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Der Anblick des Londoner Hafens war einfach überwältigend für mich. Ich war erneut einige Zeit nicht in meiner Heimat gewesen, auch wenn ich sie nicht sonderlich vermisste. Aber ein kleines bisschen Heimweh überkam mich dann und wann in Virginia, wenn ich Nachricht aus London, Schottland oder Frankreich zum Beispiel bekam.
Nachdem meine Frau Edward erklärt hatte, dass es nicht Eurapio sondern Europa hieß, nahm ich unsere Tochter auf den Arm, welche immer unruhiger wurde. Nach der langen Überfahrt und den ganzen Turbulenzen konnte ich es ihr nachfühlen!
Wie so oft sah ich in Alex Gesicht ein wissendes Grinsen und vernahm ihre Gedanken bezüglich eines Brexit, den sie Odin sei Dank nicht unseren Kindern erklären musste. Vielleicht sollte ich sie beizeiten fragen, was es damit nun schon wieder auf sich hatte.
Mit Florence auf dem Arm stand ich an der Reling und sah zu wie unser Schiff langsam zum Stehen kam, die Taue festgemacht wurden und der Anker fallen gelassen wurde.
„In dieser Stadt bin ich geboren worden, mein Engel. London ist der Nabel der Welt sagt man, weißt du? Von hier erstrecken sich Unmengen an Handelsrouten für allerlei Waren. Gewürze, Stoffe, Tee, Kaffee oder deine geliebte Schokolade. Mein Vater hat damals als er sich hier niederließ ein wunderschönes Anwesen gekauft und deine Großmutter geheiratet.“ erzählte ich ihr und sah verträumt auf das geschäftige Treiben im Hafen.
„Da … Nini!“ rief sie plötzlich, klatschte in die Hände und ich sah meine große Schwester am Pier auf uns warten. Sie winkte uns schon zu. Neben ihr stand ihr Verlobter, Master Mormon!
Kaum waren wir von Bord an Land getreten berichtete Jennifer, dass ein Bote die Ankunft unserer Brig lautstark kundgetan hatte.
„Er sagte wortwörtlich, dass er den berüchtigten Piraten Edward Kenway persönlich gesehen hätte!“ Jenny zog dabei leicht amüsiert eine Augenbraue hoch, weil wir wussten, dass unsere Familie immer wieder Opfer der Gerüchteküche wurde.
Mittlerweile macht es mir nichts mehr aus. Wenn du nichts dagegen hast, meine Lieblingsschwiegertochter, dann würde ich auch hier gerne diese Gruselgeschichte des alten Kapitäns und Piraten, der des Nachts hier herumschleicht, aufrechterhalten. So braucht ihr kaum Wachen einteilen.
Das würde ihm so passen. Ich wollte um meiner Schwester Willen nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen, doch ich hatte die Rechnung ohne meinen Sohn gemacht.
Opa, ich will das mal sehen, bitteeeeeeeeeee! Bettelte Edward Junior in unserem Geiste.
Hmmmm, ich glaube, das kann ich dir sicherlich erlauben, du kleiner Rabauke! Er war ganz der Großvater und ganz anders als der Vater den ich kannte. Wer weiß wie ich eines Tages mit eigenen Enkelkindern umgehen würde. Wenn wir denn welche hätten, doch das stand noch in den Sternen.
Wenn du wüsstest! Lachte mein Vater in meinem Kopf und ward verschwunden.
Es war an der Zeit meine Schwester und ihren zukünftigen Mann vernünftig zu begrüßen!
„Oh, da seid ihr ja endlich! Ich freue mich so, dass ihr alle heile und wohlbehalten von Bord kommt!“ freute Jennifer sich, schloss jeden nacheinander in die Arme. „Florence mein Schatz, du bist aber groß geworden. Was gibt dir deine Mutter bloß zu essen?“ lachte sie ihre Nichte an, welche ihre Ärmchen nach ihr ausstreckten.
„Nini… Nini Aaaaaaaaaam!“ dieses Strahlen dabei im Gesicht meiner großen Schwester ließ meine Augen feucht werden. Sie würde keine eigenen Kinder mehr haben können, leider und es tat mir auf der einen Seite leid. Auf der anderen hatte sie ihren Frieden gefunden. Sie würde jetzt den Mann heiraten, den sie liebte und der sie vergötterte. Die beiden hatten sich gesucht und gefunden! Wollten wir nicht alle diesen Frieden finden, irgendwann?
