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Kapitel: | 6 | |
Sätze: | 804 | |
Wörter: | 11.604 | |
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Philadelphia – Dezember 1773 – Wohnsitz des Dukes of Ironside
Es kam nicht oft vor, dass sein Geist so verwirrt und voller Spinnweben war. Aber in den letzten Tagen, nein, Wochen!, war es beinahe schon unerträglich für ihn gewesen.
Dieser Hrymr war irgendwo! Er konnte seine Gegenwart spüren, aber nicht orten!
Auch Loki oder sogar Balder war es nicht möglich eine Spur ausfindig zu machen.
Sie hatten die Naglfar mittlerweile, weil sie eh zur Reparatur vor Anker lag, mit einem Schutzschild vor ihm versehen. Hel war ihm dieses Mal zur Seite gesprungen, weil auch sie spürte, dass dieser unangenehme Riese etwas im Schilde führte.
Sie hofften, dass sie dadurch mehr Zeit gewannen.
„Mein Liebster, lass das Grübeln. Es bringt doch nichts. Deine Tochter ist gut beschützt und im
Moment nicht in Gefahr.“ hörte er Frigg aus Richtung der Tür seines Arbeitszimmer sprechen.
Müde blickte er zu ihr.
„Vermutlich hast du Recht, aber … sie ist noch so unerfahren. Wir hätten sie viel früher einweihen und trainieren sollen.“ seufzte er.
„Alexandra war aber noch nicht bereit. Denke an Edward! Auch er brauchte eine gewisse Ermunterung, ehe er verstand, was oder WER er war.“ langsam war sie neben ihn getreten und legte ihren Arm um seine Schulter.
„Das ist richtig, aber … meiner Tochter habe ich nie … der Vater sein können …“ kopfschüttelnd richtete er seinen geistigen Blick auf ihre Umgebung.
Jedes mal wenn er sein Kind so betrachtete, wurde ihm bewusst, dass es bald an der Zeit wäre, sie in ihre wahre Bestimmung einzuführen. Noch war Alex der Ansicht, sie sei zwar seine Tochter und hätte eine Verbindung mit Thyra ihrer Vorfahrin, Sygtryggr und deren Tochter. Sie ging davon aus, dass er sie NUR leiten wollte.
„Dann solltest du ihr so schnell wie möglich sagen, dass sie …“ begann Frigg.
„Nein!“ fiel der Allvater seiner Frau ins Wort. „Sie ist nicht wie diese Isu. Sie ist ein Mensch!“ doch schon bei diesen Worten dämmerte ihm, was er falsch gemacht hatte.
Sie war kein normaler Mensch, sie war eine dauerhafte Reinkarnation in tausenden von Jahren gewesen. All diese Erinnerungen schlummerten derzeit in Alex! Aber sie hatte noch nicht ihr volles Potenzial ausgeschöpft. Wie auch?
„Schau, sie nutzt alles, was wir ihr bisher beigebracht haben und sie hat Heimdallr immer in ihrer Nähe. Ach, schau mal wer da durchs Fenster kommt!“ lachte seine Frau und der Rabe Munnin setzte sich auf die rechte Lehne seines großen Stuhls. Es war mehr ein Thron, wenn man es genauer nahm. Hier hatte er alles im Blick und verpasste kaum etwas, so hoffte er. Doch die Zeiten wurden immer schnelllebiger und das 21. Jahrhundert war überhaupt nicht nach seinem Geschmack gewesen. Er lobte sich dieses 18. Jahrhundert gerade. Hier hatte er noch Möglichkeiten sich ungesehen unter die Menschen zu mischen.
Plötzlich sah er, wie seine Tochter eine Vision von einem Baum und einer Quelle hatte.
Etwas erstaunt verfolgte er ihre Gedanken. Alex war in einem kleinen Geschäft um nach Weihnachtsgeschenken für seine Enkel zu suchen. Ein warmes Lächeln huschte bei diesem Gedanken über sein bärtiges Gesicht.
„Deine Enkel kannst du bald nicht mehr zählen, mein Liebster.“ seine Frau strich ihm liebevoll dabei über die Schulter.
Wo war sie nur hingeraten? Etwas an diesem Laden irritierte ihn. Die Besitzer … sie waren ihm nicht bekannt, oder doch! Der Herr … er war damals im heutigen Spanien ebenfalls Händler gewesen. Sein Warensortiment umfasste phantastische und oft wundersame Dinge, die wie von einer anderen Welt zu sein schienen.
Odin hatte sich damals mit ihm angefreundet. Nicht in seiner wahren Gestalt, nein. Er war der Wanderer, welcher auf der Suche nach dem Außergewöhnlichem war, so hatte er es ihm erklärt.
Alex hielt einen prunkvollen Fächer in der Hand. Die Zeichnung darauf ähnelt Yggdrasil und der Quelle, die ihn speist. Aber … es war ein Ort in Katalonien? Oder täuschte er sich? Dort waren auch die Ringe!
„Sie ist auf dem richtigen Weg. Sieh es dir an.“ der Allvater nahm die Hand seiner Frau und zeigte ihr im Geiste, was er meinte.
Sie hatten die Ringe für die Zeitreise an einigen Orten versteckt und bewachen lassen. Dieser Tobias Schäfer hatte sich in Spanien umgesehen und sein findiger Geist hatte den Ort, wo sie verwahrt wurden schnell ausfindig machen können.
Bis heute bereute er, dass er diesen Herren nicht eingeweiht hatte. Auch er hätte von all diesem Wissen profitieren können. Vielleicht sollte er beizeiten noch einmal das Gespräch mit ihm suchen. Doch das musste jetzt warten.
Seine Tochter hatte oft noch mit diesen Kräften zu kämpfen, so auch dieses mal. Eine Ohnmacht war demnach vorprogrammiert. Aber sie berappelte sich schnell und wollte zurück zu ihrer Familie.
Plötzlich zuckte der Allvater zusammen, als Alex aus dem Geschäft trat und dieses sich hinter ihr in Luft auflöste.
Ihre Gedanken überschlugen sich. Auch sie dachte an Tobias´ Suche oder ganz allgemein an die Zeitreiseartefakte. Sie war dem Ganzen sehr nahe, aber der Ort selber würde sich ihr nicht direkt offenbaren, wenn sie dort ankäme.
„Wenn Alexandra dort eintrifft, dann instruiere sie und leite sie. Aber … was ist dort so wichtiges verborgen?“ hakte Frigg grübelnd nach.
„Ein Artefakt auf ihrer Liste.“ jetzt konnte er sich ein wissendes Schmunzeln einfach nicht mehr verkneifen. „Etwas völlig unscheinbares! Ich befürchte, dass sie es aus den Augen verloren haben wird. Wenn ich so darüber nachdenke, hat meine Tochter seit geraumer Zeit nicht mehr über diese Suche nachgedacht!“
Nein, hatte sie nicht. Warum auch? Es gab die Kinder, den bevorstehenden Revolutionskrieg und so weiter.
„Du meinst aber nicht dieses leuchtende Glas, welches mich immer genervt hat, wenn ich es befüllen wollte und es sich selber wieder entleerte?“ hörte er seine Gattin maulen.
„Genau DAS!“ grinste er. „Wenn man es mit dem Wasser der Quelle füllt, bleibt der Inhalt bestehen und offenbart einen kleinen Einblick in unsere Welt.“ plötzlich schoss er hoch und brachte seinen Stuhl zum Wanken damit!
„Alexandra hat keine Ahnung, was sie hier erwarten wird. Sie glaubt an die gängigen Erzählungen von Walhalla, Asgard und Bifröst zum Beispiel! Das reicht nicht! Lehre sie, ihre Fähigkeiten besser zu nutzen…“ weiter kam Frigg leider nicht, weil Odin ihr ins Wort fiel.
„Boston scheint gerade jetzt ein geeigneter Ort zu sein, sie einzuweihen. Nicht ganz, weil wir dazu nach Asgard reisen müssten. Ich sollte ihr ein paar Erinnerungen geben, ein paar neue Fähigkeiten.“ grübelte der Allvater vor sich hin, als sich die Göttin der Unterwelt zu Wort meldete.
„Ich hatte da eine kleine gemeine Idee, wie deine Tochter lernt noch mehr Unruhe zu stiften!“ ihre Stimme überschlug sich schon fast vor lauter Euphorie!
„Wir wollen nicht unnütz auffallen, es reicht schon, dass Hrymr ein Auge auf Alex und uns geworfen hat in Boston!“ fauchte er die Göttin an.
„Schon gut. Ich habe Snotra dennoch angewiesen ihr einen Ring zu geben, mit dem sie ein wenig Unwohlsein bei dem einen oder anderen hervorrufen kann.“ ihr diabolisches Lachen passte zu ihrem Aussehen. Ihre Herrschaft war streng in Helheim und kaum jemand entkam ihr. Garm, der dreiköpfige Wächterhund, war ihr immer ein treuer Begleiter gewesen! Er ließ niemanden fliehen!
„Hoffentlich achtet sie auf den richtigen Zeitpunkt! Ich spüre diese ganzen anderen Kräfte, Götter und Einflüsse um meine Tochter drumherum und will nicht, dass jemand falsches dieses Werkzeug in die Finger bekommt.“ Odin war keineswegs ein Freund der anderen Helfer und Beschützer von Alex´ Freunden. Bisher hatte er es toleriert, mehr aber auch nicht.
Im Laufe des Tages erhielt er noch weitere Nachrichten aus den anderen Welten, aber alles in allem waren keine Katastrophen zu befürchten oder passiert.
Erleichtert widmete er sich Alex, welche jetzt mit Faith und den Kindern zusammensaß. Plötzlich flackerten kurze Sequenzen von einem Herren auf, welcher in arger Bedrängnis gewesen zu sein schien. Doch näheres konnte er nicht erkennen.
