wie willst du ihn zur Rechenschaft ziehen? Er bestiehlt uns, wenn wir es genau nehmen.“ ich trank langsam meinen Weinkelch leer und sah meinen Mann erwartungsvoll an.
Auf seiner Stirn legte sich die Haut in Falten, ein Zeichen dass er grübelte.
„Ist er hier in Boston gerade?“ dabei sah er zu Connor, der mit den Schultern zuckte.
„Weiß ich nicht, ich weiß nur, dass Charles anscheinend hier eingetroffen ist.“ sagte er mit knirschenden Zähnen.
„Ich dachte er … Dieser Hu … Wichtigtuer ist doch schon in der Stadt?“ mir fiel es wahnsinnig schwer nicht laut zu fluchen!
„Das verstehe ich nicht, er schrieb mir, dass sein Schiff zu lange brauchen würde.“ misstrauisch kniff Haytham die Augen zusammen und starrte auf sein leeres Whiskey Glas. Mit einem wütenden Ausruf schlug er mit der freien Hand auf die Lehne seines Stuhls. „Ich werde…“ bevor er jedoch den Satz beenden konnte, klopfte es.
Ein Diener meldete keinen geringeren als Master Lee!
Connor und ich sahen uns genervt an und wollten schon den Raum verlassen. Aber er war schneller und stand breit grinsend vor uns.
Ohne mich oder die anderen Personen im Raum zu beachten, ging er direkt zu Haytham.
„Master Kenway, es freut mich, dass ich euch gesund hier antreffe. Meine Reise war erfreulicherweise kürzer als ich dachte. So kann ich euch hier sicher noch unter die Arme greifen.“ diese Stimme, dieser widerliche Schleimerton darin brachte mich zum Würgen.
Plötzlich hatte ich einen ganz bösen Gedanken und ging ohne ein Wort in unser Zimmer.
„Mama, geht es dir nicht gut.“ wollte Edward wissen, der immer noch mit seinem Kammerdiener hier saß.
„Nein, mir etwas übel weil Charles Lee hier ist.“ antwortete ich wahrheitsgemäß und öffnete meine Reisetruhe. Darin war eine kleine Schatulle, in der ich einige Gegenstände verwahrte, die ich nicht tagtäglich brauchte.
Unter anderem der kleine, aber böse Elfenbeinstab. Damit in der Hand ging ich zu den anderen zurück.
„Sir, ich werde dafür sorgen, dass in den nächsten Tagen alles seine Ordnung hat. Master Johnson wird mich sicherlich schon erwarten.“ schnarrte Charles und hatte nur Augen für seinen Meister.
Connor sah mich fragend an. Langsam öffnete ich meine Hand und zeigte mein kleines Spielzeug für Lee. Er wusste, was es damit auf sich hat. Damals auf der Plantage war er Zeuge der Wirkung davon geworden.
Böse grinsend sah er mich an.
„Ihr solltet bald aufbrechen, es wird früh dunkel, Charles. Ich gehe davon aus, dass ihr bereits eine Unterkunft gefunden habt?“ mein Mann blieb in seiner Großmeisterrolle und schob während er sprach, den Herren dezent aus dem Raum.
„Mir wurde hier ein Zimmer gegeben. So ist es einfacher, solltet ihr meine Dienste schnell benötigen.“ sein Blick wanderte zu mir.
Gerade als ich meine Hand heben wollte um ihm den Elfenbeinstab sehen zu lassen, zuckte Faith und hielt mich zurück.
„Später!“ flüsterte sie. Ihr Griff um meinem Unterarm war schmerzhaft und ich verzog das Gesicht. „Du bekommst noch die Chance. Sei geduldig, mein preußisches Weib.“ ihre Stimme hatte einen verschwörerischen Unterton angenommen.
„Schon gut!“ ich hingegen war frustriert. Ich wollte ihn leiden sehen! Jetzt!
„Mistress Kenway, ihr seht aus, als wäre euch mein Besuch nicht recht. Ich hoffe doch, ich störe euch nicht bei einer eurer wichtigen Missionen?“ Lee spielte mit meiner Geduld und wusste genau, dass nur Haytham und gerade Faith mich abhielten, ihn nicht gen Hel zu schicken.
„Ihr stört nicht, aber eure Hunde könnten ein Problem werden.“ Walka hatte nämlich ihren Platz an Edwards Seite nicht verlassen. Sie war mit ihm gereist.
„Das glaube ich nicht. Sie sind alle gut erzogen.“ dabei sah er abwertend lächelnd zu Faith, die sich jetzt auch kaum noch beherrschen konnte. Beide begannen wir zu kochen und das zeigte sich auf unserer Haut. Dieser Schimmer war seicht und kaum fürs bloße Auge wahrzunehmen. Aber er war da!
„Ihr solltet jetzt besser gehen, Charles. Sollte ich eure Dienste benötigen, werde ich euch Bescheid geben.“ mein Mann riss sich am Riemen um nicht ebenfalls ausfallend zu werden.
„Ich wünsche einen guten Abend, Gentlemen, Ladies!“ diese hellen Augen funkelte in die Runde, ehe er endlich aus meinem Blickfeld verschwand.
Ich winkte eine unserer Wachen zu mir.
„Stellt sicher, dass dieses widerliche Individuum nicht ungefragt aus seinem Zimmer kommt und hier herum scharwenzelt!“
„Sehr wohl, Mistress Kenway!“ er verbeugte sich und ging Lee hinterher.
„Mi sol! Faith! Beruhigt euch! Er ist unter Aufsicht, hier wird nichts passieren.“ mein Mann versuchte diplomatisch zu klingen, was aber nicht bei uns fruchtete.
„ER IST HIER UNTER UNSEREM DACH!“ rief ich, weil meine Geduld am Ende war. „Wenn er bleibt, dann gehe ICH!“ wütend ging ich in unser Zimmer und begann unsere Habseligkeiten zu packen.
„Was tust du? Wo willst du so kurzfristig noch einen Schlafplatz bekommen?“ er war hinterher gekommen und versuchte mich aufzuhalten, indem er immer wieder Sachen aus meiner Truhe nahm.
„Und wenn ich unter einer Brücke schlafen muss! Das ist mir lieber als ihn hier zu haben…“ vor lauter Verzweiflung und Wut liefen mir die Tränen über die Wangen. Ich packte etwas in die Truhe, er nahm es wieder heraus!
Es reichte! Ich schlug Haytham mit den Fäusten auf die Brust, weil ich es einfach nicht mehr unterdrücken konnte.
Mit eisernem Griff umklammerte er mich.
Seine Hand griff in meine Haare und drückte mich auf seine Brust.
Ein seichtes Leuchten ging von meinem Templer aus, sein Geruch stieg mir in die Nase und ich spürte seinen beruhigenden Herzschlag.
„Charles wird nicht noch einmal Hand an dich legen! Ich verspreche es.“ vorsichtig schob er mich etwas von sich um mir in die Augen zu sehen.
„Dein Wort in Odins Ohr. Sollte …“ sein Finger legte sich auf meine Lippen.
„Wird er nicht. Nicht wahr Edward?“ Haythams Blick schwenkte nach links, wo unser Sohn mit offenem Mund stand.
Bei Odin ich hatte die Kinder gar nicht beachtet.
„Nein, Vater. Du hast mir ja erklärt, dass er nicht der Mann ist, der er vorgibt zu sein.“ staunend sah ich meinen Sohn an. Er klang souverän und erwachsen in diesem Moment.
„Ich … sollte mich etwas frisch machen.“ hauchte ich tonlos und ließ mich auf dem Hocker vor der Kommode nieder, griff die Bürste und begann völlig geistesabwesend meine Haare zu bürsten.
„Komm mein Sohn, deine Mutter braucht etwas Ruhe.“ gemeinsam mit Florence und Sophia verließen sie unser Zimmer.
Sybill trat hinter mich und sah mich im Spiegel an.
Ihre Hände legten sich auf meine Schulter.
Plötzlich leuchtete ihre Silhouette und ich hörte die Stimme Snotras leise sprechen.
Es ist an der Zeit, dir die Möglichkeit zu geben, Rache zu üben. Aber mit Hilfe der Todesgöttin Hel wird es subtiler und niemand würde dich verdächtigen. Nimm diesen goldenen Ring, verwahre ihn gut. Trage ihn, wenn es von Nöten ist und beginne mit der Tortur. Du wirst niemanden damit töten, nur schwächen oder zur Vernunft bringen können. Deiner Phantasie im Bezug der Strafen ist keine Grenze gesetzt. Übertreibe es nur nicht.
Sybill hatte immer noch ihre Hände auf meiner Schulter, aber vor mir lag dieser schimmernde goldene Ring.
„Probier ihn aus.“ flüsterte sie mir grinsend zu.
DAS ließ ich mir nicht zweimal sagen und stellte mir Charles vor. Es dauerte etwas bis ich ihn vor meinem geistigen Auge sah.
Er saß an seinem Schreibtisch und war in ein Buch vertieft. Wahrscheinlich ein Lehrbuch mit dem Titel „Wie schleime ich mich am besten bei meinem Großmeister ein!“.
Eine wohlige Wärme ging von dem Schmuckstück aus und ich stellte mir vor, wie er plötzlich böse Krämpfe in den Waden bekam. Ein kleiner Anfang, wohl gemerkt!
„Ahhh, verdammt. Aaaaahrgh….“ stöhnend versuchte er aufzustehen, doch das verhinderte ich indem ich ihn das Gleichgewicht verlieren ließ.
Krachend ging er zu Boden und hielt sich die Waden.
„Das muss ich Faith zeigen!“ sagte ich lachend, aber Mrs Wallace hielt mich auf.
„Nein, es ist dein privates Spielzeug!“ ihre Mahnung ließ mich aufhorchen. „Ein Geschenk für die Tochter Odins!“ zum ersten Mal verbeugte sie sich vor mir bei diesen Worten.
Perplex sah ich von dem Ring an meinem Finger zu ihr.
Meine Herkunft hatte ich nicht vergessen, aber ich verdrängte sie immer wieder. Wer konnte es mir verübeln?
Ein Ohrenbetäubendes Gebrüll ertönte aus Helenas Körbchen und ich schrak aus meinen Gedanken.
„Oh, min lille solstråle! Keine Angst, alles ist gut.“ als ich meine Tochter hochnahm, sah ich in ihren Augen ein merkwürdiges Zeichen aufglimmen.
Sybill neben mir lächelte mich an, strich Helena über das Köpfchen und seufzte tief.
„Dieser kleine Mensch hat eine ganz andere Reise vor sich. Beschützt von uns allen, wird Helena ihr Leben nach den verschiedensten Religionen auslegen. Sie wird keinen Paten an ihrer Seite haben wie Edward oder Florence. Erinnerst du dich an die Schutzengel, von denen du damals gelesen hast?“ ich war immer noch sprachlos und starrte meine Tochter vermutlich wie ein Idiot an.
„Die Cherubs. Sie begleiten die Menschen, unsichtbar. Sie geben Ratschläge, wenn ich es noch recht in Erinnerung habe.“ ich versuchte mein Wissen auszugraben, damit ich diese Verwirrtheit endlich los wurde.
„Genauso ist es. Eine Taufe wird sie bekommen und ich denke dass Mr al Din Issa ihr ebenfalls einiges mit auf den Weg geben wird.“ ihre Augen leuchteten bei diesen Worten und beruhigten mich und mein aufgewühltes Gemüt.
„Ich bin völlig überwältigt.“ gab ich ehrlich zu, während ich dieses kleine Mädchen auf meinen Armen betrachtete. „Dieses Zeichen! Was bedeutet es?“ fragte ich nach, weil ich es nicht zuordnen konnte.
„Es sind Federn oder besser gesagt Flügel. Es sind keine Engel wie wir sie uns vorstellen, es sind göttliche Wesen aller Religionen.“
Wenn wir wieder daheim sind, sollte ich mir noch einmal dieses Buch aus Haythams Sammelsurium zu Gemüte führen.
Entspannter ging ich, nachdem unsere Tochter satt und frisch gewickelt war, wieder zu den anderen.
„Geht es dir besser, mi sol.“ fragte mein Templer leise mit Besorgnis im Blick.
„Ja, es ist wieder in Ordnung. Aber du wirst nie erraten, was unsere Jüngste …“ ein Zupfen an meinem Hosenbein ließ mich zur Seite sehen.
„Ich habe sie gesehen! Diese kleinen Feen! Sie sind immer um Leni drum herum.“ ereiferte sich Florence mit einem Mal und erntete fragende Blicke von allen Anwesenden.
„Das stimmt und sie summen so friedlich, so als würden sie ein Lied anstimmen wollen.“ auch Edward war es also aufgefallen.
Fragend sahen mich aber Connor, Faith, July und der Isu an.
„Die Cherubs! Sie begleiten die Menschen, beschützen sie im weitesten Sinne und … sie haben unter anderem auch im arabischen Raum ihren Ursprung.“ dabei wanderte mein Blick zu Edwards Kammerdiener, welcher mich wissend lächelnd ansah.
Erstaunlicherweise war der restliche Abend friedlich ohne irgendwelche nervigen Störenfriede und wir konnten etwas abschalten.
Die nächsten Tage würden noch genügend für Spannung sorgen.
Wie besprochen suchten wir am Morgen des folgenden, sehr kalten und grauen Tages weitere Lagerhäuser auf. Mittlerweile war auch Shay mit dabei. Ihn hatte ich ebenfalls eine Ewigkeit nicht zu Gesicht bekommen. Er war am gestrigen Abend mit seiner neuen Morrigan eingetroffen um sich ebenfalls ein Bild von allem machen zu können.
Für einen kurzen Moment dachte ich an Gist, welcher keine neuen Abenteuer mehr bestreiten konnte. Vor ein paar Jahren war er leider ums Leben gekommen und mit der alten Morrigan bei einem Rettungsversuch untergegangen. Irgendwie scheint Boston eine etwas rührselige Stimmung in mir hervorzurufen. Doch ich sollte weiter berichten.
Wir beschlossen dieses Mal gemeinsam loszugehen.
Unser Ziel waren heute ausschließlich Whiskey und Ale, welche von Shay produziert wurden. Oder besser aus seiner irischen Brennerei stammten. Dazu kam, dass der Ire und Haytham vor ein paar Jahren gemeinsam eine Destillerie erworben hatten. Auch diese Waren wurden hier gelagert zur Zeit.
Gekostet hatte ich, muss ich zu meiner Schande gestehen, nicht ein einziges Glas.
„Dann wird es höchste Zeit.“ in Faith Augen lag ein Leuchten der Vorfreude auf die Verkostung.
„Übertreibt es nur nicht.“ mahnte mich mein Gatte prompt.
„Heiße ich Haytham?“ erwiderte ich breit grinsend. „Nein, ich reiße mich am Riemen. Versprochen.“
Die Tore des Gebäudes waren unberührt, genau wie die Schlösser, ebenso waren unsere Wachen dort postiert. Wir konnten also für den Moment aufatmen.
„Irgendwelche besonderen Vorkommnisse in den letzten Tagen?“ fragte Shay nach und erhielt als Antwort, dass alles in Ordnung sei und nichts passiert ist.
Im Inneren herrschte ein Halbdunkel und ich brauchte etwas, bis sich meine Augen daran gewöhnt hatte.
Haytham und Shay hatten da weniger Probleme, Odin sei Dank.
Die kleinen Lichtquellen in Form von Feuerschalen wurden entzündet und zeigten ein ordentlich sortiertes Sortiment. Alles war fein säuberlich gestapelt und etikettiert. In jedem Fach der Regale hingen Klemmbretter mit den genauen Mengenangaben und Daten, von wann der Whiskey war, Tag der Verladung und so weiter.
Hier war wirklich alles tip top.
„Es ist trotzdem seltsam, dass man diesen Alkohol noch nicht unter die Lupe genommen hat.“ grübelte Faith laut vor sich hin.
Fast zeitgleich aktivierten wir unsere Blicke!
Und da sahen wir, dass doch nicht alles so korrekt war wie angenommen.
Die vorderen Reihen der Fässer war unberührt. Man hatte wie eine Art Stichprobe hier und da einige geöffnet die weiter hinten oder oben standen.
Shay fischte ein verdächtig aussehendes heraus und wir begutachteten die Siegel.
Beschädigt!
Und das auch noch sehr offensichtlich! Der oder die Panscher hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht ihre Tat ordentlich zu vertuschen.
Beim Öffnen stieg uns ein beißender Geruch in die Nasen.
Es roch, wenn ich es nicht besser wüsste, nach Beize oder Terpentin!
Mit einer kleinen Kelle schöpfte er etwas in einen Glaskrug, der hier für Proben stand.
Im Schein der Feuer sah man, dass die Flüssigkeit nicht diese typische Whiskey Farbe aufwies. Sogar ich als Laie konnte das erkennen!
Ich sah in die Runde und niemand traute sich wirklich den Finger hinein zu tauchen um zu kosten. Ehrlich gesagt hatte sogar ich Angst, dass mir der Finger weggeätzt wird.
Haytham und Shay tunkten todesmutig ihre Finger hinein und als dieses eklige Zeug ihre Zungen nur berührte würgten beide.
„Jesus, WAS IST DAS?“ rief mein Templer.
Er öffnete eines der unbeschädigten Fässer, nahm eine neue Kelle des unversehrten Inhaltes und trank gierig. Shay tat es ihm gleich, wer konnte es den beiden verübeln.
„Das ist Gift!“ kam es mir in den Sinn. Diese vermeintlichen Panscher hatten allem Anschein nach einen perfiden Plan geschmiedet.
Diese Lieferungen würden ausgeliefert werden, ohne große Kontrollen. Die Schenken verkaufen nicht nur das gute Zeug, sondern auch den vergifteten Alkohol. So konnte man Shay und auch meinen Mann verunglimpfen, ohne dass sie überhaupt etwas dazu beigetragen hatten, geschweige denn gewusst hatten.
Aber wer sollte dahinterstecken? Feinde hatten wir alle und das nicht zu knapp.
Connor meldete sich hinter mir zu Wort.
„Diese Fässer waren für die Garnison bestimmt. Schaut …“ er deutete auf das Regal, wo ein Schild mit dem Namen des Forts angebracht war.
„Sie wollten die Soldaten unschädlich machen?“ diesen Gedanken hatten wir vermutlich gerade alle gleichzeitig.
Shay ging hinaus um den Wachen unseren Fund mitzuteilen und ihnen gleichzeitig zu sagen, dass es bis auf weiteres keine Auslieferungen mehr geben wird. Ein Herr eilte davon um in der Garnison Bescheid zu geben, während der andere weiter angehalten war, dort zu bleiben.
