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Kapitel: | 196 | |
Sätze: | 13.810 | |
Wörter: | 153.671 | |
Zeichen: | 878.498 |
Vorwort
Es vergingen über 10 Jahre nach meiner letzten Heimkehr, bis ich die Ereignisse einigermaßen verdaut hatte und wieder auf den Boden der Tatsachen kam. Leider ging meine Beziehung mit Marius in die Brüche und ich blieb mit Yannick alleine.
Bis heute habe ich aber ein gutes Verhältnis mit ihm, denn für unseren Sohn wollte ich ein friedliches Umfeld schaffen. Der Kleine ist jetzt auch schon 16 und wird bald in meine Fußstapfen treten. Noch ist er in seiner Ausbildung als Novize, denn zur Schule muss Yannick ja nun auch noch. Da führt kein Weg daran vorbei.
Ich erzählte ihm von meinen Reisen und die Geschichte, wie ich die Jackdaw bekam. „Könnten wir nicht einfach noch einmal zurück? Ich würde zu gerne auch einmal echte Piraten sehen!“ Bei diesem Satz musste ich schon schmunzeln, denn man hatte ja eine sehr romantisch verklärte Vorstellung von diesen Plünderern.
„Nein, ich denke, das wäre keine gute Idee. Aber vielleicht kannst du später einmal alleine so eine Reise antreten. Ich habe genug gesehen von dieser Zeit!“ Ich lächelte ihn an und ich meinte es auch ernst.
Und so forschten wir noch weiter und versuchten die Vergangenheit anderer Assassinen auszugraben. Das stellte sich schwieriger dar, als erwartet. Denn irgendwann um 1760 wurde zum Beispiel die koloniale Bruderschaft unter dem Meisterassassinen Achilles Davenport ausgelöscht. Fast alle Aufzeichnungen wurden vernichtet, so das es fast unmöglich war, noch an Daten zu kommen. Doch irgendwann tauchten wieder Beschreibungen über Achilles auf und um 1770 ungefähr blühte die Siedlung Davenport wieder auf.
Also versteifte ich meine Suche in diese Richtung. Wie ich bei weiteren Recherchen herausfand war ein junger Mann für den Wiederaufbau verantwortlich, ein Halbindianer. Seine Mutter war Kaniehtí:io, eine amerikanische Ureinwohnerin des Mohawk-Clans und sein Vater war kein geringerer als Haytham Kenway! Das war mal eine Neuigkeit! Ich wusste ja, das er Templer wird, aber habe mich nie weiter mit diesem Thema beschäftigt. Also ging Haytham irgendwann nach Amerika, aber WARUM? Und... wie ist denn diese Verbindung zu Stande gekommen?
Verdammt, fing ich jetzt an, Templern hinterher zu jagen? Oder sollte ich lieber dem jungen Assassinen folgen? Wenn ich der einen Vergangenheit nachging, kam ich ja unweigerlich auf die andere. Das wäre ja mal eine nette Herausforderung!
Nur ich müsste mir ein Zeitlimit setzen... ich konnte ja schlecht einige Jahre dort verbringen! Also... weiter suchen um einen etwas genaueren Zeitpunkt zu finden. Oder aber... ich ging noch mehr als einmal hinüber. Das war aber nicht unbedingt das, was ich wollte. Denn diese Reisen sind schon anstrengend und ich meine das nicht nur körperlich sondern auch emotional.
Vielleicht sollte ich einfach mal eine Nacht darüber schlafen und dann entscheiden!
Kapitel 1
Meine Nacht war unruhiger als mir lieb war. Denn ich hatte die seltsamsten Gedankengänge. Meine Neugierde, was aus dem kleinen Haytham denn geworden ist, reizte mich schon. Aber genauso war ich begierig darauf zu wissen, wie Edwards Enkel aussieht und wie er so aufwächst.
Eine Entscheidung hatte ich immer noch nicht getroffen. Was jetzt? Vielleicht sollte ich eine Münze werfen? Oder ich ließ meine Kollegen für mich entscheiden?
Unausgeschlafen und müde kam ich in unserer Werkstatt an. Ich ging zur Küche, holte mir Kaffee und wir trafen uns im Besprechungszimmer. „Ich habe keine Ahnung, wohin ich soll, wie lange ich bleiben kann oder soll, WARUM ich überhaupt gehe! Ich habe gerade mal so gar keine Meinung. Lasst uns Pro und Contra Listen aufstellen und schauen, was dabei herum kommt.“
„Ich glaube, das ist nicht wirklich nötig.“ meldete sich Frank unser Itler zu Wort. „Du solltest als erstes zu Haytham reisen und schauen, was er so fabriziert hat. Und wenn wir dann mit ruhigem Gewissen feststellen, dass er harmlos ist... sorry WAR … dann kannst du immer noch zu seinem Sohn reisen!“
Da hatte er schon recht und wenn ich ehrlich bin, war ich schon sehr gespannt, wie sich Haytham entwickelt hat. Ist er immer noch die Arroganz in Person oder hat man ihm noch ein paar andere Manieren beigebracht? Reginald hatte ja nicht unbedingt den Ruf eines liebevollen Menschen. Eher der strenge Mensch, welcher Disziplin über alles liebte und immer auf alles vorbereitet war.
Auch Yannick war an diesem Morgen mit dabei, denn es war Samstag und er hatte keine Schule. Und da er hier gerne immer mal an einigen technischen Dingen herumbastelte, war er mitgekommen. „Du hast selber gesagt, dass du wissen willst, was aus ihm geworden ist. Auch wenn du keine gute Meinung zu ihm hast, besser gesagt wir alle, da Haytham ja wirklich so etwas wie den Erzfeind darstellte, solltest du einen Blick wagen. Wir können ja jederzeit aufbrechen und wieder verschwinden.“
Das stellte er sich jetzt zwar etwas vereinfacht vor, aber wäre dennoch durch aus im Bereich des Möglichen.
„Also schön, dann muss... wie hieß der Junge nochmal... „ fragte ich in die Runde. Einstimmig kam CONNOR, obwohl er ja einen anderen Namen hatte. „Ok, Connor muss dann noch warten!“
„Yannick, was heißt eigentlich WIR können einfach aufbrechen?“ Ich sah meinen Sohn ironisch grinsend an.
„Ich komme mit, Mum. Oder glaubst, jetzt wo ich alt genug bin, lasse ich mir so eine Chance entgehen?“ über seine Cola warf er mir ein ebensolches ironisches Grinsen zu. Verdammt, ja, er war alt genug. Vielleicht lernte er ja noch etwas daraus?
Das hieß für uns, wir mussten uns überlegen, ob wir mit der Brigg reisen oder lieber unauffällig zu Fuß die Vergangenheit besuchten. Die Entscheidung nahm mir dann Yannick ab: „Darüber denkst du ernsthaft noch nach? Natürlich mit der Jackdaw! Ich wollte die ganze Zeit schon einmal mit ihr segeln. Das wäre so geil! Bitte Mum...“ Ein Dackelblick und ich war überzeugt.
Packen, wir mussten packen und Vorräte aufs Schiff schaffen. Und das aller wichtigste war natürlich einen Zeitpunkt wählen. Ich wälzte mich noch durch ein paar Aufzeichnungen und durch Emails aus Amerika, welche unsere Kollegen zusammen gestellt haben.
Ich stolperte über ein Datum, Haytham war 1755 in die Kolonien aufgebrochen. War aber dann noch einmal von dort fort gewesen und zwar, laut der Tagebücher seiner Schwester Jenny, um eben sie zu befreien. Außerdem hatten sie Reginald danach endlich zur Strecke gebracht. Jenny war im Laufe der Jahre immer „weitergereicht“ worden, als Kurtisane. Das wusste ich auch noch, wenn auch nicht konkret wohin. Erst jetzt las ich mir alles durch. Bei Odin, sie tat mir einfach nur leid. Und mich plagte ein schlechtes Gewissen!
Im Jahr 1759 taucht der Großmeister des kolonialen Ritus, wie er jetzt ja genannt wird, wieder in den Kolonien auf. Und dort treibt er prompt auch weiter sein Unwesen und macht sich nicht unbedingt Freunde, wenn man den Berichten Glauben schenken darf!
Kapitel 2
Dann sollte es wohl 1759 sein, im September! Yannicks 17. Geburtstag würde vermutlich dann dort gefeiert werden. Oder eben nachfeiern, denn wir würden ja früher aufbrechen! Zwei Kalender im Auge behalten hieß es für mich! Aber wer kann schon von sich sagen, dass er seinen Ehrentag so verbringen konnte!
Nachdem ich alles an entsprechenden Münzen und Waffen der Zeit verpackt hatte, machte ich mich daran, meine persönlichen Dinge zusammen zustellen.
Es fiel mir dieses mal aber sehr schwer. Denn ich wusste nicht, was uns erwartete. Es könnte uns auch genauso gut der pure Horror in den Kolonien erwarten. Die Rotröcke dort hatten keinen guten Ruf zu dieser Zeit. Ich musste mich also auf mein Können und die Ausbildung meiner Crew verlassen. Und natürlich auch auf meinen Sohn, den wir gut unterrichtet hatten.
Yannick hatte tatsächlich ein halbes Jahr Fecht- und Schwerttraining bekommen. Ebenso wie ich, denn ich wollte nicht wieder durch pures Nichtbeherrschen verletzt werden. Außerdem habe ich meinem Sohn noch einige Stunden in Benimmunterricht für das 18. Jahrhundert angedeihen lassen. Schließlich konnte er nicht in seiner so flapsigen Art dort ankommen.
Im April 2019 brachen wir schließlich auf. Die Brigg lag in Cuxhaven in einem Trockendock. Die Werft wusste aber Bescheid und hatte sie schon zu Wasser gelassen und wir konnten sofort an Bord, als wir eintrafen.
Die Jackdaw schien nur darauf zu warten, wieder in See stechen zu können. Es war für mich das erste Mal, dass ich mit ihr durch den Spiegel ging. Die Schenkungsurkunde und alle Neuzeitpapiere waren sicher verstaut in einer Ledermappe in einer abschließbaren Schublade im Schreibtisch meiner Kajüte. Dort hatte ich jetzt Quartier bezogen, Yannick wollte lieber unten bei der Mannschaft bleiben. Verständlich, wenn man mich fragte!
Als alles verstaut war, ließ Rafael, mein erster Maat, die Segel hissen und die Brigg nahm langsam Fahrt auf. Wir hatten uns eine kleine unscheinbare Ecke ausgesucht, von der aus wir ins Jahr 1759 reisen konnten. Kribbelig wartete ich darauf, dass wir dort ankamen. Es brauchte ungefähr einen Tag, bis wir an dem Punkt angelangten.
Die Nacht war, mal wieder, unruhig für mich. Ich hatte wirre Träume von Edward, der sich mit mir stritt wie so oft und mir sagte, ich solle nicht so unwirsch mit seinem Sohn umgehen. Ich träumte von einem Mann, der mich mit kalten grünen Augen musterte. Das war ja schon fast wie ein Albtraum! Am Morgen brauchte ich erstmals eine Runde dumme Videos (solange ich noch die Möglichkeit dazu hatte!), damit ich nicht mehr an diese Vorstellungen denken musste. Der obligatorische Kaffee tat den Rest .
So ging ich an Deck und gesellte mich zum Rudergänger. Es dauerte nicht mehr lange und wir waren an unserem ersten Etappenziel angelangt. Dann konnte es ja losgehen. Ich speiste Datum und Koordinaten für New York ein und hoffte inständig, dass die Aufzeichnungen nicht falsch waren und dass wir richtig landeten.
Dann tauchte vor der Jackdaw dieses wabernde Gebilde auf und langsam bewegten wir uns darauf zu. Meine Brigg ächzte ganz schön und wurde durchgeschüttelte, als würde man über eine Schotterpiste mit voller Geschwindigkeit fahren. Mir wurde ein wenig schwindelig, weil ich plötzlich das Gefühl hatte, schwerelos zu sein. Dieser Moment war aber schneller vorbei, als gedacht.
Und plötzlich herrschte Stille um uns herum und die Luft schien wie durch einen Filter gereinigt worden zu sein. Es war ein unglaublich klarer Blick auf dem Meer. Die Sonne stand hoch, also war es Mittag. Und ich konnte sogar von weitem Land erkennen.
Wir waren angekommen!
Kapitel 3
Ehrfürchtig stand Yannick neben mir und bewunderte die Klarheit der Luft hier. Er atmete tief durch und musste husten. „Boah, das ist ja WAHNSINN. Ich rieche nur Meer. Nichts anderes. Das ist... Wahnsinn!“
Ja, da hatte er Recht. Es war wirklich erstaunlich, wie wir an verschmutzte Luft gewöhnt waren und etwas so unbelastetes zu atmen uns in eine Hochstimmung versetzen konnte.
Plötzlich stieß mich mein Sohn an und deutete auf ein etwas von uns entferntes Schiff. Nicht so groß wie eine Brigg, aber größer als ein Schoner. So wirklich kannte ich mich nicht mit den Schiffsbezeichnungen aus. Ich konnte dunkle Segel erkennen, jede Menge Breitseitenkanonen und einen interessanten Anstrich hatte sie. Schwarz und rot, soweit ich das von hier aus erkennen konnte. Ansonsten waren keine Schiffsbewegungen zu erkennen. Hübsch war diese... ja, was war sie denn nun? Ich sollte mich vielleicht schlau machen, aber das erst später.
Jetzt war es aber an meinen Männern zu schauen, wie wir im Hafen anlegen konnten. Aber Rafael hatte sich schon Gedanken gemacht und daheim dies bezüglich recherchiert. Ein Beiboot wurde zu Wasser gelassen und mein erster Maat, zwei Crewmitglieder und Yannick ruderten gen Hafen. Dort angekommen, sollten sie sich mit dem Hafenmeister in Verbindung setzen und die Ankunft der Jackdaw ankündigen, einen Ankerplatz ausmachen und die Gebühr dafür schon einmal entrichten. So lief es, laut Aufzeichnungen, damals ab.
Also wartete ich und nutzte die Zeit, um mich stilecht in die Kostümerie des 18. Jahrhunderts zu zwängen. Ein Kleid aus blauem Wollstoff, mit weißem gestärkten Schultertuch und jede Menge Unterröcke. Nichts extravagantes, denn das musste noch warten. Ein Kleid lag noch in meiner Kiste, welches wirklich nur für besondere Anlässe gedacht war, aber sicher nicht für den Alltag! Ein weiteres bürgerliches Kleid in unscheinbaren beige, hatte ich ebenfalls noch dabei.
Ich wäre ja lieber in meinem Ornat losgezogen, aber vorerst sollte ich mich noch bedeckt halten. Meinen Ornat hatten wir in schwarz gehalten. Ein weißes Hemd, darüber ein schwarzes Mieder. Dazu eine schwarze feste Leinenhose und Strümpfe, welche man aber nicht sah, da ich Oberchenkelhohe Stiefel in schwarzem Leder hatte. Der Gehrock war in feinstem, aber dicken schwarzem Leder gehalten. Mit diversen Schnürungen und versteckten Taschen. Aber DAS müsste ebenso noch warten, ich freute mich schon, ihn anlegen zu können.
Nach ungefähr 4 Stunden schipperten die Jungs wieder in Richtung Jackdaw. Rafael hatte einen etwas alarmierten Ausdruck im Gesicht und eilte mir entgegen. „Alex, ich glaube, dass war keine gute Idee mit der Brigg hierher zureisen. Erst machte der Hafenmeister große Augen und ich sah aus dem Augenwinkel, wie ein Mann davon eilte, als er den Namen des Schiffes hörte!“
„Das muss nichts heißen, vielleicht ist es einfach nur die Neugierde, dass ein neues Schiff im Hafen vor Anker geht?“ versuchte ich mich auch selber zu beruhigen. Das wollte mir aber nicht so gut gelingen. Jetzt war es aber zu spät und wir setzten Kurs auf den Hafen und je näher wir kamen um so mulmiger wurde mir.
Als wir nur noch ein kleines Stück entfernt waren und die kleinen Boote die Taue zum Ziehen der Jackdaw annahmen, sah ich, dass der Kai voller Schaulustiger war. Bei Odin, was hatte ich gemacht? Was hatte ich mir nur gedacht? Dieses Schiff dürfte eigentlich nicht mehr existieren. Aber... wer hätte sich denn bitte den Namen gemerkt? So bedeutend Edward auch war und die Bruderschaft in der Karibik, aber das konnte doch nicht solche Kreise gezogen haben?
Hatte ich etwa schon wieder etwas nicht bedacht? Etwas überlesen? Verdammt, es war zu spät. Die Menge schaute in aller Seelenruhe zu, wie wir in den Hafen gezogen wurden und den Anker warfen und anlegten. Und ich stand da und wäre am liebsten von Bord gesprungen in meine eigene Zeit.
Dafür blieb mir keine Zeit, denn die Gangway war bereit und die Mannschaft hatte sich auch schon für den Landgang fertig gemacht, zumindest der Teil, der gerade keine Wache schieben musste. Denn so ganz unbeaufsichtigt wollte ich mein Schiff nicht lassen.
Dann mal los. Es war tatsächlich soweit, wir würden das alte New York sehen, zu dem Zeitpunkt, wo das große Feuer noch nicht ausgebrochen war.
Mit erhobenem Kopf und aufrechtem Gang ging ich von Bord und unten am Steg erwartete mich der Hafenmeister persönlich. Aber nicht nur dieser war dort anwesend!
Kapitel 4
„Ich darf euch hier in New York wahrscheinlich als Erster herzlich willkommen heißen, Mrs. Frederickson!“ Mit roten Backen stand der kleine untersetzte Hafenmeister vor mir und grinste breit.
„Es freut mich, dass wir hier anlegen konnten, Mr. …?“ sah ich ihn fragend an.
„Oh, verzeiht Madame, wo sind meine Manieren? Elias Bent! Zu euren Diensten!“ es folgte der obligatorische flüchtig gehauchte Handkuss.
„Mr. Bent! Wie ich bereits sagte, es freut mich ebenfalls hier zu sein.“ meinerseits ein höfliches Lächeln.
Der Hafenmeister freute sich sichtlich, ein neues Schiff in seinem Hafenbereich zu haben und deutete dann auf meine Crew. „Ich habe eurem ersten Maat bereits einige Unterkünfte für eure Mannschaft genannt, die preiswert sind. Und euch, Mrs. Frederickson, empfehle ich eine der vielen kleinen Pensionen hier in der Stadt. Wenn ihr Hilfe benötigt, mein Lehrling wird euch sicher gerne behilflich sein!“ Natürlich wäre er das, gegen ein nettes Trinkgeld.
„Ich danke euch, Mr. Bent, aber das wird nicht nötig sein. Vorerst werde ich an Bord übernachten. Und wenn ihr mich jetzt entschuldigt, ich habe noch einige Besorgungen zu erledigen.“ Ich nickte ihm zu und... der Handkuss!
Als ich mich nach links abwandte und Richtung der gepflasterten Straßen gehen wollte, sah ich eine Gruppe von Herren an ein paar herrenlosen Kisten stehen. Vier waren es und alle richteten aufmerksam ihren Blick auf die Jackdaw und auf mich! Mir stach einer dieser Herren besonders ins Auge, denn seine Kleidung war Militärisch angehaucht und er starrte nur mich an mit diesen stachelbeergrünen stechenden Augen. Sie passten überhaupt nicht zu seinem schwarzen Haar und überhaupt, machte ihn das unheimlich.
Daneben stand ein Mann mit völlig unauffälliger Kleidung. Allgemein nicht auffällig, wenn er nicht so am schwanken gewesen wäre. Wie konnte man um diese Uhrzeit schon blau sein? Aber was fragte ich in diesem Jahrhundert nach den Trinkgewohnheiten?
Die anderen beiden verhielten sich bedeckter. Der linke Neugierige trug einen schwarzen Gehrock aus Leder mit roter Weste darunter und Bewaffnung bis an die Zähne, würde ich mal sagen. Ich konnte nicht genau erkennen, WAS über seinen Rücken ragte, aber es sah nach einer Art Gewehr aus. Auffällig war eigentlich nur die Brosche mit dem Yggdrasil, dem Baum des Lebens!
Mein Blick wanderte zu dem Herren in blauem Gehrock und dem farblich passenden Dreispitz. Die Kleidung war tadellos, weißes Hemd, rote Weste. Weiße Hosen und Überzieher, braune saubere Schuhe, welche hier wirklich selten zu sein schienen. Seine Waffen hielten sich in Grenzen, Schwert, Pistole und … da sah plötzlich verräterische Ausbuchtungen an den unteren Handgelenken! Versteckte Klingen? Aber nicht nur bei Blaurock, sondern auch bei dem Herren in Schwarz daneben!
Ich stand eine Weile so da und beobachtete die Gruppe, aber keiner machte Andeutungen, auf mich zuzukommen oder zu verschwinden. Sie taten absichtlich einen auf Unauffällig und standen einfach nur da. Gut, dann konnte ich ja erst einmal gehen, denn ich hatte nicht den ganzen Tag Zeit!
So langsam bekam ich Hunger und Durst und wir suchten eine der Tavernen auf, die uns der Hafenmeister empfohlen hatte. Vermutlich machte er das nicht ohne eine ordentlich Provision zu bekommen! Aber mir sollte es recht sein.
Somit begann das Abenteuer New York jetzt!
Kapitel 5
Wir steuerten die erwähnte Schenke an, die einigermaßen sauber und nicht zu schäbig aussah. Und wir sollten Glück haben, denn auch von innen sah sie annehmbar aus. Nur mein Sohn war noch skeptisch. Wir hatten ihm alle bereits von den Zuständen in diesem Jahrhundert berichtet, damit Yannick nicht völlig überrumpelt wird. Aber, es erzählt bekommen und dann tatsächlich zu erleben, sind zwei verschiedene paar Schuhe. Und ich musste grinsen, als ich sah, wie er leicht würgen musste, bei den vielen Gerüchen die uns entgegenschlugen!
Unsere Gruppe setzte sich in die Nähe der hinteren Tür und der dortigen Fenster. Eine Treppe vor unserem Platz führte in das obere Stockwerk. Aber ich wollte lieber vorerst unten bleiben. Eine wuchtige Bedienung kam auf unsere Tische zu, die wir zusammen geschoben hatten,und fragte nach unseren Getränkewünschen! Einstimmig: Ale. Denn … es würde vermutlich keine wirklich große Auswahl geben.
Man beäugte mich die ganze Zeit schief. Wie konnte eine Frau einfach so in einer Taverne am Tisch mit diesen Seeleuten verweilen und dazu auch noch trinkend? Soviel zum Thema, ich wollte ja nicht unnötig auffallen.
Außerdem wurden noch zwei große Pfannen mit Fleisch und Gemüse aufgetischt. Denn Hunger hatten wir auch. Und es war köstlich. Erwähnte ich schon mal, dass die Kochkünste im 18. Jahrhundert hervorragend waren?
So saßen wir beisammen, tranken, aßen und unterhielten uns über die nächsten Schritte. Angedacht war, dass ich mich mit Yannick zusammen auf die Suche nach Haytham machen sollte. Das war aber leichter gesagt als getan. Denn ich wusste weder wie er aussah, noch wusste ich, wo er residierte. Also mussten wir dann morgen anfangen und uns durchfragen!
Aber bis dahin wollte ich einfach nicht mehr daran denken und so freundete man sich mit den Einheimischen, wenn man sie so nennen konnte, an und sang und trank und feierte. Ich muss ehrlich sagen, es war entspannend. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so locker ablaufen würde. Die Zungen lockerten sich natürlich, aber auf meine Crew war Verlass. Sie sangen lautstark die Lieder mit oder brachten ebenfalls einiges zum Besten, aber sie gaben keinen Anlass zum Misstrauen.
Mir machte aber irgendwann leider ein ziemlich voller Kandidat das Leben schwer und ich hatte es nicht leicht, diesen Anzüglichkeiten zu entgehen. „Ochhhh Schäääääätschen... nu hab dich nich sooooo...ich will nix böses...“ Er zog mich im Vorübergehen auf seinen Schoß und seine Hände wanderte unter mein Schultertuch und wollten zu gerne Forscher in meinem Ausschnitt spielen... Sein Atem hätte auch die Tapeten von der Wand geholt, wenn es hier welche gegeben hätte. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm eine zu langen! Erstaunt sah er mich an, schüttelte wie ein nasser Hund seinen Kopf und schubste mich runter und stand auf. „Hey... was für ne Kratzbürste... die braucht nur nen echten Kerl...“
„Und du glaubst, du bist der Richtige für diese Aufgabe?“ Ich funkelte ihn an und stieß ihn von mir. Dabei verlor er das Gleichgewicht und krachte gegen einen andere Tisch, der prompt in seine Einzelteile zerbrach. Benommen lag Mr. Right am Boden und versuchte heraus zu finden, was gerade passiert war.
„Sach ma... was bist du... du...“ Aber zu mehr kam er nicht, denn einer meiner Mannschaft schnappte sich den Kerl und schleifte ihn nach draußen auf die Straße unter lautem Gegröle und Beifall der anderen Gäste!
Warum wurden Männer aber auch immer so... seltsam? Ein Grinsen konnte ich mir aber dennoch nicht verkneifen. In unserer Zeit hätte ich anders gehandelt, aber... das stand mir hier einfach nicht zu!
Weit nach Mitternacht verließ ich mit Yannick und einigen Männern meiner Crew die Schenke, um die wohlverdiente Nachtruhe anzutreten auf der Jackdaw. Aber wie damals in Nassau, hatte ich ein kribbeln im Nacken, so als würde uns jemand beobachten.
Kapitel 6
Aber nicht nur ich hatte dieses unangenehme Gefühl, sondern Yannick auch. „Mum, irgend jemand beobachtet uns oder folgt uns.“ flüsterte er mir zu. Ich signalisierte meinen Männern, dass sie wachsam bleiben sollen und konzentrierte meine Sinne.
Im ersten Moment konnte ich nur unauffällige blaue Umrisse oder leicht goldene erkennen. Ich sah wie beiläufig auch nach oben und ließ meinen Blick schweifen ... und siehe da. Auf einem Dach eines zweistöckigen Hauses zu unserer Linken entdeckte ich etwas Rotes! Einen meiner Männer machte ich darauf aufmerksam und wollte diesem roten Schatten schon nachstellen, als mir einfiel, dass ich noch in einem Kleid unterwegs war! Verdammter Mist!
„Lass mich das machen! Ich versuche ihm oder ihr dort oben zu folgen!“ flüsterte mein Sohn mir zu.
„Aber sei vorsichtig!“ ich drückte seine Hand um ihm Mut zu zusprechen und schon war er verschwunden. Jetzt würde sich zeigen, wie gut seine bisherige Ausbildung war!
Wir gingen unterdessen friedlich weiter, so als wäre nichts gewesen. Innerlich machte ich mir aber dennoch Sorgen, was passiert, wenn man Yannick erwischte? Oder wenn mein Sohn einfach noch nicht gut genug vorbereitet war? Oder wenn er unbedacht handelte? Ich machte mir vermutlich viel zu viele unbegründete Sorgen.
Von Oben vernahm ich keinerlei Geräusche, weder Schritte noch Kampfgeräusche. Vorsichtig sah ich noch einmal hoch und sah den leicht rot schimmernden Umriss wieder und direkt dahinter war eine goldene Aura zu sehen. Du bist zu nah dran, lass dich ein Stück weiter zurückfallen, sonst wird der Verfolgte auf dich aufmerksam. Als wenn er meine Gedanken gehört hätte, wurde der Abstand ein wenig größer zwischen den beiden!
Wir näherten uns jetzt meinem Schiff, es waren nur noch wenige Meter bis zum Kai und somit auch das Ende der Möglichkeiten auf Dächern die Verfolgung fortzusetzen. Wir vernahmen einen dumpfen Aufprall der von links kam. Also hatte der Verfolger nicht die Straßenseiten gewechselt und war jetzt zwischen den Häusern am Boden unterwegs.
Die Straßen waren mittlerweile fast wie leergefegt, hier und da traf man auf einen Betrunkenen oder auf Britische Soldaten. Wie man uns jetzt noch weiter nach stellen wollte, war mir ein Rätsel. Aber meine Frage erübrigte sich, als mein Sohn neben mir auftauchte und Bericht erstattete.
„Es war dieser Typ, den wir vorhin schon am Kai gesehen hatten. Weißt du noch? Dieser in schwarz gekleidete mit diesem Baumsymbol am Gürtel!“ Ja, an den konnte ich mich noch erinnern, aber wer war das?
„Hat er irgendetwas gemacht? Sich, mal abgesehen von unserer Beschattung, eigenartig verhalten?“
„Nein, nicht wirklich. Er verringerte hin und wieder sein Tempo und blieb stehen und sah hinunter zu euch. Aber als es keinen Weg mehr über die Dächer gab, kam nur ein Gemurmel was sich wie fluchen anhörte! Und dann war er schon unten und schlich in Richtung dieses Forts dort drüben!“ Yannick deutete auf ein von hohen Steinmauern umgebenes Fort zu unserer linken. Bei Tag hatte ich nicht so darauf geachtet, weil mir anderes durch den Kopf ging. Ich ließ meine Männer schon vorgehen und ging mit meinem Sohn in Richtung des Forts.
An der rechten Seite konnte man über einen Steg fast direkt an das Fort gelangen. Dort am Ende angekommen, standen wir da und sahen hinter dem Gebäude ebenfalls einen Anlegeplatz, an dem ein Schiff ankerte. Hatte ich dieses nicht schon gesehen? Schwarz-roter Anstrich wenn mich nicht alles täuschte, aber es war ziemlich dunkel.
Dann würden wir morgen mal sehen, WER sich dort so herumtreibt und wer so ein Interesse an uns hat.
Kapitel 7
Dann konnten wir uns ja jetzt unbehelligt zum Schiff begeben. Wirklich beruhigt war ich jetzt nicht, aber ich war ja nicht alleine an Bord. Und meine Leute waren gut ausgebildet.
Yannick verzog sich gleich nach unten in seine Hängematte, er hatte den Schlaf redlich verdient. Und ich zog mich, nachdem ich nochmal alle Männer instruiert hatte, ebenfalls zurück in meine Kajüte. Endlich aus diesem Kleid raus!
Ich machte mich bettfertig. Eine Wohltat, sich kaltes Wasser ins Gesicht zu jagen und Zähne zu putzen! Ich warf mir mein Schlafshirt über und verkroch mich in mein Bett. Das hatte ich bei der Restauration wieder einbauen lassen, denn ich fand es besser als eine Hängematte. Irgendwann ist man zu alt für so etwas!
Mein Vorhaben, noch ein wenig zu lesen, gab ich nach zwei Sätzen auf, denn mir fielen die Augen zu und so löschte ich die Kerze und war sofort eingeschlafen.
Ich saß in einer Art feuchtem Keller. Angebunden an einen Stuhl. Vor mir wanderte ein Mann hin und her. Kein Soldat, aber dennoch einen Gehrock mit militärischen Abzeichen trug er. Seine langen schwarzen Haare waren ungeordnet und er hatte einen leicht gehetzten Ausdruck im Gesicht.
Plötzlich drehte er sich zu mir um und diese stechenden hellen Augen starrten mich an! Ich erschrak und zuckte zurück, aber viel Spielraum hatte ich durch meine Fesseln nicht!
„Und jetzt noch einmal, Miss! Wer seid ihr und woher kommt ihr? Und ich rate euch, dieses mal die Wahrheit zu sagen! Ich lasse mich nicht gerne hinhalten!“
Warum wollte er das wissen? Ich schüttelte nur meinen Kopf und presste meine Lippen aufeinander. Ich würde ihm gar nichts sagen, solange ich nicht wusste, was hier los war.
Mit einem Krachen flog die Tür auf und ein greller Lichtstrahl traf meine Augen und ließ mich fast erblinden!
Das Licht tat wirklich in den Augen weh. Langsam realisierte ich, dass ich in meiner Kajüte und nicht in diesem Kellerverlies saß. Es war hell draußen und dieser Lichtstrahl kam von einem reflektierenden Glas auf dem Regal!
Dann konnte ich mich auch gleich fertig machen und während dessen über diesen eigenartigen Traum nachdenken. Der Mann, der mich da verhört hatte, war der gleiche, den ich auch am Kai gestern gesehen hatte. Er scheint einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben. Aber irgendwie kam er mir bekannt vor, zuordnen konnte ich ihn aber leider überhaupt nicht.
Als ich fertig angekleidet war, dieses mal entschied ich mich für fein bürgerliche Kleidung, ging ich an Deck und hinunter zur Messe zum Frühstücken. Wir besprachen, was für heute geplant war und ich teilte die Wachen für den Tag und die Nacht schon einmal ein.
Mein Sohn erschien völlig verschlafen und mit zerzausten Haaren neben mir und legte seinen Kopf auf meine Schulter. „Mein Kopf tut weh, ich hätte wohl kein Ale trinken sollen.“ Ich grinste, er hatte zwar drei dieser Krüge gehabt, aber so viel ist es ja nicht. Sollte er ruhig seinen Kater genießen.
„Dann leg dich mit einem kalten Tuch wieder hin und trink ordentlich was.“
„Brauchst du mich denn heute nicht? Wir wollten doch zusammen los ziehen und diesen Templergroßmeister finden!“ Das war der Plan, aber ich würde langsam anfangen.
„Nein, kurier den Kater aus und dann sehen wir weiter! Ich werde erstmal das Fort inspizieren.“
Mein Sohn schlich wieder zu seinem Schlafplatz mit einem Krug Wasser und einem Eimer und ich machte mich auf den Weg, unseren Verfolger von gestern Nacht auf zustöbern.
Kapitel 8
Also machte ich mich daran, in die Nähe dieser Befestigung zu kommen. Gestern Nacht konnte ich vom Steg aus nicht mehr viel erkennen, also versuchte ich es jetzt bei Tage. Nun konnte ich auch den Namen des Schiffes erkennen „Morrigan“ . Sie war hübsch, klein und hatte einen interessanten Anstrich. Wem dieses Schiff gehörte, der steckte sein Herzblut darein, dass sah man einfach an ihrem Zustand. Top in Schuss, keine Beschädigungen oder ähnliches.
Vielleicht könnte ich über den Hafenmeister etwas über das Schiff erfahren? Das wäre ein guter Anfang, also dann mal los. Als ich auf das Büro zukam, traten zwei Männer hinaus. Und instinktiv versteckte mich hinter einer Hausecke, denn es war der blau gekleidete mit Dreispitz-Typ und unser Verfolger von letzter Nacht.
Hatten die beiden die gleich Idee wie ich, dass man über das Schiff mehr über seinen Eigentümer erfuhr? Wenn ja, dann würden sie ja bei mir nichts herausfinden, was sie weiterbringen würde. Denn, mich gab es ja noch gar nicht und man kannte mich hier nicht.
Ich ließ die beiden vorbeiziehen und bekam nur ein gemurmeltes „Dann müssen wir eben weiter graben!“ mit. Viel Spaß meine Herren!
Als die Luft rein war, betrat ich den kleinen Raum und stand vor einem ziemlich genervt aussehenden Mann. Es war nicht der Hafenmeister, der mich hier gestern noch begrüßt hatte. „Was wollt ihr, Miss?“ maulte er mich an.
„Verzeiht, wenn ich störe. Aber ich hätte eine Frage bezüglich eines Schiffes.“ mit meinem höflichsten Lächeln sah ich ihn an.
Er sah auf und musterte mich von oben bis unten „Und warum solltet ihr euch dafür interessieren? Sucht ihr nach Kundschaft? Ich habe für so einen Unsinn keine Zeit und jetzt schert euch raus. Heute scheint wohl jeder irgendeine Information über ein Schiff haben zu wollen!“ schnaubte er und beugte sich wieder über seine Papiere.
Ich suchte nach Kundschaft? Es dauerte, bis bei mir der Penny fiel, er dachte ernsthaft ich wäre eine Prostituierte? Bei Odin, wie sah ich denn aus? „Ich bin keine Dirne und suche ganz bestimmt keine Kunden, Mr. …?“
„Thompson, Harold Thompson! Und verzeiht, wenn ich euch für eine dieser Huren gehalten habe.“ er seufzte „Warum wollt ihr denn dann Informationen haben? Sucht ihr nach eurem untreuen Mann? Oder nach Verwandten? Einer Mitreisegelegenheit?“
Da brachte er mich auf eine Idee „Ja, Mr. Thompson, da habt ihr Recht. Ich suche nach meinem Onkel. Er schrieb mir, er hätte auf der Morrigan angeheuert, aber wir haben jetzt schon so lange nichts mehr von ihm gehört, dass ich den Kapitän dieses Schiffes persönlich sprechen möchte. Ich mache mir Sorgen, das meinem Onkel etwas zugestoßen ist!“ Auf die Tränendrüse drücken, konnte nicht schaden.
„Miss, den Kapitän der Morrigan habt ihr gerade verpasst. Fünf Minuten vor euch, war er hier und hat ebenfalls Erkundigungen eingeholt. Über diese Brigg die gestern eingelaufen ist.“ Aha, das war ebenfalls gut zu wissen.
„Mr. Thompson, wie ist denn der Name des Kapitäns und wann wird er wieder aufbrechen? Ich möchte nicht zu spät kommen und ihn verpassen!“
„Soweit ich weiß, wird er die nächsten Wochen bleiben. Näheres könnt ihr sicher von ihm persönlich erfahren.“ Ja, das ist ja schön. Wie hieß der Kapitän denn jetzt?
Etwas ungehalten fragte ich ihn: „Und wie ist jetzt der Name?“
„Oh, achja... sein Name ist Shay Cormac! Er bewohnt derzeit das alte Fort Arsenal!“ Mit einem vielsagenden Lächeln hielt er seine Hand auf.
„Ich danke euch, Mr. Thompson!“ und warf ihm ein paar Münzen in seine offene Hand und begab mich wieder nach draußen.
Kapitel 9
Nun gut, wenigstens wusste ich jetzt wie er hieß. Und bei dem Namen klingelte es in meinem Hinterkopf. Wenn ich mich recht erinnerte, war Kapitän Cormac DER Verräter der Bruderschaft schlecht hin. Er hatte seine Brüder und Schwestern hintergangen. Aber leider fand man nie Berichte oder Aufzeichnungen über ihn, so als wäre es gewollt, dass sein Name in Vergessenheit geriet. Doch wie es sich mit solchen Mysterien immer hält, je weniger man findet, desto mehr wird hinzu gedichtet.
Wie interessant, so konnten wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Etwas über den Schandfleck der Bruderschaft erfahren UND ich konnte noch weiter nach Haytham suchen. Irgendwo hier musste er sich ja herum treiben.
Jetzt wusste ich aber immer noch nicht, wie ich IN das Fort gelange. Einfach hinein marschieren und meine eben dargebotene Geschichte erzählen, ging nicht. Denn das würde sofort auffliegen.
Ein Plan... wie wäre es, wenn ich mir eine Anstellung als Hausangestellte, Küchenmagd oder ähnliches hier suchte? So groß wie das Ganze war, hatte man sicher immer Bedarf an Helfern. Trotzdem, ich sollte vorher noch einmal kurz zur Jackdaw und kundtun, was ich vorhatte, nur für den Fall, dass mir etwas zustieß!
Meine Crew sah mich skeptisch an: „Bist du dir sicher, dass du das tun willst? Wer weiß, wie die Bediensteten behandelt werden. Und vor allem, wo übernachtest du und wie können wir dann in Kontakt mit dir treten?“
Das waren natürlich alles berechtigte Fragen und auch Zweifel. Aber irgendwie wollte ich nicht einfach so ein Überfallkommando starten, sondern bedacht und leise vorgehen. Vielleicht fand ich interessante Kleinigkeiten heraus. Das einzige, was mir Sorgen machte, war die Zeit. Wie LANGE bräuchte ich dafür und ist es nötig, dass die gesamte Mannschaft noch hier bleibt?
Yannick kam irgendwann dann auch endlich zum Gespräch und ich brachte ihn schnell auf den neuesten Stand. Meine Gedanken bezüglich der Crew und der Jackdaw teilte er, aber er meinte, es sei besser, wenn Verstärkung direkt vor Ort ist. Und zwar von Menschen, die man kennt und weiß, man kann sich auf diese verlassen. Guter Punkt.
Die Mannschaft und die Brigg blieben, sollten aber in den nächsten Tagen mit gekürzter Crew für ein paar Tage von der Bildfläche verschwinden, sprich: Einen unauffälligen Ort suchen und dort ankern.
Ich würde mir ein paar meiner Sachen schnappen und mich um einen Posten als Magd oder Zimmermädchen oder sonst etwas kümmern. Mein Sohn sollte aber mitkommen. Denn so konnte ich sicherstellen, dass wir eine rührselige Geschichte hatten. Witwe, kein Geld, mittellos etc.
So standen Yannick und ich dann vor dem Fort Arsenal und zögerten. Beide waren wir nervös, wer weiß, wie man uns behandelt. Aber mehr als uns abweisen konnten sie nicht. Die Wachen am Tor beäugten uns misstrauisch. „Halt, ihr könnt hier nicht einfach so reinmarschieren! Was wollt ihr?“
Schüchtern ergriff ich den Arm von Yannick und trat auf die Wache zu: „Sir, verzeiht mir, aber ich habe mich gefragt, ob ihr vielleicht eine Anstellung für mich hättet?“
„Für euch? Was könnt ihr denn? Und was kann der Junge?“ Abwertend sah er uns an.
„Ich kann kochen und den Haushalt führen und mein Sohn kann in den Ställen aushelfen oder Gartenarbeiten verrichten! Sir bitte, ich weiß nicht weiter. Wir wurden einfach vor ein paar Tagen hier im Hafen ausgesetzt, weil ich die Weiterreise nicht bezahlen konnte. Und jetzt habe ich kein Geld um eine Unterkunft zu bezahlen. Oh bitte, Sir, ich verlange ja nicht viel...“ schluchzend brach ich theatralisch vor ihm zusammen und mit mir kniete mein Sohn und hielt mich umklammert!
Kapitel 10
Der junge Mann schien den Köder geschnappt zu haben, denn er half mir auf und brachte uns auf den Innenhof. Ein großer Springbrunnen prangte in der Mitte und verlieh dem ganzen ein sehr angenehmes Aussehen.
Die Wache klopfte an der dunklen Eichentür. Es dauerte eine Weile, bis uns eine kleine Hausangestellte mittlerer Jahre öffnete. „Was gibt es denn? Wenn ihr noch etwas zu Essen wollt, dann seid ihr zu spät. Kommt später wieder und dann bitte hinten durch den Bediensteten Eingang. Das wisst ihr doch!“ Etwas unwirsch wollte sie schon die Tür zuschlagen, als sie Yannick und mich sah und innehielt.
„Marge, ich bitte dich, diese beiden hier suchen eine Anstellung. Sie sind mittellos und wissen nicht wohin. Hätte Master Cormac nicht noch Verwendung für ein Zimmermädchen und einen Stallburschen oder vielleicht sucht er noch einen Matrosen für die Morrigan?“
Sie sah uns zweifelnd an. „Ihr seht nicht gerade sehr kräftig aus, Miss. Habt ihr schon einmal in einem Haushalt gedient? Und du Junge, du bist so schmächtig, harte Arbeit bist du auch nicht gewohnt oder?“ Du meine Güte, was für ein Verhör. Aber da ICH ja etwas wollte, sollte ich wohl weiterhin höflich bleiben!
„Also ich habe schon in einigen Haushalten gearbeitet und das auch sehr zuverlässig. Und mein Sohn ist schon kräftig und kann zupacken. Ich bitte euch, wenn ihr für uns ein gutes Wort einlegen könntet?“ Ich lächelte sie mit meinem tränenverschleierten Augen an und hoffte, sie wäre so solidarisch von Frau zu Frau!
„Na schön...“ seufzte sie „Dann kommt herein und wartet hier, ich sage Master Cormac Bescheid!“ Wir betraten die kleine Eingangshalle und standen nun etwas unbeholfen herum. Vor uns erstreckte sich eine breite dunkle Holztreppe nach oben, von wo aus sich links und rechts eine Galerie erstreckte und einige Zimmer abgingen.
Im unteren Bereich sah ich links eine offen stehende Tür und konnte einen großen Raum erkennen mit einem Tisch geradeaus. Mehr jedoch nicht. Und rechts war eine breite Doppeltür, durch welche Marge verschwunden war. Im hinteren Rechten Bereich befand sich eine kleine Tür, welche vermutlich in die Küche führte. Aber das würde man mir sicher noch zeigen.
Da standen wir nun und warteten. Ich hörte ein ziemlich genervtes „Was glaubst du, was wir hier sind? Wenn sich das herumspricht, werden sich immer mehr hier vorstellen, weil sie mittellos sind! Aber gut, wenn sie noch da sind, sollen sie hereinkommen!“
Die kleine Hausangestellte kam in die Halle und bat uns in das Zimmer. Es war das Arbeitszimmer von Master Cormac. Rechts ragten hohe Sprossenfenster in die Höhe, der Raum war dunkel vertäfelt und hatte in der oberen Hälfte eine grüne geblümte Tapete. Direkt geradeaus stand ein mächtiger Schreibtisch, hinter dem unser eventuell zukünftiger Arbeitgeber saß und nicht sehr begeistert aussah.
Ich tat weiterhin schüchtern und stupste Yannick an, ebenfalls eine bescheidene Art anzuschlagen. Denn WIR wollten etwas und mussten es jetzt so durchziehen, um nicht gleich aufzufallen!
„Master Cormac, das sind...“ sie sah mich fragend an, denn ihr fiel ein, dass sie das gar nicht wusste!
„Mrs. Alexandra Masterson und das ist mein Sohn Yannick!“ Ich knickste und mein Sohn verbeugte sich leicht. Im letzten Moment war mir eingefallen, dass ich einen anderen Namen nutzen musste!
Shay blickte auf und sah uns abwartend an.
In mir fing ein kleiner Funke an, sich auszubreiten. ER war ein Verräter an der Bruderschaft und ich musste hier freundlich bleiben.
Ich versuchte zu lächeln und hoffte, es käme auch in meinen Augen an.
Kapitel 11
Wir standen da wie bestellt und nicht abgeholt. Was wurde denn jetzt von uns erwartet? Aber wir hatten Glück, denn Cormac ergriff das Wort.
„Mrs. Masterson, ihr habt also schon in anderen Haushalten gearbeitet? Als was, wenn ich fragen darf? Und habt ihr Referenzschreiben?“ Mit vor dem Mund gefalteten Händen saß er da und musterte mich.
„Ja, ich sagte Mrs. Marge bereits, dass ich einige Jahre an Erfahrung habe. Ich habe alle möglichen Aufgaben übernommen. In der Küche geholfen, gekocht, die Zimmer gemacht und mich um Wäsche und ähnliches gekümmert. Auch habe ich als Kindermädchen eine Weile gearbeitet.“ Mit anderen Worten, ich habe meinen eigenen Haushalt geführt und bin Mutter eines Sohnes. Hoffentlich reichte das.
„Das hört sich ja schon mal nicht schlecht an, aber ihr habt meine Frage nach den Referenzen nicht beantwortet!“ Weiterhin sah er mich seelenruhig an und ich wurde nervös. Sein Blick verriet nämlich, dass er seinen Sinn einsetzte, das hatte ich nicht bedacht und ich konnte nur hoffen, dass wir als harmlos eingestuft wurden.
„Master Cormac, Sir, nein, ich habe diesbezüglich keinerlei Schreiben.“
Er hob eine Augenbraue „Und warum nicht, wenn ich fragen darf?“
Herr Gott noch mal. Musste es jetzt echt noch kompliziert werden? Wenn ich behaupten würde, dass die Schreiben abhanden gekommen sind, könnte man verlangen, dass ich neue anforderte oder er selber sich daran machte, meine „früheren Herrschaften“ anzuschreiben. Wenn ich aber sagte, dass ich einfach keine bekommen hätte, sähe es so aus, als wäre ich wegen schlechter Arbeit, Ungehorsam oder sonstigem gekündigt worden.
Ich ging das Risiko ein, dass meine Unterlagen einfach bei der Überfahrt in einem Sturm abhanden kamen und ich auch nur zwei Schreiben gehabt hätte. Und dass diese Familien ebenfalls in die Kolonien aufgebrochen sind und ich nicht wüsste, wo genau sie sich aufhalten würden.
„Das ist natürlich etwas ärgerlich. Aber ich werde euch eine Chance geben, damit ihr euch beweisen könnt. Ihr könnt als mein Zimmermädchen anfangen, denn das letzte musste Hals über Kopf gehen aus … persönlichen Gründen!“ Ahja, war sie etwa schwanger? Hoffentlich war Cormac nicht der Vater, dachte ich zynisch. Er sah nicht schlecht aus, das musste man ja einfach mal sagen. Und hatte bestimmt ein Händchen für die Damenwelt. „Ihr findet irgend etwas amüsant, Mrs. Masterson?“
Oh, hatte ich jetzt wirklich bei diesem Gedanken so offensichtlich ein Grinsen auf dem Gesicht? Ich lief dunkelrot an und hätte mich sofort dafür Ohrfeigen können, denn es sah so aus als würde ich IHN anhimmeln. Wie peinlich!!
„Master Cormac, nein, mir ging nur gerade durch den Kopf, dass ich ja eigentlich Glück habe, dass gerade jetzt eine Stelle frei wurde!“ schüchtern senkte ich den Blick und betrachtete den Teppich eingehender.
„Ja, sowas nennt man dann wohl Glück und ich gehöre gerne zu denen, die ihr Glück selber in die Hand nehmen! Aber nun zu euch Junge! Was könnt ihr so? Ihr habt bisher noch gar nichts gesagt!“
Mein Sohn sah zuerst mich an und dann zu Shay und stotterte „Ich … also … ich kann … ähm … ich mag Pferde!“
Mit einem erstaunten und äußerst belustigten Ausdruck im Gesicht erhob sich Shay und kam um den Schreibtisch herum. „Ah... ihr mögt Pferde! Das ist … schon mal ein Anfang!“
Kapitel 12
Yannick stand einfach da und war so nervös, dass er an seinem Reisebündel rumspielte und den Blick nicht davon lassen konnte.
„Yannick? Das ist doch richtig?“ sprach Cormac ihn jetzt noch einmal an und mein Sohn nickte nur. „Dann solltet ihr mit Marge nach draußen gehen und sie bringt euch zu meinem Stallmeister! Ihr könnt euch dort dann zeigen lassen, was alles zu erledigen ist!“
„Na klar, auf jeden Fall!“... im selben Moment zuckte mein Sohn erschrocken zusammen und sah mich ängstlich an.
Shay sah ihn mit großen Augen an und sagte dann langsam „Dann ist das abgemacht, geht jetzt!“ Die kleine Hausangestellte ging mit meinem Sohn hinaus und ich blieb mit Cormac zurück.
„Master Cormac und was soll ich nun machen?“ mein Blick wanderte ordnungsgemäß wieder gen Fußboden.
„Ich werde euch jetzt zeigen, wo ihr schlafen könnt und dann werde ich euch zeigen, was ihr für Aufgaben haben werdet!“
So folgte ich ihm und er führte mich nach rechts aus dem Zimmer hinaus zu der kleinen Tür, von der ich vermutet hatte, sie führe zur Küche. Aber von dort ging es eine kleine schmal Treppe nach oben zu einem dunklen Flur. Dort waren drei Zimmer, von denen mein Sohn und ich eines beziehen sollten. Weiter ging es wieder hinunter und die große dunkle Treppe hinauf. Auf der rechten Galerie gab es zwei Türen und auf der linken Seite nur eine. Wir gingen nach rechts und betraten das Schlafzimmer von Shay.
Auch hier waren die Wände dunkel vertäfelt, aber die Tapeten waren aus feinem Stoff und in dunkelrot mit goldenem Rankenaufdruck. Wie unten schon, ließen rechts zwei große Sprossenfenster genügend Licht hinein und dunkle schwere Samtvorhänge zierten die Seiten. Geradeaus stand das große Bett mit Baldachin. Es war wunderschön und ich ertappte mich dabei, wie ich mir vorstellte wie bequem es wohl sein mochte. OHNE Shay wohlgemerkt!!
Ich schrak ein wenig zurück, denn … ja, ich sollte als Zimmermädchen arbeiten, aber ein Schlafzimmer ist halt immer sehr persönlich und ich fühlte mich mit ihm gemeinsam hier gerade nicht sehr wohl. Er bemerkte meine Unsicherheit: „Ihr werdet hier halt das Übliche machen. Das Bett richten und beziehen, wenn nötig. Meine persönlichen Sachen ordnen. Aber in meinem Ankleidezimmer habt ihr definitiv mehr zu tun!“ er grinste mich an, wohl in der Hoffnung, dass ich etwas entspannter wurde.
Ich nickte nur höflich und folgte ihm ins nächste Zimmer. Gegenüber der Tür waren kleinere Fenster, die aber genügend Helligkeit brachten. Rechts und links an der Wand des schmalen Raumes stand jeweils ein großer, hoher Kleiderschrank. Und links neben dem Eingang befand sich eine geräumige Kommode mit einem Kerzenleuchter darauf und einer Waschschüssel mit Krug und Rasierzeug und diversen Toilettensachen.
„Ihr müsst dafür sorgen, dass meine Kleidung immer in Ordnung ist und dass alles an seinem Platz ist. Ich möchte nicht immer erst suchen müssen, bis ich etwas finde! Und morgens und abends erwarte ich einen Krug mit frischem Wasser! Außerdem, wenn es von Nöten ist, seid ihr auch für ein Bad für mich zuständig!“ Ich starrte ihn mit großen Augen an!
„Ich bin … was?“
Er lachte laut auf, sah mich an und ließ eine Erklärung folgen: „Ihr werdet mir das Wasser einlassen! Was dachtet ihr denn von mir?“ Mit einem Zwinkern schob er mich vor sich her auf den Flur.
Na, das konnte ja jetzt spaßig werden.
Kapitel 13
Wieder unten angekommen, entließ mich Shay in die Hände von Marge und ging zurück in sein Arbeitszimmer.
Und jetzt begann meine richtige Einweisung in diesen Haushalt. Was die Arbeit als Zimmermädchen anging, so hatte ich auch noch andere Tätigkeitsfelder. Besucher in Empfang nehmen, die Wäsche waschen, das Essen mit auftragen, Gäste bewirten und und und … Eigentlich war ich mehr ein Mädchen für alles schien es mir.
Aber zu aller erst bekam ich entsprechende Kleidung. Ein schwarzes Überkleid mit Haube und Schürze. „Ihr habt selber dafür zu sorgen, dass ihr immer präsentabel ausseht und pünktlich morgens aufsteht. Ebenso seid ihr für euren Sohn verantwortlich, dass dieser auch zeitig im Stall ist. Um 5 Uhr solltet ihr spätestens aufstehen und um 6 Uhr gibt es für die Angestellten Frühstück. Danach werdet ihr Master Cormac um 7 Uhr wecken und ihm beim Ankleiden helfen, sofern er es wünscht. Dann bringt ihr ihm das Frühstück in sein Arbeitszimmer um 8:30 Uhr. Danach habt ihr Zeit, das Schlafzimmer aufzuräumen und zu reinigen! ….“ Und so ging die Litanei an Aufgaben für den Tag weiter. Immer im Hinterkopf, dass es auch durchaus Abweichungen geben kann, sollte Master Cormac überraschend abreisen müssen oder Gäste hier mit übernachten.
Ich seufzte tief „Das ist ja eine ganze Menge, damit habe ich ehrlich gesagt noch gar nicht gleich gerechnet. Aber wenn ich Fragen habe, darf ich mich an euch wenden?“ flehentlich sah ich sie an.
„Natürlich und auch die anderen Bediensteten könnt ihr fragen! So, aber nun macht euch fertig, denn Master Cormac erwartet gegen 15 Uhr noch einen Besucher! Und da dieser wichtig ist und eine gehobene Stellung hat, werde ich euch diesbezüglich heute noch einweisen!“
Mit diesen Worten ließ sie mich mit meinen neuen Sachen alleine, damit ich mich ankleiden konnte. Ich betrachtete mich in dem kleinen Spiegel über unserer Kommode, diese hatte ich mit unseren persönlichen Sachen bereits bestückt. So schlecht sah ich in dieser Aufmachung gar nicht aus, stellte ich fest und grinste.
Das Schlagen der Standuhr im Eingang wies darauf hin, dass es bereits ein Uhr Mittags war. Aber da ich jetzt den Vormittag mit den Vorträgen von Marge und Shay beschäftigt war, hatte ich noch gar nichts weiter gegessen und mein Magen knurrte. Ich ging hinunter zur Küche und fragte, ob noch etwas vom Essen übrig sei. Mir wurde mit einem Gekicher geantwortet. „Alex, Mittagessen ist um 12, wer nicht anwesend ist, geht leer aus. Aber da du es ja noch nicht wissen konntest, hier ist noch ein bisschen Eintopf und ein Stück Brot für dich!“ Ein junges rotwangiges Mädchen reichte mir die Schüssel und einen Löffel.
„Danke, das ist sehr nett von euch. Also werde ich mir noch mehr Zeiten merken müssen!“ Ich grinste sie an und sie nickte nur wissend.
Als ich fertig gegessen hatte, war ich ein wenig unschlüssig, was ich denn jetzt machen sollte. Aber man kam mir zuvor und gab mir einen Stapel mit Handtüchern und Bettwäsche. Ich sollte die oberen Zimmer machen. Denn heute würde der besagte Gast hier übernachten.
Bewaffnet mit der Wäsche ging ich nach oben und machte mich daran die Betten frisch zu beziehen und Staub zu wischen. Ich wechselte die Handtücher und sah mich in dem Gästezimmer zufrieden um. Ja, so konnte man es lassen. Dann machte ich mich an das Schlafzimmer von Shay. Mir war immer noch ein wenig mulmig zumute, aber das würde sich sicher in den nächsten Tagen legen!
Als ich gerade über dem Bett hing um das Laken auf der Matratze gerade zu rücken, trat Master Cormac ein. „Lasst euch nicht stören, ich wollte mich nur ein wenig frisch machen!“ Mit diesen Worten ging er hinüber ins Ankleidezimmer. Na, dann mal weiter im Thema, man glaubt gar nicht, wie schnell man doch Spannbettlaken vermissen kann!
Kapitel 14
Ich tingelte auf die andere Seite des Bettes um das Laken von dort aus noch zu richten, als mein Blick auf den offenen Türspalt zum Ankleidezimmer fiel. Shay stand vor der Kommode und wusch sich schnell, aber... so ohne Hemd und … er stand so da … mir schoss das Blut in die Wangen und ich versuchte mich auf das Laken zu konzentrieren.
Aus dem Nebenzimmer kam ein Räuspern und er stand in der Tür, immer noch ohne Hemd und sah mich grinsend an. „Alexandra, ihr werdet doch wohl schon einmal einen Mann ohne ein Hemd gesehen haben, oder irre ich mich? Denn ihr habt ja schließlich einen Sohn!“ Wie fies er doch sein konnte.
Immer noch mit hochrotem Kopf stand ich am Bett und versuchte meine Atmung und meine Gedanken wieder runter zufahren! „Master Cormac, ich... es tut mir leid, ich wollte nicht … Sicher habt ihr recht, aber … ich kenne euch noch nicht richtig. Da …. es ist ...“ stammelte ich vor mich hin.
Shay drehte sich mit leisem Lachen um und ging zum rechten Kleiderschrank und fischte sich ein frisches Hemd heraus. Als er es übergezogen hatte, bat er mich, ihm bei den Ärmeln zu helfen, die Schnüre an den Handgelenken ließen sich nicht richtig schließen. Die Bänder waren beim Waschen irgendwie verdreht worden und knotig, so dass ich mich entschloss einfach ein Paar neue einzufädeln. Ich bat ihn, das Hemd noch einmal auszuziehen und sich vorerst ein anderes zu nehmen. Cormac tat gehorsam um was ich ihn gebeten habe, aber ließ mich dabei nicht aus den Augen.
Mit dem Hemd über meinem Arm rannte ich förmlich aus dem Zimmer und hinunter zur Wäschekammer. Dort wusste ich, gab es entsprechende Bänder. In meinen Gedanken machte ich mir eine Notiz Nie wieder Zeitreisen, nie wieder der Lebensgeschichte anderer Männer hinterher jagen! Das ist nicht gut für die Nerven!!
Wer auch immer die Manschetten mit Bändern erfunden hatte, gehörte geteert und gefedert! Was für eine Fummelei! Aber ich hatte es irgendwann geschafft und war auf dem Weg zurück, um das Hemd in den Kleiderschrank zu legen, als Marge mich abfing.
„Wo wart ihr denn, Alex? Wir haben euch schon gesucht!“ Sie hatte einen leicht gehetzten Ausdruck im Gesicht.
„Entschuldigt, Miss Marge, aber ich habe nur neue Bänder für ein Hemd gesucht und eingefädelt. Was ist denn passiert? Habe ich etwas vergessen?“ ein wenig mulmig wurde mir, denn ich fand es immer schrecklich, wenn ich eine Aufgabe vergaß.
„Es ist nichts passiert, aber es ist 15 Uhr. Ihr solltet bereits hier unten warten und den Gast empfangen und zu Master Cormac bringen!“ Ja, aber er war ja noch gar nicht da.
„Wer ist es denn eigentlich, es wäre schön, wenn ich ihn gleich mit Namen ansprechen könnte.“
Doch wir wurden unterbrochen, denn es klopfte bereits an der Tür und ein junger Diener griff einfach nach dem Hemd über meinem Arm und verschwand nach oben! Völlig überrumpelt stand ich da und schaute von Marge zur Tür.
„Mädchen, nun macht schon auf! Soll der Herr ewig warten?“
Die Tür! Ja natürlich... wie begrüßte man eigentlich jemanden, wenn er kein Freund war und man nicht in seiner eigenen Wohnung war? Mir war gerade alles entfallen und meine guten Manieren waren dahin!
Ich ging zum Eingang und öffnete die Tür und hätte vor lauter Schreck am liebsten dieselbe wieder zugeschlagen!
Kapitel 15
Niemand geringerer als Mr. Blaurock stand vor der Tür und bat um Einlass. Aber was mich irritierte waren diese doch sehr kalten grauen Augen! Prüfend und abwertend zugleich sah er auf mich herab, der der Mund einfach offen stand und die nichts sagen konnte. Aus meiner Lethargie holte mich dann aber Marge „Master Kenway, es ist schön, euch einmal wieder hier begrüßen zu dürfen! Folgt mir, Master Cormac erwartet euch sicher schon!“ Sie rollte mit den Augen in meine Richtung und führte den Herren Richtung Arbeitszimmer.
Aber ich stand immer noch wie vom Blitz getroffen da und versuchte mir alles zusammen zu reimen! Shay und Haytham? Sie kannten sich? … Aber natürlich! Und da fiel es mir ein. Warum war ich nicht gleich darauf gekommen? Ich war doch so blöd. Da Master Kenway ja nun einmal den Rang des Großmeisters des kolonialen Ritus inne hatte, war Shay, da er zu den Templern übergelaufen war, NATÜRLICH ihm unterstellt! Warum hatte ich das nicht bedacht? Mir widerstrebte aber, ihn mit Master Kenway ansprechen zu müssen, denn er war einfach... ein erwachsener Mann. Er war keine 9 Jahre alt mehr. Also musste ich mich wohl zusammen reißen.
Dazu kam aber jetzt ein anderes Problem. Was, wenn Haytham mich doch wiedererkannte? Was, wenn er mich auffliegen ließe? Ich meine, noch hatte ich nichts getan, sondern lediglich eine Arbeit gesucht. Doch bei den Templern wusste man ja nie, wie ihre Gedanken so tickten und was sie sich so zusammen sponnen!
Ich atmete tief durch und ging Richtung Küche, um die Erfrischungen zu holen, die bereits vorbereitet waren. Dort angekommen nahm mich Marge beiseite: „Alex, was war denn auf einmal los mit dir? Du sahst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen!“
So ähnlich war es ja auch! „Ach Marge, es ist nur... ich bin das alles hier noch nicht gewohnt und war einfach überfordert. Es war ein anstrengender Tag und ich muss noch so viel lernen. Es tut mir leid. Ich hoffe, ich habe den Herren jetzt nicht mit meiner Art beleidigt?“ tat ich unschuldig und unwissend!
„Nein, ich denke nicht. Versuch aber jetzt wenigstens höflich zu sein und bring das Tablett ins Arbeitszimmer!“ Sie klopfte mir aufmunternd auf die Schultern und ich lächelte ein wenig gequält.
Die Tassen und Teller klirrten wie verrückt, als ich beladen damit zu den beiden Herren ging. Ich war nervöser als bei einem Vorstellungsgespräch. Es war wie eine Feuertaufe jetzt. Ich musste mein Talent als Schauspielerin, welches ich nicht hatte, beweisen. Das würde noch spaßig werden.
Ich klopfte und balancierte das Tablett auf der anderen Hand. Als man mich hereinbat, schritt ich mit erhobenem Haupt hinein und stellte die Erfrischungen auf den Schreibtisch. Den Tee goss ich in die Tasse ohne zu kleckern und reichte jedem Herren seine Tasse! Unfallfrei! Aber ich vermied es, Haytham anzusehen und nickte dann Shay zu: „Habt ihr noch einen Wunsch, Master Cormac?“
„Nein, das wäre vorerst alles! Ich werde nach euch rufen lassen, wenn es etwas gibt, Alexandra!“ Damit war ich entlassen und sehr erleichtert, den Raum wieder verlassen zu können. Aber ich spürte ein Kribbeln im Nacken, also beobachtete man mich doch tatsächlich.
Ich schloss die Tür und lehnte mich mit einem tiefen Ausatmen dagegen! Ich brauchte dringend frische Luft! Mein Weg führte mich in den hinteren Bereich des Arsenals, wo man einen unglaublich schönen Blick auf das Meer hatte. Dort setzte ich mich auf die dicke Steinmauer und ließ die Ereignisse ein wenig auf mich wirken. Ich durfte mir einfach nichts anmerken lassen.
Solange Kenway nichts sagte, ging ich davon aus, dass er auch nichts ahnte. So meine Hoffnung!
Kapitel 16
Als ich mich innerlich wieder beruhigt hatte, ging ich hinein, denn ich hatte noch ein paar Kleinigkeiten, die erledigt werden mussten.
Es vergingen ungefähr zwei Stunden in denen keine weiteren Wünsche geäußert wurden, was mich freute. So lief ich niemandem sonst über den Weg.
Erst als es um das Abendessen ging, herrschte plötzlich Hektik. Warum, verstand ich nicht, denn nur ein Gast ist kein Grund zur Besorgnis. Aber man brachte mich auf den neuesten Stand. Es würden noch vier Gäste zusätzlich zum Essen kommen. Bitte lass es nicht noch mehr von den Templern sein, aber das war wohl ein dummer Wunsch.
Also wurde der Tisch im großen Raum gegenüber des Arbeitszimmers eingedeckt. Man zeigte mir, wie das Besteck und die Gläser gerichtet wurden, wie ich mich beim Auftragen des Essens zu verhalten hatte … es war ja schlimmer wie bei einer Ausbildung!
Bevor jedoch die anderen Herrschaften erschienen, ging ich noch kurz in mein Zimmer und überprüfte meine Erscheinung. Ein wenig kaltes Wasser im Gesicht tat mir gut und ich genoss diese Kühle, die sich auf meine Haut legte.
Meine Haube saß ordentlich, meine Haare gut verstaut darunter ohne eine Strähne, die herausragte und meine Schürze war auch immer noch tadellos. So konnte ich mich dann wohl wieder in die Höhle des Löwen wagen.
Gerade als ich wieder in die Eingangshalle trat, klopfte es und die Uhr schlug sechs Mal. Es war Zeit fürs Dinner! Ein letztes Mal durchatmen, Sinne sammeln und dann los! Mit einem Schwung öffnete ich die Tür und sah mich vier weiteren Herren gegenüber.
Zu meinem Glück war Marge mal wieder zur Stelle und konnte mir auf ihre unkonventionelle Art die Herren vorstellen, ohne das diese Verdacht schöpfen würden, dass ich keine Ahnung hatte, wer dort stand.
„Master Weeks, Master Lee, Master Hickey und ich sehe ihr konntet euch freimachen Master Johnson! Folgt mir bitte, Masters Kenway und Cormac erwarten euch sicherlich schon!“ Die Herren gingen folgsam hinten drein in Richtung des, ich nenne es jetzt einfach mal, Esszimmers. Ihnen wurden die Plätze zugewiesen und nun hieß es, das Essen auftragen.
Ich hoffte inständig, dass mir keine Patzer mehr passierten. Als Shay und Haytham den Raum betraten, hatte man das Bedürfnis, ehrfürchtig auf die Knie gehen. Kenway hatte eine solche Präsenz, die nichts anderes zuließ! Doch genau in diesem Moment schoss mir die Erinnerung an den kleinen Haytham in den Kopf. Arrogant und überheblich, weil er der Meinung war, nur er wäre privilegiert genug. Leise Wut stieg in mir auf und ich ballte meine Hände. Nicht jetzt, nicht jetzt! Denk jetzt nicht daran! Er ist ein erwachsener Mann und sicher auch weiser geworden!
Zum Glück kam meine Ablenkung! Die Vorspeise stellte eine Suppe dar, ich vermutete mal eine Hühnerbrühe mit Gemüse. Denn bei der Zubereitung war ich nicht anwesend. Aber da es Hühnchen im Hauptgericht gab, war anzunehmen, dass es eben daraus war. Das Ganze verlief reibungslos, auch wenn man mich hin und wieder beobachtete. Man kannte mich ja noch nicht. Und ich hoffte, es würde auch erst einmal so bleiben.
Die Nachspeise wurde gereicht und es war heißer Vanillepudding mit Früchten. Mein Magen knurrte verdächtig laut und ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. Wie peinlich! Die Herren sahen mich auch leicht grinsend an, wenn ich neben ihnen stand und das Dessert auftat.
„Ich glaube, ich habe noch gar nicht erwähnt, dass Master Kenway heute Nacht mein Gast sein wird. Sorgt bitte dafür, dass alles hergerichtet wird.“ kam es von auf einmal von Shay in meine Richtung und gleichzeitig ergriff Haytham meine Handgelenk und sah zu mir auf. „Habt ihr eventuell schon in einem anderen Haushalt gedient? Ich könnte schwören, ihr kommt mir bekannt vor!“
Ich stand sprachlos dort und wusste nicht worauf ich zuerst reagieren sollte.
Kapitel 17
Oh nein... nicht jetzt. „Master Kenway, verzeiht aber das glaube ich kaum. Ich war vor meiner hiesigen Anstellung in … Hannover bei einer Familie im Dienst!“ Ich hätte schon fast wieder Deutschland gesagt. Ich lächelte unschuldig und er ließ mich los, sah mich aber trotzdem prüfend an und … da war er … dieser Schleier. Jetzt konnte ich nur hoffen, dass ich nicht als gefährlich für ihn eingestuft wurde!
Ich sah hinüber zu Shay, der mich ebenfalls fragend ansah. „Also ich wüsste nicht, dass wir uns schon einmal begegnet sind!“ versuchte ich mich hinauszureden und gab einen Löffel auf seinen Teller. Es schien, als wäre das ganze damit vorerst beendet und die Herren unterhielten sich weiter angeregt über... Belanglosigkeiten! Es war noch nicht einmal interessant. Wir Angestellten warteten, bis alle Anwesenden gegessen hatten, um dann abzuräumen. Marge hatte mir erklärt, das man danach noch Brandy serviert und die Herren den Abend so ausklingen lassen würden.
So hatte ich nichts mehr zu tun. Ich wollte mich gerade bei Shay abmelden, als Haytham sich zu Wort meldete. „Alexandra, tut mir einen Gefallen, es ist schon recht kühl heute Abend. Sorgt dafür, dass der Kamin in meinem Zimmer angefeuert ist!“
„Sehr wohl, Master Kenway!“ Ich musste mir ein leichtes Zähneknirschen verkneifen, denn es widerstrebte mir, ihn so zu nennen. Denn NUR sein Vater war MASTER Kenway. ER war nur Master Haytham. Ich knickste und ging beladen mit dem Geschirr des Nachtisches in die Küche. Ich bat einen der Diener, Holz nach oben in das Gästezimmer zu bringen, damit ich den Kamin anheizen konnte. Das Prozedere hatte man mir gezeigt, denn so einfach wie in meiner Zeit ist es halt nicht gewesen. Kein Wunder, dass hier darauf geachtet wurde, ein Feuer möglichst nicht ganz ausgehen zu lassen.
Wir werkelten in der Küche und gegen 22 Uhr ging ich nach oben, zuerst in Shays Zimmer. Auch er hatte darum gebeten, dass man ein Feuer machte. Und es war tatsächlich sehr frisch und kühl hier. Ich richtete sein Bett und legte seine Nachtkleidung zurecht.
Danach ging ich hinüber zum Gästezimmer und zündete den Kamin an, auch für Haytham legte ich seine Nachtsachen zurecht und machte das Bett fertig. Als ich an der Kommode stand und Wasser aus dem Krug in die Schüssel goss, öffnete sich die Tür und Kenway betrat den Raum. Erschrocken drehte ich mich um und vergoss dabei ein wenig Wasser. „Master Kenway, verzeiht, ich werde es sofort aufwischen!“ Geflissentlich nahm ich eines der Handtücher und wischte den Boden trocken. Danach ging ich mit gesenktem Kopf an ihm vorbei.
„Alexandra, ich hätte gerne noch ein Glas Portwein!“ Hol dir deinen Wein doch selber, dachte ich nur, erwiderte aber „Natürlich, Master Kenway! Ich bringe euch den Wein sofort!“ Mit einem knirschenden Kiefer verließ ich sein Zimmer.
Sollte doch jemand anderes ihm das Gesöff bringen. Ich setze keinen Fuß mehr darein, sonst garantiere ich für gar nichts mehr.
Unten in der Küche bat ich ein Mädchen, den Wein nach oben zu bringen. Sie sah mich an, als hätte ich ihr eine Ohrfeige verpasst. „Warum sollte ICH das machen? Er hat DICH darum gebeten! Zumal ich dafür auch gar nicht zuständig bin!“ Ja, toll...
Dann mal los, ich holte den Wein und ein Glas und goss es voll. Damit ging ich die Treppe hinauf und fühlte mich, als ginge ich zu einer Hinrichtung. Ich klopfte in einer Lautstärke, die wahrscheinlich auch noch auf einem anderen Kontinent zu hören gewesen wäre, nur, damit er auch sofort reagieren kann. Aber... erst einmal kam gar nichts.
Also noch einmal klopfen, vielleicht sollte ich es mit gegen die Tür treten versuchen? Aber dieser Versuch wurde unterbunden, denn er öffnete und bat mich, das Glas auf dem Nachttisch abzustellen. Ich tat wie mir geheißen und verschwand schnell wieder. Denn... diese Wut wollte einfach nicht weichen!
Kapitel 18
Gegen Mitternacht waren wir mit den Aufräumarbeiten fertig und gingen zu Bett. Mein Sohn war schon etwas früher zu Bett gegangen. Leise schlich ins Zimmer und zog mich aus, wusch mich und putzte mir die Zähne. Dann legte ich mich schlafen und war eingeschlafen bevor mein Kopf das Kissen berührte. So etwas hatte ich selten erlebt, diese Arbeiten waren doch anstrengender als man vermutete.
Am nächsten Morgen stand ich ich tatsächlich pünktlich auf, machte mich fertig, weckte Yannick und wir gingen hinunter. Das Frühstück tat gut und ich genoss für einen Moment das Nichts-Tun! Doch schon kurz darauf ging der Alltag los.
Vorsichtig ging ich in Shays Zimmer, zog die Vorhänge auf und weckte ihn. Mürrisches gälisches Gemurmel aus Richtung des Bettes, zeigte mir, dass mein Weckkommando erfolgreich war. Dann stellte ich den Krug mit frischem Wasser bereit und legte sein Rasierzeug parat.
Danach ging ich zum Gästezimmer. Als ich klopfte, hörte ich ein „Herein“ und ich öffnete die Tür vorsichtig. „Guten Morgen, Master Kenway, ich hoffe, ihr hattet eine angenehme Nachtruhe?“ Dieses Knirschen meiner Zähne ließ sich nicht verhindern.
Haytham war schon wach und war dabei sich bereits anzuziehen. Ich ging an ihm vorbei und stellte den Krug mit dem frischen Wasser auf die Kommode. Er sagte nichts, sondern sah wie durch mich hindurch. Etwas überrascht aber auch sehr erleichtert verließ ich das Zimmer wieder. „Das Frühstück ist dann gleich angerichtet!“ Keine Antwort, nur ein Nicken! Ja, dann halt kein Wort am frühen Morgen. Aber irgendwie konnte ich das verstehen. Ohne Kaffee gab es mit mir morgens auch keine Konversation.
Ich ging wieder hinunter und half dabei, das Frühstück für die beiden herzurichten. Yannick war schon hinüber zu den Ställen und war mit der Versorgung der Tiere beschäftigt. Wenn ich hier gleich fertig war, sollte ich mal schauen, was er so macht!
Cormac und Kenway erschienen ungefähr zeitgleich. Aber … entweder täuschte ich mich oder es lag an meiner Unkenntnis, der anerzogenen Höflichkeiten. Aber die beiden waren sehr schweigsam, nicht unangenehmes Schweigen, sondern einvernehmliches! Sollte mir recht sein, obwohl ich zu gerne noch etwas mehr erfahren hätte.
Danach räumte ich mit Marge ab und wir kümmerten uns um das Aufräumen. Danach hatte ich ein wenig Zeit und besuchte meinen Sohn in den Ställen. Er war damit beschäftigt, auszumisten und die vier Pferde zu striegeln. Wunderschöne Tiere wie ich fand, auch wenn ich keine Ahnung hatte, WAS für welche es waren. (dass es sich um Pferde handelt, weiß ich, ich meine die Rasse)
„Mum, darf ich dir das tierische Personal vorstellen?“ Er war in seinem Element wie es schien und ging hier völlig drin auf. Das freute mich, denn es beruhigte mich und ich wusste meinen Sohn in guten Händen. Auch der Stallmeister war sehr umgänglich und geduldig.
Die vier Pferde hießen: Ceasar, Billy, Icarus und Raffael. Ich betrachtete Raffael genauer: „Stimmt, er sieht auch wie ein erster Maat aus. Er weiß, wo es lang geht!“ Ich musste lachen, denn die Ähnlichkeit war verblüffend.
„Mum, lass ihn das bloß nicht hören, der kündigt sonst noch!“ Wir beide mussten lachen.
Die Tiere zu füttern und ein wenig diese majestätisch Art zu genießen, war eine Wohltat für meine Nerven. Ich wäre gerne länger geblieben, aber meine Pflichten riefen.
Nach dieser Pause ging ich wieder zum Haus zurück und wollte gerade am Springbrunnen vorbei durch den Durchgang nach hinten, als ich oben auf der Empore Haytham stehen sah.
Die Hände gestützt auf die Balustrade sah er auf mich herab, obwohl ich nicht sicher war, ob er wirklich mich ansah oder einfach nur in Gedanken versunken war. Es war einfach nur unheimlich! Also ging ich schnell weiter und verschwand im Dienstboteneingang.
Kapitel 19
Es wurde Zeit für die Wäsche. Meine Zeit als Dienstbotin war genau zu dem Zeitpunkt, wo auch Waschtag war. Na toll... ich liebte ja waschen und trocknen und … wenn eine Waschmaschine da ist. Aber so? Ich seufzte nur und ergab mich meinem Schicksal.
Das ganze Unterfangen war schweißtreibender als ich geahnt hatte. Und schon nach kurzer Zeit hätte ich am liebsten alles hingeworfen und wäre abgereist. Aber... nein, das halten wir durch, dass haben schon ganz andere vor uns geschafft. Und wieder kam mir ein Gedanke, den man so nicht unbedingt hat. Waren wir in meiner Zeit wirklich so verweichlicht? Wir kannten kaum noch diese körperlichen Arbeiten im Haushalt! Es gab Geschirrspüler, Waschmaschinen...
Ich hatte während wir die Wäsche einweichten Zeit genug, darüber nachzudenken und ich kam zu dem Schluss, dass ich den Frauen in dieser Zeit einfach einmal meinen Respekt zollen sollte. Wir machten uns doch gar kein Bild von diesen Zuständen.
So war ich in meine Gedanken vertieft und mit der Arbeit beschäftigt, dass ich erst sehr spät bemerkte, dass wir nicht mehr alleine waren und man mir regelrecht auf die Schulter haute.
„Mrs. Masterson!“ es war einer der männlichen Dienstboten, die im Moment mit ein paar kleineren Reparaturen am Gebäude beschäftigt waren. „Master Cormac fragt nach euch. Ihr sollt zu ihm kommen!“ meinte er mit einem säuerlichen Ton in der Stimme. Mir rutschte mein Herz in die nicht vorhandene Hose.
„H...hat er gesagt, ...w...worum es geht?“ fragte ich zitternd.
„Nein, hat er nicht. Das geht mich auch nichts an. Ich sollte euch nur suchen und zu ihm bringen!“
Also folgte ich ihm und er führte mich zum Arbeitszimmer von Shay. Dieser war aber nicht alleine. Wie sollte es anders sein, Haytham war ebenfalls anwesend. Innerlich verdrehte ich nur die Augen und hoffte gleichzeitig, dass es um banale Dinge ging.
Ich knickste „Master Cormac, ihr habt nach mir geschickt?“
Der Ire sah mich ein wenig verärgert an. „Ja, Alexandra, das habe ich. Ihr kennt eure Aufgaben hier doch, oder? Marge hat euch gestern entsprechend eingewiesen, wie ich hörte!“
Etwas irritiert schaute ich von einem zum anderen. „Ja, Sir, sie hat mir erklärt, was ich zu tun habe und wo ich alles finde. Habe ich etwas übersehen?“ fragte ich jetzt einfach, denn ich wurde immer nervöser.
„Das habt ihr in der Tat! Master Kenway war gerade in seinem Zimmer, um sich umzuziehen und fand es unaufgeräumt vor. Ebenso ist mein Schlafzimmer ein einziges Durcheinander! Was habt ihr den ganzen Vormittag gemacht, dass ihr es nicht einmal geschafft habt, diese Kleinigkeiten zu erledigen?“ polterte er drauf los.
„Gutes Personal finden, ist nicht so einfach, Shay. Ich hatte euch gewarnt, dass ihr lange suchen werdet!“ ließ sich Haytham über mein Verhalten aus. Und da war wieder diese Arroganz, welche mich damals schon zur Weißglut gebracht hatte!
Mit einiger Mühe schluckte ich meinen Zorn darüber hinunter und versuchte das Beste aus der Situation zu machen. Ich musste mir eingestehen, solange ich nicht auffliegen wollte, sollte ich mir eine demütige Art angewöhnen und immer mein loses Mundwerk zu zügeln.
„Verzeiht, Master Cormac, das war ein Versehen. Aber ich habe nach meinem Sohn gesehen, ob er mit seiner Arbeit zurecht kommt. Und dann ist heute ja auch Waschtag...“ Zu mehr kam ich nicht, denn er fuhr mir über den Mund.
„Es ist mir herzlich egal, WAS gerade ist. Ihr habt Aufgaben zu erledigen und solltet es prompt tun. Für diese Woche werde ich eure Bezahlung einbehalten, damit so etwas nicht wieder passiert!“
Ja, das ist großartig. Ganz toll!
Kapitel 20
„Es tut mir leid, Master Cormac. Ich werde sofort die Zimmer herrichten. Es wird nicht noch einmal vorkommen!“ Noch demütiger ging es nicht.
„Ich glaube, ihr solltet euch auch bei Master Kenway entschuldigen. Schließlich ist er Gast hier und soll sich wohlfühlen! Also, worauf wartet ihr noch?“ maulte Shay mich weiter an.
Meine Hände arbeiteten und mein Kiefer tat mir schon weh, so knirschte ich mit den Zähnen. Mit einem, hoffentlich gut gelungenen, demütigem Lächeln und Augenaufschlag, drehte ich mich zu Haytham um. „Verzeiht, Master Kenway, es wird nicht wieder vorkommen.“ Ich knickste und hoffte, ich wäre jetzt damit entlassen und könnte wieder meiner Arbeit nachgehen. Hauptsache raus hier.
Haytham sah mich nur an und grinste mit einer Genugtuung, die ich ihm am liebsten aus dem Gesicht geschlagen hätte. Ich atmete tief durch, denn so langsam kochte es immer mehr in mir. „Alexandra, das will ich hoffen. Denn ansonsten werde ich eure Arbeit persönlich überwachen! Und glaubt mir, das wird kein Vergnügen. Weder für euch noch für MICH!“ Was meinte er denn jetzt damit?
„Ihr könnt jetzt gehen!“ Mit einem Wink schickte er mich hinaus.
Noch ein Knicks an beide Männer gerichtet und ich drehte mich um und verschwand aus dem Zimmer!
Erleichtert, aus dieser Situation heile herausgekommen zu sein, lehnte ich kurz an der Wand. Und dann hörte ich, ungewollt, ihr Gespräch!
„Haytham, es widerstrebt mir, so mit meinen Angestellten umzugehen. Sie ist erst seit gestern hier und hatte es in den letzten Wochen wohl nicht leicht!“ meinte Shay in einer viel freundlicheren Stimme als gerade eben noch.
„Shay, glaubt mir, irgend etwas stimmt an der Sache nicht. Erst taucht hier die Brigg meines Vaters auf, welche eigentlich nicht mehr existieren dürfte. Die Eigentümerin ist eine Preußin und hier nicht aufzufinden. Und urplötzlich habt ihr zwei neue Bedienstete? Ich bitte euch...!“ der Großmeister schnaubte verächtlich.
„Das mag ja sein. Es könnte aber auch reiner Zufall sein. Was schlagt ihr dann vor?“
Ich hörte, dass sich jemand erhob und einen Stuhl schob. „Ich werde Charles auf sie ansetzen und beobachten lassen. Wenn wirklich etwas faul ist, dann wird ihr irgendwann ein Fehler unterlaufen!“
Ich glaube, es ist an der Zeit, dass die Jackdaw Segel setzt und vorerst verschwindet und mit ihr auch Mrs. Frederickson. Vielleicht konnte ich so von mir ablenken. Haytham ahnte ja, dass ich nicht zufällig hier bin. Und ich wollte noch nicht auffliegen!
Jetzt hieß es aber, dass ich schnell handeln musste, bevor mir dieser Charles auf der Pelle hockte. Es war dieser unheimliche Typ mit diesen hellen Augen, das war mir von gestern noch in Erinnerung geblieben.
Aber erstmal musste ich mich jetzt um die Zimmer der beiden kümmern. Ja, die hatte ich wirklich vergessen, aber keiner hatte mir einen Wink gegeben. Sehr freundlich die Solidarität unter den Dienstboten!
Zuerst ging ich nach oben in Shays Zimmer, machte das Bett, wechselte das Wasser in der Schüssel und reinigte das Rasierzeug. Seine Kleidung nahm ich mit, denn wenn wir schon wuschen, war ein Hemd mehr nicht schlimm.
Dann ging ich hinüber zum Gästezimmer und räumte dort auf. Viel war es nicht, denn der Großmeister war von Natur aus ein ordentlicher Mensch, nicht so wie der Ire, der gerne alles dort liegen ließ, wo er es auszog.
Als ich meiner Meinung nach fertig war und mich noch einmal umgesehen hatte, nahm ich die Wäscheteile auf den Arm und ging hinaus. Ich prallte prompt mit Haytham zusammen, der vor der Tür stand, als hätte er nur darauf gewartet, dass ich erscheine. „Verzeiht, Master Kenway!“ sagte ich nur mit gesenktem Blick und huschte an ihm vorbei die Treppe hinunter.
Kapitel 21
Es war irgendwie nicht mein Tag.
Bis zur Mittagszeit waren wir mit der Wäsche fertig und konnten, so der Plan, am Nachmittag mit dem Bügeln und Verräumen anfangen. Beim Essen fragte ich Yannick, ob er eventuell noch in der Stadt etwas zu erledigen hätte. Denn ich hatte die Hoffnung, er könnte eine Nachricht an unsere Mannschaft überbringen. Wir mussten sie warnen und mitteilen, dass sie sich vom Acker machten und zwar zügig.
„Ja, ich muss mit dem Stallmeister zum Schmied und einige Nägel abholen. Warum?“
„Dann kannst du Raffael ja eine Nachricht überbringen?“ fragte ich ihn.
„Warum sollte ich dem Araber.... Oh... natürlich, ja, mache ich Mum. Er ist ein wirklich kluges Tier!“ kam es von Yannick, als bei ihm der Groschen fiel! Draußen gab ich ihm entsprechende Anweisungen, nur um sicher zugehen, dass keiner sonst mithörte.
Dann hätten wir das schon mal. Ich war gespannt, wann mir mein Spitzel anfangen würde zu folgen!
Lange warten musste ich nicht, denn schon einige Stunden später kündigte sich Besuch an und als ich die Tür öffnete stand Master Lee vor mir. „Master Lee, kommt herein. Masters Cormac und Kenway erwarten euch schon!“ ich lächelte ihn übertrieben freundlich an und er folgte mir mit einem gemurmelten „Ja, das dachte ich mir schon!“
Als wir ins Arbeitszimmer traten, standen die beiden anderen auf und begrüßten den Besucher. „Alexandra, bitte bringt etwas zu trinken für unseren neuen Gast!“
Ich knickste und ging. Dieser Lee war mir wirklich unheimlich, er war ungefähr so groß wie Haytham, also mal locker einen Kopf größer als ich und diese Augen, die einfach nicht zu seinem Erscheinungsbild passen wollten!
Also ging ich zur Küche und holte das bereits vorbereitete Tablett und brachte es ins Arbeitszimmer. Meine Absicht, ein wenig das Gespräch belauschen zu können, schlug leider fehl, denn man rief nach mir, wegen der Wäsche.
So verging der Nachmittag, ohne dass ich die Herren Templer noch einmal zu Gesicht bekam. Was für eine Wohltat! Gegen Abend kam Yannick von seinem Ausflug zum Schmied zurück und berichtete, dass er Bescheid gegeben hätte und kein Grund zur Sorge bestünde. Raffael ginge es gut!
Hoffentlich ging mein Plan auf.
Der Abend verlief wie der gestrige, Essen auftragen, dieses mal aber nur für drei Personen und danach abräumen, aufräumen und und und … Weder Shay noch Haytham sagten etwas über mein Fehlverhalten oder brachten irgendwie etwas ähnliches zur Sprache. Auf der einen Seite war es beruhigend, auf der anderen aber eben nicht.
Es war, als würden sie lauern und abwarten wollen. Ein Schelm wer böses dabei denkt, aber man bekam den Eindruck, das geschah mit Absicht. Druck aufbauen! Denn genau dieser kam langsam auf! Und das nach so kurzer Zeit hier. Aber ich baute auf meine eigen Stärke und sagte mir immer wieder „Du schaffst das!“ Und ich hoffte es wirklich!
Es war Donnerstagabend und für den folgenden Tag standen nur übliche Pflichten an. Shay würde den Tag außerhalb verbringen und erst gegen Abend wieder zum Essen im Hause sein.
Das würde ja ein wenig entspannter ablaufen und ich könnte in Ruhe meiner Arbeit nachgehen. Dachte ich mir!
Kapitel 22
Am nächsten Morgen war ich früh wach und fühlte mich wie erschlagen. Meine Arme taten mir weh, vom gestrigen Wäschetag, sodass ich fast nicht meine Haare kämmen konnte. Yannick half mir kurzerhand, damit ich nicht ungepflegt herumlief.
Beim Frühstück wurde der Tagesplan besprochen. Wie vorher gesagt, würde es entspannter sein, da niemand zugegen war, der Extrawünsche äußern konnte. So ging ich dann nach oben und betrat das Schlafzimmer meines Arbeitgebers. Eine Fahne wie ein ganzes Wirtshaus schlug mir entgegen. Aber ich weckte ihn und zog die Vorhänge auf, halt der übliche Ablauf. Gerade als ich wieder hinaus wollte um zu unserem Gast zu gehen, kam ein Murmeln aus dem Bett! „Alex, bringt mir bitte mein Frühstück auf mein Zimmer. Ich fühle mich nicht so wohl heute morgen.“
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, hatte er ernsthaft einen Kater? Was hatte er denn alles getrunken gestern Abend. Das ist mir überhaupt nicht aufgefallen. „Sehr wohl, Master Cormac. Soll ich vielleicht nach einem Arzt schicken?“ tat ich übertrieben fürsorglich und unwissend.
„Nein, nein … nicht nötig. Ich brauche nur noch ein wenig Schlaf!“ mit einem Stöhnen ließ er sich wieder in die Kissen sinken. Ich ging hinüber zum Ankleidezimmer und tunkte ein Tuch in das kalte Wasser und legte es Shay dann auf die Stirn, das sollte seine Kopfschmerzen wohl ein bisschen lindern. „Ich danke euch.“ brachte er gequält heraus.
„Ich werde dann euer Frühstück hoch bringen lassen! Was soll ich Master Kenway sagen?“ Es wäre schon unhöflich, ihn alleine essen zu lassen.
„Ist mir egal...“ DAS war nicht hilfreich.
Ich drehte mich um und ging erst einmal hinunter zur Küche und gab Bescheid, dass Shay unpässlich sei und deshalb auf seinem Zimmer frühstücken wollte und wie es aussah, auch alleine. „Ich werde alles fertig machen, du kannst es dann gleich hochbringen, wenn du Master Kenway geweckt hast!“ Moment...
„Warum muss ich ihm das hochbringen?“
„Weil du sein Zimmermädchen bist und für sein persönliches Wohl verantwortlich bist?“ Das klang ja gerade so, als wäre ich sein Schutzengel und müsste auf ihn aufpassen!
„Dann... bereitet alles vor. Ich bin gleich wieder da!“seufzte ich resigniert.
Ich eilte die Treppe hinauf zu Haytham und als ich klopfte kam ein ebenso gequältes „Herein!“
Sagt mir nicht, die beiden hatten sich gemeinsam die Kante gegeben letzte Nacht?? Dann sind sie aber sehr diskret vorgegangen, denn niemand hatte etwas gehört oder gesehen. Beeindruckend! Betrunkene polterten ja für gewöhnlich herum oder sprachen lauter als gewöhnlich...
Ich trat ein und mir schlug ein sehr unangenehmer Geruch nach Erbrochenem entgegen. Na toll! Das darf nicht wahr sein! Soviel zum Thema entspannter Freitag! Jetzt galt es gleich ZWEI verkaterten Männern wieder auf die Beine zu helfen. Aber das würde ich ganz bestimmt nicht ALLEINE machen.
Ich öffnete vorsichtig die Vorhänge und das Fenster, um ein wenig Licht und vor allem frische Luft einzulassen! Und der Anblick der sich mir bot, rief gleich den Samaritareffekt in mir hervor. Haytham lag halb bekleidet auf dem Bett, zugedeckt hatte er sich nicht mehr, mit einem Stiefel, der andere lag am Boden. Neben dem Bett stand ein Eimer, der bereits erwähnte Gerüche von sich gab.
Verdammt... dieser Anblick. Er tat mir einfach leid! Was sollte ich denn jetzt machen?
Kapitel 23
Ich trat zum Bett „Master Kenway, soll ich euch beim Ankleiden helfen? Oder möchtet ihr genauso wie Master Cormac euer Frühstück auf dem Zimmer einnehmen?“ Ich stupste ihn ein wenig an, denn er lag wie tot da.
„Hmmmm... ich würde gerne einfach liegen bleiben! Helft mir nur ins Bett!“ Ähm... er war im Bett, naja fast zumindest.
„Sir, ihr müsstet euch vielleicht erst entkleiden. Ihr tragt ja noch eure Sachen von gestern.“ Etwas unbeholfen stand ich jetzt da.
„Dann helft mir einfach dabei. Herr Gott, muss man euch alles erklären?“ Du undankbares Stück … mein Wohlwollen wich allmählich wieder meiner alten Wut auf Haytham. Und ich ließ es jetzt ein stückweit raus.
Ich zog ihn einfach an einem Arm hoch, damit er wenigstens schon sitzt. Er verzog das Gesicht vor Schmerzen. DAS geschieht dir recht! Seine Stiefel und Strümpfe waren nicht das Problem und auch das Hemd machte keine Schwierigkeiten. Ich hatte einfach doch dezente Berührungsängste, als es um seine Hosen ging. Aber ich ließ ihn so und bat ihn sich wieder hinzulegen, deckte ihn zu und verabreichte ihm ebenfalls einen kalten Lappen!
„Das tut gut...!“ Seufzte er nur und schloss wieder die Augen!
Ich ging hinunter zur Küche und erstattete meinen zweiten Bericht. Wir konnten uns alle nicht weiter beherrschen, denn niemand konnte sich den Großmeister in so einer misslichen Lage vorstellen. Es wurde ein zweites Tablett fertig gemacht. Das für Shay brachte ich schon einmal hoch.
Im Schlafzimmer meines Arbeitgebers hörte ich nur seliges Schnarchen. Also stellte ich das Frühstück vorsichtig auf den Nachttisch und ging leise wieder hinaus. Aber nicht ohne das Fenster geöffnet zu haben und den Lappen noch einmal zu wechseln.
Wieder unten in der Küche schnappte ich mir Haythams Frühstück und marschierte wieder nach Oben. Ich fragte mich, ob ich irgendwann Kilometergeld bekommen würde. Auf jeden Fall sparte man sich hier das Fitness-Studio!
Als ich ins Gästezimmer trat, hing Haytham kopfüber aus dem Bett über dem Eimer. Großartig! Ich stellte schnell das Tablett auf den Nachttisch und rief nach einem Mädchen. Sollte doch bitte jemand anderes diese Sauerei wegräumen. Mein Magen war dafür nicht gemacht.
Nachdem Kenway sich beruhigt hatte und wieder in den Kissen lag, nahm ich wieder einen Lappen und legte diesen wieder auf die Stirn. Tiefes und dankbares Seufzen deutete darauf hin, dass es genau das Richtige war!
„Master Kenway, ihr solltet versuchen etwas zu trinken!“ sagte ich nur, bemüht nicht allzu besorgt zu klingen, denn wer mich in so einem Zustand anmeckern kann, der kann auch alleine seinen verdienten Kater auskurieren.
„Nein, ich kann jetzt nichts trinken...“ War das einzige, was er über die Lippen brachte. Plötzlich nahm er meine Hand, drehte sich damit auf die Seite und war wieder eingeschlafen.
Ich hing halb liegend auf IHM und dem Bett... Und sein Griff war erstaunlich fest, ich zerrte an meinem Arm um ihn wieder frei zu bekommen. Aber vergebens. Er hatte ihn unter seinem Arm verkeilt. Verdammt!
Und natürlich genau in diesem Moment muss das Mädchen erscheinen, welches sich um den vor dem Bett stehenden Eimer kümmern sollte!
Kapitel 24
Oh nein... sie sah mich an und wollte schon wieder hinaus rennen, als ich sie nur bat, mir bitte zu helfen. Fragend sah sie mich an und ich legte mir nur einen Finger auf die Lippen, um ihr zu deuten, leise zu sein. Vereint zogen wir an meinen Arm und meine Hand unter Haytham weg. Er hatte sich ein wenig entspannt.
Ich dankte ihr und das Mädchen nahm den Eimer und ging schon einmal, konnte sich aber das Kichern nicht verkneifen. Das gab ein wunderbares Tischgespräch und Gerede unter den Angestellten.
Ich hingegen stand auf und sah auf Haytham hinunter. Leise ging ich hinaus, aber nicht ohne einen weiteren Eimer ans Bett zu stellen und noch einmal den Lappen zu wechseln. Draußen auf der Galerie überlegte ich, was ich denn jetzt noch machen sollte. Zimmer herrichten konnte ich nicht. Abräumen musste ich nichts. Wäsche... die war schon erledigt. Also ging ich noch einmal zu Shay hinüber um nachzusehen, ob er noch etwas brauchte.
Aber als ich eintrat, hörte ich nur das sonore Schnarchen. Also gut. Die beiden Männer waren versorgt und ich wollte zum Stall hinüber, um nach Yannick zu sehen.
Ich trat nach draußen in die Sonne, der Tag war warm und angenehm. Tief durchatmen... hinter mir ertönte ein Räuspern und ich schreckte herum. Es war Charles Lee! Was machte der denn jetzt hier? Ach ja... er sollte ja auf mich aufpassen!
„Master Lee, ihr habt mich erschreckt! Kann … kann ich euch behilflich sein?“ höflich lächelnd sah ich zu ihm auf.
„Nein, ich denke nicht!“ Mit diesen stechenden Augen musterte er mich eingehend „Lasst euch durch mich nicht stören! Ich gehe davon aus, das Master Kenway und Master Cormac noch nicht zu sprechen sind?“ grinste er wissend.
Hatte er etwa mit der Alkoholeskalation zu tun? Das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, denn gerade Haytham war eigentlich die Disziplin in Person. Bei Shay war ich mir nicht ganz so sicher, aber man weiß ja nie. „Sir, die beiden Herren sind heute morgen unpässlich. Aber ich richte ihnen aus, dass ihr nach ihnen gefragt habt!“ Damit drehte ich mich wieder um und wollte zum Stall hinüber gehen, als Lee mich am Arm packte und mich an die Mauer des Durchgangs drückte.
„Ihr wisst sehr wohl, warum ich hier bin. Ihr seid nicht auf den Kopf gefallen. Vielleicht solltet ihr etwas freundlicher mir gegenüber sein! Dann verkneife ich mir vielleicht ein paar Anschuldigungen, die euch in ein schlechtes Licht rücken würden!“ Ich konnte seine schlecht gewaschene Kleidung riechen und ich roch Hund. Bei Odin, die Aufzeichnungen über ihn stimmten. Er war wirklich ein Hundefreund und nicht sehr beliebt... Aber ich kam aus diesem Griff hier nicht weg, also musste ich es MAL WIEDER auf die unschuldige freundliche Art versuchen.
„Master Lee, ich weiß nicht, wovon ihr redet. Mein Sohn und ich stehen völlig alleine da. Ich brauchte eine Anstellung, damit wir überleben können. Was ist daran schlecht?“ Ich drückte ein paar Tränen hinaus und sah ihn traurig an in der Hoffnung, dass es wirkte.
Weit gefehlt, er war kalt wie ein Fisch und beließ seinen Griff um meine Arme. Sein Gesicht näherte sich immer weiter und ich konnte diesen unangenehmen Atem auf meinem Gesicht spüren. Instinktiv drehte ich meinen Kopf zur Seite und sah zu meinem Glück den Stallmeister um die Ecke kommen. Ich betete, dass er mir wohlgesonnen ist und mir hier raus half.
„Master Lee! Ist etwas nicht in Ordnung?“ rief er Charles entgegen. Dieser ließ mich wie eine heiße Kartoffel los und zog sich zurück.
„Ja, es ist alles in Ordnung. Ich denke … es war nur ein Missverständnis zwischen mir und Mrs. Masterson!“
Mein Puls raste immer noch, als Lee am Stallmeister vorbei, das Arsenal verließ.
Hatte er nicht etwas vergessen? Er sollte mich doch im Auge behalten.
Kapitel 25
Ich schaute ihm nach und dankte dann dem Stallmeister, dass er erschienen war. „Ihr wart meine letzte Rettung. Ich habe nicht den blassesten Schimmer, was Master Lee von mir wollte. Wie kann ich euch danken, Mr. …?“ Ich sah ihn fragend an, mal wieder hatte ich nicht darüber nachgedacht, einen Namen vorher zu erfragen!
„Blome, Michael Blome! Ihr braucht mir nicht danken, dieser Master Lee ist ein sehr unangenehmer Zeitgenosse und ich bin froh, dass er euch nicht zu nahe getreten ist.“
Ich nickte ihm erleichtert zu „Das ist wirklich sehr freundlich von euch, Mr. Blome! Ich wollte gerade zu den Ställen, um zu schauen, wie mein Sohn sich so macht. Ich hoffe, er macht keine Umstände?“
„Nein, er scheint Pferde sehr zu mögen. Er ist pünktlich und höflich und macht seine Arbeit sehr gewissenhaft. Wenn er sich weiter so anstrengt, kann er es noch bis zum Stallmeister machen!“ Michael lachte herzlich auf!
„Euch wird niemand ersetzen können, Mr. Blome! Das kann ich euch versichern!“ Mit diesen Worten gingen wir hinüber und ich sah Yannick schon von weitem mit Ceasar hantieren.
„Mum, sieh ihn dir an. Ist er nicht einfach prächtig? Wie gerne würde ich so einen Hengst selber besitzen!“ Es fehlten nur die Herzchen in seinen Augen. Er hatte seine Liebe gefunden. Und ein kleiner Stich grub sich in mein Herz, wenn ich daran dachte, dass mein Sohn das alles bald wieder zurücklassen musste.
„Ja, Ceasar ist ein wunderbarer Hengst!“ Bewundernd stellte ich mich zu meinem Sohn.
Und da drehte er sich zu mir und flüsterte „Ja, ich weiß, dass ist nicht für immer, aber es macht mir großen Spaß hier!“ Und dann hatte ich einen Kuss auf der Wange.
Michael grinste uns nur an und verschwand hinten im Stall um das Heu zu holen. Um mein Kind musste ich mir definitiv keine Sorgen machen und das war sehr beruhigend.
Auf einmal flitzte Marge um die Ecke und sah sich hektisch um. „Ahhh, da seid ihr ja, Mrs. Masterson, Master Cormac fragt nach euch!“ Erstaunt sah ich sie an, aber folgte ihr.
Ich betrat vorsichtig das Schlafzimmer und Shay saß in seinem Bett mit dem Tablett auf dem Schoß. „Schön, dass ihr auch endlich mal erscheint. Warum hat mich niemand geweckt?“ Er wollte mich auf die Probe stellen, richtig? Oder Fangfrage, eventuell ein Blackout?
„Master Cormac, ich war heute pünktlich bei euch, um euch zu wecken. Aber ihr wolltet nicht weiter gestört werden. Also bin ich wieder gegangen und habe euch schlafen lassen!“
„Ich hatte heute wichtige Termine! Jetzt ist es bereits zu spät dafür! Wie stehe ich denn jetzt da?“ Ich würde mal sagen, du wirst als Trunkenbold dargestellt, der sich nicht im Griff hat!
„Sir, wie hätte ich euch denn bitte aus dem Bett holen sollen? Ihr habt selber darum gebeten, dass ich euch noch schlafen lasse! Ich habe nur EURE Anweisungen befolgt, genauso, wie IHR es mir gestern noch aufgetragen habt!“
Dieser erstaunte und sprachlose Blick war … erfreulich, denn Shay begriff, dass ich genau DAS tat, was ER wollte. Aber das war wohl auch nicht richtig.
Ich konnte mir meinerseits ein zufriedenes Grinsen aber nicht verkneifen!
Kapitel 26
Shay kaute sauer auf seiner Unterlippe herum und sah mich dabei immer noch böse an. Oder besser, er versuchte es. Aber ihm wurde klar, dass ich nur seinen Anweisungen folgte und er nichts erwidern konnte.
„Trotzdem hättet ihr mich darauf hinweisen sollen, dass es Zeit ist aus dem Bett zu kommen.“
„Das habe ich versucht, aber ihr seid sofort wieder eingeschlafen. Ich habe noch versucht, eure Kopfschmerzen erträglicher zu machen!“ Ich deutete auf den feuchten Lappen auf seinem Kopfkissen.
„Ihr wart das? Danke!“ Sein Blick wurde etwas entspannter. „Wie geht es denn Master Kenway überhaupt? Ich hoffe, er konnte wenigstens seine Termine einhalten und hat ein ordentliches Frühstück bekommen!“
Ich räusperte mich: „Sir, nein, Master Kenway war genau wie ihr auch ... ähm … unpässlich heute morgen! Ich habe ihn zwar ebenfalls versucht zu wecken, aber es war mir nicht möglich.“
„Das ist natürlich ärgerlich. So kenne ich ihn gar nicht. Schaut bitte, ob er noch etwas benötigt und gebt mir dann wieder Bescheid. Ich werde mich dann jetzt fertig machen und schaue dann selber nach ihm.“
„Sehr wohl, Master Cormac!“ Ich ging hinaus und suchte Haytham auf.
Auf mein Klopfen reagierte niemand, noch einmal etwas lauter! Immer noch nichts. Vorsichtig öffnete ich die Tür einen Spalt und linste hinein: „Master Kenway? Seid ihr wach? Ich komme jetzt herein!“ Mir schlug nur wieder dieser widerliche Geruch nach Erbrochenem entgegen. So langsam machte ich mir ernsthafte Sorgen, dass war doch nicht normal, oder?
Langsam trat ich ans Bett, er lag unter der Decke vergraben und atmete friedlich vor sich hin. Vorsichtig legte ich meine Hand auf seine Stirn, seine Haut war schweißnass. Gerade als ich ihn loslassen wollte, griff er mit einer Schnelligkeit nach mir, dass ich vor Schreck aufschrie. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Mit einem fiebrigen Blick sah er mich an: „Was wollt ihr von mir?“ Meine Hand ließ er dabei nicht los.
„Master Kenway, ich bin es. Mrs. Masterson! Ich arbeite für Shay Cormac! Habt ihr das schon vergessen? Ich sorge mich nur um euch. Ihr seid schweißgebadet und ihr habt weder etwas getrunken noch etwas gegessen. Wir haben bereits Mittag!“ In meiner Panik versuchte ich mich von seinem Griff zu lösen, aber es war wie vorhin, er verstärkte ihn nur. Aber er sagte nichts, sondern sah wie durch mich hindurch!
„Jetzt lasst mich los! So kann ich euch nicht helfen, verdammt!“ Mit einem frustrierten Aufstöhnen und in dem ich mein Körpergewicht einsetzte, konnte ich mich befreien. Dabei zog ich ihn allerdings fast aus dem Bett.
Erst jetzt sah ich, wie blass er war und er war wirklich klatschnass. „Bleibt einfach liegen, Master Kenway, ich hole Hilfe um euch neu einzukleiden und um das Bett neu zu beziehen!“ Was hätte er auch anderes machen sollen, so schwach wie er eigentlich war!
Ich hatte nicht mit seiner Zähigkeit gerechnet UND seiner Sturheit. Die lag anscheinend in der Familie! Er richtete sich mit den Ellbogen auf, schwang die Beine aus dem Bett, die sich aber in der Decke und dem Laken verfingen. Wütend zerrte er daran herum! Als er sich befreit hatte, stand er auf und ich konnte es nicht verhindern, ich war nicht schnell genug.
So kippte mir Haytham einfach zur Seite weg und begrub mich halb unter sich. Du meine Güte, war dieser Mann schwer! Ich rief um Hilfe, denn ich wusste mir jetzt beim besten Willen nicht zu helfen.
Die Hilfe kam, aber nicht in Form eines Dieners oder eines Mädchens! Shay warf die Tür auf und stand mit aufgerissenen Augen im Eingang!
Kapitel 27
Na großartig! Das ist doch alles nicht wahr. Ich rollte nur mit den Augen und mein nächster Satz kam etwas ungehaltener rüber als ich es wollte!
„Master Cormac, jetzt steht nicht nutzlos in der Gegend herum! Helft mir, Haytham wieder ins Bett zu bringen!“ stöhnte ich etwas genervt unter dem Templer!
„Warum in Gottes Namen liegt Master Kenway überhaupt auf dem Boden? Noch dazu... WAS habt ihr denn mit ihm gemacht?“ Auf seinem Gesicht breitete sich ein Grinsen aus, welches er nicht kontrollieren konnte und sah von mir zum Großmeister.
„Das ist nicht witzig, Sir, er wollte aufstehen, um zu beweisen, wie gut es ihm doch ginge! Und dabei ist er ohnmächtig geworden. Er hat noch nichts zu sich genommen und wie ihr sehen und sicher auch riechen könnt, nur alles von gestern Abend von sich gegeben!“ Ich versuchte mich jetzt ohne Shays Hilfe zu lösen!
„Wartet! Ich helfe euch ja schon!“ Gemeinsam hatten wir ihn wieder im Bett und es kam noch einer der Diener. Mit vereinten Kräften bezogen wir die Matratze neu, wuschen den Großmeister und zogen ihm frische Wäsche an. Also, der Diener machte das, ich ging derweilen die dreckigen Sachen in die Waschküche bringen!
Als ich wieder im Zimmer erschien, lag Master Kenway immer noch bewusstlos oder schlafend da, das konnte ich nicht beurteilen.
„Master Cormac, Sir, ich möchte nicht unhöflich sein. Aber was in drei Teufels Namen habt ihr gestern alles getrunken, dass es ihm so erbärmlich geht?“ Wollte ich jetzt einfach pauschal wissen.
„Hmmm...!“ Shay überlegte kurz und dann schien ihm etwas einzufallen. „Wir waren noch in einer Taverne, glaube ich! Und … auf dem Weg zurück … wurden wir von zwei Reitern überrannt. Und … es könnte sein, dass Master Kenway ungünstig gestürzt ist. Dabei ist er auf einen Treppenabsatz mit dem Kopf aufgeschlagen. Ich … bin mir aber nicht mehr so sicher!“ Das könnte eine Gehirnerschütterung sein, das würde einiges erklären!
„Oh, das hört sich ja nach einem spannenden und spaßigen Abend an.“ Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen und grinste ihn einfach an. Aber auch Shay war sichtlich amüsiert. Trotzdem mussten wir den Großmeister irgendwie wieder auf die Beine bekommen.
„Ich werde nach einem Arzt schicken, das klingt, als hätte er eine Gehirnerschütterung. Aber mir wäre wohler, wenn er untersucht würde, nicht das doch noch etwas anderes hinter seiner Übelkeit steckt!“ Ich wollte schon hinaus gehen, als ich es würgen hörte hinter mir. Oh nein, nicht schon wieder.
„Lasst nur, Mrs. Masterson. Ich gehe, bleibt ihr bitte hier und passt auf, dass nichts passiert und er IM Bett bleibt!“ Was sollte ich machen? Ihn anketten?
„Ja, Master Cormac.“ Ich knickste und holte ein frisches Tuch, welches ich in das kalte Wasser der Waschschüssel tunkte und Haytham auf die Stirn legte. Sein Gesicht entspannte sich etwas und er ließ sich wieder in die Kissen sinken.
Einer der Diener brachte einen sauberen Eimer und etwas Tee. Aber ich bezweifelte, dass Haytham irgend etwas bei sich behalten konnte. Wenn er irgendwann einen wachen Moment hatte, würde ich es einfach versuchen müssen.
Es dauerte nicht lange, bis der Arzt erschien. Es war ein deutschstämmiger Doktor namens Ambrosch. Klein, untersetzt, graue leicht gelichtete Haare und ca. 60 Jahre alt, mit einem freundlich lächelndem Gesicht. Ich mochte ihn auf Anhieb.
„Na, dann schauen wir uns den Patienten einmal an.“ Sagte er fröhlich und wandte sich an den schlafenden Templer, der die Untersuchung überhaupt nicht mit bekam.
Kapitel 28
Der Ire erzählte, was passiert war letzte Nacht und dass man dem Alkohol doch sehr zugesprochen hatte. Das wiederum brachte den Arzt zum grinsen! Mich übrigens auch. Denn ich hätte zu gerne einen betrunkenen Haytham erlebt, so diszipliniert wie er sonst immer tat!
„Ich gehe davon aus, dass es tatsächlich nur eine Gehirnerschütterung ist und er sich, wenn er 2 bis 3 Tage Bettruhe einhält, wieder genesen sein sollte. Verabreicht ihm bitte genug zu trinken. Essen wird dem Patienten wohl noch nicht gut tun. Sollte sich aber sein Zustand verschlechtern, dann lasst mich umgehend rufen!“
Shay begleitete Doktor Ambrosch noch nach unten und kam dann wieder zurück. „Ich werde erst einmal allen Bescheid geben, dass Master Kenway vorerst keine Termine wahrnehmen kann.“ Er drehte sich um und wollte gehen, als ihm noch etwas einfiel. „Ihr werdet dafür Sorge tragen, dass es Master Kenway an nichts fehlt und er schnell wieder auf den Beinen ist.“
„Sehr wohl, Master Cormac. Aber verzeiht, ich kann mich nicht zwei teilen und ihr wollt ja auch versorgt werden.“ Gab ich zu bedenken, weil ich befürchtete, dass ich nicht allem gerecht werden würde.
„Das ist schon in Ordnung, Alexandra. Eure Pflichten mir gegenüber sind bis auf weiteres dann ein wenig … aufgehoben! Aber vergesst nicht, mich morgens trotzdem zu wecken!“ Damit drehte er sich um und ging.
Ich konnte nur noch einen Knicks machen. Etwas verloren stand ich in Haythams Zimmer, ich wusste nicht, was ich jetzt noch tun konnte. Außer Wache zu halten und aufzupassen, dass er das Bett hütete.
Plötzlich fiel mir wieder ein, dass ich ja die Anweisung gegeben hatte, dass die Jackdaw aus der Schusslinie gebracht werden sollte und dass dieser Lee mich ja im Auge behalten sollte. Ich hoffte, dass dieser Mensch hier nicht allzu oft herumlungerte, das konnte ich beim besten Willen nicht gebrauchen.
Was mein Schiff anging, so war es hoffentlich schon abreisefertig und konnte bald ablegen.
Also setzte ich mich auf einen Stuhl ans Bett, damit ich den Großmeister im Auge hatte und wartete. Einer der Diener erschien und brachte mir etwas zu essen. Hieß das, ich sollte komplett hier bleiben? Aber es wird mich doch wohl jemand auch mal ablösen! Denn ich brauchte ja auch ab und an mal eine Pause oder auch Schlaf, auch wenn viele behaupten, der wäre überbewertet.
„Das ist sehr nett, danke. Wer kann mich denn hier zwischendurch vertreten, wenn ich eine Pause brauche?“ Fragte ich den jungen Mann, Isaac hieß er.
„Miss, ihr seid alleine verantwortlich. Das ist die Anweisung von Master Cormac. Ich weiß von keiner Ablösung!“ Er sah mich völlig erstaunt an, so als hätte ich es doch wissen müssen!
„Wie bitte? Aber ich kann unmöglich 24 Stunden hier am Bett bleiben, naja, man müsste ja auch mal... ihr wisst schon!“
„Miss, ich kann nur das sagen, was man mir aufgetragen hat! Vielleicht sprecht ihr noch einmal mit Master Cormac?“ meinte Isaac entschuldigend.
„Könntet ihr ihn dann vielleicht bitten, noch einmal hinauf zukommen?“ bat ich ihn. Mit einem genervten Blick nickte er nur und ging.
Allein der Gedanke, dass ich hier auch noch die Nacht verbringen sollte, war für mich völlig absurd.
Kapitel 29
Und so saß ich da, tatenlos, denn ich konnte hier nichts machen, außer aus dem Fenster zu starren.
Zwischendurch stand ich auf und wechselte das Tuch. Ich sah auf ihn herab und irgend etwas in mir kippte plötzlich. Er tat mir leid, einfach nur noch leid. Nicht nur, weil er mit der Gehirnerschütterung zu kämpfen hatte, sondern auch wegen seines Lebens. Mir ging seine Geschichte wieder durch den Kopf. Er wuchs mit einer Lüge auf! Und schon damals hatte ich ein schlechtes Gewissen, ihn seinem Schicksal zu überlassen.
Plötzlich sah ich Edward vor mir, wie er voller Stolz von seinem Sohn berichtete, ich sah Jenny, wie sie an Bord der Jackdaw von mir Abschied nahm und ich spürte Tessas Hand auf meinem Arm „Ich verzeihe dir!“ … Und dann dieser letzte Blick von klein Haytham, der ein Lächeln zustande brachte, welches nicht nur aus Höflichkeit entstand.
Mein Blick verschwamm und erst jetzt spürte ich, dass mir die Tränen über die Wangen liefen! Auf einmal sah ich ein Taschentuch vor mir „Mrs. Masterson, Isaac sagte, ihr wolltet mich noch einmal sprechen!“ Oh verdammt... Ich nahm das Tuch und trocknete meine Augen, atmete tief durch und versuchte so gut es ging, ein neutrales Gesicht zu machen. Shay stand nur da und sah mich fragend an.
„Master Cormac, ich habe euch gar nicht herein kommen gehört... ich … also. Ja, ich wollte mit euch darüber sprechen, wer sich mit mir hier abwechseln könnte. Ich kann unmöglich durchgehend hierbleiben!“ schniefte ich ihn an.
„Das verlangt ja auch keiner, Marge weiß bereits Bescheid und wenn ihr eine Pause braucht, dann lasst nach ihr rufen!“ Er sah mich immer noch so fragend an. „Könntet ihr mir bitte aber mal erklären, warum ihr weinend hier am Bett von Master Kenway steht?“ Jetzt lag ein fordernder kalter Ton in seiner Stimme.
Mir schoss das Blut in die Wangen, wie sollte ich das erklären? Eine rührselige Geschichte musste her und zwar schnell. Mein Großvater hatte auch mal eine Gehirnerschütterung und ist daran gestorben? … Das könnte ich probieren.
„Master Cormac, es ist nur... ich musste gerade an meinen Großvater denken. Er hatte sich vor einigen Jahren eine schwere Platzwunde am Kopf zugezogen und lag auch bewusstlos einige Tage im Bett. Aber er erholte sich nicht richtig davon und diese Bilder verfolgten mich gerade wieder!“ Ich senkte meinen Blick in der Hoffnung, dass es der Geschichte noch mehr Nachdruck verlieh!
„Das tut mir leid zu hören, Alexandra. Aber Master Kenway hat nur einen leichten Sturz gehabt, nichts ernstes laut Doktor Ambrosch! Ihr braucht euch also keine Sorgen machen und solange ihr ihn gut betreut, kann nichts schiefgehen!“ Das klang schon wieder wie eine Drohung. Wenn etwas schief geht, bist DU verantwortlich. Aber ich wollte diese Verantwortung nicht tragen!
„Sir, ich … es ehrt mich, dass ihr mir die Gesundheit des Groß... von Master Kenway anvertraut, aber...“ ich biss mir auf die Zunge, aber leider zu spät.
Shays Blick hatte sich verändert, seine Augen waren dunkler und dieser Schleier lag auf ihnen. Er musterte mich! „Wer sollte sonst diese Pflicht übernehmen, wenn nicht ihr? Ihr scheint einige Erfahrung im Umgang mit Kranken zu haben, das trifft sich gut. Also war es demnach das naheliegendste EUCH diese Aufgabe zu überlassen, Mrs. MASTERSON!“ Er betonte meinen Namen so dermaßen, dass ich zurück zuckte!
Er drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort! Und ich stand mit zitternden Knien da und ließ mich auf meinen Stuhl sinken!
Kapitel 30
Neben mir raschelte das Bettzeug und holte mich aus meinen Gedanken. Ich zitterte immer noch leicht, denn in mir stieg die Angst hoch, dass die beiden schon mehr wussten, als sie mir mitteilten.
Haytham schlug die Augen auf, verzog aber schmerzverzerrt das Gesicht und murmelte nur: „Schließt die Vorhänge, dass hält man ja nicht aus!“ Wie überaus freundlich sein Ton doch wieder war, da verließ mich ja schon fast wieder der Samariter Effekt!
„Sehr wohl, Master Kenway.“ Ich machte mich daran, die Samtvorhänge zu zuziehen und wollte mich gerade wieder setzen, als er sich zu mir umdrehte.
Mit rauer Stimme fragte er plötzlich „Mrs. Masterson, was macht ihr hier eigentlich?“
„Master Cormac gab mir den Auftrag, dafür zu sorgen, dass es euch an nichts fehlt und ihr schnell wieder auf die Beine kommt. Und wo wir davon sprechen, der Arzt sagte, ihr sollt viel trinken! Soll ich euch den Becher reichen?“
Ich versuchte, immer noch zitternd, den Becher mit dem Wasser aus dem bereitgestellten Krug zu füllen. Kein leichtes Unterfangen, denn mir schwappte ständig etwas über.
„Warum zittert ihr? Geht es euch nicht gut?“ Also, das war jetzt eine eigenartige Frage.
„Ich glaube, ich bin einfach zu erschöpft im Moment, da ich bis jetzt seit heute morgen, hier bei euch saß und … nunja... euch geholfen habe!“ Ich versuchte ein neutrales Lächeln hinzubekommen.
„Aha, dann ward ihr die ganze Zeit über hier? Hat sich jemand anderes eventuell nach mir erkundigt?“ War das jetzt sein Ernst? Er muss Kopfschmerzen ohne Ende haben und er dachte über so etwas nach? Aber da fiel mir Charles ein.
„Ja, ich war die ganze Zeit hier, nur kurz war ich draußen, um … nach meinem Sohn zu sehen. Da ihr fragt, ja, es hat jemand nach euch gefragt, es war Master Lee. Wenn ich ihn noch einmal sehe, soll ich ihm dann etwas ausrichten?“ fragte ich unschuldig!
„Lasst ihm bitte eine Nachricht zukommen, dass ich wünsche ihn zu sprechen!“ Vorsichtig versuchte er sich in eine sitzende Position zu bringen. Aber er zuckte immer wieder leicht zusammen. Ich schüttelte ihm die Kissen im Rücken auf, damit er es einigermaßen bequem hatte. Ich fragte mich, ob man mit einer Gehirnerschütterung so schnell schon wieder aufrecht sitzen sollte.
„Master Kenway, ihr solltet lieber noch ein wenig liegen. Der Arzt hat...“ Der Großmeister fuhr mir harsch über den Mund!
„Ich weiß sehr wohl, was für mich gut ist! Und jetzt lasst die Nachricht überbringen!“ Und damit war meine Fürsorge und mein schlechtes Gewissen dahin. An ihre Stellen traten wieder meine Wut und der Zorn von damals! Wie gerne würde ich ein Kissen nehmen und...
„Was starrt ihr mich so an?“ brachte er mit einem eiskalten Ton zwischen den Zähnen heraus!
„Sir, ich starre nicht, ich war nur in Gedanken. Denn ich war am überlegen, wie ihr am schnellsten wieder gesund werden könntet! Aber eure undankbare Art verhindert, dass ich mir Sorgen um euch mache. Verzeiht, wenn man sich um euer Wohlergehen sorgt! Ich bin schon weg und werde jemand anderes zu euch schicken, der wohl eher dafür sorgt, dass ihr wieder genesen werdet!“ Ich haute ihm diese Worte förmlich um die Ohren und das auch noch in einer ziemlichen Lautstärke.
Ich musste mich so arg zusammen reißen, um ihm nicht noch eine Ohrfeige zu verpassen und rannte förmlich aus dem Zimmer und schlug die Tür mit einem lauten Knall hinter mir zu!
Auf der Treppe stieß ich dann auch noch mit Charles zusammen und fauchte ihn nur an: „Haytham will euch sehen und jetzt lasst mich durch!“ und rannte zu den Ställen!
Kapitel 31
Mein Kopf schwirrte wie verrückt! Was hatte ich nur gemacht? Jetzt saß ich vollends in der Tinte und zwar bis zum Hals.
Als ich im Stall bei einer Box meinen Sohn fand, war ich so unendlich dankbar und nahm ihn einfach nur in den Arm. Es war mir gerade alles ziemlich egal, ich hatte es eh vermasselt, da kam es auf diese Kleinigkeiten nicht mehr an!
„Mum, was ist denn los?“ Er drückte mich ein Stück weg und musterte mich besorgt.
„Ich bin gerade ausgeflippt! Und … ich … vermutlich hab ich jetzt ein großes Problem!“ stammelte ich nur und fing an zu heulen. Ich war so sauer auf mich selber!
„So schlimm kann es nicht gewesen sein, du lebst noch!“ grinste Yannick und wollte mich damit aufmuntern. Aber... das half mal so gar nicht.
„Oh doch, so schlimm ist es. Ich habe Haytham beleidigt und habe Charles angefahren! Oh verdammt, Yannick. Was mach ich nur? Ich bin so blöd und unvorsichtig gewesen. Aber ich war so wütend über Kenway, weil wieder alles von damals hoch kam. Ich hätte ihm am liebsten das Kissen ins Gesicht gedrückt!“
„Du wolltest was machen? Mum, das darfst du noch nicht einmal denken! Auch wenn ich Haytham nicht sonderlich mag und auch nicht kenne, aber... Mum, nein... denk nicht einmal daran!“ Er nahm mich bei den Schultern und hielt mich fest.
