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Kapitel: | 7 | |
Sätze: | 1.001 | |
Wörter: | 23.822 | |
Zeichen: | 144.991 |
Tyler
Wie ferngelenkt fiel sein Blick immer wieder auf die große Anzeigentafel, die an der Wand der Eingangshalle befestigt war. Die gleichen Zahlen und Buchstaben, wie gehabt. Es gab nichts Neues zu sehen. Egal, wie oft er hinschaute, die einzige Information, die ihn interessierte, veränderte sich nicht. Munich - Arrival 7:48 Uhr. Gate 7. Als wäre die Zeit stehengeblieben. Oder hätte sich zumindest unnatürlich verlangsamt. Auch die Zeiger der altmodisch analogen Uhr, die direkt neben dem Flugplan angebracht worden war, schienen stillzustehen. Seufzend holte er sein Handy aus der Innentasche seiner Jacke, überprüfte die Uhrzeit, aber sie stimmte nach wie vor mit der großen Uhr an der Wand überein. 7:20 Uhr. Nichts zu machen. Noch 28 Minuten.
Tyler steckte sein Smartphone zurück in die Jacke. Ihm fiel auf, dass seine Finger zitterten. Sein Herz klopfte härter als sonst. Er war nervös. Das passierte ihm nicht allzu oft, aber das Warten erschien ihm unerträglich. Fast bereute er es schon, dieses merkwürdig unvorhersehbare Arrangement überhaupt getroffen zu haben. Es hatte ihn eine Stange Geld gekostet, aber darum ging es gar nicht. Vielmehr war es die innere Aufregung, die ihm mittlerweile mehr zu schaffen machte, als er erwartet hatte. Er konnte nicht hundertprozentig abschätzen, wer oder was auf ihn zukommen würde, wenn das Flugzeug aus München erst mal gelandet war.
Nun gut, alles Menschenmögliche war schon im Voraus geregelt worden. Die Frauenstimme am Telefon hatte ihm tausende, teils höchst intime Fragen gestellt, nach seinen Vorstellungen und Wünschen, seinen sexuellen Vorlieben und Abneigungen, Erwartungen und Zugeständnissen. Es war ein gänzlich unangenehmes Telefongespräch gewesen. Viele der Antworten hatte er eigentlich nicht geben wollen, waren sie doch reichlich persönlich. Es war ihm schwergefallen, den Sinn dieses Interviews einzusehen, hatte er doch im Internet auf der Seite der Agentur längst seine Auswahl getroffen und nach reichlicher Überlegung seine Häkchen gesetzt. Letztendlich war er aber bereit einzuräumen, dass diese Peinlichkeit vielleicht nötig war, wollten sie ihm seine geheimsten Wünsche so exakt wie möglich erfüllen.
Trotzdem war der Typ, auf den er hier mit hämmerndem Herzen wartete, nicht seine erste Wahl gewesen. Ärgerlicherweise hatte der von ihm zuerst bevorzugte Mann sich schlicht geweigert, die weite Reise auf sich zu nehmen, hatte es rundweg abgelehnt, sich für ihn in ein Flugzeug zu setzen, um ihm ein Wochenende lang gefällig zu sein. Nach dieser peinlichen Abfuhr hatte ihn beinahe schon der Mut verlassen. Eine ganze Woche hatte es gedauert, bis er einen zweiten Versuch gestartet hatte, weil ihn diese Chance auf eine neue, spannende und hoffentlich befriedigende Erfahrung einfach keine Ruhe gelassen hatte.
Frustriert schnaufend stand Tyler auf. Er konnte unmöglich noch länger auf dieser harten Plastikschale sitzen, die unverschämter Weise im Wartebereich der Eingangshalle angeboten wurde. Sein erneuter Kontrollblick auf die Anzeigetafel verriet ihm, dass wahrhaftig erst eine einzige Minute vergangen war. Wie sollte er das noch länger aushalten? Er wunderte sich über sich selbst. Normalerweise war er gar nicht so ungeduldig. Als Besitzer der angesagtesten In-Kneipe der Stadt war er es gewohnt zu warten. Darauf, dass die restlos betrunkenen Kunden es schafften ihr Portemonnaie herauszuholen und ihr Kleingeld zu zählen, um ihre ausgereizten, verknitterten Verzehrkarten zu bezahlen. Auf die neuen Lieferungen aus der Großhandlung, die sich grundsätzlich verspäteten. Bis der letzte Gast tief in der Nacht seine Kneipe verließ und er endlich Feierabend machen konnte. Darauf, dass die fast immer endlos erscheinende Nacht verging und er endlich aufstehen konnte, um sich in die Arbeit zu stürzen. Eigentlich wartete er ständig. Auf die monatlichen Abrechnungen seiner weit verstreuten Mitarbeiter, die sich damit gerne allzu viel Zeit ließen, in der Schlange vor der Kasse im Supermarkt, darauf, dass das lang ersehnte Konzert, für das er schon Monate vorher Karten für sich besorgt hatte, endlich losging.
Tyler Jonas war ein vielbeschäftigter Mann. Für eine ernsthafte Beziehung hatte er nie Zeit gehabt, hatte seine Prioritäten bewusst woanders gesetzt, nämlich darauf, in kurzer Zeit so viel wie möglich zu lernen und zu arbeiten, damit er genug Geld verdienen konnte, um finanziell unabhängig zu werden, so wie es ihm seine Eltern von Klein auf nahegelegt hatten. Er war ein folgsamer Sohn gewesen, hatte nie Ärger gemacht, sich nie aufgelehnt, immer darauf vertraut, dass sein Eltern schon wissen würden, was das Beste für ihn war. Lange hatte er versucht, die seltsamen Gefühle tief in sich zu verdrängen, die ihm im Laufe seiner Jugend immer deutlicher bewusst geworden waren, ihn von den anderen, „normalen” Menschen abzugrenzen schienen und ihn zunehmend belasteten. Er wollte nicht anders sein, konnte aber trotz all seiner Bemühungen nicht aus seiner Haut. Irgendwann hatte er einsehen müssen, dass ihm keine Wahl blieb, als seinen ureigenen Bedürfnissen zu folgen, wollte er nicht emotional verkümmern. Mit seinem Outing zum Anfang seiner Studienzeit war dann auch tatsächlich das passiert, was er immer befürchtet hatte. Das Verhältnis zu seinen Eltern hatte sich rapide verschlechtert, und nach seinem Studium eröffnete er zum Schrecken aller auch noch diese unsägliche LGBTQ-Kneipe, die sein Vater unerträglich fand, und mit der er seiner Meinung nach die ganze Familie in Verruf brachte. Seine Eltern würden ihm seine Homosexualität wahrscheinlich niemals verzeihen.
Zum Glück hatten sich seine beruflichen Hoffnungen trotzdem erfüllt, und fraglos hatte er auch sehr hart dafür gearbeitet. Das mon petit galt mittlerweile als die erste Gay-Location der Stadt. Jeden Abend war sein Laden proppenvoll, die Stimmung ausgelassen und die Community gab sich die Klinke in die Hand. Sein ganzes, in mühevoller Kleinarbeit erdachtes Konzept hatte sogar so gut funktioniert, dass es ihm möglich geworden war, auch in den Nachbarstädten Kneipen mit seinem Namen zu eröffnen, die dankenswerterweise alle recht rentabel waren. Tyler war mit viel Fleiß und Zielstrebigkeit in seiner Welt angekommen.
Natürlich hatte es im Laufe der Jahre auch für ihn schon viele Angebote gegeben und zweifellos hatte er sich reichlich ausgetobt. In seiner Szene herrschte diesbezüglich ein gewisser Druck. Es galt als normal und erwünscht, sich ungehemmt auszuleben. Alle waren jung und immer sexuell potent und es gab keine Regeln oder Beschränkungen, wer mit wem Spaß zu haben vermochte. In der aufregenden Anfangszeit hatte Tyler da nichts anbrennen lassen. Aber inzwischen ödete ihn diese Szene nur noch an. Sie bot keine Verlockungen mehr für ihn. Tief drinnen sehnte er sich nach etwas anderem. Außerdem hatte er sich inzwischen eine derart hohe soziale Stellung erkämpft, dass er sich nicht mehr ohne Bedenken in fremde Abenteuer stürzen konnte. Das Risiko, mit schlechten Schlagzeilen in einer Zeitung zu landen oder auf irgendeine Art ausgenutzt zu werden, war einfach zu groß geworden.
Ruhelos lief er in der riesigen Eingangshalle auf und ab. Um ihn herum hasteten Menschen auf unsichtbaren Pfaden, die meisten zogen einen oder mehrere Rollkoffer hinter sich her, waren mit Taschen und Tüten beladen, offensichtlich irgendwohin unterwegs. Jeder schien einem festgelegten Ziel entgegenzustreben, nur er war zum rastlosen Warten verdammt. Für ihn, den erfolgreichen Geschäftsmann, war das schwer hinzunehmen, denn er war es gewohnt, immer etwas zu tun zu haben, überall gebraucht zu werden. Arbeit half ihm sich abzulenken, hielt ihn davon ab, zu genau nachzudenken, über sein Leben, seine Einsamkeit, die ihn vorzugsweise in den Nächten überfiel, und darüber, ob er eigentlich in seinem Leben alles richtig gemacht und erreicht hatte, wovon er immer geträumt hatte.
Eine Minute war vergangen, als er das nächste Mal die große Anzeigentafel überprüfte. Noch 27 Minuten. Der fremde Mann, auf den er hier gezwungen wurde zu warten, war 28 Jahre alt und damit vier Jahre jünger als er. Aus irgendeinem Grund steigerte dieser Altersunterschied Tylers Nervosität, obwohl er sich bewusst für einen jüngeren Mann entschieden hatte. Er erwartete jemanden, der längst nicht so reif und vernünftig war wie er, wünschte sich einen möglichst wilden, ungezähmten Jungen, der sich auf alles einlassen würde, weil er das Risiko und die Aufregung liebte. Zumindest war das sein Eindruck von dem Kerl gewesen, glaubte er auf dem Foto der Agentur erkannt zu haben. Er vermochte seine Entscheidung nicht genau zu begründen, konnte nicht sagen, was an dem Internetprofil ihn genug interessiert hatte, um gerade diesen Mann zu buchen. Vielleicht war es einfach seine Bereitschaft zu dieser Reise gewesen, seine schwarzen, rätselhaften Tattoos, die überall auf seinem nackten Körper zu finden waren, die Tatsache, dass er auf dem Foto nicht lächelte, oder das außergewöhnliche Grau seiner Augen.
Tyler hatte den Mann erst nach reichlicher Überlegung gewählt, so wie er alles zuerst gründlich überdachte, bevor er eine Entscheidung traf. Dieses Vorgehen war ihm in die Wiege gelegt und im Laufe der Jahre verfestigt worden. Zweifellos hatte seine Umsicht ihm dabei geholfen, seine beruflichen Ziele ohne größere Probleme zu erreichen. Ja, im Job lief es richtig gut für ihn. Sein Freundeskreis war groß. Er hatte keinen Grund sich zu beschweren. Und doch gab es da diese andere Seite, die ganz persönliche, die ihn in der letzten Zeit immer stärker gestochen hatte, das private Bedürfnis nach sexueller Erfüllung, was er, wenn er ehrlich war, noch nie in seinem Leben hatte kosten dürfen. Wahrscheinlich war es vermessen von ihm zu erwarten, dass ausgerechnet ein mit Geld gekaufter Partner ihm diese Erfüllung geben konnte, aber einen Versuch war es allemal wert, fand Tyler. Zumindest war er so gleich von Anfang an in einer Position, seine Wünsche offen einzufordern, weil der andere schon wusste, was von ihm erwartet wurde. Es würde kein peinliches Vorgeplänkel nötig sein, Eifersüchteleien oder Missverständnisse waren ausgeschlossen. Diese völlig neue Voraussetzung und seine überlegende Position hatten ihn zugegebenermaßen enorm gereizt.
Eine Agentur aus der Nähe seiner Stadt im Ruhrgebiet war für Tyler allerdings von Anfang an nie in Frage gekommen. Viel zu groß war die Gefahr der Entdeckung, dass er zufällig an jemanden geriet, der ihn vielleicht aus der Schule, dem Studium oder auch nur in seiner Rolle als Barbesitzer kannte, und das wollte und konnte er nicht riskieren. Also hatte er eine Stadt gewählt, die so weit wie möglich von seiner Heimat entfernt lag, war im Internet auf die Suche nach auswärtigen Agenturen gegangen, zufällig in München gelandet, schnell fündig geworden, hatte alles haarklein arrangiert, die beträchtliche Summe pünktlich überwiesen, und nun stand er hier. Noch 26 Minuten. Dann würde das Flugzeug laut Anzeige endlich landen und hoffentlich denjenigen mitbringen, auf dem blöderweise alle seine intimsten Hoffnungen lagen. Vielleicht war er wirklich nichts weiter als ein hoffnungsloser Dummkopf.
Aufgewühlt lief Tyler zu den Kaffeeautomaten, die er an der hinteren Wand der Eingangshalle entdeckt hatte, holte aus seiner Hosentasche einen Euro und warf die Münze in die dafür vorgesehene Öffnung. Dann stand er eine lange Weile vor dem Kasten, schaute sich ausführlich die aussagekräftigen Fotos der verschiedenen Kaffeesorten an und traf konzentriert und wohlüberlegt seine Entscheidung. Tyler war müde, erst vor fünf Stunden hatte er das mon petit abgeschlossen, um nach Hause zu fahren. Trotzdem sollte er nicht zu viel Koffein konsumieren, dachte er, denn das würde ihn mit Sicherheit nur noch nervöser machen. Stattdessen brauchte er lediglich einen kleinen Muntermacher, etwas, das ihm die kommenden, unverändert endlos erscheinenden Minuten versüßen konnte. Schließlich wählte er einen Cappuccino, drückte die entsprechende Taste und sah ungeduldig dabei zu, wie der Pappbecher herunterfiel und das heiße Getränk automatisch eingefüllt wurde. Nach Beendigung des Vorgangs holte er sich seinen Becher, verbrannte sich fluchend die Fingerspitzen und sah sich unzufrieden nach einer anderen Sitzmöglichkeit als den Hartschalen um, auf denen er bisher gesessen hatte. Suchend lief er ein wenig in der Halle herum, trank seinen Cappuccino und fand ihn fürchterlich. Dennoch trank er den ganzen Becher leer, entsorgte die Pappe in einem Papierkorb, hatte ein schlechtes Gewissen wegen der Umwelt und strebte danach mangels gefundener Alternativen nur ungern nochmal den Sitzplatz an, den er schon kannte. 22 Minuten.
Sobald er sich auf das unbequeme Plastik gesetzt hatte, holte er wieder sein Handy aus seiner Jacke und ließ das Display mit einem Fingerwisch erwachen. Gezielt wählte er die Seite der Agentur in München und klickte sich weiter bis zu dem einen Mitarbeiterprofil, das er schon vor drei Wochen aus ganz verschiedenen Angeboten ausgewählt hatte. Zum wahrscheinlich tausendsten Male schaute er sich das Foto des Mannes an, der irgendwas an sich hatte, um seine Neugier genug zu erwecken und seine Geldbörse sehr weit zu öffnen. Der Name des Mannes war angeblich Draven, aber Tyler ging davon aus, dass es sich dabei um ein Pseudonym für die Arbeit handelte. Natürlich würde er den Kerl so ansprechen und auch niemals nach seinem richtigen Namen fragen. Das gehörte nicht zu ihrem Arrangement, was sich laut Vertrag ausschließlich auf sexuelle Kontakte beschränken sollte.
Der Gedanke, schon bald mit Draven intim werden zu können, ohne lästige Vorarbeit leisten zu müssen oder dabei ein unkalkulierbares Risiko einzugehen, ließ ihn schon jetzt ganz kribbelig werden. Er hatte sehr genaue Vorstellungen davon, was in seinem Schlafzimmer passieren sollte, sobald er es mit dem Mann an seiner Seite betreten würde. Vom Flughafen aus würde er auf direktem Weg zu seinem Haus fahren und sofort loslegen. Tyler Jonas fühlte sich ausgehungert. Sein letzter Orgasmus war schon ziemlich lange her, auch hatte er ihn seit mindestens einem Jahr ausschließlich selbst herbeigeführt, was zwar körperlich befriedigend, seelisch jedoch enorm belastend für ihn geworden war. Nach jedem Abspritzen hatte er sich einsamer gefühlt, sodass er schließlich immer seltener masturbiert und es irgendwann ganz bleiben gelassen hatte. Seit etlichen Monaten hatte er sich nicht mehr befriedigt, hatte sich erfolgreich mit seiner Arbeit abgelenkt, aber wenn er ehrlich war, konnte er den ersehnten Sex mit einem anderen Körper inzwischen kaum noch erwarten.
Sein Blick wanderte verstärkt interessiert über Dravens nur mit einer schwarzen Boxershorts verhüllte Gestalt. Der risikofreudige Typ aus München war schlank und beneidenswert durchtrainiert, das musste man ihm lassen. Sein Körper war attraktiv, die helle Haut übersät mit schwarzen Tattoos, mit deutlichen Konturen, langen Gliedmaßen, einem flachen, klar definierten Bauch und einem hübschen, derart zarten Gesicht, das ihn beinahe weiblich erscheinen ließ. Ja, das war es. Draven war unbestreitbar hübsch. Das war das Erste gewesen, was ihm in den Sinn gekommen war, als er ihn nach etlichen offensichtlichen Nieten plötzlich entdeckt hatte. Seine Miene war beruhigend neutral. In Dravens Gesicht fehlte dieses berechnende, frivole Lächeln, das all die anderen Männer auf ihren Bewerberfotos offen zur Schau trugen. Dravens Gesicht war irritierend gleichgültig, beinahe wirkte es gelangweilt. Er bemühte sich nicht auffallend darum, beim Betrachter einen möglichst geilen und willigen Eindruck zu erwecken.
Tyler begriff, dass es genau dieses kleine Detail gewesen war, das ihn letztendlich zu seiner Entscheidung veranlasst hatte. Sie war ihm sofort ins Auge gestochen, diese rätselhafte Unberührtheit, als wäre es nicht ein Foto einer Agentur, die Männer für sexuelle Dienste anbot, sondern eine private Aufnahme dieses Menschen. Tyler schaute dem Typen auf dem Bild in die Augen, die, sicherlich aufgrund der vorteilhaften Belichtung und der nachträglichen Bildbearbeitung, ein erstaunlich intensives Grau aufwiesen. Fast wirkten Dravens Augen, als wären sie von silberner Farbe. Sein Haar war im krassen Kontrast dazu pechschwarz, relativ kurz, und stand rebellisch nach allen Seiten ab, was ihm diesen jugendlichen Charme verlieh, der Tyler magisch anzog.
Sein Herz begann verstärkt zu klopfen, als er sich unwillkürlich in allen Einzelheiten ausmalte, was er mit diesem Menschen auf dem Foto tun würde, sobald sie nur endlich in seinem Haus angekommen wären. Der geile Kerl wusste genau, was auf ihn zukam, er hatte sein Einverständnis sogar schriftlich gegeben, also waren keinerlei Probleme zu erwarten. Sie hatten über die Agentur einen einvernehmlichen Vertrag geschlossen, und Tyler hatte sich seine fast uneingeschränkte Dominanz über Draven ziemlich teuer erkauft. Der Erfüllung all seiner geheimsten und intimstem Wünsche stand heute nichts mehr im Wege.
Als ihm das plötzlich richtig bewusst wurde, überkam ihn mit einem Mal eine mächtige Woge der Erregung, die ihm geradewegs in die Weichteile hineinfuhr und seinen Penis unverzüglich anschwellen ließ. Nervös presste Tyler die Knie zusammen, holte tief Luft, spannte seine Muskeln an und ärgerte sich. Das fehlte ihm noch! Dies war weder der richtige Ort noch die Zeit, um eine Erektion zu haben. Außerdem drückte ihn das harte Organ unangenehm in seiner engen Chino. Er sollte sich dringend beruhigen und nicht so voreilig sein, schalt er sich, später wäre noch Zeit genug, um sich den körperlichen Freuden zu widmen. Wütend wischte er das aufregende Foto von Draven vom Display und ließ sein Handy in der Innentasche der Jacke verschwinden. 16 Minuten noch. Kurzentschlossen stand er auf. Es wurde Zeit, sich zum Gate 7 zu begeben, um den Mann aus München direkt in Empfang zu nehmen. Natürlich würde er ihn sofort erkennen. Er hatte sich das zarte Gesicht ganz genau eingeprägt.