„Dann lasst uns hier auf die Lauer legen heute Nacht und in dem anderen Lager sollten wir auch noch nach dem Rechten sehen.“ schlug ich vor, weil ich befürchtete, dass es noch mehr solchen verunreinigten Alkohol geben könnte. Dazu kamen ja auch noch diese Drogenfässchen! Tief in meinem Inneren wusste ich das eigentlich schon. Diese Banditen machten keine halben Sachen.
Waren es aber immer noch die gleichen, die auch von Hickey profitierten, oder war hier noch jemand anderes mit von der Partie?
Edward war heute das erste Mal mit uns gekommen und sah sich hier ebenfalls um.
Plötzlich sah er sich suchend um und ging in eine Ecke in der Nähe des Haupttores.
Ich folgte ihm, weil mir sein Verhalten etwas merkwürdig vorkam.
„Hast du was entdeckt?“ fragte ich leise und kniete mich neben ihn.
Seine Finger wischten über den lehmigen Boden während er stirnrunzelnd darauf starrte.
„Hier sind Leute hinabgestiegen.“ kam es erstaunt von meinem Sohn und er sah uns an. „Da ist eine Treppe, Vater schau.“ er zog Haytham zu sich, der jetzt versuchte das gleiche zu sehen und dann anerkennend nickte.
„Eine Falltür! Helft mir mal.“ rief er und gemeinsam mit Shay, Edward und Connor hatten sie den losen Bodenbelag mit den Füßen beiseite geschoben und zum Vorschein kam eine Holzplatte mit einem Ring zum Öffnen.
Ein Schloss war nicht auszumachen.
Langsam hob er die Tür an und spähte hinein.
Es war stockdunkel dort unten, wie erwartet.
Nachdem wir ein paar Fackeln entzündet hatten, folgten wir dem Weg hinunter und den Gang entlang, welcher sich vor uns auftat.
Er führte vom Hafengebiet weg Richtung einer Kirche. Ich sah ein kleines verblasstes Schild im Gang mit einem Pfeil und Namen darauf. Old North Church!
Wie schon die anderen Tunnel, waren auch diese ein Relikt der Freimaurer.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hörten wir über uns Glocken läuten.
„Wir sind da!“ frohlockte Connor und machte sich an dem Schloss der Tür, die nach draußen führte, zu schaffen. Wie ich sah, war es ein Kinderspiel für ihn.
Der Aufgang bestand aus einer schmalen Holztreppe, die vor einer weiteren verschlossenen Tür endete.
Für einen Moment lauschten wir, aktivierten die Blicke und sahen über uns ein paar rote Auren umherlaufen.
Diese Kirche war besetzt worden?
„Das kann nicht sein, hier finden Gottesdienste nach wie vor statt. Heute ist Donnerstag, wenn ich richtig liege. Da ist sonst niemand hier, auch nicht der Pfarrer.“ erklärte Connor und öffnete leise die Tür.
Das Gelenkschloss war schnell geknackt und wir konnten uns ins Innere des Gebäudes schleichen.
Hier herrschte reges Treiben zwischen den Sitzbänken welche zur Seite gerückt worden waren, der Kanzel, des Altars und des Orgelaufgangs.
Es waren aber keine britischen Soldaten, sondern Männer der Kontinentalarmee, die hier kleinere Fässer hin und her trugen und rollten, mit Trichtern kleine Mengen einer undefinierbaren Flüssigkeit in große Fässer oder auch einzelne Flaschen füllten.
Es roch nach Wein und Whiskey in erster Linie, darunter mischte sich eine kaum wahrnehmbare Nuance von Ale. Ich erinnerte mich daran, dass es so ähnlich bei meinen Eltern des öfteren gerochen hatte, wenn der Wind aus der Stadt und der Brauerei kam. Maische? Ich muss gestehen, ich weiß es nicht ganz genau. Es hatte etwas Weizen ähnliches an sich.
Im Schatten des Orgelaufgangs hatte man uns noch nicht entdeckt und ich zog Edward hinter mich.
Für einen Moment hörten wir den Männern und auch Frauen, das sah ich erst jetzt, zu, wie sie sich über Bezahlungen, Unterkünfte und die allgemeine bescheidene Situation in Amerika unterhielten.
Washington kam dabei nicht wirklich gut weg, was Haytham bestätigend in Richtung seines großen Sohnes nicken ließ. Connor war nämlich immer noch Pro Washington eingestellt. Hatte mein Mann ihm eigentlich die Wahrheit über den Brand damals erzählt?
Eine seichte Unstimmigkeit herrschte nach wie vor zwischen den beiden. Irgendwie musste man das ganze entschärfen.
Wenn wir hier fertig sind, sollte ich mit den beiden einmal reden, ging es mir durch den Kopf.
„Was …“ fluchte ein Herr in unserer Nähe und zog sein Schwert!
Im Grunde begann ein Kampf oder eher Handgemenge, bei welchem beide Seiten gar nicht wirklich wussten, warum eigentlich.
„STOPP!“ brüllte Connor in den Raum als er sich auf die Kanzel gerettet hatte. „Wir sind nicht eure Feinde! Wir sind einer Spur gefolgt.“ langsam stieg er wieder herunter.
„Dreckiges kannibalisches Indianerpack, pffffffff…“ pöbelte eine Frau neben mir.
„Ihr glaubt auch alles, was man euch erzählt oder? Wie dumm muss man eigentlich sein?“ giftete ich zurück, weil ich solche Aussagen einfach nicht tolerieren konnte.
„Ahhhh, euer Spross also. Hat euch…“ bevor sie jedoch noch weiter reden konnte, fuhr ihr Haytham über den Mund.
„Er ist mein Sohn, Weib und jetzt schweig!“ sein Ton duldete keine Widerworte und sie zog sich mit einem ängstlichen Ausdruck im Gesicht zurück.
Plötzlich herrschte eine mehr als unangenehme Stille hier in der Kirche. Jeder schien auf eine Reaktion des anderen zu warten.
Ich trat mit Faith vor, einer musste ja den Anfang machen, oder?
„Ihr verseucht gerade unsere ganzen Waren, unsere Einnahmequellen! Aber wir brauchen dieses Geld um endlich für Gerechtigkeit sorgen zu können. Ihr wollt die britischen Soldaten ausschalten? Nun gut, das kann ich verstehen. Aber nutzt nicht die Namen von renommierten Händlern. Es …“
„Was willst du, Frau? Stehst hier mit deinem Schwert und plapperst wirr! Geh wieder heim!“ rief ein Herr aus der Menge und lautes Gelächter ertönte.
„Noch einmal so eine Unverschämtheit und ich lasse euch vors Kriegsgericht stellen!“ fauchte Haytham neben mir und auch Shay war vorgetreten. „Ich hätte genügend belastende Beweise für eine längere Inhaftierung!“ rief er jetzt.
„Wir wollen doch eigentlich alle das gleiche, oder nicht?“ begann Shay und sah dabei auffordernd in die Runde. „Wir können alle voneinander profitieren. Die Briten, nun, wir können sie wohl kaum von heute auf morgen von hier vertreiben. Aber das ist doch nicht der Punkt!“
„Diese Hurensöhne sollen sich endlich verziehen!“ riefen einige der Männer.
„Habt Geduld!“ mahnte Haytham jetzt. „Wir brauchen diese Waren um Waffen beschaffen zu können, Gentlemen. Nicht ohne Grund seht ihr fast ausschließlich die gleichen Siegel auf all den Fässern, den Weinflaschen und den Kisten mit Kaffee oder Tee. Dieses Geld kommt der Kontinental Armee zugute.“
Entgeistert sah ich meinen Mann an.
DAS war nicht das, was ich im Sinn hatte, als ich den Handel mit übernommen hatte. Oder war es nur so daher gesagt um die Leute hier zu besänftigen?
Bevor mein Gesicht aber schneller als meine Worte sein konnte, verschloss ich mich und zog mich etwas zurück.
„Mutter, ist alles in Ordnung?“ fragte Edward neben mir leise nach.
„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.“ erwiderte ich und sah in die Menge der Umstehenden.
Mir schwante, dass Haytham mit Connor bereits Pläne geschmiedet hatte, ohne mich einzuweihen, weil sie davon ausgingen ich würde es nicht bemerken oder, im besten Falle, nicht dafür interessieren! Etwas irritierte mich daran, die Art wie er explizit auf die Siegel hinwies war eigenartig.
Außerdem konnte er doch nicht einfach Faith und Shay so übergehen, sie gehörten zu unserem Handel dazu. Ich arbeitete monatlich alles penibel aus, damit auch nichts verloren ging. Ein egoistischer Run war genau jetzt nicht der richtige Weg!
In Faiths und Shays Augen sah ich, dass auch sie im Unklaren gelassen worden sind.
Nur Connor stand mit seinem Vater plötzlich vereint dort und erklärte den Herrschaften, was nun passieren sollte.
Während die Diskussion weiterging, sah ich mich unauffällig um. Unsere Wappen hatten einen lateinischen Spruch darauf neben dem Bruderschafts- und Ordenszeichen verbunden mit einer Kette. Damit wir aber noch weiter unsere unterschiedlichen Waren, ihren Versand und ähnliches auseinanderhalten konnten, gab es für meinen Mann ein schlichtes Freimaurer-Emblem und für Familie Williams war dort das Allsehende-Auge als Zusatz eingearbeitet.
Ob hier diese Kisten ebenfalls bearbeitet wurden, konnte ich nicht auf Anhieb sagen. Unsere waren auf jeden Fall betroffen.
„Wer ist euer tatsächlicher Auftraggeber?“ hakte mein Templer nach und sah sich um.
„Ein Beschluss des Kontinentalkongresses und … die Söhne der Freiheit haben ihre Finger mit im Spiel.“ dieser Satz kam von einer Dame in vorderster Reihe, welche unser Bruderschaftssymbol offen auf ihrem Umhang als Brosche hatte.
„Wann soll dieser Beschluss durchgegangen sein?“ bohrte Haytham weiter. Ich wusste, man unterrichtete ihn umgehend von den Geschehnissen dort.
„Vor fünf Wochen ungefähr.“ der Herr sah bei seiner Antwort zu Boden, als ihm klar wurde, dass er etwas falsch gemacht haben könnte. Langsam glitt sein Blick zu Haytham, dann zu den Kisten und er bekam große Augen! Hektisch holte er ein Schriftstück aus seinem Gehrock und faltete es auseinander!
Mein Templer ging auf ihn zu und entriss ihm das Papier wütend.
Das er nicht auf der Stelle explodierte war seiner guten Erziehung und der Fähigkeit seine Emotionen unterdrücken zu können geschuldet.
„Es ist unfassbar! Hier steht ganz klar, WELCHE Lagerhäuser durchsucht werden sollten! Und hier steht kein Wort von Panscherei!“ diese Wut in seiner Stimme ließ sie zittern. „Sagt mir jetzt auf der Stelle, wem ihr den abgezapften sauberen Alkohol übergebt.“ er wusste es doch schon. Hickey stand da an erster Stelle.
„Thomas Hickey, Sir. Er gab den Auftrag ein wenig für Unruhe zu sorgen unter den britischen Soldaten. Mehr weiß ich auch nicht.“ immer noch verängstigt stand der Mann vor Haytham.
„Ich werde mich mit Adams zusammensetzen und das Ganze noch einmal besprechen! Währenddessen werdet ihr hier nichts mehr anrühren, ehe wir nicht den Befehl dazu geben! Menschen vergiften ist keine Lösung! Wir sollten die Rotröcke dort bekämpfen, wo wir am meisten Erfahrung haben. Im KAMPF!“ Connors rechte Hand schoss in die Höhe und die Leute sahen ihn für den Bruchteil einer Sekunde sprachlos an, ehe sie begriffen, dass nur dieser Zusammenhalt etwas bewirken konnte.
Das Gift an sich übergab ich an Faith, welche sich da besser mit auskannte. Shay übernahm wieder seine eigenen Brauerei und Brennerei Produkte, nachdem wir tatsächlich einige ihrer Transportbehälter gefunden hatten.
Ich selber versuchte noch Madeleines Wein und meinen Kaffee zu retten.
Über den Berg waren wir noch lange nicht, ging es mir durch den Kopf als ein Herr an uns herantrat.
„Die Schiffe im Hafen sind voll mit Teelieferungen, die uns völlig überteuert in Kleinstmengen übergeben werden. Wir wollen dem ein Ende setzen. Helft uns und der Freiheit für Amerika!“ ein weiterer Herr war vorgetreten und unterbreitete diese Bitte.
Der Anfang würde gemacht werden, den Rest sähen wir in den nächsten Jahren. Tief durchatmend willigte ich ein zu helfen. Und wenn ich selber die Kisten ins Wasser befördern würde. Diese Missstände waren untragbar.
Auch Connor ergriff das Wort und gab sein Versprechen, zu helfen.
Haythams Ausdruck im Gesicht sagte mehr als tausend Worte. Sah er aber nicht, dass die Bevölkerung sich sonst allen anderen Waren bemächtigen würde. Der Verlust eines Bruchteils unseres Handels war zu verschmerzen. Aber doch nicht diese großen Mengen an Whiskey, Ale, Kaffee oder auch Weizen und Tabak!
Erst jetzt wurde es mir wirklich bewusst, was die Menschen hier eigentlich bezwecken wollten. Sie wollten ein Zeichen setzen. Sich gegen Steuern erheben und nicht mehr schweigen!
„Aber um auf Nummer sicher zu gehen sollten wir vielleicht das ein oder andere Fass für die Garnison und die stationierten britischen Soldaten mit einem Sedativum versetzen. Wir brauchen freie Bahn für das Vorhaben.“ erklärte ich den Umstehenden Damen und Herren.
„Oh, da habe ich genau das richtige!“ grinste eine Frau mittleren Alters und eilte zu einem kleinen Tisch neben dem Altar. Sie kam mit einer bauchigen Flasche wieder. „Laudanum, Mistress! Damit kann man vermutlich eine Horde Rinder schlafen legen.“ ihr Lachen war ansteckend und sie übergab mir das Elixier.
„Danach wird alles wieder seinen normalen Gang gehen. Wir brauchen dieses Geld für die neu einberufene Kontinental Armee.“ mahnten Shay und Haytham synchron.
Trotzdem waren die Waren noch nicht sicher. Das Wort musste erst einmal die Runde machen.
„Da habe ich genau den richtigen Ansprechpartner!“ Connor erklärte, dass er bereits Drucker und Marktschreier für seine Zwecke einsetzen konnte. Master Adams hatte ihn für ein paar Tage unter seine Fittiche genommen und ihm das Leben in einer Stadt näher gebracht.
Ich unterhielt mich jetzt noch mit einem Herren, der kleinere Mengen an seltsamen Kraut in Beutelchen gefüllt hatte.
In meine Nase stieg der obligatorische Cannabis Geruch und ließ mich grinsen.
Hungrige, schläfrige Soldaten waren ebenso leicht zu handeln.
Wir würden in den nächsten Tagen ein paar „Proben“ für Rotröcke bereit halten, falls sie einen Arzt aufsuchten.
Der Rest würde in Tabak verarbeitet, so beschloss ich es und sah mich zufrieden um.
„Alex, du kannst doch nicht die Armee völlig außer Gefecht setzen!“ die Stimme meines Templers war völlig entsetzt.
„Nicht alle, aber ein paar von ihnen. Vor allem die Wachhabenden am 15. und 16. Dezember!“ erklärte ich ihm noch einmal.
„Es ist immer noch unheimlich, wenn du genaue Daten nennst und ich mich darauf verlassen muss.“ Haytham schüttelte sich bei diesen Worten.
„Glaub mir, es wird dir noch einiges absurd oder unheimlich vorkommen.“ ich gab ihm grinsend einen Kuss auf die Wange und widmete mich wieder der Portionierung des fermentierten Hanfs.
Wir hätten leichtes Spiel um die Boston-Tea-Party beginnen zu lassen!
So dachte ich zumindest!
In den nächsten Stunden wurden entsprechende Nachrichten an die anderen Verstecke geschickt, die dringend mahnten, die Füße still zuhalten. Der hier anwesende Offizier bürgte mit seinem Namen und Siegel für die Echtheit des Briefes!
Wir hatten nicht mehr allzu viel Zeit, ging es mir durch den Kopf.
Aus den Augenwinkeln sah ich plötzlich, wie sich Faith und Shay aus der Kirche stahlen. Die Arbeit war hier fürs erste erledigt, aber was konnte so wichtig sein, dass sie ohne etwas zu sagen verschwanden? Dass wir bald erfahren würden, was es mit dem Verschwinden auf sich hatte, ahnte ich noch nicht.
Ein paar der kleinen Fässer mit Whiskey, vier Kisten mit Madeleines Wein und etwas Ale wurden auf einen Karren geladen und in Sicherheit gebracht.
Wir präparierten die eh schon offenen Flaschen oder Fässchen und versiegelten sie wieder, so dass sie auf den Weg Richtung Garnison gebracht werden konnten. Dieses Mal aber nicht vergiftet sondern nur mehr als berauschend.
Die ganze Zeit über half auch Edward mit, fragte hier und da wie man zum Beispiel Fässer richtig dicht bekommt. Lächelnd sah ich ihm dabei zu, wie er lernte. Er war jemand, der praktische Unterweisung brauchte, keine theoretische. Ihm wurde schnell langweilig, wenn er lesen musste oder vor einem Block aus Zahlen hockte. Deswegen machte ihm auch das Training, welches ja jetzt etwas intensiver wurde, auch richtig Spaß.
Am Abend saß ich erschöpft auf der Bettkante mit Helena auf dem Arm und stillte sie. Immer wieder fielen mir die Augen zu, aber umfallen konnte ich nicht, Florence sorgte dafür, dass ich wach blieb.
„Mama, weißt du, es gefällt mir hier richtig gut. Können wir nicht hierhin ziehen?“ fragte sie plötzlich und streichelte ihrer kleinen Schwester dabei die Wange.
„Nein, wirklich wohnen werden hier nicht. Nur das Büro ist hier, min lille Engel. Warum fragst du? Magst du unser Haus in Virginia nicht mehr?“
Sie zuckte mit den Schultern und sah auf ihre gefalteten Hände im Schoss.
„Doch, schon. Aber … die Zimmer sind alle so groß und wenn ihr nicht da seid, dann ist es unheimlich. Hier ist es viel gemütlicher!“ flüsterte sie.
Ich versprach ihr, dass wir ab und an mal solche kleineren Ausflüge machen würden und sie nicht mehr so oft alleine daheim wären. Auf der anderen Seite sorgten wir ja schon dafür, dass immer einer von uns zuhause blieb.
