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Kapitel: | 2 | |
Sätze: | 95 | |
Wörter: | 1.951 | |
Zeichen: | 12.322 |
Damit kein falscher Eindruck entsteht, mir steht nicht der Sinn danach, ein Kochbuch zu schreiben. Grundlage für die beiden Kurzgeschichten, die ich hier veröffentliche, ist meine Angewohnheit, in Seniorenforen ausführlich über unsere Kochgewohnheiten zu berichten. Diese Angewohnheit führte dazu, dass ich einige Male nach Rezepten gefragt wurde.
Da mir die Veröffentlichung eines Kochrezepts zu simpel erschien, habe ich die Rezepte jeweils mit einer Kurzgeschichte kombiniert. Ich will auch niemand weiter mit meinen Ergüssen über das Essen langweilen, so bleibt es bei zwei Rezepten und den Anfang macht das Rezept für Graupensuppe.
Die Vorlieben beim Essen entwickeln sich in der frühen Kindheit, so habe ich es zumindest irgendwann gelesen und ich finde das einleuchtend. Nun, meine frühe Kindheit ist in der Kriegs- und Nachkriegszeit zu verorten. Welche Geschmackserlebnisse aus dieser Zeit für meine heutigen Vorlieben beim Essen verantwortlich sind, ist auf den ersten Blick nicht so einfach auszumachen. Aber Mutter und Oma waren geübte und einfallsreiche Köchinnen. So gab es immer wieder Gerichte, die sich in mein Geschmacksgedächtnis eingeprägt haben. Es gibt Rezepturen, an die ich mich mit Schaudern erinnere, andere dafür lösen noch heute angenehme Gefühle bei mir aus. Dann gibt es auch noch Rezepturen, die bei mir ambivalente Gefühle auslösen.
Das typisch ambivalente Gefühl löst Spinat bei mir aus. Spinat an und für sich mochte ich – na ja, damals war er bitterer als heutzutage, aber viel lieber mochte ich den Spinatersatz – Brennnessel. Verdorben hat mir den Spinat oder auch den Spinatersatz, dass das Gemüse durch den Fleischwolf gedreht wurde und es standardmäßig Spiegelei dazu gab. Wenn sich das Eidotter nach dem Anschneiden über das Gemüse und die grüne Flüssigkeit, die sich auf dem Grund des Tellers bildende, ergoss, fand ich das irgendwie eklig. Das Problem hat sich mit den Jahrzehnten von selbst gelöst – wenn wir Spinat kochen, gibt es Blattspinat, da macht das Eidotter kein Problem. Meist gibt es den Spinat bei uns aber sowieso ohne Ei. Die schauderhaften Rezepturen sind schnell abgehandelt, es gibt auch nicht so viele. Ich nenne als Beispiel – Maisbrot und Sagosuppe. Der pappige Geschmack dieses klebrigen Brotes verfolgt mich noch heute und das glibberige Sago in der Suppe; nee, das ist nichts für mich. Dann die Rezepturen der angenehmen Gefühle, diese haben sich tief in mein Geschmacksgedächtnis eingegraben, sie zu beschreiben, lässt mir das Wasser im Munde zusammen laufen…
Da ich nicht vorhabe ein Kochbuch zu schreiben, handelt meine Geschichte im Folgenden fast ausschließlich von einem meiner Lieblingsgerichte, oder besser dem Lieblingsgericht. Es gäbe etliches über das ich schreiben könnte, ich nenne einige Beispiele, ohne die meine Erzählung unvollständig wäre, Pillekuchen – ein Pfannenkuchen auf Kartoffelbasis, Sauerkrautauflauf, Nudelauflauf mit Spinat, Rotkohl, Wirsingeintopf, saure Bohnen, Fisch in diversen Zubereitungen. Die Liste weiter zu vervollständigen würde meine Leser ermüden, so ende ich einfach hier und überlasse meine Leser ihren eigenen Leibgerichten. Ein Gericht überragt aber alle anderen Gerichte, es ist das Highlight unter allen mir bekannten Speisen, es ist die Graupensuppe! Einfach meine Leibspeise.
Graupensuppe löst bei Menschen meiner Generation die unterschiedlichsten Gefühle aus, das weiß ich. Es gibt Menschen, die schwärmen von Graupensuppe, wir hatten sogar schon Gäste, die sich Graupensuppe von uns als eine Art Festessen gewünscht haben. Oft treffe ich aber auf Menschen, die verziehen das Gesicht zu einer Grimasse von schmerzhaft bis ekelerfüllt, wenn ich auch nur das Wort Graupensuppe erwähne. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang gerne an meine, inzwischen leider verstorbene, Freundin Renate. Die erschauderte schon dann, wenn ich das Wort in einer Mail an sie verwendete. Ihr kräuselten sich sinnbildlich die Fingernägel. Den Abscheu dieser Menschen kann ich sogar nachvollziehen, zumindest teilweise. Wenn Graupensuppe nicht mit Liebe und Gefühl zubereitet wird, ergibt der Kochvorgang einfach nur eine klebrige Brühe. Graupen muss man einfach liebevoll und mit Respekt behandeln. Nichtsdestotrotz, ich würde für dieses Gericht auf das Recht des Erstgeborenen verzichten. Ich kann also Esau verstehen. Nun ja, bei ihm war es ein Linsengericht, vielleicht kannte er aber auch keine Graupensuppe, oder seine Mutter Rebekka kannte das Graupensuppenrezept unserer Familie nicht, oder sie nahm sich nicht die Ruhe und die Zeit, die die Zubereitung dieser Suppe erfordert. Und da es bei uns groß nichts zu erben gab, wäre das Erstgeburtsrecht eh nicht viel wert gewesen.