Aber er spürte, dass seine Tochter eine gewisse Schadenfreude in diesem Moment hegte. Erst jetzt bemerkte er, dass es sich um diesen Widerling Charles Lee handelte. Schon damals hätte er ihm gerne eine Lektion erteilt als er sich an ihr vergehen wollte. Leider hinderten die noch frischen Umstände ihn und die anderen Gottheiten daran.
Hel hatte ihr also einen Ring gegeben, welcher sie befähigte, anderen Schmerzen und Leid zuzufügen, ohne selber mit im Raum sein zu müssen. Das würde Alexandra sicherlich gefallen, grinste er breit.
„Wie ihr Vater!“ lachte Frigg über ihren Weinkelch in seine Richtung.
Die Truppe um seine Tochter beriet die Vorgehensweise für die anstehende Teeparty.
„Hexe!“ hörte der Allvater diese schnarrende Stimme im Geiste durch Alex. Dieser Lee stand direkt neben ihr.
Tyrs Schützling Haytham warnte ihn sich zu zusammenzureißen, es könne sonst passieren, dass Charles nicht mehr lange beim Militär wäre.
„Zügelt euch, ehe ihr wieder unter diesen merkwürdigen Kopfschmerzen oder noch schlimmerem leidet. Wir wollen doch nicht, dass ihr zu Schaden kommt.“ ihre Worte waren voller Sarkasmus und Odin spürte, wie ihr ein wenig übel wurde.
„Ihr werdet noch sehen, wer am längeren Hebel sitzt, Hure!“ flüsterte er fast unhörbar und war so nah neben ihr, dass sie seinen Atem auf ihrem Gesicht spürte.
Einen Schritt näher, eine weitere unverschämte Beleidigung von euch und ich lasse euch hier vor allen auf dem Tisch tanzen! Nackt! Diese Worte drangen direkt in seinen Kopf. Sie betrat gefährliches Gebiet, dieser Mann war eh schon der Meinung, sie gehöre auf den Scheiterhaufen.
„Eure Magie kann mir gar nichts. Seht ich habe ein Amulett welches mich vor euren Flüchen schützt.“ sprach Charles leise und hielt ein wohl bekanntes Symbol vor Alex´ Nase.
Es war das Rad des Lebens!
Dieses Schutzamulett war vor Jahrhunderten aus der Schmiede in Svartálfaheimr gestohlen worden. Von keinem geringeren als Hrymr, der eine letzte schändliche Tat begehen wollte, ehe er gänzlich verbannt wurde.
Odin konzentrierte sich auf Boston mit dem dazugehörenden Untergrund. Er ging alle Wege im Geiste hastig ab, während gleichzeitig Munnin und Hugin sich in die Lüfte erhoben um sich ebenfalls einen Überblick zu verschaffen.
Dieser Riese hatte sich wahrlich gut versteckt, musste er sich eingestehen.
„Ich störe ja nur ungerne, aber hast du gesehen, wer sich plötzlich manifestiert hat?“ es war Hel, die ihn grinsend aus seiner Konzentration riss.
„Verdammt … ich kann sie sehen! Findet hier ein Treffen der Unterweltgötter statt? Wie kommt jetzt auch noch Nyx dorthin! Verdammte Axt!“ seine Raben ließen ihn an ihrer Erkundung teilhaben. „Da stehen sie ja!“ fauchte er als er Hrymr mit dieser Göttin gegenüber der Herberge seiner Tochter bemerkte.
Es war nicht leicht, jetzt alles im Auge zu behalten.
„Was soll ich sagen, wärst du nicht so gierig gewesen, hättest du noch beide Augen, Havi!“ lachte Hel mit einer großen Portion Zynismus und zuckte zurück, als der Allvater seine Hand hob.
„Wage es nicht mich zu verspotten!“ diese donnernde Stimme ließ die Scheiben in seinem Arbeitszimmer klirren.
„Schon gut, ich werde mich jetzt mal umsehen, wie dieser Kotzbrocken an diesen Schmuck gekommen ist.“ sie löste sich in feinen Rauch auf und war verschwunden.
„Liebster! Wir alle sind auf den Beinen und werden Alex zur Seite stehen. Aber jetzt wäre ein idealer Zeitpunkt ihr etwas mehr über ihre Bestimmung und Zukunft zu erklären.“ drängte seine Gattin erneut. Sie hatte ja Recht.
„Also schön, Haytham wird sich mit Lee unterhalten. So werden wir wissen, woher ER es hat und dann sehen wir weiter.“ seufzte er und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
Es dauerte eine geschlagene Stunde bis Tyr bei ihm erschien.
„Wir wissen jetzt, dass eine alte Seherin Lee dieses Amulett verkauft hat. Aber … sie war nicht sie selbst.“ druckste er herum. Es war schwer die richtigen Worte zu finden, ohne Odins Wut heraufzubeschwören. „Ich habe dieses Geschäft aufgesucht und … Catriona, so heißt sie, agierte wie besessen. Jemand kontrolliert sie. Es muss …“ weiter kam er nicht.
„NYX! Sie ist dazu in der Lage. Sie hält sich in Boston auf.“ gemeinsam gingen die beiden Götter jetzt im Geiste durch Boston, grasten zum wiederholten Male alle Straßen und Winkel ab, bis sie vor einer weiteren Herberge landeten. Es war deutlich zu spüren, dass hier eine große dunkle Macht ihr Unwesen trieb.
Der Allvater tastete sich vorsichtig vor und sah wie sich die beiden Individuen Hrymr und Nyx gerade vergnügten.
„Oh bitte!“ er wandte sich ab. Das war genug für den Augenblick.
„Was machen wir jetzt? Wir wissen, dass … sie werden versuchen Alex in diesen Laden zu locken! Das müssen wir unterbinden. Ich weiß auch schon wie!“ rief Tyr und ging auf die Suche nach Hel. Sie musste ihm jetzt helfen.
Odin selber begleitete sie wieder im Geiste.
Das Ladengeschäft an sich war verlassen. Die Besitzerin lag gerade friedlich in ihrem Bett.
„Dort soll sie bleiben!“ wies der Allvater Loki an und dieser drang in den Geist der alten Dame.
„Oh … das ist ja … was für ein Chaos herrscht in ihrem Kopf. Diese Griechin hat ganze Arbeit geleistet! Das Gehirn ist nur noch Matsch!“ fluchte der Trickser wütend!
Somit hätten sie aber freie Hand und konnten alles für Alex und ihre Familie präparieren! Es würde nicht mehr lange dauern und sie würden hier auftauchen.
Eine Illusion des leeren Verkaufsraumes war schnell geschaffen mit den dazugehörigen Sicherheitsmaßnahmen, falls Hrymr sich hier ebenfalls noch einmal blicken lassen sollte. Davon konnte man natürlich auch ausgehen.
Unter anderem gab es sich selbst zumauernde Fenster und Türen um die Flucht zu unterbinden.
„Wie wäre es, wenn wir sie alle nach Svartálfaheimr schicken würden? Dort könnten wir deiner Tochter mehr über ihre Herkunft zeigen…“ Hel zögerte bei diesen Worten, sie wollte den Allvater nicht erzürnen, wenn sie zu sehr vorpreschte.
„Die Passage muss aber sicher sein! Und … meinen Enkelkindern darf nichts passieren!“ auch Odin grübelte über dieses Szenario nach.
„Das kann ich übernehmen. Sie werden für eine kleine Weile junge Erwachsene sein! So ist auch Alex beruhigter denke ich.“ lächelte Mutter Idun in die Runde.
Thor und Brünhild nickten zustimmend. Snotra sah sich jedoch etwas fragend um.
„Es geht um Helena, nicht wahr?“ hakte die Hüterin der goldenen Äpfel nach. „Die Cherubs werden sie gemeinsam mit uns beschützen.“ diese Zuversicht übertrug sich auch auf alle Anwesenden.
Die Passage in das Reich der Zwerge war schnell geöffnet und entsprechende Schutzbarrieren errichtet.
Der Allvater ging im Geiste noch einmal alles ab, ehe auch er sich in seiner wahren Gestalt dort manifestierte.
Ein Grummeln und Knurren drang ihnen in die Ohren.
„Oh, Garm meldet sich schon zu Wort.“ lachte Loki und ging mit Hel weiter in die Höhle hinein.
„Havi!“ rief eine Stimme ehrfürchtig neben ihm.
Es war der Schmiedemeister Zwerg, welcher hier seine Werkstatt hatte. Von hier hatte Hrymr auch den Schmuck mitgehen lassen.
„Schau an, Ráðsviðr! Lange nicht mehr gesehen! Wie geht es dir und der Schmiedekunst?“ diese Frage war nicht nur der Höflichkeit geschuldet, sondern zeugte von ehrlichem Interesse.
„Danke, ich kann nicht klagen. Ich habe mich an einige neue Projekte gewagt, nachdem … du weißt ja. Dieser Raub damals … die Schmach liegt immer noch schwer auf meinen Schultern.“ mit gesenktem Blick stand er vor dem Göttervater.
„Ich weiß, ich weiß.“ winkte er ab und sah sich hier etwas um. Hier und da waren gepanzerte Handschuhe in den Regalen zu finden, oder Schilde die leicht schimmerten. „Du hast bald eine Besucherin …“ wollte er dem Zwerg gerade erläutern, als dieser grinsend die Hand hob.
„Das habe ich schon von Hugin vorhin gehört. Sie wird hier wirklich erscheinen, ja? Es wird mir eine Ehre sein, deine Tochter hier begrüßen zu dürfen.“ er verbeugte sich mehrfach bei seinen Worten vor Havi.
„Ich bin beruhigt, dass du es schon mitgeteilt bekommen hast. Alexandra wird jedoch noch etwas befangen sein. Sie … ist noch nicht in alles eingeweiht.“
Der Schmied sah ihn mit großen Augen an.
„Meine Lippen bleiben versiegelt, bis du erlaubst, ihr alles zu erzählen. Wie gerne würde ich … aber nein. Das hat noch Zeit, nicht wahr?“ in den Augen Ráðsviðrs sah man diese Freude über den bevorstehenden Besuch.