Der nächste Morgen brach mit lautem Gebrüll aus dem Stockwerk über uns an. Charles tobte vor Wut oder besser gesagt vor Trauer, wie es schien. Immer wieder hörte ich ein „Nein, das kann doch nicht sein.“
Gepolter auf der Treppe war zu vernehmen, als er schon bei uns hereinplatzte. Gerade so eben konnte ich mir noch meinen Morgenrock überwerfen, ehe dieser Idiot gänzlich eingetreten war.
„Ihr …. ihr ward das. Ihr seid eine herzlose Hexe!“ schrie er mich an ohne auf seinen Meister zu achten, der ihn fassungslos anstarrte.
Ich betrachtete ihn wortlos einen Moment, ließ meinen Blick über ihn gleiten und neben der roten Aura, sah ich eine andere Fremdeinwirkung. Diese Zeichen seiner verheilten Verletzungen stammten nicht von mir. War etwa Faith oder … plötzlich kam mir der Gedanke, dass die Kinder älter wurden. Sie verstanden mehr und wussten sich zu verteidigen! Hatten July oder vielleicht Cadan sogar ihre Finger mit im Spiel? Aufklärung würde ich nur von meiner Schwester im Geiste bekommen und machte mir gedanklich eine Notiz.
Natürlich ließ ich mir sonst nichts anmerken, sondern hakte unschuldig nach, was ihm fehlen würde und wovon er sprechen würde!
„Das wisst ihr ganz genau, Hure!“ pöbelte er mich an und in diesem Moment ging mein Mann dazwischen.
„Wenn ihr noch einmal meine Frau so beleidigt, seid ihr die längste Zeit Templer gewesen und eure militärische Reputation wird einen weiteren Makel erhalten!“
Die beiden standen sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber, nur wenige Zentimeter trennten sie.
In den Augen meines Gatten sah ich ein flackerndes goldenes Leuchten, während bei Charles plötzlich die Angst deutlich in seinen Gesichtszügen wahrzunehmen war.
„Sir, sie weiß ganz genau, was sie letzte Nacht getan hat. Meine Spitze lagen heute leblos in ihren Körben und überall war Blut! Sie hat sie vergiftet!“ wieder hatte sich seine Stimme hasserfüllt erhoben.
„Entschuldigt, aber ich habe hier ganz friedlich geschlafen und … habe auf die Hündin meines Sohnes aufgepasst. Wie kommt ihr nur darauf, dass ich einem Tier etwas antun würde?“ leider konnte ich meine leise Freude über dieses, wenn auch traurige, Ableben dieser Fußhupen nicht aus meiner Stimme verbannen.
„Da hört ihr es doch selber!“ er wollte schon auf mich losgehen, als sich Haytham ihm wieder in den Weg stellte.
„Niemand hat euren … Schoßhunden etwas angetan. Es wird an der ungewohnten Nahrung gelegen haben.“ erwiderte mein Templer voller Überzeugung.
Vorsichtig glitt mein Finger über mein neuestes Schmuckstück und in meinem Kopf stellte ich mir vor, dass der gute Mann plötzlich unter einem schweren Migräneanfall litt.
„Ahhhhhhhh… mein Kopf. Ich… sollte mich besser… hinlegen…“ diese kalten Augen sahen mich etwas glasig an, ehe Charles schwankend unsere Zimmer verließ.
„Was in drei Teufels habt ihr mit ihm und seinen Hunden gemacht, Alex?“ jetzt war es Haytham, der mich wütend ansah und mich zu sich drehte.
„Ich schwöre, ich wars nicht. Aber … Faith könnte ihre Finger mit im Spiel gehabt haben. Glaub mir, wir haben uns nicht abgesprochen oder so.“ das hatten wir wirklich nicht, ich wusste lediglich, dass auch ihr seit geraumer Zeit übernatürliche Wege zur Verfügung standen um jemanden zu heilen, anzuleiten oder eben auch zu Tode kommen zu lassen.
„Wenn das die Runde macht, dann seid ihr beide schneller auf dem Scheiterhaufen als euch lieb ist!“ gerade als er noch etwas hinzufügen wollte, stand Edward neben uns.
„Was ist denn mit Master Lee los, es hört sich an, als würde ein Elch in einen Topf kotzen!“ dabei hielt er sich die Ohren zu und erst jetzt hörten wir diese ekligen Geräusche ebenfalls. Ja, Migräne war mitunter nicht so schön.
„Wenn du nicht auf der Stelle dafür sorgst, dass er wieder gesund wird, dann…“ ich ließ ihn nicht ausreden.
„Ja, ist ja gut. Du bist manchmal echt ein Spielverderber!“ maulte ich und erlöste dieses Arschloch von seinen Kopfschmerzen.
Zu gerne hätte ich aber gewusst, was meine störrische Schottin alles mit ihm veranstaltet hatte. Das wäre ein wunderbares Gespräch bei einem warmen Kaffee!
„Manchmal erschreckst du mich, mi sol.“ flüsterte Haytham und verschwand in unserem Schlafraum.
„Mama, jetzt sag schon. Was…“ mein Sohn grinste über beide Backen, doch ehe ich etwas sagen konnte, erschien ein Bote bei uns.
Und das alles vor meinem Kaffee! Mir reichte es eigentlich jetzt schon für den Tag!
Bevor ich jedoch weiter über diesen Vorfall nachdenken konnte, kam eine Ablenkung in Form einer Nachricht von Connor.
Die Söhne der Freiheit hatten heute eine Versammlung einberufen und er bat uns, mit ihm zu kommen.
„Du sagtest, es sei nicht klug an solchen Terminen teilzunehmen, also werde ich das auch nicht. Aber wenn ich nicht erscheine, könnte es den Eindruck erwecken, ich stünde auf der falschen Seite. Ich werde vor dem Haus warten, bis alles besprochen ist.“ ohne dass er vor mir stand, hörte ich dieses schlechte Gewissen heraus. Niemand sollte ihn für einen Feigling halten, schon gar nicht, wenn es darum ging, Land vor der „Invasion“ zu schützen. Dieser Ausdruck war einige Male gefallen in den Gesprächen des Kontinentalkongresses oder aber der Versammlungen der Söhne der Freiheit.
Wir standen wortwörtlich an einem Scheideweg. Wir mussten uns entscheiden.
Krone oder Kolonien?
Mein Mann las noch einmal die Zeilen seines großen Sohnes und Besorgnis legte sich auf sein Gesicht. Auch ihm war klar, dass es ernst wurde.
„Wir werden ihn begleiten, mi amor. Du kannst ihn jetzt nicht im Stich lassen. Wir sollten jedoch noch einmal Master Johnson erinnern, jetzt schneller zu handeln. Sein Schiff muss sich entweder aus dem Hafen entfernen, oder wir müssen die Ladung irgendwie noch sichern. Es sind nur noch 2 Tage!“ die Zeit lief uns davon und langsam wurde ich nervös.
Ein Bote wurde ausgesandt um William diese Nachricht zu überbringen.
Es dauerte nicht lange als wir gerade am Frühstückstisch saßen, als auch Lee wieder auftauchte. Er sah seltsamerweise schlecht aus, wie das nur kam?
Breit grinsend sah ich ihn über den Rand meiner Kaffeetasse an und fragte, ob sein Unwohlsein nun abgeklungen sei.
Sein Blick wanderte von einem zum anderen, ehe er antwortete.
„Mir geht es wieder hervorragend, Mistress Kenway. Ich sollte vielleicht einmal einen Kammerjäger bestellen, der dieses unliebsame VIEHZEUG vertreibt was einem Übelkeit bringt!“ wir wussten, er sprach von einem Priester oder noch besser Exorzisten. Seine Angst vor allem Übernatürlichen war ihm ins Gesicht geschrieben.
Oh, die nächsten Jahre, bis Connor ihn dann zu fassen kriegen würde, werden mein kleiner persönlicher Spielplatz werden!
Ich kann dich hören, lesen und spüren, mi sol. Manchmal könnte man wirklich meinen ich hätte das Böse in Person geheiratet. Hörte ich meinen Mann empört in meinem Kopf.
Und was habe ich geheiratet? Ich kenne auch deine mitunter sehr garstigen Wünsche! Erwiderte ich still.
„Ihr solltet euch für heute erst einmal ausruhen und einen Arzt konsultieren. Außerdem solltet ihr eure Hunde zu Grabe tragen.“ antwortete Haytham wie ein anderer Mensch plötzlich.
„Das werde ich, Sir.“ damit schlürfte Charles weiter seinen Tee und würdigte mich keines Blickes mehr. Gut für ihn.
Das Treffen sollte gegen 11 Uhr stattfinden, so stand es in der Botschaft Connors.
„Dann habe ich noch etwas Zeit, mi amor.“ sagte ich fröhlich und wusste schon, was ich bis dahin unternehmen würde.
Den Kindern hatte ich Geschenke zu Weihnachten versprochen und bevor hier das Chaos ausbrach, wollte ich alles beisammen haben.
„Mama, darf ich mitkommen? Bitte!“ bettelte Florence und zerrte an meinem Rock.
„Nein, das soll doch eine Überraschung für dich und deinen Bruder werden. Bleib solange hier bei deinem Vater oder vielleicht könnt ihr etwas in den Garten gehen und mit Walka spielen?“ schlug ich vor, als ich dabei war mich zu verabschieden.
„Wo willst du jetzt noch hin, mi sol. Es ist schon fast Zeit für das Treffen.“ mahnte mich Haytham und sah auf die Uhr im Eingangsbereich.
„Bis dahin bin ich längst zurück, versprochen.“ ich hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und machte ich mich auf den Weg durchs winterliche Boston!
Bei meinem Streifzug durch Boston und seinen Geschäften auf der Suche nach etwas passendem für unsere Kinder zu Weihnachten, stieß ich auf ein kleines unscheinbares Lädchen an einer Ecke zu einer schmalen dunklen Gasse.
Es hatte etwas von der Winkelgasse, dachte ich noch, als mich eine Türglocke beim Öffnen aus meinen Gedanken holte.
Vor mir erstreckte sich ein kleiner Verkaufsraum, der im Halbdunkel lag und nur spärlich durch die Schaufenster und das Tageslicht beleuchtet wurde.
Langsam schritt ich die Regale ab oder besah mir den Inhalt einiger kleiner Körbchen auf Tischen die mitten im Raum standen. Ein Sammelsurium aus allerlei Spielzeug, Schreibwerkzeug, Kochutensilien, Büchern und so weiter. Fasziniert betrachtete ich dieses Chaos.
„Madame, kann ich ihnen behilflich sein?“ hörte ich eine freundliche dunkle Stimme hinter mir mit einem weichen französischen Akzent.
Als ich mich umdrehte stand dort ein Herr mit einer grauen Perücke, leicht zerknautschtem Gesicht und einem breiten Lächeln vor mir.
„Danke, Monsieur, aber ich schaue nur. Ich bin auf der Suche nach etwas für meine Kinder zum Weihnachtsfest.“ sagte ich etwas abgelenkt, weil ich über seine Schulter hinweg, er war einen halben Kopf kleiner als ich, einen aufgeklappten spanischen Fächer sah.
Aufmerksam wie er war, bemerkte er es und eilte hinüber, griff ihn und reichte ihn mir.
„Bitte sehr, Madame.“
Aufgeklappt zur ganzen Größe war er noch beeindruckender.
Das Holz der Stäbe und Halterungen war dunkelbraun, die kleinen Nieten des Gelenks waren golden. Das Bild auf dem Stoff stellte einen großen Baum dar, vor dem einige Menschen auf einer prächtigen Blütenwiese knieten und beteten.
Mittig schien sich eine Grenze zu befinden und auf der anderen Seite waren ebenfalls Personen in betender Haltung zu sehen vor einer Quelle, die aus einem kleinen Berg gespeist wurde.
Etwas an dieser Abbildung ließ mich an Yggdrasil, dem Lebensbaum denken, aber hier gab es Nidhöggr nicht, den Drachen in Niflheim der an seinen Wurzeln nagt und auch nicht das Eichhörnchen Ratatöskr, welches am Baum emporklettert.
Schau genauer hin. Flüsterte eine Stimme plötzlich in meinem Kopf und als ich wieder aufsah, stand ich auf weichem Gras und sah den Baum, die Quelle, die Menschen. Mein Blick wanderte gen Himmel, er war leuchtend blau mit kleinen Wattewölkchen und die Sonne strahlte warm auf uns hernieder.
So friedlich! Ging es mir durch den Kopf.
„Gefällt es dir hier?“ fragte mich eine raue Stimme über mir! Dort war ein Adler, welcher sich jetzt neben mir niederließ.
Verwirrt sah ich ihn an und brachte kein Wort raus.
„Ja, so geht es den meisten, wenn ich auftauche. Aber du hast auch schon mit Munnin gesprochen, also bitte…“ ein seltsam anmutendes Krächzen, welches vielleicht ein Lachen sein sollte, ertönte.
„Wo bin ich denn genau? Das ist nicht die Weltenesche!“ ereiferte ich mich und ging durch die Betenden hindurch, die überhaupt keine Notiz von mir nahmen.
Meine Hände strichen über die raue Baumrinde und meine Fingerspitzen hinterließen einen bläulichen Schimmer darauf.
Plötzlich schüttelte sich der Baum, als hätte ich ihn gekitzelt.
Blätter rieselten zu Boden, die sich sofort in kleine Blumen verwandelten.
Es sah einfach wunderschön aus.
„Ich weiß aber immer noch nicht, wo ich bin oder was ich hier soll.“ fragend sah ich mich noch weiter um und ging Richtung Quelle auf der gegenüberliegenden Seite.
Auch hier ignorierten mich die Menschen.
Ihre Münder bewegten sich, aber ich hörte nicht einen einzigen Laut. Das war das einzige, was ich in diesem Moment als unheimlich empfand.
Das Wasser in dem kleinen See vor mir war kristallklar und am Grund sah man feine glatte helle Kieselsteine.
„Komm, tauch ein und erfrische dich.“ sprach eine andere Stimme zu mir und ich sah auf der Oberfläche das Gesicht eines Mannes mit nur einem Auge. Aber das war nicht mein Allvater!
Erschrocken zuckte ich zurück.
„Madame! Madame! Ist alles in Ordnung? Isabelle! Schnell, bring mir ein kühles Tuch und das Riechsalz!“ rief ein Mann und ich spürte, wie man mich festhielt.
Mit einem Male drang ein widerlicher Geruch in meine Nase, der mich würgen ließ.
„Ah, es hat funktioniert. Ihr seid wieder hier, Madame!“
Langsam schlug ich meine Augen auf und mir wurde ein Tuch gereicht. Fahrig wischte ich mir damit über den Mund.
Mühsam richtete ich mich ganz auf und sah in zwei besorgte Augenpaare neben mir.
„Mir … geht es gut…“ hauchte ich und nahm einen großen Schluck des mir angebotenen Wassers! „Das tut gut. Ich danke euch, Monsieur …“ fragend sah ich den Verkäufer an.
„Francois Tarbanot, zu euren Diensten und das ist meine Frau Isabelle!“ er deutete an seine Seite.
„Alexandra Kenway, erfreut eure Bekanntschaft zu machen.“ noch immer war ich benommen, aber spürte, dass es besser wurde.
Man half mir auf einen Stuhl und erst jetzt bemerkte ich, dass ich den Fächer immer noch in meiner Hand umklammert hielt.
„Ihr habt uns einen Schrecken eingejagt, Mistress Kenway. Sollen wir vielleicht euren Gatten benachrichtigen, damit er euch holen kann?“
Ich schüttelte meinen Kopf.
„Danke, aber ich werde mir eine Kutsche nehmen, allzu weit ist es auch nicht zu unserer Unterkunft. Aber sagt, Monsieur Tarbanot, woher habt ihr dieses wundersame Schmuckstück?“ fragte ich möglichst unbeeindruckt nach, das klappte jedoch nur semimäßig und er lächelte mich an.
„Auf meinen Reisen habe ich hier und dort immer mal wieder etwas eingekauft was mir gefiel. Auch dieses Exemplar war, nunja, von einer gewissen Einzigartigkeit, wenn ihr versteht was ich meine?“ wissend zog er eine Braue hoch, grinste mich an und deutete auf meine Haut an meiner Hand die den Fächer hielt.
Die Zeichen, die eigentlich immer golden leuchteten, waren mintfarben!
Du hast es endlich gefunden, jetzt musst du nur noch den Ort ausmachen um zu erfahren, was es damit auf sich hat, Kind. Das war jetzt Odin, der mehr als zufrieden klang.
Ich antwortete nicht darauf, sondern stand vorsichtig auf um mich von dem Händlerpaar zu verabschieden. Haytham musste unbedingt hiervon erfahren.
„Ich danke euch noch einmal für eure Hilfe. Sagt, was bekommt ihr für diesen Fächer? Ich würde ihn zu gerne…“ Madame Tarbanot winkte lächelnd ab.
„Wir haben gesehen, dass er euch gehört, da können wir ja schlecht einen Preis verlangen, nicht wahr?“
Die beiden sahen mich erwartungsvoll an, was erwartete man jetzt von mir?
„Dann… es scheint so, dass ich ihn irgendwann einmal verloren haben muss. Ich … bin froh… dass ihr ihn gefunden habt.“ flüsterte ich, während ich die Eheleute etwas misstrauisch beäugte.
„Da nicht für, Mistress Kenway!“ der Herr verbeugte sich noch einmal und reichte mir dann seine Hand. „Ich wünsche euch eine sichere Reise nach Spanien und ich hoffe, ihr findet wonach ihr sucht.“
Immer noch verwirrt, verließ ich das Geschäft und stand für einen Moment in der fahlen Dezember Sonne auf der Straße.
Als ich mich umdrehte um noch einmal den Namen des Geschäfts zu lesen, war dort … nichts mehr. Keine Schaufenster, keine Auslage, kein Schild!
Vor mir sah ich ein ganz normales Wohnhaus, welches schon sehr herunter gekommen war.
Was zur verdammten Axt war das gerade gewesen?
Um meinen Kopf etwas frei zu bekommen, machte ich mich zu Fuß auf den Weg zu unserer Unterkunft.
Ein Ort in Spanien, der einen großen Baum und eine benachbarte Quelle hatte. Wie sollte man bitte schön diese Nadel im Heuhaufen finden? Keine Frage, ich liebte Rätselspiele über alles. Das hier war aber etwas anderes, ich hatte ja nicht einmal einen richtigen Anhaltspunkt.
Dann kam mir der Gedanke, dass Tobias damals mit seinen Leuten in Spanien einen der Armreife oder waren es sogar zwei, geborgen hatte. Aber ich wusste nicht mehr genau wo das war. Ich hoffte, meine Aufzeichnungen von damals würden mir etwas auf die Sprünge helfen.
