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Kapitel: | 38 | |
Sätze: | 957 | |
Wörter: | 17.884 | |
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Der Gesang der Vögel im Tempelgarten weckte mich am Morgen des 1. März schon lange, bevor der Wecker im Zimmer klingeln sollte. Irgendein Vogel saß im Baum vor dem Fenster und sang sich die Seele aus dem Leib, so als wäre schon Mitte April. Genervt von diesem fröhlichen Trällern zog ich mir das Kissen über den Kopf und versuchte so, es abzuschirmen, doch das Fenster war offen und so brachte das nicht viel.
Komori schlief noch, trotz des Gezwitschers, und so blieb ich ebenfalls liegen, um ihn nicht zu wecken. Obwohl … jemand, der nicht mal aufwachte, wenn direkt vor dem Fenster ein Vogel herumschrie, würde wohl auch weiterschlafen, wenn ich mal eben aufstand, um dieses verdammte Fenster zu schließen. Und so erhob ich mich, schritt zum Fenster und klappte es entschlossen zu, woraufhin der Vogel auch gleich davonflog, um irgendwo anders weiter zu singen, wo er vielleicht nicht gerade jemanden weckte und nervte, der sowieso schon aufgeregt war, weil heute sein letzter Tag hier war.
Jemanden wie mich. Ja, heute war er, der Tag, an dem meine Zeit im Hikuyama-Tempel vorbei ging. Meine Tasche stand offen vor dem Schrank, bereit, dass ich meine Sachen wieder hineinräumte, und die Wohnung, die Koichi letztes Jahr in der nächsten Großstadt gefunden hatte, war inzwischen auch frei und bezugsfertig. Ich hatte in den nächsten Wochen vier Vorstellungsgespräche bei ganz verschiedenen Arbeitgebern und fühlte mich motiviert und bereit, mein neues Leben in Angriff zu nehmen.
Zumindest einerseits.
Denn andererseits hatte ich Angst. Vor dem vielen Neuen, was auf mich zukam, vor den Menschen, mit denen ich zu tun haben würde, und davor, dass ich das vielleicht nicht packte.
Ich setzte mich auf die Bettkante, streckte mich und schaute an mir herunter: Da ich ja eben erst aufgewacht war, hatte ich mich natürlich noch nicht angezogen und trug nur ein T-Shirt und Shorts am Leib. Ich mochte keine Shorts, zumindest nicht, wenn mich jemand außer Meto darin sah. Shorts betonten zu sehr, wie dünn meine Beine waren, auch, wenn es inzwischen nicht mehr ganz so schlimm war, weil ich in der Zeit hier einige Kilos zugenommen hatte. Eben jene konnte ich sehen, wenn ich mich so anschaute. Auch wenn ich immer noch unterhalb des Normalgewichtes war, so sahen gerade meine Beine nicht mehr ganz so krank aus.
Was ich hier im Tempel angefangen hatte und sich ebenfalls langsam an meinem Körper zeigte, war: Ich versuchte mich wieder am Kraftsport. Es gab hier einen kleinen Trainingsraum und irgendwann war mir die Idee gekommen, meine viele Freizeit dazu zu nutzen, dieses frühere Hobby von mir wieder aufleben zu lassen. Wenn ich nichts zu tun hatte oder es mir mental nicht gut ging, kümmerte ich mich jetzt darum, meinen Körper wieder halbwegs in Form zu bringen.
Mich bis über die Schmerzgrenze hinweg auszupowern, hatte mir schon in meinem alten Leben früher geholfen, mit meinen seltsamen Stimmungsschwankungen und Negativgedanken umzugehen. Danach, wenn mir alle Knochen und Muskeln wehtaten, ging es mir im Kopf immer irgendwie besser und ich konnte wieder klarer denken. Doch nach Mamas Tod hatte mir die psychische und auch die physische Kraft gefehlt, damit weiter zu machen, und später, als ich alles verloren hatte, war daran natürlich nicht mehr zu denken gewesen.
Das Piepen des Weckers riss mich aus meinen Gedanken. Es folgte ein energischer Schlag, als Komori, an dessen Bett unser gemeinsamer Wecker stand, ihn ausschaltete.
„Morg’n, Tsu“, begrüßte er mich verschlafen.
„Morgen.“
Ich stand auf, ging zum Schrank, öffnete die Türen und Schubladen und begann, meine Sachen in meine mehr als abgewetzte Tasche zu packen. Über den Winter war mein Besitz um mehrere Kleidungsstücke, zwei Paar Schuhe, zwei Bücher und einen MP3-Player (den Meto mir zu Weihnachten geschenkt hatte) angewachsen. Nicht mitgezählt diejenigen Sachen, die ich immer noch bei Meto zu Hause lagerte.
„Ich hab’s gewusst …“, murmelte ich, als ich meine Tasche randvoll gepackt hatte und trotzdem noch zwei Hosen und meine zerrissene schwarze Sweatjacke im Schrank lagen.
„Passt nicht alles rein?“, fragte Komori.
„Ich kann kaum glauben, dass ich so viel Kram angesammelt habe“, antwortete ich und blickte zu den Sachen, die ich heute anziehen wollte und die deshalb auf dem Stuhl neben meinem Bett lagen.
„Du hast es gut, Tsu, du hast einen Freund, der dich von hier abholt. Er hat bestimmt noch ‘ne Tasche dabei“, sagte er.
Komori und ich waren, wenn man das so nennen konnte, Freunde geworden. Wir verstanden uns recht gut, zumal er jemand war, der einen, wenn man nicht gut drauf war, konsequent in Ruhe lassen konnte und sich nicht aufdrängte. Ich hoffte, mit ihm auch weiterhin irgendwie in Kontakt zu bleiben und dass unsere allein durch räumliche Nähe entstandene, lockere Freundschaft nicht abbrach. Er hatte ebenfalls eine Wohnung gefunden, allerdings nicht so wie ich in der Großstadt, sondern hier, sogar ganz in der Nähe des Tempels. Ich kannte die Adresse, hatte ihn zur Besichtigung begleitet, so wie er die Adresse meiner neuen Wohnung ebenfalls kannte.
„Tsu?“, fragte er, als wir beide richtig aufgestanden und angezogen am wieder geöffneten Fenster saßen und rauchten.
„Hm?“
„Hast du denn das Gefühl, dass du die Zukunft packst?“ Er sah mich ernst an und blickte dann nach draußen zu den im Zen-Garten mit ihren Übungen beschäftigten Mönchen.
„Ich denke, schon“, antwortete ich. „Ich hab hier einiges wieder gelernt und mir geht’s gut, also muss es doch klappen, oder?“
„Na ja … Was machst du, wenn es dir wieder schlechter geht?“
Einen Moment lang schwebten seine Worte zwischen uns, dann sagte ich: „Dann hole ich mir Hilfe.“
„Gut.“ Komori lächelte. „Ich geh jetzt frühstücken.“
„Ich komm gleich nach“, erwiderte ich. Und das war weder gelogen, noch vorgeschoben. Ich hatte wirklich Hunger und auch Lust auf Essen, nur wollte ich vorher noch mal in die Gebetshalle, um heute, an meinem letzten Tag hier, noch einmal ein wenig mit dem Buddha allein zu sein.
Ich ließ mich vor der großen Statue auf die Knie sinken und schaute dem Buddha in das mild und freundlich lächelnde Gesicht. Spürte die angenehme Ruhe, die von ihm ausging und die mich in den letzten Monaten immer wieder auf den Boden zurückgeholt hatte, wenn ich drohte, mich wieder zu sehr in meinen Gedanken zu verstricken.
Ich hatte den Winter über viele Gespräche mit Frau Watanabe geführt. Über Arbeit, selbstständiges, stabiles Leben, und natürlich auch über mich und Mama. Doch ich war dem Thema meistens ausgewichen, aus Angst, dass ich, wenn ich mit jemandem ‚vom Fach‘ über meine Trauer und meine Schuldgefühle sprach, gezwungen sein würde, da tiefer zu graben und alles wieder hochzuholen.
Wenn ich mit Meto über meine Traurigkeit sprach, lief das oft darauf hinaus, dass ich weinend in seinen Armen lag, er stellte keine Fragen, sondern ließ mich einfach wie ich war.
Eine Psychologin wie Frau Watanabe dagegen hätte, wenn ich es denn zugelassen hätte, nachgefragt, analysiert, diagnostiziert, alle möglichen tiefenpsychologischen Ideen ausprobiert, und das wollte ich nicht. Zum einen eben, weil ich meine Schuldgefühle nicht anrühren und dadurch wieder präsent machen wollte, und dann … dann war da noch die Sache mit diesem Wort, Borderline, das ich einfach nur verdrängen wollte.
Ein Mal, ein einziges Mal, war ich alleine losgezogen, in die Stadt gegangen und hatte mir in der Bibliothek ein Buch über psychische Störungen angeschaut. Und was ich da über das Krankheitsbild Borderline erfahren hatte, hatte mich fast wieder abstürzen lassen. Da hatte etwas gestanden von Veranlagung, davon, dass sich so etwas schon in der Jugend herausbildete und dass es extrem schwer zu heilen war. Von Selbstverletzung, Angst vor Menschen und vor Einsamkeit, von mangelnder Distanz, extremen Stimmungsschwankungen und von Selbstmordfantasien.
Lauter Dinge, die mal mehr und mal weniger im Laufe meines Lebens aufgetreten waren.
Nachdem ich das alles erfahren hatte, hatte ich mich im Trainingsraum des Tempels eingeschlossen und mich stundenlang durch das Kraftsportprogramm gequält, bis mir alles wehtat und ich nicht mehr daran denken konnte, dass ich krank war.
Doch ich hatte mit niemandem darüber gesprochen. Nicht einmal mit Meto.
Noch immer vor dem Buddha kniend, verbarg ich mein Gesicht mit meinen Händen und wollte am liebsten wieder weinen. Auf einmal hatte ich große Angst vor der Zukunft, wusste nicht mehr, wie es weitergehen sollte. Eigentlich war alles klar und geregelt, die Wohnung, Vorstellungsgespräche für Arbeit, der ganze Papierkram, alles gut. Doch mein Innenleben fühlte sich schwach und unsicher an, ich wusste einfach nicht, wie ich mit diesem Ungeheuer Borderline umgehen sollte. Der Gedanke, an einer handfesten Persönlichkeitsstörung zu leiden, machte mir Angst, obwohl ich mich ja eigentlich längst damit abgefunden hatte, nicht ganz gesund zu sein. Aber irgendwie hatte ich das, woran ich litt, immer eher für eine Folge meiner Trauer um Mama gehalten. Persönlichkeitsstörung, das klang so, als sei mein Charakter, mein ganzes Ich, von Anfang an dazu verurteilt, krank zu sein.
Ich hatte keine Schritte hinter mir gehört, doch als ich eine vertraute Hand auf meiner Schulter spürte, wusste ich sofort, dass Meto da war. Ich ließ die Hände sinken und drehte mich zu ihm um.
„Tsuzuku? Alles okay?“, fragte er besorgt.
So schnell ich konnte, schloss ich meine Angst hinter der Gedankentür ein. Ich wollte nicht, dass Meto davon wusste. Wollte nicht, dass er schon wieder Angst um mich haben musste und sich Sorgen machte.
„Alles gut“, sagte ich.
Meto kniete sich neben mich, schaute kurz zu dem Buddha hoch und fragte dann: „Hast du nicht auch ein bisschen Angst davor, was jetzt kommt?“
„Ja, schon“, gab ich zu. „Ein bisschen.“
Mein Liebster sah mich an und lächelte, dieses wahnsinnig süße, strahlende Lächeln, und sagte dann: „Aber ich freu mich wahnsinnig darauf, jetzt mit dir zusammen zu leben.“
„Ich auch“, erwiderte ich, konnte nun ebenfalls wieder lächeln.
Meto beugte sich vor und hauchte einen Kuss auf meine Wange. „Komm, steh auf und geh noch was frühstücken, dann packen wir deine Sachen und du kommst mit zu mir.“
Ich erhob mich, atmete tief durch und sah den Buddha wieder an. Und glaubte zu hören, wie diese eigentlich leblose Statue mir zuflüsterte: „Du schaffst das schon, Tsuzuku.“
Meto nahm meine Hand, was augenblicklich dafür sorgte, dass ich mich gut fühlte, und begleitete mich zum Essraum. „Ich warte draußen auf dich.“
Während des Frühstücks, das wie immer aus Reis und Gemüse bestand, kam mir ein Gedanke, der mich irgendwie ziemlich glücklich machte: Wenn Meto und ich ab jetzt zusammen lebten und ich für uns arbeiten ging, würde endlich ich es sein, der ihn versorgte, und nicht umgekehrt.
Klar, er wollte auch arbeiten und etwas dazuverdienen, doch allein die Tatsache, dass ich mir dann irgendwann kein Geld mehr von ihm würde leihen müssen, und dass ich uns beide von meiner Hände Arbeit ernähren würde, machte, dass ich mich jetzt wesentlich stärker fühlte als eben noch in der Gebetshalle.
Nach dem Frühstück sprach mich Frau Watanabe noch einmal an.
„Haben Sie noch einen Moment, Aoba-san?“, fragte sie.
„Mein Freund wartet draußen auf mich“, antwortete ich.
„Es dauert auch gar nicht lange“, sagte sie. „Ich wollte Sie nur noch einmal fragen, ob Sie sich in dem, was wir wegen Ihrer Arbeitsfähigkeit besprochen haben, sicher genug fühlen. Falls irgendwelche Unsicherheiten auftreten, kommen Sie bitte schnellstmöglich zu mir.“
Ich nickte. „Ja, werde ich machen.“
In diesem Moment fühlte ich mich zwar wieder so, als ob ich das alles schon schaffen würde, doch ich kannte mich gut genug um zu wissen, dass meine Unsicherheit jederzeit zurückkommen konnte.
Ich ging in mein Zimmer, um meine Tasche zu holen und mich von Komori zu verabschieden.
„Jetzt gehst du also?“, fragte er, auf dem Bett sitzend, eine Zigarette in der Hand.
„Ja“, sagte ich. „Ich geh jetzt erst mal mit zu Meto nach Hause und morgen ziehen wir in die neue Wohnung.“
„Na dann, viel Glück, Tsuzuku. Und lass dich vom Leben da draußen nicht unterkriegen.“ Komori lächelte, nahm einen Zug von seiner Zigarette und hielt sie mir hin. „Hier, als kleine Abschiedsgeste.“
Ich nahm die halbe Zigarette an und rauchte sie noch zuende, bevor ich meine letzten herumliegenden Klamotten noch irgendwie in meine Tasche zwängte und dann den Raum, der die letzten Monate über mein Zuhause gewesen war, verließ. Komori lächelte mir zu, als ich die Tür hinter mir zuzog. Es war durchaus möglich, dass wir uns wiedersahen, schließlich kannte ich seine neue Adresse, doch ich wusste nicht, ob ich ihn wirklich einmal dort besuchen würde.
Meto erwartete mich im Tempelgarten. Er hatte zwei Taschen dabei, einmal seine übliche Umhängetasche und dann noch eine zweite, die er mit Blick auf meine übervolle schwarze Reisetasche öffnete.
„Pack doch ein paar Sachen hier rein“, sagte er, woraufhin ich meine Tasche abstellte und diejenigen Sachen, die kaum noch da hineingepasst hatten, herausnahm und umpackte.
Auf dem Weg nach Akayama redeten wir nicht viel. Ich war in Gedanken damit beschäftigt, mir das jetzt auf mich zu kommende neue Leben vorzustellen, und nahm an, dass Meto dasselbe tat.
Morgen schon würden wir zusammenziehen, in die große Stadt am Meer, in eine Wohnung, die nur uns beiden gehörte. Ein seltsames Gefühl irgendwie. Da kam etwas ganz neues auf mich zu, etwas, worauf ich mich freute, und gleichzeitig auch ein wenig Angst davor hatte.
„Ich bin ganz aufgeregt“, sagte Meto leise, kurz bevor wir sein Elternhaus erreichten.
„Wegen morgen?“
Er blieb stehen, nickte, nahm meine Hand.
„Wir schaffen das schon irgendwie“, sagte ich und spürte weiter diese Mischung aus Vorfreude und leichter Angst. Ich wollte das so sehr, mein Leben mit Meto verbringen, doch ich kannte mich gut genug, um zu wissen, dass es nicht leicht werden würde.
„Da seid ihr ja“, begrüßte uns Metos Mama an der Tür. „Yuu, fangt ihr gleich an, deine Sachen einzupacken? Dann können wir die ersten Kisten nachher schon losschicken, wenn der Umzugswagen da ist.“
„Ich … hab schon fast alles … eingepackt“, antwortete Meto und zog sich die Schuhe aus. „Gestern Abend …“
Die Planung unseres Umzuges hatte fast den ganzen Winter in Anspruch genommen. Immer mal wieder war ich zu Meto nach Hause mitgekommen und wir hatten mit seinen Eltern alles besprochen. Sie hatten darauf bestanden, uns nicht nur sämtliche neuen Möbel zu bezahlen, sondern auch die ersten Mieten zu übernehmen, bis er und ich genug eigenes Geld verdienten.
Und, was für mich emotional noch viel wichtiger war: Die Eltern meines Liebsten behandelten mich inzwischen wie ein Familienmitglied. Metos Mama Manami war dazu übergegangen, mich ab und zu Genki zu nennen, da sie anscheinend fand, dass, wenn sie ihren Sohn mit seinen richtigen Namen ansprach, das auch für mich als So-was-wie-Schwiegersohn-in-spe galt. Ich bekam dadurch langsam wieder so etwas wie ein Familiengefühl und spürte, dass ich das vermisst hatte.
Zu meiner verbliebenen Blutsverwandtschaft wollte ich jedoch auch weiterhin keinen Kontakt. Die sahen mich sicher nur als abgestürzte Existenz an und hatten in meiner Gefühlswelt auch absolut nichts mit Mama gemeinsam, zumal wir beide auch, als sie noch gelebt hatte, kaum Kontakt zu ihrer Familie gehabt hatten. Nein, ich brauchte diese Leute nicht. Und meinen Vater, den ich seit meinem achten Lebensjahr nicht mehr gesehen hatte, schon gar nicht. Ich konnte mich ja kaum mehr an ihn erinnern.
Meto und ich gingen Hand in Hand hinauf in sein Zimmer. Dort herrschte schon totales Umzugschaos, nichts war mehr an seinem Platz und um das Bett herum standen Kisten, gefüllt mit allem, was in den Schränken gewesen war oder herumgestanden hatte. Auf einer der Kisten las ich meinen Namen und vermutete, dass sie die Sachen aus der großen Schublade unter Metos Bett enthielt.
Das Bett war der einzige Ort in diesem Chaos, der noch normal aussah. Wir hatten uns darauf geeinigt, dass es hier bleiben sollte und wir in der neuen Wohnung ein neues bekamen. Für den Fall, dass wir mal wieder hierher zu Besuch herkamen und über Nacht blieben.
Meto setzte sich aufs Bett, zog mich zu sich herunter und küsste mich. Seine Lippen, so unglaublich süß und weich, vertrieben sofort jede Angst, mit einem Mal fühlte ich mich wieder vollkommen sicher. Ich legte meine Hände auf seine Schultern und drückte ihn rückwärts in die Kissen, meinen Körper an seinen, küsste ihn mit meiner ganzen Liebe. Dachte daran, dass ich ab Morgen jeden Tag neben ihm aufwachen würde, und dieser Gedanke machte mich einfach wahnsinnig glücklich.
„Ich liebe dich“, flüsterte ich gegen seine Lippen.
„Ich dich auch, Tsu.“
Am liebsten wäre ich mit ihm viel länger so liegen geblieben, doch hier lagen noch einige Sachen herum, die darauf warteten, in Kisten gepackt zu werden. Und so erhob ich mich wieder und begann, mir einen Überblick über die Umzugskartons und ihren Inhalt zu verschaffen. Alles war noch nicht eingepackt und so brachten Meto und ich die nächste Viertelstunde damit zu, diesen Rest auch noch irgendwie unter zu bringen.
In diesem Durcheinander fand ich mein Messer wieder. Es steckte in dem Spalt zwischen Matratze und Bettrahmen, wo ich es nur zufällig entdeckte, als ich einen kleinen Stapel DVDs in einen der Kartons packen wollte.
Ich erschrak ein wenig, zog es mit leicht zitternden Händen aus dem Spalt heraus und hielt es geschlossen in der Hand, wusste nicht, wohin damit.
„Meto …“, begann ich, doch er hatte schon gesehen, was ich gefunden hatte.
„Gib das mir, ich tu’s in den Karton mit deinen Sachen.“
Ich gab ihm das Messer in die Hand und spürte augenblicklich, dass ich mich besser fühlte, wenn ich es nicht hatte. Denn solange ich es nicht zur Hand hatte, konnte ich mir damit ja auch nichts tun.
Meto legte es zu meinen anderen Sachen in den Karton, klappte diesen zu und kurz darauf rief Manami von unten: „Der Umzugswagen ist da!“
Es war irgendwie ein etwas eigenartiges Gefühl, die ganzen Kartons aus dem Zimmer zu tragen und unten auf der Straße in den Umzugswagen zu räumen. Es erinnerte mich ein wenig daran, wie ich damals, als ich Mamas und meine Wohnung verloren hatte, den Großteil meines Besitzes hatte verkaufen müssen. Doch ich wischte diese Gedanken schnellstmöglich beiseite. Vor mir lag eine neue Zukunft, da war es nicht gut, an solche vergangenen Dinge zu denken.
Um mich abzulenken, dachte ich daran, wie ich heute Abend mit Meto in seinem bis auf das Bett leeren Zimmer liegen würde. Ich hatte nicht vor, heute mit ihm zu schlafen, sondern wollte ihn einfach im Arm halten, ein bisschen kuscheln und küssen. Sex würden wir dann in der neuen Wohnung haben, wo keine Eltern da waren, die uns hätten hören können, und wo der Reiz einer neuen Umgebung es sicher noch mal anders schön machen würde.
Als der Umzugswagen dann davonfuhr, bemerkte ich, dass Meto ziemlich aufgeregt war. Verständlich, denn immerhin würde er morgen sein Elternhaus verlassen. Ich legte meinen Arm um ihn, zog ihn an mich und drückte meine Lippen kurz auf seine.
„Hey, wir schaffen das schon“, sagte ich, auch um mich selbst noch einmal zu überzeugen. „Und wenn nicht, können wir immer noch wieder zurück.“
„Meinst du, du packst das?“, fragte Meto leise.
„Na klar, ich hab ja dich.“
Da fast alles, womit wir uns sonst beschäftigt hatten, jetzt verpackt und weggeschickt war, mussten wir uns irgendwas einfallen lassen, um die Zeit bis Mittag herumzukriegen.
Letztendlich landeten wir vor dem Fernseher im Wohnzimmer mit einer DVD, die deshalb nicht in die Umzugskisten gewandert war, weil der Film Manami gut gefiel und sie die DVD deshalb hierbehalten wollte. Der Film war zwar nicht hundertprozentig mein Fall, aber okay, und er war lang genug, damit wir bis zum Mittag beschäftigt waren.
Mittags hatte ich richtig Hunger, es gab irgendwas Italienisches, was ich auch recht gern mochte. Im Tempel wurde nur traditionell japanisch gekocht, das war mir über den ganzen Winter immer mal wieder beinahe ein wenig langweilig geworden.
Ich aß auch heute nicht viel, aber genug, wurde satt und verspürte kaum Angst vor dem Essen. Ich war nur ein wenig aufgeregt und hatte auch das Gefühl, dass mein Magen nicht so viel aufnehmen konnte wie der von anderen Menschen.
„Schmeckt’s dir?“, fragte Manami.
Ich nickte, lächelte, nahm mir aber nicht noch mehr, weil ich wirklich nichts mehr runterbekam.
„Das ist schön. Ich kann euch was davon einpacken, dann müsst ihr morgen nicht kochen, sondern nur aufwärmen.“
„Danke.“
Manami war wirklich toll, hatte auch ein bisschen Ähnlichkeit mit Mama und ich mochte sie sehr gern. Wie gesagt, sie behandelte mich schon wie ein festes Mitglied ihrer Familie, sah mich als ihren Schwiegersohn an und ich vermutete, dass sie sich viele Gedanken um mich machte.
„Yuu, Genki, wenn ihr irgendwie Hilfe braucht, dann bin ich da, hört ihr?“, sagte sie.
„Jaa, Mama …“, antwortete Meto leise, klang wie ein leicht genervter Teenager.
„Wir kommen darauf zurück“, sagte ich und lächelte.
Nach dem Mittagessen wollten wir noch los, in die Stadt, zu einem Einrichtungsladen, da Manami darauf bestand, dass wir unsere neue Wohnung ordentlich ausstatteten.
Tamotsu, wie ich Metos Vater inzwischen nannte, war natürlich wieder arbeiten und kam nicht mit, aber es reichte auch vollkommen, dass Manami dabei war, um die Sachen, die sie längst mit uns zusammen bestellt hatte, entweder abzuholen oder die Lieferung zu unserer Wohnung zu organisieren.
Am Anfang der ganzen Planung hatte ich noch darauf bestanden, dass das Geld für das alles nur geliehen war und ich es irgendwann zurückzahlen würde, doch das hatten mir die Eltern meines Liebsten sehr schnell ausgeredet.
„Keine Widerrede, wir schenken euch das!“, hatte Tamotsu gesagt und damit war das Thema Geld fürs Erste vom Tisch gewesen. Und ich hatte mich damit zufrieden gegeben, zumal ich mangels eines gesicherten Jobs auch keine Argumente hatte. Es hatte definitiv seine Vorteile, wenn der eigene Freund aus einer reichen Familie kam, in der man sich um Geld keine Sorgen machen musste.
Als wir den Laden erreichten, dessen Sortiment sich, schon am Schaufenster ersichtlich, in einer gehobeneren Preisklasse befand, war es mir dann aber doch wieder ein wenig unangenehm, dass wir hier die Möbel für unsere kleine Wohnung kaufen sollten. Aber Manami ließ in der Hinsicht nicht mit sich reden. Ich verstand zwar nicht ganz, warum sie so sehr auf einer teureren Einrichtung bestand, doch ich nahm es wie gesagt irgendwie hin.
Als ich mir das Schaufenster genauer ansah, fiel mir eine kleine, silberne Buddha-Figur zwischen den teils sogar antiken Möbeln auf. Sie hatte genau denselben Ausdruck auf dem Gesicht wie die Statue im Tempel und strahlte eine solche ruhige Schönheit aus, dass ich vor dem Fenster stehen blieb.
Meto sah mich fragend an und ich deutete auf die Figur.
„Die ist schön, oder?“
Er nickte und sah sie sich ebenfalls genauer an. „Magst du die?“, fragte er dann.
