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Wintermelodie

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02.01.19 08:22
12 Ab 12 Jahren
Heterosexualität
In Arbeit

2 Charaktere

Severus Snape

Hermine Granger

Schneegeriesel, Pfützeneis und über allem ein aschfahler Himmel. Aschfahl wie Papier, aus dem Tuschezeichen heraus gewaschen worden waren. Worte einer lang vergessenen Geschichte.  Severus stand am Fenster und blickte hinauf zum Firmament, studierte die dichten Wolken akribisch. Doch die Zeichen verschlossen sich ihm, behielten ihren Sinn für sich. Nur der Rauch kräuselte sich von den Schornsteinen hinauf ins Wintergrau.  

Der  Morgen war kalt. Bitterkalt. Unten, auf der Winkelgasse schlichen geduckte Gestalten vorüber, eingemummelt in dichte Lagen aus Stoff, die Gesichter von dunstigen Atemwolken verhüllt. Manche hielten an seiner Ecke inne, blickten nach links und rechts und verschwanden zur anderen Seite des Hauses in der Finsternis der Nokturngasse. Flocken tänzelten im Wind, raubten die Sicht, Gardinen aus Eisblumen verhingen die Fenster und eine Katze schlitterte übers vereiste Pflaster.  Der frühe Januar hielt alles fest in seinem eisigen Griff, bannte die Welt wie ein Stillleben auf seine frostige Leinwand.

Severus drehte den Kopf, um nachzusehen, ob die angekündigte Lieferung vielleicht doch per menschlichem Boten die Gasse heraufkam - und verzog das Gesicht. In der Winterkälte spannte die Haut an seinem Hals, das Narbengeflecht über jenen beiden Einstichlöchern, wo einst der tödliche Biss ihn getroffen hatte. Noch immer, auch nach drei vollen Jahren, wusste er nicht, warum sie es getan hatte. Warum das Mädchen ihm gerade zwischen den beiden Atemzügen, die seine beiden letzten hätten gewesen sein sollen, das Gegengift in die Wunde geträufelt hatte. Hätte er nicht gewusst, dass er im Sterben lag, er hätte nie seine Lebensbeichte vor dem Jungen abgelegt. Der Junge, der, nachdem sein Zauberstab das Lebenslicht seines Mentors ausgelöscht hatte, das Einzige gewesen war, das ihn noch auf der Erde hielt. Der Junge, den er gehasst hatte – und über den er in der Einsamkeit seines letzten Jahres an Hogwarts mehr nachgedacht hatte als in all den Jahren zuvor...

Severus blinzelte. Der kleine Zeiger der Wanduhr überschritt die zehn. Die Straße aber blieb leer. Noch einen letzten Blick warf er hinunter in die Nokturgasse, dann trat er vom Fenster zurück, ein leichtes Frösteln im Nacken. Es war kühl in der Stube. Auf der verfluchten Taschenuhr, die zur Untersuchung auf seinem Schreibtisch lag – ein Auftrag einer alten Dame – hatte sich sogar eine feuchte Schicht gebildet. Er beheizte die Detektei ebenso selten wie er es mit seinem Kerker in Hogwarts getan hatte. Sein Leben war kalt. Kalt wie das Blut in seinen Adern, in denen kein Feuer mehr brannte. Wie so oft an jenen grauen Tagen, wenn die fahle Sonne sich in den Winterwolken verbarg gleich eines Totenkleids, wenn die Kalenderblätter des ersten Monats auf ihren dreißigsten Tag zuschritten, fragte er sich, warum er überhaupt noch existierte. Seitdem die letzte Schlacht in den Fluren der Schule geschlagen worden war, trieb er in der Welt wie ein Geisterschiff. Nutzlos. Überkommen. Ja, er hatte seine Schuld gesühnt, seine Sünden gereut und gebüßt. Jeden Preis hatte er für seinen Verrat bezahlt, war den Weg bis ans Ende gegangen und durfte den grimmigen Triumpf spüren, den Niedergang ihres Mörders noch selbst zu erleben.  Doch was nützte es? Was nütze es…