Ansonsten musste ich Haytham zu Rate ziehen, der ja schon vor Jahren eine Weile in Spanien verbracht hatte. Vedomir! Hatte er nicht, als wir das Portal geschlossen hatte, einen Ortsnamen oder ähnliches erwähnt?
Den gesamten Weg über zerbrach ich mir den Kopf.
„Mama! Da bist du ja wieder!“ rief Florence und rannte auf mich zu, als ich gerade zur Tür rein war.„Oh, was hast du da?“ sie wollte mir schon den Fächer abnehmen, aber ich zog meine Hand weg.
„Min lille Engel, das ist kein Spielzeug und auch nicht für euch gedacht.“ erklärte ich ihr.
„Achso, dann halt nicht.“ schmollend sah zu mir auf.
„Nicht in so einem Ton, Fräulein!“ mahnte ich sie auf Deutsch. „Wo ist dein Vater, ist er hier?“
„Ich bin hier, mi sol. Das Gebrüll unserer Tochter war ja nicht zu überhören.“ grinste er sie an und umarmte mich. „Ist etwas nicht in Ordnung, du siehst blass aus.“ die Besorgnis in seiner Stimme ließ mich wieder klarer denken.
„Du glaubst gar nicht, was ich erlebt habe. Komm, ich muss es dir unbedingt erzählen.“
Doch bevor ich ihm von meinem neuesten Fund berichten konnten rief die Pflicht. Die Versammlung begann und es war schon kurz nach 11 Uhr! Genervt stieß ich ein Seufzen aus und wir machten uns auf den Weg um Connor zu treffen.
Wir trafen gegen halb 12 bei dem vereinbarten Treffpunkt ein, wo Haythams großer Sohn bereits ungeduldig wartete.
„Da seid ihr ja endlich! Was hat euch aufgehalten?“ ich hörte seine Ungeduld aus der Stimme und lächelte in mich hinein. Haytham hatte dieselbe Tonlage bei sowas.
„Entschuldige, ich wurde bei einem Geschäft aufgehalten. Es war einfach zu viel Kundschaft.“ sagte ich. Vielleicht bekäme ich noch die Gelegenheit allen von meinem Fund zu berichten.
Doch jetzt war es wichtig, was hier bei der Versammlung beschlossen wurde und wie es weitergehen sollte.
„Wir können somit nichts mehr tun!“ hörte man eine dröhnende mahnende Männerstimme.
„Ah, Samuel hat das Stichwort gegeben.“ Connor sah dabei zur Tür des Gebäudes.
„Adams? Samuel Adams?“ würde ich ihn wirklich jetzt hier treffen? Ich sah begeistert zu meinem Mann, der mich mit einem leicht genervten Gesichtsausdruck bedachte.
Oh entschuldige meine Euphorie. Ich … ach vergiss es. Fauchte ich und widmete mich den Personen um uns herum.
Haytham hatte immer noch nicht begriffen wie wichtig dieser geschichtliche Punkt, dieses Ereignis für mich war. Würde er aber nicht ebenso hibbelig daneben stehen, wenn er Zeuge eines solchen Tages werden würde?
Die Tür öffnete sich und eine Traube Menschen strömte auf die Straße. Wir gingen ein wenig zurück um ihnen Platz zu machen, als ein Herr mittleren Alters auf Connor zuging. Neben ihm war ein Mann, etwas untersetzt und im Vergleich zu Connor recht klein. Beide begannen ohne Umschweife ihn auf den neuesten Stand zu bringen.
„Wir müssen jetzt handeln! Die Zeit ist gekommen um endlich ein Banner zu hissen und der Krone zu zeigen, dass wir und die Bürger nicht mehr gewillt sind, alles hinzunehmen!“ diese Stimme hatte diesen Ton eines echten Redners der Massen bewegen konnte.
„Und was sollen wir jetzt machen? Wir können schlecht die Schiffe versenken oder wollt ihr einen Krieg vom Zaun brechen?“ fragte der junge Indianer.
„Nein, das müssen wir gar nicht. Wir werden King George dort treffen, wo es am meisten wehtun wird. Wir werden die gesamten Teelieferungen, Lagerungen und Reserven vernichten. Das Hafenbecken ist wie geeignet dafür!“ in diesem Moment sah sich der Herr um und blieb an Haytham und mir hängen. „Wollt ihr uns auch unterstützen? Wir können jede Hilfe gebrauchen!“
„Oh, verzeiht, Samuel. Das sind mein Vater, Haytham Kenway und seine Frau Alexandra!“ als wäre Connor aus einer Starre erwacht, sah er uns an.
„Eine Freude euch kennenzulernen! Mistress Kenway, Master Kenway!“ tiefe Verbeugung und Handkuss folgten. „Samuel Adams! Zu euren Diensten!“
Der andere Herr meldete sich ebenso zu Wort!
„Mir ist es ebenso eine Freude eure Bekanntschaft zu machen, Master Kenway, Mistress Kenway! Paul Revere! Ebenfalls zu euren Diensten!“
Dümmlich grinsend stand ich ihnen gegenüber und brachte keinen Ton mehr heraus. Sie standen vor mir. Genau wie Ben Franklin damals! Ich schüttelte ihre Hände, als gäbe es kein Morgen und wurde mit einem überraschten Lächeln bedacht!
Nachdem man das Vorgehen besprochen hatte, gingen wir unserer Wege und Connor ließ Nachricht an seine eigenen Gefolgsleute schicken um ihnen mitzuteilen, dass man morgen Abend nach Einbruch der Dunkelheit zuschlagen wollte.
Anscheinend gab es bereits einen ausgearbeiteten Plan, der allen Beteiligten und Eingeweihten bekannt war nur uns noch nicht.
„Du hast ein gutes Netz aus Leuten um dich herum aufgebaut, Connor!“ lobte Haytham ihn.
„Danke Vater, Achilles hat mich einiges gelehrt.“ in diesen Worten lag keine Boshaftigkeit, kein Vorwurf! Aber … es klang so und ich sah wie mein Templer enttäuscht die Schultern sinken ließ.
„Das freut mich natürlich.“ sprach er zerknirscht und wandte sich dann Master Adams zu um mit ihm ein paar Details zu besprechen, vermutete ich oder er wollte einfach aus dieser Situation heraus. Wer weiß das schon.
Connor zog mich sacht zu sich.
„Habe ich etwas falsches gesagt?“ oh bitte! Musste ich jetzt nicht nur immer die Vermittlerin zwischen Edward, Florence und Haytham spielen, sondern auch noch Ziios Sohn mit einbeziehen? Es wurde langsam anstrengend.
„Nein, hast du nicht. Aber versetz dich in seine Lage. Er hätte dir gerne auch ein wenig beigebracht, hatte jedoch nicht die Chance dazu. Gib deinem Vater einen Moment um Nachzudenken und er wird auch merken, dass ihr beide noch voneinander lernen könnt.“ versuchte ich in all meiner diplomatischen Möglichkeiten einen validen Punkt zu setzen.
„Vielleicht sollte ich mit Vater noch einmal alleine sprechen. Aber das muss jetzt warten. Wir haben wichtigeres zu tun.“ rigoros wandte er sich an seine Leute und nach und nach zerstreute sich diese Gesellschaft.
Morgen Abend!
Es war soweit!
Und ja, ich war unfassbar nervös!
Als wir wieder in unserer Unterkunft ankamen, suchte ich nach Faith um ihr mitzuteilen, wie der letzte Stand war.
Ich sah uns schon gemeinsam an der Reling eines Handelsschiffes stehen und die Kisten ins Wasser werfen. Wie schwer war so eine Teekiste eigentlich? Manchmal hatte ich durchaus absurde Gedanken, gebe ich zu.
Ich traf meine störrische Schottin, eigentlich war sie das gar nicht, also Schottin meine ich, im Schankraum, wo sie mit Shay, Imhotep und einigen Leuten an einem Tisch saß und über etwas brütete.
„Ich störe euch hoffentlich nicht?“ fragte ich fröhlich nach und setzte mich zu ihnen.
Cadan hatte, das war eine interessante Neuigkeit, wie Edward einen Kammerdiener bekommen. Dieser saß hier ebenfalls am Tisch und ich spürte das hier wieder mehr als nur die üblichen Götter und Einflüsse zugegen waren. Mittlerweile störte es mich nicht mehr. Im Gegenteil, ich fühlte mich in dieser Gesellschaft wohl und aufgehoben, auch wenn es nicht MEINE Götter waren.
Außerdem liefen in meinem Kopf die entsprechenden Steckbriefe oder besser gesagt Lebensläufe dieser Gottheiten ab. Es brauchte kaum noch Erklärungen.
Lees Hunde! Ging es mir plötzlich durch den Kopf! Das musste jetzt aber leider noch warten und ich biss mir auf die Zunge! Wie gerne würde ich wissen, wie sie … entschuldigt. Sie sind über die Regenbrücke gegangen und wir sollten sie in Frieden ruhen lassen! Sie konnten nichts für ihr widerliches Herrchen!
Erzähle ich dir später, Alex. Hörte ich Faiths Stimme in meinem Kopf und grinste sie breit an. Diese Art der Kommunikation schien wieder zu funktionieren. Was könnte man jetzt nicht wieder alles … Nein, konzentriere dich auf den Auftrag, ermahnte ich mich selber.
Das darf nicht wahr sein! Jetzt war es mein Templer welcher maulend in meinem Geist aufgetaucht war.
Bring mich nicht aus dem Konzept, mi amor! Fauchte ich und fokussierte meine Gedanken wieder zur eigentlichen Teaparty!
Der Bericht war schnell auf dem Tisch, die Vorgehensweise ebenso erklärt und wir konnten noch ein wenig verschnaufen.
Die Garnison wurde heute mit den präparierten Fässern beliefert, das hatten wir ja im Vorfeld schon geklärt.
Im Hafen sollten die wachhabenden Soldaten leichte Darmprobleme bekommen! Das würden Faith und ich übernehmen. Ich freute mich schon darauf und sah auf diesen schimmernden goldenen Ring an meiner Hand.
„Hexe!“ flüsterte plötzlich diese schnarrende Stimme von Lee neben mir!
„Zügelt euch, ehe ihr wieder unter diesen merkwürdigen Kopfschmerzen oder noch schlimmeren leidet. Wir wollen doch nicht, dass ihr zu Schaden kommt.“ bei meinen eigenen Worten hätte ich mich fast übergeben müssen. Nicht nur wegen des Sarkasmus, sondern auch wegen des Geruchs, welcher von Charles und seiner Kleidung stetig ausging.
„Ihr werdet noch sehen, wer am längeren Hebel sitzt, Hure!“ flüsterte er fast unhörbar und war so nah neben mir, dass ich seinen Atem in meinem Gesicht spürte.
Einen Schritt näher, eine weitere unverschämte Beleidigung von euch und ich lasse euch hier vor allen auf dem Tisch tanzen! Nackt! Ließ ich ihn lautlos wissen!
Meinen Hass konnte ich nicht zügeln und bereute es postwendend.
„Eure Magie kann mir gar nichts. Seht ich habe ein Amulett welches mich vor euren Flüchen schützt.“ sprach Charles leise und hielt ein mir wohl bekanntes Symbol vor meine Nase.
Es war das Rad des Lebens, welches in der nordischen Mythologie verwurzelt ist.
Seine Wirkung spürte ich und die Zeichen auf meiner Haut wollten sich zeigen, doch ich unterdrückte den Drang und griff nach dem Anhänger um seinen Hals!
Ohne wirklich nachzudenken, riss ich daran und stand dann auf.
„Wie könnt ihr es wagen, meine Götter so zu verunglimpfen? Habt ihr gar keinen Respekt mehr?“ rief ich.
„Ich suche nur Schutz vor euch abtrünnigen Hexen!“ rief er und sein Blick wanderte um den ganzen Tisch!
„Ich verwarne euch ein letztes Mal, Charles! Meine Frau und meine Schwester sind keine Hexen! Das ist bewiesen. Und jetzt geht, ehe ich mich vergesse!“ Haythams Stimme hatte sich erhoben, blieb aber immer noch professionell, ganz der Großmeister. Er hatte es perfektioniert und das ließ mich mit einem sehr wohligen Kribbeln in meinem Bauch zurück, auch wenn es gerade mehr als unpassend war. Ich liebte es, wenn er diesen Ton anschlug.
Lee trollte sich hastig, Odin sei Dank!
Doch dieses Amulett lag schwer in meiner Hand und pulsierte förmlich. Ich sah es mir noch einmal genauer an und die Zeichen darauf formten sich zu ganzen Wörtern.
Es waren tatsächlich Rufe zum Schutz der Person die es trug. Aber eine kleine Nuance, für das ungeschulte Auge nicht sichtbar, zeigte mir, dass wir hier mit den Isu UND den nordischen Göttern zu tun hatten.
Woher zur verdammten Axt hatte dieser Idiot diesen Anhänger?
„Da er ihn gestern noch nicht hatte, muss er heute in seinen Besitz gelangt sein!“ überlegte Faith laut.
„Also muss hier ein Händler auf dem Markt sein der so etwas anbietet. Vielleicht aber auch ein Laden, der sich mit Übernatürlichen Dingen auseinander setzt!“ grübelte jetzt Haytham.
Mir lief es eiskalt den Rücken herunter!
Hatte auch er diesen mysteriösen Laden entdeckt?
Ich musste hier raus und rannte förmlich aus dem Schankraum ohne ein weiteres Wort!
Kapitel 92
~~~ Göttliche Vereinigung ~~~
Boston, Dezember 1773, Boston-Tea-Party
Er stand mit dem Rücken an eine Hauswand gelehnt und beobachtete das Treiben vor sich auf der Straße.
Niemand würde vermuten, dass er nicht der ist der er zu sein vorgibt. Sein äußeres Erscheinungsbild hatte er den Bürgern und Kolonisten hier angepasst. Nichts deutete darauf hin, dass er ein nordischer Gott war.
Seinen Namen konnten sowieso nur die wenigsten richtig aussprechen, grinste er in sich hinein.
Hrymr war ein Riese, der mit seiner Naglfar die Zeiten, Meere und Welten bereiste.
Bei dem Gedanken an sein Schiff verdüsterte sich seine Laune und ihm ging wieder dieser eine verhasste Name durch den Kopf.
Mistress Alexandra Kenway! Ihres Zeichen die gefeierte Tochter Odins, Nachwuchs des Allvaters, Zeitreisende, Großmeisterin des kolonialen Templerordens und Ehefrau des berüchtigten Templergroßmeisters Haytham Kenway!
Sein Blick wanderte über die belebte Straße zum gegenüberliegende Gebäude, in welchem sich diese Brut gerade aufhielt.
Er hatte durch seine Laufburschen erfahren, dass sogar noch mehr unliebsame Personen dort untergekommen waren.
Unter anderem ebenfalls diese lästige Faith Cormac, die immer und überall ihre Nase hinein stecken musste. Diese Seelenverwandtschaft mit Alex war ihm schon immer ein Dorn im Auge gewesen! Mehr als einmal war er in Versuchung gekommen, sie einfach von der Erde zu eliminieren, nur um Ruhe zu haben.
Leider war auch Faith nicht so leicht an der Nase herumzuführen.
Sie alle hatten ihre Götter und Beschützer an ihrer Seite.
Sogar die Kleinsten der Familien. Von einfachen Kindermädchen, über Kammerdienern und Gouvernanten bis hin zu Thor – diesem eingebildeten Saufkopf – zum Beispiel. Seine nordischen Bekannten Loki, Frigg oder auch Brünhild, waren ebenso stets präsent und erschwerten den Zugriff für ihn.
Dazu kamen auch noch ägyptische und indische Götter, die sich ebenfalls als frustrierende Gegner erwiesen.
Wäre seine Naglfar nicht so sehr beschädigt, könnte er sich wieder mit ihr zurückziehen und neue Kraft schöpfen. Doch dank dieser elendigen Zeitreisenden Alex musste er sie zurücklassen, damit sie wieder in Stand gesetzt werden konnte. DAS würde dauern, denn es gab nicht mehr so viele Tote, welche ihre Nägel zur Verfügung stellen wollten, hatte ihm vor einigen Wochen einer der Zimmermänner erklärt.
Dazu kam ein Schutzschild, welches sich vor einigen Tagen plötzlich darum gebildet hatte. Der Allvater und Hel hatten sich zusammen getan um ihm sein Leben schwer zu machen, wie es schien.
Er konnte sein eigenes Schiff nicht mehr betreten!
Frustriert stieß er einen Seufzer aus und stemmte sich von der Wand ab.
Wo sollte er jetzt anfangen?
Seit zwei Tagen beobachtete er diese ungeliebte Meute um ein Muster ihrer Tagesabläufe zu bekommen.
Leider war keine Routine zu erkennen.
Es musste doch einen Weg geben an die kleine Helena zu kommen.
Sie war sein auserkorenes Ziel, seit ihm klar geworden war, dass Mistress Kenway ihm immer ebenbürtiger geworden war. Hrymr hatte keine Chance ihre Gedanken zu manipulieren, die der Kinder waren ebenso nahezu undurchdringbar.
Aber das kleine Nesthäkchen hatte noch keinen Paten an ihrer Seite, er sah zumindest niemanden in ihrer Nähe.
„Hey Mann, was steht ihr so dämlich in der Gegend herum!“ rief ihm ein Herr auf dem Kutschbock zu, der versuchte sich einen Weg durch die Menschen zu bahnen. „Verschwindet!“ fauchte der Mann.
Wütend wie der Gott eh schon war, schnippte er leicht mit den Fingern und der Kutscher fiel röchelnd vom Bock auf die Straße. Dort hauchte er Sekunden später, umringt von einigen Schaulustigen, sein Leben aus.
Zufrieden sich wenigstens etwas Luft gemacht zu haben, ging Hrymr weiter und grübelte über einen Plan nach, wie er in diese Unterkunft kommen konnte.
Dann plötzlich hörte er einen Zeitungsjungen laut die neuesten Nachrichten ausrufen.
„Mord in einer Herberge! Verwirrter älterer Herr beschuldigt unschuldige Frau als Hexe und Mörderin seiner Hunde! Kommt es zu einem Prozess oder hat er vielleicht in einem Wahn seine Hunde selber umgebracht? Lest alles heute in der neuesten Ausgabe des „Boston Advertiser“!“
Hatte da diese Preußin etwa ihre Finger mit im Spiel? Zuzutrauen wäre es ihr durchaus, dachte er grinsend und kaufte eine Zeitung.
Die Rede war von der Unterkunft wo dieses Pack mit ihren Blagen wohnte seit fast einer Woche.