„Genau so ist es.“ Odin klopfte ihm auf die Schulter und folgte dann den Stimmen aus dem nächsten Gewölbe, wo sich Garm aufhielt.
Dieser dreiköpfige Wächter vor den Toren Helheims war immer wieder ein beeindruckender Anblick. Würde seine Tochter Angst vor ihm haben oder sich einfach ihrer Aufgabe stellen.
„Sie weiß doch um die dreiköpfigen Hunde. Sie kennt die griechische Variante ja auch schon aus den Geschichtsstunden!“ erklärte Tyr. Er war es, der hin und wieder Bericht erstattete, wenn sein Schützling und die Tochter des Allvaters etwas neues lernten oder erfuhren.
Ein leises Flüstern in der alten Sprache riss Odin aus seinen Gedanken.
Hel strich dem Wächter sachte über den rechten Kopf.
„Du wirst bald Zeuge eines interessanten Spektakels wenn alles richtig läuft. Du lernst die Tochter unseres Allvaters kennen.“ lächelnd sah sie dabei in seine Richtung.
Sie würden jetzt noch den Plan für die Familie Kenway besprechen, wie man sie in alles oder fast alles einweihen konnte.
Alex wusste, dass sie die Wächterin über Zeit und Raum war. Ihr war klar, dass es eine gewisse Gefahr darstellte, wenn man hin und her sprang.
Was Odin ihr aber nie erzählt hat, wog schwer auf seinem Gewissen.
Die Geschichte oder das Schicksal ließ sich nicht ändern, das war es nicht.
Seine Tochter besaß aber eine einzigartige Fähigkeit, welche ihr ermöglichte sich in eine andere Gestalt zu verwandeln. Bisher war das nur ihm oder vielleicht noch Loki vorbehalten. Das Risiko, dass sie es völlig unbedarft nutzte war zu groß, weswegen sie alle noch davon abgesehen hatten, ihr diese Möglichkeit aufzuzeigen.
Dazu kam dieses Robuste in ihr und ihrem Körper. Sie war widerstandsfähiger als die Normalsterblichen, das war zwar schon bekannt, jedoch agierte seine Tochter immer noch sehr sehr vorsichtig.
„Wir sollten alsbald in Erscheinung treten, Havi! Sie spürt selber, dass etwas in ihr ruht, was sie nicht deuten kann. Wie lange willst du sie noch im Unklaren lassen?“
„Ich spüre, dass ich zu lange gewartet habe und ich denke, wir werden sie erst einmal hierdurch bringen mit Hrymr. Ich gehe auch stark davon aus, dass danach eine Verschnaufpause von Nöten sein wird. Wir werden Alex nach Asgard bringen mit ihrer Familie!“ sprach Odin leise, weil sein schlechtes Gewissen ihn gerade quälte.
Wie würde sie auf die Nachricht, dass sie das Blut einer der Schicksalsgöttinnen in sich hatte, reagieren? Außerdem musste man ihr schonend beibringen, dass sie ebenfalls eine der Walküren war, welche unter Freyas Befehl standen.
Ganz zu schweigen, wie man Alex die Möglichkeit der Gestaltwandlung erklären sollte. Würde sie Angst davor haben oder eher neugierig einen Versuch starten?
„Jetzt warte doch ab, bis hier alles in trockenen Tüchern ist, mein Liebster!“ Frigg war an seine Seite getreten und drückte sanft seinen Arm.
Lächelnd sah er seine Gattin an.
„Wir haben soweit alles vorbereitet, nehme ich an?“ hakte er noch einmal nach und sah sich hier um.
Weil es gerade so schön passt - hier ein fantastisches
Lied von Wardruna vom neuen Album "Birna"
Vor dem Tor mit Garm, so war der Plan, sollten sie auf diesen Schmarotzer und diese Nyx treffen.
Sie zogen sich alle für den Moment zurück und überblickten aus den Schatten das Treiben im Laden oben.
Es dauerte nicht lange, bis er seine Tochter ganz in der Nähe spürte.
Lächelnd sah er, dass sein Plan funktioniert hatte. Niemanden hatte er in Kenntnis gesetzt, wer hier wirklich zu erwarten war. Edward Junior, Florence und sogar Helena waren als junge Erwachsene erschienen! Gemeinsam mit Loki hatte Idun sie in diese Gestalten versetzt, mit den entsprechenden Lebenserfahrungen. Sie kamen, wenn man es genau nahm, auch aus der Zukunft. Bei seinem Enkel spürte er sogar diese Verbundenheit mit Anna Cormac. Der Gott Ra und er hatten damals einfach ein Bündnis geschlossen und Alex vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Ihr Sohn war auserkoren dieses Mädchen zu beschützen… dieser Gedanke, dass ein Gott der Unterwelt einer der biologischen Väter war, brachte ihn in Rage. Aber Edward war genau der Richtige für diese Aufgabe mit Thor an seiner Seite. So hoffte er immer noch. Wer weiß aber, was die Zukunft für diese beiden Menschen noch vorgesehen hat?
Bevor jedoch seine Tochter hier vor Garm erschien, sah er Hrymr wie er sich mit dieser Nyx versuchte zu verstecken.
Hatte er es richtig beobachtet? Die beiden manifestierten sich aus schwarzem Rauch in dieser Halle? Diese griechische Chaosgöttin war also nicht zu unterschätzen, aber würde sie sich auch seiner Tochter entgegenstellen?
Die Frage erübrigte sich schnell, als sie sich wieder in diesen Dunst auflöste und unter dem Spalt des Tores zu Hel verschwand. Zurück blieb der Schmarotzer, welcher sich in eine dunkle Ecke schlich um Alex aufzulauern.
Odin wusste, dass er es auf das jüngste Familienmitglied abgesehen hatte, weil Hrymr nicht mehr so leichtes Spiel mit ihrer Mutter hatte. Seine Tochter hatte die Mauer in ihrem Kopf perfektioniert, auch wenn sie hier und da noch etwas bröckelig werden konnte, wenn sie etwas abgelenkt war. Doch das kam zum Glück nur selten vor.
Stimmen drangen an sein Ohr und Familie Kenway betrat mit dem Schmied diese Halle.
Hel hatte sie mit einer verstellten Stimme hierher gelotst, weil sie befürchtete, dass Alex sonst nicht den Weg finden würde.
Da war sie wieder, diese Vorsicht seiner Tochter, welche nicht immer von Nöten war. Auch das war etwas, was man ihr noch austreiben musste.
Bevor hier jedoch, so befürchtete er, ein Kampf ausbrechen würde, trat er vor ihnen in Erscheinung und umschloss ohne große Worte seine Tochter mit seinem Umhang.
Es war an der Zeit sie einen kleinen Blick auf ihre Heimat werfen zu lassen. Auf die Göttinnen, welche sie erwarten würden.
In Asgard!
Das sind Skuld, Andarta und Vör! Sie werden dich bald an weitere Fähigkeiten führen und du wirst deine Bestimmung erfahren. Soviel sei gesagt, diese Momente in welchen du das Gefühl hast zu wissen, was gleich passiert, kommen nicht von ungefähr. Das Blut der Norne der Zukunft fließt durch deine Adern! Erklärte er und nach und nach traten die Frauen vor um sich vorzustellen.
Und jetzt weißt du ein wenig mehr über das, was dich noch erwarten wird! Alex sah zu ihm auf unter seinem Umhang und lächelte selig. In ihr spürte er eine gewisse Kraft, welche ihre Fähigkeiten noch weiter festigte. Dazu sah er in ihren Augen eine Zuneigung aufflammen, die sie ihm noch nie so gezeigt hatte.
Ja, er hatte zu lange gewartet. Doch jetzt würden sie gemeinsam die nächsten Wege beschreiten!
Und dann hatte Hrymr anscheinend seine Geduld verloren und trat aus den Schatten heraus um seinem größtem Feind gegenüber zustehen.
Suchend sah sich Odin nach seiner Begleiterin um, doch von Nyx war nichts zu sehen. Vermutlich vergnügte sie sich in Helheim. Die dortige Göttin war bestimmt nicht begeistert über so eine Besucherin, grinste er in sich hinein.
Der Kapitän der Naglfar begann mit den Worten, dass Lee ein fantastischer Lockvogel gewesen sei und er jetzt gerne das Artefakt zurück haben würde. Doch er wartete keine Antwort ab, sondern griff sofort Alex an, welche etwas perplex mit einer eigenen Attacke zögerte.
Ein Hin und Her von Schlägen, ein neues Angebot seitens Hrymrs, dass er ja nur Helena wollte und das Amulett sei nicht mehr wichtig für ihn.
Seine Tochter wurde immer wütender, ihre Barriere brach langsam und ließ diesen Schmarotzer sich daran laben.
Ihre Gedanken, um die Mauer aufrecht zu erhalten, glitten immer wieder zur Seefahrt, zu ihrer Jackdaw und … da war es. Hrymr hatte einen perfiden Weg gefunden, sich wieder zu stärken. Er brauchte sein eigenes Schiff nicht. Nein, er bediente sich an dieser Liebe seiner Tochter zu ihrer Brig!
Schlag für Schlag, Gedanke für Gedanke, wurde Hrymr stärker!
Verdammt! Verschließe dich endlich! Deine Wut… sie ist wie ein Gefäß für ihn wo er seine Energie sammelt! Brüllte er in Gedanken seiner Tochter entgegen!
Im Grunde ging dann alles sehr schnell.
Der Gott schnappte sich Helena, welche wie in Trance in seinen Armen hing mit einem Male und begann Alex verbal zu entwaffnen indem er ihr weismachen wollte, dass er sie kannte und analysiert hatte. Er brachte diese Parallelwelt wieder ins Gespräch und versuchte so den Kampfgeist zu schwächen.
Plötzlich ging Alex in die Knie, aber nur um kurz darauf aufzuspringen wie eine Löwin um ihm genau DAS auch zu zeigen. Die Löwin beschützte ihre Jungen! Gegen solch eine Macht würde niemand so leicht ankommen.