Sie lag noch immer kalt in ihrem Grab. Sie war nicht ins Leben zurückgekehrt. Die Sonne, deren belebende Strahlen in die Finsternis seiner Kindheit gefallen war, blieb kalt. Doch was war ein Universum ohne die Sonne? Sie war der Mittelpunkt seiner Welt gewesen, jeder seiner Atemzüge hatte Ihr gegolten. Nun glich seine Seele einem schwarzen Loch. Er war ein Inferi unter den Lebenden, von seinen ganz eigenen Dementoren geküsst. Wie oft hatte er in jenen schlimmsten Tagen als der Triumpf des Siegs über den Dunklen Lord die Leere nicht mehr füllte, daran gedacht,  Ihr und Dumbledore zu folgen – den beiden Menschen, die ihm am meisten bedeutet hatten und die durch seine Hand gefallen waren. Doch sich eigenmächtig aus dem Leben zu stehlen war feige. Wenn seine neue Strafe hieß, jeden Morgen wieder die Lider aufschlagen und einem weiteren Tag ohne Sinn ins Auge blicken zu müssen, dann sollte es nun einmal so sein. Und so war die Zeit über ihn hinweggeschritten. Die Tage hatten sich aneinandergereiht wie Perlen:  Erst zu Wochen, dann zu Monaten und auf einmal hatte er eine Kette an Jahren in den Händen gehalten. Eine Kette an Jahren…

Severus tauchte aus seinen Gedanken. Noch immer klopfte kein Bote an seine Tür. Noch immer kein Eulenschnabel an seine Scheibe. Sollte die Aurorenzentrale sich verspäten? Seit dem Schaden im Flohnetzwerk, der längst hätte behoben werden müssen, doch brach lag wie alle Baustellen seines Lebens, vergingen manchmal ganze Tage ohne dass auch nur ein Artefakt zur Untersuchung über seine Schwelle kam und am nächsten waren es gleich zwanzig…

Severus stöhnte unhörbar. Wahrscheinlich bedeutete dies wieder einen freien Tag. Und freie Tage waren die schlimmsten. Arbeit war ein Zaubertrank, der jeden Gedanken, jedes Gefühl abtöte. Doch wehe, der Kessel war leer! Missmutig ließ Severus seinen Blick durch den Raum schweifen, blieb schließlich am Haken mit dem Reiseumhang haften. Vielleicht wusste er einen anderen Zaubertrank! Es gab da einen Ort, einen ganz besonderen Ort, den er schon lange wieder einmal besuchen wollte. „Accio Reisemantel!“, rief Severus und war einen Augenblick später schon disappariert.  

Dicht wirbelten die Flocken, fielen lautlos hinab auf das Rondell. Schwarz wie Ebenholz umstanden es die Baumgerippe, reckten ihre blattlosen Zweige in die froststarre Luft.  Eine Lichtung in einem verwinkelten Park; ein Hügel und ein kleines Tal;  ein uralter Brunnen, wahrscheinlich von Muggeln erbaut und dann vergessen. Severus schob die erstorbenen Ranken eines Dornengestrüpps, welche unter seinen Händen klirrend zerbrachen, vom Rand des unteren Brunnenbeckens und blickte hinauf zu den Statuen.  Zwei Engel, aus Marmor gehauen, wanden sich um die Säulen eines Springbrunnens, erstarrt in einem ewigen Tanz.

Dieser Ort…. Er hatte etwas Besonderes an sich. Es war als ginge eine Melodie durch den Hain und über die Lichtung, lautlos und unhörbar. Eine Melodie so schwer und getragen, so geheimnisvoll und verschwiegen wie ein Januartag. Die Melodie seines Lebens, das mit unter Schnee verborgenen  Welten und eisstarren Masken, das von Kälte und Einsamkeit geprägt und mit  allzu früher Finsternis überschattet, so sehr dem Winter glich.

Er kannte diesen Ort, kannte ihn gut. Hierher war er geflohen nachdem in Godric’s Hollow die Welt untergangen war. Hier hatte er für einen Augenblick Halt gemacht, die verstreuten Splitter seines Geistes aufgesammelt ehe er einem Rachengel gleich nach Hogsmeade appariert war, um den Mann zu richten, der versprochen hatte, Sie zu beschützen. Ein versteckter Ort -  fern des Lebens, fern der Welt. Doch nicht fern der Zeit. Zwanzig Jahre hatten die Engel verändert. Das blitzende Weiß ihres Mamors war matt und grau geworden.  Der Verfall nagte an ihren Gliedern wie an denen einer Toten. Verflucht! Musste ihn das Leben so betrügen? Musste es ihm auch dieses letzte Refugium rauben, nachdem der Spielplatz am Fluss in Cokeworth einem Hochhaus gewichen war? Der Brunnen führte schon lang kein Wasser mehr als sei alle Hoffnung verronnen. Nur dunkles Eis von schmutzigem Regen füllte die Becken.  