„In der Nacht auf den 15. Dezember 1773 kam es zu
einem tragischen und mysteriösen Zwischenfall in
einer Herberge in der Union Street unweit einer gut
besuchten Taverne namens Green Dragon.
Ein Herr mit Namen Charles Lee, in seinen Vierzigern und
angesehener Offizier in der Kontinentalarmee, berichtete
von einem Heimtückischen Mord an seinen geliebten Spitzen.
Er sei morgens aufgewacht, durchgefroren und völlig verwirrt,
als er bemerkte, dass ihn seine Hunde nicht begrüßten.
Besorgt ging er zu ihren Körben, wo sie – im ersten Moment
zumindest – friedlich schliefen. Doch dann bemerkte er die
Blutspuren und als er die Körper berührte, erstarrte er,
genau wie diese Leichen bereits erstarrt waren.
Laut seiner weiteren Aussage sei nur EINE Person dafür
verantwortlich und zwar eine Hexe, die schon oft in Boston
oder auch New York, ihr Unwesen getrieben hatte.
Alexandra Kenway sei ihr Name und ihm wohlbekannt.
Die Dame selber stritt aber jegliche Involviertheit ab, sie hätte
friedlich in ihrem Bett geschlafen und nichts gehört.
Master Lee macht jedoch leider den Eindruck, als sei er selber
etwas Wirr im Kopf und war permanent dabei sich gehetzt
umzusehen, während er alles zu Protokoll gab.
Wir werden sie auf dem Laufenden halten zu den neuesten
Berichten im Falle der Hexe von Boston!“
Sieh an, sieh an, dachte Hrymr und rieb sich in Gedanken diabolisch grinsend die Hände! Das kam ihm doch gelegen, so konnte er Alex etwas aus der Reserve locken und sie, wenn alles nach Plan verlaufen würde, sogar noch auf dem Scheiterhaufen brennen sehen! Er stellte sich schon dieses warme, riesige, prasselnde Feuerchen vor, hörte ihr Schreie, welche ihm einen wohligen Schauer über den Rücken jagen würden …
„Träumt ihr etwa? Ich habe euch gefragt, ob ich heute noch mein Geld für das Blatt bekomme!“ maulte der Zeitungsjunge und hielt seine Hand auf.
„Für so eine Neuigkeit bekommst du sogar das Doppelte!“ grinste er und warf ihm ein paar Münzen zu.
„Danke, Sir!“ hörte er ihn noch freudig rufen, als er sich schon wieder umdrehte um in seiner eigenen Unterkunft einen Plan auszuarbeiten.
Nachdem er sich eines dieser sogenannten Abendessen hatte bringen lassen, machte er sich daran alles aufzuschreiben, was in seinen Augen wichtig erschien.
Wer war alles dort vor Ort?
Wie viele Götter waren wirklich involviert?
Gab es Personen, welche man für seine Zwecke manipulieren konnte?
Wie viele Zimmer bewohnte dieses Pack eigentlich?
Vielleicht sollte er sich einmal mit diesem Lee unterhalten. Der schien ebenso kein gutes Haar an dieser Kenway zu lassen. Worauf sein Hass beruhte wäre interessant zu erfahren.
Also kam auch das auf die Liste seiner Handlangersuche. Hrymr konnte nicht genug Verbündete finden um sicherzustellen, dass er dieses kleine Mädchen wirklich bekommt.
Eine Ablenkung für die Truppe wäre noch eine Alternative, nicht wahr?
Doch wie bekam man fast die ganze Familie Kenway aus dem Haus? Am besten noch zu einer Tageszeit, die Helena ausschloss, weil sie schlief. Das Kindermädchen, diese hochnäsige Snotra, war auch nicht mehr die Jüngste und würde vermutlich ebenfalls eingenickt neben ihrem Schützling liegen.
Er brauchte jemanden, dem er Lee auf den Hals hetzen konnte. Es brauchte einen Grund ihn für sich zu gewinnen.
Was würde diesen Mann am ehesten auf seine Seite ziehen? Was würde sein Vertrauen erwecken?
Hrymr hatte in den letzten Jahrhunderten die Eigenheiten der Menschen studiert und war immer wieder erstaunt, wie leichtgläubig und manipulativ diese Spezies doch war. Vielleicht könnte er …
Plötzlich fiel ihm ein altes Amulett ein, welches er aus einer alten Höhle der Zwerge in Svartálfaheimr gestohlen hatte, bevor man ihn gänzlich verbannte! In seiner Truhe wurde er fündig und besah sich dieses Schmuckstück.
Es war nicht ausschließlich die Arbeit der nordischen mystischen Wesen, nein, die Rasse der Vorläufer hatte eine Quintessenz dazu beigetragen, dass es einen leichten Schutz gewährte. Schutz vor übernatürlichen Dingen zum Beispiel.
Dieser Charles war ein gefundenes Fressen und Opfer des Aberglaubens der Menschheit. Er würde dieses Amulett mit Kusshand und einem Batzen Geld nehmen!
Aber Hrymr konnte schlecht in die Unterkunft marschieren und dem Herren dieses Angebot unterbreiten.
Wieder saß er grübelnd an seinem Tisch und drehte dieses runde Metallgebilde mit den Schutzrunen in seinen Händen.
„Vielleicht kann ich dir helfen?“ hörte er eine sanfte weibliche Stimme hinter sich.
Erschrocken drehte er sich um und sah eine wunderschöne Frau mit rabenschwarzen Haaren, hellgrünen schimmernden Augen und einem wohlgeformten Körper vor sich. Ihr Kleid war, nunja, keines welches in dieses Jahrhundert passte. Ganz allgemein passte es überhaupt nicht in die Welt der Menschen, wenn er es recht bedachte.
Der fließende dunkelblaue Stoff ihres Kleides bewegte sich, obwohl kein Lüftchen durchs Zimmer ging. Es war ein schulterfreies bodenlanges Gewand mit einem Umhang der wie aus den Sternen am Nachthimmel gemacht schien.
Er konnte die Augen von dieser Schönheit nicht lassen und vergaß alles um sich herum.
Eine warme Hand legte sich auf seine Wange, diese wunderschönen Augen sahen ihn sanft an.
„Wir sind uns sehr ähnlich, Hrymr. Auch ich bin verstoßen worden. Niemand will auch nur in meine Nähe kommen. Sogar meine Eltern haben sich von mir abgewandt.“
Eigentlich sollte man vermuten, dass sie voller Trauer sprach, doch ihre Stimme klang völlig emotionsfrei.
„Wer bist du?“ hakte er nach, als er seine Stimme wieder gefunden hatte.
Grinsend nahm sie auf seinem Bett links neben dem Tisch Platz, faltete ihre langen filigranen Finger im Schoß und begann zu erzählen.
„Ich bin Nyx! Tochter des Zeus´ und der Göttin Diana! Man kennt mich als Göttin des puren Chaos und der Nacht. Die Dunkelheit ist mein Spielfeld und mein Schaffensgebiet. Mit ihr kann ich Untaten verbergen, sie nahezu ungeschehen machen. Man hört mich nicht, ich bin wie ein schwarzer Nebel der sich in den Köpfen der Opfer einnistet.“ sie machte eine dramatische Pause, ehe sie fortfuhr.
„Niemand will in meiner Nähe sein, sie alle haben Angst, ich könnte sie im wahrsten Sinne des Wortes verschlingen. Doch das stimmt mich keineswegs traurig, nein. Ich mache mir diese Angst zu Nutze um in den Nächten Albträume und ähnliches herauf zu beschwören. Wenn ich einmal im Kopf einer Person bin, dann wird sie mich nicht mehr so schnell los. Leider … geht das nicht immer gut aus, für den Besessenen meine ich. Oft muss man sie in ein Krankenhaus für Irre bringen, weil sie ihren Verstand an mich verloren haben. Ihre Erinnerungen sind zu dem Zeitpunkt schon in mich übergegangen, weswegen ich auch gerne mal den Lockvogel spiele, damit perfide Pläne umgesetzt werden können.“
Mit anderen Worten, sie übernahm den Körper einer Person und nutzte ihn solange, bis er nicht mehr gebraucht wurde. Ein Parasit!
„Wie hast du mich gefunden?“ war die nächste Frage die dem Gott durch den Kopf ging.
„Weißt du eigentlich wie laut deine Gedanken in der Unterwelt von fast allen Göttern zu hören sind? Dein Hass steht dir förmlich auf die Stirn geschrieben!“ lachte sie laut. „Du kannst von Glück reden, dass dich Odins Tochter nicht schon selber gefunden hat und zur Strecke gebracht hat. Aber lass mich dir helfen! Mir ist diese Zeitreisende eh ein Dorn im Auge. Es dauert sicher nicht mehr lange und sie vereint auch noch die Zwerge unter sich!“ ihr Gesicht verzog sich zu einer wilden Grimassen bei diesen Worten, ihr Lachen klang wie das einer Verrückten. Aber es gefiel ihm auf eine sehr absurde Weise!
„Dann lass uns einen Plan für diese Brut ausarbeiten, damit endlich Ruhe herrscht.“ grinste Hrymr bei dem Gedanken, dass niemand Ruhe in Hel fand weil er so laut war!
Sie mussten eine Person finden, welche völlig unscheinbar war und die niemand wirklich kannte.
Nyx hatte sich mittlerweile in Kleidung dieses Jahrhunderts gezwängt, welche sie wie durch Zauberhand herauf beschworen hatte. Staunend sah er sie an, während sich die Stoffe und ihr Aussehen änderten.
Die beiden machten sich im Anschluss auf den Weg durch die Stadt um sich umzuhören und nach jemand passendem Ausschau zu halten.
Es dauerte eine Weile bis sie ein kleines Geschäft entdeckten, welches völlig unbehelligt an einer Nebenstraße lag.
Auf dem Schild stand „Forbes und Söhne feinste Silberwaren“! Aber was die Aufmerksamkeit Hrymrs weckte war ein kleines Schild im Schaufenster. „Kartenlegen nach Vereinbarung“! DAS war es.
Lee würde sich zu gerne absichern und seine Zukunft erfahren wollen. Aber erst einmal mussten sie die oder den Besitzer kennenlernen.
Eine kleine Glocke über der Tür kündigte ihren Eintritt an und bimmelte erneut, als sie sich wieder hinter ihnen schloss.
Binnen Sekunden stand hinter dem großen Thresen eine ältere Dame mit faltigem Gesicht, grauen langen Haaren die zu einem Zopf geflochten waren und auf ihrer linken Schulter lagen. Sie war nicht besonders groß und schien einen krummen Buckel zu haben.
Sie könnte wie eine dieser Hexen aus den Märchenbüchern stammen. Kicherte Nyx in seinem Kopf.
Erschrocken, dass sie so leicht in seinen Geist dringen konnte, sah er sie an.
Mach das nie wieder! Fauchte er und wandte sich der Verkäuferin zu.
„Wie kann ich ihnen behilflich sein? Suchen sie nach passendem Besteck für ihre Hochzeitstruhe, Miss?“ krächzte die Alte und sah von einem zum anderen.
„Nein, nein. Wir … haben ihr Angebot bezüglich des Kartenlegens bemerkt und ich bin neugierig, wie es sich mit meinem Leben in der nächsten Zeit verhält.“ sprach die Göttin leise.
„Außerdem kennen wir uns noch nicht so lange. Da dachte ich, es wäre hilfreich ein wenig übersinnliche Hilfe zu bekommen um uns näher kennenlernen zu können.“ erklärte Hrymr der Dame weiter.
„So so. Aber das kostet sie etwas, Sir.“ ihre Stimme hatte den Ton eines abgebrühten Händlers angenommen. So leicht war sie wohl nicht zu knacken, ging es ihm durch den Kopf.
„Macht euch um das Geld keine Sorge…“ begann die Göttin sich zu rechtfertigen, als sie unterbrochen wurde.
„Darum geht es nicht. Ich will eure Verschwiegenheit, dass ihr mich nicht einfach so bei der Obrigkeit anschwärzt und als Hexe betitelt!“ dieser Satz kam so entschieden über ihre Lippen, als hätte sie einige böse Erfahrungen damit gemacht.
„Ihr habt mein Wort, gute Frau!“ Hrymr sah ihr lange in die Augen und spürte, wie in ihr die Erkenntnis aufkeimte, dass er kein normaler Kunde war.
„Folgt mir bitte nach hinten…“ sprach sie fahrig mit leicht verschleiertem Blick auf die Göttin neben ihm.
„Was hast du getan? Wir haben doch noch gar …“ flüsterte er, während sie der Alten hinterher gingen.
„Das ist egal. Sie hätte dich fast erkannt. Diese Frau ist wirklich eine Seherin!“ auch Nyx redete möglichst leise.
„Setzt euch bitte…“ bat sie ihre Kunden, damit sie am Tisch mit einer darauf befindlichen Glaskugel Platz nahmen.
Mehr Klischee ging nicht, dachte Hrymr und grinste breit als er sich seinen Stuhl zurecht rückte.
„Mein Name ist Catriona Forbes, mir gehört das Geschäft zusammen mit meinem Bruder Philleanus. Er wird bald wieder hier sein.“ immer noch klang sie abwesend.
Ihre Hände griffen nach einem Stapel Karten rechts neben sich und begann ihn geschickt zwischen ihren Fingern zu mischen.
„Denkt an das, was ihr genau sucht, Miss.“ bat Catriona die Göttin, während sie gebannt in ihre Augen sah. Die Schlange hatte ihre Beute im Visier und hypnotisierte sie!
Sie soll nicht so viele Fragen stellen, ich habe sie in wenigen Minuten völlig eingenommen. Hörte er die Frau neben sich sarkastisch in seinem Kopf reden.
„Können wir beginnen?“ Catrionas Blick wanderte von einem zum anderen und ihre Gäste nickten zustimmend.
Die ersten drei Karten lagen mit dem Bild nach unten auf dem Tisch. Langsam und mit Bedacht kam die nächste Dreierreihe darunter und danach noch eine weitere. Die Hände der alten Frau strichen noch ein letztes Mal sacht über diese 9 Tarotblätter und legten dann die restlichen zur Seite.
„Seid ihr bereit für eure Zukunft?“ die Stimme hatte sich verändert, sie klang fester und klarer! Sie schien sich zu verändern.
Neben sich hörte er ein befehlendes „Nur zu! Sagt mir voraus, was mich erwarten wird!“
Es hatte begonnen!
Nyx war dabei die Dame zu übernehmen. Erst jetzt fragte er sich, was dann mit der Göttin selber, ihrer Form hier am Tisch passieren würde.
Unterbrich mich nicht, aber denk selber darüber nach! Fauchte sie ihm gedanklich entgegen und konzentrierte sich auf ihre Aufgabe.
Der Körper würde ja nicht einfach umfallen, wie es viele glaubten wenn der Geist nicht mehr dort weilte.
Hrymr wusste, dass es möglich war, sich aufzuteilen um keinen Verdacht zu erregen nach außen. Und genauso war es jetzt auch hier.
Die erste Karte wurde aufgedeckt, es begann von oben rechts.
Es war der Magier, daneben lag die Hohepriesterin und neben ihr die Welt!
In der zweiten Reihe darunter befanden sich von links nach rechts der Tod, die Sonne und der Mond.
Jetzt waren die letzten Karten dran.
Von rechts nach links lagen dort Gerechtigkeit, Rad des Schicksals und die Liebenden.
Eine Weile starrten sie alle auf den Tisch um eine Bedeutung und eine Weissagung daraus abzuleiten.
„Die erste Reihe steht für euch beide!“ sprach Mrs Forbes oder war es schon die Göttin die durch sie sprach?
Nein, ich will wissen, was sie sieht! Nyx deutete mit dem Finger an ihren Lippen er möge einfach zuhören.
„Ihr habt erst vor kurzem zueinander gefunden und müsst einen gemeinsamen Weg finden, der für euch passt.“ kurze Schweigeminute der Wahrsagerin und dann setzte sie wieder an. „Die zweite Reihe ist etwas außergewöhnliches und … Tod ist nicht das Ende, aber die Sonne steht für … nein, das kann nicht sein. Der Sohn Odins, Balder! Die Sonne ist sein Zeichen, es gibt nur wenige die dieses Symbol auf ihrer Haut tragen. Der Tod ereilt diejenigen, die sich ihnen in den Weg stellen. Aber der Mond… Die Nacht, die Wölfe… Fenrir!“ plötzlich hielt sie sich den Kopf und schüttelte ihn heftig so als hätte sie Angst weiterzusprechen!
„Jetzt redet schon! Was wird aus uns und Balders Leuten?“ wollte die Göttin lautstark wissen und zum ersten Mal konnte er ihr etwas erklären.
„Mistress Kenway ist eine von diesen Sonnenmenschen! Es gibt nur eine Handvoll von ihnen und einer wurde von ihr persönlich ermordet.“
Hrymr fragte sich, warum der Allvater sie nie für diesen Tod verantwortlich gemacht hat. Im Gegenteil, das Ganze damals mit der HMS Ironside wurde unter den Tisch gekehrt. Doch das musste jetzt warten.
„Aha, dann taucht sie sogar hier in meiner Weissagung auf. Hervorragend!“ fauchte Nyx und lehnte sich genervt in ihrem Stuhl zurück. „Und wie geht es weiter, Catriona?“
„Ich sehe eine von den Schicksalsgöttinnen vorherbestimmte Beziehung zweier Menschen, welche sich der Gerechtigkeit verschrieben haben! Es sind sogar Tyr und … der Allvater involviert!“ ungläubig sah die Dame sie beide an. „Warum tauchen sie in meinen Karten und in meinem Geist auf?“ sie klang immer ängstlicher, was sich auch in ihrem Gesicht deutlich widerspiegelte. Langsam bekam sie Panik, dass hier etwas nicht stimmte.
Bevor er jedoch noch etwas sagen konnte, sah er einen kleinen leuchtenden Faden von seiner Mitstreiterin zur alten Frau aufleuchten. Zufrieden lächelte Zeus´ Tochter ihn an, ehe sie erschöpft aber erleichtert ausatmete.
„So, das wäre geschafft!“ sie klatschte in die Hände und Hrymr sah, wie Mrs Forbes sich lächelnd erhob.
„Jetzt müssen wir nur noch diesen Charles hierher bekommen. Gebt mir das Amulett!“ bat sie ihn und erst jetzt sah er, wie ihre Augen dieses leuchtende Grün Nyx´ angenommen hatten.
„Lasst das meine Sorge sein und du, komm mit. Du brauchst etwas Ruhe.“ er führte seine Gefährtin hinaus ins Freie, nachdem er das in einer kleinen Holzschatulle liegende Schmuckstück übergeben hatte.
Der Anfang ist gemacht, dachte er zufrieden und sie gingen zu seiner Unterkunft zurück.