Haytham stand an ihrer Seite zusammen mit Tyr und gab ihr Rückendeckung, während Edward, Thor, Florence und Brünhild sich hinter Hrymr schlichen, der davon keine Kenntnis nahm.
Auf drei! Hörte er Alex ihre Familie anweisen und Hrymrs Schicksal war besiegelt!
Überwältigt von diesem plötzlichen Kampfwandel ließ der Kapitän verwirrt von Helena ab, welche aus ihrer Starre ihrerseits erwachte!
Mit ihren Cherubs machte sie ihn Bewegungsunfähig, damit alle anderen leichtes Spiel haben würden.
Mit großer Genugtuung sah Odin, wie seine Tochter ihre versteckte Klinge hervorschnellen ließ und dem Gott damit in sein rechtes Auge stieß. Man hörte ein unangenehmes Knirschen von Knochen, ehe schwarzes Blut aus der Wunde über ihren Arm lief.
Dieser markerschütternde Schmerzensschrei rief seine griechische Begleiterin auf den Plan, welche ihn in Windeseile mit einem schwarzen Wirbel umschloss und nur noch eine dunkle Pfütze auf dem Boden hinterließ.
Die Frage, wie es jetzt weitergehen sollte, beantwortete Ráðsviðr breit grinsend.
„Folgt uns einfach!“
Seine Tochter öffnete das Tor hinter Garm mit Leichtigkeit und sie alle betraten das Reich der Göttin Hel.
Wirklich wohl war ihm hier nie, weil er befürchten musste auch einigen Widersachern zu begegnen.
Nach einigen labyrinthartigen Gängen kamen sie in eine weitere Halle, wo auf einem Thron Hel mit erhobenem Hauptes saß und in ihre Richtung lächelte.
Kaum dass sie dort waren, sprach seine Tochter einen Gedanken laut aus, welcher ihn schmunzeln ließ, weil er so typisch für sie war.
„Dann werde ich hier persönlich auf Charles warten in ein paar Jahren. Nur um sicherzugehen, dass er auch wirklich weg ist!“ Ihre Stimme passte zu dem grimmigen Gesichtsausdruck in diesem Moment! Alex wusste, wer hierher kam und wer nicht.
Als sie jetzt aber eine Erklärung finden mussten auf die Frage, warum Hrymr so ungesehen hier agieren konnte in Boston, mussten sie sich eingestehen, dass dieses Amulett mächtiger war als bisher angenommen.
Die Schmiede hatten sich große Mühe gegeben, damit es auch wirklich funktionierte, doch nicht mit solch einer Reichweite gerechnet. Dazu kam aber auch der Gott selber, welcher es verstärkte durch seine Präsenz.
„Dann wird es Zeit, dass wir auch die anderen Artefakte finden und sie sicher verwahren, ehe dieser Schmarotzer erneut auf die Idee kommt einen Diebstahl zu begehen!“ Alexandra übernahm damit sprichwörtlich das Zepter!
„DAS wollten wir unter anderem hören, Tochter! Deine Bestimmungen sind vielfältig, aber auch deine Fähigkeiten sind mannigfaltig!“ Odin betrachtete sie lächelnd bei seinen Worten.
Er war zuversichtlich, dass sie auch die nächsten Neuigkeiten so gut aufnehmen würde.
Man klärte jetzt noch die Familie auf, dass es eine Begleiterin des Kapitäns der Naglfar gab, welche nicht zu unterschätzen war.
„Er hat eine recht mächtige Verbündete an seiner Seite. Erst ein paar Tage oder Stunde, aber sie ist ihm ähnlich und ebenbürtig. Es ist Nyx, die Göttin des Chaos und der Nacht! Tochter des Zeus und der Göttin Diana. Sie wurde verstoßen, weil ihre Macht zu stark war.“ Hel ging dabei auf und ab. „Sie kann ebenfalls in den Geist eindringen und ihn manipulieren. So wie du. Also achte auf deine Barriere, Alex.“ mahnte sie seine Tochter eindringlich. „Sie hat ihn mit sich genommen in ihre ganz eigene Welt um seine Wunden zu versorgen. Du hast ihn schwer verwundet und er wird Zeit brauchen, wieder zu vollen Kräften zu kommen. Die Naglfar ist ja keine Option mehr für ihn.“
Auf sein Zeichen hin, legte Hel ihre Hand auf Alex´ Schulter.
„Du hast heute viel erlebt und erfahren. Ich denke, es ist Zeit, dass ihr euch ein wenig ausruhen solltet.“
Odin öffnete ein Portal zu ihren Füßen, welches sie auf direktem Wege nach Asgard bringen würde.
Sein Blick wanderte über die sich vor ihnen auftuende Umgebung, die Landschaft, die Gebäude und so weiter. Neben sich spürte er seine Tochter, wie sie die Luft ehrfürchtig anhielt und staunte.
„Es ist Zeit!“ mehr sagte er nicht und schritt lächelnd neben ihr her.
Für alle Götter brach jetzt eine neue Zeitrechnung an!
Doch zu aller erst galt es, seine Tochter in ihre wahre Bestimmung zu begleiten und ihr zu zeigen, welche Mächte und Kräfte sie tatsächlich besaß.
Gemeinsam gingen sie hinüber zur großen Halle. Bifröst löste bei seinen Enkeln großes Staunen, aber auch etwas Angst aus.
„Keine Angst, ihr fallt nicht nach unten.“ sprach Tyr und schritt neben Haytham souverän voran.
Als sie vor dem großen Tor standen, ließ er es mit einem Schnippen seiner Finger aufgleiten und sie betraten den dahinterliegenden Raum wo schon Skuld, Vör und Andarta auf sie warteten.
Mit einer leichten Nervosität stellte er seiner Tochter ihre Begleiterinnen vor.
Walküre und Norne Skuld (Zukunft)!
Vör - Göttin der Gerechtigkeit
Wie oft hatte ich diese schillernde Brücke schon auf Bildern, in Filmen oder in Videospielen gesehen und hatte gehofft, sie irgendwann einmal selber betreten zu können.
Wieder ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass Boston irgendeine seltsame Ausstrahlung auf uns alle hatte. Es schien als würden die tiefsten Erinnerungen, Wünsche Sehnsüchte oder aber Vorhersehungen heraufbeschworen.
„Denk einmal darüber nach, wie viele Gottheiten auf einmal in dieser belebten Stadt zusammentreffen in diesem Moment. Es ist fast so, als gäbe es eine neue kleine Welt oder kleinen Platz für Versammlungen der größten Mächte.“ sprach Heimdallr über seine Schulter in meine Richtung.
„Auch wenn ich einige davon nicht ausstehen kann.“ seufzte mein Allvater leicht genervt.
„So? Wen denn zum Beispiel?“ hakte ich neugierig nach.
„Apophis zum Beispiel. Eine reine Nervensäge und immer ist er irgendwie präsent!“ seine Stimme klang wie ein nörgeliger Junge.
Mich überkam eine kalte Gänsehaut bei dem Gedanken an diesen Gott. Er war es, der Faith vor Jahren gequält hatte und … nein, ich sollte nicht jetzt darüber nachdenken. Trotzdem würde ich zu gerne wissen, warum auch er gerade in der Nähe war.
„Er muss mal wieder auf wichtig tun.“ giftete Hel plötzlich drauf los.
„Oh, hast du zu wenig Aufmerksamkeit?“ lachte Loki und ging vor den Blitzen, die plötzlich aus dem Kopf des Zepters der Göttin schossen, in Deckung!
Langsam kamen wir dieser Festung, die ich vorhin schon bemerkt hatte, näher. Eigentlich war es das nicht wirklich, es war mehr ein riesiges schimmerndes Bauwerk mit mehreren Stockwerken, Türmen, Zinnen und Alkoven!
Eine riesige Tür oder besser ein riesiges Bronzetor war der Eingang.
Das Gebäude stand erhaben auf einem kleinen Hügel an dessen Fuße kleine Wasserläufe ineinander liefen und wunderschöne bunte Wiesen erblühen ließen.
Der Weg zum Tor war aus buntem Stein gepflastert.
Ich sah in den Himmel, wo die Sonne ihre volle Pracht zeigte und mich wärmte.
Es war traumhaft!
„Mi sol, ich kann es gar nicht in Worte fassen.“ Haytham neben mir war ebenso sprachlos.
„Mama, das ist wirklich wie aus deinen Erzählungen und den Büchern.“ Florence war genauso aus dem Häuschen und bestaunte ihre Umgehung.
Helena hakte sich bei mir unter und lächelte mich glücklich an.
„Hier möchte ich bleiben.“ flüsterte sie.
„Ich auch.“ Edward lief vor uns her mit Thor und Heimdallr. „Fehlt eigentlich nur noch Anna!“ abrupt blieb er stehen und ich wäre fast in ihn hineingelaufen.
„Was ist, min lille skat?“ hatte ich etwas übersehen in meiner ganzen Euphorie?
„Sie … sollte auch hier sein, an meiner Seite.“ in seinen Augen lag etwas Traurigkeit und ich spürte sein schlechtes Gewissen.
„Edward, sie kann dich hierhin nicht begleiten. Auch wenn ihr zusammen gehört ist es nicht an ihr, unsere Welt zu betreten.“ erklärte der Allvater seinem Enkel. „Sie ist …“ er brach ab und suchte nach Hilfe bei den anderen.
Mir dämmerte so langsam, was mit Faiths jüngster Tochter los war. Es waren zu viele Mächte in ihr, aber was oder wer genau entzog sich meiner Kenntnis.
Mit einem Male verschwamm die Umgebung um mich herum und ein leichter Schwindel überkam mich …
Vor ein paar Tagen erhielt ich eine Einladung meiner Schwester im Geiste und staunte nicht schlecht, als sie uns zu einer Halloween Party einlud.
Da hatte sie sich wohl von meiner Schwiegertochter auf Haythams und meiner Hochzeit inspirieren lassen, grinste ich in mich hinein.