So langsam wurde ich wieder ruhiger und mein Gehirn versuchte eine Lösung zu finden, wie ich aus dieser Nummer wieder rauskomme. Aber mir wurde die Entscheidung mal wieder abgenommen, denn Charles erschien im Tor des Stalles.
„Mrs. Masterson, da seid ihr ja.“ sagte er mit übertrieben freundlichem Ton. „An eurer Stelle würde ich mich beeilen und mir eine gute Entschuldigung überlegen! Master Kenway ist außer sich und das in seinem Zustand! Was fällt euch ein, so mit ihm zu reden? Aber wir werden sicherlich eine Lösung für das Problem finden!“ Er grinste mich berechnend an und wies mich an, ihm zu folgen!
Als wenn Charles sich solche Sorgen um den Gesundheitszustand des Großmeisters machen würde, einschleimen wollte er sich. Mehr nicht!
Ohne ein Wort folgte ich ihm und sah noch einmal zu meinem Sohn zurück, dieser hob nur beide Daumen und wünschte mir Glück. Ich fühlte mich, als würde ich zur Schlachtbank geführt. Mir war schwindelig, meine Hände schwitzten und ich hatte Schwierigkeiten, einen Fuß vor den anderen zu setzen!
Diese blöde Treppe konnte doch nicht endlos Stufen haben! Meine Sinne spielten mir einen Streich!
Als wir im Gästezimmer ankamen, stand auch Shay schon bei Haytham am Bett und hinter mir blieb Charles stehen und schloss die Tür. Einkesselt, schoss es mir durch den Kopf. Meine Fluchtmöglichkeiten waren jetzt sehr begrenzt, eigentlich nahezu ausgeschlossen! Bei Odin... ich musste einen klaren Kopf behalten, besser gesagt, bekommen!
Ich konzentrierte mich auf meine Atmung und auf meinen Puls. Aber es half nicht.
Und dann polterte Shay auch schon los!
„Was glaubt ihr eigentlich, was ihr hier macht? Wie könnt ihr es wagen, so mit Master Kenway zu sprechen! Was ist in euch gefahren, zum Teufel noch eins!“ brüllte er mir entgegen und war bei jedem Wort näher gekommen!
Mit gesenktem Kopf stand ich da, unschlüssig was ich jetzt tun sollte!
Kapitel 32
Ich traute mich nicht, hoch zuschauen. Ich sah vor mir die Füße von Shay und mehr nicht.
„Sir, ich … ich weiß es nicht!“ Mit Mühe hielt ich meine Tränen zurück, nicht weil ich traurig war, sondern wütend. Wütend auf mich und vor allem auf Haytham.
„DAS ist keine akkurate Antwort auf meine Frage!“ bellte er zurück. „Ihr solltet euch für euer Verhalten entschuldigen und lasst euch gesagt sein, euer Lohn für die nächste Woche ist ebenfalls damit gestrichen!“
„Master Cormac, es...“ stammelte ich und zu mehr kam ich nicht.
„Mrs. Masterson, wenn ihr euch außerstande seht, euren Pflichten hundertprozentig nachzukommen, dann solltet ihr über eine Kündigung nachdenken!“ Es war Haytham, der gesprochen hatte und zwar mit einem lauernden kalten Unterton in der Stimme.
„Also, wir warten. Wir haben durchaus Zeit!“ meldete sich Charles hinter mir, der mir unangenehm nahe war. Ich konnte ihn im Rücken fühlen.
Mir wurde klar, dass ich nur mit Freundlichkeit weiterkommen würde und um eine Entschuldigung nicht herum kommen würde. Es sei denn, ich wollte meine Identität auffliegen lassen. Wobei ich mir immer noch nicht sicher war, ob die Herren nicht schon alles wussten und nur mit mir spielten. Zutrauen würde ich ihnen das auf jeden Fall.
Diese Gedanken beruhigten mich zwar nicht sonderlich, aber ich wappnete mich und hob den Kopf. Drehte mich aber bewusst in Haythams Richtung. Dieser saß immer noch mit dem Rücken angelehnt am Kopfende des Bettes mit verschränkten Armen vor der Brust und einem vernichtenden Blick!
„Master Kenway, es...“ meine Zähne knirschten schon wieder! „... es tut mir leid. Ich hätte nicht so mit euch reden dürfen! Aber...“ Er fiel mir ins Wort, wie überaus freundlich!
„Ihr setzt ernsthaft ein ABER dahinter? Womit habe ich eine solch unverschämte Art eigentlich verdient?“ Immer noch lauernd wie eine Schlange, die ihre Beute hypnotisieren will, schaute er mich an.
„Sir, es ist mir nur herausgerutscht. Ich kann nur sagen, dass es mir aufrichtig leid tut. Es wird nicht wieder vorkommen.“ Ich sah ihn jetzt direkt an und bereute es, denn diese kalten grauen Augen hätten jeden zu Stein erstarren lassen.
„Aufrichtig sagt ihr! Das klingt, als wolltet ihr mich auf die Probe stellen. Aufrichtig ist an dieser Entschuldigung NICHTS. Das kann ich euch versichern!“
„Master Kenway, was soll ich denn sonst sagen, als das es mir leid tut? Was wollt ihr denn noch hören?“ verzweifelt sah ich wieder auf den Boden, damit ich meine Wut einigermaßen im Zaum halten konnte.
„Wie wäre es, wenn ihr endlich einmal ehrlich wärt?“ Das kam von Shay!
Überrascht sah ich ihn an und auch das bereute ich sofort, denn er musterte mich! Oh bitte, lasst das sein! „Master Cormac, ich war ehrlich! Was habe ich getan, dass ihr mich der Lüge bezichtigt? Ich sage die Wahrheit!“
„Das werden wir ja bald sehen. Bis dahin werdet ihr das Haus nicht mehr verlassen! Und euer Sohn wird mich auf der Morrigan begleiten, vielleicht kommt ihr dann zur Vernunft!“
Shay wollte abreisen? Wohin? Warum? Und... er konnte doch nicht einfach Yannick mitnehmen!
„Das könnt ihr nicht machen!“ völlig aufgelöst sah ich von einem zum anderen!
Aus einem Kurzschluss hinaus, schwang ich mich herum und stieß den überraschten Charles zur Seite, der prompt das Gleichgewicht verlor. Aber ich hatte nicht mit Cormacs blitzschnellen Bewegungen gerechnet. Er war schneller bei mir, als ich an der Tür!
Kapitel 33
Shay packte meinen Arm, drehte ihn mir schmerzhaft auf den Rücken und drückte mich an die Tür. „Na na … wohin so eilig? Wir sind hier noch nicht fertig!“
Charles hatte sich mittlerweile wieder aufgerappelt und funkelte mich böse an. Sollte er doch!
„Es … es tut mir leid! Jetzt lasst mich los, ihr tut mir weh!“ stammelte ich vor mich hin.
„Das werde ich tun, aber erst, wenn ihr jetzt den Mund aufmacht!“ ein sehr genervter und beißender Ton war in der Stimme und ich konnte spüren, dass Shay zitterte vor Wut!
„Ich habe nichts getan, verdammt. Ich lüge nicht, ich habe die Wahrheit gesagt. Und es tut mir wirklich leid, was ich vorhin gesagt habe!“ Ich war mit den Nerven am Ende, am liebsten hätte ich alles erzählt. Aber... ich wollte nicht, dass dieser Lee mit im Raum war. NOCH konnte ich nichts sagen. Je länger ich es aber hinauszögerte, desto misstrauischer würden sie werden.
Ich hoffte jetzt inständig, dass die Jackdaw heute schon ablegen kann oder sogar schon konnte, dann wäre vielleicht wirklich erst einmal Ruhe. Solange sollte ich vielleicht noch abwarten, bis die Nachricht kam. Bis dahin musste ich die mittellose Witwe weiterspielen.
„Ihr habt ein ziemlich loses Mundwerk, Mrs. Masterson!“ höhnte Charles an meiner Seite.
Der Ire ließ meinen Arm herunter, aber hielt mich dennoch fest. Er drehte mich zu Haytham. Dieser hatte sich auf die Bettkante gesetzt und stützte sich mit den Händen am Rand auf. Er wollte hoffentlich nicht aufstehen!
Er seufzte: „Was sollen wir nur mit euch machen? Vielleicht noch eine Chance geben?“ voller Ironie sah er von Lee zu Cormac und die drei lachten. „Nein, ich denke, das Beste wäre es, wenn ihr euren Dienst in meinem Haushalt weiter verrichtet und endlich euren Pflichten vernünftig nachkommt. Da Master Cormac ja jetzt vermutlich ein paar Tage nicht anwesend sein wird, werdet ihr hier nicht gebraucht! Und ihr werdet mein Haus ebenfalls nicht ohne Erlaubnis und Begleitung verlassen! Und zwar solange, bis ich sicher sein kann, dass ihr wirklich die Wahrheit gesagt habt!“
Ich konnte ihn nur anstarren! Das war nicht sein Ernst! Shays Griff um meinen Arm wurde härter und riss mich von Haytham los. Blinzelnd schaute ich hinter mich. Er schien etwas gesagt zu haben, aber das war mir nicht aufgefallen.
„Ich sagte, packt eure Sachen und die eures Sohnes und dann gehen wir!“
„Wie... ihr meint.... jetzt sofort? Aber Master Kenw...“ wieder wurde mir über den Mund gefahren.
„Ich sagte bereits, ich kann sehr wohl für mich selber entscheiden! Und jetzt tut das, was man euch sagt und packt!“ Haytham wurde sichtlich ungehaltener. Was aber auch an den Kopfschmerzen liegen konnte. Ach, was machte ich mir überhaupt noch Gedanken über seinen Zustand. Sollte er doch wieder umfallen, ich half ihm sicherlich nicht mehr.
Shay schob mich Richtung Tür und Charles öffnete, nicht ohne noch einmal in mein Ohr zu höhnen: „Ihr hättet euch besser genau überlegen sollen, WO ihr euch vorstellt! Wärt ihr doch nur netter zu mir gewesen!“
Irritiert sah ich ihn an. Ich wusste sehr wohl, WO ich mich um eine Anstellung bemüht habe. Aber das wusste er ja noch nicht!
Kapitel 34
Wenigstens konnte ich jetzt alleine laufen, Shay war zwar hinter mir, aber ich vermutete, jederzeit bereit, die Waffen zu zücken!
Die Waffen! In meiner Kommode lagen meine versteckten Klingen! Ich hatte sie weder in ein Tuch gewickelt noch irgendwie anders versteckt. Da würde ich ihn ablenken müssen, um sie unbemerkt in meine Tasche zu befördern. Wieder ein Stolperstein mehr.
Wir erreichten Yannicks und mein Zimmer und zu meinem Erstaunen, war mein Sohn schon da und packte bereits. Erfreut sah ich, dass die Kommode bereits leer war und er geistesgegenwärtig ALLES ausgeräumt hatte. Dankbar lächelte ich ihn an.
„Master Cormac, was ist denn überhaupt hier los? Mir wurde nur gesagt, ich solle euch für ein paar Tage begleiten. Versteht mich nicht falsch, es freut mich, aber... ich würde lieber hier bei meiner Mutter...“ jemanden ausreden lassen, war heute definitiv nicht an der Tagesordnung.
„Ja ja, natürlich würdet ihr das lieber. Aber es gibt ein paar Aufgaben, bei denen ich eure Hilfe bräuchte und eure Mutter wird in der Zeit direkt Master Kenway unterstellt! Keine Sorge, ihr werdet sie heile wieder sehen. Vorausgesetzt, es passieren nicht unvorhergesehene Ereignisse. Das wollen wir nicht hoffen, oder Mrs. Masterson?“ Wie ich eine solch zynische Art hasste!
„Mach dir keine Sorgen Yannick, Raffael wird dich sicher bald wieder sehen.“ Ich nickte ihm nur zu und hoffte, er würde den Wink mit dem Zaunpfahl verstehen!
„Natürlich Mutter, ich werde mich aber noch verabschieden, bevor ich abreise! Master Cormac, wenn ihr erlaubt?“ Dackelblick funktioniert ja fast immer, sogar dieses mal.
„Ihr könnt dann schon nach unten gehen und euch verabschieden. Eure Mutter wird sicher gleich nachkommen.“ Shay sah zu meinem Sohn und grinste dann in meine Richtung!
Yannick wollte mich schon in den Arm nehmen, aber der Ire hielt ihn zurück. „Dafür ist gleich noch genügend Zeit!“
So ging mein Sohn aus dem Zimmer und ich stand etwas unbeholfen neben Shay. „Wenn ihr vielleicht etwas zur Seite gehen könntet? Es ist sehr beengt hier und ich kann sonst nicht packen. Danke sehr.“ Er setzte sich auf Yannicks Bett und ließ mich nicht aus den Augen.
Meine Tasche stand offen auf dem Bett und ich warf einen Blick hinein und fühlte nach meinen Klingen. Wie gerne würde ich sie jetzt einfach benutzen. Aber... ich durfte hier niemanden verletzen, geschweige denn töten! Obwohl ich es gerne getan hätte!
Ich nahm noch meine Waschutensilien von der Kommode und räumte den Nachttisch leer. Es war nur ein Buch darin. Es waren Auszüge aus Haythams Tagebüchern. Geschrieben von einem Oliver Bowden. Das hatte ich aus unserer Zeit mitgenommen, denn es gab interessante Hintergrund Informationen. Ich ließ es schnell in meiner Tasche verschwinden. Dann sah ich mich noch einmal um, aber das Zimmer war soweit leer.
„Ich glaube, ich habe dann alles soweit gepackt, Master Cormac. Können wir dann aufbrechen?“ Höflich lächelnd sah ich ihn an. Naja, es war mehr ein ironisches grinsen. Mehr konnte ich nicht zustande bringen.
Wir gingen hinunter in den Eingangsbereich und von oben hörte man lautes Fluchen! „Verdammt, Sir, ich sagte doch, seid vorsichtig... und jetzt langsam... nein, ihr könnt euch ruhig auf mich stützen... Sir...“ Das war eindeutig Charles.
„Charles, ich bin noch nicht so gebrechlich... es geht schon wieder … und nun lasst mich...“
Beide Herren traten aus dem Gästezimmer. Jetzt war ich gespannt, wie der Weg die Treppe hinunter gemeistert wurde. Wie würde man in meiner Zeit sagen? Vorhang auf und stellt das Popcorn bereit!
Kapitel 35
Tat es mir leid, Haytham so schwankend zu sehen? Nein! Tat es mir leid, dass er immer noch so blass, wie eine gekalkte Wand mit Grünfärbung war? Nein! Aber ich hatte Angst, er könnte die Stufen Kopfüber hinunter segeln und sich auch noch etwas brechen!
Man musste bedenken, ICH sollte für ihn sorgen und ich hatte keine Lust auf mehr Gebrechen als eine Gehirnerschütterung.
Trotzdem stand ich mit vor der Brust verschränkten Armen am Fuße der Treppe und lächelte zuversichtlich hinauf. Charles tat sein bestes, den Großmeister zu stützen, der sich zusätzlich noch am Geländer festklammerte. Und da kam mir leider ein Prusten über die Lippen, welches mir gleich verging, da Shay neben mir meinen Arm packte und mich scharf ansah! Kenway wirkte wie ein 100jähriger, der sich auf seine Gehhilfe stützt und Schritt für Schritt versucht, das Laufen wieder zu erlernen! Verzeiht, man macht sich eigentlich nicht über Kranke lustig hat, aber … Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen! Das war nun einmal so und ich hatte wenigstens ein bisschen Ablenkung für meine schlechte Laune.
Endlich nach einer gefühlten Ewigkeit waren Charles und Haytham unten angekommen. Man hatte bereits eine Kutsche rufen lassen, die vor der offenen Eingangstür stand und wartete. Ich ging ein Stück beiseite und handelte mir dabei einen bitterbösen Blick vom Großmeister ein, dessen Gesicht mit einem Schweißfilm überzogen war.
Draußen vor dem Wagen blieb er plötzlich stehen, verdrehte die Augen und sackte zusammen. Ja, das ist ganz toll. Aber er weiß ja selber, was gut für ihn ist. Du meine Güte, Männer! Shay, Charles, der Kutscher und Yannick waren sofort da und hievten Haytham in die Kutsche.
Da sah ich plötzlich, wie eine junge Frau durchs Tor geritten kam und direkt auf uns zu. Shays Gesicht nahm einen freudigen Ausdruck an und er lächelte breit. Ähm... was oder besser WER ist das?
Sie stieg von ihrer schwarzen Stute und begrüßte den Iren mit den Worten: „Mo chride, was ist denn hier los? Und was ist mit Haytham passiert?“ neugierig schaute sie in die Kutsche zum bewusstlosen Großmeister. Gälisch? Verwirrt sah ich sie an und dann den Iren. Sie war Mitte 20, lange dunkelblonde Haare und locker einen Kopf kleiner als Shay. Und, das fand ich dann doch ein wenig verwunderlich, sie trug einen Ornat! Was war denn hier auf einmal los?
„Faith, das erkläre ich dir später. Mo aingeal, das ist ...“ er deutete auf mich, aber wusste anscheinend nicht, als was er mich denn jetzt bezeichnen sollte. „Das, also... das ist die neue Hausangestellte von Master Kenway. Alexandra Masterson!“ Ich verstand gerade gar nichts mehr. Aber ich nickte dieser Faith zu und wusste nicht so recht, was ich jetzt machen sollte.
Shay aber nahm die Sache in die Hand. „Das ist meine Frau, Faith Cormac.“ Dieser Blick von dem Iren war schon erstaunlich. Völlig ausgewechselt sah er seine FRAU verliebt an. Er war verheiratet? Die beiden sahen, dass ich völlig perplex da stand und Miss Cormac reichte mir ihre Hand und begrüßte mich freundlich: „Es freut mich, euch kennen zu lernen. Ich hoffe, ihr kümmert euch gut um Haytham!“
Sie warf noch einen Blick in die Kutsche und schüttelte nur den Kopf. „Ich werde jetzt Banfhlath in den Stall bringen und dann will ich eine Erklärung, weswegen der Großmeister in so einem Zustand ist! Und...“ sie wedelte mit ihrer Hand vor dem Gesicht, denn Shay musste wohl noch eine Fahne wie zehn Russen haben. „... dann sollte ich nach unserer Tochter sehen!“
Es wurde immer besser! Shay hatte Nachwuchs! Dass er diesen hatte, das wusste ich aus anderen Aufzeichnungen, denn aus der ganzen Geschichte ging ein Enkel hervor, der in die Fußstapfen seines Großvaters treten würde! Cudgel Cormac! *1
„Es hat mich gefreut euch ebenfalls kennen zu lernen, Miss Cormac. Master Cormac hatte gar nicht erwähnt, dass er verheiratet ist und dass er euch heute erwartet.“ sagte ich mit einem ironischen Seitenblick zu Shay!
„Ihr müsst ja nicht alles wissen! Das beruht hier anscheinend ja sowieso auf Gegenseitigkeit, wenn ich euch daran erinnern darf, MRS. MASTERSON!“ Diesen Seitenhieb musste er natürlich jetzt noch loslassen. Und damit war das Thema anscheinend erst einmal vom Tisch.
Ich wurde in die Kutsche geschoben und hatte nun den ohnmächtigen Großmeister auf meinem Schoss liegen. Eine eigentlich reizvolle Vorstellung mal wieder, wenn die Vorgeschichte eine andere wäre!
Ich hoffte nur, dass ihm nicht wieder übel werden würde. Sein Gesicht hatte eigentlich mittlerweile keinerlei Farbe mehr und seine Haut war wieder schweißnass. Ich nahm mein Taschentuch aus meinem Ausschnitt und betupfte sein Gesicht. Es kam aber keinerlei Reaktion.
Rumpelnd setzte sich das Gefährt in Gang und ich fing an, mir dieses Treffen noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen!
*1 Last Descendants – Aufstand in New York von Matthew J. Kirby
**** Hier ein weiteres Kapitel und mit einer neuen Person, die ich freundlicherweise vom Todesengel222 leihweise zur Verfügung gestellt bekomme! Danke danke danke und es macht Spaß mit Faith zu arbeiten! Endlich ist Shay nicht mehr alleine, der arme Templer tat mir schon leid im weiteren Verlauf! **** "Jeder will die Welt beherrschen" von Todesengel222
Kapitel 36
Aus dem kleinen Fenster hinter mir, sah ich noch meinen Sohn, wie er mir nachwinkte. Und ein seltsames Gefühl von Einsamkeit stieg plötzlich in mir auf. Jetzt hatte ich niemanden vertrautes mehr in meiner Nähe. Einige Männer meiner Crew würden zwar hier bleiben, aber ich hatte jetzt keine Chance mehr, mit ihnen in Kontakt zu treten. Langsam ließ ich mich nach hinten sinken und Tränen brannten in meinen Augen. So schwer hatte ich mir das Ganze nicht vorgestellt. Aber wann war es jemals einfach, wenn ICH irgendwohin kam?
Wir fuhren Richtung Süden und jetzt fiel mir auch wieder ein, WO Haytham wohnte. Es war das Fort George! Das war ja Spitze. Ein militärisches Gebiet und auch noch abgeriegelt. Da würde ich wirklich nicht herauskommen ohne fremde Hilfe. Geschweige denn, meine Männer könnten hinein.
Als wir durch das große hölzerne Tor kamen, sah mich eine der Wachen nur dämlich grinsend an, als er den ohnmächtigen Kenway sah, winkte uns aber durch. Wo war eigentlich Charles geblieben? Er ist doch eigentlich auch auf dem Weg hierher gewesen, oder nicht? Sollte mir aber auch recht sein. Ihn musste ich mir nicht auch noch antun.
Plötzlich stoppte die Kutsche und der Kutscher rief ein paar Soldaten zu sich, die sich um den Bewusstlosen kümmern sollten. Gemeinsam brachten sie ihn in dieses doch sehr große Backsteinhaus, welches direkt mit den Außenmauern des Forts zur Meerseite verbunden war. Es sah beeindruckend aber gar nicht nach Militär aus. Ich folgte den Männern, welche gleich in den ersten Stock gingen und den Großmeister in sein Schlafzimmer brachten.
Einer der Soldaten ging an mir vorbei und grinste breit: „Na, da hattet ihr wohl mächtig Spaß letzte Nacht, was? Wenn ihr noch nicht genug habt, ich habe ab 8 Dienstschluss!“
„Nein, danke. Ich habe hier genug zu tun. Und ihr seht mir nicht danach aus, als könntet ihr es hiermit aufnehmen!“ zischte ich ihn schnippisch an und deutete über meinen Körper.
Jetzt stand ich also hier im Schlafzimmer des Großmeisters, mit ihm alleine. Wenn man hinein kam, stand rechts gleich das große Bett. Gegenüber der Tür waren zwei Fenster zur Seitenstraße hin und zwischen ihnen stand ein kleiner Schreibtisch. Ich sah mich hier suchend um. Gab es denn hier keine Angestellten? Keine Diener?
Ich vergewisserte mich, dass Haytham sicher im Bett lag und ging auf den Flur, um nach anderen Bediensteten Ausschau zu halten. Von unten hörte ich dann aber schon aufgeregte Stimmen. Eine Frauenstimme, die sich besorgt anhörte und sich auf den Weg hier nach oben machte. Und dann waren da noch 3 Männer... Aber die blieben, wo sie waren. Vermutlich würde ich diese später kennenlernen.
Eine etwas füllige Dame kam die Treppe hinauf und beäugte mich misstrauisch. Wie schön, noch jemand, der mir nicht traute. Sie schob sich ohne ein Wort an mir vorbei und begutachtete den Patienten.
„Mädchen, was habt ihr denn mit Master Kenway gemacht? Er sieht ja grauenhaft aus. Könnt ihr nicht kochen, oder warum ist er so grün im Gesicht!“ Sie sah mich böse an.
„Entschuldigt bitte mal, erstens kann ich für diesen Zustand nichts. Daran sind Alkohol, Master Cormac und ein paar Reiter, die Master Kenway zu Fall gebracht haben schuld. Er hat eine Gehirnerschütterung und soll laut Doktor Ambrosch noch zwei bis drei Tage Bettruhe halten!“ Ich baute mich vor ihr auf, sie war locker einen halben Kopf kleiner als ich!
„Und zweitens, bin ich nur hier, weil man mir das befohlen hat. Freiwillig wäre ich sicher nicht mit hierher gekommen!“ meckerte ich jetzt einfach zurück.
„Wie heißt ihr überhaupt? Mein Name ist Sybill Wallace!“ Sie reichte mir ihre Hand. Erstaunt nahm ich sie entgegen und sagte nur: „Alexandra Masterson!“
Auf einmal sah sie mich grinsend an: „Es tut mir leid, aber wir haben uns Sorgen gemacht, denn wir wussten nicht, was passiert war. Normalerweise meldet sich Master Kenway immer ab, wenn er woanders übernachtet.“
„Da kann ich eure Sorge verstehen. Aber glaubt mir, es ist nur eine leichte Gehirnerschütterung. Master Kenway konnte aber noch nichts trinken oder geschweige denn essen. Die Übelkeit und die Kopfschmerzen waren zu stark!“
„Das kriegen wir schon wieder hin. Aber ich sehe, ihr habt schon eure Kleider an. Dann könnt ihr gleich mitkommen und ich zeige euch euer Zimmer. Es ist nicht besonders groß, aber...“ weiter kam sie nicht.
Wir hatten nicht bemerkt, dass Haytham aufgewacht war. „Mrs. Masterson wird in dem Ankleidezimmer nebenan einquartiert, Mrs. Wallace! Doktor Ambrosch hat darauf bestanden, dass ich jemanden in meiner Nähe habe, gerade Nachts.“ Er sah Sybill freundlich an und warf mir einen vielsagenden Blick zu. Wie zum Teufel konnte man sich so diszipliniert im Griff haben? Eben noch bewusstlos und jetzt das? „Sollte etwas sein, muss sofort jemand zur Stelle sein!“
Mir blieb der Mund offen stehen und ich sah Mrs. Wallace hilfesuchend an. „Aber Master Kenway, ist das nicht etwas übertrieben. Ich werde doch sicher kein Zimmer beziehen, welches sich weit weg befindet. Oder Mrs. Wallace?“
Diese sah von mir zu Haytham und wieder zu mir. „Mrs. Masterson, die Unterkünfte der Dienerschaft sind im Nebengebäude. Ihr würdet nicht sofort bemerken, wenn es Master Kenway schlechter ginge! Da hat er sicher recht, wenn ihr für ein paar Tage, eine Notunterkunft in dem kleinen Ankleidezimmer bekommt!“ Sie konnte ja nichts von meiner Abneigung bezüglich Haythams wissen.
Mir blieb der Mund offen stehen, aber Haytham sah mich mit Genugtuung an. Jetzt hatte er ja seine Überwachung. Und ich hatte überhaupt keine Möglichkeiten mehr, Kontakt mit meiner Crew aufzunehmen.
Es blieb mir nur, mich vorerst meinem Schicksal zu ergeben und das Beste daraus zu machen!
Kapitel 37
Mrs. Wallace begleitete mich nach unten, um mir die Küche zu zeigen und um zu erklären, wo alles war. Außerdem wurde ich in die Gepflogenheiten dieses Haushaltes eingewiesen. Mehr recht als schlecht, denn so viel konnte ich mir nicht merken auf die Schnelle. Und mich ließ diese Begegnung mit dieser Frau vorhin keine Ruhe!
Der Kammerdiener von Master Kenway hatte sich derweil um eben diesen gekümmert. Als ich wieder das Schlafzimmer betrat, lag Haytham bereits wieder im Bett. Aber er war wach. Nebenan hörte ich Gerumpel und Geräusche vom Möbelrücken.
„Euer Nachtlager wird gerade fertiggestellt. So habe ich euch auf jeden Fall im Auge und ihr könnt nicht auf dumme Gedanken kommen!“ Oh doch, darauf könnte ich durchaus kommen, du kleiner arroganter ... Es gibt immer noch das Kopfkissen, welches... nein, denk nicht einmal dran!
„Ich höre es bereits. Und glaubt mir, da ich nichts zu verbergen habe, ist es mir gleich wo ich übernachte. Solange ich wenigstens zum Waschen ein wenig Privatsphäre habe, soll es mir recht sein!“ Am liebsten hätte ich, wie ein kleines bockiges Kind, ihm die Zunge rausgestreckt. Aber ich legte wenigstens einen trotzigen Unterton in meine Stimme.
„Wir werden sehen, wir werden sehen!“ Wieder dieser selbstgefällige arrogante Ton. Viel hatte er in den Jahren ja nicht dazu gelernt, dachte ich zynisch.
„Ja, das werden wir, Master Kenway. Und jetzt? Was kann ich für euch tun?“ ich stellte mich mit brav mit vor meiner Schürze gefalteten Hände demonstrativ vors Bett.
„Ich hätte gerne etwas Tee, aber Mrs. Wallace weiß schon Bescheid. Ihr könnt zur Küche gehen und ihn holen!“ Ich KANN zur Küche gehen... wie gnädig...
Ich knickste und knirschte mit den Zähnen, lächelte und ging.
Unten in der Küche sah man mich neugierig an. „Mädchen, was habt ihr eigentlich verbrochen, dass Master Kenway euch nicht aus den Augen lassen will?“ fragte mich eine kleine zierliche Frau Mitte 30.
„Ich weiß es nicht, um ehrlich zu sein! Ich hoffe, er kommt bald wieder zu Verstand. Vielleicht war der Schlag auf den Kopf, doch schlimmer als angenommen!“ bei diesem Satz musste ich selber grinsen und das Personal konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Aber alles in allem stellte ich fest, dass hier mehr Respekt und vor allem Angst herrschte, als bei Shays Angestellten. War Haytham wirklich ein so harter Arbeitgeber? Das würde sich ja jetzt in den nächsten Tagen zeigen.
Mit dem Tablett und dem Tee ging ich langsam wieder nach oben, ich hatte es nicht eilig. Gerade als ich zur Tür kam, hörte ich ihn wieder würgen. Och nein... musste das jetzt sein?
Ich stellte das Tablett auf einen kleinen Tisch in der Nähe des Fußendes des Bettes, tunkte einen Lappen in das kalte Wasser auf dem Waschtisch und legte ihm diesen auf die Stirn. Es half nichts, er musste so langsam etwas zu sich nehmen. Auch wenn es nicht da blieb, wo es bleiben sollte.
Er stöhnte: „Jesus, mein Kopf zerspringt gleich!“
„Dann solltet ihr am besten nichts mehr sagen, sondern trinkt jetzt endlich etwas! Das wird euch gut tun!“ erwiderte ich etwas ungehalten.
Ein erstaunter Ausdruck legte sich auf sein Gesicht. „Warum sollte ich...“ Und jetzt war es an mir, ihm über den Mund zu fahren!
„Herr Gott, Master Kenway, ihr verdurstet sonst noch! Trinkt jetzt endlich etwas, oder muss ich euch zwingen?“ er blinzelte mich verwundert an.
„Ihr habt vermutlich Recht! Gebt schon her!“ Und damit reichte ich ihm vorerst nur Wasser, den Tee wollte ich nicht verschwenden.
Kapitel 38
Geduldig wartete ich ab, bis Haytham ein paar kleine Schlucke genommen hatte und nahm ihm dann den Becher wieder ab.
Unterdessen kamen die Möbelrücker zu uns und teilten mit, dass alles an Ort und Stelle war. Vorsichtig lugte ich um die Ecke und besah meinen Schlafplatz. Ein kleines Rollbett stand links neben der Tür. Dafür musste wohl die Kommode gewichen sein, denn die stand eingezwängt zwischen Kleiderschrank und rechter Wand. Sollte mir recht sein. Aber was ich mich fragte war, wo sollte ich meine Sachen lassen?
„Master Kenway, verzeiht die Frage, aber wo lasse ich meine persönlichen Sachen? Hier ist kein Platz dafür!“
„In der Kommode ist unten noch eine Schublade frei. Dort könnt ihr alles verstauen!“ erwiderte er schwer atmend und ich hörte nur das obligatorische Würgen. Das war es dann mit dem Wasser!
Dieses Prozedere setzte sich den restlichen Tag fort, trinken, würgen, hinlegen! Aber die Abstände wurden immer größer. Ehrlich gesagt, war ich darüber sehr froh, denn ich hatte keine Lust auch noch Nachts hier Wache halten zu müssen.
Im Laufe des Nachmittags war Shay noch einmal vorbei gekommen um mitzuteilen, dass er am frühen morgen aufbrechen wolle. Mir war dabei einfach nicht wohl, ich wollte meinen Sohn nicht in seine Hände geben. Aber ich hatte wohl keine andere Wahl!
Was würde seine Frau wohl dazu sagen, dass er so spontan abreisen wollte? Oder war es gar nicht so spontan, wie man mir weismachen wollte?
„Dann wünsche ich euch viel Erfolg bei eurer Reise, Shay!“ Haytham schüttelte die Hand des Iren und sah ihn wissend an mit einem Seitenblick in meine Richtung.
Kurz darauf traf Charles ein, um dem Großmeister Gesellschaft zu leisten. Eigentlich hatte ich gehofft, ich könnte in der Zeit nach unten in die Küche, damit die beiden ungestört reden konnten. Aber nein, ich sollte bleiben. Das einzige was ich durfte, war Lee zu bedienen. Was für eine Ehre.
Dieser Mann war einfach und ich wiederhole mich, ich weiß, aber er war einfach unheimlich und unangenehm. Denn seine Hunde, zwei Spitze, waren auch noch dabei und kläfften herum und ließen mich nicht in Ruhe. Ich mag einfach keine Flohbehausungen, tut mir leid.
Irgendwann gegen Abend, ich ging von sieben Uhr aus, verabschiedete er sich endlich. Aber nicht, ohne mir noch einmal so nahe zukommen, dass ich seine Körperwärme spüren konnte! „Ihr werdet schon sehr bald merken, zu was wir in der Lage sind!“ Äh, ja... Wenn er meint.
Immer noch hoffte ich, dass die Jackdaw schon unterwegs war, nur leider konnte ich keine Nachrichten empfangen, geschweige denn losschicken. Ich wurde ein wenig nervös, konnte aber nur abwarten!
Haytham war kurz eingenickt und ich trat an das Fenster, welches gegenüber der Tür vom Schlafzimmer lag. Draußen wurde es dunkler, aber es war noch reges Treiben auf der Straße. Da fielen mir zwei Männer auf der anderen Straßenseite auf, die in Richtung dieses Haus schauten und es anscheinend beobachteten. Ich konzentrierte mich auf die beiden und sie erschienen mit einem blauen leichten Schleier. Neutrale Personen also und dann erkannte ich einen! Es waren zwei von meiner Mannschaft. Aber wie sind sie hier rein gekommen? Es ist doch abgeriegelt?
Dann sahen sie zu mir hoch, ich öffnete vorsichtig das Fenster ein kleines Stück, sah mich nach dem Großmeister um, der aber anscheinend immer noch schlief. Ich beugte mich ein bisschen nach vorne, so als wolle ich einfach nur Luftholen und die beiden zeigten einfach nur Daumen nach oben und machten eine schwingende Handbewegung. Also war mein Schiff unterwegs. Erleichtert seufzte ich auf und hielt meine Hand auf mein Herz und nickte den beiden zu. Gerade als ich das Fenster wieder schließen wollte, regte sich hinter mir der Großmeister.
„Wer war das unten auf der Straße? Bekannte von euch?“ fragte er mit einem scharfen Unterton. Konnte ich hier wirklich nichts machen, ohne dass man mich beobachtete?
Kapitel 39
Erschrocken drehte ich mich um. „N...nein, Master Kenway, es war nur... die frische Luft tat einfach gut. Es ist doch recht … stickig hier drin!“
Haytham seufzte nur und sah mich an, als hätte ich ihm gerade erklärt, dass ich an den Osterhasen glaubte. „Wenn ihr schon nichts zu tun habt, dann steht nicht einfach so herum. Sondern helft mir, mich frisch zumachen. Und ruft meinen Kammerdiener!“ Er versuchte sich wieder in eine sitzende Position zu bringen. „Wärt ihr wohl so freundlich, MRS. MASTERSON, und helft mir mit den Kissen?“ Ungehalten zerrte er an eben diesen herum.
„Natürlich, Master Kenway.“ Knirschende Zähne und ich schüttelte die Kissen im Rücken auf. Leider etwas zu heftig, denn ich stieß mit meinem Ellbogen an seine Wange!
„Verdammt, was könnt ihr eigentlich? Wollt ihr mich wieder bewusstlos schlagen?“ Was heißt denn hier WIEDER? Ich hab ihm die Beule wohl nicht verpasst!
„Entschuldigt, Sir, das war keine Absicht. Aber wenn ihr euch auch so ungünstig bewegt, dann kann das schon mal passieren!“ meckerte ich drauflos.
„Hütet eure Zunge oder ich vergesse mich!“ seine grauen Augen funkelten mich an, während er noch seine Wange hielt.
Ich fragte mich, wie lange dieses bissige Spielchen eigentlich noch weiter gehen sollte. Wie sagt man so schön? Bis einer weint! Ich war gespannt und wäre sogar bereit gewesen, Wetten abzuschließen.
„Verzeiht, Master Kenway. Kann ich euch sonst noch behilflich sein?“ fragte ich in meinem demütigsten Ton, den ich zustande brachte. Aber es kam prompt einfach pampig aus meinem Mund. Ich muss wirklich mal lernen... wollte ich wirklich Benehmen lernen, von einem Templer? Wohl kaum!
„Hatte ich nicht bereits erklärt, was ich wünsche?“ Achja, das hatte er.
Mit einem Knicks ging ich die Treppe hinunter und suchte diesen Kammerdiener. Ich fand ihn in der Küche vor, plaudernd mit den Küchenmädchen. Die, da Haytham ja nichts aß, auch keinerlei Aufgaben gerade hatten.
„Master Kenway schickt nach euch.“ sagte ich nur knapp und ließ mich auf einen Stuhl an dem kleinen Tisch fallen.
„Alexandra, ihr seht aus, als hättet ihr einen Sack Flöhe gehütet!“ meinte Mrs. Wallace grinsend.
„Glaubt mir, Sybill, das wäre einfacher gewesen! Kranke Männer sind aber auch immer so unangenehm und schwierig.“
„Ihr habt noch gar nichts gegessen, soll ich euch noch etwas Eintopf aufwärmen? Ich glaube, den könntet ihr jetzt gut vertragen!“ meinte die Küchenfee mit einem mitleidigen Ausdruck.
„Oh Mrs. Wallace, ihr seid ein Schatz. Gerne!“ erst jetzt merkte ich, dass mein Magen tatsächlich rumorte. Dankend nahm ich die heiße Schüssel Eintopf entgegen und schlang sie förmlich hinunter. Danach fühlte ich mich tatsächlich besser und ging so gestärkt wieder nach oben.
Oder besser, ich sah mich im unteren Bereich noch ein bisschen um. Im Eingangsbereich links und rechts waren je zwei Türen. Die linke schien zum Arbeitszimmer zu führen und die auf der rechten Seite zum Esszimmer. Ein großer dunkler Tisch stand in der Mitte und darum waren 12 Stühle ordentlich gereiht. Ich hegte die Hoffnung, dass nicht in meiner Zeit hier eine solche Delegation von 12 Gästen erscheinen möge.
Nach meinem kleinen Rundgang machte ich mich auf in die obere Etage und nach rechts zum Schlafzimmer des Großmeisters.
Vor der Tür blieb ich kurz stehen, denn ich wusste nicht so recht, ob ich einfach so eintreten sollte, ich hatte keine Ahnung, was gerade passierte. Sagen wir so, ich hoffte, Haytham sei schon wieder eingekleidet!
Ich klopfte und bekam prompt ein zickiges „Das wurde aber auch Zeit, wie lange muss man eigentlich auf euch warten?“ zurück.
Kapitel 40
Also trat ich ein. Der Diener war gerade dabei, die dreckige Wäsche vom Großmeister in einen Korb zu legen und war im Begriff, dass Zimmer zu verlassen. „Kann ich sonst noch etwas für euch tun, Master Kenway?“ fragte er so unglaublich eklig schleimig, dass mir schlecht wurde.
„Nein, Jones, das war alles für heute. Ihr könnt gehen! Morgen früh erwarte ich euch pünktlich um 8. Ich könnte eine Rasur vertragen!“ Da hatte er nicht Unrecht, er sah etwas ungepflegt im Gesicht aus. Trotzdem bewunderte ich ihn für seine disziplinierte Art!
„Sehr wohl, Master Kenway.“ er verbeugte sich und ging mit dem Korb unterm Arm.
Haytham sah ziemlich erschöpft aus und bat mich nur noch, die Kerzen zu löschen. Plötzlich hatte er einen seltsam ruhigen Ton angeschlagen. Vermutlich durch die Müdigkeit hervor gerufen. Also tat ich wie er wünschte. Und ging leise nach nebenan.
Aber leider dauerte es nicht lange und er hing wieder halb aus dem Bett und das Wasser bahnte sich einen Weg nach draußen. Dieses Prozedere ging noch einige Male so, bis der Großmeister einfach nur noch schlief und ich mich in mein Bett fallen lassen konnte.
Am nächsten Morgen machte ich mich für den Tag zurecht und wollte gerade in das Schlafzimmer, als auch schon der Kammerdiener in selbiges trat, um Kenway ein wenig von dieser Wildheit aus dem Gesicht zu nehmen. Er sah schrecklich aus, die Ränder unter seinen Augen waren so dunkel, als hätte man sie mit einem dicken Stift gezeichnet.
Der Tag verlief unglaublich ruhig. Er meckerte nicht, sondern schlief die meiste Zeit. Wenn er einmal wach war, dann bekam er etwas zu trinken. Und es wurde immer seltener, dass ihm übel wurde. Erleichterung machte sich in mir breit. Denn es schien aufwärts zu gehen.
Gegen Abend wurde noch einmal sein Kammerdiener Jones her zitiert, um Haytham beim frisch machen zu helfen. Wie gestern Abend schon, war der Diener so widerlich unterwürfig, dass man schon fast auf dieser Schleimspur ausrutschen konnte. Was erhoffte er sich? Mehr Gehalt, oder was?
Nachdem Jones gegangen war, stand ich jetzt etwas unschlüssig da. Denn... er hatte frische Sachen an und war wieder heile in seinem Bett. Essen wollte er nicht. Trinken konnte er alleine. Also, was jetzt?
„Was steht ihr eigentlich immer so unbeholfen herum? Habt ihr eure Arbeit, wegen der ihr hier seid, schon wieder vergessen?“ dieser verfluchte arrogante Tonfall. Ich vermisste den friedlichen Tag. Das konnte ja eine tolle Nacht werden. Und diese Kissen sahen so verlockend aus.... auf seinem Gesicht! Nicht daran denken!
„Verzeiht, Master Kenway, aber ich wüsste jetzt wirklich nicht, was ich noch tun sollte. Ihr erwartet ja wohl nicht, dass ich euch vorlese, oder?“ Ups, das war mir jetzt so raus gerutscht.
„Wenn ihr nicht endlich lernt, eure Ausdrucksweise mir gegenüber zu zügeln, ziehe ich hier andere Seiten auf!“ er erhob sich leicht und es sah schon so aus, als wolle er aufstehen!
„Dann solltet ihr mir vielleicht einfach sagen, WAS ich tun soll und WIE meine Ausdrucksweise sich bessern kann! Dann wäre uns beiden bestimmt am ehesten geholfen!“ fauchte ich jetzt zurück, denn ich wusste wirklich nicht, WAS ich tun sollte? Was erwartete er denn von mir? Die Füße massieren? Oder... oh nein... nicht das... (was denkt ihr Leser denn von mir!)
„Mrs. Masterson, es ist ganz einfach. Macht das, weswegen ihr hier seid. Und da ihr ja schon in anderen Haushalten gedient habt, sollte das für euch kein Problem darstellen, nehme ich an.“ Er wollte mich tatsächlich auf die Probe stellen.
Aber das konnte ich kontern „Das ist sicherlich richtig, aber ihr müsst zugeben, HIER darf ich mich keinen Meter von euch wegbewegen. Es gäbe sicherlich noch eine Menge Aufgaben, die zu erledigen sind. Aber die kann ich nicht machen, da ich hier bei euch in EUREM Schlafzimmer festsitze!“ mir wurde schwindelig, weil ich meine Atmung wieder beruhigen musste. Ich hoffte, ich war nicht zu weit gegangen.
Ha, Schachmatt. Haytham kaute unschlüssig auf der Unterlippe herum, er war zum ersten mal sprachlos. Was für ein Triumph!
„Man merkt eindeutig, dass euch so einige Manieren fehlen! Aber wir haben ja genug Zeit, bis Master Cormac wieder da ist. Die kann ich nutzen und euch zeigen und erklären, wie ihr euch mir gegenüber gefälligst zu verhalten habt!“ Ja, worauf wartest du dann noch? Fast hätte ich das laut gesagt.
„Wie ihr meint, Master Kenway. Wie wäre es dann mit einer ersten Lektion? Denn ich weiß immer noch nicht, was ihr jetzt von mir erwartet?“ das kam mal wieder schnippischer rüber als geplant.
Der Großmeister rollte mit den Augen und ich sah, dass er schwer schluckte und sich versuchte zu beruhigen. „Bringt mir einfach meine Bücher, Feder und Tinte!“
Genervt fragte ich „Und wo finde ich die Schreibutensilien?“ und setzte so noch einen drauf!
Kapitel 41
Aber mit dieser Reaktion hatte ich beim besten Willen NICHT gerechnet. Völlig ruhig sagte er nur „Ihr findet alles unten in meinem Arbeitszimmer! Mrs. Wallace wird es euch zeigen!“ erstaunt sah ich ihn an.
„Ist noch etwas? Soll ich euch vielleicht eine Wegbeschreibung mitgeben?“ jetzt konnte er sich selber ein Grinsen nicht verkneifen, ich mir aber auch nicht. Der Großmeister hatte ja doch Humor, wenn auch sehr sehr versteckt, aber... durchaus vorhanden, wenn man suchte!
Nur mit Mühe unterdrückte ich ein nervöses Kichern „Nein, Master Kenway. Es geht auch ohne!“ Mit Knicks und KEINEN knirschenden Zähnen, ging ich hinunter. Sybill war gerade unten im Eingangsbereich und versicherte sich, dass alle Fenster und Türen verschlossen waren.
„Ah gut, dass ich euch gleich gefunden habe! Master Kenway bat mich um seine Bücher und etwas zu Schreiben. Ihr sollt mir das Arbeitszimmer zeigen.“
„Oh, zu so später Stunde will er noch in seinem Zustand arbeiten? Das ist bestimmt nicht zuträglich für seine Gesundheit.“ sagte sie besorgt.
„Ausreden kann ich es ihm leider nicht. Aber ich versuche, dass er nicht allzu lange daran sitzt.“ Sybill zeigte mir das Zimmer. Es ging unten in der kleinen Halle links ab wie ich schon vermutet hatte und war sehr geräumig. Dunkle Vertäfelung an den Wänden, schwere Teppiche und Samtvorhänge in einem blassen Blau. Und jede Menge Regale mit Büchern.
Ich zündete mir einen dreiarmigen Kerzenleuchter an, denn es war schon ziemlich dunkel hier. Ich ging an den Büchern entlang und entdeckte tatsächlich hier und da auch für mich bekannte Ausgaben. Wie gerne würde ich jetzt einfach hier bleiben und anfangen zu lesen! Aber besser ich hielt mich hier nicht zu lange auf. Nicht, dass der Großmeister fast wieder einen Herzinfarkt erlitt.
Also ging ich hinüber zum Schreibtisch und fand das Tintenfass, Feder … aber wo waren denn die Bücher? Ich hatte gar nicht gefragt, was er damit meinte. Oh Mist. Mrs. Wallace war aber noch in der Nähe, also fragte ich bei ihr nach.
„Ah, er meint sicher seine persönlichen Tagebücher und dann noch das Geschäftsbuch. Die sind hier in der oberen Schublade des Tisches. Und sein Tagebuch müsste … Moment, es ist in DER Schublade.“
Erstaunlich, dass nichts verschlossen war. Ich hätte vermutet, dass alles verriegelt ist. Gerade wegen der Tagebücher. Ich nahm das obere davon und besah mir die anderen. Die Initialen HEK waren darauf geprägt und das Templerkreuz ebenfalls. Alle waren in dieses rote Leder gebunden. Sybill war schon wieder hinaus geeilt. Sollte ich? Sollte ich nicht? Bei Odin, meine Neugierde schien keine Grenzen zu kennen. Entschlossen schob ich mit Schwung die Schublade zu und ging hinauf.
„Bitte Master Kenway, ich hoffe, ich habe nichts vergessen!“ Ein Knicks und ich versuchte zu lächeln, aber ich hatte auf einmal das Gefühl, als könne er genau sehen, woran ich unten im Arbeitszimmer gedacht hatte!
„Ich hoffe, ihr konntet eure Neugierde stillen?“ dieser wissende Blick war so erschreckend, dass ich dunkelrot anlief. Dabei hatte ich gar nichts gemacht.
„Ich... Sir, ich habe keines der Tagebücher angerührt! Auch wenn ihr sie so unverschlossen in der Schublade liegen habt, es gehört sich nicht.“ erwiderte ich einfach ehrlich!
„Dann muss ich euch das wohl so glauben!“ Er sah mich immer noch an, aber es lag ein anderer Ausdruck auf seinem Gesicht, den ich nicht deuten konnte. Er war weder böse, noch arrogant... könnte man es neutral nennen?
Kapitel 42
Als ich auf dem Weg nach oben war, hatte mich Mrs. Wallace darum gebeten, zwei Hemden von Haytham zu flicken. Ich würde sie in dem Kleiderschrank auf der linken Seite finden und das Nähzeug gab sie mir gleich mit.
Und da Master Kenway ja jetzt zu tun hatte, ging ich hinüber ins Ankleidezimmer und holte mir die Hemden. Erstaunt sah er mich an: „Was habt ihr vor?“
„Was denkt ihr, Master Kenway? Ich gehe meiner Arbeit nach, so wie ihr es vermutlich auch angedacht hattet!“ erwiderte ich grinsend und setzte mich auf einen Stuhl neben dem Bett. So hatte ich ihn gut im Blick und Licht gab es auch genügend, denn Haytham konnte ja schlecht im Dunkeln schreiben.
So saßen wir tatsächlich eine Weile in trauter Zweisamkeit. Hin und wieder unterbrochen, von dem Wunsch etwas zu trinken. Aber es blieb ruhig zwischen uns.
Als ich die Hemden so in Arbeit hatte, konnte ich mir diese genauer ansehen und war erstaunt, wie gut das Ganze verarbeitet war. Ein fester Leinenstoff, die Nähte dicht und man hätte meinen können, Maschinen wären da am Werk gewesen. Diese Hemden mussten ein Vermögen gekostet haben!
„Mrs. Masterson, ihr seht gerade aus, als hättet ihr zum aller ersten Mal ein Männerhemd in Händen!“ kam es von Haytham mit einem amüsierten Unterton.
Ich räusperte mich: „Zumindest ist es eines, welches von sehr guter Qualität ist und so etwas habe ich tatsächlich so noch nie gesehen.“ Und das war noch nicht mal gelogen!
„Ich lege schon wert auf ordentliche saubere Kleidung.“ sagte er nicht ganz ohne Stolz.
„Das sieht man durchaus, Master Kenway. Wenn ich etwas fragen dürfte?“ Denn mir kam ein etwas absurder Gedanke.
„Ja, immer raus damit?“
„Euer Gehrock, der blaue, den ihr die Tage anhattet. Aus was für einem Material ist dieser gemacht? Er ist unglaublich schwer! Aber sehr gut verarbeitet. Ihr habt ihn sicher nicht hier anfertigen lassen?“ Es war mir durchaus ernst damit, denn es war als hätte man das Material der Assassinen-Ornate genommen.
„In der Tat, diesen habe ich im Ausland fertigen lassen. Genauer gesagt in Frankreich!“ Die Zeit dafür hatte er ja. Mit Reginald hatte er viel Zeit dort in dem Chateau verbracht.
„Die Franzosen verstehen ihr Handwerk, wenn es um das Ankleiden geht!“ sagte ich bewundernd. Denn die französische Mode war gerade im 18. Jahrhundert heiß begehrt.
„Das stimmt. Aber, wie kommt ihr darauf? Es ist eine etwas ungewöhnliche Frage!“
Ich lächelte nur, denn es war halt wirklich nur reine Neugierde, von meinem Verdacht und der Verbindung zu den Assassinen, sagte ich natürlich nichts. „Als ich ihn in eurem Ankleidezimmer weg hängen wollte, ist mir dieser schwere Stoff aufgefallen und es ließ mir irgendwie keine Ruhe! Verzeiht meine Neugierde!“ mit gesenktem Blick, widmete ich mich wieder dem Hemd.
„Eine etwas seltsame Frage, das stimmt.“ Ich konnte seinen Blick immer noch auf mir spüren und sah hoch.
Haytham hatte seine Hände auf dem Schoß gefaltet und musterte mich. Es war aber wie vorhin schon, neutral... Das nahm mir ein wenig von meiner Nervosität.
Gegen zehn Uhr, bat mich der Großmeister die Unterlagen auf seinen kleinen Schreibtisch hier im Schlafzimmer zu legen und die Kerzen zu löschen. Das war mir sehr recht, denn ich hatte mir jetzt schon einige Male ein Gähnen verkneifen müssen.
„Ich wünsche euch eine angenehme Nachtruhe. Und, wenn etwas ist, ich bin gleich nebenan!“ Ich knickste und lächelte ohne Zähneknirschen.
Und ich bekam einen freundlichen Gesichtsausdruck zurück!
Kapitel 43
Ich ging in mein Schlafquartier, schloss leise die Tür und lehnte mich kurz dagegen. Was für ein Tag. Aber der Abend war wenigstens nicht mehr ganz so schlimm gewesen.
Ich zog mich aus und mein Nachthemd an, öffnete aber eines der Fenster einen Spalt, denn es war sehr stickig in dem kleinen Raum. Putzte mir noch die Zähne und ich lag noch nicht ganz, als ich auch schon eingeschlafen war.
Aus dem Kissen stoben tausende kleiner Daunenfedern, ich konnte kaum etwas erkennen. Was hatte ich nur gemacht? Er lag mit blau angelaufenen Lippen da und starrte mit seinen widerlichen stechenden hellen Augen ins Nichts an mir vorbei.
Was hatte er mich auch so provozieren müssen? Hatte er nicht verstanden, dass ich NEIN gesagt hatte? Dass ich seine Avancen ablehnte und NICHT mit ihm gehen wollte? Schon gar nicht alleine.
Ich spürte seine Hände noch an meinem Ausschnitt, unter meinen Röcken. Seinen heißen Atem der mein Gesicht einhüllte und seine Lippen die einfach nicht aufhörten mich zu berühren! Ich hatte um mich geschlagen, ihn angefleht mich in Ruhe zu lassen.
Aber seine Hände waren so eklig gierig, seine Kleidung roch lange getragen, es war so widerlich. Und er war einfach zu weit gegangen.
Jetzt war es vorbei und ich stand über ihm mit einem leeren Kissenbezug!
Plötzlich wurde ich aus dem Nebenzimmer durch ein Poltern und einen Schmerzensschrei geweckt. Mit einem Satz war ich aus meinem Bett und rannte zu Haytham. Dieser war aufgestanden, warum auch immer, um an seinem Schreibtisch zu hantieren. War aber auf halbem Wege zusammen gesackt.
Ich kniete neben ihm und versuchte ihn wieder aufzurichten. Sein Blick war völlig glasig und er sah nicht gut aus. Also wartete ich mit ihm hier auf dem Boden, bis sich sein Atem wieder beruhigte und der Schwindel nachließ.
„Master Kenway, was macht ihr denn? Ihr sollt noch nicht alleine aufstehen. Soll ich lieber nach eurem Kammerdiener rufen? Ich werde euch leider nicht alleine stützen können.“ fragte ich besorgt, denn er hatte schon wieder diesen Schweißfilm auf dem Gesicht.
„Nein, es... geht gleich wieder. Ich hätte nicht aufstehen sollen, aber... es ging mir eigentlich gut.“ sagte er nur schwer atmend.
Es dauerte eine Weile, aber als sein Blick wieder klarer war, half ich ihm hoch und schob ihn schnurstracks zum Bett, bevor er wieder auf die Idee kam, auf Wanderschaft zu gehen. Schwer ließ er sich auf die Bettkante fallen und seufzte erleichtert.
„Danke, Mrs. Masterson! Könntet ihr mir bitte etwas Wasser geben. Meine Kehle ist wie ausgetrocknet.“ Er konnte also doch freundlich sein.
„Hier, Master Kenway. Aber bitte in kleinen Schlücken! Nicht dass euch wieder schlecht wird.“ ermahnte ich ihn.
So saß ich neben ihm auf dem Bett und wartete, bis er fertig war und nahm dann den Becher.
Erschöpft ließ er sich in die Kissen gleiten und ich deckte ihn noch zu. Ich konnte mir dann doch den bewundernden Blick auf seine durchtrainierten Oberschenkel nicht entgehen lassen, als sein Hemd etwas hochgerutscht war. Ich warf schnell die Decke darüber und drehte mich um.
Und ich errötete wie ein Teenager... wird das eigentlich auch irgendwann einmal aufhören?
Kapitel 44
Nachdem ich mich versichert hatte, dass Haytham schlief, ging ich wieder zu meinem Bett. Aber mir fiel es schwer, wieder in den Schlaf zu finden!
Mir saß dieser Traum von vorhin im Kopf fest. Warum träumte ich davon, dass ich Charles umbringe? Es wäre jetzt nicht so schlimm, meiner Meinung nach. Aber warum tauchte dieser Mensch immer wieder auf und wuselte durch meine Gedanken? Ich war keine Traumdeuterin, von daher, sagte mir das nichts. Vielleicht sollte ich mich bei meiner Heimkehr mal ein wenig damit auseinander setzen.
Als ich aber wieder etwas ruhiger wurde, hatte ich urplötzlich Bilder von durchtrainierten Oberschenkeln vor Augen. Na toll. DAS war jetzt auch nicht hilfreicher. Diese Zeitreisen brachten mich immer wieder aus dem Gleichgewicht, oder vielleicht lag es an den Menschen die ich persönlich kennen lernte?
Es dauerte nicht lange, dann hörte ich ihn würgen. Also, wieder aufstehen. Es dämmerte so langsam, deshalb machte ich mir gar nicht erst die Hoffnung, noch einmal einzuschlafen.
Haytham schlief relativ schnell wieder ein und ich saß auf der Bettkante und hätte gerne getauscht. Mir fielen die Augen einfach zu, aber ich hatte dann doch immer wieder leicht verstörende Bilder im Kopf. Wachbleiben, es ist schon fast hell!!!
Ein Räuspern ließ mich aufschrecken. Es kam aus Richtung hinter meinem Rücken. Ich blinzelte, befand aber, dass es noch zu früh ist und drehte mich um und sah mich dem Großmeister von Gesicht zu Gesicht wieder.
Hellwach plötzlich sprang ich auf und wäre fast noch hinten über gefallen. „Ach du heilige... ich... bei Odin... ich...!“ Mit hochrotem Kopf stürmte ich nach nebenan, schmiss die Tür zu und sank daran herunter! Bitte, man öffne sofort ein Loch im Boden in dem ich versinken konnte!
Von Haytham kam ein sehr unmännliches Gekicher und er versuchte autoritär zu klingen: „Mrs. Masterson, ihr habt eure Aufgaben wohl etwas zu wörtlich genommen! Aber ich fühle mich geschmeichelt!“ Oh … das war so peinlich.
Ich komme hier einfach nicht mehr raus, ich schließe mich hier ein! Eine wirklich gute Idee!
Um mich zu beruhigen, fing ich an, mich für den Tag fertig zu machen. In der Hoffnung, dass diese Routine mich runterfuhr. Es funktionierte tatsächlich etwas, aber nur ETWAS... Als ich fertig war, saß Haytham bereits auf der Bettkante und sein Kammerdiener war damit beschäftigt, ihm seine Rasur zu verabreichen. Ich schlich mich, so gut es eben ging, an ihnen vorbei und möglichst ohne Blickkontakt.
Unten in der Küche bat ich eines der Mädchen, mir einen Kaffee oder ähnliches zu geben. Es hätte auch gerne Whiskey sein können, eine Flasche Wodka täte es auch... Sybill bemerkte als erste, dass etwas nicht so ganz in Ordnung war. „Alex, was ist denn passiert? Ihr seht aus, als hätte man euch beim Nacktbaden erwischt!“ Sie hatte eine unglaublich gute Auffassungsgabe.
„Oh Mrs. Wallace, ihr glaubt gar nicht, wie recht ihr eigentlich habt. Ich war gestern so übermüdet, dass ich, nachdem ich Master Kenway noch mit seiner Übelkeit geholfen hatte, einfach neben ihm eingeschlafen bin. Oh... es ist so peinlich!!!“ Völlig fertig ließ ich meinen Kopf in meine Hände sinken. Das anwesende Personal sah mich erst nur fragend an und prustete dann aber gemeinschaftlich los. Aber nicht böse, sondern eher mitfühlend.
Sybill reichte mir meinen Becher mit Kaffee und eine Schüssel Porridge. „Jetzt esst erst einmal was und dann sehen wir weiter. Ich werde dann bei Master Kenway schauen, ob er noch etwas braucht und ihr wartet hier. Das kommt schon wieder in Ordnung!“ sagte sie mit einem lieben Klaps auf die Schultern.
Kapitel 45
Mein Magen wollte irgendwie nichts essen, aber ich zwang mir ein paar Löffel hinein. Als Mrs. Wallace wieder in der Küche erschien, gab sie Anweisung für ein leichtes Frühstück und Tee für Master Kenway. „Er wünscht, dass ihr es ihm bringt. Aber ich glaube, er ist nicht böse auf euch. Eher... amüsiert!“ Oh das war es ja, was mich am liebsten im Boden versinken lassen wollte.
Ich nahm das Tablett entgegen und ging gemächlichen Schrittes nach oben. Vor der Tür zögerte ich und atmete tief durch. Als ich eintrat, saß Haytham bereits rasiert und ordentlich ans Kopfende gelehnt in seinem Bett. Und sah mich an... und grinste.
Die Tasse und die Kanne auf dem Tablett fingen gefährlich an zu klirren und mir wurde schwindelig. „Ich … b...b...bringe euer Frühstück!“ Ich stellte es auf seinem Schoß ab und goss den Tee ein. Wenigstens so ruhig, dass ich nichts verschüttete. Aber ich vermied den Augenkontakt.
Mit gesenktem Kopf stand ich neben dem Bett und … wartete. Worauf jetzt eigentlich? „Wenn ihr sonst keine Wünsche habt, werde ich mich um die Wäsche kümmern von gestern Nacht!“ und wollte damit schon aus dem Zimmer.
„Ich habe noch etwas, setzt euch bitte.“ Haytham deutete auf die Bettkante. Ich nahm weit weg von ihm am Fußende Platz und betrachtete den Teppichboden. Schönes Muster übrigens, muss man sagen! War mir vorher nicht aufgefallen!
„Mrs. Masterson, was um alles in der Welt macht ihr euch Sorgen? Ihr seid völlig erschöpft eingeschlafen. Das kann passieren und ich bin euch weiß Gott nicht böse. Ich war nur ein wenig erschrocken, als ich nicht alleine hier wach geworden bin.“ Jetzt sah ich ihn doch an und in seinen Augen lag keine Neutralität sondern … so etwas wie Aufmerksamkeit, eine freundliche Aufmerksamkeit.
„Master Kenway, es ist mir dennoch unangenehm. So etwas ist mir noch nie passiert! Und es hätte nicht passieren dürfen!“ Naja, es ist mir sehr wohl schon einmal passiert, als ich nämlich neben deinem Vater unbeabsichtigt wach wurde.
„Es ist aber nun einmal passiert. Und … ich verspreche euch, sollte es noch einmal geschehen, werde ich euch postwendend aus meinem Bett werfen!“ ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Einverstanden?“ Ja, seinen etwas eigenartigen Humor konnte man liebgewinnen!
Ich lächelte dankbar zurück: „Ja, damit bin ich einverstanden!“
„Es wäre aber schön, wenn ihr mir Gesellschaft leistet. Ich langweile mich hier sonst noch zu Tode.“
„Wenn ihr wollt, werde ich nach Doktor Ambrosch schicken lassen und er könnte euch noch einmal untersuchen. Vielleicht wäre es ja möglich, dass ihr das Bett doch schon eher verlassen könnt? Ihr scheint ja wenigstens wieder Appetit zu haben, das ist immer ein gutes Zeichen!“ Voller Hoffnung, dass das hier bald alles wieder vorbei ist, sah ich ihn an.
„Das solltet ihr tun. Wenn ich fertig bin!“ Also saß ich einfach noch mit auf dem Bett und Haytham stellte völlig unverfängliche Fragen, über meinen Sohn oder wie mein Mann verstorben sei. Wo ich herkam. Es war tatsächlich entspannend, ein Gespräch, bei dem ich nicht auf meine Wortwahl achten musste, denn es war mir möglich, völlig neutral zu antworten.
Als er aufgegessen hatte, nahm ich das Tablett und brachte es wieder in die Küche. Voller Erwartung sah mich das Küchenpersonal an: „Und? Was hat er gesagt? Er kann ja richtig fies werden, wenn etwas nicht so läuft, wie er es gerne hätte! Aber er hat doch nicht... also euch... er...“
Was hätte er tun... ohhhh... Master Kenway schien ebenfalls einen gewissen Ruf zu haben. Gut zu wissen!
Kapitel 46
Gerade als ich wieder nach oben gehen wollte, kam ein Bote mit einer Nachricht. Es sei dringend und Master Kenway solle sofort antworten! Also überbrachte ich den Brief und wartete, bis der Großmeister die Antwort fertig hatte.
Haythams Blick verfinsterte sich, gab aber sonst nichts preis. „Reicht mir bitte Papier, Feder und Tinte!“ Als er seine Antwort verfasst hatte, bat er mich noch um das Siegelwachs und seinen Ring, der auf dem Nachttisch lag. Ich hatte ihn gar nicht bemerkt, es war nicht der Templerring, sondern ein Ring mit den Initialen HEK! Haytham Edward Kenway. Ein wirklich schöner goldener Ring und erinnerte mich an den, den Edward hatte für sich anfertigen lassen hatte, aber eben mit EJK, logisch! „Mrs. Masterson, ich warte!“ Mit einem Räuspern, reichte ich ihm den Ring.
Ich eilte die Treppe hinunter und gab dem Boten die Antwort. Dieser stand da und wartete mit ausgestreckter Hand. „Schert euch fort, ich habe gerade kein Geld bei mir!“ Missmutig eilte der Junge wieder von dannen.
Meine Gedanken kreisten auf einmal wieder um Edward, um die Jackdaw. Und mir wurde das Herz schwer. Wie ging es jetzt Yannick? Wann konnte ich wieder nach Hause? Und... da fiel mir ein anderes Detail ein. Als ich heute morgen direkt neben Haytham erwachte, sah ich diesen Anhänger an seinem Hals und er leuchtete sanft. Ein Vorläuferartefakt, wenn ich mich recht erinnerte. Wir wussten, dass er auf der Suche nach einem Tempel der Vorläufer von Reginald in die Kolonien geschickt worden war. Dieses Amulett musste also genau das sein, welches er Miko in der Londoner Oper abgenommen hatte.
Konnte ich es irgendwie wagen, ihn darauf anzusprechen? Wenn ich auf unwissend machte, könnte es klappen. Aber … nein, das Risiko, dass er schon mehr über mich wusste und ich mich dadurch nur verraten würde, war zu hoch. Also beließ ich es vorerst lieber bei... einer Stelle als Dienerin und Pflegerin.
Gleichzeitig ließ ich nach dem Arzt schicken. Denn es wäre durchaus im machbaren, dass der Großmeister das Bett verlassen durfte.
Bis zu seiner Ankunft, wartete ich oben bei Haytham. „Master Kenway, ich hoffe, es waren keine schlechten Neuigkeiten, die ihr schon so früh am morgen erhalten habt?“ Ich tat unwissend in der Hoffnung, ich bekäme eine ehrliche Antwort.
Aus seinen Gedanken gerissen, sah er mich an: „Nein, nein ganz und gar nicht. Eigentlich sogar positiv. Aber ich muss erst noch einiges überprüfen, bevor ich sicher sein kann.“ Das klang nicht sehr überzeugend.
„Ah... kann ich jetzt noch etwas für euch tun? Braucht ihr noch etwas, oder soll ich bis Doktor Ambrosch erscheint mit euch noch hier warten?“ Ich versuchte so neutral wie nur irgend möglich zu klingen.
„Das wäre nett. Es ist wirklich nicht meine Art, so lange das Bett zu hüten. Untätigkeit liegt mir nicht!“
„Das kenne ich selber auch, Master Kenway, als Mutter ist man so etwas nicht gewohnt. Da ist man auch immer auf den Beinen und Kranksein ist ein Fremdwort!“ Ich lächelte ihn an.
„Man merkt, dass ihr wisst wovon ihr sprecht. Und euer Sohn kann sich glücklich schätzen eine solche Mutter zu haben! Und... wenn ich das so sagen darf, ich profitiere gerade von eurer Erfahrung.“
Mir schwirrte der Kopf und ich wusste nicht mehr was ich machen sollte. SO hatte ich ihn noch nie erlebt und würde ihn wahrscheinlich auch nicht noch einmal so sehen.
Verdammt, was tat ich hier eigentlich?
Kapitel 47
In diesen doch sehr zerbrechlichen Moment platzte Doktor Ambrosch. „Master Kenway, es ist schön, euch wieder so munter zu sehen. Wie fühlt ihr euch heute morgen?“ Ich zog mich dezent zurück und beobachtete das Ganze.
Haytham seinerseits ließ mich nicht mehr aus den Augen. Er ließ sich untersuchen und beantwortete die Fragen des Arztes. Aber behielt mich im Blick. Und wieder: WAS TAT ICH HIER?
Ich belog ihn nach Strich und Faden. Haytham ist schon mit einer riesigen Lüge aufgewachsen! Und auch später hatte man ihm so einige Details einfach verschwiegen. Sollte ich ihn jetzt auch noch weiter enttäuschen?
Aber wenn ich jetzt mein paranoides Ich herauslassen würde, dann würde es mir flüstern: Naja, vielleicht baut er ja GENAU darauf! ER wartet vielleicht genau auf diesen Moment, in dem DU schwach wirst und ihm das erzählst, was er eh schon ahnt?
Ich schüttelte meinen Kopf wie ein nasser Hund! Solche Gedanken würden mich nicht weiter bringen. Höre auf deinen Bauch, nicht auf dein Herz hieß es immer. Lass Gefühle nicht die Oberhand gewinnen und bleibe vorsichtig und immer ein Stückweit misstrauisch.
Das fiel mir gerade schwer, sehr sogar. Hatte Haytham wirklich auf diese Nähe gehofft, die mich schwach werden lässt und er zuschlagen kann? Ist er wirklich so ein abgebrühter kalter Mensch geworden? Und was mich am meisten nervte, war... ich konnte mit niemandem darüber reden.
Und wieder versetzte es mir einen Stich. Und ich kam zu dem Schluss, dass Haytham es tatsächlich so geplant haben muss. Er nimmt mir meinen letzten Halt in dieser Welt, meinen Sohn, und ich bin ihm gegenüber verpflichtet mit der Pflege. Ich kann nirgends hin und habe niemanden sonst. Was die Herren ja nicht wissen ist, dass ich noch ein paar Crewmitglieder hier habe. Aber das nützt mir nichts, denn ich kann keine Nachrichten überbringen lassen. Verdammt. Ich hätte dem Boten vorhin etwas zustecken können. Wäre ich nur höflicher gewesen und spendabel!
Als Doktor Ambrosch gegangen war und Haytham die Erlaubnis hatte, das Bett zu verlassen, tat mein Herz einen kleinen Satz. Wenigstens war die Pflege somit vorbei, naja fast. Es bestand zumindest kein Bedarf mehr, dass ich direkt neben seinem Schlafzimmer blieb.
„Das freut mich Master Kenway. Ich wusste doch, ihr kommt schnell wieder auf die Beine. Aber ein wenig schonen sollte ihr euch noch, bis ihr wieder ganz bei Kräften seid!“ verkündete ich in einem möglichst neutralem Ton.
„Mrs. Masterson, auf der einen Seite freut es mich ebenso, denn ich hasse es, nichts tun zu können. Auf der anderen Seite werde ich eure Pflege vermissen.“ Ein schiefes Grinsen spielte um seinen Mund.
Und ich wäre so gerne weggelaufen! Meine Gefühle liefen Amok. Bei Odin, was war denn los? Lag es an dem Jahrhundert? An den nicht vorhandenen Umwelteinflüssen? Es konnte doch nicht sein, dass ich schon wieder so versank und verloren war... Das hatten wir schon einmal und es war über 10 Jahre her...
Und ich sollte bedenken, Haytham war der Erzfeind schlechthin! Das ließ sich schlecht ignorieren. Das durfte einfach nicht sein. Aber mir kam die morgendliche Besprechung in der Küche in den Sinn. Einen gewissen Ruf bei Frauen hatte Master Kenway... aber musste es ausgerechnet bei MIR sein?
„Master Kenway, ich bin ebenso untröstlich. Aber versteht mich nicht falsch. Ich würde gerne meine Weiterreise planen und endlich ein normales Leben führen dürfen!“
„Nichts leichter als das!“ War das einzige, was er sagte!
Kapitel 48
„Wie... wie meint ihr das?“
„So wie ich es sagte. Wenn wir alles geklärt haben, steht es euch frei, zu gehen und euer Leben einzurichten. Aber solange wie wir hier noch nicht fertig sind, werdet ihr mir weiter unterstellt bleiben! In meiner Nähe!“
Die Freundlichkeit wich aus seinem Blick und machte wieder dem üblichen Ausdruck Platz! Ich musste mich zusammen reißen, um ihm nicht an die Kehle zu gehen. Es war wie mein paranoides Ich es vermutete, ein abgekartetes Spiel! Und ich machte mir doch tatsächlich Gedanken um SEINE Gefühle!
In den nächsten Tagen passierte nichts weiter spannendes. Ich verbrachte meine Zeit immer in Kenways Nähe. Ehrlich gesagt, wusste ich vor lauter Langeweile nichts mit mir anzufangen, also fingt ich an, mein Tagebuch auf den neuesten Stand zu bringen. Er ließ mich nicht aus den Augen und auch Charles war immer mal wieder zugegen. Meinen Schlafplatz hatte ich immer noch im Ankleidezimmer.
Der Vormittag des dritten Tages startete auch wie gewohnt mit Wecken des Großmeister und dann der übliche Trott. Denn, WAS sollte ich groß machen? Aber es erschien eine nette Abwechslung und zwar in Form von Shays Frau, Faith! Was hatte sie denn mit Haytham eigentlich zu schaffen? Außer, dass ihr Mann ihm unterstellt war? Also bat man mich, für Erfrischungen zu sorgen und zitierte mich prompt mit ins Arbeitszimmer.
Ich verstand zwar nicht, warum ich dabei bleiben sollte, aber tat, wie man mir auftrug. Anscheinend war es wohl nur ein Höflichkeitsbesuch und nichts vertrauliches. Also blieb ich dort und stand hinter Haytham, der sich an seinen Schreibtisch gesetzt hatte. Faith setzte sich nicht, sondern sah von mir zum Großmeister. „Was wird das hier eigentlich? Kannst du mir das bitte erklären? Shay hatte schon solche Andeutungen gemacht und meinte, genaueres könntest du mir mitteilen. Also, ich warte!“ Sie war mir sofort sympathisch, so wie sie sich vor ihm aufbaute mit den verschränkten Armen vor der Brust.
Ein verstohlener Blick von Kenway in meine Richtung und er sah wieder zu Faith. „Wir haben hier leichte Differenzen mit der Arbeitsweise meiner neuen Hausangestellten. Nichts, was dich etwas angehen würde. Das werde ich schon selber klären!“ kam es etwas ungehalten von ihm.
„Differenzen? Was denn für welche? Hat Mrs. Masterson dein Bett falsch bezogen? Du kannst doch nicht jemanden einfach so festsetzen, mit der lapidaren Begründung, es gäbe Differenzen.“ Mit hochgezogenen Augenbrauen sah sie auf ihn herab.
„Ich bin dir gegenüber keine Rechenschaft schuldig, Faith. Vergiss das nicht! Aber es gibt Ungereimtheiten, die ich erst geklärt haben will, bevor ich Alexandra machen lassen kann, wonach ihr der Sinn steht.“ Also, ich stehe auch hier im Raum und man kann auch mit mir reden und nicht so tun, als sei ich Luft!
„Verzeiht, Master Kenway, aber ich stehe direkt neben euch.“ rutschte es mir dann doch raus.
Ich handelte mir einen bösen Blick von Haytham ein und ein Grinsen von Faith. Diese brachte jetzt auch endlich mal eine Erklärung, wenn auch mehr als dürftig, WER sie denn ist und in welcher Beziehung sie zum Großmeister steht. „Haytham, dein Verhalten erinnert mich an damals, als wir noch Kinder waren. Es musste immer erst alles genauestens geklärt sein, bevor du auch nur ein kleines Stück nachgegeben hast. Diese Sturheit ist ja nicht auszuhalten. Und dann nimmt Shay den Jungen auch noch mit auf die Morrigan, was ich auch nicht verstehe. Du kannst doch einer Mutter nicht das Kind, auch wenn es schon älter ist, wegnehmen, in dem Glauben, dass sie dann genau das tut, was DU sagst. Glaub mir, ich bin selber Mutter und weiß, dass DAS ganz bestimmt nicht hilft!“
„Faith, bitte. Du kennst nicht die ganze Geschichte. Ich muss leider davon ausgehen, dass ...“ er warf mir wieder diesen wissenden Blick zu. „... sie den Orden ausspionieren will!“ Das wurde ja immer besser! Die Herren glaubten ich sei eine Spionin? Bei Odin, jetzt verstand ich erst, warum mich alle im Auge behalten sollten. Es ging nicht einzig um das Schiff, sondern um meine Herkunft und Zugehörigkeit. DIE konnte ich schlecht leugnen. Aber kundtun konnte ich sie auch nicht. NOCH nicht.
Also meldete ich mich wieder zu Wort: „Master Kenway, ihr glaubt ich würde euch ausspionieren wollen? Das ist ein absolut absurder Gedanke!“ Jetzt hatte ich seine Aufmerksamkeit. „Dann kann ich jetzt mit einer Erklärung eurer Seits rechnen, Mrs. Masterson?“ kam es in einem kalten Ton.
„Ich wüsste nicht, WAS ich euch sagen soll. Nur, dass ich ganz bestimmt keine Spionin bin und mich hat auch niemand geschickt!“ Das war sogar die Wahrheit! Fast hätte ich noch meine Assassinen-Zugehörigkeit verraten. Dann wäre hier vermutlich die Hölle los.
Trotzdem wusste ich jetzt immer noch nicht, warum Shays Frau einen Ornat trug, wenn sie doch mit den Templern arbeitete. Anvertrauen wollte ich mich ihr vorerst nicht, denn ich wusste nicht, wem ich hier trauen kann. Herr Gott, ich wurde ja schon so paranoid wie Haytham.
Was mich außerdem noch stutzen ließ, war der Satz In unserer Kindheit … Soweit ich wusste, wuchs Haytham bei Reginald auf und reiste mit ihm durch die Lande. Also musste es noch eine andere Gemeinsamkeit geben. Das wurde immer verworrener hier und ich hoffte, dass ich Gelegenheit bekomme, diese Wirren aufzulösen.
Kapitel 49
Jetzt meldete sich Faith wieder zu Wort. „Mrs. Masterson, aber warum seid ihr dann hier?“ Es tat mir weh, sie jetzt auch erst einmal belügen zu müssen, aber es ging noch nicht anders.
„Miss Cormac, ich bin einzig und allein hier gelandet, weil ich eine Anstellung brauchte. Damit ich Geld verdiene kann und um meine Weiterreise finanzieren zu können, da man mich hier einfach mit meinem Sohn mittellos abgesetzt hatte. Ich gehe davon aus, dass euch euer Mann das auch schon erklärt hat.“ In der Hoffnung, dass wenigstens sie mir ein klein wenig wohlgesonnener ist als Haytham gerade, sah ich sie freundlich lächelnd an.
„Ja, er hat mir davon erzählt. Wisst ihr, ich war erst gar nicht begeistert, dass ein neues Zimmermädchen ins Haus kam, ohne dass ich anwesend bin. Denn... ihr müsst wissen, das letzte hatte sich zu SEHR um meinen Mann gesorgt! Wenn ihr wisst, was ich meine? Und das konnte ich nicht zulassen!“ Aha, deswegen musste das Mädchen so überstürzt kündigen! Dann war Shay wirklich ein treuer Ehemann, das spricht für ihn.
„Das ist natürlich verständlich, dass ein solches Verhalten nicht toleriert wird. Aber ich versichere euch, ich habe lediglich meine Arbeiten verrichtet und mehr nicht. Auch wenn diese Tätigkeiten derzeit sehr eingeschränkt sind, da Master Kenway ja immer daneben steht!“ Ich konnte nicht anders, aber das musste ich jetzt einfach loswerden. Einen Seitenhieb sollte der Großmeister noch bekommen, damit er wusste, woran er bei mir ist!
Für diesen Satz fing ich mir einen vernichtenden Blick von Haytham ein, der sich erhob und sich drohend vor mir aufbaute. Hinter ihm hörte ich, wie Faith sich räusperte.
„Haytham, was soll das jetzt? Die Gehirnerschütterung scheint dir nicht gut bekommen zu sein. Sie hat doch nur dem zugestimmt, was ich sagte und sie hat ja recht! Viel machen kann sie sicherlich nicht, wenn du sie immer im Auge behalten willst. Vermutlich stehst du auch noch immer Weg!“ Ihr Ton war amüsiert und ich konnte mir auch ein Grinsen nicht verkneifen.
Aber anständig wie ich bin, senkte ich meinen Blick. Denn Augenkontakt mit dem Großmeister wollte ich gerade nicht, ich konnte seine grauen Augen förmlich auf mir spüren. Resigniert seufzte er nur und drehte sich zu Faith um. „Wenn du das so siehst, bitte. Aber es ist mein Haushalt und ich werde hier die Entscheidungen treffen. Wenn ich einen Rat brauche, dann werde ich dich das wissen lassen!“ Man könnte wirklich meinen, die beiden seien echte blutsverwandte Geschwister.
„Wenn sonst nichts mehr zu besprechen ist, Faith?“ versuchte er das ganze Thema jetzt abzuwürgen.
„Nein, ich denke vorerst ist alles gesagt. Aber denk noch einmal genauer nach, bevor du deine Entscheidungen triffst!“ Sie sah mich ein wenig mitfühlend an und verabschiedete sich dann.
Das war ein doch sehr interessantes Gespräch und ich hatte mal wieder ein Stück mehr über Haythams Leben erfahren!
Am fünften Abend war ich schon vor Haytham in seinem Zimmer um den Kamin anzufeuern. Ich öffnete aus Gewohnheit die Fenster kurz, um noch einmal frische Luft hinein zulassen. Da hörte ich von unten ein leises Pfeifen. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass niemand hier rauf unterwegs war, beugte ich mich hinaus und sah einen Mann aus meiner Crew. Er gestikulierte, dass er etwas irgendwo versteckt hätte. Gekritzel... Papier... Stein... hinter dem Haus... Garten... ! Dann sollte ich mich darum kümmern. Aber erst, wenn Mr. Ich-habe-die-Aufsicht-hier schlief. Und das konnte durchaus dauern.
Gegen elf Uhr nachts machte sich der Großmeister bettfertig und teilte mir mit, dass er mich nicht mehr benötigte. Wofür auch? Es ging ihm wieder bestens und innerlich rollte ich nur mit den Augen!
Als ich ein gleichmäßiges Atmen hörte, schlich ich mich vorsichtig aus dem Zimmer, die Treppe hinunter und in den Hinterhof. Dort lag tatsächlich ein Findling, unter diesem fand ich einen kleinen Zettel mit der Aufschrift: „Wir haben den Vogel in Sicherheit gebracht. Mach dir keine Sorgen. Die Tierfänger werden ihn nicht bekommen!“ Gut umschrieben!
Warnung!
Ich möchte euch vorweg warnen. Dieses Kapitel und das nächste beinhaltet entschärfte sexualisierte Gewalt. Es wird nicht ausführlich thematisiert oder ähnliches. Aber die Andeutung und versuchte Handlung ist da.
Wer also damit ein Problem hat und damit nicht umgehen kann und möchte, sollte diese Kapitel bitte überspringen!
LG Chaoshexe
Kapitel 50
Gerade als ich wieder zurück ins Haus wollte, packten mich zwei Hände an der Schulter und rissen mich herum! Im fahlen Mondlicht sah ich in diese blassen Augen, die mich gierig und wissend ansahen. „Mrs. Masterson, was macht ihr zu so später Stunde noch hier draußen? Solltet ihr nicht in der Nähe von Master Kenway sein, so wie er es befohlen hat?“ Bei jedem Wort schob er mich weiter an die Wand des Hauses und sein Griff wurde immer fester um meine Schultern.
„Master Lee, und was macht IHR hier zu so später Stunde?“ fragte ich um Ruhe bemüht. „Ich musste nur... ich... hatte ein dringendes Bedürfnis!“ ich versuchte, verlegen zu klingen. Aber mit zitternder Stimme war das nicht so leicht. Zumal ich auch nur mein Nachthemd, einen Morgenrock und meine Hausschuhe trug. Es war kalt nachts um diese Jahreszeit und ich zitterte alleine deswegen schon.
„Ihr friert ja, ihr solltet schnell gewärmt werden, damit ihr euch nicht noch erkältet und ihr euren Dienst bei Master Kenway nicht mehr ausüben könnt!“ Sein Blick wurde lüstern und er leckte sich über die Lippen. Oh bitte...
In einer Geschwindigkeit, die ich ihm nicht zugetraut hätte, hatte er mir die Arme auf den Rücken gedreht und zerrte mich in die Küche, aus der ich vorhin noch gekommen war. Ohne Umschweife drückte er mich bäuchlings über den vor uns stehenden Tisch und schob mein Nachthemd und meinen Morgenrock über meine Oberschenkel. Danach nestelte er an seiner Hose herum und ich konnte seine stoßweise Atmung hören... Vor Schmerzen stöhnte ich laut auf und fing an, ihn anzuflehen, aufzuhören... Ich wurde immer lauter, denn es war mir herzlich egal, WER mich jetzt noch hörte. Ich war wehrlos. Ich hatte keine Waffen, ich war nicht vorbereitet und mein Gehirn war einfach nur in Alarmbereitschaft!
Ich schrie nach Haytham!
„Haltet euren Mund, oder ich reiße euch die Zunge heraus. Ihr glaubt immer noch, ihr hättet hier die Oberhand, aber dem ist schon lange nicht mehr so.“ Sein Atem roch nach Ale und … einfach Alkohol. Ich konnte ihn hinter mir spüren, wie er versuchte an Standhaftigkeit zu gewinnen, was ihm aber nicht gelang.
Und ich schrie noch einmal, so laut wie ich konnte nach Haytham. Es war mir egal, ob es sein Vorname war, ob es höflich war oder sonst etwas... ich brauchte Hilfe!
Ich spürte nur einen Ruck hinter mir und Charles flog auf den Boden. Meine Arme waren wieder frei und ich versuchte mich aufzurichten. Atemlos und beschämt zog ich meine Kleider wieder herunter. Haytham stand über Lee gebeugt da und fauchte ihn an, so etwas nie wieder zu tun. Und sie würden sich morgen noch darüber unterhalten und... Konsequenzen und und und … ich bekam das alles nicht mehr so mit. Ich sackte auf der Bank am Tisch zusammen und sah nur auf meine Hände.
Zwei Arme nahmen mich auf und brachten mich die Treppe hinauf. Sie brachten mich in ein Bett. Und ich lag selig in den Laken. Mein Gehirn zermarterte sich gerade, um heraus zu finden, WAS da passiert war.
Die Arme legten sich um mich und hielten mich fest. Einfach nur so. Sie flüsterten mir einfach nur „Sicherheit“ zu. Und ich versank in dieser Sicherheit und vergaß, warum ich diese brauchte.
Ein tiefer traumloser Schlaf folgte und ich erwachte immer noch in diesen Armen. Erst als ich mich regte, bewegten sich auch die Arme... es war Haytham, der mich ansah, als ich mich umdrehte. Oh, nicht schon wieder. War ich wieder...
In mir stieg schon wieder Schamgefühl und Panik auf... ich zuckte zurück. Aber Haytham hielt mich fest. „Hey, nein... es ist alles in Ordnung!“ Seine Stimme hatte einen sehr ungewohnten ruhigen Ton und ich entspannte mich ein wenig.
„Könntet ihr mich... trotzdem bitte loslassen, Master Kenway? Bei allem Respekt, ich...“ Das war alles, was ich über die Lippen brachte und brach in Tränen aus. Ich konnte nicht anders. Es war Scham, es war Wut...
Er ließ mich frei und setzte sich auf. Aber behielt mich im Blick. „Mrs. Masterson, es tut mir leid, dass euch... so etwas in meinem Haus passiert ist!“ In seinen Augen und seiner Stimme lag echtes Bedauern!
Ich zog meine Beine unter mich und vergrub mein Gesicht in meinen Knien. Wie konnte mir nur so etwas passieren. Wie unaufmerksam bin ich geworden? Und dann fiel mir ein, weswegen ich dort draußen gewesen bin. Ich war dabei, die Templer zu hintergehen, gleichzeitig fühlte sich jetzt einer schuldig mir gegenüber. Es war zum Verrückt werden.
„Master Kenway es ist nicht eure Schuld, es ist einzig und allein Master Lee, der dafür verantwortlich ist. Er ist derjenige der sich nicht unter Kontrolle hatte. Und ich hätte vielleicht auch einfach vorsichtiger sein müssen. So spät noch alleine nach draußen...“ Haytham sah mich nur an.
„Das gibt ihm aber keinen Grund, Hand an euch zu legen! Ich dulde so eine Art und Weise einfach nicht!“
„Ich würde mich jetzt gerne zurück ziehen, mit eurer Erlaubnis!“ Allein sein, mehr wollte ich nicht!
Er nickte nur und sah mich bedauernd an. „Wenn ihr etwas benötigt, lasst es mich wissen!“
Mit diesen Worten ging ich hinüber zu meinem Zimmer und verkroch mich in den Laken.
Kapitel 51
Es dauerte einige Stunden, bis ich mich wieder aus meiner Komfortzone wagte. Nie hatte ich es für möglich gehalten, so ein Gefühl zu entwickeln zu können. Ich war nicht SCHULD, aber ich fühlte mich so. Ich fühlte mich beschämt, obwohl ich nichts falsch gemacht hatte. Das war einfach nicht fair.
Vorsichtig wagte ich einen Blick in das Schlafzimmer des Großmeisters, aber er war bereits aufgestanden und … vermutlich auch schon wieder beschäftigt. Wollte ich ihn wirklich sehen? Wollte ich überhaupt irgend jemanden sehen?
Mechanisch machte ich mich für den Tag fertig, wie programmiert, zog ich mich an und verließ die Gemächer von Haytham.
Oben an der Treppe stehend konnte ich unten Charles sehen, wie er mit Master Kenway diskutierte. Er versuchte sich ernsthaft zu rechtfertigen? Was war falsch mit ihm? Langsam schritt ich die Treppe herunter, ich hatte ihn immer im Blick. Und ich hatte mein altbewährtes Stiefelmesser gezogen! Warum oder WANN ich das getan habe, weiß ich nicht, aber ich spürte es als eine Art Schutz und Sicherheit in meiner rechten Hand. Versteckt …
Plötzlich schwenkte sein Blick auf mich, die Treppe hinauf! Und Panik breitete sich auf seinem Gesicht aus! Ja, genauso wollte ich das!! Ich wollte, dass er Angst bekam!! Ich wollte ihn am liebsten genau das spüren lassen, was ich fühlte! Ich ging immer langsamer auf ihn zu... Niemand hielt mich auf. Warum auch, jeder dachte, ich sei harmlos! Aber das ich auch anders konnte, ahnte ja niemand. Und jetzt war der Zeitpunkt, das zu demonstrieren! Lee war das erste Opfer! Mit einem kleinen Sprint sprang ich ihn an und warf ihn zu Boden! Sein überraschter Aufschrei und dieser Blick dazu waren einfach unbezahlbar.
Mein Messer war an seiner Kehle... ich musste nur einmal daran entlang fahren und ein ganz kleines bisschen Druck ausüben! Dann wäre alles vorbei... Mein Gehirn malte Bilder, in denen ich Charles unter mir verbluten sah!
Zwei Hände rissen mich heftig hoch und eine Stimme gebot mir Einhalt! Ein kleiner Schnitt am Hals ließ eine seichte Blutlinie an Master Lees Hals herunterlaufen.
Wie in Trance wurde ich irgendwie in die Küche gebracht. Aber ich war doch noch gar nicht fertig mit diesem Mann? Er hatte noch nicht seine verdiente Strafe bekommen!
Erst als ich Mrs. Wallace Stimme hörte, erwachte ich wieder. „Alex, es tut mir so leid. Was hat euch dieser Mann nur angetan? Ich habe erst heute morgen davon erfahren. Wir können Gott danken, dass euch nichts Schlimmeres widerfahren ist!“
„Gott hat damit nichts zu tun! Es war Haytham, der mich beschützt hat! Sonst war ja niemand da...!!“ Ich schlug mit meinen flachen Händen auf den Tisch! Diese Mischung aus allen Gefühlen, war einfach überwältigend und ich hoffte und wünschte mir, dass NIEMAND so etwas erleben muss!!!
„Sybill, ich brauche etwas stärkeres als Tee! Und... ich nehme mir einen Tag frei... ist mir egal ob Master Kenway einverstanden ist oder nicht!“
„Mrs. Masterson, ich weiß immer noch nicht was ich sagen soll!“... klang Haythams Stimme hinter mir. „Was kann ich tun...“
„Ihr könnt gar nichts tun. Es ist schlicht und ergreifend, MEIN Problem. Und ich werde bei nächster Gelegenheit abreisen! Ich will niemanden mehr sehen! Ich hätte nie hierher kommen sollen! Und...“
Seine Hand legte sich auf meine Schulter: „Mrs. Masterson, ich bitte euch. Trefft keine übereilten Entscheidungen. Wir werden eine Lösung finden! Charles allerdings angreifen, war auch nicht unbedingt eine gute Idee von euch.“
Jetzt kochte es in mir über! Er ermahnte MICH? Er nahm dieses Schwein wirklich in Schutz? „Was zur Hölle soll ich denn machen? Ich will nach Hause! IHR haltet mich hier fest! Und das nur aufgrund eines Verdachtes!!! WAS WOLLT IHR???“ schrie ich ihn jetzt an.
Ich wusste ja, was Haytham wollte, er wollte Gewissheit... und ich log, das sich die Balken bogen. Aber kümmerte mich das? Gerade JETZT nicht wirklich!
Es war mir einerlei... Nein, war es nicht um ehrlich zu sein. Haytham machte sich ernste Sorgen. Es war kein oberflächliches Dahingerede... Die Vorwürfe die er sich machte, gingen tiefer. Er überdachte seine Entscheidungen bezüglich der Mitglieder im Orden. Ich hatte davon in seinen Tagebücher gelesen! Aber ich wusste ja nicht, WARUM Haytham so zweifelte. Aber der Vorfall bestärkte ihn anscheinend weiter in seinen Zweifeln.
Mir wurde mehr und mehr bewusst, dass er immer und immer wieder belogen und betrogen wurde. Ihm wurde oft vorgegaukelt, dass man seine Person schätzte. Nein, man schätzte seinen Einfluss, sein Geld und … einfach sein Charisma, sein Können … welches es auch immer sein mochte. Reginald nutzte genau DAS aus. HATTE es ausgenutzt. Er war nicht mehr. Dafür hatte Haytham mit Jenny und seinem leider verstorbenen Kammerdiener Holden gesorgt.
Tat mir gerade wirklich ein Templer leid? Genau der Mensch, der mich immer wieder in Rage gebracht hatte? Aber wenn ich ehrlich bin, schon damals wurde er unterschätzt, ihm wurde einfach alles, was wichtig war, nicht erzählt. Er hatte somit keine Ahnung. Und nur Reginald war derjenige, der ihn unterrichtete. Was für eine einseitige Erziehung. Aber genau diese zeigte Wirkung.
Aber Edward hatte ihn nie belogen! Und ich wusste, dass Haytham das auch später noch in guter Erinnerung haben wird.
Mein Gewissenskonflikt wurde immer größer und mir wurde immer unwohler, als mir eh schon war!
„Ich werde Doktor Ambrosch holen lassen, damit er euch etwas zur Beruhigung gibt!“ sagte Haytham in immer noch besorgtem Tonfall.
„Danke, aber ich brauche nichts. Ich brauche nur Ruhe und... meine Familie! Aber dank euch, ist mein letzter Halt ja jetzt auf See! Ich danke euch dafür!“ Ich stand auf und trat aus der Küche in den Hinterhof. Die Sonne stand bereits hoch und wärmte mich ein wenig.
In der hinteren linken Ecke war der Abort und das ganze Grundstück wurde durch einen hohen Zaun links und am Ende gesichert. Auf der rechten Seite erstreckte sich die Fortmauer. Blumen oder ähnliches suchte man hier vergeblich. Ziemlich trostlos dachte ich mir.
In der Mauer war eine kleine Treppe eingebaut. Ich ging hinauf und sah auf das Meer hinaus und dieser Blick, diese Freiheit... dieser Anblick erfüllte mich mit Sehnsucht nach zu Hause, aber auch die Angst um meinen Sohn. Was wenn ihm etwas zustieß? Ich setzte mich auf den Rand und ließ die Beine baumeln.
Plötzlich tauchte neben mir Mrs. Wallace auf und setzte sich einfach zu mir. „Alex, ich hoffe, ich störe nicht?“
Ich lächelte sie an. „Nein, ganz und gar nicht.“
„Ich habe euch von dem guten Rum etwas gebracht, aber lasst das nur nicht Master Kenway sehen. Der ist eigentlich nur für besondere Anlässe!“ Verschwörerisch stupste sie mich an und kicherte. Da hatte wohl schon jemand von dem besonderen Zeug genascht!!
Ich nahm einen Schluck und spürte, wie er mir im Hals brannte! Aber es tat gut und meine Nerven beruhigten sich ein wenig. So saßen wir einfach eine Weile schweigend da und sahen in die Ferne.
Als ich zu Sybill schaute, liefen ihr Tränen über die Wangen! „Mrs. Wallace, was habt ihr?“ fragte ich besorgt.
„Ich musste gerade an meinen Mann denken, er starb genau heute vor zwei Jahren auf See!“
Ich drückte ihre Hand und hielt sie fest, aber sagen konnte ich nichts. So saßen wir einfach auf dieser Mauer und hingen unseren Gedanken nach.
Als es Zeit war, das Mittagessen vorzubereiten, erhoben wir uns und machten uns ans Werk. Wenn ich mich mit alltäglichen Dingen beschäftigte, hoffte ich, über die vergangene Nacht hinweg zu kommen.
Diese doch recht eintönigen Arbeiten ließen mich ein wenig vergessen. Charles tauchte den ganzen Tag auch nicht mehr auf. Besser so für ihn! Laut Sybill hatte er Hausverbot erteilt bekommen bis auf Weiteres.
Am späten Nachmittag erschien der Großmeister und kündigte ein größeres Abendessen an. Shay sei wieder eingetroffen und man hätte einiges zu besprechen. 6 Personen wurden erwartet.
„Mein Sohn! Geht es ihm gut? Kann ich ihn sehen?“ platzte ich heraus.
Haytham sah mich an und lächelte, dieses mal sah ich es auch in seinen Augen! „Ja, er hilft nur noch beim Entladen der Morrigan. Er wird hier untergebracht, in einem der Angestelltenzimmern.“
„Oh, achso.“ Enttäuscht, dass wir hier bleiben sollten und nicht wieder zum Arsenal gingen, knickste ich und ging.
Eine Hand legte sich auf meine Schulter und hielt mich zurück. „Ihr habt doch nicht geglaubt, dass jetzt alles erledigt ist? Oder?“ Die Stimme des Großmeister war kälter geworden.
„Nein, wie konnte ich auch nur ansatzweise so etwas denken, verzeiht!“ entgegnete ich kalt und ohne ihn anzusehen ging ich.
Die Vorbereitungen für das Abendessen fingen an. Was für ein Aufwand und ich hätte so gerne das Ganze platzen lassen, das Essen versalzen oder ich könnte ja ein böses Abführmittel hinein schütten. Aber nein, dann hätte ich ja wieder die Arbeit... Danke, ich will nicht nochmal die Pflegerin spielen müssen!
Auf einmal klopfte jemand auf meine Schulter und als ich mich umdrehte sah ich meinen Sohn vor mir. Er sah irgendwie erholt aus... Erleichtert und überglücklich, dass er heile wieder hier war, drückte ich ihn an mich. Mir war egal, was die Angestellten hier dachten.
„Oh, du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass du wieder da bist. Erzähl, wie war es so auf der Morrigan?“ Ich strahlte ihn an.
Aber Yannicks Gesicht verfinsterte sich ein wenig. „Shay hat komische Fragen über dich gestellt. Ich hoffe, ich habe nichts falsches gesagt oder getan.“ Er verfiel in einen Flüsterton. „Aber er schien tatsächlich auf der Suche nach der Jackdaw zu sein. Immer wieder schaute er durchs Fernrohr und machte sich Notizen auf seiner Karte.“
Ein wenig mulmig wurde mir ja, aber sie hatten sie also nicht gefunden. Wie auch? Ich wusste ja selber nicht genau, wo sie jetzt war. Ob sie schon an ihrem Ankerpunkt angelangt war, war ja auch unklar. Ich wusste nicht, wie lange sie dorthin brauchen würde.
„Mach dir keine Sorgen, wenn du dich verplappert hättest, wärt ihr schon schneller wieder hier gewesen!“ Wir unterhielten uns auf deutsch, in der Hoffnung, dass uns niemand so verstehen würde.
Ich stellte jetzt erst einmal meinen Sohn vor und er wurde sogleich bemuttert von Mrs. Wallace. Und er genoss es. Sollte er ruhig, denn morgen würde auch für ihn der Alltag wieder anfangen!
Kapitel 53.1
Der Abend kam und mit ihm die Gäste. Und ich dankte Odin, dass Charles Hausverbot hatte!
Es war der übliche enge Kreis. Jack Weeks, Thomas Hickey, William Johnson, Benjamin Church, dieses mal war auch Pitcairn mit anwesend und natürlich Shay. Er war an diesem Abend aber nicht alleine, Faith war ebenfalls mit von der Partie. Die Sitzordnung folgte irgendwie keiner Rangordnung oder ähnlichem. Die Herren nahmen dort Platz, wo sie wollten. Nur Haytham saß am Kopfende, wie es sich für den Gastgeber und Großmeister gehörte.
Links neben ihm saß Shay, Faith, Jack Weeks und Johnson. Rechts saßen Hickey, Church und Pitcairn. Als alle saßen, begann das Auftragen.
Ich wurde das Gefühl nicht los, dass mich Shay nicht aus den Augen ließ. Immer wenn ich in seine Richtung blickte, sah er ebenfalls zu mir. Beim Hinausgehen überprüfte ich mein Äußeres, vielleicht lag es wirklich nur daran. Aber dann hätte mich doch wohl Mrs. Wallace darauf aufmerksam gemacht. Im Spiegelbild eines Fensters besah ich meinen Aufzug und stellte fest, dass alles in Ordnung war. Also daran lag diese Aufmerksamkeit nicht. Ich wurde wieder nervös, denn ich wusste nicht, was jetzt auf mich zukommen würde.
Nach und nach kamen die einzelnen Gänge und nach und nach merkte man, dass die Herren Templer mal wieder sehr dem Alkohol zu sprachen. Gab es etwas zu feiern? Leider hatte ich keine Zeit, die Gespräche mit anzuhören. Aber diese Arbeit lenkte mich ab und es tat gut, nicht untätig in der Ecke sitzen zu müssen.
Nach dem Dessert wurde noch Brandy gereicht und man ließ den Abend wieder ausklingen. Benjamin Church war der Erste der aufbrach. Haythams Kammerdiener war für die Röcke, Hüte und sonstige Utensilien zuständig. Danach schnappte sich Jack Weeks den mittlerweile völlig blauen Hickey und brachte ihn nach Hause.
Pitcairn und Johnson standen noch eine Weile draußen im Hinterhof. Wir Angestellten, räumten noch die letzten Überreste vom Tisch ab.
Als ich in die Küche kam, stand die Tür nach draußen offen und gerade als ich sie schließen wollte, hörte ich das Gespräch der beiden Templer. „Haytham und Shay sollten ihre Energie nicht auf dieses Weib verwenden. Es gibt Wichtigeres zu tun. Warum lässt er sie nicht in Ruhe? Was hat sie denn gemacht?“ … die andere Stimme mit schottischem Akzent entgegnete … „Angeblich ist sie eine Spionin der Assassinen. Aber der Großmeister will erst sicher sein, bevor er voreilige Schlüsse zieht. Wie er darauf kommt, dass sie eine Spionin ist, frage ich mich allerdings.“ … „Es ist eigentlich schon merkwürdig, erst taucht ein nicht existentes Schiff auf und Master Cormac hat plötzlich zwei neue Angestellte. Da kann man schon misstrauisch werden.“ … „Da mögt ihr Recht haben, aber trotzdem sollte man darüber hinaus nicht vergessen, was der Orden noch für Aufgaben hat!“
Ich hörte Schritte auf die Tür zu kommen und huschte schnell zum Herd und tat so, als würde ich das Feuer für die Nacht eindämmen wollen. Die beiden gingen weiter in Richtung Eingang und verabschiedeten sich von Master Kenway. Dieser schien bester Laune zu sein, das war gut, dann würde die Nacht für mich entspannter. Ich müsste nicht ewig warten, bis er seine Arbeiten erledigt hätte. Er würde vermutlich schnell einschlafen.
„Mrs. Masterson?“ rief er aus dem Flur.
Gerade als ich aus der Küche kam, lief er mir leicht schwankend entgegen. „Master Kenway, ihr wünscht?“ kam es ein wenig genervt von mir.
„Richtet bitte oben das Gästezimmer her, Master Cormac wird heute hier übernachten!“ Ich wand mich zur Seite und verdrehte die Augen. Hatten die Männer eigentlich keine eigenen Häuser? Mussten die immer irgendwo anders übernachten? Und wo blieb Faith? Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass sie schon gegangen war. Aber ich vermutete, wegen des Kindes wäre sie nach Hause aufgebrochen. In Gedanken machte ich mir eine Notiz, dass ich sie doch einmal auf diese Eskapaden ansprechen sollte.
Ich seufzte innerlich. „Sehr wohl, Master Kenway!“ Ich knickste und ging nach oben, um alles vorzubereiten.
Kapitel 54.1
Zuerst ging ich nach oben und fing an, das Gästezimmer herzurichten. Es war nicht sonderlich groß, aber gemütlich. Links an der Wand prangte ein Kleiderschrank. Daneben war ein kleiner Kamin eingelassen.
Auf der Gegenüber liegenden Wand, welche zur Seitenstraße zeigte, waren zwei hohe Fenster mit schweren roten Samtvorhängen. Dazwischen stand eine Kommode, auf der die obligatorische Waschschüssel mit dem Wasserkrug standen und ein kleiner 3-armiger-Kerzenleuchter.
An der rechten Wand stand das große Bett mit rotem Samtbaldachin und gesäumt von zwei Nachttischen auf denen ebenfalls Kerzenleuchter standen.
Die Teppiche waren ebenfalls in rot gehalten und die Bettwäsche war schlicht weiß. Das war nicht unbedingt einfach sauber zu bekommen, aber besser als diese teuren bestickten Wäschen, die so schnell aufrissen.
Den Krug füllte ich auf, schlug das Bett auf und zündete die Kerzen auf dem Nachttisch und der Kommode an. Dann schürte ich Feuer im Kamin. Und danach zog ich noch die Vorhänge zu. Als ich meiner Meinung nach fertig war, ging ich hinüber in Haythams Schlafzimmer und legte ihm alles zurecht und machte alles für die Nacht fertig.
Danach ging ich wieder hinunter und jetzt musste ich tatsächlich die beiden suchen. Ich hörte nichts. Keine Stimmen, weder aus dem Esszimmer noch aus dem Arbeitszimmer. Ich ging in die Küche, aber auch dort war niemand. Ich ging zur Tür hinaus und sah mich um. Es war schon dunkel, aber ich konnte die beiden im Mondlicht ausmachen. Sie standen, genau wie ich heute Vormittag noch mit Mrs. Wallace, auf der Mauer und unterhielten sich leise.
Ich konnte leider kein Wort verstehen, also beließ ich es dabei und räusperte mich um auf mich aufmerksam zu machen.
Haytham drehte sich als erster um. „Ah, Mrs. Masterson, seid ihr schon fertig mit allem? Ich hoffe doch, dass Master Cormac kein Chaos vorfinden wird, wie ich bei ihm vor einigen Tagen?“ Er fand das jetzt echt witzig, oder? Nach Scherzen war mir definitiv nicht, du Idiot!
Sie stiegen die Stufen hinunter und kamen auf die Küche zu. Ich sah zu, dass ich Platz machte. „Es ist alles fertig und ich hoffe, auch zu eurer Zufriedenheit.“ erwiderte ich nur. Die beiden Templer gingen nach oben und ich blieb etwas verloren in der leeren Küche stehen. Sollte ich ebenfalls nach oben gehen? Sollte ich warten?
„Mrs. Masterson, wo bleibt ihr? Ich warte!“ Tönte Haythams leicht lallende Stimme vom oberen Treppenabsatz.
Das war mein Stichwort. Dann mal los, hoffentlich hatte Haytham nicht zu viel getrunken, nicht, dass ich wieder eine schlaflose Nacht miterleben musste.
Shay verabschiedete sich lediglich und verschwand im Gästezimmer. Ich hoffte, dass morgen früh nicht wieder unpässliche Herrschaften bedient werden wollten!
Oben angekommen ging ich also zu Haythams Schlafzimmer und schloss die Tür. Der Großmeister saß auf einem Stuhl vor dem kleinen Schreibtisch und versuchte seine Stiefel auszuziehen. Kein leichtes Unterfangen, denn immer wenn er sich vorbeugte, fing er gefährlich an zu schwanken. Mit vor der Brust verschränkten Armen stand ich da und beobachtete das Spektakel.
„Steht nicht so tatenlos herum, helft mir!“ meckerte er mich an. Diese Stimmungsschwankungen waren schon sehr nervtötend!
„Aber Master Kenway, sollte ich nicht lieber euren Kammerdiener rufen? Ich...“ Meine Berührungsängste kehrten zurück, aber Kenway schien das entfallen zu sein!
„Nein, bis dieser Tölpel hier ist, bin ich eingeschlafen. Ihr seid hier, also macht ihr das jetzt. Und beeilt euch!“ seiner Autorität bewusst, hatte er seine Stimme lauter werden lassen! Mich durchfuhr dabei einfach nur eine wahnsinnige Wut.
Mit dem üblichen Zähneknirschen und Mordgedanken, kniete ich mich vor ihn und versuchte seine Stiefel auszuziehen. Du meine Güte, wie hatte er die überhaupt anbekommen?
Wenn die Umstände andere gewesen wären, wäre es mal wieder eine nette Vorstellung gewesen, ihm beim Entkleiden zu helfen. Doch so? Der befriedigende Gedanke des Kissens kehrte ebenfalls zurück...
Kapitel 55.1
Die Stiefel und Strümpfe waren mal wieder nicht das Problem. Ich ließ aber erstmal alles so liegen und stehen, damit ich schneller voran kam. Dann machte mich daran, Haytham die Weste aufzuknöpfen. Im Sitzen ist das umständlicher als man denkt. Denn die Knöpfe wie wir sie heute kennen, gab es dort ja noch nicht. Hier hieß es, Fingerspitzengefühl beweisen. Und er schwankte immer noch gefährlich, was nicht gerade förderlich war.
Ich kniete immer noch vor dem Großmeister und … irgendwie kippte die Stimmung plötzlich, als ich kurz zu ihm aufsah! Es lag auf einmal eine seltsame Anspannung im Raum.
Doch ich konnte und wollte ihm nur aus seinen Kleidern helfen und setzte alles daran, dass auch zu zeigen! Die letzte Nacht konnte ich nicht einfach so vergessen. Ich schob ihm seine Weste über die Schultern und stand dann auf, um diese über den Hocker neben dem Bett zu legen. Als ich mich wieder umdrehte, stand Haytham auf und kam auf mich zu ohne ein Wort zu sagen.
Seine Hand legte sich unter mein Kinn und hob es an, sodass ich ihm direkt in die Augen sehen konnte. Es war kein Verlange darin, er sah mich mit Alkoholvernebeltem Blick an.
Er kam näher und ich konnte den Wein an ihm riechen, die Seife vom Rasieren … Ich hätte mich gerne meinen Gefühlen hingegeben, aber die Ereignisse hielten mich davon ab. Mein Gehirn schaltete plötzlich auf Automatik um und ich half ihm, sich bettfertig zu machen. Mehr nicht! Es ging einfach nicht.
Ich konnte sein resigniertes Seufzen hören und mir kam nur „Es tut mir leid, Master Kenway.“ über meine Lippen! Warum sollte es mir leid tun? Ich hatte schließlich keine Anstalten gemacht ihn verführen zu wollen!
Als er fertig war und in den Kissen lag, konnte ich ihm eines nicht verwehren, denn sonst wäre ich geplatzt vor Anspannung. Ich nahm sein Gesicht in beide Hände und gab ihm einen Kuss auf die Wange und murmelte ein schnelles „Ich wünsche euch eine gute Nacht!“ und verschwand nach nebenan. Ich konnte spüren, wie sich meine Emotionen verknoteten und überschlugen!
Die Nacht war, verzeiht die Ausdrucksweise, einfach Scheiße! Ich hatte wirre Träume von Haytham, in denen ich die wildesten Sachen mit ihm veranstalte und er mit mir. Ich träumte aber auch von Charles, welchen ich mal wieder abstach oder auch erwürgte und dieser Moment war so unglaublich befreiend! Es war einfach zu viel für meine Nerven. Irgendwann stand ich auf, weil ich einfach nicht schlafen konnte.
Leise schlich ich durch das Schlafzimmer von Haytham, aber er war gar nicht in seinem Bett! Vorsichtig ging ich auf den Flur und die Treppe hinunter. Auf halben Wege hörte ich von unten aus dem Arbeitszimmer Stimmen. Es waren Shay und Haytham, die sich über irgend eine Belanglosigkeit unterhielten, ich konnte sie nicht verstehen und lauschen... Nein, das macht man nicht! Auch wenn ich von Natur aus sehr neugierig bin!
Sollte ich anklopfen und fragen, ob sie noch etwas benötigten? Nein, dachte ich mir. Ich habe auch irgendwann einmal frei.
Und so ging ich in die Küche und schürte das Feuer, um mir Wasser zu kochen! Ich brauchte etwas warmes zum Trinken. Ich dachte an Zuhause, an meine Küche daheim... Es erstaunte mich immer wieder, wie sehr man etwas vermissen kann, wenn es plötzlich nicht mehr unmittelbar greifbar ist! Und mir wurde wieder schwer ums Herz!
Mein Nervenkostüm bröckelte allmählich! Lange würde ich es jetzt nicht mehr aushalten, kam es mir in den Sinn. Das Wasser im Kessel fing an zu blubbern und gerade als ich ihn vom Feuer ziehen wollte, hörte ich hinter mir Shays irischen Singsang.
„Mrs. Masterson, so spät noch auf? Könnt ihr nicht schlafen?“ Nein du Witzbold, ich stand aus lauter Langeweile hier und bewundere die Bauweise dieses Herdes!
Aber ich hatte mich dermaßen erschrocken und den Kessel blöd angestoßen, dass mir etwas kochendes Wasser über die Finger lief... Ich ließ den Kessel auf das Rost plumpsen und steckte meine Hand in den Eimer mit kaltem Wasser. Das war eine Wohltat, auch wenn man das nicht machen sollte, aber egal... es tat einfach gut. Ich stöhnte auf, denn der Schmerz ließ nach.
„Meine Frau würde euch jetzt erklären, dass man das nicht macht...“ zu mehr ließ ich ihn nicht kommen, denn ich hatte eigentlich gar keine Lust mich noch lange zu unterhalten!
„Master Cormac, ihr habt mich erschreckt! Kann ich euch behilflich sein? Braucht ihr etwas?“ meine Stimme klang dann doch so gelangweilt und genervt, wie ich war!
Er grinste mich nur an... und es kam nur ein „MIR könnt ihr sicher auch behilflich sein, nur wäre meine Frau nicht sonderlich begeistert darüber. Aber Master Kenway wäre über eure Gesellschaft sicher überaus erfreut!“ Bitte WAS? Die beiden hatten sich tatsächlich über die … Vorkommnisse vorhin unterhalten?
Mir schoss das Blut in die Wangen und ich wäre am liebsten wieder einmal im Boden versunken. Warum war mir das hier alles so unangenehme? In meiner Zeit hätte ich jetzt einen Spruch hinterlassen und wäre einfach gegangen...
WARUM ging das auf einmal nicht mehr???
Kapitel 56.1
„Verzeihung, Master Cormac, ich kann euch nicht ganz folgen.“ ich bemühte mich, die höfliche Art zu behalten und es tat innerlich schon weh, mich so unterdrücken zu müssen!
Shay kam ohne Umschweife auf mich zu, nahm meine Hand und zog mich mit nach draußen in den Hinterhof. Er atmete tief durch und schaute zum sternenklaren Himmel hinauf und dann wieder zu mir. „Mrs. Masterson, auch wenn Haytham angetrunken ist, er weiß sehr wohl, was er tut! Und …“ er zögerte und in seiner Stimme schwang so etwas wie Ratlosigkeit mit? „... er würde nie eine Frau bedrängen! Er würde euch nie gegen euren Willen zu nahe treten! Er hat die Situation einfach falsch eingeschätzt und ich glaube ihm, wenn er mir sagt, es sei ihm mehr als unangenehm. Dazu kommt noch, dass Haytham seine Schuldgefühle zu schaffen machen... Und wenn ich ehrlich sein darf, auch ich bin von Charles mehr als angewidert!“
„Master Cormac, ich verstehe immer noch nicht, was ihr mir sagen wollt? Entweder bin ich zu müde, oder es liegt an meinen Nerven. Ich weiß, dass Master Kenway nie willentlich Hand an mich legen würde. Dafür ist er zu gut erzogen worden! Ich vertraue ihm, nicht unbedingt blind, aber ich kenne die Familie Kenway schon länger und auch Haytham als er gerade erst auf der Welt war und ...“ Und verdammt... ich hätte mir fast die Zunge abgebissen. Shay hatte es geschafft mich zum Reden zu bringen! Panik stieg in mir auf!
Der Ire sah mich fragend an. „Wie war das bitte, Mrs. Masterson?“ Seine Hand schlang sich um meinen Arm und drückte zu.
„Ich... Sir, ich …“ stammelte ich vor mich hin, während er mich Richtung Arbeitszimmer schleifte. „Lasst mich los, ihr tut mir weh!“ Ich versuchte mich aus seinem Griff zu befreien, aber es war vergebens!
Er öffnete die Tür und stieß mich hinein. „Sir, wir sollten uns unterhalten. Denn Mrs. Masterson hat Interessantes zu berichten!“ Mit einem sardonischen Grinsen drückte er mich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch, an dem der Großmeister saß und blieb hinter mir stehen!
Haytham rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht, so als wolle er den Alkohol und die Müdigkeit wegwischen und sah dann zu mir. „Sollten wir das? Was gibt es denn so Wichtiges?“ Dieses Seufzen deutete eigentlich darauf hin, dass auch ER keine Lust auf Konversation oder im schlimmsten Falle Verhöre hatte!
Und Ich? Ich war einfach zu müde... „Gar nichts gibt es!“ schnappte ich nur.
„Das hörte sich gerade aber noch ganz anders an! Master Kenway, Alexandra scheint euch schon länger zu kennen, als ihr glaubt!“ Shay stieß mich an, so als wolle er mich zum Reden bringen!
Haytham sah mich erstaunt an. „Ist das so? Das interessiert mich jetzt aber dann doch brennend. Und vor allem, WOHER kennt ihr mich?“ Er hatte diesen wissenden Ausdruck auf dem Gesicht!
Und ich spielte einfach noch, ich ignorierte die Gefahr, dass mir die beiden ernsthaft Schaden zufügen könnten! Ehrlich gesagt, es war mir jetzt egal. „Ich frage mich, warum ihr fragt, wenn ihr es doch schon wisst? Für wie dumm haltet ihr mich eigentlich? Und ehrlich gesagt, ich bin es leid! Ihr wisst beide, wer ich bin. Also... wozu noch die Fragerunde hier?“
„Euer loses Mundwerk ist erstaunlich! Und hatte ich mich diesbezüglich nicht schon dazu geäußert, dass ich euch schon noch beibringe, wie ihr mit mir zu reden habt? Muss ich euch wirklich immer und immer wieder daran erinnern, Mrs. Masterson?“ Wirklich begeistert war der Großmeister jetzt nicht und das ließ er mich spüren!
Ich prustete nur, denn es war jetzt völlig egal, WAS ich WIE sagte. „Oh bei Odin, ja das habt ihr. Aber beigebracht habt ihr mir GAR NICHTS! Und ich weiß, wer vor mir sitzt! Auch wer HINTER mir gerade steht! Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass ich jetzt endlich wieder nach Hause will und es leid bin, diese Spielchen zu spielen!“
„Was ihr wollt, ist mir einerlei! Solange ich nicht aus eurem Mund die ganze Geschichte höre, bleibt ihr hier. Ich habe übrigens Zeit! Besonders für Spione, die sich so ungeschickt verhalten, wie ihr es getan habt!“ Böse lächelnd lehnte der Großmeister sich in seinem Stuhl zurück!
Kapitel 57.1
So so … Der Großmeister hatte also Zeit! Schön für ihn. Denn es würde wohl doch etwas länger dauern!
„Was wollt ihr denn genau wissen? Erleuchtet mich, Master Kenway.“ Ob nun eine aggressive Vorgehensweise gut ist, wagte ich zu bezweifeln. Aber mein Gehirn hatte sich schon verabschiedet und schlummerte friedlich vor sich hin, um noch eine freundliche Fassade aufrecht halten zu können!
„Wie seid ihr hier angekommen? Woher kommt ihr? Und wie ist euer richtiger Name?“
„Ich bin mit einem Schiff angekommen, ich komme aus der Nähe von Hannover und...“
Jetzt platzte Haytham der Kragen und er wurde laut „Ihr findet das Ganze auch noch amüsant? Zwingt mich nicht, euch weh zu tun!“ kam es aus zusammengebissenen Zähne von ihm. Ich konnte seinen Kiefer arbeiten sehen und die Zähne knirschen hören. Er hatte die gleiche Angewohnheit wie ich auch damit. Wie schön, dachte ich sarkastisch, ich habe eine Gemeinsamkeit mit dem Großmeister! Seine Hände lagen zu Fäusten geballt auf dem Schreibtisch.
Hinter mir hatte sich Shay schon vorsorglich bereit gemacht und stand angespannt da.
„Nein, ich finde das sicherlich NICHT witzig. Aber ich kann nichts dafür, wenn IHR die falschen Fragen stellt.“
Mit einer Geschwindigkeit die ich ihm gar nicht zugetraut hätte in seinem Zustand, war er aufgestanden und um den Schreibtisch herum gekommen! Der Großmeister stand drohend über mir. „Ich warne euch!“ Er erhob seine Hand, so als wolle er zuschlagen, aber zügelte sich noch rechtzeitig.
Ich lehnte mich zurück und stieß dabei gegen den Iren, der bei der Berührung zusammen zuckte. Herr Gott, so schreckhaft? Wovor hatte er denn Angst? Ich war unbewaffnet!
Stattdessen griff Haytham nach meiner Kehle und drückte leicht zu. „Und jetzt noch einmal!“ zischte er langsam. „Wie, woher und wer seid ihr?“
Seine Finger drückten ungünstig auf die Adern am Hals und mir wurde schwindelig. „Könntet ihr eure Finger wo anders hinlegen? Ich meine es ernst, mir wird schwindelig. Und ohnmächtig kann ich schlecht reden!“ Ich wollte gerade seine Hand weg ziehen, als Shay schon von hinten meine Arme packte und sie festhielt. Mir ging die letzte Nacht wieder durch den Kopf und in einem Reflex versteifte sich mein Körper aus purer Angst!
Aber Haytham tat, worum ich ihn bat und lockerte den Griff. Mit einem fordernden Tonfall forderte er mich auf „Ich warte! Immer noch!“
Jetzt war es mir, resigniert zu seufzen. Ich sah ihm direkt in die Augen, naja, was anderes war mir gerade nicht möglich! „Mein Name ist Alexandra Frederickson, ich lebe in der Nähe von Hannover und bin vor ungefähr zwei Wochen hier mit der Jackdaw angekommen. MEINEM Schiff wohlgemerkt! Auf dieser Reise hat mich mein Sohn begleitet, weil er noch in der Ausbildung zum Assassinen steckt und es eine gute Gelegenheit für ihn war, seine Kenntnisse auszubauen und eventuell auch seine Techniken zu erweitern!“ Ein wenig erleichtert sah ich ihn an und hoffte, dass er jetzt etwas freundlicher gestimmt war!
Weit gefehlt. Kenway war nicht leicht zufrieden zu stellen! „Aha, diese Brigg dürfte nicht einmal existieren! Das wisst ihr doch, oder etwa nicht? Wie seid ihr in ihren Besitz gelangt?“ fragte er immer noch mit seiner Hand an meinem Hals.
Ich rollte mit den Augen und seufzte. „Edward hat sie mir überschrieben, da er mit seiner Vergangenheit abschließen wollte und damit das Gerede über ihn endlich ein Ende nimmt!“ In meinem Kopf kam nur ein Gedanke an: DAS war jetzt wirklich eine sehr sehr kurze Kurzfassung von den Geschehnissen!
Jetzt war es an Haytham, ein Prusten aus zustoßen! „Einfach so? Und das soll ich euch glauben? Wann soll das gewesen sein?“ Er ließ von mir ab und lehnte sich an seinen Schreibtisch.
Das konnte eine lange Nacht werden. Wobei, es dämmerte schon, es würde ein langer Tag werden!
Kapitel 58.1
Ich überlegte kurz, ob ich eine bissige Antwort geben sollte. Es lag mir einfach auf der Zunge!
Denn eigentlich sollte er sich schon noch erinnern können, oder nicht? Aber... ihm schien sogar entfallen zu sein, dass ich ihn, wenn auch nur kurz, unterrichtet habe. Vermutlich habe ich kaum Eindruck hinterlassen, auf der anderen Seite, WIE denn auch? Trotzdem kehrte ohne meinen Willen die Wut zurück, ganz langsam dieses mal.
„Es war Ende November 1735! Ein paar Tage vor eurem 10. Geburtstag!“ sagte ich knapp und ich hörte selber die Enttäuschung in meiner Stimme!
„Und weiter?“ ungeduldig tippten seine Finger auf seinen Unterarmen herum. Entweder war er gerade taub oder er bemerkte meine Art nicht!
„Weiter? Das war es. Euer Vater übergab mir die Schenkungsurkunde und ich reiste ab!“ Was wollte er denn noch hören? Mehr würde ich nicht erzählen können, denn... mehr gab es ja nicht!