Severus spürte wie eisige Nadelstiche die schmelzenden Flocken in seinem Gesicht, spürte die Trockenheit in seinem Mund, die jedes Wort erstickte. Die Einsamkeit… die Einsamkeit drehte das Rad der Zeit zurück.  Er stand hier und war wieder einundzwanzig, sah alles klar vor sich. Die Trümmer, den Staub, das rote Haare und die grünen Augen; die grünen Augen, in denen kein Lebensfunke mehr glomm. Die Bilder wallten durch seinen Kopf, durch seine Adern, pressten ungewollt Tränen in seine Augen. Der Schmerz war überwältigend, schnürte ihm die Kehle zu. Er schnappte nach Luft. An seinem Hals spannte die Haut, schmerzte. Die Narbe pulsierte. Doch vor diesem Gift gab es keine Rettung. Die Wunde brannte und brannte in einem fort. Niemand würde ihm ein Gegenmittel einträufeln. Er würde an seinem gebrochenen Herzen verbluten. Er würde…

„Professor Snape?“

Severus erschauerte. Ein Zittern ging durch seinen Körper, vom Kopf bis zu den Füßen. Dieser Name! Diese Stimme! Sie durchdrangen seinen Schmerz, berührten seine Ohren wie der Fingerstrich einst die verletzte Haut. Er kannte sie. Vorsichtig sog er die Luft ein und wandte sich atemlos um.

Sie stand auf dem Hügel vor dem winterkahlen Hain. Weiße Flocken blitzen im buschigen, braunen Haar. Ein Schal aus groben, dicken Maschen wirbelte um ihren Hals. Unter dem Arm trug sie, es sah ihr ähnlich, einen Stapel Bücher, fast zu viele um sie halten zu können. Und auf dem Stoff des dunklen Lodenmantels, der gleich eines Kleides weit ausfiel, prangte das Enblem der Merlin Akademie.

Er hatte es vergessen!  Er hatte vergessen, dass sich dieser geheime Ort am Rande des Campus befand, nahe der magiejuristischen Fakultät. Er hatte vergessen, dass sie bei einem jener seltenen Abendessen, zu denen Potter ihn hin und wieder aus Dankbarkeit einlud, nachdem sie so etwas wie Frieden geschlossen hatten, ihr Studium erwähnt hatte. Er hatte vergessen, wie furchtbar jung sie und Potter und die beiden Weasleys noch waren. Ein Hauch von Rot färbte ihre winterglühenden Wangen und der Dunst ihres Atems stob himmelwärts, während die braunen Augen ihn musterten.

So sahen sie sich also wieder. Er dem Tode nahe und sie das blühende Leben.  

„Mi-“ Miss Granger wollte er sagen und konnte sich im letzen Moment noch bremsen. War sie denn überhaupt noch eine Miss? Der Ring, der beim letzten Mal an ihrem und Weasleys Finger geprangt hatte, der hatte er nicht vergessen. Doch konnte er sich auch an keine Heiratsanzeige im Tagespropheten erinnern.

„Hermine“, verbesserte er sich daher, auch wenn ihm es unangenehm war, ihren Vornamen zu benutzen, doch sicher war sicher, „So ein Zufall!“

„Ja…“, erwiderte die junge Frau ein wenig verlegen. War sie unsicher oder wusste sie nicht, wie sie seinen Tonfall deuten sollte? Severus runzelte die Stirn. Doch da atmete sie tief ein.

„Ich bin gerade unterwegs zur Bibliothek“, erklärte sie und zuckte mit den schwerbeladenen Armen, "Die Merlin Akademie besitzt die umfangreichste Lektüresammlung zur Magierechtsgeschichte in ganz Europa. Waren Sie auch auf den Weg dorthin?"

„Ich?!“, wiederholte Severus und wandte sich schnell ab als ihm plötzlich bewusst wurde, was seine feuchten Augen verrieten, „Nein, Ich versuche mich ein wenig aufzuwärmen. Wie Sie sicher über Potter wissen, ist mein Kamin kaputt. Da kann es im Haus schon leicht frostig werden.“

Er senkte den Blick, betrachtete stoisch das gefrorene Brackwasser in den einst glänzenden Marmorbecken. Die grauen Schlieren, die dreckig-düsteren Wogen erschienen ihm wie das Spiegelbild seines Elends. Da erklang hinter ihm ein leises Knirschen. Schritte auf dem vereisten Rasen! Schritte, die sich näherten.  Sie musste die Bitterkeit in der Ironie seiner Worte überhört haben.  

„Keine Aufträge heute?“, trug der eisige Wind ihre Stimme zu ihm herüber als sei nichts gewesen.    

„Ihr Schwager hat mir noch keine Sendung zukommen lassen“, erwiderte Severus ruhig und fragte sich wie viele Belanglosigkeiten er heute noch austauschen würde.

Dann plötzlich herrschte Stille.