Das Rezept für Graupensuppe wird in unserer Familie vererbt. Eine Erbfolge wird dabei nicht eingehalten und außerdem ist es jeder Generation erlaubt, das Rezept nach eigenem Gutdünken zu verändern. Die jüngere Generation lässt sich im Allgemeinen bekochen, wenn sie Appetit auf Graupensuppe hat. Zu Zeiten, da meine Mutter noch leistungsfähig war und meine Frau und ich beruflich stark gefordert waren, haben wir uns im Fall Graupensuppe auch gerne bekochen lassen. Das ist jetzt gefühlte Jahrhunderte vorbei, aber inzwischen sind wir die Alten und haben eine Tochter, die ein Fan der Graupensuppe ist. Das Bekochen ist in diesem Fall schwierig, dank des weit entfernten Wohnorts unserer Tochter, aber dazu später. Als meine Mutter vor einigen Jahrzehnten starb und wir dadurch die Meisterin der Graupensuppe verloren, mussten wir selbst an den Kochtopf. Wir haben damit begonnen, das mündlich überlieferte Rezept eins zu eins umzusetzen. Als wir mit dem Ergebnis unserer Kochkunst zufrieden waren, haben wir variiert. Zuerst nur vorsichtig, wir haben etwas Knoblauch hinzugegeben oder auch Majoran. Später dann kam uns die Idee, die Arbeit zu rationalisieren. Wir waren schließlich beruflich stark gefordert. Und so machten wir uns daran, größere Portionen der Suppe zu kochen, schließlich macht eine größere Menge Suppe kaum mehr Arbeit. In einem zweiten Schritt begannen wir damit, die erforderliche Fleischbrühe am Tag vor der Zubereitung der Graupensuppe im Dampfkochtopf zuzubereiten. Das macht außer dem Spülen des Topfes kaum Arbeit, ließ sich von daher leicht am Abend nach der Arbeit, während wir gemütlich auf der Couch saßen, bewerkstelligen.
Der Tag der Zubereitung der Suppe war eigentlich immer ein Samstag oder Sonntag. Da hatte meine Frau zumindest am Sonntag frei, ab und zu auch samstags und ich hatte glücklicherweise keine Kunden am Telefon. Gemeinsam würfelten wir die Möhren, die Sellerie, die Zwiebel und den Speck, schnitten den Porree in Scheiben, schälten und würfelten die Kartoffeln. Währenddessen hatte meine Frau bereits einen Topf mit Fleischbrühe und Graupen auf dem Herd zum Kochen gesetzt. Sobald die Brühe zum Kochen kam, wurde ich von meiner Liebe freundlich aber bestimmt der Küche verwiesen. Ich widmete mich dann meist der Wohnungskosmetik oder wenn es arg drängte, dann setzte ich mich vor den Computer und arbeitete. Nach einer knappen dreiviertel Stunde wurde ich wieder in die Küche beordert, um das fertige Produkt abzuschmecken. Ganz zum Schluss, wenn wir nach dem Abschmecken zufrieden mit dem Ergebnis waren, probierten wir noch einmal gemeinsam, klopften uns sinnbildlich gegenseitig auf die Schultern, ob unserer Leistung. Später, als wir in das Rentenalter kamen, perfektionierten wir den Kochvorgang und das Rezept weiter. Wir konnten uns vor allem mehr Zeit nehmen und da wir auch fauler wurden, verdoppelten wir noch einmal die Suppenmenge. Nebenbei kam uns die Idee, schon der Brühe Suppengrün beizugeben. So kauften wir von allen Zutaten die doppelte Menge, gaben die Hälfte des Suppengrüns mit dem Fleisch in den Dampfkochtopf und erhielten nach nicht einmal einer Stunde eine Fleischbrühe, die ohne weiteres als fertige Fleischsuppe serviert werden konnte. Wir zweigten also fortan etwas von der Brühe ab – so einen halben Liter etwa –, um diesen Teil der Brühe zur späteren Verwendung einzufrieren. Sonst änderte sich nicht viel – außer der Menge Graupensuppe, die wir erzeugten. Große Teile davon wanderten in den Gefrierschrank, ein Teil wurde weiterhin sofort verzehrt. So ist es bis heute geblieben, immer noch beginnt Graupensuppe mit einem Großeinkauf.