„Demnach müsstet ihr auch wesentlich älter sein! Das ist unmöglich! Also, wie lange wollt ihr noch mit meiner Geduld spielen?“ Wenn es nach mir ginge gerade, dann noch für eine ganz Weile. Vielleicht könnte ich ja seine Grenzen ausreizen, was dann geschieht, würde ich dann sehen!
Und dann brach sich mein loses Mundwerk Bahn! „Ich weiß es nicht, Master Kenway! Aber ich muss schon sagen, ihr habt ein sehr schlechtes Gedächtnis. Ihr erinnert euch nicht an mich? Traurig, aber naja, was sollte ich auch anderes erwarten.“ Ich war definitiv auf Krawall gebürstet, schoss es mir durch den Kopf. Hoffentlich ging das gut!
„Wenn ihr jetzt bitte die Güte hättet, mir mitzuteilen, warum ich gerade EUCH in Erinnerung behalten haben sollte? Ich kenne euch nicht und euer Name sagt mir auch nichts!“ Mit einem zynischen und mittlerweile immer genervteren Unterton sah er mich böse an.
Es war an der Zeit die Taktik zu ändern, so kam ich hier nicht weiter. So schien es zumindest. „Also schön... ehrlich gesagt, ich bin müde, ich bin in schlechter Verfassung und habe nicht mehr die Geduld und Lust, mich mit euch auseinander zusetzen. Aber ich habe eine Bedingung!“ Denn mir kam plötzlich der Gedanke, dass die beiden Templer das ganze Gespräch für sich behalten mussten!
„IHR stellt Bedingungen? Warum sollte ich euch ...“ Ich fuhr ihm über den Mund.
„Verdammt nochmal, ich will ja nicht, dass ihr eure Niere dafür spendet! Master Cormac, Master Haytham. Ich werde euch alles erzählen, aber nur, wenn ich euer Wort habe, dass nichts davon irgendwo oder irgendwann schriftlich auftaucht! Es bleibt hier in diesen Räumlichkeiten und niemand, auch nicht Master Lee oder sonst irgendwer darf davon erfahren! Versprecht es!“
Verständnislos sah mich Haytham an und schaute dann zu Shay hinter mir. Der, das fiel mir erst jetzt wieder auf, meine Arme immer noch festhielt. Und prompt waren meine Hände wieder befreit und Kenway nickte nur. „Ihr habt unser Wort! Und jetzt... erzählt!“
Ich holte tief Luft! „Meinen Namen wisst ihr bereits und dieser stimmt auch. Ich werde im Mai 1976 geboren. Ihr seht, ich bin eigentlich noch gar nicht da. Ausgebildet zur Assassine wurde ich ab meinem 11. Lebensjahr. Ich lebe in der Nähe von Hannover, für euch ist das noch Preußen, wenn ich mich recht erinnere. Dort haben wir unser Büro und einige Einheiten.“ Ich wartete kurz, um eine Reaktion zu bekommen, aber Haytham schaute mich völlig neutral an.
„Meine Bruderschaft hat im Jahr 2000 ein Artefakt der Vorläufer bergen können. Mit diesem ist es uns möglich gewesen, in der Zeit zur reisen. Die erste Reise trat ich an, da war ich noch alleinstehend und somit ging ich kein größeres Risiko ein.“ Ich erhob mich, denn, wenn ich jetzt alles erzählen wollte, musste ich mich bewegen, dann konnte ich besser sprechen. Aber beide Männer wollten mich davon schon abhalten. Ich winkte ab, um sie zu beruhigen! „Keine Sorge... ich tu euch nichts! Warum sollte ich auch?“
Also erzählte ich von meiner ersten Reise, wie ich Edward traf und wie ich mit ihm gesegelt bin und wie wir später ein weiteres Artefakt bergen konnten. Ich ließ jedoch die zwischenmenschlichen Details aus, die gingen die beiden nun wirklich nichts an!
Dann kam ich zu dem Punkt, an dem ich noch einmal zurück gereist bin, als Haytham gerade auf der Welt war.
„Ich wusste, das Edward wieder geheiratet hatte und einen Sohn bekommen hat. Und, ich muss gestehen, es war reine Neugierde von mir. Aber... ich musste leider überstürzt abreisen damals. Aber nicht ohne euch einmal gesehen zu haben. Und, verzeiht Master Kenway, aber ich hätte euch fast fallen gelassen.“ Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen!
Haytham zog eine Augenbraue hoch und sah mich verwirrt an... und da war dieses Lächeln, welches wieder seine Augen erreichte!
Kapitel 59.1
„Ihr habt bitte was?“ Ungläubig sah er mich mit einem leichten Grinsen an.
„Ich habe mich nur erschrocken, denn als eure Mutter mir euch in den Arm legte, hatte ich nicht damit gerechnet. Denn sie machte eher den Eindruck, als würde sie nichts und niemanden an euch heran lassen! Und dann... verzeiht, aber... es war dieser Schleier der über eure Augen lief. Euer Adlersinn war damals schon zu erkennen! Und das war ebenfalls ein Grund, der mich erschreckte.“
„Ihr wisst also davon?“ er starrte mich an.
Hinter mir hörte ich plötzlich ein Räuspern. „Master Kenway, ihr... ihr besitzt diesen Sinn ebenfalls?“ es lag völliges Erstaunen in Shays Stimme.
Ich sah von einem zum Anderen. „Verzeiht, Gentlemen, aber... ich dachte ihr wüsstet, dass ihr BEIDE diese Fähigkeit habt! Unterhaltet ihr euch denn gar nicht über solch wichtige Dinge?“ Jetzt war es an mir, Erstaunen zu zeigen.
Jetzt sahen mich die beiden an und Shay ergriff das Wort: „Wir hatten noch nicht die Gelegenheit dazu, denke ich.“
„Und vergesst nicht die versteckten Klingen! Shay, ihr seid nicht der einzige damit hier in diesem Raum!“ Ich konnte mir jetzt ein breites Grinsen einfach nicht mehr verkneifen.
Haytham sah zu Shay. „Ja, es stimmt, ich besitze ebenfalls die Klingen! Sie waren... ein Geschenk...“
„Nein, waren sie nicht und ihr wisst das auch. Also bitte!“ Ich war der Meinung, ich sollte diese Lüge gleich im Keim ersticken!
Der Großmeister funkelte mich böse an. „Natürlich war es KEIN Geschenk, ich habe sie einem Assassinen abgenommen.“ Und leider dabei das Schwert, welches dir Edward geschenkt hatte, verloren. Mir kam ein trauriges Seufzen über die Lippen und ich sah zu ihm hinüber, traute mich aber ehrlich gesagt nicht, das zu erwähnen.
„Dann hätten wir das also geklärt, oder wollt ihr noch darüber sprechen?“ fragte ich mit einem bissigen Unterton, den ich mir einfach nicht abgewöhnen konnte.
„Das wäre wohl vorerst alles. Aber bitte, Mrs. Frederickson, erzählt weiter!“ Haytham hatte sich wieder im Griff und Shay nahm auf meinem Stuhl Platz und beide sahen mich erwartungsvoll an.
„Ich erzählte danach eurem Vater von meinem Verdacht. Denn er besaß ebenfalls dieses Adlerauge. Aber in einer anderen Form. Ich gehe davon aus, dass Shays Sinn auch etwas anders ist als eurer, Haytham!“ … oh, ich hatte sie beim Vornamen genannt. Das wollte ich gar nicht. „Verzeiht, Master Kenway, Master Cormac!“ Entschuldigend sah ich die beiden an.
Man nickte mir herablassend zu. Danke auch.
Und ich holte wieder tief Luft, denn ich kam zu dem Punkt meines letzten Besuches bei Edward. Und ich musste alleine beim Gedanken daran, mit den Tränen kämpfen. Es tat einfach immer noch weh...
„Ich reiste danach noch einmal zurück. Wir hatten mittlerweile die Jackdaw gefunden und sie wieder reparieren lassen, sodass sie wieder Hochsee tauglich war.“ Mit einem Blick auf Shay fügte ich nur hinzu: „Und ja, ich weiß, Adéwalé glaubte ihr Wrack gefunden zu haben. Es war aber NUR die Galionsfigur, die anderen Wrackteile gehörten zu einem anderen Schiff!“
„Aber das ist unmöglich, er hat es doch mit eigenen Augen gesehen!“ entrüstet, dass ich jemanden als Lügner abstempelte, maulte mich Shay an. Moment mal, er hatte Adé doch schon gejagt und getötet, also was kümmerte es Shay jetzt auf einmal, WAS ich erzählte? Und ich hatte ihn nicht als Lügner bezeichnet, sondern lediglich erklärt, dass es ein Missverständnis war.
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Ich ließ mich jetzt nicht mehr beirren, sondern erzählte weiter. Wie Edward die Bedingung stellte, dass ich seinen Sohn unterrichten sollte und im Gegenzug die Jackdaw mein eigenes Schiff werden sollte! Aber ab jetzt hielt ich Augenkontakt mit Haytham, denn ich wollte wissen, ob er sich wirklich nicht an diese kurze Zeit erinnerte. Es war gut möglich, denn er hatte traumatische Dinge erlebt und wirklich böse war ich ja nicht. Eher … enttäuscht?
„Ihr habt mich zur Weißglut getrieben, Master Kenway, ihr ward so, verzeiht aber... so arrogant und selbstgefällig, dass es mich Mühe gekostet hat, euch nicht die Leviten zu lesen. Aber hätte ich das getan, hätte ich mir vermutlich ebenfalls eine Ohrfeige von Edward eingefangen.“ Ich schmunzelte in mich hinein, bei diesem Gedanken... und ich konnte regelrecht sehen, wie Haytham die Erinnerungen an seinen Vater durch den Kopf gingen und wie streng Edward teilweise mit ihm war und Trauer legte sich auf seinen Ausdruck.
„Sollte ich euch damals gekränkt haben, dann tut es mir selbstverständlich leid. Aber ich war zu dem Zeitpunkt noch recht unerfahren und... von einer Frau unterrichtet zu werden...“ Stammelte er etwa? Suchte nach einer Erklärung?
„Keine Sorge, Master Kenway... ich hatte mich genug unter Kontrolle. Aber glaubt mir, als ich euch hier wieder sah... fiel es mir stellenweise schon sehr schwer, nicht wieder diese Wut zu spüren. Denn... entschuldigt, aber zwischenzeitlich hatte ich den Eindruck, als hättet ihr nicht viel dazu gelernt!“ Es kam schärfer rüber, als ich es wollte.
Aber der Großmeister musterte mich nur. „Und wie ging es dann weiter?“
Ich ließ den Part in der Küche mit Edward in der Nacht vor meiner Abreise aus und kam zu dem Morgen, an dem wir uns auf den Weg zum Hafen gemacht haben.
„Als wir alle an Deck standen, übergab mir Edward die Schenkungsurkunde. Ich hatte ehrlich gesagt, nicht mehr daran gedacht. Und glaubt mir, der Abschied fiel mir schwer. Ich... wusste um euer Schicksal, das von Jenny und Tessa und... das von Edward...“ Mir liefen die Tränen über die Wangen, ich konnte es nicht mehr verhindern.
Shay sah ein wenig hilflos von mir zu Haytham und wieder zurück. Langsam kam er auf mich zu und reichte mir ein Taschentuch.
Was jetzt allerdings von Haytham kam, riss mir den Boden weg! „Ihr habt meinen Vater zum Sterben zurück gelassen? OHNE ihm zu helfen???“ brüllte er mich an.
Verschnieft und völlig irritiert sah ich ihn an. „Wie bitte? Ihr glaubt, ich bin einfach so gegangen? Wisst ihr eigentlich, wie schwer es für mich war? Ich wusste aus den Aufzeichnungen, WAS geschehen wird! Und glaubt mir Haytham, ich habe versucht auf Edward einzureden. Und nicht nur ich! Auch eure Schwester und Mutter haben es versucht, aber wir konnten ihn nicht überzeugen!“
„IHR HÄTTET BLEIBEN MÜSSEN UND UNS HELFEN KÖNNEN!!!“ schrie Haytham mich plötzlich an und schüttelte mich und in seinem Blick loderte eine Wut, die ich so an ihm nicht vermutet hätte. Bei Odin, aus seinem Munde hörte es sich wirklich so an, als sei ich ein herzloses Monster, welches ohne Skrupel gehandelt hätte!
Shay ging dazwischen zu meinem Glück, denn ich hatte auf einmal echte Angst vor dem Großmeister!
„Master Kenway, ich bitte euch! WAS hätte ich machen sollen? Wenn ich eingegriffen hätte, hätte das fatale Auswirkungen auf die Geschichte und die Zukunft gehabt! Ich DARF nicht in die Geschichte eingreifen! Und glaubt mir, ich hätte euch allen gerne geholfen! Ich hätte alles dafür getan. Aber es ging nicht!“ Ich versuchte jetzt eine Erklärung zu finden.
Aber zum ersten Mal fiel mir auf, dass das überhaupt nicht so einfach war.
„Ihr wolltet nur nicht, denn es kam euch gelegen! So konntet ihr die Jackdaw an euch nehmen!“ sagte Haytham mit einem so fiesen und lauernden Unterton, dass ich eine Gänsehaut bekam!
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Ich sah ihn völlig ungläubig an. Das konnte Haytham unmöglich so meinen! „Es kam mir gelegen? Glaubt ihr, ich hatte das GEPLANT? Seid ihr noch ganz richtig im Kopf? Wie paranoid muss man sein, um SOETWAS zu denken? Was fällt euch ein?“ Und ich konnte seiner Hand nicht mehr ausweichen, die mir flach ins Gesicht schlug!
Ich zuckte zurück und hielt mir die schmerzende Wange. Mir standen wieder die Tränen in den Augen! „Wie könnt ihr es wagen, Haytham? Ihr habt wirklich NICHTS dazu gelernt!“ Und in diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich ihn immer wieder beleidigte!
Er baute sich vor mir auf und sah drohend auf mich herunter, aber ich versuchte standhaft zu bleiben und NICHT zurück zu weichen! „Alexandra, ihr bringt mich gerade in eine Situation, die euch euer Leben kosten wird, wenn ihr noch einen Ton sagt!“
Zitternd sah ich in seine Augen und versuchte standhaft zu bleiben. „Das ist mir gleich, denn ich habe nichts falsches gesagt. Ich entschuldige mich natürlich für die Beleidigung. Aber … ihr könnt doch nicht ernsthaft denken, dass ich das geplant hatte? Die Jackdaw ist in meiner Zeit einfach nicht mehr zu gebrauchen. Sie ist wie ein Museumsstück. Und ihr glaubt, ich hätte euch und euren Vater dafür verraten?“
„Dann erklärt mir gefälligst, WARUM ihr nicht geholfen habt!“ schrie er mich jetzt nur noch an!
Verzweifelt startete ich noch einmal einen Versuch. „Ich konnte nicht, ich durfte nicht... Es war unmöglich! Genauso ist es mir nicht möglich, EUCH über eure Zukunft aufzuklären! Versteht mich doch bitte!“
„Warum sollte ich das? Mein Vater hätte noch leben...!“ ich fuhr ihm wieder über den Mund.
„Nein, hätte er nicht. Denn er wäre vielleicht etwas später verstorben, aber Reginald HÄTTE es weiter versucht! Versteht ihr denn nicht? Ich hätte an mehreren Stellen gleichzeitig ansetzen müssen. Aber das geht einfach nicht. Die Geschichte, DAS SCHICKSAL lässt sich nicht beeinflussen!“ Ich holte tief Luft, denn ich hatte die ganze Zeit ohne zu atmen gesprochen!
Enttäuschung legte sich auf Haythams Gesicht. Er drehte sich um und … ging hinaus! Was...? Ich sah Shay hilfesuchend an!
„Wartet hier, ich werde ihm nachgehen!“ Und so ließ auch Shay mich hier alleine!
Ich ließ mich auf den Stuhl fallen und vergrub mein Gesicht in meinen Händen! Was hatte ich nur getan? Wie blöd bin ich eigentlich? Zitternd ließ ich meinen Tränen freien Lauf, was sollte mir jetzt noch passieren. Der Supergau war bereits im vollen Gange. Ich konnte nur noch Schadensbegrenzung betreiben.
Gefühlt eine Ewigkeit später, kam Shay wieder herein... ich sah ihn an und wartete.
Dieser Ire ist einfach nicht richtig einzuschätzen, er sah mich mit einer Mischung aus Bedauern, Mitleid und Wut an. „Master Kenway wünscht euch zu sprechen, draußen auf der Mauer!“ Mit diesen Worten zog er mich hoch und hinter sich her durch die Küche in den Hof. Haytham stand auf der Mauer und sah der aufgehenden Sonne zu.
Langsam ging ich die Stufen hinauf und stellte mich neben ihn. Aber ich traute mich nicht, ein Wort zu sagen!
„Ihr habt Recht!“ Perplex sah ich ihn an.
„Womit habe ich Recht?“
„Wir hätten es nicht verhindern können, denn ich würde auch dem Orden nicht einfach so den Rücken kehren. Obwohl ich weiß, dass man mich belogen hat all die Jahre! Denn ich weiß, wo meine Wurzeln liegen, was ich bin und was ich will! Ich würde auch DAS Schicksal nennen, oder nicht?“ Fragend sah er mich an, aber ob er eine Antwort darauf erwartete oder ob es eine rein rhetorische Frage war, konnte ich nicht deuten.
Immer noch sprachlos stand ich neben ihm und schaute ebenfalls der Sonne im Meer zu, wie sie sich erhob!
Kapitel 62.1
„Wir sollten nach der Jackdaw schicken, damit ihr wieder sicher nach Hause kommt!“ damit drehte er sich um und ging in das Haus. Ich stand auf der Mauer und sah ihm weiter sprachlos nach.
Warum denn jetzt dieser Sinneswandel? Jetzt, wo er alles wusste, naja fast alles, könnte ich tatsächlich meine Nachforschungen bezüglich Shays Leben fortsetzen.
Mit diesen Gedanken ging ich hinterher. Haytham war bereits wieder in seinem Schlafzimmer. Als ich die Treppe hinauf wollte, hielt mich Shay zurück. „Es ist besser, wenn ihr Haytham jetzt nicht stört! Glaubt mir, ich weiß, wie er reagieren kann!“ meinte er in einem freundschaftlichen Ton. Selbst wenn ich ihn in Ruhe ließe, wo sollte ich schlafen? Ich musste notgedrungen da rein!
„Witzbold! Ich habe erlebt, wie er reagieren kann, meine Wange tut mir immer noch weh! Danke für die Warnung!“ sagte ich trotzig und einfach genervt.
„Nein, das meine ich nicht. Master Kenway verschließt sich und wird euch nur noch aus Höflichkeit beachten, aber nicht, weil er ehrliches Interesse an einer Erklärung oder eurer Gesellschaft hätte.“ Das kam jetzt wirklich sehr traurig rüber und auch Shays Blick war trübe.
„Und was kann ich dagegen tun? Es geht ja eigentlich bei meiner Reise hierher auch um etwas ganz anderes. Dass mir Haytham dabei schon so früh über den Weg lief, war... nunja... unbeabsichtigt!“ sagte ich in einem verzweifelten Ton.
Shay sah mich verwundert an. „Und weswegen seid ihr dann hier?“
Mir stieg die Röte in die Wangen und ich musste mich Räuspern. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihm davon erzählen sollte. Aber jetzt war es eh schon zu spät, also raus mit der Sprache, dachte ich nur noch. „Wegen EUCH, Master Cormac!“
„Was? Wegen MIR?“ Der Ire war sichtlich irritiert. „Oh, ich verstehe, ihr wollt sicherstellen, dass ich tatsächlich als Verräter gebrandmarkt werde in eurer Zeit, oder?“
„Was?... Master Cormac, nein, das ganz sicher nicht. Denn seht, ihr taucht nirgends schriftlich auf. Bis auf kleinere Einträge in … Tagebüchern. Aber sicher nicht in denen von Haytham!...“ zu mehr kam ich mal wieder nicht.
„Vielleicht sollten wir Master Kenway doch noch einmal aufsuchen! Dann erklärt euren Hauptgrund eurer Anwesenheit bitte auch vor ihm!“ Mit diesen Worten zog er mich nach oben. Vor Haythams Schlafzimmertür hielt er kurz inne und zögerte.
„Master Cormac, sollten wir nicht vielleicht doch warten? Bis sich Hayth... Master Kenway ein wenig beruhigt hat?“ fragte ich zögernd. Denn ich befürchtete, es wäre tatsächlich keine gute Idee, jetzt noch das Gespräch fortzusetzen. Wir waren alle übermüdet. Das Personal war schon wieder auf den Beinen und auch mein Sohn war unten in der Küche zu hören!
„Nein...“ entschlossen klopfte er an! Und es kam ein sehr genervtes „Hereiiiiin!“ zurück.
Haytham stand am offenen Fenster und lehnte an der Wand und starrte hinaus.
„Master Kenway, ihr solltet euch vielleicht anhören, was Mrs. Frederickson noch zu sagen hat.“ Der Ire legte einen freundschaftlichen und versöhnlichen Ton an.
„Ich wüsste nicht, was das bringen sollte!“ erwiderte der Großmeister mit einem Seufzen.
Ich konnte mir nicht helfen, ich ging zu ihm hinüber und drehte ihn in meine Richtung.
„Haytham, verzeiht, Master Kenway, es... ich oder besser wir sind in diese Zeit gereist, weil es einige Unklarheiten bezüglich des …“ Ich sah zu Shay hinüber „... Lebens von Master Cormac gibt. Ich wollte Licht ins Dunkel bringen und die Lücken versuchen zu füllen. Mehr war es nicht und ja, es klingt, als würde ich euch und den Orden ausspionieren wollen.“ Wo wir wieder beim Thema wären, dachte ich! „Aber so ist es nicht.“ Verzweifelt und hilfesuchend sah ich zu Shay. Dieser war aber auch alles andere als begeistert von dieser Aussage!
Kapitel 63.1
„Ausspionieren, das trifft es eigentlich ganz gut. Findet ihr nicht, Mrs. Frederickson?“ Ich rollte mit den Augen. Wie sollte ich erklären, dass es eigentlich um Belanglosigkeiten ging? Ich wollte keine tieferen Geheimnisse oder Rätsel ergründen. Das war bereits alles erledigt. Meine Anwesenheit galt einzig und allein der Neugierde!
Und das sagte ich jetzt auch einfach. Mehr als sauer sein, konnten die beiden schlecht!
Shay war mal wieder an der Reihe „Erklärt mir bitte, warum mein Leben so interessant sein soll?“ Ich musste grinsen.
„Darum geht es nicht wirklich, Master Cormac! Es geht um die Zeiten, in denen Ereignisse fehlen, so als würdet ihr einen Filmriss haben.“ Ha, und jetzt erklär den beiden Templern einen Filmriss!!
Beide sahen mich verwundert an. „Was ist ein Filmriss?“ meldete sich Cormac als erster.
Ich musste kurz nach einer Erklärung kramen. „Das ist... als hättet ihr eine Nacht zu viel getrunken und wüsstet nicht mehr, was passiert ist, wie ihr nach Hause gekommen seid, oder wie ihr zum Beispiel in ein fremdes Bett gelangen konntet. So etwas nennen wir in meiner Zeit einen Filmriss! Und ein Film ist... ihr kennt die Laterna Magicka?“ fragte ich die beiden Templer und bekam ein einstimmiges Nicken zurück. „Jetzt stellt euch vor, die Bilder an der Wand würden sich bewegen. Das ist dann... nunja, ein Film. Bewegte Bilder halt!“ Ich bezweifelte, dass die beiden damit jetzt groß etwas anfangen konnten, aber etwas besseres als Erklärung fiel mir nicht ein.
„Aber wenn es nur um einen Abend geht, hättet ihr mich doch einfach fragen können, oder? Musstet ihr deswegen extra eine Anstellung in meinem Haushalt suchen?“ Etwas ungläubig sah mich Master Cormac jetzt an. Eine berechtigte Frage.
„Da habt ihr nicht ganz unrecht, aber jetzt denkt mal darüber nach. Ich komme hier an und klopfe an eurer Tür und stelle Fragen! Hättet ihr mir diese wirklich beantwortet? Ich glaube kaum. Zumal ich eigentlich auch nicht auffallen wollte.“ sagte ich etwas resigniert.
„Dann hättet ihr nicht mit der Brigg meines Vaters hier auftauchen sollen!“ meldete sich wieder Haytham bissig zu Wort.
„Ja, das ist mir jetzt auch bewusst. Aber ich wollte sie einfach auch mal wieder auf dem Meer sehen. Sie ist nun mal einfach wunderschön und sieht mit vollen Segeln umwerfend aus!“ Bei Odin, ich klang wie Edward und vermutlich auch wie Shay, wenn er über seine Morrigan sprach. Denn mit einem Blick auf Cormac konnte ich diesen versonnen Ausdruck in seinen Augen sehen.
„Und der ganze Aufwand nur um ein paar Kleinigkeiten herauszufinden?“ Der Großmeister sah mich immer noch mit völligem Desinteresse an. Shay hatte nicht unrecht, das war seine Art, einen Menschen zu bestrafen. Und... es war unangenehm, es … tat weh, stellte ich erschrocken fest.
„Ein paar Kleinigkeiten, ja... das wäre es gewesen!“ Und in diesem Moment fiel mir auch wieder das Amulett ein, welches Haytham bei sich trug.
„Wir haben in meiner Zeit alles andere bereits entschlüsselt und konnten mit der Forschung abschließen. Ich bin nur noch hier, weil es unter anderem auch meine persönliche Suche ist. Ich habe weder einen konkreten Auftrag, noch soll ich hier jemanden eliminieren. Glaubt mir Master Kenway, ich bin aus völlig harmlosen Ambitionen hier.“
Die beiden sahen mich fragend an und dann erzählte ich einfach von dem ominösen Datum, dem 21.12.2012, und dem Tod von Desmond. Und dass man das Ganze auch anders hätte lösen können, aber eben diese Art zu Reisen, etwas anderes ist. Denn persönlich in den Epochen zu sein und nicht nur eine Simulation zu nutzen, ist eine andere Erfahrung und erlaubt eben auch keine zeitlichen großen Sprünge. Denn diese müssten wieder vorbereitet werden. Was eine Simulation ist, war nicht so einfach zu erklären, aber ich hoffte, die beiden würden es einigermaßen verstehen.
Es ist wie... ausbrechen aus der eigenen Zeit, aber eben nicht real, so wie die Reise die ich jetzt angetreten hatte zum Beispiel. Die Simulation ist wie ein Traum den man aktiv erlebt!
Kapitel 64.1
„Ich bin aus freien Stücken hier. Es gibt nichts, was euch misstrauisch werden lassen sollte. Dass die Jackdaw natürlich die Aufmerksamkeit erregt, hätte mir bewusst sein sollen. Aber ich habe nicht darüber nachgedacht!“ gab ich kleinlaut zu.
„Ihr empfandet also den Unterricht mit mir als Bestrafung?“ hakte Haytham plötzlich nach und sah mich kalt an.
Über diesen plötzlichen Themenwechsel verwundert, musste ich erstmal umschalten. „Haytham, es fühlte sich so an, ja! Denn ihr habt mir gegenüber keinerlei Respekt gezeigt. Im Gegenteil, ihr habt mich spüren lassen, dass ihr ja ach so privilegiert seid und ich euch nicht ansatzweise das Wasser reichen könne.“
„Habe ich das?“ Noch so ein kurzer Satz und ich springe ihm an den Hals!
„Verdammt noch mal, JA! Aber ich habe versucht euch etwas beizubringen.“ Vielleicht half ihm unsere Begegnung mit dem Mann im Park auf die Sprünge! „Wir gerieten in eine Situation, wo ich mit euch draußen war, in welcher ihr euren Sinn testen solltet. Erinnert ihr euch nicht? Der Moment in dem kleinen Park vor dem Anwesen am Queen Anne´s Square. Ihr habt diese rote Aura ebenfalls bei diesem Mann erkannt!“ Ich hoffte, Haytham würde sich erinnern.
„Das war real? Ich … dachte immer, ich hätte mir das alles nur eingebildet, als wäre es meiner Fantasie entsprungen! Ich kann mich wirklich nicht richtig daran erinnern.“ Auf seinem Gesicht spiegelten sich Unglaube und Misstrauen wider.
Erstaunt sah ich den Großmeister an und schüttelte traurig den Kopf. „Master Kenway, es tut mir leid, aber es war wirklich real. Ich habe versucht, euch damit vertraut zu machen. Aber... ich habe es leider nicht so ernst genommen. Da ich schon wusste, dass ihr dem Orden beitretet, habe ich das Ganze leider auch nur halbherzig durchgeführt.“
„Wie bitte? Wollt ihr mir jetzt etwa auch noch sagen, ich wäre es nicht wert gewesen...?“ fauchte er aufbrausend.
„Nein, das meinte ich so nicht. Aber... Der Adlerblick wird eigentlich nur bei Assassinen weitergegeben. Und... Ich wollte einfach nicht, dass ihr mehr wisst und könnt, als unbedingt nötig. Verdammt noch mal, ihr seid Templer. Was wollt ihr denn hören? Es ist schon schlimm genug, dass Reginald euch jahrelang im Unklaren gelassen hat. Er hätte euch weit mehr erklären und beibringen können, aber er tat es nicht!“ gab ich verzweifelt zu bedenken.
„Ich glaube, das führt zu nichts mehr!“ Mit diesen Worten ging Haytham an mir vorbei Richtung Bett.
Shay wünschte kurzer Hand eine gute Nacht und ließ mich stehen. Toll. Und jetzt? Aber... ich hatte nicht mit dem Großmeister gerechnet! „Mrs. Frederickson, ich warte! Es gelten immer noch die alten Regeln und Anweisungen!“ Seine Stimme war so dermaßen genervt und gleichzeitig gelangweilt, dass es mir wieder Angst machte.
Mir bot sich ein ähnliches Bild wie vorhin bereits. Aber dieses mal nicht alkoholisiert sondern einfach übermüdet und entnervt und … enttäuscht?
Und um ehrlich zu sein, ich wäre auch am liebsten auf den Boden gefallen und wäre einfach auf der Stelle eingeschlafen. Die Müdigkeit war jetzt nicht mehr zu leugnen.
Haytham saß auf dem Bett und winkte mich zu sich.
„Helft mir aus den Sachen, ich kann keinen Finger mehr rühren!“ meinte er ziemlich pampig und völlig übermüdet.
Das war unmöglich sein Ernst! Er brauchte nur aus den Schuhen raus und... ach was solls. Ich konnte und wollte mich jetzt nicht mehr streiten!
Die einzige Frage die mir durch den Kopf ging war: Wo standen wir? WAS erwartete Haytham? Ich konnte seinen Ausdruck nicht deuten! Also würde ich einfach abwarten müssen! Kein angenehmer Gedanke, mit dem man ins Bett geht!
Kapitel 65.1
Und so half ich dem Großmeister, die Schuhe und Strümpfe auszuziehen und das Bett aufzuschlagen und die Kissen zu richten.
Haytham ließ sich mit einem tiefen Seufzer fallen, deckte sich zu und schloss die Augen. Ich blieb vor dem Bett stehen, ohne recht zu wissen, was ich noch tun sollte. Was mich dann geritten hat, kann ich nicht sagen. Denn ich gab ihm einen Kuss auf die Stirn mit den Worten „Es tut mir alles furchtbar leid für euch und das meine ich auch so! Ich würde gerne so einiges ungeschehen machen!“ und mir liefen die Tränen über die Wangen.
Dann ging ich hinüber und verkroch mich in meinem Bett und versuchte in den Schlaf zu finden. Aber es ging irgendwie nicht. Es war schon viel zu hell, der Tag war bereits in vollem Gange und … ich hatte Heimweh! Mir liefen die Augen über und ich weinte mich in den Schlaf.
Irgendwann wurde ich wach, weil ich dieses unangenehme Gefühl des Beobachtet-werdens hatte. Als ich aufsah, stand tatsächlich Haytham neben meinem Bett und schaute auf mich herunter. Erschrocken fuhr ich hoch. Wie lange stand er denn schon da? „Verzeiht, habe ich etwas vergessen? Braucht ihr etwas?“ kam es schon wie automatisiert aus meinem Mund.
„Nein, das habt ihr nicht. Im Gegenteil...“ er reichte mir seine Hand, ich ergriff sie und er zog mich hoch. So stand ich in meinem Nachthemd vor ihm und mir stieg das Blut in die Wangen, auch wenn ich nicht unbedingt der schüchterne Typ bin. Aber Respekt hatte ich durchaus vor ihm.
Haytham schlang seine Arme um meine Taille und sah auf mich hinunter. Etwas unbeholfen legte ich meine Hände auf seine Brust und lehnte meine Stirn daran. Ich konnte gerade diesem Augenkontakt nicht standhalten. Er zog mich fester an sich und hielt mich einfach nur. So standen wir eine gefühlte Ewigkeit da und es fühlte sich richtig an, es war Sicherheit, Geborgenheit und Trost. Nicht nur für mich, denn ich konnte spüren, dass auch Haytham sich ebenfalls entspannte.
Dieser Moment hätte ewig dauern können und ich löste mich nur widerwillig von ihm, aber wir wurden durch forsches Klopfen aus unseren Gedanken gerissen. Der Großmeister gab mir einen vorsichtigen Kuss auf die Stirn und wandte sich in Richtung Schlafzimmer. Ich erwischte mich dabei, wie ich ihm lächelnd hinterher sah und wurde wieder rot.
Es war Shay, der auf sich aufmerksam gemacht hatte. „Guten morgen, oder wohl besser Mittag, Master Kenway. Ich wollte mich nur verabschieden!“ Er grinste als er mich im Nachthemd in der Tür stehen sah. Schnell huschte ich hinter die Tür und ich hoffte, dass er keinen falschen Eindruck bekam.
„Ich wünsche ebenfalls guten Mittag, Shay. Ihr wollt schon aufbrechen? Ich hoffe, Mrs. Wallace hat euch ein ordentliches Frühstück zukommen lassen!“ Haytham war wie ausgewechselt, völlig gelöst. Es war mir ein wenig unheimlich und ein Rätsel, wenn ich ehrlich bin.
„Ja, danke. Das hat sie. Sollte meine Köchin irgendwann einmal krank werden, werde ich mir Mrs. Wallace schnappen! Ich sollte meiner Frau gleich davon berichten und ich hoffe, sie verzeiht mir die Abwesenheit von letzter Nacht!“ lachte Shay und reichte Haytham die Hand und ging.
Der Großmeister schloss leise die Tür und sah zu mir herüber. „Was machen wir mit dem angebrochenen Tag?“ Ich sah ihn erstaunt an.
„Ich, ähm... ich weiß es nicht, Master Kenway. Ich denke, ich werde in der Küche gebraucht und...“ stammelte ich vor mich hin.
„Nein, das denke ich nicht.“ Unterbrach er meine Stotterei und setzte eine entschlossene Miene auf mit einem Lächeln! „Zieht euch etwas an und ich werde euch New York ein wenig zeigen! Ein bisschen Ablenkung, täte uns beiden gut. Was meint ihr?“
Mir klappte nur der Mund auf. „Das... also... ja... ich...“ Herr Gott nochmal... Ich schloss einfach die Tür, bevor ich mich in Grund und Boden stotterte.
Kapitel 66.1
Also stand ich vor meiner Kiste und überlegte, was ich anziehen sollte. Ein etwas einfaches Kleid hatte ich noch, denn das ganz Gute wollte ich dann doch noch nicht anziehen.
Raus aus dem Nachthemd und ich musste mich leider mit kaltem Wasser waschen. Ich hatte ja keinen neuen Krug besorgt. Mist. Nicht unbedingt ein Vergnügen, aber es brachte meine sehr merkwürdigen Gedanken zum abkühlen. Ich schlüpfte danach in meine Sachen und ordnete noch meine Haare. Ein Blick in den kleinen Spiegel sagte mir, dass ich so gehen könne.
Was mir aber keine Ruhe ließ, war die Art wie Haytham plötzlich agierte. Das machte mir Angst, er war wie ausgewechselt und fast nicht wieder zuerkennen. Also würde ich vorsichtig mit meinen Worten umgehen müssen, nicht, dass ich etwas falsch machte oder gar kaputt machte.
Plötzlich klopfte es und ich schrak zusammen, ich war so mit meinen Gedanken beschäftigt gewesen, dass ich wohl eine ganze Weile nur vor mich hin gestarrt hatte. „Mrs. Frederickson, ist alles In Ordnung?“ fragte Haytham vorsichtig.
„Oh, ja natürlich. Es ist alles in Ordnung, ich … war nur abgelenkt.“ Ich ging zur Tür und öffnete. Denn mir fiel ein, dass ja auch der Großmeister etwas zum Anziehen brauchte und ich blockierte hier das Ankleidezimmer. Ich lächelte zu ihm auf „Verzeiht dass ihr warten musstet. Wenn ich euch behilflich sein kann...“ Er war rasiert und ich konnte die Seife an ihm riechen, als er dicht an mir vorbei ging. Ich seufzte etwas zu laut und unsere Blicke trafen sich in dem Spiegel über der Kommode und er grinste wissend, während ich mit hochrotem Kopf hinaus ging.
Es dauerte nicht lange und Haytham erschien wieder im Schlafzimmer und … sah umwerfend aus. Wie sagt man immer? Der könnte auch einen Kartoffelsack tragen und sähe immer noch toll aus! Aber er schien ein Fable für blau zuhaben. Dunkelblaue Hosen, weißes tadelloses Hemd und blaue Weste. Der dazugehörige Gehrock hing schon am Kleiderschrank. Doch zuerst waren noch die Strümpfe und Schuhe dran.
„Mrs. Frederickson?“ riss es mich aus meinen Gedanken mal wieder. „Wärt ihr so freundlich, mir zu helfen? Ich bekomme meine Haare nicht ordentlich gebunden!“
„Ähm... ja natürlich, Master Kenway.“ Ich nahm die Bürste von der Kommode, aber ich konnte ihm so nicht helfen. Dafür war ich zu klein. „Könntet ihr euch bitte setzen? Ihr seid zu groß!“
„Natürlich.“ er ließ sich auf den Stuhl sinken und so konnte ich ihm den Zopf vernünftig binden. Es war eine beruhigende Art und seine Haare fühlten sich einfach gut an. Ich hätte stundenlang... Nein, lass das, denk nicht einmal daran... konzentriere dich auf das Wesentliche!
Aber er hatte meinen verträumten Blick wohl schon bemerkt und stand auf, als ich fertig war. „Mrs. Frederickson?“ Er sah zu mir herunter und legte seine Hand wieder unter mein Kinn. Ich zuckte zurück, es hielt mich immer noch etwas von ihm fern. Mein Bauch und mein Herz wären ihm am liebsten auf den Arm gesprungen, aber mein Kopf baute eine Barriere auf. Warum auch immer.
Er ging einen Schritt zurück und sagte lächelnd „Wir sollten dann aufbrechen!“
So gingen wir gemeinsam nach unten und aus der Küche kam mir Yannick mit einem Brot in der Hand und kauend entgegen. Entgeistert sah er von mir zu Haytham. „Was ist denn hier los? Was wird das, wenn ich fragen darf? Habe ich etwas verpasst?“ Seine flapsige Art hatte er noch nicht im Griff, dass musste ich dringend ändern.
„Nein, du hast nichts verpasst! Aber ich ...“ und da fiel mir ausgerechnet Haytham ins Wort.
„Junger Mann, ihr solltet euren Ton eurer Mutter gegenüber lieber zügeln!“ belehrte er meinen Sohn im tadelnden Unterton und der Überzeugung, dass er damit etwas erreichen konnte. Was er nicht bedacht hatte, war, dass er damit einen Teenager ziemlich wütend machen konnte.
Kapitel 67.1
Oh nein, sag das nie einem Teenager! Nie! Ich sah, wie mein Sohn innerlich anfing zu kochen! Aber... er sah zu mir und ich nickte nur leicht und er rollte mit den Augen! „Entschuldige, MUTTER! Aber... eine solch traute Zweisamkeit und das so plötzlich? Woher der Sinneswandel?“
Yannick hatte ja nicht ganz unrecht. Nur wusste er ja auch nichts von den ganzen Vorkommnissen und meinen eigenen Gefühlen und überhaupt, war er eben auch noch zu unerfahren. Wie sollte ich ihm die ganzen Zusammenhänge in kurzer Zeit erklären? Meine Entscheidung wurde mir abgenommen, denn einer der hiesigen Diener zitierte meinen Sohn hinaus, um am Haus weiter zuarbeiten.
Mit einem säuerlichen und genervten Blick, verabschiedete Yannick sich noch von mir und Haytham, jedoch mit einer gewissen Eifersucht in der Stimme!
„Er muss noch einiges lernen.“ meinte der Großmeister nur.
„Ja, das muss er. Aber das wird er auch, ich muss nur Zeit haben mit ihm alleine. Dann werde ich ihm das schon erklären, wie er sich zu benehmen hat.“
Haytham prustete und sah mich erstaunt an. „Ihr habt ein ebensolches loses Mundwerk. So werdet ihr ihm wohl kaum etwas beibringen, oder? Vielleicht sollte ich heute einige Lektionen an euch probieren, damit ihr diese an euren Sohn weitergeben könnt?“
Mit gespieltem Schmollen gab ich nur „Master Kenway, um die Schulbank zu drücken bin ich zu alt!“ zurück. Zum gefühlten tausendsten Male... WAS MACHTE ICH HIER?
„Wir werden sehen!“ Mit diesen Worten nahm er meinen Arm und brachte mich ins Esszimmer. Das Frühstück war, wenn auch sehr verspätet, bereits fertig und ich war dankbar für meinen Kaffee. Nach dieser Stärkung machten wir uns auf den Weg.
Es war ein sonniger Tag, erstaunlich für diese Jahreszeit, denn eigentlich hatte ich mit Regen, Nebel und ähnlichem gerechnet.
Wir gingen zu Fuß, was ich befürwortete, denn es tat gut, um den Kopf frei zu bekommen. Haytham führte mich links am Fort entlang in Richtung Norden und zum Hafen, in dem meine Jackdaw hoffentlich bald wieder anlegen würde. Ab und zu warf ich einen verstohlenen Blick auf ihn, denn wir redeten nicht miteinander, sondern hingen unseren Gedanken nach. Aber an seiner Haltung oder seinem Gesichtsausdruck konnte ich nicht festmachen, was er denn vorhatte oder warum er plötzlich so ruhig war.
Jetzt, wo ich in männlicher Begleitung war, übten sich die patrouillierenden Soldaten in Zurückhaltung. Wie einfach es doch ist, unbehelligt von A nach B zu kommen.
Zwischendurch bekam ich tödliche Blicke von einigen Damen zugeworfen, denen meine Anwesenheit neben Haytham nicht passte. Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, er hatte also tatsächlich ein Händchen für Frauen, genau wie Shay!
Angekommen im Hafengebiet von Lower Manhattan gingen wir über einen langen Steg bis zu dessen Ende. Der Großmeister stand neben mir mit auf dem Rücken verschränkten Händen und sah einfach auf das offene Meer hinaus. Es mag sich seltsam anhören, aber ich mochte ihn nicht in seinen Gedanken stören. Also tat ich es ihm gleich und dann sah ich sie!
Unter vollen Segeln erschien sie in der tief stehenden nachmittäglichen Sonne, meine Jackdaw! Fragend sah ich zu Haytham: „Master Kenway! Sind wir deswegen hier? Habt ihr nach ihr schicken lassen?“ In meiner Stimme schwang meine Enttäuschung mit, denn ich hatte auf einmal das Gefühl, er wolle mich jetzt einfach nur noch schnell loswerden! Eigentlich war ich überglücklich sie wieder zu sehen, trotzdem kam dieses Gefühl mit an die Oberfläche!
„Ihr klingt enttäuscht? Ich ging davon aus, ihr würdet gerne wieder nach Hause? Oder habe ich mich geirrt?“ Sein Ton war irgendwie eigenartig, ich konnte ihn beim besten Willen nicht deuten. Ganz zu schweigen von dem Ausdruck im Gesicht. Ich verstand gar nichts mehr.
Nein, er hatte sich nicht geirrt. Aber... ich wollte doch nicht so Hals-über-Kopf aufbrechen! Es hatte sich doch alles gerade erst ein wenig entspannt und... Das ging jetzt nicht!
Kapitel 68.1
Enttäuscht gab ich nur zurück: „Nein, ihr habt euch nicht geirrt, Master Kenway. Wenn ihr wünscht, dass ich unverzüglich aufbreche, hättet ihr das auch einfach sagen können. Dann werde ich jetzt nach der restlichen Mannschaft suchen und diese informieren...“ er fuhr mir über den Mund!
„So hatte ich das nicht gemeint! Herr Gott, ihr wollt auch gerne die Dinge falsch verstehen!“ ein wenig genervt nahm er meine Hände und atmete tief ein. „Ich habe nach der Brig schicken lassen, ja. Aber nur, damit sie wieder sicher hier bei euch ist, da ich bemerkt habe, dass ihr sie vermisst. Ich bin kein Unmensch, dass solltet ihr mittlerweile gelernt haben, oder?“
Er war kein Unmensch, zumindest nicht, wenn es um mich ging. Im Bezug auf seine Arbeit als Templer würde ich nicht die Hand für ihn ins Feuer legen! „Wann habt ihr denn ein Schiff losgeschickt und vor allem, woher wusstet ihr, WOHIN die Jackdaw gesegelt ist. Das war eigentlich nur der Besatzung und dem Hafenmeister...“ Ein Grinsen erschien um Haythams Lippen. Dennoch hatte ich keine Ahnung WANN er das gemacht haben sollte, denn ich war doch die ganze Zeit über in seiner Nähe.
„Ich habe einen regen Nachrichtenaustausch hier in der Stadt und wie ihr wisst, habe ich, als ich noch bettlägrig war, einem Boten einen Brief übergeben!“ Also erst die Nachricht, wohin ich mein Schiff geschickt habe und dann hat er umgehend die Benachrichtigung in Umlauf gebracht! Mein Respekt hatte mir verboten, in seine Korrespondenz zu schauen, hätte ich es man doch gemacht. Oder nein! Es ist gut, dass ich mir diesbezüglich nichts habe zu Schulden kommen lassen.
„Ah, darum ging es in diesem Schreiben. Entschuldigt, aber das konnte ich nicht wissen. Ihr hättet mich aber in eure Pläne einweihen können.“
„Und euer erstauntes und freudiges Gesicht verpassen? Auf gar keinen Fall! Nein, ich wollte es so!“
Meine Brig wurde jetzt mit dem Hintern zuerst an die Anlegestelle gehievt und ich wäre am liebsten gleich an Bord gesprungen. Hinter mir hörte ich ein Räuspern und als ich mich umdrehte standen die 6 Mann Besatzung, die hier in New York geblieben waren, hinter mir. Mit einem seligen Blick und großer Erleichterung, dass es jetzt nach Hause gehen würde, nahm ich jeden Einzelnen in den Arm.
Ein leichtes Poltern, als die Jackdaw leicht an die Kaimauer schlug, riss mich aus meinen Gedanken und voller Ungeduld stand ich da und wartete darauf, endlich wieder an Bord gehen zu können.
Haytham half mir, da ich mit diesen Röcken mal wieder etwas unbeholfen war. An Deck kam Rafael auf mich zu gestürmt und riss mich in die Höhe und drückte mir einen dicken Kuss auf! Völlig überrumpelt musste ich einfach nur lachen, naja, ein bisschen, denn er umklammerte mich regelrecht. Als er aber den Blick des Großmeisters sah, ließ er mich wieder langsam auf meine Füße sinken und räusperte sich.
Ich stellte die beiden Herren vor und es war Höflichkeit pur. Rafaels Blick hätte vermutlich jeden anderen Mann umfallen lassen, aber eben nicht Master Kenway. Die beiden tauschten, wie gesagt, die üblichen Floskeln aus und mein Erster Maat bat mich dann um ein Gespräch unter vier Augen.
Eine Entschuldigung Richtung Haytham murmelnd, ging ich mit Rafael ein Stück außer Hörweite.
„Alex, wir haben ein kleines Problem oder großes. Je nachdem, was noch passiert! Ich meine, ich bin ehrlich gesagt froh, dass wir wieder hierher konnten. Aber... wir haben ein wenig Mist gebaut, als wir so tagelang nur so vor Anker lagen und nichts zu tun hatten! Du weißt ja, Männer halt. Da kommt man schon mal auf dumme Idee. Und unsere war, zuzugeben sehr sehr dumm!“ Er trat von einem Bein, auf das andere!
„Jetzt red schon, soviel Blödsinn könnt ihr gar nicht veranstaltet haben!“
„Ähhh... ich befürchte doch. Wir haben aus Versehen auf die Garfaut geschossen!“
Kapitel 69.1
Mir klappte einfach nur der Mund auf, mir fiel nichts ein, was ich DAZU hätte sagen können. Konnte es nicht ein anderes Schiff sein? Musste es aber ausgerechnet die GERFAUT sein. Es war das Schiff eines Assassinen namens Louis-Joseph Gaultier, Chevalier de la Verendrye. Nicht sehr beliebt und ein eher unfreundlicher Mensch.
„Wir haben halt mal die Breitseitenkanonen testen wollen. Es war schon Nacht und kein Schiff in Sicht, also, keines anscheinend, welches wir gesehen haben. Es war halt auch nebelig und so.“ Er wurde knallrot und sah sich hilfesuchend nach dem Rest der Crew um. Die hatte sich wohl wissend verdrückt und tat so, als würde sie wichtige Aufgaben erledigen. Na wartet....
„Als die Steuerbord-Kanonen geladen waren, gab ich ohne Zögern oder noch einmal nachsehen, den Befehl zu feuern! Und da tauchte wie aus dem Nichts in diesem Nebel dieses riesige Schiff auf. Für einen Abbruch war es zu spät und ich konnte nur noch zusehen, wie zwei oder drei Kugeln den Rumpf voll trafen. Die anderen Kanonen waren zu tief ausgerichtet und schlugen in kurzem Abstand von der Jackdaw ins Wasser!“ Jetzt sah Rafael mich entschuldigend an, fast schon bettelnd, dass ich nicht sauer bin.
„Was glaubst du denn, was jetzt passiert? Hat dieser Gaultier sich gleich mit euch unterhalten und euch den Kopf gewaschen? Verdient hättet ihr es ja!“ fragte ich den ersten Maat ungeduldig!
„Naja, nachdem wir in windes Eile die Segel gesetzt hatten, konnte ich noch hören wie er brüllte, das würde ein Nachspiel haben und er würde uns finden! Er hat auf jeden Fall nicht zurückgeschossen. Was vermutlich Glück für uns war... Alex, es tut mir leid. Wir sollten wohl dann doch schneller zurück, als geplant! Denn ich glaube nicht, dass mit diesem Typen zu spaßen ist.“
Ich erinnerte mich an Informationen über Louis-Joseph Gaultier, Chevalier de la Vérendrye (dieser Name ist wie in mein Gehirn tätowiert, ich werde ihn NIE vergessen!). Und die Berichte waren allesamt nicht gerade schmeichelhaft für ihn. Das konnte ja lustig werden, sollten wir noch hier sein und ER taucht auf!
„Wir werden bald aufbrechen, aber... ich habe noch etwas zu klären und ihr geht jetzt erstmal auf Landgang und … naja, stellt euch vor, es wäre Urlaub!“ Ich versuchte ein Lächeln zustande zu bringen, aber so richtig klappte es nicht. Rafael rief den anderen entsprechend den Befehl zu und nach und nach gingen alle von Bord. Bis auf die üblichen Wachen.
Haytham trat jetzt wieder näher und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Ich kam nicht umhin, mit anzuhören, in welchem Schlamassel eure Crew jetzt steckt. Kann ich euch helfen? Wir sollten vielleicht Master Cormac diesbezüglich informieren, denn er kennt den Chevalier ja noch von seiner früheren... Zugehörigkeit!“ Stimmt, daran hatte ich nicht gedacht. Er müsste ihn noch kennen. Aber ob das helfen könnte, wagte ich zu bezweifeln. Gaultier wäre nicht begeistert mich inmitten von Templern zu sehen und dazu noch ein weiblicher Kapitän … aber Fragen könnte man den Iren ja mal.
Um Ablenkung bemüht kam mir der Gedanke, Haytham den Beweis zu liefern, dass ich bezüglich der Jackdaw nicht gelogen hatte.
„Master Kenway, ich würde euch jetzt gerne die Urkunde zeigen, damit ihr wirklich beruhigt sein könnt, dass ich die Wahrheit sagte!“ Ich nahm einfach seine Hand und zog ihn hinter mir her zu meiner Kajüte.
Ich schob ihn auf einen der Stühle vor meinem Schreibtisch zu und bat ihn Platz zu nehmen. Danach öffnete ich die gesicherte Schublade, in der die ganzen Papiere Wasserdicht verstaut waren.
Mit der ledernen Mappe, auf welcher das Assassinen-Symbol prangte, kam ich wieder auf Haytham zu und reichte ihm die Unterlagen.
Sein Gesicht nahm eine unergründliche Mimik an. Kein Zeichen, ob er die Schrift seines Vaters wieder erkannte oder … was erwartete ich denn überhaupt? Dass er hier in totaler Trauer in Tränen vor mir ausbrach? Dass er mir vor Freude um den Hals fällt?
Sein Blick glitt von der Schenkungsurkunde zu mir hoch. Und … er musterte mich! Was zum Kuckuck sollte das denn jetzt?
„Master Kenway, lasst das! Ist etwas nicht in Ordnung mit den Papieren?“ Etwas genervt lehnte ich mich mit dem Rücken an meinen Arbeitsplatz.
„Hmmm... etwas ist seltsam!“
Kapitel 70.1
„Was?“ mehr Worte fand ich gerade nicht. WAS stimmte denn nicht?
Haytham erhob sich und reichte mir die Mappe. „Schaut selber, fällt euch nichts auf?“ fragte er mit einem scharfen Unterton!
Ich sah mir das Ganze noch einmal an und fand jetzt nichts ungewöhnliches daran. „Nein, mir fällt nichts auf. Jetzt sprecht schon. WAS ist denn nicht Ordnung damit? Erleuchtet mich!“
„DAS DATUM!“ mehr sagte er nicht. Aber dieser laute und sehr unwirsche Tonfall ließ mich zurück schrecken.
„Was ist denn damit....“ Ich sah mir das Schriftstück noch einmal an. Edward hatte mit dem Datum 4. Dezember 1735 unterzeichnet. Was war denn... OH! „Ihr meint, ich belüge euch immer noch? Weil euer Vater ein späteres Datum als die eigentliche Übergabe hinterlassen hat?“
„Genau deswegen! Er konnte schlecht an dem Tag diese Urkunde ausgestellt haben! Und jetzt sagt mir, was ihr hier spielt!“ Seine Hand griff nach meinem Oberarm und drückte zu.
Das war jetzt nicht sein Ernst. Hatte Haytham mir wirklich nicht zugehört? „Master Kenway, ihr tut mir weh! Lasst mich los! Ich kann das erklären, denn ihr habt mir gestern Nacht anscheinend nicht richtig zugehört.“ Also erzählte ich ihm noch einmal von meiner verfrühten Abreise und von meiner Vermutung, dass Edward die Papiere schon fertig gehabt haben muss.
„Ich gehe einfach davon aus, dass Edward an eurem zehnten Geburtstag das Ganze etwas feierlicher gestalten wollte. Aber dazu kam es ja leider nicht mehr. Die Urkunde muss er schon vorher fertig gestellt haben. Glaubt mir, ich belüge euch nicht! Das ist die Wahrheit VERDAMMT!“ Ich zerrte an meinem Arm, aber er musterte mich weiter und hielt mich unerbittlich fest.
Plötzlich ließ er resigniert meine Arm los und stand einfach nur da und sah auf mich herab. „Ich... ich muss mich entschuldigen. Aber...“ Ich ließ ihn nicht ausreden, denn jetzt war es an mir, ihm das Wort abzuschneiden!
„Ihr setzt allen Ernstes ein ABER dahinter? Ihr habt mich die ganze Zeit analysiert, mich beobachtet und müsstet eigentlich wissen, dass ich die Wahrheit sage! Und jetzt bekomme ich eine Entschuldigung mit einem ABER dahinter?“ Kopfschüttelnd sah ich zu ihm auf.
„Aber ich bin im Laufe der ganzen Jahre und meines bisherigen Lebens ein vorsichtiger Mensch geworden und Vertrauen fällt mir schwer! DAS war das ABER!“ Er stand vor mir, etwas unbeholfen, hatte ich den Eindruck. Sollte ich ihn einfach in die Arme nehmen? Er kam mir zuvor und legte seine Hände abermals auf meine Hüften, wie heute Mittag schon und zog mich zu sich. Ich lehnte mich an seine Brust und so standen wir wieder in dieser Umarmung da.
Es war einfach richtig, es war ein gutes Gefühl, aber in dieser Umarmung lag kein Verlangen oder Ähnliches. Es war ein Halten und Gehalten-werden. Ich spürte, wie sich seine Muskeln wieder entspannten und sein Atem ruhiger wurde, ebenso wie ich mich beruhigte.
Irgendwann löste ich mich ein Stückchen von ihm und sah zu ihm auf. „Master Kenway, ich denke, es ist an der Zeit, dass ich mit meiner Mannschaft und meinem Sohn abreise!“ Denn ich versank hier wieder in einem bösen heftigen Gefühlsstrudel und wie das enden könnte, hatte ich schon einmal erfahren!
„Aber nicht sofort heute Nacht noch, wartet den morgigen Tag ab und lasst die Jackdaw mit Vorräten beladen. Das kann dauern! Bis dahin möchte ich, dass ihr mein Gast bleibt. GAST... schaut nicht so zweifelnd. Ich sagte, ICH bin misstrauisch, aber ihr seid auch nicht besser.“ Grinsend sah er mich an.
„Einverstanden Master Kenway, ich freue mich noch eine Nacht als Gast bei euch bleiben zu dürfen!“
Und damit gingen wir von Bord und nach Hause!
Kapitel 71.1
Haytham hatte Shay bereits mitteilen lassen, dass er bitte erscheint, wegen des Chevaliers.
Als wir im Fort George wieder ankamen, war es bereits dunkel und es müsste gegen 8 Uhr abends gewesen sein. Vor allem war ich jetzt doch hungrig und Mrs. Wallace hatte das Essen sogar schon fertig. Es war für 5 Personen gedeckt im Esszimmer. Fünf? Wer würde denn noch zum Abendessen kommen?
„Ich dachte, Yannick würde lieber mit euch gemeinsam zu Abend essen. Also ist das fünfte Gedeck für ihn.“ Master Kenway hatte eine doch sehr schnelle Auffassungsgabe und es machte ihn durchaus noch ein Stückweit sympathischer. Nein... nicht … daran... denken!
Ich ging nach oben, um mich frisch zu machen, meine Haare hatten ordentlich gelitten. Ich sah aus wie ein gerupftes Huhn. Als ich jetzt in dem kleinen Ankleidezimmer vor dem Spiegel stand und versuchte Ordnung in das Haarchaos zu bringen, erschien Haytham hinter mir.
Sein Blick hatte einen leicht verträumten Ausdruck und ich brachte ein mehr als schüchternes Lächeln zustande und spürte die Hitze in meine Wangen steigen. Er ging an mir vorbei zum linken Kleiderschrank und hing den Gehrock ordnungsgemäß auf. Als er wieder ins Schlafzimmer gehen wollte, hielt er inne, drehte sich noch einmal um und kam auf mich zu. Ich stand immer noch mit dem Rücken zu ihm und er nahm meine Arme hinunter und legte seine Hände auf meine Schultern und gab mir einen Kuss auf meine Halsbeuge!
Mich durchfuhr es wie ein Blitz und tausende kleiner wohliger Schauer rannen über meinen Körper. Zufrieden mit diesem Ergebnis lächelte er mich an und ging hinaus. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich nicht geatmet hatte und holte tief Luft! Und musste mich gleichzeitig an der Kommode festhalten, denn ich drohte umzufallen. Der Schwindel ließ aber schnell nach und mit leicht zittrigen Beinen machte ich mich auf den Weg nach unten.
Master Cormac war bereits mit Faith erschienen und sie unterhielten sich mit Haytham im Esszimmer. Als ich eintrat, erhoben sich die beiden Herren und Shay begrüßte mich mit dem obligatorischen Handkuss. Irgendwie konnte man sich ja an solch nette Höflichkeiten gewöhnen. Ich begrüßte Miss Cormac und dieses mal hatte ich dieses schlechte Gewissen, aufgrund meiner Lüge ihr gegenüber. Aber sie ließ sich nichts anmerken. Ich ging einfach davon aus, dass Shay ihr alles bereits berichtet hat.
Yannick tauchte dann auch endlich mal auf, ich hatte schon befürchtet, er würde schmollen und nicht zum Essen erscheinen. Er war immer noch zickig, aber wenigstens höflich! Das war ja schon mal ein Anfang. Er begrüßte Faith, Shay und Haytham und nahm dann neben mir Platz.
Es war mir dann doch unangenehm, dass ich plötzlich hier am Tisch saß und nicht mehr zum Personal gehörte. Aber Mrs. Wallace lächelte nur und ließ sich nichts anmerken. Profi halt, ich mochte sie einfach!
Während des Essens brachte ich meinen Sohn auf den neuesten Stand und berichtete unter anderem auch von dem Vorfall mit dem Chevalier.
„Oh, das ist ja echt super. Verzeiht, das ist ja echt dumm gelaufen. Und wie soll das jetzt weiter gehen? Glaubst du, dieser Gaultier wird nach uns suchen?“ fragte er mich um seine Wortwahl bemüht.
„Hmmm, vermutlich wird er das. Aber ich hoffe, dass wir bis dahin schon nicht mehr hier sind. Dann kann er nämlich lange suchen!“ Ich konnte mir ein leises Lachen nicht verkneifen.
Außerdem klärte ich Yannick bezüglich der ganzen Umstände und der trauten Zweisamkeit wie er es gerne nannte auf. „Aber Mum... ähm Mutter, ich... warum müssen Erwachsene immer so kompliziert sein?“
Ich hörte nur ein Prusten von Shay und Haytham und ich konnte mir ein Lachen auch nicht verkneifen!
Kapitel 72.1
Aber auch Yannick konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. So verbrachten wir den Rest des Abends mit Erzählungen von Shay über seine Reisen mit der Morrigan und die doch sehr spontane Hochzeit mit seiner Frau. Ich fand das einfach unglaublich romantisch und hörte aufmerksam zu mit einem verträumten Ausdruck! Haytham erzählte voller Stolz, wie er Master Cormac in den Orden aufgenommen hatte. Er war wirklich stolz auf Shay und umgekehrt hegte dieser eine tiefe Zuneigung zum Großmeister. Fast schon unheimlich, wenn ihr mich fragt. Aber wer bin ich, das zu beurteilen?
Irgendwann war ich der Ansicht, ich müsste Faith dringend fragen, wie sie mit Shays nächtlichen Ausflügen umging. „Miss Cormac, ist es nicht anstrengend, wenn euer Mann einfach so oft wo anders übernachtet? Er hat als Vater ja auch Verpflichtungen!“ Mir kam der Gedanke an Marius und wie er sich auch nachts um Yannick gekümmert hat. Ohne ihn wäre ich oft verzweifelt, auch wenn mein Sohn ein ruhiges Kind war.
„Mrs. Frederickson, ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt und seien wir ehrlich. Ich bin im Austausch auch nicht jede Nacht daheim, dann ist nämlich Shay an der Reihe und darf seine Vaterfähigkeiten ausbauen!“ lächelnd sah sie zu dem Iren, dieser machte schon Anstalten, etwas zu erwidern, aber schloss dann wieder seinen Mund.
„Das nenne ich dann ein eingespieltes Team. Eure Tochter kann sich glücklich schätzen, solche Eltern zu haben! Da fällt mir ein, ich habe noch gar nicht nach dem Namen gefragt.“ entschuldigend sah ich zu ihr.
Dieser Ausdruck auf Faiths Gesicht war mir selber so vertraut, dass ich mir ein Lächeln nicht verkneifen konnte. Verträumt und ein unglaublicher Stolz, dass man einen kleinen Menschen sein eigenes Kind nennen kann. „Sie heißt July Anna, sie ist jetzt 9 Monate alt und unser ganzer Stolz!“ Faiths Hand suchte Shays und man hätte ja schon fast neidisch werden können.
Ich sah zu meinem Sohn und diese Erinnerung an den kleinen Yannick kamen mir in den Sinn. Der Teenager neben mir jedoch deutete meinen Ausdruck falsch. „Mutter, habe ich jetzt schon wieder etwas falsch gemacht?“ etwas zögerlich blickte er in die Runde!
„Nein, nein. Es ist nichts. Aber...“ ich musste gerade meine Welle an Emotionen herunterschlucken! „... ich musste gerade an dich als Baby denken. Und jetzt sieh dich an! Fast erwachsen!“ Und dann durchfuhr es mich wie ein Blitz! SEIN Geburtstag! Ich hatte es völlig vergessen in der ganzen Aufregung! „Du meine Güte! Dein Geburtstag!“ kam es nur von mir.
Yannick grinste mich nur dümmlich an. „Du hast mich vergessen? Dein Ernst?“ aber als er mich in die Seite knuffte, wusste ich, dass er es nicht böse meinte. „5 Tage noch und ich werde 17. Ich kann es gar nicht mehr abwarten!“ Und ich auch nicht. Waren wir bis dahin wohl noch hier? Sollte ich etwas hier planen für meinen Sohn? Gedanklich ging ich eine Liste der Möglichkeiten und Locations durch und... ein gemeinschaftliches lautes „Mrs. Frederickson?“ riss mich aus meinen Überlegungen. Das war natürlich wieder einmal unangenehm, aber ich kann nichts für diese Angewohnheit. Wirklich nicht!
Ich blickte auf und sah mich drei Erwachsenen gegenüber, die mich irgendwie seltsam ansahen. „Verzeiht, das war unhöflich von mir. Aber... mir gingen gerade einige Dinge, die ich bezüglich des Geburtstages zu erledigen habe, durch den Kopf.“ Als ich Haythams Blick sah, wusste ich nicht, wie ich ihn deuten sollte. Er sah ebenfalls ein wenig gedankenverloren aus, aber schaute mir direkt in die Augen. Und... es lag etwas Beruhigendes darin, etwas, dass ich nicht einordnen konnte.
„Dann werde ich mir die nächsten Tage wohl Gedanken über eine Feier anlässlich deines Ehrentages machen!“ unterbrach ich die Stille, die sich plötzlich ausgebreitet hatte. Faith sprang für mich mit in die Bresche.
„Wenn ihr wollt, ich kann euch sicherlich auch bei der Ausrichtung helfen! Da ihr euch ja hier noch nicht so recht... auskennt, meine ich!“ Ich wäre ihr am liebsten um den Hals gefallen, denn ich könnte jede Hilfe gebrauchen. Denn eine Feier, wie sie üblich zu dieser Zeit wäre, fände ich eine tolle Idee.
„Miss Cormac, dass würde mich freuen! Aber ich will euch nicht von euren eigenen Aufgaben damit abhalten!“ Da im Laufe des Abends auch die Rede von Faiths beruflichem Werdegang die Rede war, wusste ich von ihrer Arbeit als Heilerin.
„Nein, nein. Es würde mich freuen, euch hier einiges zu zeigen. Ich vermute einfach mal, dass Haytham euch wohl kaum viel erklärt hat. Er hat es nicht so mit Ausführlichkeiten. Eher praktisch veranlangt dieser Mann.“ Mit einem triumphierenden Blick Richtung des Großmeisters redete sie weiter. „Zumal er so eine Feier auch noch nicht ausgerichtet haben wird, oder?“
Ich hörte neben mir Zähne knirschen. Verzeiht meinen Ausdruck, aber kuschte er plötzlich vor Faith? „Nein, das habe ich tatsächlich noch nicht machen müssen. Warum auch, du bist ja alt genug, um für deine eigenen Feierlichkeiten zu sorgen!“ Und da war dieser bissige zynische Unterton, der in mir wieder die Frage aufwarf, WOHER verdammt nochmal kannten die beiden sich.
Kapitel 73.1
Jetzt oder nie, schoss es durch meinen Kopf. „Master Kenway, darf ich euch etwas fragen?“ Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und setzte eine Mine auf, die so gar nicht zu meiner Nervosität passen wollte.
Abgelenkt von meiner Frage sah er mich Stirn runzelnd an. „Ja... natürlich. Was wollt ihr denn wissen?“
„Ich... also, ich würde gerne wissen, woher ihr beide euch eigentlich kennt? Verwandt seid ihr auf jeden Fall nicht, dass hätte ich anhand von Unterlagen sicher herausgefunden. Sollte ich zu weit gehen, dann entschuldige ich mich. Es ist nur reine Neugierde meinerseits. Denn, nunja... der Ornat ist mir halt nicht entgangen bei unserem ersten Treffen, Miss Cormac. Da stellt sich mir die Frage, wie das alles hier zusammenpasst!“ ich rieb meine schweißnassen Hände über meinen Rockschoss.
Faith war es, die anfing zu erzählen, mit einem Seitenblick auf Haytham gerichtet. „Wir kennen uns schon mein gefühltes Leben lang. Ich war drei Jahre alt, da wurden wir einander vorgestellt. Wirklich daran erinnern kann ich mich natürlich nicht. Das weiß ich aus Erzählungen meiner Großmutter zum Beispiel. Aber mein Vater und Master Birch ließen es sich nicht nehmen, eine Verlobung daraus zu machen.“ Sie sah den Großmeister immer noch an, dieser sagte aber nichts und seine Mine verriet auch nicht das kleinste bisschen!
„Haytham war für mich damals wie ein großer Bruder und mehr nicht. Unsere Streitereien waren ebenfalls wie unter echten Geschwistern und man hätte wirklich meinen können, wir wären verwandt. So dickköpfig wie wir beide sein können.“ Ein Grinsen huschte über ihr Gesicht und ich sah, dass sie die Erinnerung gerade Revue passieren ließ und musste selber schmunzeln. Das war ja auch schon mein Eindruck gewesen, sie hätten Geschwister sein können.
Das mit der Verlobung aber war eine andere Geschichte. Das so etwas überhaupt üblich war, war mir ein Dorn im Auge und ich war froh, dass in meiner Zeit diese Art von Planung der Zukunft für die eigenen Kinder nicht mehr aktuell war.
Und mir rutschte einfach ein „Ja, diese Sturköpfigkeit liegt in der Familie der Kenways. Ich durfte ebenfalls schon einmal Bekanntschaft damit machen!“ Damit handelte ich mir einen etwas säuerlichen Blick des Großmeisters ein. Aber ich konterte mit „Verzeiht, Master Kenway, aber ihr müsst zugeben, es stimmt. Ihr könnt es nicht leugnen.“ Mit einem Lächeln, welches mir zeigte, dass er mir nicht böse ist, wandte er sich wieder an Faith.
Jetzt erzählte er weiter. „Im Laufe der Jahre, war ich oft zu Besuch und Gast bei Faiths Großmutter. Aber als ich dann ungefähr 17 Jahre alt war, brach der Kontakt ab. Ich hatte andere Aufgaben und Master Birch verlangte meine ungeteilte Aufmerksamkeit für den Orden.“ DAS erklärte aber immer noch nicht, warum Faith Assassine ist und Haytham Templer und... Miss Cormac unterbrach mich in meinen Gedanken.
„Mrs. Frederickson, ich sehe euch an, euch brennt eine entscheidende Frage unter den Nägeln. Lasst mich raten: Warum ich als Assassine mit den Templern zusammenarbeite? Habe ich recht?“ Mir wurde oft unterstellt, wir Frauen seien besser als das FBI, wenn es darum ging, sein Gegenüber auszuleuchten und die richtigen Rückschlüsse zu ziehen. Geschweige denn wenn wir etwas herausfinden wollten, kannten wir keine Gnade! Diese Frau machte dem alle Ehre und zu dieser Zeit gab es das FBI noch nicht einmal!
Ich konnte nur breit grinsen. „Da habt ihr Recht, denn... es ist ungewöhnlich und ich frage mich das halt die ganze Zeit. Ich möchte euch nicht zu nahe treten.“
Jedoch, was mir jetzt erzählt wurde, war doch nicht das, womit ich gerechnet hatte. „Ich habe vor ein paar Monaten meine Entscheidung gefällt und mich für den Orden entschieden! In zwei Welten kann ich nicht leben und ich möchte auch nicht, dass unsere Tochter so aufwächst.“ Sie sah von mir zu Haytham und dann zu ihrem Mann und sie hatte ein zufriedenes Lächeln im Gesicht.
Es mag sich jetzt eigenartig anhören, aber ich fühlte mich plötzlich ein wenig alleine auf weiter Flur. Denn ich hatte die Hoffnung gehegt, dass Miss Cormac der Bruderschaft treu geblieben war. „Aber Miss Cormac, wenn ich das fragen darf. Warum hattet ihr dann, als wir uns das erste Mal begegneten diesen Meisterornat an? Ich bin zu neugierig, verzeiht meine Frage. Vergesst sie einfach!“ Ich muss dringend meine Neugierde zügeln.
„Nein, nein. Das ist keine unhöfliche Frage, sondern eine berechtigte. Ich muss nämlich gestehen, dass ich mich nicht so recht davon trennen kann und oft geistesabwesend danach greife und anziehe. Es hat nichts mehr mit meiner Zugehörigkeit zu tun. Es ist einfach … Gewohnheit. Und ihr habt Recht, ich sollte mir diese abgewöhnen, sonst erwecke ich einen falschen Eindruck.“ Ein unglaublich sympathisches Lachen bekam ich von ihr zu hören und ich stimmte mit ein. Die beiden Herren hingegen sahen ein wenig ratlos aus.
Damit hatten wir das also geklärt. Jedoch kam ICH jetzt ins Grübeln... ICH fing an meine Zugehörigkeit zu überdenken... Nein, das tust du jetzt nicht. Es gibt wichtigere Dinge zu erledigen.
Kapitel 74.1
Es war der Großmeister, der das Wort wieder ergriff, um die Geschichte weiter zuführen. „Vor zwei Jahren ungefähr trafen Faith und ich wieder aufeinander. Dieses mal aber nicht unter freundschaftlichen Bedingungen, sondern aufgrund von Aufträgen. Wir haben in diesem Zusammentreffen dann die Verlobung … gelöst und... sind dann getrennte Wege gegangen. Denn ehrlich gesagt, ich hatte dieses Bündnis im Laufe der Jahre verdrängt, da wir uns nicht mehr begegnet sind. Und was soll ich sagen, Shay brachte sie dann einfach mit und stellte mich vor vollendete Tatsachen!“ Das nenne ich eine kurze und knackige Beschreibung der Ereignisse! Ich hatte mit einem bösen Blick gen Shay gerechnet, aber es kam eher ein wohlwollendes Grinsen. Warum ich ein beruhigtes Gefühl plötzlich in mir hatte, kann ich ich nicht erklären.
Irgendwann war mein Sohn immer wieder von Gähnattacken geplagt und Master Kenway ließ das zweite Gästezimmer neben Shays fertig machen. Ich war kurz in Versuchung, selber alles fertig zu machen, es war schließlich mein Sohn. Aber mit einer dezenten Handbewegung wurde ich von Haytham daran gehindert!
Also blieb der Ire diese Nacht auch wieder hier, dieses mal aber mit Frau und nicht alleine! Sollte mir recht sein, denn ich genoss gerade die Gesellschaft, auch wenn sie mittlerweile ALLE Templer waren. Und ich muss sagen, die junge Frau hatte einfach eine Art an sich, die ich auf Anhieb mochte. Als Yannick bereits gegangen war, unterhielt ich mich weiter angeregt mit Faith über die Mutterschaft und alles was damit einherging. Haytham und Shay hingegen diskutierten über die Zustände der Kolonien. Des öfteren hätte ich gerne ein paar Dinge eingeworfen, aber... ich hätte in der Geschichte vorgegriffen und musste mir mal wieder vor Augen führen, dass ich nicht in der Position war, das zu tun. Ändere keinen Verlauf und versuche nicht Schicksal zu spielen... hallte es in meinem Kopf wider!
Es war gegen Mitternacht, als mir bewusst wurde, dass der Wein zu lecker war und ich mich auf den Weg ins Bett machen sollte. Die beiden Templer machten Anstalten mir zu helfen, aber ich lehnte dankend ab mit den Worten. „Ich schaff das schon...“
Ja, ich schaffte es, in den ersten Stock und ins Schlafzimmer, dort sah ich dieses verlockende Bett und ließ mich einfach hineinfallen.
Kurz darauf öffnete sich leise die Tür und Haytham erschien. Ich öffnete noch einmal die Augen und fragte nur: „Wenn es euch nicht stört, ich bleibe hier liegen...“
Der Großmeister sah zu mir herunter und schüttelte grinsend den Kopf. „Nein, es stört mich nicht. Aber nicht, dass ihr mir beim Erwachen morgen früh eine Ohrfeige verpasst, weil ihr nicht mehr wisst, was passiert ist.“
Ich schloss die Augen. „Keine Sorge, das wird nicht passieren. Ich verspreche es. Haltet nur eure Finger bei euch, dann passiert schon nichts...“ Dann fiel mir ein, dass ich ja noch in meinem Kleid steckte. Ich rappelte mich wieder auf und ging, oder besser ich schwankte leicht, ins Ankleidezimmer, zog mich aus und mein Nachthemd an. So ging ich wieder hinüber und nahm meine vorherige Position wieder ein.
Mittlerweile hatte sich Haytham ebenfalls zu Bett begeben und … jetzt war es mir doch unangenehm. „Ich... werde lieber nebenan schlafen. Ich wünsche euch eine gute Nacht, Master Kenway!“ Mit diesen Worten wollte ich wieder hinüber gehen. Schneller als erwartete, stand Haytham hinter mir und hielt mich zurück. Wie zum Teufel ist er so schnell aus dem Bett und... ach, was fragte ich überhaupt.
„Ihr seid nicht wirklich so schüchtern aus heiterem Himmel, oder? Bis gerade eben war es noch in Ordnung. Was hat sich so plötzlich geändert? Mir ist euer eigenartiges Verhalten heute schon einige Male aufgefallen!“ MEIN eigenartiges Verhalten?
Ja, meine Barriere im Kopf, von der ich keine Ahnung hatte, woher sie rührte und was ich dagegen tun sollte. Oder, ob ich wirklich etwas dagegen tun WOLLTE ... „Master Kenway, ich... weiß einfach nicht, was ich sagen soll.“
„Ich kann euch sicherlich nicht zwingen mit mir das Bett zu teilen, aber …“ er sah besorgt auf mich herab „Wenn es um eure Angst wegen der Nacht mit Charles ist... Dann kann ich...“
„Nein, das ist es nicht!“ Unterbrach ich ihn. „Nicht NUR! Ich weiß nicht, WAS es ist. Immer wenn... ihr mir nahe kommt, schaltet mein Kopf auf Abstand! Es ist... eigenartig.“ Dieses Gespräch wurde mir unangenehm und ich versuchte ein paar mehr Zentimeter zwischen uns zu bringen. Der Großmeister stand da und sah mich weiter nur an, aber nicht wütend oder sauer. Es war, als würde er meine Gefühle versuchen herauszufinden. Er analysierte mich regelrecht.
„Master Kenway, lasst das! Ich kann es nicht leiden, wenn ihr mich so mustert.“ kam es etwas schroff aus meinem Mund.
„Wisst ihr was gerade erstaunlich war? Für einen Bruchteil einer Sekunde erschien eure Aura in rot und plötzlich schlug sie in leuchtendes Gold um!“
Kapitel 75.1
Das war merkwürdig, ich ging davon aus, dass ich ihm nicht als Bedrohung vorkam. „Das verstehe ich ehrlich gesagt nicht, aber hört trotzdem bitte damit auf!“ bat ich ihn lächelnd.
„Ich kann es nicht versprechen, aber ich versuche mich zurück zuhalten! Und jetzt sollten wir wirklich versuchen, Schlaf zu finden!“ Haytham schob mich Richtung Bett, schlug die Decke um und drehte mich zu sich und bedeutete mir, ich solle mich hinlegen. Ich konnte mir ein Kichern nicht verkneifen, denn es war so absurd. Die ganzen letzten Tage waren einfach absurd.
Kenway ging auf die andere Seite und ließ sich aufs Bett fallen mit einem tiefen Seufzer. Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, dass auch er völlig erschöpft sein musste. Jetzt tat es mir ja schon fast leid, dass ich ihn noch so lange wach gehalten habe. Als wir dann so brav neben einander lagen, konnte ich mir dieses alberne Kichern nicht verkneifen. „Verzeiht, Master Kenway. Aber... es ist lächerlich. Wir sind erwachsen und sollten uns auch so verhalten. Jedoch fällt mir das in eurer Gegenwart immer wieder schwer.“
Prustend rang er nach Worten. „Das ich solch eine Wirkung auf euch habe, ist mir schon aufgefallen. Und wir konnten immer noch nichts gegen euer loses Mundwerk machen!“ Mir klappte der Mund auf und ich stützte mich auf meine Ellbogen und versuchte böse zu schauen. Aber das wurde im Keim erstickt, weil Haytham plötzlich nur noch Millimeter von mir weg war und ich bereits seinen Herzschlag spüren konnte und nicht nur den!
Es war verhext! ICH war verhext oder er oder alles hier. Denn wieder meldete mein Gehirn einen Fehler in der Matrix und schaltete auf Abstand! Aber dieses eine mal, schoss mir ein Bild durch meine Gedanken! Edward, Wasserfall, der Abschied!!! Und jetzt wusste ich, was mich immer wieder so daran hinderte, mich bei Haytham fallen zu lassen!
„Master Kenway, ich... es geht nicht!“ Ich rutschte nach oben zum Kopfende und brachte mich in eine sitzende Position. Haytham sah mich nur fragend an und eine leichte Resignation spielte um seinen Mund.
„Warum, Alexandra? Ich würde zu gerne wissen, was es ist! Was euch immer wieder zurück schrecken lässt?“
„Es... bei Odin!“ mit einem tiefen Seufzer, welcher schon einem Schluchzen gleichkam, beschloss ich, Haytham von der Geschichte am Wasserfall auf Great Inagua zu erzählen, auch von den anderen beiden Malen. „Master Kenway, es ist...“
„Ihr wisst wie ich heiße, nennt mich bei meinem Vornamen, ich denke, das reicht!“ Ein einladendes Lächeln, damit ich weiter erzählte spielte in seinem Gesicht.
„Also schön, Haytham.“ Jetzt war es eigenartig, wo ich die Erlaubnis hatte, ihn so zu nennen. Ich machte mir wieder zu viele Gedanken, also fing ich an zu erzählen. „Ich... also, als ich damals mit eurem Vater auf Great Inagua war und wir die Ruinen erkundet hatten, mussten wir über einen Wasserfall entkommen. Und... es war einfach... Ich wusste, dass jetzt die Zeit für meine Abreise war und das ließ mich alles um mich vergessen. Edward und ich, wir BEIDE vergaßen alles um uns, wenn ihr wisst, was ich meine?“ Mit hochrotem Kopf sah ich den Großmeister an und erntete ein „Ihr meint... ihr habt... Oh...“ von ihm.
„Haytham, es ist einfach passiert. Aber das war nicht das einzige Mal.“ Mehr Blut konnte mir jetzt aber wirklich nicht mehr in den Kopf schießen, dachte ich noch so.
„Bei meinem ersten Besuch in London, da... also, es war nicht geplant. Es war einfach merkwürdig, als ich Edward wieder sah. Und es ist dann einfach passiert und ich gebe zu, ich habe es vermutlich auch ein wenig provoziert. Danach reiste ich dann aber auch unverzüglich ab.“
Immer noch sprachlos, sah mich Haytham an und ich klappte seinen offenen Mund zu...
„Haytham, könntet ihr vielleicht etwas sagen. Ich fühle mich gerade nicht sehr wohl, wenn ihr mich so anstarrt, als würde eine Schlange auf ihre Beute warten.“
Wie aus Trance erwacht, schüttelte er den Kopf und kniff die Augen zu und öffnete sie wieder, nur um mir einen Blick mit völligem Unverständnis zu zuwerfen. „Ich... wüsste nicht, was ich darauf sagen sollte!“
„WAS ihr sagen sollt, kann ich auch nicht sagen, aber es wäre schön, wenn ich nicht das Gefühl bekäme, hier vor Gericht zu sitzen!“ meinte ich etwas unsicher, denn ich kam mir gerade wirklich vor, wie bei einem Verhör.
„Aber... es... als ich dann noch einmal zurück reiste und Edward und ich beide wussten, dass wir uns nie wieder sehen würden, war es wieder wie beim Wasserfall. Und auch dieses mal reiste ich am nächsten Tag ab.“ kürzte ich das Ganze ab und wartete auf eine Reaktion vom Großmeister, aber die blieb aus.
Stattdessen stand er auf und ging am Fußende auf und ab, fast so wie ein eingesperrtes Tier im Käfig. Ich erhob mich ebenfalls und ging zu ihm hinüber. Aber dieses mal war ER es, der zurück wich. Und, wie ich fand, aus eigentlich verständlichen Gründen! Aber ich wusste jetzt, WARUM ich diese Blockade hatte. Es war MORAL und ANSTAND die mich von dem Sohn meiner Affäre fernhielt. Und das schlechte Gewissen, welches ich Tessa bis heute gegenüber hatte, welches ich auch jetzt noch Haytham gegenüber hatte. Diese Kombination war einfach unüberwindbar. So kam es mir zumindest in diesem Moment vor.
Kapitel 76.1
„Haytham, jetzt sagt doch etwas. Ich fühle mich eh schon schuldig genug. Und ihr lasst mich hier weiter schmoren. Und ja, ich weiß, dass es nicht richtig war...“ mehr konnte ich nicht sagen, denn er blieb abrupt vor mir stehen und sah auf mich herunter.
„Das ist alles vor meiner Zeit gewesen! Ihr habt moralische Bedenken, weil ihr mit meinem Vater... das Bett ebenfalls geteilt habt. Verständlich, wenn ihr mich fragt, Alexandra. Aber... ich bin jemand anderes. Ein ganz anderer Mensch. Und ihr habt es schon sehr richtig vorhin geäußert, wir sind erwachsen und sollten uns auch so verhalten!“ Damit ging er zu dem kleinen Schreibtisch und griff nach der Karaffe mit dem Brandy und schenkte zwei Gläser ein. Eines davon reichte er mir mit den Worten „Ich muss das erst einmal verdauen!“ und einem Lächeln?
Ich nahm das Glas entgegen und starrte auf den bernsteinfarbenen Inhalt, aber ich hatte Angst, wenn ich jetzt etwas trank, dass ich mich auf der Stelle übergeben müsste. Ich war plötzlich nervös, weil ich damit nicht gerechnet hatte. Als ich zu Haytham aufsah, lächelte er immer noch, nahm mir mein Glas aus der Hand und leerte den Inhalt mit einem Zug.
„Haytham, ich...“ ich trat einen Schritt auf ihn zu und ich spürte plötzlich keinen Wunsch nach Abstand, sondern ich wollte seine Nähe. „... könnt ihr mir verzeihen?“
„Wir sollten klein anfangen, findet ihr nicht?“ Mit einem so warmen Lächeln hatte ich ebenfalls nicht gerechnet. Er umschlang mich, genau wie heute morgen schon, mit seinen Armen und dieses Festhalten war einfach eine Wohltat und ich entspannte mich. Aber auch der Großmeister wurde ruhiger und ich konnte förmlich seinen Herzschlag langsamer werden spüren.
Ich sah zu ihm auf und versuchte aus diesem Menschen jetzt schlau zu werden und da fiel mir diese seltsame Verwandlung von ihm wieder ein.
„Haytham, darf ich euch etwas fragen?“
„Nur zu, raus damit!“ Kam es wie aus der Pistole geschossen.
„Warum seid ihr heute wie ausgewechselt? Was ist passiert? Ihr habt mir heute den ganzen Tag ein wenig Angst gemacht, so kannte ich euch nicht. Ihr wart so … ruhig, gerade so als würdet ihr in euch selber ruhen!“
„So ähnlich ist es auch und daran seid ihr Schuld, Alexandra.“
Mit diesen Worten hob er mich hoch und trug mich zum Bett! Perplex wie ich war, umschloss ich mit meinen Beinen seine Taille, einfach um einen Halt zu haben. So auf dem Bett und unter ihm liegend, fiel es mir schwer, sehr schwer, mich zu konzentrieren! Aber ich versuchte es trotzdem.
„Wie meint ihr das, ICH sei schuld daran? Was habe ich getan?“ Ich hoffte inständig, es war etwas positives, was ich getan hatte.
„Ihr habt gestern Nacht, oder besser heute morgen, hier am Bett gestanden und gesagt, es täte euch alles sehr leid für mich. So etwas hat noch NIE jemand in meinem Leben zu mir gesagt und ernst gemeint. Ich hörte immer nur Entschuldigungen und Ausreden. Aber NIE, dass es einem Menschen leid tat, was alles passiert war! Und das gab mir zu denken! Und als ich euch nebenan hörte, wie ihr euch in den Schlaf geweint habt, wurde mir klar, dass alles in meinem Leben anders geordnet werden sollte! WIE? Das weiß ich noch nicht. Aber ihr habt euren Beitrag geleistet, damit ich noch einmal meine Entscheidungen überdenke!“ Eindringlich sah er mit seinen grauen Augen auf mich herab.
„Haytham, ich... ich habe es ernst gemeint!“ Meine Stimme brach und meine Augen füllten sich mit Tränen, ich schloss sie, konnte aber diesen Fluss nicht mehr aufhalte. Ich griff einfach in seinen Nacken und in seine Haare und zog ihn zu mir hinunter. Und ich wollte keinen Abstand, bei Odin, nein... das sicher nicht.
Dem Großmeister müssen die gleichen Gedanken gekommen sein, denn wie abgesprochen lief plötzlich alles wie von alleine.
Wir suchten uns, wir fanden uns! Und Haytham sollte Recht behalten. Er war ein anderer, ich musste es nur zulassen, dass ich loslassen konnte und die Vergangenheit abstreifte. Seine Hilfe dabei war mir überaus willkommen. Keine Fragen, keine Vorwürfe... Und endlich konnte ich Haytham als Mann, nicht als Großmeister oder Sohn von Edward sehen, nein... plötzlich erschien er wie eine eigenständige Persönlichkeit und meine moralischen Bedenken verschwanden!
Es war wie eine Sucht zwischen uns, wir mussten einfach den anderen haben. Koste es was es wolle. Unnötige Kleidungsstücke wurden ohne Umschweife zerrissen und landeten neben dem Bett. Keiner von uns beiden ließ den anderen aus den Augen! Haytham verschwendete keine Zeit mehr darauf zu warten, bis ich bereit war, was auch nicht nötig war, denn... ich war es, schon seit Tagen und das völlig unbewusst! Erst jetzt konnte ich mich aber wirklich öffnen und sein erleichtertes Aufstöhnen verriet mir, dass auch er nur darauf gewartet hatte.
Ich nahm ihn völlig in mich auf und schlang meine Beine um seine Hüften, um ihn zu dirigieren. Weit gefehlt, danach stand dem Großmeister nicht der Sinn. Er drängte mich förmlich dazu, loszulassen und mich völlig fallen zu lassen. „Sieh mich an, Alex!“ raunte er mit einer kratzigen Stimme an meinem Ohr. Und ich tat, wie mir gesagt wurde. Sein Blick war dunkel und gefüllt mit einer solchen Begierde, die mich erschauern ließ. Seine Hände, sein Körper taten den Rest, dass ich mich vollends in ihm verlor und meine moralischen Bedenken über Bord werfen konnte.
An diesem Punkt angekommen, fanden wir einen Einklang, so als wäre es schon immer so gewesen. Es war richtig, es fühlte sich gut an. Wir brauchten keine vielen Worte mehr. Noch nie hatte ich diesen Augenkontakt so intensiv aufrechterhalten mit einem Mann. Und auch DAS gab mir den letzten Kick, gab mir diesen Anstoß, mich fallen zulassen. Haytham hielt ebenfalls meinem Blick stand und irgendwie spürten wir beide, dass dieser Abgrund immer näher kam, den wir unbedingt wollten. Völlig unbewusst hatten wir die ganze Zeit darauf hingearbeitet.
Und als ich mich nicht mehr unter Kontrolle hatte, schrie ich förmlich seinen Namen und es war mir völlig egal, wer mich oder uns hier noch hörte. Haytham erging es nicht anders und mit meinem Namen auf den Lippen ließ auch er los und seine Hände hielten mich dabei auf das Bett gedrückt!
Für die nächsten Minuten war mein Gehirn wie leergefegt! Und es war so befreiend und erleichternd. Sein Atem ging stoßweise an meinen Hals, aber er hielt mich fest.
Der Großmeister sah mit einem überaus befriedigten Lächeln auf mich herunter und ich konterte mit einem ebensolchen. Trotzdem nagte tief hinten in meinem Hinterkopf doch noch das kleine schlechte Gewissen! Ganz abstellen konnte ich es nicht.
Doch in diesem Moment wollte ich einfach nicht daran denken und schloss Haytham einfach wieder in meine Arme, die er jetzt freundlicherweise losgelassen hatte. Mit einem Kuss auf meine Stirn gab er mich frei und legte sich neben mich und zog mich zu sich. Diese romantische Vorstellung, noch zu kuscheln, zu reden, lag mir nicht wirklich und eigentlich wollte ich jetzt gar nicht einschlafen, aber mir fielen die Augen einfach zu und Haythams ruhiger Atem und seine Wärme gaben mir den Rest.
Kapitel 77.1
Seine Lippen weckten mich und nicht nur diese waren zu spüren! Vorsichtig öffnete ich die Augen und sah mit einem wohligen Schauer zu ihm auf. Der Großmeister erkundete derweil meinen noch schläfrigen Körper mit seinen Händen, seinen Lippen... mit allem, was ihm zur Verfügung stand. Und ich bog ihm nur mein Becken entgegen, denn so wurde man doch gerne aus dem Schlaf geholt. Aber mit einem „Nicht so schnell, Mrs. Frederickson!“ zog er sich ein wenig von mir weg und betrachtete mich eine Weile nur. Seine Hände fuhren über meine Oberschenkel hoch und runter und ihr Druck wurde zunehmend fester. Seine Augen ruhten auf meinem Gesicht und je mehr ich ihn wollte, umso stärker sah ich seine eigene Lust steigen. „Haytham, das ist nicht fair.“ jammerte ich mittlerweile etwas atemlos.
„Dann sag mir, was du willst!“ Sein Blick wurde dunkel und ließ mir keinen Raum, ihm auszuweichen.
„Ich... verdammt, du weißt was ich will!“ Musste ich wirklich betteln?
„Ja, ich weiß es, aber ich will es hören. Aus deinem Mund!“ Seine Hände griffen sich meine Hüften und zogen mich in Position für IHN!
Eigentlich bin ich nicht die schüchternste Person, aber... ich wurde knallrot und stotterte nur mit einem Krächzen „Nimm mich endlich, ich brauche dich!“ Das war Haythams Stichwort und er nahm es Wort wörtlich und ich hatte keine Chance mich noch irgendwie in Position zu bringen. Aber das war nicht nötig, der Großmeister dirigierte uns BEIDE und ich konnte nicht anders, als es einfach geschehen zu lassen.
Die Erlösung kam schneller, als ich erwartet hatte, aber ich konnte mich nicht beherrschen und Haythams Stimme mit dem Befehlston „Sieh mich an!“ warf mich regelrecht in diesen Abgrund. Ich spürte seine krampfhaften Bewegungen, als er sich selber nicht mehr zurück halten konnte und ich schlang meine Beine um seine Hüften und hielt ihn so fest.
Plötzlich klopfte es und Shay fragte, ob alles in Ordnung sei. Was für eine Frage! Er wusste sehr wohl, was hier los war! Das brachte mich aber einfach aus dem Konzept und... ich seufzte nur laut.
„Es ist alles in Ordnung, geht schon hinunter. Wir kommen gleich nach!“ kam es von Haytham mit einem etwas säuerlichen Unterton. Er löste sich von mir, was ich sehr schade fand ehrlich gesagt, und machte sich daran aufzustehen. Als er auf der Bettkante saß und sich durch die Haare fuhr, lehnte ich mich noch einmal kurz an seinen Rücken und schlang meine Arme um ihn. Konnten wir nicht einfach hier bleiben? Die anderen kamen schon ohne uns zurecht!
„Alex, es war...!“ fing der Großmeister an, aber ich ließ ihn nicht aussprechen.
„Ja, das war es. Und ich habe es genossen, DICH genossen.“ Mit einem Kuss auf seine Schulter stieg ich aus dem Bett und machte mich daran, mich für den Tag fertig zu machen. Haytham tat es mir gleich, auch wenn man sah, dass es mehr als widerwillig war. So schmollend sah er nochmal um Längen attraktiver aus.
Und wieder musste ich kaltes Wasser nutzen. Aber es war sehr erfrischend und brachte mich von meinen wollüstigen Gedanken weg. Verdammt, das war wirklich nicht so leicht.
Als ich fertig angekleidet war und ich Haythams Haare noch gebunden hatte, gingen wir hinunter und man erwartete uns schon im Esszimmer mit wissenden Augen. Shay zwinkerte mir nur zu und mein Sohn... Ja, Yannick war weder gut gelaunt, noch gesprächig, noch sonst irgendetwas. Er war halt ein Teenager mit Launen. Mit einem pampigen Ton sagte er nur „Guten MORGEN, Mutter, Master Kenway!“ Der Blick, den er Haytham zuwarf, war so unhöflich und feindselig, dass ich abrupt wieder aufstand und meinen Sohn mit hochzog.
„Wir sollten uns ganz dringend unterhalten! JETZT!“ Damit zog ich ihn hinter mir her in den Hinterhof.
„Mum, was denn? Ich habe schlecht geschlafen und bin einfach schlecht drauf. Kein Wunder bei diesem … LÄRM!“ Eine leichte Röte stieg in seine Wangen, aber er hielt meinem Blick stand.
„Ich soll mich nicht ernsthaft dafür bei dir entschuldigen, oder? Es ist einfach passiert und damit ist die Sache erledigt.“ Eigentlich wollte ich das Ganze ja erklären, aber ich war so sauer auf meinen Sohn, dass ich mir erst einmal Luft machen musste.
„Entschuldigen? Wofür? Dass du dich nicht unter Kontrolle...!“ Und damit rutschte mir die Hand aus. Was fiel diesem Jungspund eigentlich ein?
„Sag mal, was soll das? Ein Wort noch und ich vergesse mich ganz. Da hilft auch keine Ausrede, dass du nicht schlafen konntest.“ ich funkelte ihn mit meinem ganzen autoritären Mutterblick an.
„Pffff... die ganze Zeit hast du nicht wirklich ein gutes Haar an diesem TEMPLER gelassen und jetzt steigst du einfach mit ihm ins Bett? Muss ich das jetzt verstehen? Oder erklärst du es mir vielleicht noch?“ er spuckte mir die Worte regelrecht entgegen.
Mir fiel nur die Kinnlade herunter. „Yannick, dass du das nicht verstehst, mag ja sein. Erklären kann ich es dir nicht wirklich. Denn ich verstehe es selber noch nicht. Und keine Sorge, wir werden hier nicht Wurzeln schlagen oder länger als nötig bleiben!“ Bei diesen Worten lief es mir kalt den Rücken runter und mit einem leichten Stich im Herz, dachte ich daran, dass wir wirklich bald von hier weg mussten.
„Und warum jetzt dieser Sinneswandel, Mum?“ er versuchte ein strenges Gesicht zu machen, das gelang ihm aber nicht wirklich.
„Der Sinneswandel kam in den letzten Tagen. Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht so richtig. Es ist keine innige Liebe, solltest du das denken. Es war einfach... Yannick, es gibt einfach diese Momente in denen man keine Erklärung für etwas hat. Die Sachen passieren und dann ist das Thema auch gegessen. Und verzeih mir, wenn ich eine gewisse Zweisamkeit gebraucht habe. Du wirst bald merken, dass auch DU dich nicht immer beherrschen kannst!“
Kapitel 78.1
„Und das soll mich jetzt friedlich stimmen? Ich erkenne dich gar nicht wieder. Das ist ja fast wie eine Gehirnwäsche! Was hat der Typ denn mit dir angestellt, dass du so auf ihn abfährst?“ Mit einer Überheblichkeit, die ich so noch nie an meinem Sohn gesehen habe, sah er mich an mit verschränkten Armen vor der Brust.
„Gehts noch, Yannick? Wie redest du mit mir? Und... um das klar zustellen! Haytham hat rein gar nichts gemacht. Wir haben nur so viel Zeit miteinander verbracht, dass ich, dass WIR uns ohne Worte irgendwie einig waren. Das kann man weder steuern noch beeinflussen! Und ich bin immer noch der Meinung, dass ich dir wohl kaum eine Rechenschaft über MEIN Liebesleben ablegen muss, oder?“ Es kochte regelrecht in mir!
„Doch, denn bei der Lautstärke schon! Die ganze Nachbarschaft konnte euch hören und dieser Cormac fand das auch noch sehr amüsant! Auch wenn er den Eindruck machte, als sei er eifersüchtig!!“ bellte Yannick zurück.
Eifersüchtig? Auf wen? Auf WAS?
„Ich kann ja verstehen, dass dir das unangenehm ist, aber umgekehrt, versteh mich auch.“ Ich seufzte tief. „Hör zu, ich will keinen Streit mit dir. Versuch einfach ein klein wenig neutral zu sein und gib dem Ganzen Zeit. Und... ich glaube, wir sollten wieder hineingehen. Ich habe nämlich Hunger und ich hatte noch keinen Kaffee... Du weißt, was das heißt?“ Ich versuchte mich in einem versöhnlichen Ton und einem Lächeln.
Es klappte und Yannick entspannte seine Gesichtszüge und nahm meinen Arm und führte mich ins Haus. „Mum, aber versprich mir, dass das keine Affäre wird, der du noch Jahre hinter her trauerst! Du weißt, das tut nicht gut!“
Weise Worte eines Jugendlichen, der gerade noch ziemlich sauer auf mich war!
So erschienen wir wieder im Esszimmer und nahmen unsere Plätze wieder ein. Mrs. Wallace hatte wieder ganze Arbeit geleistet und ein Arsenal an Köstlichkeiten aufgefahren. Und erst jetzt bemerkte ich, dass ich wirklich großen Appetit hatte.
Ich sah zu Haytham und unsere Blicke trafen sich. Ein wenig fragend wies er Kopf nickend auf Yannick. Ein Nicken meinerseits sollte ihm zeigen, dass die Fronten vorerst geklärt waren.
Als ich jedoch zu Shay sah, der mir direkt gegenüber saß, traf mich tatsächlich ein eifersüchtiger Blick. Ich kam ins Grübeln, denn ich wüsste nicht, worauf er eifersüchtig sein sollte. Er war verheiratet und seinem Blick nach zu urteilen, wenn er Faith ansah, waren die beiden mehr als glücklich und verliebt. Aber es gibt ja auch eine andere Eifersucht, zum Beispiel wenn man es nicht erträgt, wenn einem ein guter Freund weggenommen wird. Inständig hoffte ich, dass ich damit nicht noch eine Gefühlsbaustelle hatte. Sollte ich Haytham in einer stillen Minute darauf ansprechen?
Ein Räuspern von meinem Gegenüber brachte mich wieder zu den Tatsachen am Tisch. Etwas verwirrt sah ich zu dem Iren hinüber, dann zum Großmeister. Beide sahen mich fragend an? Konnte man etwa in meinem Gesicht lesen, WORÜBER ich gerade nachgedacht hatte? Ich hoffte mal, dass das nicht möglich war.
Nach dem üppigen Frühstück ging ich mit Yannick zur Jackdaw um die Abreise vorzubereiten. Denn wenn ich ehrlich bin, ich wollte nicht mit dem Chevalier zusammen treffen! Der hatte mir gerade noch gefehlt.
Doch mal wieder kam alles anders. Wie sollte es auch anders sein. Bei der Brig angekommen, hörte ich laute Stimmen an Deck. Mein erster Maat diskutierte lautstark mit einem anderen Herren, den ich nicht kannte. Aber seiner Erscheinung nach, ein einfacher Gehilfe oder vielleicht Angestellter. Und so war es auch, Rafael sah mich und stellte mich auch gleich diesem Mann vor.
„Sir, dass ist die Eignerin des Schiffes! Ms. Frederickson, wenn ich bekannt machen darf? Das ist Mr. Wolferton!“ Es folgte, trotz der hitzigen Debatte, der obligatorische Handkuss.
„Es freut mich, eure Bekanntschaft zu machen, Mr. Wolferton! Was kann ich für euch tun? Ihr seht sehr aufgebracht aus!“ Mit meinem schönsten friedlichsten Lächeln bedachte ich ihn.
„Ms. Frederickson, auch ich freue mich, eure Bekanntschaft zu machen. Monsieur Gaultier, Chevalier de Verendry schickt mich. Er ließ nach euch suchen, wie ihr ja sicherlich wisst. Und... Es... Monsieur Gaultier erwartet euch und... er...“ Mr. Wolferton stammelte nur so vor sich hin. Auch er war von einem männlichen Gegenüber ausgegangen! Das tat mir ja jetzt leid, aber sie mussten mit mir Vorlieb nehmen.
„Glauben sie mir, ich kann den Chevalier ein bisschen verstehen. Jedoch, bei allem Respekt, die Garfaut ist wohl kaum wegen zwei Einschlägen gesunken und die Kosten für eine Wiederinstandsetzung werden sich auch nicht ins Unermessliche erstrecken. Von daher frage ich mich, worauf drängt der Chevalier eigentlich?“ Mit einem doch mehr als überheblichen Ausdruck sah ich den armen Kerl an.
Mr. Wolferton schien immer mehr in sich zusammen zufallen und fing an noch mehr zu stammeln.
Kapitel 79.1
„Er... also... das ist so... er... wollte ein Duell! Von Mann zu... und... er will... Genugtuung... Ms. Frederickson, ich weiß nicht... ich … was soll ich denn jetzt dem Chevalier für eine Nachricht zukommen lassen?“ Überfordert und mit hochrotem Kopf sah er mich fragend an.
„Mr. Wolferton, sagen sie ihm einfach, was immer er geplant hat, soll auch so geschehen. Ich werde dort sein!“ verkündete ich und hoffte, dass ich glaubwürdig genug klang. Denn mir war ganz und gar nicht so zumute!
Wiedergutmachung? Genugtuung? Was auch immer das alles werden würde, ich muss es jetzt doch durch ziehen. „Hat Monsieur Gaultier denn schon ein Datum ins Auge gefasst? Ich frage nur, damit ich mich darauf vorbereiten kann!“
„Nein, Ms. Frederickson. Er erwartet meinen Bericht und entscheidet dann, zu welchem Zeitpunkt das Duell stattfinden wird.“ Mr. Wolferton hatte sich ein bisschen gefangen und versuchte ohne stottern zu sprechen.
„Dann richtet ihm bitte aus, ich erwarte ein Datum in den nächsten 24 Stunden! Ach, da fällt mir ein. Wo ist der Chevalier denn gerade untergebracht? Oder nächtigt er auf der Garfaut?“
Verwirrt sah mich der Adjutant an. „Monsieur Gaultier ist in einer Taverne untergebracht. Im Blue Bell, wenn ihr es genau wissen wollt. Aber warum fragt ihr?“ Und erst jetzt fiel ihm ein, dass das wohl keine so gute Idee war, mir so eine Information zu geben.
„Mr. Wolferton, ich dachte, ich könnte den Chevalier ja persönlich aufsuchen. Dann kann das Ganze direkt geklärt werden und man benötigt keine Unterhändler.“ Ich hoffte, dass ihn das wieder beruhigte. Aber weit gefehlt, erschrocken sah er mich an.
„Ms. Frederickson, ihr könnt nicht einfach so dort hingehen und um ein Gespräch bitten.“
„Und warum nicht, wenn ich fragen darf?“ Ich stand mit verschränkten Armen und aufgeplustert vor ihm.
„Das... das... schickt sich nicht für eine Dame! Ich verspreche euch, ich werde euch umgehend benachrichtigen, wenn Monsieur Gaultier ein Datum festgelegt hat! Ihr könnt euch auf mich verlassen!“ Er sah schon fast flehend aus, wie er so mit den Händen rang und mich ansah.
„Also schön, dann beeilt euch.“ gab ich mit einem resignierten Seufzer zurück.
Erleichtert ging er mit schnellen Schritten von Bord und ich trat auf meine ersten Maat zu. „Raffael, das wird jetzt echt lustig. Was soll ich denn machen? Ich kann doch schlecht mit diesem Idioten ein Duell ausfechten. Zumal dieses Prozedere so extrem feste Regeln und Rituale hat, die ich oder wir ja gar nicht alle kennen und beherrschen!“
„Hmmm, da ist was Wahres dran.“ Er überlegte, aber nur kurz. Denn ihm und mir kam gleichzeitig ein Gedanke. „HAYTHAM!“ schoss es wie aus einem Mund! Und wir mussten dann doch grinsen.
Also sollte ich mich aufmachen und ihn fragen, wie so etwas überhaupt abläuft.
Da stellte sich plötzlich Yannick vor mich hin, mit vor Stolz geschwellter Brust und meinte: „Mum, warum lässt du MICH nicht das Duell in DEINEM Namen durchführen. Ich meine gelesen zu haben, dass es die Möglichkeit für einen Stellvertreter gibt. Und ich bin dein Sohn, es würde sogar noch in der Familie bleiben!“
Nein, ich würde doch mein Kind nicht ein solcher Gefahr aussetzen. Dieser Gedanke war völlig absurd!
Kapitel 80.1
„Das kann unmöglich dein Ernst sein, Yannick.“ und sah ihn völlig entgeistert an.
„Doch, das ist mein voller Ernst. Es kann doch nicht so schlimm werden, oder? Das hab ich schon so oft in Filmen und so gesehen.“ mit der Kraft der jugendlichen Überzeugung, wollte er mich umstimmen.
„Ja, gesehen hab ich so was auch schon. Aber in der Realität ist es etwas ganz anderes und der Chevalier ist sicher ein wenig besser ausgebildet als du und vor allem älter und erfahrener.“ Vielleicht konnte ich ihn ja so zur Vernunft bringen?
„Das mag ja sein, aber ich bin schneller mit meinen Reflexen und Reaktionen, der Typ ist ja schon älter, also...“ ich ließ meinen Sohn nicht ausreden!
„Sag mal, hörst du dir gerade selber zu? Du bist jünger und schneller, ja. Aber ER ist derjenige, der die Bedingungen stellen wird und glaub mir, Gaultier ist kein Dummkopf. Du liegst schneller am Boden, als du AUA sagen kannst!“
„Du hast aber selber gesagt, die Reise hierher wäre eine gute Gelegenheit mein Training auszubauen. DAS ist DIE Gelegenheit jetzt!“ Wieder versuchte er mich mit meinen eigenen Worten umzustimmen.
„Ja, aber ich meinte damit, ein bisschen Kampftraining und nicht gleich ein Kampf oder Duell auf Leben und Tod! Das Risiko kann und will und WERDE ich nicht eingehen. Und damit ist das Thema jetzt vorbei! Bei Odin...“ mit rollenden Augen und ziemlich genervt ging ich von Bord und ließ meinen Sohn stehen.
Yannick konnte doch nicht glauben, ich würde ihn so eine Schnapsidee ausführen lassen. Ich würde es selber machen, PUNKT! Wahrscheinlich würde er sich auch noch mit Charles Lee anlegen, um ritterlich die Ehre seiner Mutter wieder herzustellen. Ich hatte den Eindruck, ihm bekam einfach dieses Jahrhundert nicht. Also schob ich den Gedanken erst einmal beiseite und beschloss, mich später damit zu beschäftigen.
Doch zuerst sollte ich jetzt mal den Großmeister aufsuchen und ihn bezüglich dieser Duelle befragen. Hätte ich mich doch mal tiefer mit den Gepflogenheiten in dieser Zeit beschäftigt! Ein bisschen, wie ja auch mein Sohn schon sagte, kannte man ja aus Filmen und ähnlichem. Aber eben nur diese weichspül Duelle...
Also auf zum Fort George. Auf meinem Weg dorthin traf ich noch auf einige meiner Besatzungsmitglieder, welche mir ebenfalls von dem, naja Gespräch konnte man es schlecht nennen, Austausch mit dem Chevalier berichteten. Dieser war wirklich ein sehr unangenehmer Zeitgenosse und man hatte den Eindruck, dass er auch nicht so schnell von seiner Meinung abweichen würde. Das konnte ja noch lustig werden. Innerlich legte ich mir eine Art Schlachtplan zurecht, einfach um mich abzulenken.
Kurz vor dem Eingang zu Haythams Residenz sah ich einen Pulk von Menschen um einen Mann stehen, welcher sich mit einem extremen französischen Akzent lautstark Gehör verschaffte. Vor ihm stand völlig eingeschüchtert der mir bereits bekannte Mr. Wolferton. DAS war also Monsieur Gaultier? Groß, dunkle Haare, blasse Haut und... er war sehr laut. Seine Kleidung war wie erwartet gepflegt und ich konnte die üblichen Elemente der Assassinen bei ihm ausmachen. Gab es eigentlich im 18. Jahrhundert eine Richtlinie, dass Gehröcke in allen erdenklichen Blautönen gehalten werden mussten? Auch an ihm fand ich dieses Blau, welches auch in Haythams Kleidung oft zu finden war.
Möglichst ungesehen, versuchte ich an ihm vorbei zukommen. Hatte aber diese Menschenmenge nicht bedacht, die mich einschloss und mich weiterschob. Jedoch in die falsche Richtung. Plötzlich sah Mr. Wolferton zu mir hinüber, als hätte er meine Anwesenheit gespürt und Panik brach in seinen Gesichtszügen aus. Geistesgegenwärtig aber konnte er den Chevalier von mir ablenken und mit einer unauffälligen Geste deutete er mir, ich solle einfach weitergehen.
Leichter gesagt als getan, denn die Leute schoben und drängelten sich um mich herum. Bei Odin, hatten die nichts besseres zu tun? Aber mir fiel auch wieder ein, die Menschen hier hatten nicht die gleichen Kommunikationsmöglichkeiten wie wir, sprich kein Twitter oder ähnliches. Also traf man sich live auf der Straße und jeder Tratsch war recht und willkommen.
Ich schaffte es unbehelligt bis zum Haus des Großmeisters, welcher aber den Tumult bereits bemerkt hatte.
Kapitel 81.1
Als er mich sah, kam er auf mich zu. „Was ist denn da los? Ist jemand umgebracht worden?“ Ich hielt ihn am Arm fest, denn er machte Anstalten sich zu dieser Meute zu begeben.
„Nein, das nicht. Aber kein geringerer als Monsieur Louis-Joseph Gaultier, Chevalier de la Verendrye, hält dort Hof. Naja, nicht ganz, er diskutiert lautstark mit seinem Adjutanten.“
„Weswegen denn das? Hat dieser etwas verbrochen?“ fragte Haytham mich völlig unwissend.
„Ähm, nein, nicht das ich wüsste. Aber es ist wohl wegen mir!“ Und ich sah zu ihm auf, in der Hoffnung, er würde sich nicht mehr auf die Diskussion vor dem Fort konzentrieren!
„Wegen dir? Ah... ich verstehe. Gaultier will eine Wiedergutmachung. Aber... warum ist er nicht direkt zu dir gekommen?“ Der Großmeister sah mich fragend an.
„Deswegen bin ich eigentlich auch wieder hier. Ich brauche deinen Rat. Denn... er hat seinen Adjutanten geschickt, um mitteilen zu lassen, dass er mich herausfordert. Sprich er will ein Duell! Aber als Mr. Wolferton, der Laufbursche, herausfand, dass ich eine Frau bin, wusste er nicht so recht, was er machen sollte. Ich habe einfach darauf bestanden, die ganze Sache nach den Vorschriften durchzuziehen.“
„Du hast was?“ entgeistert schaute Haytham auf mich herab. „Alexandra, du weißt nicht, worauf du dich da einlässt.“
„Warum glaubst du denn, bitte ich dich um Rat? Ich habe doch nicht wirklich Ahnung, nach welchen Regeln GENAU so ein Duell stattfindet. Woher soll ich das auch wissen. Wir wissen das nur aus irgendwelchen Romanen oder ähnlichem. Kannst du mir nicht einfach erklären, wie so etwas abläuft? Muss ich etwas beachten, gibt es Etikette in diesem Zusammenhang...?“ Ich muss völlig verzweifelt mittlerweile geklungen haben.
Master Kenway nahm meinen Arm und führte mich mit einem letzten Blick auf den Chevalier von der Straße weg und in den militärischen Bereich. „Du kannst das unmöglich machen. Eine Frau darf so etwas nicht einmal denken oder in Erwägung ziehen. Ein solcher Schlagabtausch ist nur den Männern vorbehalten!“
Das wurde ja wieder super, also eine REINE Männergeschichte mal wieder. Und was jetzt? „Aber was soll ich denn jetzt machen? Wenn der Chevalier sich nicht bereit erklärt, kann er doch nicht jemand anderen einfach auffordern, gegen ihn anzutreten, oder?“ Denn ich hatte plötzlich Angst, dass Yannick mich vertreten sollte, denn es war das naheliegendste.
„Er kann und er wird!“ Mit einem Bedauern in den Augen sah er mich an und sah sich gleichzeitig nach etwas um. „Wo ist dein Sohn? Denn ich vermute, er wird als Duellant anerkannt, er ist dein Fleisch und Blut und das ist Genugtuung genug.“
Mir wurde schwindelig bei dem Gedanken und ich hielt mich krampfhaft an Haythams Gehrock fest. „Das ist doch nicht wahr, oder? Nicht mein Sohn. Haytham, das geht nicht!“
„Ich befürchte doch. Es sei denn... du bestimmst jemand anderen!“ Verblüfft sah ich auf.
„Wie meinst du das? Ich dachte, ich hätte überhaupt kein Mitspracherecht!“
„Doch, in einer kleinen Weise, hast du die Möglichkeit, jemanden zu bestimmen....“
Da wurde mir klar, was er meinte. Nein... ich würde ganz bestimmt nicht IHN vorschicken!
„Nein, das kommt nicht in Frage Haytham, nur über meine Leiche! DU wirst bestimmt auch nicht für mich einstehen. Das lasse ich nicht zu... Niemals.“ Denn der Gedanke, dass er tödlich verletzt werden könnte, machte mich wahnsinnig, denn dann würde sich ALLES auf einen Schlag verändern.
Aber eine Lösung musste ich dennoch finden!
Kapitel 82.1
Eine Lösung musste her. Weder Yannick noch Haytham würden das für mich übernehmen, das war überhaupt keine Frage. Eigentlich wollte ich das überhaupt nicht mehr durchzuziehen und wenn doch, dann nur mit MIR als Duellantin! Dann schrieb ich eben neue Gesetze dafür. Einmal ist immer das erste Mal!
In diesem Moment unterbrach mich Haytham in meinen Gedanken und wies Kopfnickend auf das Tor, durch welches gerade mein Sohn trat und sich fragend nach der Menschenmenge umsah und dann auf uns zu kam.
„Was ist denn da passiert? Hab ich was Spannendes verpasst?“ fragte er fröhlich. Nanu? Woher auf einmal diese gute Laune mir gegenüber?
„Das dort draußen ist der Chevalier, wenn du es genau wissen willst. Und jetzt kannst du dir an drei Fingern abzählen, warum ich nicht zulasse, dass DU dich mit ihm duellierst. Sieh ihn dir an!“ Ich drehte meinen Sohn Richtung Straße, das Tor stand noch auf.
„Ja und? So furchterregend ist er nun auch wieder nicht!“ Oh bei Odin, dieser jugendliche Wahnsinn und diese Selbstüberschätzung.
„Du solltest aber bedenken, dieser Mann hat jahrelange Kampferfahrung und hat seine Fähigkeiten....“ zu mehr kam der Großmeister nicht, denn Yannick fiel ihm ins Wort. Er leistete sich aber heute echt eine ganze Menge, was war nur los mit ihm?
„Pffff, als wenn ich das nicht wüsste. JEDER belehrt mich diesbezüglich, MASTER Kenway, insbesondere meine eigene Mutter, die anscheinend kein Vertrauen in meine Fähigkeiten hat!“ Polterte er mal wieder ohne nachzudenken drauflos. Ja, er war eindeutig mein Fleisch und Blut!
Neben mir konnte ich spüren, wie Haytham versuchte sich unter Kontrolle zu halten, seine Hände arbeiteten und sein Atem ging schwer. „Junger Mann, ihr habt auch noch keine nennenswerten Fähigkeiten erworben. Dafür seid ihr einfach zu jung und in... einer anderen Zeit aufgewachsen. DAS wird auch das Problem werden!“
„Warum zum Teufel ist das ein Problem? So schwer kann es doch wohl nicht sein. Ich bin ein recht guter Schütze, oder nicht Mum? Du hast das doch schon auf dem Schießstand gesehen! Ich bin ja keine Blindschleiche!“ Ein wenig hilfesuchend sah er mich an. Aber ich musste meinen Sohn enttäuschen!
„Yannick, das waren Übungen mit UNSEREN Waffen. Die Steinschlosspistolen hier sind aber wesentlich schwerer, unhandlicher und auch viel ungenauer, was das Zielen angeht. Und an eines muss ich dich wohl nicht erinnern, was wenn dir … ich kann das nicht zulassen!“ Zu spät bemerkte ich, was Yannick plante.
Mit einem Satz hatte er sich umgedreht und rannte in Richtung des Chevaliers! Wenn er jetzt einen auf Pöbelei machen wollte, nur um Gaultier zu provozieren, dann gnade uns und ihm Gott!
Aber genau DAS hatte er vor. Doch der Großmeister war ebenso schnell in seiner Reaktion und hielt ihn noch an seinem Hemdsärmel fest. „Was glaubst du, was du da machst? Willst du in dein Verderben rennen? Louis wird kurzen Prozess mit dir machen! Also, halt jetzt die Füße still, bis wir eine Lösung gefunden haben!“ schrie Haytham ihn schon fast an.
„Und was glaubt IHR wer ihr seid, MIR zu sagen, was ICH zu tun habe?“ und riss sich aus dem Griff. Kochend vor Wut funkelte er den Großmeister an und dieser hielt dem Blick ungerührt stand.
Doch zu mehr kamen die beiden nicht, denn ein dumpfes Aufschlagen neben mir, kündigte Shay an, der anscheind immer noch eine Vorliebe hatte, die luftigen Wege zu nehmen. Mein Herz hatte für einen Moment ausgesetzt, warum musste dieser Idiot mich so erschrecken? Um Louis nicht über den Weg zu laufen, war er den Weg über die Dächer gegangen. Verständlicherweise!
„Wie ich sehe, habt ihr jetzt schon die Bekanntschaft mit dem über aus charmanten Chevalier gemacht?“ Sein ironisches Grinsen konnte er sich sparen!
Kapitel 83.1
„Bekanntschaft würde ich es nicht nennen. Persönlich habe ich noch nicht mit ihm gesprochen. Aber vielleicht könnt ihr uns ja ein wenig beratschlagen, denn ihr kennt ihn ja besser, als wir alle vermute ich mal.“ Ich bedachte Shay mit einem ironischen Lächeln.
Dieser sah mich nur etwas angewidert an. „Das ist nett ausgedrückt, Mrs. Frederickson. Aber ja, ihr habt Recht. Womit kann ich also behilflich sein?“
„Der nette Herr hat mich, besser gesagt, den Kapitän der Jackdaw zu einem Duell herausgefordert. Und zwar einfach nur, weil die Garfaut … nun ja... von ein, zwei oder drei Kugeln der Breitseitenkanonen getroffen wurde.“ Ich räusperte mich und wartete auf eine Reaktion.
„Eure Crew hat ernsthaft die Garfaut angegriffen? WARUM zum Teufel haben die Männer das gemacht?“ Shay war sprachlos und stand jetzt mit offenem Mund vor mir.
„Naja, es war ja nicht mit Absicht.“ Also erklärte ich ihm das Ganze auch noch einmal, dass das Ganze ein Missverständnis wäre und man ja auch mit Geld die Garfaut wieder instand setzen lassen könne. Meiner Meinung nach eine einfache und praktische und vor allem logische Lösung! Aber wer bin ich, die Gefühlswelt eines beleidigten Herren des 18. Jahrhunderts zu verstehen?
„Das ist natürlich wie ein Freifahrtschein für Louis. Und wenn er will, dann kann er auch noch die Jackdaw von euch fordern, sollte er siegreich aus dem Duell hervorgehen. Wer soll es denn überhaupt bestreiten? Ich vermute, hier wird gerade genau darüber diskutiert?“ Mit einem schiefen Grinsen bedachte er den Großmeister und meinen Sohn und sah mich dann ebenso grinsend an.
„Diskutieren würde ich es nicht nennen, ich versuche nur, Haytham und meinen Sohn davon zu überzeugen, dass BEIDE nicht antreten werden, sondern ich. Aber, ich bin eine Frau, also habe ich nicht einmal das Recht mich selbst zu verteidigen. Ich muss jemand anderen vorschicken.“ Beleidigt und wütend über diesen Zustand stand ich vor dem Iren.
„Aber warum habt ihr Einwände dagegen? Wollt ihr lieber selber eine Kugel abbekommen?“ Eine für ihn berechtigte Frage, für mich völlig unnötig.
„Ja, das würde ich auf mich nehmen. Ich stehe für mich selber ein und werde dem Chevalier sicher kein Kanonenfutter darreichen auf dem Silbertablett!“ Ich baute mich zu voller Größe auf, was jetzt nicht sonderlich hoch ist, und sah ihn voller Überzeugung an.
„Man merkt, ihr seid mit anderen Maßstäben aufgezogen worden und anscheinend könnt ihr das alles nicht so ganz nachvollziehen. Dennoch, es kommt jetzt auf Gaultier an und wie er entscheidet!“ Mit vor der Brust verschränkten Armen sah Shay auf mich herunter.
„Wenn das so ist. Ich muss jetzt wirklich abwarten? Er steht doch dort drüben! Ich könnte doch...“ Haytham fiel mir ins Wort.
„Nein, kannst du nicht! Und du wirst es auch nicht tun. Und siehe da, wenn man vom Teufel spricht!“ Der Großmeister deutete auf den Adjutanten, der gerade durchs Tor trat und auf uns zueilte.
Etwas verunsichert, weil er hier in einem Gebiet der Templer war, sah er mich an. „Mrs. Frederickson, Monsieur Gaultier wünscht euch zu sprechen und euren Stellvertreter!“
„Ich habe keinen Stellvertreter...“ und jetzt wurde ich gleich von drei Herren fast gleichzeitig unterbrochen!
Haytham, Shay UND mein Sohn bauten sich neben mir auf und sagten wie aus einem Mund „Doch, sie hat einen Stellvertreter!“
Das brachte den armen Mr. Wolferton völlig aus der Fassung!
Kapitel 84.1
„A...a...aber, das geht nicht. Sie dürfen nur einen Herren benennen!“ So aus dem Konzept gebracht, wusste er gar nicht wohin er zuerst sehen sollte.
„Mr. Wolferton, ich versichere euch. Ich bin die einzige Person, die sich mit Monsieur Gaultier auseinander setzen wird!“ Ich funkelte die Herren links und rechts neben mir an, denn so langsam reichte es mir. Ich wollte endlich eine Lösung und endlich fertig werden. Höflichkeiten oder Etikette oder Regeln scherten mich genau JETZT mal gerade gar nicht!
„Das... aber das... geht nicht. Er hat ausdrücklich...“
„Verdammt noch mal, ich weiß, was der Chevalier gesagt hat! Und jetzt bringt mich endlich zu ihm, damit wir die Angelegenheit klären können! Ich bin nicht gerade für meine Geduld bekannt!“ Und DAS ließ ich ihn jetzt spüren! Es reichte mir wirklich und ich war sehr sehr ungehalten!