Als wir an der Villa ankamen brauchte ich einen Moment um mir bewusst zu werden, dass das hier nicht das Original war. Ich war ja schon einige Male hier gewesen, dennoch war es immer noch ein merkwürdiges Gefühl einzutreten. Es war mein Zuhause, mein Geburtsort, aber trotzdem war es nicht das gleiche.
Ein weiterer absurder Gedanke tauchte in meinem Kopf auf und ich sprach ihn auch direkt aus.
„Mi sol, kaum zu glauben, dass es schon 41 Jahre her ist!“ Alex war vor all den Jahren das erste Mal hier gewesen. Diese Zahl war erschreckend meiner Meinung nach.
„Erschreckend, so lange kenne ich dich schon!“ schnappte sie meinen Gedanken auf und sprach fast tonlos mit Blick auf den Eingang.
Wir waren aber ganz anders gealtert dank Mutter Idun, dennoch war diese Zahl wie ein Monstrum in meinen Augen!
Bei genauerem Betrachten machte ich ein paar Veränderungen an der Fassade aus, im positiven Sinne. Die Villa sah bewohnter aus, nicht mehr so kühl wie vor 5 oder 6 Jahren noch.
Auch im Inneren hatte sich einiges getan. Jennifer hatte neue Tapeten anbringen lassen und die Vertäfelung war heller getüncht worden. Ja, man sah und spürte, dass meine große Schwester im wahrsten Sinne des Wortes aufblühte!
„Die sind … sehr lecker!“ hörte ich meinen Sohn schmatzend wieder neben uns erscheinen. Er hatte hier unten im Salon ein paar Süßigkeiten entdeckt, die auf einem kleinen Tischchen standen.
Stolz sah Jenny ihn an.
„Das freut mich, Edward! Ich habe sie selber, nunja nicht ganz, hergestellt. Nach einem alten Rezept eines türkischen Sultans.“ sprach sie leise verschwörerisch und schon war er Feuer und Flamme für die dazugehörige Geschichte.
„Du hast wirklich die alten Rezepte ausprobiert? Das ist ja großartig! Lass mich auch einmal probieren.“ strahlte jetzt auch meine Gattin und nahm sich ein Teil aus der Schale.
„Das Ganze hat sich zu einem kleinen Geschäft entwickelt.“ stolz erzählte meine Schwester uns, dass sie mit einem Zuckerbäcker hier in London zusammenarbeite, welcher an dem ganzen Unterfangen mit beteiligt war. Sie belieferte sogar schon den Palast und die umliegenden Ländereien.
„Vielleicht kann ich ja auch beginnen einen Teil in die Kolonien zu verschiffen? Natürlich nur, wenn du auch damit einverstanden bist, Jenny.“ ereiferte sich Alex.
„Oh, das würdest du tun?“ plötzlich sah ich, wie sie errötete vor Verlegenheit. Sie wäre nie so direkt auf uns zugekommen mit diesem Anliegen.
„Meine große Schwester hat ihr eigenes Geschäft. Herzlichen Glückwunsch!“ gratulierte ich ihr und ihrem zukünftigen Ehemann!
Da wir recht spät im Hafen angelegt hatten, war es schon bald Zeit für das Abendessen. Bevor es aber soweit war für die Kinder ins Bett zu gehen, gingen wir alle gemeinsam hinaus in den Garten, damit Walka noch ihr Geschäft machen konnte.
„Hier Edward, das ist der Schlüssel für die Hintertür in der Küche. Du kannst deine Hündin dann morgen früh auch alleine nach draußen lassen.“ dieser Einfall von Jennifer war tatsächlich gut. So konnten wir alle, hoffentlich, etwas länger schlafen.
Er bedankte sich noch einmal und verstaute den Schlüssel achtsam in seiner Hosentasche.
Gerade als ich mich mit Master Mormon zurückziehen wollte um einige geschäftliche Dinge zu besprechen, hörte ich ein lautes Weinen meiner Tochter.
„Nein … nein, will Papa!“ brüllte sie schrill und bevor es noch eskalierte ging ich lieber hinauf.
„Mein Engel, du sollst doch nicht immer so ein Theater machen.“ sprach ich leise, bemüht nicht wütend zu klingen.
Ihr erleichtertes Lächeln ließ mich wieder weich werden und ich nahm sie auf meinen Schoß. Ein kleines Buch mit ein paar kurzen Geschichten lag schon auf ihrem Nachttisch und ich begann ihr leise vorzulesen.