Draven
„Sir?” Plötzlich spürte er eine leichte Berührung an seiner Schulter. Erschrocken riss er die Augen auf und fuhr aus der halbwegs liegenden Position hoch. Neben ihm im Gang stand eine freundlich lächelnde Stewardess in akkurater Uniform. Sie beugte sich zu ihm herunter und deutete auf die Enden seines Sicherheitsgurtes, der rechts und links unten an seinem Sitz befestigt war. „Bitte schnallen Sie sich an, Sir. Wir landen in wenigen Minuten”, informierte die Frau ihn mit ruhiger Stimme. „Bringen Sie mir bitte noch einen Whiskey?” fragte er die Bedienstete schnell. Sie nickte, lächelte nochmal aufmunternd, richtete sich auf und ging durch den engen Mittelgang zwischen den Sitzreihen davon. Draven fand die Stewardess sympathisch. Die Frau war noch jung und er bemerkte, dass sie eine auffallend gute Figur hatte. Eine Minute lang blieb sein Blick auf ihrem Hintern kleben, der in ihrem engen Kostüm verlockend weich und rund aussah und beim Laufen aufreizend hin und her schwang. Draven spürte eine leichte Erregung in sich aufkommen. Viel zu schnell war die Stewardess am Ende des Ganges hinter einem Vorhang verschwunden.
Er seufzte und rieb sich müde über die Augen. Dann strich er mit den Fingern über sein Gesicht, im Bemühen richtig wach zu werden. Er registrierte eine feuchte Spur aus Spucke auf seiner Haut und wischte sie verlegen weg. Langsam wurde ihm klar, dass er eingeschlafen war, und das ärgerte ihn. Eigentlich hatte er das nicht vorgehabt, sondern wollte den ersten Flug seines Lebens von Anfang bis Ende bewusst genießen. Doch die bleierne Müdigkeit hatte ihn dummerweise ziemlich schnell übermannt, sodass er vom Fliegen nicht viel mitbekommen hatte. Er hatte noch nicht mal das verlockende Display untersucht, das hinten an der Lehne seines Vordermannes befestigt war und womöglich interessante Filme oder das Internet bereithielt. Nun war es zu spät, um sich mit den technischen Möglichkeiten in seiner direkten Umgebung zu beschäftigen. In wenigen Minuten würde das Flugzeug in Düsseldorf landen. Grimmig nahm er sich vor, das Versäumte auf jeden Fall auf dem Rückflug nachzuholen.
Draven seufzte nochmal und tastete fahrig nach dem Gurt an seinen Hüften, um sich wie befohlen anzuschnallen. Es fiel ihm überraschend schwer, seine übermüdeten Finger richtig zu koordinieren, darum war das lästige Anschnallen gar nicht so einfach. Als die Gurtenden endlich einrasteten, atmete er erleichtert auf und sank erschöpft zurück gegen die Rückenlehne seines Sitzes. Dies war definitiv nicht seine Uhrzeit. Für Draven Lindfort war es viel zu früh am Tag. Das verdammte Flugzeug war bereits um 6:30 Uhr von München aus gestartet, und er hatte wahrhaftig schon zwei Stunden früher am Flughafen sein müssen. Zum Glück hatte Julie mit ihrem frühmorgendlichen Anruf dafür gesorgt, dass er entgegen seiner Gewohnheiten rechtzeitig aus dem Bett gekommen war. Sie hatte ihn damit tatsächlich geweckt und hatte ihn praktisch bis zum Einchecken am Flughafenschalter pausenlos angerufen. Ohne Julie, die ihn mittlerweile zweifellos recht gut kannte, hätte Draven diese Sache wahrscheinlich schon von Anfang an verbockt.
Noch immer hatte er die strenge, unerbittliche Stimme seiner Chefin im Ohr: „Denk daran, Draven, du darfst diesen Kunden auf gar keinen Fall enttäuschen. Der ist für uns mehr als Gold wert. Wenn du richtig gut bist, dann wird der dich mit Sicherheit regelmäßig buchen, das habe ich im Gefühl. Von dem wirst du auch kräftig profitieren, Draven! Das könnte deine Chance werden. Du musst alles tun, damit der Typ mit der Agentur zufrieden ist, hörst du?! Du musst unbedingt pünktlich am Flughafen sein! Zeig dich von deiner besten Seite! Du musst dringend tun, was immer er von dir verlangt! Wehe, wenn du diesen wichtigen Auftrag vermasselst, Freundchen!”
Julie war ungewöhnlich aufgeregt und motiviert gewesen, weil dieser neue Kunde der Agentur angeblich so enorm viel Geld bezahlte, wie sie es noch niemals zuvor erlebt oder auch nur irgendwo gehört hatte. Die sexuellen Wünsche des Fremden hielten sich dabei erstaunlicherweise sogar trotzdem im normalen Rahmen, Draven hatte sie aufmerksam durchgelesen und jedem Punkt ohne Bedenken zugestimmt. Abgesehen von der finanziellen Seite war an diesem Auftrag im Grunde nur außergewöhnlich, dass der Interessent wahrhaftig aus einer Stadt im Ruhrgebiet angerufen und flehend nach einem Mann für ein Wochenende verlangt hatte. Gleich am Anfang des Gesprächs hatte er angeboten, sämtliche Kosten der Reise selbstverständlich zu übernehmen. Laut Julie hatte der Typ am Telefon sich angeblich regelrecht verzweifelt angehört.
Bei dem Gedanken daran musste Draven leise lachen. Der Mann, der in Düsseldorf am Flughafen auf ihn wartete, war schon mit der ersten Summe einverstanden gewesen, die Julie ihm zuerst nur auf gut Glück genannt hatte und dann völlig verblüfft erleben musste, wie der Kunde sofort ohne die geringsten Einwände zustimmte. Offensichtlich war dieser fremde Typ mit den finanziellen Gepflogenheiten dieser Branche nicht vertraut. Die seltene Naivität seines zukünftigen Sexualpartners amüsierte Draven. Der dumme Kerl aus dem Ruhrgebiet war von der überaus geschäftstüchtigen Julie ziemlich eiskalt über den Tisch gezogen worden. Zwar kannte Draven die genauen Summen nicht, um die es da ging, aber er konnte sich denken, dass sie tatsächlich beeindruckend sein mussten, bedachte man Julies explodierte Nervosität. Auch ihm hatte seine Chefin für diesen Job verlockend viel Geld angeboten und zum Teil sogar schon bezahlt, was eigentlich gar nicht üblich war. Darum hatte er auch nicht eine Sekunde lang gezögert den seltsamen Auftrag anzunehmen.
Stolz strich Draven über den Ärmel seiner nagelneuen Jacke. Das anthrazitfarbene Leder sah toll aus und fühlte sich herrlich weich an. Das Kleidungsstück hatte eine hervorragende Qualität, es war sorgfältig verarbeitet worden, war super modern und hatte einen total coolen Schnitt. Es beinhaltete viele praktische Taschen und passte ihm wie angegossen. Angenehm sanft schmiegte das hochwertige Material sich an seinen Oberkörper. Die Lederjacke war das Erste gewesen, was er sich von seinem Vorschuss gegönnt hatte. Schon monatelang hatte er diese wundervolle Jacke im Schaufenster bewundert, aber nie ernsthaft damit gerechnet, sie sich jemals irgendwann leisten zu können.
Und dann war ihm plötzlich von Julie dieser ungewöhnliche Job angeboten worden, von dem er annahm, dass er ihm keinerlei Probleme bereiten würde. Im Gegenteil, das unerwartete Angebot war ihm sofort erfreulich verlockend erschienen. Zum ersten Mal überhaupt durfte er mit einem Flugzeug reisen, was für sich allein gesehen für ihn die Sache schon wert war. Er würde eine fremde Stadt kennenlernen, das Wochenende bei diesem Typen würde mit Sicherheit schnell vorbeigehen, und so einen hohen Stundenlohn hatte er nun mal noch nie in seinem Leben verdienen können. Momentan war Draven vollends zufrieden. Er brauchte sich um das bevorstehende Treffen keine Sorgen zu machen. Es war abgemacht, dass der Kerl ihn am Flughafen abholen würde. Der Fremde hatte sein Foto gesehen und würde ihn daher erkennen können. Zwar hatte Draven den Kunden noch nicht gesehen, aber er war dazu in der Lage, über körperliche Unzulänglichkeiten großzügig hinwegzusehen, wenn er seine intime Arbeit verrichtete. Das war auch oft nötig, denn besonders viele weibliche Kunden schwindelten bei der Angabe ihres Alters das Blaue vom Himmel herunter.
Sein Job in der Agentur war für Draven zwar relativ leicht verdientes Geld, weswegen er ihn von allen Arbeiten am liebsten verrichtete, aber blöderweise konnte er allein auf diese Art seine Unkosten nicht mal im Ansatz decken. Darum war er gezwungen noch andere Jobs anzunehmen. Draven arbeitete zusätzlich in einem Burgerladen, als Hausmeister, Auslieferungsfahrer und Gebäudereiniger, einfach alles, was sich ihm gerade anbot. Leider war das für ihn zwingend notwendig, denn normalerweise wurde er in der Agentur viel zu selten gebucht. Julie zufolge lag das hauptsächlich an dem Foto auf seinem Bewerberprofil, das ihn angeblich allzu gleichgültig und desinteressiert darstellte. Draven wollte das Foto aber trotzdem nicht ändern. Das betont geile, aber gänzlich falsche Lächeln der anderen Männer auf ihren Fotos war ihm schlicht zuwider.
Zu seinem Glück war keiner seiner Arbeitskollegen zu der weiten Reise nach Düsseldorf bereit gewesen. Draven nahm an, dass er nur aus diesem Grund den Zuschlag erhalten hatte. Nun gut, der Kunde hatte seinem Foto zugestimmt. Sie hatten beide den überaus detaillierten Vertrag unterschrieben. Mehr brauchte es nicht. Bestimmt würde alles glattgehen. Seines Wissens nach hatte sich noch nie ein Kunde von so weit außerhalb von München bei der Agentur gemeldet, noch niemals wurde einer von ihnen aus so einer räumlichen Entfernung gebucht, dass wahrhaftig eine Flugreise nötig war, um den Auftrag erfüllen zu können. Zwischen seiner Heimat und seinem Ziel lagen immerhin fast 500 km, die er nun bald hinter sich gebracht haben würde. Wollte er der Stewardess glauben, würde das Flugzeug in wenigen Minuten landen.
Der Gedanke an die unmittelbar bevorstehende Landung machte ihn ein wenig nervös. Draven überprüfte den festen Sitz des Sicherheitsgurtes an seinem Bauch und ließ seinen Blick dann müde durch die nähere Umgebung schweifen. Der frühmorgendliche Flug München – Düsseldorf schien nahezu ausgebucht zu sein. Es überraschte ihn, wie viele Menschen in ein Flugzeug hineinpassten. Der freundlich gestaltete, aber recht triste Innenraum war jedenfalls voll davon. Er sah Personen jeden Alters, die meisten von ihnen saßen stumm auf ihrem Platz, lasen irgendwas oder taten nur so, beschäftigten sich mit ihren Handys oder Tablets, lauschten den Kopfhörern an ihren Ohren, stierten auf den eingebauten Bildschirm der Rückenlehnen oder nur so vor sich hin. Ein paar Kinder in der hinteren Ecke lärmten ausgelassen. Draven konnte sie von seiner Position aus zwar nicht sehen, aber dafür umso besser hören. Genervt von dem schrillen Geschrei, wandte er sich in die andere Richtung.
Leider hatte er keinen Fensterplatz bekommen, darum konnte er nicht richtig aus dem Fenster schauen, was er sehr bedauerte. Er wollte unbedingt mal sehen, wie die Erde von so weit oben wohl aussah und was es da unten von hier aus überhaupt zu sehen gab. Aber von seinem Platz direkt am Gang konnte er durch die vielen kleinen, runden Fenster nur den blauen Himmel und einige weiße Wolken erkennen, sowie einen Teil des silbernen Flügels der Maschine, der in der Sonne glänzte.
Obwohl dieser komische Mann aus dem Ruhrgebiet für seinen Wochenendspaß bereit war so erstaunlich viel Geld auszugeben, hatte er Draven trotzdem nicht die 1. Klasse gegönnt. Darüber ärgerte er sich ein bisschen. Er fand seinen Sitzplatz und die gesamte 2. Klasse ziemlich beengt, die einzelnen Reihen aus dunkelblauen, schmalen Sitzen standen dicht beieinander, seine Knie stießen gegen die Rückenlehne seines Vordermannes. Rechts neben ihm saß ein Mann mittleren Alters im grauen Anzug, der mit einem Kugelschreiber schon die ganze Zeit etwas in einem Notizblock notierte. Wann immer der Mann seine linke Armlehne benutzte, blieb für Draven dort kein Platz mehr, so nah saßen sie nebeneinander. Auf der anderen Seite des Mannes hockte sichtbar verkrampft eine ältere Dame, die unentwegt aus dem Fenster starrte und sich ansonsten nicht bewegte.
„Na, bist du endlich wach?” hörte er plötzlich eine unbekannte Stimme auf seiner linken Seite. Draven drehte den Kopf und erkannte, dass auf dem Sitz neben ihm, nur getrennt durch den schmalen Mittelgang, ein ziemlich attraktives Mädchen saß, das ihn freundlich anlächelte. Die hübsche Kleine war ihm bisher noch gar nicht aufgefallen. Unwillkürlich erschien in seinem Gesicht sein charmantes Flirt-Lächeln. „Ja, ich bin eingeschlafen”, gab er achselzuckend zu, „Das wollte ich eigentlich gar nicht.” „Naja, es ist ja auch noch ziemlich früh am Morgen”, räumte das Mädchen grinsend ein. „Stehst du sonst nicht so früh auf?” wollte sie gleich darauf neugierig wissen. „Eher ungern”, erwiderte Draven und lächelte zufrieden, als das Mädchen daraufhin amüsiert zu lachen anfing. Ihr Lachen war erstaunlich hell, offen und sympatisch. Seine Augen betrachteten die junge Frau ausführlicher. Sie war wohl ungefähr in seinem Alter, blond und blauäugig, trug heiße Shorts und ein enges T-Shirt, unter dem ihre großen Brüste deutlich hervorstachen. Sein Blick erforschte ferngelenkt ihre nackten Oberschenkel und fand sie höchst verlockend.
„Ich bin Sarah”, stellte seine Sitznachbarin sich vor und hielt ihm über den Gang hinweg ihre überraschend kleine Hand hin. Draven ergriff sie sofort und schüttelte behutsam die schmalen, kurzen Finger. „Draven, hi”, nannte er ihr höflich seinen Namen und sah ihr an, wie ungewöhnlich sie seinen Vornamen fand. Diese Reaktion war er gewohnt. Sie zog ihre Hand zurück, betrachtete ihn nachdenklich, und er ließ sie los. „Was führt dich nach Düsseldorf, Sarah?” fragte er das hübsche Mädchen schnell, bevor sie nach der Bedeutung seines Namens fragen konnte. „Ich besuche hier meine Tante”, erzählte Sarah freimütig, „Und was ist mit dir? Was zieht dich ins Ruhrgebiet?” Draven stockte einen Moment. Was sollte er darauf antworten? Schließlich konnte er der fremden Frau unmöglich etwas von seinem Job erzählen, der ihn in diese weit entfernte Stadt führte. Sie würde es unter Garantie nicht verstehen, ihn höchstwahrscheinlich für eine bedauernswerte Hure halten und dieses Gespräch sofort abbrechen. „Och, ich habe hier geschäftliche Dinge zu erledigen”, antwortete er deshalb ausweichend, was Sarah zu einem erneuten Lachen veranlasste. „So, so, ein Geschäftsmann also”, grinste das Mädchen spöttisch. Draven nickte, höchst zufrieden über ihr Lachen. „Naja, irgendwie muss man ja Geld verdienen”, sagte er großspurig und zwinkerte ihr kokett zu. Sie lachte noch lauter und wich verlegen seinem Blick aus. Das lief richtig gut. Erfreut und stolz auf sich, betrachtete er seine ansehnliche Eroberung.
Als Draven vor ungefähr einem Jahr durch eine Anzeige in der Zeitung von der Agentur in München erfahren hatte, die angeblich dringend Mitarbeiter suchte, hatte er sich ohne Bedenken um den Job beworben, ohne genau zu wissen, was dort eigentlich konkret von ihm erwartet wurde. Zu dieser Zeit stand ihm das Wasser mal wieder bis zum Hals. Er hatte keinen Job, war völlig pleite und hatte gerade wegen Mietschulden sein WG-Zimmer verloren. In seiner damaligen Situation hätte er zweifellos jede Art von Arbeit angenommen. Über die prompte Zusage war er heilfroh gewesen.
Nach der zweiwöchigen intensiven Schulung in der Agentur hatte er dann sehr gut verstanden, was das für eine Arbeit war, auf die er sich eingelassen hatte. Aber er hatte sich nur gewundert, wie leicht und bequem man anscheinend in dieser Branche Geld verdienen konnte. Draven hatten diese intimen Dinge und teils delikaten Tätigkeiten nicht schockieren können. Er war jung und potent und fühlte sich den gestellten Aufgaben zumindest körperlich in jeder Hinsicht gewachsen. Dass er von Natur aus keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern machte, war seinem Radius natürlich sehr zugute gekommen.
Seitdem arbeitete Draven als sogenannter Callboy, erfüllte in dieser Rolle so gut wie alle sexuellen Wünsche, stand aber auch als Begleiter für Abendessen, gesellschaftliche Anlässe oder für Fotosessions zur Verfügung. Seine Arbeit machte ihm meistens viel Spaß, wenn er denn mal etwas in dieser Richtung zu tun bekam. Leider war die Konkurrenz allein innerhalb seiner Agentur ziemlich groß und die Nachfrage nach ihm dagegen nie groß genug gewesen, um allein von dieser Tätigkeit leben zu können. Gerne hätte er sich nur auf diesen einen Wirkungskreis beschränkt, aber das brachte ihn finanziell nicht über den Tag. Es reichte einfach nicht für sein Leben, so wie er es sich vorstellte.
Beinahe jeden Cent, den er verdiente, verwendete er dazu, um sich endlich seinen größten Traum erfüllen zu können, auch wenn er von der Erfüllung noch immer reichlich weit entfernt war. Draven war immer ein großer Träumer gewesen. Schon als Kind hatte er konkrete Vorstellungen von seinem Leben gehabt, die von den Menschen um ihn herum stets nur milde belächelt worden waren. Als er kurz nach seinem achtzehnten Geburtstag das Heim hatte verlassen müssen, in dem er die letzten Jahre seiner Jugend versorgt worden war, hatte es ihn vom Land sofort in die Großstadt gezogen, weil er glaubte, dort die besten Chancen zu haben. Die Hauptstadt Berlin war seine erste Wahl gewesen. Aber nach einigen schwierigen Jahren hatte er einsehen müssen, dass die Stadt ihm nichts mehr bieten konnte. Trotz seiner grenzenlosen Hingabe an seine Ziele hatte er letztendlich so gut wie Nichts erreichen können.
Dennoch war Draven noch lange nicht bereit aufzugeben. Mit riesigen Plänen und genauen Visionen war er von Berlin nach München gekommen. Nichts hätte ihn davon abhalten können, weiter sein Glück zu suchen. Nur eine Großstadt konnte ihm die entsprechenden Voraussetzungen und Einrichtungen bieten, die er zur Erfüllung seiner Träume brauchte. Denn Draven Lindfort wollte mit seiner Musik Geld verdienen. Er träumte von einer eigenen Band und einer erfolgreichen Karriere im Musik-Business und war bereit, alles dafür zu tun, um dieses Ziel zu erreichen. Seit er als kleines Kind zum ersten Mal im Radio Musik gehört hatte, hatte ihn sein Traum nicht mehr losgelassen.
Niemals hätte er erwartet, wie verflucht schwer und langatmig dieser Weg für ihn werden würde. Bisher hatte ihn keine der Bands, bei denen er sich auf ihre Suchanzeigen hin beworben hatte, haben wollen, und derartige Anzeigen waren selten. Zwar konnte er Gitarre und Schlagzeug spielen, schien aber nie gut genug zu sein, und auch seine Singstimme konnte scheinbar niemanden beeindrucken. Seitdem hatte er schon viel Lehrgeld bezahlt und war ziemlich oft bitter enttäuscht worden. Mit seiner alten Gitarre spielte er seither auf Bürgersteigen, in Parks und Fußgängerzonen, klapperte unverdrossen Labels und Studios ab, und wurde doch überall nur abgewiesen. Mittlerweile hatte er zumindest ein paarmal als Studiomusiker arbeiten können, hatte bislang aber weder eine Band noch irgendwo ein festes Arrangement gefunden. Bis es endlich so weit war, würde er auch weiterhin jeden verfügbaren Job annehmen, um über die Runden zu kommen.