Der kleine Adjutant zuckte bei meinen Worten zurück, als hätte er einige Ohrfeigen kassiert. Dann gab er aber klein bei und zuckte nur mit den Schultern, anscheinend hatte er auch keine Lust mehr zu diskutieren. „Dann folgt mir bitte, Mrs. Frederickson!“
Ich setzte mich in Bewegung, aber nicht alleine, wie auf Kommando folgten mir meine drei Möchtegernstellvertreter. Etwas säuerlich sah ich die Männer an. „Was soll das denn jetzt? Ich will doch erst einmal nur mit ihm reden und ihn nicht gleich aufspießen!“
„Ich gehe lieber auf Nummer sicher!“ kam es trocken von Haytham.
Shay grinste nur und mein Sohn hielt meinen Arm fest. „Mum, du glaubst doch nicht, ich lasse dich da alleine hin?“ Ich rollte einfach nur mit den Augen, dann sollten sie halt mitkommen. Davon abhalten konnte ich sie wohl kaum.
Gaultier sah uns schon auf sich zukommen und die Menschenmenge teilte sich, so wie Moses das rote Meer geteilt hat. „Ahhhh... ihr habt den Verräter auch gleich mitgebracht.Wie praktisch! Na, dann kann ich ja gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen!“ Selbstzufrieden und arrogant stand er da und sah auf mich hinunter.
„Wir sind uns, glaube ich, noch nicht vorgestellt worden?“ Ich reichte ihm meine Hand, denn wenn er schon keine Höflichkeiten austauschen wollte, ICH wollte es! Wie war das mit dem Anstand, der Etikette und dem Ganzen?
Zu meiner Überraschung nahm er völlig automatisch meine dargebotene Hand und ließ einen angedeuteten Kuss darüber fliegen und seine Augen sahen dabei unentwegt zu mir.
„Alexandra Frederickson und ihr seid?“ Diese Frage erübrigte sich zwar, aber... Höflichkeit war ja sehr wichtig, wie ich mittlerweile gelernt hatte und ich konnte sehr sehr höflich sein, wenn ich wollte.
„Louis-Joseph Gaultier, Chevalier de la Verendrye, zu euren Diensten, Mrs. Frederickson.“ Dieser Name war mir wie ins Gehirn gebrannt, warum auch immer. „Wie ich von meinem Adjutanten vernommen habe, seid IHR der Kapitän der Jackdaw, die mich OHNE Vorwarnung angegriffen hat?“ Ein sarkastisches Grinsen legte sich um seinen Mund.
„Nunja, angegriffen ist ein sehr hochgesteckter Begriff. Ich würde eher sagen, IHR seid mit der Garfaut einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen und seid in einige Übungsschüsse meiner Crew gesegelt.“ gab ich mit einer festen Stimme wieder, die eigentlich gar nicht meinem Gemütszustand entsprach! Innerlich tief durchatmend stand ich vor ihm. Und irgendwie vergaß ich diese vornehme Zurückhaltung bei ihm. Bei Haytham hatte ich sie mir in gewisser Weise angewöhnt, aber … DAS war ein anderes Thema!
Ein schepperndes Lachen war die erste Reaktion des Chevaliers. „Ach, so ist das also? Ihr weist die ganze Schuld von euch und versucht euch herauszureden? Das ist ein typisches Verhalten einer Frau!“ es kam ein abwertendes Grunzen von Gaultier! „Genau aus diesem Grunde würde ich nie einer Frau das Kommando eines Schiffes oder einer Einheit übertragen! Unfähig, für die eigenen Taten gerade zu stehen!“ Herausfordernd sah er jetzt auf mich hinunter!
Louis-Joseph wollte mich also einfach provozieren, gut so. Das wird ein Spaß!
Kapitel 85.1
„Unfähig sagt ihr? Wer ist denn nicht in der Lage gewesen, sein eigenes Schiff zu steuern und segelt statt dessen munter drauf los in einen Kanonenhagel! Das war nicht ich, Monsieur Gaultier!“
Hinter mir hörte ich ein zischendes Einatmen, von wem es kam, konnte ich mir schon denken. Haytham! Es wunderte mich, dass er noch gar nichts gesagt hat. Eigentlich seltsam, denn ich bin davon ausgegangen, dass mir nach zwei Sätzen irgendeiner meiner selbsternannten Stellvertreter über den Mund gefahren wäre.
„Ihr glaubt ernsthaft, ich lasse mich von euch auch noch beleidigen? Vielleicht sollten wir die ganze Angelegenheit gleich hier und jetzt erledigen. Dann bin ich euch los und habe wieder meine Ruhe.“ Genervt schaute er in die illustre Runde hinter mir und auf die Menschenmenge, die immer noch neugierig um uns herum stand!
„Ich würde niemals auf die Idee kommen euch zu beleidigen, aber es entspricht nun einmal den Tatsachen. Und nur, weil ihr GLAUBT im Recht zu sein, heißt das noch lange nicht, dass es auch so ist!“ Jetzt kam es etwas zickig rüber, das war nicht unbedingt meine Absicht, aber... zu spät!
Ich konnte sehen, wie der Chevalier schwer schluckte und dann tief einatmete. „Wie ich euch habe mitteilen lassen, erwarte ich Wiedergutmachung UND Genugtuung. Wenn ihr nicht wisst, was ich meine, fragt eure Begleiter!“ Was für ein A… netter Kerl er doch war, ganz so, wie er beschrieben wurde.
„Ich weiß sehr wohl, was es damit auf sich hat und... ich stehe vor euch. Dann lasst uns anfangen, worauf wartet ihr denn noch?Oder habt ihr plötzlich Zweifel, gegen mich anzutreten?“ Ich breitete meine Arme einladend aus! Provozieren konnte ich auch!
Prustend ging Gaultier ein Stück von mir zurück und musterte mich von oben bis unten. „Ich werde wohl kaum mit EUCH ein Duell austragen! Ihr könntet euch selbst verletzen bei dem Versuch eine Waffe zu halten oder zu benutzen, geschweige denn überhaupt gescheit kämpfen.“ Dieses dämliche Grinsen würde ich ihm so gerne aus dem Gesicht schlagen!
„Lasst es doch einfach darauf ankommen, oder seid ihr so ...“ zu mehr kam ich nicht, denn Shay schritt ein.
„Louis, wir kennen alle eure Fähigkeiten! Ihr müsst nicht so damit prahlen. Wenn ihr also einen Vertreter für Mrs. Frederickson benennen würdet. Dann könnten wir die ganze Sache schnell erledigen und wären zum Abendessen wieder daheim!“ Der Ire stand mit erhobenem Haupt und vor der geschwellten Brust verschränkten Armen vor dem Chevalier.
„Sagte ich nicht vorhin schon, dass ich mit euch rechne? Schlecht hören könnt ihr immer noch gut! Denn dann bin ich gleich zwei Probleme auf einmal los und die Bruderschaft hat somit auch noch ihren Frieden!“ Selbstgefälliger Idiot!
„Das kommt gar...“ wieder fuhr mir Shay über den Mund. „Dann soll es so sein! Wann und wo?“ mit einer Selbstsicherheit, die ich beeindruckend fand, wartete Shay auf eine Antwort.
„Morgen früh im Morgengrauen, hinter Miss. Jensens Anwesen, bei der Mühle! Und da ich euch nicht so leicht davon kommen lassen will, werden wir Schwerter nehmen!“ Mit diesen Worten drehte er sich um und ging einfach. Nein, er stolzierte wie ein aufgeplusterter Pfau davon! Ich wiederhole mich, aber war das eine übliche Art, ein Gespräch zu beenden? Mittlerweile bekam ich diesen Eindruck.
Ich stand nur da und konnte ihm nur hinterher blicken. Dann wandte ich mich zu Shay um und schlug ihm mit der flachen Hand einfach auf die Brust. „WAS sollte das? Ich hatte ihn schon fast soweit! Ich werde den Teufel tun und euch vorschicken, an meiner statt anzutreten!“
„Shay hat aber Recht, so könnte man tatsächlich ein wenig Ruhe hineinbringen! Und ich erkläre es ungerne noch einmal, eine Frau wird NIE bei einem Duell antreten! Das verbietet einfach der Anstand!“ kam es von Haytham mit einem Versuch, mich zu besänftigen. Blendet jetzt einfach ein lautes gedachtes AAAARRRRGH von Alex ein!!!!
Mehr als ein Seufzen brachte ich aber nicht zustande. Verstehe einer diese Männer! Und wie sollte ich das bitte Shays Familie erklären? Aber wenn er darauf bestand, sollte er doch selber alles erklären. Mir war auf jeden Fall nicht wohl bei der Sache!
Kapitel 86.1
Dieses Klischee, im Morgengrauen ein Duell stattfinden zu lassen, war jetzt erfüllt und ich wartete noch darauf, dass es auch noch nebelig ist. Also blieb uns nichts anderes übrig, als uns auf den morgigen Tag vorzubereiten.
Aber Shay schien andere Pläne zu haben. Er marschierte Richtung Fort Arsenal, nachdem er sich verabschiedet hatte und ließ uns stehen. Ich eilte ihm hinterher, denn ich war schon neugierig, wie das jetzt so abläuft.
„Master Cormac, nun wartet doch mal. Ich hätte da noch ein paar Fragen!“ ein wenig aus der Puste, weil der Ire doch einen sehr zügigen Schritt drauf hatte, holte ich zu ihm auf.
„Was gibt es denn noch? Ihr werdet morgen schon alles erklärt bekommen. Und vergesst nicht, ICH bin derjenige der antritt und ihr braucht euch keine weiteren Gedanken machen!“ Er lächelte mich wohlwollend an und meinte es vermutlich auch nicht böse, aber ein bisschen wütend war ich immer noch.
„Ja ja, das ist mir schon klar. Aber ich frage mich, wie weit wird denn dieses Duell gehen? Ich meine mich zu erinnern, dass es auf die Schwere der Beleidigung ankommt, wie weit dann gekämpft wird. Und da der Chevalier ja die Schwerter gewählt hat, hoffe ich, dass es nicht bis zum Äußersten kommt?“ In meiner Stimme klang dann doch mehr Besorgnis mit, als ich dachte. Denn mir kam der Gedanke, dass Faith sicherlich nicht erfreut sein wird und ich mich auch noch bei ihr rechtfertigen muss. Auf der anderen Seite, ich konnte jetzt nichts dafür, dass Louis-Joseph sich Shay ausgesucht hat. Aber ich würde an ihrer Stelle vermutlich auch ziemlich sauer sein. Wie sollte ich es aber erklären?
„Mrs. Frederickson, macht euch keine Sorgen. Bis zum Tod wird definitiv nicht gekämpft. Auch wenn Monsieur Gaultier es gerne so hätte und ich muss befürchten, dass er es auch versuchen wird. Denn, wie ihr ja sicher bemerkt habt, ist er nicht so gut zu sprechen auf mich!“ Ein schiefes Grinsen spielte um seine Lippen.
„Ja, das ist mir tatsächlich aufgefallen und ist wohl auch nicht verwunderlich, oder? Man schimpft euch schließlich Verräter. Aber ich hoffe wirklich, dass alles gut ausgehen wird.“ Ich legte meine gesamte Hoffnung in meine Stimme und hoffte wirklich, dass Shay heile aus dieser Nummer herauskommen wird. Ich ließ ihn ziehen und sah ihm noch eine Weile nachdenklich nach. Er machte nicht den Eindruck, als wäre er nervös oder besorgt. Entweder konnte der Ire das gut überspielen oder es war ihm wirklich egal.
So ging ich wieder zurück zu Yannick und Haytham. Mittlerweile war es Abend geworden, die Menschenmenge hatte sich endlich auch aufgelöst. Man hörte hier und da jedoch immer wieder Gemurmel hinter vorgehaltener Hand, was denn nun mit diesem Duell wäre und jede Menge Spekulationen darüber, dass es bestimmt um eine Frau ginge. Wenn die wüssten!
Die Nacht verlief schlichtweg schlaflos für mich und wenn ich dann doch einmal kurz ein nickte, hatte ich Bilder von einem blutverschmierten Shay vor Augen! Was, wenn er doch schwer verletzt wurde oder noch schlimmeres? Gleichzeitig sah ich mich einer trauernden und gleichzeitig ziemlich wütenden Faith gegenüber! Das war ja schlimmer als ein Albtraum! Ich versuchte mich mit Schäfchen zählen und ich dachte blöderweise über Zuhause nach. Aber das brachte mich fast zum Heulen.
Neben mir hörte ich ein tiefes Seufzen und die Frage, ob ich nicht schlafen könne. „Du brauchst dir wirklich keine Gedanken machen, Shay weiß, was er tut. Ich vertraue ihm da voll und ganz. Versuch nicht daran zu denken!“ kam es von einem schläfrigen Haytham.
„Das mag ja alles sein, aber wenn doch schlimmeres passiert? Du weißt, dass ich dann damit die Zukunft verändert habe und das ist nicht gut!“
Der Großmeister schloss mich demonstrativ in seine Arme, so als wolle er alle negativen Gedanken aus mir heraus drücken und ich klammerte mich regelrecht an ihn. Es beruhigte mich aber tatsächlich ein wenig und ich genoss diese Umarmung einfach. Denn... ich würde sie bald ganz aufgeben müssen!
Kapitel 87.1
Der nächste Morgen kam schneller als mir lieb war oder besser das Morgengrauen. Ja, ein blödes Wortspiel, aber es graute mir vor diesem Morgen.
Reichlich übernächtigt stieg ich aus dem Bett, während Master Kenway bereits auf den Beinen war. „Warum hast du mich nicht gleich mit geweckt?“ maulte ich ihn auch gleich in meiner fröhlichsten Stimmung ohne Kaffee an.
Ein Prusten aus Richtung des Ankleidezimmers war zu vernehmen. „Ich bin davon ausgegangen, dass du sowieso wach wirst, so bald ich meine Beine aus dem Bett habe. Und siehe da, ich hatte Recht.“ War ich wirklich so leicht zu durchschauen?
Ich nahm den Lappen und tauchte ihn in die Waschschüssel und wusch mir mein Gesicht. Das kalte Wasser war belebend und tat wirklich gut. Also, dann mal anziehen. Ich entschied mich aber bewusst für meinen Ornat und ohne meine Waffen würde ich heute sicher nicht aus dem Haus gehen.
Fasziniert sah der Großmeister mir die ganze Zeit dabei zu, wie ich Schicht für Schicht anzog und mein Schwert, die Pistolen und meine Klingen anlegte. Ebenso verstaute ich mein geliebtes Stiefelmesser. Als es so in meiner Hand lag, krabbelte ein dunkler Fleck über mein Herz und ich dachte für einen Moment wieder an Edward. Ich räusperte mich und steckte es weg.
Als ich fertig war, drehte ich mich um und sah Haytham fragend an. Na gut, ich wollte keinen Schönheitswettbewerb gewinnen, aber eine Meinung hätte ich schon gerne gehabt. „Interessant, wie schnell aus einer einfachen Frau eine Assassine wird. Was war das für eine Waffe, die du hinter deinen Rücken geschoben hast?“ Er sprach von meiner Glock.
„Das ist eine Schusswaffe aus meiner Zeit. Ich habe sie gerne dabei, einfach nur aus Sicherheitsgründen. Sie ist schneller, genauer beim Zielen und vor allem, ich muss nicht jede Kugel einzeln nachladen.“
„Wie soll das gehen? Ohne Schwarzpulver und ...“ ich ließ ihn einfach gar nicht erst ausreden. Denn für eine lange Erklärung war jetzt nicht die Zeit und mein Geduldsfaden war sehr sehr kurz heute morgen. „Ich erklär dir die Waffe später!“ sagte ich stattdessen etwas ungehalten nur und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
Als wir unten ankamen, war Yannick auch schon dort und hatte sich aus der Küche mit Brot versorgt und kaute genüsslich darauf herum. Hunger hatte ich ehrlich gesagt gar keinen. Mrs. Wallace reichte mir wortlos aber grinsend einen großen Becher mit Kaffee. Sie war ein Engel, erwähnte ich das schon? Ich nehm sie einfach mit nach Hause, schoss es mir durch den Kopf!
Mit einer Kutsche machten wir uns zu dritt auf den Weg Richtung Hopes Anwesen. Shay würde dort schon auf uns warten. Inständig hoffte ich, dass Faith auch anwesend ist, denn ich... ja was wollte ich denn? Mich entschuldigen, falls etwas passierte? Wollte ich einfach nur mein Gewissen beruhigen, dass ich ja nichts dafür konnte. Verdammt noch mal, ich wollte keinen Familienvater für mich gerade stehen lassen. Tief in mir hoffte ich darauf, dass sie es ohne große Worte verstehen würde und mir nicht grollen würde. Der Weg bis zum Anwesen kam mir endlos vor und meine Gedanken halfen auch nicht wirklich, das Ganze zu beschleunigen!
Das Klischee erfüllte sich, es war nebelig, es war kalt und einfach unwirklich. Die Sonne wollte aufsteigen, aber man hatte den Eindruck, sie würde es nie schaffen. Als wir an unserem Ziel ankamen, sahen wir den Iren bereits an einem Baum neben der großen Mauer, die das Anwesen umgab, lehnen. So als würde er auf einen guten Freund warten. Nichts deutete bei ihm darauf hin, dass er gleich ein Duell ausfechten würde. Aber von seiner Frau war keine Spur, war das jetzt ein gutes Zeichen? Oder hatten die beiden deswegen noch ein nächtliches Streitgespräch gehabt?
Ich hoffte, das angeborene Glück der Iren hätte auch er inne. Haytham trat auf ihn zu, um ihn zu begrüßen. „Guten Morgen Shay, ich hoffe, ihr hattet eine ruhige Nacht und seid vorbereitet?“ Mein Templer versuchte so neutral wie es nur ging zu klingen, aber auch ihm war anzumerken, dass ihm das Ganze nicht behagte. Wo wir wieder beim Thema wären, dass Haytham große Stücke auf Shay hielt. Er passte auf ihn auf?
„Ebenfalls guten Morgen, Master Kenway. Vorbereiten? Ihr meint auf den Chevalier? Ich kenne seine Kampftaktiken und weiß um seine Erfahrung. Er hat es mir ja oft genug gezeigt!“ Etwas missmutig schaute Shay auf das Anwesen.
Lange warten mussten wir nicht, denn schon schritt Louis-Joseph um die Ecke und auf uns zu.
Kapitel 88.1
Du meine Güte, der Chevalier zog ein Gesicht, wie sieben Tage Regenwetter. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich eigentlich erwartet, dass er völlig überheblich und siegessicher mit strahlender Mine auftaucht.
Aber anscheinend war er nicht gerade ein Morgenmensch. Eine Gemeinsamkeit, die ihn mir nicht im Geringsten sympathischer machte und mich auch nicht gerade dazu ermunterte ihm einen Kaffee anzubieten!
Mit einem genervten Seufzen stand er nun vor Shay. „Ah, der Bauernlümmel hat es pünktlich geschafft und ist auch noch nüchtern. Welch erfreulicher und zudem seltener Zustand!“ Er war noch keine fünf Minuten anwesend und schon provozierte er, was das Zeug hielt. Ich hätte ihm am liebsten sein dümmliches Grinsen aus dem Gesicht geschnitten!
Shay aber reagierte völlig gelassen. „Ich wünsche euch ebenfalls einen guten Morgen! Wie ich sehe, konntet ihr eure alten Knochen noch aus dem Bett bewegen ohne Hilfe!“ Unentschieden für den Iren! Ich konnte so langsam verstehen, was seine Frau an ihm fand. Schlagfertig, im wahrsten Sinne des Wortes, war er ja!
Louis machte einen Schritt auf seinen Duellpartner zu und funkelte ihn wütend an. „Diese alten Knochen werden euch schon noch zeigen, wohin ihr gehört!“
Plötzlich vernahmen wir alle ein Räuspern, denn die Sekundanten machten sich bemerkbar. Verständlich, denn ich konnte mir vorstellen, dass sie auch nicht den ganzen Tag Zeit für diese Sticheleien hatten. Für Shay war Gist an seiner Seite und für den Chevalier trat ein mir unbekannter Mann zur Seite. Anscheinend war auch Cormac der Mann unbekannt, oder er zeigte es nicht.
„Wählt die Waffen!“ meldete sich der Unbekannte zu Wort und reichte Gaultier den Kasten mit den Schwertern und öffnete ihn. Unglaublich, aber dieser Mann stand jetzt mit einem Gesichtsausdruck da, als müsse er überlegen, WAS er denn jetzt wählen sollte. Es waren nur zwei Schwerter darin und sahen völlig identisch aus, soweit ich das beurteilen konnte. Und wieder hoffte ich, dass der Chevalier kein falsches Spiel hier trieb!
Er tippte auf das untere Schwert und der Sekundant reichte den Kasten an Shay weiter, der sich die übrige Klinge nahm. Beide Männer standen sich Waffe schwingend gegenüber. Der ehemalige Assassine versuchte ein Gespür für seine Duellwaffe zu bekommen, ebenso, so schien es zumindest, Gaultier. Ich beobachtete ihn dann doch etwas eingehender und seine Aura erschien in leuchtendem Rot! Ich wurde jetzt doch nervös, denn in mir machte sich der Gedanke breit, dass der Kanadier ein falsches Spiel hier treiben könnte. Zutrauen würde ich ihm das auf jeden Fall!
Gist war an der Reihe, um den Duellanten das Zeichen zu geben, dass sie sich bereit zu machen hatten. Vereinbart wurde nun endlich, wie WEIT der Kampf gehen sollte und es wurde ausgehandelt, was dem Sieger denn zustehen sollte.
„Es wäre nur fair, wenn mir die Jackdaw überlassen wird. Immerhin hat dieses Schiff meiner Garfaut schwere Schäden zugefügt und ich möchte das nicht noch einmal erleben! Außerdem wird gekämpft bis das erste Blut fließt.“
Ich wollte schon den Mund aufmachen, aber mit einer Handbewegung hielt mich der Großmeister zurück. „Monsieur Gaultier, das kann nicht euer Ernst sein. Die Jackdaw wird ganz sicher nicht in euren Besitz übergehen. Immerhin ist sie ein Erbstück für mich. Auch wenn sie eine andere Besitzerin hat. Wir werden etwas anderes finden müssen, wie zum Beispiel die Reparatur eures Schiffes und eine großzügige Geldbörse!“ mit seinem angeborenen Talent, den Leuten Dinge schmackhaft zu machen, offerierte er dem Chevalier diesen Vorschlag, als wäre es das Beste, was dieser je bekommen hat!
Mit einem Blick von Haytham, zu mir und zu Shay, nickte Gaultier plötzlich nur. „Aber ich verspreche euch, treffe ich ein weiteres Mal auf dieses vermaledeite Schiff, garantiere ich für nichts! Also ist es abgemacht.“ DAS war eine Drohung... wie gut, dass ich nicht mehr lange hier sein würde. Und wieder stiegen dunkle Wolken in meinem Geiste auf!
Und mit diesen Worten gingen der Ire und Gaultier in Position und die Sekundanten gaben das Zeichen für den Beginn. Ich zog mich ein Stück zurück, denn allzu nahe wollte ich dem Kampf nicht kommen.
Kapitel 89.1
Und ich muss gestehen, es war durchaus faszinierend, diese beiden Männer mit den Schwertern zu sehen. Für mich war es das aller erste Mal und ich konnte mich von Shays Fähigkeiten endlich selber überzeugen.
Er war jünger als der Chevalier und daher ein wenig schneller und behänder. Wo hingegen Gaultier seine Erfahrung einbrachte. Aber sie nahmen sich beide nichts und ließen den anderen nicht zur Ruhe kommen.
Das ein und andere Mal hielt ich mir erschrocken die Hand vor den Mund, wenn es so aussah, als würde Louis einen direkten Treffer landen. Immer mal wieder war Shay kurz davor, seinen Duellpartner zu erwischen, aber dieser konnte den Attacken gekonnt ausweichen und versuchte dann seinerseits diese Momente zu seinem Vorteil zu nutzen.
Man spürte diesen Hass zwischen ihnen, es fehlten nur noch zuckende Blitze! Yannick starrte ebenfalls neben mir gebannt auf den Kampf. „Wollen wir eine Wette abschließen?“ Das war doch nicht sein Ernst oder?
„Was? Nein, ganz bestimmt nicht. Wir sind für Shay und damit hat es sich.“ Ein enttäuschter Ausdruck huschte über sein Gesicht.
„War ja nur ne Frage. Aber das mal so in real zu sehen, ist wahnsinnig interessant. Ich würde auch gerne so mit dem Schwert umgehen können.“ Mein Sohn war aus Gewohnheit ins Deutsche gefallen und erstaunt hörte ich, wie Haytham ihm antwortete. Also verstand er doch Deutsch?
Er sprach aber auf englisch. „Wenn ihr mehr Zeit hättet, würde ich ja sagen, wir könnten dich unterrichten. Aber ich vermute, dass hiernach eure Heimreise anstehen wird.“ Seine Stimme klang zum Ende hin etwas enttäuscht. Und auch ich musste daran denken und schluckte schwer.
Yannick ging auf die andere Seite von mir und wollte sich gerade neben den Großmeister stellen, vermutlich um mit ihm genauer über ein eventuelles Training zu sprechen. Wir bekamen daher nicht mit, wie der Ire dem Chevalier einen Dolch, welchen dieser plötzlich mit ins Geschehen gebracht hat, mit einem solchen Schwung aus der Hand schlug, dass er im hohen Bogen in unsere Richtung schleuderte.
In Richtung meines Sohnes und ich war zu perplex um zu reagieren. Ich sah nur der Flugbahn der Waffe nach und als ich aus meiner Starre erwachte und meinen Sohn aus der Linie zerren wollte, landete dieser bereits mit der Spitze seitlich in seinem Oberschenkel. Yannick schrie vor Schmerz auf und ließ sich auf die Seite fallen. Auch der Großmeister war nicht schnell genug gewesen, er ließ sich nur neben meinen Sohn fallen und hielt das Bein fest.
Shay hatte sein Schwert fallen lassen, nachdem er dem Chevalier noch den obligatorischen „Todesstoß“ verpasste. Klingt eigenartig, aber es ging nur darum ins Fleisch zu schneiden und nur so weit, dass ein wenig Blut vergossen wurde. Denn Louis musste sich jetzt eingestehen, dass er verloren hatte! Unfaire Methoden wurden nicht geduldet.
Wütend und ebenfalls entsetzt, was da hinter ihm passiert war, stand dieser über meinem Sohn und rang nach Worten, aber tat nichts. Also ignorierte ich ihn einfach, denn er war unwichtig! Ich würde mich später mit ihm beschäftigen und dann mögen ihm Odin und Thor und alle Götter beistehen!
Ich versuchte die Blutung zu stoppen. Aber ich war mir mal wieder nicht so sicher, ob es eine gute Idee war, den Dolch aus dem Oberschenkel zu ziehen.
Es war Gist, der zu Hilfe kam. „Lasst ihn erst einmal, wo er ist und bringt den Jungen heim. Dann sollte sich vielleicht eure Frau darum kümmern, Shay. Und haltet ihn die ganze Zeit fest, damit er sich nicht bewegt beim Transport.“ Er orderte eine Kutsche und gemeinsam hievten sie den mittlerweile sehr blassen Yannick hinein. Ich stieg ebenfalls ein und auch Haytham kam mit.
Der Ire und Gist wollten Faith informieren und dann sofort nachkommen.
Ich war wie gelähmt und starrte nur vor mich hin und mir fiel auf, ich hatte kein einziges Wort gesagt bis jetzt. Ich wandte mich zu Haytham um und sah, wie er besorgt von Yannick zu mir schaute und dann blieb sein Blick an mir hängen.
Kapitel 90.1
Haytham versuchte eine ruhige Stimme zu behalten, aber ich konnte spüren, dass er seinen Zorn versuchte zu unterdrücken. „Es wird alles wieder in Ordnung kommen. So tief ist die Wunde nicht und Miss Cormac ist ein gute Heilerin.“
„Und wenn sie sich entzündet?“ gab ich zu bedenken, während ich vor der Sitzbank kniete und das Bein samt Dolch versuchte ruhig zu halten. Das war nicht einfach, denn die Kutsche schaukelte gewaltig.
„Dann wird es ein Mittel geben, um die Entzündung wieder zu heilen. Ganz bestimmt!“ Ja, ich wüsste da etwas. Antibiotika. Aber das gab es, jetzt und hier, noch nicht. Also musste ich mich tatsächlich auf die Erfahrung der Heilerin verlassen. Verdammt, ich mochte es nicht, wenn ich keine Gewalt über eine Situation hatte.
Als wir im Fort George ankamen, rief Master Kenway die Angestellten zusammen und sie trugen meinen Sohn vorsichtig und langsam hinauf in sein Zimmer. Es kam kein Wort über Yannicks Lippen, die so weiß waren, als hätte er Tipp-ex drauf geschmiert. Seine Augenlider flatterten und er war bewusstlos. Vielleicht auch besser so, denn so spürte er keinen Schmerz.
Kurz darauf erschien auch schon Shays Frau und schickte uns alle hinaus, mit den Worten: „Wenn ich Hilfe benötige, dann lasse ich es euch wissen! Und ihr, Mrs. Frederickson, ihr solltet euch zügig hinlegen, denn ihr seht ebenfalls aus, als würdet ihr gleich umfallen!“ Dann schloss sie die Tür.
Gist, Shay und Haytham standen um mich herum und sahen auf mich hinunter und musterten mich. Und erst jetzt spürte ich tatsächlich, dass meine Beine wie Pudding waren und mir übel war. „Ich glaube, ich sollte mich wirklich hinlegen!“ Und damit wurde mir schwarz vor Augen.
Als ich wieder erwachte, lag ich im Bett des Großmeisters, mit einem kalten Lappen auf der Stirn. Neben mir auf der Bettkante saß derselbige und sah mich an. „Ah, da bist du ja wieder!“ Er nahm meine eiskalte Hand in seine und versuchte sie zu wärmen.
„Wie lange war ich denn weg? Ich hoffe doch nicht lange?“ Draußen war es noch hell, also konnte es noch nicht Abend sein.
„Ungefähr eine Stunde. Kein Grund zur Besorgnis. Miss Cormac hat auch nach dir gesehen und mir versichert, dass alles seine Ordnung hat!“
„Wie geht es Yannick?“ Viel zu schnell richtete mich auf und bereute es gleich, denn mir wurde wieder schwindelig.
„Deinem Sohn geht es den Umständen entsprechend gut. Die Wunde ist tatsächlich nicht sehr tief. Und der Dolch hat keine Adern oder Muskeln getroffen. Er hatte noch mal Glück im Unglück. Aber der Blutverlust ist nicht von der Hand zu weisen. Ein paar Tage wird Yannick im Bett bleiben müssen, bis er wieder bei Kräften ist und die Wunde einigermaßen verheilt ist.“
„Kann ich zu ihm? Oder ist Faith noch anwesend?“ Mutterinstinkte waren ein Fluch und ein Segen zugleich. Man kann noch so krank sein, aber das eigene kranke Kind ist immer schlimmer! Da baute man Kräfte und Energien auf, die niemand sonst versteht. „Ja, wenn es dir gut genug geht, können wir nach ihm sehen. Er schläft gerade und ist versorgt! Mach dir keine Sorgen, Alex!“ Haytham konnte das nicht nachvollziehen, aber ich würde wie eine Löwin für mein Kind kämpfen, koste es was es wolle!
Ich wollte schon meine Beine aus dem Bett schwingen, als plötzlich Shay in der Tür auftauchte.
„Master Kenway, könnte ich euch kurz unter vier Augen sprechen?“ Er verneigte sich entschuldigend in meine Richtung.
„Ja, sicher Shay. Lasst uns hinunter ins Arbeitszimmer gehen.“ Mit einem Kuss auf meine Stirn stand er auf und ging mit dem Iren hinunter.
Kapitel 91.1
Was konnte so wichtig sein, dass die beiden unter vier Augen sprechen mussten? Ich hoffte inständig, dass es nichts mehr mit dem Chevalier zu tun hatte. Denn ich hatte kein Bedürfnis, diesen noch einmal zu Gesicht zu bekommen.
So saß ich eine Weile auf der Bettkante, bis das Schwindelgefühl nachließ und ich sicher aufstehen konnte. Etwas verloren, wie so oft, stand ich in Haythams Zimmer und sah mich um. Vielleicht sollte ich mich einfach frisch machen und mich ordentlich anziehen. Ich trug ein Hemd vom Großmeister und damit konnte ich schlecht über den Flur und die Galerie zu meinem Sohn.
Also suchte ich in meiner kleinen Truhe nach dem einfachen Kleid und zog mich an. Als ich gerade zur Tür hinaus wollte, wurde diese aufgestoßen und Mrs. Wallace erschien im Zimmer.
„Ahhhh, ihr seid wieder auf den Beinen. Das freut mich, Alex. Ich habe für euch in der Küche schon etwas vorbereitet. Ihr solltet etwas zu euch nehmen und dann zu eurem Sohn gehen.“ kam es freudestrahlend von ihr!
„Ihr seid ein Engel, Sybill.“ Mit diesen Worten folgte ich ihr die Treppe hinunter, nachdem ich mich aber doch kurz vergewissert hatte, dass Yannick wohlbehütet in seinem Bett schlief.
In der Küche sahen mich die Mägde mitleidig an, aber keine wagte etwas zu sagen. Bis auf die Jüngste. „Verzeiht, Mrs. Frederickson. Aber warum hat sich euer Sohn denn duelliert? Ist das nicht verboten?“ fragte sie völlig ungeniert.
Verblüfft sah ich sie an. Wer hatte denn dieses Gerücht in die Welt gesetzt? „Verzeiht, aber nicht mein Sohn sondern Master Cormac hat sich mit Monsieur Gaultier duelliert. Und auch nur, weil ICH ja nicht antreten durfte. Denn eigentlich hätte ich an Master Cormacs Statt dort sein sollen.“
„Oh, das wusste ich nicht. Was habt ihr denn verbrochen, dass dieser Chevalier ein Duell forderte?“ Ich war mir nicht sicher, ob ich ehrlich antworten sollte. Denn es würde sonst Getratsche geben und irgendwelche Gerüchte gestreut werden. So sagte ich nur, dass es einfach ein Missverständnis war und jetzt alles geklärt sei!
Etwas enttäuscht, weil ich keine schmutzigen Einzelheiten preisgeben wollte, gingen die Küchenmädchen wieder ihrer Arbeit nach. Nur Mrs. Wallace sah mich wissend an und grinste. Nachdem ich mich mit Sybills Köstlichkeiten gestärkt hatte, ging ich hinauf zu Yannick.
Auf halbem Wege kam ich am Arbeitszimmer von Haytham vorbei und da die Tür ein Stück offen stand, schnappte ich ein paar Wortfetzen auf. Lauschen macht man ja nicht, ich weiß, aber ich konnte nicht widerstehen. „Aber wir sollten jetzt endlich an die Schatulle denken und sehen, wo sie sich befindet, bevor Hope sie aktivieren kann!“ kam es gerade von Shay.
„Ja, das weiß ich. Fangt am besten mit der Befragung umgehend an. Ich werde Charles und Thomas ebenfalls instruieren und sie darauf ansetzen.“ meinte Haytham etwas genervt, oder kam es nur mir so vor?
„Apropos Charles, was erwartet ihn eigentlich noch für eine Strafe? Ihr sagtet, dass er für seine abscheuliche Tat an Mrs. Frederickson bezahlen wird. Und wenn ich offen sein darf, ungestraft sollte man ihn nicht davon kommen lassen!“ Klang da etwa Schadenfreude in Shays Stimme mit?
„Ich weiß es, ehrlich gesagt, noch nicht. Das geht mir die letzten Tage schon im Kopf herum und in meiner Pflicht als Großmeister bin ich hin- und hergerissen! Charles hat eine nicht wieder gut zumachende Tat begangen, aber ich kann ihn nicht des Ordens verweisen... Ich werde jetzt erst einmal sehen, dass der Junge wieder auf die Beine kommt und dann... Wir werden sehen!“ Mit diesen Worten und einem tiefen Seufzen stand er auf, denn ich hörte das quietschende Geräusch von Holz auf Holz.
Schnell ging ich die Treppe hinauf und in Yannicks Zimmer.
Kapitel 92.1
Als ich das Zimmer meines Sohnes betrat, hörte ich leises Stöhnen. Er lag in seinem Bett, sein rechter Oberschenkel war fest verbunden und lag auf der Decke. Yannick bewegte sich fahrig hin und her und ich sah diesen fiebrigen Schweißfilm auf seinem Gesicht.
Leise ging ich zum Wasserkrug und goss kaltes Wasser in die Schüssel, tauchte das daneben liegende Tuch hinein. Ich hoffte, dass das Fieber nicht allzu hoch war und ich ihm Erleichterung mit der Kühlung verschaffen konnte.
Vorsichtig legte ich ihm den nassen Stoff auf die Stirn und Yannick wurde ruhiger und auch sein Atem wurde wieder flacher und gleichmäßiger. Behutsam tastete ich mit meinen Händen an seine Wangen, sie waren warm und Schweißnass. Wie hoch mochte das Fieber wohl sein?
Ich setzte mich auf die Bettkante und hielt seine Hand in meiner und streichelte sie zur Beruhigung, für ihn und für mich auch. Tatenlos neben seinem Kind zu sitzen ist grausam. Ich fing an, Anekdoten zu erzählen. Yannicks erste Erkältung, seine erste Beule, als er im Sandkasten auf die Kante fiel. Die Geschichten hatten zwar für Außenstehende keinen Sinn, aber sie lenkten mich von dem Gedanken an die Wunde ab. Aber dieses Gespräch ging mir nicht wirklich aus dem Kopf. War es denn so schwer, dieses Schwein zu bestrafen? Es musste doch eine geeignete Strafe geben!
Gerade als ich bei dem gebrochenen Fuß ankam, öffnete sich leise die Tür und Haytham steckte den Kopf vorsichtig hinein. „Da bist du ja, ich will nicht stören, aber darf ich eintreten?“ fragte er vorsichtig.
„Aber sicher, ein bisschen Gesellschaft kann ich gut gebrauchen.“ Ich versuchte ein Lächeln, aber so richtig klappte es nicht.
„Du siehst schon viel besser aus. Lass mich raten, Mrs. Wallace hat dich aufgepäppelt?“ Ein leises Lachen kam über seine Lippen.
„Ja, sie ist wirklich großartig. Pass bloß auf, dass Shay sie dir nicht doch noch abspenstig macht. Er hat schon gemerkt, wie unentbehrlich diese Frau ist!“ Nun klappte auch meinerseits ein Lächeln.
„Keine Sorge, dafür werde ich sorgen. Und wenn ich sie einsperren muss!“ Im selben Moment machte er ein verlegenes Gesicht, denn er dachte an das gleiche wie ich. Daran, dass er MICH ja auch in gewisser Weise eingesperrt hatte. „Entschuldige, das war eine schlechte Wortwahl!“ Ein Kuss auf meine Stirn teilte mir seine Entschuldigung mit.
Ich sah zu ihm auf und nahm einfach seine Hand und drückte sie. Denn mir brannten Tränen in den Augen und mein Hals war auf einmal wie zugeschnürt. Immer diese urplötzlichen Gefühlsausbrüche, das konnte ich jetzt wirklich nicht gebrauchen.
„Mum? MUM???“ kam es aus dem Krankenbett und riss mich aus meiner Gefühlswelt!
„Ich bin hier, Yannick!“ Ich beugte mich über ihn, damit er mich sehen konnte. Aber seine Augen fielen immer wieder zu und wenn sie offen waren, glänzten sie fiebrig und es schien, als würde er durch mich hindurchsehen.
Doch es dauerte nicht lange, da war er wieder eingedöst und atmete wieder gleichmäßiger!
„Was hat Miss Cormac denn noch erzählt? Wie lange wird es dauern, bis Yannick wieder auf den Beinen ist?“ fragte ich, damit ich Ablenkung bekam.
„Sie meinte, es würde ungefähr drei oder vier Tage dauern, bis der Blutverlust ausgeglichen ist. Vorausgesetzt, dass dein Sohn trinkt und eventuell auch etwas isst. Miss Cormac rät zu rotem Wein und Fleisch. Das soll Wunder wirken.“ Ich konnte nicht anders, aber ich kicherte plötzlich drauf los.
Haythams Gesicht nahm einen alarmierten Ausdruck an, so als würde ich gleich durch drehen!
„Ich soll meinem kranken Kind ernsthaft Wein einflössen? Das meinst du nicht ernst, oder?“ Ich musste mich arg zusammen reißen, um nicht lauter zu lachen. Denn das war ein völlig absurder Gedanke...
Kapitel 93.1
Aber dann wurde mir klar, dass man das in dieser Zeit wirklich ernst meinte. Da Wasser wenig gesundheitsfördernd war, weil es oft verunreinigt war, griff man zu alkoholischen Getränken, Alkohol desinfiziert ja bekanntlicher Weise! Und sicher, Rotwein galt in geringen Mengen als gesund, aber... Sollte ich Yannick mit seinen 16 Jahren wirklich Wein geben um gesund zu werden? Noch musste ich nicht ernsthaft darüber nachdenken. Denn er war in einem halb bewusstlosen und halb schlafenden Zustand und eh nicht in der Lage etwas zu sich zu nehmen.
„Vertrau der Heilerin einfach, sie weiß schon, was sie tut. Dein Sohn ist sicher nicht ihr erster Patient.“ Beruhigend tätschelte er mir die Schulter.
„Ich glaube dir ja, aber... es klingt so abwegig. In meiner Zeit ist Alkohol halt kein Heilmittel, sondern wird als gefährlich in großen Mengen eingestuft. Ein Teufelszeug, wenn du mich fragst!“ sah ich ihn ein wenig tadelnd an.
„Yannick soll ja auch nicht gleich ein ganzes Fass trinken, sondern nur ein oder zwei Gläser pro Tag. Und ich passe schon auf, dass er nicht zu viel bekommt.“ Seine Mundwinkel zuckten nach oben und wieder einmal musste ich an damals denken, als er mich fast genauso angelächelte hatte auf der Jackdaw. Beim Abschied...
Der Abschied... wenn mein Sohn einigermaßen wieder genesen war, würden wir wieder nach Hause zurück reisen. Und was hatte ich bis jetzt erreicht hier? Nichts... gar nichts. Eine Mischung aus Frust und Trauer und Abschiedsschmerz überkamen mich. Ich schüttelte den Gedanken ab, darüber wollte ich einfach nicht nachdenken.
„Ist mir schon bewusst, Haytham. Versprich mir nur, dass er wirklich nur die vorgeschriebene Menge bekommt. Aber ich glaube, ich werde das selber überwachen. Ich würde die nächsten Nächte dann hier verbringen, nur für alle Fälle.“
„Natürlich, das ist ja verständlich. Soll ich einen Teil deiner Sachen schon einmal hinüber bringen lassen?“ fragte der Großmeister mit einem leisen Anflug von Enttäuschung.
„Danke, das ist nicht nötig. Ich werde gleich selber sehen, was ich hier brauche.“ Ich erhob mich etwas schwerfällig, weil ich die ganze Zeit so schräg auf der Bettkante gesessen hatte und mir mein Fuß eingeschlafen war. Haytham bemerkte mein leichtes Schwanken und gleich kam seine Besorgnis zurück.
„So kannst du unmöglich...“ ich unterbrach ihn gleich, denn ich war nicht im Begriff ohnmächtig zu werden. „Mir ist nur der Fuß eingeschlafen. Mehr nicht. Keine Sorge!“ Beruhigend sah ich zu ihm auf.
Mit einem Blick zum Bett vergewisserte ich mich, dass Yannick schlief und verließ das Zimmer. Der Großmeister folgte mir, vermutlich um mir dann doch zu helfen, ein paar Kleinigkeiten hinüber zu schaffen. Im Ankleidezimmer machte ich mich daran, meine Bücher und einiges Schreibmaterial zu packen. Dabei fiel mir das Buch von Oliver Bowden aus der Tasche. Haytham hob es auf und betrachtete es fragend.
Etwas erschrocken, weil er ja nichts von diesen „Auszügen“ seiner Tagebücher wusste, wollte ich schon danach greifen. Aber er schlug es auf und bekam große Augen. „Wie... sind das... das kann unmöglich sein!“
Ich schluckte schwer und wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. „Haytham, ich hatte dir doch von diesen Aufzeichnungen erzählt und dass es eben auch Briefe und Tagebücher von dir gibt.“ Ich versuchte entschuldigend zu klingen.
„Ihr habt wirklich in meinen privaten Unterlagen gelesen? Das ist... ich weiß nicht was ich sagen soll!“ Sein Gesicht hatte eine unnatürliche Rotfärbung angenommen. Es war Wut und auch Enttäuschung und vor allem auch ein kleiner Teil von Scham.
Ich versuchte eine Erklärung, aber würde sie helfen, das ganze Unterfangen zu erklären?
„Sieh es doch einmal von meiner Seite. Für uns liegen diese Ereignisse schon über 250 Jahre zurück. Für unsere Forscher sind das wichtige Dokumente, die uns die Geschichte und ihre Hintergründe näher bringen. Was würdest du mit einem Tagebuch oder einem anderen Schriftstück machen, welches so alt wäre? Hättest du da auch moralische Bedenken?“ Nun griff ich in die Vernunftskiste und hoffte, der Großmeister könnte es wenigstens so verstehen.
Kapitel 94.1
Master Kenway besah sich immer noch das Buch in seinen Händen, immer noch mit diesem ungläubigen Blick. Er blätterte einige Seite durch, las immer mal wieder kleinere Auszüge. Es war mir eigentlich überhaupt nicht recht, denn gerade am Anfang geht es ja um den Tod von Edward und wie er ihn empfunden hat. Ich wollte nicht, dass Haythams Gedanken dorthin wanderten.
Vorsichtig legte ich meine Hand auf seinen Arm und ein wenig erschrocken sah er zu mir herunter. „Haytham, du solltest nicht jetzt darin lesen. Du weißt, was du damals geschrieben hast. Belaste dich jetzt nicht mit der Vergangenheit. Bitte, tu mir den Gefallen!“ In seinen Gesichtszügen konnte ich eine Veränderung wahrnehmen, Trauer und so etwas wie Enttäuschung. Jetzt bekam ich ein schlechtes Gewissen.
„Jetzt sagt doch etwas!“ flehte ich ihn an.
„Mir fehlen die Worte. Denn... es ist ein sehr seltsames Gefühl, seine eigenen Worte, seine eigenen Gefühle noch einmal zu lesen. Und gleichzeitig zu wissen, dass es ein Fremder in ein Buch geschrieben hat. Es fühlt sich falsch an.“ Er sah mich nur an und in seinen grauen Augen machte sich wieder diese Kälte breit. Galt diese jetzt mir?
„Warum hat man danach gesucht in deiner Zeit?“
Etwas perplex überlegte ich, was ich darauf sagen sollte. Denn man hatte ja nicht explizit danach gesucht, sondern es war im Laufe der Zeit halt weiter gereicht worden. Es sollte ein Bild malen, welches Haythams Beweggründe erklärte.
„Man hat nicht wirklich danach gesucht. Die Bücher wurden im Orden weiter gereicht im Laufe der Jahre. Und ich gehe einfach davon aus, dass man aufzeigen wollte, warum du so gehandelt hast, wie es im Endeffekt war. Es ist ja kein Schundroman, der dich bloß stellt. Aber tu mir bitte einen Gefallen und lese nicht weiter!“ Ich hielt meine Hand hin, damit er mir das Buch geben konnte. Zögerlich reichte er es mir und sah mir dabei mit einem lauernden Blick in die Augen. Oh bitte, nicht schon wieder dieses Spielchen.
„Haytham, lass das. Du weißt, ich mag das nicht.“ Ich drehte mich zu meiner Kiste um und fischte jetzt die restlichen Sachen heraus, die ich mit hinüber nehmen wollte. Darunter auch mein eigenes Tagebuch.
Da kam mir der Gedanke, ich sollte fairerweise auch ihn ein paar Seiten daraus lesen lassen. Vielleicht stimmte Haytham das ja wieder friedlicher. Also reichte ihm mein Journal.
„Hier, mein Tagebuch. Ich möchte, dass du meine letzten Einträgen aus den letzten Tagen liest. Du wirst merken, es ist wirklich wie eine Beschreibung der Ereignisse. Genau wie bei dir. Und es würde späteren Generationen nur dienlich sein, um die Reisen die ich gemacht habe, näher zu bringen.“
„Das machst du doch jetzt nur, um mich zu beruhigen, oder?“ mit einem schiefen Grinsen sah er auf mich hinunter.
„So könnte man es auch sehen, ja. Und ich gehe einfach davon aus, dass es durchaus privatere Schriften von dir gibt, welche vermutlich niemand zu Gesicht bekommen hat oder bekommen wird. Denn so etwas hat jeder.“ Ich schlang meine Arme um seine Taille und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Wofür war der Kuss jetzt?“ Etwas misstrauisch beäugte er mich.
„Der war einfach für dich, weil ich dich nämlich durchaus verstehen kann. Aber ich kann ja nicht ändern, dass ich dieses Buch in die Finger bekommen habe. Und wenn ich ehrlich sein darf, dort stehen gar nicht so spannende Sachen. Die erlebe ich dann doch lieber direkt mit dir!“
Mit einem Mal fand ich mich rücklings auf dem Rollbett wieder mit dem Großmeister über mir. Und dieser schien meine Worte am liebsten gleich in die Tat umsetzen zu wollen. Doch, wie es so oft ist, wurden wir unterbrochen...
Kapitel 95.1
Laute Rufe kamen über den Flur und die Galerie aus Yannicks Zimmer. In Windeseile war ich auf der anderen Seite und stand in der Tür und traute meinen Augen nicht.
Mein Sohn musste aufgewacht sein und hatte versucht aufzustehen. Jetzt lag er wie ein zusammengesackter Mehlsack auf dem Boden und krümmte sich vor Schmerzen und hielt sein kaputtes Bein.
„Yannick, was in Odins Namen hast du hier gemacht? Du sollst nicht aufstehen!“ Ich kniete neben ihm und hielt seinen Kopf auf meinem Schoss, ich versuchte die Angst und Panik irgendwie zu unterdrücken!
„Wenn mich aber niemand hört, dann muss ich ja alleine aus dem Bett!“ fauchte er mich mit zusammen gebissenen Zähnen an. „Du schienst ja wieder BESCHÄFTIGT zu sein mit diesem Templerabschaum!“ Sein Blick wanderte völlig fahrig von mir zu Haytham und plötzlich erschlaffte sein Körper auf meinem Schoss und mein Sohn war wieder ohnmächtig. Woher...? Das Fieber... mehr nicht!
Entschuldigend sah ich zum Großmeister auf, der jedoch stand mit offenem Mund in der Tür. Plötzlich drehte er sich nur noch um und ging mit polternden Schritten hinunter. Verdammt, ich konnte seine Wut förmlich spüren! Was hatte sich Yannick bei dieser Bemerkung nur gedacht?
Kurz darauf kam Haythams Kammerdiener und half mir, den Patienten wieder ins Bett zu hieven. Die Wunde blutete wieder und durchtränkte schon die Verbände. Wir ließen Miss Cormac rufen, denn ich wollte kein Risiko eingehen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie hier erschien. Aber wie beim letzten Mal schon, schob sie alle hinaus.
Ich stand vor der Tür und war wütend. Wütend auf Yannick, wütend auf Haytham und auf mich selber, dass ich die Situation nicht gleich klären konnte! Aber ich schob diesen Ausbruch auf das Fieber und … auf die Teenagerlaunen, welche ich ja mittlerweile schon kannte. Eine Entschuldigung war es aber einfach nicht. Irgendwie konnte ich Yannick ja verstehen, dennoch war es nicht an ihm, so zu urteilen. Unschlüssig trat ich von einem Bein aufs andere und wartete darauf, dass man wenigstens mich wieder hinein bat.
In meinem Kopf spielten sich unglaubliche Szenen ab. Yannicks Bein musste amputiert werden, er bekam hohes Fieber und... nein, über das Schlimmste wollte mein Gehirn keinen Film verfassen und ich sicher auch nicht. Ich spürte wie mir mal wieder die Tränen über die Wangen liefen, vor Wut, vor Trauer, vor Verlegenheit und vor allem wegen dieser aufgezwungenen Untätigkeit. Ich hasste es!
Mit einem Mal nahm ich den Geruch von ungewaschener Kleidung und Hund wahr. Mein Gehirn stellte direkt auf Alarm und mein ganzer Körper spannte sich an. Als ich meine Augen aufschlug, sah ich direkt in diese kalten hellgrünen Augen von Charles! WAS in drei Teufels Namen...??? Mein Körper wollte ausweichen, es ging nicht. Mein Kopf schrie nur: LAUF! Aber ich stand wie festgenagelt an der Wand vor dem Krankenzimmer.
Eine Lage die Charles für sich nutzte! „Ich glaube, wir haben noch eine Rechnung offen, Mrs. Frederickson, oder wie auch immer ihr euch nennen wollt! Ihr konntet euch bei Master Kenway einschleimen, aber ich werde nicht so leicht aufgeben! Denn ihr seid die Lüge in Person! Euer Ziel habe ich schon längst durchschaut!“ Diese Worte raunte er dicht an mein Ohr gedrängt.
Mein ganzer Körper zitterte und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich war unbewaffnet, ich hatte mal wieder nur meine Hände... meine Füße....
Und auf einmal, so als würde man aus einem Traum erwachen, reagierte ich instinktiv. Mein Gehirn fing plötzlich an, die Techniken abzurufen, die man in einem Selbstverteidungskurs lernt.
Es war doch so einfach, warum konnte ich nicht schon früher so reagieren?
Charles war so von sich und seiner Meinung und Erscheinung überzeugt, dass er MEINE Reaktionen jetzt falsch deutete. Als ich mich rührte, nahm er es als Zeichen, ich würde mich fügen wollen. Weit gefehlt, du kleines... (nein... denkt euch einfach meine Ausdrücke)...
Mit einer zackigen Bewegung riss ich mein Knie hoch und traf ihn mitten in seine Kronjuwelen. DAMIT hatte er wirklich nicht gerechnet... und somit konnte ich mich ein Stück von ihm lösen...
Fürs Erste!
Kapitel 96.1
Ein Stück war etwas übertrieben, ich wich einige Zentimeter weiter nach links und versuchte so ihm auszuweichen. Doch Charles hatte sich schnell wieder im Griff und seine Hände packten meine Oberarme wie Schraubzwingen!
Er kämpfte mit der Übelkeit, die ihm mein Tritt verursachte. Ich hoffte, auch wenn ich vermutlich selber danebenliegen würde, er müsse sich übergeben. Einfach nur, damit ich dann weg kam.
Sein innerer Kampf kam mir aber zugute, denn ein Geistesblitz sagte mir: „Verpass ihm eine Kopfnuss!“ … So schoss mein Kopf vor und ihm direkt vor die Nase. Ich hörte ein Knirschen und gleichzeitig ein erschrockener Ausruf. Jetzt konnte sich mein Angreifer nicht mehr beherrschen und sackte zusammen, hielt sich die Nase und gleichzeitig erbrach er vor meinen Füßen.
Mir wurde ebenfalls übel und ich drehte mich zur Seite und wollte schon die Treppe hinunter, als mir der Großmeister entgegen kam. Er sah nur von mir zu Lee und wieder zu mir, aber machte keinerlei Anstalten etwas zu sagen oder geschweige denn zu unternehmen. Ja, danke auch. So eilte ich einfach an ihm vorbei und rannte die Stufen hinunter, denn ich musste dringend an die Frische Luft. Mein Mageninhalt machte sich gerade schneller selbstständig, als mir lieb war.
Im Sprint war ich durch die Küche im Hinterhof und stürmte auf die Mauer zu und konnte mich gerade noch hinüber beugen. Soviel zum Thema: Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit am Tag. Aber nach einer neuen Portion oder Mittagessen war mir gerade überhaupt nicht.
Als ich mich und meinen Magen wieder beruhigt hatte, erhob ich mich und wurde direkt von zwei Armen umfangen, die mich an einen warmen schwer atmenden Körper drückten. Ich sah auf und in die grauen Augen von Haytham. „Er hatte absolutes Hausverbot, er hätte gar nicht hier sein dürfen! Wie konnte mir das nur passieren?“ Fragen über Fragen... Aber beantworten konnte ich sie noch weniger als der Großmeister selber.
„Woher soll ich das wissen? Anscheinend gibt es Sicherheitslücken! Vielleicht solltest du vernünftige und besser ausgebildete Leute einstellen, denn... gutes Personal ist schwer zu finden! DAS waren deine Worte die du Shay ja noch gepredigt hast!“ polterte ich ohne nachzudenken los. Mittlerweile müsste meine Zunge schon in winzige Einzelteile zerfallen sein, so oft wie ich sie mir doch hätte abbeißen wollen!!!
„Nein, vielleicht sollte ich aufhören, so gutmütig und hilfsbereit zu sein. Ich bin anscheinend zu sehr abgelenkt!“ Mit diesen Worten schubste er mich regelrecht von sich und ging wieder ins Haus!
Mit offenem Mund stand ich da und wäre am liebsten stante pede in meiner Zeit gewesen und hätte alles hier ungeschehen gemacht. War ich jetzt doch zu weit gegangen mit meinem losen Mundwerk? Ich starrte auf die Hintertür zur Küche, in der der Großmeister verschwunden war und stand auf dieser Mauer. Wenn ich mich jetzt einfach nach links lehnte, würde ich ins Meer fallen, vielleicht würde ich ja ertrinken und alles wäre vorbei? Bei Odin, soweit war es also schon?
Ich zog die Nase hoch und wischte mit meinen Ärmeln darüber. Ich straffte die Schultern und ging mit erhobenem Haupt zurück ins Haus. Dort erwartete mich... nichts. Die Küche war leer, der Eingang war leer... und von oben vernahm ich auch keine Stimmen. Es war auf einmal unheimlich, es war totenstill hier.
Vorsichtig ging ich die Treppe hinauf, ich schlich förmlich. Denn ich hatte Angst nur ein winziges Geräusch zu machen und den Teufel damit herauf zu beschwören.
Oben am Absatz sah ich mich um und lauschte auf verräterische Geräusche, aber NICHTS. Das Malheur von Charles war schon entfernt worden, genauso wie Lee selber auch und so ging ich zu Yannick. Denn ich wusste nicht, was ich sonst machen sollte.
Ich setzte mich zu ihm aufs Bett und fing an, ihm die ganzen letzten Tage zu erzählen,so als würde ich Tagebuch führen. Und was soll ich sagen, es war beruhigend und erleichternd zugleich. Auch wenn ich wusste, dass er nichts davon bewusst wahr nahm.
Sich einfach Dinge von der Seele reden! Ich musste es tun, es war wie ein innerer Zwang. Wir waren ja sowieso alleine, also würde mich auch niemand unterbrechen oder stören bei meinem Monolog!
Kapitel 97.1
Irgendwann wurde das Licht fahler im Zimmer und die Dämmerung brach an. Ich entzündete ein paar Kerzen und sah wieder zu meinem Sohn. Er war immer noch blass, aber das Fieber schien nicht mehr so hoch zu sein. Sein Gesicht glänzte nicht mehr so und seine Haut war auch kühler geworden. Trotzdem legte ich ihm zum gefühlten tausendsten Male den kalten feuchten Stoff auf die Stirn. Faith hatte ich jetzt leider nicht mehr zu Gesicht bekommen, aber ich hoffte, dass irgendjemand mir eine Information zukommen lässt.
Plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. WARUM war noch keiner meiner Mannschaft hier erschienen? Hatte ihnen niemand Bescheid gegeben? Und selbst wenn nicht, warum kam nicht einmal Raffael von alleine hierher? Ich hatte es völlig vergessen in den letzten Stunden.
Yannick rührte sich immer noch nicht, aber ich konnte jetzt schlecht einfach gehen. Denn es war anscheinend niemand sonst hier, der aufpassen konnte. Was sollte ich denn jetzt machen? Und genau jetzt vermisste ich unsere Technik! Nimm doch einfach dein Handy und schreib ne WhatsApp... ha ha ha... ja, würde ich jetzt gerne machen. Sollte ich es vielleicht mit Rauchzeichen aus dem Kamin versuchen? Die Verzweiflung trägt manchmal seltsame Früchte!
Mit einem Male tippte mir jemand auf die Schulter. Es war mein erster Maat und erleichtert, weil er wie gerufen erschien, fiel ich ihm um den Hals.
„Alex, ist doch gut, ich wollte nur sehen, ob es dem kleinen Hosenscheißer besser geht. Man bekommt ja überhaupt keine Infos von den Templern. Die sind sowas von verschwiegen, das glaubst du nicht!“ Doch, das glaubte ich und wusste es auch!
„Rafael, ich bin froh, dass du hergekommen bist. Ich dachte schon, es würde niemanden interessieren, oder man hätte euch allen nicht Bescheid gegeben.“
„Wirklich Bescheid hat uns auch keiner gesagt, als wir heute Nachmittag immer noch nichts von dir und Yannick gehört hatten, habe ich hier überall herum gefragt. Aber... diese Templer sind schon so ein Völkchen für sich, besonders dieser Kenway. Was ist dem denn über die Leber gelaufen?“ fragte er mit einem ironischen Grinsen.
„Ich befürchte, dass ihm mein Sohn die Laune verhagelt hat. Er hat den Großmeister als Templerabschaum bezeichnet. Das kommt, denke ich mal, nicht so gut an. Hat er dir gegenüber etwas gesagt? Ich habe Haytham schon einige Stunden nicht mehr gesehen!Und... ich habe vermutlich auch nicht zur Besserung seiner Laune beigetragen.“ Meine Besorgnis aufgrund des Befinden eines Templers rief einen fragenden Gesichtsausdruck bei meinem ersten Maat hervor.
„Was hätte er mir erzählen sollen? Sein arroganter Ausdruck und dieses herablassende Getue deute ich als Desinteresse an mir und meiner Person. Also, nein, mir hat er nichts erzählt. Sondern nur nach oben gezeigt, mehr nicht.“ Rafael klang ziemlich sauer, verständlich, wie ich fand.
„Wir werden erst einmal noch auf Yannicks Genesung warten müssen. So kann ich ihn nicht transportieren. Er hat einiges an Blut verloren! Ich hätte einfach abreisen sollen und diesen Männern einfach alles überlassen sollen. Dieses Duell war doch eh nur eine Farce und meiner Meinung nach mehr als unnötig.“ froh, dass ich endlich wieder jemanden zum Reden hatte, kam ich auch in Fahrt damit.
„Das ganze Getue und Gehabe um diese Sache war einfach lächerlich. Warum konnte der Chevalier nicht einfach das Geld akzeptieren und mich gehen lassen? Die Garfault ist nicht gesunken, sie ist nicht stark beschädigt. Aber das muss wohl auch so ein Männerding im 18. Jahrhundert sein!“
„Ich habe ehrlich gesagt überhaupt keine Ahnung, warum er so reagiert hat. Aber dass dieser Cormac für dich den Kopf hingehalten hat ohne mit der Wimper zu zucken, fand ich beeindruckend. Wo ist der eigentlich?“
Und da fiel mir auch wieder ein, dass Shay und Haytham ja unter vier Augen sprechen wollten. Und jetzt war der Ire anscheinend wieder unterwegs. Meine Neugierde stieg wieder und ich hätte zu gerne gewusst, was es mit dieser Schatulle auf sich hat, von der die beiden geredet haben!
Kapitel 98.1
Naja, aber anscheinend musste ich mich noch ein wenig gedulden, bis meine Neugierde befriedigt wurde.
Mittlerweile war es Abend geworden und Mrs. Wallace hatte mir ein ordentliches Abendessen nach oben gebracht. Die Stärkung tat gut und langsam kehrten die Lebensgeister wieder zurück. Im Laufe des Nachmittags war es auch wieder lebendiger im Haus geworden. Vermutlich beschäftigte alle noch der Vorfall mit Charles.
Meinen ersten Maat hatte ich wieder zurück zur Jackdaw geschickt, damit er dort Bericht erstatten konnte. Aber nicht, ohne ihn vorher noch ein wenig auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen. Denn so langsam mussten wir uns mit dem Gedanken auseinander setzen, abzureisen.
Ich hatte mich zwischenzeitlich bereits bettfertig gemacht und hatte es mir im Bett neben Yannick bequem gemacht mit einem Buch. Aus Haythams Arbeitszimmer hatte ich mir eines ausgesucht und war gespannt, wie originale Ausgaben wohl so sind. Ich liebe halt Bücher über alles.
So in das Lesen vertieft, bemerkte ich den Großmeister erst überhaupt nicht. Erst als er direkt neben mir am Bett stand und mich anstarrte, mit einem immer noch ziemlich mürrischen Blick.
„Bei Odin, Haytham, musst du dich so anschleichen?“ vor Schreck war mir mein Buch runter gefallen.
„Nein, muss ich nicht. Aber gut zu wissen, dass ich immer noch so leise bin, dass ich unbemerkt an eine Person herantreten kann! Und dann auch noch eine Assassine!“ Jetzt grinste er mich ironisch an. „Wie geht es deinem Sohn jetzt? Ich hatte vorhin noch kurz mit Miss Cormac gesprochen und diese sagte, dass soweit alles den Umständen entsprechend in Ordnung ist.“
„Ja, soweit geht es Yannick ganz gut. Aber wirklich sprechen konnte ich mit ihm bisher noch nicht. Er schläft, vermute ich, tief und fest. Aber auf Berührungen reagiert er. Ich denke, dass ist ein gutes Zeichen. Haytham, ich...“ mir fielen keine Worte ein, wie ich mich für das Verhalten von unserem Patienten und für mein eigenes entschuldigen könnte.
„Entschuldige nicht DU dich für deinen Sohn, er wird es schon selber tun, wenn er wieder bei Kräften ist. Ich vermute, dass er es nicht wirklich so gemeint hat. Mir geht aber der Gedanke einfach nicht aus dem Kopf, WAS man für Geschichten über meine Person verbreitet hat, dass er eine solche Meinung hat?“
Meine Wangen wurden rot, denn es war mir mehr als unangenehm zu beichten, dass ich nicht ganz unschuldig an Yannicks Meinung war. Hatte ich ihm nicht schon davon erzählt? Ich kam ins Grübeln, denn so allmählich verschwammen meine Erinnerungen dahin gehend, dass ich nicht mehr genau wusste, wem ich wann WAS erzählt habe.
Haytham bemerkte mein Zögern und schaute mehr als tadelnd auf mich herab. Ihm war anscheinend derselbe Gedanke gekommen. „Ich verstehe!“ kam es nur von ihm.
„Nein, nein... du verstehst das falsch. Es ist nicht so, wie es aussieht!“ Hatte ich ernsthaft diesen dämlichen Satz gesagt??? OK, ich war wirklich geistig umnachtet!
„Haytham, es ist einfach die Tatsache, dass wir als Assassinen seit je her eingetrichtert bekommen, dass die Templer ja die Bösen sind. Und... was deine Person angeht, nunja. In unseren Reihen gibt es immer noch Skeptiker, die nicht verstehen wollen oder können, warum du dem Templerorden treu geblieben bist, obwohl du doch wusstest, dass dein Vater Assassine war!“
„Wer sagt, dass ich dem Orden weiterhin diene? Nachdem was in Frankreich vorgefallen ist, bin ich mit mir am Hadern. Diese ganzen Verschwörungen und die Lügen... Und dann... nunja... du gabst mir ebenfalls zu denken! Aber das weißt du ja, Alex. Mich treibt jedoch der Gedanke um, was ich denn in späteren Jahren für Verbrechen begehen werde, die mich in ein solch schlechtes Licht rücken!“
Oh nein, er fing jetzt nicht wirklich an zu zweifeln? Ich musste schleunigst dafür sorgen, dass er wieder eingenordet wird und den Templern treu bleibt. Was hatte ich da nur in Gang gesetzt?
Jetzt war ich wirklich an einem Punkt, der gefährlich werden könnte, sollte Haytham plötzlich seinen Sinneswandel in die Tat umsetzen!
Kapitel 99.1
Völlig entsetzt sah ich den Großmeister an: „Das kannst du doch nicht ernsthaft in Erwägung ziehen, Haytham! Das geht nicht!“
„Nenne mir einen guten Grund, warum ich nicht den Versuch unternehmen soll, den Templerorden und die Bruderschaft zu vereinen! Nur EINEN!“ Herausfordernd stand er vor mir.
„Weil... du bist in den Kolonien der Großmeister. Bisher gibt es hier ja noch niemanden. Und... weil deine Gefolgsleute dir gegenüber loyal sind, aber werden sie es auch noch sein, wenn du ihnen DAS offenbarst? Und vorhin hast du selber noch gesagt, du weißt was du willst und wer du bist und würdest deshalb den Templern treu bleiben!“
„Da hast du sicherlich recht, aber ich weiß, ich werde sie ebenfalls überzeugen, dass sie einer guten Sache weiterhin dienen werden! Und ich kann jederzeit einen anderen Bruder zum Großmeister ernennen. Vergiss das nicht! Und ja, das habe ich gesagt, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass ich Zweifel hege!“
„Dann muss ich dich halt auf die harte Tour daran erinnern!“ Schwer seufzend stand ich auf, denn ich musste mich bewegen, so konnte ich besser reden.
„Wenn du dich entscheidest, dem Templerorden, auch wenn es nicht ganz ist, den Rücken zukehren, dann kann es passieren, dass ICH nicht mehr zurück kann oder mein ganzes Leben verändert wird!“ Wütend starrte ich Haytham weiter an, aber er hielt stand und verzog keine Miene. „Du könntest genau jetzt mit einem einzigen Satz MEIN Leben verändern!“ Und da wurde mir bewusst, dass ich eigentlich einen riesengroßen Fehler begangen hatte. Ich hatte mehr als nur Gefühle zugelassen, ich hatte Haytham mehr Einblick in meine Weltanschauung zukommen lassen als Edward... er fing ernsthaft an zu zweifeln. „Ach verdammt, ich hätte einfach nicht noch einmal eine Zeitreise machen sollen! Es war eine dumme Idee!“
„Nein, war es nicht, Alex. Vielleicht etwas unbedacht, weil du meintest mit der Jackdaw einen großen Auftritt hinlegen zu müssen. Aber du hast mir gezeigt, dass es noch etwas anderes als Rache, Verschwörungen und Lügen gibt. Etwas anderes, als das was ich bisher erlebt und kennen gelernt habe.“ Seine Gesichtszüge wurden plötzlich weich und er beugte sich zu mir herunter und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
Hatte er nicht ebenso dieses Gefühl bei Ziio gehabt? Hatte sie ihm nicht ebenfalls eine andere Perspektive aufgezeigt? Oder war sein Glauben, nachdem sie ihn fortgeschickt hatte, doch so sehr zerbrochen?
Kenway schien mein Zögern richtig zu deuten. „Du denkst gerade an die Zeit, die ich mit Ziio verbracht habe? Du bist wie ein offenes Buch... falls du dich das gerade fragst.“ Und er hatte auf einmal einen so warmen und liebevollen Ausdruck im Gesicht, der mich erschauern ließ. „Das war etwas ganz anderes. Danach hat sich noch mehr verändert in meinem Leben. Als ich meine Schwester gerettet hatte und wir Reginald seiner gerechten Strafe zugeführt hatten, ist wieder etwas in mir zerbrochen. Holdens Selbstmord, den ich ihm nicht einmal verübeln kann, nach dem, was die koptischen Priester ihm angetan hatten...“ er unterbrach sich selber und sah mich jetzt mit großer Erwartung an.
„Haytham, aber ich habe dich ebenfalls belogen. Auch wenn es nur eine „Notlüge“ war. Und vielleicht wird dieser Moment, genau jetzt, auch der Auslöser für deinen weiteren Lebensweg sein. Womöglich habe ICH deine weiteren Taten, deine Zukunft gerade in die Bahnen gelenkt, in denen wir sie kennen lernen werden!“ Völlig erstaunt ob meiner eigenen Aussage, zuckte ich ein Stück von ihm weg.
Denn... DAS ist gar nicht mal so absurd. Ein Bleiben meinerseits käme definitiv nicht in Frage und das sollte dem Großmeister bewusst sein, auch wenn er es jetzt in diesem Moment noch nicht so sehen würde. Es blieb dieser kleine Wunschgedanke in meinem Hinterkopf!!!!
„Alex, ich würde dich nicht zum Bleiben überreden wollen. Versteh mich nicht falsch, der Gedanke ist äußerst verlockend, aber ich bin mir durchaus bewusst, dass du und auch ich, ein nicht zu verachtendes Risiko eingehen würden. Es wäre … also … ich würde gerne …“ jetzt sah er plötzlich völlig hilflos aus und ich sah ihn, für einen kurzen Moment, wie er damals in der Eingangshalle am Queen Anne´s Square auf dem Stuhl saß.
Ich folgte meinem Bauchgefühl und schlang meine Arme um seine Taille und drückte ihn einfach an mich!
Auch der Großmeister schien seinem Bauchgefühl zu vertrauen und schloss mich in seine Arme. „Ich würde dich nur gerne noch eine Weile bei mir haben!“ kam es vorsichtig von ihm.
„Und ich würde gerne noch eine Weile bleiben wollen!“ entgegnete ich erleichtert, dass Haytham den gleichen Gedanken wie ich hatte.
Kapitel 99.1
Völlig entsetzt sah ich den Großmeister an: „Das kannst du doch nicht ernsthaft in Erwägung ziehen, Haytham! Das geht nicht!“
„Nenne mir einen guten Grund, warum ich nicht den Versuch unternehmen soll, den Templerorden und die Bruderschaft zu vereinen! Nur EINEN!“ Herausfordernd stand er vor mir.
„Weil... du bist in den Kolonien der Großmeister. Bisher gibt es hier ja noch niemanden. Und... weil deine Gefolgsleute dir gegenüber loyal sind, aber werden sie es auch noch sein, wenn du ihnen DAS offenbarst? Und vorhin hast du selber noch gesagt, du weißt was du willst und wer du bist und würdest deshalb den Templern treu bleiben!“
„Da hast du sicherlich recht, aber ich weiß, ich werde sie ebenfalls überzeugen, dass sie einer guten Sache weiterhin dienen werden! Und ich kann jederzeit einen anderen Bruder zum Großmeister ernennen. Vergiss das nicht! Und ja, das habe ich gesagt, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass ich Zweifel hege!“
„Dann muss ich dich halt auf die harte Tour daran erinnern!“ Schwer seufzend stand ich auf, denn ich musste mich bewegen, so konnte ich besser reden.
„Wenn du dich entscheidest, dem Templerorden, auch wenn es nicht ganz ist, den Rücken zukehren, dann kann es passieren, dass ICH nicht mehr zurück kann oder mein ganzes Leben verändert wird!“ Wütend starrte ich Haytham weiter an, aber er hielt stand und verzog keine Miene. „Du könntest genau jetzt mit einem einzigen Satz MEIN Leben verändern!“ Und da wurde mir bewusst, dass ich eigentlich einen riesengroßen Fehler begangen hatte. Ich hatte mehr als nur Gefühle zugelassen, ich hatte Haytham mehr Einblick in meine Weltanschauung zukommen lassen als Edward... er fing ernsthaft an zu zweifeln. „Ach verdammt, ich hätte einfach nicht noch einmal eine Zeitreise machen sollen! Es war eine dumme Idee!“
„Nein, war es nicht, Alex. Vielleicht etwas unbedacht, weil du meintest mit der Jackdaw einen großen Auftritt hinlegen zu müssen. Aber du hast mir gezeigt, dass es noch etwas anderes als Rache, Verschwörungen und Lügen gibt. Etwas anderes, als das was ich bisher erlebt und kennen gelernt habe.“ Seine Gesichtszüge wurden plötzlich weich und er beugte sich zu mir herunter und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
Hatte er nicht ebenso dieses Gefühl bei Ziio gehabt? Hatte sie ihm nicht ebenfalls eine andere Perspektive aufgezeigt? Oder war sein Glauben, nachdem sie ihn fortgeschickt hatte, doch so sehr zerbrochen?
Kenway schien mein Zögern richtig zu deuten. „Du denkst gerade an die Zeit, die ich mit Ziio verbracht habe? Du bist wie ein offenes Buch... falls du dich das gerade fragst.“ Und er hatte auf einmal einen so warmen und liebevollen Ausdruck im Gesicht, der mich erschauern ließ. „Das war etwas ganz anderes. Danach hat sich noch mehr verändert in meinem Leben. Als ich meine Schwester gerettet hatte und wir Reginald seiner gerechten Strafe zugeführt hatten, ist wieder etwas in mir zerbrochen. Holdens Selbstmord, den ich ihm nicht einmal verübeln kann, nach dem, was die koptischen Priester ihm angetan hatten...“ er unterbrach sich selber und sah mich jetzt mit großer Erwartung an.
„Haytham, aber ich habe dich ebenfalls belogen. Auch wenn es nur eine „Notlüge“ war. Und vielleicht wird dieser Moment, genau jetzt, auch der Auslöser für deinen weiteren Lebensweg sein. Womöglich habe ICH deine weiteren Taten, deine Zukunft gerade in die Bahnen gelenkt, in denen wir sie kennen lernen werden!“ Völlig erstaunt ob meiner eigenen Aussage, zuckte ich ein Stück von ihm weg.
Denn... DAS ist gar nicht mal so absurd. Ein Bleiben meinerseits käme definitiv nicht in Frage und das sollte dem Großmeister bewusst sein, auch wenn er es jetzt in diesem Moment noch nicht so sehen würde. Es blieb dieser kleine Wunschgedanke in meinem Hinterkopf!!!!
„Alex, ich würde dich nicht zum Bleiben überreden wollen. Versteh mich nicht falsch, der Gedanke ist äußerst verlockend, aber ich bin mir durchaus bewusst, dass du und auch ich, ein nicht zu verachtendes Risiko eingehen würden. Es wäre … also … ich würde gerne …“ jetzt sah er plötzlich völlig hilflos aus und ich sah ihn, für einen kurzen Moment, wie er damals in der Eingangshalle am Queen Anne´s Square auf dem Stuhl saß.
Ich folgte meinem Bauchgefühl und schlang meine Arme um seine Taille und drückte ihn einfach an mich!
Auch der Großmeister schien seinem Bauchgefühl zu vertrauen und schloss mich in seine Arme. „Ich würde dich nur gerne noch eine Weile bei mir haben!“ kam es vorsichtig von ihm.
„Und ich würde gerne noch eine Weile bleiben wollen!“ entgegnete ich erleichtert, dass Haytham den gleichen Gedanken wie ich hatte.
Kapitel 101.1
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Mein Sohn war tatsächlich eifersüchtig auf den Großmeister? Er ist doch keine 5 mehr, er sollte es doch schon besser wissen.
„Das ist nicht dein Ernst, Yannick, oder? Du bist 17, in ein paar Tagen 18, Jahre alt. Und du reagierst so auf einen Mann in meiner Nähe?“
„Warum sollte ich nicht so reagieren? Ihr kennt euch ja gar nicht richtig!“ das kam so dermaßen altklug rüber, dass ich einfach lachen musste.
„Ich bleibe doch bei dir, er nimmt mich dir doch nicht weg. Und das weißt du auch!“
„Ja, trotzdem find ich ihn einfach zum Kotzen! Eine eigene Meinung darf ich aber schon haben, oder?“ Bockig mit den Armen vor der Brust verschränkt, saß er in den Kissen und sah mich böse an. Herzallerliebst dieser Anblick!
„Natürlich darfst du das, aber du musst sie ja nicht gleich jedem kund tun. Entschuldige dich nachher einfach und gut ist, ja?“ Ich nahm seine Hand und drückte sie.
„Ok ok... ich machs.“ seufzte er resigniert. „Wann werden wir eigentlich wieder nach Hause gehen?“ Leider sehr bald... ging es mir durch den Kopf.
„Hmm, wir müssen erst einmal abwarten, dass du wieder transportfähig bist und du den Blutverlust ausgeglichen hast. Das wird noch 2 oder 3 Tage dauern. Wenn nicht noch länger.“
„So lange noch? Aber mir geht es doch gut, oder nicht?“ fragte Yannick nörgelig.
„Du bist noch lange nicht so fit, wie du glaubst. Es mag sich gerade jetzt so anfühlen, aber du siehst nicht gerade wie das blühende Leben aus!“ versuchte ich ihm die Situation zu erklären.
Haytham kam mit dem Wein zurück und stellte die Flasche auf den Nachttisch. Erwartungsvoll schaute er von mir zu Yannick und wieder zu mir. „Ich habe Mrs. Wallace gebeten, etwas zu Essen herzurichten. Denn ohne etwas im Magen ist Wein auch keine gute Idee!“
Nun war es an mir, meinen Sohn an sein Versprechen zu erinnern. Ich stupste seinen Arm an und deutete mit einem Kopfnicken in Richtung des Großmeisters.
Er räusperte sich und wappnete sich und es kam „Entschuldigung für vorhin!“ aus zusammen gebissenen Zähnen. Das war alles... ich rollte nur mit den Augen!
Neben mir vernahm ich nur ein Prusten, ob nun aus Belustigung oder aus Wut, konnte ich nicht beurteilen. Ich sah zu Kenway auf und um seinen Mund spielte ein Lächeln. „Achte einfach in Zukunft auf deine Zunge, solltest du mal an den Falschen geraten, könnte es auch ganz anders ausgehen!“ Nicht gerade die diplomatischste Art, aber er hatte ja Recht.
„Ich werde es versuchen, Master Kenway!“ kam es etwas gequält von Yannick.
Es entstand dieser unangenehme Moment von Schweigen, wenn keiner weiß, was er jetzt tun oder sagen sollte. Aber Mrs. Wallace unterbrach dieses Szenario und brachte ein Tablett für den Patienten mit einer Portion, die auch eine Kompanie satt gemacht hätte. Freudig stellte sie es auf dem Rand am Bett ab und tätschelte meinem Sohn die Wange mit den Worten: „Und nun iss, Junge, du musst wieder zu Kräften kommen!“
„Braucht ihr sonst noch etwas, Mrs. Frederickson, Master Kenway?“ Ihr fragender Blick ruhte auf uns.
„Nein danke, Sybill, ihr habt mir vorhin ja schon etwas gebracht!“ kam es nur von mir.
„Danke, Mrs. Wallace. Aber auch ich brauche nichts mehr. Ich wünsche euch dann schon einmal eine gute Nacht.“
Ein Knicks und meine Küchenfee verschwand durch die Tür. Wir saßen jetzt beim Patienten und überwachten seine Mahlzeit. Appetit hatte er tatsächlich schon wieder, ein gutes Zeichen, wie ich dachte.
Kapitel 102.1
Mein Sohn hatte tatsächlich ordentlich Hunger und schlang das Essen nur so herunter. Ganz schaffte er aber die Riesenportion dann doch nicht und ließ sich satt in die Kissen zurück sinken. Sein Gesicht nahm einen zufriedenen Ausdruck an. „Das war der Hammer... oh Verzeihung. Ich meinte, dass war richtig lecker!“ grinsend sah er von mir zu Haytham.
Dieser hatte sich mit einem Stuhl ans Bett gesetzt und wirkte unentschlossen. Gerade so als wüsste er nicht, wie und wo er anfangen sollte. „Haytham, was ist los?“ nahm ich ihm schon mal die Entscheidung zum Beginnen ab.
Er sah mich an und rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum und seine Hände arbeiteten in seinem Schoß. „Ich werde ein paar Tage nicht hier sein! Shay hat mich gebeten ihn auf einer... Reise zu begleiten!“ Jetzt sah er mich entschuldigend an.
„Ach daher die Unterredung unter vier Augen!“ gab ich nur wissend von mir. „Es geht um die Vorläufer-Artefakte, stimmts?“
„Woher weißt du... ich vergesse immer, du weißt ja, worum es geht!“ klang da Enttäuschung mit?
„Das tut mir leid, aber so ganz genau weiß ich es nun wirklich nicht. Alle Daten habe ich weiß Gott auch nicht im Kopf. Zumal, wie du ja weißt, uns eben auch einige Zeiten aus Shays Leben fehlen.“ Und da wären wir wieder bei dem leidlichen Thema, warum ich unter anderem eigentlich hier war.
„Wirst du noch hier sein, wenn wir zurück kommen?“ fragte er ein wenig zweifelnd.
„Wie... Warum sollte ich nicht mehr hier sein?“ kam es von mir nur verwundert.
Mit einem Blick auf den Patienten und dann wieder auf meine Person, antwortete der Großmeister nur: „Ich weiß ja nicht, wie lange ich weg sein werde. Und Yannick wird ja keine 3 oder 4 Wochen noch das Bett hüten müssen!“
Mit großen Augen sah ich ihn erstaunt an. „Solange werdet ihr unterwegs sein? Wo genau will Shay denn hin?“ Ich wurde jetzt doch neugierig. Denn ich wusste wirklich nicht, was gerade anstand und auf welche Mission er aufbrechen würde.
„Wir haben eine Spur zu den Vorläufertempeln und wollen sie verfolgen. Aber ich kann beim besten Willen nicht sagen, wie lange ich fort sein werde.“
„Könntet ihr nicht noch drei oder vier Tage abwarten mit der Reise? Ist es wirklich so dringend. Ich meine, eure Reise wird sicherlich eh schon unvorhersehbare Zeiten und Komplikationen mit sich bringen! Da kommt es doch jetzt nicht auf diese kurze Zeitspanne an?“ Ich hörte mich an, als würde ich um einen Aufschub meiner Hinrichtung bitten. Aber um ehrlich zu sein, so fühlte ich mich auch gerade.
Ich konnte diesen Gedanken gerade überhaupt nicht verarbeiten. Es war nicht wie bei Edward, auch da fiel es mir nicht leicht zu gehen. Aber jetzt und hier und dieses mal, war es irgendwie anders.
„Alex, du magst Recht haben. Aber... ich werde noch einmal mit Shay sprechen und mich mit ihm und den anderen beraten! Und keine Sorge, Charles wird dir hier nie wieder begegnen!“ Das klang nach einem Kompromiss mit dem ich vorerst leben konnte.
Ohne es zu bemerken war Yannick wieder eingeschlafen. Sein Gesicht hatte mittlerweile eine etwas belebtere Farbe angenommen, welche mich zuversichtlich stimmte. Aber Wein? Nein, den würde er definitiv nicht bekommen. Nicht solange ich es verhindern konnte.
„Ich werde jetzt ins Bett gehen...“ kam es von Haytham und er sah mich fragend an. Ich erhob mich, schlang meine Arme um seinen Nacken und küsste ihn. „Ich wünsche dir eine angenehme Nachtruhe und solltest du... Hilfe benötigen... du weißt, wo ich zu finden bin...“
Mit einem durchaus tiefen Seufzen, welches nicht unbedingt aus Frustration entsteht, ging er hinüber in sein Schlafzimmer.
Ich blieb noch eine Weile an Yannicks Bett sitzen...
Kapitel 103.1
Jedoch hielt es mich nicht lange am Bett meines Sohnes, auch wenn ich als Mutter ihn lieber rund um die Uhr überwacht hätte... Es gab da einen Menschen, der mir ebenso am Herzen lag und den ich vermutlich bald verlassen musste!
Nachdem ich mich mal wieder vergewissert hatte, das Yannick wohlbehütet in seinem Bett schlief und nichts passieren konnte, ging ich leise hinaus und hinüber über die Galerie.
Als ich vor Haythams Schlafzimmertür stand überkam mich dennoch ein schlechtes Gewissen. Sollte ich meinen Sohn wirklich alleine lassen? Er war ja nicht alleine, es war nur über den Flur...
Der Egoismus in mir siegte und setzte seine eigenen Prioritäten. So klopfte ich an und ein erstaunter Großmeister öffnete die Tür. Ich schob mich hindurch und direkt in seine Arme, damit er gar nicht erst dementieren konnte. Und dieses eine Mal hatte ich das Zepter in der Hand und dirigierte Haytham... dieser ließ sich willig darauf ein und es war eine Nacht, die ich nicht so schnell vergessen würde!
Erwähnte ich den Traum, in dem ich unvorstellbare Dinge mit Kenway tat und er mit mir? Dann ist es ja gut, also wisst ihr, wie das ganze ablief und ich denke, ich muss nicht näher darauf eingehen!
Am nächsten Morgen wurde ich von Händen geweckt, die sich suchend über meinen Körper bewegten. Einem Schnurren gleich kam es aus meiner Kehle, denn es fühlte sich einfach gut an.
Doch diese Suche wurde jäh beendet, als es klopfte... MAL WIEDER! Frustriert schlug ich mit den Fäusten auf die Matratze, das durfte nicht wahr sein. Ebenso vernahm ich ein frustriertes „Was ist denn jetzt schon wieder“ von meinem geliebten Templer.
„Master Kenway, es tut mir leid euch jetzt schon zu stören, aber ihr habt einen Besucher!“ Kam es demütig und entschuldigend von einem der Diener.
„Ich werde gleich unten sein. Bringt ihn schon einmal in mein Arbeitszimmer!“ Haythams vor Lust dunkelgraue Augen ruhten auf mir … er bewegte sich keinen Millimeter.
„Ein Großmeister der Templer der eine Mission nicht zu Ende bringt... den sollte man zügig ersetzen oder ihm Nachhilfe geben!“ Und damit versuchte ich mich unter ihm hinweg zudrehen. Es gelang mir und ich saß rittlings auf Haytham. Dieser machte keine Anstalten dagegen etwas zu unternehmen oder mich zu belehren, dass es sich nicht gehörte. Stattdessen fühlte ich nur, dass ich für mein Tun belohnt wurde.
Also setzte ich alles daran, seine Versuche mich zu wecken, weiter fortzuführen. Aber eben auf meine Art und siehe da, man muss nicht nur die Hände nutzen. Ich kann nicht sagen wie lange wir so im Bett verbrachten, für mich war es einfach zu kurz.
Als ich irgendwann zitternd und nach Atem ringend an Haythams Schulter lag und Haytham einfach ebenso atemlos unter mir lag, wusste ich, dass es richtig war und ich ihn nicht verlassen konnte ... Es war nicht nur dieser Einklang im Bett, wenn ihr das meint.
Nein, es war etwas darüber hinaus. Dieser Gedanke, ich könnte etwas in seinem Leben verpassen. Ich wollte Teil seines Lebens sein, auch wenn ich ein großes Risiko einging.
Aber bis dahin war noch Zeit. Erstmal musste ich meinen Sohn wieder auf die Beinen bringen und dann würden wir weiter sehen.
Doch nun stand dieser Besucher an. Wer konnte bitte um diese Uhrzeit schon etwas von Master Kenway wollen? Es war ja noch nicht mal richtig hell...
Haytham machte sich sichtlich genervt daran aufzustehen. Ein „bleib-wo-du-bist-ich-bin-gleich-wieder-da“ Blick war alles, was er mir zuwarf. Doch ich war wach und sicher nicht mehr in der Lage wieder einzuschlafen. Also konnte ich auch aufstehen. Der Großmeister war vor mir fertig, drückte mir einen schnellen aber innigen Kuss auf die Lippen und verschwand nach unten mit einem frustriertem Seufzen.
Für einen Moment hielt ich inne. Leise Zweifel nagten doch in mir. Doch noch war nichts spruchreif, geschweige denn in trockenen Tüchern. Mein Spiegelbild sagte, ich sei passabel angezogen und könne jetzt so ebenfalls nach unten gehen.
Kapitel 104.1
Auf halben Wege nach unten, sah ich wie Haytham seinen Besucher zur Tür geleitete. Er kam mir irgendwie bekannt vor und er sah mich die Treppe hinunter gehen und grinste mich seltsam an unter seinem breitkrempigen Hut.
Am Fuß blieb ich kurz stehen und dieser Mann war schon halb draußen und da hörte ich, wie er eine Melodie eines Liedes summte. Von einem Song, den wirklich nur ich kennen konnte. Denn er stammte von Queen aus dem Film „Highlander“ und zwar Who wants to live forever … Mir blieb das Herz stehen! Hatte ich mich jetzt verhört? Das war doch unmöglich. Wahrscheinlich spielten mir meine Nerven jetzt einfach einen Streich.
Aber der Großmeister sah mich besorgt an. „ Alex, was ist? Geht es dir nicht gut?...“ irgendwie sah sein Gesicht plötzlich seltsam verzerrt aus... und überhaupt, warum bebte der Boden auf einmal? Der Eingangsbereich wurde dunkel, so als wäre bereits Nacht. Was zur Hölle war auf einmal los?
Das nächste was ich wieder wahrnahm, war mein stoßweiser Atem. Ich stand immer noch unten am Fuß der Treppe, aber... es war Nacht auf einmal? Wie kann das sein? Alex, das ist nur ein Traum, du liegst noch im Bett und bist nur wieder eingeschlafen! Ich versuchte es mit dieser Erklärung für mich selber. Ich kniff mir in den Arm und es tat auch höllisch weh, aber ich war immer noch an Ort und Stelle und hatte mich keinen Millimeter bewegt.
So langsam stieg Panik in mir auf und mir wurde übel. Irgend etwas stimmte nicht, nur was? Ich bewegte mich langsam auf das Arbeitszimmer zu, auf dem Tischchen neben der Tür brannte ein kleine Petroleum Lampe und spendete etwas Licht. Ich nahm sie in die Hand und ging hinein. Es WAR ein Arbeitszimmer mit Schreibtisch und Regalen. Aber nicht mehr das von Haytham. Die Teppiche waren andere und die Vorhänge ebenfalls. Vorsichtig strich ich über den Schreibtisch und öffnete eine Schublade, in der Hoffnung, dass es sich dabei um die mit den Tagebücher handelt. Weit gefehlt, denn es kamen lose Seiten zutage, zusammenhangloses Zeug war dort notiert.
Ich ging mit zitternden Knien wieder hinaus und sah mich im Esszimmer um. Es war ein anderer Tisch in der Mitte, er war rund und mit nur 9 Stühlen drumherum. Es war helles Holz und die Vertäfelung war auch heller.
Erst jetzt fiel mir auch auf, dass es anders roch. Kennt ihr diese Erinnerungen an Gerüche, zum Beispiel bei den Großeltern, wenn man in die Küche am Morgen kommt? Wenn einem der Geruch von frischem Kaffee und der Druckerschwärze der Zeitung in die Nase flog? So ähnlich war es hier auch. Mein Nase roch nichts mir bekanntes. Es war, als wäre alles ausgetauscht worden. Ein Duplikat des Backsteinhauses, mit anderen Möbeln und vermutlich auch anderen Bewohnern.
In diesem Moment brach ich wirklich in Panik aus, denn mein Sohn war doch eigentlich oben im Gästezimmer! Ich rannte so schnell ich konnte nach oben und riss die Tür zum Krankenzimmer auf und fand dieses leer vor. Keine Spur von Yannick und seinen Sachen. Mein Gehirn schrie die ganze Zeit... Das konnte doch nur ein böser Albtraum sein! Das durfte nicht wahr sein.
Ich ging vorsichtig hinüber zum Schlafzimmer. Leise öffnete ich die Tür und schaute hinein. Es lag jemand in dem großen Bett, aber ich konnten ihn oder sie nicht erkennen. Ich wusste nicht, wer denn hier jetzt wohnte, woher auch. Auf leisen Sohlen ging ich zum Bett und beugte mich etwas hinunter mit der Lampe um den Schlafenden besser zu erkennen.
Aber ich konnte nur dunkle Haare erkennen, ungefähr Schulterlang, mehr nicht. Das Gesicht war zur Seite gedreht und halb von der Decke bedeckt. Ich setzte meine Erkundung fort, denn ich ging davon aus, dass ich eventuell im Ankleidezimmer etwas herausfinden konnte.
Leise schloss ich die Tür hinter mir und entzündete die Kerzen auf der Kommode, naja, es war EINE Kommode mit Waschuntensilien darauf. Aber die Kleiderschränke standen wie gehabt links und rechts an den Wänden.
Ich öffnete den Linken und fand eine große Auswahl an Frauenkleidern darin. Allesamt teure Stoffe und sauber gearbeitet. Daneben in den Fächern lagen Hemden und Strümpfe. Fassungslos stand ich davor. Das waren nicht meine, ich kannte diese Sachen nicht.
Der Blick in den anderen Kleiderschrank gab mir auch nicht wirklich mehr Aufschluss. Denn es waren halt Männersachen, wie sie in dieser Zeit getragen wurden. Nichts Auffälliges, woran ich seinen Träger hätte ausmachen können. In den Fächern fand ich auch nur die obligatorischen Strümpfe und Unterwäsche. Alles fein säuberlich aufgereiht und gestärkt.
Gerade als ich meine Hand von dem mittleren Stapel Strümpfe nehmen wollte, fiel mir im Fach darüber eine kleine Kiste im hinteren Bereich auf. Ich sah mich um und lauschte, ob der Schläfer mich mittlerweile bemerkt hatte. Aber es war alles ruhig.
Langsam nahm ich sie in beide Hände und zog sie hinaus. Aber ich hätte sie beinahe fallen gelassen. Es prangte das Assassinen-Symbol in Gold darauf!
Kapitel 105.1
Ich starrte diese kleine Kiste an und wusste nicht so recht, was ich jetzt tun sollte. Sollte ich sie versuchen zu öffnen? Darunter lag noch ein seltsames Buch, aber ich traute mich nicht mehr, noch etwas anzurühren. Ich legte die Kiste wieder zurück und würde mich morgen damit befassen.
Allmählich setzte mein Verstand wieder ein und ich fing an, den ganzen Ablauf noch einmal Revue passieren zu lassen. Es musste etwas mit diesem Besucher zu tun haben, den Haytham heute morgen empfangen hatte. Leider weiß ich einfach nicht WER es war, ich kannte ihn wie gesagt nicht.
Was ich jetzt als nächstes tun sollte wusste ich auch nicht. Wo sollte ich vor allem schlafen, auch wenn nicht an Schlaf zu denken war. Da das Gästezimmer frei war, ging ich leise hinüber und legte mich dort ins Bett. Ich grübelte noch eine Weile und mir gingen die Bilder durch den Kopf, wie plötzlich alles verzerrt und verschoben aussah. Auch spürte ich diese Erschütterung wieder, es war unheimlich und nicht zu erklären. Noch nicht!
Als ich erwachte schien die Sonne ins Zimmer und ich blinzelte mir den Schlaf aus den Augen. Von unten nahm ich mir vertraute Geräusche von Geschirrklappern wahr, der Duft von frisch Gebackenem kam in meine Nase. Ich stand auf und besah mein Spiegelbild. Ich sollte mich wohl lieber erst restaurieren, ehe ich mich unter Menschen wagte. Wer weiß, wer oder was mich hier erwartet.
Nachdem ich mich mit den wenigen Mitteln, die mir gerade zur Verfügung standen, einigermaßen fertig gemacht hatte, ging ich mit zittrigen Händen und Knien nach unten. Plötzlich hörte ich eine Frauenstimme, welche mich freudig mit den Worten begrüßte: „Mrs. Gaultier, es ist so schön, euch wieder auf den Beinen zu sehen!“ Sie schloss mich in ihre Arme und drückte mich, ich aber konnte nichts tun, außer mit offenem Mund dazu stehen!
Hatte ich richtig gehört? MRS. GAULTIER? Bei Odin, bitte nicht der Chevalier... bitte nicht, bitte nicht...
Die Frau nahm meinen Arm und sah mich besorgt an: „Mrs. Gaultier, geht es euch doch noch nicht so gut? Soll ich euch lieber wieder hinauf begleiten?“
Aus meinen Gedanken gerissen blinzelte ich sie an. „Nein, nein. Es ist alles in Ordnung, denke ich. Es ist nur ungewohnt wieder... hier unten zu sein?“ Was zum Teufel war denn jetzt schon wieder los? War ich etwa krank? Mir kam der erschreckende Gedanke, dass etwas mit meinem Kopf nicht Ordnung sei. Aber... würde man dann solche klaren Träume haben? Am meisten Sorgen machte ich mir um meinen Sohn. Ich wusste ja nicht, WO er war. War ihm eventuell das gleiche wie mir passiert?
Wieder riss mich die Stimme der Frau aus meinen Überlegungen. „Ich bringe euch jetzt ins Esszimmer und dann könnt ihr vielleicht erst einmal in Ruhe etwas zu euch nehmen. Wie möchtet ihr euren Tee? Wie immer?“ lächelte sie mich an.
Wie immer? Ich trank morgens Kaffee, aber bestimmt keinen Tee. „Wie immer? Oh ja, natürlich, Mrs...?“ Sah ich sie fragend an.
„Oh, das hatte ich ja gar nicht bedacht.“ kam es mitleidig von ihr. „Ihr konntet euch ja nach dem Sturz an nichts mehr erinnern. Ich bin Mrs. Sophie Rouselant, ich arbeite schon mein halbes Leben für euren Gatten.“ lächelnd sah sie mich an, in der Hoffnung es würde bei mir klingeln. Leider... nein.
Aber um der Höflichkeit wegen, sagte ich: „Ah, ich glaube, ich erinnere mich langsam. Ich werde mir in den nächsten Tagen einfach die Namen notieren. Wenn ich sie immer vor Augen haben, kann ich sie mir sicher besser merken.“
„Eine wunderbare Idee, Mrs. Gaultier. Ich bringe euch dann gleich das Frühstück.“ Sie marschierte hinaus und in die Küche.
Nun saß ich nervös an diesem runden Tisch und harrte der Dinge, die da kommen mögen. Und mein Gatte ließ nicht lange auf sich warten. Mit einer schwungvollen Bewegung kam er durch die Tür und strahlte mich an. So ein Lächeln hätte ich mir nicht von ihm vorstellen können!
Vor mir stand kein geringerer als Louis-Joseph Gaultier, Chevalier de La Vérendrye!
Kapitel 106.1
Ich konnte ihn nur anstarren, denn ich fühlte mich außer Stande irgend ETWAS zu tun. Wie angewurzelt saß ich da und sah ihm zu, wie er um den Tisch ging und mich begrüßen wollte.
Mein Körper und mein Verstand fingen an zu handeln und teilten meinen Beinen mit, sich zu erheben und einfach ein Stück zurück zu weichen. Doch Louis-Joseph interpretierte meine Bewegung falsch. „Meine Liebe, bleibt sitzen. Da du wieder hier unten bist, gehe ich davon aus, dass du dich wohler fühlst. Trotzdem sollten wir nach dem Frühstück den Arzt rufen lassen, damit er dich noch einmal untersuchen kann.“ Er nahm meine Hand in seine und lächelte mich erschreckend liebevoll an. Ich hatte mich nie großartig mit ihm als Person in der Historie auseinander gesetzt. Ich wusste nur, er war verheiratet und hatte auch Kinder, Louis-Joseph war im Pelzhandel tätig. Mehr schlecht als recht, wenn man denn den Aufzeichnungen glauben darf.
Aber über ihn als Charakter war er nur als unangenehm und mürrisch beschrieben worden. Scheinbar jedoch nicht seiner Familie gegenüber! Was ich sehr löblich fand, leider konnte ich nun meine Vorurteile nicht einfach so abstellen. Und auf der anderen Seite musste ich herausfinden, wie ich hier wieder weg komme.
Mein Verstand war immer noch in Alarmbereitschaft, beruhigte sich aber allmählich und ließ mich etwas klarer nachdenken.
Langsam ließ ich mich auf meinen Stuhl sinken und versuchte ein Lächeln. Es fiel mir aber sehr sehr schwer, dem Chevalier schien das wenig zu stören. Er gab mir einen Kuss auf die Stirn und setzte sich neben mich auf den Stuhl an das freie Gedeck.
„Louis, ich... es tut mir wirklich leid, wenn ich euch allen so zur Last gefallen bin die letzten Tage. Ich weiß gar nicht, wie ich allen danken kann!“ versuchte ich ein Gespräch anzufangen. Erstaunt sah er mich an.
„Ich bitte dich Marie, es muss dir nicht leid tun. Wer konnte denn ahnen, dass die Verletzungen so schwerwiegend sind? Aber ich konnte den Angreifer bereits ausmachen und habe ihn seiner gerechten Strafe zugeführt!“ hoch zufrieden mit sich und seiner Tat sah er mich an, dass das nur eine Ausrede war um mich zu beruhigen, erfuhr ich erst später!
Ich hieß Marie? Bei Odin, wo war ich nur? Und... diese Frage drängte sich mir plötzlich ebenfalls auf, WANN war ich hier? Soweit ich weiß, wird Gaultier 1760 von Shay ermordet und ich war Ende 1759 hierher gereist. Verdammt, ich hatte wieder nicht alle Kleinigkeiten im Kopf. Mein Gesicht muss Bände gesprochen haben, denn auf einmal hörte ich nur „Marie? MARIE! Was ist denn? Ist dir wieder etwas zur besagten Nacht des Überfalls eingefallen?“ Louis-Joseph hielt meine Hand gedrückt und deutete mir so, ihn anzusehen. Das war auch etwas, das ich noch üben musste. Seine Augen waren weder kalt noch unangenehm, sie waren in einem warmen dunkelgrün und ruhte gerade auf mir. Hatte er eigentlich ebenfalls den Adlerblick? Schoss es mir in den Kopf!
„Nein, nein... es ist alles in Ordnung. Nur mein Kopf spielt mir oft noch einen Streich. Ich kann mich an rein gar nichts erinnern. Oh verzeih mir, aber ich muss dich bitten, auch wenn es noch so schmerzhaft ist, mir von dieser Nacht zu berichten. Ich MUSS es einfach wissen.“ flehte ich ihn jetzt an.
Etwas unschlüssig, ob er mir wirklich berichten sollte oder ob es besser wäre mich im Unklaren zu lassen, saß er da. „Marie mein Liebling, ich werde erst nach dem Arztbesuch entscheiden, ob man dir die grausige Nacht in Erinnerung rufen soll oder nicht! Solange musst du dich noch gedulden!“ In seiner Stimme lag ein seltsam ruhiger und liebevoller Ton, fast schon bedauernd. Der Chevalier war also doch kein solches A... entschuldigt, solch ein Idiot, wie man ihn dargestellt hat.
„Damit bin ich einverstanden. Wenn ich fragen darf, WER ist denn mein behandelnder Arzt?“ fragte ich, denn ich war wirklich neugierig, ob ich nicht auch noch in ein anderes Universum geschoben worden bin.
Etwas erstaunt hob er eine Augenbraue. „Du kannst dich wirklich nicht an ihn erinnern? Nun, es ist ein junger Militärarzt namens Benjamin Church! Er ist... Marie, was ist los?“ Ich sah nur noch wie der Chevalier aufsprang und mich auffing... dann war alles schwarz vor meinen Augen!
Kapitel 107.1
Ich schlug meine Augen auf und hatte sofort ein überwältigendes Gefühl von Übelkeit. Odin sei Dank, hatte man einen Eimer ans Bett gestellt. „Marie, da bist du ja wieder!“ mit diesen Worten meines Ehemannes ließ ich mich wieder zurück in die Kissen sinken.
Louis-Joseph reichte mir ein kaltes Tuch, welches ich dankbar auf meine Stirn legte. „Verdammt, mir tut mein Kopf weh und mir ist so wahnsinnig übel.“
Plötzlich hörte ich eine andere Männerstimme. „Mrs. Gaultier, ihr hättet noch nicht so lange auf den Beinen sein sollen. Das ist in eurem Zustand der Gesundheit sicherlich nicht zuträglich!“
Ich sah vom Chevalier zum Arzt und wusste nicht, was er meinen könnte. „In meinem Zustand? Könnte mich jetzt bitte jemand darüber aufklären, WAS hier los ist?“ In mir breitete sich ein unwohles Gefühl aus, es war nicht Angst. Es fühlte sich einfach nur nicht richtig an.
Mein Gatte räusperte sich und setzte sich auf die Bettkante und nahm meine Hand. „Du bist guter Hoffnung, mein Liebling!“ Freudestrahlend sah er mich an und nahm mich in den Arm. Ich war zu perplex um dagegen etwas zu unternehmen. Stattdessen schlossen sich wie automatisch meine Arme um ihn und ich konnte nicht anders, ich brach in Tränen aus.
DAS war einfach zu viel! Ich sollte jetzt auch noch schwanger sein? Das war unmöglich, das ging gar nicht. Tausend Gedanken rannten in meinem Kopf rum. Der absurdeste war, WER ist der Vater? Aber das konnte ich mir ja eigentlich denken. Oh das durfte alles nicht wahr sein.
Wenn ich denjenigen der mir das hier angetan hat, irgendwann einmal zu packen bekomme, dann gnade ihm Odin, oder Gott oder sonst irgendwer. Dieser Mensch wird nicht mehr lange zu leben haben!
„Ich bin schwanger?“ fragte ich immer noch völlig aufgelöst. „Aber, das ist doch unmöglich!“ Ich sah zu Louis auf und... wurde er rot? „Marie, es ist schon möglich... also... du weißt ja... und...“ irgendwie machte ihn diese Stotterei gerade sympathisch, denn so unbeholfen hätte ich ihn mir nie vorstellen können.
Jetzt meldete sich Mr. Church zu Wort. „ Mrs. Gaultier, ich darf euch dennoch als erster gratulieren. Ich vermute, das Kind wird in ungefähr 6 Monaten zur Welt kommen. Wir können von Glück reden, dass durch den Überfall nichts schlimmeres passiert ist.“ Er sah zu mir hinunter und das Einzige was ich dachte war, wie in drei Teufels Namen konnte ein Assassine einen Arzt rufen lassen, der Templer war? Das wollte nicht in meinem Kopf zusammen passen.
Benjamin deutete meinen Gesichtsausdruck allerdings falsch und gab Louis-Joseph die Erlaubnis mir von der besagten Nacht zu berichten. Aber bitte schonend für Mutter und Kind. Aufregung wäre jetzt nicht mehr angebracht!
Als Church gegangen war, kam mein Mann wieder zu mir und setzte sich wieder aufs Bett. Fragend sah er mich an und leider war ich einfach nervlich nicht mehr zu Freundlichkeiten aufgelegt. „Louis, bitte. Jetzt sprich schon und erzähl mir endlich von dieser NACHT! Ich platze sonst noch, denn ich weiß wirklich nicht, was hier gerade passiert und …!“ In einer völlig ruhigen Art unterbrach er mich in meiner beginnenden Rage.
„Marie, wenn du es so willst. Es ist jetzt ungefähr 5 Wochen her. Und ich mache mir immer noch die größten Vorwürfe, bitte glaube mir das. Ich gehe davon aus, dass du dich auch nicht mehr an meine Reise erinnern kannst? Master Davenport hatte mich und Master O´Brian beauftragt, einige Templer die sich in Boston rum treiben sollten, ausfindig zu machen und … zu eliminieren.“ Fragend sah er mich an.
„Du bist Assassine, oder liege ich da falsch?“ ich hatte keine Ahnung, ob ich als seine Ehefrau so etwas wissen konnte oder sollte, aber ich hatte ja die Ausrede mit meinem Gedächtnis.
„Du weißt es also noch? Das ist gut zu hören, denn dann muss ich dir nicht sagen, dass das ganze Unterfangen länger dauerte als mir lieb war. Dennoch konnten wir zwei Artefakte in unsere Finger bekommen, welche ich in den nächsten Tagen zur weiteren Forschung an einen Master Franklin geben soll. Miss Jensen wird mich begleiten!“ Er sah mich immer noch fragend an, so als wolle er sicher gehen, dass ich auch alles verstand.
„Hope Jensen? Und du meinst den Forscher Benjamin Franklin? Ich kann mich dunkel daran erinnern, ja. Als ich gestern Nacht hier wieder wach wurde und nicht wusste wo ich mich befand, habe ich... also, ich habe in deinem Kleiderschrank eine kleine Kiste und ein Buch gefunden! Sind das diese Artefakte?“ Jetzt war es raus... Ich hoffte, dass ich jetzt Antworten bekam.
Seinem Gesichtsausdruck nach, hatte ich ins Schwarze getroffen. „Ja, das sind sie. Mir ist es nicht recht, dass ich sie hier aufbewahre und hoffe, dass sie hier schnell wieder verschwinden! Ich hoffe, wir können das Geheimnis rechtzeitig entschlüsseln, bevor die Templer eine neue Spur finden! Dieser Kenway ist wie ein Geist...“
Kapitel 108.1
Mein einziger Gedanke war: Odin sei Dank, Haytham lebt und es stahl sich ein Lächeln auf mein Gesicht.
„Diese Bezeichnung findest du amüsant? Wenn es nicht so anstrengend wäre ihn in die Finger zu bekommen, fände ich das sicherlich auch! Und... er war an dem Überfall beteiligt!“ kam es verärgert von Louis-Joseph. Er konnte ja nicht ahnen, was ich mir wirklich dachte.
Haytham war hier gewesen? … schoss es mir durch den Kopf! Um Ruhe bemüht erwiderte ich nur „Es tut mir leid, nein es ist nicht amüsant. Denn je länger du nach ihm suchst, desto länger wirst du ja auch nicht zu Hause sein! Aber... verzeih mir bitte. Erzähl mir jetzt, was in dieser besagten Nacht passiert ist.“ Ich sah ihn schon fast bettelnd an.
„Also schön, zwei Tage bevor ich wieder hier zu Hause war, hatte man versucht uns hier aus zu rauben. Wir vermuten es waren die Templer, Mrs. Rouselant beschrieb einen der Männer mit blauem Gehrock und einem passenden Dreispitz. Er habe wie ein Engländer geklungen. WAS sie genau gesucht haben hier, kann ich nicht sagen. Denn wir bewahren eigentlich nichts von Wert hier im Hause auf. Noch habe ich Artefakte die für die Bruderschaft dienlich sind bei mir! Das wäre einfach zu gefährlich. Bis auf jetzt, aber sie wären ohnehin nirgends sicher.“ er holte tief Luft und sah mich an.
„Sie wussten, dass ich nicht im Hause bin und wussten, wann wer geht und kommt. Sie müssen uns schon länger überwacht haben. Ich gehe davon aus, du kannst dich an so eine Art Beobachter nicht erinnern in den Tagen davor?“ Sein Blick ruhte jetzt forschend auf mir. Ich schüttelte bedauernd den Kopf und schaute ihn auffordernd an.
Ein Seufzen und die Geschichte ging weiter. „Es waren insgesamt vier Männer die hier eingedrungen sind. Sie waren aber so leise, fast schon lautlos, dass erst einmal NIEMAND die Eindringlinge bemerkte. Denn es war schon spät in der Nacht und alle schliefen. Als erstes haben sie, zumindest laut Aussage der Bediensteten, das Arbeitszimmer durchsucht und das sehr gründlich. Alles lag verstreut herum und die Schubladen waren herausgerissen und ausgeleert. Ihr Weg führte sie dann weiter ins Esszimmer, aber dort haben sie keine Verwüstung oder ähnliches angerichtet.“ Eine Pause in der mich Louis wieder mit diesem liebevollen Blick ansah und meine Hand drückte.
„Die Küche war das nächste Ziel und dann müssen sie sich aufgeteilt haben. Zwei gingen hinunter in den Keller und die anderen beiden hier hinauf. Dieser andere Templer war mit Kenway in den Keller gegangen, während diese anderen beiden schmierigen Herren die obere Etage absuchen sollten.“ So langsam dämmerte mir etwas! Ich ahnte das Schlimmste. Etwas dass ich, als ich bei Haytham war, noch verhindern konnte! Bei Odin...
„Mein Liebling, soll ich wirklich weiter erzählen? Du hattest gerade alle Farbe im Gesicht verloren. Geht es dir wieder schlechter?“ Völlig panisch war er aufgesprungen und wollte schon zur Tür, vermutlich um noch einmal nach Church zu schicken. DAS musste ich auch noch wissen, das passte jetzt überhaupt nicht.
„Louis, nein, es ist alles in Ordnung. Glaub mir. Aber ich glaube, so langsam kommen kleine Erinnerungsfetzen wieder. Du kannst ruhig sitzen bleiben und weiter erzählen, bitte!“
Der Chevalier setzte sich wieder, aber sichtlich in Sorge um mich. „Also schön, wenn du es so willst. Einer muss auf die linke Galerie sein und der andere nahm sich unser Schlafzimmer vor. Bis dahin hattest du anscheinend auch noch nichts bemerkt. So berichtete mir zumindest Duncan. Du erinnerst dich an ihn? Mein Kammerdiener!“ Ich nickte nur. „Als dieser Templer dich hier schlafend vorfand... er hat... er wollte dich...“ Ein schon fast verzweifeltes Schluchzen kam aus seiner Kehle.
„Louis, willst du mir damit sagen, dass er hier in unserem Schlafzimmer in unserem Bett...?“ mir brannten Tränen in den Augen, auch wenn ich vermutlich gar nicht wirklich betroffen war, aber... ich wurde wütend... Erinnerungen die eigentlich nicht HIERHER gehörten kamen wieder hoch!
„Nein, du wurdest vorher wach und fingst an dich zu wehren und ich danke Gott, dass ich dir beigebracht habe, wie du dich verteidigen kannst. Aber es reichte nicht aus um ihn vollends von dir los zu bekommen. Er fing dich hier oben an der Treppe noch ab und... der andere kam ihm dann auch noch zu Hilfe. Mrs Rouselant und meinen Kammerdiener hatten sie mittlerweile gefesselt unten im Eingangsbereich gelassen. Das Werk von Kenway! Sie konnten nur noch tatenlos zusehen, wie die beiden... sich an dir vergingen. Bitte Marie, verzeih mir, dass ich nicht dort war um dir zu helfen!“ Völlig aufgelöst und verzweifelt sah er mich an und ich spürte regelrecht wie aufgebracht und wütend er auf sich selber war!
„Wer waren die beiden Männer?“ fragte ich kalt.
„Das war ein Thomas Hickey und der andere hieß Charles Lee! Duncan hatte gehört, wie die Männer sich mit ihren Namen angesprochen haben!“
Ich spürte wie sich mein Magen anhob und ich schaffte es gerade noch rechtzeitig über den Eimer. Mir liefen die Tränen über die Wangen. Denn es breitete sich dieses Gefühl von Scham und Wut wieder aus. Wie damals...
Kapitel 109.1
„Marie, ich bitte dich. Verzeih mir!“ Seine grünen Augen ruhten auf mir, flehten mich förmlich um Verzeihung an.
„Mon Cher, du kannst nichts dafür.“ Kam es nur über meine Lippen und ich wusste nicht, warum ich das sagte oder warum ich ihn jetzt in den Arm nahm und ihn an mich drückte. Vermutlich weil ich einfach einen Halt brauchte. Ich weiß es wirklich nicht.
Nun fiel mir aber wieder ein, dass ich ja angeblich gestürzt sei und deswegen keine Erinnerung mehr hätte. „Louis, was passierte … DANACH … Du erwähntest einen Sturz!“
„Als Kenway und dieser andere aus dem Keller kamen und sahen, was diese beiden Widerlinge taten, wollten sie einschreiten. Aber du warst schneller und hast die Ablenkung genutzt und wolltest die Treppe herunter. Dabei bist du aber über den Saum deines Nachthemdes gestolpert und bist nach unten gefallen. Wir können von Glück reden, dass du noch lebst! Dabei bist du am Ende aber böse auf den Boden mit dem Kopf aufgeschlagen und hattest eine Platzwunde!“ Wie automatisch fasste ich an die richtige Stelle. Warum war mir das nicht schon eher aufgefallen, als ich mich vorhin fertig gemacht habe? Es wurde immer unheimlicher.
Als ich mich einigermaßen wieder im Griff hatte, musste ich aber diese Frage bezüglich von Benjamin stellen! „Louis, aber ich habe da eine ganz andere Frage. Denn... der Arzt der hier war. Woher kennst du ihn?“
Erstaunt, dass ich einen so plötzlichen Themenwechsel anschlug, sagte er nur: „Dieser Church? Der wurde mir ehrlich gesagt von einigen wohlhabenden Familien hier empfohlen. Warum fragst du?“
„Ich weiß nicht, wie ich dir das jetzt erklären soll. Aber... ich glaube, er gehört ebenfalls dem Orden an. Louis, ich befürchte dass er ebenfalls ein Templer ist und mit diesem Kenway arbeitet.“ Ich sah meinem Gatten fest in die Augen, so als könnte ich ihn durch reine Gedankenübertragung überzeugen.
„Mein Liebling, das kann unmöglich dein Ernst sein. Er ist ein ganz normaler angesehener Arzt und Chirurg. Er arbeitet hauptsächlich für die Armee!“ fragend sah er mich an, so als zweifelte er plötzlich wieder an meinem Verstand.
„Dann lass ihn überwachen und schau, was er so macht. Und wenn du nichts findest, dann habe ich mich halt geirrt. Aber bitte, tu mir diesen Gefallen!“ Ich nahm seine Hände und drückte sie.
„Also schön, ich werde mit Liam und Hope nach ihm forschen, auch wenn ich nicht verstehe, wie du darauf kommst.“ er schüttelte den Kopf.
„Wie ging es denn dann noch weiter? Haben sie irgend etwas gefunden, was sie mitnehmen konnten? Fehlte etwas hier im Haus?“ fragte ich jetzt, um ein wenig auf andere Gedanken zu kommen.
„Nein, sie haben rein gar nichts mitgenommen. Es war ja auch nichts hier im Haus. Du weißt doch, ich bewahre privat nichts auf! Das war zwar gut so, aber... trotzdem kann ich diesen Männern ihre Tat nicht durchgehen lassen!“ Der Chevalier wurde wieder wütend und ich spürte das Zittern durch meine Hände.
„Mon Cher, sie werden ihre gerechte Strafe erhalten. Darauf kannst du dich verlassen.“ Ich schloss ihn wieder in meine Arme und so saßen wir eine Weile auf dem Bett und gaben uns irgendwie Halt. Und soll ich euch etwa sagen? Es fühlte sich nicht falsch an oder unangenehm. Es war wie ein sich gegenseitig beschützen wollen.
Louis-Joseph musste sich dann aber irgendwann verabschieden, schickte aber eines der neuen Mädchen hoch zu mir. Nach dem Überfall hatten die drei Mägde und die beiden Zimmermädchen gekündigt. Ihnen war zwar nichts geschehen, aber sie hatten Angst und das konnte ich durchaus nachvollziehen. Nur Duncan und Mrs. Rouselant waren geblieben.
Jetzt wusste ich, was in der Nacht passiert ist, aber mehr auch nicht. Ich war nicht wirklich schlauer als vorher. Ich fing an, mir einen Plan zu machen...
Kapitel 110.1
Als ich wieder alleine war, das Mädchen, Constance hieß sie, hatte ich in die Küche geschickt, um mir Tee zu machen, setzte ich mich auf die Bettkante und wartete bis dieses Schwindelgefühl nachließ. Dann stand ich vorsichtig auf und ging zu der kleinen Kommode die dem Fußende des Bettes gegenüberstand.
Dort besah ich mich im Spiegel und stellte fest, dass ich tatsächlich grauenhaft aussah. Ich war blass, hatte tiefe Augenringe und eingefallene Wangen. Als ich an mir hinunter sah, sah ich eine leichte Wölbung meines Bauches. Instinktiv legte ich meine Hände darüber. „Dir wird nichts passieren, dafür sorge ich schon!“ Warum ich das sagte? Ich habe keine Ahnung. Es war, als müsste ich es tun, so als würde mir jemand diese Worte in den Mund legen! Ich fühlte mich zwiegespalten, wie mit zwei Persönlichkeiten. Ich kann es einfach nicht besser erklären.
Langsam ging ich im Schlafzimmer auf und ab, um meinen Kreislauf ein bisschen wieder in Gang zu bringen. Es klappte meiner Meinung auch ganz gut. Als das Mädchen mit meinem Tee wieder erschien, setzte ich mich an den kleinen Schreibtisch, der an der linken Wand stand und genoss die Wärme und Süße in meinem Magen!
„Ich würde mich gerne ein wenig frisch machen, bring mir bitte frisches Wasser und neue Seife, danke Constance!“ Sie knickste und verschwand. Ein wirklich ruhiges Mädchen, dachte ich noch so.
Ich ging ins Ankleidezimmer hinüber und suchte in MEINEM Kleiderschrank nach etwas passenderem als meinem Nachthemd. Ich fand ein schlichtes dunkelgrünes Kleid, welches ich an den Schrank hing. Constance brachte mir das Wasser und fragte schüchtern, ob sie mir noch helfen solle. Denn Mrs. Rouselant hatte ihr befohlen, mich nicht alleine zu lassen, solange ich auf den Beinen war.
„Das wäre sehr nett, denn bei dem Kleid werde ich Hilfe brauchen und auch bei meinen Haaren. Ich sehe ja grauenhaft aus.“ lächelte ich sie an und sie senkte nur schüchtern ihren Blick.
Als wir mit gemeinsamen Kräften das Kleid bezwungen hatten und auch meine Haare sich ordentlich um meinen Kopf legten, ging es mir besser und auch meine Nerven hatten sich ein wenig beruhigt.
Meinem Kreislauf ging es von Minute zu Minute besser. Doch diese Wut und diese Scham ließen sich nicht so leicht abschütteln. Es musste doch einen Weg geben, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen! Ich könnte HIER Charles bestrafen, wie es mir beliebte, aber in der anderen Welt könnte ich meinen Plan hinsichtlich Haytham weiterführen. Das klang erst mal logisch.
Aber... WIE kam ich wieder zurück. Constance begleitete mich nach unten in das Arbeitszimmer und ließ mich dann alleine. Am Schreibtisch nahm ich mir Papier und Feder und fing an, aufzuschreiben, was mir noch an Erinnerungen mit Haytham und diesem mysteriösen Besucher geblieben war.
Viel war es nicht und ich konnte mir auch keinen Reim darauf machen. Immer und immer wieder ließ ich mir die Bilder durch den Kopf gehen, aber mir wollte partout nicht einfallen, WAS diesen Sprung ausgelöst haben könnte. Diese Melodie die dieser Mann gesummt hat, konnte nur ich kennen. Sie war aus meiner Zeit. Also musste auch ER aus dieser kommen. Aber... wie war das möglich. Gab es noch mehrere dieser Armreifen?
Es musste ein Artefakt gewesen sein. Ich träumte das hier nicht, ich erlebte es real und bei vollem Bewusstsein. Trotzdem fiel mir beim besten Willen nicht ein, welche der Hinterlassenschaften der Vorläufer eine solche Macht hatten. Die beiden Ringe die ich besaß, waren bisher die einzigen die solche Kräfte auslösen konnten. Aber die waren... oh verdammt. Die waren nicht hier sondern bei meinem Templer!
Ich saß wirklich fest und ich konnte nicht einmal einfach so in meine ZEIT zurück. Jetzt kam zu der Wut und der Scham auch noch die Verzweiflung und mir liefen wieder die Tränen über die Wangen. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und ich ließ meinen Gefühlen jetzt freien Lauf, ich brauchte einfach dieses Ventil. Denn ich konnte mit niemandem darüber reden.
Wie lange ich so dasaß weiß ich nicht, aber es dämmerte schon, als mich der Chevalier schluchzend im Arbeitszimmer vorfand.
Er hob mich hoch, nahm mich in den Arm und trug mich nach oben. Ich ließ es zu, denn ich war zu müde und zu schwach zum selber laufen, geschweige denn zum Protestieren!
Kapitel 111.1
Oben angekommen, half mir mein Ehemann aus dem Kleid und in mein Nachthemd. „Ich würde dir so gerne diesen Schmerz nehmen, mein Liebling!“ sagte er nur voller Mitleid. Mir schoss der absurde Gedanke durch den Kopf, dass man sich nicht immer auf eine Seite der Erzählungen über andere verlassen sollte, sondern ebenfalls auch eine andere Sicht zulassen sollte. Das tat ich gerade und wurde Zeuge, dass dieser Mann eine sehr liebevolle Art hatte, die er aufgrund seines Standes in der Bruderschaft nicht so nach außen tragen konnte. Und seine Abneigung Shay gegenüber, nunja. Das war einfach eine andere Geschichte.
„Louis, es wird sicher bald wieder besser sein. Gib mir einfach noch ein wenig Zeit.“ Um ihm zu zeigen, dass ich zuversichtlich bin, erzählte ich ihm von meinem Vorhaben! „Ich habe mir überlegt, dass ich gerne in den nächsten Tagen mit Constance in die Stadt möchte. Es gibt einige Besorgungen, die ich noch erledigen möchte!“ Ich versuchte ein Lächeln, aber aufgrund meiner plötzlichen Müdigkeit, gähnte ich stattdessen. „Verzeihung, das wollte ich nicht, aber ich bin zu schläfrig.“
Der Chevalier nahm meine beiden Hände und gab ihnen einen Handkuss, danach noch einen liebevollen Kuss auf die Stirn und er ließ mich in die Kissen gleiten. Kaum das mein Kopf dort ankam, war ich eingeschlafen!