„Mi amor, wir gehen auf eine Gruselfeier bei Faith und Shay.“ eröffnete ich meinem Templer die frohe Botschaft.
„Eine was?“ sein Blick sagte alles. So war es ja auch gedacht gewesen.
„Wir gehen auf eine Feier zu Samhain. Du weißt doch, in der Nacht zum 1. November wenn die Geister uns am nächsten sind.“ ich wollte ihn etwas grübeln lassen, also schwieg ich einen Moment.
„Nun, ist das nicht aber auch ein christlicher Feiertag und müssten wir nicht zur Andacht?“ seine leichte Engstirnigkeit und Disziplin brach durch. Es gab Momente, da brachte mich das in Rage, so wie jetzt auch.
„Kann sein, mi amor. Aber … diese Feier wird bestimmt lustig. Die Kinder gehen von Haus zu Haus und sammeln Süßigkeiten. Man verkleidet sich und ich gehe mal davon aus, dass auch unsere Götter dort anwesend sein werden. Sie werden sich so ein Spektakel sicher nicht entgehen lassen.“ ich war hinter ihn getreten und hatte meine Arme um ihn geschlungen.
„Verkleiden? Du meinst man zieht ein Kostüm an, wie in einem Theaterstück? Du weißt, dass das nichts für mich ist.“ seine Stimme klang nörgelig.
„Ach komm schon, machen wir uns einen Spaß daraus.“ ich verteilte viele großzügige Küsse auf seinem Hals, seinem Nacken und seinen Wangen, bis er mich schwungvoll auf seinen Schoß zog.
„Schon gut, du hast gewonnen. Gibt es wenigstens guten Whiskey zu … wie heißt es nochmal … Halloween?“ sein breites Grinsen zeigte mir, dass er sich trotz des Protestes ein wenig auf diese Ablenkung freute.
„Du kannst soviel trinken bis du umfällst, mi amor!“ kicherte ich, weil ich mir denken konnte, wer sich ebenso die Kante geben würde.
Beim Abendessen verkündeten wir Florence und Edward unsere Pläne und die Einladung.
Unser Sohn war gleich Feuer und Flamme, weil er seine Cousins und Cousinen wieder sehen konnte. Unsere Tochter war noch etwas zu klein um zu verstehen, um was es genau ging. Aber als sie ihren großen Bruder sah, wie er sich freute, kam ein lautes „AUJAAAAA!“ aus ihrem vollen Mund.
In einer Woche sollten wir aufbrechen und bis dahin musste ich mir Kostüme überlegen.
Wer hätte es gedacht, aber Edward wollte unbedingt wie ein Pirat aussehen.
„Da kann ich bestimmt aushelfen.“ hörte ich meinen Schwiegervater lachen als er auch schon verschwand um kurz darauf mit einem kleinen Säbel, einer Spielzeugpistole und einer Minimontur, die wie seine eigene aussah, wieder bei uns erschien. „Hier! Damit bist du gut ausgerüstet!“
Florence hingegen war nach wie vor ein Fan von Prinzessinnen und ihren Kleidern. Das sollte das kleinste Problem darstellen, weil unsere Schneiderin vor einiger Zeit neue Stoffe bekommen hatte, die sich hervorragend eigneten. Sie waren Gelb und Rosa. Ich bestellte also ein bauschiges Kleid in diesen Farben mit passenden Schleifen und Stickereien darauf.
Bei der Anprobe 3 Tage später wollte unsere Tochter gar nicht mehr aus ihren Sachen raus.
„Nein, anlassen, Mama!“ rief sie mir auf deutsch zu und rannte zu ihrem Vater! Der sollte sie nämlich auch noch loben, meines reichte ihr noch nicht.
Fehlten nur noch besagter Gatte und ich!
Ich wollte ihn nicht überstrapazieren mit völlig fantastischen Kostümen und kam zu dem Schluss, dass Vampire immer gut waren.
Dafür musste ich aber erst einmal allen erklären, WAS Vampire waren.
„Ihhhh, die trinken Blut und leben dann für immer?“ bei seinen Worten musste Edward etwas würgen, was mich grinsen ließ. Den Vorteil der Unsterblichkeit sah er in diesem Moment noch nicht.
„Wo schlafen diese Untoten, wenn sie doch das Sonnenlicht meiden müssen?“ fragte Haytham nach, so als würde er eine wissenschaftliche Studie vorbereiten.
„In … Särgen. Und sie mögen keinen Knoblauch. Nun kommt schon, es gibt diese Vampire ja nicht in Wirklichkeit. Es ist nur eine Erfindung von Autoren und Schriftstellern. Diese Mythen beflügeln jedoch seit Jahrhunderten die Fantasie der Menschen.“ gab ich noch als kurze Erklärung zum Besten.
„Du und ich? Unsterblich? Ich könnte dich für immer haben?“ lüstern sah mich mein Templer an und zog mich fest in seine Arme.
„Ja, könntest du!“ hauchte ich und küsste ihn. Diese Vorstellung war schon irgendwie verlockend, sie hatte etwas.
Also setzte ich mich für zwei Tage mit meiner Kammerzofe und Haythams Kammerdiener zusammen.
Gemeinsam suchten wir passende Kleidung heraus. Ein schwarzer langer Gehrock für meinen Mann, passende Hose und Strümpfe. Das Hemd wurde blutrot eingefärbt von den Wäscherinnen, genau wie mein Überrock und meine Strümpfe.
Die blasse Haut würden wir mit einer feinen Paste aus Kalkstein für den Abend herstellen und schminken müsste ich meinen Gatten nicht großartig.
Beide hatten wir noch die großen Capes aus Frankreich. Der seidige Stoff war außen Schwarz und Innen rot gefüttert. So gäben wir ein schönes Vampirpärchen ab.
Am 31. Oktober kamen wir gegen Mittag auf der Williams-Plantage an, ließen uns unsere Zimmer geben und ich legte alles für den Abend bereit. Sybill und Sophia hatten ihre Anweisungen für die Kinder bekommen und auch sie machten alles fertig.
Faith war an diesem Tag wie ausgewechselt.
Sie war gelöst und voller Vorfreude auf den Abend und das Fest.
Trotz ihrer Schwangerschaft war sie erstaunlich fit. Als ich sie das letzte Mal besucht hatte, sah sie nicht sehr rosig aus.
Wir genossen ein leckeres kleines Mahl, weil wir später ein Barbecue haben würden.
Nach dem Mittagsschlaf der Kleinsten gab es noch einen wärmenden Tee und dann war es schon Zeit sich für die Feier umzuziehen. Meine Garderobe war recht aufwendig, weil es eher der viktorianischen Zeit angepasst war. Meine Vorliebe für Steampunk war durchgebrochen muss ich gestehen. Das hieß, ich hatte eine Krinoline und ein wirklich sehr fieses Korsett anzulegen.
Leise fluchte ich vor mich hin, wie ich so doof gewesen sein konnte.
„Selbst schuld, mi sol. Schau, ich kann einfach in meine Sachen schlupfen.“ lachte mein Templer, ehe er meiner Haarbürste ausweichen musste.
Auf der Galerie kamen die Kindermädchen mit Edward und Florence auf uns zu.
Beim Anblick unseres Sohnes stiegen mir Tränen in die Augen. Er sah aus wie sein Vater vom Gesicht her, aber die Kleidung war die seines Großvaters. Ich hatte diese Montur an ihm bereits damals gesehen.
Ich nahm ihn in den Arm und flüsterte: „Du machst deinen Vater und Großvater gerade sehr stolz!“
„Wenn ich groß bin, dann will ich ein echter Pirat sein…“ begann er, doch ich sah, wie er hastig innehielt, so als würde ihm jemand ins Gewissen reden. Lautlos!
Endlich konnte ich unsere Tochter in ihrem wunderschönen Kleidchen bewundern. Es war aus Seide und der Überrock aus Spitze. Die kleinen Schleifchen auf dem Stoff fanden sich auch in ihren blonden Haaren wieder. Sie sah zuckersüß aus und ließ mich selig lächeln.
„Du bist richtig hübsch, min lille engel!“ ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und Haytham nahm sie auf seinen Arm.
Gemeinsam gingen wir die Treppe hinunter wo wir schon in der Eingangshalle von Familie Cormac erwartet wurden.
Faith hatte sich als schwarze Fee verkleidet, wohingegen Shay eine dieser alten Templerrüstungen trug. Meine Schwester hatte mir vorab schon erklärt, dass sie diese vor Jahren in einem Schiff mit Namen Saphire gefunden hatte, aber ihren Gatten nie überzeugen konnte sie zu tragen. Kein Wunder, sie war sicher schwer und nicht so leicht anzulegen.
July war eine Hexe, Cadan ein Untoter, was mich grinsen ließ, er sah sehr überzeugend aus. Paddy war ein kleines Gespenst, sprich er hatte eine Art Laken über dem Kopf und rannte in der Halle herum.
Als ich Imhotep erblickte fragte ich mich, warum er sich nicht umgezogen hatte. Er würde einen fantastischen Pharao abgeben, dachte ich noch, als er mich grinsend ansah. Verdammt, das offene Buch. Noch immer hatte ich da hin und wieder meine Probleme es geschlossen zu halten!
Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen! Imhotep sah einem ägyptischen Medjay, der etwa 50 vor Christus gelebt hatte, ähnlich, welchen wir mithilfe des Animus bei Abstergo damals gefunden hatten. Ich hatte nur ein paar Bilder gesehen, aber diese Ähnlichkeit war verblüffend! Wie war sein Name noch mal? Amunet war seine Frau, die Begründerin der heutigen Bruderschaft. Wie hieß er noch gleich? Bayek! Bayek von Siwa! Wieder einmal hatte ich ein neues Puzzleteil gefunden und eine gewisse Zufriedenheit breitete sich in mir aus.
Zusammen gingen wir hinaus in die kühle Abendluft und überall sah man Kürbislaternen leuchten. Ich sog diese wohlige Atmosphäre in mich auf, es war als würde ich nach Hause kommen!