Draven Lindfort weigerte sich hartnäckig, sich von den vielen Rückschlägen und Enttäuschungen entmutigen zu lassen. Momentan fühlte er sich sogar richtig gut. Dieser lukrative Job in Düsseldorf würde ihn in seinen Träumen nämlich fraglos ein großes Stück weiterbringen. Glücklich überlegte Draven, wie er das viele Geld, das er an diesem einen Wochenende voraussichtlich kinderleicht verdienen würde, am klügsten verwenden sollte. Vielleicht konnte er sich endlich eine bessere Gitarre kaufen oder einen hochwertigen Verstärker zulegen. Auch einen neuen Computer hatte er bitter nötig, damit er seine Demotapes zukünftig in besserer Qualität verschicken konnte. Er würde sich sogar eine Stunde in einem professionellen Studio leisten können und dort richtig gute Aufnahmen machen. Bei dem Gedanken daran, was er alles Vielversprechendes mit seinem Lohn würde anstellen können, lächelte Draven versonnen vor sich hin.
„Sag mal, schläfst du schon wieder?” riss ihn die Stimme von Sarah aus seinen Überlegungen. „Nein”, erwiderte Draven, „Ich habe nur an etwas gedacht.” „Darf man erfahren an was?” horchte das Mädchen neugierig nach. Ihre blauen Augen blitzten ihn interessiert an. Unwillkürlich stellte er sich vor, mit den Fingern durch ihr langes, blondes Haar zu streicheln. Es würde sich bestimmt gut anfühlen sie anzufassen, dachte er sehnsüchtig und bekam Lust darauf, die junge Frau auf die roten Lippen zu küssen. In diesem Moment brachte die Stewardess ihm das verlangte Glas Whiskey, das er in einem Zug herunterkippte. Er schüttelte sich genüsslich. Dann sah er selig dabei zu, wie die attraktive Frau durch den Mittelgang davonging. „In Düsseldorf werde ich viel Geld verdienen”, eröffnete Draven der hübschen Unbekannten neben sich, „Und danach wird für mich alles besser werden.”
Tyler
Munich – Arrival 7:48 Uhr. Gate 7 - Landed. Ungläubig starrte er auf die heiß ersehnten Buchstaben, die plötzlich laut klappernd auf der Anzeigentafel im Wartebereich von Gate 7 aufgetaucht waren, als wollte er sichergehen, dass seine Augen ihn auch ja nicht täuschten. Die Buchstaben hatten sich mit einem Mal aus dem Nichts heraus herumgedreht, um dem Betrachter eine neue Information mitzuteilen. Das Flugzeug aus München, auf das er nun schon seit gefühlten Ewigkeiten sehnsüchtig wartete, war also angeblich gelandet.
Das bedeutete, dass er in absehbarer Zeit endlich von der quälenden Rolle des untätig Wartenden erlöst werden würde. Es widerstrebte ihm enorm, dieses sinnlose Nichtstun, diese ungewohnte Leere in seinem ansonsten durchgehend verplanten und mit vertrauten, sich regelmäßig wiederholenden Tätigkeiten ausgefüllten Tagesablauf. Dies hier war definitiv neu. Es war trotz all der im Voraus sorgfältig geschlossenen Vereinbarungen im Grunde vollkommen unvorhersehbar für ihn, und darum fand er es wahnsinnig aufregend. Das ganze Wochenende würde gänzlich anders sein als sonst, als es seit Jahren gewesen war, und vielleicht war allein dieser Umstand schon ein verständlicher Grund für seine ständig unvermindert ansteigende Nervosität.
Ruhelos stand Tyler hinter der großen Glasscheibe, von einem Fuß auf den anderen tretend, die Arme unruhig um seinen Körper bewegend, und hielt die Tür im Auge, hinter der sich all seine Hoffnungen verbargen. Diese Tür, die vielleicht fünfzig Meter von ihm entfernt war, stellte offenbar die Verbindung zu Gate 7 dar, an dem laut Anzeige das Flugzeug aus München erwartet wurde. Alle Passagiere mussten durch diesen Durchgang das Gebäude betreten, es gab für sie keinen anderen Weg zur Gepäckausgabe.
Tyler Jonas kannte sich mit Flughäfen aus, seinen bisher recht raren Urlaub hatte er fast jedes Mal mit dem Flugzeug angetreten, war überwiegend in die Länder gereist, die am Mittelmeer lagen, weil ihm die mediterrane Lebensart und das überwiegend warme Klima behagten. In den letzten Jahren hatte es jedoch für ihn nur selten die Gelegenheit gegeben, um Urlaub zu machen. Die Arbeit rund um das mon petit und seiner Zweigstellen hatte ihn zu sehr in Anspruch genommen. Als Unternehmer lag es in seiner Verantwortung, die Läden am Laufen zu halten, er allein trug sämtliche Risiken seiner beruflichen Selbstständigkeit. Sein unermüdlicher Einsatz hatte sich von Anfang an reichlich ausgezahlt, und eigentlich brauchte er sich keinerlei Gedanken um sein finanzielles Auskommen zu machen. Trotzdem war sein letzter Urlaub schon ziemlich lange her. Es hatte ihn einfach zu wenig gereizt, sich wiederholt allein auf die Reise zu machen. Die vorwiegende Ruhe und Untätigkeit im Urlaub hatten ihn im Grunde nur belastet, von daher hatte er berufliche Auszeiten nie wirklich herbeigesehnt.
Durch die riesige Glasscheibe, die neben der Absperrung aus eisernen Geländern die Grenze für Besucher darstellte, konnte er die Tür von Gate 7 gut im Auge behalten. Näher durfte er nicht heran, also wartete er brav in einer kleinen Ansammlung aus fremden Menschen, die offenbar alle einen Reisenden in Empfang nehmen wollten. Er war heilfroh, dass er bisher noch kein bekanntes Gesicht getroffen hatte, wäre es doch ein wenig heikel geworden, seine Anwesenheit auf dem Flughafen erklären zu müssen. Unmöglich konnte er seinen Freunden von seinem delikaten Arrangement erzählen, das wäre einfach nur schrecklich peinlich. Bestimmt würden sie ihn auslachen und nicht verstehen, warum er sich für so viel Geld einen Mann aus München bestellte, wo doch in der Szene so viel kostenloses Fleisch zu finden war. Er hätte nicht erklären können, was genau er in dem Fremden zu finden hoffte oder wonach er eigentlich auf diesem ungewöhnlichen Wege suchte. Während sein Blick gebannt auf der unerwartet spannenden Tür lag, stellte er sich unwohl die entgeisterte Reaktion seiner Freunde und Bekannten vor, würden sie jemals etwas von seiner sexuellen Investition erfahren, und sein schon bei der ersten, vagen Idee gefasster Entschluss, niemals mit Irgendjemandem darüber zu sprechen, wurde nachhaltig gefestigt.
Plötzlich hatte Tyler das Gefühl, sein Herz würde mit dem nächsten Schlag explodieren. Restlos schockiert schnappte er nach Luft, als sich plötzlich der einzige Durchgang zum soeben gelandeten Flugzeug öffnete und der erste Passagier aus München den Flughafen betrat. Es war eine Frau mittleren Alters im ordentlichen Kostüm, vielleicht eine Angestellte auf Geschäftsreise. Direkt hinter ihr tauchte ein Mann in legerer Kleidung auf und dann kamen nach und nach immer mehr Flugreisende in die abgegrenzte Vorhalle.
Tyler Jonas atmete schwer, während er die vielen Menschen angespannt im Auge behielt. Er fragte sich, ob sie ihn auf diese Entfernung und durch die Absperrungen hindurch ebenfalls sehen konnten, so wie er sie allzu neugierig beobachtete, oder ob diese Glasscheibe vielleicht von der anderen Seite aus für Blicke undurchlässig war. Im Grunde konnte er sich das zwar nicht vorstellen, in der tiefe seines Herzens wünschte er sich allerdings die Anonymität. Lieber wäre es ihm gewesen, zuerst mal unsichtbar zu bleiben, damit er das Objekt seiner Begierde zunächst ausführlich hätte betrachten können, ohne dabei Gefahr zu laufen, eventuell vom anderen bemerkt zu werden.
Verwirrt wurde ihm klar, dass er seine eigene Reaktion nicht abschätzen konnte. Wenn er den heiß ersehnten Mann aus München in wenigen Minuten in der Realität erblickte, konnte schließlich alles Mögliche passieren. Vielleicht würde Tyler sogar schlagartig in Ohnmacht fallen, sobald diese auffallend grauen Augen ihn zum ersten Mal treffen würden. Das war zwar ziemlich drastisch, aber objektiv betrachtet gar nicht so unwahrscheinlich, wenn man die Heftigkeit seines derzeitigen Herzschlages bedachte. Aber seine Sorge war unbegründet, denn keiner der ankommenden Passagiere aus München warf auch nur einen einzigen Blick in seine Richtung, sie waren alle anderweitig beschäftigt. Die Reisenden hatten genug mit der Gepäckausgabe zu tun, vor dessen zwei runden Laufbändern, auf denen unentwegt Gepäckstücke kreisten, sich langsam ein Gedränge zu bilden begann, denn jeder wollte so schnell wie möglich seine Tasche oder seinen Koffer zurückhaben.
Hoffentlich erkenne ich ihn überhaupt, fingen Tylers Gedanken unwillkürlich an, in seinem hypernervösen Kopf herumzuwirbeln, hoffentlich sieht er in der Realität genauso aus wie auf dem Foto der Agentur. Was mache ich nur, wenn ich ihn gar nicht erkennen kann, sorgte er sich im nächsten Moment, dann stehe ich total blöd da und alles wird von vornherein schiefgehen. Wenn ich richtig Pech habe, dann kommt unser geiles Treffen vielleicht gar nicht zustande. Ich weiß nicht, ob ich das ertragen könnte. Ich freue mich so sehr auf ihn, überlegte er, voll mit unvermindert brennender Sehnsucht. Himmel, ich bin so scharf auf diesen fremden Kerl, dass es mich beinahe umbringt, gestand er sich verlegen ein und spürte die peinliche Hitze der Scham in seine Wangen steigen. Unruhig schaute er sich um in der Angst, dass vielleicht jemand seine Gedanken hören könnte, aber zum Glück beachtete ihn niemand, denn alle schienen ungeduldig auf etwas oder Jemanden zu warten. Tyler musste sich davon abhalten, sich unwillkürlich an den Schritt zu fassen, und trat nervös auf der Stelle. Was wird er wohl von mir denken, grübelte er verunsichert, ob ich ihm überhaupt gefalle?
Ich hoffe, diese Agentur in München ist seriös und sie haben mir nicht mein Geld geklaut, kam ihm kurz darauf eine beunruhigende Idee, vielleicht bin ich in meiner Dummheit, Ungeduld und Verzweiflung hinterhältigen Betrügern auf den Leim gegangen, womöglich habe ich mein Geld gemeinen Verbrechern überwiesen, die sofort, nachdem die beträchtliche Summe bei ihnen eingegangen war, das ominöse Konto aufgelöst haben und auf Nimmerwiedersehen verschwunden sind. Diese durchaus reelle Möglichkeit bestürzte ihn, hatte er mit der Agentur doch lediglich ein Telefonat geführt, einige Emails ausgetauscht und einen unterschriebenen Vertrag per Fax erhalten. Mehr Beweise für die Existenz der kostspieligen Vereinbarung hatte er nicht in der Hand.
Aber nein, versuchte er sich verstört zu beruhigen, das war doch eine richtige Agentur, die hatten Online viele gute Bewertungen. Verdammt, fluchte er in Gedanken, ich muss mich wirklich dringend wieder einkriegen. Aber das war leichter gedacht als getan, denn es kamen noch immer Menschen aus der Tür, das Objekt seiner Sehnsüchte war noch nicht dabei gewesen, da war er sich ziemlich sicher. Um ihn herum fingen ein paar Wartende an zu jubeln und zu winken, denn offensichtlich hatten sie ihre Bekannten auf der anderen Seite der Absperrung entdeckt.
Tyler glaubte, jeden Moment den Verstand zu verlieren. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so hilflos gefühlt. Er konnte wahrhaftig nichts weiter tun als abzuwarten, es lag nicht in seiner Macht, diese Situation zu entschärfen oder auch nur irgendwie aufzuklären. Sein Körper und seine Seele gerieten in heillose Aufregung, er konnte unmöglich ruhig stehenbleiben, der Schweiß brach ihm aus. Nervös wischte er sich über die Stirn, fühlte die unerwünschte Feuchtigkeit an seinen Fingern und ärgerte sich darüber. Was war nur mit ihm los? Warum war er dermaßen von der Rolle? Er würde auch an diesem Wochenende alles unter Kontrolle haben, schimpfte er mit sich, denn er hatte doch schließlich noch immer jede Herausforderung gemeistert, ganz egal, wie schwierig sie auch gewesen war.
Und dann sah er ihn plötzlich. Er kam aus der besagten Tür, blieb unschlüssig stehen und schaute sich verwirrt suchend um. Offenbar war ein Flughafen und die bevorstehende Gepäckausgabe Neuland für ihn. Draven, auf den er so unendlich lange gewartet hatte, war endlich und wahrhaftig in Düsseldorf angekommen.
Verblüfft riss Tyler die Augen auf. Er glaubte seinen Sinnen nicht trauen zu können, dachte daran, dass es eventuell auch ein Irrtum sein könnte. Augenblicklich hing sein Blick an dem fremden, auffallend attraktiven Mann fest. Sein Körper versteifte sich innerhalb von Sekunden. Tyler Jonas geriet schlagartig in eine Art Schockstarre, als er Draven Lindfort zum ersten Mal in seinem Leben vor Augen hatte. Himmel, er sieht tatsächlich so aus wie auf dem Foto, fuhr es ihm verdutzt durch den Sinn. Die Agentur hat mich nicht angelogen, dachte er unendlich erleichtert, sie haben mir nicht zu viel versprochen, ich habe mein Geld nicht in den Sand gesetzt, meine Ausgabe hat sich Gott sei Dank gelohnt.
Denn Tyler gefiel überraschend gut, was er dort hinten stehen sah. Der fremde Mann aus München war groß, wohlgestaltet und offensichtlich muskulös. Sein kurzes, pechschwarzes Haar stand genauso rebellisch nach allen Seiten ab, wie Tyler es schon im Internet positiv aufgefallen war. Draven trug eine moderne, anthrazitfarbene Lederjacke und enge, dunkelblaue Jeans, die seine langen, schlanken Beine auf aufregende Weise betonten. An seinen Füßen waren grell rote Sneakers. Sein hübsches, einnehmend zartes Gesicht war auch jetzt seltsam ausdruckslos, als er sich in die Nähe der Laufbänder begab und mitten zwischen den anderen Reisenden Ausschau nach seinem Gepäck hielt.
Eine unglaubliche Erleichterung durchflutete Tyler, als ihm richtig bewusst wurde, das er keinen Betrügereien zum Opfer gefallen war. Der Mann, der ihm versprochen worden war, befand sich wie abgemacht hinter der Absperrung. Sein zukünftiger Sexualpartner war wie erwartet aus dem weit entfernten München hierher zu ihm geflogen. Tyler durfte das ganze Wochenende mit diesem gut aussehenden Menschen verbringen und sich dabei gefahrlos all seine geheimsten Wünsche erfüllen. Eine seltsame Ruhe kam in ihm auf, mit der er nach der hellen Aufregung der letzten Stunde gar nicht mehr gerechnet hatte. Alles war gut. Alles würde gut werden. Draven war endlich angekommen.
Oh nein, jetzt würde er ihm gleich begegnen! Er würde sich zu erkennen geben müssen, denn er konnte sich unmöglich noch länger in der Anonymität verstecken. Alles würde ans Licht kommen. Nie in seinem Leben war Tyler aufgeregter gewesen. Tief atmete er durch und zwang sich zur Besonnenheit. Langsam bewegte er sich zu der automatischen Flügeltür, die sich, durch Bewegungsmelder animiert, pausenlos zu beiden Seiten hin öffnete, weil die Passagiere der Maschine aus München unermüdlich die Gepäckausgabe verließen, um von wartenden Angehörigen in Empfang genommen zu werden oder einfach unbeachtet weiterzugehen.
Plötzlich waren Tylers Füße wie festgeklebt, er hatte das bedrohliche Gefühl, sich keinen Schritt mehr bewegen zu können. Seine Augen hingen völlig fassungslos an dem Schwarzhaarigen fest, der sich langsam dem Ausgang näherte und im nächsten Moment durch die Tür getreten kam. Suchend sah der attraktive Mann aus München sich um, unschlüssig, was jetzt zu tun wäre. Er machte ein paar zögernde Schritte, blieb dann wieder stehen. Seine Augen wanderten Ausschau haltend durch die Umgebung, offenbar war er ratlos. Tyler stand jetzt nicht mal mehr fünf Meter vom Objekt seiner Begierde entfernt, krampfhaft Deckung suchend hinter ein paar anderen Personen, und plötzlich erkannte er, dass Draven auch in Wahrheit diese hellgrauen Augen hatte, die erstaunlicherweise fast silbern wirkten. Sein Herz klopfte Tyler bis zum Hals. Für einen Moment war er versucht, sich unbemerkt aus dem Staub zu machen, weil das hier schlicht zu nervenaufreibend für ihn war. Ich schaffe das nicht, dachte er matt, völlig erschlagen von der Wucht seiner unbekannten, detonierenden Emotionen, oh Gott im Himmel, jeden Moment werde ich hier tot zusammenbrechen, das wird bestimmt gleich passieren. Sein Körper und seine Seele waren in greller Alarmbereitschaft, Tyler rang nach Luft und glaubte trotz seines Fluchtinstinktes, sich keinen Schritt von der Stelle bewegen zu können.
Hilflos hielt er sich an Dravens Anblick fest. Der Typ aus der weit entfernten Stadt schlenderte jetzt ziellos umher, bewegte sich langsam durch den Wartebereich, die faszinierend hellgrauen Augen unverändert auf der Suche. Offensichtlich ging er davon aus, dass jetzt etwas geschehen würde, jemand müsste kommen, um ihn abzuholen, denn so war es nun mal abgemacht worden. Er wird mich bestimmt nicht mögen, befürchtete Tyler, der sich untypisch eingeschüchtert fühlte, was mache ich nur, wenn er mich nicht leiden kann oder wenn er mich hässlich findet. Vielleicht ist er nicht mal schwul, fuhr es ihm bestürzt durch den Sinn, sicher kann er mit Männern gar nichts anfangen, er wirkt total hetero. Womöglich ist alles ein blöder Irrtum und Draven erwartet eine weibliche Kundin, wirbelten Tylers Gedanken ungehindert herum, dann wird er schön blöd gucken, wenn ich mich plötzlich zu erkennen gebe. Nie im Leben kann ich mit diesem fremden Mann Sex haben, wurde ihm erschüttert klar, ich kenne den doch gar nicht, mit Sicherheit kriege ich keinen hoch, wenn es dann endlich zur Sache gehen soll. Mit einigem Grausen stellte er sich vor, wie er nach leeren Versprechungen in seinem Bett kläglich versagen würde. Verdammte Scheiße nochmal! Ich hätte mich niemals auf so was Bizarres einlassen dürfen, schimpfte er ärgerlich mit sich, das ist doch alles der totale Schwachsinn!
Während er noch immer den aufregend attraktiven Mann vom Internetfoto anschaute, machte Tyler sich innerlich dazu bereit, unverrichteter Dinge den Flughafen zu verlassen. Ich kann das nicht, musste er seufzend einsehen, ich komme mit dieser unkalkulierbaren Situation überhaupt nicht zurecht. Das ist alles viel zu ungenau, ich kann das gar nicht kontrollieren, das macht mich total fertig. Ich blase die ganze Sache lieber jetzt gleich ab. Es ist besser, sofort aufzugeben, solange er mich noch nicht gesehen hat, als sich später unerträglich zu blamieren. Ich bin so ein verdammter Vollidiot!, fällte er ein vernichtendes Urteil über sich. Maßlos enttäuscht warf Tyler noch einen letzten Blick auf den weit gereisten Mann, auf den er noch vor Kurzem alle seine intimsten Vorstellungen projiziert hatte.
