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In alten Erzählungen über Kastilien La Mancha wird von den Entbehrungen berichtet, die die Reisenden durchlitten, während sie, die in der Hitze flirrenden, weiten Ebenen dieser Landschaft durchquerten. Heute ist all das nur noch Geschichte. Sind es doch von Madrid bis Andalusien gerade einmal 250 Kilometer, so durchquert man La Mancha mit dem Auto bequem in weniger als drei Stunden.
Das, was den Reisenden in früheren Zeiten so zu schaffen machte, ist nach heutigen Maßstäben kaum noch nachvollziehbar. Auch die weiten Ebenen sind ein dehnbarer Begriff, sieht man doch am Horizont fast immer, die die Ebenen umschließenden, Berg- und Hügelketten und trotzdem, für den Reisenden früherer Zeiten lagen zwischen den Erhebungen mehrere Tagesreisen. In der fast baumlosen Landschaft brannte im Sommer die Sonne auf den Reisenden herab, während ihm im Winter ein eisiger Wind die Tränen in die Augen trieb.
Heute, möglichst im vollklimatisierten Wagen, verlässt man Madrid Richtung Süden, um hinter den ausufernden Vorstädten, die die Hauptstadt Spaniens wie ein Ring umschließen, die Autovia 4 zu erreichen. Der Gegensatz zwischen den schier endlosen Vorstädten, in denen die Balkone der Wohnblöcke bis über die Schnellstraße reichen, den teils verkommenen Gewerbegebieten, mit ihren größeren oder kleineren Betrieben und der darauf folgenden Landschaft ist krass. Fährt man eben noch durch eine Schlucht aus Beton und Stahl, weitet sich plötzlich die Landschaft vor einem zu einer Hochebene, unter einem meist wolkenlosem Himmel. Die Höhenzüge am Horizont scheinen unendlich weit entfernt zu sein.
Rechts und links der Straße dehnen sich endlos Wein-, Getreide-, Gemüsefelder und Olivenhaine aus. Ab und zu ein kleines, nahezu verlassen wirkendes Gewerbegebiet, fast immer mit Tankstelle, Gasthof und Hotel. Häufig ist statt des Hotels ein Bordell in das anscheinend wild in die Landschaft gewürfelte Häuser- und Hüttengemenge integriert. In den wenigen größeren Gewerbegebieten gibt es dann beides, Hotel und Bordell.
Nähert man sich auf der Fahrt den diversen Erhebungen, die eben noch weit entfernt am Horizont lagen, ist man verblüfft, wie steil und übergangslos sie sich aus der Ebene erheben. Während moderne Personenwagen die Höhen leicht, mit unverminderter Geschwindigkeit erklimmen, schleichen die zahlreichen schweren Lastwagen mit dröhnenden Motoren im kleinen Gang auf gesonderten Spuren nach oben. Oben auf den Bergkämmen, wie an einer Schnur aufgereiht, strahlend weiße Windmühlen. Leicht verfällt man der Illusion, Don Quijote könnte zwischen ihnen hervortreten.
Das Land links und rechts der Autovia erscheint seltsam menschenleer und so ist es kaum verwunderlich, dass schon kurz hinter Madrid, die 200 Kilometer entfernte Kleinstadt Valdepeñas (Deutsch „Tal der Felsen“) als Fernziel auf den Entfernungstafeln erscheint. Die kleinen Städte entlang der Strecke sind allesamt leicht zu übersehen, da jeweils zwischen Stadt und Autostraße eins der Gewerbegebiete liegt. Oft sieht man von der Stadt nur den Turm der Kirche und eventuell einen Wasserturm. Nichts bleibt dem Reisenden von diesen Orten im Gedächtnis. Er liest die Namen der Ortschaften auf den Hinweistafeln, nur um sie gleich wieder zu vergessen. Nur Valdepeñas macht insofern eine Ausnahme, als die Stadt der zentrale Ort des gleichnamigen Weinbaugebiets ist. So stehen entlang der Autostraße riesige, silbrig glänzende Edelstahltanks, in denen Wein gelagert wird.
Abrupt endet die Reise durch das Hochland von La Mancha an der Grenze zu Andalusien. Immer mächtiger türmt sich im Süden das wilde Bergland der Sierra Morena auf, durch das sich die Autostraße in einem Gewirr von Schluchten und Tunneln hinunter nach Andalusien windet.
Auffallend ist der Vergleich der Landschaft, wenn man La Mancha zu den verschiedenen Jahreszeiten durchquert. Erstrahlen im Frühjahr Felder und Hügelketten noch im satten Grün, so setzten sich schon im Frühsommer leichte Grautöne auf das Grün, hervorgerufen durch den in der Trockenheit aufgewirbelten Staub, der sich wie ein Schleier über die Landschaft legt. Grün erscheinen dann nur noch bewässerte Felder und der wohl allzeit bewässerte Grünstreifen der Schnellstraße. Im Spätsommer und Herbst, wenn die Felder abgeerntet sind, alle Gräser in der Trockenheit verdorrt sind, wandelt sich die Farbe der Landschaft in eine Art graubraune Einheitsfarbe. Nur frisch gepflügte Felder stechen durch einen satten Braunton hervor und die Olivenhaine kämpfen mit ihren immergrünen Blättern tapfer gegen die vorherrschende Farbe an. Ach ja, nicht zu vergessen – der allzeit bewässerte Grünstreifen der Autovia erstrahlt in sattem Grün.
Was ist nun geblieben von den Entbehrungen früherer Reisender? Eigentlich nicht viel. Bis auf den Moment, in dem der Reisende der Neuzeit eine Verschnaufpause einlegt. Dann findet er sich oft auf einem staubigem, nur notdürftig planiertem, völlig schattenlosen Parkplatz wieder, über den der Wind Staubwolken und leere Plastiktüten treibt. Ein Teil der Parkbuchten ist als Sonnenschutz mit Wellblechdächern versehen. Unter diese flüchten sich die Reisenden mit ihren Fahrzeugen, wenn die Sonne vom Himmel brennt und die Temperaturen auf der baumlosen Fläche leicht an die 50 °C heran reichen. Unter den Dächern ist die Luft unerträglich stickig. Denjenigen, die sich dort aufhalten, rinnt schon bald Schweiß aus allen Poren. Jeder ist bemüht, so bald als möglich, seine Reise fortzusetzen. Und doch, diese Dachkonstruktionen sind die einzige Möglichkeit zu verhindern, dass sich die Autos während der Rast in einen Glutofen verwandeln.
Wer sich auf einem dieser riesigen Parkplätze ein wenig die Füße vertritt, dem treibt der ewig wehende Wind Sand und Staub in die Augen und er erahnt vielleicht, welche Entbehrung frühere Reisende beim Durchqueren von La Mancha zu Fuß oder zu Pferde erlitten.
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