Leichte Wärme strich über Severus wie eine sonderbare Brise. Wärme wie sie ein naher Körper ausströmte. Sie war neben ihn getreten. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, doch er spürte wie ihre Blicke Fingern gleich über ihn glitten. Fingern, die einst seine Wunde fanden, um ein Gegengift hinein zu träufeln, das ihn am Leben hielt.

„Geht es Ihnen nicht gut, Sir?“, fragte die sanfte Stimme.

Severus drehte sich, wand sich noch ein bisschen weiter von ihr ab.

„Es ist nichts“, log er keuchend.

Wieder Stille. Wieder Schweigen. Für eine Sekunde wünschte Severus sich, sie würde sich umdrehen und ihre dämlichen Bücher in ihre dämliche Bibliothek bringen. Doch die Finger ließen ihn nicht los. Noch immer tasteten sie nach der Wunde, dem Schlangenbiss des Schicksals. Nach einer Weile hielt Severus es nicht mehr aus. Er sah auf und traf auf braune Augen. Was er dank seiner Legilimentik in ihren Blicken las, erschreckte ihn mehr als jedes Wort, das über ihre Lippen gekommen war. Sie wusste es, sie wusste alles.

Nichts heißt Lily mit Vornamen, nicht wahr?  

Severus atmete aus. Sie hatte sie gefunden. Sie hatte die Wunde gefunden. Und nun? Für eine Sekunde fürchtete er, dass sogleich ein Schneesturm aus Worten ihn umbrausen würde. Ihre Bücher hatte sie bereits auf dem Beckenrand des Brunnens abgelegt als gedenke sie noch länger bei ihm zu bleiben. Gleich würde der Sturm losbrechen…

Doch die Lippen blieben stumm, versiegelt wie Eis. Severus atmete ein, wandte den Blick ab. Zum ersten Mal seitdem sie am Rande des Hains aufgetaucht war, nahm er die Welt um sich wieder wahr.  Winterwind rauschte durch seine Haare; kühle, frische Luft kitzelte seine Nase und der fallende Schnee bedeckte die Statuen gleich weichen Flaums. Wie konnte die Welt so friedlich sein, wenn in seiner Seele alles in Trümmern lag, fragte er sich. Da plötzlich tauten die Lippen auf.

„Möchten Sie mich nicht begleiten?“, drang die Stimme an sein Ohr.  

Sofort richte er seinen Blick wieder auf die junge Frau, riss die Augenbrauen hoch, starrte sie an.  

„Was?!“, rutschte es ihm heraus.

„Das Bibliothekscafe hat einen fabelhaften Tee. Ich bin oft dort, wenn ich lerne. Und bei dieser Kälte…“

Sie sprach die letzten Worte nicht aus und doch wirbelten sie durch Severus‘ Kopf wie die Puderflocken in der winterkalten Luft. Einen Augenblick überlegte er, was er erwidern, was er antworten sollte. In einer anderen Zeit, in einem anderen Leben hätte er sie abgewiesen; hätte sie mit seiner größten Waffe, seinem Sarkasmus, in die Flucht geschlagen. Doch dieses Leben lag erfroren unter einer Decke aus Eis. Er war nicht mehr ihr Lehrer. Sie war nicht mehr seine Schülerin. Und das Siegel auf seinem Geheimnis war in einer Mainacht vor drei Jahren davon geschmolzen wie Eis. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie gemeinsam an einem Tisch saßen. Es wäre nur das erste Mal, dass dem keine förmliche Einladung vorausging.

Noch einen Augenblick zögerte Severus, spürte wie die kalte Schneeluft seine Lungen erfrischte.

Schließlich nickte er knapp und folgte ihr zum Weg hinauf. Über ihren  Köpfen schaute mit einem Mal die Sonne aus ihrem Totenkleid hervor, dunstig bleich wie ein nebelhafter Geist. Ihr Licht funkelte auf dem Weg als wolle sie den Pfad zu einer Wärme weisen, die sie selbst nicht mehr schenken konnte. Und hinter ihnen, in den Becken des verfallenen Brunnens, brach ganz leise das Eis.

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Kurzbeschreibung

An einem Wintertag 2001: Severus Snape wird von den Geistern der Vergangenheit eingeholt und beschließt seinen trüben Gedanken um Lily auf einem kleinen Ausflug zu entfliehen. Doch er ist nicht allein. Gerade die Frau, die ihm damals nach Naginis Biss das Leben rettete, kreuzt seinen Weg: Hermine Granger.

Kategorisierung

Diese Fanfiction wurde mit OneShot, Eventuelle Romanze, canon aware, Snamione (Pairing), Snily (Pairing) und Storyhub exclusiv getaggt.