Durch unsere rege Reisetätigkeit kamen und kommen wir oft zu unserer Tochter, entweder um uns vor der Weiterreise auf die Iberische Halbinsel auszuruhen oder um dort längere Zeit zu verweilen. Insbesondere dann, wenn wir zum längeren Verweilen anreisen, schlägt unsere Stunde beim Bekochen der Tochter. Unsere Tochter kocht zwar viel besser, als wir selbst, schließlich kocht sie in der Profiklasse. Aber, auch Köchinnen lassen sich offensichtlich gerne von den Eltern bekochen. So kam uns die Idee, auf unsere eingefrorene Graupensuppe zurückzugreifen. An den Tagen vor der Abreise wird eingehend die Wettervorhersage entlang der Fahrstrecke begutachtet. Zu große Wärme darf nicht herrschen, die Suppe soll möglichst lange gefroren bleiben und das für zwei Tage. Stimmen die Wetterdaten, werden am Morgen der Abreise zwei wohl gefüllte Plastikbehälter mit Graupensuppe direkt aus dem Gefrierschrank in die Kühlbox befördert. Um sicherzugehen, werden diverse Kühlakkus dazu gelegt. Angekommen am Ziel wird die Kühlbox geöffnet, die Suppe ist noch gefroren, unsere Berechnungen haben sich wieder einmal bestätigt, wir sind zufrieden. Schiefgegangen ist der Transport bisher noch nie, die kurzfristige Wettervorhersage ist eben inzwischen zumindest für einen Zeitraum von zwei Tagen ausgesprochen zuverlässig. Zum Abend wird die Suppe dann erwärmt, recht pünktlich erscheinen Tochter und ihr Mann. Das Wiedersehen wird ausgiebig bei Graupensuppe gefeiert.
Ich gebe es gerne zu und bitte mich zu nicht verraten. Dass Tochter bekocht wird, hat einen weiteren Grund. Es ist toll, wenn unsere Tochter kocht. Wirklich, was sie kocht, ist göttlich. Was zurück bleibt, ist eine verwüstete Küche, deren Reinigung, am Tag darauf, den Eltern, große Mühe macht. So ist das Bekochen auch unserer Faulheit geschuldet. Da aber unsere Zeit endlich ist, nähern wir uns unaufhaltsam dem Zeitpunkt, ab dem wir nicht mehr reisen können. So wird unsere Tochter unser Geheimnis auf jeden Fall erfahren, denn ich hänge das Familienrezept an diese Erzählung an. So wird sie, sobald unsere Reisen enden, über das Rezept verfügen. Ich bin damit der Erste in der Reihe der Generationen, der das Rezept in schriftlicher Form weitergibt, da es sicherer ist, als auf mündliche Weitergabe zu vertrauen und es ist ja schließlich kein Geheimrezept. Da nicht jeder Haushalt über einen Dampfkochtopf verfügt, habe ich für das Rezept die traditionelle Zubereitungsweise gewählt.
Zutaten
250 gr Perl-Graupen mittelfein
1 kg Suppenfleisch mit Knochen (Rind oder Hammel. Huhn geht auch)
¼ Knollensellerie
1 Stange Porree
1 Möhre
4-5 Festkochende Kartoffeln
1 Zwiebel
1 Stück Geräucherten, durchwachsenen Speck
1 geräuchertes Mettwürstchen pro Person
Salz
Schwarzer Pfeffer aus der Mühle
Muskatnuss
Wahlweise Majoran
Wahlweise feingehackte Knoblauchzehen (ca. 2-3)
Zubereitung
Aus dem Suppenfleisch ca. 1 ½ Liter Fleischbrühe zubereiten.
Knollensellerie und Möhre würfeln.
Porree in Ringe schneiden.
Graupen und Gemüse ca. 15-20 Minuten in der Fleischbrühe köcheln (ab und zu umrühren, damit die Graupen nicht ansetzen). Wenn die Suppe zu dickflüssig wird, mit Wasser verdünnen.
Nach ca. 7 Minuten die Mettwürste dazu geben.
Kartoffeln schälen, fein würfeln und kochen.
Speck auslassen und die feingehackte Zwiebel darin dünsten.
Wurst und Fleisch aus der Suppe nehmen.
Speck, Zwiebel, Kartoffeln, feingehacktes Knoblauch und Majoran in die Suppe geben.
Mit Salz, Pfeffer und Muskat abschmecken.
Würste nach Belieben ganz oder in Scheiben wieder zur Suppe geben.
Diese Menge reicht uns für ca. dreimaliges Suppenessen. Die Suppe lässt sich problemlos zwei Monate und länger im Gefrierschrank aufbewahren.
Zur Geschmacksverstärkung! Suppe einen Tag im Kühlschrank aufbewahren und aufgewärmt servieren.
Ich hoffe, ich haben nichts vergessen.
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