Die Göttin begann bereits den Laden und alles was damit verbunden war zu verändern. Natürlich nicht für Normalsterbliche, nein. Es war nur für sie selber um später eine Erklärung für diese dämliche Zeitreisende zu haben.
Womit aber niemand rechnete, waren die Götter, welche sich nicht so leicht täuschen ließen und die Unterschiede locker erkennen würden. Aber noch ahnten sie nichts von diesem großen kommenden Unglück!
Nach einer kleinen Verschnaufpause berieten sie sich noch einmal und fassten einen weiteren Plan.
Jetzt hieß es nämlich diesen Lee für sich zu gewinnen und es war Nyx, welche ihn aufsuchen wollte.
„Ich warte, bis er auf die Straße tritt und dann … muss ich wohl etwas improvisieren.“ grinste sie süffisant.
„Nach allem, was man anscheinend mit ihm gemacht hat, dürfte er nicht allzu rosig im Gesicht aussehen. Also kannst du ihn ja auf sein Unwohlsein ansprechen. Außerdem steht es ja auch in der Zeitung, was ihm widerfahren ist.“ kicherte er und stellte sich dieses Häufchen Elend vor, wie es um diese Köter trauerte.
„Also schön, dann sehen wir uns später!“ als wäre sie wie ausgewechselt, sprang sie auf und verwandelte erneut ihre Garderobe in ein etwas teureres Kleid in einem dunkelroten Ton. Der Stoff war mit goldenen Sternen bestickt und silberne Fäden formten Wellen die wie Nebel aussahen. „Kann ich so gehen?“ fragte sie erwartungsvoll und der Gott sah sie mit offenem Mund nickend an. „Gut.“ damit drehte sie sich um und verließ sein Zimmer.
Minuten später erwachte er aus dieser Starre!
So etwas war ihm noch nie passiert. Er fühlte sich zu dieser Frau, dieser Chaosgöttin und Mutter der Nacht hingezogen. Er wollte sie für sich haben.
Das musste vorerst jedoch hinten an stehen. Es gab wichtigeres.
Er begann in den Geist von Nyx zu tauchen um sie zu beobachten. Er schwenkte zwischen ihr in diesem berauschend schönen Kleid und der Ladenbesitzerin hin und her. Einfach nur, damit er nichts verpasste.
Es war mittlerweile später Nachmittag, die Menschen gingen langsam nach Hause, die Geschäfte begannen zu schließen. Die Dämmerung brach über Boston hinein und die Kälte nahm wieder zu.
Mit einem Fingerschnippen entzündete er den Kamin in seinem Zimmer, frieren wollte er am allerwenigsten. Noch war sein Körper geschwächt, fühlte sich aber von Tag zu Tag besser an.
Im Geschäft blieb es ruhig, keine Kunden waren in Sicht. Aber bei Nyx in Person tat sich etwas.
Ein völlig müder Herr mit dunklen längeren ungewaschenen Haaren und dreckiger Kleidung trat auf die Straße vor besagter Unterkunft. Sein Blick ging hastig hin und her, so als fürchte er einen Überfall.
Diese Angst trieb ihn im wahrsten Sinne des Wortes in die Arme der Göttin! Wie durch Zufall lief sie in ihn hinein, als er gerade schnellen Schrittes mit Blick nach hinten über die Schulter die Straße hinunter wollte.
„Oh, verzeiht, Sir. Wo habe ich nur meine Augen!“ lächelte sie ihn an.
„Woher soll ich das wissen, Miss. Ich habe es eilig.“ diese schnarrende Stimme hörte sich mehr als aggressiv an.
Da hat jemand aber schlechte Laune, dachte er grinsend.
„Geht es euch nicht gut, kann ich euch vielleicht behilflich sein.“ sie hatte ihre Hand auf seinen Unterarm gelegt und hinderte Lee so am Weitergehen.
Die Höflichkeit gebot ihm zu antworten.
„Nicht das ich wüsste, es sei denn ihr kennt euch im Bereich von Schutzgöttern aus.“ immer noch klang er leicht ängstlich und aggressiv zugleich. „Mich verfolgen seit einigen Tage böse Träume und… was geht es euch eigentlich an.“ fuhr er die Frau vor sich jetzt überrascht an.
„Ihr müsst demnach Master Lee sein, nehme ich an. Ich las in der Zeitung von eurem tragischen Verlust und kann eure Trauer und Wut nur zu gut verstehen! Und ja, ich kenne mich ein wenig mit solchen Dingen die euch vor dem Bösen schützen können aus.“ ihre Stimme klang so sanft, dass er sich sofort einlullen ließ und ihr ohne weiter nach zu haken folgte.
Männer waren tatsächlich leicht zu manipulieren, wenn sie nicht gerade einen Beschützer an ihrer Seite hatte wie dieser schnöselige Haytham! Was hatten sich Odin und Tyr eigentlich dabei gedacht, ihm diese Macht zu verleihen?
Vielleicht bekäme er ja irgendwann einmal eine Antwort.
Vor dem Laden blieben sie stehen und er sah die beiden eintreten. Ab jetzt war es etwas schwierig, sich nur auf eine Dame zu konzentrieren.
Hrymr beschloss daher die Verkäuferin im Auge zu behalten.
„Wie kann ich ihnen beiden behilflich sein?“ fragte die besessene Catriona ihre vermeintlichen Kunden.
„Ich hörte, ihr beschäftigt euch mit Schutzamuletten und diversem Räucherwerk um das Böse zu vertreiben?“ fragte die Göttin unschuldig nach.
„Da seid ihr hier tatsächlich an der richtigen Adresse! Folgt mir nach Hinten und ich zeige euch ein wunderschönes Amulett welches wie durch göttliche Hand gemacht scheint.“ grinste die ältere Dame nun auch Lee breit an.
Dieser versuchte sich nichts anmerken zu lassen und sagte, er wäre dankbar für diese Hilfe.
Im hinteren Bereich, wo auch die Wahrsagerei stattfand, stand die Schatulle auf dem kleinen Tisch mit der Glaskugel. Als Mrs Forbes in ihre Nähe kam, begann sie etwas zu leuchten und ließ Master Lee staunen.
„Wie macht ihr das? Seid ihr wirklich gesegnet mit dem dritten Auge?“ diese Euphorie in seiner Stimme ließ ihn plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen. Freundlicher, zufriedener und vor allem erleichterter.
„Sir, das bin ich und vertraut mir. Euch kann mit diesem wunderbaren Amulett nichts Böses mehr widerfahren!“ die Stimme Catrionas klang voller Überzeugung welche auf ihren männlichen Kunden sofort übersprang.
Sie reichte das runde Schmuckstück langsam an ihn weiter, so als sei es ein rohes Ei. Als es seine Handinnenfläche berührte, leuchteten die Runen darauf auf.
„Ich kann es fühlen! Das ist unglaublich! Was verlangt ihr dafür?“ Hastig band er es sich um den Hals und steckte es unter das schmuddelige Hemd.
„Nun … eigentlich reicht es, wenn ihr mich weiterempfehlen würdet. Lasst einen kleinen Obolus für mich hier. Ich als arme Witwe bin für jeden Penny dankbar.“ antwortete sie in bescheidenem Tonfall.
Charles langte in seine Jackeninnentasche, holte eine Geldbörse hervor und warf sie einfach auf den Tisch.
„Ich kann euch nicht genug danken, Miss! Nehmt dieses Geld, bei euch ist es in besseren Händen.“ diese Erleichterung in seiner Stimme war überraschend, aber zugleich auch belustigend. Ja, die Menschen waren sehr sehr leicht zu manipulieren. Man musste ihnen nur das geben, was sie so dringlich benötigten.
Gemeinsam gingen Charles und die Göttin hinaus auf die Straße.
Lee atmete tief durch ehe er sich zu seiner Begleiterin umdrehte.
„Ich danke euch für eure selbstlose Hilfe, Miss. Kann ich euch vielleicht noch auf ein Ale einladen?“ in seinen stechend hellen Augen erkannte man den Wunsch, den Abend nicht alleine verbringen zu wollen.
„Es tut mir leid, aber ich werde bereits von meinem Gatten erwartet.“ gespielt schüchtern senkte sie ihren Blick, reichte ihm aber ihre Hand zum Abschied.
„Dann … lasst euch nicht aufhalten, Miss. Auf ein Wiedersehen.“ er küsste sanft ihren Handrücken und wandte sich dann in Richtung Union Street um.
Das war knapp! Seufzte seine Gefährtin erleichtert und kicherte dabei.
Kurz darauf erschien sie wieder in seinem Zimmer und ließ sich stöhnend auf dem Bett nieder.
„Der Mann sollte dringend mal wieder ein Bad nehmen, am besten mit seiner Garderobe zusammen. Wie kann man nur so ungepflegt herumlaufen?“ angewidert schüttelte sie sich.
„Manche Menschen haben Angst vor Wasser, ob du es glaubst oder nicht.“ lachte Hrymr, weil auch ihm schon diverse undefinierbare Gerüche von diesen Körpern entgegen geströmt waren.
„Und was machen wir jetzt?“ Nyx stützte sich mit den Händen nach hinten auf dem Bett ab und betrachtete ihn lauernd.
„Vielleicht möchtest du lieber mir Gesellschaft leisten?“ in seiner Stimme klang ein lüsterner Unterton mit.
„Teste es und lass uns schauen, was wir anstellen können!“ so schnell dass sein Auge es nicht einmal wahrgenommen hatte, stand sie vor ihm, schmiegte sich an seinen Körper und begann sein Hemd aufzuknöpfen.
Wenn man bedachte, dass sie sich erst wenige Stunden kannten …
„Ach was solls.“ damit hob er sie auf seine Hüften und trug sie wieder zum Bett.
Dieses mal passierte das genaue Gegenteil mit ihrer und seiner Kleidung. Sie verschwand und ließ ihn ihre nackte Haut betrachten.
Die nächsten Stunden ließen sie ihrer Lust freien Lauf, achteten nicht auf die hier ebenfalls eingemieteten Gäste und deren Klopfen oder Schimpfen.
Noch nie hatte er sich so verstanden gefühlt wie mit dieser Göttin der Nacht.
Doch jede schöne Zeit hat ein Ende!
Das mussten sie beide schon bald feststellen.
„Verdammt, Odins Tochter hat das Amulett! Sie hat gespürt, dass es von euren Göttern gemacht worden ist. Charles ist aber auch wirklich zu dämlich!“ wütend schlug sie mit den Fäusten auf die Matratzen.
„Dann sollten wir uns wappnen und sie im Auge behalten!“ beide machten sie sich in Windeseile wieder vorzeigetauglich und eilten auf die Straße um diese Frau aufzuspüren.
Es dauerte nicht lange, bis Nyx wortlos auf eine rennende Frau in Templermontur deutete. Sie hielt auf ein altes Wohnhaus unweit der Unterkunft Hrymrs zu. Was suchte sie dort?
„Siehst du nicht die verblassenden Formen alten Lebens? Hier war nicht immer ein normales Haus. Ein Geschäft war hier ansässig. Merkwürdig, woher weiß sie das?“ die Göttin sah weiter gebannt zu, wie Alex frustriert die Passanten befragte, ob sie hier etwas verdächtiges gesehen hätten.
Plötzlich grinste sie breit.
„Du glaubst gar nicht, was sie erst vor wenigen Stunden hier erworben hat. Eine Art Karte zu einem verschollen geglaubten Artefakt, welches auf ihrer Liste steht. Wer aber hat sie ihr verkauft?“ nachdenklich rieb sie sich über ihr Kinn.
„Sei vorsichtig wenn du ihren Geist auch noch infiltrierst. Nicht, dass du dich übernimmst und wir auffliegen!“ maulte er sie an. Mehr aus Angst erwischt zu werden, als um Sorgen um die Göttin selber.
Sie sahen nur noch wie diese Frau unverrichteter Dinge wütend und frustriert von dannen zog. Sie würde noch eine Weile im Dunklen tappen müssen, es sei denn Charles würde ihr sagen, wo genau sie suchen musste um den Verkäufer zu finden. Darauf hofften sie beide, aber das würde heute nicht mehr passieren. Es war später Abend, es war kalt und dunkel.
Für heute hatten sie ihr möglichsten getan und beschlossen ebenfalls wieder ins Warme zu kommen. Wer weiß, wann sie morgen auf den Plan gerufen wurden.
Master Lee wird sicherlich seinem Meister Bericht erstattet haben, nachdem man ihm seines Schutzes beraubt hatte.
Noch immer würde Hrymr zu gerne wissen, weswegen der Herr einen solchen Hass auf diese Frau hatte. Er beruhte auf Gegenseitigkeit, keine Frage. Doch Neugierde war gerade Fehl am Platz.
Erschrocken fuhren sie beide am Morgen von ihrem Nachtlager vor dem warmen Kamin hoch!
„Es ist soweit!“ rief er seiner Gefährtin zu, welche sich schnell wusch und sich warme und praktische Kleidung anzog. Was man denn so anziehen bei ihr nennen konnte. Er selber hüllte sich ebenfalls in warme Hosen, ein Hemd und einen Umhang.
Die Kälte an diesem Morgen drang einem in die Knochen und er bedauerte es, nicht als Gott hier herumlaufen zu können.
„Ich habe dich erlebt letzte Nacht und bin sehr angetan von dir.“ hauchte Nyx lasziv und zwinkerte ihm zu.
Sie würden das Ganze heute sicherlich noch einmal vertiefen.
Es gäbe ja auch gewiss etwas zu feiern! Seinen Erfolg! Denn er hatte gesehen, wie Familie Kenway mit zwei Kindern aufbrach, aber Helena schutzlos, nunja fast, in der Herberge ließen. Noch konnte er nicht zugreifen, weil auch diese Faith mit ihrem Gefolge noch dort anwesend war.
Vorerst musste er sich auf eine Konfrontation mit Alex einstellen. Bisher kam er recht unbeschadet, was man von der Naglfar ja leider nicht behaupten konnte, davon.
„Wenn sie dann im Laden abgelenkt sind, werde ich mich davonstehlen und mir meinen Schatz holen. Sie wird mir gehören, sie ist die Zukunft für den mächtigsten Zeit- und Weltreisenden! Ich kann es schon vor meinem geistigen Auge sehen!“ frohlockte er aufgeregt, als sie sich auf den Weg machten.
Eigentlich war Helena mit ihrer Mahlzeit dran, aber das musste jetzt hintenan stehen!
In meiner Panik rannte ich den Weg, welchen ich am Morgen eingeschlagen hatte, entlang um mich zu vergewissern, ob dieses Geschäft wirklich nicht mehr da ist.
„Mord in einer Herberge! Verwirrter älterer Herr beschuldigt unschuldige Frau als Hexe und Mörderin seiner Hunde! Kommt es zu einem Prozess oder hat er vielleicht in einem Wahn seine Hunde selber umgebracht? Lest alles heute in der neuesten Ausgabe des „Boston Advertiser“!“ hörte ich einen Zeitungsjungen aufgeregt die neuesten Nachrichten ausrufen. Aber auch das musste fürs Erste warten.
Außer Atem kam ich eine viertel Stunde später vor dem Gebäude an!
Es war ein einfaches Wohnhaus, von einem Laden keine Spur. Hier war wirklich nichts mehr.
Ich zog das Amulett aus meiner Rocktasche und besah es mir erneut in der Hoffnung auf Erleuchtung!
„Kann ich euch behilflich sein, Madame?“ fragte ein älterer Herr zögerlich und holte mich aus meinen Gedanken damit.
„Nein, oder vielleicht doch. War hier vielleicht einmal ein Ladengeschäft untergebracht?“
Sein Blick ging zur Eingangstür und wieder zu mir.
„Nicht das ich wüsste, aber ich lebe auch nicht hier in Boston. Ich bin nur zu Besuch.“ lächelte er jetzt entschuldigend.
Frustriert stieß ich einen Seufzer aus, dankte ihm und ging in die Seitengasse neben dem Haus. Vielleicht war im Hinterhof ja etwas zu finden. Ich krallte mich an jeden Strohhalm in diesem Moment.
Aber auch dort wurde ich nicht fündig.
Etwas ließ mich aber immer wieder erschauern. Ich fühlte mich beobachtet, nahm jedoch keinerlei rote Auren um mich wahr. Was war es, dass mich hier in Boston schon fast paranoid werden ließ?
Langsam ging ich wieder zurück zu unserer Unterkunft und grübelte darüber nach, woher dieses Arschloch so ein Amulett haben könnte. Vielleicht sollte ich ein wenig in seinem Gedächtnis herumstöbern, dachte ich grinsend und schüttelte grinsend den Kopf weil ich noch gar nicht auf die einfachste Lösung gekommen war.
Vor unserer Unterkunft sah ich wieder diesen Zeitungsjungen, welcher immer noch von diesem Mord berichtete und ich kaufte eine Ausgabe. Wer weiß, was sich die Schreiber so ausgedacht hatten.
Sekunden nachdem ich die Tür zum Schankraum geöffnet hatte und eingetreten war, eilte mir Sybill entgegen.
„Ihr müsst jetzt wirklich Helena füttern, sie schreit das ganze Haus zusammen!“ sie ergriff meinen Arm und zog mich nach oben zu unseren Räumlichkeiten, wo ich meine Tochter bereits hörte.
„Min lille solstråle, entschuldige, dass du so lange warten musstest.“ sprach ich leise als ich sie auf meinem Arm hatte. Schnell lockerte ich das Mieder und schob das Unterkleid etwas zur Seite. Als sie anfing zu trinken, fühlte ich auch wie dieser Druck wieder nachließ in meiner Brust. Ich hatte das in der Aufregung völlig ignoriert!
Florence hatte sich wie üblich neben mich gesetzt und las leise eine Geschichte vor. Mittlerweile konnte sie schon recht flüssig einen Text wiedergeben.
Nachdem meine Jüngste satt und frisch gewickelt war, ging ich hinunter in den Schankraum zu den anderen um endlich zu Abend zu essen. Mir knurrte jetzt auch der Magen.
„Hattest du Erfolg bei deiner Suche?“ fragte Faith nach.
„Nein, leider nicht. Aber ich werde es ganz einfach herausfinden.“ wir sahen uns nur grinsend an, weil auch sie wusste, was ich meinte.
„Ich hätte ja fast vergessen euch noch die neueste Ausgabe des Advertisers zu zeigen.“ lachte ich, faltete die Zeitung auf und begann vorzulesen.
„In der Nacht auf den 15. Dezember 1773 kam es zu einem
tragischen und mysteriösen Zwischenfall in einer Herberge in
der Union Street unweit einer gut besuchten Taverne
namens Green Dragon.