Die Kinder hatten ihre Räume neben meinem alten Kinderzimmer, wo Alex und ich wieder nächtigten. So waren wir in ihrer Nähe, was auch mich beruhigte, muss ich gestehen.
Plötzlich hörte ich ein leises Prusten aus Richtung der Tür, wo meine Gattin stand und uns lächelnd beobachtete.
„Ihr beide gebt ein wunderschönes Bild ab, mi amor.“ dabei kam sie auf das Bett zu und wollte sich zu uns setzen. Energisch winkte unsere Tochter ab, wir waren ja noch nicht fertig und das wusste sie ganz genau.
„Papa…“ kam es bestimmend aus ihrem Mund und ich sah, wie in Alex langsam Wut emporstieg, aufgrund dieser doch recht rüden Unverschämtheit.
„Florence, deine Mutter möchte dir auch noch gute Nacht sagen!“ ich legte einen unmerklichen feinen befehlenden Ton in meine Stimme und sofort war unsere Tochter aufmerksam. Erstaunlich, dass sie schon solche Dinge erkannte.
„Gute Nacht, min lille engel. Schlaf gut!“ Alex gab ihr einen Kuss auf die Stirn und ging ohne weitere Worte hinaus. Sie hatte Mühe ihre Tränen zurück zuhalten. Ich hoffte, dass ich ihr nachher etwas Trost spenden konnte.
Nachdem Florence endlich schlief und ich Edward ebenfalls noch eine gute Nacht gewünscht hatte, ging ich zu den anderen hinunter in den Salon und goss mir ein Glas vom guten Brandy ein.
Damit ließ ich mich auf dem Sofa neben meiner Frau nieder und konnte ein lautes Seufzen nicht unterdrücken.
„Florence hat eine unglaubliche Ausdauer, mi sol. Die muss sie von dir haben.“ ja, ich klang leicht gereizt, aber ich bin auch nur ein Mensch.
„Frauen, mi amor! Wir wollen halt eure ungeteilte Aufmerksamkeit. Gib es zu, es schmeichelt dir ein ganz kleines bisschen, oder nicht?“ zwinkerte Alex mir schelmisch zu und eigentlich hatte sie Recht.
„Das kannst du ja später dann unter Beweis stellen, mi sol.“ flüsterte ich leise und bedachte sie mit einem Blick, der ihr klar machen sollte, was ich erwarten würde.
Jenny und Daniel kamen jetzt endlich auf die eigentliche Hochzeit, den Ablauf und so weiter zu sprechen. Die kirchliche Trauung würde stattfinden, nachdem sie schon vor einem Friedensrichter ihre Ehe besiegelt hatten. Master Mormon war ein recht gläubiger Christ und es war nur verständlich, dass er auch vor Gott mit seiner Frau vereint sein wollte.
Die beiden hatten bereits einen Ehevertrag aufgesetzt und besiegeln lassen. Alex und ich besaßen ebenfalls einen, weil es auch jederzeit zu großen Überraschungen kommen konnte. Wir wollten alle nur abgesichert sein.
Am 15. November sollte die eigentliche Vermählung dann stattfinden.
Und ab da waren wir Herren nicht mehr involviert! Die Damen besprachen die Kleider, die Dekorationen und das Essen.
Daniel und ich unterhielten uns stattdessen über seinen Eheschwur, welchen er bereits zum gefühlten millionsten Male überarbeitet hatte.
„Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie schwer es ist, die richtigen Worte zu finden. Ich möchte Jennifer nicht nur meine Liebe zeigen, sondern alles was ich für sie tun würde …“ er war sichtlich nervös.
„Daniel, wenn ihr es wünscht, dann kann ich ja auch noch einmal über die Zeilen lesen. So seid ihr vielleicht auch beruhigter.“ versuchte ich ihm die Angst zu nehmen, etwas falsches zu formulieren.
„Ich wäre euch zu tiefst dankbar, Haytham.“ lächelnd nahm er einen Schluck Brandy und lehnte sich entspannt zurück.
Der Abend blieb ruhig, auch wenn ich noch die Angst hatte, das gerade Edward durch die Ruhe hier nicht so recht schlafen wollen würde. Anscheinend hatte er eine weitere Lektion in seinem Leben gelernt, dass wir immer für ihn da waren und er durch diesen Wechsel von Schiff an Land keine Angst zu haben brauchte.
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