In diesem Moment trafen ihn Dravens Augen. Er stand jetzt vielleicht drei Meter von ihm entfernt, bei zufällig freiem Blickfeld. Draven schaute ihn fragend an, und Tyler erkannte schlagartig die Hoffnung, die in diesen außergewöhnlichen Augen steckte. Zu seiner absoluten Verblüffung konnte er die große Verlorenheit sehen, die der Fremde in diesem Moment offenbar fühlte. Der Kerl war in einer ihm fremden Stadt, befand sich in einer unüberschaubaren Situation. Er sehnte sich überraschend heftig danach, dass endlich jemand kam und ihn an die Hand nahm. Tyler blies so heftig Luft aus, dass ihm ungewollt ein Stöhnen entwich, dass tief aus seiner Seele kam. Ohne noch länger überlegen zu können, machte er kurzentschlossen einen Schritt nach dem anderen. Es fiel ihm schwer, seine Beine fühlten sich wie Blei an, sein Herz hämmerte ihm in den Ohren, die Lunge war viel zu eng, um noch problemlos atmen zu können. Aber Tyler Jonas war mutig. Eigentlich hatte er sich noch nie vor einer Herausforderung gedrückt. Beherrscht ging auf den Fremden zu, der nun überrascht stehengeblieben war und ihm erwartungsvoll entgegensah. Etwas passierte mit Tyler, als er zum ersten Mal auf Draven zuging. Da war etwas in diesen unglaublich grauen Augen, das ihn eigenartig stark berührte, ihn augenblicklich festzuhalten schien, in der Erwartung, etwas Wichtiges tun zu können für diesen Menschen. Da war eine Hilflosigkeit, eine tiefe Verlorenheit in dem anderen, die er deutlich spürte. Er ist der Richtige, dachte Tyler nur noch, als er schneller als gedacht direkt vor Draven angekommen war. Mühsam brachte er seine autonomen Füße zum Stillstand, streckte fast ohne Beteiligung seines Verstandes seine Hand aus. „Hallo Draven. Ich bin Tyler”, krächzte er mit schwacher Stimme.
Draven
Obwohl er schon eine Weile auf ihn gewartet und gerade damit angefangen hatte sich Gedanken zu machen, ob vielleicht etwas schiefgelaufen war, es ein Missverständnis gegeben hatte oder ein Fehler in der Buchung passiert war, sodass ihn entgegen der getroffenen Abmachung niemand am Flughafen abholen würde, war Tylers Auftauchen überraschend für Draven. Der fremde Mann kam aus einer Gruppe von Menschen auf ihn zu, tauchte mit einem Mal dort auf, trat plötzlich hinter einer anderen Person hervor, als hätte er sich vorher dort versteckt.
Das Erste, was Draven an dem Typen auffiel, war sein seltsam panischer Gesichtsausdruck, mit großen, weit aufgerissenen Augen, verkrampft zusammengepressten Lippen und starrer Haltung, als hätte er irgendein ernsthaftes Problem. Neugierig geworden blieb Draven stehen und fragte sich, was der andere wohl von ihm wollte, ob er ihn jetzt um Hilfe bitten würde, ausgerechnet ihn. Wo doch um sie herum noch so viele andere Menschen waren, die ihm bestimmt besser Auskunft geben könnten, falls er eine Frage zur Umgebung hatte, denn er, Draven, war schließlich vollkommen fremd hier. Der hektische Flughafen verwirrte ihn und über die Stadt, in der er sich befand, wusste er trotz Sarahs plappernder Schwärmerei rein gar nichts, hatte er dem Mädchen doch kaum zugehört.
Während Draven dem seltsamen Mann entgegenblickte, wanderten seine Augen über das Äußere des Fremden, der auffallend gut angezogen war. Seine Kleidung war eindeutig von hervorragender Qualität, ein modernes, dunkelblaues Sakko, das wie maßgeschneidert an seinem Körper anlag, darunter ein hellblaues Business-Hemd mit Kent Kragen, dazu eine graue Chino und schwarze, italienische Business-Schuhe aus hochwertigem Leder.
Der Mann kam steifbeinig auf ihn zu, mit sonderbar abgehackten Schritten, als müsste er sich zum Laufen zwingen. Mechanisch streckte er seine Hand aus und stellte sich mit krächzender, schwacher Stimme vor, als wäre er stark erkältet oder seine Kehle schlicht zu eng zum Sprechen. Der akkurat gekleidete Typ kannte seinen Namen, sprach ihn sogar auf Anhieb richtig aus, was nur höchst selten vorkam, und in diesem Moment begriff Draven, dass es sich bei dem komischen Kerl offenbar um seinen Kunden handelte, und er war verblüfft, denn damit hatte er nicht gerechnet. Wer so viel Geld für ein Wochenende mit mir ausgeben kann, waren seine logischen Überlegungen gewesen, der muss mit Sicherheit schon älteren Jahrgangs sein.
Der Mann, der vor ihm stand, war aber wohl kaum älter als er, nur ein Stückchen größer, hatte dunkelblondes, exakt geschnittenes Haar, braune Augen und ein attraktives Gesicht. Draven war beeindruckt von seiner wertvollen Kleidung, die ihn als höchstwahrscheinlich wohlhabenden Menschen auszeichnete, fühlte jedoch hauptsächlich Erleichterung bei Tylers Anblick. Der Typ sah zweifellos gut aus, er war noch jung, und Draven ging aus Erfahrung davon aus, dass das Wochenende mit diesem Mann bestimmt nicht allzu stressig für ihn werden würde. Im Gegenteil, das konnte sogar richtig interessant werden, dachte er innerlich grinsend.
Ein erfreutes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, als er Tylers Hand ergriff, die ein bisschen feucht war, aber nicht so viel, dass es unangenehm gewesen wäre sie anzufassen. Der Händedruck des Fremden war im Gegensatz zu seiner panischen, deutlich eingeschüchterten Miene überraschend fest und energisch, fast schon zu kräftig, fand Draven, der lächelnd die dargebotene Hand schüttelte und „Hi Tyler. Schön dich kennenzulernen”, sagte, sein Standardspruch bei der ersten Begegnung mit einem Kunden, gut geeignet, um gleich von vornherein das Eis zu brechen. Tyler erwiderte sein Lächeln recht zaghaft und Draven spürte, dass Tylers Finger zitterten, bevor der Fremde seine Hand hastig zurückzog. Die schüchterne Nervosität des anderen amüsierte Draven, beruhigte ihn auf irgendeine Art, weil er unweigerlich vermutete, dass von diesem scheuen Mann keine Gefahr ausgehen könnte. Schließlich wusste man bei dieser Arbeit in Wahrheit nie genau, mit wem man es zu tun bekam.
Eine Pause entstand, in der sie voreinander standen und sich unwillkürlich gegenseitig abcheckten. Die beiden Männer schauten sich an und Draven spürte eine Art Verbundenheit zu Tyler, waren sie doch in dieser Gruppe von Menschen die einzigen, die etwas von ihrem recht intimen Arrangement wussten. Ihr gemeinsames Ziel verband sie prompt, und Draven fühlte sich damit erstaunlich wohl. Das war längst nicht immer der Fall, wenn er auf einen neuen Kunden traf, ahnte er doch manchmal schon bei der ersten Begegnung, was für Schwierigkeiten auf ihn zukommen würden. Mit Tyler war aber offenbar nichts dergleichen zu erwarten, darum sah Draven seiner Aufgabe ab sofort gelassener entgegen.
„Ähm... wie war dein Flug?” fragte der Dunkelblonde. Seine krächzende Stimme klang überstürzt, als hätte er Angst vor einer peinlichen Stille zwischen ihnen und beeile sich deshalb, irgendetwas zu sagen. Draven schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln, gerührt über die Unsicherheiten des anderen. „Ich bin eingeschlafen”, gestand er achselzuckend, „Darum habe ich nicht viel mitgekriegt.” „Oh...”, machte Tyler ratlos. Draven lachte. „Das war schon aufregend. Es war mein erster Flug”, erzählte er sanft. Damit entlockte er Tyler ein neues, scheues Lächeln und stellte erstaunt fest, wie gut es dem Kerl stand, wie freundlich er doch sofort wirkte. Die panischen, starren Gesichtszüge seines Kunden schienen sich ein wenig zu entspannen, und Draven schob das seinem Verdienst zu, was ihn seltsam stark befriedigte. Julie würde stolz auf ihn sein, könnte sie ihn hier am Flughafen sehen, dachte er innerlich triumphierend, offenbar machte er alles richtig und das hier lief schon mal richtig gut an.
Aber bereits im nächsten Moment wandte Tyler sich ab, sein Blick huschte abermals nervös durch die Gegend, als würde er nach einer drohenden Gefahr Ausschau halten, was Draven nicht nachvollziehen konnte. „Lass uns zu meinem Auto gehen”, schlug der Mann drängend vor, und Draven begriff, dass der andere Angst hatte mit ihm gesehen zu werden. Dieses Phänomen war ihm nicht unbekannt. Menschen buchten ihn für sexuelle Dienste, wollten aber unter allen Umständen unentdeckt bleiben, und Draven verbot es sich vehement, deswegen auch nur irgendwie gekränkt zu sein, andernfalls hätte er diese Arbeit gar nicht machen können. Ein Geheimnis zu sein, gehörte zu seinem Job einfach dazu.
„Ja, okay, ich möchte mir nur noch schnell irgendwo einen Kaffee holen”, informierte er den unsinnig nervösen Kerl so freundlich wie möglich. Noch immer war es zu früh am Tag, Draven war unverändert müde und sehnte sich nach einem Muntermacher. Der Whiskey, den er im Flugzeug getrunken hatte, beduselte ihn ein wenig, und auf einmal störte ihn das, denn ab sofort wollte er unbedingt alle seine Sinne klar und hellwach beisammen haben. Erhöhte Aufmerksamkeit und Konzentration waren enorm wichtig, gerade in den ersten Minuten mit einem neuen Kunden, das wusste der Callboy aus Erfahrung.
Tyler schaute ihn verwirrt, fast widerstrebend an, als würde ihm Dravens Wunsch nach Kaffee nicht gefallen, hatte sich aber einen Augenblick später besser im Griff und nickte. „Okay”, stimmte er leise zu, „Komm mit.” Sofort wandte er sich zum Gehen, offenbar hatte er es eilig, und Draven bemühte sich ihm zu folgen. Nebeneinander gingen sie durch die Gänge in eine Richtung, die Tyler überraschend zielstrebig bestimmte, sodass Draven vermutete, dass der andere wohl schon wusste, wo in diesem scheinbar riesigen Gebäudekomplex es Kaffee zu kaufen gab.
Schon nach kurzer Zeit bestätigte sich seine Vermutung, denn Tyler steuerte geradewegs einen Kaffeeautomaten an, der am Rand einer weiteren großen Halle stand. Während sie gemeinsam durch den Flughafen gingen, berührten sich ihre Körper nicht, sie hielten instinktiv Abstand zueinander, Draven aus Respekt vor den Wünschen seines Kunden und Tyler aus Furcht vor unerwünschten Zeugen, aber trotzdem spürte Draven verdutzt, dass ihn schon jetzt irgendwas zu dem fremden Typen hinzuziehen schien.
Seine Gedanken fingen an, über die nähere Zukunft zu spekulieren, wie es wohl werden würde, mit diesem Kerl ins Bett zu gehen, und zu seiner eigenen Verwirrung fühlte er eine Art freudige Anspannung bei diesen Gedanken. Die Vorstellung, Tyler bald nackt zu sehen, erregte ihn, was er sich selbst nicht erklären konnte, weil es sonst nie vorkam, wenn er seiner Arbeit als Callboy nachging. Normalerweise ging er ohne Erwartung in diese Treffen, ließ die Sache lieber neutral auf sich zukommen und reagierte dann so angemessen wie möglich, wenn es nötig wurde. Er wollte sich im Voraus nicht zu viele Gedanken machen, die ihn womöglich verunsichern könnten, denn im Grunde hatte er keinerlei Einfluss darauf, musste er doch ausschließlich die Wünsche des Kunden erfüllen. Bei Tyler jedoch hatte er seltsamerweise das Gefühl, als könnte die Sache richtig spannend für ihn werden, und er wunderte sich, wie er denn bloß so voreilig und dumm sein konnte.
Schneller als gedacht waren sie am Kaffeeautomaten angekommen und Draven holte einen Euro aus seinem Portemonnaie, warf die Münze in die Maschine und drückte auf die Taste, auf der Kaffee, schwarz stand. Tyler, der neben ihm stand, schüttelte sich angewidert. „Du trinkst deinen Kaffee schwarz?” fragte er entgeistert, was Draven eigenartig stark rührte, als er ihm einen verstohlenen Seitenblick zuwarf. Dieser gut aussehende Fremde schien schüchtern zu sein, ja, er wirkte regelrecht verschreckt, sodass Draven das seltsam erbauliche Gefühl bekam, er könnte diesem Mann eventuell sogar noch etwas beibringen, sollte er sich beim Sex ebenso ängstlich und unerfahren zeigen. Das passierte nicht oft in seinem Job für die Agentur. Gerade Männer demonstrierten im Bett allzu gerne ihre Überlegenheit an ihm, herrschten ihn an und schubsten ihn herum, so wie sie es in ihrem Leben wahrscheinlich sonst niemals konnten. Tyler schien jedoch das genau Gegenteil davon zu sein, zurückhaltend und höflich, und Draven spürte ein neues, unerwartet warmes Gefühl in seinem Bauch, als er den seltsamen Fremden betrachtete. „Ja, das ist mein morgendlicher Powerdrink”, antwortete er und lächelte über Tylers angewiderte Miene. Schweigend schauten sie dabei zu, wie das Trinkgefäß sich automatisch mit der schwarzen, dampfenden Flüssigkeit füllte, und als der Becher voll war, nahm der müde Callboy ihn vorsichtig in die Hand und sofort einen kleinen Schluck Kaffee.
„Ist es weit bis zu dir?” fragte Draven, der das Bedürfnis verspürte, so viel wie möglich über den Menschen in seiner Begleitung zu erfahren, bevor sie zusammen Sex haben würden. Auch das war etwas Neues für ihn, denn normalerweise erledigte er nur seinen Job und das war's dann, ohne sich näher mit den verschiedenen Körpern zu beschäftigen, die er im Laufe seiner Arbeit recht intim kennenlernte. Sein eigenes, verstärkt erwachtes Interesse an diesem Mann überraschte ihn, war es doch eigentlich gar nicht angebracht. Schließlich würden sie nichts weiter als ein Wochenende miteinander verbringen und Anonymität, Verschwiegenheit, Vertrauen und Diskretion waren zweifellos die wichtigsten Grundpfeiler ihrer geschäftlichen Vereinbarung, wie Julie ihm pausenlos eintrichterte, damit Draven es auch ja nicht vergaß.
„Nein, das ist nicht allzu weit. Nur ungefähr 40 km”, antwortete Tyler leise, zuckte mit den Schultern, wandte sich zum Gehen und machte ein paar eilige Schritte, wahrscheinlich Richtung Ausgang, als wollte er den Flughafen und damit die vielen Menschen um sie herum endlich schnell hinter sich bringen. „Wie bitte?” entfuhr es Draven verblüfft. Unwillkürlich war er stehengeblieben, starrte seinen Kunden verwirrt an und registrierte nebenbei, dass Tylers Rückseite mindestens so attraktiv war wie seine Vorderseite. Die überraschende Antwort des Fremden beunruhigte ihn. In der Agentur war immer nur von Düsseldorf die Rede gewesen, wenn es um diesen Auftrag gegangen war, und nun fürchtete Draven, dass er vielleicht trotz ihrer vielversprechenden Begrüßung an den falschen Kerl geraten war, könnte doch immerhin sein.
„Was denn?” verlangte Tyler irritiert zu wissen und kam langsam zu ihm zurück, offenbar nicht erfreut über die Verzögerung. „Bist du sicher, dass ich der Richtige bin?” fragte Draven spontan und sah ihn fragend an, forschte in dem unbekannten Gesicht misstrauisch nach der Bestätigung seines Auftrages. Zu blöd, dass ich nicht vorher ein Foto von Tyler gesehen habe, dachte er ärgerlich. Auf einmal fühlte er sich dem Kerl auf ganzer Linie unterlegen, war er doch auf seine Worte angewiesen und hatte ansonsten keinerlei Beweise, dass er tatsächlich der Mann war, der ihn abholen sollte. Andererseits hatte ihn niemand sonst angesprochen, keiner schien nach ihm zu suchen, was er mit einem schnellen Rundumblick unwillkürlich überprüfte.
Tyler stieß ein kurzes, abruptes Lachen aus. „Also... ähm... wenn du Draven heißt und aus München kommst, dann wäre es schon ein allzu verrückter Zufall, wenn du nicht der wärst, den ich hier abholen soll”, bemerkte er verlegen grinsend. Draven fiel auf, dass er richtig niedlich aussah, wenn er, wie jetzt, verlegen lächelte, und dass seine Stimme längst nicht mehr so schwach und kratzig klang wie zu Beginn ihrer Begegnung, offenbar gewann der scheue Typ sein Selbstvertrauen langsam zurück. Vielleicht war mein erster Eindruck von ihm völlig falsch und er fährt im Bett die streng dominante Schiene, fuhr es Draven durch den Kopf, der sich mit der Rolle des Unterdrückten nicht nur beim Sex sehr schwer tat, und er spürte kurz ein leichtes Unbehagen in sich aufflackern, beruhigte sich jedoch sofort mit der Gewissheit, dass die konkreten Bedingungen ihrer sexuellen Betätigung ja alle im ausführlichen Vertrag genannt und ohne Bedenken von ihm abgesegnet worden waren. Natürlich kam es vor, dass Kunden sich nicht an die Vereinbarungen hielten, aber in diesem Fall hatte er das Recht, die Sache jederzeit abzubrechen und würde es auch bedenkenlos tun. Draven hatte da schon einige gruselige Stories von seinen Arbeitskollegen gehört, bislang war es bei ihm allerdings zum Glück noch nie so weit gekommen.
„Der Name Draven ist ja in diesen Breitengraden nicht gerade weit verbreitet”, setzte Tyler spöttisch hinzu. Seine braunen Augen blitzten belustigt, was Draven erstaunt zur Kenntnis nahm, sah er in diesen fremden, bislang eher schüchternen Augen doch plötzlich ein nahezu unerschütterliches Selbstbewusstsein. „Okay, dann lass uns mal zu deinem Auto gehen”, schlug er vor, woraufhin Tyler erleichtert nickte und sich ohne Umschweife auf den Weg durch den Flughafen zum Parkdeck machte. Offenbar hatte er sich den Parkplatz, wo er seinen Wagen abgestellt hatte, ganz genau gemerkt, er kannte den Weg mit zweifelloser Sicherheit. Draven hatte Mühe, mit den weit ausholenden, schnellen Schritten seines Kunden mitzuhalten, während er sich gehetzt durch die vielen Gänge, Hallen und unzähligen Menschen bewegte, dabei auch noch seinen Kaffee austrank und den leeren Becher in einem Papierkorb entsorgte.
Er bedauerte es, sich den interessanten Flughafen nicht noch ein bisschen genauer anschauen zu können. Mann, wir sind doch hier nicht auf der Flucht, dachte er angefressen, musste aber im nächsten Moment grinsen, weil ihm einfiel, dass der Typ es vielleicht nicht erwarten konnte, endlich mit ihm ins Bett zu steigen. Ob sie es tatsächlich im Bett treiben würden, überlegte er neugierig, oder hatte der Kerl etwas anderes für sie geplant? Draven war in dieser Beziehung alles recht, solange es nicht übermäßig unbequem oder gar schmerzhaft war, er hatte seine Kunden schon an den seltsamsten Orten bedienen müssen und es so gut wie nie bereut.
Tylers gutem Gedächtnis hatten sie es zu verdanken, dass sie den großen Wagen ohne Probleme fanden, er stand auf Parkdeck 5B und wartete nur darauf, um sie in Tylers Heimatstadt zu fahren. „Wo wohnst du denn?” wollte Draven wissen, als Tyler plötzlich seinen Autoschlüssel aus seiner Chino holte und die Türöffnung betätigte. Mit Ton und Licht sprangen die Türen eines roten Mercedes-AMG GT Sportwagens in der Nähe auf, der Draven auf der Stelle mächtig beeindruckte. Oh Wow!, so ein wunderschönes Auto hätte er liebend gerne auch sein Eigen genannt. Leider besaß er nicht mal einen Führerschein, sein Geld hatte dafür schlicht nie ausgereicht.
„Wir fahren nach Oberhausen”, informierte Tyler ihn beiläufig, der mit den Gedanken scheinbar ganz woanders war. Schon war er bei seiner Luxuskarosse angekommen, öffnete die Tür, stieg im nächsten Moment ein und schlug die Tür zu, als müsste er sich beeilen. Alles in einer einzigen, hastig fließenden Bewegung, die den Callboy staunend auf dem Parkdeck zurückließ, weil er den Eindruck gewann, als wollte sein Kunde ihn eigentlich gar nicht mitnehmen. Draven Lindford stand eine Minute lang dort, bewunderte das tolle Auto und fragte sich, ob der fremde, attraktive Mann gerade vor ihm davonlief, ob er es sich eventuell insgeheim anders überlegt hatte und seinen Auftrag stornieren würde, wobei es dafür jetzt ja nun wirklich zu spät war, oder ob nur seine Schüchternheit zurückgekehrt war. Erst als Tyler ungeduldig auf die Hupe drückte und Draven damit erschrocken zusammenfahren ließ, besann der Schwarzhaarige sich, bewegte sich gelassen zum Auto und stieg ein.