Ein Herr mit Namen Charles Lee, in seinen Vierzigern und
angesehener Offizier in der Kontinentalarmee, berichtete von
einem Heimtückischen Mord an seinen geliebten Spitzen.
Er sei morgens aufgewacht, durchgefroren und völlig verwirrt,
als er bemerkte, dass ihn seine Hunde nicht begrüßten. Besorgt ging er
zu ihren Körben, wo sie – im ersten Moment zumindest – friedlich
schliefen. Doch dann bemerkte er die Blutspuren und als er die Körper
berührte, erstarrte er, genau wie diese Leichen bereits erstarrt waren.
Laut seiner weiteren Aussage sei nur EINE Person dafür verantwortlich
und zwar eine Hexe, die schon oft in Boston oder auch New York,
ihr Unwesen getrieben hatte.
Alexandra Kenway sei ihr Name und ihm wohlbekannt. Die Dame
selber stritt aber jegliche Involviertheit ab, sie hätte friedlich in ihrem
Bett geschlafen und nichts gehört.
Master Lee macht jedoch leider den Eindruck, als sei er selber etwas
Wirr im Kopf und war permanent dabei sich gehetzt umzusehen,
während er alles zu Protokoll gab.
Wir werden sie auf dem Laufenden halten zu den neuesten
Berichten im Falle der Hexe von Boston!“
„Bei Odin! Mit wem habe ich denn bitte gesprochen oder habe ich eine böse Zwillingsschwester von der ich nichts weiß?“ ungläubig schüttelte ich den Kopf, während die anderen genauso ratlos waren.
„Vor allem muss Lee ja postwendend heute früh zur Zeitung geeilt sein.“ grübelte Haytham neben mir.
Vermutlich als er auf dem Weg war, dieses Amulett zu kaufen!
Das würde noch spannend werden, dachte ich im Stillen und widmete mich meinem Ale.
Als die Kinder schliefen machte ich mich noch einmal mit meinem Mann und Connor auf den Weg zum Hafen um die Lage zu inspizieren. Es war wichtig zu wissen, wie viele Soldaten hier patrouillierten, wie ihre Laufwege waren, wann Wachablöse war und so weiter. Das Ganze in Augenschein nehmen dauerte etwa eine Stunde und wir hatten einen groben Plan für morgen im Kopf.
„Meine Truppe wird dafür sorgen, dass die Soldaten abgelenkt werden. Wir werden sie in Kämpfe verwickeln und ich hoffe, dass nicht allzu viel Blut fließen wird.“ seufzte Haythams Sohn.
„Das hoffen wir auch. Währenddessen kann ich mich mit Faith auf eines der großen Handelsschiffe schleichen und dort warten, bis du den Befehl gibst. Wie viele Leute werden überhaupt auf den Schiffen mithelfen?“ hakte ich nach, weil wir darüber noch gar nicht gesprochen hatten.
„Wir haben eine zweite Gruppe aus über 20 Männern und Frauen.“ sagte Connor stolz und sah wieder zum Hafenbereich.
„Stattlich! Damit sollten wir zurecht kommen.“ mein Templer klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Täuschte ich mich, oder war zwischen ihnen Ruhe eingekehrt?
Zurück in der Unterkunft war ich dankbar auch endlich ins Bett gehen zu können. Doch zuerst sollte ich mich Lee widmen.
„Mi sol, lass ihn heute in Ruhe. Er hat einiges mitgemacht und sollte …“ begann er mal wieder seinen Schützling zu verteidigen.
„Müssen wir das ernsthaft jetzt diskutieren? Du kennst meine Meinung zu ihm, er wohnt hier mit uns unter einem Dach und ich bin geblieben. Das heißt aber nicht, dass ich ihn in Frieden leben lasse! Außerdem will ich nur wissen, woher er den Anhänger hat.“ ich fühlte diese Wut auf meinen Mann und die auf Charles hochkochen.
Grinsend sah mich Haytham an, sagte aber nichts.
„Was ist?“ fauchte ich und kämmte wütend meine Haare. Magda war schon zu Bett gegangen, also musste ich alleine durch dieses Wirrwarr auf meinem Kopf.
„Ich habe mit ihm gesprochen als du einfach so los gerannt bist.“ er machte eine Pause und stellte sich hinter mich. Sanft legte er seine Hände auf meine Schultern. „Er hat es von einer älteren Damen bekommen, die ihm von einem seiner Handlanger empfohlen worden war sagte er. Charles´ Aberglaube lässt ihn jeden misstrauisch beäugen und er sucht daher einfach etwas womit er sich und diese Gedanken an Dämonen vertreiben kann.“ seine grauen Augen sahen mich im Spiegel erwartungsvoll an.
„Ja, und jetzt? Wo ist diese Frau, wie heißt sie!“ damit ich nicht noch mehr aus der Haut fahre, bearbeitete ich die Bürste mit meinen Händen in meinem Schoß.
„Catriona Forbes! Eine Heilerin, laut seiner Aussage. Außerdem könne sie hellsehen! Ob da wirklich etwas dran ist, kann ich nicht sagen. Sie hat einen kleinen Laden in der Nähe der Garnison. Wir könnten sie ja morgen aufsuchen im Laufe des Tages und zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Die Lieferung der Getränke muss ja überwacht werden.“ er war so zufrieden mit sich, dass er angefangen hatte meine Schultern durchzukneten.
Auf der einen Seite tat das gut, aber ich war immer noch sauer auf ihn.
„Komm ins Bett, du brauchst deinen Schlaf, mi sol.“ flüsterte er dicht an meinem Ohr und mir lief eine wohlige Gänsehaut über den Rücken.
Er zog mich hoch und half mir aus meinem Morgenrock. Wie in Zeitlupe schob er mich auf unser Bett zu, begann mich zu küssen und … verdammt. Er kannte mich einfach zu gut. Binnen Sekunden zerfloss ich bei seinen Berührungen und klammerte mich an ihn.
Erst jetzt spürte ich, wie sehr ich unsere Zweisamkeit vermisst hatte und genoss jeden Moment dieser Nacht.
Meine Aufregung wegen des morgigen Tages war verflogen, mein Geist ruhiger und ich schlief selig in seinen Armen ein.
~~~
Eine Eiseskälte weckte mich als ich mich zu meiner persönlichen Wärmequelle drehte.
Mit geschlossenen Augen tastete ich auf seine Seite, aber dort war niemand. Langsam wurde ich ganz wach und begann zu zittern.
„Guten Morgen, mi sol.“ Haytham stand am offenen Fenster um sich ausgiebig zu strecken.
„Sag mal, willst du, dass ich mir hier den Tod hole? Entweder machst du das Fenster zu, oder kommst wieder zu mir unter die Decke.“ bibberte ich maulig.
„Wir haben keine Zeit, leider. Hopp! Raus den Federn!“ rief er lachend, schnappte sich meine beiden Bettdecken und zog sie mit Schwung weg.
„Och … ey man …“ man konnte die Gänsepelle auf meinem Körper vermutlich auch aus 2 Kilometer Entfernung locker erkennen!
Als hätten sich mein Mann und unsere Jüngste abgesprochen, begann sie leise zu jammern in ihrem Bettchen. Ich zog mir den Morgenrock über und schlupfte in meine warmen Puschen mit Fellbesatz um keine Eisfüße zu bekommen. Gähnend schlurfte ich zu ihr, nahm sie hoch und wickelte sie fest in ihre dicke Decke.
Ihre Augen sahen mich aufmerksam und hellwach an, als ein leichtes Lächeln in ihrem Gesicht auftauchte.
„Schau, unsere Leni ist ein Morgenmensch.“ stellte ich kichernd fest.
Haytham ging an mir vorbei zum Kleiderschrank um sich seine Garderobe für heute rauszusuchen und kniff mir zwinkernd in den Po.
„Wenigstens hat sie etwas von mir geerbt.“ auch er gluckste leise vor sich hin.
Nach dem Frühstück mit unserer gesamten Truppe, die jetzt schon aus stattlichen 8 Personen bestand, machte ich mich mit meiner Familie auf den Weg zu der besagten alten Damen. Master Lee würde erst später zu uns stoßen, weil ihm eine schlaflose Nacht umtrieb.
Grinsend konnte ich mir denken, wer dafür verantwortlich war und malte mir schon aus, was ihn heute in der Geisterstunde erwarten würde.
Ich hatte einige böse und blutige Horrorfilme aus meiner Zeit im Kopf und Zombies kamen immer gut an!
„Mama, warum grinst du so? Bist du gar nicht aufgeregt wegen heute Abend?“ fragte Florence unschuldig nach als wir einige Zeit bereits unterwegs waren. Wir gingen zu Fuß, da die Händlerin nur wenige Straßen von uns entfernt ihren Laden hatte.
„Oh, ich habe mir überlegt, was ich für euch zu Weihnachten noch besorgen wollte.“ log ich.
„Wirklich? Ich habe aber was anderes gesehen und das ist nicht zum Lachen.“ etwas verängstigt sah sie mich an.
Ich versuchte meiner Tochter jetzt ein wenig zu erklären, woran ich ab und an dachte. Ich konnte das 20. und 21. Jahrhundert schlecht aus meinen Erinnerungen verbannen.
„Dann ist das nicht echt, Mama? Ist das wie im Theater, von dem Vater erzählt hat?“
Ich nickte zur Bestätigung und nahm ihre Hand.
Je näher wir besagtem Geschäft kamen um so mehr fühlte ich eine mir sehr bekannte Präsenz. Hier waren Götter am Werk! Meine Götter!
Edward neben mir blieb mit einem Male abrupt stehen und starrte auf den Laden vor uns.
„Da gehe ich nicht rein!“ ich sah wie seine Hand nach seinem Schwert tastete, genau wie Haythams auch.
Auch ich hatte keine gutes Gefühl hier. Eine Macht die ich aber irgendwie bereits kannte bemächtigte sich meines Geistes.
Plötzlich spürte ich den Ring an meinem Finger wie er mir fast die Haut verbrannte.
Vor meinem geistigen Auge sah ich einen großen Hund, dreiköpfig und sabbernd auf mich warten vor dieser Tür.
Mir lief der Angstschweiß zwischen meinen Brüsten herunter und am Rücken klebte mir mein Hemd bereits.
Was bitte hatte Kerberos mit … weiterdenken konnte ich nicht und hatte das Gefühl zu fallen.
Ich wanderte in einem Wald herum, hörte das Rascheln der Blätter in den Baumkronen, die leisen Geräusche der Tiere, welche hier lebten und das Rauschen von Wasser.
Grinsend ging ich durch das knöchelhohe Gras.
„Hier war ich doch schon mal! Mit Faith damals!“ freute ich mich und marschierte weiter, suchte den Bach, welchem ich bis zur Höhle folgen konnte.
Dieses Zwielicht war nicht den dichten Baumkronen zuzuschreiben, sondern es herrschte eine ganz natürliche Dunkelheit, die sich um mich bewegte. Ich hatte das Gefühl, ich könne sie mit den Fingern berühren, aber immer tastete ich nur kalte leere Luft.
„Warum bist du mit Tante Faith in einem Wald gewesen?“ hörte ich meinen Sohn misstrauisch fragen und sah mich erschrocken nach ihm um.
Er stand vor mir, aber nicht als 10jähriger Junge! Er überragte mich, genau wie sein Vater und seine graublauen Augen leuchteten seicht.
Neben ihm stand Florence, ebenfalls als erwachsene Frau! Ihre Haare waren jetzt dunkler, aber in ihrem Gesicht erkannte ich mich wieder.
„Mama, was ist denn los?“ hörte ich eine andere weibliche Stimme und drehte mich weiter. Dort stand eine hübsche hellblonde Frau mit wunderschönen blauen Augen und reichte mir ihre Hand.
„Helena?“ hauchte ich und trat auf sie zu.
„Mit wem hast du denn sonst gerechnet?“ lachten sie alle drei gemeinsam und dann sah ich auch noch meinen Mann neben sie treten.
Er sah älter aus, graue schulterlange Haare, feine Falten um die grauen Augen und eine mir noch unbekannte Narbe prangte auf seiner linken Schläfe.
„Mi sol, komm. Wir wollen keine Zeit verlieren. Reden können wir später. Wir müssen weiter!“ mahnte er mich und gemeinsam gingen wir fünf einen kleinen Trampelpfad entlang, der sich vor uns auftat.
Ich fühlte mich mit einem Male irgendwie fehl am Platz.
Dennoch folgte ich meiner Familie und nach kurzer Zeit erreichten wir einen Eingang zu einer Höhle, die mit einem großen Tor gesichert war.
Je näher wir kamen um so mehr begann es zu leuchten und pulsieren. Ebenso der Ring und mein Armreif. Beide Schmuckstücke fühlten sich warm an.
Öffne es! Hörte ich eine raue sehr unangenehme Stimme. Den Ursprung konnte ich aber nicht ausmachen, keine Richtung.
Ich sah von einem zum anderen, aber sie waren wie hypnotisiert und starrten die Gitter des Eingangs an.
Denk an die Portale! Wieder sprach jemand unbekanntes zu mir.
Mein Blick wanderte zu meinem goldenen Schmuckstück an meinem Handgelenk und ich legte meine andere Hand darauf.
Eine Tür! Ich stellte mir eine Tür zu einem … Geschäft vor. Nein, Moment! Wir waren hier vor einer Höhle, oder nicht.
Was haben wir dich gelehrt? Nicht alles ist so wie es scheint! Mach weiter! Jetzt klang der Unterton leicht gereizt und ein Schnaufen war auszumachen.
Also schön …
Vor meinem inneren Auge sah ich den hölzernen Eingang des Ladens vor mir mit einer reich verzierten Klinke aus Messing. Glühende Runen tauchten auf Augenhöhe auf der Tür auf.
Es wartet der Wächter auf euch! Stand dort und vorsichtig drückte ich die Klinke hinunter.
Wie durch Zauberhand schwang die Tür auf und offenbarte einen großen Raum mit einem unheimlich wirkenden grün-bläulich schimmernden Nebel.
Mein Blick wanderte von einem zum anderen! Sollten wir hier wirklich eintreten? Etwas in mir wollte unbedingt dort hinein, aber ein kleiner Funke in meinem Hinterkopf stoppte mich. Die Vorsicht!
Ich war schon zu oft einfach vorgeprescht und es hatte nicht immer einen guten Ausgang genommen.
Beim Allvater! Komm jetzt endlich! Fauchte diese fremde Stimme und etwas zog uns in diesen Dunst.
Nachdem sich meine Augen an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten und ich mich langsam orientieren konnte, sah ich einen Thresen vor mir aus Holz. Die Wände waren uneben und aus dem Berg gehauen. Schiefe Regale waren entlang der rechten Seite von uns, auf denen einige Klumpen glühenden und leuchtendem Metall oder Edelstein lagen. Links waren Werkbänke aufgebaut, wo oberhalb das Werkzeug zur Bearbeitung fein säuberlich aufgereiht war.
Erst jetzt bemerkte ich, dass alles niedriger als für uns Menschen war und ich hielt erschrocken inne.
Wir waren nicht wirklich in Svartálfaheimr, der Wohnstätte der Zwerge? Aber … hier ging es doch um eine Hellseherin?
Meine Gedanken wirbelten wie in einem Sturm umher, während ich weiter Ausschau nach etwas hielt, das mich an meine eigentliche Mission erinnerte.
„Ihr habt endlich den Weg hierher gefunden! Das freut mich!“ hörte ich einen Herren vor mir und musste nach unten sehen.
Mir entglitt ein fast irres Lachen, weil ich nicht wusste, ob man mich auf den Arm nehmen wollte oder mich testen wollte.
„Alex, sei still.“ mahnte mich Haytham neben mir und sein Gott stand an seiner Seite.
Erst jetzt bemerkte ich die Götter um uns.
Odin und Thor standen dicht neben mir und Edward, Florence sah selig lächelnd zu Brünhild, die hinter ihr stand.
Und bei Helena schwebte ein heller Nebel um sie herum, welchen sie mit ihren Händen hier und da wieder in Form brachte.
„Du bist noch nicht überzeugt, nehme ich an?“ hakte der kleine Mann vor mir nach.
„Nein, warum sollte ich?“ meine Nervosität war kaum zu unterdrücken, ich hasste es, wenn man mich zum Narren hielt oder etwas vor mir geheim halten wollte. Und genau dieses Gefühl brach sich Bahn!
Ich spürte die Zeichen auf meiner Haut, fühlte diese Wut auf meine Götter und griff nach meiner Axt an meiner rechten Hüfte.
Mich hielten Arme auf, die sich um mich schlangen und mich unter den Stoff eines Umhangs zogen.
Du bist dort, wo wir dich brauchen! Diese kleine Schmiede ist nichts im Vergleich mit der großen weiter unterhalb in dieser Welt! Hier jedoch konnten wir ein einzigartiges Artefakt schmieden mit der Hilfe von einem erfahrenen Schmiedezwerg. Nein, hier findest du nicht Sindri oder Brokkr!
Natürlich wusste mein Allvater, dass mir das als erstes in den Sinn kam, verdammt.
Hör auf zu fluchen, dass steht dir nicht gut zu Gesicht, Tochter!
Erstaunt sah ich unter seinem Umhang zu ihm auf. In seinem Gesicht erschien ein Lächeln!
Ich habe es zu selten gesagt, oder?
Du hast mich nie so genannt und woher sollte ich auch wissen, wer im weitesten Sinne mein Vater ist. Flüsterte ich, als ich meine Arme um ihn schlang.
Dieser wärmende Umhang fühlte sich nach Zuhause und Schutz an.
Mich durchströmte im wahrsten Sinne eine Liebe, die schier übermächtig war und ich sah, wie schon ein paar Mal in meinen Träumen, meine Welt vor mir, die mir eigentlich vorherbestimmt sein sollte. Aber ich würde sie erst in diesem Leben richtig erkunden können.
Der Allvater ließ mich einen Blick auf Asgard werfen, wo drei Frauen an der großen Tafel in seiner Halle saßen.
Das sind Skuld, Andarta und Vör! Sie werden dich bald an weitere Fähigkeiten führen und du wirst deine Bestimmung erfahren. Soviel sei gesagt, diese Momente in welchen du das Gefühl hast zu wissen, was gleich passiert, kommen nicht von ungefähr. Das Blut der Norne der Zukunft fließt durch deine Adern!
Vor meinem inneren Auge sah ich sie lächelnd auf mich zukommen. Ihre Hände legten sich auf meine Wangen und ihre bernsteinfarbenen Augen sahen mich durchdringend an.
Gemeinsam wachen wir über die Zeiten und das Schicksal der Menschheit. Ich werde dich sicher bald unterrichten können und dich heranführen an das, was dich noch erwarten wird.
Sprachlos hielt ich mich an meinem Allvater fest.