Am nächsten Morgen erwachte ich von einem Poltern und schreckte hoch, weil ich wieder irgendwelche Einbrecher, Templer oder Schlimmeres befürchtete. Aber es war nur Constance, die das gesamte Tablett mit meinem Frühstück hatte fallen gelassen. Ich wollte schon schimpfen, als ich sah, weswegen sie so erschrocken war.
Neben unserem Bett lagen blutverschmierte Kleidungsstücke und eine leichte Blutspur führte zum Ankleidezimmer. Wir sahen uns beide an und ich deutete ihr mit einem Finger auf den Lippen, leise zu sein. Da fiel mir ein, das war unnötig, denn das Scheppern des Geschirrs hatte vermutlich die halbe Nachbarschaft geweckt!
Langsam ging ich auf die Tür zum Ankleidezimmer zu und lauschte, aber ich vernahm keine Geräusche. Ich öffnete die Tür vorsichtig und schaute um die Ecke. Die Spur führte zum rechten Kleiderschrank, bei dem beide Türen offen standen und es sah so aus, als hätte jemand in Eile einige Sachen hinaus gezerrt. Hier war niemand, also ging ich ganz hinein. Da fiel mir das Fach auf, indem sich die Schatulle mit dem Buch befand. Und wie sollte es anders sein, BEIDES war nicht mehr da. Ich bekam es jetzt mit der Angst zu tun, war das etwa das Blut meines Ehemannes? Oder hatte sich jemand anderes hier noch Zugang verschafft? Aber warum zum Teufel habe ich davon nichts mitbekommen?
Constance sah mich nur weiter erschrocken an. Sie war keine große Hilfe. Also ging ich und mir war gerade egal, dass es unangemessen war mit dem Nachthemd, nach unten und rief die Diener zusammen. Denn ich fand Louis-Joseph auch nirgends.
Als alle in der Eingangshalle versammelt waren, fragte ich reihum, ob jemand etwas bemerkt hatte. Mrs. Rouselant war als einzige sofort bei der Sache. „Das darf doch nicht wahr sein. Man hat schon wieder hier eingebrochen? Wer war es denn dieses mal? Ich habe weder etwas gehört noch gesehen. Das ist ja schon unheimlich! Wer bitte kann sich so lautlos bewegen?“ … nein, ich muss mich nicht so anschleichen, aber es ist gut zu wissen, dass ich es immer noch kann und mich ungesehen einer Person nähern kann … Master Kenways Worte!
Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, was wenn er es wirklich war? Aber wo zum Teufel steckte mein Mann? „Hat denn von euch anderen NIEMAND Monsieur Gaultier gesehen? Er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!“
Nein, das hatte er sich sicherlich nicht. Denn in diesem Moment flog die Eingangstür auf und im grellen Gegenlicht der aufgehenden Sonne stand Liam und stützte, besser gesagt, er trug den Chevalier schon fast!
In meiner Panik stürmte ich auf die beiden zu und untersuchte hastig Louis-Joseph, überall war Blut, aber er atmete. Wenn auch schwer und er war leichenblass! Ich sah Liam an, diesen hatte ich noch nie persönlich gesehen. Immer nur aus der Erzählung, wenn auch widerwillig, von Shay.
„Mrs. Gaultier, ruft einen Arzt. Wir sind mit den Templern aneinander geraten, nach dem schon wieder dieser Haufen hier rein marschiert ist. Und bitte sagt mir, dass die Schatulle und das Buch noch …!“ Er sah in meinem Gesicht, dass beides nicht mehr da war.
„Mr. O´Brian, es tut mir leid, als ich aufwachte, war schon alles geschehen und... beide Artefakte sind verschwunden.“
Mit einem frustrierten Aufstöhnen übergab der Ire nun meinen Mann dem Personal und stürmte nach draußen. Diese brachten ihn nach oben und ich ordnete an, dass man nach einem Arzt schicken sollte. Einem anderen als Church, denn ich hatte eine Verdacht!
Kapitel 112.1
Es dauerte nicht lange, da erschien ein Arzt. Ein anderer und es war tatsächlich Dr. Ambrosch. Es überraschte ihn, als ich ihn, ohne dass er sich vorgestellt hat, mit Namen ansprach und auch noch so dankbar war. „Mrs. Gaultier, es freut mich, dass ihr mich so herzlich empfangt. Aber... kennen wir uns schon?“ fragte er leicht zweifelnd und beäugte mich misstrauisch.
„Nein, wir kennen uns noch nicht persönlich, Dr. Ambrosch. Aber ich habe schon viel Gutes über euch gehört und bin froh, dass ihr euch um meinen Mann kümmern werdet!“ erleichtert lächelte ich ihn einfach weiter an.
Ein herzliches Lachen kam von ihm „Dann eilt mein Ruf mir voraus, das ehrt mich! Wo ist denn der Patient. Ich hoffe doch, es war kein Duell oder ähnliches? Nicht, dass wir da noch ärger mit dem Militär bekommen!“
„Nein, nein. Ganz und gar nicht. Es war einfach eine ... Meinungsverschiedenheit bei … sie wissen schon. Männer halt.“ ich versuchte souveräner zu klingen, als ich mich gerade fühlte.
„Dann wollen wir doch mal sehen!“ Mit diesen Worten schob er mich aus dem Schlafzimmer und schloss die Tür mit den obligatorischen Worten. „Ich lasse euch rufen, wenn ich Hilfe benötige.“
Manchmal würde ich bei ihm gerne Mäuschen spielen. Vielleicht besaß er ja magische Kräfte oder ähnliches. Da ich jetzt hier nichts machen konnte, ging ich hinunter ins Arbeitszimmer. Meine Papiere lagen immer noch wie gestern Abend auf dem Schreibtisch. So sah es im ersten Moment aus, aber als ich näher trat, sah ich, dass meine Notizen NICHT mehr da lagen. Sondern nur noch zwei leere Blätter! Ich spürte wie in mir wieder Panik hoch kroch. Wenn die Templer wirklich wieder hier gewesen sind, dann haben sie sicherlich auch hier gesucht. Verdammt … Es wurde immer schlimmer.
Ein Klopfen riss mich aus meinen Gedanken. Es war Liam, der völlig entnervt in der Tür stand und mich böse anfunkelte. Was hatte ich ihm getan? „Mr. O´Brian, ist etwas nicht in Ordnung? Ihr schaut mich so grimmig an!“ platzte es aus mir heraus.
Mit wenigen Schritten war er bei mir und baute sich jetzt bedrohlich vor mir auf. Ich schluckte schwer, denn ich hatte mir nichts zu schulden kommen lassen! So dachte ich zumindest.
„Mrs. Gaultier, wie lange wollt ihr euer Spielchen hier noch durchziehen, hmmm? Ich weiß, dass ihr für die Templer spioniert! Ich habe euch in den letzten Wochen vor dem Überfall beobachtet und eure heimlichen Treffen mit dem Großmeister sind mir auch nicht entgangen. Glaubt mir, euer Mann weiß nur noch nichts davon, weil ihr plötzlich ohne Gedächtnis seid. Ich musste warten, bis ihr einigermaßen genesen seid. Und wie ich sehe, geht es euch ja jetzt wieder bestens!“ Ich spürte seinen Herzschlag und seinen Atem auf meinem Gesicht. Warum kamen diese Kerle einem immer so dichte?
„Mr. O´Brian, ich weiß wirklich nicht, wovon ihr redet! Und ich kann mich wirklich an nichts erinnern. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich allgemein Probleme mit meinem Gedächtnis anscheinend. Es ist, als... wäre ich nie hier gewesen... als gehörte ich nicht hierher“ rutschte es mir raus und ich sah seinen völlig ungläubigen Blick.
Er schüttelte langsam den Kopf und grinste fies. „Das tut ihr ja auch nicht! Als der Chevalier euch vor etwas über einem Jahr hier anschleppte, ward ihr eine einfache Straßenhure! So dachte er zumindest. Mittellos und verzweifelt batet ihr ihn um seine Hilfe. Aber mir kam euer eigenartiges Verhalten von Anfang an seltsam vor. Und siehe da, ich fand so einige interessante Schriften und Einträge in verschiedenen Geschäftsbüchern! Genauso, wie ich heute morgen auf dem Schreibtisch hier eure Notizen fand. Ihr habt schon wieder etwas mit dem Templerpack geplant und jetzt tut ihr wieder so unschuldig. MICH könnt ihr nicht mehr täuschen, MRS. GAULTIER!“
Gerade als ich etwas erwidern wollte, stand Dr. Ambrosch in der Tür und räusperte sich lautstark. „Ich möchte das Gespräch nur ungern unterbrechen, aber ihr könnt jetzt wieder zu eurem Gatten. Er hatte eine Stichwunde im linken Oberbauchbereich. Ich konnte die Blutung stoppen und es sind, soweit ich es sehen konnte, keine inneren Organe verletzt. Er ist auch bereits wieder wach. Noch sehr schwach, aber ansprechbar. Aber Aufregung wäre jetzt nicht gut für ihn.“ Er sah mich herzlich an und nickte dann Liam zu. Dieser sah mich immer noch funkelnd an. Das interessierte mich jetzt herzlich wenig, denn ich wollte jetzt wissen, was passiert war.
Plötzlich fiel mir auf, dass ich immer noch in meinem Nachthemd umher lief. Ach was solls, das war jetzt auch egal. Ich ging hinauf und fand den Chevalier wach vor, genau wie der Arzt es gesagt hatte.
Doch etwas war an seinem Blick anders, es lag eine unglaubliche Kälte in diesem Grün...
Kapitel 113.1
Louis-Joseph musste meinen erschrockenen Blick bemerkt haben. „Da bist du ja endlich.“ schnarrte er nur.
„Mon Cher, was ist denn los? Was ist denn passiert?“ Die Verzweiflung in meiner Stimme war noch nicht einmal gespielt. Ich war es wirklich.
„Nenn mich NIE wieder so, erzähl mir lieber, was hier eigentlich gespielt wird!“ Der Chevalier versuchte sich aufzusetzen, scheiterte aber an dem Verband und der Wunde selber.
Hinter mir war der Ire ins Zimmer getreten und schloss leise die Tür. Es lag etwas endgültiges darin und ich wusste nicht, was ich tun sollte. In meiner Panik sprudelten die Worte einfach nur so aus mir hinaus. „Was soll denn hier los sein? Das frage ich euch beide! Ich habe keine Ahnung, was genau in den letzten Wochen hier vorgefallen ist! Ich gehöre nicht hierher und ich weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin. Als ich vorgestern Nacht erwachte, stand ich in der Eingangshalle. Aber kurz vorher war ich noch... ich... also, verdammt.“ Ich rang die Arme, weil ich nicht erklären konnte, warum ich kurz vorher noch bei dem Großmeister war und dann plötzlich hier!
Ich setzte mich auf die kleine Bank am Fußende und seufzte. Schlimmer konnte es jetzt sowieso nicht mehr werden. Sie könnten mich eventuell noch in ein Irrenhaus stecken, weil sie vermuten würden, ich hätte sie nicht mehr alle. Aber, auch das musste ich jetzt in Kauf nehmen. Denn anscheinend kam ich hier mit Freundlichkeit und Höflichkeit und ähnlichem nicht mehr weiter.
„Mein Name ist Alexandra Frederickson, ich werde im Mai 1976 geboren und lebe in der Nähe von Hannover. Für euch ist es derzeit wohl noch Preußen!“ Ich erzählte den beiden Assassinen jetzt die gleiche Story, wie ich sie auch schon Haytham und Shay damals berichtete. Natürlich ließ ich diverse Feinheiten aus, aus verständlichen Gründen. Als ich an dem Punkt dieser merkwürdigen Begegnung mit dem Besucher vom Großmeister ankam, sah mich Liam merkwürdig wissend an.
Völlig unbeeindruckt von meiner Zeitreise, meinte Liam nur: „Ihr meint, ihr hättet gespürt wie der Boden erzittert? Und dann verzerrte sich euer Blickfeld einfach so?“
„Ja, so lief das ganze ab.“ Misstrauisch sah ich O´Brian an. „Liam, ihr wisst mehr, als ihr mir gerade sagt! Ich sehe es in euren Augen!“ Jetzt war es an mir, ihn böse an zu funkeln.
„Als der Chevalier euch auf gegabelt hat letztes Jahr, erlebte er fast dasselbe. Aber er wurde nicht in ein anderes Leben oder Zeit oder so gebracht, er hatte plötzlich eine Fähigkeit, die wir Adlerauge nennen. Das war eigentlich schon alles. Jedoch ist euer Auftauchen was damit einherging schon damals merkwürdig gewesen, denn es gab, wie ich euch vorhin schon sagte, einige Aufzeichnungen über euch. Euer Name war oder besser ist Marie de Scudéry, falls ihr den auch schon vergessen haben solltet.“ ein schiefes fieses Grinsen spielte um seinen Mund. Mir sagte der Name aber nichts.
„Mr. O´Brian, ich habe keine Ahnung wer das sein soll. Ich habe noch nie von ihr gehört. Und ich versichere euch, ICH bin es nicht!“ entmutigt ließ ich meine Schultern hängen und wartete auf eine Reaktion.
„Marie, du glaubst wirklich, dass ich dir dieses Lügenmärchen glaube? Liam hat mir gestern Nacht schon angedeutet, dass er etwas über dich heraus gefunden hat. Das wollte ich eigentlich heute geklärt haben mit dir. Aber als ich dann auch noch hier in meinem EIGENEN Bett von einem Templer niedergestochen wurde, da wurde mir klar, dass du etwas damit zu tun haben musst. Weswegen sonst, hättest du mich auf die Schatulle und das Buch ansprechen sollen?“ Seine grünen Augen ruhten lauernd auf mir.
Manchmal frage ich mich, ob die Menschen einem eigentlich auch EINMAL zuhören! Hatte ich nicht eben gerade noch meine Geschichte dargelegt und auch auf eben diese beiden Artefakte hingewiesen? „Louis... Monsieur Gaultier, Verzeihung.“ erwiderte ich genervt. „Aber das ist doch genau das, was mich hier so verwundert. In meinem richtigen Leben, im 21. Jahrhundert, haben diese Artefakte eben genau die gleiche Wichtigkeit wie hier. Nur haben sie sie unter Verschluss in Ihrem Lager. Ob die Templer meiner Zeit noch entsprechend diese erforschen bezweifle ich, denn wie ich die Damen und Herren einschätze sind sie bereits auf meiner Spur eben wegen der Zeitreisen.“ Denn mir ging der Besucher wieder durch den Kopf.
Kapitel 114.1
Es war Liam der antwortete. „Mrs. de Scudéry, ihr seid laut der Meldungen eine Trickbetrügerin und habt euch in viele Haushalte im Laufe der Zeit eingeschlichen und euch so das Wohlwollen der Templer gesichert. Auch seid ihr immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten! Ich lasse euch schon einige Zeit beschatten und ihr habt euch gehen lassen. Wahrscheinlich habt ihr euch in Sicherheit gewogen?“
„Mr. O´Brian, bei allem gebotenen Respekt! Ich habe keine Ahnung, wovon ihr sprecht!!!!!!“ brüllte ich den Iren jetzt an, denn mir platzte jetzt wirklich die Hutschnur! „Ich stecke erst seit gestern morgen oder Nacht oder wie auch immer hier fest. Ich bin in einem Körper, der mir gar nicht gehört...“ Da wurde mir bewusst, ich hatte zwar mein Äußeres betrachtet und festgestellt, dass ich schwanger war. Aber ich hatte gar nicht bemerkt, so seltsam sich das jetzt auch anhören mag, WER mir dort aus dem Spiegel entgegenblickte. Es war nicht mein Körper, wie war das möglich?
Ich sah zum Chevalier. „Monsieur Gaultier, ich … als ihr mich aufnahmt oder gefunden habt, habt ihr jemanden eine Melodie in eurer Nähe summen hören? Ein Lied, welches ihr nicht kanntet?“
Er sah mich an, als könne ich nicht bis drei zählen. „Marie, wir waren bei Weitem nicht die einzigen Gäste in der Taverne und ihr habt euch ja auch regelrecht an meinen Hals geworfen! Ich konnte mich den Avancen nur sehr schwer erwehren!“ Dieses Lachen, auch wenn es nur sehr verhalten war aufgrund der Schmerzen, war wie ein Stich ins Herz! Von wegen liebender Ehemann... „Ich habe ehrlich gesagt, auf so etwas nicht achten können!“
Großartig und jetzt? Dann blieb mir nur der Gang zum Großmeister. Vielleicht könnte er mir jetzt helfen? Aber wie sollte ich hier aus dem Haus kommen, denn Liam und Louis-Joseph würden mich sicherlich nicht einfach so gehen lassen!
Ich versuchte es mit Vernunft, auch wenn sie mir nicht glaubten, dass ich nicht ICH war! „Ich muss dringend mit dem Großmeister sprechen! Vielleicht kann er Licht in das Ganze bringen...“ da fuhr mir mein ach so lieber Ehemann über den Mund.
„DAS könnte dir jetzt so gefallen! Vermutlich ist das Kind auch noch seins! Du bleibst hier, bis wir die Artefakte wieder beschafft haben!“ Ich hatte ein sehr sehr böses Dejavue... Ein zu pflegender kranker Mann, Hausarrest bis auf weiteres... Die Geschichte wiederholt sich!
„Das ist doch nicht euer Ernst! Ich kann sicherlich behilflich sein, meinetwegen... gebt mir eine Wache mit! Dann könnt ihr beruhigt sein, dass ich wirklich nichts böses im Schilde führe!“ Mir wurde wieder schwindelig und übel und ich spürte einen kleinen Wirbelsturm in meinem Bauch!
Gentleman wie er war, stand Liam neben mir und ließ mich auf die Bettkante sinken! Ich legte mein Gesicht in meine Hände und wiegte mich vor und zurück, einfach nur um Bewegung zu haben. Wie gerne hätte ich jetzt eine Koffein- und Zuckerhaltige Limonade gehabt, der Kreislauf würde es mir danken!
„So wie ihr ausseht, werdet ihr nirgend wohin gehen können.“ Bösewichte kicherten immer so, ging es mir durch den Kopf, als Gaultier genau solche Laute ausstieß. In mir wuchs wieder eine Wut, die auszubrechen drohte. Also versuchte ich es noch einmal in einem freundlichen Tonfall. „Gentlemen, glaubt mir! Zum einen, was das Kind anbelangt... das weiß ich natürlich nicht, aber ich vermute, dass es EUER Fleisch und Blut ist. Zum anderen, je schneller mir geholfen wird um so schneller kommt ihr an die Artefakte und wir können alle unser bisheriges Leben weiterführen.“ Meines würde noch nicht wieder in geordneten Bahnen verlaufen können, aber diesen Gedanken verdrängte ich fürs Erste!
„Und wie stellt ihr euch das vor? Angenommen ich begleite euch, wie wollt ihr dann in das Fort Arsenal gelangen? Glaubt ihr, Master Kenway hätte plötzlich Mitleid mit euch und würde euch Einlass gewähren?“ Da hatte Liam nicht ganz unrecht. Aber... Haytham lebte dort? Nicht Shay?
„Mr. O´Brian, ich... verzeiht meine Unwissenheit...“ versuchte ich es weiter auf nett. „... aber mein letzter Stand der Dinge ist, dass das Fort Arsenal von Master Shay Cormac bewohnt wird!“
Mich starrten plötzlich zwei völlig verwirrte Assassinen an. Mit offenen Mündern und großen Augen!
Kapitel 115.1
Als erster fand der Chevalier seine Sprache wieder. „Ihr meint diesen Verräter an der Bruderschaft? Diesen Schandfleck? Das kann nicht euer Ernst sein! Shay starb vor einem Jahr! Dafür habe ich gesorgt!“ Oh, da war er ja sehr sicher, was seine Schießkunst anging! Aber jetzt wusste ICH zumindest, dass die Assassinen noch nicht herausgefunden hatten, dass Shay noch am Leben war!
Trotzdem bekam ich leichte Magenschmerzen, hatte ich jetzt schon wieder etwas in Gang gesetzt? Auch wenn es nicht in der „richtigen“ Vergangenheit war? Von diesen wirren Gedanken verknotete sich noch mein Gehirn und ich schüttelte mich.
„Wenn ihr wollt, kann ich euch sein Grab zeigen!“ kam es kalt von dem Iren! Sein was? Hieß das... Bei Odin... In mir starb die Hoffnung, dass er doch noch lebte. Aber das wollte ich nicht wahrhaben! Das Grab war sicherlich leer!!
„Er lebt nicht mehr?“ kam es enttäuscht und traurig von mir und die beiden Männer sahen mich mal wieder mit offenem Mund an.
„Madame de Scudéry, wollt ihr etwa andeuten, dieser... Abschaum schert euch?“ waren lauernde Worte aus dem Munde des Patienten!
„Er schert mich, ja, aber nicht so, wie ihr vermutet! Aber jetzt weiß ich, dass ich hier definitiv falsch bin!“ vor lauter Trauer und Enttäuschung, die ich mir so selber gerade nicht erklären konnte, fing ich an zu heulen! „Lasst mich mit Kenway reden und ich verspreche, besser gesagt, ich hoffe, dass ich dann endlich weiß, was hier gespielt wird! Ich bitte euch doch nicht um viel! Was habt ihr JEZT noch zu verlieren? Glaubt ihr, nur weil ich neben euch stehe, fallen gleich 100 Templer über euch her?“ Ich hatte mich in Rage geredet und atmete schwer und dieser Wirbelsturm in meinem Bauch machte sich wieder bemerkbar. Dieses mal aber sehr schmerzhaft und ich krümmte mich vornüber!
Und wieder war es Liam, der wenigstens so tat, als sei er besorgt. „Geht es euch nicht gut? Soll ich nach einem Arzt schicken lassen?“
„Danke, es geht schon wieder!“ antwortete ich etwas atemlos. „Ich würde mich jetzt nur gerne ankleiden und dann lasst mich gehen. Mr. O´Brian, ihr könnt mich gerne begleiten, ich habe nichts zu verbergen. Aber... die Aufzeichnungen die ihr gefunden habt, haben mit meiner eigentlichen Reise zu tun. Ich habe nur versucht, damit meine Gedanken ordnen zu können. Es war kein Plan, denn wenn es einer wäre, hätte ich ihn sicherlich nicht so offensichtlich dort liegen gelassen, oder?“ Denn der Gedanke schoss mir ins Gehirn. Er dachte vermutlich, dass das eine Art Plan war, wie ich an die Artefakte gelangen konnte. Obwohl ich lediglich aufgeschrieben hatte, wie ich hier wieder weg konnte.
„Das wird sich bestimmt noch zeigen, aber ihr erwartet etwas zu viel Vertrauen auf einmal. Louis-Joseph, was meint ihr dazu? Wenn ich Marie begleite, könnten wir vermutlich wirklich etwas herausfinden!“ Ohhhh bei Odin, der erste intelligente Gedanke der beiden Assassinen!
„Ihr habt vermutlich Recht Liam. Und du Marie, gnade dir Gott, wenn du etwas geplant hast! Mir hat dieser morgen schon gereicht!“ sichtlich erschöpft ließ sich der Chevalier wieder in die Kissen sinken. Plötzlich hatte ich das Bild von Haytham vor Augen, als er so matt in seinem Bett lag... ich musste mich wieder schütteln, um die Gedanken los zu werden!
Langsam erhob ich mich, denn auf einmal hatte ich das Gefühl, als hätte mich alle Energie verlassen. Aber ich richtete mich auf und ging ins Ankleidezimmer und suchte nach einem bequemen Kleid. Naja, was man denn als bequem bezeichnen konnte. Als ich fertig war und mir noch einmal kurz etwas Wasser ins Gesicht gejagt hatte, fühlte ich mich ein klein wenig besser.
Liam wartete schon an der Tür und hielt sie für mich auf, ich warf einen letzten Blick auf Louis-Joseph und so etwas wie Trauer überkam mich. Ich kann es schlecht in Worte fassen!
Gemeinsam gingen wir die Treppe hinunter und unten erwartete uns schon eine besorgte Mrs. Rouselant. „Mrs. Gaultier, ihr müsst in eurem Zustand jetzt erst einmal etwas essen, so lasse ich euch nicht gehen.“ Mit diesen Worten schob sie mich ins Esszimmer. Ein sprachloser Ire sah uns hinterher. Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, aber Mrs. Rouselant erinnerte mich stark an Mrs. Wallace... und schon stiegen mir wieder die Tränen in die Augen! Ich vermisste tatsächlich dieses alte Leben! Auch wenn ich noch nicht lange Teil davon war.
Nach einem kleinen Frühstück, denn ich brachte keine großen Mengen hinunter, gingen O´Brian und ich hinaus. Er hatte bereits eine Kutsche bestellt und so fuhren wir Richtung Fort Arsenal.
Als ich einen Blick aus dem Fenster warf, fiel mir plötzlich auf, dass New York irgendwie... eigenartig aussah. Es sah weder wie in der Neuzeit aus, noch so wie ich es verlassen hatte.
Kapitel 116.1
Die Gebäude waren durchweg aus Backstein und die Straßen waren auch aus diesem Kopfsteinpflaster. Nichts ungewöhnliches in dieser Zeit. Aber... es war nicht wie es AUSSAH, eher wie es sich anfühlte. Etwas war ganz anders. Und dann sah ich es... es waren die Menschen die hier umher liefen.
Sie waren alle völlig gelöst und unterhielten sich in den unterschiedlichsten Sprachen! Jetzt war es an mir, fassungslos drein zuschauen. Denn diese Vielfalt gab es in den Kolonien, das wusste ich, es gab eine Menge Auswanderer aus Deutschland (ja, ich weiß... ihr wisst was ich meine!), Schottland, Irland, Frankreich und und und … Es schien aber, als würde hier niemand einen Groll gegen Britannien hegen. Ich sah seltsamerweise auch keine Rotröcke. Und DAS machte mich zusätzlich stutzig. Es patrouillierten Soldaten, diese trugen aber keine rote Uniform sondern eine dunkelblaue, welche mir nicht bekannt war. Die Patrioten trugen oftmals nur normale Kleidung bis hin zu blauen Westen und Hosen. Aber... solche Uniformen waren mir fremd.
In meiner unendlichen Neugier stupste ich Liam an. „Mr. O´Brian, diese Männer dort, zu wem gehören sie eigentlich?“
Ein dümmliches Lachen kam von ihm. „Oh, Mrs. de Scudéry, und das aus eurem Munde. Tstststs... Ihr wisst schon, welchem König ihr unterstellt seid, oder? König Ludwig XV. von Frankreich, meine Liebe.“ Plötzlich hielt er inne und musterte mich. „Ihr wisst es wirklich nicht?“ Scheinbar hatte er meinen ratlosen Blick bemerkt und richtig gedeutet.
Hieß das jetzt, dass Frankreich hier siegreich war? Aber... wie sollte denn das funktionieren?
An wen man denn nun seine Steuern zahlte, war grundsätzlich einerlei, aber... mir hatte die Geschichte beigebracht, dass es BRITISCHE Kolonien waren und nicht französische. Plötzlich hatte ich das Gefühl, als würde dieser Ludwig um die Ecke springen und mir Versailles präsentieren. Nicht ganz so war es, aber wir näherten uns dem Hafen und auf der rechten Seite, nähe der Docks thronte ein herrschaftlicher Palast! Es war dermaßen surreal... ich kann es nicht in Worte fassen. Alles war auf den Kopf gestellt, die gesamte Regierung und einfach alles. Was sollte ich denn jetzt machen? Das Ganze bereitete mir Bauchschmerzen und ich fühlte wieder diesen kleinen Wirbelsturm in meinem Bauch und er wurde heftiger. War das eine Warnung, ein Hinweis, dass ich nicht unendlich Zeit hatte? Meine Gedanken überschlugen sich und ich wusste nicht wohin damit. Also ließ ich es an Liam aus.
„Mr. O´Brian, wenn ihr mir zugehört hättet, wüsstet ihr, dass ich ein ganz anderes Bild habe. Meine Geschichtserzählung ist eine völlig andere... Und jetzt habt BITTE die Güte mich in einem vernünftigen Ton aufzuklären, ich bin nämlich nicht verblödet!“ Ich sah ihn herausfordernd an, dachte ich zumindest.
„Was sollte ich euch erklären? Ludwig hat es mit Hilfe der Assassinen geschafft, die Kolonien von den Briten zu befreien! Endlich können wir die Freiheit leben, die wir immer versucht haben zu predigen.“ Mit vor Stolz geschwellter Brust saß er vor mir und ich konnte nur mit dem Kopf schütteln. Das war doch alles nicht wahr, oder? Noch einmal sah ich hinaus und... ich muss gestehen, es war ein wesentlich angenehmerer Blick, als zu Zeiten der Briten.
Dennoch war mir nicht wohl dabei. Als wir endlich am Fort Arsenal ankamen, hätte ich wieder einmal am liebsten laut aufgeschrien. DAS war nicht das Arsenal, welches ich in Erinnerung hatte. DIESES war... viel zu ordentlich, viel zu Pompös! Es war einfach... Französisch!
Und dort sollte Haytham residieren? Schwer vorstellbar, denn seinen Groll gegen die Franzosen kannte ich. Auch ich war nicht allzu gut auf sie zu sprechen.
An den Wachen angekommen, teilte Liam mit, dass wir wünschten den Großmeister zu sprechen. Die Soldaten konnten sich kaum halten vor Lachen. Einer jedoch gewann wieder Worte und sah uns an. „Ihr wollt was? Das ist doch ein schlechter Scherz. Master Kenway wird doch nicht so ein Gesindel wie euch empfangen! Was glaubt ihr, wer ihr seid?“ Der Soldat wollte sich mal so gar nicht beruhigen und kicherte völlig ungehalten. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, der hat sich ordentlich was zum RAUCHEN gegönnt!
Kapitel 117.1
„Was bitte ist jetzt so wahnsinnig lustig an dieser Frage?“ kam es in genervtem Ton von Liam. Der Ire war nicht in Stimmung für diese dümmlichen Soldaten!
Die Wache räusperte sich und versuchte sich wieder in den Griff zu bekommen. „Das fragt ihr noch? Das gemeine Fußvolk hat hier nichts zu suchen. Immer das gleiche mit dieser Bettelei und dann keinen Respekt vor den Briten haben. So was haben wir hier gerne! Also schert euch weg oder muss ich euch Beine machen?“ drohend hob er sein Gewehr und fuchtelte vor unseren Nasen damit herum.
„Ohhh, passt auf guter Mann, nicht, dass ihr euch noch selber verletzt! Das wollen wir doch nicht!“ Mit diesen Worten stieg O´Brian langsam aus der Kutsche und ich sah, wie er seine Finger bewegte, um die versteckte Klinge zu aktivieren. Die beiden Wachen waren schneller tot, als sie Assassine sagen konnten. Etwas seltsam war es, dass nur diese beiden hier postiert waren, wenn man doch Angst vor Bettlern und Streunern und ähnlichem hatte! Ich sah nicht einen einzigen anderen hier patrouillieren.
Wir machten uns jetzt zu Fuß auf den Weg über die kleine Brücke auf das eigentliche Grundstück und auf dieses... bei Odin... es war grauenhaft kitschig in goldenen und gelben Farben gehalten und … einfach schrecklich. Mir fiel plötzlich eine Adaption ein, zu einem Modekünstler, der hier wunderbar reinpassen würde... Aber ich behielt meine Gedanken für mich.
Als wir an der großen auf Hochglanz polierten Eingangstür ankamen, wurde diese mit einem Schwung geöffnet und uns starrte ein Diener in rot-weißer Livree an. Wie überaus britisch schoss es mir durch den Kopf. „Ihr wünscht?“ kam es nur knapp.
„Mein Name ist Liam O´Brian und das ist meine... Partnerin, Mrs. Marie de Scudéry.“ Ob das so eine gute Idee war, meinen (in dieser Welt) richtigen Namen zu nennen, bezweifelte ich. Aber jetzt war es zu spät. Und Haytham würde ja eh wissen, wie seine Spionin heißt. „Wir würden gerne mit Master Kenway sprechen. Wir haben Neuigkeiten, die dringend und sehr wichtig sind!“ Liam ließ seine gesamte Autorität in diese Worte gleiten und ich hoffte, dass es klappen würde.
Für einen kurzen Moment sah der Diener an uns vorbei zum Tor und dann wieder zu uns. Anscheinend bemerkte er die fehlenden Wachen nicht. „Folgt mir, ich werde sehen, ob Master Kenway Besucher empfängt!“ Und so gingen wir ihm hinterher in die Eingangshalle. Das innere war mit der Fassade Gott sei Dank nicht vergleichbar. Hier herrschte eine völlig normale Atmosphäre, kein Schnickschnack, kein Glanz und Glitter. Eine Wohltat fürs Auge. Eigentlich sah es hier fast so aus, als würde Shay noch hier leben. Dieser Gedanke, dass er wirklich tot war, war für mich immer noch unvorstellbar, gar unmöglich!
Der Diener verschwand in dem Arbeitszimmer auf der rechten Seite hinter den beiden Türen. „Master Kenway, ihr habt Besucher. Ein Mr. O´Brian und eine Mrs. … Schuderei. Verzeiht, ich habe den Namen nicht richtig verstanden, er war französisch! Sie sagen, es sei dringend und hätten wichtige Neuigkeiten!“
„Wie oft, Oliver, habe ich euch gesagt, ihr mögt zuhören, wenn man euch den Namen sagt. Das kann doch nicht so schwer sein! Manchmal glaube ich, ich sollte euch wieder auf die Straße setzen. Dort wäret ihr besser aufgehoben!“ Das war Haytham und er klang dermaßen wütend und sauer, dass ich am liebsten kehrt gemacht hätte und ganz schnell das Weite gesucht hätte. Aber Liam bemerkte meine Reaktion und hielt meinen Arm fest.
„Zum Wegrennen ist es jetzt zu spät. Und gewöhnt euch bei diesem britischen Fatzken einfach an diese überhebliche Art!“ Wie redete er denn über Haytham? Geht es noch? Aber auch da fiel mir wieder ein, dass ER ja nicht wissen kann, wie meine Gefühlswelt gerade aussah.
„Aber er scheint wirklich schlechte Laune zu haben. Ist es da nicht eher ratsam, wir gehen und lassen uns einen Termin für die nächsten Tage geben?“ Irgendwie klang das jetzt so, als würde ich einen Termin für einen Arztbesuch abmachen wollen.
„Nein, wir sind jetzt hier und klären das. Ihr habt selber gesagt, ihr wisst, wie ihr mich und auch den Chevalier überzeugen könnt! Dann müsst ihr auch mit so einer unwirschen Art zurecht kommen.“ Du meine Güte, dieser Ire hatte genauso eine schlechte Laune auf einmal wie mein Templer! Nein, er ist hier nicht MEINER.
Mir wurde immer mulmiger und dieser Sturm in meinem Bauch wuchs zu einem regelrechten Orkan an. Ich musste mich setzen und das schnell. „Liam, bitte, helft mir mich irgendwo hinzusetzen. Ich fühle mich plötzlich nicht wohl!“ Alarmiert schob er mich auf eine kleine Bank in der Halle zu und setzte sich neben mich.
„Marie, ist es das Kind?“ Ehrlich besorgt fragte er mich das und ich konnte nur nicken. Denn ich versuchte gerade mit meiner Atmung diesen Krampf wegzubekommen. Der Orkan flaute langsam wieder ab und ich entspannte mich ein wenig.
In dem Moment öffnete sich die Tür zum Arbeitszimmer und der Diener trat in die Halle. Er sah aus, als hätte man ihm gerade eine Tracht Prügel verabreicht. Völlig rot im Gesicht und zusammen gesackt stand er vor uns. „Ihr könnt jetzt zu Master Kenway!“ kam es nur knapp und er ging zur Seite, um uns Platz zu machen.
Kapitel 118.1
Vorsichtig erhob ich mich, Liam stützte mich noch einen Moment. Aber mir wurde nicht schwindelig und in meinem Bauch blieb es ruhig!
Ich atmete tief durch und sah durch die Tür ins Arbeitszimmer und mir rutschte mein Herz in die Hose. Langsam schritt ich auf ihn zu, der Ire blieb hinter mir. Da saß er. Der Großmeister! Er sah genauso aus wie noch vor wenigen Tagen, als ich einfach von ihm weggerissen wurde. Der einzige Unterschied war, dass er eine unglaublich schlechte Laune hatte und irgendwie wirkte er, als hätte man ihm etwas weggenommen.
Als wir näher traten, erhob er sich und kam um den Schreibtisch herum auf uns zu. Wie immer, Handkuss, Geplänkel und Vorstellung. „Was für eine Überraschung, gleich zwei Assassinen in meinen bescheidene vier Wänden. Und dann auch noch freiwillig! Wenn das mal kein Zeichen ist, was?“ Haytham hatte diesen nervigen arroganten Tonfall in der Stimme und sein dämliches Grinsen dabei machte es auch nicht besser! In mir stieg meine alte Wut auf, welche ich eigentlich ad Akta gelegt hatte!
„Master Kenway, wir sollten uns diese Feindseligkeiten für später aufheben. Denkt ihr nicht auch?“ kam es ebenso arrogant von Liam.
„Dann bin ich gespannt, was es so wichtiges gibt, was ihr mir auf der Stelle berichten müsst. Und ich hoffe für euch, es IST besser wichtig, ansonsten werdet ihr mein Haus nicht lebend verlassen!“ Mir blieb der Mund offen stehen. Denn ich war ja einiges von ihm gewöhnt, aber solche Drohungen waren auch für mich neu und ehrlich gesagt auch zu viel für meine Nerven. Mein Gehirn konnte einfach keinen Unterschied zwischen Haytham hier und dem alten Haytham machen, es ging einfach nicht.
Ich ergriff das Wort, denn ich musste jetzt einfach Klarheit haben und um mich selber zu beruhigen musste ich reden! „Master Kenway, ich bin hier, weil man mich beschuldigt, mit den Templern zusammen zuarbeiten! Angeblich mache ich gemeinsame Sache mit euch! Aber... so ist es nicht. Denn ich kann mich an rein gar nichts mehr erinnern. Und um ehrlich zu sein, hatte ich gehofft, ihr könntet Licht ins Dunkel bringen!“ Ich sah in seine kalten grauen Augen. Er fing an mich zu mustern!
„Mrs. Gaultier, verzeiht, Mrs. de Scudéry oder wie auch immer ihr euch nun nennt, ich werde euch da wohl kaum weiterhelfen können. Wie stellt ihr euch das vor? Ihr solltet vielleicht einen Arzt konsultieren, damit dieser euch heilen kann von eurer ach so plötzlichen Amnesie!“ Ein kaltes Lachen kam über seine Lippen und er drehte sich um und ging wieder hinter seinen Schreibtisch. „Wenn sonst nichts mehr ist?“ fragend sah er von mir zum Iren. Dieser stand ebenfalls sprachlos da, fing sich dann aber wieder.
„Ihr seid es gewesen, die sich unbefugt Zutritt zum Hause des Chevaliers verschafft haben! Eure Männer haben zweimal alles auf den Kopf gestellt. EURE Männer haben sich an Mrs. de Scudéry vergangen!“ Liam wurde immer lauter. „Und als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, habt ihr auch noch versucht Louis-Joseph im Schlaf zu ermorden! Und habt dann die Artefakte an euch genommen! Und das alles, während Marie schlief. Ich frage euch nur ein einziges Mal, Master Kenway. Was für ein perfides Spielchen treibt ihr hier?“ Der Ire war dicht an den Schreibtisch herangetreten und starrte den Templergroßmeister an.
Dieser prustete nur und sah mich an. „Vielleicht solltet ihr wirklich erst einmal mit dieser... Person dort einen Arzt aufsuchen, der Ahnung von mentalen Krankheiten hat. Dann werdet ihr wissen, wovon ich rede. Und zu eurer Information, nicht ICH habe die Artefakte entwendet, sondern SIE!“ Er zeigte auf mich und ich sah auf seinen Finger und wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.
„Ich? Wie … das ist unmöglich.“ Ich hatte plötzlich das Gefühl, mir wird der Boden unter den Füßen weggerissen und ich würde fallen... Ein Bild raste in meinen Gedanken an mir vorbei! Erst eine glatte Wasseroberfläche und plötzlich tut sich eine riesige Spalte im Erdboden auf und es ist, als sähe ich in die Hölle selbst! Great Inagua! Der Wasserfall!
Ich ließ mich auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch fallen, lehnte mich vor und legte mein Gesicht in meine Hände. So saß ich da und wiegte mich vor und zurück. Was wird hier gespielt. WER will mich fertig machen? WARUM? Ich hatte doch nichts getan!
Und dann hörte ich, wie Haytham einen anderen Mann begrüßte, der bereits an der Tür gewartet haben muss! „Ahhhh, Marius, da seid ihr ja endlich!“
Kapitel 119.1
Ich schreckte so schnell hoch, dass ich dabei den Stuhl umwarf und diesen Besucher anstarrte. Marius... Vor mir stand mein Ex-Verlobter! Wie vom Donner gerührt stand ich da und konnte nicht anders... ich ging langsam auf ihn zu und meine Hand legte sich völlig automatisch auf seine Wange. War er das wirklich? War das real hier?
„Marius?“ kam es krächzend aus meiner Kehle und ich räusperte mich. „Was tust du hier? Das ist doch unmöglich. Du... das geht doch gar nicht! Warum bist du hier?“ Er sah nur auf mich herab und hatte ein unsagbar fieses, breites Grinsen auf den Lippen!
„Alex... ich wusste doch, irgendwo finde ich dich schon noch wieder! So einfach konnte ich dich doch nicht gehen lassen. Nicht mit dem ganzen Wissen, welches du mittlerweile angehäuft hast. Unser Großmeister war der gleichen Ansicht. Aber war der Meinung, wir sollten noch in paar Jahre abwarten und sehen, wie sich deine Reisen entwickeln.“ Sein Blick wanderte zu Haytham auch dieser hatte diesen fiesen Zug um den Mund und sah mich nur berechnend an.
Jetzt meldete sich Liam, der, so wie ich, auch nichts mehr verstand. ER noch weniger als ich, befürchtete ich! „Was ist das hier für ein Spiel? WER seid ihr überhaupt!“
„Oh, wie unhöflich von mir, wo sind meine Manieren!“ kam es so ekelig süffisant aus Marius´ Mund, dass sich mir der Magen umdrehte. „Mein Name ist Marius Engelhardt, ich bin der Ex-Verlobte dieser Frau hier!“ Er deutete abfällig mit dem Finger auf mich. „Ich gehöre einem Templerorden in Deutschland an und das schon seit nunmehr über 25 Jahren!“ Ich beließ es bei seiner geographischen Beschreibung, denn das war jetzt definitiv völlig unwichtig geworden.
Viel mehr wollte ich jetzt endlich wissen, WARUM er auf mich angesetzt worden ist. „Du hast die ganze Zeit gewusst, was und wer ich bin? Du hast mich die ganzen Jahre angelogen und so getan, als würde dich das nicht interessieren? Du hast mich einfach benutzt, für euren perfiden Plan?“ Und plötzlich schoss mir der nächste Gedanke durch Kopf! „Marius, ich frage dich das jetzt nur EINMAL! WO IST MEIN SOHN? WO IST YANNICK?“ Ich hatte meine Stimme erhoben, aber sie fing an sich zu überschlagen in meiner Panik.
Mein Ex-Verlobter stand mit verschränkten Armen vor mir und sah mich nur zufrieden an. „Kannst du dir das nicht denken? Geh in Gedanken noch einmal zurück und du wirst selber drauf kommen!“
Es war vorbei, ich konnte mich nicht mehr beherrschen und griff ihn an und ich war selber über meine plötzliche Kraft und Geschwindigkeit erstaunt. Mit einem Schwung drehte ich dem überraschten Marius den Arm schmerzhaft auf den Rücken und zwang ihn so auf die Knie! „Nein, DU wirst mir sagen, was los ist! Und gnade dir Gott, ist meinem Sohn etwas zugestoßen, wirst du nicht mehr lange leben! Das schwöre ich dir, du verlogenes Stück Dreck!“
Er holte zischend Luft und versuchte hoch zu blicken. „Du glaubst, so kommst du hier wieder weg? Glaubst du allen ernstes, ich trage die entsprechenden Artefakte mit mir den ganzen Tag herum? Du bist so dermaßen naiv, Alex, dass es schon wieder amüsant ist!“
In meiner Wut zog ich mit einem letzten Kraftakt an seinem Arm und ich spürte und wir alle hörten das Knacken von Knochen und Marius vor mir heulte laut auf! „Du kleines Miststück hast mir meinen Arm gebrochen! Bist noch ganz richtig?“ schrie er mich an. Erst jetzt fiel mir auf, dass weder Liam noch Haytham eingriffen. Beide Männer standen mit offenen Mündern da und sahen sich das Spektakel an.
„SPRICH!“ brüllte ich ihn an und gleichzeitig zerrte ich ihn auf die Beine zu einem Stuhl. „Liam, fesselt ihn. Und euch, Master Kenway rate ich, mir nicht in die Quere zu kommen.“ Dieser aber grinste nur und lehnte sich mit dem Rücken an den Schreibtisch. Warum sagte er nichts, warum griff er nicht ein?
Als mein Ex endlich ordentlich verschnürt war, stellte ich mich vor ihn. „Ich sagte, SPRICH!“ und er hatte meine flache Hand auf der Wange. In mir brodelte es so dermaßen, dass ich mich nicht mehr beherrschen wollte und konnte. So etwas hatte ich noch nie gespürt! Sein bloßer Anblick brachte mich in Rage!
„Du warst es doch, die mich in diese Geschichte mit hinein gezogen hat. DU hast mir von den Reisen von ganz alleine erzählt. Und ich habe lediglich meinen Nutzen daraus gezogen und konnte mich endlich profilieren!“
Marius hatte sich einfach nur in eine gute Position bringen wollen mit diesen Informationen? Sich einschleimen wollen, beim deutschen Großmeister der Templer? Was für ein armseliges Würstchen er doch war. Aber in mir kam kein Mitleid hoch, es war eine Kaskade an Gefühlen... Hass, Wut, Enttäuschung, Scham, weil ich nicht erkannt hatte, WER er wirklich war... es war einfach zu viel auf einmal.
Kapitel 120.1
„Du hast meine Frage immer noch nicht beantwortet! WO IST YANNICK?“ Und noch einmal hatte er meine flache Hand auf der Wange. Dieses mal auf der anderen, wir wollen ja gerecht bleiben, oder nicht?
Mit einem schmerzverzerrten Blick, sah er zu mir auf. „Dir scheint das hier alles nicht zu bekommen, wie es aussieht. Kann es sein, dass du dein Assassinen Dasein schon anzweifelst? Hmmm? Hab ich recht? Mir sind da Sachen zu Ohren gekommen....“ er grinste breit und wissend. „Da musste ich doch eingreifen! Ich konnte doch nicht zulassen, dass du dich von den Assassinen abwendest und uns Templern zu nahe kommst!“ immer noch dümmlich breit grinsend sah er mich an. Aber WIE konnte er von den letzten Wochen wissen? Wie lange war er denn schon hier und... dort. Bei Odin... Davon bekommt ja Kopfschmerzen!
„Was geht dich mein Leben noch an? Und... ich würde EUCH sicher nicht zu nahe kommen. Ihr als Orden habt mir definitiv nichts zu bieten, bis auf die ewigen Scherereien die wir mit euch haben. Immer wieder pfuscht ihr uns dazwischen. Genau wie jetzt auch! Und wenn du doch Rache willst, hättest du es auch in unserer Zeit machen können, oder nicht? Musste es jetzt und hier sein? Was ist verdammt noch mal so wahnsinnig wichtig hier?“ Und mir dämmerte es... Marius hatte das ganze schon viel länger mit geplant. Eine andere Erklärung gab es gar nicht!
„Wir suchen nach einem bestimmten Schmuckstück! Aber du warst ja mit deiner eigenen Reise zu beschäftigt, als dass du dich dafür interessiert hättest. Wir hatten dir lange genug Zeit dafür gelassen, in der Hoffnung, dass du uns auf die Fährte bringst. Aber selbst dafür warst du nicht zu gebrauchen!“ Jetzt machte seine Nase mit meiner Faust Bekanntschaft, ein befriedigendes Knirschen zeigte mir, dass ich gut getroffen hatte. Und dieser Templerabschaum vor mir ließ den Kopf hängen und jaulte auf, als ihm das Blut aus der Nase lief.
Schniefend versuchte er wieder einen klaren Blick zu bekommen. „Du bist doch das Allerletzte, wofür war das denn jetzt?“ näselte er rum. „DAS war dafür, dass du mich beleidigst, du Honk! Was für ein Schmuckstück? Wenn du mich doch schon so lange verfolgst, dann solltest du wissen, wonach ich suche du Idiot! Ich renne keinen Artefakten oder so hinterher! Ich wollte lediglich die Lücken schließen in Shays Leben.“ Jetzt war ich mir nicht so sicher, ob das eine gute Idee war, denn sollten wir das HIER jetzt alles offen legen? Was hätte das wieder für Auswirkungen?
Ich sah den hiesigen Großmeister an und versuchte aus seinen kalten grauen Augen schlau zu werden. Aber keinerlei Regung war zu erkennen. Eine perfekte Beherrschung seines Körpers...
Mein Ex hatte meinen Blick bemerkt und meinte sarkastisch: „Ja, er weiß es bereits. Ich habe ihm in aller Ruhe so einiges erklärt!“ Er versuchte ein sardonisches Grinsen, aber das ging in Schmerzen unter.
Mir schoss das Blut in die Wangen, was mir vermutlich gut zu Gesicht stand, da ich aussehen musste wie eine Wasserleiche! Langsam drehte ich mich zu Haytham um, denn dieser hatte sich hinter seinen Schreibtisch begeben und kramte in einer der Schubladen herum. Ohne ein Wort zog er eine kleine Kiste heraus und stellte sie auf der Arbeitsfläche ab. Langsam drehte er sie in meine Richtung und ließ den Verschluss aufschnappen. Vorsichtig hob er den Deckel an und ich sah einen der Armreife und ein Blackberry neben einem seltsam geformten Sonnensymbol. Es sah aus, wie ein Ansteckbutton aus Gold und es ging eine unwiderstehliche Anziehungskraft davon aus. Und ich bildete mir ein, Stimmen zu hören! Mein Verstand spielte mir sicherlich nur einen Streich, denn das konnte nicht sein. Gerade als ich hineingreifen wollte, donnerte Haytham den Deckel wieder runter. Meine Hände konnte ich Odin sei Dank noch rechtzeitig wegziehen.
Mit einem wissenden Ausdruck sah mich nun der Großmeister an. „Ja, Mr. Engelhardt hat mir in den letzten Tagen einige interessante Dinge über euch erzählt. Ich wusste gar nicht, dass ich mit einer so illustren Dame verkehre. Ihr habt nie ein Wort erwähnt, Mrs. de Scudéry, oder Gaultier... eigentlich weiß ich jetzt gar nicht, wie ich euch ansprechen soll. Es gibt eine so große Auswahl.“ Dieses dämliche Grinsen in seinem Gesicht brachte mich wieder zum Kochen.
„Nennt mich einfach Alex, das könnt ihr euch hoffentlich gerade noch so merken. Denn ich sehe, zu mehr sind Templer nicht fähig, als sich mehr als einen Namen zu merken!“ Mit einem Ruck wurde ich von Haytham weggezogen. Gerade noch rechtzeitig, denn sonst hätte ich mir doch tatsächlich eine Ohrfeige eingefangen. Es war Liam der jetzt anfing zu handeln.
„Wenn jetzt bitte jemand hier in diesem Raum die Güte hätte, mich ebenfalls über die ganzen Umständen aufzuklären? Denn... wie ihr alle festgestellt habt, habe ich von alledem nichts gewusst. Also... ich warte auf eine Erklärung!“ Er schaute von einem zum anderen und sein Blick blieb auf mir hängen. Also schön... Und mal wieder eine Erklärung abgeben... ich sollte mir das aufschreiben und kopieren und an alle die es interessiert einfach weiterreichen...
Kapitel 121.1
Resigniert seufzte ich und machte mich daran, den Iren aufzuklären. Meine Reisen kannte er ja schon, die konnte ich also weglassen. Ich erzählte von meiner Verlobung, meinem Sohn und wie wir hierher kamen. Den Rest kannte er ja ebenfalls schon von meiner Erzählung von vorhin an Louis-Josephs Krankenbett.
„Mr. O´Brian, es ist komplizierter als ich vermutet habe. Und ihr habt es mir nicht leichter gemacht, danke dafür!“ Ich konnte mir diesen schnippischen Satz einfach nicht verkneifen.
Ich richtete mein Wort an den Großmeister. „Master Kenway, es wäre jetzt wirklich sehr reizend, wenn ihr auch einfach mal den Mund aufmachen könntet. Ihr seid ja sonst nicht auf den selbigen gefallen!“
„Euer loses Mundwerk ...“ oh bitte, ich ließ ihn gar nicht erst weiter reden.
„Ja ja … mein loses Mundwerk blabla... Lektionen … ja, kenne ich schon! Also, ich warte auf eine Erklärung, die uns hier jetzt endlich weiterbringt!“ Plötzlich tobte wieder dieser Orkan in meinem Bauch und ich kippte nach vorne direkt in Haytham hinein. Geistesgegenwärtig fing er mich auf und lenkte mich gen Sofa, welches am Kamin stand.
„Seht ihr? Das passiert, wenn ihr euch nicht unter Kontrolle habt!“ Triumphierend blickte er auf mich herunter! „Aber wie ihr wünscht, ich kann euch gerne etwas erzählen. Wenigstens tische ich hier niemandem Märchen auf!“ Auch er konnte sich diese bissigen Bemerkungen nicht verkneifen.
Haytham fing an mit seiner Geschichte und ich traute meinen Ohren nicht. Diese Mrs. de Scudéry arbeitete tatsächlich für die Templer und war von keinem geringeren als Mr. Church instruiert worden, sich um den Chevalier zu kümmern. Sprich, sie sollte ihn wenn möglich ehelichen, um so Informationen über die Assassinen Zellen zu bekommen. Der Großmeister persönlich ließ es sich nicht nehmen, regelmäßig den aktuellsten Bericht einzuholen. Daher auch die heimlichen Treffen, welche Liam ja bereits erwähnte. Bei dieser Bemerkung hatte er einen sehr … nunja ... eindeutigen Blick in meine Richtung geworfen. Und ich lief schon wieder knallrot an, obwohl ja nicht ICH es selber war, die mit ihm anscheinend im Bett gelandet ist.
Der erste Überfall fand eigentlich nur statt, weil es Seitens von Marie eine Fehlinformation gab. Anscheinend hatte sie die Abreise des Chevaliers falsch gedeutet und angenommen, dass beides schon im Besitz der Bruderschaft war. Was allerdings die Tat von Lee und Hickey anging, darüber ließ er sich nur kurz und knapp aus. Aber wenigstens ließ er eine Entschuldigung hören, welche jedoch eher halbherzig bei mir ankam.
Und als die hiesigen Assassinen endlich im Besitz von BEIDEN Artefakten waren, wollte man zügig zuschlagen, denn es war an der Zeit, dem ganzen ein Ende zu setzen. In der Zwischenzeit hatte man Benjamin Church ins Haus eingeschleust und als netten Arzt hingestellt. Dieser hatte im Zusammenhang mit seiner Behandlung angeordnet, dass ich oder besser Marie ein paar Beruhigungsmittel bekommen sollte. So sollte ihr Gedächtnisverlust wie von alleine verschwinden. Doch, und das gab Haytham nur zögerlich zu, es waren völlig unerprobte Kräuter, von denen man nur wusste, dass sie Bewusstseinsverändernd wirken sollten. Mehr nicht. Ich war ein Versuchskaninchen der Templer? Das wurde ja immer besser!
Deswegen ging man auch davon aus, dass meine seltsame Art vor ein paar Tagen genau daher rührte und machte sich keine Gedanken. Und genau da hatte man sich für den zweiten Überfall entschieden, denn anscheinend hatte Marie genau dann eine Nachricht abgegeben, als ich in ihren Körper fuhr. Das klingt, als müsste man einen Exorzisten rufen!
Dieses mal war es der Großmeister persönlich, der den Chevalier außer Gefecht setzen wollte, nicht ermorden, nein. Nur für ein paar Tage aus dem Verkehr ziehen. Mich hatte man mit den Medikamenten so ruhig gestellt, dass ich einfach schlief. Und mich überkam eine Gänsehaut, wer so tief schläft, der bekommt NICHTS mit und ich hoffte, dass niemand sonst noch in dem Schlafzimmer anwesend war!!!
Nur hatte keiner mit der Zähigkeit des Kanadiers gerechnet. Dieser hatte sich nämlich gewehrt, konnte aber alleine nichts ausrichten. Nicht mit der Stichwunde im Oberbauch. Und das wusste Haytham für sich zu nutzen! Er schnappte sich, dank meiner oder besser Maries Informationen, Buch und Schatulle und konnte den Chevalier dann abschütteln und fliehen.
„Aber warum habt ihr dann MICH gerade noch beschuldigt, ich hätte die Artefakte an mich genommen?“ Denn das waren ja seine Worte gewesen!
„DAS meine liebe Marie war unser eigentlicher Plan, so hätten wir von uns abgelenkt und wie ich diese Bande von Meuchelmördern kenne, hätten sie den Köder ohne großes Nachfragen geschluckt!“ Diese Worte spuckte er Liam förmlich ins Gesicht und sah ihn finster an.
Dieser hatte sich bis jetzt alles in völliger Ruhe angehört, aber diese Worte waren auch für ihn zu viel!
Kapitel 122.1
Ich sah nur, wie der Ire seine Klingen hervorschnellen ließ und in einer unglaublichen Geschwindigkeit beim Großmeister ankam und ihm die linke Schneide in die Seite rammte. Mit einem erschrockenen Schmerzenslaut, hielt sich Haytham die Seite und Liam ging zufrieden ein Stück zurück. Diese Kälte die gerade von ihm ausging, war unheimlich! So wurden wir nicht trainiert, wir sollten keine Genugtuung verspüren beim Töten oder Angreifen. Aber genau das sah ich in den Augen des Assassinen!
Marius hatte ich völlig vergessen bis dahin und erschreckte mich, als ich ihn laut fluchen hörte. „Du bist so ein Schwein, du kleines Arschloch. Geh zurück zu deiner Mutter damit sie weiter deinen ….“ mehr konnte mein Ex nicht mehr sagen und hatte Liams rechte Klinge im Oberschenkel! Das war doch alles jetzt nicht wahr.
In meiner Angst um Haytham, auch wenn es nicht DER war, den ich zu lieben gelernt hatte und um die Angst um meinen Ex, warum auch immer, sprang ich auf und rannte auf Liam zu und versuchte ihn von einer weiteren Attacke abzuhalten.
Denn plötzlich war der Gedanke in mir: WAS würde in der Gegenwart passieren, wenn Marius hier stirbt? Hier in dieser parallelen Vergangenheit. Denn ich vermutete mal, dass er wieder in das ursprüngliche 18. Jahrhundert zurück wollte.
Ein völlig absurder und unangebrachter Gedanke, ich weiß. Aber... wir durften nicht in die Geschichte eingreifen, aber das hatten wir schon mit einem großen Knall getan. Wir mussten jetzt dringend Schadensbegrenzung betreiben! Mir schwirrte schon wieder der Kopf...
Der Großmeister war nicht schwer verletzt, Liam hatte ihn anscheinend doch nur gestreift. Ob es Absicht war und er nur demonstrieren wollte, dass er durchaus in der Lage ist, einen Menschen zu töten oder ob es doch tödlich sein sollte, konnte ich nicht sagen.
Nur Marius hatte eine tiefe Wunde aus der jetzt das Blut pochte. Man konnte es pulsieren sehen. In meiner Panik riss ich meinen Unterrock kaputt und band das Bein ab, damit die Blutung aufhörte. Mittlerweile war er nicht mehr bei Bewusstsein und hing schlaff auf dem Stuhl.
Außer Atem und völlig irritiert stand Liam da und starrte mich an. „Helft mir verdammt noch mal! Wir brauchen einen Arzt! Und zwar schnell!“ brüllte ich ihn an, aber es war mehr ein tonloses Krächzen.
Haytham stand immer noch wie vom Donner gerührt da und hielt sich die rechte Seite und sah fassungslos auf den Iren und mich. „Ich kann es nicht fassen, ihr greift mich tatsächlich in meinen eigenen vier Wänden an? Wie könnt ihr es wagen?“
„GENTLEMEN! Bitte...“ Für dieses Machtgetue ist später noch Zeit genug! „Helft mir Marius loszubinden und dann irgendwie in eine liegende Position zu bringen und lasst verdammt noch eins einen Arzt kommen!“ Als hätte ich dem Großmeister eine Ohrfeige verpasst, schüttelte er sich und meinte nur „Ich werde nach Mr. Church schicken lassen!“ Verdammt, musste es gerade DER sein? Aber... egal. Sollte er machen. Ich würde nicht mehr lange hier sein. Und mein Ex konnte mir den Buckel runter rutschen... auch wenn man einen anderen Eindruck bekommen könnte. Es war einfach dieser Samariter-Effekt, ich kann nichts dafür!
Der Ire hatte mittlerweile Marius befreit und legte diesen vorerst auf den Boden mit einem Kissen unter dem Kopf. Haytham war nach draußen gegangen um Hilfe zu holen und genau jetzt sah ich meine Chance.
Ohne Nachzudenken riss ich die kleine Kiste an mich und wollte sie öffnen. Ich versuchte es zumindest. Aber... sie ließ sich nicht öffnen. Der Verschluss schnappte nicht einfach auf. Als der Großmeister es vorhin gemacht hatte, war es einfach ein zurückschieben des kleinen Hebels. Aber... den konnte ich keinen Millimeter bewegen! Verdammt... Ich drehte das Kästchen hin und her in meinen Händen, in der Hoffnung doch noch einen Mechanismus zu finden, aber vergebens.
„Was tut ihr da?“ Kam es kalt aus Richtung der Tür! Erschrocken drehte ich mich um und fühlte mich ertappt. Naja, ich war ja auch erwischt worden. Warum hatte denn... Liam? Liam lag am Boden, halb über meinem Ex und halb auf dem Boden! Ein kleiner roter Federpfeil ragte aus seinem Hals.
Ich sah von Liam zu Haytham und hinter ihm stand SHAY! Er lebte doch noch? Aber... Bei Odin... ich wäre am liebsten in seine Arme gesprungen! Doch es war nicht DER Shay, sondern ein anderer. Dieser kannte mich nicht. Und in mir stieg schon wieder dieses Gefühl von Einsamkeit auf. Denn... ich hatte gerade wirklich NIEMANDEN hier!
Kapitel 123.1
Eine gefühlte Ewigkeit stand ich in diesem Arbeitszimmer zwischen zwei ohnmächtigen Männern und zwei doch etwas „mächtigeren“ Männern. Und ich hielt meinen Fluchtweg in Form dieser Kiste in meinen Händen.
So schnell würde ich mich nicht von ihr trennen, auch wenn ich nicht wusste, wie ich sie auf bekam, geschweige denn wusste, wie ich dieses andere Sonnenartefakt nutzen konnte.
Genau diesen Gedanken griff Haytham mit einem überlegenen Ausdruck im Gesicht auf. „Ihr wisst doch gar nicht, was ihr damit anfangen sollt. Also gebt mir diese Box einfach und ich verspreche euch, ihr bekommt eine Erklärung.“ Und das sollte ich ihm jetzt glauben, oder was?
„Master Kenway, ihr unterschätzt mich immer noch. Aber seis drum, ich werde jetzt einfach gehen, denn ihr werdet mich nicht aufhalten können.“ … Diese Worte kamen aus meinem Mund, aber nicht von mir, denn ich spürte, dass etwas anderes plötzlich durch mich sprach!
Und genau wie diese Stimme es sagte, bewegten sich meine Füße auf die Tür und die beiden Templer zu. Ich fühlte mich wie ferngelenkt, aber mit nur halbvollen Batterien. Denn mein Gehirn versagte immer wieder seinen Dienst. Es fühlte sich wie eine halbe Ohnmacht an. Ich lief, wie betäubt... In den Augen von Shay und Haytham sah ich plötzlich einen entsetzen Ausdruck! Warum, was war denn? Ich ging nur an ihnen vorbei... und dann sah ich in dem Spiegel, der über der kleinen Anrichten gegenüber des Arbeitszimmers hing, mein Spiegelbild!
Das war weder Marie noch war es Alex! Meine Person oder besser meine Hülle wurde von einem strahlenden Gold umhüllt! Und diese schritt mit erhobenen Hauptes einfach so an diesen Männern vorbei... in Richtung der Eingangstür... diese öffnete sich wie von Geisterhand... meiner Hand...
Kennt ihr diese Albträume als Kind, in denen ihr nicht wisst, was Real oder Traum ist. In denen ihr Angst vor euch selbst bekommt, weil ihr plötzlich eine ganz andere Person seid? So fühlte ich mich gerade. DAS war ich nicht, aber ICH bewegte mich und dieses Leuchten umspielte mich und meinen Blick und gab mir seltsamerweise Kraft. Gleichzeitig fühlte ich in meinem Inneren eine Kraft, die schon uralt zu sein schien. Sie strömte aus meinem Bauch hinauf in meinen Kopf!
Als ich nach draußen trat, wurde ich von der Sonne geblendet und ich schüttelte meinen Kopf. Und als hätte der Puppenspieler alle Strippen von seiner Marionette entfernt, sackte ich vor dem großen Brunnen zusammen. In meinen Händen hielt ich immer noch das Kästchen... doch jetzt war es offen. WANN hatte ich es geöffnet, oder besser WER hatte es geöffnet. Eine Stimme fing an mir Anweisungen zu geben.
Hinter mir hörte ich, wie die beiden Templer versuchten mich von meiner Absicht, diese Sonne zu berühren, abhalten wollten. Doch ich hob nur meine rechte Hand nach hinten und hörte, wie zwei Körper gegen eine Wand geworfen wurden. Erstaunt sah ich mich um und der Großmeister und Cormac lagen zusammengesunken an der Wand neben dem Eingang. War ich das? Hatte ich... das war doch nicht möglich.
Diese weit entfernte Stimme sagte mir, was ich zu tun hatte. „Geh zum großen Palast in dem immer die Sonne scheint. Dort wirst du deine Antwort finden!“ Der Sonnenkönig? Aber... ich sollte doch nicht etwa nach Frankreich reisen? Doch ich musste nicht lange überlegen, denn ein Lichtstrahl der von der Sonne reflektiert wurde, traf auf die kleine Sonne in der Kiste. Ich folgte ihm mit meinen Augen und sah, dass dieses Leuchten von der Spitze des prunkvollen Palastes, an dem ich vorhin noch mit Liam vorbei gefahren bin, kam. Es war so ein Klischee, es war so kitschig... aber... einleuchtend! Im wahrsten Sinne des Wortes!
Langsam erhob ich mich und blickte noch einmal auf die beiden Templer an der Wand. Sie schienen friedlich in Ohnmacht gefallen zu sein. Also... dann konnte ich ja gehen. Und eine neue Kraft erfüllte mich. Sie schien von dieser kleinen Sonne auszugehen, sie machte mich mutig, ja schon fast unschlagbar.
Je näher ich dem riesigen Gebäude kam, desto mehr fühlte ich diese innere Stärke und diese Stimme wurde lauter in mir. „Du wirst uns wieder zum Leben erwecken, wir werden dich beschützen. Nun geh und erfülle dein Schicksal!“ Diese Worte waren ebenfalls so voller alter Worte, man hatte sie schon in tausenden von Filmen gehört, in tausenden von Büchern und Geschichten gelesen. Aber hier klangen sie, als hörte ich sie zum ersten Mal.
Kapitel 124.1
Dieses Kapitel widme ich allen Müttern und Vätern die Sternenkinder haben!!!! Auch wenn sie für mich wie kleine Sonnen sind! Sie strahlen, oder nicht?
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Und so stand ich vor den großen eisernen Toren! Vor diesem goldenen Palast, der prunkvoller war, als alles was ich je gesehen habe. Die Wachen öffneten, ohne zu zögern! Ich schritt auf den großen gepflasterten Hof, welcher ein Sonnensymbol darstellte. Ich sah auf das Artefakt in meiner Hand. Es war das exakt das Gleiche!
Wie automatisiert ging ich auf den Eingang zu... es war wirklich fast wie in Versailles. Nur, das mir hier keine französische Elite begegnete, sondern einfach nur... Fußvolk.
Meine Schritte waren wie befreit, genau wie mein Geist. Ich konnte einfach handeln, niemand hielt mich auf. Mein Weg führte mich durch die Eingangshalle links hinauf in die erste Etage über eine große marmorne Treppe. Danach ging es weiter über eine Galerie weiter in die Höhe. Einer Wendeltreppe folgend schritt ich weiter in diesen Turm. Ich folgte diesem Leuchten... ich konnte nicht anders. Es war wie eine Pflicht, die ich zu erfüllen hatte! Als ich in der Spitze ankam, sah ich, wie eine Person... nein, es war keine Person kein Mensch. Es war als würde ich auf eine Reflektion im Wasser schauen... Aber sie strahlte und hielt mir ihre Hand entgegen.
Ich konnte nicht anders... ich ging darauf zu und nahm diese in meine Hände... und dann durchfuhr es mich wie eine Befreiung. Wie etwas, auf das ich seit Ewigkeiten hingearbeitet hätte. Jetzt konnte ich loslassen und mein kleiner Wirbelsturm im Bauch brach sich Bahn. „Du hast mich gerettet, mein Kind! Ich werde euch beschützen, das habe ich versprochen. Aber es wird noch viel Arbeit erfordern. Du hast mir geholfen, ein Stück meinem Ziel näher zu kommen. Irgendwann wird auch das Gleichgewicht wieder hergestellt sein!“ Und dann legte dieses Wesen seine Hände auf meinen Bauch und befreite mich von diesem Orkan. Ich schrie, aber nicht vor Schmerz, sondern weil mir dieser Verlust wehtat. Man nahm mir etwas! Etwas, das ich nicht kennenlernen durfte!
Gleichzeitig durchfuhr mich aber dieser Stolz, dass es nicht umsonst gewesen ist. In diesem Turm erfuhr ich zum ersten Mal, wie sich echter Verlust anfühlt! Verlust von etwas, das man noch nicht hatte, noch nicht in den Armen halten durfte, aber man wusste, dieses kleine Etwas, diese kleine Sonne, würde etwas bewirken. Und das gab mir genau in diesem Moment wieder Kraft um weiter zu machen!
Das Leuchten war weiterhin um mich herum, als ich nach einer Ewigkeit langsam wieder nach unten ging. Und es erfüllte mich von innen und strahlte nach Außen! Es beflügelte mich... Aber gleichzeitig benebelte es auch meine Gedanken!
Als ich wieder vor das Tor trat, erlosch diese Sonne... langsam aber stetig nahm ihr Glanz ab. Doch es tat mir nicht leid, noch war ich darüber traurig. Es war selbstverständlich. Ich ließ los und ging weiter. So, wie ich es bisher in meinem Leben immer getan hatte. Wie von alleine ging ich in Richtung des alten Forts Arsenal...
In mir tobte kein Orkan mehr, ich ruhte plötzlich in mir. Als ich auf meine Hände sah, bemerkte ich das kleine Kästchen! Darin lag der Armreif, meine Fahrkarte zurück! Mir fielen jedoch ein paar seltsame Schriftzeichen auf, die ich von den anderen Ringen nicht kannte. Aber wohin? Und dieses Sonnensymbol? Es lag wie erkaltet daneben!
Ich hatte urplötzlich das dringende Verlangen nach Hause zu gehen, ich wollte in MEINE Welt, in MEINE Zeit. Alle anderen konnten mich mal gerne haben! Doch noch immer wusste ich nicht, WIE ich überhaupt wieder in die „richtige“ Zeit kommen sollte. Denn... ich hatte dieses Sonnensymbol UND den Armreif...
Und da war er wieder. Der Gedanke, was ich jetzt machen sollte. Es gab also noch viel mehr von diesen „Zeitreise“ Artefakten. Und... woher hatte Marius diese Sonne? Also war mein erstes Ziel klar. Ich würde erst einmal ins Fort Arsenal gehen und alles klären, danach sehe ich weiter.
Als ich dort ankam, sahen mich zwei fremde Wachen erstaunt an. „Ihr wünscht, Miss?“
„Ich möchte zu Master Kenway, denn ich habe einige Neuigkeiten, die ihn interessieren würden!“
Misstrauisch sah mich die Wache an, aber ließ mich durch. Nach mehrmaligem Klopfen wurde mir dann auch endlich einmal geöffnet. Und ich sah in das erstaunte Gesicht von Liam. Nanu... ER öffnete die Tür? Was hatte ich denn jetzt schon wieder verpasst?
Kapitel 125.1
„Mrs. de Scudéry, ihr seid wohlauf... wir haben uns schon Sorgen gemacht!“ Wer war WIR und... Ach was solls... geh hinein und schau nach, was los ist.
Der Ire führte mich zum Arbeitszimmer, Marius war den Umständen entsprechend wohlauf und saß mit einem dicken Verband auf einem Sessel am Kamin. Er war irgendwie benebelt, aber das war weniger verwunderlich Daneben sah ich Shay und Haytham, der sich immer wieder die rechte Seite hielt, in ein Gespräch vertieft. Es war unheimlich... ich war doch nur kurz weg und auf einmal vertrugen sich diese Männer?
Als Liam und ich eintraten, sahen die drei Herren auf und in ihren Gesichtern spiegelte sich Erstaunen wieder. Lag es an meinem Äußeren? Ich ging noch einmal hinaus in die Eingangshalle und schaute dort in den kleinen Spiegel, der über einem Tischchen neben der Eingangstür hing. Daraus schaute mich eine junge Frau mit rosigen Wangen und dunklen Haaren an. Nichts erinnerte mehr an das Gesicht von heute morgen. Ich konnte nur den Kopf schütteln, denn es war völlig irrsinnig und unmöglich. Aber auf der anderen Seite auch wieder nicht, nur konnte ich DAS nicht erklären.
Mein Weg führte mich zurück zu den vier Herren, die in friedlicher Runde versammelt waren. Bisher hatte noch niemand etwas gesagt. Also ergriff ich einfach das Wort!
„Meine Herren, ich bin genauso erstaunt wie ihr. Ich weiß nicht, WAS in den letzten Stunden passiert ist. Das einzige, was ich weiß ist, dass ich wieder zurück will. Doch zuerst wirst DU wieder gehen, Marius.“ sagte ich scharf und ging auf ihn zu. Dieser sah mich nur mit einem trüben Blick an.
„Wenn du meinst, dass das besser ist. Du wirst aber nicht wissen, wie du wieder die normale Zeit erreichen kannst, wenn ICH nicht mehr hier bin!“ er versuchte mich sardonisch anzulächeln... klappte leider nicht, denn die Schmerzen in seinem Bein, waren stärker.
„Du glaubst wirklich immer noch, dass ich DICH brauche? DU bist zu nichts zu gebrauchen. Warum ich das nicht schon viel früher gemerkt habe, kann ich nicht sagen. Ich muss blind gewesen sein. Die Begegnung, die ich gerade hatte, hat mir den Weg gezeigt. Ich weiß jetzt, was ich zu tun habe! Und DICH brauche ich dafür ganz bestimmt nicht!“ Mit diesen Worten nahm ich den Armreif und das Blackberry aus dem Kästchen und wollte gerade Zeit und Koordinaten einstellen, als Haytham meine Hand festhielt.
„Wie in drei Teufels Namen habt ihr das Ding aufbekommen? Es war gesichert und konnte nur von MIR geöffnet werden!“ Verblüfft sah er erst auf den Inhalt und dann auf mich! Und da dämmerte es mir, der Chevalier musste mit seiner bissigen Bemerkung, dass das Kind vermutlich auch vom Großmeister sei, recht gehabt haben! Aber konnte dieses Wesen deswegen die Kiste öffnen, als es mir die Hände auf den Bauch legte? Übertrug sich dadurch die DNA? Doch ich hatte es ja schon vorher geöffnet.
Ich sah zu ihm auf in diese kalten grauen Augen und musste schwer schlucken. „Dann hatte ich ja Glück, dass das Kind wohl doch von euch war!“ Doch mir tat dieser Satz sofort irgendwie leid, ich wollte gar nicht so fies werden.
„Das ist...Wie? Ihr meint? Aber wann?“ Ungläubig starrte er mich jetzt an.
„Das WIE muss ich euch sicherlich nicht erklären. Das WANN kann ich euch nicht erklären. Denn wie ihr wisst, bin ich nicht Marie. Es ist nur der Körper! Und auch das kann ich nicht erklären!“ Ein wenig verzweifelt war ich jetzt schon, denn wie sollte ich Dinge erklären, die ich selber nicht verstand?
„Was ist in dem Palast eigentlich passiert, Marie?“ Meldete sich jetzt Liam zu Wort, seine Stimme war eher ein Plauderton und beruhigte mich ein bisschen.
„Es war wie ein vorgezeigter Weg, so als würde mich eine Schnur dorthin führen!“ in mir stiegen diese Bilder wieder auf und ich erzählte, wie ich dieses Wesen in dem Turm sah. Auch fiel mir dann ein, wie es mir aufzeigte, WAS genau ich machen musste, um wieder in meinen Körper und die richtige Zeit zu gelangen. Dabei sah ich Marius an, welcher völlig frustriert inmitten der anderen Herren saß und mich böse anfunkelte.
EINE Kleinigkeit ließ ich aber aus, denn ich wusste jetzt, was aus diesem kleinen Orkan in meinem Bauch einmal werden würde! In ungefähr 15 Jahren würden wir mehr erfahren, oder besser diese Welt hier würde es erfahren!
Kapitel 126.1
„Du brauchst mich nicht so grimmig anstarren, Marius. Ich kann für deine Inkompetenz nichts. Dafür bist ganz alleine du verantwortlich! Also, Gentlemen! Wenn ich dann meinen Ex-Verlobten wieder nach Hause schicken dürfte?“ mit einem zufriedenen Lächeln sah ich mich in der Runde um und erntete nur ein stummes Nicken der Männer!
„Dann mal los. Wann genau bist aufgebrochen und von wo?“ fragte ich meinen Ex. „Du sprichst von meiner Inkompetenz und selber kannst du das Gerät nicht bedienen. Pffff... typisch!“ fauchte er mich jetzt an. So schlecht schien es ihm nicht zugehen.
„Ich hatte es gut gemeint, nicht dass du zu einer unpassenden Zeit zurück kehrst. Achja, dieses Artefakt bleibt übrigens hier, du wirst es nicht mehr mit nehmen. Genau wie das Sonnensymbol, ist das klar?“
„WAS? Das geht nicht! Wir haben lange danach gesucht und...!“ ich ließ ihn nicht ausreden, denn ich wusste was jetzt kommt.
„Du glaubst doch nicht, dass du munter weiterreisen kannst? Habt ihr eigentlich einmal auf die eingravierten Zeichen geachtet? Und es geht eine ganz andere Spannung davon aus! Und jetzt sag mir nicht, ihr habt keine Zeit mit Forschung und Analyse verschwendet?“
„Was es kann wussten wir ja, ich hatte ja die anderen Dinger von dir beschrieben! Das reichte Tobias aus und ich... aber du kannst den Ring nicht behalten! Das ist nicht richtig! Denn wenn ich ohne...“ kam es jetzt doch ein wenig ängstlich von ihm. Hatte er vor dem Großmeister Schiss, oder war er sogar OHNE dessen Erlaubnis aufgebrochen?
„Ja ja … du wirst Ärger mit dem Großmeister bekommen, aber DAS ist dann nicht mehr MEIN Problem. Sieh selber zu, wie du aus dieser Misere wieder raus kommst. Bisher bist du ja auch prima ohne Hilfe zurecht gekommen!“ meinen Sarkasmus musste man sich auch erst einmal verdienen.
„Das wirst du bereuen, Alex. Ich schwöre es dir!“ Er war aufgestanden und schaute jetzt drohend auf mich herunter. Aber seltsamerweise machte er mir keine Angst. Es war mir gleichgültig, was er sagte. Denn... ich fühlte mich beschützt und schon fast unbesiegbar.
„Marius, ich warne dich! Komm mir nie wieder in die Quere! Und wenn du meinem Sohn nur ein Haar krümmst, dann gnade dir Gott! Ist das klar?“ meine Stimme wurde laut zum Ende hin.
Haytham meldete sich plötzlich zu Wort. „Mrs. de Scudéry, ihr solltet im Beisein von mehr als einem Templer besser keine solchen Drohungen aussprechen!“ kam es warnend von ihm. Bitte was?
„Wie war das? Aber ich soll mir hier Beleidigungen und Drohungen gefallen lassen, oder wie stellt ihr euch das vor? Verzeiht, aber ich lasse mir meinen Mund und meinen Geist nicht mehr verbieten. Und wenn es in meiner Macht stünde, würde ich Marie ebenfalls dazu raten!“ Und mir kam in den Sinn, dass ich ein paar Zeilen hinterlassen sollte für sie!
„Diese Art und Weise, wie ihr mit mir und auch allgemein mit den anderen Herren sprecht, ist einfach unpassend. Hat euch niemand auch nur das kleinste bisschen an Manieren beigebracht?“ fragte er mich mit einem tadelnden Ton wie ein Oberlehrer. Und da war sie wieder, meine Wut auf diesen arroganten kleinen Haytham, der schon immer so überheblich und selbstgefällig redete.
Ich holte nur tief Luft und drehte mich dann demonstrativ zu Marius um. „So, dann wollen wir mal. Am besten in der Eingangshalle, da ist Platz, sollte etwas schiefgehen!“ Ich zog ihn an seinem Arm in die Halle und stellte ihn vor die Treppe. Er ließ es geschehen, denn eine andere Wahl hatte er jetzt nicht. Es sei denn, die beiden anderen Templer würden für ihn in die Bresche springen, aber es sah nicht danach aus.
Also schaltete ich das Blackberry noch einmal ein und suchte die Ursprungskoordinaten und Zeit heraus. Kurz darauf erschien in der Nähe der Eingangstür der wabernden Spiegel mit einem Pfummmmb. Ich deutete mit einer einladenden Geste, dass Marius jetzt bitte gehen darf.
Er tat es, aber nicht, ohne mir noch einmal einen giftigen Blick zuzuwerfen und mir zu drohen. „Komm mir nie wieder zu Nahe, du Miststück!“ Dabei sah er auf den Armreif und ich glaubte schon fast, er wolle danach greifen, aber er ging weiter und verschwand durch das Portal. Dieses schloss sich einige Sekunden später und ich war mit den drei Herren wieder alleine.
Erst jetzt bemerkte ich, dass man mit mir sprach! „Marie! Herr Gott nochmal, seid ihr plötzlich taub?“ kam es im genervten Ton von Shay! „Ich hatte euch etwas gefragt!“ Ich schaute auf und sah seinen doch sehr wütenden Gesichtsausdruck.
„Verzeiht, ich war halt ein wenig abgelenkt. Das kann schon einmal passieren, wenn man dieses Portal vor sich hat!“
„Das mag ja sein, aber ihr standet eine geschlagene viertel Stunde einfach nur da und habt euch nicht gerührt. So als wäre die Zeit stehen geblieben für euch!“ Mit einer hochgezogenen Augenbraue musterte er mich plötzlich.
„Oh, das... habe ich gar nicht bemerkt. Das passiert sonst eigentlich nicht, wenn man diese Spiegel öffnet. Ich verstehe das nicht!“ Meine Verwirrung, die eigentlich im Begriff war, abzuklingen, wuchs wieder an.
Kapitel 127.1
Ich starrte auf die Eingangstür, wo kurz vorher noch das Portal war und dann auf meine Hände. Aber es hatte sich nichts verändert, es war alles wie vorher auch. Aus dem Arbeitszimmer vernahm ich nur die Frage vom Großmeister, ob ich wieder alle Sinne beisammen hätte.
Wie überaus freundlich er sein konnte! „Mir geht es gut, danke der Nachfrage Master Kenway!“ kam es nur schnippisch von mir. Ich ging wieder zu den anderen. Das kleine Kästchen stand auf dem Schreibtisch und gerade als ich das Artefakt und das Blackberry wieder hinein legen wollte, sah ich, dass das Sonnensymbol wieder leicht leuchtete.
Ich nahm es vorsichtig in meine Hand und besah es mir von allen Seiten. Auch die drei Herren standen staunend um mich herum. Aber sie schauten nicht das Artefakt in meinen Händen an, sondern MICH!
„Mrs. de Scudéry, etwas ist anders an euch. Ihr scheint... ihr habt... eure Aura ist plötzlich eine ganz andere. So etwas habe ich noch nie gesehen!“ kam es staunend aus Haythams Mund. „Sie ist immer im Wechsel, so als könntet ihr euch nicht entscheiden, auf welcher Seite ihr stehen wollt. Ob nun...“
Ich fuhr ihm über den Mund. „Master Kenway, ich weiß, wie die Auren eigentlich aussehen, dass müsst ihr mir nicht erklären. Aber dieser Wechsel scheint mit Maries zwiegespaltener Einstellung einher zu gehen. Vermute ich einfach mal. Sie wird anscheinend nicht wissen, wem sie sich zugehörig fühlen soll. Aber auch ich habe es noch nie gesehen!“ Ich sah den Großmeister an und seine Augen waren nicht mehr kalt, sondern strahlten eine gewisse Wärme plötzlich aus.
Ich schloss meine Augen, denn ich wollte mich nicht hier darin verlieren. Dieses Seufzen von ihm war mehr als eindeutig, dass er ein Stückweit enttäuscht war.
„Wir sollten uns jetzt endlich darüber unterhalten, wie es nun weiter geht!“ sagte der Assassine links neben mir. Das war eine gute Idee, denn ich würde jetzt schon gerne wieder in meine richtige Zeit und mein richtiges Leben zurück kehren. Doch vorher musste ich noch die Zeilen an Marie hinterlassen. Das war mir irgendwie eine Herzensangelegenheit.
„Master Kenway, da ihr im Besitz beider Artefakte jetzt seid, habt ihr sicherlich kein Interesse mehr an der Verfolgung der Assassinen, oder?“ Mein Blick wanderten von ihm zu Shay. Dieser sah mich überrascht an!
„Ihr glaubt, damit ist das Thema jetzt abgeschlossen? Ich glaube wohl kaum!“ Ich spürte wie Liam sich anspannte. Das hatte ich gar nicht mehr bedacht, die Assassinen dachten ja eigentlich, Shay würde nicht am Leben sein. Das bedeutete im Umkehrschluss, dass die Jagd doch weitergehen würde. Aber das konnte ich nun wirklich nicht verhindern.
„Verzeiht, ich hatte die Tatsache, dass man euch für tot hielt außer Acht gelassen. Natürlich werdet ihr diesen Krieg jetzt weiter führen! Nur zu, ich halte mich da heraus, denn es ist nicht MEINE Fehde!“ kam es von mir etwas maulig!
„Dieses verdammte lose Mundwerk gewöhnt euch endlich ab!“ fauchte mich mal wieder der Großmeister an, aber dieses mal war es mir einerlei. Sollte er doch toben und sich über meine Manieren beschweren.
„Keine Sorge, Master Kenway, ich bin bald wieder weg, dann seid ihr mich ja los!“ Eigentlich fehlte jetzt nur noch eine raus gestreckte Zunge. Aber das verkniff ich mir gerade noch eben so.
„Und wenn die Gentlemen jetzt die Güte hätten mich gehen zu lassen? Ich sollte dem Chevalier vielleicht noch die Neuigkeiten überbringen und mich dann für meine Abreise fertig machen!“ grinste ich breit in die Runde!
„Na, wen haben wir denn da? Habt ihr etwa Sehnsucht nach uns gehabt, Schätzchen?“ kam es mit dieser schnarrenden Stimme aus Richtung Tür! Und mir wurde postwendend schlecht und mein ganzer Körper war in Alarmbereitschaft!
Langsam schritt Charles mit Thomas im Schlepptau auf mich zu und beäugte mich lüstern mit diesen kalten stechenden Augen! Je näher er kam, desto größer wurde meine Angst und mein Gehirn schaltet in eine gewisse Automatik.
Instinktiv ging ich schrittweise nach hinten, aber der Abstand wurde immer geringer und ich hatte das Gefühl, als liefe alles in Zeitlupe ab. Und dann fiel mein Blick plötzlich auf die Pistole und das Schwert von Shay und meine Hände folgten den automatisierten Anweisungen meines Gehirns.
Kapitel 128.1
Ich griff nach der Pistole und kurz kam mir der Gedanke, was, wenn sie nicht geladen ist? Aber ich zielte und traf! Ein überraschter Charles fiel hintenüber mit weit aufgerissenen Augen und einem Pennygroßen Loch in der Stirn. Langsam bildete sich eine Blutlache unter ihm... meine zweite Attacke galt Hickey! Ich hatte die Pistole fallengelassen und nach dem Schwert an Shays Gürtel gegriffen und zog es jetzt mit einem schnellen Schwung über Thomas´ Kehle! Auch ihm stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben! Er sackte vor mir auf die Knie und hielt sich die Hände an den Hals. Es kam nur noch ein gurgeln aus seinem Mund und dann fiel er mit dem Gesicht voran vor meine Füße.
Ich machte ein paar Schritte nach hinten und besah mir mein Werk. Es hatte sich eine unbeschreibliche Erleichterung in mir breit gemacht! Ich hatte meine Genugtuung, ich hatte diese Schweine endlich bestraft!
Doch ich hatte nicht bedacht, wer noch im Raum stand. Es war Haytham der mich packte und mir eine schallende Ohrfeige verpasste und mich anschrie. „Was in aller Welt sollte das? Wenn ihr Rache wollt, hätten wir das auch anders lösen können! Glaubt ja nicht, ich lasse euch das jetzt einfach so durchgehen. Ihr seid ja nicht mehr bei Sinnen, WEIB!“
Aus Tränen verschleierten Augen sah ich ihn an und konnte nur dümmlich grinsen. Verstand er nicht, wie ich mich fühlte? Und dann brach ein Wortschwall aus mir heraus.
„Ihr habt doch keine Ahnung, wie ich mich fühle! Für euch Männer sind wir doch nur fürs Bett wärmen gut und nichts anderes. Ihr dürft uns Frauen ungestraft vergewaltigen, weil es euer von Gott gegebenes Recht ist. Ihr Kerle seid einfach nur widerlich und versteht überhaupt nichts! Spielt euch auf, als könne euch niemand das Wasser reichen und habt Angst, sobald eine Frau euch mal die Stirn bietet!“ ich atmete schwer, denn ich hatte mich wieder dermaßen in Rage geredet, dass ich fast keine Luft mehr bekam.
Liam zog mich ein Stück vom Großmeister weg, weil er befürchtete, dass dieser mir noch einmal ins Gesicht schlagen könnte. „Marie, das war wirklich... unvernünftig.“ Ungläubig drehte ich mich zu dem Iren um. „Ihr verteidigt diese Ansichten auch noch? Liam, ist das euer Ernst?“
Er sah von Shay zu Haytham und zuckte mit den Schultern. „Es gibt Gesetze, an die wir uns alle halten müssen. Und ihr könnt nicht einfach Selbstjustiz üben! Für diese Tat droht euch der Galgen! Ich kann euch da jetzt nicht mehr heraus helfen! Ihr... Marie, ich weiß nicht was ich sagen soll!“
„Ihr braucht dieser Irren nichts erklären, sie wird es eh nicht verstehen!“ kam es kalt von Shay. Dieser war hinter mich getreten und drehte mich jetzt zu sich um. Ich sah in seinem Gesicht, dass auch er kochte vor Wut! „Wir werden euch dem Richter morgen früh vorführen und dann soll entschieden werden, was weiter passiert. Bis dahin werden wir dafür sorgen, dass ihr in sicherer Verwahrung hierbleibt!“ Man wollte mich tatsächlich vor Gericht schleifen?
„Das ist nicht euer Ernst! Sagt mir, wie vielen Menschen habt ihr schon den Tot gebracht, weil sie einen Fehler oder eine Straftat begangen haben? Und sagt mir, wie oft wurdet IHR deswegen angeklagt? Na? Ich höre!“ Trotzig baute ich mich jetzt vor den Männern auf, denn darauf konnte mir wohl keiner eine gute Erklärung geben.
Doch mal wieder hatte ich nicht mit dem Verstand von Haytham gerechnet. Mit einem belustigten Prusten stand er da und sah mich an. „Da gibt es einen kleinen aber feinen Unterschied, Mrs. de Scudéry! Unsere Taten werden ausgeführt aufgrund eines Befehls von oberer Stelle! Wir üben keine Selbstjustiz! Auch wenn ich bei den Assassinen dafür meine Hände nicht ins Feuer legen würde!“
„Und jetzt denkt noch einmal über das nach, was ihr mir gerade erzählt habt. Befehle von OBERER Stelle! IHR seid die obere Stelle, Haytham! Ihr seid es, der Gott spielt und seine Leute auf andere hetzt!“ erwiderte ich triumphierend.
„Ihr verdreht mir gerade die Worte im Mund! Ihr wisst ganz genau, wie ich es meine!“ Ich sah, dass er ziemlich genervt war.
„Nein, ich verdrehe nicht die Worte. Aber wenn ihr euch, auch wenn ihr nicht selber Hand an mich gelegt habt, mitschuldig machen wollt und solche Taten auch weiterhin für gut heißen wollt, dann solltet ihr eure Position als Großmeister des kolonialen Ritus noch einmal überdenken. Denn dann seid ihr definitiv für den Posten nicht geeignet!“ brachte ich aus zusammen gebissenen Zähnen hervor und erntete von O´Brian ein leises zustimmendes Lachen.
„Bringt mich nicht in Versuchung euch hier und jetzt zu töten, Mrs. de Scudéry! Ihr seid nur einen Wimpernschlag davon entfernt!“ Durch meinen Kopf ging gerade ein Déjà-vu.
Kapitel 129.1
Diese Drohung hörte ich nicht zum ersten Mal aus seinem Mund! Und jetzt machte sie mir nicht wirklich Angst, denn dann würde auch er Selbstjustiz aus Rache üben. So dumm wäre er nicht. Und ich konnte nicht anders, als ihm genau DAS auch kundzutun.
„Ihr würdet also ebenfalls aus Rache töten? Ich glaube, ihr habt es schon einmal gemacht, als ihr Reginald Birch zur Strecke gebracht habt, oder etwa nicht? Hat euch da auch jemand vors Gericht gezerrt?“ Ich spürte wie ich mich anspannte, denn ich provozierte diesen Mann bis aufs Blut und ich wusste nicht, wie er dann reagieren würde.
„Ich bin euch gegenüber keinerlei Rechenschaft schuldig! Und woher wisst ihr das von Master Birch?“ Hatte ich ihn jetzt aus dem Konzept gerissen? Ein triumphierendes Lächeln stahl sich auf mein Gesicht.
„Master Kenway, wenn ihr mir zugehört hättet, wüsstet ihr, dass ich über euer Leben mehr weiß, als euch vermutlich recht ist. Und wenn ich richtig liege, dann habt ihr auf der rechten Seite, eine Narbe von der Verletzung, die euch Lucio zugeführt hat. Stimmt es, oder etwa nicht?“ Ich sah ihm an, dass er mit einer Antwort haderte.
„Das stimmt, trotzdem ist die Sachlage eine ganz andere gewesen. Reginald hat meine Familie verraten und meine Schwester entführen lassen...“ Ich musste dazwischen gehen!
„Und das gibt euch das Recht, ihn einfach zu töten? Ihr hättet das sicherlich auch anders klären können! Oder etwa nicht? DAS waren gerade eben noch eure Worte! Und damit verherrlicht ihr Charles und Thomas Tat und öffnet allen Vergewaltigern Tür und Tor! Wollt ihr euch dessen wirklich mitschuldig machen?“
Plötzlich ließ er resigniert die Schultern hängen und in seinen Gesichtszügen breitete sich eine gewisse Erkenntnis aus. „Wenn ihr das so sagt, klingt es, als hätte ich den beiden befohlen, sich an euch zu vergehen!“ Das wollte ich gar nicht erst hoffen!
„Wenn ihr weiterhin solche Taten nicht hart bestraft, seid ihr in gewisser Weise Mittäter und Mitschuldig, ja! Also, darf ich dann jetzt endlich fortfahren und versuchen wieder mein altes Leben herzustellen? Denn ich... habe kein Verlangen, noch länger hier zu bleiben!“
„Ich werde euch jetzt zurück zum Chevalier bringen. Wir haben dort auch noch einiges zu klären, Marie. Denkt daran!“ Danke, daran brauchte er mich nicht erinnern!
„Ich weiß Liam. Dann sollten wir jetzt wohl los, es ist schon dunkel!“
Ich wandte mich an Shay und Haytham. „Ich wünsche euch, auch wenn es mir schwerfällt, alles Gute für euer Leben, Gentlemen!“ Ich reichte den beiden meine Hand und bekam meinen Handkuss. Im großen Bogen ging ich um die Leichen von Lee und Hickey herum.
Das Kästchen nahm ich natürlich an mich und wollte schon gehen, als mir auffiel, dass das Voynick-Manuskript und die Schatulle ebenfalls auf dem Schreibtisch standen. Meine Neugierde siegte mal wieder und ich fragte in einem bescheidenen Ton: „Master Kenway, darf ich einmal einen Blick in das Buch werfen? Ich verspreche, ich werde es nicht an mich nehmen!“ Erstaunt ob meiner Frage, kam nur ein „Und was versprecht ihr euch davon?“
„Gar nichts, ich möchte einfach wissen, wie es aussieht. Ich hatte nie Gelegenheit es persönlich in Augenschein zu nehmen!“ Bücher, ich liebte sie einfach und an diesem konnte ich auch nicht einfach so vorbei gehen.
„Nur zu, ich werde euch schon im Auge behalten!“
Man veranlasste, dass die beiden Toten aus dem Arbeitszimmer geholt wurden, um dann alles weitere zu klären. In der Zwischenzeit blätterte ich mich durch das Buch und es war erstaunlich interessant. Auch wenn man wirklich NICHTS verstand. Naja, so gut wie nichts verstand. Einiges, und das war wiederum spannend, konnten nur Menschen des 21. oder 20. Jahrhunderts wissen. Wie kamen solche Passagen darein? Meine Vermutung ging dahin, dass es doch NOCH mehr dieser Zeitreise-Artefakte geben muss.
„Seid ihr dann jetzt fertig mit der Lektüre, Mrs. de Scudéry?“ fragte mich der Großmeister etwas genervt.
„Ich denke schon. Und danke, dass ich einen Blick hinein werfen durfte!“ Ich versuchte ein Lächeln und bekam es, denke ich, auch gut hin.
Als ich mich zu ihm umdrehte, sah ich plötzlich ein Leuchten unter seinem Hemd und aus der kleinen Kiste drangen ebenfalls Lichtstrahlen! Wie abgesprochen, holte Haytham das Amulett hervor und ich zog das Sonnensymbol heraus. Je näher sich die beiden Gegenstände kamen um so intensiver wurde dieses Leuchten. Über die Artefakte hinweg sahen wir uns nur an und waren sprachlos.
Kapitel 130.1
„Was hat das zu bedeuten?“ fragte mich der Großmeister mit großem Erstaunen.
„Woher soll ich das wissen? Es... ist als würden die beiden Artefakte zusammen gehören. So als wollten sie eine Einheit bilden!“
Plötzlich spürte ich ein Zittern. Es kam nicht von den Gegenständen, sondern es kam von unten. Der Boden zitterte leicht... „Spürt ihr das auch?“ kam die völlig unnötige Frage von Liam!
„Ja, und ich denke, ich weiß jetzt, wie ich sicher wieder in die richtige Zeit und Welt komme!“ Es fiel mir so plötzlich ein, dass ich mich selber erschreckte. Als ich damals mit dem „anderen“ Haytham in der Eingangshalle im Fort George stand und der Boden bebte hatte ich auch ein Leuchten wahrgenommen, hatte aber gedacht, dass es die Sonneneinstrahlung war von draußen! Ich hoffte, dass dieses Amulett hier nicht etwas anderes war, als das in der anderen Welt. Der Gedanke, noch einmal irgendwo anders zu landen, machte mir Angst. Doch damals hatte ich nicht dieses Sonnensymbol in den Händen. Wie konnte das dann passieren?
Und es erklärte nicht, warum nur ICH davon betroffen sein sollte! Vielleicht gab es keine vernünftige Erklärung, vielleicht war es reiner Zufall. Aber da fiel mir der Turm und dieses Wesen wieder ein. Man wollte, dass ich etwas übermittle, wie eine Art Medium. Vielleicht sollte ich auch einfach eine Chance auf Rache bekommen. Nur mein Ex passte so gar nicht in das Bild. Er wurde lediglich auf mich angesetzt, damit die Templer endlich dieses Schmuckstück bekamen, von dem ich immer noch nicht wusste, WAS es sein sollte. Nichts weiter. Diesen Plan konnte ich ja Odin sei Dank vereiteln.
Der leise Gedanke, dass das Schmuckstück diese Sonne sein könnte, stahl sich in meinen Kopf. Doch vorerst musste ich es dabei belassen!
„Ich denke, wir werden uns noch einmal wieder sehen MÜSSEN, Master Kenway, so leid es mir tut. Aber ich brauche euer Amulett anscheinend zusätzlich, um zurückkehren zu können.“ Ich hoffte, dass ich neutral genug klang.
„Wie ihr wünscht, Mrs. de Scudéry. Dann lasst mich wissen, wann ihr bereit seid!“ Er war die Höflichkeit in Person mal wieder, gute Erziehung, muss ich sagen.
Ungeduldig tippte mir Liam jetzt auf die Schulter! „Wir sollten jetzt wirklich gehen, ich möchte das ganze Thema endlich abschließen. Ich hoffe, ihr schafft es, Monsieur Gaultier überzeugen zu können, euch nicht den Kopf abzureißen!“ maulte er rum. Ja, das bereitete mir auch noch ein wenig Bauchschmerzen.
Also machten wir uns auf den Weg Richtung Fort George. Man hatte uns eine Kutsche rufen lassen, denn um diese Uhrzeit wollte ich ungerne noch zu Fuß unterwegs sein! So langsam konnte mein Verstand alles für sich aus einander tüfteln und ich fing an, mir einen Plan zurecht zulegen, wie ich dem Chevalier alles erkläre.
Vor dem Haus angekommen, half mir Liam aus der Kutsche und gemeinsam gingen wir hinauf. Louis-Joseph lag noch brav im Bett, aber man hatte ihm frische Sachen angezogen und anscheinend den Verband gewechselt. Als ich eintrat warf er mir einen finsteren Blick zu, sagte aber nichts.
Ich konnte nur seufzen und setzte mich auf die Bettkante. O´Brian blieb an der Tür stehen und lehnte im Türrahmen.
„Monsieur Gaultier, wir haben Neuigkeiten.“ fing ich etwas kleinlaut an, denn ich wollte erstmal sehen, ob er wirklich so schlechte Laune hatte.
Mürrisch erwiderte er nur. „Das freut mich, hättet ihr dann auch die Güte, mir diese mitzuteilen?“ Ja, das war eindeutig schlechte Laune!
„Natürlich mache ich das. Die Gute Nachricht ist, ich weiß jetzt, wie ich wieder in meine richtige Zeit und vor allem meinen Körper komme. Dazu werde ich aber noch einmal ein Treffen mit Kenway abmachen, denn anscheinend ist ein Amulett, welches in seinem Besitz ist, von Nöten. Aber das werde ich dann morgen in Angriff nehmen. Denn ich vermute einfach, ihr wollt mich auch so schnell wie möglich wieder loswerden?“ Ich konnte mir diese bissige Bemerkung nicht verkneifen!
„Da habt ihr Recht, denn ich bin es leid, mich belügen und umbringen zu lassen!“ schnappte Gaultier sauer. Das ist eine vernünftige Begründung für meine Abreise!
Kapitel 131.1
Ich wappnete mich so gut es ging und teilte ihm die schlechte Nachricht mit. „Aber leider sind die Templer tatsächlich jetzt im Besitz der BEIDEN Artefakte! Und ich glaube kaum, dass sie diese wieder freiwillig herausrücken werden. Mr. O´Brian, es wundert mich gerade, dass ihr gar nicht eingegriffen habt, um sie an euch zu bringen!“ fiel es mir plötzlich ein. Der Ire musste gesehen haben, dass sie auf dem Schreibtisch standen!
„Ich war ein wenig abgelenkt von den Leichen, Mrs. de Scudéry! Oder habt ihr etwa schon wieder vergessen, was ihr dort angerichtet habt?“ kam es zickig von ihm.
Überrascht sah mich der Chevalier an. „Leichen? WAS um Gottes Willen ist dort geschehen?“
„Kurz bevor Mr. O´Brian und ich gehen wollten, tauchten Charles Lee und Thomas Hickey auf und... ich geriet in Panik und musste an … den Überfall denken und die Bilder kamen wieder hoch...“
„Vorhin sagtet ihr noch, ihr könnt euch nicht an diesen Vorfall erinnern, da ihr nicht... wie habt ihr es ausgedrückt? Achja... nicht in EUREM Körper seid, sondern in dem von Marie. Und jetzt auf einmal habt ihr Erinnerungen an diese Nacht? Was wird das hier, wenn ihr fertig seid?“ Jetzt kam neben der schlechten Laune auch wieder extremes Misstrauen dazu, keine gute Kombination! Verdammt!
Aber hatte ich diesen beiden Herren nicht von dem Vorfall in der anderen Welt erzählt? So langsam wurde es einfach zu wirr und mein Verstand wusste nicht mehr, wer wem wann was erzählt hat.
Also erzählte ich einfach noch einmal, oder das erste Mal, je nach dem, von der versuchten Vergewaltigung und von Charles! Dafür erntete ich einen mitleidigen Blick von BEIDEN, denn es war ihnen tatsächlich unangenehm! Es gab also doch noch anständige Männer in diesem Jahrhundert!
„Das tut mir natürlich leid, Marie. Aber musstet ihr gleich zum aller letzten Mittel greifen?“ fragte Louis-Joseph ein wenig besorgt. Also doch ein Mann der solche Taten gutheißen würde? In mir begann es wieder zu kochen.
„Monsieur Gaultier, bei allem Respekt! Dieser Mann ist ein Schwein und hat seine Strafe verdient. Wer weiß, an wie vielen Frauen er sich bereits vergangen hat, die allesamt immer noch schweigen, weil sie von Männern wie euch solche Aussagen zuhören bekommen! Das kann doch nicht wahr sein, ein solches Vergehen gehört bestraft und ja, es war Selbstjustiz, aber ich fühle mich jetzt besser!“ Ich wäre fast geplatzt, so sauer war ich.
„Wenn ihr das so sagt, klingt es, als wären alle Männer Monster ohne Verstand!“ kam es von Gaultier mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck.
„Nicht ALLE! Aber anscheinend sehr viele! Dürfte ich dann jetzt fortfahren mit meiner Erzählung? Ich habe nicht ewig Zeit!“ gab ich schnippisch zurück!
„Nur zu, ich würde auch gerne schnellstens mit euch und eurem Verrat abschließen!“ seine grünen Augen wurden wieder dunkel und hart!
Also berichtete ich wie mein Ex auftauchte und alles durch einander brachte und ich plötzlich von diesem Leuchten geführt wurde. Der Moment, in dem ich den Turm betrat, war etwas schwerer zu beschreiben! Ich gab mein bestes und musste gleichzeitig dem Chevalier gestehen, dass seine Frau ihm tatsächlich nicht treu war! Warum ich dabei plötzlich ein schlechtes Gewissen bekam und er mir leid tat, kann ich nicht sagen. Aber ich denke, jeder würde enttäuscht sein, wenn ihm so etwas nahegebracht wird.
„Dieses Wesen ließ mich dann wieder gehen und … ich weiß nicht so recht, wie ich euch das erklären soll.“ druckste ich rum. „Dieses Kästchen des Großmeisters ließ sich eigentlich nur von IHM persönlich öffnen, aber als ich es dort wieder betrachtete, war es geöffnet! Also... muss dieses Kind, welches Marie unterm Herzen trug, Kenways Fleisch und Blut gewesen sein. Ihr hattet Recht vorhin, Monsieur Gaultier. Und... es tut mir aufrichtig leid!“ Das tat es wirklich!
Fassungslos sah mich der Chevalier an und in seinem Gesicht wechselte sich Trauer, Wut und Enttäuschung ab.
Kapitel 132.1
„Wisst ihr, es ist gerade seltsam. Ich würde euch am liebsten gerade meine Klinge mitten ins Herz stoßen, aufgrund eures Verrates. Aber gleichzeitig weiß ich, dass es falsch wäre, weil ihr gerade gar nichts dafür könnt!“ Louis-Joseph wusste anscheinend selber nicht so recht, wie er mit der Situation umgehen sollte.
„Wir können nur versuchen, dass Marie wieder zurückkehrt. Alles andere obliegt dann euch! Aber wenn ihr erlaubt, würde ich ihr gerne ein paar Zeilen zur Erklärung hier lassen, damit sie nicht so verloren ist, wie ich es war!“ Mehr konnte ich nicht tun.
„Ihr wollt sie warnen, stimmt es?“ Misstrauen! Das konnte ich jetzt nicht neutralisieren! Also versuchte ich es auf der Vernunftsebene.
„Monsieur Gaultier, wenn ich das tun wollte, würde ich euch bestimmt nicht danach fragen, oder? Denkt doch einmal nach. Es geht nur darum, ihr verständlich zu machen, was hier passiert ist, damit sie selber entscheiden kann, ob sie so weiter leben und handeln will! Mehr nicht! Und ihr könnt auch gerne dann meine Zeilen lesen!“ Hoffnungsvoll sah ich ihn an!
Es war Liam der sich wieder einmal maulig meldete mit einem abfälligen Prusten! „Ja, genau. NUR das wollt ihr. Und wer soll euch das glauben? Ihr werdet vermutlich verschlüsselt eine Nachricht für sie hinterlassen!“ Bei Odin, diese paranoide Art war ja nicht auszuhalten! Aber... ganz unrecht hatte er nicht. Denn sie mussten davon ausgehen, dass ich sie hintergehen könnte!
„Oh bitte, ich kann euer Misstrauen wirklich nachvollziehen, aber soll Marie hier wieder ankommen und sich wundern, warum man ihr gegenüber so misstrauisch ist? Und seien wir einmal ehrlich, wenn ihr anfangt, das zu erklären, bezweifle ich, dass sie nur ein einziges Wort verstehen wird. Denn ihr ward nicht im Turm dabei! Und das MUSS ich ihr aufschreiben!“ Ich versuchte es weiter mit der Vernunft!
Der Chevalier seufzte tief und sah mich resigniert an. „Also schön! Liam holt Papier und Feder bitte für Mrs. de Scudéry, damit sie diesen Unsinn niederschreiben kann!“
„UNSINN??? Ich habe mich wohl verhört! Hier geht es doch nicht um eine Märchenstunde. Sondern um etwas, dass sehr persönlich ist. Es geht unter anderem ja wohl um den Verlust eines Kindes! Ich glaube, dass sogar Marie gerne davon erfahren möchte! Also zügelt euch mit diesen abfälligen Bemerkungen!“ zischte ich den Chevalier an! Ich hätte ihm am liebsten eine verpasst!
„Ihr solltet dringend an eurem losen...“
„Ja ja ja... daran soll ich arbeiten. Das hatten wir schon! Und ich werde daran arbeiten, wenn ich endlich mit Menschen reden kann, die es auch würdig sind...“ Ups... da... ging meine lockere Zunge mit mir durch!
Innerhalb eines Wimpernschlages stand Louis-Joseph plötzlich vor mir! Ich schrak zurück, denn das war durchaus ein Wunder und das hätte ich ihm nicht zugetraut. Mit einem schmerzverzerrtem Gesicht schaute er trotzdem drohend auf mich hinunter! „Oh wie gerne würde ich euch jetzt umbringen! Für solch ein Verhalten hättet ihr eine Tracht Prügel verdient. Ihr passt hervorragend zu diesem Templerabschaum, vielleicht solltet ihr eure Zugehörigkeit dahingehend einmal gründlich überdenken!“ Und da fiel mir auch ein, dass ich ihm ja noch gar nicht von Shay berichtet hatte!
Mit einem triumphierenden Grinsen sah ich ihm in die Augen. „Ihr meint, ich solle so wie Master Cormac auch dem Orden beitreten?“
So schnell konnte ich nicht reagieren, wie Gaultier meine Arme gepackt hatte und mich mit aller Wucht gegen die Wand drückte! „WIE war das?“ kam es nur brüllend von ihm.
„Ihr habt mich schon verstanden! Shay Cormac lebt, ihr habt wohl doch nicht so gut gezielt, wie ihr dachtet! Vielleicht solltet ihr noch einmal ein paar Übungsstunden in Betracht ziehen!“ Und schon wieder war ich zu weit gegangen und das hatte jetzt Konsequenzen!
Mit einer ausladenden Bewegung seines Armes holte er Schwung und ich sah nur noch wie seine Hand auf mein Gesicht zuflog... dann wurde alles schwarz um mich herum!
Kapitel 133.1
Oh verdammt, tat mir mein Kopf weh. Als ich meine Augen aufschlug, blendeten mich beißende Sonnenstrahlen und ich hatte das Gefühl meine Augen würden jeden Moment explodieren!
Gerade als ich mich vom Licht wegdrehen wollte, spürte ich, wie ich meine Arme nicht bewegen konnte! Was... Moment mal? Wo war ich überhaupt und WAS war passiert? Ich versuchte mich zu orientieren. Ich lag auf einem Bett, nicht meinem, DAS war schlecht. Ich war gefesselt, DAS war auch nicht unbedingt das Beste. Langsam sah ich an mir herunter, ich hatte noch mein Kleid an, DAS war wiederum gut, hoffte ich jetzt einfach mal.
Vorsichtig machte mein Geist sich auf den Weg, um meinem Körper einer kurzen Inspektion zu unterziehen. Meine Beine taten nicht weh, sie waren an den Fußgelenken nur an den beiden Bettpfosten gebunden. Nicht gut! Mein Oberkörper und Bauch schmerzten leicht, aber... vermutlich noch von der Begegnung mit dem Wesen in diesem leuchtenden Turm!
Ich sah links und rechts neben mich und meine Hände waren ebenfalls an die Pfosten gebunden und meine Handgelenke waren schon ein wenig wund gescheuert. Also muss ich mich schon ordentlich bewegt haben!
Die Erinnerung kehrte auch allmählich zurück, als ich mich in dem Raum umsah. Es war das Gästezimmer im Hause des Chevaliers, hier hatte ich meine erste Nacht in dieser Welt verbracht.
Was ich aber überhaupt nicht verstand, warum hatte man mich bewegungsunfähig gemacht? Es war niemand hier mit in dem Raum, also rief ich einfach nach Gaultier und Liam! Aber das bereute ich sofort, denn mein Gesicht, welches ich nicht der Inspektion unterzogen hatte, schmerzte. Besser gesagt, mein Kiefer brannte wie Feuer und meine Wange fühlte sich ebenfalls so an, als würde sie wegschmelzen! Und da kamen mir die Bilder einer auf mein Gesicht zufliegenden Hand in den Sinn, von einem überaus übellaunigen und wütenden Chevalier.
Kurz darauf hörte ich, wie die Tür geöffnet wurde und Louis-Joseph langsam eintrat, während er sich die Seite mit seiner Stichverletzung hielt. Er war blass und sah nicht gut aus. Hinter ihm betrat der Ire das Zimmer und sah mich vorwurfsvoll an.
„Ah, wie schön, ihr seid endlich wieder wach. Ich hoffe, wir können uns jetzt ganz vernünftig und ruhig unterhalten?“ kam es süffisant vom Chevalier. Wenn es nach mir ginge, würde ich ja gerne weiter Zeter und Mordio schreien, aber... ich verkniff es mir lieber.
„Wie ihr wünscht. Wenn es euch besser gefällt, eine gefesselte Frau zu betrachten, während ihr mit ihr redet, BITTE!“ Oh... ich kann es nicht sein lassen in seiner Gegenwart!
Er schüttelte nur den Kopf und setzte sich auf die Bettkante und betrachtete mich. Als seine Hand sich meinem Gesicht nähern wollte, drehte ich mich instinktiv weg. „Na na na... so schreckhaft auf einmal, Marie? Sonst kann euch doch auch nichts und niemand etwas anhaben!“ Kam es mit einem solchen Zynismus, dass ich ihm am liebsten ins Gesicht gespuckt hätte!
„Könnten wir dann jetzt das ganze Thema beenden?“ gab ich jetzt einfach nur noch genervt von mir, denn ich war es einfach leid und, ganz ehrlich, die Typen gingen mir auf den nicht vorhanden Sack! Ich hatte die Schnauze gestrichen voll von Höflichkeit, Sitte, Anstand und dem ganzen Mist. Ich wollte jetzt zurück und endlich ganz nach Hause.
„Wie ihr wünscht, Marie... oder wie auch immer ihr heißt. Es spielt auch keine Rolle mehr!“ Etwas an seiner Haltung verriet mir, dass auch der Kanadier keine Lust mehr hatte, das ganze länger als nötig hinzuziehen.
„Ihr spracht von Shay, diesem Bauernlümmel und Säufer. Er lebt, sagt ihr? UND er ist zu den Templern übergelaufen?“ Ein wissendes Lächeln spielte um seine Lippen und machten ihn ein bisschen unheimlich.
„Ja, das sagte ich doch! Hört...“ ich wollte schon wieder bissig werden! „... Aber mehr weiß ich auch nicht.“ Ich sah wie Liam auf das Bett zu kam und sich an den Fesseln zu schaffen machte. Erst meine Füße und dann meine Hände. Als ich wieder befreit war und ich mich aufsetzen konnte, kam plötzlich nur ein gequältes Krächzen vom Chevalier und er kippte vornüber vom Bett und schlug davor auf. Der Ire konnte, genau wie ich, nicht so schnell reagieren.
Nein, ich würde sicher nicht noch einmal die Pflegerin spielen und solange warten, bis dieser Mann genesen ist!!
Kapitel 134.1
Ich kniete mich neben ihn und sah, dass die Wunde blutete. Hatte denn niemand in den letzten Stunden danach gesehen?
„Mr. O´Brian, was ist denn hier los? Hat sich niemand um ihn gekümmert?“ fragte ich den Iren ungläubig.
„Er wiederholte die ganze Zeit, dass es ihm gut ginge, nachdem er euch endlich ruhig gestellt hatte. Und das glaubte ich ihm auch. Aber ich konnte doch nicht wissen, dass es so schlimm ist!“ Du meine Güte, dieser Mann war so maulig wie ein Teenager. Schrecklich!
„Dann ruft jetzt endlich den Arzt. Er soll sich das ansehen, damit der Chevalier wieder auf die Beine kommt.“ Ich hielt mir meinen schmerzenden Kiefer, denn bei jedem Wort hatte ich das Gefühl, als würden mir tausende kleiner Nadeln hineingerammt werden. „In der Zwischenzeit werde ich das Schreiben für Mrs. de Scudéry verfassen und mich dann unverzüglich mit Master Kenway in Verbindung setzen! Ich möchte jetzt nicht mehr länger hier verweilen als nötig. Ich gehe davon aus, ihr versteht das?“ fragend sah ich den Assassinen an.
„Wenn ihr meint, wartet aber bitte noch hier, bis ich mit ein paar Angestellten hier war um Monsieur Gaultier wieder in sein Schlafzimmer zu bringen!“ Mit diesen Worten stand er auf und ging hinunter. Ich blieb neben dem Ohnmächtigen auf dem Boden sitzen und hatte seinen Kopf auf meinem Schoß. Ich nutzte die kurze Gelegenheit und sah ihn an. Jetzt, da er völlig entspannt war, hatte er ein sehr angenehmes Gesicht. Nicht so verhärmt wie die Tage zuvor. Ich ertappte mich dabei, wie ich ihm über die Wange strich. Es war mal wieder dieser dämliche Samariter-Effekt, der IMMER bei mir einsetzt, wenn jemand Hilfe braucht.
Mit einem leisen Stöhnen wurde er wieder wach und schlug die Augen auf. Diese grünen Augen sahen völlig benebelt zu mir hoch und ein Lächeln wollte sich auf seinem Gesicht ausbreiten, doch dem kam ein Übelkeitsanfall zuvor und... was soll ich sagen. Ich muss mir wohl ein neues Kleid anziehen! Tief durchatmend, um mein eigenes Würgen zu unterdrücken, half ich ihm wenigstens in eine sitzende Position. Ich nahm ein Kissen aus dem Bett und legte es ihm in den Rücken. Wir sprachen nicht ein einziges Wort!
Sein Blick wurde klarer und er veränderte sich plötzlich. Es kam dieser weichere Ausdruck wieder zum Vorschein und ich traute meinen Ohren nicht! „Marie, es tut mir leid. Ich habe mich nicht an unsere Abmachung gehalten! Ich hätte mich nicht so gehen lassen dürfen! Verzeiht mir!“ etwas verlegen drehte er sich zur Seite.
Was sollte ich denn jetzt darauf sagen? Ich war immer noch ziemlich wütend auf ihn, und von welcher Abmachung faselt er gerade? Ach verdammt, immer das Gleiche. Vielleicht half ja Freundlichkeit doch ein bisschen mehr im Moment? „Monsieur Gaultier, auch ICH habe mich zu entschuldigen. Ich hätte nicht so mit euch reden sollen. Ich hoffe, auch ihr könnt mir meine Ausrutscher verzeihen?“ Ich kniete direkt vor ihm und sah ihn an. Und da war wieder dieses Lächeln.
„Ich glaube, wir hatten einen schlechten Start. Aber ändern können wir es wohl nicht mehr, hmmm?“ kam es etwas kleinlaut aus seinem Mund! „Wenn das alles vorbei ist, müssen wir dringend einige Dinge besprechen!“
Ich grinste. „Das solltet ihr tun, Monsieur Gaultier! Trotzdem hätte man mir etwas mehr vertrauen dürfen. Denn ihr müsst auch verstehen, dass ich völlig verzweifelt hier auftauchte. Ohne eine Erinnerung. Dennoch... sobald ihr wieder versorgt seid, werde ich mich auf den Weg machen!“
„In diesem Aufzug?“ er sah auf mein Kleid und dann wieder zu mir auf. „Ihr solltet euch wenigstens noch vorher ein Bad gönnen und ein neues Kleid anziehen! Ihr wisst ja wo, alles ist.“ Immer noch lächelte er mich an.
Und wieder hatte ich das Gefühl, als würde mir jemand Worte in den Mund legen, oder besser gesagt, jemand versuchte meinen Geist beiseite zu schieben. So als würde man an jemandem vorbei gehen wollen, dieser aber im Weg steht!
Wie ein Blitz schoss es mir in den Kopf. Marie WAR gar nicht weg, sie war die ganze Zeit hier in ihrem Körper. Aber MEIN Geist hatte ihn übernommen und sie versucht zu verdrängen!
Ich fing an mich zu konzentrieren, nicht so leicht bei einem schmerzenden Gesicht und Kopf! Und ganz langsam spürte ich, wie ich weiter aus diesem Körper geschoben wurde! Doch kurz bevor es gänzlich geschah, wurde ich durch den Iren daran gehindert, der polternd mit zwei Dienern im Zimmer erschien!
Aber der Chevaliers sah mich weiterhin an, so als hätte er es sehen können, was passiert war!
Kapitel 135.1
Man half Louis-Joseph jetzt hinüber in sein Schlafzimmer und ich folgte den Herren. Eines der Mädchen kam und reinigte den Boden. Als ich oben auf der Galerie stand, kam Mrs. Rouselant von unten auf mich zu. „Mrs. Gaultier, ich hoffe, eurem Gatten geht es bald wieder gut. Wir machen uns große Sorgen um ihn!“ Traurig sah sie mich an und ich wusste nicht, wie ich ihr überhaupt etwas erklären könnte oder sollte.
„Keine Sorge, er wird an so einer kleinen Verletzung bestimmt nicht sterben. Wenn er sich jetzt ein paar Tage schont und ihr ihn gut versorgt, dann ist er in Null Komma Nichts wieder auf den Beinen. Hat schon jemand Dr. Ambrosch rufen lassen?“ fragte ich.
„Ja, ich denke, er wird bald hier sein.“ Dann fiel ihr Blick ebenfalls auf mein Kleid. „Ihr solltet euch schnell umziehen und frisch machen!“ Da fiel mir der Vorschlag des Chevaliers wieder ein.
„Könntet ihr mir bitte ein Bad einlassen? Nach den ganzen hektischen Tagen jetzt, brauche ich ein bisschen warmes Wasser um mich herum!“
„Natürlich, Mrs. Gaultier. Ich lasse es für euch herrichten. Wenn es fertig ist, sage ich euch Bescheid. In der Zeit solltet ihr vielleicht schon einmal aus der Kleidung raus. Verzeiht, aber... es riecht sehr unangenehm.“ Ein leichtes zögerliches Grinsen spielte um ihre Lippen.
„Ihr habt Recht, das fällt mir jetzt auch auf!“ Und ich konnte mir ein Prusten nicht verkneifen.
Die Helfer traten auf die Galerie und verkündeten, dass der Herr des Hauses wohlbehalten wieder in seinem Bett sei. Also ging ich hinein und sah, dass er die Augen geschlossen hatte. Ich wollte ihn schlafen lassen und machte mich im Ankleidezimmer daran, aus dem Kleid zu kommen. Alleine ist das nicht so einfach, wie man denkt. Aber ich schaffte es und nahm mir meinen Morgenrock vom Haken neben der Tür, die offen stand zum Schlafzimmer... in dem der Chevalier lag, schlafend, wie ich eigentlich dachte. Aber... er hatte die Augen geöffnet und sah zu mir hinüber.
Und was tat ich? Ich starrte nur ungläubig zu ihm, bis mir der Gedanke in den Kopf schoss, dass ich nackt war! Bei Odin.... Wie lange hatte ich jetzt so vor ihm gestanden? Es waren ja keine Kilometer zwischen uns, sondern nur ein paar Meter, wenn überhaupt. Ich riss den Morgenrock förmlich vom Haken und warf ihn mir umständlich über, knotete ihn so fest ich konnte zu und ging mit hochrotem Kopf auf ihn zu.
Etwas schleppend kam ein „Für so schüchtern, hätte ich euch gar nicht gehalten!“ aus seinem Mund und er schloss wieder die Augen. Da stand ich mal wieder am Bett eines Kranken mit hochrotem Kopf. Ich sagte ja schon einmal, die Geschichte wiederholt sich immer und immer wieder!
Ich setzte mich kurz auf die Bettkante und wartete, ob er noch einmal wach wurde. Aber er war wohl doch tiefer eingeschlafen, als angenommen. Kurz darauf klopfte es und Dr. Ambrosch trat ein. Verlegen, weil ich nur den Morgenrock trug, schaute er zur Seite und grüßte mich kurz und knapp und kümmerte sich dann um den Schlafenden. Ich grinste in mich hinein, ja, die Männer hatten noch viel zu lernen! Und ICH auch!
Ich ging wieder ins Ankleidezimmer und suchte mir ein passendes Kleid aus. Sie waren alle wunderschön und mir fiel die Entscheidung schwer. Münze werfen? Nein, ich schloss die Augen und zog einfach eines hinaus.
Es war ein dunkelblaues Kleid aus feiner Baumwolle und mit feinen weißen Stickereien in Blumenranken-Optik. Das konnte man ruhig anziehen, nicht zu aufdringlich und nicht zu einfach!
Gerade als ich wieder in das Schlafgemach eintrat, kam auch schon Mrs. Rouselant und verkündete, dass das Bad fertig sei. Erstaunt meinte der Arzt nur, dass das dem Patienten jetzt aber nicht zuträglich wäre.