Manami war schon voraus in den Laden gegangen, ich sah durchs Fenster, wie sie eine der Verkäuferinnen ansprach und wahrscheinlich mit dieser den Einkauf, beziehungsweise das Abholen der bestellten Möbel, besprach.
Ich wusste, ich musste nur etwas sagen und ich würde diese Statue bekommen. Doch nach den zwei Jahren auf der Straße wollte ich nicht so wirken, als ob ich mir jetzt, wo das vorbei war, auf einmal alles nahm, was mir angeboten wurde. Ich hatte immer noch das Gefühl, in Metos Schuld zu stehen, und die Großzügigkeit seiner Eltern verstärkte das noch.
Meto sah mich einen Moment lang aufmerksam an.
„Die sieht fast so aus wie die im Tempel“, sagte ich mit Blick auf diese Statue.
„Glaubst du jetzt daran? Nachdem du da gelebt hast?“
„Ja“, antwortete ich. „Irgendwie schon.“
Ich zählte mich zwar immer noch zu keiner Religion und genau benennen, woran ich glaubte, konnte ich auch nicht, doch da war irgendwas, so ein Gefühl in mir, das sich ein wenig so anfühlte, wie ich mir ‚glauben‘ vorstellte.
„Du willst diese Statue hier haben, oder?“, fragte Meto.
Ich atmete einmal ein und aus und nickte.
„Dann sag das doch!“
„Ich wollte nicht … wegen dem ganzen Geld …“
„Hm … versteh ich. Aber du musst dir da wirklich keine Gedanken machen. Meine Eltern tun das wirklich gern.“
„Das weiß ich ja auch, aber …“
„Willst du sie jetzt haben oder nicht?“
„Ja. … Will ich.“
„Dann kriegst du sie.“ Meto lächelte mich strahlend an. „Keine Widerrede, Tsu.“
Wenn er mich so anstrahlte, konnte ich auch gar nicht widersprechen. Dieses Lächeln hatte auf mich eine derartig einnehmende, jede Widerrede in Luft auflösende Wirkung, dass es mir fast schon ein wenig unheimlich war. Ich war immer noch so wahnsinnig verliebt in ihn wie vor dem Winter, und es fühlte sich auch nicht so an, als würde dieses Gefühl jemals nachlassen.
Ich blieb vor dem Laden stehen, Meto lief hinein und berichtete seiner Mama von unserer Absicht, diese Buddha-Statue zu kaufen. Manami hatte anscheinend alles, was die Möbel betraf, geklärt, und kam mit Meto wieder aus dem Laden.
„Die ist aber auch wirklich schön“, sagte sie mit Blick auf die kleine Statue.
„Sie soll mich an den Tempel erinnern, an das, was ich da gelernt habe“, erwiderte ich leise.
„Das ist eine schöne Idee. Du bist ja sicher aufgeregt wegen der Vorstellungsgespräche, oder?“
Ich nickte. Ja, ich war aufgeregt, und ja, ich hatte Angst. Aber sobald ich dem Buddha in das gelassene, ruhige Gesicht blickte, wurde diese Angst weniger und ich konnte wieder lächeln.
„Und wenn was nicht klappt, musst du dir auch keine Sorgen machen. Wir unterstützen euch so lange, wie ihr es braucht“, sagte Manami.
„Danke.“ Ich deutete eine leichte Verbeugung an, die sie jedoch abwinkte. Vielleicht sollte ich das, was ich von ihr und Tamotsu geschenkt bekam, wirklich annehmen.
Der eigentliche Kauf der Statue war dann keine große Sache mehr, die Manami wieder allein erledigte. Währenddessen standen Meto und ich wieder vor dem Laden.
Über die Statue waren meine Gedanken wieder bei der großen im Tempel gelandet und bei dem, was ich heute Morgen gedacht hatte, als ich zum letzten Mal in der Gebetshalle gewesen war. Dass ich krank war, gestört, kaputt, vielleicht unheilbar. Und dass ich nicht wollte, dass Meto sich deswegen Sorgen um mich machte. Deshalb sprach ich nicht darüber. Solange ich selbst noch nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte, wollte ich nicht, dass sich jemand anderes Gedanken darum machte.
„Tsuzuku?“, riss mich Meto aus meinen Gedanken. „Ist was?“
„… Hm? Nein, wieso?“
„Du siehst gerade so traurig aus.“
„Bin ich aber gar nicht“, antwortete ich und das war noch nicht mal gelogen. Eigentlich war ich schließlich nicht traurig.
Meto sah mich an, legte dann seine Arme um mich und sagte: „Hey, lächeln! Ist doch alles gut, oder?“
Ich lächelte, konnte es jedoch nicht lange auf meinen Lippen halten. Und ich spürte, dass Meto sich jetzt Sorgen machte. Genau das wollte ich ja nicht, deshalb erwiderte ich die Umarmung und drückte kurz meine Lippen auf seine, nickte dann. „Ja, alles gut.“
In dem Moment kam Manami aus dem Laden, in der Hand eine Tüte mit einer rechteckigen Kiste darin, welche die kleine, silberne Statue enthielt. Ich hoffte, dass dieser Buddha uns Glück bringen, und mich in schweren Momenten beruhigen würde, wie es der im Tempel getan hatte.
Auf dem Weg zurück zur Villa hielt Meto fast die ganze Zeit über meine Hand. Ich spürte, dass er sich Gedanken machte und sich wahrscheinlich fragte, ob bei mir wirklich alles in Ordnung war.
Den Rest des Tages hingen wir wieder mehr oder weniger herum. Es gab nichts weiter zu tun und so landeten wir zum wiederholten Male vor dem Fernseher. Zum Glück liefen dort einige genügend interessante Sendungen, sodass es wenigstens nicht vollkommen langweilig wurde. Ab und zu sah ich Meto an und überlegte, was er wohl dachte und inwiefern er wohl bemerkte, dass ich ihm im Moment nicht die ganze Wahrheit von mir zeigte.
Irgendwie kam ich dann mit den Gedanken auf Koichi. Bei ihm war ich mir nämlich beinahe schon sicher, dass er wusste, was los war. Schließlich war ich für ihn wie ein offenes Buch und mich wunderte schon, dass er mich noch nicht darauf angesprochen hatte. Na ja, vielleicht wusste er zwar, dass bei mir wieder mal etwas nicht stimmte, doch hatte noch nicht ganz herausgefunden, worum es genau ging. Oder er spürte, dass ich nicht darüber sprechen konnte. Ich wusste es nicht.
Irgendwann, als wir einfach auf gar nichts mehr Lust hatten, gingen Meto und ich hinauf in sein fast leeres Zimmer, ins Bett. Da wir beide irgendwie noch nicht wirklich müde waren, lagen wir einfach Arm in Arm da und sprachen ein wenig darüber, wie unser Leben in der Großstadt am Meer von jetzt an aussehen würde. Wir gerieten beide ein wenig ins Träumen davon, jeden Tag zusammen zu sein, zu arbeiten und uns irgendwann selbst zu versorgen.
„Ich freu mich da irgendwie total drauf“, sagte Meto leise, rückte noch ein wenig näher zu mir und barg sein Gesicht an meinem Hals. „Immer mit dir zusammen zu sein.“
Ich lächelte, diesmal ganz ehrlich und glücklich. „Ich auch.“ Und legte meinen Arm um ihn, um seinen Körper enger an meinen zu drücken.
„Ich liebe dich“, flüsterte er, drückte seine Lippen auf meine Haut, während seine Hand von meinem Bauch nach oben wanderte und über meine Brust streichelte. Es tat mir immer noch so wahnsinnig gut, von ihm berührt zu werden, seine Hände und Lippen auf meiner Haut und seinen ganzen Körper nah an meinem zu spüren.
Es machte mich unheimlich glücklich, doch gleichzeitig tat es in diesem Moment auch irgendwie weh. Aber dieser Schmerz war … nicht unangenehm. Es war der Schmerz eines verliebt klopfenden Herzens.
Meto beugte sich über mich, drückte mich mit der einen Hand in die weiche Matratze und senkte den Kopf so weit, dass seine weichen, vollen Lippen mein Implantat berührten. Ich seufzte wohlig, schloss die Augen und genoss das sanfte Tasten auf meiner Haut, dachte daran, was diese süßen Lippen schon alles mit mir angestellt hatten und wie sehr ich Meto dafür liebte, dass er meine starken Gefühle für ihn so erwiderte.
Diese Zärtlichkeiten zwischen uns hatten, obwohl wir die vergangenen Monate über einige Male miteinander geschlafen hatten, immer noch etwas geradezu Magisches an sich, etwas, das mich völlig verzaubern konnte und seit unserem ersten Mal nichts von seiner Schönheit verloren hatte.
„Ist das schön?“, hörte ich Meto leise fragen. Ich nickte und hob meinen Brustkorb ein wenig an, zum Zeichen, dass er nur nicht aufhören sollte. Seine Hand strich über meinen Körper, blieb dann auf meinem Herzen liegen. Sofort begann es, wild zu klopfen, was mein Liebster mit einem leisen Lachen zur Kenntnis nahm und dann, als wollte er mich noch mehr in Ekstase versetzen, mit seinen Lippen über meine Brustwarzen streifte.
Ich liebte es, wie er einfach so die Initiative ergriff, und war froh, dass ihm das anscheinend so leicht fiel, ein bisschen die Rollen zu tauschen und mich spüren zu lassen, dass er mich genauso sehr begehrte und liebte wie ich ihn.
„Ich lieb dich so …“, sagte er. „So … so … so … so sehr …“ Zwischen jedem ‚so‘ hauchte er kleine Küsse auf meine Brust, drückte sich ein wenig enger an mich, sodass ich spüren konnte, wie er langsam heiß wurde.
Ich schob meine Hand zwischen uns, berührte vorsichtig seine Körpermitte und fragte: „Willst du?“
Er hob den Kopf, lächelte, rückte ein Stückchen hoch und küsste mich. „Aber nur anfassen.“ Legte sich wieder neben mich und zog seine Shorts aus. Ich tat es ihm gleich, wobei mein Herz vorfreudig zu klopfen begann.
Dann setzte er sich auf, zog mich mit hoch, sodass wir voreinander saßen. Es erinnerte mich ein bisschen an unsere erste Nacht, damals in dem Hotel am Meer, als ich ihm meine Liebe gestanden hatte.
Und jetzt taten wir als richtiges Paar dasselbe, berührten einander, schenkten uns gegenseitig Lust als Zeichen unserer Liebe.
Metos Kopf ruhte an meiner Schulter, sein zuerst leises, dann immer tieferes Stöhnen drang an mein Ohr, und die lustgeladene Hitze zwischen uns nahm an Intensität immer weiter zu, schuf eine ganz eigene Atmosphäre um uns herum, und baute dieses wundervolle Gefühl in meinem Innern auf, das fast noch schöner war als der darauf folgende Höhepunkt.
Danach lagen wir eng umarmt da, ich spürte Metos Hand streichelnd auf meinem Rücken und hörte ihn leise atmen. Er reckte den Hals, drückte mir einen Kuss auf die Stirn und flüsterte: „Schlaf schön, Tsuzuku.“
Ich wachte sehr früh auf am nächsten Morgen. Es war noch dunkel und da ja kein Wecker mehr hier war, wusste ich nicht, wie früh es genau war. Ich schätzte ungefähr drei oder vier Uhr.
Im Dunkel sah ich Tsuzuku schemenhaft neben mir liegen, er lag auf dem Bauch, mit dem Gesicht zu mir, atmete leise und gleichmäßig. Ich setzte mich auf, streckte die Hand aus und berührte seine Schulter, spürte seine warme Haut unter meinen Fingern, streichelte ihn ein wenig, vorsichtig, um ihn nicht zu wecken. Ein kleines Lächeln huschte über meine Lippen, ich zog meine Hand zurück und legte mich wieder neben ihn, ein bisschen näher als zuvor.
Wie ich so bei ihm lag und hoch an die dunkle Decke meines Zimmers blickte, kam ich mit den Gedanken auf etwas, das ich eigentlich zu verdrängen versuchte: Und zwar, dass ich schon seit einer ganzen Weile das Gefühl hatte, als hätte Tsuzuku ein Geheimnis vor mir. Und jetzt, wo ich hier lag und er tief und fest schlief, konnte ich mich nicht davon ablenken. Meine Gedanken begannen, sich darum zu drehen, Fragen schwirrten durch meinen Kopf.
Als ich Tsuzuku gestern vom Tempel abgeholt hatte, in der Gebetshalle, da hatte er irgendwie so besorgt und traurig gewirkt. Ich spürte, dass etwas nicht stimmte, doch ich hatte keine Ahnung, was es war und warum er nicht mit mir darüber sprach. Er konnte mir doch vertrauen und eigentlich wusste er doch auch, dass ich für ihn da war, wenn es ihm nicht gut ging. Warum sagte er mir dann nicht, was los war?
Oder … war es vielleicht irgendwas wirklich Schlimmes? Etwas, das er mir nicht sagen durfte, oder nicht aussprechen konnte, weil es furchtbar wehtun würde? Aber was konnte das sein? Das Schlimmste in seinem Leben, die Geschichte vom Tod seiner Mutter, kannte ich inzwischen in fast allen Details, an die er sich erinnerte. Gab es da etwas, das noch schmerzhafter war? Ich konnte es mir kaum vorstellen.
Und doch hatte ich schon seit Monaten das Gefühl, dass er mir etwas Wichtiges verschwieg.
Da ich jetzt nicht so einfach wieder einschlafen konnte, stand ich auf und ging ins Bad, um schon mal zu duschen. Ich stand eine ganze Weile einfach unter dem warmen Regen, während sich meine Gedanken weiter drehten, ohne zu einem anderen Ergebnis zu kommen als dass Tsuzuku wieder Probleme hatte und ganz offenbar nicht darüber sprechen wollte.
Nachdem ich mich gewaschen und dann abgetrocknet hatte, ging ich mit dem Handtuch um die Hüften wieder in mein Zimmer zurück. Tsuzuku schlief immer noch, doch als ich mich wieder zu ihm legte, wachte er auf.
„… Meto?“, fragte er verschlafen. „Du bist schon wach?“
„Ich war duschen“, antwortete ich.
Er setzte sich auf und strich mir durch meine noch etwas nassen Haare, ließ seine Hand dann in meinen Nacken wandern und zog mich zu sich, um mich zu küssen.
„Mmmh, frisch geduscht hab ich dich am liebsten …“, raunte er in mein Ohr und senkte den Kopf, um meinen Hals zu küssen. Ich legte den Kopf in den Nacken und seufzte leise, als er sein Tun auf meine Schulter ausdehnte und gleichzeitig meinen Rücken streichelte. Er war so unglaublich lieb und sanft zu mir, jede Berührung sagte ‚Ich liebe dich‘ und jeder kleine Kuss ‚Ich will dich‘.
Wenn er mich so berührte, vergaß ich alles andere, die Sorge um ihn, um die Zukunft, alles Schwere glitt dann von mir ab. Ich war so glücklich, ihn zu haben und von ihm so geliebt zu werden, wie ich ihn liebte. Und so legte ich meine Arme um ihn, zog ihn an mich und küsste ihn zurück, ließ meine Lippen über das tätowierte Herz an seinem Hals wandern und hörte ihn wohlig seufzen.
„Ich bin so wahnsinnig aufgeregt“, flüsterte er.
„Wegen heute, wegen dem Umzug und so?“
Tsuzuku nickte, schmiegte sich dann enger an mich. „ … Ich hab davon geträumt. Und davon, dass du und ich … dass wir immer zusammen bleiben …“
Ich lächelte, nahm sein Gesicht in meine Hände und drückte meine Lippen auf seine. Wollte seine Probleme, von welcher Art sie auch sein mochten, einfach wegküssen, und dass wir uns beide nur gut fühlten. Für immer bei ihm sein, auf ihn aufpassen und ihn glücklich machen.
„Wir bleiben immer zusammen“, sagte ich, während meine Hände durch seine schwarzen Haare strichen. „Ich kann mir mein Leben ohne dich gar nicht mehr vorstellen. Wir schaffen das schon.“
Ich konnte es nicht sehen, weil es immer noch ziemlich dunkel war, doch ich spürte es irgendwie: Tsuzuku hatte, wieder oder immer noch, einen Schatten auf der Seele, etwas, das ihm große Sorgen und wahrscheinlich auch Angst machte. Doch ich traute mich jetzt nicht, danach zu fragen.
Und er überspielte diesen kurzen Moment, küsste mich zurück und flüsterte mit einem leisen Zittern in der Stimme: „Meto, du hast ja keine Ahnung, wie sehr … wie wahnsinnig ich dich liebe. Ich muss dir das einfach immer wieder sagen …“
„Ich glaube schon, dass ich das weiß“, erwiderte ich.
Auf einmal hörte ich ihn leise lachen, dann war er kurz verschwunden und im nächsten Moment spürte ich seine starken Arme von hinten um mich und wie er mich eng und fest an sich zog. Ich ließ mich zur Seite ins Kissen sinken, riss ihn mit, hörte ihn wieder lachen, spürte seine Lippen im Nacken, seine Hände an meinem Bauch und meiner Brust und seinen warmen Körper an meinem Rücken.
„Tsu …!“, protestierte ich. „Was wird das?“
„Du glaubst also, dass du das weißt, ja?“, fragte er, und ich konnte richtig hören, wie er grinste.
Spätestens jetzt ahnte ich, was er vorhatte, und da spürte ich auch schon, wie er heiß wurde.
„Wollten wir das … nicht auf heute Abend verschieben?“, fragte ich.
„Komm, nur ein bisschen …“
Jetzt musste ich grinsen. „Tsuzuku, ich weiß genau, wie ‚ein bisschen‘ bei dir aussieht!“
Er lachte wieder. „Du kennst mich zu gut.“
„Heute Abend, okay?“, fragte ich und drehte den Kopf in seine Richtung.
„Versprochen?“
„Ja. Versprochen.“
Er ließ mich jedoch noch nicht los, eine Weile blieben wir so liegen, und ich schlief schon fast wieder ein. Ich schreckte erst auf, als er sich von mir löste und aufstand.
„Ich geh auch duschen“, sagte er und verschwand dann in Richtung Bad.
Ich blieb liegen und irgendwann war ich wirklich wieder eingeschlafen, bis ich davon aufwachte, dass Sonnenstrahlen sich ihren Weg durch die Jalousien meines Zimmers bahnten, das von heute an nicht mehr mein täglicher Lebensraum war, weil ich es gegen meine erste eigene Wohnung eintauschen würde. Die Wohnung, in der ich von nun an mit Tsuzuku zusammen leben würde.
Ich lächelte gedankenversunken und sah mich dann nach ihm um. Er saß, nur mit Shorts bekleidet, auf der Bettkante und schaute aus dem Fenster.
„Mh … ich bin wieder eingeschlafen …“, murmelte ich, und er drehte sich zu mir um.
„Ich hab dir beim Schlafen zugeschaut“, antwortete er und lächelte leicht. „Du siehst süß aus, wenn du schläfst.“ Wie er das sagte, so ganz einfach so, ohne jede Scham. Das gefiel mir, ich mochte seine direkte Art und wollte am liebsten auch so offen über gewisse Dinge reden können.
„Du auch“, wagte ich einen Versuch, es ihm gleichzutun, wurde jedoch ein wenig rot dabei.
Tsuzuku lächelte wieder, kam dann übers Bett auf mich zu und drückte mir einen kurzen Kuss auf die Lippen. „Danke, mein Süßer.“
Ich setzte mich auf und begann, mich anzuziehen.
Heute war er also, der Tag, an dem ich mein Elternhaus verlassen und mit meinem festen Freund zusammen in eine neue Wohnung in einer anderen Stadt ziehen würde. Wir hatten ja schon alles beisammen, Möbel, Farben für die Wände, alles Notwendige an Hausrat und so weiter. Die Wohnung war klein, aber ich mochte sie und wollte auch gern dort leben. Aber trotzdem fiel mir der Gedanke, meine Eltern zu verlassen, seltsam schwer. Wahrscheinlich war das ganz normal, immerhin war ich noch nie lange ohne die beiden gewesen.
Zwar hatte ich meine Tage meist im Akutagawa-Park verbracht und auch eine Zeit lang keine besonders enge Bindung zu meinen Eltern gehabt, doch seit dem letzten Herbst, als wir uns wieder angenähert hatten, war unsere Beziehung wieder familiärer geworden und nun fiel mir der Abschied eben schwer, auch wenn besonders Mama sich auch auf die Entfernung weiter um mich kümmern und ich sicher meine Eltern auch besuchen würde.
„Woran denkst du gerade?“, riss mich Tsuzuku mit sanfter Stimme aus meinen Gedanken.
„Daran, dass ich … Mir fällt der Abschied von Mama und Papa gerade ein bisschen schwer“, gab ich zu.
„Aber … du willst doch … mit mir zusammen leben, oder?“ Seine Stimme klang auf einmal verunsichert, so als glaubte er, dass ich jetzt doch lieber hier bleiben wollte.
Ich drehte mich zu ihm um. „Natürlich will ich das. Aber … ich war noch nie lange von Mama getrennt, verstehst du? Und meine Eltern und ich … wir verstehen uns gerade so gut, deshalb ist es eben ein bisschen schwer.“
„Hm, ja, verstehe ich“, antwortete er.
Ich stand, fertig angezogen, auf und wartete noch auf ihn, bis er sich ebenfalls angezogen hatte, dann gingen wir zusammen ins Bad. Geduscht hatten wir ja jetzt beide schon, also war nur noch Haare machen und ein bisschen Schminken notwendig.
Danach gingen wir runter in die Küche, wo meine Mam schon mit dem Frühstück wartete. Papa saß auch da und las die Zeitung. Als er sah, dass Tsu und ich beide unser übliches Make-up trugen, fragte er: „Müsst ihr denn gleich für den ersten Eindruck in eurem neuen Haus geschminkt sein?“
„Ja“, antwortete ich, noch ziemlich überzeugt, doch dann kam mir ein ziemlich unangenehmer Gedanke, der dafür sorgte, dass ich nichts weiter sagte und der meine Angst vor dem Ausziehen noch ein wenig verstärkte:
Die Leute in dem Haus, in welchem sich unsere neue Wohnung befand, kannte ich noch überhaupt nicht. Ich wusste weder, was für Leute das waren, ob alt oder jung, und ob sie damit zurechtkamen, wenn so ein Paar, wie Tsuzuku und ich nun mal waren, da einzog.
Und ich spürte, dass er denselben Gedanken hatte, sich darum auch Sorgen machte. Ich konnte sehen, wie es hinter seinen Augen arbeitete, und fühlte, wie seine Hand, die meine hielt, sie etwas fester drückte.
„Ich will euch beiden keine Angst machen, aber es kann ja durchaus sein, dass ein paar Leute … nicht an Paare wie euch zwei gewöhnt sind“, sprach Papa unsere neu aufgekommene Angst direkt an.
Ich sah Tsuzuku an und wie er sich innerlich zusammenriss, bevor er lächelte und antwortete: „Also kein Rumknutschen im Treppenhaus, alles klar, das kriegen wir hin.“
„Ihr könnt euch ja erst mal nach außen hin als Freunde vorstellen“, fuhr Papa fort.
Tsuzukus Griff um meine Hand wurde noch etwas fester. „Nein! Ganz sicher nicht. Ich werd den Leuten schon sagen, dass wir ein Paar sind!“, sagte er, klang fast schon ein bisschen wütend. „Ich werde mich ganz sicher nicht verstellen oder verstecken.“
Ich wollte mich setzen und mir ein Brötchen nehmen, aber Tsuzuku ließ meine Hand nicht los.
„Tut mir leid, aber das mache ich einfach nicht!“, wiederholte er noch einmal. „Es sei denn, Meto hat ein Problem damit.“ Er sah mich an, fragend und zugleich mit einem entschlossenen Leuchten in den Augen. Und ich wusste sofort, dass ich mich ebenfalls nicht würde verstellen wollen und können. Wir waren, wie wir nun mal waren, und würden dazu stehen.
Während des Frühstücks beobachtete ich meinen Freund, mehr aus Gewohnheit denn aus Sorge, einfach weil ich darauf eingestellt war, beim Essen auf sein Verhalten zu achten und aufzupassen, dass es ihm gut ging.
Er aß wenig und langsam, nahm nur kleine Schlucke Kaffee, doch irgendwie wirkte er dabei sehr viel weniger krank als vor dem Winter. Die vergangenen Monate über hatten wir gemeinsam an seinem Essverhalten gearbeitet, sodass er zumindest mit dem Geschmack vieler Nahrungsmittel wieder zurechtkam und es beim Essen nicht mehr ganz so sehr auffiel, dass er nicht gesund war.
Als wir gerade mit dem Frühstück fertig waren, schellte die Türklingel. Wir hatten ein paar unserer Freunde aus dem Akutagawa-Park eingeladen, uns beim Einzug zu helfen, Koichi hatte Haruna, Hanako und Yami die Adresse gegeben und er wollte vorher noch hier vorbeischauen, um dann mit uns zusammen hinzufahren.
„Hey, ihr Süßen!“, sagte er und strahlte Tsu und mich an. „Ihr habt gestern schon alles losgeschickt, ne? Dann müssen wir jetzt nur noch hinfahren und ‘ne Wohnung draus machen.“
Ich nickte und sah, wie Koichi meinem Freund kurz prüfend in die Augen schaute. Anscheinend war ich nicht der einzige, dem auffiel, dass mit Tsuzuku irgendwas nicht stimmte.
„Geht’s dir gut, Tsu?“, fragte Koichi.
„Ja, alles gut. Ich bin nur ein bisschen aufgeregt.“ Tsuzuku lächelte, legte einen Arm um meine Schultern und zog mich an sich. „Ich ziehe ja zum ersten Mal mit jemandem zusammen.“
Ich spürte, dass Tsu in Bezug darauf, wie es ihm ging, nicht die ganze Wahrheit sagte. Und ich war mir, so, wie ich Koichi kannte, absolut sicher, dass dieser das auch bemerkte.
Koichi war sensibel und aufmerksam, er konnte alles Mögliche in den Augen der Menschen lesen, also musste er in diesem Moment sehen, dass Tsuzuku uns etwas verschwieg. Doch statt das anzusprechen, lächelte er und sagte nur: „Wenn ihr heute Abend da alleine seid, wird es euer Zuhause werden.“
Wieso sagte Koichi nichts dazu, dass Tsuzuku uns offensichtlich etwas vorenthielt?