Das Schicksal, die Nornen! Ich hatte mich also wirklich nicht getäuscht und ihren Ruf immer wieder vernommen! Meine Zeitreise war ein Teil meiner ganz eigenen Macht!
Und jetzt weißt du ein wenig mehr über das, was dich noch erwarten wird!
Langsam entließ mich mein Göttervater aus seiner Umarmung!
Um mich sah ich meine Familie, welche mich anlächelte.
„Ihr solltet euch etwas umsehen, denn wir stehen vor den Toren zu Gnipahellir und wir haben die besten und widerstandsfähigsten Materialien zum Schmieden der mächtigsten Artefakte.“ erzählte der Schmied mir und zeigte stolz auf die Regale und Werkbänke.
Langsam beruhigte ich mich, sah mich um und nahm hier und da etwas in die Hand. Alles fühlte sich warm an, so wie ich es von meinen Göttern gewohnt war.
„Aber … dieses Amulett…“ ich holte es hervor und reichte es dem Schmied. „Es ist nicht alleine von hier. Ich spüre noch etwas anderes.“ äußerte ich meinen Verdacht.
„Ja, hier haben wir noch einen kleinen wirklich nur winzigen Einfluss dieser Vorläufer verankert. Aber keine Sorge, dass hat nur den Grund, das …“ mit großen Augen sah er uns an. „... Sterbliche nicht hierher finden!“
Lee war aber ein stinknormaler Idiot des 18. Jahrhunderts!
Diese Erkenntnis sah ich im Gesicht des Zwerges aufkeimen.
„Jemand hat ihn hierher geführt!“ rief er und plötzlich strömten ein dutzend seiner Gefolgsleute aus den Schatten zu uns!
Mir lief es eiskalt den Rücken herunter! Wer hatte sich Charles´ Geist bemächtigt? Wer würde so bösartig denken und …
„Hrymr!“ riefen Haytham und ich gleichzeitig und unsere Kinder sahen sich ängstlich um.
Sie waren zwar in der Gestalt von Erwachsenen, aber hatten dennoch eine völlig normale Angst wie wir alle in sich.
„Das … ist unmöglich!“ dachte Haytham laut und zog langsam sein Schwert, als würde er etwas spüren.
Aber wir alle hatten dieses unangenehme Kribbeln im Nacken und gingen in die Defensive!
Garm der Wächter der Unterwelt würde sich nie mit diesem abtrünnigen Gott abgeben und ihn auch noch unterstützen! Woher kam also dieser Einfluss?
„Folgt mir, wir werden … sein Reich betreten müssen um Klarheit zu bekommen!“ sprach der Schmied leise und seine Hand zitterte, als er seine Axt ergriff.
Diese Höhle war größer als erwartet!
Mein Bild im Kopf von der Unterwelt war … ja, die Dunkelheit und Helheim! Noch nie war ich hier, oder doch? Gab es noch ein weiteres Leben, welches mir noch nicht gezeigt worden war?
Gehe mit ihm, vertrau mir. Odin war voller Zuversicht und ließ mich ohne Angst weitergehen. Ich war nie alleine, nicht wahr?
Je tiefer wir in diese Höhle vordrangen und je steiler die Wege nach unten gingen, um so mehr fühlte es sich falsch an. Wir sollten hier nicht sein!
Ein leises Knurren aus der Entfernung erschreckte uns und wir hielten inne.
Hier waren die Gänge mit leuchtenden Pilzen ausgekleidet, die uns den Weg erleichterten. Aber der Geruch war seltsam.
Es roch nach nassem Hund!
Als wir um die nächste Ecke eines schmalen Ganges traten, sahen wir ihn.
Garm!
Er lag auf seine Pfoten gestützt mit seinen drei Köpfen und schien vor sich hin zu dösen. Langsam traten wir näher und plötzlich schoss er in die Höhe!
Die Mäuler weit aufgerissen, die Häupter in unsere Richtung gedreht, sah uns dieser monströse Hund an. Höllenhund! Das traf ihn am besten. Wer ihm begegnet kommt selten lebend daraus.
Um uns hörten wir eine laute Stimme, die mir wohlbekannt war!
Hrymr!
„Dieser Lee ist ein gefundenes Fressen für uns Götter der Unterwelt. Er ist so leicht zu beeinflussen, so leicht zu manipulieren. Es war mir eine Freude ihn hierher zu locken um ihm dieses Amulett zu geben und jetzt bist du hier! Mehr wollte ich nicht!“
Es war eine Falle!
Wir waren alle blindlings hinein getappt!
Wie aufs Kommando zückten wir alle unsere Waffen und gingen in die Verteidigung! Ich würde mich nicht wieder von ihm einlullen lassen! Nie wieder!
„Ach komm schon, das hast du doch schon. Du bist hier. Oder?“ lachte er und langsam manifestierte er sich vor uns, aber er war nicht alleine.
Garm hinter ihm zog sich etwas zurück, lauernd und abwartend würde ich sagen.
Hrymr hatte einige seiner alten Gefolgsleute wieder einmal auferstehen lassen und sie alle bauten sich leuchtend vor uns auf.
„Gib mir jetzt das Artefakt zurück! Du solltest es gar nicht in die Finger bekommen, sondern einfach nur nach dem Ursprung suchen!“ fauchte er und griff mich an.
Für einen Moment stand ich etwas perplex vor ihm, weil ich diese Taktik nicht wechseln konnte, genauso wenig war es meiner Familie möglich zu reagieren, weil wir alle mit geistiger Manipulation gerechnet hatten. Nicht mit körperlichen Angriffen!
Doch wir fingen uns schnell wie ich erleichtert sah, als ich meine Kinder beobachtete. Alle drei hatten ihre eigenen Waffen, ihren ganz eigenen Kampfstil und sie umhüllte ein Goldleuchtendes Schild, welches Hrymrs Helfer erst einmal durchbrechen mussten.
„Aber… lass uns einen Handel abschließen.“ hörte ich ihn plötzlich hämisch rufen und er rief seine Gefolgsleute alle zurück.
„Warum in Namen Odins sollte ich mit DIR verhandeln!“ rief ich genervt, weil ich mich auf einen richtigen Kampf eingestellt hatte und diese Unterbrechung passte mir überhaupt nicht. Sie passte Thyra nicht, sie passte Odins Tochter nicht!
„Meine kleine Schönheit ist hier und sie wird mich begleiten. Du kannst dieses Amulett gerne in deine sinnlose Sammlung packen und glücklich damit werden.“ seine Hand griff durch den Gold leuchtenden Schutz hindurch nach Helena, die mich entsetzt ansah!
„Nein! Du bekommst sie nicht! Ich sag es nicht noch einmal! Lass die Finger von meiner Tochter!“ schrie ich und stürmte auf diesen Riesen zu! Meine Äxte glühten und schnitten tiefe Wunden in seine lederne Haut. Binnen Sekunden schlossen sie sich wieder!
Ich aber hieb immer weiter auf ihn ein und mit meinen Kräften, welche mir jetzt sogar Thor zur Verfügung stellte, brach ich seine Knochen in den Armen und einige Rippen fielen den Hieben meiner Äxte zum Opfer.
Je wütender ich wurde, desto stärker schien er zu werden.
Meine Kinder und mein Mann verteidigten sich gegen seine Armee aus Zombies. Sie waren nichts anderes.
Er hatte sie wiederbelebt.
„Du bist die Naglfar in menschlicher Form! Herrlich!“ rief er und suhlte sich in meiner Wut und meinem Hass!
Gleichzeitig sah ich wie Leni ihn anlächelte und auf ihn zuging!
Nein! Nein!
Verdammt! Verschließe dich endlich! Deine Wut… sie ist wie ein Gefäß für ihn wo er seine Energie sammelt! Brüllte mir Odin zu!
Das hier war eine ganz andere und neue Art der Konfrontation! Sie fand an Land statt und … warum aber nutzte er mich wie sein eigenes Schiff, welches ihm Kraft gab?
Deine Liebe zur Jackdaw nährt ihn! Du bist die Hüterin für Schiffe, wie eine Art Galionsfigur! Er kann sich immer daran hochziehen und wieder zu Kräften kommen! Er hat einen perfiden Weg gefunden, an dich heranzukommen! Die Stimme Odins klang mit einer großen Überraschung und vor allem Erkenntnis zu mir.
Mir schwirrte schon wieder Kopf und ich ging in die Knie um durch zu schnaufen.
Das war doch nicht wahr. Wir wollten doch nur dieses verfickte Amulett analysieren!
Mein Blick glitt zu meiner jüngsten Tochter und ich sah, wie sie bereits in den Armen dieses Gottes lag!
In mir stieg die Löwin empor, die Mutter, die Beschützerin ihrer Kinder!
Meine Zeichen auf der Haut flammten förmlich auf, ich erhob meine feurigen Äxten und sah zu Hrymr.
„Du willst sie? Nur über meine Leiche!“ schrie ich, ließ meine Waffen in meinen Händen rotieren wie einen Ventilator und ging auf ihn zu.
Lachend holte er einen Speer hervor und hielt ihn vor seiner Brust verschränkt.
„Ach, das ist so süß, dass du es immer noch versuchst. Ich habe dich studiert, damals als du in der parallel Welt warst. Ich kenne dich, deine Gedanken, deine Wünsche und Sehnsüchte. Und jetzt ist es meine Zeit!“ so schnell wie er umherwirbelte und Leni packte konnte ich unmöglich reagieren!
Sein Arm lag um ihren Hals und er drückte sie mit dem Rücken an sich. Seine Augen waren immer noch auf mich gerichtet. Er wich nicht ab, er war fokussiert.
„Sie fühlt sich gut an und sie ist wohlgeformt. Ihr Becken wird einige Kinder zur Welt bringen!“ sein lustvolles Stöhnen dabei brachte mich zur Weißglut!
Plötzlich sah ich aus dem Augenwinkel wie Edward mit Thor hinter Hrymr schlich, während Florence und Brünhild sich links positionierten.
Haytham stand nach wie vor neben mir, aber ich nahm die Präsenz von Tyr war.
Auf drei! Mahnte ich alle um mich herum und hatte die Mauer in meinem Kopf bereits errichtet.
Helenas Geschwister wussten was zu tun war, so auch Haytham.
„Niemand vergeht sich an unseren Kindern!“ riefen wir gemeinsam und griffen diesen Schmarotzer an.
Geschickt attackierten wir ihn und Helena erwachte urplötzlich aus ihrer Starre. Ihr Blick glitt entsetzt zu mir, dann zu Hrymr.
Und dann bildete sich um sie herum ein Meer aus kleinen leuchtenden Punkten, die sich um Hrymr wanden. Sie umschlossen ihn wie in einem Kokon! Sie machten ihn unbeweglich. Aber ich konnte nicht anders. Als er in dieser Starre verharrte, stieß ich mit meiner versteckten Klinge zu und traf sein rechtes Auge!
Sein lauter Schrei war wie ein, verzeiht!, Orgasmus für mich! Ich hatte ihn getroffen, ich hatte ihn endlich selber verletzt und sah, wie sein schwarzes Blut über meine Klinge lief.
Ich sah, wie meine Familie im Geiste völlig abgesichert war mit dieser Mauer! Ich hatte ein neues Etappenziel erreicht.
„Helena hat es perfektioniert!“ hörte ich plötzlich Odin neben mir, der sie in seinen Armen hielt.
Dort wo gerade noch Hrymr schreiend sein fehlendes Auge betrauert hatte, war niemand mehr. Lediglich eine kleine Pfütze schwarzem Blutes war auf dem Boden auszumachen.
Wo war er jetzt plötzlich hin verschwunden?
Und was machten wir mit Garm?
„Folgt uns einfach!“ sprach der Zwerg und ich sah, wie der Wächterhund brav Platz machte.
Hinter ihm kam ein weiteres großes Tor aus einem hellen Metall zum Vorschein. Auch hier waren Runen eingraviert, die die Unterwelt beschrieben und wer hierher kommen würde. Nicht jeder Verstorbene wird hier aufgenommen. Es war ja nicht die Hölle wie sie sich Normalsterbliche vorstellten, diese hier war Helheim und beherbergte die durch schlimme Krankheiten Verstorbenen unter anderem. Aber auch Personen, welche sich durch ihr Fehlverhalten selber ins Abseits manövriert hatten. Grob gesagt, wer einen bösen und schlechten Charakter hatte würde hier willkommen sein.
„Dann werde ich hier persönlich auf Charles warten in ein paar Jahren. Nur um sicherzugehen, dass er auch wirklich weg ist!“ ich hörte selber diesen fiesen Unterton in meiner Stimme, aber abstellen war einfach nicht möglich.
Meine Hände legten sich auf das Tor und es ließ sich überraschend leicht aufschieben. Die Türen schwangen federleicht nach links und rechts auf und gaben den Blick frei auf eine weitere Höhle.
Sie war kleiner, aber von hier gingen zig Gänge ab in verschiedenste Richtungen.
Man hörte Gejammer, Weinen, Schmerzensschreie und ähnliches. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen ich sei in einem Gefängnis oder einem Folterkeller!
„So ähnlich könnte man es hier auch bezeichnen.“ lachte der Zwerg während er uns mit einer Fackel den Weg erleuchtete.
Wir bogen nach rechts ab, gingen einige Meter geradeaus, ehe wir wieder abbogen, dieses mal nach links. Der nächste Pfad wand sich wie eine Wendeltreppe etwas in die Tiefe und am Fuße erwartete uns eine weitere Kammer.
Hier waren aber Fackeln und Feuerschalen verteilt, so dass man alles erkennen konnte.
Mittig vor uns sah ich einen großen Thron, auf dem eine Frau saß mit einem Zepter in der Hand.
Vor ihr knieten ein paar Personen, hauptsächlich Männer, wenn ich mich nicht täuschte.
„Willkommen in Hels Reich!“ rief unser kleiner Reiseführer mit einer einladenden Handbewegung.
Sprachlos stand ich vor ihr, der Göttin der Unterwelt. Wir waren in Helheim!
Gebieterisch winkte uns die Hüterin zu sich.
Als wir in ihrer unmittelbaren Nähe waren, stand sie geschmeidig auf und kam auf uns zu.
„Ihr habt ihn wieder einmal vertrieben wurde mir soeben zugetragen!“ sie hatte eine warme melodische Stimme die man ihr gar nicht wirklich zutrauen würde. Es war die Hölle und nicht der Himmel.
„Vertrieben, ja. Aber immer noch nicht besiegt!“ maulte ich beleidigt, weil mir gerade das in den Kopf schoss.
„Er ist ein gerissener Bastard! Aber er ist geschwächt und kann im Moment nicht zu seinem Schiff zurück. Wir konnten die Naglfar mit einem Schild umschließen, welches er nicht zerstören kann.“ lachte die Göttin vor mir.
„Was ist mit dem Amulett? Hat es bestimmte Kräfte?“ fragte ich neugierig nach, auch wenn ich damit mit der Tür ins Haus fiel.
„Oh, das … es ist eigentlich eine Art Siegel zum Schutz vor unerwünschten Besuchern. Richtig platziert aktiviert sich eine Schutzbarriere um einen Raum, ein Gebäude oder ähnlichem, sobald ein Eindringling in seine Nähe kommt.“ in ihren Augen sah ich plötzlich eine Erkenntnis aufkeimen.
„Deswegen haben wir Hrymr auch nicht sofort hier bemerkt! Oder auch damals schon auf hoher See! Cleverer als ich dachte!“ sprach sie gereizt und rammte ihr Zepter Schwungvoll in die Erde, dass die Wände zitterten.
So einfach war also die Sache gewesen und es hatte Jahre gedauert, bis man darauf kam.
„Ihr wusstet doch von dem Diebstahl…“ setzte ich an, wurde aber sofort unterbrochen.
Jedem war der Raub zu Ohren gekommen, doch niemand hatte Hrymr zugetraut diese Macht einzusetzen, geschweige denn überhaupt zu wissen, dass sie in diesem Amulett verborgen war.
„Mir wird immer Leichtsinnigkeit vorgeworfen! Was ist mit euch? Wenn ihr doch wusstet, was passieren kann …“ wütend schüttelte ich den Kopf.
Betretenes Schweigen war die Antwort aller hier anwesenden Götter und Göttinnen!
„Dass es eine so kraftvolle Wirkung entfalten würde, war uns nicht bewusst, als wir es geschmiedet haben.“ erklärte der Schmiedezwerg leise und sah dabei zum Allvater, welcher aber selber verlegen auf den Boden sah.
„Dann wird es Zeit, dass wir auch die anderen Artefakte finden und sie sicher verwahren, ehe dieser Schmarotzer erneut auf die Idee kommt einen Diebstahl zu begehen!“ damit übernahm ich wortwörtlich das Zepter und endlich atmeten die anderen erleichtert auf.
„DAS wollten wir unter anderem hören, Tochter! Deine Bestimmungen sind vielfältig, aber auch deine Fähigkeiten sind mannigfaltig!“ Odin betrachtete mich lächelnd bei seinen Worten.
Jetzt wusste ich aber immer noch nicht, wohin dieser böse Kapitän hin verschwunden war.
„Er hat eine recht mächtige Verbündete an seiner Seite. Erst ein paar Tage oder Stunde, aber sie ist ihm ähnlich und ebenbürtig. Es ist Nyx, die Göttin des Chaos und der Nacht! Tochter des Zeus´und der Göttin Diana. Sie wurde verstoßen, weil ihre Macht zu stark war.“ Hel ging dabei auf und ab. „Sie kann ebenfalls in den Geist eindringen und ihn manipulieren. So wie du. Also achte auf deine Barriere, Alex.“ mahnte sie mich. „Sie hat ihn mit sich genommen in ihre ganz eigene Welt um seine Wunden zu versorgen. Du hast ihn schwer verwundet und er wird Zeit brauchen, wieder zu vollen Kräften zu kommen. Die Naglfar ist ja keine Option mehr für ihn.“
Ihre Hand legte sich auf meine Schulter und drückte zu. „Du hast heute viel erlebt und erfahren. Ich denke, es ist Zeit, dass ihr euch ein wenig ausruhen solltet.“
Langsam tauchten wir in einen nebligen Strudel zu unseren Füßen ein. Jedoch zog es uns nicht hinunter, sondern es war als würden wir hinab schweben.
Als sich meine Sicht etwas klärte, konnte ich ein paar Dinge ausmachen.
Bäume, kleine Bäche, Hügel und ganze Wälder, eine Art Festung die in der Ferne golden schimmerte und eine Brücke wie aus einem Regenbogen gemacht!
„Es ist Zeit!“ hörte ich meinen Allvater leise sagen und sah wie er stolz neben mir herging um mir Asgard zu zeigen!
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