Ich musste mir ein Lachen verkneifen. „Nein, Dr. Ambrosch, das ist für mich!“ Mit diesen Worten folgte ich der Hausangestellten nach unten und nach hinten in die Waschküche. Dort hatte man die Fenster verhängt und eine große Ladung Handtücher bereit gestellt und das Wasser in der Wanne roch so wahnsinnig gut. Rosig, ging es mir durch den Kopf. „Wenn ihr etwas braucht, Mrs. Gaultier, dann ruft nach mir. Ich lasse euch dann jetzt alleine!“ Mit einem Knicks verließ den Raum.
Ich entledigte mich des Morgenrockes und ließ mich langsam in die Wanne gleiten. Es war eine Wohltat für meine Knochen, meine Muskeln UND meinen Geist! Das erste mal, seit Tagen konnte ich mich entspannen und durchatmen.
Plötzlich spürte ich ein leichtes Brennen auf der Haut rechts neben meinem Bauchnabel. Als ich an mir herunter sah, traute ich meinen Augen nicht! Seit wann war ich, oder besser, Marie denn tätowiert?
Kapitel 136.1
Ich betrachtete die Tätowierung genauer und mein Erstaunen wurde immer größer! Es war das Sonnensymbol, welches ich als Emblem in der kleinen Kiste mit mir herum trug! Aber wann hatte ich das bekommen, gespürt hatte ich nichts dergleichen.
Da fiel mir wieder dieser Moment ein, in dem das leuchtende Wesen meinen Bauch berührte und mir meinen kleinen Orkan nahm. Hatte ich da gleichzeitig eine Art Stempel bekommen? Aber … wozu? Ich fragte mich jetzt ernsthaft, ob ich dem Ganzen auch noch nachgehen sollte.
Jedoch kam ich zu dem Schluss, dass ich jetzt erst einmal dieses wunderbare Bad zu Ende genießen werde und mir dann ein paar Gläser Wein gönnen würde. Auch wenn es erst gegen Mittag sein dürfte. Das Treffen mit Haytham schob ich in meinem Kopf und auf meiner Agenda nach hinten. Irgendwie war ich doch nicht so bereit, wie ich dachte.
Ich schloss die Augen und ließ mich tiefer in die Wanne rutschen. Es war einfach herrlich und ich nickte tatsächlich kurz ein.
Ein grelles Licht schoss auf mich zu und blendete mich, dass es schon fast wehtat und dieses Wesen stand wieder vor mir. Ein Lächeln erschien auf diesem durchscheinendem Gesicht.
„Dieses Kind ist zu etwas Größerem bestimmt und die Sonne soll dich immer daran erinnern, dass du uns geholfen hast! Wir werden immer in deiner Schuld stehen und uns, wenn es an der Zeit ist, dankbar zeigen! Bis dahin, lebe dein Leben und denke immer an deine große Tat mit Freude zurück!“
Dann verschwand dieses Licht urplötzlich wieder und Dunkelheit umgab mich. Aber sie war nicht beängstigend, sonder eher tröstlich. Meine Augen konnten sich wieder an die Umrisse im Dunkeln gewöhnen … langsam erhob ich mich wieder …
Nach Luft ringend tauchte ich wieder auf und schlug panisch um mich! Dann krachte die Tür zur Waschküche auf und Mrs. Rouselant stand mit einem Besen bewaffnet neben mir und der Wanne. Hektisch sah sie sich um. „Wo ist der Angreifer? Wer war das?“ wollte sie lautstark wissen.
Langsam erholte ich mich und meine Atmung wurde wieder normal. „Da war niemand, ich bin nur eingenickt und dachte, ich würde ertrinken. Das war ...“
„Ich habe doch eine Stimme gehört, die mit euch sprach. Ich bin doch nicht verrückt geworden und ich sah unter der Tür durch ein helles Leuchten!“ immer noch hektisch sah sie in jeder Ecke nach!
„Mrs. Rouselant, es... das war bestimmt nur eine Reflektion der Sonne. Und vielleicht habe ich ja auch nur etwas gesagt, als ich hier eingenickt bin.“ versuchte ich sie jetzt zu beruhigen. Was aber nicht so leicht war, denn ich war auch ziemlich erschrocken.
„Wenn ihr meint, Mrs. Gaultier.“ Misstrauisch beäugte sie mich und die Wanne. „Aber ich denke, ihr sollte jetzt lieber aus der Wanne raus. Das Wasser ist ja schon eiskalt. Wartet, ich helfe euch noch schnell die Haare zu waschen und im Handumdrehen seht ihr wieder passabel aus!“ Mit diesen Worten fing sie an meine Haare einzuseifen und ich hatte den Eindruck, sie machte das, um ihre eigenen Nerven zu beruhigen. MEINE beruhigte es auf jeden Fall.
Nachdem sie mich zum dritten Mal von der Seife befreit hatte, half sie mir aus der Wanne und schlang mir ein weiches Handtuch um. Ich rubbelte mich trocken und betrachtete noch einmal das kleine Sonnensymbol auf meinem Bauch. Es sah wirklich wunderschön aus.
Ich schlang mir wieder den Morgenrock über und ging hinauf in das Ankleidezimmer. Louis-Joseph schlief immer noch, aber dieses mal schloss ich die Tür. Sicher ist sicher! Mit den nassen Haaren konnte ich jetzt nicht viel machen, also flocht ich sie und steckte sie kreisförmig mit Nadeln fest.
Meine Wange und mein Kiefer zierte eine leichte Blaufärbung. Daran konnte ich leider nichts ändern.
Das Kleid saß perfekt, vermutlich war es eines der maßgeschneiderten ziemlich teuren Kleidern, bei denen ich immer mit mir rang, ob ich mir so etwas zulegen sollte oder nicht. DAS waren NICHT MEINE Gedanken und ich schüttelte mich.
Mit Strümpfen und Schuhen bewaffnet, setzte ich mich auf einen kleinen Hocker in der Nähe des Bettes und zog diese über. Immer wieder glitt mein Blick zum Chevalier und ich spürte wieder, wie Marie versuchte sich nach vorn zu schieben. Aber dieses mal ließ ich sie nicht, denn ich wollte ganz bereit sein zu gehen und ich müsste auch noch die Worte an sie schriftlich für sie hinterlassen! Noch war nicht die Zeit dafür.
Also ging ich mit neuem Enthusiasmus hinunter und bat um eine Flasche Wein, die man mir bitte ins Arbeitszimmer bringen möge!
Kapitel 137.1
Und so zog ich mich zum Schreiben zurück und eines der Mädchen brachte mir den Wein.
Dankend entließ ich sie und bat darum, dass ich nicht gestört werden möchte. Liam hatte ich jetzt gar nicht mehr gesehen, vermutlich war er losgezogen um.... ja, keine Ahnung. Seine schlechte Laune loszuwerden? Ich hoffte, er würde keine Dummheiten machen und zu Shay marschieren. Denn dann hätte ich auch wieder ein Problem. Ich verdrängte diesen Gedanken!
Ich goss mir ein Glas ein und nippte daran. Nicht zu süß, nicht zu trocken, lecker fruchtig! Dann machte ich mich daran, meine Gedanken für Marie aufzuschreiben. Das war gar nicht so einfach, denn ich wusste nicht, WAS sie bereits wusste. Ich konnte nur mutmaßen und einfach drauf los erzählen. Und das machte ich auch.
Als ich auf der vierten Seite des Pergaments ankam, war ich selber verblüfft, was ich alles niederschrieb. Ich gab ihr den Tipp, in Zukunft vielleicht doch etwas diskreter vorzugehen zum Beispiel.
Meine Gedanken wanderten zu der Tätowierung. Das Emblem würde sie ja sowieso behalten. Denn ich ging davon aus, dass man keine Gegenstände mitnehmen kann. Ich erzählte von dem Kind, von dem Turm und von diesem leuchtenden Wesen. Sollte ich ihr auch von der Botschaft in der Wanne erzählen? Denn irgendwie war ich mir nicht sicher, ob diese MIR gegolten hat, oder Marie? Und dann kam mir der Gedanke, wenn sie doch die ganze Zeit ebenfalls in diesem Körper steckte, hatte sie nicht vielleicht etwas davon mitbekommen oder wenigstens gespürt? Leider konnte ich sie nicht fragen.
Auch erwähnte ich das Zeitreiseartefakt! Irgendwie musste ich es ja erklären, weshalb plötzlich so etwas in ihrem Besitz ist. Doch wie ich dieses Blackberry plausibel mit in die Geschichte baue, blieb mir ein Rätsel. Also erläuterte ich kurz die Funktion und mehr auch nicht. Es blieb halt hier und ich würde damit hoffentlich nie wieder in Berührung kommen!
So beendete ich mit der sechsten Seite meine Erklärungen für sie. Erstaunt sah ich aus dem Fenster, es wurde schon wieder dunkel und die Flasche Wein war auch schon leer. Leicht benebelt erhob ich mich und trocknete noch die Tinte auf den Seiten.
Dann nahm ich alle Blätter und faltete sie einmal in der Mitte. Ich suchte nach einem Umschlag oder Behältnis, in welchem ich alles legen konnte. Oder sollte ich es einfach Louis-Joseph geben? Ich traute ihm immer noch nicht so ganz über den Weg.
Ein leises zögerliches Klopfen riss mich aus meinen Gedanken. „Mrs. Gaultier? Ich weiß, ihr wollt nicht gestört werden, aber das Abendessen ist fertig. Wenn ihr dann soweit seid, könnt ihr in das Esszimmer kommen.“ die Schritte des Mädchens entfernten sich leise, ehe ich etwas erwidern konnte.
Essen, das klang gar nicht so schlecht. Aber alleine wollte ich nicht am großen Tisch sitzen. Also beschloss ich, dass ich mein Essen nach oben in das Schlafzimmer haben möchte. Als ich in die Eingangshalle trat, sah ich, dass der Tisch für drei Personen gedeckt war. Etwas überrascht sah ich mich um, aber hier war niemand. Langsam ging ich zum Esszimmer und schaute hinein. Am Fenster zur Straße stand ein etwa 40 jähriger dunkelhäutiger Mann im Ornat und schien auf etwas zu warten. Ich räusperte mich und er zuckte herum.
„Ah, Mrs. Gaultier, es ist schön, euch wieder zusehen. Ich hoffe, Louis-Joseph wird sich bald erholen.“ Er sprach sehr langgezogen, aber hatte eine angenehme tiefe Stimme!
Ich sah ihn fragend an, denn leider wusste ich nicht, WER hier vor mir stand. Ich reichte ihm meine Hand mit den Worten: „Es freut mich auch, euch wieder zusehen, Master...?“
Jetzt war es an ihm, mich verwundert anzusehen, aber nicht lange, denn dann schien der Penny zu fallen. „Oh verzeiht, ich hatte vergessen, dass ihr ja das Gedächtnis verloren habt. Ich bin Achilles Davenport, Großmeister der kolonialen Bruderschaft hier!“ mit einem Handkuss entließ er meine Hand.
DAS war also Achilles? Ich hatte ihn mir irgendwie größer vorgestellt. Er war ungefähr so groß wie Liam, hatte kurz geschorene Haare und unglaublich freundliche dunkelbraune Augen! Fasziniert sah ich ihn an und ein Räuspern seinerseits, riss mich aus meiner Musterung.
„Verzeiht, Master Davenport! Ich kann mich wirklich nicht mehr an euch erinnern. Und es tut mir aufrichtig leid. Dann werdet ihr mir beim Abendessen Gesellschaft leisten, nehme ich an?“ fragte ich, um die Situation zu lockern.
„So ist meine Absicht, Mrs. Gaultier und Mrs. Jensen müsste auch jeden Moment hier eintreffen!“ erwiderte er freudestrahlend!
„Oh, das freut mich aber. Dann weiß ich wenigstens, wen ich gleich noch begrüßen darf.“ sagte ich mit einem Augenzwinkern und Achilles quittierte es mit einem rauen kurzen Lachen! Es dauerte auch nicht lange und die besagte Dame erschien an der Tür. Mrs. Rouselant führte Hope direkt ins Esszimmer, nachdem sie sie davon abgehalten hatte, sofort hoch ins Schlafzimmer zu stürzen!
Vor mir stand jetzt eine ziemlich mürrische junge Frau, mit braunen langen Haaren und einem doch sehr raffinierten Lilafarbenem Kleid in Ornatform.
Kapitel 138.1
„Mrs. Jensen, es freut mich, dass ihr heute Abend hier seid. Auch wenn ich mich so gut wie gar nicht an euch erinnern kann...“ wollte ich erklären, aber dazu kam ich nicht.
„Mrs. Gaultier, schön, dass ihr wieder auf den Beinen seid. Und so gerne ich auch Höflichkeiten austauschen möchte, wir sollten uns schnellstens um die Artefakte kümmern. Ich muss mit dem Chevalier sprechen, um alles weitere zu beraten!“ kam es schnippisch von dieser Frau.
Achilles schaltete sich ein. „Hope, das wird erst noch warten müssen. Louis-Joseph ist nicht in der Lage Besuch zu empfangen, geschweige denn, die Wiederbeschaffung in die Hand zu nehmen. Das werden Liam und ich vorerst forcieren und dann sehen wir weiter!“ sagte er in einem doch recht autoritärem Ton, der eigentlich keinen Widerspruch duldete.
„Wenn ihr meint, Master Davenport. Aber allzu lange dürfen wir nicht warten. Wer weiß, wohin die Templer schon unterwegs sind.“ gab sie zickig zu bedenken.
„Sie sind nirgendwohin unterwegs, denn auch sie haben noch keine Anhaltspunkte, wie sie die Schatulle aktivieren können.“ tat ich jetzt mein Wissen kund.
Ich bekam einen abfälligen Blick von Mrs. Jensen. „Das ist schön, dass ihr das wisst. Aber Liam hat mir alles über euch erzählt. Also glaubt ja nicht, dass ich euch vertraue.“
Achilles stand neben uns und sein Blick ging von einer zur anderen. „Was meint ihr damit, Hope? WAS hat euch Liam erzählt, würdet ihr mich bitte aufklären. Anscheinend hat man es versäumt, MICH mit einzubeziehen!“ kam es jetzt entrüstet aus seinem Mund.
„Wusstet ihr das nicht, Mrs. Gaultier, oder besser Mrs. de Scudéry arbeitet für die Templer und hat sich hier nur eingeschlichen, um an die Artefakte zu kommen. Aber Liam ist der Meinung, dass wir noch ein oder zwei Tage warten sollten, ehe wir diese Person ihrer gerechten Strafe zuführen!“ Mit einer Genugtuung in der Stimme, als hätte sie gerade die ganze Welt vor mir gerettet, sah sie triumphierend zum Großmeister hinüber.
Dieser sah mich jetzt misstrauisch an. „Stimmt das, Mrs. Gaultier... oder wie auch immer ihr heißen mögt?“ Ich seufzte, denn ich wusste jetzt nicht, ob ich auch diesen beiden diesen Sprung erklären sollte, oder das ganze mit dem Sturz abhandeln sollte. Verdammt, wo war der Ire, wenn man ihn mal brauchte.
Also beschloss ich, einfach den Sturz und meine Amnesie weiter zu nutzen, sollte Marie später selber für Aufklärung sorgen. „Mrs. Jensen hat recht. Aber ich kann mich wirklich nicht daran erinnern. Und um Klarheit zu bekommen, beschloss ich, mich mit dem Großmeister der Templer noch einmal zu treffen. Und als wir dort waren, es war einfach so absurd...“ weiter kam ich nicht. Denn Odin sei Dank erschien endlich O´Brian! Die Dankbarkeit muss mir förmlich ins Gesicht geschrieben gewesen sein, denn er grinste nur dumm und baute sich vor Achilles auf.
„Ah, Master Davenport. Wie ich sehe und höre, versucht Mrs. de Scudéry euch schon aufzuklären.“ Meinen Namen bedachte er mit einer lauteren Stimmlage. „Dann will ich euch auch auf den neuesten Stand bringen!“ Und so erzählte er gekonnt die Vorfälle der letzten Tage und Stunden, ließ hier und da Dinge zu meiner Zeitreise einfach aus. Jedoch erwähnte er die Morde an Lee und Hickey und täuschte ich mich, oder war Hope ebenfalls erleichtert über diese Nachricht? Sie war schwer einzuschätzen. Aber es konnte mir auch egal sein. Morgen würde ich vermutlich mein letztes Treffen mit Haytham haben und dann würde sich alles den Umständen entsprechend, normalisieren! So hoffte ich.
An mich gewandt und mit einem lobenden Ausdruck sagte Achilles nur: „IHR habt gleich ZWEI Templer zur Strecke gebracht und das, obwohl noch einer mit anwesend war! Hochachtung, Mrs. de Scudéry...“ bei den Worten, dass ja nur EIN Templer noch anwesend war, entglitten Liam die Gesichtszüge.
Er räusperte sich. „Master Davenport, es waren noch ZWEI Templer anwesend. Denn, wie wir erschreckend feststellen mussten, lebt Shay noch! UND er hat sich dem Orden angeschlossen!“ froh, dass er das jetzt los war, sah er seinen Mentor an.
Dieser machte Anstalten, etwas zu sagen, aber ihm klappte nur der Mund auf und zu. Die einzige die reagierte, war Hope und sie war außer sich. Und trotzdem glaubte ich, dass in ihren Gesichtszügen auch so etwas wie Zuneigung und Erleichterung zu sehen waren. Wenn auch nur kurz.
„Er lebt?“ kam es von ihr. „Und das wisst ihr sicher, Liam? Nicht, dass ihr euch getäuscht habt...“ sie war völlig aufgeregt.
„Hope, ich bitte dich. Ich werde meinen ehemals besten Freund ja wohl wieder erkennen!“ gab der Ire säuerlich zurück! „Auch wenn er jetzt KEINEN Ornat mehr trägt, so verändert hat er sich nicht, glaub mir!“
Kapitel 139.1
Immer noch entsetzt und verwirrt sah Hope zu Liam. „Ich kann es nicht glauben! Wie kann das sein? Wir haben doch mit eigenen Augen gesehen, dass er die Klippen hinunter gestürzt ist.“
„Der Chevalier ist vermutlich doch nicht so ein guter Schütze, wie er immer gerne behauptet!“ rutschte es mir dann doch wieder raus!
Ich erntete dabei böse Blicke der drei Assassinen, was mir aber ehrlich gesagt, egal war. Denn es entsprach halt den Tatsachen! „Ihr scheint euch über den Zustand, dass dieser Verräter noch am Leben ist zu freuen, Mrs. de Scudéry? Woher solch eine Zuneigung zu diesem Abschaum?“ kam es langsam und verächtlich von Achilles!
„Ihr mögt es als Zuneigung wahrnehmen, ich sage einfach, es ist eine Tatsache! Ihr solltet damit jetzt zurecht kommen und eure weiteren Schritte entsprechend planen.“ Plötzlich hatte ich wieder dieses Gefühl, als würde nicht ICH sprechen, sondern mir lege jemand diese Worte in den Mund.
„Ich frage mich mittlerweile, warum ihr eigentlich Louis-Joseph geehelicht habt, wenn ihr doch eine solch schlechte Meinung über ihn habt. Ihr solltet euch schämen.“ kam es in einem angewiderten Ton von Hope und ihr abfälliger Blick machte es nicht besser.
„Das kann ich euch sagen, es war ein Mittel zum Zweck! Oder glaubt ihr, ich habe ihn aus lauter Zuneigung geheiratet? Was hatte er mir denn bitte zu bieten? NICHTS! Darüber hinaus ist er ein nervtötender Mensch...“ weiter ausholen konnte ich nicht, besser gesagt, meine wie ferngesteuerten Worte wurden vehement unterbrochen, in Form des plötzlich in der Tür stehenden Chevaliers!
Er schwankte und sah von einem zum anderen hilfesuchend, aber mich bedachte er mit einem Blick, der JEDEN auf der Stelle zum Schweigen gebracht hätte. Aber nicht diese Marie, die sich aus mir unerfindlichen Gründen immer weiter ihren Weg nach außen bahnte und es fiel mir immer schwerer, sie im Zaum zu halten!
„Du verlogene kleine Hure! Ich hätte auf meine Brüder hören sollen! Aber ich hatte einen guten Moment und war der Ansicht, eine gute Tat zu vollbringen! Stattdessen habe ich mir den Teufel persönlich ins Haus geholt, der auch noch mit den Templern gemeinsame Sache macht und dazu IHRE Hure ist! Ich hätte dich zum Sterben den anderen Kerlen überlassen sollen!“ Der Kanadier spuckte mir die Worte regelrecht vor die Füße und kam bei jedem Wort näher und ich sah zu spät, dass er einen Dolch in seiner rechten Hand hielt!
Doch ob es nun MEIN Glück oder Maries Verderben war, ist schwer zu beurteilen. Aber Achilles hatte eine enorme Reaktion und hatte diese Attacke irgendwie erahnt. Er kannte Louis-Joseph schon länger und hatte ihm einige Tricks und Kniffe beigebracht! Der Großmeister der Assassinen griff mit Leichtigkeit in den Schwung des Stichs und riss den Arm Gaultiers herum, so dass der Dolch aus der schmerzenden Hand fiel.
„Louis, ich bitte euch! DAS geht zu weit! Wir müssen erst wissen, was hier gespielt wird um...“ aber eben dieser Assassine war außer sich, aber überhaupt nicht fähig etwas zu unternehmen, so geschwächt wie er war. Er konnte nur verbal auf mich losgehen!
„Dieses Weibsstück gehört auf den Scheiterhaufen und verbrannt! Ich schwöre, bei meiner Ehre, dass ich nicht eher Ruhe geben werde, bis diese Hexe ihr verdientes Ende bekommen hat!“ brüllte er plötzlich los. Der Schweiß rann ihm übers Gesicht und er keuchte nur noch! Liam reagierte als erster, als Gaultier plötzlich auf die Knie fiel, leichenblass und mit blutgetränkten Verbänden!
„Jetzt seht euch an, was ihr angerichtet habt!“ Kam es wutentbrannt von Hope!
Aber ich konnte nur dastehen, denn ich spürte diese Marie regelrecht. Ich konnte fühlen, wie ihre Gedanken langsam anfingen, meine eigenen zu beeinflussen! Einem Impuls folgend, ging ich zum Kamin und musste jeden Schritt BEWUSST machen, denn diese Trickbetrügerin in mir, übernahm immer mehr die Kontrolle. Angekommen an der Feuerstelle, griff ich in mein Dekolleté und fischte die Seiten heraus, die ich zuvor noch für SIE geschrieben hatte und warf sie in hohem Bogen ins Feuer! Sie sollte sie nicht bekommen, denn sie wusste sehr wohl, WAS genau hier passierte. Denn sie musste ebenfalls mit allen Templern, auch meinem Ex, unter einer Decke stecken. DAS konnte ich nicht zulassen.
Diese Erkenntnis kam mir aber erst JETZT. Und es war mal wieder so eine Art Ohnmachts Gefühl, weil ich es nicht auf Anhieb gesehen hatte!
Der Gedanke, dass ich noch vor ein paar Minuten Mitleid mit dieser niederträchtigen Person hatte, war unerträglich. Ich kämpfte jetzt regelrecht gegen Marie, SIE wollte mich nicht wirklich gehen lassen, denn sie profitierte noch von mir. Aber je länger ich sie in mir trug, oder sie mich in ihrem Körper, je mehr erfuhr sie über mich. DAS konnte ich nicht zulassen. Und das war etwas, was ich überhaupt nicht bedacht hatte.
Mit einem letzten Versuch, meinen Geist in den Vordergrund zu reißen, schrie ich die anwesenden Assassinen an, mich SOFORT zu Master Kenway zu bringen! Der einzige Mensch, der reagierte war Liam. Aber nicht so, wie ich gehofft hatte!
Kapitel 140.1
„Ach, ihr wollt urplötzlich doch ganz schnell hier weg? Ihr müsst uns ja ziemlich unterschätzen und für degeneriert halten, Marie!“... aber ich fiel ihm ins Wort!
„Liam, ich bitte euch...“ keuchte ich um Worte ringend „... sie, Marie, übernimmt plötzlich die Überhand! Ich ...“ schwer atmend ging ich langsam Schritt für Schritt auf ihn zu. „... muss dringend hier weg! Mein Geist muss... er muss dringend hier weg...“ ich ließ mich auf die Knie sinken. Meine Kräfte schwanden und ich sah mich Auge in Auge mit dem Chevalier wieder. Auch dieser kniete noch dort und hatte mit vor Entsetzen geweitete Augen!
„... ich … bitte euch! Helft mir... erst... wenn ich... diesen Körper...“ … als hätte ich eine Ohrfeige bekommen, hörte ich Worte aus meinem Mund, die ich NIE sagen würden! „Dieser Körper soll euer sein, wenn ihr mich in Ruhe lasst und mich gehen lasst!“ Sogar meine Stimme klang plötzlich verändert... das konnte doch nicht wahr sein. Was für eine Macht war hier am Werk? Ich fing wieder an, mich zu konzentrieren und ich nutzte die Meditationstechniken meines Psychologen, sie liefen plötzlich automatisch ab, so wie die Selbstverteidigung bei Charles... Mein Kopf drohte zu explodieren, aber ich schaffte es, einen kleinen Raum zu schaffen. In diesem sammelte ich MICH, mein INNERSTES! Und als ich sicher war, dass es sich bahn brechen konnte, öffnete ich meinen Mund!
„Marie weiß mehr als ihr denkt sie ist von einer übernatürlichen Macht besessen den Vorläufern denen ihr auch das Manuskript und die Schatulle zu verdanken habt sie wird nicht freiwillig zulassen dass ich wieder gehe helft mir jetzt endlich diesen Körper zu verlassen und dann verfahrt mit diesem Frauenzimmer wie euch beliebt ich muss hier raus bitte ich kann nicht mehr sie wird nicht eher Ruhe geben“
Ohne Luft zu holen, ohne eine Pause preschten die Worte aus mir heraus. Ich hatte Angst, dass mir diese Scudéry sonst dazwischenfunkt!
Immer noch kniend vor Louis-Joseph sah ich ihm in die Augen und hoffte, wenigstens er würde es verstehen oder sehen. Und so war es auch. Scheinbar hatte er doch mehr Feingefühl als erwartet, er sah mir in die Augen, nahm meine rechte Hand in seine und drückte auf die Linie zwischen Daumen und Zeigefinger. Es war schmerzhaft, aber MEIN Verstand konnte sich dadurch konzentrieren. Maries wirres Hirn verlor sich in einem Nebel der urplötzlich auftaucht, wenn es geregnet hat an einem warmen Tag!
Woher wusste er, wie man diese Ruhe schafft? Und erst jetzt wurde mir klar, dass er ähnliche Momente mit seiner Angetrauten schon erlebt haben musste. Aber sie niemandem mitgeteilt hatte. Doch WARUM zum Teufel, verstellte er sich so ihr gegenüber? Was er als nächstes sagte, war dann die Erklärung und ich hätte es wissen müssen!
„Marie, du hast mir versprochen, dass du deinen Geist im Zaum halten wirst. Dass du dich nicht von diesen Wesen leiten lässt! Du hast mir ein Versprechen gegeben! Auch ich habe dir eines gegeben! Wir haben eine Vereinbarung, lass mich nicht zum Äußersten greifen müssen!“ Seine grünen Augen sahen in meine Seele hinein... er nutzte sein neu erworbenes Können und das ziemlich zielsicher und gut!
„Louis … ich … bringt mich … einfach … zum alten Fort … Arsenal ...“ ich konnte mich nicht richtig artikulieren und jedes Wort kam gebrochen aus meinem Mund! In meinem Hirn drehte sich alles immer nur darum, so schnell wie möglich aus dieser Situation kommen!
Auf einmal hoben mich Arme Hoch und ich hörte die Stimme von Achilles. „Ich weiß nicht, was genau hier vorgefallen ist, oder was exakt diese Wesen die vor uns kamen gemacht haben, aber wir sollten schnell handeln. Auch wenn es unkonventionell ist. Liam... helft mir Mrs. de Scudéry in die Kutsche zu bringen. Hope... sorgt bitte für den Chevalier und lasst verdammt noch mal einen vernünftigen Arzt kommen!“
Diese Worte hallten in meinem Kopf nach, als ich in das Gefährt stieg. Marie, oder diese andere Macht, wollte immer und immer wieder durch brechen. Aber ich klammerte mich an den Gedanken, dass ich bald wieder zurück in meiner alten Welt sein würde! Das ich DIESE Person endlich los sein werde!
Es tat sogar körperlich weh, mein Magen krampfte zusammen und ich spürte feine Nadelstiche in meinem Herzen! Es war wie ein Albtraum! Diese Person musste mächtiger sein, als ich dachte und das machte mir zusätzlich Angst! Denn... konnte sie ebenfalls in den Zeiten reisen, wäre sie so mächtig und könnte auch mir etwas antun? Darüber hatte ich bis jetzt nicht nachgedacht. Denn es herrschte keine Notwendigkeit.
Wie in einem Nebel fuhr die Kutsche bis vor die Tür des Fort Arsenal... man half mir hinaus... man geleitete mich ins Innere... und es war, als würde ich das Portal zur Hölle überschreiten!
Kapitel 141.1
Denn im Inneren nahm mein Verstand alles unwirklich war, so als würde Marie versuchen mir eine böse Erinnerung zu zeigen, nur um mich weiter kontrollieren zu können.
Mein eigener Geist versuchte dagegen an zu kämpfen. Er versuchte eigene Bilder hervor zu holen! Und er schaffte es, ich musste mich nur konzentrieren. Ich sah meinen Sohn... „Ahhhh.... dein geliebtes Kind. Da werde ich sicher noch meinen Spaß mit haben! Warte es nur ab!“
Und wieder brach ich fast zusammen... Dieses „Monstrum“ versuchte mich einzuschüchtern! Also musste ich meinen Geist verschließen... aber... wie sollte ich das tun... und in einem erschreckenden Moment dachte ich an die Momente, in denen ich völlig frei gedacht hatte. Würde sie es gegen mich verwenden? Würde SIE mein Wissen ausnutzen?
„So schnell sehen wir uns wieder, Mrs. de Scudéry! Und das ohne Anmeldung!“ hörte ich Haythams arrogante Stimme ertönen. Konzentrier dich... konzentrier dich!
Mein Verstand versuchte eine Verbindung zum Großmeister aufzubauen, denn ich hatte Angst, ernsthaft und laut zu denken. Etwas an meiner Ausdrucksweise schien ihn zu irritieren und er sah sich nach meinem Begleiter um. Es waren aber Achilles UND Liam... beide standen neben mir und hielten mich fest. Alleine stehen fiel mir schwer... es war wie ein Fiebertraum und ich schwankte von einer Seite zur anderen und sah alles aus einer anderen Perspektive... schwer zu erklären.
Haytham sah mich mit einem so unerträglich lüsternen Blick an. „Marie, ihr solltet euch setzen, ich habe Angst, ihr könntet in Ohnmacht fallen. Und das wollen wir doch nicht, oder?“ Diesen süffisanten Satz hätte er sich sparen können. Mein Mund formte die Wort ohne mein bewusstes Zutun: „Fick dich Haytham!“
Und ich hatte das Gefühl wieder in die Hölle ab zu tauchen... Nicht mehr diese glatte Wasseroberfläche... Steinformationen die sich öffneten, um mich zu verschlucken! Ich brauchte etwas, auf das ich meinen Fokus lenken konnte... und zwar schnell... suchend sah ich mich um... aber durch meine gespaltene Sichtweise, versuchte auch Marie, oder was auch immer, sich hier zu halten!
KONZENTRIER DICH! Ich versuchte mich an das ursprüngliche Arsenal zu erinnern. Jede Kleinigkeit... und ich rief mir den Waschtag ins Gedächtnis! Weiße Leinentücher die über der Leine hingen und im Wind trockneten! Das Gerede und Getratsche der anderen Frauen, die sich über ihre nichtsnutzigen Ehemänner ausließen!
Und ich konnte mich weiter befreien. Noch ein Stück und ich versuchte einen erneuten Anlauf Haytham um Hilfe zu bitten! „Master Kenway...“ die Worte kamen immer noch schleppend aus meinem Mund „...ich brauche jetzt eure Hilfe... ich muss... hier weg! Danach... könnt ihr mit dieser... Marie verfahren.... wie ihr wollt! Nur... HELFT MIR!“ flehte ich jetzt und mir brach der Schweiß aus und mir wurde übel! Meine Begleiter mussten mich fast auf das vor dem Kamin stehende Sofa tragen. Denn ich war zu nichts mehr in der Lage. Und wieder platzte dieses Weibsstück oder was auch immer in den Vordergrund. „Oh Haytham, du darfst natürlich mit mir machen was dir gerade beliebt, wie immer! Du weißt ja, mein unbrauchbarer Ehemann ist einfach eine Null!“ Ein fieses gehässiges Lachen drang aus meinem Mund... es war... schrecklich.
Aber der Großmeister schritt immer weiter zurück von seiner Affäre, nicht nur in Wirklichkeit auch vom Geist her, ging er auf Abstand. Ich sah es ihm förmlich an, dass er plötzlich zweifelte! „Marie, das mag ein nettes Angebot sein, aber ich glaube, da werden wir noch das ein oder andere Wort darüber verlieren!“ gekonnt professionell und akkurat sprach er diese Worte, so als wolle er einem Geisteskranken etwas erklären!
Dann hörte ich Achilles Stimme. „Master Kenway, wenn ihr dann jetzt die Güte hättet, endlich zu handeln. Wir müssen jetzt eine Lösung finden und Mrs. de Scudéry ihre gerechten Strafe aufzeigen, damit sie zur Vernunft kommt!“
Und dann ging alles so schnell, dass mein Verstand im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr hinterher kam! Ich hatte wie aus heiterem Himmel ein Messer in meiner rechten Hand und hechtete auf den Großmeister zu und zog mit einer schnellen festen Bewegung die Klinge über seine Kehle. Seine entsetzten grauen Augen erstarrten und Haytham sackte blutüberströmt vor mir auf die Knie. Arme packten mich von hinten und rissen mich herum, aber ich hatte immer noch das Messer in der Hand! Ein schneller Stoß und es landete in Achilles Brust, hastig zog ich es heraus und bekam Liam noch zupacken. Diesem rammte ich das Messer mit voller Wucht von unten in die Seite, so konnte ich sicher sein, dass ich die Niere getroffen hatte... Aber... das war nicht ICH! Das war MARIES Werk! …
Wie betäubt stand ich da und schaute auf die blutenden Männer hinab. Und ich hörte dieses fiese Lachen wieder über meine Lippen kommen...
Kapitel 142.1
Marie bemerkte zu spät, dass nicht alle um sie herum, plötzlich wehrlos waren. EINEN Templer hatte sie übersehen, ICH aber nicht!
Dieser schlich sich jetzt leise an sie heran... die Mörderin stand ahnungslos da und bestaunte ihr Werk und war sichtlich zufrieden, denn sie glaubte sich in Sicherheit. Doch dann griffen von hinten zwei Arme um sie, drehten ihr Arme schmerzhaft auf den Rücken. Ein unterdrückter Schmerzensschrei drang aus ihrer Kehle und ich fühlte mich plötzlich sicher! Denn durch diese Ablenkung schaffte mein Verstand es, sich wieder in den Vordergrund zu schieben! „Master Cormac... ihr kommt wie gerufen!!! Bitte... helft mir hier raus!!!“ flehte ich ihn unter Tränen an.
„Und wer spricht jetzt gerade mit mir? Wie kann ich sicher sein, dass das nicht wieder Marie oder sonstwas ist?“ Da hatte er nicht unrecht! Und ich musste eine plausible Erklärung finden! Nur... mir fiel keine ein!
„Master Cormac, ihr könnt natürlich nicht sicher sein und ich kann euch auch keine Garantie geben. Ihr … müsstet mir einfach... vertrauen...!“ Wieder spürte ich, wie diese de Scudéry sich ereifern wollte und mich überrennen wollte. Konnte sie nicht einfach mal ihr dämliches Mundwerk halten! Weiße Wäsche auf der Leine, tratschende Frauen!!! Und ich war wieder in einem kleinen Raum im Kopf und schützte mich. „Ich bitte euch... ich war das nicht und ich würde Master Kenway auch nie so etwas antun...“ und plötzlich liefen mir die Tränen über die Wange, denn ich sah auf meinen geliebten Templer hinunter und er war tot! Erst jetzt realisierte ich, dass diese blöde Kuh ihn auf ihrem Gewissen hatte. Aber in meiner aufsteigenden Wut konnte ich sie immer weiter zurück schieben!
Mit fester Stimme sagte ich zu dem Iren: „Glaubt mir, ich wäre dazu gar nicht in der Lage und ich kenne … kannte Master Kenway schon eine gefühlte Ewigkeit in meiner Zeit! Ich weiß, es ist nicht leicht das nachzuvollziehen, aber versucht es! …“ Ich musste wieder in mich gehen, dieses Miststück versuchte wieder meinen Verstand lahmzulegen! Tief durchatmen... Die Bilder der Waschfrauen... Die Sonne... der Geruch der Seife!
„Ich werde euch nicht einfach so gehen lassen, Miss. Das kann ich nicht, aber ich mache euch einen Vorschlag. Ich werde euch Hände und Füße fesseln MÜSSEN. Nur zu meiner Sicherheit und dann werden wir versuchen, einen Weg für euch zu finden. Habt ihr das verstanden?“ wollte Shay jetzt etwas versöhnlicher wissen! Dabei zog er mich auf die Beine und schob mich auf einen der Stühle die vor dem großen Schreibtisch standen zu und hieß mich hinzusetzen!
„Tut das, was ihr für richtig haltet...“ durchatmen... konzentrieren! So langsam wichen meine Kräfte und der Schwindel kehrte wieder zurück! Ich schloss die Augen und versuchte einen Punkt zu finden, an den sich meine Gedanken klammern konnten. Bereitwillig ließ ich meine Hände und Füße an den Stuhl binden, ich sah wie auf mich herab oder besser ich sah von oben auf Marie herab! Also hatte ich mich jetzt weit genug abgeschottet? Konnte sie mir nicht mehr zu nahe kommen?
Shay meldete sich nach getaner Arbeit wieder. „Miss, wer seid ihr?“ sein fragender Blick ruhte aufmerksam auf mir. Langsam versuchte ich die Worte zu formulieren.
„Mein Name ist Alexandra Frederickson, Master Cormac. Und ich... brauche das Amulett von... Master Kenway... welches er immer bei... sich trägt!“ Und als hätte ich eine Ohrfeige bekommen, schlug mein Kopf zurück und de Scudéry erschien!
„Hört nicht auf sie! SIE war es, die MIR befohlen hat, euch alle auszulöschen! Ich bin unschuldig!“ schrie diese Stimme plötzlich!
„Wenn ihr Recht habt, dann kann ich ja jetzt einen Versuch wagen, euch von dieser Mrs. Frederickson zu befreien, was meint ihr?“ Und Shay umfing meinen oder besser Maries immer noch schmerzenden Kiefer eisern mit seiner Hand und drückte zu, während er mich musterte. Der Adlerblick!!! Wenn er sehen könnte, wie sich die Auren verändern, während ich spreche, DAS wäre meine Rettung und der Ire hätte Klarheit!
Noch einmal nahm ich all meine Reserven auf und fokussierte meine Bilder im Kopf! Waschtröge... Wind... weißes Leinen... ein Bett, welches ich im Begriff war zu beziehen. Doch das war in der anderen Welt, aber ich konzentrierte mich genau darauf und konnte so in meinem kleinen Raum bleiben und hoffte, dass meine Aura entsprechend zu erkenne war. Der Blick von Cormac verriet mir, dass er jetzt den Unterschied kannte! Meine Aura unterschied sich also von der Maries oder der des Wesens!
Er ließ mein Gesicht los und ging langsam hinüber zu Haythams Leichnam. Ich konnte es nicht ertragen und wollte wegsehen, aber SIE ließ mich nicht. SIE sah zu und genoss es regelrecht. Ich konnte ihre Gefühle spüren. Diese Frau, war es wirklich Marie oder doch diese Vieh, war krank, einfach nur krank. Hätte ich das nur eher gewusst!
Langsam kam Shay zurück und hielt das blutverschmierte Amulett vor meine Augen. Mit einem Ruck meines Kopfes deutete ich auf die kleine Tasche an meinem Kleid. Obwohl das nicht nötig war, denn beide Gegenstände agierten wieder miteinander und strahlten. Heller als beim letzten Mal!
Kapitel 143.1
Der Templer sah mir fest in die Augen und ich sah den Schleier über seinen Augen liegen. Aber... was denn jetzt? Ich hatte gehofft, dass, wenn man beides in der Hand hat, dass ich dann einfach wieder... verschwinde? Doch es tat sich nichts.
Und wieder konnte ich die Gefühle von Marie spüren. Sie untergrub es, wie auch immer sie das machte. „Mrs. Frederickson, es funktioniert nicht! Was machen wir jetzt?“
Ich konnte diese intrigante Person förmlich gehässig Lachen hören! „Master Cormac, Schätzchen, ihr seid sogar für so eine einfache Aufgabe zu unfähig. Man hätte euch damals nur einfach verrecken lassen sollen. Damit wäre allen am besten geholfen gewesen! Das hat man jetzt davon, einen Mann der zu nichts zu gebrauchen ist!“ kamen abfällige, selbstgefällige Worte aus meinem, Maries Mund! Und ich sah, wie Shays Wut hochkochte, er sich aber versuchte zu beruhigen. Haytham hatte ihm diese Techniken zur Kontrolle der Emotionen sicherlich beigebracht. Denn auch ER beherrschte es perfekt!
„Hört … nicht … auf … sie!“ Ich hatte das Gefühl, als zerspringe der Körper gleich, als würde sich alles in einer großen Explosion auflösen! Und es fiel mir siedendheiß ein, nicht nur die Artefakte mussten zusammen sein, sondern auch mein Geist musste gelöst sein! Denn... damals war ich einer gewissen Hochstimmung und freute mich...
Doch jetzt fiel es mir verständlicher Weise schwer. Ich sah Haytham am Boden liegen, Achilles lag daneben, ebenfalls mit Blut überall und Liam... er hatte noch eine Weile gekämpft, aber... die Wunde war zu tief und er hatte keine Chance! Ich musste ein Gefühl von Leichtigkeit erzeugen, etwas, dass meinen Geist beruhigte. Meinen Verstand wieder in die richtige Bahn lenken würde!
Langsam... ganz langsam fing ich mit der Wäsche an und arbeitete mich weiter über die Arbeitstage, über den Morgen, an dem ich den Großmeister unpässlich vorfand. Bis hin zu unserer ersten gemeinsamen Nacht. Und DAS war der Wendepunkt und meine Gedanken manifestierten diesen Moment! Auch wenn es sich gerade unpassend anhören mag, aber genau DAS war es, was mein Verstand brauchte und ich trat wie vorhin schon einmal, aus meinem Körper und sah von der Vogelperspektive hinunter aufs Geschehen.
Als würde Shay eine Ahnung haben, sah er leicht nach oben über Maries Körper und nahm ihre Aura wahr. Auch ich konnte diese rötliche Färbung wahrnehmen. Der Ire nahm beide Artefakte in die Hände und führte sie zusammen und es sah fast so aus, als würde er beten. Denn in dieser Stellung hielt er die Hände und es blendete ihn förmlich. Das gleißende Licht tat in den Augen weh...
Ein seltsames Vibrieren war zu spüren, aber es ging nicht von den Artefakten aus, sondern... es kam vom Boden! Das Beben setzte wieder ein und meine Gedanken kreisten darum, wieder zurück zu meinem lebenden Templer zu gelangen!
Doch ich musste noch ein letztes Mal dem Iren sagen, dass er dieses Frauenzimmer ein für alle mal beseitigen musste. Sie durfte nicht weiter existieren, denn das durfte ich nicht zulassen! Auf keinen Fall! „Shay, bitte... sie, es muss bestraft werden! Versprecht mir das!“ … ich war kurz zurück und sah ihm in seine dunklen braunen Augen.
„Ich verspreche es... und jetzt... GEHT!“ Es war keine Aggression oder ähnliches in der Stimme, er beschwor mich lediglich, dass ich jetzt aus diesem Körper verschwinden sollte. Denn erst jetzt bemerkte ich, dass er seinen Dolch bereits gezogen hatte und ihn an Maries Kehle hielt. Die Artefakte hielt er umklammert mit der anderen Hand!
„Eure Entscheidung war richtig damals! Ihr solltet euch nicht schuldig fühlen, die Bruderschaft verlassen zu haben! Und ein Verräter seid ihr definitiv nicht!“ Mehr ging nicht... ich konnte mich nicht mehr konzentrieren!
Ich versuchte ein Lächeln, aber mir stiegen nur wieder die Tränen in die Augen, denn aus den Augenwinkeln sah ich wieder meinen geliebten Templer tot am Boden liegen. Gleichzeitig sprach ich im Stillen tausende von Flüche über dieser Frau aus!
Dann ließ ich los und glitt auf diesen Strahlen Wortwörtlich dahin... Dieses Leuchten umgab mich und ich hörte noch, wie der Templer sagte: „Ihr seid die Erste, die mir so etwas sagt! Ich danke euch!“ Und damit... verschwand dieser ANDERE Shay aus meinem Blick...
Langsam erloschen diese Lichtblitze und Strahlen... langsam senkte sich ein normales Licht über mich! Vorsichtig versuchte ich die Augen zu öffnen...
„Gott sei Dank, Alex...du bist wieder bei mir!“ hörte ich die vertraute dunkle aber auch erleichterte Stimme MEINES Templers und sah in seine besorgten grauen Augen!
Kapitel 144.1
Erst nach und nach realisierte ich wo ich war. Ich lag in einem Bett und über mir war ein samtener Baldachin. Durch die Vorhänge drängten sich leichte Sonnenstrahlen und ich fühlte mich plötzlich wie zuhause!
In einem Moment der totalen Erleichterung fiel ich Haytham einfach um den Hals und fing an zu heulen, wie ein Schlosshund! Er lebte, er war nicht tot! Ich tastete über seine Wangen, sein Haar... schob ihn hin und her … ich unterzog meinen Großmeister einer regelrechten Inspektion. Dieser machte daraufhin ein belustigtes Gesicht, denn er wusste ja nicht, WARUM ich das tat!
„Haytham, du lebst! Bei Odin... ich... Was ist denn passiert?“ fragte ich, obwohl ich ja die Antwort schon kannte!
„Du bist einfach so umgefallen, so als hättest du einen Schlag auf den Kopf bekommen. Wir haben uns alle Sorgen gemacht, denn du warst 4 Tage bewusstlos und niemand konnte sagen, was denn passiert war oder passieren wird. Und in der ganzen Zeit hast du seltsame Dinge gesprochen... Es … es war unheimlich. So als seist du nicht DU sondern jemand anderes!“ Immer noch besorgt schaute mein Templer auf mich herunter und hielt jetzt meine Hände fest und drückte sie. „Aber Moment mal, wieso sollte ich tot sein? Was hast du gesehen?“
Sollte ich darauf eingehen? Ich würde es sicher später erklären, aber jetzt waren andere Dinge wichtiger! „In dieser anderen Welt, hat man dich... ich... ich kann das nicht erzählen! Bitte! Haytham, dieser Besucher... ist er noch einmal hier gewesen?“ ich musste es einfach wissen, denn das war das erste, was mir jetzt wieder schlagartig einfiel.
„Dieser seltsame Mann? Er wollte nur wissen, ob dieses Haus käuflich zu erwerben wäre und wer der Eigentümer sei. Als er dich sah, drehte er sich nur um und summte vor sich hin. Aber er ist seitdem nicht wieder hier gewesen! Warum fragst du das gerade jetzt?“ Fragend sah mich der Großmeister an.
„Es... das war mein Ex-Verlobter, es war Marius! Und er hat mit Hilfe eines weiteren Artefaktes eine Parallelwelt geschaffen, in die ich hineingezogen wurde. Haytham, es war wie in einem Albtraum!“ ich konnte meine Tränen nicht mehr bremsen und lehnte mich an ihn...
Ich war wieder zurück und es war anscheinend die Welt, die ich auch verlassen hatte. Und dann schoss mir noch etwas durch den Kopf! „Mein Sohn! Was ist mit Yannick? Wo ist er? Wie geht es ihm?“ So schnell konnte mein Templer nicht reagieren, so schnell hatte ich meine Beine aus dem Bett geschwungen! Aber... wie schon einmal zuvor... keine gute Idee... ich stand nur kurz und mir wurde wieder schwarz vor Augen!
„Alex, es ist alles in Ordnung mit Yannick, er ist wohlauf, aber du noch nicht. Und jetzt bleib gefälligst im Bett! Ich lasse Faith jetzt noch einmal rufen, damit sie dich untersuchen kann! Ich will dich wieder gesund wissen!“ Das kam dann doch in einem Befehlston rüber, aber... das machte mir nichts. Ich lächelte ihn nur an und ließ mich wieder in die Kissen sinken.
Erstaunt, dass ich nicht protestierte, sah mich Kenway an und grinste breit. „Na, da hat jemand wohl nicht mehr so eine lose Zunge?“ Mit diesen Worten bekam ich einen zärtlichen Kuss auf meine leider sehr spröden Lippen und ein Aua kam über die selbigen.
„Gibst du mir bitte etwas zu trinken, Haytham? Ich glaube, ich verdurste.“
Für diesem triumphierenden Ausdruck in seinem Gesicht hätte ich ihm am liebsten eine gelangt, aber... liebevoll! „Ach... aber denk daran. Nur kleine Schlucke, nicht das dir noch schlecht wird und... Bettruhe.“
„Aber sicher doch, Master Kenway, wie ihr wünscht. Ich werde das Bett hüten, solange wie IHR es für richtig haltet!“ bei meinem breiten Grinsen sprangen meine Lippen auf und ich bereute es sofort. Aber das war es wert gewesen. Denn mein Großmeister räusperte sich nur und stieß ein tiefes wohliges Seufzen aus.
„Darüber reden wir dann noch, Mrs. Frederickson!“ und ein Zwinkern folgte. Damit verließ er das Schlafzimmer und ging nach unten. Kurz darauf erschien freudestrahlend Mrs. Wallace!
„Ohhhhh, Alex. Ich bin sooo froh, dass ihr wieder wach seid. Es war so unheimlich, als ihr nicht ihr selbst ward.“ Gedankenverloren machte sie das Zeichen gegen das Böse und bekreuzigte sich! Ich konnte von Glück reden, dass man keinen Exorzisten gerufen hatte. Wer weiß, was sonst mit mir angestellt worden wäre.
Aber Sybill half mir auf und gemeinsam gingen wir ins Ankleidezimmer. Sie half mir mit dem Waschen und auch in frische Sachen. Ich hatte entschieden, dass ich nicht mehr im Bett bleiben wollte. Also tippte ich auf mein einfaches blaues Wollkleid.
Plötzlich sah Mrs. Wallace an mir herunter und blieb mit ihren Augen auf Bauchhöhe hängen. Ungläubig sah sie mich an und wieder hinunter. Auch mein Blick wanderte in diese Richtung. Und mir wurde schlecht...
Dort prangte eine Tätowierung in Form eines Sonnensymbols neben meinem Bauchnabel!
Kapitel 145.1
Ich musste mich setzen. Also ließ ich mich kurzerhand auf das Rollbett fallen und umfasste dieses Symbol. Wie kam es hierher? Waren diese beiden Welten verbunden? War ich immer noch mit Marie vereint? In mir stieg die Angst auf und ich fing an zu zittern. Mrs. Wallace handelte instinktiv und zog mich hoch und fing an, mich schnell einzukleiden, aus Angst, ich könnte frieren. Ich ließ es einfach geschehen, denn ich war plötzlich handlungsunfähig. Die Angst, dass mein Geist nicht alleine in diesem Körper war, breitete sich wie ein Schwelbrand aus!
„Alex, was ist das? Wo habt ihr … dieses Zeichen plötzlich her?“ mit langsamen Schritten begleitete mich Sybill wieder ins Schlafzimmer und ließ mich dann auf dem Bett sitzend zurück. In einer Geschwindigkeit, die ich ihr für ihr Alter gar nicht zugetraut hätte, eilte sie nach unten und ich hörte sie nach Haytham rufen.
„Master Kenway! MASTER KENWAY! Wo seid ihr denn?“ Stimmengemurmel drang an mein Ohr. Aber ich nahm es nur halb wahr. Denn ich bekam es mit der Angst zu tun.
„Alex, sieh mich an! ALEX!“ hörte ich Haythams Befehlston neben mir und sah verwirrt auf. Wie lange hatte er denn schon auf mich eingeredet? „Was ist denn passiert? Mrs. Wallace hat nur etwas von einer Tätowierung geredet. Wo ist sie und WAS ist es?“ wollte er nur immer noch in einem harschen Ton von mir wissen.
„Es … ist ein Sonnensymbol. Mit Hilfe eines Artefaktes in dieser Form und deinem Amulett konnte ich wieder hierher zurück!“ Ich sah in seine grauen Augen und es stahl sich Besorgnis hinein. „Dieser andere Haytham, das... warst zwar du, oder auch nicht? Aber... ein anderer halt...!“ Ich hörte mich an, als wäre ich nicht mehr ganz richtig im Kopf! Hinter dem Großmeister erschien Faith und sah ebenfalls besorgt auf mich hinunter.
Alle Augen waren in großer Erwartung auf mich gerichtet. Langsam fing ich mich wieder und begann zu erzählen. Dieser Moment, in dem ich hier oder eben auch nicht HIER wieder zu mir kam. Dass ich überhaupt keine Orientierung hatte. Und diese Erkenntnis, dass ich oder eben diese Marie, mit dem Chevalier verheiratet war oder ist oder was auch immer! Haythams Blick wurde hart und seine Frage war auf der einen Seite berechtigt, aber... auf der anderen wiederum nicht! „Du hast mit diesem Mann das Bett geteilt???“ dieser scharfe Unterton war unnötig. „Nein, das hab ich nicht. Wenn du mich jetzt bitte ausreden lässt, erkläre ich es?“ gab ich pampig zurück. Dann mal weiter im Text und das schnell, denn ich hatte den Eindruck als würden die Erinnerungen allmählich verblassen und langsam verschwinden.
Ich kam zu den Einbrüchen der Templer und der doch sehr unschönen Szene auf der Treppe. Mrs. Wallace und Miss Cormac brachten nur einen leisen erschrockenen Ausruf zustande, während der Großmeister mit geballten Fäusten neben mir saß und den Eindruck machte, er würde sofort einen Mord begehen! „Was bitte ist in die beiden gefahren, ich verstehe das nicht!“ Ich sah meinen Templer fragend an. „Haytham, es ist eine andere Welt gewesen. Vielleicht... vielleicht gibt es parallelen hierher oder eben Verhaltensweisen die ähnlich sind. Und du weißt, was Charles getan hätte, wärst du mir damals nicht zur Hilfe gekommen!“
Ein tiefer Seufzer und er nahm meine Hand und drückte sie. „Und was geschah sonst noch?“ fragte er mit leicht zusammen gebissenen Zähnen.
Also kam ich zu den ersten seltsamen Dingen, die mich erst an meinem Verstand haben zweifeln lassen. Aber ebenso musste ich meine Gedanken bezüglich des Verhaltens des Chevaliers kundtun. Mein Eindruck, dass er auch nur ein Mensch ist und sich in seinem Inneren durchaus auch einige Konflikte abspielten, kam aber anders rüber, als gedacht. Faith schnaubte nur. „Dieser Mensch hat kein Benehmen, keine Gefühle. So wie er seine Mitmenschen behandelt, kann das gar nicht sein!“ Unrecht hatte sie ja nicht, aber ich erinnerte die Umstehenden daran, dass er seiner Familie gegenüber dann doch anders sei. „Das kann er ja auch gerne, aber es hört sich nach Heuchelei an und nicht nach ernsthafter Liebe und Zuneigung!“ kam es wieder von Miss Cormac.
„Wie auch immer, es kam langsam aber stetig, dass ich das Gefühl hatte, nicht ICH spräche sondern jemand anderes.“ Und somit kam ich zu diesem ganzen Theater, in dem ich herausfand, WIE ich zurück kommen konnte. Als ich versuchte Haytham zu erklären, dass es für mich schwer war, ihn mit anderen Augen sehen zu müssen, sah dieser mich an, als hätte ich ihm gerade den Todesstoß versetzt! Ich meinte es doch nicht böse, aber ich musste es doch erklären, oder? „Haytham, es tut mir leid. Aber was hätte ich denn tun sollen? Du schienst halt auch nicht unbedingt der zu sein, der du hier bist. Auch wenn du genauso aussahst... und DAS war schwer für mich, denn ich habe dich vermisst.“ wurde ich immer leiser zum Schluss.
Dann berichtete ich von diesem Kind, welches Marie unterm Herzen trug und dass es wieder ein sehr sehr merkwürdiger Gedanke war, denn ich konnte es ja ebenso fühlen! „Es war ein sehr eigenartiges Gefühl für mich. Denn es war ja nicht ICH, die ein Kind erwartete, aber es fühlte sich so an und für einen Moment hatte ich den Wunsch, dass...“ ich unterbrach mich selber, denn... nein, das würde ich bestimmt nicht allen Anwesenden im Raum erzählen, dass ich den Wunsch nach einem Kind wieder in mir hatte! Aber mal wieder hatte ich mit dem Verstand des Großmeisters nicht gerechnet. Ein leises Lächeln erschien auf seinen Lippen und ich bekam einen vorsichtigen Kuss, welcher mir zeigte, er hat mich verstanden. Etwas erleichtert konnte ich nun weiter erzählen.
Die Begegnung mit diesem Wesen in dem Turm war allerdings nicht so leicht zu beschreiben wie gedacht. Ich tat mein bestes und ich hörte plötzlich ein leises Schluchzen aus Richtung Sybill. Als ich aufsah, wischte sie sich verstohlen eine Träne aus dem Auge. Ich versuchte ein aufmunterndes Lächeln und sie straffte wieder die Schultern und sah voller Erwartung zu mir. Also erzählte ich weiter.
Diese nächsten Momente, die ich zu erzählen hatte, waren alles andere als angenehm.
Kapitel 146.1
Den Teil, in dem ich Charles und Thomas umbrachte, fasste ich nur in kurze knappe Worte, denn es war erledigt und ich hatte eine gewisse Befriedigung davon gehabt. Meine, oder besser Maries, Diskussion mit dem Großmeister über die Notwendigkeit einer Bestrafung und Selbstjustiz, hielt ich auch eher kurz. Denn ich ging davon aus, dass ich diese hier nicht führen muss. „Dann hast du deine Rache ja doch noch gehabt!“ kam es knapp und bissig von Kenway! „Die hatte ich, ja und es tat gut!“ waren meine kurzen Worte zurück!
Als ich zum Buch und der Schatulle kam, war es Haytham der einen zischenden Laut von sich gab. „Du hast das Manuskript gesehen und darin gelesen?“ etwas ungläubig klang das jetzt schon.
„Ja, das habe ich. Und es war so gut wie nichts zu verstehen. Aber ich erkannte einige Dinge, die nur ICH kennen kann!“ Noch rechtzeitig, weil ich an Mrs. Wallace dachte, riss ich mich zusammen. „Ah, ich verstehe!“ war das einzige, was Haytham sagte.
So kam ich nun zu dem Punkt, an dem ich wieder einmal dem Chevalier Bericht erstatten wollte und sich diese de Scudéry immer weiter in den Vordergrund schob. Während ich das Ganze erzählte, konnte ich spüren, wie sich mein Körper anspannte und etwas in mir versuchte, sich Platz zu schaffen. Und mit voller Wucht wurde mir bewusst, dass SIE mir gefolgt ist. Ihr Geist hatte sich an mich geheftet und mit einem Mal kam diese Angst wieder durch.
„Alex... ALEX!“ jemand schüttelte mich! Als mein Blick wieder klarer wurde, sah ich in die Augen meines Templers, der vor mir kniete und meine Schultern hielt! „Verdammt, du machst mir Angst. Wo warst du gerade? Es war wie in den vergangenen Tagen plötzlich, so als wenn nicht DU dort drinnen wärst.“ er deutete auf meinen Kopf. „Das... war ich auch nicht!“ stammelte ich nur und sah ihn hilfesuchend an.
Ich musste mich wieder konzentrieren, ich musste diesen Eindringling verdrängen! Die Bilder des Waschtags? Aber aus irgend einem Grund funktionierte das nicht mehr... Also tat ich, was ich am besten konnte. Ich sah einfach zum Großmeister und konzentrierte mich auf ihn. Ich schüttelte nur langsam meinen Kopf und hoffte, er verstand was ich von ihm wollte. Haytham sagte nichts, sondern nahm meine Hände und legte sie auf seine Brust. Ich sah in seine Augen und konnte seinen Herzschlag spüren und meine Konzentration half tatsächlich. Mein Verstand agierte wieder alleine und ich erzählte konzentriert und langsam weiter.
„Also ging ich wieder zu dir und bat dich um Hilfe, doch … dieses Weibsstück hatte andere Pläne!“ ich musste schlucken, denn... ich musste ihm erzählen, dass ich ihn umgebracht habe. Dass MARIE ihn umgebracht hat. Die Worte sprudelten aus mir heraus, denn ich wollte es schnell hinter mich bringen! Und als dieser Wasserfall verebbte und ich an der Stelle ankam, in der ich hier wieder erwachte, hörte ich wieder ein Schluchzen, aber dieses Mal kam es von Faith.
Ich sah zu ihr hinüber und sie starrte mich mit Tränen in Augen an und ich hatte das Gefühl, ich müsste es explizit noch einmal betonen, dass nicht ICH das war. „Glaubt mir, ICH wäre dazu nicht in der Lage. Ich würde so etwas nicht tun!“ ich flehte die Umstehenden förmlich an, mir zu glauben. „Ich glaube euch, Mrs. Frederickson, dennoch fällt es schwer zu glauben, dass... irgendjemand so etwas tun würde... ich würde keine Sekunde ruhen, bis ich diesen Bastard erwischt hätte!“ Dieses Gefühl teilte ich mit ihr!
„Welchen Bastard will jemand umbringen?“ kam es von der Türschwelle und ich sah meinen Sohn dort stehen. Naja, etwas schräg stehend und gestützt von Shay, aber er stand dort! Überglücklich stand ich auf und schob grob alle anderen beiseite und stürmte Yannick regelrecht in die Arme.
„Oh Schatz, du bist auf den Beinen? Geht es dir gut? Hast du Schmerzen? Hast du auch genug zu Essen bekommen und...“ der Muttermodus aktivert sich immer von ganz alleine, erwähnte ich das schon mal?!
„Mum... Mutter...“ prüfender Seitenblick zu Haytham „Ja, ich habe genau die Anweisungen befolgt. Denn als ich erfuhr, dass du bewusstlos hier liegst, wollte ich schneller wieder gesund werden. Du hast mir einen Schrecken eingejagt, nicht nur mir.“ Er blickte in die mittlerweile doch sehr illustre Runde im Schlafzimmer des Großmeisters. Erleichtert legte ich einfach meine Stirn an seine Brust und war froh, dass es meinem Sprössling wieder besser ging.
„Du kannst dir nicht vorstellen, was ich erlebt habe...“ und dann hörte ich ohne Vorwarnung Worte aus meinem Mund kommen, die nicht meine eigenen waren!
„Ahhhhhhhhhh... das ist also das Prachtstück, auf welches so geachtet wird! Wir werden ja sehen, wer den längeren Atem hat!“
Kapitel 147.1
In meinem Kopf schien etwas zu explodieren und ich sank auf meine Knie und hielt mir den Kopf. Was war das denn jetzt? Woher zum Teufel kommt sie so plötzlich!
Haytham hob mich hob und brachte mich wieder zum Bett. Benommen lag ich da und hatte das Gefühl, als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen! Schwer atmend, sah ich zu meinem Templer auf und ich konnte ihn nur anflehen. „Haytham, hilf mir. Dieses Frauenzimmer steckt immer noch in meinem Kopf. Aber jetzt bin ich in meinem eigenen Körper, sie soll verschwinden! HILF MIR!“ Etwas zusammenhanglos schossen die Worte aus mir heraus. Ich hatte wieder Angst, sie würde mir dazwischen funken.
„Wir werden dir helfen, wir werden es versuchen. Aber... ich weiß gar nicht, wo ich anfangen sollte...“ diese Worte klangen verzweifelt und ich sah, wie Haytham sich hilfesuchend umsah.
Und wie aus einem Mund, hörte ich sie alle sagen: „Wir werden eine Lösung finden. Versprochen!“
„Ihr glaubt, ihr könnt mich einfach so loswerden? Ja? Glaubt ihr das wirklich? Ihr seid so naiv und dämlich... ihr könnt nichts, aber auch gar nichts gegen mich unternehmen....“ mein Körper bewegte sich von alleine und die Hände schlangen sich um den Hals des Großmeisters und drückten zu! Und was tat ich? Nichts... ich war wie gelähmt und konnte im wahrsten Sinne des Wortes nur zusehen.
Und dann ging alles ganz schnell. Wie in einem schlechten Film, waren meine Hände und Beine fixiert und ich konnte mich nicht mehr rühren. Mir kam wieder der Gedanke an den Film der Exorzist. Aber es würde genau DARAUF hinauslaufen. Ich musste diese Person aus meinem Kopf bekommen. Als Marie spürte, dass sie nun nur noch ihre Worte hatte, zog sie sich zurück und ließ mich in Ruhe. Für wie lange?
„Verdammt noch eins, was war denn das schon wieder? Alex, bist du da? Sag doch was!“ besorgt und mit kratziger Stimme beugte sich Haytham über mich und tätschelte meine Wange, so als wolle er mich wecken. „Ja, jaaaaa... ich bin da. Ich war die ganze Zeit da, aber... nicht in meinem Körper. Ich... es ist schrecklich. Ich habe Angst, dass ich jetzt diese Frau nicht mehr unter Kontrolle halten kann.“ Mir stiegen die Tränen in die Augen und ich musste mich arg zusammenreißen um nicht ein lautes frustriertes Stöhnen los zulassen.
„Dann müssen wir schleunigst nach einer Lösung suchen! Hast du eine Ahnung, wo wir anfangen können, Alex? Sei es auch noch so ein kleines Detail...“ kam es von meinem Templer.
„Hat dir mein Ex irgend etwas zugesteckt? … oder … hat er vielleicht etwas liegen lassen?“ Die Worte kamen wieder schleppend über meine Lippen, denn ich konnte sie doch wieder spüren! Es war wie eine Welle die näher kommt. Konzentriere dich auf DICH... denk an Haytham... stell dir seine Augen vor!
Er sah mich an und überlegte. „Das einzige, woran ich mich jetzt noch erinnere, ist, dass er einen Zettel mit seiner angeblichen Anschrift, wo ich ihn antreffen könnte, zurück gelassen hat!“ Wir beide sahen uns einfach nur an und dachten das Gleiche! Wäre Marius wirklich so dumm und lässt eine Adresse zurück oder ist es eine Falle? Bei Odin, ich wurde so langsam auch schon paranoid.
„Ich werde mit Shay nach der Unterkunft suchen, wo dein … ehemaliger Verlobter sich angeblich aufhält.“ Ich konnte spüren, wie er diese Worte sehr widerwillig sagte, war er tatsächlich auf mein altes Leben und diesen Menschen eifersüchtig?
Die ganze Situation drohte immer weiter ins Absurde ab zu driften und ich konnte nur noch versuchen, alles wieder gerade zu rücken und … ja, wieder in meine Zeit zu reisen!
„Lasst mich mitgehen! Ich kann hier nicht tatenlos herumliegen oder herumsitzen! Ich muss etwas tun, ich werde sonst noch wahnsinnig, BITTE! Lass mich nicht hier alleine!“ ich klang vermutlich wie ein kleines Kind und ich fühlte die Tränen die mir die Wangen herunter liefen. Aber ich konnte nicht dagegen kämpfen. In seiner Verzweiflung tat Haytham allerdings genau das Gegenteil von dem, was ich gerne wollte. Er meinte es nur gut und wollte mich schützen.
„Nein, Alex, du wirst hierbleiben und dich weiter erholen. Und du wirst versuchen, diese... wie hieß sie noch? Achja, Marie im Zaum zu halten.“ Seine Augen hatten diesen beruhigenden Glanz plötzlich und sahen mich voller Zuneigung an. Ich setzte mich auf und instinktiv nahm ich sein Gesicht in meine Hände und versuchte mir diesen Ausdruck einzuprägen! Als ich der Meinung war, ich könnte es nicht mehr vergessen zog ich ihn vorsichtig zu mir und küsste ihn etwas stürmischer, als es sich für ein unverheiratetes Paar in der Öffentlichkeit geziemte! „Danke für diesen Moment, Haytham. Damit kann ich an meiner Konzentration arbeiten!“ Ich strich ihm zur Bestätigung noch einmal über die Wangen. Er war tatsächlich rot geworden!
Ein einheitliches Geräusper der anderen Anwesenden zeigte, dass es jetzt genug sei. Der Großmeister räusperte sich verlegen und überließ nun Faith das Revier, dass sie sich um mich kümmerte.
Kapitel 148.1
Sie ließ sich nicht zweimal bitten und mit einer bestimmenden Handbewegung verwies sie alle des Schlafzimmers.
Als wir alleine waren, setzte sie sich aber einfach nur neben mich und nahm meine Hand in ihre. „Alex, ich frage das jetzt nur einmal, ihr müsst mir nicht antworten. Aber wenn ihr es tut, dann seid ehrlich! Hat man euch in der anderen Welt … also, hat man euch vergewaltigt oder euch anders Gewalt angetan?“ Ich sah in ihre forschenden Augen und überlegte kurz. Aber ich wusste, dass ich ehrlich antworten konnte. Denn NIEMAND hatte MIR etwas angetan. Nicht so lange ich in dem Körper von Marie war. Was vorher war, betraf mich ja eigentlich nicht!
„Nein, mir ist nichts passiert. Aber diese Tätowierung ist wie eine Brandmarke, ich kann mir das nicht erklären. Als ich noch in Maries Körper steckte, da konnte ich das ja noch damit erklären, dass dieses Wesen diese Markierung hinterlassen hat. Aber jetzt?“ Es war plötzlich eigenartig, ich konnte ohne mich großartig konzentrieren zu müssen, frei reden. Ich spürte auch keine Präsenz von de Scudéry. Eigenartig! Schoss es mir durch den Kopf.
Aber Miss Cormac ließ es sich nicht nehmen, mich einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen. Sie stellte mir Fragen, auch völlig belanglose und banale. „Wie viele Finger seht ihr!“ Zum Beispiel. Leicht irritiert zwischendurch, weil ich nur dachte: „Du meine Güte, ich bin doch nicht dumm!“ Ich ließ es über mich ergehen.
Als Faith sich aufmachen wollte um zu gehen, hielt ich sie zurück, denn irgendwie hatte ich plötzlich Angst, mit mir alleine zu sein. WAS wenn diese blöde Kuh Marie wieder auftaucht und mich Dinge tun lässt, die ich nicht will und auch nicht beeinflussen kann? „Miss Cormac, versteht mich nicht falsch, aber... ich habe Angst alleine.“ Verblüfft sah sie mich an.
„Warum das? Euch geht es gerade gut und... ihr seid ja nicht alleine. Yannick ist im Hause und Mrs. Wallace. Und ich denke, dass auch Master Kenway nicht weit weg ist!“ sie bedachte mich dabei mit einem wissenden grinsenden Ausdruck.
Also sprach ich aus, was ich dachte, denn... irgend jemandem musste ich es ja sagen. „Miss Cormac, es mag sich unfair anhören. Aber... ich befürchte, dass eben Master Kenway diese Marie in mir herauf beschwört. Sie scheint etwas von ihm zu wollen, aber ich weiß nicht was! Ich weiß... es klingt völlig absurd, aber... ich kann es nicht erklären. Seit ich mit euch hier alleine bin, habe ich seltsamer Weise diese Frau nicht gespürt. So als wäre sie mit allen aus diesem Zimmer gegangen!“
„Mrs. Frederickson, das klingt tatsächlich etwas abwegig. Eigentlich ist die ganze Geschichte etwas absurd. Aber ich bin die letzte die diese Dinge NICHT versteht. Auch ich habe ähnliches erlebt. Das ist eine lange Geschichte und ich werde sie euch bei Zeiten sicher auch erzählen, oder ihr fragt einfach meinen großen Bruder danach!“ Sie zwinkerte mir zu. „Dann wäre es besser, dass Haytham also nicht in eurer Nähe ist? Ist es das, wovor ihr euch fürchtet? Obwohl ihr ihn um euch haben wollt?“ Ja, diese Frau hatte es drauf. Wie alle Frauen... das FBI wäre wirklich neidisch!
„Genau das ist es. Mit ihm geht es nicht, aber ohne ist es, als würde ich eingehen wie eine vertrocknete Pflanze! Bei Odin, es klingt völlig dumm!“ Ich schlug meine Hände vors Gesicht und seufzte tief. Und dann fiel mir etwas ein. „Faith, könntet ihr dezent versuchen, Haythams Taschen zu durchsuchen? Es klingt vielleicht albern, aber … es könnte doch sein, dass... er dieses Symbol... bei sich trägt. Weswegen diese Marie auch stärker ist, wenn ER anwesend ist? Es ist nur eine Idee... aber...!“ Mehr musste ich nicht sagen.
„Nein, ihr habt recht Alex! Das wäre eine Erklärung. Und ich werde Master Kenway deswegen einfach fragen. Dafür wird er sicher Verständnis haben! Ich werde ihn nicht heimlich bestehlen müssen!“ ein Schmunzeln ging über ihr Gesicht!
Erleichtert, dass ich mit meinem seltsamen Gedankengang nicht alleine war, stand ich auf und umarmte Faith. Erstaunt sah sie mich an. „Wofür war das?“
„Einfach so!“ Denn...ich war ihr eigentlich auch noch eine Entschuldigung schuldig. „Und ich muss mich noch bei euch für meine Lüge entschuldigen! Ich konnte aber damals nicht anders. Ihr erinnert euch? Das Gespräch im Arbeitszimmer mit dem Großmeister?“
„Ahhh... das meint ihr? Mir war schon klar, dass ihr nicht ganz ehrlich zu mir wart, aber... brauchen wir nicht alle auch mal eine Notlüge?“ Solidarisch bekam ich einfach eine Umarmung zurück und ich dankte ihr einfach dafür. Meine Nerven waren so dermaßen überspannt, dass mich ALLES zum heulen brachte. Ich brauchte endlich wieder Ruhe und Alltag.
Kapitel 149.1
Als Miss Cormac gegangen war, saß ich eine Weile gedankenverloren auf dem Bett. Was sollte ich jetzt tun? Meinem Kreislauf ging es besser und ich hatte irgendwie Appetit auf irgend etwas! Also verließ ich das Schlafzimmer und ging hinunter. Aus der Küche hörte ich geschäftiges Treiben und freute mich auf eine nette Kleinigkeit, die ich essen konnte.
„Nein, deine Mutter ist weder schwanger, noch wird sie dich verlassen, noch hasst sie dich! Junge, was ist denn los mit dir?“ hörte ich plötzlich Sybills Stimme. Ich lehnte mich vorsichtig an die Wand und lauschte dem Gespräch weiter.
„Mrs. Wallace, ihr habt gesehen, wie Master Kenway meine Mutter angesehen hat. Er wird sie nicht einfach so aufgeben. Und dann? Was wird denn aus mir?“ Verzweiflung sprach aus ihm. Yannick hatte reale Angst, ich könnte IHN verlassen, mein eigen Fleisch und Blut. Ich könnte Haytham ihm vorziehen! War ich wirklich so ignorant gewesen?
„Yannick, jetzt hör mir mal zu. Deine Mutter hat auch noch ein anderes Leben, als nur das Mutterdasein. Du bist alt genug, dass auch zu sehen und zu verstehen! Sie ist die letzte Person der ich zutraue, dass sie sich ohne Skrupel einfach auf und davon macht! Lass deiner Mutter jetzt etwas Zeit... Es waren schlimme Tage für sie, wenn ich das richtig verstanden habe.“ kam es in einem versuchten ruhigen Ton, aber auch Sybill stieß an ihre Grenze.
Ein resigniertes Seufzen von meinem Kind. „Dann muss ich wohl damit leben, dass man meine Mutter einer Gehirnwäsche unterzogen hat und sie diesem Temp.... diesem Mann treu bleiben wird. Gut zu wissen!“ Ich sah förmlich wie Mrs. Wallace mit den Augen rollte! Diese Art von Yannick ist einfach grauenhaft.
Entschlossen betrat ich jetzt die Küche, so als hätte ich nichts gehört. Und siehe da, mein Sohn war wie ausgewechselt. Er lächelte mich sogar an! „Mutter, du bist auf. Ich hoffe, es geht dir jetzt besser? Können wir denn nicht einfach jetzt aufbrechen. Die Jackdaw ist bestimmt schon zum Ablegen bereit!“ Und da war wieder diese Ungeduld... innerlich machte ich mir wieder ein Liste mit Dingen, die ich dringend mit meinem Sohn zu besprechen hatte.
„Ja, mir geht es soweit gut. Aber ich glaube, wir werden noch abwarten müssen, bis ich diese Marie losgeworden bin. Vorher, Yannick, werde ich hier keinen Fuß wegbewegen!“
„Pfffff, ich wusste es doch! Dir ist doch egal, was ich will. Hauptsache du kannst erst mal dein Ding durchziehen und dich durch die Betten vögeln!“ Die Worte kamen so abfällig aus seinem Mund, dass ich erschreckt zurück wich. DAS war nicht Yannick! In seinen Augen loderte eine Wut, die ich noch nie gesehen hatte.
Mrs. Wallace stand ebenfalls erschrocken und mit offenem Mund vor meinem Sohn! Wir sahen uns an und wie auf Kommando griffen wir beide zu. Einer links einer rechts. So zogen wir ihn an seinen Armen hoch und mein Sohn, oder besser dieses Weib versuchte sich tatsächlich zu wehren. Es wurde immer besser. Der erste Gedanke, der mir jetzt durch den Kopf ging war, dass ist wie eine Infektion. Sie übertrug sich, wie ein Parasit, der sich immer wieder von Wirt zu Wirt bewegte. Aber warum zum Teufel tat sie das? Und WIE verdammt noch mal!!! Das Problem war nur, die Wunde am Bein war noch nicht verheilt. Also versuchte ich Yannick vorsichtig zu behandeln, was aber ein Fehler war. Denn plötzlich riss er sich los und humpelte gen Ausgang! Wir eilten hinterher und holten ihn natürlich ein, aber auch Shay UND Haytham standen plötzlich im Eingang und sahen erstaunt von dem Patienten zu mir und Mrs. Wallace. Ein Nicken meinerseits und die beiden Templer gingen ein Stück zur Seite, scheinbar um Yannick durchzulassen. Aber als der Ire hinter ihm stand, griff er zu einer etwas harten Methode und schlug ihn mit dem Pistolengriff ohnmächtig!
Mit einem erstaunten Ausdruck auf dem Gesicht drehte sich mein Sohn noch um und kippte dann einfach nach vorne über. Cormac und Haytham brachten ihn nach oben in das Gästezimmer und fesselten ihn vorsorglich. Mich hatte man vorhin lediglich festgehalten. Ob das nun von Nöten ist, aber ich hatte ja gesehen, zu was dieses Miststück fähig ist.
Mein Mutterinstinkt wollte es nicht wahrhaben, aber auf der anderen Seite, war ich so wahnsinnig sauer auf dieses Kind und diese verdammte Frau in seinem Geiste, dass ich ihn am liebsten verprügelt hätte.
Ich ging ihnen hinterher und wartete, dass er wieder zu Sinnen kommt. Doch, SEINE Sinne waren einfach nicht vorhanden! Es war tatsächlich Marie oder... Als er seine Augen aufschlug loderten sie weiterhin vor Wut! Also war Marie immer noch da. Und als sich sein Mund öffnete, wussten wir alle, WER da sprach!
Kapitel 150.1
„Sieh einer an. Die Templerschlampe wacht über ihr Kind! Ohhhh... der arme Junge. Was muss er nur durchmachen. Seine eigene Mutter lässt ihn wegen dieses Templers alleine und er muss sehen wo er bleibt!“ Ein gehässiges lautes Lachen kam aus seinem Mund, nur seine Stimme klang gequält und unheimlich unnatürlich!
Ich konnte nicht anders, ich musste einfach fragen! „WAS in Odins Namen wollt ihr von mir??? WAS habe ich euch getan??? SPRECHT WEIB!“ Schrie ich sie an und musste gleichzeitig dieses Bild ausblenden, dass mein Sohn dort lag.
Hysterisches Lachen... mehr bekam ich nicht! Es war Mrs. Wallace die mich jetzt von einer Schelle abhielt. Ich hätte tatsächlich meinen Sohn geschlagen, obwohl er nichts dafür konnte!
Vor Entsetzen wich ich vor meiner eigenen Tat zurück! „Das... was geht hier vor, dass kann nicht wahr sein!“
„Oh du dummes Stück. Hast du es immer noch nicht verstanden? DU hast mir mein Kind genommen!!!!“ hörte ich diese Stimme aus dem Munde meines Sohnes.
Ich sollte was getan haben? Aber... de Scudéry war doch anwesend, als ich mich aufmachte, Richtung Turm und... sie hat es zugelassen! Warum war sie jetzt so wütend? „Das habe ich ganz bestimmt nicht! Ich bin dem Licht gefolgt, ich konnte nicht anders! Und... ihr wart es doch, die mich die ganze Zeit dahin gedrängt hat!“ Es war einerseits erleichternd, dass ich jetzt mit ihr reden konnte, jedoch war es auch befremdlich, denn ich musste ausblenden, dass ich auf meinen Sohn hinab sah!
„Oh nein, jetzt dreht es nicht, so wie ihr es gerade für euch haben wollt. Ich konnte nichts tun, ihr habt zugelassen, dass man mir dieses Kind nimmt! IHR wart es, die mir Master Kenway wegnehmen wollte!“ Sie spuckte mir diese Worte ins Gesicht, so wütend war diese Person.
Mit einem entschuldigenden Seitenblick auf Haytham, bat ich ihn das Zimmer mit Shay zu verlassen. Denn ich befürchtete, dass ich in seiner Gegenwart nicht frei reden könnte. Es war einfach zu verworren und ich hatte Probleme, alles auszublenden und neu zu sortieren. „Aber wenn etwas ist, dann kannst du uns jederzeit rufen!“ Mein Templer gab mir einen liebevollen Kuss auf die Stirn und ging mit Shay im Schlepptau hinaus!
„Ich... das habe ich nicht! Etwas hat mich in euren Körper gezwungen und ich musste damit zurecht kommen. Es war kein Vergnügen, mit dem Gedanken zu leben, dass ich mit Louis-Joseph verheiratet sein sollte! Und dann war ich auch noch schwanger, oder besser IHR wart schwanger! Woher sollte ich wissen, dass es das Kind des Großmeisters ist? Ihr habt mich nie aufgeklärt! Ich tat nur, was für mich in diesem Moment am logischsten war und man hat mich dahin geleitet!“ Aber wenn es nicht Marie war, die mich zu diesem Turm gesteuert hat, wer dann?
Wer hatte ein Interesse daran, das Kind von Haytham zu nehmen? Wer hatte ein Interesse daran, MICH oder MARIE dafür zu benutzen? Und warum war Marius darin involviert? Etwas tief in mir drin, kam auf den Gedanken, ich musste viel weiter zurück gehen. Ich musste in meiner Gegenwarts-Vergangenheit stochern... Wie ein Blitz durchfuhr mich dieser Gedanke. Denn MARIUS schien der Schlüssel zu sein! Marius, mein Ex, der Vater meines Sohnes und seines Zeichens Templer. Wenn auch kein wirklich guter, denn... seien wir mal ehrlich, ich kannte mittlerweile durchaus fähigere Ordensbrüder und -schwestern!
Und plötzlich war es, als würde ein Bann gebrochen. So als würde man eine Mauer einreißen! Es war nicht Marie, die böse war. SIE war einfach nur ein Instrument, genau wie ich auch und das in einem sehr perfiden Spielchen! Wer auch immer dafür verantwortlich war, würde dafür büßen!
Trotzdem musste ich irgendwie dafür sorgen, dass wir Marie wieder in ihre Zeit oder besser Welt bekamen. Denn sie würde dort auch eine Aufgabe haben. Davon ging ich jetzt einfach aus! Denn ich bin nur ein ungebetener Gast gewesen und es war vermutlich gar nicht so angedacht gewesen. Ein Versehen?
Aber hier und jetzt war ich es, die eine Mission hatte. Auch wenn ich immer noch nicht wusste, WELCHE das war. Das einzige was mir klar war, war dass Marius definitiv in irgendeiner Form seine Finger im Spiel haben musste und anscheinend versagt hatte. Das gibt keine Pluspunkte in seinem Lebenslauf!
Es war Marie die wie aus dem Nichts anfing völlig normal mit mir zu sprechen. „Alex, wir haben hier irgendein Problem. Es stimmt etwas nicht. Weder mit meiner Welt, noch mit deiner. Es herrscht ein Ungleichgewicht und … ich spüre diese Erschütterungen ununterbrochen. Aber ich kann nicht zurück!“ Wie konnte sie diese Beben immer noch spüren, soweit ich das jetzt verstanden habe, kamen sie nur in Verbindung mit BEIDEN Artefakten zustande!
Hier war weder das eine noch das andere, oder irrte ich mich? „Aber das ist unmöglich, denn wir müssten ja wenigstens die Symbole hier haben!“ Und genau jetzt fiel mir ein, dass ich ja ein SYMBOL hatte. Die Tätowierung! Geistesgegenwärtig fasste ich mir an meine Bauch!
„Ihr habt es auch?“ kam es ungläubig von Marie!
Kapitel 151.1
Wir sahen uns beide an, oder besser ich sah meinen Sohn an. Verdammt, ich konnte es immer noch nicht verarbeiten. „Ja, als ich hier wieder erwachte, hatte ich diese Tätowierung. Was wisst ihr darüber, Marie? Jeder noch so kleine Hinweis könnte wichtig sein!“ kam es erst zögerlich von mir und dann wurde meine Stimme schon fast flehend.
„Mrs. Frederickson, ich... also, wie erkläre ich das. Wie ihr wisst, habe ich mir meinen Lebensunterhalt mit Trickbetrügereien beschafft. Und ich bin heute nicht mehr stolz darauf! Aber es war so einfach, die Männer zu umgarnen und dann war da der Großmeister...“ ich unterbrach sie.
„DAS muss ich nicht näher wissen, danke! Überspringt einige Details BITTE!“ sagte ich dann doch zickiger als ich wollte. Ich war tatsächlich eifersüchtig! Ich atmete tief durch, damit ich diesen Gedanken davon wischen konnte, aber mir wurde schlagartig klar, dass ich es aus Eifersucht gar nicht mehr konnte. NIEMANDEN würde ich an Haytham lassen! Ich würde Morde begehen, um DAS zu verhindern! Ich erschrak vor mir selber, so kannte ich mich nicht!
„Verzeiht, aber … ich habe angefangen für ihn zu arbeiten. Er hatte Vertrauen in mich und hat mich auf einige der anderen Assassinen angesetzt. Das ging ein Jahr ungefähr und dann traf ich durch Zufall auf den Chevalier. Und... auch wenn IHR es alle nicht glauben wollt, er war... er ist ein sehr liebevoller Ehemann. Als ich eines Abends wieder in dieser Taverne war und ihn wiedertraf, sah ich ein Licht auf mich zukommen und spürte dieses Beben unter meinen Füßen. Jedoch schien es sonst niemand zu bemerken, außer Louis-Joseph, denn dieser fing an zu schwanken und setzte sich dann. So als wäre ihm schlecht geworden und er sah auch etwas grün im Gesicht aus, wenn ihr mich fragt!“ ein Kichern kam aus dem Mund meines Kindes und ein Grinsen zeigte sich auf seinem Gesicht.
Dann erzählte sie weiter: „Bis dahin hatte ich keine Ahnung, dass es irgendwelche anderen Wesen oder ähnliches gab. Ich lebte eigentlich immer nur von Tag zu Tag und hatte keine Zeit für solch einen Hokuspokus. Dieses Licht aber ließ mich nicht mehr los, es lag wie ein Schleier auf meinen Gedanken. Das sollte sich aber ab diesem Abend drastisch ändern, denn Monsieur Gaultier fing an mir den Hof zu machen und... ich genoss diese Aufmerksamkeit einfach. Doch seinen Brüder und Schwestern missfiel das Ganze und man wollte mich nicht in seiner Nähe sehen! Er suchte aber immer wieder nach kleinen Schlupflöchern, dass wir uns sehen konnten, wenn auch nur heimlich.“ sie seufzte tief und mir wurde wieder einmal klar, dass dieser Mann anscheinend doch eine liebenswerte Art an den Tag legen konnte. Ich schüttelte mich jedoch bei dem Gedanken, denn... Nein, hier war er definitiv nicht so. Oder vielleicht doch? Wer weiß das schon!
„Aber da ich immer noch in Master Kenways Diensten stand, musste auch ICH vorsichtig sein. Ich gab regelmäßige Berichte ab und auch sonst, ließ ich mir nichts anmerken. Als ich aber eines Tages mit einer Grippe das Bett hüten musste, fühlte ich mich zum ersten Mal verlassen. Denn der Großmeister zeigte keinerlei Mitgefühl oder so. Das einzige was ich bekam, waren irgendwelche Medikamente, die ich seitdem genommen habe. Denn ich muss das Ganze wohl nicht richtig auskuriert haben! Diese Kräuter sind wirklich ekelig, wenn ihr mich fragt. Aber der Arzt meinte, sie seien notwendig und würden mich vor Rückfällen bewahren...“ Mir blieb der Mund offen stehen! Mein Verdacht, dass Church DOCH etwas damit zu tun hatte, bestätigte sich gerade.
„Ihr meint dieser Benjamin Church? Der Chirurg und Militärarzt? Der hat euch das verabreicht?“ fragte ich, denn ich musste es einfach aus ihrem Mund hören.
„Ja, genau der! Aber... was ist denn? Er ist nur ein Arzt, er hat mir nichts...“ aber bei ihren eigenen Worten fiel es ihr wie Schuppen aus den Haaren! „Ihr meint... er hat mir etwas untergemischt? Wozu?“ Das Wozu stand wirklich im Raum. Doch mir kam ein weiterer Gedanke.
„Marie, ich weiß nicht, aber ihr werdet euch sicherlich nicht an den Vorfall vor ein paar Tagen erinnern? An dem ihr, oder ich oder wir beide... Bei Odin, ihr wisst was ich meine. Als wir nicht mitbekommen haben, dass der Chevalier angegriffen wurde? Erst als Constance im Zimmer erschrocken das Tablett hat fallen lassen, sind wir aufgewacht!“ Voller Hoffnung, das sie sich daran erinnern könnte, sah ich sie an.
„Ja... jaaaaa... das war eigenartig, ich dachte ich wache aus einem langen Albtraum auf. Aber im nächsten Moment hatte ich das Gefühl, er wäre noch gar nicht vorbei. Ihr standet mir im Weg und ich wusste nicht, wie ich mich da verhalten sollte!“ kam es entschuldigend von ihr. „Louis-Joseph hat oft meine Hand in solch wirren Momenten gehalten und auf einen Punkt gedrückt, sodass ich mich wieder konzentrieren konnte...“ Jetzt fiel ihr selber immer mehr auf, dass da eine größere Macht am Werk war. Und auch mir dämmerte es.
Dann hatte ich tatsächlich Recht. Man hatte ihr oder uns Bewusstseinsverändernde Kräuter untergejubelt! Jetzt wusste ich das mit Sicherheit, aber bis jetzt noch keine Spur von einer eventuellen dritten Person oder besser Geist, der sich laut meines Verstandes immer noch in Maries Körper in der anderen Welt befinden musste!
Auch mussten wir herausfinden, warum Templer UND Assassinen ein solches Interesse an einem Kind haben könnten? Hatten diese Wesen tatsächlich ihre Finger mit im Spiel und versuchten BEIDE Seiten sich gegen einander auszuspielen?
Kapitel 152.1
Meinen nächsten Gedanken mochte ich gar nicht aussprechen geschweige denn versuchen zu formulieren. ABER... es war wichtig!
„Marie, verzeiht wenn ich das jetzt frage, aber … Wie seid ihr schwanger geworden? Ihr spracht vom Chevalier als liebevollen Ehemann und ich gehe davon aus, dass ihr eigentlich keine außerehelichen Beziehungen führen würdet, oder? Jedoch war es ja Haythams Kind, welches ihr unterm Herzen getragen habt! Und...“ Doch ich brauchte nicht weiter reden, denn sie fing an zu schluchzen. Vorhin noch war sie auf mich sauer, weil es ja SEIN Kind gewesen ist, welches ICH ihr weggenommen hätte und jetzt war sie peinlich berührt. Verstehe einer diese Frau.
„Es ist... schwer zu erklären und ich entschuldige mich für meine Worte vorhin. Aber... könnt ihr nicht verstehen, wie es sich anfühlt, ein Kind zu verlieren?“ Doch das konnte ich... denn ich sah gerade auf mein eigenes herab, welches heulend dalag. Und ich dachte nur: Bitte, lass diese Themen bald enden, sonst muss ich für Maries Geist einen weiblichen Körper finden. Ich ertrage es nicht länger meinen Sohn vor Augen zu haben!
„Marie, natürlich kann ich das verstehen! Aber es klang eher so, als würdet ihr... noch etwas für den Großmeister empfinden. Und ihr klingt jetzt auch ganz anders...“ Das wurde mir schlagartig bewusst. Seit Haytham den Raum verlassen hat, benahm sie sich anständig.
„Er war hier im Zimmer? Wann?“ Wieder sah ich in diese ungläubig drein blickenden Augen.
„Ihr wisst das nicht mehr?“ mir lief es kalt den Rücken hinunter! War diese dritte Person mit hinüber gekommen? „Marie, ich werde jetzt gehen und mich mit Master Kenway unterhalten. Irgend etwas scheint mit uns gekommen zu sein und... bei Odin, ich hoffe, es hat sich jetzt nicht an den Großmeister geklammert!“ ich sprach aus, was wir beide wussten! Auch Mrs. Wallace sah erschrocken drein. „Seid mir nicht böse, aber ich möchte auf Nummer sicher gehen und ich lasse euch noch ans Bett gefesselt. Nur zur Sicherheit!“ Und damit eilte ich hinaus und machte mich auf die Suche nach meinem Templer!
Lange musste ich nicht suchen, denn ich fand ihn in seinem Arbeitszimmer vor mit Shay und Faith in ein Gespräch vertieft. Ich klopfte vorsichtig an den Türrahmen und als er mich sah, lief dieses Strahlen über sein Gesicht, welches mich immer rot werden ließ! Nein, jetzt reiß dich zusammen!
„Master Kenway, ich... könnte ich euch...!“ mal wieder war er nicht in Stimmung mich ausreden zu lassen. „Alex, hatten wir nicht etwas besprochen?“ … ja, aber ich dachte so in der Öffentlichkeit wäre es unangebracht ihn bei seinem Vornamen zu nennen! Wobei ich den Iren und Faith jetzt nicht unbedingt dazu zählen würde, da hatte er nicht ganz unrecht. Aber... ich schweife ab!
„Haytham, hast du einen Moment Zeit?“ ich versuchte mein schönstes Lächeln, aber ich war immer noch unsicher und es war ungewohnt!
„Sicher doch, was gibt es?“ er sah mich ein wenig misstrauisch an! Meinen Verdacht wollte ich erst einmal noch für mich behalten, denn ich musste erst sicher sein, dass wirklich mein Haytham mit mir sprach.
Also versuchte ich es harmlos. „Es geht um diese Marie, wir sollten schnellstens versuchen, sie wieder in ihre Zeit oder besser gesagt Welt zu schaffen. Sie scheint allmählich den Verstand zu verlieren und ich weiß nicht, wie lange ich sie noch bei Sinnen halten kann!“ Voller Hoffnung, dass er darauf anspringt und ich eventuell mit meiner Vermutung richtig liege, sah ich ihn an.
Und er sagte genau DAS, was ich auf der einen Seite befürchtet habe und anderer seits auch geahnt hatte. „Liebling, mach dir keine Sorgen. Ich denke, Benjamin weiß sehr wohl, was in solchen Fällen zu tun ist!“ Er hatte mich noch nie so genannt und ich hoffte, dass MEIN Templer das auch nicht mehr tun würde und zum anderen, warum kam er auf Church? Faith saß direkt vor ihm!
Die Schottin sah Haytham ebenfalls fragend an und drehte sich dann langsam zu mir mit hochgezogenen Augenbrauen. „Alex, was wird hier gespielt?“
„Fragt nicht mich das, fragt Haytham...“ zu mehr kam ich nicht, denn er sprang auf und hechtete an uns allen vorbei nach draußen und auf die Eingangstür zu! Gerade als er sie aufreißen wollte, fiel geistesgegenwärtig ein Diener über ihn her und durch den Aufprall am Boden blieb der Großmeister bewusstlos liegen. Jetzt bitte nicht schon wieder eine Gehirnerschütterung... lief es durch meinen Kopf!
Kapitel 153.1
Gemeinsam brachten wir Haytham jetzt in sein Schlafzimmer und auch ihn bedachten wir mit Fesseln, denn ich hatte keine Lust, dass er oder eben dieses Wesen MIR an die Kehle ging.
Nachdem Miss Cormac sich überzeugt hatte, dass mit dem Großmeister alles in Ordnung ist, überließ sie mir das Feld und ich setzte mich auf die Bettkante und wartete. Wenn es nicht eine solch vertrackte Situation wäre, hätte ich mich jetzt einfach an ihn gekuschelt, er sah so friedlich aus!
Es dauerte auch nicht lange, dann schlug er die Augen auf und sofort fing er an, an seinen Fesseln zu zerren. Wütend sah er zu mir auf. „Was soll das bitte werden, wenn es fertig ist? Was fällt euch allen ein, mich so zu behandeln! Ich bin immer noch...“
„Ja ja... ich weiß wer du bist. Aber mein Haytham ist gerade nicht da, also muss ich mit dir Vorlieb nehmen.“ mit einem triumphierenden Blick bedachte ich dieses Wesen. Denn ich sah nicht die grauen Augen meines Großmeisters, sondern seltsam leuchtende Augen!
„Ihr wisst alle gar nichts. Ihr habt in unser Werken gepfuscht und wir mussten uns wehren! Und als dank, ignoriert man uns einfach! Aber das wird nicht mehr lange so sein! Schon bald werdet ihr ALLE zu spüren bekommen, was es heißt, unsere Zivilisation verraten zu haben!“ Diese Stimme aus Haythams Mund war ähnlich wie die vorhin bei Yannick und mir lief es wieder eiskalt den Rücken hinunter.
Es war nicht wie das Wesen in dem Turm, welches völlig sanft und anmutig mit mir oder besser Marie umging. Sondern es war etwas anderes. „Dann kläre uns doch endlich auf, dann könnten wir dir helfen, ohne dass du hier allen Menschen leid zufügen musst!“ gab ich jetzt mein bestes, um auf die Vernunftsschiene zu kommen. Ich hatte gehofft, das würde funktionieren.
„Ich soll euch in unsere Pläne einweihen? Das haben wir bereits schon einmal versucht und sind kläglich an eurem verkümmerten Verstand gescheitert. So mussten wir wieder neu beginnen! Aber jetzt haben wir eigentlich das, was wir brauchen. Dazu werde ich wieder in die Welt reisen, aus der ihr mich gezerrt habt!“ Dieses Wesen fing an sich zu konzentrieren und ich sah, wie es anfing von innen heraus zu leuchten.
Ich stand auf und ging vom Bett zurück und je weiter ich wegging, desto weniger strahlend war das Licht. Ich sah zu dem Amulett in meiner Hand und sah es ebenfalls immer schwächer leuchten! Als wenn ich es geahnt hätte, hatte ich es meinem Templer als er noch ohne Bewusstsein war, abgenommen.
Plötzlich kam ein unangenehm kehliger Laut aus Haythams Mund und ließ mich in Panik auf ihn zu eilen! Doch mich hielten zwei Arme auf. Der Ire war leise ins Zimmer gekommen, das hatte ich nicht bemerkt. „Lasst das, Mrs. Frederickson, ich habe eine Idee!“ Mit diesen Worten schob er mich über die Galerie in Richtung Treppe. „Jetzt hört mir zu...“ kam es im Flüsterton. „Wir werden jetzt hinüber zu eurem Sohn oder besser Marie gehen. Dort werden wir mithilfe dieses Amuletts versuchen die Arme wieder in ihre Welt zu bekommen. Ihr solltet schon einmal ein paar Anweisungen parat haben, wie sie sich dort zu verhalten hat!“ Seine braunen Augen sahen mich auffordernd an und ich hätte mich selber ohrfeigen können, dass ich meine Aufzeichnung nicht mehr hatte für sie!
„Also schön, ich werde Marie sagen, was ich weiß, damit sie sich wieder zurechtfinden kann. Und dann? Dann soll sie einfach gehen? Aber... uns fehlt doch das andere Artefakt!“ Etwas verwundert sah ich Shay an. Dieser sah nur an mir herunter und ich hätte auch selber drauf kommen können. Die Tätowierung! Aus unerklärlichen Gründen leuchtete es unter meinem Kleid hervor. Was für eine Intensität, erstaunlich!
„Sie wird dann genug wissen, um sich und die Welt dort, von diesen... Wesen zu befreien. Denn ich gehe davon aus, diese werden sich in dem Schloss und dessen Turm immer noch befinden! Und sie hat Verbündete, die sich dann auch sicher ihrer Sache anschließen werden.“ Voller Hoffnung sah er mich an.
„Aber... diese Erscheinung hat gesagt, dass das Kind in ungefähr 15 Jahren in Erscheinung treten wird. Was passiert denn mit ihm, wenn wir jetzt dort eingreifen und alle Pläne dieser Zivilisation zerstören? Fürchtet ihr keine Rache von ihnen?“ Denn das war auch etwas, wovor ich Angst hatte. Wir wussten nicht, wozu diese Rasse noch fähig war.
„Das Risiko müssen wir eingehen schätze ich mal. Und hier werden wir das selbe in die Wege leiten, sobald Mrs. de Scudéry sicher wieder in ihrem Zuhause ist!“
Das waren tolle Worte, aber... WAS würden wir hier tun können?
Kapitel 154.1
Ich atmete tief durch, als ich vor der Gästezimmertür stand. Dann trat ich ein und wappnete mich für ihren Weg zurück in ihre Welt.
Als sie mich sah, trat ein Lächeln auf ihr Gesicht. Und ich bat einen Diener, der mit mir eingetreten war, die Fesseln zu lösen. Ich weiß, vielleicht etwas vorschnell, aber ich wollte das ganze jetzt auch zügig über die Bühne bringen und nicht länger kostbare Zeit vergeuden!
„Warum bindet ihr mich los? Was ist denn passiert? Hat es nicht geklappt mit dem hiesigen Großmeister? Oh bitte, sagt mir, dass ich hier weg kann und wieder in meine Welt kann. Bitte, sagt es mir!“ Völlig verzweifelt kam es aus Yannicks Mund und Marie tat mir jetzt wirklich leid, denn ich konnte sie wieder spüren. Es war definitiv NICHT das Wesen, sondern die Frau, deren Körper ich besetzt hatte.
„Es ist soweit alles in Ordnung. Wir haben aber eine Lösung gefunden und dafür muss ich euch erst einmal noch in paar Kleinigkeiten einweisen, die ihr nicht mehr wissen könnt. Oder vielleicht doch, es könnte sein, dass sie euch beim Erzählen wieder einfallen!“ Ich sah in die Augen meines Sohnes und schluckte schwer, ich war in einen Mütter-Erzähl-Ton verfallen. Ich schloss die Augen und begann einfach mir Mrs. de Scudéry vorzustellen.
„Wenn das hier klappt und ihr seid wieder in eurer Welt, dann versucht um Gottes Willen, SOFORT Louis-Joseph davon zu überzeugen, dass ihr wieder ihr selbst seid. Ihr seid auf euch alleine gestellt, auch wenn ich davon ausgehen muss, dass auch der Chevalier irgendeinen Nutzen aus dieser Sache ziehen wollte. Aber da der Großmeister in eurer Zeit ja leider nicht mehr lebt...“ Und erst jetzt fiel mir ein, dass man ihr das ja noch gar nicht erzählt hatte. Ich musste mal wieder davon ausgehen, dass eben nicht MARIE diesen Mord begangen hatte, sondern dieses intrigante Ding!
Trauer lag auf einmal in ihrem Blick und es tat mir sofort leid. Denn, auch wenn sie Monsieur Gaultier geliebt hat, so hatte sie immer noch Gefühle für den Großmeister. Das konnte sie dann doch nicht leugnen. „Er lebt nicht mehr? Wer hat ihn auf dem Gewissen?“ kam es drohend von ihr. Diese Wut konnte ich mir jetzt zunutze machen und erklärte ihr die Sache mit der anderen Zivilisation und dass sie alle Verbündeten, die sie auftreiben konnte, versammeln solle. „Und wenn ihr soweit seid, dann geht zu diesem Palast mit seinem Turm. Ihr wisst ja, welchen ich meine. Dort müsst ihr sicherlich mit Widerstand rechnen, also wappnet euch entsprechend und setzt diesen Wesen ein für alle mal ein Ende. Denn sie haben nicht vor, friedlich mit uns zusammen zu leben. Sie planen etwas... WAS genau, kann ich noch nicht sagen!“
Fragend sah mich Marie an. „Ja, das werde ich tun, aber... was wird aus meinem Kind? Ist es dann verloren?“ Jetzt liefen ihr die Tränen über die Wange und ich nahm sie in den Arm, ich hatte die Augen geschlossen, denn ich hatte immer noch dieses Assoziationsproblem.
„Es tut mir wirklich aufrichtig leid, Marie. Und ich kann euren Kummer verstehen, ich habe es ja selber miterlebt und … es gefühlt... verzeiht mir, hätte ich das damals schon alles gewusst, ich hätte doch ganz anders reagiert!“ Denn ich glaubte fest daran, hätte ich meine Nachforschungen ernsthaft und intensiver dort vorangetrieben, dann wäre uns einiges erspart geblieben. So konnte ich, wie so oft, mal wieder nur Schadensbegrenzung betreiben!
„Wenn ich wieder bei Louis-Joseph bin, glaubt ihr, er kann mir verzeihen? Oder wird er versuchen, mich aufzuhalten?“ Verzweiflung, pure Verzweiflung konnte ich hören. Die ach so große Diebin und Trickbetrügerin war gar nicht mehr so sicher, wie sie sich gab.
„Ihr werdet vermutlich nicht IHN um Hilfe bitten können. Versucht stattdessen, aus euren alten Freunden eine Gruppe zu gründen. Denn wir müssen davon ausgehen, dass weder die Templer noch die Assassinen gut zu sprechen auf euch sein werden! Sie alle stecken da mit drin. Und leider muss ich euch auch sagen, das Louis-Joseph nicht ganz unschuldig ist, auch er hatte ein Interesse daran, das Kind am Leben zu halten, wenn es seines gewesen wäre!“
Sie, oder eben Yannick, saß jetzt auf der Bettkante neben mir und atmete tief durch. Ich versuchte ihr noch zu erklären, dass es eben dieses Artefakt ist, mit der Sonne, welches sie zerstören musste. Das Amulett von Haytham wäre alleine nicht weiter gefährlich und es müsste ja bei ihm bleiben. Doch dann fiel mir ein, dass in der anderen Welt kein Master Kenway mehr existierte! Wie würde es dort dann aussehen? Oder wäre es dort sowieso dazu gekommen?
„Marie, wenn ihr die Möglichkeit habt, versucht an das Amulett zu kommen und nehmt es, wenn alles erledigt an euch und bewahrt es gut auf! Und ihr solltet das Zeitreiseartefakt in euren Besitz bringen und lasst niemanden daran! Verschließt alles, oder vergrabt es wenn alles vorbei ist! Und wenn ich euch noch einen Rat geben darf?“ sah ich sie fragend an und sie nickte nur. „Geht weit weg von den Geschehnissen in New York und fangt irgendwo ein neues Leben an!“
Mehr konnte ich im Moment gar nicht für sie tun. Es war an der Zeit... sie musste gehen!
Kapitel 155.1
Der Diener und Mrs. Wallace standen noch im Raum und ich bat sie, kurz hierzubleiben, da ich jetzt mit Shay besprechen wollte, ob er auch dabei sein wollte.
Aber ich hörte nur lautstarke Diskussionen aus Haythams Schlafzimmer. Doch ich wollte nicht mit dem Amulett dort hinein, wer weiß, was dieses Wesen sich noch alles ausgedacht hat! Kurzerhand drückte ich es Sybill in die Hand und ging hinüber. Vorsichtig trat ich ein und sofort flog mir diese Präsenz dieser Kreatur entgegen. Sie fühlte sich unangenehm an und ich bekam eine Gänsehaut.
Die Augen meines Templers funkelten immer noch und auch dieses leichte Leuchten war noch darin. Die beiden hatten eine Auseinandersetzung, in der Shay dem Wesen vorwarf, alles ins Ungleichgewicht zu stürzen mit solch einer Vorgehensweise. Umgekehrt agierte dieses Ding wie eine Furie und erklärte erst einmal, dass wir Menschen es seien, die die Welt aus den Angeln heben wollten und wir über kurz oder lang daran scheitern würden.
In meiner Zeit war diese Aussage geradezu brandheiß und aktuell. Aber hier? „Shay, wie weit seid ihr hier? Soll ich fortfahren oder wollt ihr mir helfen?“ fragte ich jetzt einfach in dieses Stimmengewirr. Ich bemühte mich, nicht in Richtung des Bettes zu schauen, denn ich wollte Haytham nicht so sehen! Es ging einfach nicht!
„Ihr habt das Artefakt unrechtmäßig an euch genommen, ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt. Wir haben einen Wächter dafür auserkoren und der seid nicht IHR!“ erstaunt sah ich jetzt doch hinüber.
„Und wer ist es dann? Master Kenway war auch nicht wirklich derjenige, der es beschützen sollte. Das ist euch doch wohl klar, oder nicht?“ ich fühlte mich jetzt ein wenig überlegener und nutzte meine wiedergewonnene innere Stärke aus! Ich baute mich über ihm auf und sah triumphierend in diese unangenehmen Augen. Plötzlich veränderten sie sich und wurden kalt und grau und der Adlerblick huschte darüber hinweg! Wie konnte Haytham in einem so kostbaren seltenen Moment nur DAS tun?
Ich ging ein paar Schritte vom Bett weg, denn es war mir unheimlich. Aber ich tat es ihm gleich und sah eine wechselnde Aura... rot, ein sehr kräftiges sogar und dann ging es immer wieder in dieses goldene über. Aber immer nur kurz, sodass ich kaum eine Chance hätte mit meinem Templer vernünftig zu reden! Auch Shay stand konzentriert daneben, ich konnte seine Aura ebenfalls sehen und auch sie war golden.
So kamen wir hier aber nicht weiter. „Wir sollten endlich eine Lösung für dieses... Problem finden. Sagt uns einfach, was ihr wollt und wir können alles weitere klären. Aber ohne eine konkrete Aussage, können wir nicht wissen, WAS ihr wollt!“ Absurder Weise hatte ich plötzlich die Geschichte mit Rumpelstilzchen und dem Königskind im Kopf. Denn, so dumm wie es klingt, diese Zivilisation hatte sich genau DAS in der anderen Welt bereits geholt. Eine Art Königskind! Und dass dieser Geist mit mir und Marie hierüber kam, war vermutlich nicht geplant, sondern ein Unfall.
„Wie schön, ihr seid selber darauf gekommen! Dann wisst ihr, was zu tun ist!“ mehr kam nicht von der Kreatur. Jetzt konnte es auch noch die Gedanken lesen, großartig. Wobei, das war nicht verwunderlich. Sie war nicht körperlich, das heißt, sie konnte sich überall einschleichen! Mir stellte sich jetzt aber die Frage, wieso blieb sie jetzt in Haythams Kopf?
„Ja, ich bin darauf gekommen. Aber das kann doch nicht alles gewesen sein! Ihr könntet euch JEDES Kind nehmen, wenn ihr wolltet. Warum gerade Mrs. de Scudéry? Was ist so besonderes an ihr?“ Wenn wir schon einmal bei einer Aussprache sind, konnte ich das auch gleich mit klären! Trotzig stand ich da und wartete auf eine Antwort.
„Oh, hat sie euch nicht davon berichtet? Sie ist auserwählt worden, weil sie Zugang zu zwei mächtigen Gruppierungen hatte. Das mussten wir uns zunutze machen und haben so beide Seiten infiltriert! Nur leider war uns erst einmal nur eine Auserwählte vergönnt! Was glaubt ihr, warum im anderen New York solch prächtige Bauten stehen? DAS ist unter anderem auch unser Werk gewesen. Wir haben beim Aufbau geholfen und es wirkt! Wie ihr selber gesehen habt. Wir wollen, dass alles so bestehen bleibt, wie wir es geplant haben. Ihr werdet uns gehorchen und dieses Kind wird über euch und eure Rasse wachen!“ Dieser selbstzufriedene Ton brachte mich mal wieder in Rage.
„Aber es hat sich nichts an der dortigen Situation geändert. Die Bürger werden weiterhin ausgebeutet, jetzt aber von König Ludwig! Und ich bezweifle, dass das die bessere Wahl ist. Das ist ja wie Pest und Cholera! Das Kind wird über uns wachen?“ gab ich lautstark zu bedenken.
„DAS glaubt ihr, weil ihr nicht das große Ganze dahinter sehen könnt. Dafür reicht mal wieder euer Verstand nicht aus! Was hatte ich auch hier erwartet?“ konnte es sein, dass man mich gerade provozierte bis aufs Blut? Gleichzeitig mit diesem Gedanken zogen mich Shays Arme langsam vom Bett weg, denn ich war gefährlich nahe herangetreten. Ob der Ire Angst um Haytham oder mich hatte, kann ich nicht sagen. Ich aber hätte gerade gerne meine Hände um die Kehle von … MEINEM Templer gelegt. Ich erschrak mal wieder!
Ich drehte mich abrupt zu Shay und sagte nur knapp: „Ich werde jetzt Marie helfen! Wenn alles erledigt ist, komme ich wieder zu euch und dann sehen wir weiter!“ Mit diesen Worten verließ ich wütend und bestürzt das Schlafzimmer des Großmeisters.
Kapitel 156.1
Auf der Galerie blieb ich kurz stehen und atmete tief durch. Doch bevor ich jetzt wieder zu Marie ging, ging hinunter in die Küche und nahm mir ein großes Glas von dem dort lagernden Portwein! Rum oder stärkeres war leider gerade nicht in Sicht. Also musste der Wein es eben richten! Noch ein Glas welches ich hinunter kippte und mit der Flasche und dem Glas nun einfach hinauf ging.
Ich hatte mich etwas beruhigt und voller Tatendrang ging ich ins Gästezimmer. Mrs. de Scudéry saß immer noch auf dem Bett mit gefalteten Händen und Mrs. Wallace und der Diener hatten ein Auge auf sie. Kurzerhand befahl ich ihm bitte das Zimmer zu verlassen, nur Sybill sollte zur Unterstützung bleiben. „Aber Alex, verzeiht, Mrs. Frederickson, was, wenn jetzt etwas schiefgeht?“ Erstaunt sah ich die Küchenfee an. „Zum einen, ihr nennt mich bitte weiterhin Alex oder Alexandra, denn so heiße ich und zum anderen... Wenn etwas passiert, kann uns auch der Diener nicht mehr helfen.“
Entsetzen trat in Yannicks Augen. „WAS? Was könnte denn passieren? Habt ihr etwas herausgefunden?“ Jetzt musste ich sie irgendwie beruhigen. Doch so einfach war das nicht, eines musste ich ihr noch mitteilen. Denn als ich aus ihrem Körper ging, hielt Shay ihr einen Dolch an die Kehle! Würde sie jetzt immer noch dort so sitzen? „Marie, wenn ihr wieder in eurer Welt seid, könnte es sein, dass euch gerade mit einem Dolch von Master Cormac gedroht wird. Shay hat mir ja geholfen, das solltet ihr noch wissen! Versichert ihm, dass ihr alleine seid! Aber habt keine Angst, im schlimmsten Falle würde diese Kreatur direkt mit euch zurück gehen. Aber auch dafür seid ihr eigentlich gewappnet. Doch da sie sich gerade nicht direkt hier bei euch befindet, sollte sie auch hier bleiben. Ich gehe einfach davon aus, dass euch so keine Gefahr mehr direkt droht. Vorsicht solltet ihr aber dennoch walten lassen. Ihr seid stark und schafft das! Daran glaube ich ganz fest. Und jetzt, lasst uns überlegen, WIE wir es machen.“ Ich erinnerte mich an meine Rückführung, als der dortige Shay beide Artefakte in der Hand hielt und ich wie über eine Brücke aus Licht wieder zurück ging.
Musste ich jetzt das Amulett etwa auf die Tätowierung halten? Mrs. Wallace gab mir Haythams Artefakt zurück und ich hielt es in der Hand und sah wieder dieses aufkommende Leuchten. Ich führte es näher zu der Stelle an meinem Bauch, dort wo das Zeichen prangte. „Ich spüre das Beben, Alex... ich... es ist ein so grelles Licht aber ich habe keine Angst. War es bei euch auch so?“ Das war Marie, aber … nicht mehr in der Gestalt meines Sohnes, sondern ich sah SIE!
Sie stand vor mir und sah mich an. Um sie herum war es gleißend hell und ich musste meine Augen abschirmen. „Ich denke, ihr seid bereit. Ihr solltet jetzt gehen! Und denkt daran, was ich euch gesagt habe. Ich wünsche euch alles Gute!“ Ich hatte dieses Bedürfnis, sie zu umarmen. Doch ich musste mal wieder ein weiteres Gefühl unterdrücken. Wie immer!
Langsam schritt diese Frau aus einem leuchtenden Irgendwas wie durch mich hindurch und das Beben wurde allmählich schwächer, genau wie das Licht und dann hörte es gänzlich auf. Und wir standen im Gästezimmer, welches mittlerweile ziemlich dunkel war. Denn es war zwischenzeitlich anscheinend schon Abend geworden.
Ein wenig schwindelig blinzelte ich mit den Augen, um mich an die Umgebung wieder zu gewöhnen. Ich sah Mrs. Wallace, wie sie mit vor Erstaunen weit hochgezogenen Augenbrauen dastand und mich ansah. Auf dem Bett saß mein Sohn, kalkweiß und schweißgebadet. Einem Reflex folgend, eilte ich zu ihm und legte ihn wieder auf das Bett. „Mum, das war... ich... das ist doch alles nicht wahr. Ich fühle mich, als wäre ich unter einen Zug geraten. Mir tut alles weh...“ besorgt sah ich auf sein verbundenes Bein. Aber damit schien alles in Ordnung zu sein. Ich ging zur kleinen Kommode und holte einen nassen Lappen und tupfte meinem Kind übers Gesicht.
„Yannick, du hast uns echt einen Schrecken eingejagt. Aber jetzt ist alles wieder in Ordnung. Ruh dich jetzt erst einmal aus und wir werden morgen weiter sehen!“ Ich ließ meinen Adlerblick über ihn gleiten, aber ich nahm nur eine helle goldene Aura wahr. Nichts feindliches anscheinend. Wie zufällig ließ ich aus Vorsicht auch meinen Blick über Sybill gleiten. Aber auch dort war nur das übliche neutrale blaue Schimmern zu erkennen. Etwas beruhigter war ich jetzt schon.
Ich schickte die Küchenfee nach unten, damit sie ein Mädchen hoch schickt, die hier am Bett noch ein wenig aufpasst. Denn ich hatte noch eine zweite Aufgabe vor mir! Als das Mädchen erschien, gab ich ihr entsprechende Anweisungen für das Tuch und wenn etwas ist, sollte sie mich SOFORT rufen! Sie nickte nur knapp und zog sich einen Stuhl heran.
Ich ließ Yannick jetzt nicht gerne alleine, aber ich musste. Draußen auf der Galerie traf ich plötzlich auf Faith. „Oh, Miss Cormac, ihr seid wieder hier? Ich hatte nicht mehr mit euch gerechnet.“
„Nunja, ich habe nur kurz nach unserer Tochter gesehen und bin wieder hierher. Wie geht es eurem Sohn?“ kurzerhand erklärte ich ihr jetzt in knappen Sätzen, wie weit wir waren und was als nächstes anstand. „Dann lasst mich kurz einen Blick auf Yannick werfen und auf sein Bein, dann komme ich mit hinüber.“ Ich wollte es nicht, aber ich tat es. Ich ließ auch über Faith meinen Adlersinn schweifen und erschrak. Sie war weder rot, noch blau noch golden. Sie hatte eine Konsistenz wie dichter Nebel über einem Wald im Morgengrauen! Ich sah ihr erstaunt nach, denn das konnte ich nicht deuten.
In mir stieg ein wenig Angst auf, nicht dass doch etwas schiefgegangen ist und Shays Frau jetzt involviert ist. Ich folgte ihr und beobachtete sie, wie sie die Untersuchung durchführte. Irgendwann schien sie meinen Blick zu spüren und sah mich stirnrunzelnd an.
„Mrs. Frederickson, stimmt etwas nicht?“ Ihre sonst so blauen Augen waren... wie immer. Nichts war anders an dieser Frau, bildete ich mir jetzt etwas ein? Also fragte ich einfach frei raus, denn ich wollte es wissen!
„Miss Cormac, eure Aura hat für mich überhaupt keine richtige Farbe. Ich habe so etwas noch nie gesehen! Sie ist wie Nebel, schimmernder Nebel.“ Ich erntete dafür ein breites Grinsen.
„Oh, wenn ihr es weiß-golden gesehen hättet, wäre es eine Seelenverwandtschaft. Aber... Nebel? Vielleicht sollten wir, wenn hier alles wieder beim Alten ist, einfach mal die Herren Templer fragen? Zumal auch ihr mir so erscheint. Ich ging davon aus, dass es damit zusammen hängt, dass ihr in dieser Zeit...“ Doch sie unterbrach sich und sah zu Mrs. Wallace. „Ich denke, wir werden einfach ein wenig Forschungsarbeit betreiben.“ kam es dann etwas ruppig von ihr. Damit war ich beruhigt. Vorerst!
Erleichtert verließen wir das Krankenzimmer und gingen zur nächsten Baustelle über!
Kapitel 157.1
Wir betraten das Schlafzimmer in der Hoffnung, dass uns jetzt eine passende Lösung einfallen würde. Es musste diese Verbindung mit dem Amulett von Haytham und dem Sonnensymbol sein, die uns helfen könnte. Aber WIE?
Töten werden wir dieses Wesen sicherlich nicht! Also sollten wir versuchen, es irgendwie zu verbannen, irgendwohin schicken, wo es kein Leid mehr anderen zufügen kann. Kurz kamen mir die Ghostbuster-Filme in den Sinn. Strahl drauf halten und ab mit dem Geist in die Kiste. Es könnte so einfach sein.
Faith und ich hörten schon wieder eine lautstarke Auseinandersetzung. Shay konnte, genau wie ich auch, nicht ausblenden, dass er NICHT mit dem Großmeister sprach. Nicht durchgehend zumindest. Ich vermutete immer noch, dass wir in einem winzigen lichten Moment von Haytham eine Gelegenheit bekommen würden.
Was ich aber auch nicht so ganz verstand, war, dass mein Großmeister eine unglaubliche Körperbeherrschung besaß. Er konnte seine Emotionen so unter Kontrolle halten, dass niemand ihm zu nahe treten konnte oder aus ihm lesen konnte, wie in einem Buch! Im Gegensatz zu mir. Ich war ein sehr sehr offenes Schreibwerk anscheinend. Konnte er denn nicht mit dieser Fähigkeit versuchen, dieses Ding in seinem Kopf zu manipulieren? Oder versuchte er es schon die ganze Zeit und scheiterte, weil es mächtiger war, als nur der einfache Geist eines Menschen?
Ich erinnerte mich an meine Besessenheit zurück. Ich hatte es geschafft, diesen kleinen Raum zu schaffen. Auch wenn es zum Ende hin immer schwieriger wurde, diesen aufrecht zu erhalten! Nur wie sollte ich Haytham dass jetzt übermitteln. Diese kurzen Momente reichten nicht aus!
„Wir könnten versuchen, ihm ein Beruhigungsmittel zu verabreichen. Vielleicht würde das helfen, dieses... komische Ding außer Gefecht zu setzen?“ kam es hoffnungsvoll von Faith, die mich damit aus meinen Gedanken schubste.
„Das könnte funktionieren, aber was, wenn dann NUR Haytham lahmgelegt ist und das Wesen dann komplett über seinen Körper verfügen kann. Ich habe erlebt, wie das ist. Und glaubt mir, dass ist kein Vergnügen!“ Mir gingen die Bilder des toten Großmeisters wieder durch den Kopf!
„Oder wir zerren dieses Monster einfach hinaus und sehen dann, was passiert?“ meinte Shay auf seine pragmatische Art.
DAS wäre sicherlich auch eine Möglichkeit. Aber WIE sollten wir es austreiben? Und wieder kam dieses Bild eines Exorzisten in mir hoch!
„Wäre sicherlich eine weitere Möglichkeit. Nur was dann? Diese Viecher sind wesentlich stärker, als wir und besitzen vermutlich auch Fähigkeiten, die unseren weit überlegen sind. Ich würde es nicht darauf ankommen lassen wollen. Im schlimmsten Falle könnte es NOCH eine Person infiltrieren und das Risiko möchte ich nicht eingehen.“ gab ich zu bedenken!
Faith sah mich an. „Ihr sagtet, dass Haythams Amulett etwas damit zu tun hat? Wo ist es gerade?“ Meine paranoide Art schlug wieder durch, denn ich musterte diese Frau wieder. Ich hatte Angst, sie könnte jetzt besessen sein. Aber... nein, alles im nebligen Bereich.
„Es liegt verschlossen im Gästezimmer in einer kleinen Kiste. Und ich werde es erst wieder hinaus holen, wenn wir wissen, WAS wir tun und WIE wir das Ganze angehen werden.“ Wir drei standen weiter um das Bett des Großmeisters herum und sahen auf ihn hinab. Es war ein schreckliches Bild, ehrlich gesagt. Diese kurzen lichten Momente, in denen ich seine grauen Augen kurz wahrnehmen konnte, sie sahen aus, als würden sie uns anflehen, ihm zu helfen.
„Oh ihr Narren, ihr macht euch immer noch Gedanken darum, wie ihr euren Templer hier beschützen könnt? Lasst euch gesagt sein, dass ihr NICHTS gegen mich ausrichten könnt! Ich bin mächtiger und stärker als ihr vermutet!“ Also mussten wir eine Schwachstelle finden.
„Und ich wiederhole mich ja nur sehr ungerne, aber dann solltest du uns vielleicht endlich sagen, was GENAU du erwartest? Willst du wirklich noch länger in diesem geliehenen Körper stecken bleiben? Wenn du doch soooo mächtig bist, dann zeig es uns doch! Oder fehlt dir der passende Schlüssel dazu?“
Und dann schoss mir dieser Blitz in den Kopf. Ich sah diese kleine Kiste aus der anderen Welt vor mir, welche nur vom Großmeister geöffnet werden konnte. Dort hinein könnte man dieses Ding lenken und dann verschließen! Jaaaaaa, ganz genau wie bei den Ghostbusters!!!
Verdammt, ich hätte doch noch warten sollen und Marie darum bitten sollen... ja, was denn? Sollte sie wieder von diesem Geist besetzt werden und ihn mit in die anderen Welt nehmen? Das hätte ich schlecht von ihr verlangen können. Und umgekehrt würden wir diese Kiste nicht hierher bekommen! Jetzt waren wir auch nicht schlauer als vorher!
Kapitel 158.1
Dieses mal war es Faith, die einen wirklich guten Vorschlag machte und zwar einen, auf den wir alle hätten kommen können!