„Ich freue mich so, Halloween mit euch zu feiern!“ grinste ich Faith an und hakte mich bei ihr unter.
Die Kinder rannten vorweg, während Paddy auf Shays Arm blieb.
Wir kamen zu den ganzen Häusern der Matrosen hier auf der Plantage und auf einem großen Platz in der Mitte loderte bereits ein Feuer. Ein Ausschank war ebenfalls aufgebaut wie ich sah und deutete meinem Mann, dass er heute sicher nicht verdursten würde.
Irgendwann machten sich die großen Kinder auf um gemeinsam zu spielen. Mir war es mit Edward nicht ganz recht, weil er sich hier nicht so auskannte.
Faith sah mich lächelnd an und versicherte mir, dass nichts passieren würde. Sie würden auf sich gegenseitig aufpassen.
Trotzdem fiel mir das noch schwer, auch wenn ich wusste, dass mein Sohn bei uns ebenso mit den anderen gemeinsam loszog.
„Komm, wir gehen mit Florence und Paddy ein paar Süßigkeiten abstauben.“ sie hatte ja Recht und wir zogen los.
Haytham war eh mit Shay in ein Gespräch vertieft und leerte einen Becher nach dem anderen. Ihm schmeckte das Ale des Münchner Braumeisters wohl, der sich hier niedergelassen hatte.
Wir gingen von Haus zu Haus mit den beiden Kindern und sie bekamen Plätzchen, Zuckerbonbons und allerlei anderen Süßkram.
Nach einer halben Stunde waren die beiden Körbchen voll und uns rannten July, Cadan und Edward mit ebenfalls vollen Körben entgegen. Auch sie hatten ordentlich Beute gemacht.
Jetzt mussten wir nur noch auf die Herren warten.
Es dauerte nicht lange, als unser Sohn wieder losrannte und lautstark seinem Vater verkündete, dass er ganz viele leckere Sachen bekommen hatte.
„Das zeigst du mir, wenn wir wieder im Haus sind, ja? Hier ist es viel zu dunkel, da kann ich doch gar nichts sehen.“ lachte Haytham und nahm ihn an die Hand.
„Mi amor, ein Vampir kann auch in völliger Dunkelheit sehen!“ gab ich zu bedenken.
Was ich dann sehe, werde ich dir später zeigen! Hörte ich ihn in meinem Kopf und mir stieg eine leichte Röte ins Gesicht bei dem Gedanken.
Alle zusammen machten wir uns jetzt auf den Rückweg zum Herrenhaus, wo laut Faith, Lady Melanie noch eine Überraschung geplant hatte.
Samhain / Halloween – Williams-Plantage – 1768
In der Eingangshalle angekommen, wollte ich gerade meinen Umhang ablegen, als plötzlich ein kalter Luftzug durch die Räume fegte und alle Lichter erloschen gleichzeitig!
Erschrocken sah ich zu Haytham, weil mein erster Gedanke in Richtung Hrymr ging.
Doch dann hörten wir eine leise Stimme, wie sie ein Lied anstimmte.
Etwas verwirrt konzentrierte ich mich darauf, weil es sich wie „This is Halloween“ anhörte, doch das konnte nicht sein. In diesem Jahrhundert war diese Musik noch gar nicht erfunden.
Zögerlich gingen wir Richtung Terrasse und als Shay die Tür geöffnet hatte, hörten wir diese Stimme deutlicher. Leise und mystisch wehte sie förmlich um uns herum. Wie war das möglich? Es gab noch keine Grammophone oder ähnliches.
Durch diese anhaltende Dunkelheit war es tausendmal gruseliger und uns lief wahrscheinlich allen eine Gänsehaut über den Körper.
Auf der Terrasse war aber auch niemand zu sehen.
Plötzlich flammte ein Feuer im Garten auf und davor erschienen sieben Wesen, die Masken trugen. Um sie herum war ein bläulicher Schein und ließ sie noch unheimlicher wirken.
Edward und Florence klammerten sich ängstlich an uns.
Selbst mir war das zuviel Horror für eine Nacht. Doch damit noch nicht genug.
Die Erde vor ihnen begann zu beben und wir sahen eine Hand aus dem Boden emporkommen!
Bei Odin! War ich bei Stephen King gelandet? Ich liebte Horrorfilme, keine Frage. Aber das war Fiktion und ich saß auf meinem bequemen Sofa. Das hier war eine andere Hausnummer.
„Willkommen Sterbliche!“ sprach eines der Wesen.
Der Hand aus dem Untergrund folgte ein Kürbiskopf und mir wurde klar, dass wir in einem wahren Halloween Haus gelandet waren. Der kopflose Reiter! Wer kennt die Story um Sleepy Hollow nicht? Johnny Depp war brillant in seiner Rolle damals … entschuldigt … hier kannte sie vermutlich niemand.
Wir sahen, wie ein Hund emporstieg und neblig vor uns schwebte.
Weitere unheimliche Gestalten waren in diesem unwirklichen Licht aufgetaucht und so langsam entspannte ich mich.
Hier gab es zwar noch keine Specialeffects, aber man hatte sich richtig ins Zeug gelegt um uns zu erschrecken.
„Haytham, dass ist gerade wie in einem Film den ich über alles liebe. Nightmare before Christmas oder Corpes Bride! Tim Burton lässt grüßen!“ ich wurde immer aufgeregter, es war einfach großartig.
Leider fand Florence gar keinen Gefallen daran und jammerte auf Haythams Arm. Leise versuchte er sie zu beruhigen. Mit mäßigem Erfolg leider.
Nur Edward stand begeistert vor uns und sah sich das Spektakel mit offenem Mund an.
Uns wurde eine echte Show geboten und mit einem Male machten sich die Süßigkeiten der Kinder selbstständig und flogen zu den Wesen vor dem großen Feuer. Diese ließen sich die Plätzchen und Bonbons schmecken.
Langsam verschwanden die anderen Gestalten wieder in der Erde und zurück blieben die sieben leuchtenden Erscheinungen.
Eine Pranke schnappte sich das letzte schwebende Gebäckstück und Faith fragte völlig ungläubig: „Sachmet?“
„Endlich habt ihr es begriffen!“ grinste ein Mann ganz rechts.
Fragend sah ich zu meiner Schwester, erhielt aber keine Antwort.
Hier waren ihre Götter am Werk, soviel war mir ja klar. Aber … WER stand hier vor uns.
Im Grunde war es aber egal, ich hatte diese Show genossen und hatte ein kleines Stück meiner Zeit bekommen.
„Das war Absicht, dass ihr uns Angst machen wolltet, aber woher kennt ihr Nightmare before Christmas?“ fragte ich die Götter vor uns.
„Wir sind Götter und es ist uns allen eine Freude, dich, die Tochter Odins endlich kennen zu lernen.“ sprach … Moment, das war Hathor, oder täuschte ich mich? In meinem Kopf brach Chaos aus, weil ich jetzt wieder Namen und Lebensläufe sortieren musste.
Es begann eine schier unendliche Vorstellungsrunde, sogar Anubis durften wir kennenlernen.
Etwas befangen stand ich inmitten dieser ganzen Götter und wusste nicht so recht, was ich damit anfangen sollte.
Geschichten von getöteten Drachen wurden unter anderem erzählt und ich sah zu Florence, welche ja Brünhild inne hatte. Auch sie hatte einen Drachen erlegt.
Für einen winzigen Moment glitten meine Gedanken zu der Nibelungen Saga. Eine wirklich phantastische Erzählung, wenn auch nicht wirklich wahrheitsgemäß. Wie gerne würde ich dieses Buch noch einmal in Händen halten!
Die anderen brachten mich jedoch wieder in das Hier und Jetzt!
Wir ließen es uns gutgehen und ich entspannte mich wieder etwas.
Bis zu dem Moment, wo Faith sich etwas in die Ohren steckte und ich ein Lied hörte, welches mich an mein altes Leben denken ließ.
Es war Heart of Courage von Two Steps From Hell. Ich liebte dieses Musikstück! Jeder konnte es jetzt hören und ich konnte nicht anders.
Ich musste hier weg!
Weg von dieser Musik!
Meine Füße trugen mich hinauf in unser Zimmer, wo mich Haytham einholte und besorgt in den Arm nahm.
„Mi sol, was ist los? Es ist doch nur …“ begann er.
„Es ist ein Stück aus meiner Zeit und ich will wieder dorthin! Ich vermisse alles was ich hatte!“ meine Stimme begann sich zu überschlagen, so aufgebracht war ich!
„Vielleicht sollten wir noch einmal …“ wieder unterbrach ich meinen Gatten.
„Nein, hör auf damit! Das ist es nicht, was ich gerade will!“ fauchte ich und befreite mich aus seiner Umarmung! Oder wollte ich es doch?
„Verstehst du nicht? Meine Erinnerungen kochen gerade hoch. Mein Leben welches ich … vor dir hatte … meine Freunde, mein Sohn …“ ich ließ mich aufs Bett fallen und brach in Tränen aus. Das war gerade alles zuviel für mich!
Neben mir spürte ich, wie sich Haytham dazulegte, seinen Arm um mich legte und mich einfach festhielt.
Sein ruhiger Atem und sein Herzschlag beruhigten mich langsam wieder, aber die Tränen wollten sich nicht stoppen lassen.
Es vergingen Minuten ehe ich mich wieder aufraffen konnte um den anderen die schöne Feier nicht zu verderben.
„Dein Ernst, Alex? Du verdirbst doch niemandem etwas.“ mein Mann stand jetzt vor mir und zog mich zu sich hoch. „Versprich mir nur, dass du mir beizeiten einmal diese Musik auf deinem … wie hieß dieses Ding… Handy zeigst. Nur damit ich für den Fall der Fälle gerüstet bin und weiß, dass du Heimweh hast.“ sein verschmitztes Lächeln ließ mich grinsen.
„Versprochen!“ mein Kopf lehnte für einen Moment an seiner Brust und dieser Duft von Lavendel stieg mir in die Nase.
Ich war wieder hier angekommen!