Tyler
Als er endlich in seinem Auto saß, das er vor einer Stunde auf dem Parkdeck des Flughafens abgestellt hatte, spürte er mit jedem tiefen Atemzug, wie sein Selbstbewusstsein langsam zu ihm zurückkehrte. Der Innenraum des Mercedes, der Anblick der vertrauten Armaturen und die stabile Karosserie um ihn herum vermittelten ihm ein Gefühl der Sicherheit, das seinen böse durcheinandergeratenen Gedanken und Gefühlen sehr zugute kam. Der lästige, viel zu unüberschaubare Wirbelsturm in seinem Kopf beruhigte sich allmählich, was er im höchsten Maße erleichtert zur Kenntnis nahm.
Ich habe das hier unter Kontrolle, sagte er sich, alles passiert ganz genau so, wie es abgemacht war. Dieser Draven ist wie geplant mit dem Flugzeug zu mir gekommen. Die Maschine ist sogar pünktlich gelandet. Endlich habe ich die Gelegenheit, meine geheimsten Wünsche zu erfüllen. Der Mann, für den er viel Geld bezahlt hatte, würde dieses Wochenende lang sein Eigentum sein, mit dem er im Rahmen der Vereinbarung alles machen durfte, was er wollte. Tyler spürte eine tiefe Zufriedenheit in sich aufkommen. Das wird bestimmt ein geiles Abenteuer, dachte er mit einem Grinsen der Vorfreude im Gesicht.
Von Draven war er positiv überrascht. Der Kerl aus München sah nicht nur exakt so aus, wie es ihm auf dem sexy Boxershorts-Foto im Internet versprochen worden war, sondern er schien außerdem gut erzogen zu sein, zurückhaltend und höflich, so wie Tyler es mochte. Draven hatte eine ruhige, angenehme Stimme, etwas, worauf Tyler bei einem Mann großen Wert legte. Außerdem hatte der Callboy einen ziemlich verlockenden Körper, schien tatsächlich schlank und muskulös zu sein, auch wenn man das auf den ersten Blick unter seiner Kleidung nicht richtig sehen konnte. Alles in Allem machte Draven einen freundlichen Eindruck, ohne übertrieben anbiedernd zu sein oder allzu cool wirken zu wollen.
Tyler fühlte eine mächtige Erregung in sich aufkommen, als er sich unweigerlich den Sex mit Draven vorstellte. Unruhig drückte er die Oberschenkel aneinander, spannte die Muskulatur in seinem Unterleib an. Er würde jetzt auf direktem Wege zu seinem Haus am Stadtrand von Oberhausen fahren und dort sofort mit dem Mann seiner Träume in seinem Schlafzimmer verschwinden. Heute Morgen hatte er extra zu diesem Zweck seine Bettwäsche gewechselt, das ganze Bett frisch bezogen und ein bisschen aufgeräumt. Obwohl Tyler ohnehin ein sehr ordentlicher Mensch war, weswegen das Aufräumen eher pro forma geschehen und nicht wirklich nötig gewesen war.
Sein Haus inklusive aller Zimmer war jedenfalls bereit für den heiß ersehnten Besuch, es gab dort nichts, weswegen Tyler sich hätte schämen müssen oder was irgendwie peinlich hätte werden können, das hatte er extra überprüft. Auch das Gästezimmer und das Gästebad hatte er sorgfältig vorbereitet, Draven sollte sich während der zwei gemeinsamen Tage dort wohlfühlen. Erst morgen Abend würde er seinen Gast wie vereinbart zurück zum Flughafen fahren, hoffentlich um eine fantastische Erfahrung reicher.
Vielleicht können wir in den Pool gehen, überlegte Tyler mit einem Blick durch die Windschutzscheibe Richtung Himmel. Es versprach ein schöner Tag zu werden, keine Wolke war am Himmel, sicher würde es warm genug sein, um sogar draußen zu schwimmen. Ob Draven schwimmen konnte? Wie würde er wohl in einer Badehose aussehen? Ob er in seinem billigen, zerfledderten Rucksack überhaupt eine Badehose dabei hatte? Wenn nicht, dann leih ich ihm eine von mir, aber eine extra enge, beschloss Tyler schmunzelnd, und stellte sich aufgeregt den Mann in seinem sündhaft teuren Pool vor. Dravens nasser Körper wäre bestimmt total sexy, es würde Tyler geil machen zu sehen, wie die Wassertropfen auf Dravens tätowierter Haut herunterperlen würden, wenn er langsam aus dem Pool steigen würde. Oder sollten sie nicht lieber gleich nackt baden? Wäre das zu dreist?
Nein, es gab jetzt nichts mehr, was zu frech sein könnte, verstand Tyler jäh, er hatte wahrhaftig die absolute Macht über das, was zwischen ihm und Draven passieren konnte. Alle Bedingungen ihrer sexuellen Betätigung waren in dem Vertrag exakt festgelegt und von Draven abgesegnet worden. Der heiße Typ hatte tatsächlich jedem delikaten Detail zugestimmt, Tyler musste sich beim Sex mit ihm daher in keinster Weise zurückhalten. Er konnte allen seinen geheimsten Impulsen freien Lauf lassen.
Oh Gott im seligen Himmel! Tyler Jonas spürte überdeutlich, wie sich bei diesen erregenden Gedanken unwillkürlich das Blut in seinem Penis zu stauen begann. Er saß abfahrbereit auf dem Fahrersitz seines Mercedes, und eine Erektion war zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch immer das Letzte, was er gebrauchen konnte. Vorhin im Flughafen war er heilfroh gewesen, als sein voreiliges Geschlechtsorgan sich zwischenzeitlich wieder entspannt hatte. Ärgerlich griff er hinunter, legte seine Finger halbwegs über die wachsende Ausbeulung in seiner grauen Chino, so gut das im Sitzen eben ging, und rückte den steifen Schwanz in eine Position, die ihn am wenigsten einengte.
Dann schlug er sein Jackett über seinen Schoß und sah sich ungeduldig nach Draven um. Wo blieb der komische Kerl überhaupt? Warum stieg er nicht endlich ein? War er etwa unbemerkt abgehauen? Weil er, Tyler, ihm aus irgendeinem Grund nicht gefiel? Hatte der Callboy es sich anders überlegt, weil ihm irgendwas nicht passte, und wollte nicht mehr mit ihm mitfahren? Mit aufkommender Panik sah Tyler sich um, suchte mit den Augen hektisch die Umgebung ab.
Zum Glück musste er nicht lange suchen. Durch die getönten Scheiben seines Mercedes konnte er Draven weiter hinten auf dem Parkdeck stehen sehen. Tyler war erleichtert, dass sein begehrtes Sexobjekt noch da war. Der Mann aus München bewegte sich allerdings nicht, starrte nur das rote Auto an, in dem Tyler sich befand, als hätte er so einen Wagen noch nie gesehen. Was war los mit diesem Kerl? Ungeduldig drückte Tyler auf die Hupe und konnte grinsend beobachten, wie Dravens Körper verschreckt zusammenfuhr, war er doch vorher offensichtlich in tiefen Gedanken versunken gewesen.
Endlich kam Bewegung in den seltsamen Typ, gemächlich lief er auf das Auto zu, und Tylers Herzschlag beschleunigte sich abermals, als der Mann aus München die Tür öffnete, in einem eleganten Schwung neben ihm auf dem Beifahrersitz Platz nahm und seinen Rucksack zwischen seine Füße in den Fußraum stellte. Dankenswerterweise war das Innere des Wagens recht groß, sodass die beiden Männer nicht allzu dicht beieinander sitzen mussten, was Tyler in dieser Situation sehr recht war.
Im nächsten Moment zog Draven die Tür zu und lächelte Tyler freundlich an. „Wow, Mann, du hast echt ein geiles Auto!” bemerkte er anerkennend, was Tyler ziemlich niedlich fand. „Ja, das habe ich mir auch hart erarbeitet”, gab er ein bisschen an, woraufhin Draven amüsiert auflachte. Tyler betrachtete ihn nachdenklich, hatte er doch das Gefühl, dass der andere ihn spöttisch auslachte. Habe ich jetzt zu dick aufgetragen?, fragte er sich verunsichert, schob den unsinnigen Gedanken aber ärgerlich beiseite. Schließlich war es nur die reine Wahrheit, dass er sich seinen Wohlstand mit jahrelangem Fleiß verdient hatte.
„Schnall dich bitte an”, bat er seinen Fahrgast und startete den Wagen ein wenig überstürzt per Knopfdruck, froh, den Flughafen endlich verlassen zu können. „Wie lange fahren wir bis Oberhausen?” wollte Draven neugierig wissen, der sich offenbar mit den Dimensionen des Ruhrgebiets nicht auskannte. „Etwa eine halbe Stunde, wenn alles frei ist”, informierte Tyler ihn, registrierte zufrieden, dass Draven sich folgsam anschnallte, und konzentrierte sich dann darauf, sein großes Auto sicher aus der schmalen Parkbucht und vom verschachtelten Parkdeck des Flughafens zu steuern.
Während sie in weiten Kreisen und durch enge Wege das Parkhaus verließen, herrschte eine sonderbare Stille in der Fahrgastzelle, sodass Tyler schon nach kurzer Zeit nervös über ein passendes Gesprächsthema nachgrübelte. Als Barkeeper war er ziemlich gut im Zuhören, aber nicht unbedingt darin, ein Gespräch anzufangen. Viele Gäste im mon petit konnten es gar nicht erwarten, ihm von der anderen Seite der Theke aus ihre Sorgen anzuvertrauen, und Tyler hatte sich angewöhnt, jedem einzelnen nebenbei genug Aufmerksamkeit zu schenken, sodass die redseligen Besucher sich bei ihm wohlfühlten. Dabei musste er selbst eher wenig sprechen, es reichte völlig aus, wenn er dem anderen lauschte und ab und zu eine passende Frage stellte oder mehr oder weniger hilfreiche Bemerkungen machte.
Die Situation mit Draven in seinem Auto war jedoch völlig anders. Hier ging es nicht darum, einen meist übermäßig alkoholisierten Gast bei Laune zu halten. Normalerweise hätte Tyler den Mann neben sich auf dem Beifahrersitz wohl gefragt, was er denn so beruflich machte, was ein allgemein anerkannter Ansatz für ein Gespräch unter Fremden war. In diesem Fall wäre diese Frage allerdings totaler Quatsch gewesen, denn schließlich wusste er schon, womit der Schwarzhaarige sein Geld verdiente. Er selbst, Tyler, hatte Draven ja über dessen Arbeit als Callboy bei der Agentur in München gebucht. Erneut spürte Tyler, dass er in so einer bizarren Situation noch niemals zuvor gewesen war, und die Unsicherheit, die ihn deswegen abermals zu überschwemmen drohte, ging ihm ganz schön auf die Nerven.
Unruhig warf er Draven einen Seitenblick zu. Der Typ in der anthrazitfarbenen Lederjacke strahlte eine beneidenswerte Gelassenheit aus. Ruhig saß er neben ihm auf dem ergonomisch geformten Sitz und betrachtete interessiert das Innere des Mercedes, ließ seine Augen ausführlich über die vielen Bedienelemente, das erleuchtete Display und den Bordcomputer wandern. Der Besitzer des Autos konnte seinem Fahrgast ansehen, wie beeindruckt der von der wertvollen Ausstattung war, und das schmeichelte ihm. Tyler Jonas war zu recht stolz auf seinen roten Mercedes-AMG GT Sportwagen, hatte es doch relativ lange gedauert, bis er sich sein Traumauto hatte leisten können und der große Wagen fabrikneu, in passender Farbe und mit jeder von ihm bestellten Sonderausstattung zu ihm nach Hause geliefert worden war. Das war ein fantastischer Augenblick gewesen, das lange ersehnte Auto zum ersten Mal fahrbereit vor seiner Haustür zu sehen, daran erinnerte er sich gerne. Und heute war ihm dieser Mann aus München quasi geliefert worden, exakt nach seinen Wünschen, fuhr es Tyler plötzlich durch den Kopf, und er musste beinahe darüber lachen.
Schnell biss er sich auf die Lippen und konzentrierte sich wieder aufs Fahren, spürte er doch, dass er unwillkürlich in Dravens Anblick zu versinken drohte. Yeah!, dieser fremde Kerl, der da neben ihm im Auto saß, sah wirklich verflixt gut aus! Er besaß offenbar jedes einzelne der vielen Attribute, die Tyler schon auf dem Foto im Netz so überraschend angenehm aufgefallen waren. Draven hatte auch in der Realität dieses auffallend zarte, enorm hübsche Gesicht, die ungewöhnlich hellgrauen Augen mit den langen, dunklen Wimpern und diesen weichen, sanft geschwungenen Mund mit den vollen Lippen. Seine Augenbrauen waren auch in Echt dunkel und dicht, die Nase schmal und wohlgestaltet. Definitiv hatte die Fotografie der Agentur ihn nicht in die Irre geführt.
Das alles hatte Tyler in wenigen Sekunden wahrgenommen, die er Dravens Gesicht intensiv von der Seite aus betrachtet hatte. Es gab ihm das Gefühl, als wäre der schon äußerlich verlockende Mann direkt aus dem Foto in sein Auto gesprungen, hätte sich aus dem Nichts heraus neben ihm materialisiert, und entpuppte sich in Wahrheit als noch viel verführerischer. Das war schlicht großartig!
In einem Anfall von Begeisterung richtete Tyler seine Aufmerksamkeit hektisch zurück aufs Fahren. Er wollte sich seinen inneren Aufruhr auf keinen Fall anmerken lassen, denn Dravens äußere Gelassenheit strafte seine Nervosität als unnötig. Aber sein Herz klopfte hart und schnell, ruhelos drückte er die Oberschenkel zusammen und wünschte sich seine lästige Erektion weg, die unangenehm in der Chino drückte. Seine Finger schlossen sich fester um das Lenkrad, er spannte seine Oberschenkel an und lenkte das Fahrzeug umsichtig aus dem Parkbereich und dem Umfeld des Flughafens heraus, um geradewegs die Auffahrt zur richtigen Autobahn nach Oberhausen zu nehmen.
Draven saß die ganze Zeit bewegungslos neben ihm, ließ seinen Blick gedankenverloren über die Umgebung schweifen und sagte nichts. Offenbar fiel ihm auch kein Thema für eine Konversation ein. Tyler überlegte fieberhaft, ob er vielleicht Musik anmachen sollte, entschied aber dann, dass er viel lieber etwas über den Mann an seiner Seite erfahren wollte. Nur wusste er nicht, wie er beginnen sollte, ihm wollten die richtigen Wörter nicht einfallen. Seine eigene, ungewohnte Scheu ärgerte ihn enorm.
Als ihm die seltsame Stille im Wagen schließlich immer unerträglicher wurde, fragte er spontan: „Sag mal, Draven hast du denn gar keine Angst, einfach so zu einem Fremden ins Auto zu steigen und wer weiß wohin mitzufahren?” Zwei Sekunden lang herrschte bleierne Stille in der Fahrgastzelle des Mercedes. Im nächsten Moment biss Tyler sich schockiert auf die Lippen, nicht begreifend, wie ihm so ein komischer Satz denn bloß hatte entwischen können. Verdammt nochmal, das hatte er bestimmt nicht fragen wollen! Nicht ausgerechnet so was! Es war doch nur ein flüchtiger Gedanke von ihm gewesen, auf keinen Fall dazu bestimmt, jemals ausgesprochen zu werden, schon gar nicht vor einem Fremden. Unbehaglich warf er Draven einen Seitenblick zu, in der Erwartung, dass der andere ihn mit Sicherheit auslachen würde. Unter Männern von Angst zu sprechen kam immer blöd an, wurde augenblicklich lächerlich gemacht, weil Angst in ihrem Selbstverständnis normalerweise keinen Platz hatte.
Doch zu seiner Überraschung verspottete Draven ihn nicht, sondern erwiderte seinen Blick mit einer merkwürdigen Faszination in den grauen Augen, die Tyler nicht zuordnen konnte. „Ich dachte, wir fahren nach Oberhausen”, erwiderte der Callboy milde lächelnd. In seinen Augen glitzerte irgendwas, das Tyler völlig fremd war. „Ja... aber... ich dachte... du kennst mich doch gar nicht...”, kam er ins Stottern und brach den Blickkontakt, der ihn beunruhigend tief berührte, hastig ab. Fuck, jetzt habe ich mich total blamiert! Ich sollte lieber die Klappe halten, als so einen blöden Schwachsinn von mir zu geben, dachte er alarmiert. Krampfhaft richtete er seine Augen auf die Fahrbahn und gab mehr Gas, um die Autofahrt, die irgendwie komisch wurde, so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.
„Also normalerweise fahre ich nicht so oft in Autos mit”, erzählte Draven freimütig, „Meine Kunden kommen sonst nicht von so weit her.” Tyler war überrascht von seiner Offenheit und seiner ruhigen Stimme, da schwang kein bisschen Hohn oder Sarkasmus mit, als würde der Kerl seine Frage gar nicht so idiotisch finden, wie sie Tyler gerade vorkam. Erstaunt sah er seinen Beifahrer an. Draven lächelte wahrhaftig liebevoll, was Tylers Puls abrupt in die Höhe schnellen ließ. „Sollte ich denn Angst vor dir haben, Tyler?” wollte der Schwarzhaarige behutsam wissen. Seine Augen wanderten fragend über Tylers aufgeschrecktes Gesicht. „Nein, natürlich nicht”, versicherte der ihm schnell und wandte sich hastig ab. Seine Finger krallten sich noch fester um das Lenkrad, weil das Gefühl, dass er sich gerade irgendwie zum Narren gemacht hatte, einfach nicht verschwinden wollte.
Ärgerlich schaltete er mit einem aggressiven Knopfdruck am Lenkrad das Radio ein, im drängenden Verlangen, jetzt bloß nichts Falsches mehr zu sagen und trotzdem der unangenehmen Stille zu entkommen. Zufällig wurden gerade die ersten Takte von Nine Inch Nails' Wish gespielt, und Draven quiekte erfreut: „Ey, geil, kannst du das bitte lauter machen?” Irritiert tat Tyler ihm den Gefallen und musste sich die nächsten knapp vier Minuten lang verwundert anhören, wie sein unbekannter Beifahrer lauthals mitsang und dabei ausgelassen zum Takt der Musik auf seinem Platz herumhampelte, so weit der Gurt ihm das erlaubte, weil er tatsächlich im Sitzen tanzen wollte. Dravens Füße traten in seinem Fußraum den Takt, seine Hände schlugen im harten Rhythmus auf seine Oberschenkel.
So viel plötzliche, energiegeladene Unbefangenheit hatte Tyler dem Kerl aus München, der doch bisher eher sehr zurückhaltend und höflich gewesen war, gar nicht zugetraut. Aber er musste insgeheim zugeben, dass das Gebaren des attraktiven Mannes ihn amüsierte. Draven beherrschte den ganzen Text von Wish wortgetreu, er hatte zum Glück auch beim Singen eine angenehme Stimme, und unübersehbar mochte er dieses Lied. Mit der Zeit wurde Tyler fast unbemerkt von Dravens enthusiastischer Stimmung mitgerissen, bis er schließlich mit den Fingern im schnellen Takt gegen das Lenkrad trommelte und den Refrain seinerseits vor sich hinmurmelte in der Gewissheit, leider nicht gut singen zu können. Nine Inch Nails schufen mit ihrer ansprechenden Musik zwischen den beiden Reisenden, die gerade erst dabei waren sich kennenzulernen, automatisch eine Verbundenheit. Auf diese Weise brachten Tyler und Draven die nächsten Kilometer Autobahn in recht angenehmer, musikalischer Eintracht hinter sich.