„Vielleicht, also nur vielleicht, könnten wir die Schatulle hierfür nutzen. Könnten wir nicht das Ding irgendwie dahin locken? Das Kästchen lässt sich ja sonst nicht öffnen und wenn ich es richtig verstanden habe, dann wäre dieses Wesen erstmal von der Bildfläche weg. Und wie ihr, Mrs. Frederickson, vorhin erwähntet, kann es auch nicht so ohne weiteres Besitz von einem ergreifen, sondern nur, wenn sein Gegenüber das Amulett trägt, richtig?“ Ja, das FBI wird grün vor Neid.
„Ihr habt Recht, ich hatte ebenfalls an eine Kiste gedacht. Hatte aber aus der anderen Welt diese im Kopf, die würden wir ja nicht hierher bekommen. Also sollten wir uns aufmachen, an die Schatulle zu kommen!“ meinte ich jetzt anerkennend und gleichzeitig fragend in die Runde! Denn, wo war besagtes Kistchen denn jetzt gerade? Das Buch wäre natürlich auch noch von Nöten!
„Wie ihr ja wisst, wollten Master Kenway und ich kurz vor dieser Katastrophe uns auf den Weg machen, eben diese Artefakte zu finden! Ich habe über einen Informanten erfahren, dass beides derzeit in Albany sei, mal wieder.“ gab der Ire etwas mürrisch von sich. Stimmt, da war ja das Gespräch mit Haytham, in welchem er fragte, ob ich dann noch hier sei, wenn er wieder zurück kommt.
„Shay, es tut mir leid, dass sich das alles jetzt so verzögert! Ich weiß gar nicht, wie ich das wieder gut machen kann!“ ich war mal wieder mit den Nerven fertig, denn ich griff jetzt immer weiter in die Geschichte ein und ich hatte panische Angst, dass etwas schief gehen könnte!
Aber Faith legte beruhigend ihre Hand auf meinen Arm! „Ihr braucht euch nicht zu entschuldigen, es hätte auch ohne euch zu diesem Desaster kommen können. Wir müssen jetzt nur sehen, dass wir möglichst zügig die Artefakte an uns bringen und Haytham so schnell wie möglich befreien.“ Sie klang ebenfalls gequält, denn ich vermute auch sie hatte dieses Flehen in seinen Augen bemerkt.
„Ich kann euch alle denken hören! Und nein, DAS wird so sicherlich nicht funktionieren. Denn bedenkt bitte, irgend jemand muss dieses Amulett an sich tragen!“ kamen diese überheblichen Worte mit einem wirklich fiesen Lachen aus dem Munde meines Templers und ließen mich erschauern.
„Das werden wir noch sehen! Und bis dahin, verschont uns mit eurem dummen Gerede!“ maulte jetzt Shay rum, der sichtlich genervt war und sicherlich auch einfach alles hinter sich bringen wollte.
An Faith und Shay gewandt, sagte ich nur: „Ihr solltet jetzt aufbrechen. Ich werde hier bleiben, denn ich muss auch noch ein Auge auf meinen Sohn haben! Zur Sicherheit lasse ich Master Johnson und Master Pitcairn hier Wache schieben. Dann ist mir wohler und ihr braucht euch nicht zu sorgen!“ Wohl war mir dabei nicht, aber wir mussten JETZT handeln. Mich umgaben immer mehr Templer. Ein seltsamer Gedanke!
„Also schön, Faith, sag Danja Bescheid, dass sie einige Zeit auf July aufpassen soll! Dann sollten wir packen und uns auf den Weg machen!“ Ich sah, wie ein trauriger Blick über Faith Gesicht lief und ein tiefes Seufzen ließ sie auch noch hören. Oh wie gut ich diese Frau jetzt verstand. Wer lässt schon gerne sein gerade mal 9 Monate altes Baby alleine! Ich hätte mich ja schon fast als Babysitter angeboten, aber das war derzeit hier einfach zu gefährlich.
„Mo chride, dann werde ich mich mal in die Höhle des Löwen wagen. Mir ist aber nicht so wohl dabei, wenn July so lange alleine hier bleibt. Aber, du hast Recht. Wir müssen jetzt etwas tun.“
„Ich würde mich ja für das Kinderhüten melden, doch ist es HIER gerade überhaupt nicht sicher. Und ich denke, euer Kind ist bei eurem Kindermädchen und seiner Großmutter in besten Händen! Das kann ich von meinem Sohn zumindest behaupten!“ Lächelte ich sie aufmunternd an.
„Da habt ihr vermutlich recht und... ich habe ja auch meine Pflichten!“ schwer seufzend ging sie jetzt mit Shay hinaus und ich folgte den beiden. Sie waren ein wirklich hübsches Paar, da konnte man neidisch werden und in mir wuchs wieder dieser Gedanke an, dass ich hier nicht mehr weg wollte!
Kapitel 159.1
Als die beiden dann weg waren, stand ich in der Eingangshalle und versuchte mir zu überlegen, was ich als nächsten Beitrag leisten konnte. Denn ich hatte wirklich ein schlechtes Gewissen! Faith mag es gut gemeint haben, aber wäre Marius, dieses Ars... dieser Blödmann nicht gewesen, verliefe alles immer noch in geordneten Bahnen! Da fiel mir aber noch etwas siedend heiß ein! Hatte dieser Versager nicht eine Anschrift bei Haytham hinterlassen, wo man ihn erreichen könnte? Meinen Templer konnte ich ja leider schlecht fragen, der war leider nicht ansprechbar. Naja, nicht persönlich!
Ich betrat also Haythams Arbeitszimmer und sah mich um. Irgendwo musste doch diese Notiz sein! Der Schreibtisch war so aufgeräumt, als würde nie jemand daran arbeiten. Typisch für meinen Templer. Da ich oben drauf nicht fündig wurde, öffnete ich die Schubladen. In der obersten fand ich auch gleich eines seiner letzten Tagebücher! Rotes Leder und seine Initialen darauf mit dem Templerkreuz darunter. Ich hielt es in meiner Hand und fühlte eine gewisse Verbundenheit, eine Wärme. Es war sein geistiges Eigentum, Haytham hatte es selber verfasst und in Händen gehalten! Ein Schauer durchlief mich! Und wieder nagte diese Neugierde an mir, aber ich atmete tief durch und legte es vorsichtig wie ein rohes Ei wieder in die Schublade.
Dann setzte ich meine Suche fort und wurde, wie sollte es anders sein, in der letzten Lade dann fündig. Es war ein kleiner handgeschriebener Zettel und als ich die Anschrift las, blieb mein Mund offen stehen. Er war in der Pension der Finnegans untergekommen! Genau die Finnegans, welche auch Shay damals gesund gepflegt hatten!
In windeseile zog ich mir meinen Mantel über und informierte Mrs. Wallace, dass ich kurz etwas zu erledigen hätte und sie bitte ein Auge auf die beiden Herren habe sollte.
Doch bevor ich direkt zu der Pension ging, machte ich mich auf den Weg zu Shay und Faith! Sie sollten mit der Abreise noch warten! Vielleicht könnten sie mitkommen, denn ich war mir unsicher, wie das Ehepaar auf eine Fremde reagierten, die in das Zimmer eines ihrer Gäste wollte. Ein paar Minuten später stand ich im Fort Arsenal und klopfte. Eine überraschte Marge sah mich an und lächelte dann. „Wie schön euch wiederzusehen, Alex. Kommt herein, ich sage Master Cormac gleich das ihr da seid!“
Also wartete ich im Arbeitszimmer, lange dauerte es nicht, dann erschien Shay schon. „Mrs. Frederickson? Ist etwas passiert?“ Besorgnis trat in seinen Blick.
„Nein, nein. Es ist nichts passiert, Master Cormac. Aber... ich habe den Zettel mit der Anschrift meines Ex-Verlobten im Schreibtisch von Haytham gefunden. Seht mich nicht so bestürzt an, ich konnte Master Kenway schlecht persönlich danach befragen!“ konterte ich seinen unausgesprochenen Tadel sofort. „Deswegen bin ich jetzt auch hier, ihr könnt vorerst vielleicht hier bleiben. Denn mein Ex hat bei den Eheleuten Finnegan Quartier bezogen gehabt.“ Faith war mittlerweile auch dazu gekommen und sah erstaunt in meine Richtung.
„Davon hat mir Cassidy aber gar nichts erzählt, dass sie einen neuen Gast hatten. Ich habe doch vor ein paar Tagen noch mit ihr gesprochen.“ meinte Mrs. Cormac nur grübelnd.
„Vielleicht, weil es ihr nicht wichtig erschien. Marius macht ja auch nicht gerade den Eindruck eines Meuchelmörders und er hat ein Talent dafür, sich einzuschmeicheln.“ Für diesen Ausdruck hätte ich mich am liebsten selber geohrfeigt. Ich selber zählte ja zu eben DIESEN Meuchelmördern! Aber ich sah ihn bildlich vor mir, wie er einem Honig um den Bart schmieren konnte. Nicht das ich einen hätte!
„Aber wie kann ich euch dabei helfen?“ fragte mich der Ire jetzt und ihm war meine dämliche Bemerkung nicht entgangen.
„Es mag sich dumm anhören, aber ich weiß nicht, wie die Eheleute auf mich reagieren. Ich bin eine Fremde, die ein Zimmer ihrer Gäste durchsuchen möchte. Das kommt sicher nicht so gut an. Und ich dachte mir, ihr beide kennt die Finnegans doch, vielleicht könntet ihr ein gutes Wort für mich einlegen und wir könnten gemeinsam dorthin. Denn ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, ob es nicht doch eine Falle ist.“
Faith sah zu ihrem Mann und dann wieder zu mir. „Ich denke, dass ist eine gute Idee. Alleine wäre es wahrscheinlich wirklich etwas gefährlich. Ich sage nur schnell Danja Bescheid, dass wir kurz weg sind!“
Kurz darauf, machten wir uns auf den Weg zu dieser Pension. Ein recht großes gelb getünchtes Haus mit einem kleinen Vorgarten. Lange Zeit alles in Augenschein zu nehmen hatte ich nicht. Denn es fing an zu regnen. Das Wetter schlug jetzt schnell um und es wurde zusehends kälter!
Shay klopfte vorsichtig an die Tür und nun warteten wir zu dritt gespannt, ob überhaupt jemand zugegen sein würde.
Kapitel 160.1
Es dauerte nicht lange und ein älterer Herr mit grauem Bart und ebensolchen Haaren öffnete uns die Tür. Ein kurzer Blick in die Runde und als er Shay und Faith erkannte, erhellte sich seine Miene. Bei mir blieb er skeptisch. „Master Cormac, Mrs. Cormac! Es freut mich, dass ihr uns einen Besuch abstattet. Wer ist denn eure Begleiterin?“ Er sah mich einfach nur lächelnd an.
„Das, Mr. Finnegan, ist Mrs. Frederickson. Sie ist hier auf der Durchreise und sucht nach ihrem Verlobten. Man hatte ihr mitgeteilt, dass er wohl bei euch abgestiegen ist. Der Herr heißt Marius Engelhardt! Wohnt er noch bei euch, oder hat er die arme Frau belogen?“ Du meine Güte, Shay konnte lügen ohne rot zu werden. DAS hätte ich ihm nicht zugetraut, ich war beeindruckt.
„Barry, ich heiße immer noch Barry, Shay. Das wisst ihr doch.“ In meine Richtung gewandt sagte er dann „Mrs. Frederickson, es freut mich eure Bekanntschaft zu machen. Dann kommt erst einmal herein und wärmt euch auf. Es ist ja recht kalt auf einmal geworden!“
„Es freut mich ebenfalls, euch kennenzulernen. Die beiden hier haben schon viel Gutes über euch berichtet.“ Ich strahlte diesen Mann an, denn er war unglaublich sympathisch. Also folgten wir ihm ins Innere und es war wahnsinnig gemütlich in dem großen Raum, der sich eröffnete. Im hinteren Bereich war ein großer Kamin, der ordentlich angefeuert war und links stand ein großer Esstisch mit etlichen Stühlen drum herum. Hinten rechts führte eine Treppe in die obere Etage und vermutlich zu den Zimmern, die vermietet wurden.
Als ich dorthin sah, erschien eine kleine ältere Dame mit einer perfekt gestärkten weißen Haube auf dem Kopf und kam langsam hinunter. Als sie die Schottin und den Iren erkannte, kam sie freudestrahlend auf die beiden zu. Mich beäugte man mal wieder eher kritisch. Aber ihr Ehemann stellte mich dann vor.
„Liebling, das ist Mrs. Frederickson, die Verlobte von unserem Gast, Mr. Engelhardt.“ Barry stellte sich bei diesen Worten neben seine Frau und sah zu mir.
„Oh, ich wusste gar nicht, dass er verlobt ist! Aber wo sind meine Manieren? Es freut mich euch kennenzulernen, Mrs. Frederickson! Ich bin Cassidy Finnegan!“ kam es in einem warmen Ton in ihrer Stimme. Man musste sie einfach gerne haben.
„Mrs. Finnegan, es freut mich ebenso euch kennenzulernen!“ ich reichte ihr meine Hand. Machte man das eigentlich bei Frauen so? Ich hatte mal wieder so gar keine Ahnung. Und wie immer schweiften meine Gedanken ab, denn ich hatte sicherlich so einige Patzer begangen in den letzten Tagen oder auch mittlerweile Wochen! Ich sollte vielleicht länger hier bleiben, damit ich lernte. Wie würde Haytham es nennen? Mir ein paar Lektionen erteilen... aber ich schweife schon wieder ab, verzeiht. Er sitzt in meinem Kopf und will nicht weichen!
Die Finnegans baten uns Platz zu nehmen, aber Faith kam gleich auf den Punkt. „Verzeiht unsere Ungeduld, Cassidy. Aber dafür haben wir gerade leider überhaupt keine Zeit. Denn wir vermuten, dass sich... der Verlobte von Mrs. Frederickson abgesetzt hat und sie im Stich lassen will. Sie hat jetzt schon einige Tage nichts mehr von ihm gehört und macht sich Sorgen!“ Und auch diese Frau konnte Geschichten erzählen!
Jetzt war es an mir, meinen Part zu übernehmen. Sollte ich aber auch erklären, warum ich mit Shay und Faith gemeinsam auftauchte. Angeblich kannte ich hier ja niemanden! Doch ich beließ es einfach dabei. Ich sollte mir nicht immer so viele Gedanken machen! „Es stimmt, er hat mir diese Anschrift zwar gegeben, aber danach brach der Kontakt ab. Ich habe Angst ihm könnte vielleicht auch etwas zugestoßen sein. Denn wir wollten uns gestern schon treffen, um über die bevorstehende Hochzeit zu sprechen. Mrs. Finnegan, ich habe solche Angst. Was wenn er nicht mehr hier ist?“ Ich drückte auf die Tränendrüse und eigentlich taten die beiden mir schon wieder leid. Denn ich belog zwei Menschen, die ich überhaupt noch gar nicht kannte! So etwas liegt mir einfach nicht, dafür ist mein Gerechtigkeitssinn zu sehr ausgeprägt.
„Nicht nur ihr macht euch Sorgen, Mrs. Frederickson. Auch wir haben ihn schon vermisst. Seit fast 5 Tagen ist er nicht mehr hier gewesen. Aber alle seine Sachen sind noch in seinem Zimmer! Vielleicht findet ihr ja einen Anhaltspunkt darin? Ich gehe davon aus, ihr würdet gerne selber nachschauen wollen, oder?“ Erwähnte ich schon einmal den Vergleich mit Frauen und dem FBI? Unglaublich! Auch Mrs. Finnegan konnte eins und eins sofort zusammen zählen!
Cassidy ging mit uns hinauf und am Ende des kleinen Flures zu einer verschlossenen Tür. „Shay, ihr erinnert euch ja sicherlich noch an euer eigenes Quartier hier? Wir haben Mr. Engelhardt dort untergebracht.“ Mit diesen Worten schloss sie die Tür auf und ließ uns eintreten.
Auf den ersten Blick war nichts außergewöhnliches auszumachen. Also mussten wir mit der Suche anfangen. Aber irgend etwas in mir, wollte nicht in den Sachen dieses miesen Verräters wühlen und ich musste wieder an meine Zeit mit ihm denken!
Kapitel 161.1
Faith war es, die mein Zögern als Erste bemerkte. „Alex, wenn ihr das hier nicht tun wollt, ihr könnt auch unten warten! Wir werden euch rufen, wenn wir etwas finden!“ sie berührte wie zur Bestätigung meinen Arm und holte mich damit aus meiner Grübelei!
Ich blinzelte die alten Bilder weg und sah zu ihr. „Nein, es geht schon. Es fühlt sich halt etwas eigenartig an, in seinen Sachen zu wühlen.“
„Bei Master Kenway ward ihr nicht so zurückhaltend, was das angeht!“ kam es maulig von Shay, der postwendend einen vernichtenden Blick von Faith UND mir erntete.
„Ich lasse euch dann alleine!“ kam es von Mrs. Finnegan. „Wenn ihr etwas benötigt, dann lasst es mich wissen, ich bin unten in der Küche und mache erst einmal einen Tee!“ Mit diesen Worten ging sie hinaus und schloss die Tür hinter sich.
„Es ist seltsam, nach so langer Zeit in dieses Zimmer zu kommen. Auch wenn ich mich nicht mehr an alles erinnern kann!“ sagte Shay mit einem breiten Grinsen im Gesicht an seine Frau gewandt. Auch diese konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen!
„Ich störe die traute Zweisamkeit nur ungerne, aber wir sollten anfangen mit der Suche.“ meinte ich in einem entschuldigenden und leicht amüsierten Tonfall und sah die beiden grinsend an.
„Wonach suchen wir denn eigentlich?“ kam es vom Iren, der sich bereits suchend umsah.
„Ja, das ist genau DAS was ich auch nicht weiß. Wenn ich es sehe, dann sage ich es euch!“ kam es leicht kichernd von mir. Denn ich hatte wirklich keinen blassen Schimmer, was wir suchten oder finden würden.
Im Kleiderschrank hingen einige Kleidungsstücke, welche aber keinen Aufschluss brachten und auch nichts spannendes aufzeigten. Ich tastete dennoch alles ab, denn wie ich wusste, nähte man wichtige Dinge auch gerne mal in den Saum eines Gehrockes oder eines Hemdes. Aber nichts, gar nichts fand ich.
„Hmmm, hier liegen noch Bücher herum. Aber... das kann doch nicht sein!“ hörte ich die entrüstete Stimme von Shay. Als ich mich umdrehte sah ich ihn mit eben DEM Buch in der Hand stehend am Schreibtisch. Ja, auch mein Ex hatte anscheinend „Forsaken“ für sich entdeckt! Musste aber der Ire es gerade gleich zu Beginn der Suche finden? Innerlich verdrehte ich die Augen, das war doch alles zum Wegrennen!
Bei Odin, es muss wirklich befremdlich sein, wenn man seine eigene Geschichte las. Aber, Moment mal, in den Auszügen der Tagebücher von Haytham tauchte Shay ja gar nicht auf. „Shay, lasst mich das erklären. Dieses Buch beinhaltet zum einen nur Auszüge der Aufzeichnungen von Master Kenway und zum anderen steht nicht ein einziges Wort über euch oder Faith darin geschrieben. Ich erklärte es Haytham bereits, dass diese Geschehnisse für uns über 250 Jahre in der Vergangenheit liegen. Es sind halt historische Hinterlassenschaften, die uns Aufschluss über das Leben hier geben können. Stellt es euch als eine Art Lehrbuch vor!“ entschuldigend sah ich ihn an. Aber auch er war nicht richtig davon überzeugt.
„Wenn ihr aber doch alles lesen konntet, dann wisst ihr doch auch, wann jemand sterben wird, oder wann jemand wichtige Ereignisse erlebt?“ voller Neugierde plötzlich sah er mich an. Aber ich musste auch ihn enttäuschen, denn ich würde ihm sicher NICHTS über seine Zukunft erzählen. Denn, seien wir mal ehrlich, wirklich viel war es nicht, was wir wussten.
„Master Cormac, das ist sicherlich richtig. Aber ihr erwartet jetzt nicht von mir, dass ich euch über euer Leben berichte, oder? Denn das werde ich sicherlich nicht machen. Und ihr wisst auch, weswegen ich eigentlich hier bin, viel wissen wir ja über EUER Leben leider nicht! Auch das habe ich Master Kenway bereits groß und breit erklärt.“ In der Hoffnung, dass es eine ausreichende Erklärung sei, sah ich ihn an. Doch weit gefehlt, er blätterte bis zum Schluss und lass, was Connor noch dazu geschrieben hat. Ich war nicht schnell genug und er las schneller, als mir lieb war.
„Ich kann es nicht fassen!“ Mit offenem Mund starrte mich der Ire jetzt an und ich sah die Trauer plötzlich in seiner Miene. Faith war neben ihn getreten und las ebenfalls die Worte. Und jetzt wussten sie, dass Master Kenway sein Ende durch den eigenen Sohn erfahren würde! Verdammt, jetzt hatten wir, besser ICH hatte ein neues Problem.
Ich ließ mich entnervt auf das Bett sinken und schlug die Hände vors Gesicht. Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte! „Versprecht mir, dass ihr ihm das nicht sagen werdet! BITTE!“ Flehte ich die beiden an.
„Ihr verlangt ziemlich viel von uns, Mrs. Frederickson. Wie soll ich ihm jetzt noch in die Augen sehen, wo ich doch weiß, wann er sterben wird und WIE. Sagt mir: WIE soll ich das machen?“
Und jetzt platzte es aus mir heraus, denn ich musste es ja irgendwann zur Sprache bringen! Auch wenn hier und jetzt nicht der richtige Moment war und ich den Cormacs das auch nicht unbedingt sagen wollte. Denn Haytham sollte eigentlich der Erste sein, dem ich von meinem Plan berichte. „Ich... also... der Gedanke... er ist... unerträglich für mich... vielleicht... es... könnte einen Weg geben... ich weiß es nicht...“
Kapitel 162.1
Ich stammelte mich durch meine Worte, denn eigentlich widerstrebte es mir, Faith und Shay schon jetzt einzuweihen. Also sagte ich auch nicht alles, sondern beließ es erst einmal dabei, nur meine Gedanken ein wenig zu offenbaren.
Mich starrten jetzt zwei Augenpaare an, die mir zu verstehen gaben, ich hätte nicht mehr alle Tassen im Schrank.
„Ihr... Mrs. Frederickson, ihr wollt wirklich noch einmal zurück kommen und... Aber ihr selber ward es doch...“ meinte Faith jetzt völlig ungläubig, aber ich ließ sie nicht ausreden.
„Ja, ich bin diejenige die immer predigt, dass man nicht in das Leben oder Schicksal eingreifen darf. Da die Konsequenzen nicht überschaubar wären. Und ich weiß, dass ich damals schon sagte, man zögere vermutlich nur einen Zeitpunkt hinaus. So wie bei Master Kenways Vater zum Beispiel.“ Dabei sah ich zu Shay auf und dieser nickte nur. „Doch es ändert nichts an der Tatsache, dass ich dieses eine mal nicht einfach alles so hinnehme. Ich kann einfach nicht. Und sicherlich mache ich mir Gedanken darum, was dann passieren könnte. Es könnten die größten Katastrophen passieren oder es würden sich nur ein paar Kleinigkeiten ändern! Wer weiß das schon?“ Ich sah wieder zu den beiden und hoffte, sie würden mich wenigsten etwas verstehen.
„Wenn ihr den Tod des Großmeisters verhindert, was wird dann?“ fragte mich Shay auf einmal. Darauf gab ich erstmal nur eine einfach Antwort.
„Nichts! Für euch hier, ändert sich nichts. Denn ihr könnt nicht wissen, wie es gewesen wäre, WENN er … Ihr könntet es einfach so hinnehmen. Es geht um die späteren Ereignisse. Ich kann nur nicht sagen, was genau an Änderungen stattfinden könnte!“ Ich konnte einfach nicht aussprechen, dass mein Templer nicht mehr leben könnte.
Und wieder ging mir durch den Kopf, WIE wollte ich bitte das Ganze überhaupt verhindern? Sollte ich mich etwa seinem Sohn in den Weg stellen? Ehrlich gesagt, hatte ich davor schon Angst. Und ob nun stures Reden helfen würde, wagte ich zu bezweifeln. Aber eines nach dem anderen. Doch Faith wollte es genauer wissen.
„Wann wolltet ihr Haytham in eure Pläne einweihen? Oder hattet ihr das gar nicht vor?“ fragte Mrs. Cormac mich jetzt völlig pragmatisch und ein wenig säuerlich. Ich hatte immer noch den Eindruck, als wäre sie eifersüchtig. Aber es mag auch einfach an ihrer Beziehung zu meinem Templer liegen, dass sie sich so lange kennen und wie Geschwister fühlen. Ich persönlich empfand für sie keine Eifersucht oder ähnliches. Ich fühlte mich nur nicht immer wohl, wenn um mich herum diese drei Templer standen.
„Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, ehrlich gesagt. Und... eigentlich wollte ich überraschend wieder bei ihm erscheinen, in der Hoffnung, dass ich ihn auch finde! WANN und WO weiß ich jedoch noch nicht... ich muss in meinem Zuhause, meinem Leben, erst einmal für Ordnung sorgen und ... ich weiß es nicht!“ ich versuchte ein Lächeln, aber das war bei meinem Emotions-Wirrwarr gerade in meinem Kopf nicht möglich. Ich hoffte, die beiden könnten den Mund halten, denn ich war doch ein wenig sauer auf mich selber, dass ich so viel erzählt hatte. Aber seis drum...
Langsam und schwerfällig erhob ich mich. „Und jetzt sollten wir weiter suchen. Denn ich möchte meinen Großmeister wieder zurückhaben, damit ich einen Grund habe, wieder hierher zukommen!“ Jetzt brachte ich auch ein Grinsen zustande. Auch wenn mein Herz noch schwer war vom Gedanken an den Abschied, den Verlust und alles, was damit verbunden war.
Shay stand auf und kam auf mich zu und nahm mich einfach in den Arm. „Ich rate euch, achtet gut auf Master Kenway. Wenn mir Klagen von Seiten des Großmeisters kommen, werde ich euch heimsuchen.“ ich spürte ein leichtes Zittern, lachte er etwas? Ich ging ein Stück zurück und tatsächlich, er grinste breit.
„Keine Sorge, ich konnte ja schon unter Beweis stellen, wie gut ich mich um Haytham kümmern kann. Auch wenn ich feststellen musste, das Männer, wenn sie krank sind, unausstehlich sein können.“ mit einem Zwinkern machten wir uns wieder an die Arbeit!
Kapitel 163.1
Es vergingen nur wenige Minuten, bis ich unter dem Bett eine Truhe fand. Ich zog sie hervor und hob sie auf die Matratze. Das Teil war nicht allzu groß, mehr so die Größe eines großen Koffers und schwer war sie auch nicht. Aber... sie war gut gesichert.
Trotzdem ging mir durch den Kopf, dass das sowas von Klischeemäßig ist, etwas unter dem Bett zu verstecken!
Die Schottin trat neben mich und besah sich die Schlösser! Ohne ein Wort griff sie in einen kleinen Beutel an ihrem Gürtel und holte einen Dietrich heraus und fing an, das Schloss zu knacken. Fasziniert schaute ich ihr dabei zu und erhaschte einen Blick von Shay, der sichtlich stolz auf das Können seiner Frau war. Mir huschte nur ein Schmunzeln übers Gesicht, die beiden passten einfach zusammen.
Doch mir kam der Gedanke, wenn sie so einfach Schlösser knacken konnte, was würde sie sonst noch mit dieser Fähigkeit anfangen? Würde sie es wagen, aus meinem Besitz etwas zu entwenden?
Es dauerte nicht lange und wir vernahmen das befriedigende Klicken des Bügels vom Schloss. Aber das war nicht das einzige Hindernis. Denn es gab tatsächlich noch zwei weitere Schlösser. Bei beiden würde aber kein Dietrich helfen. Ein Zahlenschloss und eines, das nach einer Art Chip oder ähnlichem verlangte.
Zahlenkombinationen... Welche würde dieser Idiot wohl genutzt haben? Sicherlich weder mein Geburtstag, noch unser Verlobungsdatum. Also musste ich weiter überlegen. „Ich brauche vier Zahlen, damit ich dieses Schloss öffnen kann. Habt ihr hier etwas dergleichen gesehen? Einen Zettel, wo ähnliches drauf steht?“
„Nein, aber würde euer Ex-Verlobter wirklich so etwas wichtiges einfach so herumliegen lassen? Geschweige denn auch noch aufschreiben? Das wäre doch viel zu unsicher, meint ihr nicht?“ kam es praktisch gedacht von Shay. Ich sollte ihn aufklären, dass Marius durchaus etwas dumm sein konnte und dass er vergesslicher als ein Sieb war!
„Marius war oder besser ist so. Er kann sich nicht viel merken und hat sich schon immer alles aufgeschrieben!“ Wie aus einem Mund kam es von uns dreien gleichzeitig.
„Tagebuch!“
Also, die Suche danach ging los. Aber auch das war schneller gefunden, als wir gedacht hatten. Zuerst hatte ich noch befürchtet, es befände sich IN der Truhe. Jedoch war mal wieder der Kleingeist meines Ex zu so einer Idee nicht fähig gewesen! So und nun genug gelästert. Auf an die Arbeit.
Es lag klassisch unter dem Kopfkissen. Als ich es aufschlug, dachte ich erst nur. Wow, da steht ja … nichts drin. Denn es waren Auflistungen, was er an Aufgaben hatte und was er wohin mitnehmen müsse. Aber genau das war jetzt meine große Hilfe. Er hatte wirklich das kleinste Detail seiner Reise festgehalten und so konnte ich rekonstruieren, was er wie geplant hatte!
Unglaublich, er hatte tatsächlich vor, mich in der anderen Welt zu lassen. Das war sein ursprünglicher Plan. Kein einziges Wort über seinen Sohn und was aus ihm werden würde! Dieses widerliche Arschgesicht. Und das nur, weil die Templer in meiner Zeit, es leid waren, dass ich kreuz und quer durch die Geschichte reiste. Sie hatten Angst, dass ich hier tatsächlich einen Mord begehen würde, um die Historie zu verändern oder eben an wertvolle Artefakte gelangen konnte. Dabei wusste man doch, dass man das nicht durfte. Nunja, aber ich würde es andersherum versuchen, nur nicht jetzt sofort. Sprich, ich würde versuchen EIN Leben zu retten!
Wenn ich dort in Maries Körper geblieben wäre, dann hätte man lediglich meinen Körper in die Gegenwart transportiert und ich wäre keine Gefahr mehr. Es klang ja gerade so, als wäre ich der Staatsfeind Nummer 1!
Es kamen noch ein paar fiese Gedanken von Marius über mich, die ich nicht näher erläutern möchte. Lasst euch gesagt sein, er hatte oder hat ein sehr krankes Hirn anscheinend. Und in diesem Moment war ich froh, dass ich nicht mehr mit ihm zusammen war. Wer weiß, was er sonst noch alles mit mir angestellt hätte. Aber wirklich wahrhaben wollte ich das nicht. Hatte er sich in den letzten Jahren der Trennung wirklich so verändert? Mich schüttelte es bei dem Gedanken.
„Mrs. Frederickson, ist alles in Ordnung?“ fragte mich Faith besorgt und lenkte damit meine Aufmerksamkeit wieder auf das hier und jetzt.
„Mir geht es gut, es sind diese Aufzeichnungen, die mich gerade wirklich wütend machen! Aber das ist ja jetzt hoffentlich alles vorbei!“ Ich blätterte noch eine Weile weiter und fand dann überraschender Weise einige Zahlenkombinationen. Hinter allen stand, was es damit auf sich hat. Klassisch halt Geburtstage, große Ereignisse... sogar unsere Verlobung stand mit darin.
Jetzt hieß es, die Richtige herauszufinden. Und was soll ich sagen? Es WAR das Datum unsere Verlobung. Bei Odin, wie blöd muss man denn sein? Damit hatten wir das vorletzte Schloss offen. Jetzt noch das Letzte!
Kapitel 164.1
Wir brauchten sowas wie eine Chipkarte! Ich könnte sicherlich das Ding auch kurzschließen, aber ich hatte Angst, damit einen Mechanismus auszulösen, der uns eventuell ins Nirwana pustet oder ähnliches halt.
Die Schubladen des Schreibtisches hatten wir jetzt schon zum tausendsten Male durchsucht und mir kam der erschreckende Gedanke, dass Marius einen hellen Moment gehabt hatte und diesen Chip bei sich trug.
Dann hätten wir jetzt ein kleines Problem. Aber ich ließ mich nicht davon entmutigen. Faith wurde fündig und zwar, haltet euch fest, UNTER der Truhe klebte sie! Ihr müsst euch jetzt Alex mit einer riesigen Facepalm vorstellen. Wie blöd muss MANN denn bitte sein? Sogar Shay und Faith konnten nicht mehr vor Lachen, es war wirklich nur dumm!
Somit konnten wir auch das letzte Schloss öffnen. Voller Ehrfurcht, was uns jetzt erwartete, öffnete ich vorsichtig den Deckel. Und... es lagen einige lose Blättersammlungen darin, zwei kleinere Kistchen aus dunklem Holz und einige Bücher. Der Ire fand als erster die Worte wieder und starrte weiter in die Kiste.
Er deutete auf die Kästen. „DAS ist die Schatulle und das Manuskript ist auch gleich dabei. Das ist...“ Er sah zu mir hinunter. „Alex, wisst ihr was das heißt? Wir brauchen nicht mehr weitersuchen. Wir können die Operation ganz sei lassen! Das ist hervorragend!“ Er freute sich wie ein kleiner Schuljunge. Nur leider musste ich ihn jetzt bitter enttäuschen.
„Master Cormac, das mag DIE Schatulle sein. ABER sie ist aus der Gegenwart. Im Moment befindet sich also Zeitgleich die original Box ebenfalls hier. Sie existiert gerade doppelt. Und das kann gefährlich werden! Zumal ich diese Artefakte an mich nehmen werde und sie mit zurück in meine Zeit bringen werde. Denn wir suchen ja auch danach.“ gab ich dann zu bedenken.
Pure Enttäuschung legte sich auf sein Gesicht. Faith stand neben ihm und drückte seinen Arm. „Mo chride, Alex hat recht. DIESE Kiste suchen wir nicht. Und was ist, wenn die Assassinen Wind davon bekommen, dass noch eine zweite existiert? Dann geht die Jagd trotzdem weiter. Und sie haben immer noch den Schlüssel für die Karte. Das ist wirklich sehr verzwickt!“ Sie sah mich ratlos an.
„Da habt ihr Recht, Mrs. Cormac. Ich muss aber vielleicht meine Idee jetzt mit euch teilen, wie ich vorhatte dieses Wesen loszuwerden. Denn genau hiermit könnte es klappen! Man müsste die Schatulle nur öffnen und diesen GEIST hineinzwingen.“ Ich sagte ja, ich habe zu viel Ghostbusters gesehen!
„Das könnte funktionieren, denn es scheint auf solche Kräfte zu reagieren. Aber wenn es dann darin gefangen ist und später jemand diese Box öffnet, dann tritt es doch wieder hinaus? Was passiert denn dann?“ fragte mich Faith und sie hatte recht. Das wäre die nächste Frage, die ich aber leider nicht beantworten konnte.
„Ja, darüber habe ich auch schon nachgedacht. Aber ich weiß beim besten Willen nicht, was ich anders machen könnte.“ Ich sah von einem zum anderen.
„Und wenn wir versuchten, die Schatulle in dieser Welt zu vernichten? Ich meine mich zu erinnern, dass ihr sagtet, ihr hättet soweit auch alles schon erforscht und müsstet nicht mehr nach solch alten Dingen graben!“ sagte Shay völlig logisch.
„Das wäre ein Versuch, aber... WIE wollt ihr sie vernichten. Denn in jedem Falle würde sie wieder geöffnet, wenn man sie zertrümmert zum Beispiel. Oder im Feuer würde sie auch ihr innerstes nach außen kehren.“ meinte ich in einer umgekehrten logischen Art. „Und ich würde sie lieber mit in meine Zeit nehmen. Vielleicht gibt es ja auch einen Weg, wie wir dieses Wesen in unserer Welt bannen können. Es ist verdammt schwer jetzt eine Lösung zu finden.“
Ich besah mir gedankenverloren das andere Kästchen. Es war ein ganz unscheinbares Ding mit einem kleinen Schloss auf der Vorderseite. Ich schüttelte es und es klapperte etwas darin. Kurzerhand bat ich Faith noch einmal, ihre Schlossknacker Künste zu demonstrieren. Grinsend machte sich die Schottin ans Werk und es dauerte auch nicht lange, da hatten wir das Ding offen.
Ich sah hinein und staunte nicht schlecht. Im inneren mit Samt ausgeschlagen, lagen dort mehrere Templerringe an denen Zettel befestigt waren und eine silberne Kette mit einem Amulett daran. Vermutlich eines, welches man öffnen konnte und kleine Porträts zum Vorschein kamen. Und es lagen einige Briefe darin!
Aber mehr noch kam Mrs. Cormac nicht aus dem Staunen heraus und sie sah entsetzt zu ihrem Mann!
„Das ist unmöglich! Das kann nicht sein!“ Was denn?
Kapitel 165.1
Faith war völlig blass geworden! „Mrs. Cormac, um Gottes Willen, geht es euch nicht gut?“ Ich zog sie auf das Bett, damit sie sitzen konnte. Shay war neben ihr und hielt ihre Hand fest.
„Das kann nicht sein. Nein, das geht gar nicht!“ Ich sah sie verständnislos an und auch ihr Mann wusste nicht, was gerade passiert war.
„Was ist in der Kiste denn so ungewöhnlich? Es sind ein paar Ringe und diese Kette und ein Bündel mit Briefen.“ fragte ich frei raus.
Wortlos griff Mrs. Cormac in ihren Ausschnitt und holte eine silberne Kette mit einem Amulett hervor. Es war die selbe Kette, wie sie in der Kiste lag. Ich nahm die zweite heraus und hielt sie daneben! Tatsächlich, identische Stücke. Mit zitternden Händen nahm Faith jetzt das zweite Schmuckstück und öffnete es. Und plötzlich liefen ihr Tränen über die Wangen. Bei Odin, das Bild einer wirklich hübschen rothaarigen Frau und daneben das Porträt eines etwas mürrisch aussehenden Mannes. Und dann dämmerte es mir. Das waren Faiths Eltern, natürlich!
„Wie kommt diese Kette in den Besitz von diesem Mr. Engelhardt?“ sah sie mich fragend an.
„Das kann ich euch nicht sagen, ich wusste nichts davon!“ antwortete ich ehrlich. Aber mir schoss ein ziemlich absurder Gedanke durch den Kopf. Was, wenn die Templer in meiner Zeit den Stammbaum um Cudgel Cormac weiter verfolgt haben und so an die Erbstücke gelangt sind. Denn dieses hier ist eindeutig eines davon! Wie es aussieht! Diesen Verdacht mochte ich aber nicht wirklich äußern, denn ich müsste die spätere Existenz eines Enkels preisgeben.
Shay sah mich plötzlich scharf an. „Ihr wisst schon wieder etwas, oder? Ihr habt zumindest eine Vermutung, ich kann es förmlich in eurem Gesicht sehen!“
Ich spürte, wie meine Wangen warm wurden. Ich sah vom Iren zu Faith. „Ja, ich habe einen Verdacht. Eigentlich ist es noch nicht einmal etwas schlimmes, was euch widerfährt. Es ist nur... also... in einigen Jahren wird es einen Enkel geben!“ So, jetzt war es raus. Gerade als ich den Mund aufmachte um weiter zu erzählen, fiel mir die Schottin ins Wort!
„Ihr meint, July wird heiraten und Kinder bekommen? So werde ich sie aber ganz bestimmt nicht erziehen!“ entrüstet sah sie mich an und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen! „Ihr findet das lustig?“ jetzt wurde sie auch noch wütend. So war das ja gar nicht gemeint!
„Nein, ich dachte nur daran, dass ich euch vollstens verstehen kann. Ich würde eine Tochter auch nicht so erziehen wollen. Ich hatte damals mit Edward, Haythams Vater, Diskussionen darüber, dass man ein Mädchen auch anders aufwachsen lassen kann! Jennifer sollte nach den Traditionen aufwachsen, als ihr kleiner Bruder auf der Welt war. Mich machte das damals ziemlich wütend!“ entschuldigend sah ich ihr in die Augen. Wunderschöne blaue Augen, huschte mir dieser Gedanke durch den Kopf!
„Ah, ich verstehe. Verzeiht, ich dachte ihr macht euch über mich lustig.“ jetzt erschien ein Lächeln und ich war beruhigt. „Das heißt mit anderen Worten, unsere Familie wird weiter existieren? Das finde ich gerade sehr erleichternd, oder nicht, mo chride?“ Sie sah ihren Mann mit leuchtenden Augen an.
„Das ist wirklich einmal eine gute Nachricht. Darf ich fragen, wie dieser Enkel denn heißen wird?“ Sollte ich ihm das sagen? Ach was solls... ich würde platzen, wenn ich nicht solche Nichtigkeiten erzählte.
„Er heißt Cudgel Cormac, lebt in New York und, nunja, er tritt in eure Fußstapfen, Master Cormac. Er ist Templer und Assassinenjäger. Ihr werdet ihn diesbezüglich trainieren, genau wie sein Vater!“ Nun hatte er die Informationen und sah mich begeistert an.
„Die Templer werden weiterhin Jagd auf die Assassinen machen?“ fragte er interessiert nach. Und irgendwie fühlte ich mich gerade nicht so wirklich wohl in meiner Funktion als Assassine hier! Ich schüttelte dieses Gefühl aber ab, denn ich vermute mal, dass ich von Master Cormac nichts zu befürchten hatte.
„Ja, sie werden uns weiterjagen. Leider, muss ich an dieser Stelle sagen. Ihr wisst ja, ich gehöre ja immer noch der Bruderschaft an!“ sagte ich etwas unsicher.
„Oh, ich hatte das wirklich völlig verdrängt! Ihr... seid ja Assassine. Könntet ihr euch vorstellen, die Seiten zu wechseln?“ fragte mich Faith jetzt völlig ernst.
Könnte ich mir das vorstellen? Wollte ich das? Meine Brüder und Schwestern verlassen? Sollte ich noch einmal reisen, dann würde ich tatsächlich keiner Bruderschaft mehr angehören, denn niemand kannte mich hier im 18. Jahrhundert und könnte mein Fürsprecher sein. Aber bis dahin... würde es noch eine Weile dauern und ich verdrängte diesen Gedanken!
Kapitel 166.1
„Wenn ich ehrlich sein darf, Mrs. Cormac? Ich bin mir im Moment mit nichts mehr sicher. Es ist einfach zu viel vorgefallen, als das ich einen richtig klaren Gedanken fassen könnte!“ erwiderte ich ehrlich.
„Das ist verständlich. Aber wir sollten sehen, was noch in dieser Kiste ist.“ gab Shay jetzt von sich und fischte die Ringe heraus. Auf den kleinen Zettelchen standen Namen, mit Geburts- und Sterbedatum. Zu spät realisierte ich, dass auch SEINER darunter sein muss, wenn denn die Erbstücke in dieser kleinen Truhe waren. Ich äußerte meine Sorge.
„Master Cormac, ich bitte euch. Lasst mich die Ringe in Augenschein nehmen. Ich befürchte...“ aber zu mehr kam ich nicht. Denn er hielt einen hoch und zeigte ihn mir und seiner Frau. Auf dem Zettel stand fein säuberlich geschrieben:
Haytham Edward Kenway *4.12.1725 +16.09.1781
Das war ja jetzt Odin sei Dank, keine neue Erkenntnis, trotzdem dachten wir alle daran, ihn zu verlieren! Jeder hatte eine ganz eigene Beziehung mit ihm und dieser Gedanke ist... verzeiht, ich weiche schon wieder von der Geschichte ab.
„Wenn aber auch seine persönlichen Dinge in Templerhand sind, dann müssen sie ja eigentlich seinem Sohn genommen worden sein. Denn soweit wir wissen, hat Connor die persönlichen Gegenstände seines Vaters an sich genommen. Daher auch der Tagebucheintrag! Anders könnte ich mir das jetzt gar nicht erklären!“ tat ich meine Gedanken kund.
„Das würde ich auch meinen. Nur ich würde nicht gerne weiter darüber reden, wenn es recht ist!“ meinte Shay mit einem scharfen Unterton in der Stimme.
„Ihr habt Recht, Master Cormac. Wir sollten uns weiter mit dem eigentlich Problem beschäftigen.“ Und so nahm ich die Briefe in die Hand! Und... jetzt erstarrte ich und musste mich setzen.
Es waren ein Packen Briefe, in dieser mir so bekannten feinen geschwungenen Schrift, wie sie mein Templer an den Tag legte! Der Name des Empfängers oder besser der Empfängerin, war immer derselbe. Jennifer Scott! Das war Haythams Korroespondenz mit seiner großen Schwester! Ich traute mich nicht, sie zu öffnen und zu lesen, denn ich hatte plötzlich wieder dieses Gefühl, er könnte jederzeit in der Tür erscheinen und mich deswegen tadeln.
„Mrs. Frederickson, was ist denn? Jetzt seht IHR aus als hättet ihr ein Gespenst gesehen!“ fragte mich Mrs. Cormac besorgt.
„Das sind Briefe die Master Kenway an seine Schwester geschickt hat oder auch schicken wird. In ihnen teilt er … seine Gedanken bezüglich des Ordens und der Assassinen mit. Ich meine mich dunkel daran zu erinnern, dass eine junge Templerin sie damals von Jennifer bekommen hatte. Denn der französiche Orden sah nicht gerne solches Gedankengut und wollte sie vernichten. Aber dieses Mädchen verbrannte andere Briefe und hielt diese unter Verschluss!“ Warum erzählte ich das jetzt alles? Es würde für die beiden weitere Fragen aufwerfen. Aber gebannt hatten sie mir zugehört und sahen mich voller Erwartung an.
Namen erwähnte ich jetzt absichtlich nicht, denn Shay würde in 20 Jahren ungefähr ja genau auf diese ganzen Personen treffen und diesem Jungen, Arno, seinen Vater nehmen. Es war doch zum verrückt werden. Ich könnte es jetzt damit verhindern, indem ich ihm genau DAS sagte. Aber etwas in mir, hinderte mich plötzlich daran.
„Alex, ich kann schon wieder in eurem Gesicht lesen. Aber ich vermute mal, dieses mal bekomme ich keine Einzelheiten?“ meinte Shay mit einem ziemlich enttäuschten Ton in der Stimme.
„Nein, ich werde euch da jetzt nichts näheres erzählen. Denn es betrifft tatsächlich eure Zukunft und ihr werdet bald selber herausfinden, was ich meinte.“ ich lächelte ihn an, damit er nicht sauer auf mich ist. Ich kann ja nichts dafür, aber er durfte alles essen, aber nicht alles wissen. Drei Euro für das Phrasenschwein!
Jetzt saßen wir drei in diesem Zimmer und wussten nicht, wie es weitergehen sollte. Als erste ergriff Faith das Wort.
„Und was machen wir jetzt? Versuchen wir es mit dieser Schatulle? Oder sollten wir nicht noch einmal überlegen, ob es andere Alternativen gibt?“
„Nein, wir sollten jetzt einige persönliche Sachen von Marius in diese Truhe packen und dann diese mitnehmen. Und wir sollten den Finnegans noch erklären, warum Marius nicht mehr wieder kommt! Alles andere werden wir im Fort George dann sehen!“ meinte ich, denn ich wollte nicht noch länger hierbleiben.
Ich wollte meinen Großmeister wiederhaben und das schnell!
Kapitel 167.1
Auf dem Weg zurück zum Fort, ging mir ein Gedanke nicht mehr aus dem Kopf. Warum hatte Marius eigentlich diese Schatulle und das Manuskript mit hierher gebracht? Zum einen war es ein gefährliches Unterfangen, wenn die Artefakte hier in der Zeit doppelt existierten. Zum anderen hatte er sicherlich jetzt bei seinem Großmeister ein ziemliches Problem. Die Neuzeittempler hatten jetzt nichts mehr, dafür hatte ich jetzt gleich beides!
Innerlich freute ich mich ein bisschen und ein Fünkchen Schadenfreude war auch dabei. Denn das würde sich für uns Assassinen sicherlich gut machen. Doch tief in mir, keimte eine Angst auf, die ich noch nicht fassen konnte. Sie war aber da, denn... was, wenn die Neuzeittempler NOCH ein ähnliches Zeitreiseartefakt besaßen? Was, wenn sie es nutzten und HIERHER kamen? Was sollte ich dann machen? Denn dann würde das größte Chaos ausbrechen und wer war schuld? Ich! Naja, nicht alleine. Mein dämlicher Ex-Verlobter hatte seinen Beitrag ebenso geleistet. Aber ich konnte diesen Ring, den ER nutzte noch mitnehmen. Denn ich würde zu gerne wissen, was es damit auf sich hat. Ich fragte mich aber auch, wie das Zeitreiseartefakt doppelt existieren konnte. Also einmal hier und in der anderen Welt?
Es war ein ziemliches Durcheinander und ich würde Zeit brauchen, alles zu durchforsten.
Dennoch musste ich jetzt vorsichtiger und mit Bedacht vorgehen. Vielleicht sollte ich meine Entscheidung, bezüglich einer weiteren Reise doch noch einmal überdenken? Aber ich wollte nicht, in mir tobte gerade das bockige 3jährige Mädchen. Ich will nicht, ich will nicht, ich will nicht!!!!
Als wir ankamen, schwirrte mir der Kopf vor lauter Grübeleien. Die Fahrt über, sie ist ja nicht so wahnsinnig lang, sprachen wir nicht wirklich. Ich stieg aus und ließ die Truhe mit den Sachen meines Ex in das Arbeitszimmer vom Großmeister bringen. Anschließend ging ich nach oben und sah nach meinem Sohn.
Ihm ging es definitiv besser, er hatte wieder Farbe im Gesicht. Aber das Bein schmerzte, vermutlich von dem Sturz noch. Ich erzählte ihm kurz, was wir herausgefunden haben über seinen Vater. Normalerweise ist mein Sohn nicht so, aber seine Wut auf seinen Erzeuger, dem er anscheinend doch ziemlich egal zu sein schien, konnte er nicht zügeln. „Er hatte geplant, dass ich einfach alleine bleibe und du in dieser anderen Welt leben sollst? Was für ein kranker Spast ist das bitte? Mum, sag mir, dass wir ihn nie wieder sehen werden! Ich will, dass er einfach aus meinem Leben verschwindet!“ Ich konnte ihn zu gut verstehen.
„Es tut mir so leid für dich. Aber dass ich mich so in ihm getäuscht habe, kann ich nicht fassen. Ich habe dich damit auch in Gefahr gebracht! Ich mag mir gar nicht ausmalen, was hätte passieren können!“ Als ich in seine Augen sah, huschte plötzlich ein Schleier darüber. Erschrocken wich ich zurück. „Yannick! Seit wann hast du diese Fähigkeit?“
Er grinste mich an. „Mum, es ist... so eigenartig gewesen. Als ich wieder hier in meinem Körper alleine war, spürte ich sowas wie ein Kribbeln überall. Ich wollte es unterdrücken und konzentrierte mich auf einen Punkt hier im Zimmer. Auf einmal war alles grau in grau und ich konnte nur Mrs. Wallace als blaues Leuchten sehen. Ist das wirklich dieser Adlerblick? Den den du auch hast?“ Er klang immer aufgeregter und ich wurde es auch. Es wurde immer wunderlicher hier. Was bitte hinterließ dieses Wesen in einem. Doch dann fiel mir auch wieder ein, wie der Chevalier in der anderen Welt erwähnte, als Marie auftauchte, hätte er ähnliches erlebt. War dieses Ding dann für kurze Zeit erst in IHM gewesen? Oder wie musste ich das verstehen?
„Ja, das ist er und ich bin so stolz, dass du ihn jetzt hast und auch schon nutzen konntest. Normalerweise bedarf es doch ein paar Wochen der Übung. Wenn wir wieder zuhause sind, dann sollten wir diese Fähigkeit weiter ausbauen und trainieren.“ Ich weiß nicht warum, aber ich war auf einmal etwas gelöster. So als hätte ich etwas von meiner To-Do-Liste gestrichen und könnte zum nächsten Punkt.
Und dieser war, meinen Templer wieder ins hier und jetzt zu holen und gleichzeitig, dieses Vorläuferwesen zu bannen. Ich war mir immer noch nicht sicher, ob es wirklich klappen könnte, es war aber einen Versuch wert.
Zwischenzeitlich waren Shay und Faith auch hier oben, aber sie waren bereits bei Haytham. „Ich komme gleich wieder, ich gehe rüber und sehe nach, was wir jetzt tun können.“ Ich gab Yannick einen Kuss auf seine Stirn und ging hinaus, doch ich überlegte kurz, ob ich das Amulett jetzt schon mitnehmen sollte. Entschied mich aber dagegen.
Ich war noch nicht ganz auf der Galerie, da hörte ich schon wieder lautes Gezeter. Warum in drei Teufels Namen, musste Shay mit diesem Wesen streiten. Es brachte doch nichts. Als ich eintrat, stand Faith hinter ihrem Mann und versuchte ihn davon abzuhalten auf Master Kenway loszugehen. Ich konnte seine Wut so gut verstehen und diesen Zwiespalt, dass es eigentlich ja NICHT der Großmeister ist.
Als ich ans Bett trat, sah ich wieder, wie Haythams Augen leuchteten. Er war wirklich nicht in der Lage, sich zu befreien. Ich mochte mir seine eigenen Qualen gar nicht vorstellen, bei Odin, er tat mir leid.
Kapitel 168.1
„Ihr grübelt und grübelt. Kommt zu keinem Ergebnis, wie ihr mich los werden könnt. Ich sehe, ihr seid einfach unfähig und zu nichts zu gebrauchen. Wir hätten eure Rasse einfach untergehen lassen sollen!“ kam es gehässig aus dem Mund meines Templers. Jones stand einfach nur mit offenem Mund da und schüttelte den Kopf. „Er ist besessen. Wir sollten endlich jemanden holen, der Master Kenway erlöst. Es ist schrecklich! Und das alles nur wegen EUCH!“ polterte er drauf los und zeigte auf mich.
„Nicht wegen mir alleine. Sicher, ich trage eine Mitschuld, aber sicherlich nicht alleine, Jones! Und jetzt reißt euch zusammen, er ist nicht vom Teufel besessen. So etwas ist reiner Aberglaube! Geht lieber und macht euch nützlich, bei was auch immer!“ warf ich ihn kurzerhand aus dem Zimmer. Denn so jemanden konnte ich jetzt hier nicht gebrauchen.
Wir mussten alle einen kühlen Kopf behalten! Und dann fiel mir plötzlich ein, dass man zum Aktivieren dieser Schatulle Strom brauchte. Ja, woher bekam ich den denn jetzt „Master Cormac, ich befürchte meine Idee mit der Schatulle ist eine Schnapsidee. Denn, wo bekommen wir den Strom her, um sie zu öffnen?“ Sah ich ihn fragend an, obwohl ich mir denken konnte, dass er es am allerwenigsten wissen konnte.
Doch der Ire sah mich mit einem großen Fragezeichen über dem Kopf an. „Ihr braucht WAS dafür?“ Und auch Faith schien verwirrt. Und dann fiel bei mir der Penny. Ahhh... Die Bezeichnung Strom existierte ja noch gar nicht. Und wieder muss ich sagen, man merkt sehr schnell, WAS man vermisst!
„Oh, verzeiht, ich meine so etwas wie die Blitze mit den Stangen bei Master Franklin damals. Ihr erinnert euch? Das nennen wir Strom, Elektrizität halt.“ Es dämmerte den beiden und wie aus einem Mund kam nur.
„Aber woher kriegen wir ein Gewitter?“ Und wieder muss ich sagen, es ist doch wie in Zurück in die Zukunft. Wir brauchten also doch den Blitz.
„Ihr könntet ja auch einfach fragen und ich würde euch sicherlich auch helfen!“ kam es zynisch vom Bett. „Ich öffne sie euch, aber ihr lasst mich einfach in Ruhe meiner Wege gehen. Ihr Menschen seid doch sowieso immer so auf Harmonie und Kompromisse aus! DAS ist doch ein guter Vorschlag, findet ihr nicht!“ dieses breite Grinsen war so widerlich, dass ich mich auch wieder zusammen reißen musste, nicht meine Hand zu erheben!
„Wir werden für euch gar nichts mehr tun. Ihr habt genug Schaden angerichtet.“ kam es von Mrs. Cormac. Sie war sichtlich wütend und musste sich ebenfalls zügeln!
„Schaden?“ Haythams oder besser der Blick des Wesens ging in meine Richtung. „Habt ihr den beiden Degenerierten hier gar nichts von den fantastischen Neuigkeiten bezüglich eures Sohnes erzählt?“ Wieder dieses Grinsen.
Und wieder starrten mich die beiden an. Ich seufzte nur und erzählte, dass Yannick jetzt auch den Adlerblick hätte, genau wie der Chevalier in der anderen Welt. „Und wann hattet ihr vor, uns das zu erzählen?“ kam es maulig von Shay.
„Moment mal, ich hab es eben erst erfahren, als ich drüben bei ihm war. Bisher hatte ich ja wohl kaum eine Gelegenheit, es zu berichten, oder?“ Jetzt reichte es mir langsam. Und plötzlich schoss mir ein Gedanke in den Kopf. Dieses Wesen versuchte uns gegenseitig auszuspielen, es wollte Zwietracht sähen! Das Ding war einem Teufel anscheinend nicht unähnlich, aber ich bezweifle, dass ein bisschen Singsang von einem Priester und Weihwasser ausreichen würden, es zu besiegen.
Ich bat die Cormacs, mich auf die Galerie zu begleiten. Denn ich wollte vor dem Wesen nicht darüber reden, was als nächstes zu passieren hatte. Bereitwillig folgten sie mir und als wir drei vor der Tür waren, konnte ich regelrecht sehen, wie wir alle wieder ruhiger wurden und der Zorn nachließ.
„Das … ist mehr als unheimlich. Es beeinflusst alles und jeden um sich herum. Noch länger und wir wären uns wahrscheinlich an die Kehlen gegangen!“ Meinte Haythams kleine Schwester nur. FBI, ihr wisst noch?
„Genau aus diesem Grund, bat ich euch mit hinaus. Ich hatte vorhin schon einmal ein ähnliches Gefühl. Doch nun dazu, was jetzt geschieht. Wir bekommen die Schatulle vermutlich nicht so einfach geöffnet. Und mit den Stromreserven, die ich noch habe, wird es auch nicht ausreichen!“
Moment... doch, ich hatte Reserven. Auf der Jackdaw!!!
Kapitel 169.1
Natürlich, wir haben die Brig umbauen lassen, damit sie für unsere neuzeitlichen Gewässer hochseetauglich war. Und wir mussten kleine Generatoren einbauen lassen, die die Segel ersetzen konnten.
Darüber sollte sich sicherlich genügend Strom erzeugen lassen, um die Schatulle zu öffnen. Aber … wir müssten jetzt noch Haytham hinüber bekommen. Das würde schwierig werden, denn wir wussten alle nicht, wie sich dieses Wesen verhält, wenn die Fesseln fehlten.
Ich hatte keine Ahnung, welche Kraft dahinter stecken mochte. Und ehrlich gesagt, ausprobieren wollte ich es auch nicht unbedingt. Aber wir mussten es ja irgendwie versuchen!
„Mrs. Frederickson!“ hörte ich die Stimmen von Shay und Faith laut neben mir. Verdammt, war ich schon wieder so weit gewesen?
„Verzeiht, aber mir kam eine Idee und sie müsste auch funktionieren!“ ich strahlte die beiden an, doch mir schlug nur Unverständnis entgegen!
„Dann raus mit der Sprache!“ forderte mich der Ire auf.
„Wie ich ja berichtet habe, wurde die Jackdaw für unsere Zeit umgebaut. Wir brauchen so etwas wie einen Antrieb, der das Schiff voranbringt, wenn zum Beispiel das Segeln nicht möglich ist, weil kein Wind geht und ...“
„Dann wartet man einfach ab oder ändert entsprechend die Route und den Kurs...“ Man muss es ihm lassen, er dachte praktisch und wie ein Seemann des 18. Jahrhunderts. Aber das wars dann auch, denn mehr kannte er noch nicht. Also brachte ich ihn nochmal auf den neuesten Stand!
„Lasst mich bitte ausreden, denn so einfach ist das in der modernen Seefahrt nun leider nicht! Wir haben großen Schiffsverkehr zwischen Amerika, Asien, Europa und und und. Da sind riesige Frachter unterwegs, das könnt ihr euch nicht vorstellen. Und da wäre es zu gefährlich, NUR mit Segeln zu agieren. Man muss schnellere Wendemanöver hinbekommen und die Unternehmen haben Zeitlimits, um ihre Fracht pünktlich von A nach B zu transportieren. Von daher ist ein schnellerer Antrieb von Nöten. Zumal diese Frachter zu groß sind, als das sie mit reiner Segelkraft voran kämen. Daher gibt es sogenannte Motoren oder Hilfsmotoren in meinem Falle.“ versuchte ich jetzt zu erklären.
„Ah, das hört sich sehr abenteuerlich an.“ erwiderte Shay. „Aber wenn ihr meint, dass das mit den... Dings... klappen kann, dann sollten wir uns vorbereiten!“ Er wollte schon wieder ins Schlafzimmer eilen, aber ich hielt ihn zurück.
„Nein, nicht so schnell. Ich muss das erst vorbereiten auf dem Schiff und wir müssen uns überlegen, wie wir Haytham, ohne dass dieses Wesen uns schaden kann, zur Brig bekommen!“
„Wir lassen ihn einfach gefesselt, etwas anderes kommt gar nicht in Frage!“ kam es von Faith. „Und ich denke, wenn wir zwei drei Wachen mitnehmen, sollte nichts passieren. Wir alle haben ja ein gewisses Training und sind nicht völlig hilflos!“ Dabei sah sie mich so herausfordernd an, dass ich ihr am liebsten einen Probekampf vorgeschlagen hätte. Was dachte diese Frau eigentlich wer sie ist? Doch dafür wäre später noch Zeit, schoss es mir durch den Kopf.
Ich ging zu meinem Sohn hinüber und holte mir das Amulett von Haytham und es fing gefährlich hell an zu leuchten und auch die Tätowierung leuchtete unter meiner Kleidung durch. Ich sollte es jemand anderem überlassen, bevor ich noch einmal irgendwohin teleportiert werden konnte.
„Mum, habt ihr eine Lösung gefunden? Mrs. Cormac hatte mich bezüglich dieser Artefakte schon einmal ausgefragt. Ich glaube, sie hat eine Vorahnung, was damit passieren kann. Ich dachte, das solltest du noch wissen! Sie ist ziemlich neugierig finde ich! Übrigens, kann ich nicht vielleicht helfen? Ich fühle mich völlig nutzlos gerade, obwohl ich doch sicher etwas tun könnte?“ Ich überlegte kurz und meinte dann nur, dass ich die Heilerin einfach noch einmal schicke, dann soll sie entscheiden. „Das hört sich gut an!“ strahlte Yannick mich an.
Wieder auf der Galerie überreichte ich Shay das Amulett und bat Faith, einmal über meinen Sohn zu schauen, ob er eventuell mitkommen könnte. Ich ging ins Schlafzimmer und ins Ankleidezimmer und zog mich um. Mein Ornat wäre für diese Aufgabe sicher besser geeignet, als ein Kleid! Als ich wieder hinüber ging, sah mich dieses Wesen aus diesen leuchtenden Augen an.
Doch für einen Augenblick erstarb das Leuchten und ich hörte Haythams Stimme. Verzweifelt kam nur: „Hilf mir, dieses Ding zu besiegen. Ich fühle es immer stärker werden! Bitte, tu etwas! Du musst nur...!“ mehr konnte mein Templer mir nicht mitteilen! Verdammt. WAS musste ich nur??? Jetzt musste ich mich auf unseren Plan verlassen, etwas anderes hatten wir ja nicht!
Ich ging wieder hinaus und über die Galerie zu Yannick. Als ich eintrat, bedachte mich Faith wieder mit diesem Blick voller Kampflust, schüttelte aber den Kopf und gab grünes Licht für meinen Sohn. Also, auf auf zur Jackdaw!
Kapitel 170.1
Mrs. Wallace half meinem Sohn beim Aufstehen und Ankleiden! Als er fertig war, halfen wir ihm die Treppe hinunter, aber er konnte schon sehr gut laufen. Der Oberschenkel schien gut zu verheilen!
Unten vor der Tür wartete Shay schon vor der Kutsche, die uns zur Brig bringen sollte. Es war ein nasskalter Abend geworden und es wurde bereits dunkel. Eigentlich fand ich es zu spät und würde lieber bis morgen warten, doch ich hatte nachdem, was Haytham kurz herausbringen konnte, noch mehr Angst um ihn.
Ich erzählte den beiden Templer davon und auch Faith meinte nur, dass sie auch lieber mehr erfahren hätte. „Mir geht es ja genauso, aber es sind immer noch winzige Momente, in denen es Haytham schafft, seinen Geist in den Vordergrund zu schieben. Ich weiß um dieses Gefühl und wie schwer das ist. Es ist grauenhaft. Man ist völlig hilflos eigentlich!“
„Eigentlich wäre es mir lieber, wenn wir dieses Wesen komplett zerstören könnten. Nur wegsperren ist immer eine unsichere Sache.“ Da hatte Shay nicht unrecht, doch WIE wollte er es denn vollständig besiegen?
„Das wäre uns allen sicherlich lieber, aber wir wissen nicht, WIE. Da denke ich, ist die Idee des Einsperrens erst einmal das Beste und dann sehen wir weiter!“ Mein Plan stand fest, dass ich die Schatulle dann mit in meine Zeit nahm und wir uns dort weiter damit befassten. Und mit einem Mal hatte ich dieses Kribbeln wieder im Nacken, jemand beobachtete uns. Ich sah vorsichtig nach draußen, aber in diesem diesigen Halbdunkel konnte ich nichts ausmachen.
Mein Adlerblick brachte auch keinen Aufschluss. „Was habt ihr, Mrs. Frederickson?“ Fragte Shay. „Ich glaube, wir werden verfolgt und beobachtet! Aber ich kann niemanden sehen auch nicht mit dem Sinn! Seht ihr etwas?“
Auf einmal saßen die beiden mir nur gegenüber und starrten mich an. Aber ich sah, sie musterten mich. „WAS? Was ist los?“ ich bekam Panik! Hatte sich dieses Viehch etwa an mich gehängt, oder war etwas an oder in mir? Yannick neben mir sah mich seelenruhig an. „Du bist leuchtend Gold, Mum! Was heißt das?“ fragte mein Sohn in seiner Neugierde.
„Das heißt, ich bin eine vertraute Person. Jemand, der dir nichts böses will!“ und wieder sah ich zu den Cormacs. Sie hatten sich gefangen und Faith ergriff als erste das Wort.
„Ihr... eure Aura hat sich geändert! Vor ein paar Tagen noch, ward ihr wie in einen Nebel gehüllt. Jetzt und da hat euer Sohn recht, leuchtet ihr regelrecht in einem hellen Gold!“ Ihr Erstaunen konnte sie nicht verbergen!
„Ich war was? Nebelig? So wie ihr auch? Das klingt völlig absurd und ich würde zu gerne wissen, was es damit auf sich hat!“ meinte ich etwas ungläubig. Nebelig könnte vielleicht bedeuten, dass dahinter etwas anderes lag, dass er sich beizeiten heben wird und... Mir kam der absurde Gedanke, dass meine Aura mir mitteilen wollte, dass ich angekommen bin. Dass ich hierher gehörte. Ich schüttelte diesen völlig dummen Gedanken ab, denn das konnte schlicht weg einfach nicht sein.
„Ihr ward schon wieder weit weg, Mrs. Frederickson. Ich habe mir auch schon Gedanken darüber gemacht, was der Nebel heißt. Ich ging davon aus, das ihr so erscheint, weil ihr in unserer Zeit einfach noch nicht geboren seid und deswegen so ausseht. Aber das mit dem goldenen Leuchten ist schon … erstaunlich. Es ist nicht gleißend hell, wie bei einem Seelenverwandten, aber schon deutlich greller als üblich!“ erklärte mir Faith ihre Sicht der Dinge. Jetzt waren wir aber vom eigentlichen Thema abgekommen, dem Beobachtet werden und ich machte alle noch einmal darauf aufmerksam.
Aber wir sahen niemanden, kein Leuchten nichts. Seltsam, vielleicht hatte ich mich auch einfach nur getäuscht. Meine Nerven spielten mir sicherlich nur einen Streich!
Dann hielt die Kutsche endlich im Hafen und wir konnten aussteigen. Ich sah meine Brig schon von weitem aufragen und eilte mit schnellen Schritten darauf zu. Doch ich hielt kurz vorher inne, da stimmte etwas nicht. Es war niemand an Deck und nirgends brannte ein Licht oder eine Fackel. Sie war wie leer gefegt!
Ich sah mich zu meinen Begleitern um, auch sie hatten es bemerkt. Ich gab Yannick Anweisung sich im Hintergrund zu halten, da er ja mit seinem verletzten Bein noch nicht so gut zu Fuß war. Shay schlich sich von der Bugseite an, Faith von der Steuerbordseite und ich nahm das Heck. Vorsichtig kletterte ich daran hoch und passierte eines der Fenster zu meiner Kajüte. Dort bewegte sich tatsächlich etwas. Ein kleiner Lichtkegel wanderte hektisch umher! Eine Taschenlampe???
Kapitel 171.1
Leise zog ich mich die letzten Zentimeter hoch an Deck und landete lautlos auf dem Oberdeck. Dort war niemand zu sehen, keine einzige meiner Wachen. Von hier konnte ich leider nicht durch das Oberlicht schauen, es war verschlossen und leider so milchig gehalten. Aber dieser hektische kleine Lichtkegel war deutlich auszumachen.
Ich vernahm von der Steuerbordseite nur ein leises Poltern und dann herrschte wieder Stille. Mein Blick sagte mir, dass Shay und Faith beide bereits an Bord waren. Und ich machte leichte rote Flecken aus. Doch einer nach dem anderen verschwand. Ich ging leise die Stufen zur Kajüte hinunter und duckte mich gleich, damit man mich nicht durch das Glas in der Tür ausmachen konnte.
Aus dem Inneren hörte ich die Geräusche von Schubladen die aufgezogen wurden und Schranktüren die zugeschmissen wurden. In diesem Moment war ich froh, dass ich die wichtigen Papiere vorzeitig doch noch an mich genommen hatte und alles bei Haytham im Ankleidezimmer verstaut war.
Doch dann kam mir der nächste Gedanke, was, wenn die Suchenden genau das ahnten und sich dorthin aufmachten? Ich musste das auf jeden Fall verhindern. Langsam öffnete ich die Tür zu meiner Kajüte einen kleinen Spalt und spähte hinein, es war eine Person. Der Größe und Statur nach eine Frau. Aber wer das war, konnte ich nicht erkennen. Es war nur hier und da etwas zusehen von der Kleidung, wenn sich der Lichtstrahl der Taschenlampe irgendwo spiegelte. Und es war keine hier übliche Ausstattung, sondern ganz normal Trainingssachen, wie sie bei uns in unserer Zeit üblich sind. Üblich vor allem unter den Templern!
Oh nein, gab es etwa NOCH so ein Artefakt, mit dem man in der Zeit reisen konnte? Oder waren diese Herrschaften einfach zu einer anderen Zeit, vor meinem Ex, gereist? Das war alles nicht wahr, was hatte ich nur gemacht! Schoss es mir wieder durch den Kopf und ich beschloss, dieser Frau jetzt auf den Zahn zu fühlen.
Ich war bereits drinnen und schmiss die Tür lautstark hinter mir zu. Erschrocken drehte sich diese Person zu mir um und jetzt konnte ich im Schein der Taschenlampe sehen, WER sie ist. Es war Anna Ritter, 49 Jahre alt, die große Spionageexpertin von Abstergo und kannte sich mit allerlei Waffen hervorragend aus. Sie hatte mir schon des öfteren bei Aufträgen im Weg gestanden und mir das Leben schwer gemacht. Sie war überheblich und einfach … zum reintreten.
„Ahhhh, Mrs. Frederickson, endlich treffen sie hier mal ein. Ich habe schon mal für Ordnung gesorgt.“ Mit einer ausladenden Bewegung ihrer Hand deutete sie auf die verstreuten Dinge auf dem Boden. „Ich hoffe, sie nehmen es mir nicht übel?“ grinste dieses Weibsstück breit.
„Aber, aber Mrs. Ritter, sie hätten doch ruhig einen Termin mit mir vereinbaren können. Dann hätten wir uns nett zusammen gesetzt. Doch jetzt? Wissen sie nicht, dass man auch höflich fragen kann? Wonach haben sie denn gesucht, wenn ich fragen darf?“ Tat ich unwissend und lehnte mit verschränkten Armen am Türrahmen und musterte sie. Sie hatte eine nur leicht hellrote Aura, sollte mir das jetzt sagen, sie ist nur halb gefährlich? Manchmal fragte ich mich wirklich, was diese ganzen Farben wirklich bedeuten sollten.
„Mrs. Frederickson, sie wissen, wonach ich suche. Wo haben sie Marius Sachen gelassen?“ Ahhhh, daher wehte der Wind. Sie waren NACH ihm angekommen um die Sache wieder gerade zu rücken. Das hieß im Umkehrschluss, dass mein Ex entweder gefeuert wurde oder gleich den Haien zum Fraß vorgeworfen worden ist. Denn die Tatsache, dass er gleich BEIDE Artefakte versemmelt hatte, traf den Orden auch gleich DOPPELT hart. Innerlich freute ich mich wieder riesig und die Schadenfreude in mir hüpfte!
„Von wem?“ fragte ich provozierend.
„Wir können auch ein anderes Spielchen spielen, wenn sie unbedingt wollen! Meine Männer haben ihre Mannschaft unter Deck in Gewahrsam und SIE sind ganz alleine hier bei mir!“ kam es süffisant über ihre Lippen. Sie war sich ihrer Sache sehr sehr sicher!
„Oh, ich liebe Spiele! Welches wollen wir zuerst probieren? Schneller als der Schatten oder doch lieber Verstecken wie ein Feigling?“ ich mag solche Sticheleien, denn ich wusste, sie konnte mir zwar gefährlich werden, doch ich hatte hier meine versteckten Klingen, Schwert und Dolch und meine Glock, die gut versteckt in meinem Rückenteil steckte.
Ich ging langsam auf sie zu. Und als wenn ich es geahnt hätte, zog sie ihre Waffe. Ebenfalls eine kleine handliche Glock. Sie richtete sie direkt auf mich, auf wen auch sonst. Ich ging noch einen Schritt weiter. Und dann hörten wir von unten laute Rufe und Getrampel von Füßen.
Kapitel 172.1
Anna sah mich wutentbrannt an und ich lächelte sie nur an. „Sie glauben, ich komme alleine hierher? Sie sind wirklich naiv, Mrs. Ritter!“ gab ich nur von mir.
Sie entsicherte ihr Waffe wieder und hielt sie wieder im Anschlag auf mich gerichtet. Hektisch, sah sie sich in alle Richtungen um, so als warte sie auf Hilfe. Das Dumme war nur, ICH wusste nicht, WAS da unten passierte. Ich wusste auch nicht, WIEVIELE Leute sie mit hinüber gebracht hatte. Und jetzt fühlte ich mich den Cormacs gegenüber noch mehr schuldig!
Ich hoffte, nein ich betete tatsächlich, dass ihnen nichts passiert ist. Denn wenn die Templer alle hier mit den Neuzeitwaffen angereist sind, hatten sie so gut wie keine Chance! Doch ich musste jetzt handeln, bevor diese Frau den Abzug drücken konnte.
Immer noch auf mich starrend, stand sie leicht breitbeinig da und wartete. Ich sah meine Gelegenheit und aktivierte die Klingen und sprintete ihr entgegen, kurz bevor ich bei ihr war, wich ich nach rechts aus. Und genau in dem Moment, drückte sie ab und der Schuss ging knapp an mir vorbei und schlug in die Scheibe der linken Tür und sie zerbarst.
Nachladen, wieder zielen und ich duckte mich darunter durch und rutschte auf den Knien auf sie zu. Mit einem Schwung meiner rechten Hand fuhr ich mit der Klinge über ihr Schienbein. Sie schrie auf und hieb jetzt mit der Waffe nach mir.
Ich konnte sie aber noch mit dem linken Handgelenk blocken, fühlte allerdings einen stechenden Schmerz, als sie mich traf. Leicht abgelenkt, konnte sie jetzt erneut ausholen und das tat sie, aber mit ihrem rechten Knie wollte sie mich im Gesicht treffen. Ich kniete ja immer noch, doch ich sah diesen Ruck, als sie es anwinkeln wollte und rollte mich von ihr weg, weiter nach rechts.
Jetzt war ich zwischen Bett und Schreibtisch. Sie zielte erneut, aber schwankte leicht, da ihr Schienbein stark blutete und sie anscheinend viel Blut verlor. Nebenher hörte ich von unten ebenfalls die Kampfgeräusche, aber konnte auch die Stimmen einiger meiner Männer ausmachen! Sollte mich das jetzt beruhigen?
„Sagen sie mir einfach, wo sie die Artefakte hingebracht haben!“ Schrie sie mich an.
„Ich habe sie nicht, Ehrenwort!“ grinste ich sie wieder an. „Vielleicht sollten ihre Männer mal gründlicher suchen!“ Ich erhoffte mir ein paar Informationen, hinsichtlich der Anzahl.
„Als wenn meine Leute keine Ahnung hätten, wie man gründlich sucht. Vergesst nicht, WER wir sind!“ Sie war näher gekommen und versuchte es mit einem bösen Blick. Aber... irgendwie zog der bei mir gerade gar nicht. Ich dachte nur mach dich nicht lächerlich, Frau
Und dann holte sie aus und verpasste mir eine Schelle mit der Waffenhand, sprich ihre Rückhand traf auf meinen Wangenknochen. Der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen und ich sah kurz helle Blitze, aber dann konzentrierte ich mich wieder.
„Mrs. Ritter, nun macht schon. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit! Ich habe gesagt, ich habe diese, wie sagten sie doch, Artefakte nicht. Denn SIE wissen, wer ICH bin und aus welchem Grund ich hier bin!“ versuchte ich, sie immer noch aus der Reserve zu locken.
„Das weiß ich, Alex, das weiß ich. Und auch, das Marius echt Scheiße gebaut hat!“ kurz hielt sie inne und überlegte ob sie nicht schon zu viel gesagt hatte.
„Ach, hat er das? War das anders zu erwarten von so einem Idioten, Anna? Sie sollten vielleicht die neuen Rekruten besser ausbilden und vor allem nach besseren Qualitäten auswählen!“ ich konnte nicht anders, ich musste provozieren!
Mittlerweile hatte ich meine Hände hinterm Rücken verschränkt und wartete mit einem festen Stand darauf, dass sie mich angriff. Sie würde nicht einfach schießen und das Risiko eingehen, mich zu töten, wenn sie noch keine Informationen hatte.
Der Kampflärm von unten hörte irgendwie nicht auf, wie viele waren denn bitte da unten? Naja, meine Mannschaft bestand aus 50 gut ausgebildeten Assassinen und Seeleuten! 20 waren derzeit an Land und würden... bald zum Wachwechsel erscheinen! Hoffentlich waren wir bis dahin hier fertig.
Anna trat noch einen Schritt auf mich zu. „Ich frage ein letztes Mal! Wo sind die Schatulle und das Manuskript? Wir wissen, dass Mr. Engelhardt es einfach entwendet hat. Wir wollen beides zurück.“
„Es ist sicherlich noch in seinen persönlichen Sachen, nehme ich an? Vielleicht solltet ihr dort suchen?“ gab ich bissig zurück.
„Wir waren bereits bei den Finnegans und haben uns überzeugt, dass nichts mehr von Marius dort war. Und wir haben einen netten Plausch mit diesem netten irischen Ehepaar gehabt!“ sieh sah mich kalt an.
Nein, sie waren nicht wirklich so eiskalt oder? Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, sie könnten die beiden einfach umgebracht haben! Diese Sache zog größere Kreise, als angenommen!
Kapitel 173.1
Aber ich ließ es mir nicht anmerken und fing an, meine mühsam erlernten Techniken anzuwenden. Ich wäre nämlich gerne wieder ein geschlossenes Buch, die letzten Tage und Wochen mittlerweile waren ja erschreckend gewesen!
„Na, dann sind sie ja jetzt schlauer und können hier verschwinden!“ entgegnete ich stur!
„Das könnten wir, aber Mr. Finnegan erzählte uns von einer Truhe, die er mit einem anderen Herren zusammen in eine Kutsche gehoben hat. Nachdem SIE ihm die Anweisungen gegeben haben! Also... WO IST VERDAMMT NOCH MAL DIESE TRUHE!“
Sie wurde laut.
„Mrs. Ritter, HIER ist sie nicht und ich wüsste auch nicht, wo sie sich befinden könnte. Was wollen sie überhaupt damit?“ war meine berechtigte Frage.
„Als wenn ich ihnen das sagen würde. Es ist für... Forschungszwecke!“ kam es etwas verunsicherter von ihr.
Jetzt stand sie nur noch ein oder zwei Schritte von mir entfernt, sie war etwas größer als ich. Doch das konnte ich jetzt zu meinem Vorteil nutzen. Diese Frau war so von sich überzeugt, sie hätte auch mit Charles verwandt sein können, dass sie glaubte, allein ihr Erscheinungsbild reiche aus, mich einzuschüchtern.
Doch ich hatte jetzt meine Giftklinge aktiviert, durch den Kampfeslärm hatte sie das Geräusch überhört. Meine linke leicht angeschlagene Hand fuhr nach vorne und streifte über ihren Oberschenkel. Ein kleiner Schnitt reichte aus und sie würde binnen weniger Sekunden zu reden anfangen.
Ein erstaunter Ausdruck auf ihrem Gesicht verriet mir, dass dieses Serum, welches mir unser hauseigener Psychologe gemixt hatte, seine Wirkung tat und zwar sehr gut. Und solange noch gekämpft wird, würde ich sie in Ruhe befragen können! Anna sackte vor mir zusammen und ich lehnte sie gegen das Bett. Dann wurden ihre Pupillen groß und sie sah mich lächelnd an.
„Na, jetzt haben sie doch sicherlich Lust mir ein paar Kleinigkeiten zu erzählen oder?“ fragte ich sie und nahm ihren Kiefer in die Hand und drehte sie so zu mir.
„Nnnnnnnnnein... hahaaaaaaabe... ich... was....“ stammelte sie und versuchte gegen dieses Gefühl anzukämpfen!
„Komm schon, Anna, jetzt oder nie! Hmmmmm? Wir sind doch unter uns!“ versuchte ich es erneut und ich erntete ein verzerrtes Lächeln.
„Wir sind alleine, oh... psssssst... dann kann mir keiner böse sein, oder?“ ihr Stimme wurde irgendwie so kindlich und trieb mir ein breites Grinsen ins Gesicht.
„Natürlich, Du kannst einfach sagen, wozu ihr Templer jetzt diese Artefakte wieder haben wollt! Das ist ja nicht schwer, dass kannst du Anna!“ Sie sah mich an und lächelte dümmlich.
„Dieser Wichser von Engelhardt hat es vermasselt. So ein Idiot. Erst schafft er es nicht, dich dazu zu bewegen diese dummen Reisen zu lassen und dann setzt er noch ein Blag in die Welt!“ plötzlich kam ein Prusten „Pffffffffff, weißt du was das beste ist? Er hat sich an seinen Boss geschmissen, er hat sie angetoucht und dachte, sie fährt voll auf ihn ab. Hat ihm dann diese scheiß Arbeit gegeben, dich zu überwachen!“ Das wurde immer besser und ich war schon drauf und dran mir einen Kaffee zu machen und mich dazuzusetzen.
„Als er dann aber dieses Zeitreise Dingens gefunden hat, ging er nachts heimlich in die Asservatenkammer und nahm sich dieses Artefakt und die Schatulle und das Manuskript auch noch. Wir wussten nicht wozu, doch... der Trottel hat dann im Lagerhaus angefangen, sie zu aktivieren und hat damit so ein lustig blinkendes Ding erzeugt! Das sah so dämlich aus...!“ sie kicherten völlig albern aber riss sich wieder zusammen und beugte sich verschwörerisch zu mir hinüber.
„Und dann ist dieses Blingblingding in ihn hinein und hat ihn zum Leuchten gebracht. Dann hat er auf einmal unsere Truhe mit einigen Erbstücken gesehen und hat sie einfach in seine große Tasche gepackt! Dabei wollten wir doch auch noch mit dem Armreif spielen, doch er hat ihn mir einfach weggenommen! Aber... sag das nicht weiter... wir haben noch eines...!“ sie sah mich immer noch dümmlich grinsend an.
„Was hat denn dieser Typ dann gemacht, Anna?“
„Ohhhh jaaaa! Dann, dann hat er sich in Luft aufgelöst!“ ihr Kichern wurde hysterischer und ehe ichs mich versah, hielt sie sich den Bauch vor Lachen.
„Er hat was? Das geht doch gar nicht, das weißt du doch Anna!“ fragte ich jetzt mit einem etwas autoritären Ton.
„Schuldigung, aber... da war so wabbel Gedöns und … dann war er weg!“ Und dann sackte sie zur Seite und war ohnmächtig.
Aber wenigstens hatte ich mehr erfahren!
Kapitel 174.1
Ich schnappte mir ein altes Bettlaken und teilte es, damit fesselte ich die Gute und ließ sie erstmal dort liegen. Von unten hörte ich weiteren Lärm. Und wieder fragte ich mich, wie viele Leute sie mit gebracht hatte!
Ich ging vorsichtig durch die Luke nach unten und staunte nicht schlecht. Von Shay und Faith war nichts zusehen und das machte mir dann doch Sorgen. Hier unten waren Teile meiner Mannschaft mit den Neuzeit-Templern zugange. Aber ich sah plötzlich auch Assassinen die mir fremd waren. Wie kamen die denn hierher und... wer waren diese Leute.
Das Problem war, dass es aussah, als kämpfe jeder gegen jeden! Ich schrie einfach „Stopp!“ und einige verdutzte Augenpaare blickten zu mir hinüber. Und dann sah ich in der Menge diesen ITler der Templer. Relativ jung noch, 31 soweit ich wusste und hatte ein gute Ausbildung im Nahkampf. Es war so klar, dass ER hier war, er war vermutlich an Anna angewachsen. Steffen Küfer! „Ach, sieh einer an. Hat Mrs. Ritter dich am Leben gelassen. Wie überaus dumm von ihr!“ Er sah mich nur an, aber seine Miene war völlig ausdruckslos.
„Ja, sie hat mich laufen lassen. Du kannst ihr oben in meiner Kajüte gerne Gesellschaft leisten. Sie schläft nämlich!“ gab ich grinsend zurück!
Jetzt bauten sich seine Kollegen neben ihm auf. Es waren aber nur fünf. So wenige nur? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Doch als ich mich jetzt etwas näher umsah, sah ich einige Verwundete und auch Tote hier liegen. Von meiner Crew sah ich bisher nur Verletzte, das ließ mich aufatmen. Die Cormacs fand ich gar nicht. Ob das jetzt ein gutes oder schlechtes Zeichen war, wusste ich nicht.
Von den Templern aus meiner Zeit waren es auch weitere 5 die am Boden lagen. Aber sie alle waren tot, Kehle durchtrennt. Wir standen uns jetzt gegenüber und ich wartete, was als nächstes kam.
Meine Mannschaft stellte sich hinter mir auf, so gut es hier in dem beengten Raum ging.
„Wer seid ihr und was macht ihr hier auf meinem Schiff?“ fragte ich jetzt diese fremden Assassinen.
„Das ist nicht euer Schiff, es gehört der Bruderschaft. Ihr habt es unrechtmäßig an euch genommen.“ kam es von einem ungefähr 50jährigen drahtigen Mann mit schwarzem Meisterornat. Seine Gesichtszüge verrieten, dass er es ernst meinte, doch wo lag denn sein Problem!
„Verzeiht, Mr. … ?“ Fragte ich! Aber ich bekam keine Antwort, er starrte mich weiter kalt an. „Es ist meine Brig, ich habe sie von Master Edward Kenway überschrieben bekommen.“
„Er hat sie einer Assassine aus der Bruderschaft übergeben, welche ihrer würdig war. Ihr seid nur dreckiger Templerabschaum!“ Mir fiel die Kinnlade herunter.
„Ich bin WAS???? Ihr habt sie doch nicht mehr alle. Wer behauptet denn sowas und woher habt ihr eure schlechten Informationen?“ äußerte ich mich jetzt lautstark zu Wort!
„Wir erhielten eine Nachricht von einem unserer Informanten. Nur leider haben wir jetzt schon fast eine Woche nichts mehr von ihm gehört! Vermutlich habt ihr ihn auf dem Gewissen. Mrs. Masterson!“ er funkelte mich böse an!
Ich war einfach sprachlos, aber es dämmerte mir, WER der besagte Informant war. Es musste Marius gewesen sein. Doch wie hatte er in dieser kurzen Zeit hier Anschluss an die Assassinen finden können, zumal er doch Templer war. Mein Gehirn fing an sich wieder zu verknoten.
Hier gab es anscheinend mehrere Baustellen. Dann fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren! Marius war durch diesen Spiegel gereist, als, laut Anna, er dieses Wesen in sich trug. Ich vermutete es jetzt einfach mal. Und da ich wusste welche Macht davon ausging, konnte ich mir auch bildlich vorstellen, wie er sich auf beiden Seiten versucht hatte einzuschleimen.
Und das anscheinend mit Erfolg. Naja, bei den hiesigen Templern jetzt nicht unbedingt, aber bei der Bruderschaft. Aber ich kannte diese Assassinen nicht und wenn mich nicht alles täuschte, war dieser Vorredner Deutscher oder eben Preuße. War mir herzlich egal, er kam aus Deutschland.
„Wenn ihr jetzt bitte die Güte hättet, mir zu erklären, was hier eigentlich los ist?“ fragte ich jetzt sichtlich genervt.
„Oh, die hätten wir.“ kam es jetzt von der Templerseite. Nein, nicht die schon wieder. „Wir suchen lediglich die persönlichen Sachen von Mr. Engelhardt und da sie als letzte Person seine Sachen durchwühlt haben, sollten sie sie auch haben!“
Der deutsche Assassine sah ihn mit großen Augen an! „Ihr steckt doch mit diesem Weibsbild unter einer Decke! Ihr Templer seid doch alle gleich!“ kam es angewidert von ihm.
Mir wurde das einfach zu bunt hier und ich beschloss, dem ganzen jetzt ein Ende zu setzen!
Kapitel 175.1
Wir standen uns alle lauernd gegenüber und das Misstrauen war so deutlich zu spüren, man hätte es schneiden können.
„Seid versichert, ich gehöre der hannoverschen Bruderschaft an! Und ich habe nicht die Absicht das in absehbarer Zeit zu ändern. Und Edward übergab, ihr mögt es nicht für möglich halten, MIR diese Brig. Mein Name ist Alexandra Frederickson und ich muss euch leider mitteilen, dass euer ach so toller Informant, ein Templer war. Doch dieser hat sich aus dem Staub gemacht und fristet vermutlich gerade jetzt ein trauriges Dasein.“ gab ich diesem Meisterassassinen meine Meinung.
Jetzt war Steffen dran. „Und du Steffen, du kannst dich jetzt postwendend mit deinen anderen Kollegen hinauf begeben und sofort hier verschwinden und bitte vergiss die liebe Anna nicht. Sie nervt, weißt du! Und was die Truhe angeht von Marius.... ich würde sagen, PECH!“ Ich drehte mich zu meinen Männern um. „Bringt die Herrschaften schon mal nach oben und wehe sie rühren sich, dann ist es mir egal, ob hier noch mehr Leichen liegen!“
Wieder an den Assassinen gewandt meinte ich nur. „Und jetzt? Was wollt ihr noch? Ich bin kein Templer und …“
„Beweist es!“ presste er aus zusammengebissenen Zähnen hervor. Beweisen? Wie denn?Doch mir fiel meine Tätowierung auf dem linken Ringfinger ein, es war nur ein kleines Assassinen-Symbol, aber jeder bei uns trug eines. Als ich auf ihn zuging, wich er zurück und ich hörte dieses obligatorische Klicken, wenn die Klingen aktiviert werden!
Ich blieb stehen, denn provozieren wollte ich ihn nicht. Ich nahm meinen Ring von diesem Finger und zeigte ihn vor! Dieser Herr starrte nur darauf und dann in meine Augen! Und er musterte mich! „Was für eine Aura habe ich denn für euch? Mich würde das ernsthaft interessieren!“
Erstaunt sah er mich an, aber er gab zögerlich Auskunft. „Ihr erscheint in einem Goldton. Aber nicht der übliche für Vertraute... es ist anders.!“ Und wieder sah er auf meine Tätowierung!
„Ich würde euch gerne noch die Unterlagen zeigen, Mr. ….!“ aber auch dieses mal bekam ich keine Antwort! Toll, dann halt nicht! „... aber das ist nicht möglich, da sie sich in meiner Unterkunft befinden!“ Und dann fiel mir gleichzeitig ein, dass das eine wahrlich schlechte Aussage war, denn ich wohnte bei einem Templer!
„Dann sollten wir uns spätestens morgen wieder hier treffen und ihr habt besser die Schenkungsurkunde von Master Kenway dabei, oder ihr seid Fischfutter!“ Mit diesen Worten ging er mit seinen Kompagnons an mir vorbei und verschwand. DAS war zu einfach, VIEL zu einfach!
Tief seufzend ging ich jetzt hinterher. Oben an Deck hatten sich die Neuzeit-Templer versammelt und warteten geduldig. Warum in alles in der Welt, kam keine Verteidigung oder so? Es war, als würden sie nur darauf warten, dass ich sage, sie könnten gehen! Ich verstand die Welt nicht mehr!
Ich bat Gregor, meinen Rudergänger, Anna aus meiner Kajüte hierher zu holen. Als er mit der bewusstlosen Ritter wieder erschien, sah Steffen mich nur vernichtend an. Und genau wie Marius, meinte er, das würde noch ein Nachspiel haben! „Ja ja … das weiß ich. Und jetzt gebt mir das Reiseartefakt!“ Steffen sah mich erstaunt an.
„Warum sollte ich das haben? Wir sind doch nur hierher gekommen um Marius´ Auftrag zu beenden. Wir haben kein solches Artefakt. Das hätte ja wohl Mr. Engelhardt haben müssen!“ Ich sah ihn mit großen Augen an.
„Ihr alle seid ernsthaft, OHNE eine Rücktrittversicherung hierher gereist? Wie blöd muss man denn bitte sein? Das heißt, bei euch existiert immer noch so ein Ding?“ Ich musste einfach so blöd nachfragen. Denn es wollte nicht in meinen Kopf hinein.
„Wir hatten ja eine Versicherung, nur leider scheinst du sie entwendet zu haben!“ kam es maulend von Steffen.
„Ich habe gar nichts entwendet. Wenn mein Ex so etwas bei sich gehabt hätte, dann... hätte ich es sicherlich bemerkt!“ mir fiel gerade noch rechtzeitig ein, dass ich diesen dritten Ring, wie alle anderen Sachen auch unter Verschluss in Haythams Arbeitszimmer hatte! Also spielte ich jetzt weiter. „Und wie wollt ihr jetzt zurück? ICH werde euch sicher nicht dabei helfen!“
„Du möchtest uns lieber noch bei dir behalten wie, Schnecke? Wusste ichs doch!“ erwiderte Küfer jetzt mit einem ekeligen Lächeln. Doch dann entschied ich mich dafür, dass ich diese Idioten lieber früher als später loswerden wollte.
In diesem Moment erschien die Wachablösung!
Kapitel 176.1
Meine restlichen 20 Mann erschienen und blieben mit gezückten Schwertern abrupt stehen! In ihren erstaunten Gesichtern konnte ich erkennen, dass sie es, genauso wie ich auch, nicht glauben konnten.
„Ja, wir haben netten Besuch von unseren Freunden den Templern! Ist doch nett, oder nicht?“ gab ich in einer solchen ironischen Art rüber, dass sie alle leicht grinsen mussten!
„Das sehen wir, aber was machen die hier? Sicher kein Höflichkeitsbesuch. Also, worauf warten wir hier noch?“ sagte einer der Vorredner und wollte schon auf die verbliebenen fünf Neuzeit-Templer losgehen! Ich hielt ihn aber davon ab, denn wir sollten sehen, dass sie hier weg kamen. Zumal ihre Aufmachung sicher schon für Aufsehen gesorgt hatte.
Ich fragte mich wieder einmal, hatte man ihnen nicht beigebracht, sich entsprechend des Jahrhunderts zu kleiden? Dieser Orden ist doch sonst immer so bedacht auf Disziplin und Ordnung und für alles einen Plan haben. Entweder war das eine sehr spontane Idee oder sie waren wirklich so dumm und leichtsinnig!
Seis drum, dafür hatte ich keine Zeit! „Ihr werdet diesen Haufen im Auge behalten und ich werde sehen, dass ich sie wieder zurückbringe!“
„Das wäre überaus freundlich, Mrs. Frederickson. Denn ich habe die Schnauze gestrichen voll, den Mist auszubaden, den EUER Verlobter immer und immer wieder veranstaltet. Das war das letzte Mal! Soll sich doch irgendein anderer Idiot damit befassen!“ meinte Steffen plötzlich in einem Ton, der mir zeigte, dass er wirklich keine Lust mehr darauf hatte.
„EX Verlobter, so viel Zeit muss sein, Steffen! Dann ist es abgemacht! Ihr wartet hier und ich bin gleich wieder zurück!“ Ich drehte mich um und dann kam mir Shay entgegen. Er war anscheinend noch unter Deck gewesen!
„Master Cormac, wo kommt ihr denn her? Und wo ist eure Frau? Ich habe mir schon Sorgen gemacht!“ fragte ich ernsthaft besorgt.
„Faith hat sich an die Assassinen gehängt. Sie hat da einen Verdacht und hat schon seit ein paar Tagen mit ihrem Vater Nachforschungen angestellt. Genaueres weiß ich allerdings auch nicht. Und ich hatte eine nette Unterredung mit einem dieser … naja, neuen Templern!“ grinste er.
Erst jetzt sah ich, dass hinter ihm auf dem Boden tatsächlich ein bewusstloser Mann lag. Dieser trug allerdings zeitgemäße Kleidung. Ich sah von ihm zu Shay. Denn ich erkannte doch tatsächlich den besten Freund meines Ex-Verlobten! „Gute Arbeit!“ mehr konnte ich gerade nicht sagen.
Denn es kam Bewegung in die Truppe der Neuzeit-Templer! Sie hatten vor, einen Spion hier zulassen! Wie überaus interessant! Sie hatten einen Plan B, sollte ich nicht mit den Artefakten rüber kommen. Und jetzt fingen sie an sich doch zu wehren! Also hatte ich mich nicht getäuscht, als ich mich fragte, warum sie sich nicht verteidigen oder ähnliches.
Auch war Anna mittlerweile wieder unter den Lebenden und funkelte mich an. Doch sie war immer noch gefesselt und konnte noch nicht am Kampf teilnehmen. Sie wurde aber von einem ihrer Kollegen befreit, wie ärgerlich! Es ging einfach alles sehr schnell. WIR waren einfach in der Überzahl, auch wenn Annas Leute mit den schnelleren Schusswaffen ausgestattet waren. Meine Leute hatten sie einfach schneller entwaffnet, als sie Assassinen sagen konnten. Was hatte man sich eigentlich dabei gedacht?
Ich bin ja schon oft unvorsichtig, aber das hier und jetzt war lächerlich! Es warf kein gutes Licht auf den Orden in der Zukunft und ich sah Shay an, dass er das gleiche dachte. Kein Wunder, gerade hier zu dieser Zeit war man darauf angewiesen, alles vernünftig geplant zu haben und nicht einfach so sprunghaft irgendein Überfallkommando zu starten.
Erleichtert, dass es nicht noch mehr Tote und Verletzte gab, meinte ich an Shay gewandt „Ich werde jetzt die Artefakte holen und diese Idioten in ihre Zeit schicken! Wollt ihr hier warten, oder...“ aber ich konnte nicht ausreden.
Denn Shay reichte mir einen dieser Armreife und eben das Blackberry! Verdutzt sah ich ihn an? „Habt ihr das etwa von diesem Mann?“
„Ich dachte mir, ich durchsuche ihn lieber noch. Und als ich das hier fand, konnte ich ja davon ausgehen, dass es etwas mit euch zu tun haben musste.“ sagte er leicht grinsend und reichte mir das leicht schimmernde Ding!
Hinter mir hörte ich empörte Rufe und wüste Beschimpfungen über den Bewusstlosen. „Das darf nicht wahr sein!“ „Wie blöd ist der Typ eigentlich?“ und es ging noch weiter mit einigen unflätigen Flüchen!
„Mr. Küfer, ich würde euch dann jetzt bitten, Aufstellung zu nehmen und holt eure Verletzten und leider Toten Kollegen! Und das etwas zügig, ich habe keine Lust mehr auf so eine Farce!“ motzte ich ihn jetzt an. Denn es war wirklich lächerlich.
Maulig ging er bewacht mit den übrigen hinunter und kurz darauf, waren sie alle wieder an Deck und standen voller Erwartung dort.
„Dann wollen wir mal!“ ich schaltete das Blackberry an und fand auch schnell die Ursprungskoordinaten und Zeit. Sie waren nur kurz nach ihm aufgebrochen. „Ach, etwas interessiert mich dann doch noch brennend! Ihr habt nicht zufällig noch mehr dieser Reiseartefakte in Händen oder?“ Und ich ließ meinen Adlerblick über die Horde gleiten. Aber ich sah nur die üblichen roten Auren, jedoch waren ALLE ausnahmslos nur blassrot. Eigenartig.
„Nein, HIER haben wir sicher keine mehr. Du hast das einzige in der Hand. Sonst wäre ich als erster weg gewesen!“ maulte Steffen! Ich seufzte, was für ein Weichei!
Ohne weitere Worte aktivierte ich den Spiegel und das Pfuuuuump war zu hören. Neben mir hörte ich Shay scharf einatmen und als ich zu ihm hinüber sah, konnte ich sein Erstaunen in seinen Augen sehen. Ja, das erste Mal, war ich auch ganz hin und weg. Es ist etwas, das man nicht erklären kann, etwas das man nicht greifen kann. Wie magisch angezogen ging er jetzt langsam darauf zu und streckte seine Hand aus!
Ich hielt ihn aber zurück. „Master Cormac, nein. Das ist keine gute Idee. Wir sollten dieser Truppe von Inkompetenz den Vortritt lassen!“ grinste ich ihn breit an.
„Es ist faszinierend, schade das Faith das jetzt nicht mit erleben kann!“ kam es enttäuscht von Shay.
Aber sie würde es vielleicht ja einmal sehen, wenn ich zurück ginge. Und schon wieder erhoben sie die dunklen Wolken und mein Herz wurde wieder schwer!
Ich atmete tief durch und sagte nur „So, meinen Damen und Herren, dann mal auf auf! Und ich hoffe, auf nimmer Wiedersehen! Grüßt doch bitte noch den anderen Haufen an Inkompetenz, ja?“ ich konnte mir diese Stichelei einfach nicht entgehen lassen! Dafür erntete ich einen bitterbösen Blick von Anna, als sie an mir vorbei und durch den Spiegel ging, ohne ein Wort!
Kapitel 177.1
Nach und nach verschwanden diese Neuzeit-Templer und als alle wieder in ihrer Zeit waren, schloss sich langsam dieses Portal. Der Ire stand immer noch fasziniert da und sagte nichts. Ich konnte es verstehen!
Doch jetzt wurde es wirklich Zeit, dass wir alles vorbereiteten. Denn wenn ich mich morgen auch noch mit diesen deutschen Assassinen rumprügeln musste, sollte auch ICH mich noch wappnen und vorbereiten! „Rafael, was war hier los? Woher kamen denn die ganzen Leute?“ Erst jetzt fiel mir ein, dass ich ja auch mal mit meinem ersten Maat das Ganze besprechen sollte.
„Alex, es war einfach ein heilloses Durcheinander. Wir hatten die üblichen Wachen hier oben, wie du sie eingeteilt hast. Und die anderen waren unter Deck, da es ja schon etwas kälter geworden ist. Ich war gerade hier oben und überwachte, ob auch alle wach waren und da sah ich am Kai plötzlich dieses Portal aufploppen!“ er sah mich schon fast entschuldigend an. „Ich hätte schneller reagieren müssen, ich weiß. Aber ich dachte doch nicht daran, dass es wieder Templer sein konnten!“
„Hmmm, ich hatte schon die ganze Zeit die Befürchtung, dass durch Marius´ verkackte Aktion hier eine Truppe aufschlagen könnte. Aber ich hatte gedacht, die hätten dann doch noch kein weiteres Zeitreise-Artefakt gefunden! Verdammt!“ meinte ich sauer!
„Wir müssen auch jetzt noch damit rechnen, dass mehr von diesen Idioten kommen! Das heißt, wir müssen dringend zurück und das unterbinden! Alex, wir können nicht länger hierbleiben!“ er sah mich mitfühlend an und wiederum auch belehrend. Er hatte ja Recht.
Länger kann ich das Ganze nicht mehr aufschieben. Aber eines musste ich noch klären, WIE kam dieses Wesen hierher? Dass es an Marius hing ist mir schon klar. Und laut Annas Erzählung, schien es IN diesem einen Ring gesteckt zu haben, welchen er benutzte. Plötzlich hatte ich eine ganz andere Idee! Denn konnte es sein, dass ich nicht die Schatulle nutzen musste? Reichte vielleicht das Artefakt einfach so aus?
Wir könnten dieses Ding wieder dort einsperren und dann den Ring irgendwo im Meer versenken! „Alex! Hört ihr mir eigentlich zu?“ maulte mich Shay jetzt an! Ich blinzelte und sah ihn an.
Ich muss mir das abgewöhnen, so in meinen Gedanken abzudriften! „Entschuldigt, Master Cormac, was habt ihr gesagt?“ entschuldigend sah ich ihn an.
„Wir müssen für diese Übertragung jetzt alles vorbereiten. Ihr müsst mir nur sagen, was ich tun kann!“
„Wenn meine Idee richtig ist, dann brauchen wir nichts vorbereiten und können doch alles im Fort George erledigen.“ Rafael und Shay sahen mich überrascht an. Also erklärte ich den beiden das jetzt.
„Anna hat erzählt, dass die Überwachungskamera in der Asservatenkammer aufgezeichnet hatte, was Marius genau gemacht hat. Und sie meinte, dass ein Blingblingding , schaut nicht so, so hat sie es genannt, aufgetaucht ist, als er den Ring in der Hand hielt und ihn aktivierte. Und dann sei es in ihm gewesen und er hättet so komisch geleuchtet. Danach schnappte er sich die Truhe der Templer mit den Erbstücken und verschwand durch das Portal!“ Es war eine hoffentlich gute Kurzfassung! Rafael sah mich jetzt tatsächlich erleichtert an, denn er verstand was ich sagen wollte.
Nur leider konnte ich Shay das mit der Kamera und so nicht näher erläutern, das würde zu lange dauern. Später vielleicht einmal.
Wir brauchten die Schatulle nicht! „Ihr meint, es reicht, so ein Portal zu öffnen und dann würde das Wesen sich wieder dort hinein begeben? Freiwillig?“ Ich sah ihn einfach nur an.
„Ja, genau so dachte ich mir das. Wenn es so hinaus kam, kann es genauso gut auch so wieder hinein! Es ist ein Versuch! Aber ich will nichts unversucht lassen. Ich WILL Haytham zurück haben!“ DAS kam quengelnd rüber, doch es war mir egal.
„Was ich mich aber frage ist, was haben diese Assassinen hier gesucht?“ fragte Shay jetzt, ohne auf meine Worte einzugehen!
„Sie tauchten auch plötzlich unter Deck auf, wie aus dem Nichts und haben sich mit den Templern und unserer Mannschaft einen Schlagabtausch geliefert. Doch irgendwie war das ganze eigenartig. Denn wir haben einige Verluste erlitten, auf allen Seiten. Aber der Kampf war so kraft- und lustlos. So als hätten die Templer eigentlich überhaupt keine Lust darauf! Und diese deutschen Brüder sahen auch nicht aus, als wären sie in Kampflaune! Der eine meinte nur, er wolle wissen, wem dieses Schiff gehörte und wer Kapitän sei!“ erklärte jetzt Rafael die Anwesenheit der Assassinen!
„Das erklärt aber immer noch nicht, wie sie Wind von … oh verdammt! Natürlich, der Chevalier wird in der gesamten Bruderschaft rum erzählt haben, dass die Jackdaw wieder aufgetaucht ist!“ Ich sah zu Shay hinüber. „Ihr sagtet, dass Faith irgendwie an einigen deutschen Assassinen dran sei? Hat sie euch gegenüber Namen erwähnt?“ Denn mir kam der Gedanke, dass ich tatsächlich aufgrund des sehr einprägenden Unterrichts damals, noch in Erinnerung hatte, dass sich eine Gruppe hessischer Assassinen eine ganze Weile in den Kolonien aufgehalten hatte. Was genau der Anlass oder Auslöser war, weiß ich nicht mehr!
Die Frage war nur, musste ich jetzt wirklich DEM auch noch nachgehen? Mir drängte sich ein gewisser Zeitdruck auf und das passte mir mal so gar nicht. Ich mag das nicht!
„Nein, nicht das ich wüsste. Sie ist mit ihrem Vater den Berichten nachgegangen! Da ich dem kolonialen Ritus unter Master Kenway unterstellt bin, hab ich mit ihnen nichts zu tun.“ Er muss meine Frage im Gesicht gesehen haben! „Faith gehört dem britischen Ritus an! Ihr Vater, Lucius Williams ist der entsprechende Großmeister!“
„Aha, das wird immer toller. Ich hoffe, ich muss ihm nie begegnen! Noch mehr Templer um mich rum und begehe Selbstmord!“ meinte ich in einem resignierten Tonfall.
„Ihr klingt, als seien wir eine Gefahr für euch!“ kam es jetzt etwas überrascht vom Iren.
„Was dachtet ihr denn, wie ich mich immer fühle? Ich sitze hier inmitten von Templern auf dem Präsentierteller. Natürlich fühle ich mich nicht unbedingt sehr wohl. Nicht immer, ich gebe es zu!“ und ich konnte mir ein verträumtes Grinsen nicht verkneifen!
„Ich denke, ihr werdet euch wohl früher oder später daran gewöhnen müssen, oder ihr überdenkt...“ Aber ich ließ ihn nicht ausreden!
„Nein, das werde ich nicht. NOCH nicht!“ Und damit gingen wir von Bord. Ich teilte noch die neuen Wachen ein und meinte zu Rafael, dass er sich jetzt seine Nachtruhe wohl verdient hätte und wir bald nach Hause kämen.
Erleichtert, sah er mich an und nahm mich in den Arm. „Ich weiß, wie schwer dir dieser Abschied fallen wird, aber wir werden für dich da sein! Du bist nicht alleine und wir werden dir helfen! Denn ich hab dich ja auch irgendwie liebgewonnen, du Chaotin!“ flüsterte mir mein erster Maat und bester Freund ins Ohr.
Kapitel 178.1
Dann hieß es jetzt, wieder zurück zum Großmeister. Denn ein Schritt nach dem anderen. Mein Sohn sollte sich noch irgendwo hier befinden und ich sollte auch ihn noch suchen! Ich hoffte, dass er sich nicht in Kämpfe verwickeln lassen hatte.
Doch Yannick hatte sich auf einer Bank vor einem Geschäft niedergelassen und war eingenickt. Als ich ihn weckte, sah mich nur verschlafen an und meinte „Muss ich jetzt schon wieder aufstehen? Mir ist kalt, kann ich noch weiterschlafen?“ Aber ich musste ihn enttäuschen, aufstehen und ab in die Kutsche, die noch am Hafen stand. Der arme Kutscher tat mir leid, dass er so lange warten musste.
Auf dem Weg dorthin, fragte ich aber Shay, ob wir nun noch auf Faith warten wollten oder direkt anfangen sollten.
„Ich denke, wir sollten erst einmal sehen, wie es um Master Kenway steht und dann entscheiden, wann wir beginnen.“ meinte der Ire und damit war ich auch einverstanden.
Als wir bei Haythams Domizil ankamen, war es mittlerweile fast Mitternacht und es nieselte und es war einfach kalt. Jones öffnete uns die Tür und bat uns hinein. „Master Cormac, Mrs. Frederickson. Ihr seid wieder da.“ Hinter ihm erschien Mrs. Wallace. Sie war auch noch wach?
„Ihr seid ja ganz durchgefroren! Setzt euch erst einmal an den Kamin im Esszimmer. Ich mache euch einen Tee!“ meinte die Küchenfee. Eigentlich hatte ich nicht die Zeit und Geduld dafür, aber ich fror wirklich und meine Hände waren eiskalt! Doch Yannick wollte gleich in sein Bett und verabschiedete sich schlotternd.
„Danke, Mrs. Wallace. Und Jones, wie geht es Master Kenway? Ist in der Zwischenzeit noch etwas vorgefallen?“ wandte ich mich an den Kammerdiener.
„Nein, es war ruhig. Abgesehen davon, dass ich immer noch der Meinung bin, wir sollten einen Priester zu Rate ziehen. Man sieht doch, dass der arme Mann besessen ist!“ Nicht schon wieder die Idee mit dem Exorzisten!
„Das wird nicht nötig sein, wir haben vermutlich einen etwas unkonventionellen Weg gefunden. Aber dazu später mehr! Geht bitte wieder hinauf und wartet auf uns, wir werden nachkommen.“ Mit einer Verbeugung ging Jones hinauf und murmelte etwas von dieses Frauenzimmer hat mir nichts zu sagen . Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen!
So saßen der Ire und ich vor dem Kamin und wärmten uns kurz auf, als auch schon Faith wieder auftauchte. Die beiden begrüßten sich überschwänglich und ich muss gestehen, ich konnte es nicht abwarten, meinen Großmeister wieder in den Arm nehmen zu können!
„Mrs. Cormac, ich hoffe, ihr konntet etwas über diese hessischen Assassinen herausfinden?“ fragte ich jetzt nach, denn es interessierte mich schon. Schließlich sollte ich mich morgen mit ihnen noch einmal treffen, was mir ehrlich gesagt nicht schmeckte.
„Ja, das habe ich. Aber mehr kann ich nicht dazu sagen!“ kam es knapp von ihr. Na gut, dann eben nicht. Musste ich halt auf mein Bauchgefühl morgen hören, super! Und mir fiel ein, wir hatten gar keine Zeit ausgemacht. Aber wie gesagt, eines nach dem anderen.
Ich klärte sie jetzt noch über meinen neuen Plan auf und hoffte, sie könne mir folgen. Es war mal wieder eine sehr kurzfristige Planänderung, ich weiß. Aber irgend etwas mussten wir ja machen! Auch erzählte ich, was mir Steffen über die Finnegans erzählt hatte. Auch dort mussten wir nach dem Rechten sehen. Und ich weiß, es hört sich unfair an, aber das musste bis morgen warten. Oder aber jemand stattete ihnen jetzt noch einen Besuch ab. Ich sah die Cormacs an und sah, dass sie ebenfalls darüber nachzudenken schienen. „Ich weiß, es hört sich jetzt egoistisch an. Aber ich würde zuerst Master Kenway helfen und dann nach den Finnegans sehen wollen. Oder würde einer von euch jetzt noch dorthin?“ mein schlechtes Gewissen, es war einfach furchtbar.
„Ich werde nach ihnen sehen, Mrs. Frederickson. Mo aingeal, bleib du lieber hier. Wenn etwas ist, ist es besser, dass eine Heilerin in der Nähe ist.“ Er nahm seine Frau in den Arm und gab ihr einen langen Kuss. Ich drehte mich dezent zur Seite und fand den Kamin gerade sehr spannend. Dann ging der Ire mit einer Verbeugung in meine Richtung und ich hoffte, dass dem Ehepaar nichts geschehen ist.
Als ich meine Finger wieder richtig bewegen konnte und die Kälte aus meinem Körper verschwunden war, gingen wir hinauf. Im Schlafzimmer erwartete uns das übliche Bild. Der ans Bett gefesselte Großmeister, gerade jetzt mit geschlossenen Augen. Schlief dieses Wesen? Oder war es tatsächlich Haytham, oder sein Körper, der der Erschöpfung nachgegeben hat?
Ich ging ins Ankleidezimmer und zog mir eines der einfachen Kleider an. Denn mein Ornat war nass und damit konnte ich mich gerade nicht richtig bewegen.
Dann ging ich zum Bett und sah auf meinen Templer hinunter. Wieder brannten meine Augen vor Tränen! Es ist einfach grausam, einen geliebten Menschen so zu sehen und zu wissen, dass man ihm nicht einfach so helfen kann. Ich atmete tief durch und wandte mich an Mrs. Cormac.
„Wir sollten anfangen und keine Zeit mehr verlieren. Wartet ihr bitte hier oben. Ich hole das Artefakt und dann muss ich mir nur noch überlegen, wie genau ich das anstelle!“ Denn ich müsste einen Spiegel öffnen, aber auch gleichzeitig dafür sorgen, dass dieses Ding nicht hindurch ging, sondern sich dem Artefakt zuwandte.
Mit diesen Gedanken ging ich hinunter ins Arbeitszimmer und zu der Truhe, die wir hier verschlossen stehen hatten.
Kapitel 179.1
Es wurde ernst und ich hatte immer mehr Angst, dass irgend etwas schief ging. Doch ich versuchte diesen Gedanken zu verdrängen und konzentrierte mich auf die Aufgabe, die vor uns lag.
Also öffnete ich die Truhe und besah mir den Inhalt. Marius Zeitreiseartefakt sah ein wenig anders aus, als die, die ich im Besitz hatte. Es waren andere Zeichen darauf! Und es leuchtete bläulich, nicht so goldig wie die anderen. Es sah genauso wie das Gegenstück in der anderen Welt aus! Ich besah es mir etwas genauer und hielt es in den Lichtkegel der Kerzen. Es waren fast schon dem keltischen ähnliche Symbole und Zeichen darauf. Mir kam der Gedanke an Runen, wie sie zum Beispiel auch die Wikinger genutzt haben.
Leider hatte ich hier jetzt nicht die Möglichkeit, mal eben Google anzuschmeißen. Erwähnte ich schon, dass man ganz banale Dinge sehr sehr vermissen kann? Ich nahm diesen Ring und das Blackberry, schloss die Truhe und legte wieder die Decke darüber.
Als ich mich gerade umdrehte, sah ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung auf mich zukommen, aber konnte nicht ausweichen und so hatte ich einen ordentlichen Kinnhaken bekommen. Doch bevor ich noch agieren konnte, wurde mir schwarz vor Augen!
Ich erwachte in einem kalten nassen Keller! Und mir kam mein Traum in den Sinn, den ich hatte, als ich mich auf diese Reise vorbereitet hatte! Und tatsächlich, ich saß gefesselt auf einem Stuhl mitten in diesem halbdunklen Raum. Vor mir ging ein Mann auf und ab.
Meine Augen versuchten sich an dieses schummrige Licht zu gewöhnen und ich besah mir den Herren. Sofort war ich in Alarmbereitschaft! Denn es war Lee! Was zum Teufel sollte das? „Ahhh, ihr seid wieder wach? Ich hoffe, ihr könnt mir den kleinen Ausflug verzeihen, Mrs. Frederickson? Aber ich dachte, bevor ihr uns bald verlasst, hätte ich gerne noch ein paar Antworten.“ sagte er so unglaublich süffisant und war mir so nahe gekommen, dass ich wieder diese Gerüche an ihm wahrnehmen konnte und mir wurde schlecht.
„Master Lee, ich werde euch nichts verzeihen, lasst euch das gesagt sein! Und ich hoffe, eure Strafe wird fürchterlich werden!“ und ich spukte ihm vor die Füße.
Er aber grinste nur überlegen und richtete sich wieder auf. Mit der rechten Hand winkte er jemanden herbei, ich hätte es mir denken können. Hickey! Mr. Saufkopf musste natürlich mitmachen! In mir stieg eine Angst empor, die ich nicht kontrollieren konnte. Und als ich auch noch sah, wie Charles das Artefakt hin und her drehte und es sich genauer ansah, dachte ich nur Mach nichts falsches damit, Freundchen, sonst ist hier die Hölle los
Hickey hatte sich vor mir aufgebaut und sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt und er stank erbärmlich aus dem Hals. Bei Odin, ich fing an durch den Mund zu atmen, denn ich hatte die Befürchtung, ich würde ihm sonst mein Essen ins Gesicht spucken! Er hielt mir ein gezacktes Messer vor die Nase und meinte „Wenn ihr artig alles erzählt und auch noch die Wahrheit, dann werde ich meinen Liebling nicht gebrauchen. Habt ihr das verstanden, Weib?“
Ich nickte und hoffte er würde zurückgehen. Das tat er auch und stellte sich dann hinter mich und hielt es mir an den Hals. Die Kanten gruben sich in meine Haut und ich konnte spüren, dass sie schon angeritzt war und ein Rinnsal aus Blut mir in den Ausschnitt lief. Lees Augen verfolgten die Blutspur sehr genau und er verharrte etwas zu lange auf meinem Dekolleté, als es sich gehörte. Doch ich ging davon aus, er hatte nie wirklich Manieren beigebracht bekommen.
„Mrs. Frederickson, dann wollen wir anfangen, um so schneller könnt ihr Master Kenway wieder nerven und ihn von seiner Arbeit abhalten!“ meinte er ziemlich sauer. „Warum seid ihr hier? Und was habt ihr mit dem Großmeister vor?“
Jetzt stand er wieder direkt vor mir und ich sah zu ihm auf. „Ich bin hier, weil ich eine Anstellung gesucht habe. Denn ich muss meine Weiterreise ja irgendwie finanzieren und stehlen kommt für mich nicht in Frage!“ erwiderte ich nur, denn was sollte ich auch sonst sagen.
„Ihr macht es einem nicht leicht! Also noch einmal. WAS habt ihr für Pläne mit Master Kenway?“ er sah mir fest in die Augen und ich musste meine schließen, dieses grelle Grün ist unangenehm. „Na na na. So schüchtern auf einmal?“ Und er nahm mein Kinn in seine Hände und hob es an. „Ihr sollt mich ansehen, denn dann weiß ich, ob ihr mich belügt oder nicht! REDET!“
Ich atmete tief durch und erzählte noch einmal, mittellos, Witwe... das übliche! Und dann hatte ich seine flache Hand in meinem Gesicht, meine ganze rechte Gesichtshälfte schien in Flammen zu stehen! „Was soll das bitte werden, Master Lee? Habt ihr sie nicht mehr alle? Was habe ich euch getan?“ brüllte ich ihn in meinem Zorn an.
„Ihr sollte besser aufpassen, was ihr sagt, sonst werdet ihr gleich an eurem eigenen Blut ersticken und mir ist egal, wie meine Strafe ausfallen wird. Dafür ist eine Verräterin weniger auf dieser Welt!“ kam es jetzt auch zorniger von ihm.
Hinter mir spürte ich, wie Thomas das Messer in der Hand etwas verlagerte und es dann wieder an meinen Hals drückte. Vorsichtig testete ich meine Fesseln und musste feststellen, dass sie eher locker verknotet waren. Die Seile schnürten auch nicht in meine Handgelenke. Langsam versuchte ich meine Hände zu befreien und dabei gleichzeitig keine verräterische Bewegung zu machen.
„Master Lee, ich kann euch nichts anderes sagen! Weil es nichts anderes zu erzählen gibt!“ presste ich aus zusammen gebissenen Zähnen hervor. Meine rechte Hand war frei, jetzt noch die linke...
Kapitel 180.1
Ich versuchte ruhig zu bleiben, doch es fiel mir immer schwerer, denn es war eiskalt hier unten. Ich vermute, dass es ein Keller sein muss und dass sich dieser auch im Fort George in der Garnison befinden müsste.
Dann hatte ich auch meine linke Hand frei. Doch ich musste mir jetzt überlegen, wie ich die beiden überwältigen könnte. Charles war nicht gerade klein und wog sicher auch so seine 80 oder 90 Kilo. Bei Thomas war ich mir nicht sicher, ich hegte die Hoffnung, dass er doch zu betrunken sei und nicht so schnelle Reaktionen hatte.
„Ihr macht mich wahnsinnig, Weib! Was habt ihr Master Kenway verabreicht, dass er so außer sich ist?“ Wieder griff er unter mein Kinn, das Messer ritzte jetzt wieder ein Stück Haut auf und ich fühlte es warm auf meiner Haut hinunter laufen! Seine Finger waren wie Schraubstöcke, ich befürchtete schon, dass er mir meinen Kiefer brechen könnte. Denn der Kinnhaken hatte gesessen und die Knochen taten weh! Ich zuckte nach hinten, um wenigsten etwas frei zu bekommen.
Dieses Schwein grinste mich nur an und hielt mich weiter fest. Als mein Kopf an Hickey stieß fühlte ich etwas ganz anderes! Fand dieser Saufkopf das ganze Spiel hier euch noch erregend? Mir wurde ehrlich gesagt nur schlecht und ich ließ meinen Kopf wieder nach vorne sinken.
Und jetzt sah ich meine Chance, denn Thomas hatte das Messer nicht mehr an meinem Hals, sondern durch meine Berührung, war er tatsächlich abgelenkt gewesen. Wenn ich nicht so in Panik wäre, hätte ich das nur belächelt. Ich legte meine Fesseln um mein linkes Handgelenk und riss beide Arme nach vorne und schlug mit meiner Faust Charles zwischen die Beine. Dieser krümmte sich und so schlang ich den anderen Teil um meine rechte Hand. Dann schwang ich sie nach oben und nach hinten und erwischte tatsächlich Hickeys Nacken, der nur einen erstaunten Ausruf von sich gab. Mit einem Ruck zog ich sein Gesicht runter und er knallte auf meine Schädeldecke. Ich hörte ein befriedigendes Knirschen, mal wieder eine gebrochene Nase, wie schön.
Jetzt schnappte ich mir das Messer, welches er hatte fallen lassen und sprang auf. Erst jetzt bemerkte ich, dass die beiden nur meine Hände gefesselt hatten. Sie hielten mich anscheinend für keine echte Bedrohung.
Doch Charles hatte sich wieder gefangen und wollte gerade wieder auf mich los gehen, als ich ihm das Messer in den Oberschenkel rammte. Hickey lag langgestreckt am Boden, was genau mit ihm war, war mir ehrlich gesagt egal. Sollte sich später jemand darum kümmern! Lee fluchte laut und wollte mich packen, aber ich konnte das Messer wieder an mich bringen und stieß es in seinen ausgestreckten Arm und drehte es ein klein wenig. Er schrie auf vor Schmerzen und wusste nicht, was er sich zu erst halten sollte, diese Gelegenheit nutzte ich und schnappte mir noch das Artefakt mit dem Blackberry.
Beide Wunden bluteten stark und ich sah meine Fluchtmöglichkeit und rannte auf die Tür zu. Sie war nicht verschlossen und so konnte ich ohne Probleme auf den langen Gang gelangen. An den Steinwänden waren in regelmäßigen Abständen Fackeln angebracht, sodass ich sehen konnte wohin ich ging. Doch WOHIN sollte ich mich wenden. Ich ging nach rechts und hatte Glück. Ich sah eine Treppe die nach oben führte.
Doch kurz bevor ich am Fuße angekommen bin, hörte ich ein paar Wachen, die sich mir näherten. Sie unterhielten sich über ihren zu niedrigen Sold und beschwerten sich, dass die Weiber hier alle nur frigide alte Hexen seien! Tolle Meinung, meine Herren. Und ihr wundert euch, dass man euch nicht ernst nimmt. Ich musste mich irgendwo verstecken, denn irgendwer würde auch bald die beiden Templer finden! Ich duckte mich in den Schatten der Treppe, gerade rechtzeitig, denn die beiden Soldaten kamen gerade um die Ecke und hielten auf den Gang Richtung meiner Zelle zu. Ich wartete, bis sie außer Hörweite waren und schlich dann hinauf, oben öffnete ich die Gittertür und wunderte mich wieder einmal, dass sie nicht verschlossen war.