„Danke, mi amor!“ hauchte ich und gab ihm einen langen innigen Kuss.
Gemeinsam gingen wir hinunter, wo unsere Kinder schon auf uns warteten und mich einige Augenpaare besorgt ansahen.
Faith eilte auf mich zu und nahm mich in den Arm.
„Wünsch dir ein Lied!“ flüsterte sie und sah mir tief in die Augen. Ich vermutete, sie wusste, was mir eben gerade durch den Kopf gegangen war.
„Ich kann mir alles wünschen?“ mir gingen tausend Stücke durch den Kopf. Ich wollte hier auch niemandem völlig vor den Kopf stoßen, also sollte es etwas sein, was einen eher gesetzteren Modus hatte.
Mir ging das Leblanc - Palladio durch den Kopf.
Kaum dass ich es gedacht hatte, ertönten die ersten Noten und mich überlief eine wohlige Gänsehaut.
Langsam begann ich mich zum Takt zu bewegen und nach und nach kamen auch die anderen dazu.
Mein Mann war jedoch erst noch skeptisch und fragte, ob man sowas wirklich in meiner Zeit hörte und wie man dazu überhaupt tanzen sollte.
„Beweg dich einfach, wie es dir gerade in den Sinn kommt. Lass dich von dem Rhythmus und der Melodie treiben, mi sol.“ es war berauschend.
Der restliche Abend, oder besser die Nacht, war ganz der Entspannung und dem Spaß an gutem Essen und dem Wein gewidmet.
Langsam vergaß ich wieder mein Heimweh!
Mit diesem befreiten Gefühl tauchte ich wieder in Asgard auf und sah mich fragend um. Warum war gerade diese Erinnerung hier in meinem Kopf aufgeploppt?
„Alexandra, du hast in den Jahren einige Ereignisse unter den Teppich gekehrt. Sie waren, wie diese zu Samhain zum Beispiel, zu schmerzhaft. Oder sie taten dir einfach nicht gut. Wir haben sie nicht aus deinem Gedächtnis gelöscht, sondern … auf Eis gelegt.“ erklärte mir Loki.
„Aber warum? Gibt es noch mehr Momente, welche ich gar nicht mehr so wirklich weiß? Auch Dinge aus … dem 21. Jahrhundert?“ fragte ich ängstlich nach. Ich befürchtete, dass es noch mehr Lücken geben könnte, die jetzt nach und nach gefüllt werden würden.
Und plötzlich kam mir ein völlig abstruser Gedanke in den Sinn.
War ich damals nicht in dieses Jahrhundert gereist, 1758 um genau zu sein, um Shays Lebenslücken zu analysieren? Könnte ich dort nicht auch noch ansetzen?
„Oh bitte. Da sind wir schon lange drüber weg, Tochter!“ Odin sah mich kopfschüttelnd an.
„Ist ja auch nur ein Gedanke gewesen!“ maulte ich leise.
Wir standen mittlerweile vor dem großen Bronzetor und der Allvater öffnete es mit einer wischenden Geste seiner Hände. Die beiden Flügel schwangen auf und offenbarten einen gigantischen Innenhof, in dessen Mitte ein großer Tisch stand. Darum platziert waren Bänke und Hocker. An der einen Spitze sah ich einen imposanten hölzernen Thron stehen und grinste in mich hinein.
„Wie viele von diesen Sitzmöbeln hast du eigentlich, Vater?“ ich konnte mir dieses Lachen nicht verkneifen, es war zu absurd.
„Genau so viele wie du Kleider in deinen Schränken hast.“ sprach er leicht säuerlich, weil ich mich über ihn lustig gemacht hatte.
Wie schon in meiner Vision standen die drei Frauen dort und sahen in unsere Richtung. Was würde mich jetzt erwarten?
Mein Puls beschleunigte sich und mein Atem ging etwas stockend. Es war keine Angst, sondern … doch! Es war die Angst vor dem Ungewissen. Vor etwas Neuem!
Als erstes trat Skuld, die Norne der Zukunft und eine der Walküren, vor.
Sie war groß, überragte mich locker mit einem Kopf, war kräftig gebaut und ihr Haar schimmerte schwarz-bläulich. Ihre Kleidung war einfach, aber dennoch auf eine Art sehr fein. Sie umspielte ihren Körper!
„Du bist endlich hier. Deine Tochter durfte ich ja hier schon begrüßen. Ich freue mich, dass auch du den Weg zu uns gefunden hast.“ ihre Stimme war tief, aber gleichzeitig wie Samt in den Ohren.
„Ich freue mich auch hier sein zu dürfen!“ sagte ich etwas unbeholfen und reichte ihr meine Hand.
Lachend nahm sie mich einfach in den Arm.
„Mein Blut fließt in deinen Adern, wozu noch diese eigenartige Etikette?“
Es mag sich seltsam anhören, aber ich fühlte diese Verbundenheit und es schien, als würde ich wortwörtlich ihr Blut in meinen Adern rauschen hören.
Die Zukunft durchströmte mich, doch noch waren mir keine Bilder vergönnt.
„Das kommt etwas später.“ erklärte sie und deutete auf die anderen beiden Frauen.
Andarta trat vor, verbeugte sich und reichte mir ihre Hand.
„Es ist mir eine Ehre dich jetzt von Angesicht zu Angesicht kennenzulernen. Wir hatten leider noch nicht das Vergnügen uns zu begegnen.“ sprach sie leise mit einer rauen und ebenfalls tiefen Stimme. „Wenn es der Allvater mir erlaubt, werde ich dir zeigen, welche Gestalt du annehmen kannst und wie das geht.“
Fragend sah ich in die Runde. Das war doch eigentlich nur sehr wenigen vergönnt!
„Das ist richtig. Aber du wirst es gebrauchen können und denk für einen Moment an die Situation in der Schmiede! In dir kam die Löwin empor, welche ihre Kinder beschützt.“ erklärte sich Andarta.
„Heißt das, ich kann die Form eines Tieres annehmen?“ ungläubig sah ich wieder zur Göttin.
„Nicht nur Tiere stehen dir zur Verfügung. Wenn ich dich in deinem Training weiterführe, wirst du sehen, dass du alles für dich nutzen kannst. Menschengestalt ist natürlich etwas schwieriger, aber auch dort hast du tief in dir bereits die Veranlagung dafür. Diese Verwandlungen sind jedoch schmerzhaft und du wirst schnell feststellen, dass man es nicht leichtfertig nutzen sollte.“
Plötzlich fiel mir siedendheiß ein, dass wir ja eigentlich in Boston sein sollten und uns dort um die aktuellen Geschehnisse kümmern sollten. Nicht HIER!
Als ich die Götter darauf ansprach, lachten sie und Thor klopfte mir auf die Schulter.
„Du hast noch immer nicht die Zeit in dieser Welt verstanden, oder? Was hier passiert ist nicht gleichzusetzen mit der sterblichen Zeitrechnung. Also entspann dich!“
Sein Wort in Odins Ohr!
Also hieß es für mich, dass ich mich entspannen sollte.
Das war leichter gesagt als getan.
Jetzt trat die dritte Dame vor und stellte sich als Vör vor. Sie war die Göttin der Gerechtigkeit grob gesagt. Sie war prädestiniert für das schlechte Gewissen bei einem Vertragsbruch. Ihr wird auch nachgesagt, ihr Name leite sich von „die Vorsichtige“ ab.
„Ich sehe in deinen Augen, dass du weißt, dass ich schon lange in deiner Nähe bin.“ lächelte sie wissend und es wurde mir jetzt richtig bewusst.
Ich hatte sehr sehr oft ein schlechtes Gewissen. Mein Gerechtigkeitssinn war anders als bei anderen. Doch dass ich diese Göttin in mir hatte, ihre Fähigkeiten über Richtig oder Falsch zu entscheiden und entsprechend das Karma wirken zu lassen, erfüllte mich mit einer wohligen Genugtuung.
Doch wie sollte ich das Karma heraufbeschwören? War es nicht im Grunde das selbe wie das Schicksal?
„Dein Scharfsinn zeichnet dich wieder einmal aus. Du bist die Norne der Zukunft und hast neben deinen Schwestern die Fäden in der Hand. Jedoch nutze alles nur mit Bedacht!“ mahnte Vör mich jetzt eindringlich.
„Aber bevor wir hier noch verdursten und verhungern … lasst uns die Ankunft meiner Tochter und ihre Einführung in ihre wahre Bestimmung mit einem Festmahl feiern!“ rief Odin und auf dem großen Tisch erschienen Schüsseln mit allerlei leckeren Speisen, Krüge mit Met, Wein und Ale und über einem großen Feuer in der Mitte der Halle drehte sich ein riesiges Spanferkel! Dieser Duft von gebratenem Fleisch ließ mir das Wasser im Munde zusammenlaufen.
„Mutter, ist es also wirklich so, wie mir Thor immer erzählt hat, dass du die dritte Norne bist?“ hörte ich Edward Junior neben mir leise fragen.
„Er hat mit dir darüber gesprochen? Warum hast du denn nie etwas gesagt?“ etwas wütend sah ich zu meinem Vater, welcher sich mit Haytham und Edward Senior unterhielt.
„Wir sollten vorerst stillschweigen…“ auch wenn er als junger Erwachsener hier vor mir stand, duckte er sich wie der 10-jährige der er daheim eigentlich war.
„So ist das also…“ ich konnte meine Wut kaum unter Kontrolle halten, was Andarta auf den Plan rief.
„In solchen Momenten ziehe deinen Geist zurück in eine friedliche tierische Gestalt. So kannst du darin ruhen und wieder entspannen.“ ihre Worte klangen wie durch einen Nebel an mein Ohr und ich tauchte immer weiter in diesen Dunst ein.
Um mich erschienen verschiedene Tiere … vom Reh, Hasen, einer Schildkröte bis hin zu einer majestätischen Löwin und einem wunderschönen Adler!
„Mit welchem Wesen kannst du dich genau jetzt am besten identifizieren?“ fragte die Göttin nach.