Als der Song zu Ende war, drehte Tyler das Radio wieder leiser. „Du magst NIN?” erkundigte er sich bei seinem Begleiter. Draven atmete schwer, er hatte sich richtig angestrengt, was Tyler mit einiger Erregung wahrnahm. „Ja, die finde ich toll”, bestätigte der Callboy etwas, das schon längst offensichtlich geworden war. „Was hörst du sonst noch so?” fragte Tyler, der froh war, endlich ein neutrales Gesprächsthema gefunden zu haben, für das sie sich sogar beide interessierten. „Ich mag Musik im Allgemeinen”, antwortete Draven unbestimmt und zuckte mit den Achseln. „Was ist mit dir?” wollte er neugierig wissen. Tyler spürte seinen Blick und drehte den Kopf in seine Richtung. Sofort wurde er wieder von Dravens Attraktivität gefesselt, und das strahlende Grau seiner Augen faszinierte ihn. Die unmittelbare Wirkung, die der Fremde zunehmend auf ihn ausübte, erstaunte ihn. Dravens hörbare Atemzüge erschienen ihm wie eine unterschwellige Einladung zum Sex. Innerlich erregt stöhnend musste er den Blick abwenden. „Ich höre auch gerne Musik. Solange es kein seichter Schlager ist”, verriet er atemlos. „Das ist klasse, Tyler. Mir geht’s genauso. Dann können wir ja das ganze Wochenende lang geile Musik hören”, meinte Draven zufrieden.
Scheinbar unbedarft streckte er seine Hand zur Seite aus und legte sie locker auf Tylers Oberschenkel. Es war das erste Mal, dass Tyler von dem Mann seiner Begierde angefasst wurde, und die leichte Berührung fuhr ihm augenblicklich wie ein Wirbelsturm quer durch Mark und Bein. Die Wirkung dieser fremden Hand auf seinem Schenkel war so gewaltig, dass Tyler restlos überrascht Luft einzog. Eigentlich wollte er Dravens vorwitzige Finger dringend von sich wegschieben, wollte sie so schnell wie möglich loswerden, denn er fuhr gerade Auto, der Mercedes befand sich auf einer stark befahrenden Autobahn, und Tyler musste sich zwingend aufs Fahren konzentrieren. Das fehlte noch, dass sie durch seine Unachtsamkeit einen Unfall haben würden. Das ganze, mit großer Sehnsucht erwartete Wochenende mit dem scharfen Kerl wäre mit einem Schlag verdorben, das durfte auf keinen Fall passieren, gerieten seine Gedanken jäh in helle Aufregung.
Aber dennoch brachte er es nicht über sich, den anderen abzuweisen. „Draven...”, warnte er seinen Beifahrer mit rauer Stimme, während er das Lenkrad fest umklammerte und verkrampft nach vorne durch die Windschutzscheibe auf die Fahrbahn starrte. Doch anstatt seine Hand wegzunehmen, fing der Callboy frech damit an, seine Finger sanft über den Stoff der grauen Chino zu bewegen, sodass Tyler ein verblüfftes Keuchen ausstieß. „Das wird mega geil”, flüsterte Draven, der sich vorsichtig zu ihm hinbeugte, soweit sein Sicherheitsgurt das zuließ.
Draven
Dieser Kerl roch außergewöhnlich gut. Das war das Erste, was Draven verdutzt wahrnahm, als er sich vorsichtig zu dem Mann neben sich im Auto hinbeugte, mit langsamen Bewegungen, um den Fahrer nicht zu erschrecken und damit sein Sicherheitsgurt nicht plötzlich einrasten konnte, was beides peinlich gewesen wäre, und seine längst erwachte Neugier darauf, womit der andere ihn wohl an diesem Wochenende noch überraschen würde, steigerte sich enorm.
Nie im Leben hätte er vermutet, dass einem so offensichtlich reichen Sack wie diesem seltsamen Kunden aus Oberhausen eine Band wie Nine Inch Nails gefallen könnte, dass er die Musik aus dem Radio auf seinen, Dravens Wunsch hin klaglos lauter stellen, mit den Fingern im aggressiven Takt gegen das Lenkrad trommeln und sogar den Text von Wish mitsummen würde. Draven hatte geglaubt seinen Augen nicht trauen zu können, als Tyler wahrhaftig sein Wohlgefallen über den Song auf diese Weise zum Ausdruck gebracht hatte. Nun musste der Callboy einsehen, dass er da offenbar weit verbreiteten Vorurteilen erlegen war, dass reiche Leute nur klassische oder besonders intellektuelle Musik hören würden, und dieser wohlhabende Typ wahrscheinlich in Wahrheit ganz anders war, als er es erwartet hatte.
Tyler überraschte ihn am laufenden Band, und das gefiel ihm sehr, machte es ihr ungewöhnliches Arrangement doch auf angenehme Art sehr spannend. Sein Blick lag höchst interessiert auf dem Gesicht des Fremden, der am Steuer des Mercedes saß, die Finger jetzt krampfhaft um das Lenkrad gekrallt, den Blick konzentriert geradeaus auf die Fahrbahn gerichtet. Die letzten knapp vier Minuten, erfüllt mit dem lauten Sound von Nine Inch Nails aus der hochwertigen Musikanlage des Autos, hatten Draven innerlich aufgeputscht. Seine vorherige Müdigkeit war mit dem Song verflogen, denn er hatte auf seinem bequemen Beifahrersitz unwillkürlich begeistert mitgerockt, konnte er doch gar nicht anders reagieren, wann immer derart geile Musik an sein Ohr drang. Sein Herz schlug auch jetzt noch einen schnellen Takt, er hatte sich im Sitzen richtig angestrengt, war deshalb atemlos, fühlte sich aufregend kribbelig und absolut bereit für jedes kommende Abenteuer.
Dem attraktiven Kerl neben sich in dieser Situation körperlich näher zu kommen, schien ihm eine verflixt gute Idee zu sein. Die linke Hand seitlich in dessen Richtung auszustrecken und sie auf dem fremden Oberschenkel abzulegen war relativ leicht, und es amüsierte ihn insgeheim enorm, wie der sichtbar verkrampfte Typ hinter dem Lenkrad schon bei der ersten zarten Berührung hörbar die Luft einzog und augenblicklich erstarrte. Diese eindeutige Reaktion erschien Draven recht vielversprechend zu sein, außerdem mochte er das Gefühl des kräftigen Beines unter dem grauen Stoff, darum ließ er seine Hand gerne auf dem unbekannten Schenkel liegen.
Sich weit genug zu Tyler hinzubeugen, um ihn eventuell auf die Wange küssen zu können, falls der andere das zulassen würde, war schon ungleich aufwändiger, denn der Innenraum des beeindruckend ausgestatteten Mercedes Sportwagens war unerwartet groß, daher saßen die beiden Männer auf ihren ergonomisch geformten Autositzen nicht sehr dicht beieinander. Draven ließ sich von der zu überwindenden Entfernung jedoch nicht abschrecken und näherte sich dem Objekt seiner Begierde unbeirrt. Unwillkürlich atmete er tief ein, um den überraschend intensiven Duft zu genießen, der ihm zunehmend in die Nase stieg, je näher er dem Fremden hinter dem Steuer kam. Diese ungewohnte Mischung aus herber Männlichkeit und aufregender Exotik schmeichelte seinem Geruchssinn so gewaltig, dass er innerlich wohlig erschauderte. Seine Hand lag ruhig auf dem rechten Oberschenkel des Fahrers, bewusst fühlte er den angenehm glatten Stoff der grauen Chino, nahm Tylers Körperwärme wahr und das harte Gefühl seiner spürbar angespannten Muskeln.
„Draven...”, krächzte der andere warnend, während er das Lenkrad fester umfasste und durch die Windschutzscheibe starr die Autobahn vor ihnen im Auge behielt. Draven lächelte über Tylers unübersehbar rapide ansteigende Nervosität. Die unverhofft heftige Reaktion des Fremden auf seine doch bisher eher harmlose Annäherung ermutigte ihn, daher fing er neugierig damit an, mit seinen Fingern sanft über den warmen, weichen Stoff der Hose zu streicheln. Damit entlockte er Tyler unvermittelt ein kurzes, verdutztes Keuchen, unüberhörbar eine Mischung aus Überraschung und sexueller Erregung. Dieses unerwartete Geräusch hatte eine erstaunlich starke Wirkung auf Draven, spürte er es doch förmlich im ganzen Leib, und es gefiel dem Callboy verwirrend gut zu fühlen, wie die ohnehin schon enorm angespannte Oberschenkelmuskulatur des Mannes unter seinen streichelnden Fingern zu zucken begann.
„Das wird mega geil”, flüsterte Draven erwartungsvoll mit einem belustigten Schmunzeln, den Mund irgendwo in der Nähe von Tylers rechtem Ohr, so weit es ging hinübergebeugt zu seinem derzeitigen Job, noch mehr Nähe zum Fahrer ließ der Sicherheitsgurt leider nicht zu. Sein Blick lag pausenlos auf Tylers sonderbar erstarrtem Gesicht, konzentriert erfasste er die ungewohnt markanten Züge des anderen, achtete verstärkt auf die Mimik des Mannes, denn er musste jede Veränderung in diesem Äußeren, insbesondere das allerkleinste Zeichen der Ablehnung rechtzeitig erkennen, wollte er seinen Kunden nicht womöglich unabsichtlich verärgern, was auf keinen Fall passieren durfte.
Während der zweiwöchigen Mitarbeiterschulung der Agentur war ihm wiederholt beigebracht worden, dass er sich niemals darauf verlassen durfte, dass die Menschen, die sexuelle Dienste von ihm erwarteten, genügend mit ihm redeten. Ganz im Gegenteil, die meisten Kunden hatten enorme Hemmungen davor, ihre impulsiven Wünsche oder Abneigungen spontan auszusprechen, erwarteten aber trotzdem wie selbstverständlich, dass der von ihnen bezahlte Callboy sie gefälligst zu ihrer vollsten Zufriedenheit bediente. Von daher musste Draven unentwegt auf der Suche nach nonverbalen Anzeichen sein, was er mit erhöhter Aufmerksamkeit automatisch auch diesmal war, denn er wollte seinen wichtigen Job unbedingt gut machen.
Während er Tylers Gesicht mit erfahrenen Blicken studierte, prägten sich ihm wie nebenbei alle unbekannten Details ein, das akkurat kurz geschnittene, dunkelblonde Haar, die dunklen, nur leicht geschwungenen Augenbrauen, die braunen, ovalen Augen mit schwarzen Wimpern, die große, beinahe römisch anmutende Nase, die eher schmalen, roten Lippen, und der fremde Kerl kam ihm attraktiver vor, je länger er ihn intensiv von der Seite aus betrachtete. Ihm fiel auf, wie perfekt Tyler rasiert war, denn er konnte keine einzige Bartstoppel auf dessen Gesicht erkennen, nicht mal einen Hauch davon, seine helle Haut war ganz glatt, anziehend rein und sichtbar gut gepflegt worden.
Irgendetwas schien ihn zu dem reichen Typen hinzuziehen, es drängte ihn verwirrend stark in die Nähe seines Begleiters, auch wenn Draven sich beim besten Willen nicht erklären konnte, was genau das sein sollte. Zugegeben, dieser Tyler sah ansprechend gut aus, er hatte einen interessanten Körperbau mit langen Gliedmaßen und offenbar kräftigen Muskeln, soweit Draven das unter der auffallend hochwertigen Kleidung abschätzen konnte, Tyler war noch jung und scheinbar wohlerzogen, aber all das waren auch schon andere seiner Kunden und Kundinnen gewesen. Trotzdem schien mit dem Mercedesfahrer etwas neu zu sein, es fühlte sich irritierend andersartig an, als Draven es bisher bei der Ausübung dieses Jobs gewohnt war.
Während er verwirrt darüber nachdachte, was an dem komischen Kerl aus Oberhausen denn bloß so anders sein sollte, wurde sein Streicheln wie von allein intensiver, seine Finger bewegten sich kräftiger über Tylers Oberschenkel, erfühlten die hart verkrampften Muskeln unter dem weichen Stoff, registrierten jede nervöse Zuckung und drängten autonom an dem fremden Bein hinauf, zielstrebig in die Richtung seines Schritts. Tylers Penis in der Hose zu erfühlen, schien ihm ein verwirrend lohnendes Ziel zu sein.
„Draven...”, keuchte Tyler zum zweiten Mal, diesmal noch unmissverständlicher warnend, und schüttelte energisch den Kopf. Seine rechte Hand verließ überstürzt das Lenkrad und schnellte hinunter zu den liebkosenden Fingern an seinem Körper, um sie schnellstmöglich aufzuhalten. Er legte seine Hand fest über Dravens und zwang sie damit stillzuliegen, schob Dravens Finger jedoch nicht von sich weg, was der erfahrene Callboy sofort als gutes Zeichen interpretierte. „Warum nicht?” hauchte Draven amüsiert, den Blick unverändert auf Tylers attraktives Gesicht geheftet, sollte ihm doch keine winzige Regung darin entgehen. Der Brünette warf ihm einen kurzen, strafenden Blick zu, richtete seine Aufmerksamkeit aber sofort zurück auf die Straße, überstürzt, um seiner verantwortungsvollen Pflicht als Fahrer des großen, schweren Wagens gewissenhaft nachzukommen.
„Ist das dein Ernst?” erkundigte er sich fassungslos. „Das ist echt schön”, erwiderte Draven achselzuckend, löste sich von Tylers ansehnlicher Visage und schaute stattdessen prüfend hinab auf dessen Schoß. Mit Kennerblick entdeckte er sofort die eindeutige Ausbeulung des Stoffs, die Tylers Erektion verursachte, denn Tylers wertvolles Jackett hatte sich beim Sitzen unten ein Stückchen geöffnet. „Es gefällt dir doch ganz offensichtlich auch”, stellte Draven schmunzelnd fest und hob seine Augen fragend in Tylers angespanntes Gesicht. Gutmütig lächelte er den scheuen Kerl an. Als der Typ daraufhin beschämt sein Sakko richtete, musste Draven beinahe darüber lachen, verkniff es sich aber im letzten Moment, denn er durfte seinen gehemmten Kunden weder kränken noch in Verlegenheit bringen.
„Du spinnst doch, ich muss Auto fahren”, meinte Tyler verständnislos und schob die Hand auf seinem Schenkel nun doch beiseite, wenn auch ein bisschen zögerlich, als müsste er sich mit Gewalt dazu zwingen. „Oder willst du vielleicht riskieren, dass wir einen Unfall haben?!” setzte er vorwurfsvoll hinzu. Enttäuscht zog Draven seinen Arm wieder ein, konnte sich aber nicht bremsen, dem schüchternen Fahrer noch schnell einen flüchtigen Kuss auf die Wange zu drücken. „Du könntest auf einen Parkplatz fahren”, schlug er bei der Gelegenheit spontan vor, flüsterte es verheißungsvoll in die Nähe von Tylers kleinem Ohr, ohne weiter darüber nachzudenken, und atmete nochmal kräftig den erregenden Duft des Mannes ein, bevor er sich endgültig zurückzog und sich wieder gerade hinsetzte.
Bei der mega kurzen Berührung von Dravens vollen Lippen auf Tylers rechter Wange zog der Brünette erneut hörbar die Luft ein, atmete impulsiv scharf ein, als wäre es ein überraschter Reflex von ihm, und auch diesmal traf das sexuelle Geräusch den Callboy unnatürlich stark. „Ich treibe es doch nicht an einer Autobahnraststätte mit dir!” stellte Tyler beleidigt klar und biss sich im nächsten Moment erschrocken auf die Lippen, was Draven abermals zum Lachen reizte. „Ich habe doch gar nichts von Treiben gesagt”, kicherte er amüsiert. Tyler drehte den Kopf und schaute ihn misstrauisch an, als wollte er überprüfen, ob der andere ihn vielleicht auslachte. Freundlich klopfte Draven ihm auf die Schulter, um ihn zu beruhigen, und spürte erstaunt, wie der Typ sich bei seiner lässigen Berührung augenblicklich versteifte. „Außerdem habe ich einen Parkplatz erwähnt und keine Autobahnraststätte”, erklärte er geduldig. „Das ist ja wohl das Gleiche”, knurrte Tyler ärgerlich und zuckte mit der Schulter unwillig von seinem Beifahrer weg.
Dieser komische Kerl aus Oberhausen ist ja ganz schön sensibel, dachte Draven leicht verunsichert, mit dem muss ich wohl besonders vorsichtig umgehen. „Tut mir leid”, entschuldigte er sich instinktiv, „Ich dachte es würde dir vielleicht auch Spaß machen, mit mir auf einen Parkplatz zu fahren.” Eine Weile war es angespannt still im Innenraum des roten Mercedes, während Tyler offenbar angestrengt über diesen außerplanmäßigen Vorschlag nachgrübelte und Draven mehr oder weniger geduldig auf eine konkrete Antwort seines seltsam gehemmten Kunden wartete.
„Was willst du da tun... auf dem Parkplatz...?” hörte Draven den Mann neben sich nach einer Ewigkeit schüchtern fragen. Tylers Stimme war plötzlich so rau und leise, förmlich atemlos, dass er ihn kaum noch verstehen konnte. Aufhorchend wandte der Callboy sich seinem Kunden zu, dessen Interesse an Dravens spontaner Idee offenbar trotz seiner zunächst ablehnenden Meinung geweckt worden war, und das freute den Schwarzhaarigen viel mehr, als er sich selbst erklären konnte. „Du, wir machen da, was auch immer du tun willst, Tyler”, versicherte er dem Schüchternen sanft, lächelte aufmunternd und einnehmend liebevoll und registrierte mit erfahrenem Blick, dass der Puls des zahlungskräftigen Mannes abrupt in die Höhe schnellte und seine Nervosität sich auf Neue zu steigern schien.
„Was auch immer ich tun will...”, wiederholte Tyler gedankenversunken, mit krampfhaft beherrschter Erregung und zweifellos restlos verblüfft, woraufhin Draven fast ein unfeines, spöttisches Lachen entwischt wäre. „Ja, Tyler, aber wir müssen das nicht tun. Natürlich können wir auch abwarten, bis wir bei dir zu Hause in Oberhausen angekommen sind”, stellte er ein bisschen neckend klar und ließ seinen Kunden dabei nicht aus den Augen, schenkte ihm sogar einen herausfordernden Blick. Der Brünette drehte seinen gut aussehenden Kopf langsam zur Seite und ließ seine Augen eine Weile erstaunlich aufmerksam über Dravens Gesicht wandern, als wollte er sich jede Kleinigkeit darin ganz genau merken oder zumindest herausfinden, was der andere mit seiner unvorhergesehenen Idee in Wahrheit bezweckte.
Auf diese Weise brachten sie gut einen weiteren Kilometer Autobahn hinter sich. Schließlich wollte Draven den Fahrer ihres Gefährts schon fast ermahnen, er sollte sich doch lieber auf die Straße konzentrieren, weil er beunruhigt spürte, wie Tyler sich zunehmend in seinem Anblick zu verlieren drohte. Dieser Umstand war völlig neu für ihn, noch niemals hatte ein Kunde dermaßen fasziniert auf ihn reagiert, und er fühlte sich enorm geschmeichelt davon, auch wenn er dieses ungewohnte Gefühl gar nicht recht zuordnen konnte.
„Ich treibe es auf keinem Parkplatz mit dir, Draven”, wiederholte Tyler irritierend aufgeräumt. In diesem Punkt machte er offenbar keinerlei Kompromisse. „Wir müssen es ja auch gar nicht gleich treiben”, wandte Draven kopfschüttelnd ein, „Aber ich habe jetzt Lust auf dich. Ich möchte dich gerne spüren.” Der Callboy genoss es enorm, als sein Kunde zum dritten Mal jäh nach Luft schnappte, ein ungemein erregendes Geräusch, dass er, Draven, offenbar gar nicht oft genug hören konnte. „Mann, ich habe auch Lust auf dich. Du hast keine Ahnung wie sehr”, eröffnete Tyler ihm wispernd und wandte sich im nächsten Moment verlegen ab, um endlich wieder die Fahrbahn im Auge zu behalten. Der Mercedes brauste mit unverminderter Geschwindigkeit über die Autobahn, während die Atmosphäre im Innern sich aufzuladen schien, weil sich die Erregung der beiden Insassen kontinuierlich steigerte.
„Ich habe so lange auf dieses Wochenende mit dir gewartet”, gestand der Brünette niedlich gehemmt, und Draven glaubte zu erkennen, dass Tylers hübsches Gesicht sich wahrhaftig ein wenig rot färbte. Gerührt streckte er nochmal seine Hand aus und legte sie abermals auf den Oberschenkel seines Kunden, der ihm in seiner Position am nächsten war. Seine Finger streichelten über den glatten Stoff der grauen Hose, und es freute ihn weitaus mehr, als er zugegeben hätte, dass Tyler keine Anstalten machte, seine Hand wegzuschieben. „Nicht...”, seufzte der Mercedesfahrer nach einer Weile, doch seine raue Stimme klang dabei genüsslich, „Tu das nicht... das ist zu gefährlich... hör damit auf, Draven...” Tyler schwankte offenbar zwischen eindeutig erwachter Wollust und der unverändert begründeten Angst vor einem Autounfall.