Während wir auf dem Weg zum Bahnhof waren, um zur Wohnung, unserem neuen Zuhause, zu fahren, dachte ich darüber nach, und mir fiel nur ein halbwegs logischer Grund ein: Koichi spürte anscheinend noch deutlicher als ich, dass das, was Tsu uns verschwieg, etwas Schlimmes war, etwas, über das man nicht so einfach sprechen konnte. Anders konnte ich es mir nicht erklären.
Ich hielt Tsuzukus linke Hand, ging zwischen ihm und Koichi, und dachte daran, dass schon wieder nicht alles gut war und dass der liebste Mensch, den ich auf dieser Welt hatte, wieder einen Schatten auf der Seele trug. Mit dem Wunsch, ihn wissen zu lassen, dass ich für ihn da war, drückte ich seine Hand und schmiegte mich im Gehen an seinen Arm.
Er sah mich fragend an und ich lächelte, so fröhlich wie ich es nur vermochte.
„Bist du glücklich, Meto?“, fragte er.
Und ich log, oder verschwieg zumindest meine Sorge: „Ja. Sehr glücklich.“
Tsuzuku ließ meine Hand los, um mir den Arm um die Taille zu legen, mich an sich zu ziehen und mir einen Kuss auf die Schläfe zu drücken.
„Ich liebe dich“, flüsterte er.
Ich hörte von der anderen Seite Koichi leise „So süß …“ hauchen.
Seine fast mädchenhafte Begeisterung für Tsuzukus und meine Beziehung hatte den Winter überdauert und dann, wenn Tsu ihn hin und wieder scherzhaft darauf aufmerksam machte, dass sein Verhalten etwas von einem Fangirl hatte, lachte der Rosahaarige und behauptete weiter, dass wir eben das niedlichste Liebespaar wären, das er kannte.
Im Zug hatten wir ein Abteil zu dritt für uns und Tsuzuku nutzte die etwas vertrautere Atmosphäre, um mich im Arm zu halten und ein bisschen zu streicheln. Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter, spürte seinen Atemrhythmus und seine eine Hand auf meinem Bein, die andere an meiner Seite.
Als ich einen Blick zu Koichi warf, der am Fenster saß und uns beobachtete, fiel mir so ein irgendwie sehnsüchtiger Ausdruck in seinen Augen auf. Ich hatte diesen Blick schon einmal bei ihm gesehen, als wir zu dritt den Liebesfilmabend gemacht hatten, den wir ihm mal versprochen hatten.
Ob er wohl ein bisschen neidisch auf uns war? Meinem Wissen nach war er immer noch single, obwohl er, wie er sagte, viele gute Freundinnen hatte.
„Koi…?“, fragte ich vorsichtig. „Hast du… eigentlich mal wieder… ein Mädchen… kennen gelernt…?“
Er schrak ein wenig auf, als wäre er mit den Gedanken eben ganz woanders gewesen.
„Nein, in letzter Zeit nicht. Wieso fragst du, Meto-chan?“
„…Nur so“, antwortete ich und versucht, mir Koichi an der Seite einer Frau vorzustellen. Irgendwie war das schwierig, vielleicht weil ich mir heterosexuelle Paare einfach aufgrund meiner eigenen Orientierung nicht so gut vorstellen konnte, oder weil Koichi so feminin wirkte, dass es kein wirkliches Paar-Bild ergab.
„Bist du überhaupt noch auf der Suche?“, fragte Tsuzuku ihn.
„Nein, im Moment nicht mehr.“ Koichi lächelte, doch es wirkte irgendwie ein wenig aufgesetzt. „Ich bin sowieso immer der Friendzone-Kandidat.“
Es war das erste Mal, dass ich glaubte, auch bei ihm, der sonst immer so gut gelaunt und fröhlich wirkte, einen Schatten zu bemerken. Es war eine verborgene, kleine Dunkelheit, von der Koichi vielleicht selbst nichts wusste, doch in diesem Moment sah ich sie.
Und kaum hatte ich das bemerkt, war es auch schon wieder verschwunden, verdeckt, hinter das süße, strahlende Lächeln des Rosahaarigen zurückgetreten, als wäre da gar nichts dunkles, nur Sonnenschein in ihm. Und ich war mir irgendwie sicher, dass er das selbst gar nicht bemerkt hatte.
Er nahm sein Handy raus und suchte damit irgendwas, dann hielt er uns das Gerät hin. Auf dem kleinen Bildschirm war ein bodenlanges, schulterfreies, schwarzes Rüschenkleid zu sehen, dazu hohe Schuhe und jede Menge glitzernder Schmuck.
„Das wird meine nächste Errungenschaft“, sagte er und lächelte. „Ist das nicht süß?“
„Schwarz? Mal nicht pink?“, fragte Tsuzuku scherzhaft.
„Schwarz mag ich auch“, antwortete Koichi und deutete auf seine heute tatsächlich in einer sehr dunklen Farbe gehaltene Hose.
Für den Rest der Fahrt war die Stimmung in meinem Empfinden ein wenig seltsam, doch als wir in der anderen, größeren Stadt ausstiegen, war alles wieder normal. Tsuzuku wirkte relativ entspannt, Koichi so locker und fröhlich wie immer, und ich war ein bisschen aufgeregt wegen des Umzuges.
Wir mussten noch ein ganzes Stück laufen, bis wir an dem fünfstöckigen Haus ankamen, in dem sich unsere neue Wohnung befand. Während der letzten Monate war ich ein paar Mal hier gewesen und hatte mir alles angeschaut, zuerst von außen, dann auch von innen, das Treppenhaus und dann, als sie frei und leer war, auch die Wohnung selbst. Küche und Badezimmer waren schon fertig eingebaut und installiert, es fehlten nur noch unsere Möbel und Sachen.
Tsuzuku war zwei Mal mit dabei gewesen, hatte mir dabei auch von der Wohnung erzählt, in der er früher mit seiner Mama gelebt hatte, und dann festgestellt, dass unsere neue jetzt zum Glück ganz anders geschnitten war und ihn so kaum an sein früheres Leben erinnern würde.
Schon im Treppenhaus hörten wir vertraute Stimmen und als wir im zweiten Stock ankamen, wo links die Tür zum neuen Zuhause abging, sahen wir Haruna, Hanako und Yami auf den Treppenstufen sitzen, wo sie auf uns warteten und sich ein wenig unterhielten.
„Da sind sie ja, die Turteltäubchen!“, rief Hanako, als sie uns sah. Sie stand auf und ich umarmte sie zur Begrüßung, ebenso wie Haruna und Yami. Dann kramte ich den Schlüssel aus meiner Tasche und schloss die Wohnungstür auf. Es fühlte sich an, als täte ich das zum ersten Mal, dabei war es schon das zweite oder dritte Mal.
Und blieb, ein wenig erschlagen von dem, was mich drinnen erwartete, erst mal auf der Türschwelle stehen: Anscheinend hatten sich die Umzugsleute, obwohl sie jede Menge Zeit gehabt haben mussten, nicht großartig die Mühe gemacht, die vielen Kisten, Kartons und eingepackten Möbel in der Wohnung zu verteilen, weshalb jetzt vieles davon noch in dem relativ kleinen Flur stand und es auf den ersten Blick gar kein Durchkommen gab.
„Muss man denn hier alles selber machen?“, seufzte Koichi hinter mir und trat dann neben mich, um sich dem sich vor uns ausbreitenden Chaos als erster zu widmen.
Und so war das erste, was wir zu sechst taten, ein paar von den Kisten raus ins Treppenhaus zu stellen und dort möglichst so zu stapeln, dass man noch gut durchkam. Als wir bei der Küchentür angekommen waren, deren Küchenzeile wir zum Glück von den Vormietern hatten übernehmen können, bot sich dort fast dasselbe Bild.
Meine Eltern hatten uns einen Teil des Geschirr- und Besteckbestandes, der seit Jahren bei uns in diversen Wohnzimmerschränken auf Benutzung wartete, gespendet, dazu solche Dinge wie Wasserkocher und Küchenmesser, nicht zu viel, aber genug für die ziemlich kleine Küche, auf deren Ablageflächen sich die großen und kleinen Kisten jetzt stapelten.
Ich musste lächeln, als ich daran dachte, wie Mama mir immer wieder Vorträge darüber gehalten hatte, dass Tsu und ich uns bloß nicht nur von Tiefkühlpizza und dergleichen ernähren sollten. Ich war nicht besonders gut im Kochen, und Tsuzuku, wie er gestand, ebenfalls nicht, also hatte Mama zumindest mir, damit wenigstens einer von uns irgendwas selbst kochen konnte, einen Crashkurs in Sachen Nahrungszubereitung und gesunder Ernährung verpasst und mir allen Ernstes unter anderem ein Kochbuch zum Geburtstag geschenkt.
„Wer alleine leben will“, hatte sie gesagt, „der muss auch für sich kochen können.“ Und dann hatte sie, leise und mit ein wenig Sorge in den Augen hinzugefügt: „Und außerdem musst du dich, gerade was das Essen angeht, gut um Genki kümmern, Yuu. Pass auf, dass er nicht wieder so abnimmt.“
In dem Moment hatte ich sie sehr deutlich gespürt, die Verantwortung, die ich nun wieder trug, wenn auch nicht ganz allein. Ich war jetzt als sein fester Freund für Tsuzuku verantwortlich, auch wenn Menschen wie Koichi mir manches abnahmen.
Über diesen Gedanken hatte ich angefangen, die Kisten mit dem Geschirr zu öffnen und alles in die Schubladen und Schrankklappen zu räumen. Geistesabwesend verspann ich mich weiter in meinen Gedanken und so bemerkte ich erst, dass ich nicht mehr allein in der Küche war, als ich Harunas Stimme neben mir hörte.
„Meto?“ Sie sah mich fragend von der Seite an. „Alles okay?“
Ich schreckte auf, wollte „Ja?“ antworten, verhaspelte mich jedoch und brachte schließlich nur ein heiseres „Hm…?“ heraus.
Haruna lächelte meine Ungeschicklichkeit einfach weg, zog sich ein Haargummi vom Handgelenk und band ihre langen, dunkelblauen Haare zusammen. „Die Wohnung ist ja echt süß. Bezahlen deine Eltern die?“
„Bis … ich fest Arbeit … habe“, antwortete ich. Obwohl ich mit Haruna relativ gut befreundet war, fiel mir das Sprechen ihr gegenüber nach wie vor etwas schwer.
„Was willst du denn arbeiten?“, fragte sie weiter und begann, mir beim Einräumen zu helfen.
„Ich… geh da arbeiten, …wo Koichi …auch ist. Das ist… so ein Café…“
Ich war zwei Mal mit Koichi mitgekommen zu dem Café, in dem er arbeitete. Es war eine Art Maid-Café, in dem aber eben keine Maids, sondern vor allem mädchenhafte Männer wie er beschäftigt waren, die alle anscheinend irgendwas Besonderes an sich hatten. Dort war ich mit meinen blauen Haaren, meinen Tattoos und Piercings und sogar mit meinem Sprachfehler gar nicht weiter aufgefallen. Die vornehmlich weiblichen Gäste, denen Koichi mich vorgestellt hatte, fanden diesen Makel an mir seltsamerweise überhaupt nicht hinderlich, sondern sogar niedlich, und wollten mir zuerst gar nicht glauben, dass ich wirklich nicht richtig sprechen konnte. Und als Koichi ihnen dann auch noch erzählt hatte, dass ich Männer mochte, da kriegten sie sich gar nicht mehr wieder ein vor Begeisterung. Dass Mädchen so etwas offenbar toll fanden, wusste ich ja, aber diese Exemplare waren mir immer noch ein wenig unheimlich. Ich war natürlich knallrot geworden und selbst das schienen sie wahnsinnig süß zu finden.
„Du kommst ja gut an bei den Gästen“, hatte der Leiter des Cafés am Schluss zu mir gesagt. „Solche wie dich können wir hier gut gebrauchen. Willst du’s hier mal versuchen?“
Und ich hatte, noch ein bisschen benommen von der mir entgegengebrachten Begeisterung, mit roten Wangen genickt.
Der Termin für das Vorstellungsgespräch war am 6. März.
„Ist das so ein Kawaii-Café?“, riss mich Haruna aus meinen Gedanken.
Ich nickte nur, mein Sprechzentrum fiel mal wieder aus irgendeinem Grunde aus. Vielleicht wegen der Aufregung des Umzugs.
„Und was will Tsuzuku arbeiten?“, fragte Haruna weiter.
Mühsam kratzte ich meine Sprechfähigkeit wieder zusammen und erzählte Haruna, dass Tsu sich unter anderem bei zwei Tattoo-Studios beworben hatte. Er hatte von früher eine angefangene Ausbildung in der Richtung und wollte jetzt daran anschließen. Ich fand, dass es für ihn nichts Besseres gab. Schließlich liebte er Bodyart (und ich liebte jedes Detail seiner Körperkunst), und auch, wenn er es oft nicht so mit Menschen hatte, war ich mir sicher, dass ihm diese Arbeit gefallen würde.
In dem Moment kam er zu uns in die Küche und sah sich suchend um. „Steht hier vielleicht die Kiste mit meinen Sachen?“
„Nee, ich glaube, hier sind nur die Küchensachen“, antwortete Haruna. „Aber ich hab vorhin eine Kiste mit deinem Namen drauf ins Treppenhaus geräumt. Wieso suchst du die denn?“
„Die Verpackungen von den ganzen Möbeln sind mit Pakettape zugeklebt, die krieg ich ohne Messer nicht auf.“
Sein Messer suchte er also. Aus irgendeinem Grund machte dieses bestimmte Messer mir auch dann Angst, wenn es Tsu gut ging und keine Gefahr bestand, dass er sich verletzte. Ich griff in die offene Schublade vor mir und nahm ein kleines, aber neues und somit bestimmt scharfes Küchenmesser heraus.
„Hier, das geht doch auch, oder?“ Ich hielt es ihm vorsichtig hin und er nahm es entgegen, mit diesem Blick eines Menschen, der nur zu genau wusste, wie man sich damit verletzen konnte. Und irgendwas war da noch in seinen Augen, etwas, das ich in dem Moment nicht deuten konnte.
„Meto, kannst du Hanako und mir gleich mit den Wohnzimmermöbeln helfen?“, fragte er dann.
„Wir räumen das hier eben noch ein, dann helfen wir euch“, antwortete Haruna an meiner Stelle, und ich nickte.
Wir sortierten noch die letzten Sachen an Geschirr und Besteck ein, packten den Wasserkocher und die kleine Kaffeemaschine aus und schlossen beides an, dann falteten wir die leeren Kisten zusammen und brachten sie in den Flur.
Anschließend gingen Haruna und ich rüber ins Wohnzimmer, wo mein Freund gerade auf dem Boden kniete und mit dem kleinen, scharfen Küchenmesser die Folien aufschnitt, die die Einzelteile des neuen Regals enthielten. Hanako riss ein Tütchen mit Schrauben auf und warf immer mal wieder einen Blick auf die Aufbauanleitung. Koichi war mit dem ebenfalls in Folie eingepackten Sofa beschäftigt, welches er mithilfe einer Schere aus ebenjener Folie zu befreien versuchte.
„Ich hab so was noch nie gemacht, ich hab keine Ahnung davon“, seufzte Hanako.
„So schwer ist das nicht, es ist nur ein Regal. Das Bett und der Schrank nachher werden komplizierter“, antwortete Tsu.
„Also hast du das schon mal gemacht?“
„Einmal, früher.“ Er schwieg einen Moment und wirkte auf einmal ein wenig traurig. „Ich hab mal mit meiner Mutter zusammen mein Zimmer neu gemacht.“
Ich kniete mich neben ihn, half dabei, die Bretter aus der Folie zu nehmen, und beobachtete ihn aufmerksam, achtete genau darauf, ob er okay war. Er wirkte zwar ruhig, abgelenkt, und mit dem, was er tat, beschäftigt, aber ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass es in ihm ganz anders aussehen konnte. Doch an seinen Augen war immer gut zu erkennen, ob er auch im Inneren so entspannt war, wie er nach außen hin wirkte. Und als ich ihm jetzt in die dunkelbraunen Augen sah, konnte ich gottseidank zumindest in diesem Moment keine dunklen Schatten auf seiner Seele erkennen.
„Lasst mich da mal ran“, sagte Koichi, der inzwischen mit dem Sofa fertig war und Hanako die Aufbauanleitung abnahm. Nachdem er diese kurz, aber offenbar eingehend überflogen hatte, griff er nach einem der langen Bretter, richtete es probeweise auf und schaute dann wieder auf die Anleitung. Und auf einmal wirkte er irgendwie … anders. Sein Ausdruck veränderte sich und er kam plötzlich sehr viel weniger mädchenhaft rüber als vorhin noch.
„Kannst du das, Ko?“, fragte Tsuzuku ein wenig erstaunt.
„Japp!“, antwortete Koichi grinsend. „Ich bin gut in so was.“
Und anscheinend hatte er wirklich Ahnung davon, denn so, wie er uns anwies, erst das Regal und dann die anderen Wohnzimmermöbel zusammen zu bauen, wurde wirklich etwas daraus.
„Woher kannst du das?“, fragte Haruna ihn, als er ihr bei dem kleinen Wohnzimmerschrank half.
Er zuckte nur mit den Schultern und meinte, dass er mal vor Ewigkeiten eine Zeit lang in einem Möbelladen gejobbt und das dort gelernt hätte.
Dank seiner Hilfe waren wir mit den Wohnzimmermöbeln kurz nach Mittag fertig und nachdem Yami etwas verspätet mit dem Essen eingetroffen war, machten wir Pause, und wandten uns danach dem Schlafzimmer zu.
„Sehr gemütlich, dieses Weiß“, sagte Haruna ironisch und zog eine Augenbraue hoch mit Blick auf die weißen Wände.
„Das kommt alles noch“, antwortete Tsu. „Wir wollen erst mal hier einziehen, dann können wir immer noch streichen.“
„Und an welche Farbe dachtest du da?“
„Ich finde schwarz oder rot ganz gemütlich“, antwortete er und grinste leicht.
Haruna lachte. „Wieso frag ich dich eigentlich noch?“
Das Bett und den Kleiderschrank zusammen zu bauen, erwies sich wirklich als recht kompliziert. Gerade das Bett machte es selbst Koichi schwer. Tsu und ich hatten uns beim Aussuchen für ein edles Modell mit rotschwarzer Kunstlederpolsterung entschieden (wobei das eher Tsuzukus, als meine Idee gewesen war) und das war irgendwie nicht ganz so leicht zusammen zu bauen wie ein normales, nur aus Holz gebautes Bett.
„Schönes Liebesnest“, kommentierte Hanako zwischendurch das halb fertige Möbel. „Lasst mich raten, das war deine Idee, Tsu?“
„Ich weiß nicht, was ihr habt“, erwiderte mein Freund und strich mit der Hand über das glatte, rote Polster. „Ihr könnt mir nicht erzählen, dass ihr zwei nicht auch von so einem Bett träumt.“
„Könnt ihr mir mal helfen, statt hier die erotische Ausstrahlung dieses unmöglichen Bettchens zu besprechen?!“, unterbrach Koichi die etwas merkwürdige Unterhaltung, welche mir schon ein wenig das Blut in die Wangen getrieben hatte. „Wo steckt Yami eigentlich schon wieder?“
„Die ist eine rauchen gegangen“, antwortete Haruna, griff sich eins der Polsterteile und machte sich daran, Koichi beim Zusammenbauen zu helfen.
Als Yami nach einer ganzen Weile vom Rauchen zurückkam, waren wir mit dem Aufbau des Bettes fertig und hatten gerade mit dem Schrank angefangen. Sie wirkte auf einmal irgendwie merkwürdig und sagte dann: „Wisst ihr, was hier ganz in der Nähe ist?“
„Was denn?“, fragte Koichi.
„Die Psychiatrische Klinik. Ich bin bisschen rumgelaufen und da vorbeigekommen. Irgendwie total unheimlich, so was, oder?“
„Was ist daran unheimlich?“, fragte Haruna.
„Na ja … die Geschlossene und so was. Ich stell mir das furchtbar vor, wenn man da eingesperrt ist.“
„Bei manchen Krankheiten muss das eben sein“, sagte Hanako.
Ich sah, mehr zufällig, zu Tsuzuku, der auf dem Boden kniete und eine Schraube am Schrank anzog. Auf den ersten Blick wirkte er ganz konzentriert und ruhig, doch als ich genauer hinsah, bemerkte ich, dass er den Schraubenschlüssel krampfhaft fest mit der Hand umklammert hielt, so fest, dass seine Fingerknöchel schon ganz weiß waren.
Vielleicht musste er bei der Erwähnung der Klinik an das Mädchen aus dem Tempel denken, Hitomi, die sich im Herbst die Arme aufgeschnitten hatte und dann in die Psychiatrische Klinik gekommen war. Das hatte ihn damals ziemlich mitgenommen und so war es vielleicht nicht verwunderlich, dass ihn das jetzt innerlich aufregte.
Yami vertiefte das Thema zum Glück nicht weiter und so war nach ein paar Augenblicken alles wieder okay. Irgendwie wurde dann auch der Schrank fertig und wir konnten auch hier die Sachen aus den Kisten einräumen.
Dabei entdeckte Haruna Tsuzukus Visual Kei Sachen und fragte: „Wow, sind die cool! Wo hattest du die denn die ganze Zeit?“
„Die habe ich mit Meto zusammen gekauft und er hatte sie dann in seinem Zimmer“, antwortete mein Freund und hängte den schwarzen Lackmantel in den Schrank.
„Komm doch mal wieder zu uns in den Park und zieh dann so was an“, sagte Yami.
„Ich weiß nicht, ob ich da überhaupt jemals wieder hinkomme“, erwiderte Tsuzuku. „Ich denke, das würde mich zu sehr daran erinnern, wie schlecht es mir ging, versteht ihr?“
„Ach so …“, sagte Haruna, lächelte dann aber. „Na dann, kommen wir dich eben hier besuchen.“
Später, als wir dann mit allem fertig waren, waren wir alle zusammen in der Küche. Tsuzuku stand am offenen Fenster und rauchte, ich saß mit hochgezogenen Knien auf einem unserer wenigen Stühle und Haruna und Hanako saßen mir gegenüber, während Koichi an der Küchenzeile lehnte und Yami sich auf den Boden gesetzt hatte.
„Wenn ihr die Wände streichen wollt, helfen wir wieder“, sagte Haruna und nahm einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse. „Oder wenn was anderes ist, einfach Bescheid sagen.“
„Danke, machen wir“, erwiderte Tsuzuku und drückte seine Zigarette auf der äußeren Fensterbank aus, ließ sie dann aus dem Fenster fallen.
„Sag mal, Yami …“, fragte er nach einer Weile, „Du hast vorhin, als du draußen warst, nicht zufällig irgendwo hier in der Nähe ein Sportstudio gesehen?“
„Doch, hab ich“, antwortete sie. „Hier die Straße runter ist eines, ein ziemlich großes sogar. Brauchst du eins?“
Tsuzuku lächelte leicht. „Den Trainingsraum im Tempel kann ich ja jetzt nicht mehr nutzen.“
„Wie viel trainierst du denn eigentlich?“, fragte Koichi. „Du hast ja schon bisschen was zugelegt.“
„Ich dachte, jetzt so zwei Mal die Woche, wenn ich dann arbeite. Im Tempel hab ich jeden zweiten Tag was gemacht.“
„Dann solltest du aber nicht so viel rauchen, Tsu“, sagte Hanako.
„Ich glaube, damit kann ich nicht aufhören. Ich brauche das zur Beruhigung.“
Daraus entspann sich eine kleine Diskussion über das Rauchen, an der ich mich jedoch kaum beteiligte. Ich rauchte zwar selbst, aber nur hin und wieder mal, mehr aus gegebenen Anlässen, als aus Sucht. Tsuzuku und Yami dagegen waren wirklich abhängig, und Koichi gab zu, ebenfalls nicht wirklich ohne Zigaretten auskommen zu können.
„Bin ich hier etwa die einzige, die noch nie an ‘nem Glimmstängel gezogen hat?“, fragte Hanako verwundert.
„Ich hab aufgehört“, sagte Haruna. „Ich brauch das Zeug nicht.“
„Ich weiß. Danke, mein Schatz.“ Hanako lächelte und drückte ihrer Freundin einen kurzen Kuss auf die Lippen. Irgendwie fand ich die beiden in dem Moment süß, so zusammen, nicht so als weibliche Wesen, sondern einfach als zwei Menschen, die sich sehr gern hatten und ihr Leben miteinander verbrachten.
Irgendwann, als es schon ganz dunkel draußen war, machte sich zuerst Yami auf den Heimweg, dann Haruna und Hanako. Koichi blieb noch eine Weile, er wohnte ja in dieser Stadt und musste nur die Stadtbahn nehmen.
„Was macht ihr morgen?“, fragte er.
„Essen kaufen“, antwortete Tsuzuku und deutete auf den leeren Kühlschrank.
„Ich kann mitkommen, dann könnt ihr mehr kaufen und ‘nen kleinen Vorrat anlegen“, bot Koichi an, woraufhin ich nickte und zu Tsu sah, der den Kühlschrank öffnete und irgendwas von Bier murmelte.
„Klappt das denn jetzt mit dem Essen?“, fragte Koichi dann.
„Ja.“ Mein Freund lächelte. „Alles gut, ich bin okay.“
„Beim Arzt und so bist du aber noch nicht gewesen, oder?“
„Nein. Wie ich schon sagte, mir geht’s gut.“
Ich glaubte, einen leicht genervten Ton aus Tsuzukus Stimme herauszuhören, doch das konnte auch meine Einbildung sein, weil ich mir eben weiterhin angewöhnt Sorgen um ihn machte. Und ich dachte an meine eigenen Probleme, daran, wie ich letztes Jahr auch nicht zu Frau Hiranuma hatte gehen wollen, weil es mich genervt hatte. Von daher konnte ich verstehen, dass Tsu weder zu einem Arzt, noch zu einem Psychologen gehen wollte.
Kurz darauf machte sich auch Koichi auf den Heimweg und Tsu und ich machten uns kurz für die Nacht fertig. Und als ich dann in der Tür des Schlafzimmers stand und mir das ansah, was von jetzt an mein – unser – Zuhause sein sollte, da fühlte ich mich schon ein wenig daheim. Ich hörte die Badezimmertür klappen, dann leise Schritte hinter mir, und ein warmer, noch bekleideter Körper schmiegte sich von hinten an meinen.
„Gefällt dir unser Zuhause?“, fragte Tsuzuku mit sanfter Stimme und streifte mit den Lippen meinen Nacken, was mir eine leichte Gänsehaut bescherte. Ich nickte, lehnte mich ein wenig an ihn und berührte seine Hände an meinem Bauch, strich gedankenverloren mit dem Daumen über seinen Handrücken, spürte die Sehnen und Adern unter der glatten, warmen Haut.