Meine Augen wanderten von einer Art zur anderen… ich wollte von oben alles überblicken um nichts zu übersehen.
„Das ist ein hervorragender Ansatz!“ hörte ich Andarta erneut neben mir. „Stell dir diesen Adler vor, sieh wie er sich in die Lüfte erhebt. Vielleicht hast du sogar einen Namen für ihn, für später, damit du ihn leichter heraufbeschwören kannst.“ es folgte ihrerseits eine kurze Pause und ich dachte nach.
Ein Adler… wie würde er heißen? Seine fließenden Flügelbewegungen glichen einem Wasserlauf … Vahan! Wenn ich mich recht erinnerte hieß das fließendes Wasser! Wieder einmal war ich bei den Kelten angekommen.
Sie hatten ebenfalls tiefe Wurzeln in meiner Vergangenheit wie es schien. Nicht ohne Grund kannte ich mich auch dort recht gut aus.
Mit ihm stieg ich jetzt in die Lüfte! Immer höher flog ich der Sonne entgegen. Unter mir sah ich die Berge, die Flüsse und Bifröst.
Etwas riss mich jedoch aus meiner Betrachtung.
Ein großes reich verziertes Tor erweckte meine Aufmerksamkeit.
Ich flog näher um nachzuschauen, was es damit auf sich hat.
„Willst du wirklich in die anderen Welten reisen? Du musst erst einmal hier lernen, bevor du weitere Reisen antreten kannst. Jötunheim oder Muspelheim sind dir nicht vorherbestimmt. Deine Schwestern würden toben vor Wut!“ hörte ich den Allvater.
Meine Schwestern!
Würde ich sie hier kennenlernen?
„Komm zurück und wir werden uns stärken und feiern. Danach sehen wir weiter.“ Odin lotste mich zurück zur Halle wo ich mich wieder in meine menschliche Gestalt verwandelte.
Etwas verwundert sah ich zu Andarta.
„Ich habe gar keine Schmerzen verspürt.“ hakte ich nach und hörte ein leises Lachen von ihr.
„Ich sagte, die menschliche Gestalt tut weh. Du musst deine eigene Konstitution mit einer anderen tauschen und das kann mehr als nur unangenehm werden. Ein Tier ist etwas anderes, auch wenn es deine Kräfte ebenso beansprucht.“
„Auf meine Tochter!“ jubelte mein Vater und alle stimmten darin ein, hoben ihre Kelche!
„Auf Solveig!“ riefen die mittlerweile zahlreich erschienenen Bewohner Asgards und hoben ihre Becher.
Fragend sah ich zum Allvater!
„Dein Name ist sogar deinem Gatten bekannt. Mi sol! Die Sonne oder wie wir es hier halten „Der Sonnenweg“! Außerdem bist du die Hausherrin! In deiner Zeit war es so und auch bei Haytham verhält es sich nicht anders!“
Es war, als würde er endlich all diese Dinge herauslassen können, diese ganzen Feinheiten, Erklärungen und Vorhersagen mir kundtun.
Nicht nur Havi war erleichtert, nein, auch ich war es.
„Willkommen daheim!“ mit diesen Worten zog mich mein Vater erneut unter seinen Umhang und ich sah einige Erinnerungen aus meiner Kindheit, welche ich immer für Hirngespinste gehalten hatte.
Schon früh war ich fasziniert vom Gedanken an Walhalla, von den nordischen Göttern und las alles was ich finden konnten. Leider nahm niemand meine Euphorie wahr, geschweige denn unterstützte mich. Im Gegenteil!
Alles sei nur Fantasie und nicht wirklich real.
Doch ich hatte so oft dieses Gefühl der Gegenwart Odins oder Balders zum Beispiel, dass ich es nicht wirklich hinterfragen wollte. Je älter ich wurde, desto mehr verbannte ich diesen Glauben und verbrachte meine Zeit mit meiner Ausbildung zur Assassine! Was nicht verkehrt war, versteht mich nicht falsch. All das hat mich zu diesem Punkt gebracht.
„Es tut mir leid.“ flüsterte Frigg neben mir plötzlich und zog mich ein wenig von den anderen Feiernden und Odin weg.
„Wir hätten es dir schon viel früher zeigen sollen, aber … es gab so viele Gefahren in deinen jungen Jahren, dass wir gezwungen waren uns vorerst zurückzuhalten. Deine Unerfahrenheit hätte fatale Folgen haben können.“ sie ließ mich den kalten Krieg sehen, die Angst vor einem Atombombenangriff und so weiter. Ich war ein Kind der 1980er und wuchs mit Ängsten auf, die zum Beispiel Yannick gar nicht mehr verstehen konnte.
„Ihr müsst zugeben, dass es aber jetzt etwas zuviel auf einmal ist!“ stöhnte ich, weil mein Kopf sich mit einem Male wie mit Blei gefüllt anfühlte.
Entspann dich und folge mir! Hörte ich eine leise Stimme in meinem Kopf, die doch tatsächlich noch Platz darin gefunden hatte.
Ohne zu überlegen schwebte ich förmlich dieser Gestalt hinterher.
Vor mir tauchte ein dichter Nebel auf, welcher grünlich schimmerte. Langsam trat ich hindurch und auf der anderen Seite stand ich am Fuße eines Baumes oder … nein… es waren nur Wurzeln gespeist von einer Quelle aus der Nähe!
Der Fächer! Wieder hatte ich diesen Gedanken! Aber was hatte Spanien mit den Schicksalsgöttinnen zu tun?
Ich sah drei Leinwände, oder Webstühle! Einer war verwaist.
„Geh und beginn deine Arbeit.“ sprach Verdandi!
Langsam schritt ich auf meinen Arbeitsplatz zu.
Als ich vor dem leeren Rahmen stand, fragte ich mich, was ich jetzt tun sollte.
„Du hast im wahrsten Sinne des Wortes die Fäden in der Hand, die Zukunft eines jeden zu weben. Nimm die Nadel und schau was passiert.“ sagte Urd leise, während sie weiter mit ihrer Arbeit beschäftigt war.
Das Werkzeug lag warm in meiner Hand und vor meinem geistigen Auge sah ich einen Mann, welcher an einem hohen Gebäude arbeitete. Schwankend lief er über das wackelige Gerüst zu seinem Werkzeugkasten. Dabei sah ich, wie er sein Gleichgewicht verlor und … Standbild.
Ich sah zu Urd und Verdandi! Ich verstand nicht, was gerade vor sich ging!
„Du hast die Fäden in der Hand! Sein Schicksal liegt in deinen Händen!“ hörte ich sie leise sagen.
Ich sollte bestimmen, was jetzt passieren wird?
Ich ließ die Nadel wie ein heißes Eisen fallen und hechtete förmlich mehrere Schritte zurück. NEIN! Das wollte ich nicht!
„Es ist aber deine Bestimmung und du wirst bald lernen und verstehen, dass es nicht um Moral und Ethik hier geht. Wer sich fahrlässig verhält, wird entsprechend …“ begann Verdandi und ich beendete ihren Satz.
„… sein Schicksal bekommen. Ob es nun ein Happy End oder trauriges Drama ist.“ flüsterte ich und mir lief eine Träne über die Wange.
„Bei jedem Tod, welchen du siehst, wird es leichter. Du bist nicht verantwortlich für diesen, auch wenn es sich so anfühlt. Du bist diejenige, die ihn schreibt und aufzeichnet. Diesen feinen Unterschied wirst du noch lernen zu verinnerlichen.“ erklärte mir jetzt plötzlich mein Allvater, der sich klammheimlich zu uns gesellt hatte.
Seine Arme schlangen sich wieder um mich und führten mich von hier weg.
„Ich wusste, es ist noch zu früh, dir diese Aufgabe zu zeigen. Mache dich fürs Erste mit dem Wandel in andere Personen oder Tiere vertraut. Es ist meine Schuld, dass du … ängstlich bist und Hemmungen hast, deine Fähigkeiten zu nutzen. Sie schaden niemandem, das weißt du.“ seine Stimme war sanft und langsam beruhigte sich auch mein Gewissen wieder.
„Warum hast du mir aber so vehement verboten die Zeitreisen weiter auszubauen. Könnte ich nicht genau jetzt mit Skuld an meiner Seite diese noch verfeinern?“ ich malte mir aus, dass ich … nein, natürlich nicht. Reise ich in die Zukunft, dann schreibe ich sie nicht, sondern erlebe sie! Wollte ich überhaupt von hier weg und sogar über meine eigene alte Zeit hinaus sehen, was uns noch erwartet?
„Du hast keine Wahl, du wirst es für die Menschheit festlegen und ihre Zukunft bestimmen.“ Odins Stimme klang seltsam ruhig und mir lief eine Gänsehaut über den Rücken.
Yannick!
„Dein Sohn wird irgendwann eine Rolle für dich als Norne der Zukunft spielen. Wenn es soweit ist, dann werden wir dir zur Seite stehen.“ wieder fühlte ich seine Arme um mich und beruhigte mich langsam. Dennoch war es ein mehr als unangenehmer Gedanke, dass ich wirklich bestimmen musste, wer wann wie leben oder sterben würde. Ich würde Babies auf die Welt kommen lassen, oder eben nicht. Ich würde einen Menschen sterben lassen und einen anderen überleben lassen.
Mir schoss mit einem Male ein Gedanke in den Kopf!
„Wenn ich doch diese Macht habe, warum konnte ich nicht Faith vor ihrem Tod bei der Geburt von Anna retten? Warum musste ich zusehen, wie sie stirbt und … wieder aufersteht.“ plötzlich hatte ich diese Bilder wieder im Kopf, wie meine Schwester im Geiste starb und ich ihre Tochter in den Armen hielt!
Dieser Moment verblasste so schnell wie er gekommen war und ich spürte eine Eiseskälte um mich herum!
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Kapitel: | 6 | |
Sätze: | 804 | |
Wörter: | 11.604 | |
Zeichen: | 66.664 |
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