Ich kam auf dem Innenhof raus, die Sonne war dabei aufzugehen und es dämmerte schon. So konnte ich wenigstens einigermaßen sehen, wo ich mich befand. Ich war tatsächlich in dieser Garnison. Ich sah mit meinem Blick in die Runde, aber konnte nur bläuliche Auren erkennen. Niemand hier war mir feindlich gesonnen. Also sollte ich es einfach so versuchen und ging mit erhobenen Haupt zum großen Tor. Das Messer hatte ich in meiner Tasche verschwinden lassen, genau wie das Artefakt samt Blackberry.
Dort standen vier Soldaten davor, die anscheinend ungeduldig auf ihre Wachablösung warteten. „Ah, wen haben wir denn da? Genau richtig für den Feierabend und mein Bett! Na Schätzchen, die anderen haben sich anscheinend nicht gut um dich gekümmert, wie?“ Schon wieder so ein Idiot. Doch ich spielte jetzt ein bisschen mit, denn ich wollte ja hier raus!
„Gentlemen, ich brauche meine Freundinnen, die Herren sind ja unersättlich. Alleine schaffe ich das leider nicht. Ich werde sie schnell holen gehen und ich verspreche euch, ihr werdet auch auf eure Kosten kommen!“ Bei diesen Worten war ich näher gekommen und strich ihm lüstern über die Brust.
Es kam ein Stöhnen aus seinem Mund und nur ein „Dann beeilt euch lieber, ich will nicht ewig warten!“ damit öffnete er mir die Tür und ich ging unbehelligt hinaus. Doch als ich gerade die Straße Richtung Haythams Haus herunter rannte, hörte ich schon den Alarm. Ich nahm meine Beine in die Hand und hielt mir die Röcke hoch, damit konnte man aber auch echt schlecht fliehen!
Ich hechtete schon fast zur Tür und ging einfach hinein. Sie war ebenfalls nicht verschlossen. Außer Atem lehnte ich dagegen und schloss ab, nur zur Vorsicht. Aus dem Arbeitszimmer stürmte im wahrsten Sinne des Wortes Shay und verpasste mir allen Ernstes eine Ohrfeige!
Ich konnte ihn nur anstarren und mir liefen die Tränen über die Wangen!
Kapitel 181.1
Ich stand da wie angewurzelt und brachte einfach keine Ton raus. Dafür hörte ich nur wie Shay mich anschnauzte. „Wie könnt ihr es wagen, einfach so ohne ein Wort zu verschwinden mit dem Artefakt? Und dann lasst ihr meine Frau einfach alleine hier zurück! Was in drei Teufels Namen ist in euch gefahren!“
Hatte hier niemand mitbekommen, dass Charles hier war? Ungläubig sah ich zu ihm auf und sah, wie Faith hinter ihm stand und mich ebenfalls anfunkelte. Da konnte ich mir ein hysterisches Kichern nicht mehr verkneifen. Ich hatte es gerade so geschafft aus dieser Garnison zu kommen und die beiden hier meinten, ich hätte eine Vergnügungstour gemacht!
„Was glaubt IHR eigentlich? Ich war die ganze Zeit in der freundlichen Begleitung eines Masters Lee und Masters Hickey in einem Kellerverließ in der hiesigen Garnison. Ach und man hat mich, damit ich noch mehr Spaß habe, an einen Stuhl gefesselt!“ Ich schrie ihn jetzt einfach nur noch an, denn so langsam war ich es leid immer höflich sein zu müssen! Es kotzte mich gerade an!
Im selben Moment polterte es gegen die Tür! Ich verdrehte nur die Augen, doch der Ire wollte mich schon zur Seite schieben um zu öffnen! „Wenn ihr jetzt diese Tür öffnet, dann garantiere ich für gar nichts mehr. Wir müssen jetzt erst Master Kenway wiederholen. Wir haben viel zu viel Zeit vergeudet.“
„Aber wenn ihr die Wahrheit sagt, dann kann euch ja nichts geschehen, oder?“ spinne ich jetzt, oder was? Er misstraut mir immer noch? WAS habe ich denn gemacht?
Resigniert ging ich zur Seite und deutete ihm zu öffnen. Seine Frau hatte bis jetzt noch nichts gesagt, sondern mich nur ziemlich sauer angesehen. Ja, ich machte das hier alles absichtlich und fand diese Stunden mit Charles und Thomas richtig toll. Es kochte gerade dermaßen in mir, dass ich Angst hatte, zu platzen.
Als die Soldaten eintraten und mich sahen, kam nur „Da, das ist sie! Sie hat Masters Lee und Hickey niedergestochen! Nehmt sie fest!“ Eine der Wachen kam auf mich zu und wollte mich gerade nach draußen bringen, als Shay auf einmal doch reagierte, so als sei er gerade wach geworden.
„Mrs. Frederickson ist eine Bekannte von Master Kenway und soll sich hier um ihn kümmern. Master Lee hat hier Hausverbot, da er sich schon einmal an dieser Frau vergehen wollte. Ich gehe davon aus, dass er das gleiche noch einmal versuchen wollte. Er hat sie hier einfach entführt, obwohl wir gerade dabei waren, Master Kenway zu helfen! Wir haben kostbare Zeit dadurch verloren! Das muss jetzt warten. Ihr solltet in ein paar Tagen wiederkommen, wenn es dem Patienten besser geht und dann wird sich alles klären!“ Jetzt sah er mich an, als müsse ich ihm auf Knien dafür danken, dass er mich vor diesen Herren beschützt hat. Aber ich war nicht in dankbarer Stimmung, eher das Gegenteil.
Doch die Soldaten waren damit einverstanden, denn auch sie wollten das Risiko nicht eingehen, einen Fehler zu begehen und den Zorn von Haytham auf sich ziehen. Also verließen sie unverrichteter Dinge das Haus und ich atmete etwas auf.
„Mrs. Frederickson, was ist hier passiert? Ich stand eine geschlagene halbe Stunde oben am Bett von meinem großen Bruder und wartete. Als ich dann hier unten ins Arbeitszimmer kam, war von euch nichts mehr zu sehen. Was wollte Charles schon wieder von euch?“ misstrauisch sah sie mich an und musterte mich! Leute, lasst das endlich mal, es nervt!
Ich zuckte nur mit den Schultern „Da ihr mir ja anscheinend nicht über den Weg traut und Charles auch nicht, weiß ich nicht, was ich sagen soll. Denn es ist egal, WAS ich sage, ihr dreht es für euch so, wie es gerade passt! Und ich habe jetzt einfach keine Geduld mehr, mich immer und immer wieder rechtfertigen zu müssen! Ich habe nichts getan, Charles tauchte hier auf und hat mir einen Kinnhaken verpasst.“ ich deutete auf mein geschwollenes Kinn.
„Dann bin ich gefesselt wieder wachgeworden. Hickey hielt mir ein Messer an den Hals und Lee fing an mich auszufragen. Was ich von Master Kenway wolle, was ich mit ihm vorhätte und was ich ihm verabreicht hätte, dass er so von Sinnen sei! Ich konnte mich dann aber befreien, denn ich hatte dazu keine Antworten! Aber was erzähle ich euch, ihr glaubt mir ja doch nicht!“ in mir machte sich wieder diese Einsamkeit breit, denn ich stand mal wieder zwischen zwei Templern, keinen Verbündeten.
„Hickey hat jetzt eine gebrochene Nase und Charles hat eine Stichwunde am Oberschenkel und eine in seinem linken Arm! Ich hoffe, er krepiert daran! So, das wars. Noch Fragen? Oder dürfte ich dem einzigen Menschen, der mir und dem ich hier tatsächlich etwas bedeute, jetzt endlich helfen?“ Ich hatte mich so in Rage geredet, dass ich nicht bemerkt habe, dass mir die Tränen einfach nur die Wangen runterliefen.
Doch es war mir egal, ich ging hinauf ohne auf die Beiden zu achten und sah meinen Sohn verschlafen dort stehen. Ich schloss ihn in meine Arme und er wiegte mich langsam hin und her. Es war eine Wohltat! „Mum, wir sollten hier weg. Das ganze tut dir nicht gut und ich sehe dir an, dass es dich langsam auffrisst! Ich möchte nicht, dass es dir noch schlechter geht!“ sagte er leise, gab mir einen Kuss auf die Stirn und gemeinsam gingen wir zu Haytham.
Kapitel 182.1
Ich stand eine Weile so an seinem Bett und mein Sohn hatte seinen Arm immer noch um mich gelegt. Es war einfach nur tröstlich in diesem Moment und ich brauchte wenigstens von einer Person diese Geste.
Dann wurde die Tür geöffnet und die Cormacs betraten das Zimmer. Ich würdigte sie keines Blickes, denn ich hatte im wahrsten Sinne des Wortes gerade die Schnauze voll.
Ich brachte nur „Können wir dann anfangen oder möchtet ihr mir noch mehr Lügen unterstellen?“
„Mrs. Frederickson, es tut mir leid. Es war nur... versteht mich. Ihr ward einfach weg! Was hätte ich denn sonst denken sollen?“ kam es leise von Shay. Ich konnte nur ein Schnauben von mir geben.
Wortlos nahm ich das Artefakt und das Blackberry, mein Sohn hatte das Amulett von Haytham in der Hand. „Was habt ihr vor?“ fragte Faith mich erstaunt.
„Was denkt ihr denn? Ich handle jetzt, denn ich will ihn zurück haben! Auch wenn ihr nicht verstehen wollt, dass ich für diesen Mann mehr empfinde als nur Zuneigung!“ meine Worte waren nur kalt, ich hatte wirklich einen Hass in mir! Doch er rührte von diesem Wesen, seit es aufgetaucht war, brodelte es immer wieder tief in mir. Und ich war nicht die einzige Person, der das aufzufallen schien.
Plötzlich hielt mich eine Hand auf und drehte mich herum! „Mrs. Frederickson, es tut mir leid, wenn wir euch unrecht getan haben! Aber ihr müsst zugeben, das Ganze ist einfach etwas viel auf einmal und schwer zu verstehen für uns! Wir stehen ja auf eurer Seite, doch auch ich habe Angst um Haytham. Und Shay sicherlich auch!“ Ihre Stimme hatte sich verändert, sie war leise und mitfühlend. Doch es war mir egal in diesem Moment.
„Dann sollten wir uns beeilen, um so schneller kann ich wieder nach Hause und ihr habt eure Ruhe!“
Ohne weitere Worte schaltete ich das Blackberry ein und suchte nach den Zeit- und Koordinatendaten von Marius! Diese waren schnell gefunden und ich betete zu Odin, dass es klappen möge. Ich wickelte Haythams Amulett um den Ring, so dass ich es nicht selber anfassen musste und öffnete dann das Portal. Ich hatte es in Richtung der Fenster aufploppen lassen, ich bat jetzt Yannick sich davor zustellen, nur zur Sicherheit.
Ich stellte mich zwischen Bett und meinen Sohn und wartete, was jetzt passieren würde. Der Boden vibrierte wieder leicht, das Sonnensymbol fing an zu glühen und auch der Ring und das Amulett hatten dieses sanfte Leuchten wieder.
Erst jetzt sah ich zu Faith und Shay und sah, dass die Schottin einen überraschten Ausdruck im Gesicht hatte und auf das Portal starrte, genau wie Shay vorhin auf der Jackdaw.
Plötzlich hörte ich diese Stimme wieder. „Wie überaus nett von euch, mir meinen Weg freizumachen! Ich wusste doch, manchmal seid ihr Menschen doch zu etwas nütze. Doch lasst euch gesagt sein, lasst die Finger von Dingen, die ihr nicht versteht! Unsere Hinterlassenschaften sind kein Spielzeug!“ Dann sah ich wieder so ein leuchtendes durchscheinendes Ding, genau wie in dem Turm im anderen New York! Es ging langsam auf mich zu, wandte sich aber noch einmal an meinen Sohn. „Und DU junger Mensch, wirst das Gleichgewicht irgendwann einmal wieder herstellen. Du solltest dich darauf vorbereiten!“ Diesem Wesen war das Portal tatsächlich egal, es konzentrierte sich auf meine Hände und die Gegenstände. Es war, als würden sie dieses Ding in sich aufsaugen! Fasziniert sah ich dabei zu und dann wurde dieses Leuchten wieder schwächer.
Doch dieses Vibrieren ließ nicht nach und ich fürchtete, dass ich gleich wieder irgendwo anders erwachen könnte. Schnell schloss ich das Portal und bat Yannick, das Amulett abzunehmen und es Haytham wieder zugeben. Es wurde ruhiger und auch ich beruhigte mich ein wenig.
Der Zorn verschwand auch allmählich und ich atmete auf. Dann hörte ich nur, wie Shay mich ansprach. Aber es klang wie aus weiter Entfernung. „Mrs. Frederickson, er ist wieder wach!“ Man drehte mich Richtung Bett und ich sah meinen Großmeister aufrecht im Bett sitzen und in meine Richtung schauen!
Wie in Trance ging ich auf ihn zu, immer noch hatte ich Angst, dass es nicht ER war. Doch je näher ich kam, desto mehr konnte ich regelrecht spüren, dass es NUR Haytham war. Ich stand vor ihm und sah auf ihn hinab, ich sah in seine grauen Augen, die jetzt müde und erschöpft dreinblickten!
Ohne ein Wort, legte er seine Arme um meine Hüften und legte seinen Kopf auf meinen Bauch und wieder spürte ich, wie die Ruhe sich über uns legte! „Du bist wieder da!“ brachte ich mühsam hervor, mit Tränen erstickter Stimme! Mein Kopf legte sich auf seinen und ich strich Haytham langsam über den Nacken und den Hals. Es war mehr, mehr als ich je erlebt habe. Mehr unbekannte Gefühle, die ich erst verarbeiten musste. Aber ich wusste, dass er DER war, mit dem ich für immer zusammenbleiben wollte!
In diesem Moment stand mein Plan definitiv fest. Ich würde das Risiko eingehen!
Kapitel 183.1
Eine gefühlte Ewigkeit später, wurden wir mal wieder aus unserer Zweisamkeit gerissen. Es war Shay der sich jetzt zu Wort meldete.
„Sir, Master Kenway, ich hoffe, euch geht es wieder besser? Ihr habt uns alle einen Schrecken eingejagt!“ meinte er in einem beruhigenden Ton, als wolle er einem Psychopathen etwas erklären!
„Es geht mir einigermaßen gut. Ich bin nur völlig erschöpft und ich habe Dinge gesehen, die ich nie für möglich gehalten habe!“ er sah zu mir auf, ich hielt seinen Kopf immer noch in meinen Händen und strich ihm über die Wange. Doch ich löste mich jetzt von ihm und setzte mich neben ihn auf die Bettkante.
„Haytham, was für Dinge denn? War es wie bei Mrs. Frederickson? Wie eine andere Welt?“ fragte Faith neugierig!
„So ähnlich würde ich es beschreiben. Aber es war, als würde mir dieses Wesen Ereignisse aufzeigen wollen. Sachen, die noch nicht passiert sind. So als wolle man mich warnen!“ Haytham schüttelte den Kopf, um diesen Gedanken loszuwerden.
„Vielleicht solltest du dich jetzt lieber ausruhen und wir sprechen morgen in aller Ruhe darüber. Ich weiß ja aus eigener Erfahrung, dass das anstrengend ist.“ Damit wollte ich auch gerne, dass alle aus dem Schlafzimmer endlich verschwinden, denn auch ich war müde und wollte ein wenig Schlaf nachholen.
„Ich denk, dass wäre jetzt das beste. Master Cormac, Mrs. Cormac, wir werden morgen oder besser nachher alles besprechen!“ Sein Ton wurde direkter und es lag keine Bitte sondern schon ein halber Befehl darin, ihn alleine zu lassen!
Auch bat ich Yannick zu gehen. Dieser sah mich nur an, aber er war nicht sauer oder so. Es war, als hätte er etwas verstanden in den letzten Stunden! „Dann gehe ich mit zum Fort Arsenal. Dann kann ich wieder im Stall helfen, wenn ich darf Mrs. Cormac?“ fragte er etwas zögerlich nach. Denn ich hatte schon bemerkt, dass dieser Frau die Eigenheiten meines Sohnes hinsichtlich seiner Erziehung nicht passten.
„Sicher kannst du mitkommen. Wir sollten jetzt alle ein paar Stunden Schlaf nachholen. Dann wünsche ich ein paar geruhsame Stunden, Mrs. Frederickson, Master Kenway!“ Und damit gingen die drei hinaus.
Ich blieb neben meinem Templer sitzen und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. „Das war ein Albtraum, Haytham. Ich mag einfach nicht mehr...“ doch er ließ mich nicht ausreden, sondern nahm mein Gesicht in seine Hände und betrachtete mich eindringlich! Doch seine erste Frage war unerwartet! „Du wusstest, wie und wann ich mein Ende finden werde, oder?“ Diese Frage kam nicht böse rüber, sondern eher voller Trauer und ließ meine Nackenhaare zu Berge stehen.
Was sollte ich denn jetzt sagen? „Ich...“ ich schlug die Augen nieder und betrachtete meine Hände im Schoss. „Ja, ich wusste es!“ gab ich ehrlich zu.
„Wie konntest du dabei dann so ruhig bleiben? Man könnte meinen, dass dich das nicht sehr aufgeregt hat.“ erschrocken sah ich Haytham an.
„Wie bitte? Natürlich geht mir das nahe und ich kann diesen Gedanken auch nicht ertragen. Es macht mich wahnsinnig, dass ich so etwas weiß und...“ sollte ich ihm von meiner Planung jetzt schon berichten? Ich konnte ihm ja schlecht konkret sagen, WANN ich wieder kommen würde.
„Du darfst es nicht ändern, ich weiß...“ sagte er traurig und hob mein Kinn an, damit ich ihn ansehen musste.
„Haytham, ich muss dir, glaube ich, jetzt erzählen, was ich vorhabe. Wenn ich es nicht tue, dann zerreißt es mich. Ich... würde gerne wieder zurückkommen dürfen! Ich weiß, dass ich damit ein großes Risiko eingehe und vermutlich auch die halbe Welt aus den Angeln hebeln könnte. Doch ich kann dich nicht alleine lassen! Ich kann es einfach nicht!“ zum Schluss überschlug sich meine Stimme und ich heulte wie ein Schlosshund!
Er nahm mich in seine Arme und strich mir sanft über meine Haare und küsste meinen Kopf. „Dann mach das, Alex. Ich werde der Letzte sein, der dich daran hindern wird. Denn... ich will dich auch nicht verlieren. Das ist mir in den letzten Wochen klar geworden! Und ich habe mir geschworen, diesem Gefühl nachzugeben, koste es was es wolle! Ich will nie wieder das Gefühl haben, etwas verpasst zu haben oder etwas falsch gemacht zu haben, nur weil ich es aus Vernunftsgründen abgelehnt habe!“
Als ich zu ihm aufsah, liefen ihm tatsächlich Tränen über die Wange. Ich nahm sein Gesicht in meine Hände und küsste sie vorsichtig weg und dann fanden meine Lippen seine und wir waren wieder eins!
Dieses mal fühlte ich mich fast schwerelos und es war wie in Zeitlupe, ich genoss die Berührungen meines Großmeisters und er nahm mich mit einer solchen Hingabe, dass ich nicht mehr wusste, wohin mit meinen Gefühlen. Wir hatten diesen ganz eigenen Rhythmus wiedergefunden und schwelgten darin.
Seine Finger schienen überall zu sein, als ich diese warme Haut spürte, wäre ich am liebsten noch dichter an ihn herangerückt. In einer fließenden Bewegung drehte er uns beide, so dass ich auf seinem Schoss saß. Haytham sah mit diesen dunkelgrauen Augen zu mir auf und sein Atem ging immer schwerer, ich konnte spüren, wie er kurz vor seinem Höhepunkt war und auch ich war nicht mehr weit entfernt davon.
Seine Hände umschlossen meine Hüften und dirigierten mich und dann hörte ich nur wieder seinen Befehl „Sieh mich an!“ und es war vorbei für mich. Mit einem lauten „HAYTHAM“ kam ich und ließ mich langsam an seine Schulter sinken. Auch mein geliebter Templer kam mit einem Aufstöhnen und er umklammerte mich regelrecht. Als ich meine Augen aufschlug sah ich in seinen einen eben solchen seligen Ausdruck. Dieses mal war der Sex etwas anders gewesen. Es war gelöster und entspannter!
Vorsichtig deckte er uns beide zu und wir blieben eng an einander geschmiegt liegen und genossen einfach den anderen! Ich schlief schneller ein, als mir lieb war, aber ich wusste nun, ich konnte meinen Plan in die Tat umsetzen und ich freute mich darauf!
Kapitel 184.1
Ich wurde wach, als die Sonne bereits untergehen wollte. Ja, der Herbst kam schneller als erwünscht. Doch ich war nicht alleine im Bett, mein Templer schlief ebenfalls noch und so stützte ich mich auf einen Ellbogen und betrachtete ihn.
In den ganzen Tagen oder mittlerweile Wochen, hatte ich nie Gelegenheit, ihn einfach nur anzusehen. Sein Gesicht war friedlich und völlig entspannt und sein Atem ging gleichmäßig und ruhig. Ich sollte den Kammerdiener bitten, Haytham zu rasieren. Er hatte es nötig, dabei fielen mir seine hohen Wangenknochen auf und seine leichten Falten um die Augen herum.
Aber an seinen Lippen blieb ich hängen und wie angezogen von einem Magneten, kam ich näher und gab ihm einen vorsichtigen Kuss. Ein „Hmmmmmmm“ war alles, was ich zu hören bekam, aber ich spürte plötzlich seine Hand an meinem Rücken und diese schob mich in seine Arme. So lag ich wieder an seiner Schulter angelehnt. Ich spürte sein Grinsen mehr, als das ich es sah. „Na, hat dir gefallen, was du gesehen hast?“ und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
„Du hast es bemerkt? Das ist nicht fair, ich dachte du schläfst tief und fest!“ gespielt empört richtete ich mich wieder auf. „Alex, ich habe einen sehr leichten Schlaf. Daran ist das jahrelange Training schuld und ich habe gemerkt, dass du dich bewegt hast.“ erklärte mir mein Großmeister.
„Dann können wir auch aufstehen, denn ich habe einen wahnsinnigen Hunger!“ ich wollte mich gerade wegdrehen und aufstehen, als ich von seinen Armen wieder zurück gezogen wurde.
„Nicht so schnell, Mrs. Frederickson. Zuerst will ich meinen Hunger gestillt haben!“ kam es in diesem kratzigen Ton, der mir sagte, dass Haytham nicht an die Köstlichkeiten unten im Esszimmer dachte.
„Master Kenway, ihr solltet euch etwas genauer ausdrücken.“ gab ich geziert zurück.
„Ich sehe schon, ihr habt noch viel zu lernen!“ und mit diesen Worten war er über mir und hielt meine Hände über meinem Kopf fest und sah mir in die Augen. „Ich weiß gar nicht, wo ich da anfangen soll!“ sein Kuss war fordernd und hart, doch es gab mir einfach diesen letzten Kick um mich zu öffnen. Haythams Bewegungen wurden drängender und ich nahm ihn mit einem Aufseufzen in mich auf. „Ihr habt verstanden was ich meine! Sieh mich an, Alex!“ raunte er nur an meinem Ohr. Da war es wieder, dieses Gefühl von Unbeherrschtheit in mir, das mich zum Höhepunkt trieb!
Es dauerte nicht lange und ich lag wieder schwer atmend an seiner Brust und mein Templer versuchte ebenfalls zu Atem zu kommen. Ich hielt ihn fest und diese Ruhe stellte sich ein, am liebsten wäre ich tatsächlich liegen geblieben. Doch ich hatte wirklich Hunger! Haytham meldete sich als erster wieder zu Wort. „Hast du immer noch Hunger?“ fragte er mich grinsend.
„Ist das jetzt eine Fangfrage?“ gab ich lachend zurück. „Nein, ist es nicht. Also dann, aufstehen!“ Mit diesen Worten bekam ich einen Klaps auf den Hintern und er stand auf. Seine Silhouette in dem Licht der untergehenden Sonne war atemberaubend. Verzeiht, es ist kitschig, aber so war es halt!
Wir saßen kurz darauf im Esszimmer und genossen ein paar Kleinigkeiten, die Mrs. Wallace noch für uns gezaubert hatte.
Es war gegen 19 Uhr als wir uns dann noch zum Fort Arsenal aufmachten. Denn es war ja noch nicht ganz vorbei und alles geklärt hatten wir auch noch nicht. Auf dem Weg dorthin, erzählte ich Haytham von meinem Hass heute Vormittag, gegenüber Shay und Faith, obwohl sie nicht wirklich etwas dafür konnten. Doch auch die Ohrfeige, die mir der Ire verpasst hatte, war vermutlich auch nicht von der Hand zu weisen. Als ich das erwähnte, sog er scharf die Luft ein und sah mich an.
„Er hat was gemacht? Shay hat dich geschlagen?“ innerlich fing er an zu kochen, doch äußerlich war er mal wieder die Ruhe in Person. Ich nahm seine Hand und drückte sie nur.
„Ja, als ich aus der Garnison zurück kam...“ ich unterbrach mich selber, denn dass müssten wir gleich alles in Ruhe erklären. Ich wollte nicht vorgreifen. Doch es war zu spät!
„Warum warst du bitte dort?“ fragte mein Templer mich jetzt erstaunt mit einer leichten Kälte in der Stimme?
„Ich... das sollte ich dir gleich erzählen, wenn wir bei Mrs. Cormac und Master Cormac sind. Es ist in den letzten Stunden einfach so wahnsinnig viel passiert und ich kann dir nicht alles alleine erzählen!“ bat ich ihn, sich noch ein wenig zu gedulden! Ein tiefer Seufzer sagte mir, dass er nicht gerade der Geduldigsten einer ist.
Wir kamen bei den Cormacs an und wurden von Marge freudig begrüßt. „Ah, Master Kenway, Mrs. Frederickson, schön dass ihr mal wieder hierher kommt. Kommt herein!“ sagte sie und führte uns zu den Eheleuten, welche im Salon saßen mit ihrer Tochter zusammen.
So ein trautes Familienglück, war mir mit Marius nie vergönnt gewesen. Meistens war er arbeiten und jetzt, da ich wusste, WAS er eigentlich gemacht hat, kam meine Wut auf ihn auch wieder hoch. Die meiste Zeit war ich mit Yannick alleine. Wo war mein Sohn überhaupt?
Als wir eintraten, erhoben sie sich und Shay nahm seine Tochter auf den Arm. Die üblichen Begrüßungsfloskeln wurden ausgetauscht und ich hatte einen Moment mir July genauer anzusehen. Du meine Güte, was für rote Haare hatte das Mädchen. Ihre braunen Augen bildeten den Kontrast, was sie aber richtig niedlich wirken ließ. Schüchtern ließ sie sich an die Schulter ihres Vaters fallen und schaute mich skeptisch an. Noch jemand der mir nicht traute und das mit erst 9 Monaten. Ich konnte mir ein Seufzen nicht verkneifen, Mütter halt! Von meinem Templer erntete ich nur ein leises Räuspern. Hatte ich schon wieder etwas falsch gemacht?
Als ich ihn ansah aber, sagten mir seine Augen, dass er sehr wohl verstand, was mir für Gedanken gerade im Kopf umherschwirrten. Mir stieg eine dezente Röte wieder ins Gesicht, ich musste wieder anfangen mich zu verschließen.
„Setzt euch bitte, möchtet ihr etwas trinken?“ fragte Faith um diese Stille zu überbrücken! Wir nahmen Platz und ich meinte, dass ein Tee genau richtig wäre. Als nächstes fragte ich dann nach meinem Sohn. Denn ich würde ihn schon gerne auch begrüßen!
„Oh, Yannick ist sicherlich noch mit Henry unterwegs. Die beiden haben sich auf der Morrigan angefreundet. Sie sind bald wieder zurück, keine Sorge!“ meinte Shay mit einem zufriedenen Lächeln. Na, da war ich ja gespannt, denn ich kannte diesen Henry nicht und mein Sohn kannte sich hier nicht aus.
Und wieder musste ich mir eingestehen, dass mein Sohn älter wurde und nicht immer überwacht werden musste!
Kapitel 185.1
Faith brachte ihre Tochter noch schnell zu Bett und kam dann zurück. Wir hatten uns langsam wieder etwas aufgewärmt und ich genoss den Tee.
Als erstes fing ich an zu erzählen, denn ich bekam von den Cormacs diesen Auffordernden Blick. „Als wir herausfanden, dass dieses Wesen dich besetzt hat, war das erst einmal ein Schock. Und ich, oder besser wir, wussten im ersten Moment nicht was wir machen sollten. Also brachte ich zuerst Marie zurück und dann wollten wir uns um dich kümmern!“ In seinem Gesicht nahm ich keine Regung wahr und ich rollte innerlich mit den Augen. Es war zum verrückt werden, ich hätte gerne eine Reaktion, doch darauf musste ich wohl verzichten!
Ich schilderte, wie wir in Marius` Zimmer die Truhe gefunden haben und was alles darin war. Als ich ihm sagte, dass Briefe von ihm dabei waren, sah er von mir zu den anderen beiden und wieder zu mir. „Du meinst, dass sind die Briefe die ich im laufe der Jahre Jenny geschrieben habe oder schreiben werde?“ er hatte wieder diesen ungläubigen Blick drauf.
„Ja, das sind genau DIE Briefe.“ Dann erzählte ich von meiner Vermutung, wie diese Erbstücke wieder in den Besitz der Templer gekommen sein könnten. Auch dass die Briefe mit einer Person noch in Verbindung kommen, mit der Shay zwar nicht persönlich, aber dennoch in Berührung kommen wird. Mehr konnte ich nicht sagen.
Dann war Shay an der Reihe, der das Buch „Forsaken“ erwähnte und ein dunkler Schatten legte sich über sein Gesicht. Ob Haytham es gut fand oder nicht, aber ich erzählte, dass er bereits über dieses Ende im Bilde sei. Von meinen Plänen, die jetzt konkreter wurden, sagte ich aber nichts.
Etwas erleichterter erzählte der Ire dann weiter. Wie er in der Hoffnung, die Suche jetzt aufgeben zu können, die Schatulle und das Manuskript zum Greifen nahe hatte. Ich ihn aber an die Konsequenzen erinnern musste, wenn Gegenstände doppelt in der Welt vorhanden waren.
Mein Templer sog scharf die Luft ein und sah mich eindringlich an. „Du bist im Besitz BEIDER Artefakte und WIR können nichts mit ihnen anfangen? Wir müssen wirklich weitersuchen?“ kam es jetzt in einer sehr kühlen Tonlage von ihm.
„Darauf läuft es hinaus, ja. Es tut mir leid, aber es geht nicht anders, Haytham! Die Gefahr, dass noch mehr in Gang gesetzt wird, ist zu hoch und ich bin schon viele Risiken eingegangen. Alleine dass ich hier mit euch sitze und euch so etwas erzähle. Ich könnte in Teufels Küche kommen!“ Das würde ich sowieso, ich hatte mich mit einem Templer eingelassen. Streng genommen könnte man mich der Bruderschaft verweisen und mir Rang und Titel nehmen. Aber das teilte ich jetzt nicht auch noch mit, sondern verschloss diese Gedanken.
Dann kamen wir auf die silberne Kette von Faith mit den Portraits der Eltern und ihr als kleines Kind zu sprechen. Sie holte sie hervor und sah lange Gedankenverloren darauf. Wer jemals einen Elternteil verloren hat, weiß wie sie sich gerade fühlen musste! Auch Haytham konnte es nachvollziehen, wenn man eigentlich kein Erinnerungsstück mehr hat. Sein Kurzschwert, welches er von seinem Vater bekommen hatte zum 8. Geburtstag lag irgendwo verschollen am Fuße einer Felswand in Genua! Meine Nachforschungen sollte ich darauf ausrichten, wenn ich wieder zurück war!
Mit einem scharfen Unterton fragte mich Haytham „WAS planst du schon wieder, Alex? Dein Gesicht spricht wieder Bände und ich habe Angst du könntest dich in etwas verrennen! Man muss nicht jedes Geheimnis kennen!“ etwas erschrocken sah ich ihn an und dann kam es etwas zu schnippisch aus meinem Mund „Wenn du meinst, dann eben nicht!“ und ich fügte kleinlaut eine Entschuldigung an. „Verzeih mir, es war nicht so gemeint. Ich möchte nur, dass du glücklich bist. Ich … werde mich wohl zusammenreißen müssen in Zukunft!“
DAS kam jetzt einfach so zweideutig rüber, dass alle drei Templer mich fragend ansahen. „Schaut doch bitte nicht so, ihr wisst alle was ich meine.“
Der Nächste Punkt war jetzt, dass wir überlegt haben, woher wir denn den Strom bekommen. Also waren wir in der Geschichte bei der Jackdaw und den Neuzeit-Templern und diesen hessischen oder eben deutschen Assassinen, von denen mir Faith nichts erzählen wollte. Traute sie mir nicht, oder lag es daran, dass sie Templer war? Ja, natürlich. Ich war ja Assassine und könnte immer noch eine Gefahr darstellen. Doch ich kannte diese Bruderschaft nicht, sie existierte in meiner Zeit nicht.
Und das brachte ich jetzt als nächsten Punkt noch an. „Diese hessische Bruderschaft gibt es in unserer Zeit übrigens gar nicht mehr. Wir haben eine große Vereinigung mit mehreren kleineren Zellen. Aber so wie ihr die Assassinen kennt, existieren sie nicht mehr.“ Shay sah mich erstaunt an.
„Es gibt eine übergeordnete Einrichtung und dann gibt es kleinere Zellen? Aber die Korrespondenz muss ja dann ewig unterwegs sein!“
Ich musste grinsen, natürlich war es hier zum Teil so, dass Briefe und Nachrichten auch schon mal zwei Wochen unterwegs waren, oder im schlimmsten Falle noch viel länger. Ich versuchte eine Erklärung, genauso wie mit dem Filmriss, es war aber verdammt schwer es logisch rüber zubringen! Ich hätte ihnen gerne demonstriert, wie das funktionierte. Leider hatte ich hier keinen Empfang, ist halt das blöde 18. Jahrhundert-Internet!
„Dass ihr mir nicht vertraut ist mir bewusst, aber wenn ich wenigstens einen Namen hätte, könnte ich eventuell sagen, ob ich den schon einmal gehört habe. Ich könnte euch helfen!“ Dieser Gedanke schoss mir spontan in den Kopf. Und wieder sahen mich alle drei an, als könne ich nicht bis drei zählen! „Was denn?“
„Alex, das sind Ordens-Angelegenheiten, die dich nicht zu interessieren haben!“ kam es jetzt etwas zu kalt für meinen Geschmack von Haytham. Also war da doch noch eine gewisse Barriere, die ich vermutlich auch nie überwinden würde, wenn ich den Assassinen treu bliebe! Meine Enttäuschung und diesen plötzlichen Schmerz konnte ich dann nicht verbergen und entschuldigte mich kurzerhand und ging einfach hinaus.
Das waren harte Worte, an die ich mich jetzt gewöhnen musste, oder nicht? Ich stand auf der hinteren Fortmauer und schaute aufs Meer. Es war mittlerweile stockdunkel und nur ab und an, wenn die Wolken aufrissen, konnte der Mond ein bisschen Licht bringen! Plötzlich hatte ich eine Hand auf meiner Schulter, aber es war nicht Haythams oder Faiths. Es war Yannick und er sah mich besorgt an. „Mum, alles in Ordnung? Die drei meinten, du seist einfach rausgelaufen!“
Ich hatte in diesem Moment zum ersten Mal seit Wochen wieder den dringenden Wunsch, einfach zu gehen und niemanden mehr hier zu sehen! Dieser Satz von Haytham, auch wenn er wahr ist und berechtigt, tat mir unendlich weh, dazu kam dieser eiskalte Ton und diese kalte Art von ihm! „Ich denke, wir werden in ein oder zwei Tagen abreisen!“ meinte ich nur und nahm meinen Sohn in den Arm!
Kapitel 186.1
Mein Sohn schloss mich ebenfalls in seine Arme, aber fragte erstaunt, woher dieser Sinneswandel kam. In kurzen Sätzen erklärte ich ihm unser Gespräch und jetzt kamen echt Äußerungen, die mich am Verstand MEINES Kindes zweifeln ließen.
„Vielleicht solltest du dem ganzen Zeit geben? Und wer weiß, wenn du noch einmal zurückkehrst, wie sich dann alles entwickelt? Auch wenn ich ihn nicht mag, das weißt du, finde ich, er hat ja nicht unrecht. Aber fürs erste sollten wir hier eine Pause einlegen und abreisen und dann entscheide DU, wenn du ein wenig Abstand hattest, was für dich richtig ist und ob du für so einen Schritt bereit bist!“
Ich schob ihn ein bisschen von mir und sah ihn fragend an! „Das ist nicht dein Ernst, oder? Wer hat dir denn den Kopf gewaschen, dass du so redest?“
„Niemand, aber ich habe gesehen, wie du bewusstlos warst und ich konnte Haytham sehen, wie besorgt er um dich war. Er ist dir so gut wie nie von der Seite gewichen. Mum, er legte eine ganz andere Art an den Tag, also sonst. Auch mir gegenüber benahm er sich anders.“ ich war völlig verwirrt mittlerweile und schüttelte meinen Kopf um ihn wieder frei zu bekommen!
„Jetzt weiß ich erst recht nicht, was ich machen soll!“ mir liefen wieder die Tränen über die Wangen und Yannick nahm meinen Kopf und legte ihn auf seine Brust. Dieser Junge war in den letzten zwei Jahren ins Unendliche gewachsen, schoss es mir durch den Kopf. Was für ein dämlicher Gedanke auf einmal.
Wir standen ein Weile so da, bis uns ein Räuspern aus unseren Gedanken holte. Es war mein Templer! „Yannick, lässt du mich bitte mit deiner Mutter alleine? Danke!“ Er bedachte meinen Sohn mit einem freundlichen Lächeln und kam dann auf mich zu.
„Alex, versteh mich bitte. Ich darf keine Risiken eingehen! Ich habe eine Verpflichtung als Großmeister! Umgekehrt, würdest DU mir entsprechende Informationen geben?“ mit verschränkten Armen stand er vor mir, absichtlich nicht in meiner Nähe, so schien es.
„Ich weiß es nicht. Doch dein Ton war geradezu abwertend und eiskalt! Ich bin nicht irgendetwas daher gelaufenes, das solltest du bedenken. Jetzt ist es aber auch egal, denn wir werden fürs erste Abreisen und ich werde diesen Abstand nutzen, um herauszufinden, was ich wirklich will. Und ich sollte mir überlegen, ob ich wirklich alles aufgeben kann! Genauso wie du es auch nicht einfach so könntest. Du hast mir nur einfach gerade mit einem einzigen Satz so dermaßen wehgetan, dass es schon körperlich weh tut!“ Wir standen uns gegenüber, aber keiner von uns war in der Lage auf den anderen zuzugehen. Dickköpfigkeit auf beiden Seiten, wie ich sie doch hasste.
„Dann solltest du wohl besser packen gehen!“ und da war er wieder, der alte eiskalte Templer, den ich kennen gelernt hatte! Ich hatte es verbockt auf ganzer Linie! Innerlich Ohrfeigte ich mich dafür! Sein Blick war steinhart und durchbohrte mich förmlich. Ich konnte ihm nicht standhalten!
Ich sah nach unten und als ich das Geräusch von Schritten hörte, die sich entfernten, ging ich auf die Knie und fing an zu heulen. Es war mittlerweile eiskalt, aber es war mir egal! Ich zitterte am ganzen Körper, nicht nur wegen der Kälte auch durch das Weinen. „Mrs. Frederickson, ihr holt euch noch den Tod!“ hörte ich Shays Stimme!
„Ist mir egal!“ gab ich trotzig zurück und schlug seine helfende Hand weg! „Ich habs vermasselt, also was solls!“
„Nein, das habt ihr nicht! Und jetzt steht auf und kommt mit und wärmt euch wieder auf!“ er zog mich auf meine Beine und schob mich förmlich wieder ins Haus und in den Salon. Widerwillig ließ ich mich am Kamin auf das Sofa sinken und versuchte mich aufzuwärmen. Man drückte mir ein Glas mit Rum in die Hand und sagte, ich solle das trinken, dann ginge es mir besser.
Als wenn das jetzt helfen würde, dachte ich nur und starrte auf den Inhalt! Dann spürte ich hinter mir jemanden stehen, dieses Gefühl einer Person, die mit einem im Raum ist. „Wir müssen reden.“ kam es leise von Haytham.
Ich wollte gerade erwidern, wozu das gut sein sollte, da stand er vor mir und zog mich hoch, nahm mir das Glas aus der Hand und zog mich zu sich. Als ich wieder in seinen Armen lag, beruhigten sich meine Nerven schlagartig und mein Kopf konnte einigermaßen klar denken!
Das einzige, was ich sagte war „Es tut mir leid!“ und von meinem Templer kam ebenfalls ein „Mir auch!“
Als ich zu ihm aufsah, hatten seine grauen Augen wieder den üblichen warmen Glanz und sahen mich beruhigend an. „Alex, wir haben eine Menge Dinge, die wir erst einmal besprechen müssen. Wir haben wahnsinnig viel, was wir beide zu bedenken haben und aufarbeiten müssen! Dass es nicht einfach würde, war mir klar und ich denke, dir auch, oder?“ Wollte er jetzt eine Antwort, oder war das wieder eine von diesen rhetorischen Fragen?
„Das ist mir bewusst, Haytham. Doch ich möchte nicht das Gefühl haben, wie eine Aussätzige behandelt zu werden.“ ich schluchzte immer noch zwischendurch.
„Das bist du nicht, aber du bist Assassine und da liegt das Problem. Auch wenn du zu einer anderen Zeit lebst und agierst, kann ich dich nicht in alles einweihen.“ er sah mich lange an.
„Was soll ich deiner Meinung nach machen? Der Bruderschaft den Rücken kehren? Das kann ich nur, wenn ich erst einmal zurückkehre in meine Zeit und dann? Ich kann ja schlecht meine Kündigung einreichen und sagen, so tschüss, das war es dann!“ Sollte ich meine Gedanken bezüglich einer neuen Reise zu ihm, dass ich dann für immer bliebe und dann sowieso keiner Bruderschaft mehr angehören würde, mit ihm teilen? Ich bezweifelte, dass Haytham da beruhigter wäre. Aber... einen Versuch war es wert.
„Sollte ich, und ich betone, SOLLTE ich noch einmal hierher zurückkehren, würde ich keiner Seite mehr angehören. Denn für die Assassinen hätte ich hier keine Fürsprecher, oder? Was dann?“ erstaunt sah mich Haytham an.
„Du hast wirklich schon an so eine Option gedacht? Du würdest dein altes Leben ganz aufgeben? Vorhin hörte es sich nicht ganz so drastisch an!“ hatte er mir nicht zugehört? Ich hatte es doch gesagt, dass ich wieder kommen wollte und dann für immer!
„Hast du mich nicht ernst genommen, Haytham? Denn das ist es, dieser Gedanke kam mir schon, als … also … ich...“ jetzt fing ich tatsächlich wieder an zu stottern. Doch mein Templer rettete die Situation in dem er mir einfach einen langen Kuss gab.
„Doch, ich habe das schon verstanden, aber es jetzt noch einmal zu hören, fühlt sich... gut an!“ Sein Blick hatte sich verändert, als ich jetzt in seine Augen sah. Was plante er gerade in seinem Hinterkopf?
Kapitel 187.1
Wie oft hatte ich mir in den letzten Jahren schon geschworen, keine Zeitreisen mehr? Es war einfach wahnsinnig verwirrend. Nur dieses mal war es um Längen schwieriger.
Also saß ich jetzt mit meinem Templer auf dem Sofa vor dem Kamin und erzählte ihm von meinen ganzen Plänen, wie ich mein altes Leben abhaken könnte. Denn ich hatte leider beide Eltern schon verloren und war mit Yannick eigentlich alleine. Das heißt, ich müsste nur sehen, dass er auf eigenen Beinen steht und dann stünde meiner Auswanderung ins 18. Jahrhundert nichts mehr im Wege.
Manchmal fühlte ich mich wie diese Claire in der Highland-Saga von Diana Gabaldon Outlander Serie . Ich würde es nicht anders machen, doch ich würde etwas komfortabler Reisen.
Es war gerade sehr befreiend ihm von diesen Gedanken zu erzählen und er kam aus dem Staunen nicht mehr raus, denn ich erzählte wirklich alles. Wie ich plante meine Wohnung zu verkaufen, wie ich mein Testament fertigstellte und und und! Irgendwann unterbrach mich Haytham und sah mich mit einem breiten Grinsen an. „Und wenn du dann hier bist, bist du wieder mittellos! Was machen wir dann?“
„Nunja, Master Kenway, ich bin ein gutes Zimmermädchen und kann mit anpacken! Und ich könnte durchaus auch noch andere Dienste übernehmen!“ ich konnte mir ein ebenso breites Grinsen nicht verkneifen! „Und wenn die Bezahlung stimmt, dann kann ich mir...“ aber er ließ mich nicht ausreden.
In Sekunden saß ich auf seinem Schoß und er hatte beide Hände auf meinem Hintern und hielt mich so fest. „Über Ihre Bezahlung werden wir dann noch reden, Mrs. Frederickson! Fürs erste wäre die Kost und Logis aber frei gegen... ein paar persönlicher Dienste!“ In seinen Augen las ich wieder regelrecht seine Lust, aber wir waren hier nicht alleine und schon gar nicht ungestört.
„Master Kenway, wir sollten dieses Gespräch vielleicht noch um ein oder zwei Stunden verschieben!“ gab ich schwer atmend zu bedenken, obwohl mir nach etwas ganz anderem war. Seine Lippen zogen mich schon wieder magisch an!
Plötzlich dachte ich nur, dass ich ein heilloses Chaos angerichtet hatte und hatte das Bedürfnis mich dafür zu entschuldigen. „Haytham, es tut mir leid, dass ich hier alles durch einander bringe. Das war nicht meine Absicht!“ Und dann küsste ich meinen Templer einfach und holte mir seine Bestätigung ohne Worte.
Mal wieder wurden wir aus dieser Zweisamkeit gerissen. Shay und Faith standen breit grinsend im Salon!
Wir erhoben uns und ich strich mein Kleid noch glatt. Doch bei Master Kenway war das Kleiderrichten etwas schwieriger und ich musste mir ein wissendes Lächeln verkneifen.
„Konntet ihr klären, was euch auf der Seele lag?“ fragte mich Faith jetzt und das einzige was ich herausbrachte war ein. „Ja ich weiß jetzt, was ich zu tun habe!“ Erstaunt sahen die beiden mich an, doch ich würde ihnen vorerst noch keine weiteren Einzelheiten erzählen.
Ich denke, ich hatte verstanden, dass mein Templer es nicht böse meinte und einfach aus Gewohnheit in diese kalte Templerrolle gefallen war. Vielleicht sollte ich auch einfach nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Denn er hatte gerade bewiesen, dass auch ER Kompromisse einzugehen bereit ist und dafür könnte ich ihn drücken!
Doch wir waren noch längst nicht fertig mit der Erzählung und Haytham musste noch einiges mitgeteilt werden. Also saßen wir wieder alle zusammen und ich versuchte mein Bestes, die Situation auf der Jackdaw und den Neuzeit-Templern zu erklären. „Diese Ordensbrüder waren völlig ungetarnt hier aufgetaucht? Warum? Sie mussten doch davon ausgehen, dass man auf sie aufmerksam wird.“ kam es logischerweise von Haytham.
„Ja, aber … irgendwie schienen diese es nicht wirklich ernst zu nehmen. Die Mission meine ich. Denn mein Ex war anscheinend sowieso schon das schwarze Schaf und ich hatte auch wirklich den Eindruck, als wäre es für sie nur eine 08/15 Mission!“ und wieder hatte ich 3 fragende Augenpaare um mich. Also erklärte ich, was dieser Ausdruck bedeutete. Aber auch dieses mal hatte ich den Eindruck, es kam nicht ganz an. Ich konnte es ja verstehen, das ist alles auch fantastisch und kaum zu fassen. Umgekehrt für mich ja auch!
Und auf einmal fiel mir ein, dass ich ja eigentlich ein Treffen mit ihnen heute hatte! „Verdammt... ich habe die Assassinen vergessen!“ Doch es war Shay. der wusste was ich meinte. „Wenn diese aufgetaucht wären, dann hättet ihr sicherlich Nachricht erhalten. Soweit wie ich das verstanden hatte, solltet ihr euch mit ihnen auf der Jackdaw treffen!“
„Das ist richtig, doch was ist, wenn ich keine Nachricht erhalten kann, weil sie mit meinem Schiff auf und davon sind?“ doch mir fiel ein, dass ich immer einen Teil der Mannschaft an Land hatte, wegen der Wachdienste! Diese würden mir Bescheid geben. „Nein, ihr habt recht. Ich hätte schon längst von ihnen gehört.“ Doch jetzt saß ich auf heißen Kohlen und wollte nachschauen. „Wenn ihr mich dann entschuldigt, unser Gespräch muss ich jetzt verschieben. Ich muss dringend zu meinem Schiff!“ damit erhob ich mich und wollte schon hinaus, als mich Haytham wieder aufhielt.
„Ich komme mit. Ich möchte nicht, dass dir etwas zustößt!“ und, es ist so kitschig, aber dieser Blick war einfach umwerfend. Mein Templer, der Beschützer? Daran könnte ich mich durchaus gewöhnen!
Ich sah mich nach den Cormacs um, doch diese nickten nur und wir gingen hinaus zu unserer Kutsche. Und wieder einmal fragte ich mich, wie ein Kutscher so lange in dieser Kälte ausharren konnte. Das waren schon ziemlich harte Typen. Ok... ich schweife ab.
Als wir an der Jackdaw ankamen, standen die üblichen Wachen dort. Als ich an Bord ging, trat Gregor vor und erstattete einen kurzen Bericht. Naja, viel war es nicht. Nur das übliche, aber keine Rede von dem Besuch der Deutschen Bruderschaft! Was war denn hier los jetzt? Erst hieß es, wir sehen uns dann morgen und dann kommt nichts mehr? Oder hatte ich da etwas falsch verstanden?
Faith musste mir einfach da mit ihrem Wissen aushelfen, denn ich musste wissen, wer diese Männer waren! „Haytham, es ist wirklich wichtig. Ich muss wissen, wer diese Männer sind. Ich kann die Brig hier nicht im Hafen lassen, mit dieser Ungewissheit!“ Und dieses mal meinte er nur „Wir sollten sie fragen, denn es ist schon etwas seltsam, dass heute nicht einmal eine Nachricht kam!“
Also hieß es, zurück zum Fort Arsenal, mittlerweile taten mir die Cormacs immer mehr leid. Doch mir fiel wieder die Ohrfeige ein, die mir Master Cormac verpasst hatte. Ich konnte seine Hand regelrecht auf meiner Wange fühlen.
Dieses Gespräch würde sich in die Länge ziehen, dachte ich noch bei mir. Aber eines nach dem anderen! Gerade als wir wieder in der Kutsche waren, sah ich aus dem Augenwinkel Bewegungen. Es waren mehrere Schatten, die sich in Richtung des Hafens und der Brig bewegten!
Diese dämlichen Assassinen wollten doch nicht ernsthaft mein Schiff kapern! Auch Haytham sah es und deutete mir, ich solle mich ruhig verhalten. Langsam stiegen wir aus und beobachteten die Auren. Es waren allesamt leuchtend rote Umrisse! Nicht wie bei den Neuzeit-Templern!
Kapitel 188.1
Und ich verfluchte mich für mein Kleid. Warum durfte ich nicht einfach immer in praktischen Hosen herum laufen! So waren mir im wahrsten Sinne des Wortes die Hände gebunden! Ich stieß einen sehr unflätigen Fluch aus, den Haytham nur mit einem tadelnden Blick quittierte.
Diese roten Umrisse schlichen über den Kai und über die Dächer. Langsam und bedächtig näherten sie sich meiner Brig und ich stand da und könnte nicht wirklich eingreifen! Aber da fiel mir ein, dass ich noch meine Glock und mein Stiefelmesser dabei hatte! Wenigstens etwas, dachte ich bei mir.
Ohne auf meinen Templer weiter zu achten, ging ich langsam auf den Hafen und das Dock zu. Von Deck der Jackdaw vernahm ich überraschte Laute und hoffte, dass nicht noch mehr von ihnen verletzt wurden. Entweder war ich für diese Assassinen unsichtbar oder sie waren einfach blind. Aber ich konnte ungesehen an Deck und stand inmitten einer gefühlten Horde von Brüdern. Niemand schien mich zu beachten!
Doch dieser Meisterassassine war es, der mich bemerkte und direkt auf mich zuhielt, mit aktivierter Klinge. Ohne Vorwarnung fing er an, auf mich einzustechen. Plötzlich wie aus einem Reflex konterte ich diese Attacken. Ich agierte, als hätte ich nie etwas anderes getan! Es war, als lenke mich eine andere Person! Blocken, parieren, Fußarbeit, Balance, aufpassen, vorausschauen. Diese Stimme war mir vertraut, aber ich konnte sie in diesem Moment nicht zuordnen!
Ich tat wie mir gesagt wurde und ich wurde irgendwann von einer Hand festgehalten, die mir Einhalt gebot! Langsam nahm ich meine Umgebung wieder wahr und senkte langsam meine Klingenhand! Mein Kleid war nass vom Blut und ich sah an mir hinunter. Zu meinen Füßen lagen einige blutende und blutüberströmte Männer! Es schien, als hätte man mich geweckt. Doch der Geistesblitz, dass noch der eigentliche Hauptcharakter fehlte, drang in mich wie ein heißes Eisen. Er musste hier irgendwo sein. Nur wo? Ich nahm keine roten Auren mehr wahr. WO war dieser Mensch hin verschwunden?
„Alex! Wo bist du schon wieder?“ hörte ich die tiefe Stimme meines Templers und dieser schüttelte mich. Verwirrt sah ich in seine Augen und erst dann, wurde ich wieder richtig wach!
„Bei Odin, was ist hier passiert? Ich … jemand hat mir die ganze Zeit gesagt, was ich tun soll. Blocken, parieren, Fußarbeit, Balance, aufpassen, vorausschauen. Ich habe nur...“ doch mehr konnte ich nicht sagen, denn in Haythams Augen trat ein Entsetzten, zugleich aber auch ungläubiger Ausdruck!
„Das kann nicht sein!“ War das einzige, was er sagte! Ich sah, wie plötzlich in seinen Blick Erinnerungen traten und ich hörte wieder diese Stimme. Und dann konnte ich sie zuordnen. Ich wusste wer mich geleitet hatte. Es war... Edward? Aber warum? Oder besser... WIE, WARUM... Ich hatte ihn eigentlich nicht mehr so tief in Erinnerung! Doch er drängte wieder an die Oberfläche!
Was führten diese Vorläufer im Schilde, warum konnte ich nicht einfach gehen, warum musste ich mich damit auch noch herumschlagen. Es wäre doch so einfach! „Haytham, warum habe ich auf einmal die Stimme deines Vaters im Kopf? Was ist hier los und wo ist dieser dämliche Meisterassassine jetzt hin?“ fragte ich einfach drauf los, denn in meinem Kopf explodierten kleine Blitze und ich hatte Angst, dass ich falle. Es fühlte sich alles wieder so unwirklich an!
„Wenn ich das wüsste, ich habe keine Ahnung. Aber es sah unheimlich aus, wie du gekämpft hast. Es sah aus, als hättest du seit Jahren nichts anderes gemacht!“ Immer noch entgeistert und etwas besorgt sah er mich jetzt an.
„Ich muss wissen, was hier los war. Wo ist er hin?“ das kam schroff rüber, doch ich konnte diesen Mann schlecht einfach davon kommen lassen, wer weiß, was er als nächstes tun würde.
„Was hier los war, weiß ich nicht und wo dieser Assassine abgeblieben ist, kann ich auch nicht sagen. Er hat sich in diesem Tumult einfach aus dem Staub gemacht. Ich hatte die ganze Zeit versucht dir Rückendeckung zu geben.“ Kam es von meinem Templer. Und dann gab Haytham eine seiner logischen Schlussfolgerungen zum Besten. „Du selber hast gesagt, dass diese Wesen irgendwelche Fähigkeiten hinterlassen. Was, wenn es bei dir die Kampferfahrung eines anderen Menschen ist?“ mit einer hochgezogenen Augenbraue sah ich ihn an! Das wäre eine Erklärung! Trotzdem reichte sie mir nicht. Warum gerade Edward?
„Das wäre eine mögliche Erklärung, aber warum DEIN Vater?“ in dem Moment konnte ich mir die Antwort auch selber geben. Ich hatte ihn jahrelang studiert und hatte intensive Erfahrungen, im wahrsten Sinne des Wortes, gesammelt. Trotzdem würde ich zu gerne wissen, warum die Vorläufer solche Sachen einfach verteilten? Das Wesen sagte doch selber noch, sie würden ihr Wissen nicht mehr mit uns Menschen teilen wollen, weil wir zu minderbemittelt seien!
Hinter mir hörte ich, wie sich etwas regte. Es war einer der noch lebenden Assassinen! Ich drehte mich langsam um und kniete mich neben diesen verwundeten Mann. „Sagt mir, wo euer Mentor hin ist und ich lasse euch am Leben!“ Doch ich hatte mein Messer schon im Anschlag! Er sah mir trübe in die Augen und grinste einfach frech! „Viel Spaß bei der Suche, Templerschlampe!“ und er griff nach meiner Hand und rammte sich das Messer in den Hals! Das ist der wahre Geist der Assassinen, so bekommt man es gelehrt. Der sogenannte levantinische Weg! Jetzt war ich aber nicht schlauer.
„Verdammt nochmal!“ brachte ich nur heraus! Frustriert richtete ich mich wieder auf und sah mich weiter um, da sah ich auch schon die Wachablösung anmarschieren. Alarmiert, weil ich an Bord war, rannte mir Rafael entgegen und drehte mich hin und her um zu sehen, ob ich verletzt sei. Erst als er sicher war, dass es mir gut ging, begrüßte er Haytham mit den Worten. „Ich würde mal sagen, ganze Arbeit, Master Kenway!“ dieser jedoch sah zu mir und erwiderte nur „Das ist das Werk eurer Kapitänin gewesen, ich habe lediglich für Rückendeckung gesorgt!“ da schwang tatsächlich ein wenig Bewunderung mit!
Wir mussten jetzt erst einmal hier für Ordnung sorgen. Meine Mannschaft war leider dezimiert. Zwei meiner Männer waren verstorben und mir graute davor, den Familien daheim diese Nachricht überbringen zu müssen! Doch Haytham delegierte sie und sagte dann zu Rafael „Räumt hier bitte auf, ich werde Mrs. Frederickson jetzt erst einmal zu mir bringen, damit sie sich umziehen kann. Dann kommt morgen Mittag bitte zum Fort Arsenal. Wir haben einiges zu besprechen!“ Mein erster Maat sah mich nur fragend an und ich nickte ihm zu, dass er das ruhig machen sollte.
So langsam setzte mein Verstand wieder ein und ich realisierte, was ich eigentlich getan hatte. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nicht so ein Massaker angerichtet. Es waren 9 Tote! Und ich hatte sie auf dem Gewissen! Diese Erkenntnis schien mich zu erdrücken und ich fing an zu zittern. Was hatte ich nur getan? Warum hatte ich das getan? Doch es gab nur die logische Erklärung, dass mein Unterbewusstsein mich mit Edwards Worten und Können geleitet hatte. Aber ICH war es, die diese Männer getötet hatte.
Haytham bemerkte mein Zittern, als wir von Bord gingen und hielt mich für einen Moment fest umschlungen. Doch dieses Mal brachte es mir keinen Frieden. Ich brach zusammen, weil mich mein Gewissen auffraß! Eigentlich dürfte ich gar keine Tränen mehr haben, schoss es mir durch den Kopf. Sie liefen mir aber trotzdem wieder die Wangen hinunter und ich konnte es nicht stoppen.
Mein Templer hob mein Kinn und musterte mich! „Alex, du hast noch nie einen Menschen getötet, oder?“ fragte er mitfühlend.
Etwas entgeistert sah ich ihn an. „Doch, aber... nicht so! Diese Männer waren kein Auftrag! Es war als hätte ich mich für irgendwas rächen wollen. Doch das ist nicht das, was ich beigebracht bekommen habe! Und es sind so viele Tote! Haytham, was hab ich nur getan?“ ich legte meinen Kopf an seine Brust und er hielt mich stumm fest.
„Du bist einer Stimme gefolgt, die dir gezeigt hat, wie du dich selbst retten und schützen kannst. Wäre sie nicht gewesen, wärst du jetzt nicht mehr hier, nicht mehr bei MIR!“ Erleichterung klang in seiner Stimme mit! Er führte mich zu der immer noch wartenden Kutsche und wir fuhren schweigend zum Fort George!
Als wir dort ankamen und Mrs. Wallace mich sah, bekam sie große Augen und sah mich besorgt an. „Mrs. Frederickson! Was ist denn mit euch passiert? Und... Master Kenway, ihr seht auch nicht besser aus. Um Gottes Willen!“ Sie schlug die Hände vor den Mund und starrte uns an.
„Es hat einen Überfall auf Mrs. Fredericksons Schiff gegeben. Wir mussten es gegen einige … fremde Männer verteidigen! Lasst ein Bad ein und dann sagt den Mädchen Bescheid, dass sie einiges an Wäsche haben, die gereinigt werden muss!“ Sagte mein Templer nur und führte mich nach oben.
Kapitel 189.1
Im Schlafzimmer angekommen, half mir der Großmeister beim Entkleiden und streifte mir einen seiner Morgenröcke über. Danach tat er es mir gleich und wir gingen wieder hinunter. In der hinteren Waschküche, die wie in der Welt mit dem Chevalier auch als Bad genutzt wurde, war bereits alles vorbereitet.
Schweigend nahm mein Templer mir den Morgenrock ab und half mir in die Wanne, es war einfach herrlich und ein tiefes Seufzen kam über meine Lippen! Haytham ließ sich hinter mir nieder und zog mich auf seine Brust. Das warme Wasser und seine beruhigende Art waren wie Balsam und ich konnte mich doch ein wenig entspannen!
„Ich bin froh, dass es die Stimme meines Vaters war, Alex!“ sagte er plötzlich in die Stille hinein. Etwas überrascht, weil er gerade JETZT darauf zu sprechen kam, drehte ich meinen Kopf zu ihm.
„Warum?“ fragte ich einfach. Und seine Antwort war Trauer pur! „Weil er so den Menschen weiterhin helfen kann, sie beschützen kann! Er hat es immer mit seiner Familie so gemacht und nun kannst du sein Werk fortsetzen.“
War das eine Art Vorsehung? Schicksal? Dass ich Edward getroffen habe, dass ich die Brig bekommen habe und jetzt mit seinem Sohn liiert war? Und wieder fragte ich mich, ob es so etwas wie Schicksal überhaupt gibt. Denn manchmal hat man den Eindruck, man entscheidet für sich selber!
„Haytham, aber glaubst du wirklich, dass es jetzt immer so sein wird? Dass ich diese Techniken immer haben werde? Kann es nicht auch einfach Zufall gewesen sein, weil wir gerade auf der Jackdaw waren?“ ich wollte diese Verantwortung nicht tragen, denn sie hieß, ich müsse der Bruderschaft weiterhin treu bleiben und hätte gar keine andere Wahl!
„Ich weiß was du denkst, Alex. Du magst diese Verantwortung nicht, stimmt es?“ wissend grinsend sah er mich an. Das offene Buch!
„Nein, ich mag sie nicht. Und ich würde sie lieber abgeben, denn ich habe Angst, dass ich versagen könnte! Dass ich eben nicht alle beschützen kann, die mir wichtig sind.“ mit diesen Worten lehnte ich mich wieder an seine Brust.
„Keiner verlangt, dass du das schaffst. Denn das wäre utopisch zu denken, jemand könne alles und jeden vor Schaden bewahren! Doch du kannst anfangen und versuchen etwas zu verändern!“ seine Hände glitten über meinen Hals und dann über meine Arme, nahmen sie Überkreuz vor meiner Brust und er drückte mich an sich!
„Das hört sich nach einem Wunschtraum an, Haytham. Einem sehr schönen.“ seufzte ich.
„Oh, ich habe noch ganz andere Träume!“ und ich konnte spüren, was er damit meinte. Doch das musste noch warten! Denn meine Haare mussten noch von den Kampfspuren befreit werden! „Wenn du mir mit meinen Haaren hilfst, könnten wir vielleicht einen Traum anschließend erfüllen?“ ich drehte mich ein wenig zu ihm und gab ihm einen vorsichtigen Kuss.
„Damit bin ich einverstanden!“ er schnappte sich die Seife und begann meine Mähne ein zuschäumen und zu waschen. Umgekehrt half ich ihm danach ebenso. Ich saß mittlerweile auf seinem Schoß und wir fanden schnell zueinander! Einen Traum konnte ich ihm ja erfüllen! Ich hatte meine Arme um seinen Nacken geschlungen und dieser Einklang unserer Bewegungen war wieder da. Ich ließ meinen Kopf nach hinten fallen und brachte nur ein atemloses Keuchen zustande. Dieser Mann schaffte es, mich völlig einzunehmen und dass ich mich ihm völlig hingab.
Wir richteten eine regelrechte Überschwemmung an in der Waschküche. Was mir und Haytham ziemlich egal war, denn es war wieder wie ein Rausch, indem ich nicht viel anderes als IHN wahrnahm. Mein Templer war schneller als ich am Höhepunkt, aber er ließ es sich nicht nehmen, mir behilflich zu sein bei meinem! Doch ich riss mich hier und jetzt zusammen und hauchte atemlos nur seinen Namen und lag dann an seiner Schulter.
Irgendwann fühlten wir beide, dass das Wasser doch sehr erkaltet war und stiegen aus der Wanne. Haytham schlang sich eines der Handtücher um die Hüften und als ich meinen Blick auf ihm ruhen ließ, dachte ich nur meinetwegen bräuchtest du nichts anderes in Zukunft tragen und grinste dabei.
„Nein, ich werde sicherlich mehr anziehen, schlag dir das aus dem Kopf, Mrs. Frederickson!“ kam es in einem gespielt tadelndem Unterton.
„Ich werde doch wohl auch noch träumen dürfen, Master Kenway?“ sagte ich süffisant und gab ihm einen Klaps auf den Hintern. Wie du mir, so ich dir!
Ich trocknete mich schnell ab, denn mir wurde so langsam kalt und das lag sicherlich am Schlafmangel und mein Kreislauf machte allmählich schlapp. Ich schnappte mir den Morgenrock, Haytham tat es mir gleich und wir gingen wieder hinauf. Der Hausherr bat dann noch, dass man uns pünktlich wecken solle.
Ich lag noch nicht ganz im Bett, da war ich auch schon eingeschlafen. Ich spürte noch die Arme meines Templers, wie sie mich umfingen und dann war ich im Reich der Träume!
Er kam auf mich zu und sah mich mit diesen blauen Augen völlig ruhig an. „Du weißt, was du jetzt zu tun hast, Alex, oder? Ich habe dir zwei mir sehr wichtige Dinge überlassen und du wirst gut darauf aufpassen. Haytham ist mein ein und alles und sollte ihm etwas zustoßen, mache ich dich ganz alleine dafür verantwortlich.“
Edward stand nur wenige Zentimeter vor mir. Ich konnte seinen Atem wieder auf meinem Gesicht fühlen. Ich fühlte die warme Sonne auf meiner Haut und als ich mich umsah, sah ich das Versteck auf Great Inagua! Wie war das möglich?
„Und dann wirst du auf meine Brig achten, als wäre es ein Schatz! Ich habe sie dir nicht ohne Grund überlassen! Du wirst sehen, es gibt Aufgaben, die du noch erfüllen wirst. Aufgaben, die ich nicht mehr beenden konnte!“ Diese Worte kamen nicht wie ein Befehl von ihm. Auch waren sie nicht böse. Er sprach völlig ruhig mit mir.
Dann nahm er mein Gesicht in seine Hände und gab mir einen vorsichtigen Kuss auf die Stirn. Als sich Edward umdrehte sah ich erst, dass Tessa hinter ihm stand. Sie lächelte mich an und ging dann Hand in Hand mit ihrem Mann in das große Haus.
Hinter mir hörte ich ein Rauschen, aber es war unglaublich laut und mit einem Mal spülte mich eine riesige Welle hinfort und ich versuchte an die Wasseroberfläche zu gelangen. Ich drohte zu ertrinken!
„ALEX! Alex! Wach auf!“ und jemand schüttelte mich.
Keuchend kam ich wieder zu mir und sah mich um. Ich lag immer noch im Bett des Großmeisters und dieser hing halb über mir und hielt mich fest. „Gott sei Dank, da bist du wieder!“
Ich rang weiter nach Atem, aber beruhigte mich langsam! „Haytham ich habe von Edward geträumt! Und von deiner Mutter! Er... er hat mir eine Art Auftrag gegeben!“ ich konnte es gar nicht besser beschreiben!
Ich setzte mich langsam auf und wartete einen Moment, bis ich ganz wach war. „Du hast einen Auftrag bekommen? Von meinem Vater?“ völlig ungläubig sah er mich an.
„Naja, es war... er sagte, ich solle auf dich acht geben und sollte dir etwas zustoßen, würde er mich ganz alleine dafür verantwortlich machen!“ ich schluckte schwer, denn das war diese Verantwortung, die ich nicht auf mich nehmen wollte!
In seinen Augen las ich aber nur Zufriedenheit!
Kapitel 190.1
„Dann weißt du ja, was du zu tun hast.“ kam es vom Großmeister. „Aber ich versuche, dass du es nicht allzu schwer hast, versprochen!“ und damit gab er mir einen Kuss und lächelte mich an.
„Für deine Unterstützung wäre ich wirklich dankbar, zumindest am Anfang, bis ich mich daran gewöhnt habe!“ gab ich ein bisschen erleichterter zurück. Es war noch dunkel und so schloss er mich wieder in seine Arme und dieser Frieden kehrte zurück.
Der Morgen kam viel zu früh und ich fühlte mich wie gerädert. Mein Templer war schon wach und sah mich wie immer an. „Warum tust du das, Haytham?“ fragte ich ihn und strich über seine Wange.
„Weil ich diese Augenblicke für die Zeit im Kopf behalten möchte, wenn du nicht bei mir sein kannst!“ kam es in einem rauen Ton von ihm und eine dezente Röte stieg ihm in die Wangen. „Ich verspreche dir, ich beeile mich und werde dir schneller als dir lieb ist, wieder auf die Nerven gehen!“ meinte ich breit grinsend.
„Warum glaube ich dir das aufs Wort, Mrs. Frederickson?“ kam es lachend von Haytham. „Weil ich dich nie belügen würde, Master Kenway!“ ich zog ihn kurz zu mir hinunter und küsste ihn. Doch wie so oft, klopfte es und Jones teilte uns mit, dass es Zeit für das Frühstück wäre.
„Danke Jones!“ mehr kam nicht vom Großmeister. Also hieß es aufstehen und fertig machen. Denn es würde noch ein langer Tag werden. Ich musste jetzt über Faith erfahren, wer dieser Meisterassassine war und wo sie sich verkrümelt haben. Denn leider hatte ich hier keinerlei Informanten oder ähnliches. Ich war auf ihre Hilfe angewiesen!
Nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg, Richtung Fort Arsenal. Gegen Mittag sollte ja auch Rafael erscheinen, warum war mir nicht ganz klar, aber ich würde abwarten müssen.
Man brachte uns in den Salon und kurz darauf erschienen Shay und Faith mitsamt ihrer Tochter. Beide sahen etwas übermüdet aus und ich kann mir vorstellen, dass die Kleine nicht immer durchschläft. Meine schlaflosen Nächte rührten mittlerweile von anderen Aktivitäten her, die durchaus angenehmer waren, aber ich möchte diese Erfahrung von damals nicht missen!
Und jetzt brachte ich die beiden auf den neuesten Stand bezüglich der Vorfälle von letzter Nacht. „Diese deutschen Assassinen haben versucht, meine Brig zu kapern. Aber ich konnte ihnen zuvor kommen! Und... es war eigenartig.“ ich sah zu Haytham, der nickte nur und so erzählte ich, dass mich Edward durch den Kampf geführt hat und ihr großer Bruder mir nur versucht hat, Rückendeckung zu geben. Dass uns der Meisterassassine anscheinend dann durch die Lappen gegangen war, war natürlich etwas, dass man nicht gerne zugab. Doch ich habe es einfach im Rausch nicht bemerkt.
„Es war eigenartig, erst als Haytham mich berührte, bin ich wach geworden. Und dieser Mann war einfach weg. Mrs. Cormac, ich muss euch wirklich bitten, mir zu helfen. Denn ich habe hier weder Verbündete noch Informanten und habe keine Möglichkeit, heraus zu finden, WO diese Deutschen sich jetzt aufhalten und was sie planen. Denn ich kann unmöglich die Jackdaw so im Hafen liegen lassen, wer weiß, WAS sie sich als nächstes einfallen lassen!“ Ich hatte glaube ich, ohne Punkt und Komma geredet, doch das war mir egal. Ich saß so langsam auf heißen Kohlen!
„Mrs. Frederickson, ich denke, ich kann euch helfen. Doch die Sache werde ich mit meinem Vater alleine in die Hand nehmen, denn in dieser Angelegenheit liegt auch ein großes persönliches Interesse meinerseits. Ich kann euch versichern, dass ich es klären werde. Doch ihr solltet überlegen, aufzubrechen und... eure Pläne weiter umsetzen!“ War da etwa ein Lächeln auf ihren Lippen?
Doch ich seufzte nur, ich gab nicht gerne Aufgaben oder ähnliches ab. Ich hatte dann immer das Gefühl, versagt zu haben. „Wenn ihr meint.“
Gestern Abend hatte ich aber noch einen entscheidenden Part in der Geschichte vergessen. Ich musste Haytham noch von dem Vorfall in der Garnison erzählen, doch das tat ich mit einer großen Genugtuung! Denn ich hegte die Hoffnung, dass Charles´ Strafe dadurch noch anwuchs! „Und dann war da ja noch die Sache, als ich beschlossen habe, dich mit dem Reiseartefakt von Marius von dem Wesen zu befreien. Denn es war höchste Zeit, es hat die ganze Zeit versucht Unruhe zu stiften und der Zorn und die Wut waren schon fast greifbar.“ Entschuldigend, sah ich zu Faith, denn ich hatte sie ganz schön angefaucht! Nur bei Shay war ich immer noch sauer, denn eine Entschuldigung für seine Entgleisung hatte ich noch nicht.
„Doch als ich unten in deinem Arbeitszimmer war, kam Charles herein und hat mich niedergeschlagen. Ich wurde in einem Kellerverlies in der Garnison wieder wach, gefesselt an einen Stuhl! Und mit von der Partie war Thomas, die beiden schienen es richtig zu genießen!“ Ich war regelrecht euphorisch in meiner Schilderung, denn ich wollte die beiden bestraft wissen. Mit Haythams Reaktion hatte ich allerdings nicht gerechnet. „Du hast Master Lee niedergestochen? Du hättest ihn umbringen können, ist dir das eigentlich bewusst?“ Er sah mich wütend an.
„Wie bitte? Das war mir in diesem Moment herzlich egal, ER hat mich entführt! Sollte ich also deiner Meinung nach, still halten? Das kann doch nicht dein Ernst sein!“ ich war aufgestanden und funkelte ihn böse von oben herab an.
Haytham wischte sich übers Gesicht, als ihm einfiel, WAS er da gerade zum Besten gegeben hatte. „Nein, nein natürlich nicht!“ er nahm meine Hand und zog mich wieder zu sich herunter. „Ich verstehe nur nicht, warum er so handelt. Welches Interesse hat er an dir?“ Und dann fiel mir ein, warum dieser Lee so misstrauisch war. Er war nicht eingeweiht in die ganzen Umstände und Ereignisse und musste davon ausgehen, dass ich immer noch eine Spionin war.
„Vielleicht solltest du dich mit ihm hinsetzen und versuchen, eine plausible Erklärung zu finden! Aber trotzdem hat er eine Strafe verdient und ich hoffe, sie fällt entsprechend der Vergehen hart aus!“ versuchte ich meinen Templer von meiner Ansicht zu überzeugen!
„Ich werde ihn fürs erste von seinen Pflichten entbinden und das Hausverbot gilt auch hier weiterhin. Des weiteren sollte ich ihn möglichst weit fortschicken auf einige Missionen! Denn ich kann ihm auch nicht in die Augen sehen derzeit.“ sagte er mit zusammen gebissenen Zähnen. Meiner Meinung nach viel zu milde die Strafe, aber ich ging davon aus, ändern könnte ich sie nicht.
„Master Kenway, dann solltet ihr keine Zeit verlieren und ihm noch heute die Nachricht überbringen lassen! Je schneller, desto besser.“ kam es von Shay, denn auch er war nicht gut zu sprechen auf diesen Hundefreund.
„Das werde ich gleich nach unserem Gespräch in Angriff nehmen, denn ich finde auch, er sollte vorerst hier nicht mehr anwesend sein.“ Dass sich das ganze auch Jahre später noch wiederholt, weil er vor einem Kriegsgericht verurteilt wird, sagte ich nicht.
„Was geschah denn dann? Da ich wieder hier bin, gehe ich davon aus, dass alles funktionierte?“ Jetzt sah mein Templer etwas erleichterter aus und sah von einem zum anderen.
„Nachdem man mir noch eine Ohrfeige verpasst hat, ging es.“ mehr sagte ich nicht und sah Shay auffordernd an. Dieser druckste jetzt ein wenig herum.
„Es... es tut mir leid, Mrs. Frederickson. Aber ich war so in Rage, weil ich annehmen musste, dass ihr einfach auf und davon ward, dass ich mich nicht unter Kontrolle hatte. Und seien wir ehrlich, dieses Ding hat seinen Beitrag zu meiner Wut geleistet!“ er versuchte es zu entschuldigen und im Grunde hatte er ja recht.
„Ja, es war grauenhaft, diese Gefühle in sich zu haben ohne sie erklären zu können!“ kam es von Faith. Sie hatte ebenfalls darunter gelitten, dass hatte ich noch verstanden. Es war unheimlich was für eine Macht diese Zivilisation besaß!
„Shay, ist das wahr?“ kam es kalt von Haytham. „Ich sagte doch, es tut mir leid. Ich hatte mich einfach nicht unter Kontrolle, verzeiht mir.“ das klang jetzt aufrichtig und im Grunde konnte ich ihm einfach verzeihen. Er würde nie willentlich Hand an mich legen.
„Wir haben dich dann mithilfe dieses Armreifs zurückgeholt und dieses Ding dort gebannt, so hoffe ich. Was jetzt daraus wird, muss ich in meiner Zeit erforschen. Denn die Symbole auf diesem Ring sind andere, als auf denen die ich bisher immer genutzt habe.“ Damit hatte ich mal wieder die Aufmerksamkeit auf meiner Seite.
Kapitel 191.1.
„Es sind andere Symbole? Aber die anderen konntet ihr bereits deuten, nehme ich dann an?“ fragte mich Faith jetzt mit neuem Interesse.
„Ja, soweit es ging haben wir das. Jedoch fehlten uns immer mal wieder schlüssige Beschreibungen. Die haben wir uns... nunja, besorgt!“ musste ich jetzt etwas leise zugeben. Doch mehr Worte brauchte ich nicht und Haythams „Aha, verstehe!“ reichte aus, mir ein schlechtes Gewissen einzureden. Danke!
„Ich gehe aber davon aus, dass wir mit dem Manuskript einiges erreichen können und ich werde alles daran setzen, weitere Berichte und Schriften zu studieren. Auch will ich eine Erklärung, warum ich plötzlich diese Fähigkeiten besitze. Ich meine, ich möchte nicht undankbar erscheinen, aber im 21. Jahrhundert benötige ich keine Schwertkampf-Techniken.“ Doch mir fiel mein Traum wieder ein und mir dämmerte es. Dieses Wesen musste geahnt haben, was ich plante und hat mir deswegen Edward wieder zur Seite gestellt. Das tat ich jetzt den anderen im Raum kund.
„Das wäre tatsächlich eine plausible Erklärung, denn auch bei mir konnte das Wesen meine Gedanken verfolgen und manipulieren! Das heißt, es ist in dem Unterbewusstsein gewesen und konnte so eure Absichten für sich nutzen!“ meinte Faith jetzt wieder.
„Davon gehe ich jetzt einfach mal aus.“ Dann dachte ich daran, was Haytham fragte, als er gerade von diesem Ding befreit war, die Frage nach seinem Tod ob ich es wusste. „Haytham, du hast noch kein Wort darüber verloren, was du in den Stunden erlebt hast!“ sah ich ihn fragend an und nahm seine Hand. Er sah auf meine Finger und atmete tief durch.
„Das ist auch schwer zu erklären. Es war, als wäre ich wirklich dabei, aber auch irgendwie nicht. Man zeigte mir tatsächlich meinen eigenen Tod, jedoch nicht WANN. Es war schrecklich, es sah so aus, als hätte ich schon längst aufgegeben vorher!“ es klang enttäuscht, als er das sagte.
„Nein, du hast nicht aufgegeben. Du hast theoretisch etwas verstanden!“ perplex sah mich mein Templer an. „WAS habe ich verstanden?“ wollte er jetzt verständlicherweise von mir wissen. „Das es keinen Frieden zwischen Templern und Assassinen geben wird, nicht in dieser Zeit.“ sagte ich nur, denn ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt noch etwas dazu sagen sollte.
„Dann muss ich wohl abwarten, oder?“ sein Blick verriet, dass er frustriert darüber war, nichts weiter unternehmen zu können. „Ja, das wirst du tun müssen. Aber ich sagte ja, ich finde einen Weg!“ aufmunternd drückte ich seine Hand, doch Haytham schien mir nicht ganz zu glauben! Doch mehr konnte ich noch nicht sagen, denn ich wusste selber nicht, WAS konkret ich unternehmen konnte.
„Danach kamen noch so einige Bilder, die mir dieses Ding zeigte. Von riesigen Schlachtfeldern, von seltsamen Explosionen und eigenartigen Dingen am Himmel, die aussahen wie riesige Vögel. Es war wie ein Albtraum, doch ich konnte nicht aufwachen. Ich habe es immer wieder versucht, meinen Verstand in den Vordergrund zu drängen, doch es war stärker und nutzte es aus, dass ich immer frustrierter wurde!“ Seine Haltung machte plötzlich einen erschöpften Eindruck.
„Geht es dir nicht gut, Haytham?“ fragte ich besorgt. „Nein, es geht schon, doch es ist schwer dieses Gesehene zu verarbeiten. Ich weiß gar nicht, ob man das überhaupt kann oder soll. Ich sagte ja, es war so, als wäre es eine Warnung! Wie kann ich aber dagegen etwas ausrichten?“ fragte er an mich gewandt.
„Du kannst alleine nichts ausrichten, aber denk an deine Worte vorhin an mich. Versuche in kleinen Schritten etwas zu verändern und sieh dann weiter nach Vorne! Und ich werde es genauso versuchen, dann tu du bitte das selbe.“ sagte ich beruhigend und ein leises Lächeln erschien wieder auf seinem Gesicht!
Und damit hätten wir das Thema abgehandelt, dachte ich noch so bei mir. Jetzt hieß es, die Abreise vorbereiten! Doch eines musste ich noch wissen. „Wie geht es eigentlich den Finnegans? Ich habe ganz vergessen, danach zu fragen. Ihr ward doch bei ihnen Shay?“ wandte ich mich an den Iren.
„Ja, ich habe sie aufgesucht und es geht ihnen entsprechend gut. Sie waren nur völlig geschockt, denn diese Templer haben ihnen mit den Waffen einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Ich frage mich immer noch, wie man so unvorsichtig sein kann?“ meinte er wirklich zweifelnd.
Ich musste schlucken, denn auch ich war jetzt nicht gerade die Vorsicht in Person gewesen, als ich mit der Jackdaw fröhlich in den Hafen einlief. Doch ganz ungetarnt und mit den Neuzeitsachen, wäre ich hier nicht aufgeschlagen. „Ich vermute, wie ich es ja schon sagte, dass sie das Ganze einfach nicht ernst genug genommen haben. Ich hoffe nur, dass diese Horde daraus gelernt hat. Das sollte ich dann auch noch in Angriff nehmen, wenn ich wieder zuhause bin.“
Und dann fiel mir auf, dass ich Yannick noch gar nicht gesehen hatte. „Habt ihr meinen Sohn eigentlich mal gesehen? Ich habe ihn den ganzen Vormittag noch nicht zu Gesicht bekommen!“ Ich stand auf und wollte mich schon verabschieden, als Shay mich nur angrinste. „Er war schon sehr früh heute hier und ist im Stall bei den Pferden. Macht euch keine Sorgen!“ Erleichtert, dass ihm nichts passiert ist, setzte ich mich wieder.
Mittlerweile war es schon Mittag geworden und man bat uns, doch zum Essen zu bleiben. So saßen wir zu viert im Esszimmer und ich war dankbar dafür. Denn mein Magen knurrte schon eine Weile. Nach dem Essen, brachte Mrs. Cormac ihre Tochter ins Bett und ich blieb mit Shay und Haytham unten.
Doch als die Gespräche mal wieder ins politische abdrifteten, ging ich lieber hinaus, ehe ich mich noch verplapperte. Denn die beiden kamen auf das Thema, wer denn in diesen Kolonien einmal die Führung übernehmen würde und ich konnte schlecht sagen, dass es DER Mann war, den sie überhaupt nicht an der Spitze sehen wollten. Wer weiß, was diese Aussage sonst wieder für Konsequenzen nach sich ziehen könnte.
Also ging ich zum Stall und fand meinen Sohn in einer der Boxen Ceasar striegeln. „Yannick, da bist du ja. Ich habe dich schon vermisst.“ er grinste mich nur an. „Keine Sorge Mum, du weißt doch, ich bin nicht so schnell klein zu kriegen!“ Doch ich sah, dass er immer mal wieder das Gesicht verzog, wenn er sich auf das rechte Bein stützte. „Na, da bin ich aber erleichtert! Gute Nachrichten für dich, wir werden bald aufbrechen und nach Hause zurückkehren!“ überbrachte ich ihm die Neuigkeiten.
Ein Strahlen erschien auf seinem Gesicht, doch mit einem Blick auf die Pferde, stahl sich ein leicht trauriger Ausdruck in seine Mimik. „Das ist schön, Mum. Ich freu mich! Wann ist es denn soweit?“ wollte er wissen. „Das steht noch nicht fest. Rafael wird gleich vorbeikommen und dann werden wir alles besprechen. Willst du dabei sein, oder lieber noch hier bleiben?“ doch er wollte lieber bei den Pferden bleiben und die restliche Zeit nutzen!
Ich verabschiedete mich vom Stallmeister und ging wieder zurück. Gerade als ich vor der Tür stand, kam auch mein erster Maat auf mich zu. Er sah nicht wirklich erholt aus und war entsprechend maulig! Verständlich, wenn man die halbe Nacht schrubben durfte und... ja, was hatten sie denn mit den Leichen eigentlich gemacht? Doch ich schüttelte diesen Gedanken ab, ich wollte es lieber nicht wissen!
„Oh Alex, bin ich froh, wenn wir hier ENDLICH weg können. Ich habe so langsam echt die Schnauze voll, sorry, aber ich hab einfach keinen Bock mehr.“ er nahm mich erleichtert in den Arm und ich hatte vollstes Verständnis für ihn. Ich hingegen, würde am liebsten bleiben. Aber das war wohl allen Anwesenden klar.
Wir gingen hinein und in den Salon, wo Haytham mit Shay und Faith in ein Gespräch vertieft war. Worum es ging, kann ich nicht sagen, denn als wir erschienen, verstummten sie abrupt. Und wieder spürte ich diese Eifersucht, diese Art wo man etwas nicht mitgeteilt bekommt und man im Unklaren gelassen wird, aber alle anderen es erfahren. So etwas machte mich immer etwas sauer!
Doch Faith war es, die mich bat ihr zu folgen. Erstaunt sah ich zu Rafael und dann zu meinem Templer. Dieser nickte nur in Faiths Richtung und hieß mich so, mitzugehen. Ich folgte der Schottin in ein Arbeitszimmer, welches abgeschlossen war! Als ich es betrat, verstand ich auch, WARUM!
Kapitel 192.1
Ich kam aus dem Staunen nicht raus. Ich war im Bücherhimmel gelandet! In den Regalen war eine stattliche Sammlung an Büchern, teilweise schon uralt, so schien es. Wie gerne würde ich mich hier einschließen und erst wieder hinaus gehen, wenn ich alles gesehen und gelesen hatte.
Faith bemerkte meinen Ausdruck und meinte nur „Ihr scheint Bücher genauso zu lieben wie ich, kann das sein?“ fragte sie mich breit grinsend. „Oh ihr glaubt gar nicht, wie sehr ich es liebe zu lesen! Mein Sohn ist schon oft sehr sehr genervt davon!“ gab ich weiter staunend von mir.
„Aber ich habe euch aus einem anderen Grund gebeten, mir zu folgen. Setzt euch bitte.“ sagte sie jetzt in einem fast geschäftsmäßigen Tonfall. Also nahm ich auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch platz und wartete auf eine Erklärung. „Wie fange ich am besten an.“ grübelte sie und fischte einige Papiere zusammen und sortierte sie.
„Am besten ihr beginnt am Anfang, das ist immer der beste Weg.“ Verdammt, nicht jeder verstand meine ironische Art, ich hoffte, die Schottin konnte damit umgehen. Ein Grinsen auf ihrem Gesicht zeigte mir, dass ich also nicht unbedingt immer todernst sein musste. Wie überaus erleichternd.
„Ich habe ebenfalls schon Nachforschungen hinsichtlich dieser Artefakte angestellt und ein paar interessante Details herausgefunden. Doch hatte ich leider keines zur Hand um die Symbole zu sehen. In den Aufzeichnungen finden sich immer wieder Warnhinweise und Hinweise auf eine Art Wesen, welches sich den Träger eines Amuletts wie Haythams bedient, um sich in der Welt zu bewegen.“ sie sah mich fragend an.
„Ja, das ist ja auch meine Theorie gewesen. Denn es scheint aber nur dieser Ring meines Ex zu sein, der diese Symbolik hat. Wenn ihr wollt, kann ich ihn euch zeigen und ihr könnt eventuell schon jetzt etwas mehr erfahren?“ ich wollte mich schon erheben, als sie mich aber davon abhielt.
„Das wäre eine gute Idee und ich würde euch bitten, mir auch die anderen Artefakte zu geben. Vielleicht kann man sie in irgendeiner Form zusammenführen.“ doch da konnte ich ihr gleich den Wind aus den Segeln nehmen.
„Nein, das wird nicht gehen. Wir haben es bereits versucht und es geht nicht. Sie stoßen sich ab und bleiben nicht zusammen. Doch einfach nur nebeneinander ergeben sie eine größere Kraft. Eben die, die es uns ermöglicht, mittlerweile zielgenau Ort, Zeit und alles zu bestimmen.“ erklärte ich Faith unsere Ergebnisse.
„Das ist natürlich schade. Aber ich habe noch etwas, was ich euch sagen muss. Denn ich weiß, ihr werdet in eurer Zeit weiter versuchen eure Fragen beantwortet zu bekommen.“ Natürlich würde ich das, was dachte sie denn.
„Das ist doch wohl klar, dass ich nicht tatenlos rum sitzen werde, Mrs. Cormac. Oder dachtet ihr allen Ernstes, dass ich meine Hände in den Schoss lege, wieder hierher komme und immer noch nicht weiß, was Sache ist?“ Man konnte den Eindruck bekommen, diese Frau hielte mich für ziemlich dämlich. Aber seis drum.
„So war das nicht gemeint, das wisst ihr.“ Nein, wusste ich nicht. „Ihr werdet sicherlich auf einige Aufzeichnungen meiner Familie stoßen, die nicht ganz Aufschluss geben werden. Denn nicht alles wird schriftlich festgehalten, sondern von einer Person zur nächsten weiter gegeben. Verständlicherweise, denke ich?“ Ich bin nicht blöd, natürlich ist das verständlich. Würden wir nicht alle so handeln?
„Verzeiht, aber natürlich ist das verständlich. Ich bin nicht auf den Kopf gefallen. Ich mache mir nur Gedanken darüber, wie sich das Ganze hier in den Kolonien entwickeln wird. Oder besser, ich weiß es ja. Und ich kann euch nur gut raten, so vieles wie möglich für die Nachwelt schriftlich festzuhalten. Ich habe es bereits Haytham erklärt, es wird irgendwann einfach wichtig, dass nachfolgende Generationen wissen, WAS passierte. Aber ihr selber wisst, dass schriftliche Hinterlassenschaften von Wichtigkeit sind. Denn ihr versucht gerade selber aus ihnen schlau zu werden!“ So, jetzt war es raus.
„Ihr meint, ich solle mein Wissen niederschreiben? Und was ist, wenn es in die falschen Hände gelangt?“ eine berechtigte Frage!
„Das kann immer passieren und niemand ist davor gefeit. Doch lasst euch eines gesagt sein, wenn ihr eure Nachkommen warnen wollt, solltet ihr das schriftlich tun. Meinetwegen verschlüsselt. Auch wenn früher oder später diese Nachrichten entschlüsselt werden können, doch fürs erste sind sie sicher!“ gab ich zu bedenken.
„Was sollte so wichtig für meine Familie werden?“ sie sah mich fragend an.
„DAS kann ich euch nicht sagen, denn soweit geforscht hatte ich nicht. Denn ich war nur auf der Suche nach Shay und Haytham. Und das sagte ich ja schon, ich wollte diese elenden langen Lücken im Leben eures Mannes füllen. Denn je weniger die Leute wissen, desto mehr wird hinzu gedichtet. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was für eigenartige Blüten das Ganze mittlerweile trägt.“ So langsam kam ich in Fahrt und würde gerne noch tiefer gehen und Faith mehr über unsere Zeit erzählen, aber das wäre zu viel des Guten.
„Ihr meint, erst jetzt würdet ihr weiter nachforschen? Aber über meinen großen Bruder ist doch einiges bekannt, ihr habt es selber gesagt, oder nicht? Auch was meinen Mann angeht, gibt es ja Aufzeichnungen. Geschäftsbücher und ähnliches sind ja vorhanden.“ meinte sie nur.
„Nein, leider nicht. Oder besser nicht MEHR! Wenn sie JETZT existieren ist das toll, aber im 21. Jahrhundert findet man über Shay Patrick Cormac NICHTS. Weder in Haythams Aufzeichnungen noch in anderen Städtechroniken. Ich bin nur darauf gekommen, weil ich auf der Suche nach Haytham hier nach New York gereist bin und mir Shay über den Weg marschierte.“ gab ich ehrlich die Antwort.
„Das heißt, es wurde absichtlich alles vernichtet, wollt ihr das damit sagen? Aber warum?“ Faith versuchte sich einen Reim darauf zu machen, doch auch sie verstand es nicht gleich.
„Weil er in Vergessenheit geraten sollte. Jemand oder vermutlich der ganze Orden wollte, dass euer Mann nicht mehr in Erscheinung tritt. Vermutlich um vereinzelte Operationen zu vertuschen oder ähnliches. Mrs. Cormac, ich weiß leider auch nicht mehr darüber. Und da wären wir wieder beim Punkt. Nichts schriftliches, nichts handfestes und dann gehen die Gerüchte los. Euer Mann dachte zu Anfang, ich würde nur die Lücken schließen wollen, um ihn als Verräter der Bruderschaft zu brandmarken!“ erzählte ich jetzt weiter.
„Doch so ist es ja nicht, er wird so in die Geschichte eingehen. Daran kann ich nichts ändern. Aber man könnte anderen aufzeigen, WARUM Shay so gehandelt hat.“
„Da habt ihr nicht ganz unrecht. Vielleicht sollte ich mir das wirklich zu Herzen nehmen. Es ist tatsächlich mein Anliegen, dass meine Tochter zum Beispiel nicht fehlgeleitet werden kann, durch bloße Gerüchte oder ähnliches über ihre Familie.“ meinte die Schottin etwas zögerlich, aber sie schien darüber ernsthaft nachzudenken.
„Genau darum geht es doch! Wir alle wollen doch nur die Wahrheit und ergründen, warum manches so passierte. Es ist ein natürliches Verlangen, sich Wissen zunutze zu machen. Auch in meiner Zeit wird vieles schriftlich festgehalten. Ich führe seit Beginn meiner Schwangerschaft damals auch ein Tagebuch für meinen Sohn! Es ist so wichtig für die Menschheit! Nicht explizit dieses Tagebuch, ihr wisst was ich damit meine!“ ich redete mich weiter in Fahrt. Denn ich hatte das Bedürfnis wenigstens einer Person hier aufzuzeigen, dass man nicht alles unter Verschluss und geheim halten sollte. Und ich hoffte immer noch, ich drang zu ihr durch.
„Doch wenn es immer noch Auseinandersetzungen zwischen den Templern und den Assassinen gibt, wird es schwierig ein Familiengeheimnis zu bewahren. Man kann es ja nicht hinausschreien, oder?“
„Nein, natürlich nicht. Es geht doch nur darum, DASS ihr es in einer Chronik zum Beispiel vermerkt. Die dann eben von Generation zu Generation weiter gereicht wird und weitergeführt wird!“ Solche Ansammlungen waren ein Traum für mich und ich liebte es, in diesen Alten Dingen zu lesen.
„Ich werde darüber nachdenken, Mrs. Frederickson. Doch worauf ich eigentlich hinaus wollte ist etwas komplizierter. Denn... ich möchte euch nur warnen! Solltet ihr über Schmuck oder Gegenstände meiner Familie stolpern, so lasst einfach die Finger davon. Sie würden wenig hilfreich sein, ein Geheimnis zu lüften. Sie würden vermutlich nur mehr Fragen aufwerfen!“ Faith sah mich erwartungsvoll an.
Kapitel 193.1
Genau wie diese Aussage. Warum kann man die Dinge nicht einfach beim Namen nennen. Meinem Unmut machte ich dann auch gleich Luft. „Mrs. Cormac, ihr begeht gerade genau DEN Fehler, den alle Menschen begehen. Ihr sagt nicht explizit WOVON man die Finger lassen soll, ihr sagt nicht, WAS passieren kann. Genau DAS ist das Problem! Wenn ihr andere Personen warnen wollt, dann macht es mit einem ausgearbeiteten Warnhinweis. Wo ist bitte das Problem? Dann weiß jeder Bescheid und kann sich in Acht nehmen oder eben in sein eigenes Verderben rennen!“ das tat gut, das musste mal gesagt werden.
Sie sah mich mit großen Augen an und wurde sichtlich ungehalten. „Ich soll euch, als Assassine hier und jetzt alles offen legen...“ doch ich ließ sie nicht ausreden.
„Müsst ihr nicht, nein! Aber diese Warnung ist für mich so hilfreich, als wenn ich euch sagen würde, das ich es liebe auf Youtube Videos zu gucken!“ wie lange sollte diese Unterredung noch dauern. Es war anstrengend. „Mrs. Cormac, ich will nichts böses. Ich will niemanden eliminieren, ich will niemandem schaden oder ähnliches. Es geht doch nur darum, dass diese Geheimniskrämerei auf Dauer nicht gut gehen wird!“
Sie sah mich weiterhin nur fragend an. Dann eben nicht! „Wenn es nichts weiteres gibt, was ihr mir mitteilen wollt, werde ich jetzt mit meinem ersten Maat alles weitere besprechen!“
Plötzlich veränderte sich ihr Verhalten und sie griff in die Schublade ihres Schreibtisches und holte zwei Bücher hervor. Moment, das waren welche aus der Krankenstation auf der Jackdaw! Moderne Medizin und eines über die Herstellungsverfahren! Was zum Teufel wollte sie damit! „Wenn wir schon bei der Wahrheit sind und bleiben wollen, ich habe mir diese Bücher... ausgeliehen! Als Heilerin ist es faszinierend zu lesen, was eure Ärzte alles erreicht haben. Die Schwester unseres Kindermädchens ist nämlich schwer krank müsst ihr wissen. Sie hat die Schwindsucht...“ ich fuhr ihr über den Mund!
„Sie hat Tuberkulose? Und euer Kindermädchen hat sie besucht und Kontakt zu ihrer Schwester? Ihr wisst schon, dass das hochgradig ansteckend ist. Habt ihr auch das entsprechende Mittel eingesteckt, wenn ihr schon mal dort ward?“ fragte ich jetzt etwas genervt, denn muss das immer alles heimlich laufen. „Wann habt ihr die Bücher eigentlich mitgehen lassen, wenn ich fragen darf?“ doch ich konnte es mir gleich denken.
Der Überfall meiner Brig, wo nur noch Shay da war. Sie war hinter den Assassinen her gewesen.
„Ja, ich habe dieses kleine Fläschchen und ein paar andere mitgenommen.“ Sie hatte zielsicher das richtige Mittel mitgenommen und hielt es hoch.
„Dann gehe ich davon aus, dass ihr wisst, wie man mit einer Spritze umgeht? Denn ihr werdet dieses Medikament genau damit verabreichen müssen!“ weit verbreitet war das mit den Spritzen noch nicht, denn die Techniken, um die Nadeln auszuhöhlen waren zwar schon vorhanden, aber noch nicht so fortschrittlich.
Mir kam der blöde Gedanke, Haytham, Faith, Shay und der kleinen July eine Impfung angedeihen zu lassen. Doch sowas hatte ich natürlich nicht mit an Bord. Warum auch, Gegenmittel und Antibiotika waren vorhanden, das musste reichen. Ich konnte nur hoffen, dass sich hier noch niemand damit angesteckt hatte.
„Ich habe es einmal in London gesehen, wie es gemacht wird. Aber selber habe ich noch keine Spritze verabreicht.“ meinte sie jetzt interessiert.
„Dann sollten wir, sobald wir hier fertig sind, zur Jackdaw und ich zeige euch, wie es geht. Schwer ist es nicht, aber ihr solltet die Technik kennen! Und ich hoffe für euch, dass sich noch niemand angesteckt hat. Aber ich lasse euch noch eine Ration hier, für den Notfall!“ sagte ich nur.
„Also werdet ihr jetzt aufbrechen?“ fragte sie mich, wie als müsse sie sich von der Wahrheit und der Tatsache noch einmal überzeugen!
„Ja, das werde ich. Denn ich habe noch einiges zu klären und muss anfangen, mein Leben aufzuräumen! Und das wird sicherlich einige Zeit in Anspruch nehmen.“ gab ich nur ehrlich zurück.
„Versprecht mir nur, dass ihr meinen großen Bruder nicht enttäuscht. Er wird auf euch warten, denn ihr habt anscheinend etwas geschafft, das noch keine Frau geschafft hat. Er hat sich geöffnet und es scheint, als wäre er ein ganz anderer Mensch auf einmal. Und ich muss ehrlich zugeben, ich bin euch sehr dankbar dafür.“ mit diesen Worten stand sie auf und damit war das Gespräch beendet. Doch ganz zu meiner Zufriedenheit nicht, denn ich wusste immer noch nichts Genaues über eventuelle Familienartefakte.
Ich erhob mich ebenfalls. „Oh Mrs. Cormac, ich muss euch bitten, mir die Bücher wieder zu geben. Sie könnten, wie habt ihr es so schön ausgedrückt, in die falschen Hände gelangen und das wäre zu dieser Zeit mit so einem Wissen, keine gute Idee. Und wenn ihr die Dosis verabreicht habt und das Fläschchen leer ist, dann zerstört es vollständig. Es sollte nichts mehr erkennbares aus meiner Zeit hier sein! Ihr könntet sonst schneller auf dem Scheiterhaufen landen, als euch lieb ist. Wunderheilung ist nicht gern gesehen. Ich wollte es nur erwähnt haben!“ gab ich ihr noch den Rat.
„Aber diese Aufzeichnungen würden uns weiterhelfen!“ klang es jetzt etwas enttäuscht. Ich seufzte nur, denn sie sagte genau das, was ich vorhin umgekehrt versucht hatte zu erklären! Doch wie ich diese Frau kannte, hatte sie vermutlich eh schon alles für sie wichtige notiert und raus geschrieben. Nur, das war jetzt nicht mehr wirklich mein Problem. Doch meinen Beitrag hatte ich dazu geleistet, dass musste ich mir eingestehen!
„Jetzt seht ihr, was ich die ganze Zeit gemeint habe. Ich lasse euch im Unklaren über diese medizinischen Errungenschaften, obwohl ihr davon profitieren könntet!“ ich sah sie nur an und hoffte mal wieder, dass sie verstand, was ich von ihr wollte.
„Das ist doch aber etwas anderes, als ein Familiengeheimnis oder nicht? Es geht ja nur um Fakten, mit denen man andere Menschenleben retten könnte.“ Sie gab sich gerade ihre Antwort selber und das merkte sie auch. „Ich verstehe, aber... ich kann euch nicht mehr sagen, als dass ihr die Finger von einigen Artefakten lassen solltet.“
„Es reicht jetzt, entweder sagt ihr mir, was ihr wisst, oder ich werde verdammt sauer. Ich weiß, dass die Zeitreise gefährlich ist, bei Odin ich bin kein Dummkopf, auch wenn ihr das die ganze Zeit über glaubt. Aber die Artefakte die ICH benutze sind harmlos, wir haben sie ja vorher lange genug in Augenschein genommen! Dieses Ding welches mein Ex benutzt hat, war eines dieser manipulierten, welches die Templer leider NICHT untersucht hatten. Dafür kann ich aber nichts! Und ich sagte euch bereits, dass die Zeichen darauf anders sind. Und ich sehe in eurem Gesicht, dass ihr wesentlich mehr darüber wisst. Vielleicht wäre es hilfreich, wenn ihr euer Wissen endlich mit mir teilt, das würde MIR nämlich auch einige Scherereien ersparen.“
„Nicht einmal mein Mann darf davon wissen!“ gab sie leise von sich. Das darf doch nicht wahr sein. Hier geht es um das Wohl der Menschheit und diese Frau behält ihr Wissen diesbezüglich zurück. Und ich renne mit diesem Artefakt durch die Gegend. Doch in diesem Moment wurde ich so misstrauisch, dass ich jetzt direkt nachhakte. „Mrs. Cormac, ich frage das jetzt nur einmal. Habt ihr diesen Ring den Mr. Engelhardt genutzt hat, an euch genommen, ohne mein Wissen?“
Aber Faith sah mich nur erstaunt an, so als hätte ich sie auf eine Idee gebracht. Oh nein, Mädel, du wirst es nicht an dich nehmen, denn wir mussten es vernichten. Dann müsste ich halt noch länger forschen und das brachte mich auf eine andere Idee.
„Wisst ihr, wenn ihr mir sagen würdet, wie ich es vernichten kann oder wie man damit am besten verfährt, würde ich in meiner Zeit schneller voran kommen und könnte entsprechend früher wieder hier sein. Denn diese Suche nach entsprechenden Aufzeichnungen, wie ich ja schon erwähnte, kann ewig dauern!“ ich verschränkte meine Arme vor der Brust und wartete.
Ein tiefes Seufzen und dann bekam ich ENDLICH meine Antwort. „Also schön! Dieser Ring ist tatsächlich manipuliert und bringt das Gefüge, das Gleichgewicht durcheinander. Man benötigt einen Edenschlüssel, um es zu beenden!“ Bei Odin, das wurde ja spaßig jetzt. Jetzt verstand ich auch die Aussage des Wesens, dass mein Sohn das Gleichgewicht irgendwann wieder herstellen muss und dass dieses Kind in der anderen Welt ebenfalls dafür sorgen wird! Aber ich bezweifelte, dass ich je dorthin zurückkehren werde. Und mir fiel wieder Marie ein, der ich von Herzen wünschte, dass sie alles bereinigen konnte!
„Schlüssel? So etwas wie Haythams Amulett? Aber vergesst es, da ich dieses Artefakt mitnehmen werde, muss ich vermutlich noch einiges an Material durchforsten. Ich denke, es wird Zeit!“ ich schüttelte nur ihre Hand, nahm die Bücher an mich und wir verließen ihr Arbeitszimmer.
Kapitel 195
Ich spürte hinter mir einen warmen Körper, dessen Arme sich um mich schlangen und festhielten. Es vergingen nur wenige Momente und ich wurde wie immer ruhiger. Ein tiefer Frieden entstand und meine Tränen wurden weniger und meine Nerven beruhigten sich auch ein wenig. Ich hielt mich an diesen Armen fest und lehnte an seiner Brust.
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ kam es zögerlich von meinem Templer. „Ich auch nicht.“ gab ich ehrlich zurück, denn ich wusste es wirklich nicht.
Ich drehte mich zu ihm und nahm sein Gesicht in meine Hände und hielt es fest. Ich sah in seine grauen Augen und versuchte, mir diesen Moment, diesen Ausdruck genauestens einzuprägen. Er tat es mir gleich und so knieten wir beide eine Weile einfach auf dem Boden und sagten kein Wort. Irgendwann zog ich Haytham zu mir und gab ihm einen Kuss, welchen er begierlich erwiderte. Doch das musste leider jetzt warten, zuerst warteten noch ein paar Menschen unten auf uns. Etwas widerstrebend ließ er mich los und half mir dann hoch.
„Warum kann ich dich nicht gehen lassen, Alex? Es ist nicht richtig, du … du solltest nicht gehen.“ kam es mit einer so großen Trauer in der Stimme, dass mir meine eigene fast versagte. Faith hatte Recht, er hatte sich verändert und das in kürzester Zeit! „Haytham, ich weiß, dass ich bleiben sollte. Doch wir beide wissen auch, dass es noch nicht soweit ist. Und ich habe dir und auch Faith mittlerweile versprochen, dass ich zu dir zurückkehren werde. Ich kann nur noch nicht sagen, wann genau.“ Und wieder küsste er mich mit einer Leidenschaft, die mich erschauern ließ.
„Das weiß ich, trotzdem fällt es mir schwer und ich will es nicht wahrhaben! Was hast du nur mit mir gemacht, Mrs. Frederickson?“ kam es leicht grinsend vom Großmeister.
„Ich weiß nicht, vielleicht lag es daran, dass ich dich zur Weißglut getrieben habe? Dass ich einfach mein loses Mundwerk nicht halten konnte, Master Kenway?“ gab ich zynisch zur Antwort.
„Du bist unmöglich, weißt du das? Aber genau das werde ich vermissen!“ Er zog mich wieder fest in seine Arme und wieder standen wir einfach nur so da. Ich umklammerte meinen Templer und wäre am liebsten hier oben mit ihm geblieben. Doch... das Abendessen wartete.
Langsam löste ich mich von ihm und wandte mich der Kommode mit der Waschschüssel zu. Als ich in den Spiegel sah, wurde mir bewusst, dass ich ganz schön scheiße aussah. Meine Augen waren völlig verquollen und rot unterlaufen, Augenringe wie ein Panda hatte ich auch. Bei Odin, wer würde so etwas hübsch finden. Ich schüttelte den Kopf und hörte auf einmal nur „ICH finde das hübsch!“ als ich aufsah, sah ich in Haythams Gesicht einen wissenden Ausdruck. „War ich wieder ein offenes Buch?“ fragte ich grinsend und er nickte nur.
Als ich mich einigermaßen frisch gemacht hatte und meine Augen nicht mehr ganz so schlimm aussahen, gingen wir gemeinsam hinunter! Wir wurden von 4 nein, 5 Augenpaaren erwartungsvoll angesehen. Haytham ergriff das Wort und bat alle hinüber ins Esszimmer.
Das Küchenpersonal mit der begnadeten Küchenfee hatte grandios improvisiert. Es war unglaublich lecker und es reichte locker für eine halbe Kompanie. Leider war ich nicht in der Lage, den Nachtisch zu genießen. Mein Korsett war zu eng und ich hatte Angst, ich könnte es sonst sprengen, wenn ich nur noch einen Happen esse. Irgendwann würde ich eine Korsett-Diät machen und ein Buch darüber schreiben! Mit dem Titel „Essen wie ein Spatz“ Dachte ich mir noch so.
Ich hatte mir das Essen etwas anders vorgestellt, ruhiger, etwas gedrücktere Stimmung, doch es war fast das Gegenteil. Da ich jetzt nicht mehr auf jedes Wort achten musste, konnte ich einige Anekdoten von zu Hause erzählen. Nicht mit allen war Yannick zufrieden und ich musste mir des öfteren einen bösen Blick gefallen lassen, doch es war … irgendwie befreiend.
Auch bekam ich noch die ein oder andere Erklärung, aus den Leben von Shay und Faith. Bei Haytham verhielt es sich anders, seines kannte ich ja, und immer wenn ich zu ihm hinüber sah, dann hatte er diesen warmen Glanz in seinen Augen. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, wie ein gemeinsames Kind wohl aussähe und erntete prompt ein „Darauf bin ich gespannt!“ von Haytham. Das offene Buch, verdammt!
Dann stand mein Templer plötzlich auf und erhob das Glas und sah auf meinen Sohn. „Mr. Frederickson, wie ich hörte, habt ihr euren 18. Geburtstag begangen. Es tut mir leid, dass wir alle zu sehr beschäftigt waren und ihn nicht richtig feiern konnten. Wenn ihr erlaubt, würde ich das gerne mit einem Geschenk wieder gut machen.“ Damit holte er unter dem Tisch eine Schachtel hervor und reichte sie Yannick.
Mein Sohn nahm sie erstaunt entgegen und öffnete den Deckel. „Damit ihr euer Schwert und euren Dolch immer sicher bei euch tragen könnt!“ erläuterte Haytham sein Geschenk. Immer noch staunend und ungläubig, sah mein Sohn in die Schachtel. Dann sah er zu mir und dann zu Haytham. Als er aufstand, war es, als wäre er ferngesteuert. Er ging auf meinen Templer zu, reichte ihm die Hand und meinte in einem friedlichen und wohlwollenden Ton „Master Kenway, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich danke euch. Dann kann ich mein Geschenk von Mrs. Cormac auch endlich zeigen!“ stolz stand er vor Haytham und schüttelte die ganze Zeit seine Hand.
Irgendwann stupste ich ihn an. „Yannick, ich hätte da auch noch eine Kleinigkeit.“ überrascht, sah er mich an. „Mum, ich dachte, dein Geschenk bekomme ich zuhause!“
„Nein, auch wenn hier und jetzt nicht ganz der Rahmen ist, den du verdienst, solltest du es bekommen. Denn nach allem, was hier vorgefallen ist, denke ich, solltest du es haben!“ Ich reichte ihm die in Seide gewickelten Klingen. Das dunkelrote Tuch zierte das Assassinen-Symbol, es war nicht zu übersehen! Alle Anwesenden sogen scharf die Luft ein, sagten aber nichts. Er wickelte sie aus und sah sie an, dann ergriff ich das Wort und ich musste ausblenden, dass auch Templer anwesend waren.
„Yannick, hiermit überreiche ich dir in meiner Funktion als Meisterassassine, die zweiten Klingen, welche eines Assassinen würdig sind. Trage sie mit Stolz und bringe der Bruderschaft Ruhm und Ehre. Und bedenke, halte die Klingen fern von dem Fleisch Unschuldiger, halte dich im Hintergrund ohne aufzufallen und kompromittiere nie die Bruderschaft. Halte dich an diese Regeln und sie werden dich weiter bringen. Missachte sie und sie werden dich vernichten!“
Jetzt kam der schwierigste Part, denn ich fungierte als Mentor für Yannick. „Wir arbeiten im Dunkeln...“ mein Sohn setzte an „... um dem Licht zu dienen“ und gemeinsam fuhren wir fort „... denn wir sind Assassinen!“ Und schon wieder kämpfte ich gegen eine Flut von Tränen an! Ich nahm meinen Jungen in den Arm, denn er war nicht ganz offiziell, aber fürs erste in die Bruderschaft als Assassine aufgenommen worden. Rafael neben mir, drückte nur meine Schulter.
„Mum, ich weiß nicht, was ich sagen soll!“ meinte er völlig neben der Spur. Dann plötzlich fiel er mir um den Hals und drückte mich ebenfalls. „Ich hab dich lieb, ich hoffe, das weißt du!“ In diesem Satz war mehr Verständnis für mich und meine Lage, als in jeder 7 stündigen Rede!
Wir ernteten ein Räuspern von den anwesenden Templern, doch ich lächelte sie nur an, denn mehr brachte ich gerade nicht zu Stande. Wir saßen noch einen Moment so beisammen und ich erklärte meine Beweggründe für dieses doch sehr verfrühte Geschenk. Doch ich glaube, verstanden haben die drei es nicht wirklich, ich konnte es aber nicht anders erklären.
Nach dem wir fertig waren, verabschiedeten sich Shay und Faith und gingen mit ihrer Tochter heim und wünschten mir noch alles Gute für meine Heimreise. Also würden sie morgen nicht mit am Kai sein, sehr schade dachte ich noch. Doch auch sie hatten eigene Aufgaben, ein eigenes Leben und das nicht zu knapp!
Yannick verkrümelte sich nach oben in sein Zimmer und wünschte auch nur eine angenehme Nachtruhe mit einem wissenden Blick auf Haytham. Aber es lag dieses mal keine Eifersucht darin, sondern einfach nur ein mach einfach, aber sei nett zu meiner Mutter!
Rafael blieb noch einen Moment und unterhielt sich mit meinem Templer über die Schifffahrt und die politischen Ereignisse gerade. Ich gab dem Großmeister einen Kuss auf die Stirn mit den Worten „Ich werde zu Sybill gehen und mich für alles noch einmal bei ihr bedanken!“ ein fragender Blick, aber er schien zu verstehen.
Kapitel 196
Also ging ich in die Küche zu meiner Küchenfee und sie sah mich traurig an. „Alex, es ist schade, dass ihr abreist. Wir werden euch alle vermissen, Master Kenway wird euch vermissen.“ Und dann fiel sie mir um den Hals und drückte mich an sich und ich tat es ihr gleich und wir heulten einfach gemeinsam. Dann ließ sie mich los und ging zu dem kleinen Schrank in der Ecke, in dem die guten alkoholischen Getränke standen und fischte den leckeren Rum heraus!
Verschwörerisch zwinkernd goss sie uns zwei Gläser ein. Nicht diese kleinen, sondern schon ordentlich große Gefäße. „Auf das ihr uns nicht vergesst und bald zurückkehrt!“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und spürte, wie mir der Rum im Hals brannte. Doch er war wirklich gut und lecker. Nach dem zweiten Glas erschien mein Templer in der Küche mit einem Räuspern. Erschrocken stand Sybill auf, doch ich hielt sie am Arm fest und hieß sie so, sich wieder zu setzen. Ich stand auf und ging zu Haytham hinüber und schlang meine Arme um seinen Nacken. „Sei nicht so streng, es war ein Abschiedstrunk!“ Meine Zunge war etwas schwerer seit dem Rum und ich musste dümmlich grinsen bei dem Gedanken, dass ich wirklich angetrunken war.
„Bin ich nicht, Alex. Aber ich glaube, du hattest genug für heute!“ sagte er grinsend. Und damit nahm er meine Hand und wir gingen nach oben.
Etwas unbeholfen stand ich jetzt vor ihm und wusste nicht, was ich tun sollte. Denn es war die letzte gemeinsame Nacht für eine lange Zeit und ich wollte weder mit ihr beginnen noch wollte ich sie enden lassen. Auch mein Templer war unschlüssig und sah nur auf mich herunter.
Er nahm meine Hand, ging zum Bett und ließ sich auf der Bettkante nieder. Dann zog er mich zu sich und ich stand vor ihm und sein Kopf ruhte auf meinem Bauch. Meine Hände fuhren durch seine Haare und ich löste das Band, sodass ich ungehindert fortfahren konnte. Und so begann ich, den Abschied vorzubereiten. Langsam, Stück für Stück, entledigten wir uns unserer Kleidung, schweigsam aber immer mit diesem Augenkontakt. Ich wollte nichts verpassen, keinen Ausdruck auf seinem Gesicht vergessen.
Irgendwann saß ich auf seinem Schoss und klammerte mich an Haytham. Seine Hände fuhren langsam über meinen Rücken und ich fühlte seinen warmen Atem auf meiner Haut. Es war wieder wie Balsam! „Bleib bei mir!“ kam es rau aus seiner Kehle. „Ich komme wieder zu dir zurück!“ gab ich mit erstickter Stimme zurück. Und dann lag ich unter ihm und wir hatten uns wieder, er brauchte mir nicht sagen, dass ich ihn ansehen sollte. Es reichte, dass seine Bewegungen mich wieder führten und das langsam, aber bestimmt. Seine Hände hielten mich fest und ließen keine Widerrede zu, also ließ ich mich weiter fallen und als ich meine Beherrschung verlor, konnte auch er endlich loslassen.
Er lag an meiner Brust schwer atmend und versuchte sich wieder zu beruhigen. Vorsichtig richtete er sich auf und sah mich an. „Versprich mir nur, dass ich nicht lange warten muss.“
„Ich verspreche es, Haytham.“ und küsste ihn wieder. Diese Nacht war völlig anders, wir hatten eine ganz eigene Verbindung plötzlich. Es fühlte sich ehrlicher und tiefer an, so, als wäre es schon immer so gewesen!
Doch der nächste Morgen kam schneller, als mir lieb war und mit ihm der endgültige Abschied.
Ich wurde von einem „Guten morgen“ geweckt und einem vorsichtigen Kuss auf meine Stirn. Meine Arme schlangen sich wie von alleine um seinen Körper. Doch uns blieb keine Zeit mehr, denn schon hörte ich von unten Stimmengewirr und das freudige „Endlich wieder nach Hause“ von meinem Sohn. Es versetzte mir einen Stich, ich hatte ihn hier vernachlässigt, auch wenn er in Henry einen neuen Freund gefunden hatte.
„Wir sollten uns auch fertig machen.“ kam es vorsichtig von Haytham. „Du hast ja Recht, aber … ich will einfach nicht!“ maulte ich ihn an! Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht „Natürlich willst du das nicht. Ich auch nicht, aber behalte immer im Auge, dass ich auf dich warten werde.“ und dann bekam ich einen langen, sehr langen leidenschaftlichen Kuss in den mein Templer alles an Gefühlen legte, die er gerade in sich hatte.
Mein Stichwort kam dann auch prompt von Sybill, die zögerlich klopfte und mitteilte, dass mein Kaffee warten würde! Ich konnte mir ein albernes Kichern nicht verkneifen und nahm Haytham noch einmal in den Arm, dann stand ich auf. Auch er kroch aus dem Bett, mehr widerwillig, doch es musste sein. Wir machten uns fertig und als ich in meinem Ornat wieder vor ihm stand, sagte mein Templer nur. „Das sollten wir beizeiten vielleicht noch ändern, aber nur wenn du willst und bereit dazu bist!“ erstaunt sah ich ihn an.
„Darüber muss ich nachdenken, denn du weißt, dass ich immer noch der Meinung bin, es gibt einen Mittelweg. Doch das ist ein Thema für eine andere Zeit!“ sagte ich nur. Dann fing ich an, mein Hab und Gut in meinen Truhen zu verstauen. Viel war es ja nicht, aber es waren mittlerweile zwei Truhen plus mein Seesack. Geschultert mit diesem gingen wir hinunter und wurden schon erwartet. Rafael und Gregor waren gekommen, um meine Sachen abzuholen und Yannick stand mit leuchtenden Augen vor mir.
Sybill reichte mir ohne Worte den Becher mit Kaffee und Haytham führte mich noch kurz zum Esszimmer. Denn mein Sohn hatte auch noch Hunger und er war dankbar für die süßen Brötchen.
Meine Sachen waren verstaut und mein Kaffee war alle, langsam erhoben wir uns und ich drehte mich noch einmal zu Mrs. Wallace um. „Ich wünsche euch alles erdenklich Gute, Sybill und passt auf meinen …“ doch mehr brauchte ich nicht sagen, auch wenn ich überhaupt nicht wusste, als WAS ich Haytham bezeichnen sollte. „Ich werde Master Kenway im Auge behalten und dafür sorgen, dass er keine Dummheiten anstellt, versprochen!“ Ihr Blick hatte diesen schelmischen Ausdruck, den ich so an ihr mochte.
Dann gingen wir hinaus zur Kutsche und als sie sich in Bewegung setzte, sah ich mich noch einmal um. Es war, als würde ich langsam aus einem Traum erwachen. Teilweise einem Albtraum aber auch aus einem wunderschönen Traum.
Je näher wir dem Hafen kamen, desto mehr sank mir mein Herz und wurde schwer. Plötzlich brach in mir Panik aus und ich wäre fast aus der fahrenden Kutsche gesprungen, nur um zu verhindern, dass man mich zum Hafen bringt. Es fühlte sich wie eine Fahrt zur Hinrichtung an, ich konnte das nicht zulassen! Doch mein Templer packte meine Hände und zog sie an seine Brust und ich hatte keine andere Wahl, als ihn anzusehen.
Ich nahm ein vorsichtiges Schütteln seines Kopfes wahr, er gebot mir Einhalt und zog mich an sich. Es dauerte einen Moment, bis ich wieder ruhiger wurde. Doch die Angst blieb!
Die Kutsche hielt an meinem Anlegeplatz und ich sah schon die komplette Mannschaft in freudiger Erwartung an Deck stehen. Als ich ausstieg hörte ich sie jubeln und rufen. Sie waren alle froh, wieder in ihre alten Leben zu können und wieder Normalität zu erfahren.
Haytham führte mich langsam Richtung meiner Brig, er zögerte immer wieder, doch auch er musste sich jetzt eingestehen, dass es nicht anders ging. Vor meinem Schiff blieb er stehen und hielt mich wieder fest. Niemand unterbrach uns, alle um uns herum waren auf einmal still. Mein Templer gab mir einen letzten Kuss und löste sich dann von mir. Langsam ging ich an Deck und stand dort völlig hilflos und sah auf ihn herab. Der Großmeister sah nur zu mir hoch und in seinem Blick lagen wieder diese Trauer und diese Hoffnung zugleich.
Dann setzte die Jackdaw Segel und nahm langsam Fahrt auf! Ich klammerte mich am Heck an die Reling und sah in Richtung des Kais, der allmählich kleiner wurde.
Es tat einfach nur weh, doch ich musste nur Geduld haben, oder?
*** To be continued ***
*** Danke ***
Und damit ist diese doch sehr lange Story jetzt auch mal zu Ende gegangen. Jedoch nicht ganz, denn die Fortsetzung ist im vollen Gange.
Ich möchte mich noch bei allen Leser*innen bedanken, bei allen, die meine Geschichte favorisiert haben und die mich unterstützt haben. Besonders danken muss ich dem Todesengel, denn eigentlich war meine Story ganz anders geplant. Und vor allem kürzer! Da haben sich einige Charaktere oft einfach selbstständig gemacht! Sorry! :-) Trotzdem ein Danke dafür, dass ich mir Familie Cormac ausleihen durfte und auch noch eine Weile behalten darf :-)
Jeder will die Welt beherrschen!
Übrigens auch ein dickes Danke an meinen Mann, welcher eine unendliche Geduld besitzt, während ich mal wieder tagelang nur schreibe! <3
Part 2 dieser Geschichte um Alex Frederickson wird dann vermutlich auch wieder Montags und Freitags kommen. Dieser wird aber etwas kürzer, versprochen.
Ich hoffe, euch haben meine oft wirren Gedanken in der Story gefallen und ihr konntet mit den Charakteren, so wie ich sie dargestellt habe, zurechtkommen.
Ich wünsche euch allen noch einen schönen Start in die Woche und freue mich auf ein Wiederlesen!
GLG eure Chaoshexe
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Kapitel: | 196 | |
Sätze: | 13.810 | |
Wörter: | 153.671 | |
Zeichen: | 878.498 |
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