„Wie wär’s, wenn wir das jetzt einweihen?“ Seine Stimme nahm einen verführerischen Klang an, während seine Hand etwas höher wanderte und über meine Brust strich. „Du hast es mir versprochen, Meto-chan.“
Ich lächelte, drehte mich in seinen Armen zu ihm um und nahm sein Gesicht in meine Hände.
„Einweihen nennst du das?“, fragte ich lächelnd. „Das fällt wohl eher unter ‚Entweihen‘.“
„Nenn es, wie du willst, mein Süßer.“ Er grinste, überbrückte dann die kurze Distanz zwischen meinen und seinen Lippen und küsste mich, wobei er mich eindeutig spüren ließ, dass das ein ‚Ich will dich‘-Kuss war. „Und?“, fragte er. „Willst du?“
Natürlich wollte ich! Aber ganz so leicht wollte ich es meinem Freund nicht machen. Schließlich lebte das Ganze ja nicht zuletzt auch von einer gewissen Spannung. Er wollte mich kriegen, erobern, verführen? Das konnte er haben!
Ich schob meine Hände zwischen uns und hielt ihn fest, mit einem gewissen Abstand, der ihn spüren lassen sollte, dass ich ihn heute nicht ohne ein kleines Spiel vorher ranlassen würde.
„Immer einfach wird doch langweilig, oder?“, sagte ich leicht grinsend und brachte noch ein wenig mehr Abstand zwischen uns.
Er verstand sofort, und sprach mit verrucht rauer Stimme in mein Ohr: „Soso, Meto will spielen?“
„Erraten!“, grinste ich, stieß ihn spielerisch von mir und lief los, wahllos in die Küche. Er war sofort gleich hinter mir, und als ich den kleinen Tisch umrundete und mich dabei nach ihm umsah, war da so ein Leuchten in seinen Augen. Anscheinend hatte ich seinen Spieltrieb geweckt, und das würde ich jetzt, so gut ich konnte, ausnutzen.
„Ich krieg dich!“, rief er lachend, als ich knapp vor ihm über den Flur ins Wohnzimmer rannte. Vor der Couch bekam er mich zu fassen, versuchte, mich darauf niederzudrücken und zu kitzeln, doch ich wollte die Spannung noch ein wenig halten und ließ ihn nicht ganz an mich heran. Ich selbst spürte schon, wie sich das heiße Kribbeln in meinem Bauch ausbreitete, und hätte Tsuzuku am liebsten sofort alle Kleider vom Leib gerissen, doch ein wenig beherrschte ich mich noch und spielte das Spiel ein paar Momente lang weiter. Ich wand mich in seinen Armen, musste lachen, als er mich wieder kitzelte, doch als er dann auf einmal mit der Handfläche fest auf meinen Unterleib drückte, genau da wo es kribbelte, da entfuhr mir ein eindeutiges Stöhnen.
„Genug gespielt“, sagte er und drückte mich auf die Couch, sah mir dann tief in die Augen, während er mich an den Schultern festhielt. „Willst du es hier oder im Bett?“ Seine Atmung ging schon etwas tiefer und als ich kurz den Blick nach unten senkte, sah ich auch die verräterische Ausbeulung in seiner Hose.
Da konnte es wohl jemand kaum noch erwarten! Na dann wollte ich ihn mal nicht länger warten lassen. Schließlich wollte ich ja genauso.
„Im Bett“, antwortete ich, woraufhin er meine Schultern los ließ, sodass ich aufstehen konnte. Erst dabei bemerkte ich, wie heiß ich selbst schon war, wenn auch noch weniger und langsamer als Tsu. Ihm entging das natürlich nicht, er streckte die Hand nach mir aus und berührte meinen Schritt, lächelte anzüglich und sagte: „Du wirst ja auch schon ganz geil.“
„Du aber auch“, machte ich wieder mal einen Versuch, genauso unverblümt zu reden wie er. Sogar recht erfolgreich, denn ich spürte diesmal kein Blut in meine Wangen steigen und fühlte mich auch kaum unsicher oder peinlich. Vielleicht wurde das ja doch noch was mit mir und dem Reden.
Tsuzuku erwiderte darauf nichts, legte mir nur die Hände an die Seiten und küsste mich, während er mich langsam rückwärts in Richtung Schlafzimmer dirigierte. Ich stolperte etwas ungeschickt vor ihm her, er hielt mich fest, sah mich an und unterbrach den Kuss, als wir gerade mitten im Flur standen.
„Vertraust du mir?“, fragte er und schob langsam mein Shirt hoch. Seine großen, warmen Hände auf meiner Haut ließen heiße Schauer über meinen Körper huschen und ich seufzte angetan.
„Ja“, hauchte ich wahrheitsgemäß. „Na klar tu ich das.“
„Dann … darf ich dir gleich wieder die Augen verbinden?“
„Wieso das denn?“, fragte ich, obwohl ich ja genau wusste, dass ihn das anmachte, wenn ich die Augen verbunden hatte. Aber ich wollte es hören.
Er senkte den Kopf, bis seine Lippen an meinem Hals waren, und antwortete mit leiser, rauer Stimme: „Weil mich das so verdammt heiß macht …“
Es tat mir sehr gut, zu spüren, wie selbstsicher er in diesem Moment war und es gab mir wieder diese Sicherheit, dass ich mir keine Sorgen um ihn machen musste.
„Dann mach“, antwortete ich, er nahm meine Hand, führte mich in unser Schlafzimmer und begann, nachdem ich mich aufs Bett gesetzt hatte, damit, im Schrank und den letzten noch nicht ausgeräumten Kisten nach einem meiner Schals zu suchen.
Ich zog mich inzwischen aus, und als Tsuzuku sich mir wieder zuwandte, mein schwarzes Halstuch in der Hand, sagte er: „Eigentlich wollte ich dich ja ausziehen.“ Er setzte sich zu mir und fuhr fort: „Aber so ist auch gut.“ Ich sah ein warmes Leuchten in seinen Augen, bevor er mir das Tuch anlegte und fest zuband.
„Wenn irgendwas ist, wenn du dich unwohl fühlst oder so, dann sag mir das, okay?“, hörte ich seine Stimme.
Ich nickte und spürte dann, wie er aufstand, hörte ihn sich ausziehen, das Rascheln von Stoff und das metallische Klimpern seiner Gürtelschnalle. Obwohl ich nichts sah, wusste ich relativ genau, was er tat, und als er sich wieder zu mir setzte, spürte ich seine Nacktheit, noch ehe er sich an mich schmiegte, mich küsste und umarmte. Sein warmer Körper an meinem fühlte sich unheimlich gut an und ich tastete nach ihm, berührte seine weiche, glatte Haut und hörte ihn wohlig seufzen.
„Kennst du das auch?“, fragte er. „Dass man viel empfindlicher ist, wenn man gar nichts mehr anhat?“
„M-hm.“ Ich nickte.
Tsuzuku stand wiederum auf, blieb jedoch nicht lange von mir, sondern setzte sich rittlings auf meinen Schoß und drückte sich an mich, sodass seine erregte Körpermitte die meine berührte, die inzwischen nicht weniger heiß war.
Ich keuchte leise, hörte ihn aufstöhnen und ließ meine Hände von seinen Schultern aus abwärts wandern, bis zu seinen gepiercten Nippeln, die ich mit sanftem Druck streichelte, wissend, wie sehr er das mochte. Seine Atmung beschleunigte sich weiter, wurde tiefer und ich spürte die ruckartigen Bewegungen seiner Brust unter meinen Händen.
Etwas zu tun, das ihm so gefiel, machte mich an, und ich war glücklich, dass ich ihm so gute Gefühle schenken konnte.
„Leg dich hin“, hörte ich ihn sagen, seine Stimme klang tief, rau und erregt.
Ich ließ mich langsam nach hinten sinken, etwas unsicher und einen Moment lang ein wenig orientierungslos. Ich hatte den Raum noch nicht im Gefühl und spürte jetzt, dass ich doch ein wenig aufgeregt war, einfach noch wegen des Umzuges und weil das hier die erste Nacht in unserer ersten gemeinsamen Wohnung war, in unserem neuen Leben.
Tsuzuku beugte sich über mich, ich spürte seine Hände auf meiner Brust, seine Fingerspitzen an meinen Nippeln, hörte ihn ganz nah atmen und dann lagen seine Lippen auf meinen, er knutschte mich wild und leidenschaftlich ins Kissen, während seine Finger meine Brustwarzen so erregend drückten und rieben, dass ich in den Kuss stöhnte und meinen Körper seiner Nähe und seinen Zärtlichkeiten entgegenbog. Er löste den Kuss, lachte leise und rutschte ein Stück weit runter, im nächsten Moment spürte ich statt seiner Finger nun seine Lippen auf meiner Brust, wie sie küssten und saugten und mich so schon ansatzweise um den Verstand brachten. Seine Zunge trug auch ihren Teil dazu bei und so gab ich, nach lautem Stöhnen, ein unwilliges Jammern von mir, als er plötzlich aufhörte und von mir verschwand.
„Ich bin gleich wieder bei dir“, antwortete er und ich hörte, wie er irgendwo herumkramte, höchstwahrscheinlich das Gleitmittel und die Schachtel mit den Kondomen suchte. Er gab ein leises „Ah“ von sich und war kurz darauf wieder bei mir, legte die beiden Sachen irgendwo neben mich aufs Bett. Dann beugte er sich wiederum über mich, begann von neuem, meine Nippel zu küssen, und gleichzeitig wanderte seine Hand unter meinen Rücken, runter zu meinem Hintern, wo seine Finger zwischen meinen Pobacken nach meinem Eingang tasteten.
Kurz zog er seine Hand wieder zurück, ich hörte das klackende Geräusch vom Öffnen der Gleitmitteltube und spürte das kühle, glitschige Zeug bald darauf in der Ritze. Damit er besser rankam, drehte ich mich auf die Seite und hörte ihn fragen: „Wie hättest du es denn gern?“
Nach unserem zweiten Mal, das ich nach wie vor als schönsten Sex meines Lebens in Erinnerung hatte, hatte Tsuzuku sich diese Frage ein wenig angewöhnt. Er fragte immer, wie ich es gern haben wollte, wir hatten uns zuvor informiert und infolgedessen schon ein bisschen was an Stellungen und Spielarten ausprobiert. Nichts Besonderes, nur das, wo er sicher sein konnte, dass es mir wirklich gefiel.
Am liebsten mochte ich es, wenn er hinter mir lag, mich im Arm hielt und so nahm, während er, ehrlich wie er diesbezüglich war, zugab, dass es ihm am besten gefiel, mich auf dem Bauch liegend unter sich zu haben und so in mich zu stoßen. Letzteres hatten wir jedoch nur bei unserem ersten Mal und noch einmal danach gemacht, weil Tsuzuku sich, wie er sagte, dabei nicht ganz sicher sein konnte, die Kontrolle über sich selbst zu wahren und mir nicht zu sehr weh zu tun. Es war, wie er mir versicherte, keineswegs so, dass ihm nur diese Stellung wirklich gefiel, nur machte ihn diese eben am meisten an.
Etwas, das uns beiden gefiel, war, wenn ich auf dem Rücken lag, die Knie hochzog und mich ein wenig verbog, während Tsu zwischen meinen Beinen kniete und ich dann, wenn er in mir war, meine Beine um seinen Rücken legte.
Ich mochte es, ihm in die Augen zu sehen, wenn wir miteinander schliefen, konnte ich dann doch seine Gefühle, seine Lust und Selbstsicherheit sehen.
„Meto?“, sprach Tsuzuku mich wieder an, als ich zuerst nicht antwortete. „Wie möchtest du’s?“
Sein Finger drückte gegen meinen Eingang, drang langsam in mich und vernebelte mir so den Verstand. Es war nicht nur so, dass ich seine Berührung jeder Art mochte, sondern inzwischen machte es mich explizit an, etwas dort in mir zu spüren. Ich stöhnte, drückte mich seiner Hand entgegen und antwortete: „Heute … ohhh… überlass ich das dir …!“
Wie zur Antwort nahm er einen zweiten Finger dazu und begann, mich vorsichtig zu dehnen. Doch anscheinend ging das nicht so gut wie sonst, denn er flüsterte: „Entspann dich“, küsste meine Schulter und streichelte mit der anderen Hand meinen Bauch. Ich spürte eine ganz leichte Anspannung in meinem Innern, doch so verschwindend gering, dass ich sie zu ignorieren suchte.
„Ich bin entspannt“, sagte ich, denn eigentlich war ich das ja. Ich war entspannt, heiß und willig, und hatte wirklich Lust auf Sex. Wenn ich daran dachte, ihn gleich in mir zu spüren, bekam ich vorfreudiges Herzklopfen, und als seine freie Hand meine Erregung griff und zu massieren begann, kamen die Worte dessen, was ich wollte, ganz leicht über meine Lippen: „Tsuzuku, nimm mich …! Ich will dich in mir haben. Mach mit mir, was du willst, ich vertrau dir, und lass mich spüren, was du fühlst!“
Er lachte, dieses süße, leise Lachen, und antwortete: „Das kannst du haben, mein Süßer.“
Seine Hand wanderte von meiner Härte hoch zu meinen Nippeln und täuschte dort Küsse vor, während die andere mich weiter dehnte, so lange, bis ich vollkommen im Zustand ‚rollige Katze‘ war. In meinem Bauch wachte das heiße Ziehen auf und ich wand mich stöhnend unter der zärtlichen, liebevollen, und doch sehr bestimmten ‚Behandlung‘ meines Liebsten.
Er ließ mich wieder los, zog seine Finger aus mir zurück, und ich hörte, wie er ein Kondom aus der Schachtel nahm, auspackte und über seiner Härte abrollte.
Durch die Augenbinde waren meine übrigen Sinne geschärft, ich lauschte dem Geräusch seines erregten Atmens und spürte seine wohltuende Nähe.
„Bereit?“, flüsterte er, bis aufs Äußerste erregt.
Ich nickte, was er mit einem spielerischen Zwicken in meine Brustwarze quittierte.
„Sag, Meto. Bist du soweit?“
„Jaah! Mach!“
Einen Moment später fand ich mich auf dem Bauch liegend wieder, die Beine gespreizt und Tsuzuku dazwischen. Irgendetwas fühlte sich ein wenig seltsam an, doch ehe ich herausfinden konnte, was es war, oder etwas sagen konnte, senkte sich der heiße, hocherregte Körper meines Freundes auf mich und drängte in mein Inneres.
Ich hörte sein tiefes Stöhnen und genoss einige Augenblicke lang das wunderschöne Gefühl, eins mit ihm zu sein und seine Selbstsicherheit zu spüren. Ich liebte ihn so sehr und zu wissen, dass er sich mehr als gut fühlte, machte mich so glücklich!
Tsuzuku küsste kurz meinen Nacken, richtete sich dann auf und legte beide Hände auf meinen Rücken, drückte mich in die weiche Matratze und ich spürte, wie er seine Dominanz in dieser Stellung genoss. Dass ich immer noch die Augen verbunden hatte, machte ihn sicher zusätzlich an. Doch ich fühlte mich dadurch keineswegs unwohl, und auch, als er dann zum ersten Mal in dieser Nacht in mich stieß, fühlte sich das gut an.
Umso überraschter und verwirrter war ich, als sich mein Körper einige Stöße später plötzlich anspannte und krampfte. Mit einem Schlag war das schöne Gefühl fast weg und ich spürte nur noch ein Spannen und brennenden Schmerz.
Tsuzuku bekam davon im ersten Moment nichts mit, er war schon viel zu versunken in seiner eigenen Lust und stieß weiter in mich, stand am Rande seiner Selbstbeherrschung.
Ich drückte mein Gesicht ins Kissen, erstickte so das schmerzerfüllte Zischen und versuchte, den Schmerz irgendwie zu ignorieren. Die Worte „Hör auf …“ brachte ich kaum übers Herz, doch irgendwann verließen sie von selbst meine Lippen.
Tsuzuku stoppte beinahe sofort, nahm seine Hände von meinem Rücken und fragte, noch ganz atemlos: „Was ist? Was hast du?“
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, war viel zu verwirrt davon, dass es auf einmal wieder wehtat, ihn in mir zu haben. Ich hatte keine Ahnung, was der Grund dafür sein konnte, und vor allem wollte ich nicht, dass Tsu sich jetzt schuldig fühlte.
„Meto, was ist los? Hab ich dir wehgetan?“, fragte er mit besorgter Stimme.
Ich wollte antworten, wollte sagen, dass es nicht seine Schuld war und ich mir das selbst nicht erklären konnte, doch meine Stimme versagte mir den Dienst.
Ganz langsam und sehr vorsichtig zog Tsu sich aus mir zurück, legte sich dann neben mich und streichelte etwas unbeholfen meinen Arm. Kurz darauf spürte ich seine Hand an meinem Kopf, er löste die Augenbinde, sodass ich ihn wieder sehen konnte. Und er die Tränen in meinen Augen bemerkte.
Er sah mich erschrocken an, dann sah ich die Schuldgefühle in seinem Blick. Immer noch unfähig zu sprechen, wandte ich mich ihm zu, schmiegte mich an ihn, um ihm irgendwie zu zeigen, dass er nicht die Schuld für meine Schmerzen trug. Er hatte nichts falsch gemacht. Und so hob ich den Kopf und küsste ihn, so liebevoll wie ich nur vermochte.
„Sag doch, was los ist“, flüsterte er verzweifelt. „Ich hab dir wehgetan, oder? War ich zu hart zu dir, hab ich mich zu sehr gehen lassen? Sag doch was!“
Mühevoll sammelte ich meine Sprache wieder zusammen und brachte ebenso leise heraus: „Du hast nichts falsch gemacht, Tsuzuku. Gar nichts. Mach dir bitte, bitte keine Vorwürfe. Mein Körper hat einfach nicht mitgespielt, da kannst du absolut nichts dafür.“
„Ich hätte es merken müssen“, widersprach er.
„Hättest du nicht!“ Ich richtete mich, den Schmerz verbeißend, auf, beugte mich über ihn und sah ihm fest in die Augen. „Tsu, du warst geil bis in die Haarspitzen, du musstest gar nichts merken! Ich weiß ja selber nicht, wieso das jetzt so passiert ist, aber was ich weiß, ist, dass du nichts, aber auch gar nichts falsch gemacht hast! Es lag an mir, an meinem Körper, und ich komm schon damit klar, hörst du?“
Da war er wieder, der Schatten, der Schmerz in seinen Augen. Hinter ihnen arbeitete es, verletzt, reuevoll und voller Selbstvorwürfe. Und ich sah Angst.
Er drehte den Kopf zur Seite, wich meinem Blick aus, und ich spürte deutlicher als je zuvor, dass da etwas war, worüber er mit mir nicht sprechen wollte oder konnte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, traute mich jetzt auch nicht, zu fragen, was mit ihm los war. Wenn ich ehrlich war, hatte ich selbst Angst davor.
„Meto, es tut mir leid, wirklich …“, sagte er leise. „Ich weiß ja, dass du diese Stellung nicht so magst, aber … ich hab die Kontrolle verloren.“
Offenbar hatte es ihn wirklich tief getroffen. Und zu spüren, wie er sich selbst fertig machte, tat mir noch viel mehr weh als der körperliche Schmerz. Eben noch war Tsuzuku so glücklich und selbstbewusst gewesen und jetzt brach er so zusammen. Und dabei hatte er sich doch den ganzen Tag darauf gefreut, mit mir zu schlafen … Ihm das verwehren zu müssen, machte mich unheimlich traurig. Ich wusste doch, wie wichtig ihm das war.
Und als ich ihn wieder ansah, da sah ich Tränen in seinen braunen Augen, und wie er sich auf die Lippen biss. Er flüsterte, mehr zu sich selbst, Worte, die ich nicht verstand, dann setzte er sich auf und zog die Knie an. Es war diese Haltung, die immer dann kam, wenn er innerlich abstürzte, das Glück in ihm wieder einmal zerbrach.
Das konnte doch nicht nur daran liegen, dass er mir versehentlich wehgetan hatte! Da war noch etwas anderes im Spiel. Und schon wieder waren wir an diesem Punkt, an dem ich nicht weiter wusste.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und wagte einen Versuch, an diesen Punkt näher heranzukommen: „Tsuzuku, was denkst du denn jetzt?“
Er antwortete nicht, blickte nur ins Leere, und ich wusste, ich war ganz nah dran an seinem Geheimnis. Ich setzte mich ebenfalls auf, ignorierte den Schmerz, der auch schon etwas weniger geworden war, und sah meinen Freund von der Seite an.
Die Tränen liefen über seine Wangen, er zitterte leicht und ich spürte, wie niedergeschlagen und traurig er war und dass er große Angst hatte.
Und als er dann endlich doch etwas sagte, half das auch nicht weiter: „Ich glaub, ich schlafe jetzt besser auf dem Sofa.“ Er wollte aufstehen und gehen, doch ich ließ ihn nicht, nahm seine Hand und hielt ihn fest.
„Du bleibst hier!“, sagte ich laut. „Das hier ist unsere erste Nacht in unserem neuen Leben, die wirst du ganz sicher nicht auf der Couch verbringen!“
Er sah mich mit großen Augen an, ungläubig. Ich zog ihn zu mir, legte eine Hand in seinen Nacken, während ich mit der anderen die seine festhielt, und küsste ihn, ganz zärtlich und weich und liebevoll, mit allem, was ich für ihn empfand.
„Ich lass dich doch jetzt nicht gehen“, flüsterte ich und nahm ihn in meine Arme. Tsuzuku wehrte sich nicht, sondern ließ sich einfach von mir umarmen. Er zitterte immer noch, und als er sein Gesicht an meinem Hals barg, spürte ich seine Tränen, doch ich fühlte, dass es ihm ein wenig besser ging.
„Meto …“, sprach er leise und küsste meine Halsbeuge. „Wie hab ich so was Süßes wie dich nur verdient?“
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, hielt ihn einfach im Arm und streichelte ihn, bis er sich wieder beruhigt hatte und nicht mehr zitterte. Irgendwann ging seine Atmung wieder ganz ruhig und gleichmäßig und ich spürte, dass er sich wieder einigermaßen gut fühlte.
Ich ließ mich langsam auf den Rücken sinken, zog Tsuzuku mit mir und eng an mich. Dabei dachte ich an unsere kleine Reise damals, als er mir seine Liebe gestanden hatte und wir sowohl in der ersten, als auch in der zweiten Nacht intim miteinander geworden waren. Jene zweite Nacht war in meiner Erinnerung nicht ganz einfach gewesen und deshalb dachte ich jetzt daran.
Tsuzuku schmiegte sich an mich und ich fühlte, wie, wenn auch langsam und zögerlich, seine Lust wieder aufflammte. Seine Fingerkuppen gruben sich in meinen Rücken, er küsste meine Schulter und flüsterte: „Mach mit mir, was du möchtest …“ Und dann: „Ich gehör‘ nur dir.“
Seine Worte rührten mich, ich spürte ein leichtes Kribbeln in meinem Innern und gerührte Hitze in meinen Augen, so als müsste ich gleich weinen. Ich wollte etwas erwidern, wollte sagen, dass er vor allem sich selbst gehörte, doch meine Sprache versagte mir wieder den Dienst. Und so tat ich, wie er sagte, berührte und streichelte ihn überall, wo ich herankam, küsste ihn und freute mich über seine wohligen, genießenden Seufzer.
„Ich liebe dich, Tsuzuku“, flüsterte ich, als ich meine Sprache wieder beisammen hatte. „Vergiss das nie, hörst du?“
Er nickte, seufzte dann, weil ich ihn weiter streichelte und ihm das gut tat, einfach nur angefasst und umarmt zu werden. Seine Angst und Traurigkeit schienen wieder verschwunden, er wieder glücklich, und alles gut. Ich wusste, das würde nicht so bleiben, doch daran wollte ich jetzt nicht denken. Alles, was ich wollte, war, Tsuzuku zu lieben und zu halten, es mit der Lust ganz langsam angehen zu lassen und auch von ihm gehalten zu werden. Und das bekam ich.
Wir liebten uns langsam und ein bisschen vorsichtig, ohne erneutes Eindringen, nur lieb haben und anfassen, und danach, als Tsuzuku in meinen Armen einschlief, fühlte ich mich schwebend, wie im Traum, bevor ich selbst in einen tiefen Schlaf sank.
Es war spät abends, als ich mich als Letzter auf den Weg nach Hause machte. Meine Wohnung lag in einem anderen Stadtviertel und ich nahm die Nachtbahn, die zu dieser Zeit fast völlig leer war. Ich holte mein Handy aus der Tasche, steckte mir die Kopfhörer in die Ohren und stellte leise Musik an, während ich aus dem Fenster in die Dunkelheit schaute. Bahnfahren hatte für mich immer etwas meditatives, gerade wenn es so leer und ruhig war. Ich konnte dann immer gut nachdenken und so dauerte es auch heute nicht lange, bis ich in Gedanken war. Die sich, nachdem ich ja den Tag mit Tsuzuku und Meto verbracht hatte, vor allem um die beiden drehten.
Ich machte mir Sorgen um Tsu. Er wirkte irgendwie belastet und schien vor etwas Angst zu haben. Doch, und das war es, was mir wirklich Sorgen machte, er schien nicht darüber sprechen zu wollen. Und deshalb sprach ich ihn auch nicht darauf an. Ich sah viel Abwehr und eben Angst in seinen Augen, spürte deutlich, wie sehr er sich davor fürchtete, dass jemand bemerkte, dass bei ihm etwas nicht stimmte, und ihn darauf ansprach.
Also behielt ich meine Sorge für mich, machte mir meine eigenen Gedanken und Vermutungen und versuchte, mir nicht allzu viel anmerken zu lassen. Auch, weil ich selbst ein wenig Angst hatte. Hoffentlich war das, was Tsuzuku da mit sich herumtrug, nichts allzu schlimmes. Wobei mein Gefühl, auf das ich mich eigentlich immer verlassen konnte, mir sagte, dass genau das der Fall war. Dass es schlimm war, schlimm und gefährlich, und dass Tsuzuku deshalb nicht darüber sprach.
Die Bahn hielt an meiner Station und ich stieg aus, ließ aber die Musik an und hörte weiter, auf dem ganzen Weg bis zu meiner Wohnung. Es war kalt, normal für Anfang März, und ich kuschelte mich in meine cremefarbene Winterjacke und den rosa Wollschal. Mit klammen Fingern stellte ich die Musik aus, zog den Schlüssel aus meiner Vivienne Westwood Bambitasche und schloss die Tür auf, zog die Schuhe aus und hängte meine Jacke an die Garderobe.