„Wir könnten auf dem nächsten Parkplatz kurz anhalten”, wiederholte Draven seinen unerwarteten Vorschlag, und er hatte keinen Schimmer, warum seine Stimme dieses Mal schon richtig drängend klang, beinahe so, als würde er seinen Kunden flehend bitten anzuhalten. Auch wusste er nicht, warum sein Herzschlag sich nach dem aufregenden Song Wish gar nicht mehr beruhigen wollte, sondern sich stattdessen fortdauernd beschleunigte.
Draven spürte eine seltsam heftige Erregung in sich aufkommen, als er seine Finger kurzerhand zwischen Tylers Oberschenkel schob. Er bewegte seine Hand behutsam, im vollen Bewusstsein, dass der andere ihn wahrscheinlich wütend wegschubsen würde, und doch konnte er sich schlicht nicht davon abhalten. Angespannt behielt er Tylers hübsches Gesicht im Auge, als er mit widersinnig hämmerndem Puls seine Finger in den warmen, engen Raum zwischen Tylers Beinen schob, so tief es ging, bis seine Fingerspitzen gegen die Sitzfläche des Fahrersitzes stießen. Amüsiert spürte er, wie der nervöse Mann die Oberschenkel instinktiv fest zusammenpresste, seine angespannten Muskeln zuckten abwehrend, aber seine Reaktion war eine andere.
„Draven, verdammt...”, stöhnte der Brünette vorwurfsvoll, krümmte sich jedoch in einem unwillkürlichen Schauder der Erregung und krallte seine Finger hilflos so fest um das Lenkrad, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Im selben Moment, in dem Tylers Körper unwillkürlich auf die allzu vorwitzigen Finger zwischen seinen Beinen reagierte, machte das Auto einen ruckartigen Schlenker über die Fahrbahn, weil Tyler für den Bruchteil einer Sekunde unweigerlich die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor.
„Fuck!” schrie er erschrocken auf, griff überstürzt hinab, packte Dravens Handgelenk so fest, dass Draven unbehaglich aufstöhnte, riss die Finger förmlich zwischen seinen Oberschenkeln hervor und schleuderte die unerwünschte Hand ärgerlich zur Seite in Dravens Richtung. „Lass das sein!” schimpfte er wütend mit seinem Beifahrer, packte hastig mit beiden Händen das Lenkrad und erlangte hektisch die Gewalt über sein Auto zurück.
Auch der Callboy hatte sich bei dem kurzen, aber gefährlichen Schleudern des schweren Wagens über die Fahrbahn erschrocken und ihm wurde erst jetzt richtig bewusst, dass er seine körperlichen Annäherungen wohl doch lieber auf einem Parkplatz fortführen sollte. Mitten auf der Autobahn, während der Fahrt war es fraglos keine so gute Idee, Tyler auf diese direkte Weise abzulenken, zumal der Typ verblüffend stark und umfassend auf ihn reagierte. Wenn der sensible Oberhausener schon jetzt die Kontrolle über das Lenkrad verlor, wo doch Dravens Finger gerade mal ein paar Sekunden lang zwischen seinen Oberschenkeln gewesen waren, noch vollständig angezogen und nicht mal in der Nähe seines empfindlichen Schwanzes, was sollte dann erst passieren, wenn Draven den Kerl auspacken würde? Das wollte sich der Schwarzhaarige lieber nicht vorstellen, zweifellos würden sie als Konsequenz auf dieser Autobahn in einem Graben landen oder an der nächsten Leitplanke zerschellen. Im schlimmsten Fall würde er sehr weit weg von Zuhause sterben, und das wollte er nun wirklich nicht.
„Tut mir leid”, stöhnte er atemlos, „Ich konnte mich nicht zurückhalten.” „Verdammt, Draven!” blaffte Tyler wütend, „Ich hab dich doch gewarnt! Willst du uns vielleicht umbringen?” „Nein, Tyler, sorry”, antwortete Draven kleinlaut, sank auf seinem Platz zusammen und atmete ein paarmal tief durch. Sein Brustkorb hob und senkte sich weit in verkrampftem Luftholen. Nervös legte er seine Hände auf seinen Schoß und rieb die seltsam zitternden Finger aneinander. Es frustrierte ihn, dass es, obwohl er so viel vorausschauende Vorsicht hatte walten lassen, nun trotzdem passiert war. Er hatte seinen bisher wichtigsten Kunden verärgert, und wenn Julie von seinem gravierenden Fehler etwas mitgekriegt hätte, dann würde er zweifellos jetzt von zwei Seiten her angemotzt werden. Aber obwohl diese Tatsache ohne Frage niederschmetternd für ihn war, war sie trotzdem nicht der Grund für seine aufbrausende Nervosität.
Draven Lindfort war völlig verwirrt. Der kurze Moment, in dem seine Finger fest zwischen Tylers Schenkeln gesteckt hatten, er die Körperwärme des fremden Mannes, die Weichheit seines Fleisches und die Stärke seiner Muskeln überdeutlich wahrgenommen hatte, hatte eine unerwartet heftige Wirkung auf ihn ausgeübt. Die sexuelle Erregung, die ihn während der paar Sekunden der vage intimen Berührung stürmisch überrannt hatte, gab ihm zu denken, denn in dieser Form hatte er so etwas noch nie zuvor erlebt. Noch niemals hatte er sich dermaßen stark zu einem Kunden hingezogen gefühlt. Sogar sein Schwanz hatte prompt auf Tylers Schenkel reagiert und steckte nun halbwegs steif in seiner Jeans. Seine eigenen, explosionsartig erwachten Gefühle schienen Draven extrem bedenklich zu sein, denn zweifelsfrei waren sie im höchsten Maße unprofessionell.
Was ist nur los mit mir, fragte er sich alarmiert, warum reagiere ich so gewaltig auf diesen komischen Kerl neben mir? Was ist es, das mich so gigantisch zu ihm hinzieht, dass ich mich kaum noch beherrschen kann ihn zu küssen? Warum kann der Typ mich schon jetzt dermaßen aufgeilen? So etwas Drastisches ist mir noch nie passiert, überlegte er mit einigem Unbehagen. Es gefiel ihm nicht, dass der Fremde so eine große Macht über ihn zu haben schien. Ich muss das rauskriegen, beschloss er mit grimmiger Entschlossenheit, ich will wissen, was da los ist.
Unruhig warf er seinem Auftrag einen Seitenblick zu. Tyler saß nun sichtbar verspannt und aufrecht auf seinem Sitz, den Körper stocksteif, die Hände felsenfest am Lenkrad, den Blick starr geradeaus auf die Fahrbahn gerichtet. Draven lächelte, irgendwie war er gerührt. „Du, wir könnten doch eine kurze Pause auf einem Parkplatz einlegen”, schlug er noch einmal vor und wunderte sich, wie unbedingt er das inzwischen wollte. Alles in ihm schien nach Tylers körperlicher Nähe zu verlangen, und Draven wollte diesem rätselhaften Phänomen liebend gerne auf den Grund gehen. Er brannte darauf zu erfahren, was konkret passieren würde, wenn er Tyler richtig anfasste, wenn er ihn nackt sehen und es endgültig zur Sache gehen würde. Es schien ihm von existenzieller Wichtigkeit zu sein, seine uneingeschränkte Professionalität als Callboy zu festigen und gegebenenfalls restlos zurückzuerlangen.
Auf gar keinen Fall durfte er sich in irgendeiner Form hinreißen lassen, so wie es gerade um ein Haar fast ohne sein Zutun geschehen war. Trotz seiner eigenen, zwangsläufig notwendigen sexuellen Gefühle musste er in diesem Job zu jeder Zeit einen emotionalen Abstand zu seinem Kunden wahren und durfte niemals vollends die Kontrolle über sich verlieren.
„Es ist nicht mehr allzu weit bis zu mir”, erwiderte Tyler abweisend, der von Dravens wiederholt vorgebrachtem Vorschlag alles andere als angetan schien. „Okay, aber wir könnten doch vorher schon mal ein bisschen Druck ablassen...”, versuchte Draven sanft ihn zu überreden. Sein Blick ließ Tyler keine Sekunde aus den Augen, konzentriert hatte er das fremde, unbestritten ziemlich gut aussehende Gesicht im Visier und ließ es nicht mehr los, um keine der winzigen Anzeichen, die er normalerweise richtig zu deuten wusste, zu verpassen.
„Was?! Druck ablassen?!” platze Tyler nervös kichernd heraus und warf ihm einen schnellen Blick zu. Draven freute sich extrem über dieses spöttische Lachen, weil es bedeutete, dass Tyler ihm eigentlich gar nicht so böse war, wie es gerade noch den Anschein gehabt hatte. „Ja genau, dann können wir uns gleich bei dir zu Hause nämlich so richtig schön viel Zeit miteinander lassen, weil doch die erste nervöse Anspannung schon weg ist. Das wird mega geil, glaub mir. Was meinst du dazu, Ty? Ist das nicht eine tolle Idee?” leistete Draven unermüdlich eine Überzeugungsarbeit, die er sich selbst nicht erklären konnte.
Normalerweise reagierte er lediglich auf die Wünsche seiner Kunden, erfüllte ihre Vorstellungen nach bestem Wissen und Gewissen, und es wäre ihm bisher nicht im Traum eingefallen, seinen geschäftlichen Sexpartner zu irgendetwas überreden zu wollen. Das war viel zu mühsam und obendrein komplett überflüssig. Nichts davon gehörte zu ihrem Vertrag. Kein Punkt ihrer Vereinbarung sah vor, dass sie sich vor dem eigentlichen Sex schon befriedigen sollten, um die erste Anspannung abzubauen. Also – was tat er hier eigentlich?
Verwirrt wandte Draven sich ab, starrte nachdenklich auf die beeindruckenden Armaturen des tollen Mercedes Sportwagens um ihn herum, rieb seine Finger über seinen Bauch, spannte die Muskeln seines Unterleibes an und grübelte darüber nach, was denn bloß mit ihm passiert sein konnte, warum er diesen beunruhigend drängenden Wunsch, dem fremdartigen Mann aus Oberhausen so schnell wie möglich näher zu kommen, nicht besser unter Kontrolle hatte.
„So, so, du willst also ein bisschen Druck abbauen, was?” hörte er plötzlich Tylers neckende Stimme. Draven hob den Blick und schaute diesen Kerl wieder an, der so eine sonderbare, nie zuvor erlebte Macht über ihn ausübte. Der überraschend liebevolle Unterton in Tylers spöttischer Frage war ihm nicht entgangen. „Ja, das will ich. Es würde mir sehr gefallen, wenn wir es dadurch nachher etwas langsamer angehen können. Wenn es nicht... nur rein triebhaft abläuft”, bestätigte er nickend und konnte gleichzeitig nicht fassen, wie unerlaubt ehrlich er zu diesem Fremden war. Eigene Wünsche zu äußern gehörte definitiv nicht zu seiner Rolle als Callboy, wollte er seinen Job gut machen.
Tyler schmunzelte amüsiert. „Bist du scharf auf mich, Draven aus München?” fragte er mit plötzlich krächzender Stimme, räusperte sich im nächsten Augenblick nervös, als würden ihm schlagartig die Stimmbänder zusammengedrückt. Seine Finger krallten sich fester um das Lenkrad, während er sichtbar angespannt Dravens Antwort erwartete. Der verwirrte Callboy überlegte nicht lange. „Ja, natürlich bin ich total scharf auf dich, Ty!” versicherte er seinem Kunden spontan. Drei Sekunden später begriff er verdutzt, dass er zum ersten Mal nicht gelogen hatte, so wie ausnahmslos all die anderen Male, die er diesen Satz schon zu einem seiner Kunden gesagt hatte. Außerdem hatte er Tyler nun schon zweimal unbedarft Ty genannt und scheinbar hatte der Mercedesfahrer nichts dagegen einzuwenden, obwohl Spitznamen in Dravens Branche absolut unüblich waren.
Der sorgfältig gekleidete Brünette wandte sich wieder der Straße zu und Draven fiel auf, dass die Finger am Lenkrad und auch Tylers schlanke, lange Beine leicht zitterten. Offenbar befand sein Kunde sich innerlich in greller Aufregung, versuchte aber recht erfolgreich, sich nichts anmerken zu lassen. Wenn es Draven in dieser Situation nicht ganz ähnlich gegangen wäre, dann hätte er sich insgeheim sicher darüber amüsiert. Aber seine eigene, total ungewohnte Nervosität beunruhigte ihn zu stark. Eine Weile war es still im Auto, nur das Radio spielte ganz leise irgendeine Musik aus den Charts, und die angespannte, eindeutig erwartungsvolle Atmosphäre zwischen den beiden Männern, die sich zu diesem Zeitpunkt noch kaum kannten, wurde nahezu greifbar.
„Es ist gar nicht mehr so weit bis zu mir. Ich weiß nicht genau, ob auf diesem Teil des Weges überhaupt noch ein Parkplatz kommt”, flüsterte Tyler nach einer gefühlten Ewigkeit scheu in die Stille hinein. In dieser Sekunde begriff Draven blitzartig, dass der andere trotz seiner vorher geäußerten Bedenken wahrhaftig ernsthaft vorhatte, auf dem nächsten Rastplatz der Autobahn anzuhalten. Die plötzliche Erkenntnis schlug bei ihm ein wie eine Bombe. Sein Puls beschleunigte sich augenblicklich, verblüfft atmete er tief ein, und ein kräftiger Schauder der Erregung erfasste ihn unwillkürlich, der ihm absolut unsinnig vorkam, ja nahezu beschämend. Ruhelos presste er die Oberschenkel zusammen. „Nimm einfach die nächste Abfahrt...”, schlug er drängend vor, die Stimme vor innerer Aufregung krächzend und leise, noch nie hatte er sich dermaßen gestresst gefühlt. „Okay, Drav”, stimmte Tyler verlegen zu, ohne ihn dabei anzusehen, und zum ersten Mal in seinem Leben freute Draven Lindfort sich auf Sex mit einem Fremden, der ihn über die Agentur gebucht und viel Geld für seinen Körper bezahlt hatte.
Noch einmal war es einige Zeit ganz ruhig im Inneren des großen Wagens, aber diesmal herrschte eine andere Atmosphäre zwischen ihnen, ein Gefühl der gegenseitigen Verschwörung war unbemerkt entstanden, eine sonderbare Verbundenheit, ausgelöst durch das gemeinsam beschlossene Vorhaben, ihr fraglos delikates Ziel. Draven hatte es temporär aufgegeben verstehen zu wollen, was zur Hölle mit ihm los war, oder was genau der konkrete Auslöser für seine völlig neuartigen Empfindungen sein konnte. Relativ ruhig saß er auf seinem bequemen Beifahrersitz und ließ seinen Blick scheinbar gelassen über die Umgebung schweifen. Innerlich fühlte er sich jedoch enorm aufgewühlt, seine Gedanken überschlugen sich, und er fing wahrhaftig an zu hoffen, dass auf ihrem Weg über die monotone Autobahn trotz Tylers geäußerter Zweifel doch bitte noch wenigstens eine einzige verdammte Raststätte auftauchen würde, bevor sie Tylers Zuhause erreichen würden.
Draven Lindfort musste nicht lange hoffen. Wie eine Erlösung kam es ihm vor, als am Straßenrand schon nach überraschend kurzer Zeit jenes blaue Schild auftauchte, dass einen Rastplatz in einem Kilometer Entfernung versprach. Im nächsten Moment waren sie schon an dem Schild vorbeigefahren. Draven warf seinem Mitreisenden eilig einen fragenden Blick zu, scheute jedoch davor zurück eine Bemerkung zu machen, denn er wollte seinem Kunden die freie Wahl lassen, genau wie es in diesem Job grundsätzlich von ihm erwartet wurde. Indes hoffte er viel stärker, als er vor sich selbst zugeben wollte, dass Tyler es sich nicht anders überlegen würde. Zu seiner Frustration ließ der Brünette am Steuer sich nicht anmerken, ob er das aufregende Schild im Vorbeifahren überhaupt gesehen hatte, und die nächsten paar Meter Autobahn kamen Draven wie eine qualvolle Ewigkeit vor, fürchtete er doch insgeheim, dass Tyler eventuell trotz seiner Zusage an dem Parkplatz vorbeifahren würde. Noch nie waren ihm 500 Meter so weit, die Zeitspanne, diese Strecke im Auto zurückzulegen, so ellenlang vorgekommen, und das rhythmische Klacken des Blinkers, den Tyler plötzlich mit einem schnellen Handgriff einschaltete, kam ihm auf einmal wie das schönste Geräusch der Welt vor.
Tyler
Der drängende, fast schon beschwörende Seitenblick seines Beifahrers schien sich flehend in sein Gesicht zu brennen, schien ihm das zuvor besprochene Handeln aufzwingen zu wollen, forderte eindeutig die herbeigesehnte Konsequenz, kaum dass sie an dem blauen Hinweisschild mit der weißen Schrift am rechten Fahrbahnrand, das auf den nächsten Rastplatz hindeutete, vorbeigefahren waren. Plötzlich hatten Dravens hellgraue Augen eine glühende Intensität, die Tyler auch aus den Augenwinkeln überdeutlich registrierte, obwohl er jeden direkten Blick zur Seite vermied. Beinahe erschien sie ihm bedrohlich zu sein, verursachten diese Augen doch eine seltsam unerklärliche Hitze auf seiner Haut, sodass ihm wahrhaftig aus allen Poren der Schweiß ausbrach, obwohl Draven gar nichts sagte, sondern ihn nur unmissverständlich auffordernd anblickte.
Tyler war klar, was er tun sollte. Ja, er hatte das verdammte, viel zu auffällige Schild auch gesehen, von dem er insgeheim gehofft hatte, dass es auf dem letzten Teil ihrer Strecke nicht mehr auftauchen würde, um ihn auf bequeme Weise vor einer womöglich verhängnisvollen Fehlentscheidung zu bewahren. In Wahrheit hatte er diesen Entschluss jedoch schon längst gefasst, wenn er ehrlich war, auch wenn er das selbst nicht fassen konnte. Oh Gott, was passierte denn hier bloß? Noch niemals war er in so einer beängstigenden Situation gewesen, die ihm pausenlos das Gefühl gab, schon im nächsten Moment die Kontrolle zu verlieren, einen groben Fehler zu machen, womöglich unbemerkt manipuliert zu werden. Alles Dinge, die er in seinem Leben tunlichst vermeiden wollte und vor denen es ihm schon von jeher graute.
Aber seit Draven neben ihm in seinem Auto saß, seit er die ansprechende Attraktivität seines wahr gewordenen Traumes registriert und sich seiner Anwesenheit richtig bewusst geworden, seit er von ihm berührt, gestreichelt und auf die Wange geküsst worden war und seine wohlklingende Stimme ihm eine geile Zeit versprochen hatte, schien er diesem unbekannten Kerl zunehmend zu verfallen, ohne zu wissen, was um alles in der Welt er dagegen tun, wie er dieser ungeahnten Entwicklung entgegensteuern konnte. Das von langer Hand vorbereitete Arrangement lief anders ab als erwartet, es verwirrte ihn und berührte ihn viel zu stark. Tyler fühlte sich unangenehm unvorbereitet, der ungewohnten Situation schutzlos ausgeliefert, obwohl er diesem Tag schon so lange entgegengefiebert und jede Minute genau geplant hatte, konnte er plötzlich dennoch nicht richtig einschätzen, was auf ihn zukam.
Was war nur los mit diesem fremden Mann? Warum übte der hübsche Typ aus dem Internet, dem er erst vor einer halben Stunde zum ersten Mal begegnet war, schon jetzt so eine unwiderstehliche Anziehungskraft, ja, förmlich eine regelrechte Macht über ihn aus, dass er das Gefühl hatte, diesem Menschen keinen einzigen Wunsch abschlagen zu können und sei er auch noch so sonderbar oder gar verwerflich? War es etwa normal, dass ein bezahlter Callboy solche Gedanken äußerte, seinem Kunden derart bizarre Vorschläge unterbreitete und dann auch noch offensichtlich erwartete, dass er darauf einging?
Tyler Jonas hatte niemals vorgehabt mit dem Mann seiner heimlichen Begierden schon während der ersten gemeinsamen Fahrt vom Flughafen Düsseldorf zu seinem Haus in Oberhausen auf einen Autobahn-Parkplatz zu fahren, um auf was auch immer für eine Art mit dem Kerl quasi in der Öffentlichkeit intim zu werden. So etwas hatte er noch niemals getan, war noch nie ein derart hohes Risiko eingegangen. Nie hatte er außerhalb von vier Wänden Sex gehabt, und es hatte ihn trotz einiger spontaner Gelegenheiten in seiner Vergangenheit auch nie wirklich danach verlangt. Das war doch völlig abwegig! Es umgab den starken Hauch von etwas Notgeilem, als könnten sie sich nicht beherrschen, müssten kopflos übereinander herfallen, weil ihre niederen Triebe es ihnen diktierten, weil sie keine Wahl mehr offen ließen, und dieser Kontrollverlust widerstrebte Tyler enorm.
