Die Nacht war tief und still, als Minerva Albus Dumbledores Büro betrat. Dunkelheit, nichts als mondlose Dunkelheit, lag hinter den hohen Bogenfenstern am anderen Ende des Raums. In den matten, dunklen Scheiben reflektierte sich verschwommen sein Spiegelbild. Starr stand er da und blickte hinaus auf die leeren Schlossgründe, die keine Schüler mehr durchstreiften. Nicht in dieser Nacht noch am nächsten Morgen. Der Zug nach King’s Cross hatte Hogsmeade schon in der Frühe verlassen. Von Allen, die ihre Ferien nicht in Hogwarts verbrachten, war nur noch Severus Snape im Schloss geblieben und Minerva direkt vor den Wasserspeiern in die Arme gelaufen – kurz angebunden, was nicht ungewöhnlich war, doch auch verwirrt. Sie war mit der fahrenden Wendeltreppe heraufgekommen, um nachzufragen, was geschehen war. Doch jetzt, wo sie Albus am Fenster stehen sah, hielt sie stumm im Türrahmen inne, spürend, dass hier mehr geschehen war, als sich mit einer einfachen Frage klären ließ.
„Albus?“, sagte sie endlich nach einer Weile. Doch der Mann am Fenster rührte sich nicht. Noch immer stand er wie eine Wachsfigur vor den Scheiben und starrte hinaus in die Welt. Der gleiche Mann, den alle immer nur lächeln sahen, der ständig Liedchen trällerte und Brausedrops naschte, der „Schwachkopf, Schwabbelspeck, Krimskrams quiek“ für eine angemessene Festrede hielt. Wie verändert kam er Minerva vor, auf einmal so reglos, so leblos.
Langsam ging sie auf ihn zu. Schritt für Schritt, die Augen nicht von ihm abwendend. Du liebe Güte, was war mit seiner Hand geschehen? Rabenschwarz war sie, wie verkohlt. Endlich hatte sie ihn erreicht, ihren Vorgesetzten, ihren Kollegen, ihren besten Freund und engsten Vertrauten. Noch immer machte er keine Anstalten, sich zu ihr umzudrehen. Wie versteinert ragte seine hohe Gestalt vor ihr auf.
Behutsam legte sie ihm die Hand auf die Schulter, den nebelblauen Stoff seiner Lieblingsrobe.
„Albus“, hauchte sie ihm zu.
Und endlich wandte er sich um. Minerva spürte, wie ihr Herz plötzlich sank. Wie es sank, als sie in das alte Gesicht blickte, das sie so gut kannte. Von den hellblauen Augen tropften dicke Tränen hinab in den silbernen Bart.
„Was… was ist passiert, Albus?“, fragte sie fürsorglich.
Doch er seufzte nur schwer und wandte sich von ihr ab. Sie folgte ihm mit dunklen, besorgten Blicken, als er leer in die Ferne starrend endlich wieder Luft holte.
„Ich habe Severus in den Tod geschickt“, antwortete er schwerfällig, „ich habe Severus für das Größere Wohl in den Abgrund und in den Tod geschickt“.
Dann schaute er sie wieder an und ein zittriges, wahnsinniges Lächeln lag auf seinen Lippen. Er zog die Handmondbrille von der Nase und stürzte plötzlich mit einem lauten Aufschluchzen neben einem Beistelltischchen zu Boden.
Stocksteif stand Minerva vor ihm, unfähig sich zu bewegen, unfähig etwas zu erwidern auf die Mischung aus Lachen und Schluchzen, die zu ihr heraufdrang. Sie sah sich nur hilflos im Raum um, um irgendetwas zu finden, das ihn beruhigen konnte. Da fiel ihr Blick auf einmal auf eine dunkle Nische, die sie nie beachtet hatte, die jetzt jedoch ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. In dem schattigen Winkel hing gut verborgen ein Bild. Das Porträt eines jungen, blonden Mädchens in einem Rüschenkleid. Die Oberfläche war wellig, fast so, als ob es mit Wasser in Berührung gekommen war. Fast so, als ob es jemand über Jahre mit seinen Tränen genetzt hätte. Und auf einer Pinnwand daneben waren mehrere Zaubererfotos gepinnt. Zwei davon konnte sie erkennen. Das eine zeigte Harry und das andere – Severus Snape.
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