Meine Schritte führten mich gleich ins Wohnzimmer, zum Kokatsu-Tisch, wo ich die Steuerung der Heizdecke aufdrehte, und dann in die Küche ging, um mir Tee zu kochen. Während der zog, hörte ich meinen Anrufbeantworter ab.
„Hey, Kocha, hier ist Mikan. Sag mal, hast du nächste Woche vielleicht Zeit, mit mir zum Shoppen nach Tokyo zu fahren? Ich brauch mal wieder ein paar neue Klamotten und Closet Child hat neue Ware reinbekommen. Ruf mich zurück, wenn du Zeit hast.“
Jetzt war es natürlich zu spät, Mikan zurückzurufen, also verschob ich das auf Morgen, nahm mir meinen Tee und setzte mich an den inzwischen schön warmen Kokatsu.
Augenblicklich machte die Wärme mich müde und ich schaltete den Fernseher an, um wach zu bleiben. Dort lief jedoch irgendwie nur uninteressantes Zeug und so machte ich ihn wieder aus, trank meinen Tee und begnügte mich damit, mein kleines, süß eingerichtetes Wohnzimmer zu betrachten.
Meine niedlichen Möbel, meine Filmsammlung, eine Menge verschiedenster CDs und nicht zuletzt meine Sammlung von etwa zwanzig kleinen und größeren Rehen aus Plüsch, Plastik und Porzellan. Ich mochte Rehe (obwohl Bambi, mein Liebling, ja bekanntlich ein Hirsch war) und irgendwann hatte ich angefangen, sie zu sammeln.
Einen Moment lang überlegte ich, den Bambi-Film, der sich als Sonder-Schmuck-Fanedition in meiner Sammlung befand, jetzt anzuschauen, doch da ich morgen arbeiten musste, entschied ich mich dagegen, einen stundenlangen Film inklusive Extras jetzt so spät noch zu sehen. Stattdessen trank ich meinen Tee aus, ging ins Bad, wo ich mich auszog, abschminkte und das Haarspray rauskämmte, um dann noch mal ins Wohnzimmer zu huschen, den Kokatsu auszuschalten und mich dann in mein Bettchen zu begeben.
Ich zog die Knie an, wie eigentlich immer und gegen die Kälte, und blickte auf meine im Dunkel schemenhaft erkennbare Handtaschen- und Schmucksammlung. Chanel, Dior und eben meine Lieblingsdesignerin Westwood waren die Urheber der meisten meiner Schmuckstücke und ich liebte jedes einzelne. Ich war schon ein kleiner Sammelfreak und Markenfan, doch ich stand dazu, weil ich gern so war.
Lag es an der Kälte im Raum, dass ich mich auf einmal seltsam beengt, kalt und irgendwie allein fühlte? Es kam völlig aus dem Nichts und fühlte sich an wie ein kleines, dunkles Loch, durch das ein eisiger Wind zog. Plötzlich bekam ich Angst, zog meine Bettdecke etwas höher und fragte mich, was denn auf einmal mit mir los war. Ich kannte dieses Gefühl nur aus meinen seltenen Albträumen, doch dass es mich jetzt auch im Wachzustand heimsuchte, war mir völlig neu. Langsam stand ich auf, nahm ein Sweatshirt mit Kapuze aus dem Schrank und zog es mir über, legte mich dann wieder ins Bett und brauchte sehr lange, bis ich endlich eingeschlafen war.
Ein durchdringendes „Piep, piep, piep, piep …“ weckte mich am nächsten Morgen. Ich kroch unter der Decke hervor, streckte die Hand aus und versetzte der Lärmquelle, auch Wecker genannt, einen gezielten Schlag, was ihn für die nächsten vierundzwanzig Stunden zum Schweigen bringen sollte.
Gähnend richtete ich mich auf, streckte mich, woraufhin mir prompt leicht schwindlig wurde, und erst jetzt bemerkte ich, dass ich kein Schlafshirt, sondern einen meiner Kapuzenpullis trug.
Warum? Ich versuchte, mich an gestern Abend zu erinnern, doch ich bekam das seltsame Gefühl, das mich vor dem Einschlafen heimgesucht hatte, nicht recht zu fassen, konnte mich nur schemenhaft und entfernt daran erinnern. Vielleicht war das ganz gut so, immerhin war es kein gutes Gefühl gewesen und ich sollte gar nicht so sehr darüber nachdenken.
Mit einem Ruck zog ich die Bettdecke beiseite, stand auf und öffnete meinen Kleiderschrank, suchte mit geübtem Blick eine pinke Jeans, einen hellen, geblümten Pullover und eine lange, altrosa Strickjacke heraus, dazu eine schlichte Halskette, zwei Ringe und einen meiner Herzanhänger. Zusammen mit meiner Standartausstattung ergab das ein einigermaßen gelungenes Outfit.
Mit den Klamotten über dem Arm und dem Schmuck und meinem Handy in der Hand ging ich ins Bad, legte alles auf dem Regal ab, stellte Musik an, zog mich aus und ging erst einmal schnell unter die Dusche.
Das heiße Wasser vertrieb die Kälte und tat mir gut, die Musik sorgte dafür, dass ich gute Laune bekam und ich summte leise mit, während ich mich wusch und dann noch eine Weile unter dem warmen Regen stand. Schließlich stieg ich aus der wasserdampfgefüllten Kabine, schnappte mir ein Handtuch und trocknete mich schnell und gründlich ab, um mich dann anzuziehen.
Während meine Haare in ein Handtuch eingewickelt trockneten, ging ich ins Wohnzimmer und setzte mich kurz an meinen Laptop, um meine Nachrichten auf diversen sozialen Netzwerken zu lesen und zu nachzuschauen, was es neues gab.
Es war nichts Großartiges passiert und so wandte ich mich wieder meiner Körperpflege zu, indem ich meine Haare trockenrieb, kämmte und zu meinem üblichen Zopf zusammenband. Ein Blick in den Spiegel sagte mir, dass ich ein bisschen schwarzen Ansatz hatte und daher demnächst ein Besuch bei meiner Lieblingsfriseurin angesagt war.
Während ich mich schminkte, ließ ich weiter Musik laufen. Ich wusste nicht, warum, aber ich konnte mich immer besser hübsch machen, wenn dabei Musik lief, am besten melodische Rockmusik.
Als ich dann mit allem fertig war, wurde es langsam hell draußen und ich verließ die Wohnung, lief durch das kalte Treppenhaus nach unten und aus dem Haus, zur Bahnstation, die mich in das Viertel bringen sollte, in welchem sich meine Arbeitsstelle, das Kawaii-Café ‚Amai Ame‘ befand. Es lag gut, genau zwischen meiner Wohnung und der, in der Meto und Tsuzuku jetzt lebten. Da Meto, wenn alles gut lief, in ein paar Tagen dort anfangen würde, würden wir uns wohl jeden Morgen an der Bahnstation treffen und dann den Tag über zusammen arbeiten.
Es hatte mir Spaß gemacht, ihn die zwei Tage, die er zur Probe da gewesen war, in den Betrieb einzuführen und den Gästen vorzustellen. Er schien ziemlich überrascht, dass er bei den vornehmlich weiblichen Gästen so gut ankam, wirkte aber sonst recht zufrieden und schien sich darauf zu freuen, zu arbeiten. Meinem Wissen nach war das seine erste Beschäftigung nach dem Schulabschluss und dafür hatte er sich an diesen zwei Tagen recht gut geschlagen.
In der Bahn dachte ich noch ein bisschen über ihn und Tsuzuku nach, darüber, wie besonders das zwischen den beiden war und wie schwer zu verstehen es für andere schien. Ich erinnerte mich noch gut an MiA, daran, wie dieser versucht hatte, einen Blick ins Innere dieser engen, damals noch eher freundschaftlichen Beziehung zu werfen und daran gescheitert war.
‚Zwischen Tsuzuku und Meto passt kein Blatt Papier …‘, dachte ich und musste lächeln. Ich wusste, ich benahm mich da manchmal wie ein kleines Fangirl. Tsuzuku zog mich ja oft genug aus Spaß damit auf, dass ich schwärmerisch reagierte und ein wenig schmachtete, wenn er in meiner Anwesenheit Meto küsste und berührte. Aber ich nahm ihm das nicht übel, im Gegenteil, ich fand seine manchmal so leicht ironische Art sympathisch.
Und, zugegeben, ich war ein wenig neidisch. Wie gern hätte ich selbst so eine enge, süße Beziehung gehabt, in der man füreinander da war und sich gegenseitig ergänzte.
Die Bahn hielt und ich stieg aus, lief durch die Straßen, in denen es jetzt schon recht hell war, bis ich meinen Arbeitsplatz erreicht hatte.
„Morgen, Kocha!“, rief mir meine Kollegin Satsuki, genannt Satchan, entgegen. Sie war, mit Ausnahme unserer Junior-Chefin, die einzige weibliche Kraft hier, schlug sich aber ganz gut.
„Guten Morgen!“, grüßte ich sie lächelnd zurück und ging dann in die Privaträume, um meine Uniform anzuziehen. Diese bestand aus einem kaffeebraunen Anzug mit weißem Rüschenhemd und Schuhen mit leichtem Absatz, dazu meinem Namensschild, auf dem neben der niedlichen Zeichnung eines kleinen Rehkitzes mein Spitzname ‚Kocha‘ in Katakana stand. Eigentlich war es keine richtige Uniform, denn jede Bedienung in diesem Laden trug ein in Farbe, Schnitt und Muster individuell angefertigtes Outfit, doch der Einfachheit halber hieß diese edle Arbeitskleidung eben ‚Uniform‘.
Nachdem ich mich umgezogen hatte, begann ich mit der Arbeit, die vor den Öffnungszeiten vor allem daraus bestand, alles vorzubereiten und Waren wie Kuchen, Milch und so weiter aus dem im Hinterhof stehenden Kühlwagen in den Kühlschrank des Cafés zu räumen. Als ich damit fertig war und mir am Fenster des Umkleideraumes eine Zigarette genehmigte, kam Satchan dazu und fragte: „Weißt du, wann der Neue jetzt kommt?“
„Das Vorstellungsgespräch ist am Donnerstag“, antwortete ich. „Und er heißt Meto.“
Satchan kicherte. „Ich finde den so niedlich! Wo hast du so ein süßes Etwas gefunden?“
Ich nannte den Namen der Stadt, in der Meto bis gestern gelebt hatte, und den Namen des Parks.
„Und er ist echt schwul und hat ‘nen Freund?“, fragte Satchan weiter, mit einem Leuchten in den Augen, das sie eindeutig als Fujoshi auswies.
„Ja. Aber du musst da nicht so ein Theater drum machen. Meto ist, na ja, nicht direkt schüchtern, aber eben nicht daran gewöhnt, dass irgendwelche Mädels ihn wegen seiner sexuellen Orientierung fangirlen. Ich möchte dich auch bitten, ihn nicht nach Top oder Bottom und so etwas zu fragen, okay?“, erwiderte ich, ruhig aber bestimmt. Ich wollte, dass Meto gern hier arbeitete, und möglichst ohne andauernd intime Fragen gestellt zu bekommen.
„Ist gut“, sagte sie und senkte den Blick. „Ich hab nur noch nie ‘nen Schwulen getroffen, deshalb bin ich halt so neugierig. Ich kenn das nur aus Manga und so.“
„Geh einfach ganz nett und normal mit ihm um“, sagte ich und drückte meine Zigarette auf dem Fenstersims aus.
Satchan nickte und verschwand wieder, ich blieb noch eine Weile am Fenster sitzen, machte es dann zu und mich wieder an die Arbeit.
Der Vormittag verlief so wie immer, ein fast normaler Arbeitstag in einem nicht ganz so gewöhnlichen Café. Ich bediente die Gäste, machte bei den Spielchen und Aktionen mit, die wir ihnen anboten, und hatte das Gefühl, meinen Job gut zu machen. Immerhin war ich relativ beliebt bei einer bestimmten Art von Mädchen und manche wollten explizit von mir und niemand anderem bedient werden.
„Kocha, du bist so niedlich!“, quietschte eine unserer Stammbesucherinnen, nachdem ich ihr den Kuchen mit einem Herz aus Schokosoße verziert hatte.
Ich lächelte, malte noch einen Smiley dazu, und sie fotografierte mein Stegreif-Kunstwerk mit der Handykamera, bevor sie ein Stück davon nahm, aß, und mich dann wieder anstrahlte.
Länger konnte ich nicht bei ihr bleiben, denn einer meiner Kollegen rief mich, weil eine andere Besucherin ein Foto mit ihm und mir wollte.
Ich wusste nicht genau, ob meine Beliebtheit bei den Gästen nur auf meine rosa Haare und mein feminin geschnittenes Gesicht zurückzuführen war oder darauf, dass ich einfach freundlich und aufgeschlossen war, aber ich nahm es so hin, schließlich war es ja ganz schön, beliebt und erfolgreich in meinem Tun zu sein.
Meine Mittagspause verbrachte ich woanders, in einem kleinen Park ein paar Straßen weiter. Ich kaufte mir an einem Stand etwas zu essen und setzte mich dann auf eine Bank, von wo aus ich den Leuten zusah, die ihre Pause ebenfalls hier verbrachten.
Dabei dachte ich an Mikan und an ihren geplanten Shoppingtrip. Kurzentschlossen holte ich mein Handy heraus und schrieb ihr eine Mail: „Hey, Mikan-chan! ^-^ Ich würde gern mit dir nach Tokyo fahren. Kann ja immer mal neue Sachen gebrauchen. ^_- Herz dich, Süße. Koichi <3“
Und schon musste ich grinsen. Ich freute mich jedes Mal unheimlich auf solche Shoppingtrips, einfach weil ich Einkaufen liebte und Mikan gern mochte. Meistens fuhr ich mit ihr, manchmal auch mit jemand anderem. Ich hatte fünf, sechs gute Freundinnen, und Mikan war meine beste.
Sie war zwei Jahre jünger als ich und ich kannte sie schon recht lange, genauer gesagt seit einer Visual-Styling-Convention vor fünf Jahren. Ich besuchte regelmäßig solche Veranstaltungen und Treffen, zum einen, um keinen Trend zu verpassen, und zum anderen, weil ich einfach gern neue Leute kennen lernte.
Während ich so da saß und über Sachen nachdachte, die so gewesen waren und was wohl noch kam, landeten meine Gedanken bei dem Tag im letzten Herbst, als ich mit Hanako und Haruna zum ersten Mal im Akutagawa-Park gewesen war und dort Tsuzuku getroffen hatte.
Er hatte abseits auf seinem Platz gesessen und zuerst hatte ich ihn gar nicht wahrgenommen mit seinen abgewetzten Sachen und den dunklen Klamotten. So richtig gesehen hatte ich ihn erst, als er auf Harunas Aufforderung hin zu uns gekommen und sich dazu gesetzt hatte.
Ich hatte mich mit Hanako unterhalten und den auffallend dünnen, aber für einen Obdachlosen recht gepflegten Mann, der älter wirkte als ich, obwohl wir etwa gleich alt waren, erst dann wirklich angeschaut. Hatte bemerkt, wie er mein an dem Tag sehr schickes, pastellfarbenes Outfit mit leicht hochgezogenen Augenbrauen gemustert hatte und erst einmal nur zuhörte, wie ich mich mit Mikan und den beiden anderen unterhielt. Nebenbei hatte ich etwas von seiner dunklen Ausstrahlung mitbekommen, und in seinen dunkelbraunen Augen etwas gesehen, das irgendwie mein Interesse weckte.
Dann hatte Hanako mich vorgestellt und ich hatte erfahren, wie sein Name war und dass er wirklich hier lebte. Und ich, freundlich wie ich eben war, hatte ihn gleich mit Namen angesprochen und gesagt, dass es mich freute, ihn kennen zu lernen.
Sein scheues Lächeln, welches als Erwiderung auf meine Freundlichkeit zurückgekommen war, hatte mein Interesse weiter bestärkt. Abgesehen von seinem offensichtlichen Untergewicht war Tsuzuku ein attraktiver Mann mit einer zwar dunklen, aber überhaupt nicht unangenehmen Aura, seine Tattoos und Piercings machten ihn interessant und ich hatte mir sofort gewünscht, mich mit ihm anzufreunden.
Von dem kurzen Gespräch zwischen ihm und Haruna hatte ich nicht viel mitbekommen, er war dann noch eine Weile geblieben, doch mit einem Mal aufgestanden, zu seinem Platz und dann woanders hingegangen.
„Koichi?“, hatte Haruna mich gefragt und ernst angesehen. „Würdest du Hanako und mir … einen Gefallen tun?“
„Was denn?“, war meine Antwort gewesen, ich hatte gelächelt.
„Könntest du dich … na ja, ein bisschen um Tsuzuku kümmern? Er ist ziemlich einsam, hat nur einen einzigen guten Freund, und es geht ihm … nicht so gut. Ich glaube, es würde ihm gut tun, mal jemand neues kennen zu lernen.“
Ich schreckte aus meinen Erinnerungen auf, als eine Taube direkt vor meinen Füßen plötzlich aufflog und mit einem klappernden Geräusch in einem der Bäume hinter mir verschwand. Automatisch blicke ich auf meine Armbanduhr. Ich hatte noch zehn Minuten, dann musste ich mich wieder auf den Weg ins Café machen. Und so hing ich noch eine Weile meinen Gedanken nach und erinnerte mich weiter daran, wie ich Tsuzuku kennen gelernt und zum ersten Mal auch in seine Dunkelheit geblickt hatte.
Mir war sofort klar gewesen, dass er, auch wenn er auf den ersten Blick eher zurückhaltend gewirkt hatte, auch ganz anders sein konnte, und so hatte es mich wenig überrascht, dass er, als ich zu ihm gegangen war und ihn gefragt hatte, ob alles okay war, ziemlich abweisend reagierte. Harunas Worte, dass Tsuzuku irgendwelche schwerwiegenden Probleme hatte, hatten sich in dem Moment bestätigt, als ich ihn auf dieser Bank am Fluss sitzen sah und den traurigen Ausdruck in seinen Augen bemerkt hatte.
In dem Moment hatte ich beschlossen, mich mit ihm anzufreunden. Ich hatte nur wenige männliche Freunde, und Tsuzuku war mir schnell als jemand erschienen, mit dem ich mich vielleicht, wenn ich denn erst einmal durch seine harte Schale durch kam, gut verstehen konnte.
Und so hatte ich mich neben ihn gesetzt und ihm meine freundschaftlichen Absichten mehr oder weniger direkt ins Gesicht gesagt.
Ich wusste nicht, woher genau ich diese Fähigkeit hatte, in den Augen mancher Menschen ihr Gefühlsleben zu lesen. Na ja, meine Mutter konnte das auch, vielleicht hatte ich es ja von ihr geerbt. Jedenfalls konnte ich es und Tsuzuku war so ein Mensch, bei dem es mir sehr leicht fiel, zu erkennen, wie er sich gerade fühlte. So gesehen war er der perfekte beste Freund für mich, zumindest wenn es darum ging, ihm zu helfen. Es gab auch Menschen, die ich weniger gut lesen konnte, bei Meto zum Beispiel klappte es nicht so einfach, was jedoch meiner Zuneigung zu ihm keinerlei Abbruch tat.
Jedenfalls hatte ich diese meine Fähigkeit bei Tsuzuku von Anfang an voll ausgespielt und so sehr bald erkannt, dass er verliebt war, und von welcher Art seine Probleme mit dem Essen waren. Zusammen mit meiner Offenherzigkeit hatte meine Gefühlsleserei wohl einen ziemlich nervigen Ersten Eindruck hinterlassen, jedoch offensichtlich erfolgreich, denn wir hatten uns ja tatsächlich sehr gut angefreundet. Ich hatte seine harte Schale geknackt, oder zumindest einen Schlüssel zu seinem Innern gefunden, und bis jetzt war ich eigentlich relativ sicher gewesen, dass ich ihm damit helfen konnte.
Doch anscheinend war dem nicht so, zumindest schien es auf einmal etwas zu geben, das er so tief und fest in seinem Innern verschlossen hatte, dass nicht mal ich da wirklich rankam. Wann genau es begonnen hatte, konnte ich nicht sagen, nur, dass ich mir jetzt große Sorgen um ihn machte, weil er sich offenbar alle Mühe gab, etwas vor mir und auch vor Meto zu verbergen.
Ich stand auf, nahm meine Tasche und ging zur Arbeit zurück, wo ich den Rest des Tages verbrachte. Nachmittags war natürlich sehr viel mehr los und so hatte ich reichlich zu tun, merkte jedoch erst auf dem Weg zur Bahnstation, dass es mich doch ziemlich erschöpft hatte. Beklagen wollte ich mich nicht, schließlich war der Job sehr viel besser bezahlt als eine normale Kellner-Stelle und passte besser zu mir als jede andere Arbeit, die ich zuvor gemacht hatte.
Von der Bahnstation fuhr ich nicht nach Hause, sondern in Richtung von Tsus und Metos Wohnung, da ich ja versprochen hatte, den beiden beim Einkaufen zu helfen. Ich stieg die Treppen in den zweiten Stock hoch und gerade, als ich auf die Klingel mit der Aufschrift: ‚Aoba und Asakawa‘ drücken wollte, hörte ich hinter mir ein missbilligendes Zischeln.
Ich drehte mich um. Eine Frau von etwa sechzig Jahren musterte mich von oben bis unten, blickte dann auf die Wohnungstür und fragte dann: „Sagen Sie, was sind das für Leute, die da gestern eingezogen sind?“
„Freunde von mir“, antwortete ich. „Wieso?“
„Wir sind hier eine Hausgemeinschaft. Gedenken Ihre beiden Freunde auch mal, sich uns der Form halber vorzustellen?“ Der scharfe Ton in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
„Sicher“, erwiderte ich, ähnlich bissig. „Aber gestern, als sie hier eingezogen sind, war keiner da, um sich vorzustellen.“
Die Frau sah ziemlich ertappt aus, murmelte noch irgendwas und verschwand dann nach unten.
‚Oh man‘, dachte ich. Hausgemeinschaft! Fast musste ich lachen. Ausgerechnet in so einem Haus waren Tsu und Meto also gelandet. Ich schlug mir leicht mit der Hand vor die Stirn, dann drückte ich den Klingelknopf und wartete, bis Tsuzuku, nur mit Jeans und Tanktop bekleidet, die Tür öffnete. Er war nicht geschminkt und wirkte auch sonst so, als wäre er den Tag über gar nicht richtig wach geworden. Und als ich ihm in die Augen schaute, sah ich, dass er innerlich auch nicht gerade stabil gestimmt war.
„Hey, Tsu!“, sagte ich und umarmte ihn kurz, ehe er mich in die Wohnung ließ. Es roch nach Kaffee und Zigarettenrauch und als ich kurz durch die offene Schlafzimmertür blickte, sah ich Meto schlafend im Bett liegen.
„Sorry, Koichi, wir sind irgendwie … heute nicht so wirklich aufgestanden“, sagte Tsuzuku.
„Das seh ich“, sagte ich. „Warum?“
Tsuzuku senkte seine Stimme und wich meinem Blick aus, als er antwortete: „War nicht so gut … gestern Abend …“
„Wieso?“, flüsterte ich. „Was war denn?“
Wir gingen in die Küche, Tsuzuku stellte sich wieder ans Fenster und ich setzte mich auf einen der drei Küchenstühle.
„Erzähl, was ist passiert?“, fragte ich.
Tsuzuku schaute noch einmal in Richtung Schlafzimmer, wo Meto immer noch schlief, und antwortete dann mit leiser Stimme: „Ich … hab ihm wehgetan. Er hat manchmal so … Verspannungen, verstehst du, und ich hab‘s erst nicht gemerkt.“
„Und deshalb habt ihr heute jetzt nur rumgesessen?“, fragte ich verwundert. „Ist Meto überhaupt mal aufgestanden?“
„Ja, aber vor ner Stunde hat er sich wieder hingelegt.“
„Weißt du denn, wo die … Verspannungen herkommen?“, wollte ich vorsichtig wissen.
Tsuzuku schüttelte den Kopf. „Ich hab keine Ahnung. Koichi, ich …“, begann er, brach dann aber ab und ich sah wieder diese Abwehr in seinen Augen.
Ich ahnte, dass er gerade kurz davor gewesen war, mir etwas Wichtiges zu sagen, und fragte: „Was denn?“
Er antwortete nicht, sah mich nur an, mit Angst und Abwehr in den Augen. Und ich beschloss, dass das so nicht gehen konnte. Tsu würde, jetzt oder später, darüber reden müssen, was eigentlich mit ihm los war.
„Tsuzuku, sprich. Ich merk doch, dass bei dir irgendwas nicht stimmt. Also sag, was ist los?“, forderte ich und deutete auf den leeren Küchenstuhl mir gegenüber. Er setzte sich, sagte aber nichts.
Es dauerte eine ganze Weile, die wir uns schweigend gegenüber saßen, dann sagte er leise: „Ich kann nicht drüber reden. Das geht nicht. Wenn ich das tue, dann bricht es aus und ich dreh durch. Und außerdem … ich will nicht, dass ihr euch Sorgen um mich machen müsst.“
„Was denn? Was bricht aus? Tsu, ich mach mir doch schon Sorgen um dich! Eben weil du nicht sagst, was los ist.“
Er sah mich an, ganz ernst und ganz nah dran an dem, was er vor mir zu verbergen versuchte, und sagte: „Koichi, es geht nicht. Ich muss erst mal selber halbwegs damit klarkommen, vorher kann ich nicht darüber reden. Ich brauch noch Zeit, verstehst du das?“
Ich nickte. Ja, irgendwie verstand ich das. Und trotzdem fragte ich mich, nach dem, was er jetzt gesagt hatte, was es denn bitte war, wovor er sich so fürchtete und was seinen Worten nach ‚ausbrechen‘ konnte.
„Komm, zieh dir was Warmes an, weck Meto und dann gehen wir erst mal einkaufen. Ihr braucht hier was zu essen und man muss mindestens einmal am Tag raus vor die Tür gehen“, sagte ich schließlich, stand auf, nahm Tsu bei den Händen und zog ihn hoch.
Und als er sich dann ordentlich angezogen hatte, Meto wach war und wir zu dritt so was wie eine halbwegs vollständige Einkaufsliste zusammen hatten, zogen wir los zum nächsten Conbini. Auf dem Weg dahin erzählte ich den beiden von meiner Begegnung mit ihrer Nachbarin.
„Na klasse. Als wir uns die Wohnung letzten Monat zusammen angeschaut hatten, war kein Mensch da, und jetzt auf einmal sind die neugierig, oder was?“, seufzte Tsuzuku.
Meto sagte nichts, sah aber nicht gerade zufrieden mit der Tatsache aus, dass im Haus anscheinend ein paar konservative Leute wohnten, die wahrscheinlich nicht mit schiefen Blicken geizen würden.