Ganz abgesehen von der unbestreitbaren Gefahr dabei erwischt, strafrechtlich angezeigt oder zumindest tödlich blamiert zu werden. So etwas primitiv Animalisches hatte er nun wirklich nicht nötig. Selbstverständlich konnte Tyler abwarten, bis sie bei ihm zu Hause vor fremden Blicken sicher geschützt sein würden, zumal der Weg zu seinem sorgfältig vorbereiteten Schlafzimmer inzwischen nicht mehr allzu weit war. Auch seine in den letzten zehn Minuten zweifellos aufgrund Dravens Professionalität überraschend schnell angestiegene sexuelle Erregung änderte nichts daran, dass er sich und seinen Körper zu jeder Zeit ausreichend in der Gewalt hatte. Normalerweise hätte Tyler der kindischen Idee seines seltsamen Fahrgastes nicht mal die kleinste Beachtung geschenkt, nie im Leben hätte er die Möglichkeit von verstohlenem Rastplatz-Sex auch nur vage in Betracht gezogen.
Doch mit dem fremden Mann an seiner Seite schien die Welt für Tyler plötzlich eine völlig andere zu sein, als er es bislang gewohnt war, seine normalen Regeln hatten an diesem besonderen Wochenende offenbar keine Gültigkeit mehr. Den Typ aus München umgab der aufregende Reiz des Verbotenen, den Tyler so lange nicht gespürt hatte, dass er sich nicht mehr daran erinnern konnte und gar nicht sicher war, ob ihn die Gefahr überhaupt je in seinem Leben dermaßen gelockt hatte.
Draven war verwirrend hartnäckig geblieben, hatte seine Forderung nach geilem Druckabbau wiederholt in schmeichelnde Wörter verpackt, auf clevere Art versucht ihm die Sache schmackhaft zu machen, sogar den späteren Sex zwischen ihnen erwähnt und dabei eine direkte Qualitätssteigerung versprochen und so langsam fühlte Tyler sich sonderbar entrückt, er schien federleicht, wie von einer unsichtbaren Last befreit, oder auch haltlos in der Luft schwebend. Als wäre ihm diese Entscheidung eigentlich längst abgenommen worden, könnte er sich vertrauensvoll in Dravens Hände begeben und müsste nur noch genießen, ohne die geringsten Bedenken, ohne Angst vor den Konsequenzen, weil es in Wahrheit möglicherweise gar keine gab.
Tyler begriff verblüfft, dass allein der Gedanke daran, die pure Vorstellung davon, die versprochenen Qualitäten des verlockenden Callboys schon in wenigen Minuten spüren zu dürfen, den so lange vermissten und insgeheim herbeisehnten sexuellen Gefühlen in sich nachgeben zu dürfen, ohne bis zu Hause warten zu müssen, so gigantisch reizvoll für ihn war, dass er wahrhaftig nicht widerstehen konnte.
So etwas war ihm noch nie passiert. Nie war er derart waghalsig und begierig gewesen, und er wusste seine eigenen Gefühle nicht mal ansatzweise zu deuten. Ihm war völlig klar, dass er dies nicht tun sollte, dass er auf jeden Fall an dem gefährlichen Rastplatz vorbeifahren und seinen Mercedes geradewegs nach Hause steuern sollte, weil das Risiko ungeahnter Konsequenzen tatsächlich zu groß und die Menge an eventuell unerfreulichen Überraschungen unüberschaubar war, wenn er sich auf solche dummen Spielchen einließ. Aber dennoch vermochte er seinem prompt schrill warnenden Verstand nicht zu gehorchen, seine eigene Lust auf Draven und auf neue, geile Abenteuer schien jegliche Vernunft einfach aus ihm hinwegzufegen.
Die Betätigung des Blinkers und der Spurwechsel auf die Abfahrt zum Rastplatz war für Tyler im Grunde nur noch eine Formsache, obwohl seine Hände vor Nervosität zitterten und ihm das Herz bis zum Hals schlug. Er hörte Draven neben sich spontan erleichtert Luft ausstoßen, sobald er seine Absicht offenbart hatte, und das unerwartete Geräusch des fremden Mannes erregte ihn enorm, war doch so viel sexuelle Vorfreude darin enthalten, ja, nahezu spürbar, strotzte es doch vor unüberhörbarer Zufriedenheit. Noch immer sagte sein Gefährte nichts, schaute ihn nur mit glühenden Augen an und lächelte angetan, aber er musste auch nichts sagen, denn eigentlich war zwischen ihnen zumindest in diesem Moment alles geklärt worden. Sie waren sich einig, auch wenn Tyler gar nicht mehr wusste, wie es überhaupt dazu gekommen war.
Während sie sich dem Parkplatz näherten, fühlte Tyler sich von Draven besiegt, irgendwie hatte der Fremde ihn überlistet, und das behagte ihm nicht. Doch andererseits war er dermaßen scharf auf diesen Mann aus dem Internet, den er so sorgfältig ausgesucht und für den er so viel Geld bezahlt hatte, dass ihm die impulsive und unvernünftige Idee jedes Risiko wert schien. Außerdem schmeichelte es ihm sehr, dass der gut aussehende Fremde ihn so offensichtlich begehrte, schon viel zu lange hatte er nicht mehr diesen begierigen Blick auf sich gerichtet gefühlt, der ihn irgendwie wichtig machte.
Konzentriert verlangsamte er ihr Tempo und suchte aufmerksam nach einem ungestörten Parkbereich, einem möglichst weit abgelegenen Platz für sein Auto, an dem sie tunlichst nicht überrascht werden konnten. Zum Glück handelte es sich zufällig um einen kleineren Rastplatz ohne Restaurant oder Tankstelle, nur mit einem steinernen Toilettenhäuschen und einigen weit verstreuten Picknickplätzen, sodass nicht allzu viel Betrieb herrschte. Vielleicht war es auch einfach noch zu früh am Tag dafür, als dass sich hier viele Reisende aufhielten, was Tyler nur recht sein konnte. Je weniger Menschen in ihrer Nähe waren, umso sicherer und damit entspannter würde er sich fühlen. Trotzdem hatte er noch immer Bedenken, die hartnäckig mahnend in seinen Verstand stachen, dachte er schuldbewusst daran, wie viel erwachsener und vernünftiger es doch von ihm wäre, würde er jetzt einfach Gas geben und diesen zweifelhaften Ort unverrichteter Dinge schnellstens wieder verlassen, bevor es zu spät wäre, um das drohende Unheil abzuwenden.
Er hätte nicht erklären können, warum er es nicht tat, warum er stattdessen wahrhaftig den Mercedes in eine weit abgelegene Parkbucht lenkte, das Auto dort parkte und den Motor abstellte, als wäre es die normalste Sache der Welt, was es jedoch für ihn definitiv nicht war, denn innerlich war er dabei in heller Aufregung. Nervös wischte er sich mit den Händen über die feuchte Stirn, das merkwürdig heiße Gesicht und rieb die Finger dann unruhig an seiner Chino trocken.
Mit dem Motor verstummte auch das Radio und die folgende Stille im Wageninneren war bleischwer, noch nie war ihm eine Minute so lang und sein eigener Herzschlag so laut erschienen. Ratlos krallte er seine unvermindert zitternden Finger wieder um das Lenkrad, in Ermangelung einer Idee, was er sonst mit ihnen anstellen sollte, presste unbehaglich die Schenkel zusammen, starrte weiterhin verkrampft geradeaus durch die Windschutzscheibe auf ein freies Feld und saß ansonsten einfach so dort auf seinem bequemen Fahrersitz, im unbedingten Bemühen, sich seine tosende Nervosität nicht anmerken zu lassen.
Tyler wagte es plötzlich nicht mehr seinen Beifahrer anzuschauen, aus Angst davor, was dieser dann wohl tun würde, weil der Typ doch jeden Blick von ihm eventuell als frivole Aufforderung missdeuten könnte, und er wollte den unverschämten Kerl, der ihn in diese unselige, enorm nervenaufreibende Lage gebracht hatte, auf keinen Fall zu irgendwas ermutigen. Er wollte nicht derjenige sein, der den ersten Schritt machte, weil das so aussehen würde, als hätte er keine Kontrolle über sich oder könnte sich nicht länger beherrschen.
Die Zeit schien stillzustehen und Tyler hatte keine Ahnung, was er jetzt tun sollte, wie er der seltsamen Situation und seinen eigenen wirren Emotionen Herr werden sollte. Er spürte Dravens Blick unverändert brennend auf seinem Gesicht, sorgsam erforschend, konzentriert suchend, fraglos mega interessiert an ihm, und er glaubte dieses rätselhafte Interesse nicht mehr viel länger aushalten zu können. Die ungewöhnlich grauen Augen machten ihm auf einmal Angst, bedrohten ihn auf irgendeine nie gekannte Art, und er war versucht, auf der Stelle den Motor des Mercedes wieder zu starten, einfach augenblicklich ihre Fahrt fortzusetzen und damit das ungeplante und gefährlich undurchschaubare Rastplatz-Spiel rigoros zu beenden.
Die Stille wurde schnell unerträglich für ihn und seine Finger zuckten schon Richtung Anlasser, als Draven plötzlich das zum Zerreißen angespannte Schweigen beendete. „Fühlst du dich wohl, Tyler?” fragte er sanft, die angenehme Stimme so behutsam, als müsste er besonders vorsichtig sein. Das ärgerte Tyler, denn er wollte nicht mit Samthandschuhen angefasst werden, schon gar nicht von irgendeinem schleierhaften Callboy aus München. „Warum fragst du mich das?” erwiderte er gereizt und spürte verärgert, wie seine steigende Angst und sein Unbehagen gegen seine sexuelle Erregung wirkten, was dazu führte, dass seine Erektion sich langsam aber sicher verflüchtigte. Das gefiel ihm nicht, denn schließlich ging es doch hier um sexuellen Druckabbau und er wollte unter keinen Umständen der Schlappschwanz sein, der vor Nervosität womöglich keinen mehr hochkriegte. Dummerweise steigerte diese Befürchtung seine Unruhe auch noch, was ihn noch mehr verspannte, sodass er fürchten musste, sich vor dem fremden Mann in seinem Auto auf diese Weise zu blamieren.
Trotzig warf er Draven einen schnellen Seitenblick zu, traf sofort den fragenden Blick aus diesen hellgrauen Augen und drehte seinen Kopf schockiert wieder weg. Unruhig ließ er seine Aufmerksamkeit durch die Umgebung wandern, suchte innerlich flehend nach einem Grund, warum dies hier nicht funktionieren, ja, gar nicht stattfinden konnte, und vermochte zu seinem Verdruss keinen zu finden. Er sah nur ein freies Feld, eine Wiese, ein paar Bäume und Sträucher. Niemand hielt sich in ihrer Nähe auf, sie waren tatsächlich relativ ungestört auf diesem Parkplatz, sein roter Mercedes war das einzige Auto in mindestens hundert Metern Umkreis.
„Warum sollte ich mich nicht wohlfühlen?” stieß er aggressiv aus und registrierte erschrocken, dass Draven seinen Sicherheitsgurt ausklinkte und sich von dem schwarzen Band befreite, zweifellos aus dem einzigen Grund, seine Bewegungsfreiheit zu erhöhen. Wütend und verwirrt tat Tyler es ihm gleich, obwohl er das eigentlich gar nicht wollte, in diesem Moment wollte er viel lieber hier verschwinden, klinkte aber dennoch seinen Gurt aus und ließ ihn zurück in die seitliche Karosserie des Wagens gleiten.
„Ganz ruhig”, flüsterte Draven, streckte seinen Arm aus und streichelte behutsam seine Wange, was Tyler augenblicklich eine kribbelnde Gänsehaut bescherte. Aber obwohl die Berührung des fremden Typen sich gut anfühlte, musste er sich anstrengen, um nicht vor der streichelnden Hand zurückzuweichen, was er sich im Grunde gar nicht erklären konnte. Seine eigene, widersinnige Nervosität ärgerte ihn enorm, es schien ihn gleichzeitig zu Draven hin- und ganz weit wegzuziehen, als müsste er sich einerseits schnell in Sicherheit bringen und sollte sich andererseits nicht so blöd anstellen, denn schließlich war er doch mächtig scharf auf diesen hübschen Kerl. „Ich bin ruhig!” behauptete er eine Spur zu laut und zwang sich dazu, seinen Beifahrer anzusehen. Das zarte Lächeln des Mannes aus München fesselte ihn auf der Stelle, die ungewöhnlich hellgrauen Augen hatten eine nahezu hypnotische Wirkung auf ihn.
„Weißt du, wir müssen das hier nicht tun. Wir können auch zu dir fahren”, schlug Draven mit ruhiger Stimme vor. Tyler schüttelte so energisch den Kopf, dass er sich über sich selbst wunderte. Er fühlte sich hin und her gerissen zwischen seiner Angst und seiner Begierde auf den Fremden, der da neben ihm in seinem Auto saß und ihn pausenlos mit erhöhter Aufmerksamkeit studierte. „Nein... warte... ist schon gut...”, betonte er verwirrt und wollte sich für sein Stammeln am liebsten selbst in den Hintern treten. Er hatte keine Ahnung, was mit ihm los war, warum er sich auf einmal so bekloppt aufführte. Es stresste ihn enorm, dass er nicht genauso gelassen wie Draven bleiben konnte, den zu seiner Frustration scheinbar nichts aus der Ruhe bringen konnte.
Aber diese Situation war gänzlich neu, zweifellos war sie riskant für ihn, und trotzdem konnte und wollte er sich dieses geile Abenteuer nicht entgehen lassen. Es schien ihm, als müsste er sich selbst beweisen, dass er das konnte, spontan sein, Risiken eingehen, impulsiven Einfällen folgen, ohne sie erst auf ihren sinnvollen Nutzen hin zu hinterfragen. Sein Leben war normalerweise schon durchgeplant genug, nie hatte er etwas ohne vernünftige Hintergedanken getan, nie ohne Sinn und Verstand gehandelt. Dieses Wochenende war ein ganz besonderes für ihn, lange hatte er darauf gewartet, zielstrebig darauf hingearbeitet, hatte es stundenlang und haarklein durchorganisiert, und nun wollte er unbedingt alles mitnehmen, was es ihm an Überraschungen und Herausforderungen bieten würde.
„Hör mal, Draven, das ist schon okay, wir machen das jetzt!” bestimmte er äußerlich fest entschlossen, spürte jedoch, dass er sich durch seine Rigorosität selbst zu überreden versuchte. Dravens graue Augen ließen ihn nicht los, und obwohl er sie absolut hinreißend fand und das sanfte Lächeln des Typen ihn beinahe lahmlegte, konnte er das brennende Interesse, das ihm von dem Fremden unvermindert heftig entgegenschlug, nicht länger klaglos hinnehmen.
„Aber hör endlich damit auf mich so gierig anzustarren!” setzte er vorwurfsvoll hinzu und biss sich im nächsten Moment verstört auf die Lippen, sein eigener Tonfall irritierte ihn, wollte er doch gar nicht dermaßen unfreundlich zu seinem Gast sein. Draven lachte amüsiert auf, was Tyler ärgerte, denn er hatte den Verdacht, dass der andere sich womöglich insgeheim über ihn lustig machte. „Du hast recht, ich bin gierig auf dich, Tyler. Ich kann nicht anders, denn ich schaue dich gerne an”, gab Draven gutmütig zu, „Du bist sehr schön. Du gefällst mir.” Darauf wusste Tyler nichts zu erwidern, spürte nur verärgert, wie ihm die Hitze in die Wangen stieg. In einer abwehrenden Bewegung zuckte er vor der streichelnden Hand weg, sodass Draven seinen Arm zögernd wieder einzog, ohne ihn jedoch aus den Augen zu lassen. „Du bist wunderschön, Ty”, wiederholte der Schwarzhaarige sanft, „Ich mag es dich anzusehen.” Tyler blies spöttisch Luft aus. „Ach, komm, hör doch auf, das sagst du doch bestimmt zu allen deinen Kunden, Drav”, versuchte er das ungewohnte Kompliment abzuwehren, das ihn viel zu stark berührte.
Zu seinem Erstaunen wurde Draven sofort ernst, sein zartes Lächeln verschwand jäh. „Nein, das sage ich nicht zu jedem Kunden”, behauptete der Callboy leise, „Das ist einfach nur die Wahrheit.” Tyler sah ihn verdutzt an und spürte einen komischen Stich in seinem Inneren, wusste er doch nicht, ob er dem Kerl glauben konnte oder nicht, vermutete aber stark, dass diese Aussage nur Teil von Dravens Ausbildung als Callboy war. Sicher gehörte es lediglich zu seinem Job, diese netten Schmeicheleien, die sich aus seinem faszinierenden Mund so verblüffend ehrlich anhörten, ohne auch nur die Spur ehrlich gemeint zu sein, waren sie doch bestimmt nur Ausdruck von Dravens geschäftlicher Professionalität.
Das versuchte Tyler zumindest sich einzureden, um sich von dem seltsam undurchschaubaren Playboy bloß nicht noch mehr einwickeln zu lassen. Aber die vage Möglichkeit, dass der ansehnliche Mann aus München ihn wahrhaftig attraktiv fand, ließ seinen ohnehin erregten Puls abrupt in die Höhe schnellen. „Ach, quatsch...”, keuchte er atemlos und wandte verlegen den Blick ab. Stumpf starrte er auf die Armaturen seines Mercedes, ohne etwas zu sehen, nicht wissend, was er jetzt tun, wie um alles in der Welt er darauf reagieren sollte oder was jetzt überhaupt von ihm erwartet wurde.
Eine Weile war es still, keiner von ihnen regte sich oder sagte etwas, und Tyler glaubte die einzelnen Minuten ticken zu hören, die noch nie in seinem Leben so zäh vergangen und so merkwürdig in der Schwebe erschienen waren. Ihm war bewusst, dass er etwas tun sollte, dass zwischen ihnen irgendwas passieren würde, weil sie aus einem ganz bestimmten Grund auf diesen einsamen Parkplatz gefahren waren und hier angehalten hatten, aber in seinem Kopf befand sich ein wirres Vakuum und er fühlte sich zu keinen Vernunft gesteuerten Entschlüssen mehr fähig. Tief atmete er ein und aus und versuchte sich zu beruhigen, ließ das Lenkrad los und legte seine Hände stattdessen auf seinen verspannten Oberschenkeln ab.
Plötzlich kam Bewegung in das wahr gewordene Internetfoto, das neben ihm in seinem Auto saß. Draven drehte sich zögernd auf seinem ergonomischen Beifahrersitz, wandte sich ihm langsam zu, beugte sich über die breite Mittelkonsole des Mercedes behutsam zu ihm hinüber, ohne ihn auch nur einen Moment lang aus den Augen zu lassen. Tyler registrierte diese Bewegung wie in Zeitlupe und drehte sich automatisch fragend zu seinem Fahrgast. In diesen ewig scheinenden Sekunden wusste er wirklich nicht, was jetzt konkret auf ihn zukam, aber irgendwie schien plötzlich alles völlig richtig und natürlich zu sein. Erst als er Dravens Blick auffing, der so voller schüchterner Begierde war, ahnte er dessen Absicht, und plötzlich hatte er überhaupt nichts mehr dagegen einzuwenden, ja, er sehnte es förmlich herbei, konnte es schlicht nicht länger erwarten diesen verlockenden Kerl zu spüren.
Die Männer mussten sich aufeinander zubewegen, denn der Abstand zwischen ihnen war ziemlich groß, aber sie taten es beide mit hell aufflackernder Lust, ohne das geringste Zögern. Als ihre Lippen aufeinandertrafen kam es Tyler so vor, als wäre er gar nicht wirklich daran beteiligt. Die Situation erschien ihm seltsam unwirklich, diese weichen, vollen Lippen auf seinen, die warme, feuchte Zunge, die überraschend energisch in seinen Mund hineindrängte, sodass er gar nicht anders konnte als sie einzulassen. Er spürte, wie Draven seine Schultern packte, um ihn näher zu sich hinzuziehen, und auch das ließ er wie in Trance geschehen, hob sogar wie ferngelenkt seine Arme und legte sie an den Körper auf dem Beifahrersitz, die Hände hielten sich an der Lederjacke fest, die sich angenehm weich anfühlte.
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Schriftstellerin • Am 07.06.2022 um 19:29 Uhr | |||
Hallo Tonmond, superspannende Geschichte. Ich bin schon gespannt, wie es weitergeht. Gruß Schriftstellerin |
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Kapitel: | 7 | |
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Wörter: | 23.822 | |
Zeichen: | 144.991 |