„Ich glaube fast …“, sagte ich leise, „… ihr könnt denen nicht einfach so sagen, dass ihr ein Paar seid. Ich kann mir gut vorstellen, dass ihr das nicht verbergen wollt, aber manchmal hat man keine Wahl. Wenn’s schlecht kommt, verliert ihr die Wohnung sonst wieder.“
„Meinst du?“, fragte Tsuzuku.
Ich nickte. Es regte mich ja selbst auf, dass es so intolerante Leute gab, die aus irgendeinem Grund ein Problem mit homosexuellen Paaren hatten, aber ändern konnte ich ja nichts daran. Als ich die Wohnung für Tsuzuku ausgesucht hatte, hatte ich nicht gewusst, dass er vorhatte, mit Meto zusammen dort einzuziehen, und so hatte ich nicht recherchiert, ob vielleicht jemand dagegen war. Doch nach der Begegnung mit dieser Frau im Hausflur befürchtete ich jetzt, dass es Schwierigkeiten geben könnte, wenn die beiden zu ihrer Beziehung standen.
Wir erreichten den Conbini und so war das Thema erst mal beiseite, sodass wir uns auf den Einkauf konzentrieren konnten. Schon bald fiel mir auf, dass Tsuzuku dazu tendierte, ein paar nicht gerade notwendige Sachen einzupacken, was mich zu der Frage brachte, ob er heute überhaupt schon richtig gegessen hatte oder jetzt etwa hungrig einkaufen ging.
„Tsu?“, fragte ich leise und nahm ihn kurz beiseite. „Hast du heute schon was gegessen?“
Er nickte. „Metos Mama hat uns was vorbeigebracht, heute Mittag. Wie kommst du drauf?“
Ich atmete erleichtert aus und lächelte. „Man soll ja nicht hungrig einkaufen gehen …“
Tsu lächelte zurück, nahm besagte Sachen wieder aus dem Korb und legte sie zurück. „Hast Recht.“
Und dann: „Kocha … irgendwann, da kann ich mit dir drüber reden. Es … geht nur jetzt noch nicht … okay?“
Ich wusste gleich, was er meinte, und antwortete: „Du solltest vor allem mit Meto reden. Er ist dein fester Freund, dein Lebenspartner, es ist nicht gut, wenn du Geheimnisse vor ihm hast.“
„Ich weiß … Aber ich will einfach nicht, dass er sich wieder solche Sorgen um mich machen muss.“
„Meinst du denn, er merkt nicht, dass du was hast?“, flüsterte ich.
„Wir reden später, okay?!“ Auf einmal wirkte Tsu ziemlich gereizt, und ich wusste, er kämpfte innerlich, darum, jetzt nicht weiter reden zu müssen und das, was ihn belastete, für sich zu behalten.
Und ich ließ ihn, fragte nicht weiter, weil ich wusste, dass es jetzt nichts bringen würde.
Über diesem Gespräch waren wir bei den Kühltruhen angekommen, wo Meto schon seit ein paar Minuten stand und auf uns wartete.
„Wollt ihr euch denn nur von Tiefkühlessen ernähren?“, fragte ich.
„Ich kann nicht kochen“, antwortete Tsuzuku. „Alles, was ich da versuche, brennt entweder an, oder verkocht. War schon früher so.“
So, wie er das sagte, musste ich beinahe ein bisschen lachen. Tsu war, auch abgesehen von seinen Problemen, irgendwie wirklich nicht der Typ für die Küche. Meto auch nicht so recht, daher wahrscheinlich der Hang zur Tiefkühlnahrung.
„Heute Abend könnte ich euch was kochen“, schlug ich vor, woraufhin Tsuzuku mich mit diesem Blick ansah, auf den stets ein Kommentar zu meinem femininen Verhalten folgte, und fragte: „Du kannst kochen, Kocha?“ Und dann, etwas leiser: „Aber natürlich kannst du das …“
Ich boxte ihm spielerisch in den Oberarm. „Ja, selbstverständlich kann ich kochen!“
„Dann lass sehen, Küchenfee.“
Ich brauchte einen Moment, bis mir eine Idee kam, was man denn mal eben für drei Leute kochen konnte und was für Zutaten ich dafür brauchte. Schließlich entschied ich mich für simple italienische Nudeln mit Tomatensoße, wobei die Soße natürlich selbst gemacht wurde. Hoffend, dass ich nichts vergaß, lief ich noch einmal durch den Laden, sammelte alles zusammen und erwischte, als ich zurückkam, Meto dann doch dabei, wie er etwas aus dem Tiefkühlkasten nahm.
„Damit wir morgen auch was haben“, erklärte er.
„Meto-chan, hattest du nicht erzählt, dass deine Mama dir kochen beigebracht hat?“, fragte ich.
„Ich … trau mich da nicht so richtig ran“, antwortete er.
„Okay“, antwortete ich. „Weißt du, was wir machen? Du schaust mir gleich, wenn ich in eurer Küche das Essen mache, ganz genau zu und hilfst mir.“
Meto nickte und sah Tsuzuku an, der jedoch dazu nur meinte: „Ich halt mich da raus. Mir kann man Kochen nicht mehr beibringen.“
Als wir, nach dem Bezahlen, mit vollgepackten Tüten wieder auf dem Rückweg waren, beobachtete ich die beiden Süßen ein wenig. Ich wusste ja nur von dem, was Tsu gesagt hatte, davon, dass ihre erste Nacht in der neuen Wohnung wohl nicht so gut gelaufen war und offenbar hatten beide infolgedessen auch keinen so schönen Tag gehabt. Es ging mich zwar wirklich nichts an, was die beiden nachts zusammen taten, und im Grunde interessierte es mich auch nicht, aber so, wie ich das verstanden hatte, hatte Meto da ab und an Probleme und das wiederum interessierte mich als guten Freund der beiden sehr wohl.
Ich hatte keinerlei Ahnung oder Erfahrung mit solchen Verspannungen, außer, dass ich mal irgendwo davon gelesen hatte, dass es das gab und dass es wohl oft mit unterbewussten psychosomatischen Vorgängen zusammenhing. Vielleicht, so dachte ich in diesem Moment, hing ja auch Metos Sprachproblem irgendwo damit zusammen? Er wirkte sonst kaum wie jemand, der psychosomatische Probleme hatte, aber die sah man ja auch nicht jedem an.
Wieder in der Wohnung angekommen, füllten wir mit den Einkäufen den Kühlschrank und dann machte ich mich daran, für uns drei ein schönes, italienisches Abendessen zu kochen.
Tsuzuku zog sich mithilfe von Metos Spielekonsole sofort aus der Affäre, während sein Schatz bei mir blieb und mir aufmerksam beim Zerschneiden der Tomaten zusah. Ich übertrug ihm das Kleinhacken der Kräuter, was er auch recht gut hinbekam, und unterhielt mich ein wenig mit ihm über Dieses und Jenes. Über den Winter hatten wir uns ein wenig besser kennen gelernt und wahrscheinlich lag darin auch der Grund, dass Meto mir gegenüber inzwischen recht fließend und verständlich sprach. Zwar war er nicht so redegewandt und offenherzig wie Tsuzuku, doch trotzdem war es schön, sich mit ihm zu unterhalten.
Meto fragte mich auch nach meinem Freundeskreis, danach, was ich so machte und vorhatte, und ich erzählte ihm von meinen Shoppingtouren mit Mikan und auch davon, dass ich erst einmal nicht mehr nach einer festen Freundin suchte. Ich hatte in dem Moment kaum das Gefühl, dass mir irgendwas fehlte oder so, und als Meto dann ein wenig besorgt fragte, ob ich denn auch wirklich nicht einsam sei, antwortete ich: „Nein, ich bin ja nicht alleine. Ich hab euch und so, ich bin echt nicht einsam.“
Meto sah irgendwie nicht so aus, als würde er mir das glauben, aber mehr als sagen konnte ich es ja nicht. Und so wechselte ich das Thema, fragte ihn nach seinen und Tsuzukus Plänen für die Wohnung und erzählte dann, als er mir davon berichtet hatte, von meiner eigenen. Er lachte, als ich mich zu meiner Sammelleidenschaft bekannte, und Tsu, der aus dem Wohnzimmer mitgehört hatte, dass ich Rehkitze sammelte, rief mir wieder einmal, ebenfalls lachend, zu, was für ein Mädchen ich doch sei.
„Wie wär’s, wenn du, statt zu zocken, lieber mal den Tisch deckst?“, antwortete ich und nahm die Nudeln vom Herd, um sie über der Spüle abzugießen. Dabei fragte ich mich, ob Metos Mama die Sachen für die Küche allesamt mit viel Bedacht ausgesucht hatte, denn es war praktisch alles vorhanden, was man so zum einfachen Kochen brauchte.
Das Essen verlief normal, jedenfalls so normal, wie es eben sein konnte, wenn einer sehr wenig aß und der andere kaum sprach. Ich hatte bei Meto den Eindruck, dass er, wenn er viel gesprochen hatte, immer erst mal eine Weile schweigen musste, um sich sozusagen vom Sprechen zu erholen und seinen Vorrat an Worten wieder aufzufüllen. Und mir fiel auf, dass er Tsuzuku beim Essen sehr genau beobachtete. Wahrscheinlich hatte er sich das angewöhnt, noch aus der Zeit, als er allein für seinen Freund hatte sorgen müssen. Zwar achtete ich ebenfalls darauf, dass Tsu sich nicht zu viel nahm, aber auch nicht zu wenig, aber die Sorge in Metos Augen wirkte noch weitaus größer als die Gedanken, die ich mir darum machte.
Nach dem Abendessen ließ ich nicht zu, dass Tsuzuku sich wieder verzog, sondern drückte ihm ein Handtuch in die Hand und er half mir infolge dessen beim Abwasch, während Meto sich irgendwohin setzte und seiner Mama eine ausführliche SMS schrieb.
„Koichi?“, sprach Tsuzuku mich auf einmal an, nachdem wir eine Weile schweigend das Geschirr gespült und getrocknet hatten. „Kannst du … weil wir ja gerade kein Internet haben … da mal was für mich nachschauen?“
„Was denn?“, fragte ich zurück.
Er schwieg einen Moment, schien nach den richtigen Worten zu suchen, dann sagte er: „Ich wüsste gern … na ja, ob das normal ist, dass ich, wenn ich mit Meto schlafe, so auf Macht und Erobern aus bin. Ich hab ihm wehgetan, weil ich nicht rechtzeitig bemerkt habe, dass er Schmerzen hatte, und das macht mich ziemlich fertig …“
„Ich glaube, das kann dir das Internet auch nicht beantworten“, sagte ich.
„Ich will einfach wissen, ob das … ob es ein Wort dafür gibt, verstehst du?“
„Und was soll dir das helfen? Ich meine, was bringt das, wenn man weiß, dass irgendein Verhalten angeblich gestört ist und einen Namen hat? Das zieht einen doch nur runter, oder?“
Tsuzuku schwieg daraufhin und mir fiel auf, dass seine Hände, die mechanisch einen der Teller abtrockneten, irgendwie angespannt wirkten. Vielleicht war diese Frage danach, ob ich etwas für ihn recherchieren konnte, eine Art versteckter Hilferuf, den er nicht offen aussprechen konnte?
„Okay“, sagte ich schließlich. „Ich schau mal nach, ob ich was finde. Aber wenn ich den Eindruck habe, dass dir das Wissen darum nicht gut tut, dann erzähl ich dir nichts.“
Er nickte, stellte dann den Teller in den Schrank und hängte das Handtuch über die Heizung.
Bald darauf machte ich mich wieder auf den Weg nach Hause. Tsuzuku umarmte mich zum Abschied und flüsterte mir noch einmal seine Bitte zu, dass ich diese Sache für ihn nachschaute. Ich fragte mich, wie diese Nacht für ihn und Meto wohl werden würde, und hoffte, dass er sich nicht zu viele schlechte Gedanken machte.
Zurück in meiner Wohnung setzte ich mich mit meinem Laptop an den Kotatsu und überlegte eine ganze Weile, was ich da jetzt als Suchbegriff eingeben sollte. Schließlich tippte ich einfach die Frage ein, die Tsu mir gestellt hatte, und landete auf einer Selbsthilfesite für Menschen, deren psychische Probleme sich auf ihr Sexualleben auswirkten.
Es gab dort tatsächlich einige Einträge, die dem, was Tsuzuku mir erzählt hatte, ähnelten, doch diese anonymen Menschen schienen genauso ratlos zu sein wie er. Und die Antworten auf diese Einträge reichten von Intoleranz und Unverständnis bis hin zu schlichten, unzureichend begründeten Diagnosen irgendwelcher Störungen, die allesamt unheimlich klangen und von denen ich meinem besten Freund garantiert kein Wort erzählen würde.
Ich suchte weiter, innerhalb dieser Site, die ansonsten relativ seriös wirkte, und während ich mir die vielen Einträge durchlas, spürte ich, dass ich unabsichtlich anfing, mich sehr auf Tsuzukus Probleme, seine dunklen Seiten, zu konzentrieren. Das war gar nicht gut, fühlte sich ziemlich mies an, und ich schloss die Site schnell, damit ich nicht noch mehr davon las.
Ich wollte ihn, obwohl ich seine Probleme kannte, nicht als kranken, vielleicht sogar gestörten Menschen sehen. Wollte sein Verhalten als seinen Charakter und die Folge dessen, was er erlebt hatte, ansehen, und nicht mit irgendwelchen Störungen abgleichen.
Nicht wissend, was ich ihm von den Suchergebnissen erzählen sollte, und unwillig, das Ganze noch mal zu recherchieren, machte ich mir meine eigenen Gedanken zu seinen Fragen. Ich wollte gar nicht so genau wissen, was Tsuzuku und Meto nachts zusammen taten, aber so, wie ich die beiden kannte, ging es doch wahrscheinlich liebevoll zwischen ihnen zu. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass Tsu seinem Liebsten absichtlich wehtat, doch dass er sich trotzdem Vorwürfe machte, wenn es passierte, passte zu ihm.
Irgendetwas brachte ihn seit einiger Zeit offenbar dazu, sein eigenes Verhalten als krank oder sogar gestört einzuordnen und seine besitzergreifende Art zu lieben vor sich selbst schlechtzureden.
Als ich ihn kennen gelernt hatte, war davon noch nichts zu sehen gewesen.
Ich hatte ihn erlebt, wie er vor verzweifelter Eifersucht geweint und gewütet hatte, als Meto noch mit MiA zusammen gewesen war, und erinnerte mich noch gut an seine Worte damals. Er war vor mir ganz offen gewesen, hatte „Mein Meto gehört zu mir!“ und solche Dinge gesagt, ganz ohne diese Selbstkritik, die er jetzt an den Tag legte.
Ich hatte keine Ahnung, ob man eine solche Eifersucht und besitzergreifende Art irgendwo als krank bezeichnete, aber für mich war das immer einfach ein Teil von Tsuzukus Charakter gewesen, etwas, wo man sagte: ‚So ist er eben‘
Das würde ich ihm sagen, wenn er danach fragte. Dass er eben so war, wie er war und ich keinen Grund sah, ihn, abgesehen von seiner Essstörung und den Schuldgefühlen seiner Mutter gegenüber, als krank zu bezeichnen.
Ich klappte den Laptop zu, blieb aber noch eine Weile sitzen, auch weil der Kotatsu so schön warm war. Jetzt, wo meine Gedanken sich einmal so richtig auf Tsuzuku eingestellt hatten, wollten sie ihn nicht recht wieder loslassen und so dachte ich noch ein bisschen über ihn nach, darüber, was ich an ihm mochte und wie ich ihn kannte.
Ich war wirklich gern sein bester Freund und da, wo andere, die ihn weniger gut kannten, vielleicht nur einen essgestörten Typen sahen, mit Stimmungen, die wie Aprilwetter wechselten, und einer Tendenz zum negativen Denken, da sah ich einen heftig liebenden, leidenschaftlichen, emotionalen Menschen, offenherzig ehrlich und in seiner Art zwar zweiseitig, schwarz und weiß, aber dabei immer noch lieb und auf gewisse Weise süß. Und ich wollte nicht, dass er so schlecht von sich dachte.
Irgendwann stand ich auf und ging ins Bad, machte mich für die Nacht fertig und begab mich dann in mein Schlafzimmer, wo ich weiter über Tsu und Meto nachdachte, mich fragend, ob die beiden jetzt auch eine schöne Nacht hatten, bis …
Ja, bis ich auf einmal wieder dieses kleine, dunkle, eisige Loch spürte.
Gestern Abend hatte ich eher das Gefühl gehabt, dass dieses Loch im Zimmer war, irgendwo in der Wand, doch jetzt fühlte es sich so an, als wäre diese kleine, schmerzhafte Kälte in mir drin, so als hätte ich ein kleines Loch im Herzen. Automatisch schlang ich meine Arme um meine Brust und zog die Knie hoch, was nur kurz Abhilfe schaffte. Ich hatte keine Ahnung, woher es kam und was es war, und es machte mir Angst.
Intuitiv wusste ich, dass es keine anatomische Ursache hatte, dass ich körperlich vollkommen gesund war und dieses Loch ein Produkt meiner Seele, doch ich konnte es mir nicht erklären, hatte ich doch meine Seele immer für ziemlich gesund gehalten. Ich hatte nie irgendwelche schlimmen seelischen Verletzungen erlitten, zumindest nichts, was mich wirklich aus der Bahn geworfen hatte, und so fand ich keinen greifbaren Grund dafür, dass ich mich auf einmal so seltsam und schlecht fühlte.
Zitternd vergrub ich mich unter der dicken Bettdecke und versuchte, mich abzulenken. Doch weder der Gedanke an Tsu und Meto, noch die Vorstellung, bald wieder mit Mikan nach Tokyo zu fahren, lenkten mich ab, im Gegenteil, ich fühlte mich noch schlechter.
Nicht wissend, was das jetzt sollte und warum ich mich auf einmal so mies fühlte, schlief ich irgendwann ein, träumte absolut wirres Zeug und wachte mitten in der Nacht auf.
Ich war sofort hellwach und wusste, dass jetzt am besten ein nächtlicher Spaziergang helfen konnte, der jedoch in einer Großstadt nachts um zwei keine so gute Idee war. Stattdessen schnappte ich mir meine Zigaretten, zog mir meinen Morgenmantel über und ging durchs Wohnzimmer auf den Balkon, wo ich Nachtluft atmete, rauchte und dann versuchte, ein bisschen zu meditieren, was jedoch darin endete, dass ich am liebsten zu weinen angefangen hätte. Ich wollte nicht weinen, schluckte die Tränen runter und ging wieder hinein, legte mich zurück ins Bett und schlief gottseidank bald ein.
Ich hatte es also gewagt. Hatte Koichi gegenüber genügend Andeutungen gemacht, damit er vielleicht von selbst herausfand, was mit mir los war. Ich stellte mir vor, wie er in seiner Wohnung vor dem PC saß, das, worum ich ihn gebeten hatte, recherchierte, und wie er dabei, hoffentlich, oder hoffentlich nicht, von selbst über das Wort stolperte, das mir die Luft abdrückte und mein Herz vor Angst und Schmerz rasen ließ.
In gewisser Weise war es feige von mir, ihn sozusagen allein ins offene Messer laufen zu lassen und nicht richtig mit ihm darüber zu sprechen, doch das konnte ich nach wie vor nicht, da ich wahnsinnige Angst davor hatte, dieses Ungeheuer Borderline könnte, wenn ich darüber sprach, es beim Namen nannte, noch größer und bedrohlicher werden und mich noch kränker machen. So, als ob es eben ausbrach, wenn ich darüber redete. Zudem befürchtete ich, was das Schneiden anging, rückfällig zu werden, und das wollte ich auf keinen Fall. Ich dachte an Mama, daran, was ich ihrem Geist versprochen hatte.
Angezogen auf dem Bett liegend, ließ ich meine Gedanken sich weiter drehen, immer im Kreis darum, dass alles, was ich tat, irgendein Symptom sein konnte, so lange, bis ich schließlich das Gefühl hatte, rein gar nichts Gesundes tun zu können.
‚… haben sich nicht unter Kontrolle …‘
‚… Selbstverletzendes Verhalten …‘
‚… impulsiv …‘
‚… gute und schlechte Phasen …‘
‚… manipulativ …‘
…
Es redete in meinem Kopf auf mich ein, laut, gehässig, kalt. Am liebsten hätte ich das Buch, aus dem all diese Worte und Sätze stammten, auf der Stelle zerrissen und verbrannt, doch es war ja nicht hier, gehörte nicht mir, sondern der Bibliothek. Ich hatte nicht mal lange darin gelesen, nur ein wenig, und trotzdem hatte sich das, was dort stand, in mein Herz gefressen und ließ mich nicht mehr los.
Und jetzt hatte ich, in diesem Wissen, meinem Liebsten wehgetan, hatte mich nicht kontrollieren können und ihm die erste Nacht in unserer neuen Wohnung beinahe kaputtgemacht.
Ich liebte ihn doch, so sehr, warum tat ich ihm dann weh, hatte mich ihm zuliebe nicht ein bisschen mehr im Griff? Ich wollte es nicht und wollte es doch, schwankte dazwischen, vorsichtig mit ihm sein zu wollen, und diesem Gefühl von ‚Er ist mein‘, das mich so erregen konnte. Ich wusste, ich war besitzergreifend, doch das fühlte sich andererseits viel zu gut an, um es wirklich ändern zu wollen.
„Tsuzuku?“, riss mich Metos leise Stimme aus meinen schmerzhaften Gedanken. „Alles okay bei dir?“
Er stand im Türrahmen, kam wohl gerade aus dem Bad, denn er hatte seinen Bademantel an und feuchte Haare. Ich hatte das Wasser der Dusche gar nicht rauschen gehört, zu sehr war ich in Gedanken gewesen. Meto sah mich besorgt an und ich wusste, dass ich traurig aussah, spürte selbst die Tränen in meinen Augen.
Ich setzte mich auf und er kam auf mich zu, setzte sich neben mich aufs Bett und sah mich eine Weile wortlos an. Dann griff er nach meiner Hand, ich ließ es zu, und er streichelte über meinen Handrücken.
„Machst du dir immer noch Vorwürfe wegen letzter Nacht?“, fragte er irgendwann.
Ich wusste, es hatte keinen Sinn, jetzt zu lügen. Und so nickte ich, sagte leise „Ja“ und spürte dabei einen kleinen Stich im Herzen.
„Musst du nicht, wirklich nicht. Ehrlich, mir geht’s wieder gut und ich hab dir das nicht eine Sekunde lang vorgeworfen. Ich hab mich ja selbst geärgert, dass ich wieder so verkrampft habe.“
Seine Worte erreichten mich und ich glaubte ihm auch. Doch das änderte nichts daran, dass ich mir sicher war: Wenn ich mich besser unter Kontrolle gehabt hätte, dann wäre es gar nicht dazu gekommen.
In einem Versuch, ihm nah zu sein und ihn trotzdem wissen zu lassen, dass ich vorsichtig mit ihm sein wollte, streckte ich die Hand aus und streichelte seine Wange, strich mit den Fingern durch sein kurzes, hellblaues Haar und berührte dabei sein Ohr. Er schmiegte seinen Kopf gegen meine Hand und lächelte leicht.
„So etwas wird nicht wieder vorkommen, dass ich dir so wehtue“, sprach ich und ließ meine Hand zu seinem Hals wandern. „Meto, ich liebe dich, über alles, und ich werde alles tun, was ich kann, um mich zu bessern.“
„Tsu, ich geh demnächst mal zum Arzt und lass mich untersuchen, ob man da nicht was machen kann. Du musst dich nicht ändern. Ich liebe dich so, wie du bist“, erwiderte er und sah mir dabei direkt in die Augen.
Ich dachte nur: ‚Der Junge ist einfach viel zu gut für mich‘ und fühlte mich auf einmal wieder leicht und glücklich. Meine Hand wanderte weiter abwärts, unter seinen Bademantel, auf seinen Rücken, er löste das Kleidungsstück, sodass es nur noch seinen Schritt und seine Beine bedeckte, und ich umarmte ihn ganz einfach, zog ihn an mich und spürte, wie seine Hände zwischen uns meinen Pullover und das Top darunter hochschoben, meine nackte Haut berührten.
Ein Teil von mir wollte sofort mehr, doch ich konnte das geradeso wegschieben, denn der weitaus vernünftigere Teil in mir hatte beschlossen, Meto heute Nacht einfach nur im Arm zu halten.
Und als hätte er das gespürt, fragte er leise: „Tsu? Kann ich in deinen Armen schlafen?“
„Na klar“, antwortete ich und hauchte einen kurzen Kuss auf seinen Hals.
Ich löste mich von ihm, um mich bis auf die Unterwäsche auszuziehen und legte mich dann hin. Er legte sich zu mir, und ich griff kurzentschlossen rüber auf seine Betthälfte, wo Ruana neben dem Kopfkissen saß, und holte sie dazu.
„Damit sie aufpasst, dass ich dich nicht doch so überfalle“, sagte ich lächelnd, als er mich fragend ansah. Er lachte leise und drückte Ruana an sich, was einfach nur wahnsinnig süß aussah, und ich küsste seine Stirn, fühlte die fünf Jahre Altersunterschied zwischen uns und mich irgendwie als sein Beschützer. Ich war der Ältere, er war mir anvertraut, und ich wollte lieb zu ihm sein und auf ihn aufpassen. Und das tat ich, legte meine Arme um Meto und hielt ihn, bis wir beide eingeschlafen waren.
Ich wachte davon auf, dass ich zwei warme Hände spürte, die vorsichtig über meinen Körper tasteten, und weiche, gepiercte Lippen an meinem Hals. Noch im Halbschlaf und mit geschlossen Augen, lächelte ich, seufzte angetan und bewegte mich ein wenig der Berührung entgegen.
Meto schien jedoch zunächst nicht zu bemerken, dass ich im Aufwachen begriffen war, denn er streichelte mich einfach weiter, küsste meinen Hals und ich hörte ihn leise sprechen:
„Tsu, du bist so wunderschön. Weißt du eigentlich, wie süß du bist? Aber du weißt, wie sehr ich dich liebe, oder?“
Ich gab ein leises „Mh…“ von mir und öffnete die Augen. Es war schon hell und wahrscheinlich hatten wir komplett verschlafen, aber das war mir so was von egal, solange Meto nur nicht aufhörte, mich so liebevoll wach zu streicheln.
„Ich weiß, dass du mich liebst“, antwortete ich auf seine Frage, meine Stimme klang noch ganz müde.
Er stockte kurz, fragte: „Oh, du bist wach? Hab ich dich geweckt?“
Ich nickte, lächelte. „Aber so werde ich doch gern geweckt, mein Süßer.“
Meto lachte leise, dann beugte er sich über mich und küsste mich, lange und lieb und ein bisschen lustvoll. Mein Herz überschlug sich fast vor Glück und innerhalb weniger Sekunden war ich komplett wach, was dazu führte, dass ich ziemlich leidenschaftlich auf den Kuss einging. Ich griff in seinen Nacken, hielt ihn fest und ließ mich von ihm ins Kissen knutschen, bis wir beide kaum noch Luft bekamen und uns schwer atmend wieder ein wenig voneinander lösen mussten. So ein inniger Kuss am Morgen ließ mich auf einen schönen Tag hoffen und stimmte mich entspannt und glücklich.
„Und weißt du auch …“, begann Meto, küsste mich wieder und fuhr dann fort: „… dass ich dich will, und wie sehr?“
„Du willst doch jetzt nicht …?“, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. „Nein. Aber ich will einfach, dass du weißt, dass ich dich genauso begehre wie du mich. Du musst nicht denken, dass du mich mit deinen Gefühlen bedrängst, hörst du?“
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Das war genau der Punkt, an dem ich mir Gedanken machte und mein eigenes Verhalten hinterfragte. Ich hatte Angst, zu impulsiv zu sein, meinen Liebsten mit meinen starken Gefühlen und meiner Lust zu bedrängen und ihn am Ende zu verletzen.
„Tsuzuku, ich hab es dir schon mal gesagt: Ich mag das, wenn du so weißt, was du willst. Ich fühle mich dann sicher und habe keine Angst mehr um dich. Verstehst du das?“
„Ja, schon“, antwortete ich, denn im Grunde verstand ich sehr gut, was er mir damit sagen wollte. Und damit die schöne Stimmung jetzt nicht zerbrach, der Tag gut und glücklich wurde, lächelte ich und sagte dann: „Ich kann mich auch gar nicht dagegen wehren, dass ich dich so liebe und begehre. Ich glaube, das ist das stärkste, schönste Gefühl, das ich je empfunden habe.“
Meto strahlte mich an, stürzte sich dann geradezu auf mich und küsste mich wieder und wieder und wieder. In diesem Moment fühlte ich mich so wahnsinnig geliebt von ihm und liebte ihn so sehr, dass ich es kaum auszudrücken wusste.
Ein ‚Ich liebe dich‘ schien da nicht auszureichen und ich glaubte, dass nicht mal der liebevollste Liebesakt, den ich zustande brachte, dieses überwältigende Gefühl wirklich vollkommen zeigen und ausdrücken konnte.
Ich drehte uns beide herum, sodass ich auf ihm lag, und jetzt war ich es, der ihn ins Kissen knutschte. In meinem Kopf herrschte ein emotionsgeladener, liebestrunkener Schwindel und ich glaubte schon wieder, beinahe wahnsinnig zu werden vor Glück.
„Meto …!“, keuchte ich und spürte, wie ich heiß wurde. „Ich liebe dich! Ich liebe, liebe, liebe dich!“
Er sah mich an, mit leuchtenden Augen, sah so süß aus und antwortete: „Ich liebe dich auch.“
Es war so schön, so absolut wundervoll, jedenfalls so lange, bis meinem liebeskranken Gehirn wieder einfiel, dass ich jetzt nicht mit meinem Liebsten würde schlafen können.
Doch bevor die schwirrenden Glücksgefühle aus meinem Kopf verschwinden konnten, riss ich mich mit aller Kraft zusammen. Vielleicht würde es ja heute Abend gehen. Und ich würde ganz vorsichtig sein, vorsichtig und lieb und so sanft, wie ich nur vermochte. Ich nahm mir fest vor, mich in Zukunft besser unter Kontrolle zu haben, und klammerte mich an die Hoffnung, dass ich das auch konnte.
„Tsu … Ich glaube, wir sollten mal aufstehen“, sagte Meto und drehte den Kopf in Richtung der Uhr.
„Wie spät ist es denn?“, fragte ich.
„Halb neun“, informierte er mich und grinste. „Wir haben total verschlafen.“
Ich ließ mich seufzend neben ihn sinken, stand dann langsam auf und ging zum Kleiderschrank, um mir meine Klamotten für heute auszusuchen. Mein Blick streifte meinen Lackmantel, doch ich sah keinen Anlass, den heute zu tragen, und entschied mich schließlich für Jeans und einen dunkelroten, gestrickten Pullover, dazu einen zweiten Ring zu dem, den ich sowieso immer trug, und eine Halskette mit Pentagramm.
Jetzt, wo ich einen richtigen, großen Kleiderschrank hatte, fiel mir auf, wie wenige Sachen ich immer noch besaß. Meine Schrankhälfte war fast leer, während Metos ganz normal voll war. Ich war immer noch daran gewöhnt, dass meine wichtigsten Sachen in eine Reisetasche passen mussten, und der Gedanke, irgendwann richtig groß einkaufen zu gehen und mir, ohne weiter nachzudenken, alle möglichen Sachen kaufen zu können, fühlte sich noch seltsam fremd an. Ebenso, wie diese Wohnung noch nicht ganz zu meinem Zuhause geworden war. Sie fühlte sich ein bisschen an wie die Ferienwohnung, in der ich als Junge mal mit Mama im Urlaub gewesen war.
Mit den Klamotten in der Hand begab ich mich ins Bad, wo Meto schon vor dem Spiegel stand und sich anzog. Unser Badezimmer war recht klein, sodass ich mich an ihm vorbeidrängeln musste, um meine Sachen auf der Fensterbank abzulegen, mich auszuziehen und dann erst einmal unter der Dusche zu verschwinden.
Mich daran erinnernd, dass er ja gestern Abend geduscht hatte, fragte ich nicht, ob er auch wollte, und sah ihm zu, wie er sich zurechtmachte und mich dann über den Spiegel zurückhaltend beobachtete. Er musste nichts fragen, ich wusste auch so, dass er mich vor allem deshalb so ansah, weil er sehen wollte, ob ich weiter zugenommen hatte. Und anscheinend stellte ihn das, was er sah, zufrieden, denn er lächelte.
Ich beeilte mich mit dem Duschen, trocknete mich dann schnell ab und zog mich an. Und als ich dann vor dem Spiegel stand, bekam ich auf einmal Lust, mich so richtig zu schminken, mit Lippenstift und viel dunkler Farbe um die Augen. Ich hatte nur ein Paar Kontaktlinsen, blaue, die setzte ich zuerst ein, und dann tobte ich mich so richtig aus mit allem, was ich an dazu passenden Schminksachen hatte.
Meto war längst fertig mit Schminken, er schien heute weniger Lust auf das volle Make-up-Programm zu haben, aber er blieb und beobachtete mich.
„Du siehst toll aus“, sagte er, als ich fertig war, beugte sich vor und gab mir einen Kuss auf die Wange.
„Weißt du, was wir heute machen, Tsu?“, fragte er, als wir in der Küche saßen und Kaffee tranken. Er frühstückte auch ein wenig, ich dagegen hatte überhaupt keinen Hunger.
„Was denn?“, fragte ich zurück.
„Wir gehen dir ein Handy kaufen. Du hast ja immer noch keins.“
Ein Handy. Ja, wahrscheinlich brauchte ich jetzt wieder eins. Früher hatte ich mir ein Leben ohne solche Sachen kaum vorstellen können, doch nach meinem Absturz hatte ich mich daran gewöhnen müssen, ohne persönliche technische Geräte zu leben. Der Gedanke, wieder ein Handy zu haben, erreichbar zu sein und mich der Welt wieder auf diesem Wege mitzuteilen, fühlte sich jetzt irgendwie merkwürdig an. So, als sei ich, zumindest aus der Sicht derjenigen, die diese Dinge tagtäglich nutzten, für zwei Jahre aus der Welt gefallen gewesen.
„Und wovon bezahlen wir das?“, fragte ich, denn das nötige Geld für eine solche Anschaffung fehlte mir nach wie vor.
„Schenk ich dir“, antwortete Meto und lächelte. Seine übliche Antwort, wenn es ums Geld ging. Ich wusste ja, dass er mehr als genug davon hatte, doch ich wollte nicht immer Schulden bei ihm machen.
Zwar war morgen das erste Vorstellungsgespräch, das die Sozialarbeiterin vom Tempel mir vermittelt hatte, und falls das passte, würde ich bald eine bezahlte Arbeit haben, aber ich wusste weder, wie gut der mich erwartende Job bezahlt wurde, noch, ob ich überhaupt … ja, ob ich denn arbeitsfähig war. Beim Verlassen des Tempels war ich mir ganz sicher gewesen, dass ich das mit dem Arbeiten hinbekommen würde, doch jetzt zweifelte ich daran.
Mein möglicher Arbeitsplatz war ein Bodyart-Shop in der Innenstadt und einerseits freute ich mich darauf, wieder in dem Beruf zu arbeiten, in dem ich früher eine Ausbildung gemacht hatte, aber die Angst, dass ich es nicht schaffte, ließ sich einfach nicht vertreiben.
„Tsu?“, riss mich Meto aus meinen Gedanken. „Woran denkst du?“
„An das Vorstellungsgespräch morgen …“, antwortete ich. „Ich hab … ein bisschen Angst davor.“
Meto nahm einen Schluck Kaffee, schluckte und fragte dann: „Aber du hast doch mit der vom Tempel alles abgeklärt, oder? Da kann doch eigentlich nichts mehr schief gehen.“
„Wahrscheinlich bin ich einfach aufgeregt“, sagte ich und betete innerlich, dass ich nicht nur das Gespräch und den Job, sondern auch alles andere irgendwie packte.
Vielleicht, so hoffte ich immer noch ein wenig, bildete ich mir die Sache mit Borderline ja auch nur ein, und das, was ich für diese Störung hielt, war möglicherweise doch halbwegs normal. Vielleicht hatte ich ja nur diese Probleme mit dem Essen und würde schon irgendwie wieder gesund werden.
„Komm, wir gehen jetzt gleich los“, sagte Meto, stellte seinen Kaffeebecher in die Spüle und ich stellte meinen dazu, obwohl er noch nicht leer war.
Als ich meine Jacke und die Schuhe anzog, sah ich anscheinend wieder irgendwie traurig aus, denn Meto sah mich mit diesem lieb besorgten Blick an und sagte: „Lächeln, Tsuzuku.“
Ich tat wie mir geheißen und lächelte kurz leicht, doch es fühlte sich komisch, unecht an. Als würde ich meinen Liebsten anlügen, auch wenn es nur eine ganz kleine Lüge war. Und mit einem Mal verspürte ich den starken Impuls, Meto ganz fest in meine Arme zu schließen, ihn lange nicht mehr los zu lassen und ihm dann die Wahrheit über mein Innenleben zu sagen. Ihm zu gestehen, dass ich furchtbar kaputt war und große Angst hatte. Es zu teilen, damit es mich nicht von innen her noch mehr zerstörte.
‚Nicht jetzt‘, dachte ich und riss mich zusammen. ‚Später, irgendwann, wenn es irgendwie passt.‘
Auf dem Weg durchs Treppenhaus nach unten hielt Meto meine Hand, so als spürte er, dass ich das brauchte. Ich fühlte die Wärme und die Energie, die durch seine Hand in meine floss, und spürte, wie die Berührung mich ein wenig stärkte. Wenn ich daran dachte, dass es vielleicht heute Abend klappte mit ein bisschen Sex, und mir vorstellte, wie er nicht nur meine Hand, sondern meinen ganzen Körper so berührte … Obwohl wir das jetzt schon so oft getan hatten, war der Gedanke daran immer noch wunderschön.
Aber dann kam uns diese Frau entgegen, als wir gerade aus dem Haus wollten. Sie war so um die sechzig und wirkte ziemlich streng. Vielleicht war das die Frau, die Koichi gestern vor unserer Wohnungstür getroffen hatte?
„Ah, Sie beide“, sagte sie und zog die Augenbrauen hoch.
Ich sah Meto an, dem sichtlich die Sprache den Dienst versagte. Also musste ich wohl reden. Die Frau machte mir mit ihrer offensichtlichen Strenge ein wenig Angst, doch ich brachte mit halbwegs fester Stimme ein „Ja?“ heraus.
Sie lächelte, doch das sah so falsch aus, dass ich innerlich schauderte, und als sie dann mit deutlicher Missbilligung auf Metos und meine noch immer verschränkten Hände blickte, schwand dieses Lächeln so schnell, wie es gekommen war. Solche Leute hatte Tamotsu gemeint, als er uns davor gewarnt hatte, unsere Beziehung in dem Sinne öffentlich zu machen. Es war das erste Mal, dass ich so ganz direkt mit Homophobie konfrontiert wurde (die abfälligen Blicke fremder Passanten zählte ich nicht), und es tat mehr weh, als ich gedacht hatte.
„Heute um achtzehn Uhr ist ein Treffen unserer Hausgemeinschaft“, sagte sie nur, dann ging sie, nach einem weiteren abschätzigen Blick, an uns vorbei, die Treppe rauf.
„Ich schätze mal, wir haben ein Problem“, sagte ich leise, als sie verschwunden war und Meto und ich aus dem Haus waren.
Er nickte und sah mich fragend an. „Wirst du da hingehen?“
Erst jetzt stellte ich es mir vor, den Leuten, mit denen wir von nun an in einem Haus zusammen wohnten, bei so einem Treffen gegenüberzutreten. Menschen, die mich, wenn sie alle so waren wie diese Frau, unablässig missbilligend anstarren würden und mich höchstwahrscheinlich sowohl für mein Äußeres, als auch für meine Liebe zu einem Mann, der fünf Jahre jünger war als ich, verurteilen würden. Augenblicklich bekam ich Angst davor, und diese Angst wurde mit jeder Sekunde, die ich daran dachte, größer.
„Nicht ohne dich. Ich schaff das nicht alleine“, antwortete ich.
Meto lächelte. „Als ob ich dich da allein hingehen lassen würde. Nee du, wir stehen das zusammen durch.“
Ich konnte nicht anders, als stehen zu bleiben, Meto an mich zu ziehen und fest in meine Arme zu schließen. Und in einem Anflug von fast schon wahnsinniger Liebe flüsterte ich in sein Ohr: „Weißt du, dass du das Allerbeste bist, was mir je passiert ist?“
Mir war in diesem Moment völlig egal, dass wir uns in der Öffentlichkeit befanden, dass uns die Leute sehen konnten und das alles. Ich dachte an nichts anderes als daran, dass ich Meto wie verrückt liebte und ihn ganz nah bei mir haben wollte.
„Tsu …!“, protestierte er, klang dabei jedoch keineswegs so, als ob es ihm nicht gefiel, einfach so öffentlich von mir umarmt zu werden.
„Komm, es gefällt dir doch“, erwiderte ich lächelnd, in meinem Kopf schwirrte das Glück.
Doch einen Moment später zerplatzte es, einfach so, ohne jede Vorwarnung.
‚… Mangelnde Affektkontrolle …‘, flüsterte die Dunkelheit in meinem Kopf, gehässig, mit einem fiesen Grinsen, weil sie mich erwischt hatte. Weil ich meine Gefühle und die daraus folgende Tat tatsächlich nicht unter Kontrolle hatte.
Augenblicklich ließ ich Meto los, brachte Abstand zwischen uns. Er sah mich zuerst verwundert, dann besorgt an.
„Tsu, was ist los?“
Ich stand einfach nur da, sah ihn an, während die Dunkelheit in meinem Kopf Symptome und so weiter herunter ratterte, die sich wie tausende Nadeln von innen in mein Herz bohrten.
‚… Plötzlicher Stimmungsumschwung …‘ war eines davon und ich fühlte mich auf einmal schrecklich hilflos. Was konnte ich denn noch tun, wenn in allem, was ich tat, immer irgendein Merkmal dieser Störung, deren Namen ich in diesem Moment nicht zu denken wagte, steckte? War ich denn wirklich so vollkommen krank und gestört?
Meto griff meine Hand, sah mir in die Augen und fragte noch einmal: „Tsuzuku, was hast du?“
„Nichts, geht gleich wieder“, hörte ich mich sagen, meine Stimme klang schwach.
„Ist dir schwindlig?“
Ich nickte, schneller als ich denken konnte. Schon wieder gelogen.
„Willst du was trinken? Oder vielleicht was essen? Wir haben ja kaum gefrühstückt.“
Essen? Nein, das ging jetzt nicht. Auf einmal war der Druck im Bauch wieder da, die Angst vor dem Brechen, das innere Zittern. Ich schüttelte den Kopf.
„Geht gleich wieder, wirklich.“
Meto glaubte mir nicht, machte sich Sorgen, das war ihm deutlich anzusehen.
Ich musste mich zusammenreißen, daran denken, was wir jetzt vorhatten, dass wir etwas Wichtiges kaufen wollten und ich mich dafür zu konzentrieren hatte.
Wir fuhren mit der Stadtbahn in die Innenstadt, wo wir einen Handyladen zu finden suchten. Diese Stadt war um einiges größer und unübersichtlicher als unsere Heimatstadt und es dauerte ein wenig, bis wir uns halbwegs zurechtgefunden hatten.
An einer Straßenecke, in einem Hauseingang, sah ich im Vorbeigehen jemanden sitzen, einen Mann, vielleicht ein paar Jahre älter als ich. Die große Tasche und der zusammengerollte Schlafsack wiesen ihn untrüglich als Obdachlosen aus und ich hatte augenblicklich das Gefühl, in eine Art Spiegel zu blicken. Noch vor ein paar Monaten hätte das auch ich sein können. Ich drehte mich um und trat auf ihn zu, kramte in meiner Jackentasche nach meinem Geldbeutel. Er blickte zu mir hoch und ich sah unsägliche Einsamkeit in seinen Augen.
Hatte ich damals genauso ausgesehen, auf dem Stadtfest, als Meto versehentlich mein weniges Geld verstreut und mir dann beim Aufsammeln geholfen hatte? Wahrscheinlich schon.
Ich nahm drei Einhundert-Yen-Münzen aus meinem Geldbeutel und legte sie dem Mann in seine vor ihm liegende Mütze. Ob er das Geld für Alkohol und Zigaretten ausgab, war mir egal, ich hatte ja damals mein weniges Geld auch dafür ausgegeben.
Er sah mich dankbar an, bedankte sich, und ich hätte mich am liebsten zu ihm gesetzt und ein wenig mit ihm gesprochen. Doch ich ließ es. Stattdessen sagte ich nur: „Bitte. Ich war auch mal so“ und ging weiter. Meto war in einigem Abstand stehen geblieben und fragte mich, als ich wieder neben ihm ging: „Kanntest du ihn?“
„Nein. Aber, weißt du, immer wenn ich so jemanden sehe, fühlt sich das ein bisschen an wie so ein Spiegel, ich sehe dann mich selbst. Deshalb hab ich ihm was gegeben.“
Irgendwie hatte mich diese kurze Begegnung wieder ein wenig zu mir selbst finden lassen. Meine Erfahrung mit den Abgründen des Lebens hatte mich mitfühlend gemacht, und vielleicht sogar zu einem etwas besseren Menschen. Zumindest hoffte ich das. Was ich wusste, war, dass ich nie zu dem geworden wäre, der ich jetzt war, wenn ich mein selbstbezogenes Leben von früher hätte weiterleben können.
„Da“, sagte Meto und deutete auf einen kleinen, schick aussehenden Laden, in dessen Schaufenster verschiedene, für mich viel zu teuer aussehende Mobiltelefone, Tablets und Laptops ausgestellt waren. Ich fragte mich, wie lange es wohl dauern würde, bis ich mich wirklich daran gewöhnt haben würde, mir wieder teure Sachen kaufen zu können.
Meto drehte sich zu mir um, sah mich fragend an, und ich brauchte einen Augenblick, bis ich verstand, dass er dort drinnen im Laden nicht viel reden würde. Wenn wir so viel zusammen waren wie jetzt und miteinander redeten, vergaß ich manchmal beinahe, dass er Fremden gegenüber immer noch diesen Sprachfehler hatte und dann am liebsten schwieg.
Das Problem in diesem Moment war nur, dass ich mich ein wenig unsicher fühlte und es gern gehabt hätte, wenn Meto mich unterstützt hätte.
Wir gingen auf den Laden zu, ich sah von draußen schon die Verkäuferin da stehen und auf Kundschaft warten.
Ein Handy kaufen, nichts Großartiges, ganz einfach. Und trotzdem hatte ich Angst. Irgendwas in mir war aus dem Gleichgewicht geraten und obwohl es sich eben noch so angefühlt hatte, als hätte ich wieder zu mir selbst gefunden, fürchtete ich jetzt, irgendeinen Fehler zu machen. Dabei hatte der Tag doch so gut angefangen.
Ich ging, Meto hinter mir, auf die gläserne Ladentür zu und öffnete sie, was einen elektrisch klingenden Ton auslöste. Sofort sah mich die Verkäuferin an und lächelte automatisch. Sie war noch ziemlich jung, und hübsch, sah aus wie aus der Fernsehwerbung.
„Sie wünschen?“, fragte sie und ich konnte nicht erkennen, ob sie mich, mit meinem auffälligen Äußeren, hinter ihrem Lächeln vielleicht irgendwie komisch fand.
Irgendwie schaffte ich es, zu funktionieren, mich zu konzentrieren und nach kurzem, unauffälligen Durchatmen zu sagen, was ich wollte: „Ich möchte ein Handy kaufen. Ein Smartphone, aber ein ganz einfaches, muss nicht das Neueste sein.“
‚Seltsam‘, dachte ich. ‚Wieso fällt mir so was jetzt so schwer?‘
„Mit Vertrag? Oder lieber zum Aufladen?“, fragte die Verkäuferin.
Ich versuchte, mich so gut wie möglich an früher zu erinnern, als ich noch stärker gewesen war, mich besser ausgekannt hatte und mir so was wie das hier ganz leicht gefallen war.
„Aufladen“, sagte ich.
Die junge Frau lächelte wieder und holte dann drei Modelle aus einer Schublade unter dem Tresen.
„Das sind die, die wir dafür gerade da haben.“
Die Smartphones waren in durchsichtigen Plastikboxen verpackt, auf denen auch die Preise standen, und ich entschied mich ohne viel Nachdenken für das günstigste Modell, ein ganz schlichtes, schwarzes, viel einfacher als Metos, welches viel bunter und schicker war.
Er stand neben mir, sah mich an, seine Augen sagten: ‚Gut gemacht‘ und obwohl das lieb und aufmunternd gemeint war, kam ich mir auf einmal vor wie ein unfähiges Kind.
Die Verkäuferin erklärte mir noch ein paar Sachen, die ich bei genauerem Erinnern selbst noch wusste, und informierte mich darüber, dass man die Aufladung sowohl in Banken, als auch in vielen Supermärkten machen konnte.
Meto gab mir seinen Geldbeutel und ich bezahlte, wobei mir in dem durchsichtigen Fach des Portmonees ein Foto von mir auffiel, das er irgendwann im Winter gemacht und dann offenbar ausgedruckt hatte. Er hatte ein kleines Herz auf das Bild gemalt, was mich innerlich unheimlich rührte, und ich drückte, als ich ihm den Geldbeutel zurückgab, kurz seine Hand.
Als wir wieder aus dem Laden raus waren, sprach ich ihn darauf an: „Du hast ein Foto von mir im Geldbeutel?“
Meto nickte strahlend. „Natürlich. Du bist doch mein Schatz.“
Ich musste lachen. „Dann will ich aber auch eins von dir.“
Heute schienen meine Stimmungen wirklich sehr auf und ab zu fahren, so krass war es eigentlich selten. In einem Moment ging es mir gut, im nächsten bekam ich Angst, dann kamen die Gedanken daran, dass ich offenbar völlig krank war, und dann wieder ging es mir so gut, dass ich mich fragte, wieso ich eigentlich Angst gehabt hatte. Und ich suchte nach einer Erklärung dafür, hoffend, dass es nicht das war, für das ich es hielt.
„Und was machen wir jetzt?“, fragte ich. Es war fast Mittag und trotz der Anspannung bekam ich Hunger. Ich wusste, ich musste essen, und es schien auch ein guter Hunger zu sein, ein positiver, der nicht darin enden würde, dass ich zu viel aß.
Meto zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht.“
Ich sah mich um, suchte die Einkaufsstraße, in der wir uns befanden, nach einem günstigen Restaurant ab, und da kam mir eine Idee: Eigentlich konnten wir doch jetzt gut zu Koichi ins Café gehen und dort essen. Wenn man schon mal einen besten Freund hatte, der in der Gastronomie arbeitete.
Zwar war die Art von Café, wo er arbeitete, nicht so ganz mein Fall, aber ich war ein bisschen neugierig und außerdem wollte ich auch sehen, wo Meto dann, wenn das alles klappte, ja ebenfalls arbeiten würde.
„Wir könnten zu Koichi ins Café gehen“, schlug ich vor.
„M-hm.“ Mein Liebster schien die Idee gut zu finden, er nickte und griff meine Hand, führte mich durch die Straßen, bis wir die Gegend erreichten, wo sich das Café befand.
Schon von außen war deutlich zu erkennen, dass das einer dieser rosapinken Läden war, die ich allein und ohne einen der Mitarbeiter zu kennen, niemals betreten hätte, und dessen Kundschaft wohl vorwiegend jung und weiblich war. Aber zu Koichi passte es und um ihn ging es mir ja, wenn ich hier her kam.
Als wir den Laden betraten, schallte uns fröhliche Musik von einer dieser Idol-Gruppen entgegen, von irgendwoher rief jemand „Willkommen zuhause!“ und ich fühlte mich wie eine Art Fremdkörper mit meinen schlichten, dunklen Klamotten und dem finsteren Make-up.
Es gab einen kleinen Verkaufstresen, hinter dem sich sichtbar die Küche befand, und dort stand eine junge Frau im Maid-Kleid, die sich in diesem Moment zu uns umdrehte und augenblicklich lächelte.
„Meto-chan! Hey, schön dich zu sehen!“, rief sie und winkte, was ganz eindeutig meinem Freund galt.
Er lächelte zurück und ich spürte, dass er sich hier wesentlich wohler fühlte als ich. Nach seinen Probetagen hier hatte er mir erzählt, dass es ihm gefallen hatte, und auch, dass er anscheinend recht beliebt bei den Mädchen war.
Die im Maid-Kleid kam um den Tresen herum auf uns zu und als sie näher kam, konnte ich ihren Namen auf dem Schildchen an ihrer Schürze sehen: Satchan hieß sie.
„Ist das dein Freund, Meto-chan?“, fragte sie.
Langsam taute ich auf, sodass ich meinen Arm um Metos Schultern legte und ihn ein wenig an mich zog, um zu zeigen, dass wir zusammen gehörten.
Satchan bekam leuchtende Augen, schien sich aber nicht ganz zu trauen, ihrer Begeisterung, die ich auch nicht so ganz verstand, Ausdruck zu verleihen, und fragte mich dann nach meinem Namen.
Ich stellte mich kurz vor und fragte dann nach Koichi.
„Moment, ich geh ihn holen“, sagte Satchan, strahlte uns noch einmal an und verschwand dann in Richtung der hinteren Räume.
Bald darauf kam sie mit Koichi zusammen zurück. Zuerst schien alles ganz normal, wie immer, aber als ich meinen besten Freund genauer ansah, fiel mir auf, dass er müde wirkte, und irgendwie ein bisschen durcheinander. So, als hätte er nachts nicht allzu gut geschlafen.
„Hey, ihr Süßen“, sagte er und umarmte erst mich, dann Meto. „Kommt ihr mich besuchen?“
„Wir waren gerade in der Stadt, Handy kaufen, und da dachte ich, wenn wir schon mal unterwegs sind, können wir auch zu dir gehen“, antwortete ich.
„Das ist aber lieb von euch.“ Koichi lächelte, das übliche süße Koichi-Lächeln, und deutete auf einen Tisch in einer Ecke des Raumes. „Setzt euch doch da hin. Was wollt ihr denn trinken?“
Ich überlegte einen Moment. Kaffee war zum Mittag wohl nicht das richtige und für etwas Alkoholisches wie Bier war es definitiv noch zu früh. Im Tempel war es üblich gewesen, zum Mittag kalten Tee zu trinken, aber das hatte mir nicht wirklich gut gefallen.
Während Meto sich schneller entschieden hatte und einfach eine Cola bestellte, kam ich zu keinem Schluss und fast schon wieder ins Denken. Schließlich beschloss ich, ebenfalls eine Cola zu nehmen, einfach weil mir nichts anderes einfiel.
Wir setzten uns an den Tisch und Koichi ging die Cokes holen. Auf einmal war das laute Klirren von zerbrechendem Glas zu hören und ich hörte meinen besten Freund fluchen.
„Was ist?“, rief ich.
„Mir ist das Glas runtergefallen. Zum Glück war’s noch leer“, antwortete Koichi. „Ich kehr das eben zusammen, dann komm ich wieder zu euch.“
Als er dann mit zwei Gläsern Cola an unseren Tisch kam und sie uns hinstellte, fiel mir auf, dass er seltsam unkonzentriert wirkte. Ich fragte mich, ob er okay war, und kam dann mit den Gedanken auf die Bitte, die ich ihm gestellt hatte, diese eine Sache für mich zu recherchieren. Hatte er dabei vielleicht wirklich herausgefunden, was mit mir los war, und stand deshalb jetzt ein wenig neben sich? Oder war da irgendwas anderes aus seinem Privatleben, etwas, was nichts mit mir zu tun hatte?
„Na, Tsu, wie geht’s dir?“, fragte er in diesem Moment.
„Okay“, antwortete ich. „Mir geht’s gut.“
„Du, ich hab deine Sache da gesucht. Aber ich hab nicht wirklich was Brauchbares gefunden“, sagte Koichi leise.
Sofort sah Meto ihn fragend an und ich erklärte schnell mit abgesenkter Stimme: „Ich hab Koichi gebeten, nachzuschauen, ob mein … Machtding, … ob das ‘nen Namen hat.“
„Tsu …“, sagte Meto leise und sah mich besorgt an. „Wieso willst du so was wissen?“
„Ich will, dass das nicht noch mal vorkommt“, flüsterte ich. „Ko, was hast du denn gefunden?“
„Wie gesagt, nicht viel. Es gibt eine Menge Vermutungen und ratlose Fälle, da war vor allem zu lesen, dass das echt viele, viele Ursachen haben kann. Tsuzuku, ich finde einfach, du solltest dir da nicht so viele Gedanken drum machen. Vielleicht ist das einfach ein Charakterzug von dir, so wie du eben bist, das muss keine Störung sein.“
Beinahe schon lag sie mir auf der Zunge, die Frage, ob er bei diesen Vermutungen auch über das Wort ‚Borderline‘ gestolpert war. Einen Moment lang war ich kurz davor, mein Schweigen zu brechen und zu sagen, was los war, welche große Angst ich hatte und dass dieses Wort mir die Luft zu Atmen nahm. Doch ich konnte es nicht, darüber sprechen. Es ging einfach nicht. Es gab zu viele Dinge, die dann drohten zu zerbrechen.
Koichi wechselte das Thema, fragte danach, was wir essen wollten. Meto bestellte ein Omelett und ich nahm, ohne weiter nachzudenken, einfach dasselbe.
Und während wir dann darauf warteten, setzte Koichi sich zu uns und fragte nach dem Handy. Ich zeigte es ihm und er meinte, dass es zu mir passte. Und zum ersten Mal hatte ich irgendwie das Gefühl, dass Koichi etwas zu verdrängen versuchte. Irgendwas stimmte bei ihm nicht, er war nicht so offenherzig fröhlich wie sonst.
„Kocha?“, sprach ich ihn ohne nachzudenken an, „Hast du gut geschlafen? Du siehst irgendwie … müde aus.“
Er sah mich ertappt an, verwundert darüber, dass mal ich ihn nach seinem Befinden fragte und nicht umgekehrt. „Nein, ehrlich gesagt hab ich … ziemlich schlecht geschlafen. Hab komisches Zeug geträumt und bin mitten in der Nacht aufgewacht.“
Oh, das kam mir bekannt vor. Sehr bekannt.
„Hast du das öfter?“, fragte ich.
„Nein, eigentlich nicht. Ich weiß auch nicht, was das soll.“
Er wirkte auf einmal sehr nachdenklich und ich dachte zum ersten Mal daran, dass ich ihm bisher in unserer Freundschaft noch so gut wie nichts geholfen hatte, während er doch immer für mich da war.
„Koichi, wenn mal irgendwas ist, wenn du mal was hast, dann kannst du auch zu mir kommen“, sagte ich. „Vielleicht kann ich dir auch mal was helfen, nicht immer nur du mir.“
Koichi lächelte, offen und ehrlich. „Danke, Tsu. Bist ein Schatz.“
Dann ging er die Omeletts holen.
Beim Essen bekam ich, wie so oft, nicht wirklich viel runter. Etwas schien mir von innen den Hals zuzudrücken und dass ich genau wusste, was es war, machte es nicht besser. Ich wusste, das konnte nicht lange so weiter gehen. Irgendwann würde ich darüber sprechen müssen. Gab es denn nicht irgendeine Möglichkeit, den Schaden, der dabei entstehen würde, so gering wie möglich zu halten? Es ging ja nicht nur um mich, sondern auch um Meto und Koichi, um jeden, der mich kannte, und auch um Mama. Ich wollte das Versprechen, das ich ihr gegeben hatte, auf keinen Fall brechen, doch ich fürchtete, dass genau das passieren würde, wenn ich anfing, über Borderline zu sprechen.
Allein, dieses Wort zu denken, löste Druck in mir aus, und dieser Druck war der Anfang. Er war verbunden mit dem Drang, zu erbrechen oder mich zu verletzen, die beiden Dinge, von denen ich unbedingt weg wollte.
Ich spürte ein Stechen in der Brust, fuhr unwillkürlich mit der Hand darüber, und das blieb nicht unbemerkt.
„Tsuzuku?“ Meto sah mich besorgt an. „Alles okay?“
Ich blinzelte, schluckte und log. „Ja, alles gut.“
Mein Liebster schaute mich eine Weile einfach an, dann sagte er leise: „Heute Abend … versuchen wir’s nochmal.“
Ich brauchte einen Moment, bis ich wieder so weit im Hier und Jetzt war, dass ich wusste, was er meinte. Mein Herz machte einen kleinen Satz vor Freude und ich streckte meine Hand über den Tisch aus, nahm Metos und drückte sie. Sein zufriedenes Lächeln ließ mich verstehen, dass er mich von meinen anscheinend sichtbar dunklen Gedanken ablenken wollte, und da er ziemlich genau wusste, wie mein rettungslos verliebtes Hirn tickte, gelang es ihm auch.
Man hätte sagen können, dass ich zurzeit zwischen verzweifelter Angst und verliebter Lust schwankte, das traf es ziemlich genau. Angst davor, unheilbar gestört und krank zu sein, und Lust an meinem Schatz, dem liebsten, süßesten jungen Mann auf der ganzen Welt.
Als wir uns von Koichi wieder verabschiedet hatten und das Café verließen, fühlte ich mich einigermaßen ausgeglichen und entspannt. Es war inzwischen halb drei und ich zählte die Stunden bis heute Abend. Jedenfalls so lange, bis mir das Hausgemeinschaftstreffen um sechs wieder einfiel. Aber das verdrängte ich. Der Tag heute war sowieso schon ein erstklassiges Beispiel meiner Stimmungsschwankungen, da musste ich nicht auch noch selbst was dazu beitragen.
Zurück in unserer Wohnung blieb, in Ermangelung eines funktionierenden Fernsehprogrammes, nur die Wahl zwischen DVDs und Spielekonsole, wobei wir uns schließlich für ersteres entschieden und einen Actionfilm aus Metos umfangreicher Filmsammlung ansahen.
Danach stellten wir zusammen mein Handy ein und Meto gab mir neben seiner eigenen Nummer und Manamis auch gleich die von Koichi. Dann gingen wir noch mal raus, zum Conbini, und ich kaufte die erste Aufladung, bestand darauf, sie selbst zu bezahlen.
Es wurde sehr viel schneller sechs Uhr abends, als mir lieb war. Und sobald mir das bewusst wurde, kam die Angst wieder. Die Angst, es zu verbocken, vielleicht die Wohnung wieder zu verlieren oder dass uns die Leute hier das Leben schwer machten. Dass sie mich verurteilten, für mein Äußeres, meine sexuelle Orientierung, meine Vergangenheit. Und auch, dass sie Meto schlecht behandelten.
„Komm, Tsu“, sagte Meto, stand auf und hielt mir die Hand hin. „Wir gehen da zusammen hin. Du musst keine Angst haben, ich bin bei dir.“
Ich erhob mich langsam, nahm seine Hand, er zog mich ganz hoch und drückte mir einen kurzen, liebevollen Kuss auf die Lippen.
„Wenn die uns rauswerfen wollen, ziehen wir halt zu mir zurück. Meine Eltern hätten da nichts dagegen. Wir sind sicher“, fügte er hinzu, hielt weiter meine Hand und wir gingen so aus der Wohnung in Richtung des Raumes im Keller, von dem wir vermuteten, dass dort das Treffen stattfand.
Schon auf der Treppe hörten wir von dort Stimmen reden. Mein Herz klopfte schneller vor Angst und mir wurde zum ersten Mal so richtig klar, dass ich wirklich ein Problem mit Menschen hatte. Wurde mir das nur deshalb so deutlich, weil ich mich jetzt selbst diagnostizierte, oder hätte diese Situation auch normalen, gesunden Menschen Angst gemacht? Ich wusste es nicht, aber dass ich daran dachte, krank zu sein, machte meine Angst schlimmer. Meto bemerkte das irgendwie und drückte meine Hand.
Wir waren früh dran, zum Glück, und die Frau von heute Morgen war noch nicht da. Der Raum war relativ groß, mit Fotos von irgendwelchen Feiern an den Wänden und einem großen Tisch mit Stühlen darum. Ich fühlte mich seltsam, hatte einerseits immer noch Angst, doch auf der anderen Seite war ich auch ein bisschen neugierig, wer noch alles hier lebte und wer unsere Nachbarn waren. Schließlich wollte ich die nächsten Jahre hier wohnen, in diesem Haus, da war es doch gut, wenn wir ein bisschen Anschluss fanden.
Die Leute, die schon da waren, ein junges Mädchen mit ihrer Mutter und ein älterer Herr, sahen mich und Meto aufmerksam an, als wir uns setzten. Ich grüßte kurz, Meto nickte nur, und ich hoffte, dass wir jetzt nicht schon den ersten Eindruck verbockt hatten. Am liebsten wäre es mir gewesen, wenn wir den Leuten einfach egal gewesen wären. Sie sollten uns in Ruhe in unserer Wohnung leben lassen, egal wie wir waren.
Das junge Mädchen lächelte leicht und ich hatte das Gefühl, dass sie mich ein bisschen interessant fand. Vielleicht war sie eine von den Mädchen, die Visual Kei und dergleichen mochten und vielleicht fand sie mein Make-up ja ansprechend. Ich lächelte ein wenig zurück, woraufhin sie sich vorbeugte, mich direkt ansah und dann fragte: „Hey, ihr seid die Neuen im Haus, oder?“
Ich nickte. „Ja.“
„Ich wohne in der Wohnung gegenüber von eurer. Mein Name ist Yamada Akko.“
Ich stellte Meto und mich mit unseren Taufnamen vor und fügte unsere Pseudonyme hinzu. Als Akko Meto fragend ansah, erklärte ich ihr, dass er Probleme mit dem Sprechen hatte, und sie nahm das mit sehr viel mehr Verständnis auf, als ich gedacht hatte.
Nach und nach kamen immer mehr Leute, der Raum füllte sich und auch die streng wirkende Frau von heute Morgen war dabei. Sie tuschelte mit einer anderen, jüngeren, die Meto und mich daraufhin abschätzig musterte.
Doch es schienen nur diese beiden zu sein, die ein Problem mit uns hatten. Denn als ich die anderen ansah, schienen die uns zwar natürlich als die Neuen zu registrieren, doch in ihren Gesichtern sah ich kaum Ablehnung. Vielleicht waren es ja wirklich nur die beiden, die was gegen uns hatten, und die anderen würden uns ganz normal aufnehmen. Ich hoffte, dass ich mich umsonst verrückt gemacht hatte und alles schon irgendwie gehen würde. Tief durchatmend, versuchte ich, mich zu beruhigen, auch damit ich, falls es Schwierigkeiten gab, richtig reagieren konnte.
„Was sagt eigentlich der Hausverwalter dazu?“, hörte ich in dem Moment die eine, jüngere Frau zu der Älteren fragen.
„Der scheint ja“, die Ältere warf einen Blick in unsere Richtung, „kein Problem damit zu haben, dass neuerdings jeder hier einziehen darf.“
Ich hatte den Verwalter des Hauses nur einmal gesehen, bei der ersten Besichtigung. Da hatte Koichi aber schon alles ausgehandelt und anscheinend hatte er das irgendwie geregelt. Jedenfalls hatte der Verwalter bei dem Treffen damals kein Wort zum Thema Homosexualität gesagt und uns einwandfrei freundlich behandelt.
Ich sah zu Akko, die anscheinend dem Gespräch der beiden Frauen zuhörte, denn sie sah von ihnen zu uns und flüsterte dann über den Tisch zu mir: „Seid ihr zusammen, ihr beiden?“
Ich beschloss, ehrlich zu sein, einfach weil ich nicht anders konnte, und nickte.
Akko lächelte. Dann warf sie einen Seitenblick auf die ältere Frau und flüsterte: „Yamaguchi-san stellt sich wegen solcher Sachen immer unheimlich an. Beachte sie nicht weiter, sie spielt sich auf, hat aber im Grunde nichts zu sagen.“
Das Treffen begann kurz darauf damit, dass Frau Yamaguchi aufstand und die, wie sie sagte, Tagesordnung, vorlas. Dann wurde darüber gesprochen. Es ging um lauter Kleinigkeiten, Dinge, von denen ich mich nicht angesprochen fühlte. Meto saß stumm und teilnahmslos neben mir, streichelte aber unter dem Tisch meine Hand, und ich spürte, dass er genauso aufgeregt war wie ich.
Irgendwann schreckte ich davon auf, dass ich meinen Nachnamen hörte und spürte, wie mich mit einem Mal alle im Raum befindlichen Menschen anstarrten. Ich war froh, einen langärmligen Pullover zu tragen, sodass meine vielen Tätowierungen und das Implantat nicht zu sehen waren.
„… und neuerdings haben wir mit ihm und seinem Freund ein homosexuelles Paar in unserem Haus. Ich weiß nicht, wie die Hausverwaltung genau darüber denkt, aber …“, sagte Frau Yamaguchi und sah erwartungsvoll in die Runde, „… ich frage mich, ob das nicht dem Ruf unserer Hausgemeinschaft schadet …“
Das waren die Worte, die ich befürchtet hatte. Dem Ruf schaden. Es tat sehr viel mehr weh, als ich gedacht hatte. Ich fühlte mich verletzt, unter Druck gesetzt, ausgeschlossen.
Ich sah Akko mit ihrer Mutter flüstern, hörte die anderen murmeln und wagte nicht, genauer hinzuhören. Meine Hände zitterten und mein Herz raste. Ich stellte mir vor, wie sie uns anwiesen, wieder auszuziehen, nur weil es ihnen nicht passte, dass wir waren, wie wir nun mal waren. Und es kostete mich meine ganze Kraft, nicht aufzuspringen und hinauszurennen, zu verschwinden.
„Aoba-san?“, riss mich Akko aus meinen schmerzhaften Gedanken, „Alles okay?“
Verdammt, anscheinend war mir anzusehen, dass ich verletzt war. Ich war einfach überhaupt nicht gut darin, meine Gefühle zu verbergen.
Als ich nicht antwortete, wechselte Akko wieder mit ihrer Mutter ein paar Worte, dann standen beide auf, sodass sie Frau Yamaguchi gegenüber standen.
„Wir sehen da kein Problem“, sagte Akko laut. „Die beiden sind doch ein Paar wie jedes andere auch.“
„Wo denn bitte? Zwei Männer, dazu noch tätowiert, wo ist das normal?!“, fragte die jüngere Frau, mit der Frau Yamaguchi vorhin gesprochen hatte. Ich spürte ihren abfälligen Blick auf dem Tattoo an meinem Hals, das sich nicht verdecken ließ, und es war das erste Mal seit Mamas Tod, dass ich mich selbst für mein selbstgewähltes Äußeres plötzlich hasste.
„Und Sie? Ist das normal, so unhöflich zu neuen Bewohnern eines Hauses zu sein?“, hörte ich Akkos Mutter laut sagen. „Wenn der Verwalter kein Problem damit hat, sollten wir keines daraus machen.“
Ich wusste, entweder würde ich gleich aufspringen und verschwinden, oder ich würde wütend werden, herumschreien, mich aufregen und dann die Tür knallend hinausrennen. In mir baute sich ein unheilvoller Druck auf, der immer weiter stieg, je mehr die Leute über meinen Kopf und den meines Freundes hinweg diskutierten, ob wir nun normal und in Ordnung waren oder nicht.
Und irgendwann, da platzte es einfach. Ehe ich mich hätte aufhalten können, stand ich mit einem Ruck auf, hörte meinen Stuhl klappernd nach hinten umfallen, und spürte sofort wieder alle Blicke auf mir. Ich stützte meine Hände auf den Tisch, blickte nach unten, konnte niemanden ansehen.
„Lasst uns doch alle einfach in Ruhe!! Ihr habt keine Ahnung! Von gar nichts! Ihr wisst nicht, wie das ist, wenn man von der Straße kommt und dann wieder ein normales Leben will! Ein normales Leben, versteht ihr?! Nein, wahrscheinlich versteht ihr’s nicht! Ich will nichts, gar nichts weiter, als mit meinem Freund in dieser Wohnung zu leben und ein bisschen glücklich zu werden! Nur ein glückliches, normales Leben!!“ Meine Stimme brach zusammen, ich spürte heiße Tränen in meinen Augen, drehte mich um und lief raus, weg, nur weg. Sofort hörte ich Meto aufspringen und mir nachlaufen, weit kam ich nicht, brach auf der Treppe weinend zusammen.
„Tsuzuku …“ Meto setzte sich neben mich und zog mich einfach in seine Arme.
Er hielt mich, bis ich mich wieder ein wenig beruhigt hatte, dann sagte er leise: „Zumindest haben wir’s klargestellt.“
„Ich hab’s verbockt …“, schluchzte ich. „Jetzt können wir bestimmt gleich wieder ausziehen.“
„Quatsch. Der Verwalter hat gesagt, wir können hier wohnen, also kann uns kein anderer rauswerfen.“
Ich hörte Schritte von unten und einen Moment später kam Akko um die Ecke. Sie sah ziemlich betreten aus, als ob es sie selbst mitnahm, dass ich mich so aufgeregt hatte.
„Hey …“, sagte sie. „Tut mir leid, das eben. Die stellen sich halt an, die Leute. Eigentlich ist nur die Yamaguchi so … altmodisch, aber die reißt die anderen immer irgendwie so mit. Ihr müsst euch keine Sorgen machen, da hat der Verwalter das letzte Wort und der ist total okay.“
„… Sie… uns aber… das Leben hier… schwer machen, …oder?“, fragte Meto leise.
Akko sah zu Boden und erwiderte, ebenso leise: „Vielleicht. Aber ihr dürft euch von so was nicht unterkriegen lassen. Ihr habt fast alle hier auf eurer Seite, wenn die sich erst mal an euch gewöhnt haben. Den meisten hier müsst ihr einfach nur beweisen, dass ihr eigentlich ein ganz normales Paar seid und keine Schwierigkeiten macht.“
Ich sagte nicht, dass wir das nicht waren, dass ich alles andere als normal war, und dass ich früher dort, wo ich mit Mama gewohnt hatte, öfter mal Schwierigkeiten mit den Nachbarn gehabt hatte. Weil ich irgendwo hoffte, dass ich mich geändert hatte und dass das hier nicht vorkommen würde.
„Wollt ihr wieder mit rein, oder geht ihr jetzt in eure Wohnung zurück?“, fragte Akko dann.
Meto sah mich fragend an, ich musste einen Moment nachdenken und abwägen, und entschied mich dann dafür, denjenigen Leuten, die sich vielleicht entschuldigen wollten, eine Chance zu geben.
Mit einem Ruck stand ich auf und ging die Treppe wieder hinunter. Meto nahm meine Hand, als wir den Raum wieder betraten, und ich versuchte, ganz aufrecht und gefasst zu wirken.
Einen Moment lang war es ganz still, diese betretene, unangenehme Stille.
„Wir … möchten uns gern entschuldigen“, begann eine etwa vierzig Jahre alte Frau schließlich und sah dabei auch ehrlich betroffen aus. „Selbstverständlich haben wir, wenn der Verwalter entschieden hat, nichts dagegen einzuwenden, dass Sie beide hier leben.“
Ich sah vorsichtig zu Frau Yamaguchi, die ziemlich beleidigt aussah. Da würde noch was nachkommen, das wusste ich, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich damit zurechtkommen sollte.
„Wir werden uns Mühe geben, nicht schlecht aufzufallen“, sagte ich mit halbwegs fester Stimme zu den anderen. Akko lächelte mich an. „Und falls doch mal irgendwas passieren sollte …“, fügte ich hinzu, „… dann möchte ich mich jetzt schon dafür entschuldigen.“
„Angenommen“, sagte Akko. „Und jetzt noch einen schönen Abend euch beiden.“
Ich verbeugte mich, Meto tat es ebenfalls, dann gingen wir aus dem Raum, die Treppe wieder hoch, zurück in unsere Wohnung. Ich war völlig fertig, doch gleichzeitig so aufgewühlt, dass ich jetzt unmöglich schon schlafen gehen konnte.
Und Meto schien ebenfalls noch nicht ans Schlafen gehen zu denken. Stattdessen holte er eine der Tiefkühlpackungen aus dem Eisfach des Kühlschranks, packte sie aus, machte den Backofen an und schob den Inhalt der Packung, zwei Stücke panierten Fisch, hinein. Ich hatte überhaupt keinen Appetit, doch mein knurrender Magen verriet, dass ich sehr wohl hungrig war. Schließlich hatte ich heute nicht mehr als Kaffee, ein bisschen Omelett, Cola und ein paar Kekse beim Film schauen zu mir genommen.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Besserung meines Essverhaltens in letzter Zeit stagnierte. Ich brach zwar nicht, aber ich aß auch nicht so gut, wie ich sollte und wollte. Ich erinnerte mich daran, wie ich damals auf der kleinen Reise mit Meto zusammen begonnen hatte, mich wirklich mit meiner Essstörung auseinander zu setzen, daran, dass ich richtige Aufbruchsstimmung verspürt und geglaubt hatte, dass es aufwärts ging mit mir. Aber anscheinend war es längst nicht so einfach und dass ich gerade nicht wirklich vorankam, gehörte wohl auch dazu.
Während wir darauf warteten, dass der Fisch fertig wurde, holte Meto sich eins seiner Bücher aus dem Wohnzimmer, einen Roman, den ich auch schon mal angelesen, aber nicht die Geduld gehabt hatte, ihn zuende zu lesen. Ab und zu las er mir eine Stelle daraus vor und ich stellte fest, dass die Geschichte, die dort erzählt wurde, Ähnlichkeiten mit unserem Leben hier hatte.
Ich hatte meistens nicht die Geduld und Lust, die man zum Lesen brauchte, deshalb kam es selten vor, dass ich selbst ein Buch zur Hand nahm. Ganz im Gegensatz zu meinem Freund, der sich, vielleicht wegen seines Sprachfehlers, gerne mal mit einem Buch in eine ruhige Ecke zurückzog.
„Geht die Geschichte gut aus?“, fragte ich irgendwann.
„Weiß ich nicht. Ich hab’s noch nie ganz durchgelesen“, antwortete Meto.
Als der Fisch fertig war, aßen wir erst einmal und ich schaffte es überraschenderweise sogar, mein Stück ganz aufzuessen. Vielleicht half es, wenn ich mir öfter bewusst machte, dass ich mir ja fest vorgenommen hatte, gesund zu werden und nicht aufzugeben. Ich hatte Mamas Geist versprochen, mir alle Mühe zu geben, glücklich zu werden, und dieses Versprechen war mir heilig, auch, wenn es mir im Moment schwer fiel, es zu halten.
Nach dem Essen ging ich ins Bad und schminkte mich ab. Während ich die Kontaktlinsen herausnahm, die verschmierte dunkle Farbe von meinen Augen wegwischte und die Reste des Lippenstiftes entfernte, hatte ich das Gefühl, mich wieder in den Menschen zurück zu verwandeln, der ich heute Morgen, als der Tag so gut angefangen hatte, gewesen war. Eigentlich war heute nicht auffallend viel passiert, doch ich hatte das Gefühl, emotional überdurchschnittlich viel mitgemacht zu haben.
Ich kämmte das Haarspray aus meinen Haaren, nahm den Schmuck ab und zog dann den Pullover aus, weil mir irgendwie warm war.
Auf einmal stand Meto hinter mir, legte seine Arme um mich und schmiegte sich an meinen Rücken. Seine Hände auf meinem Oberkörper streichelten über den Stoff meines Tanktops, von meinem Bauch über mein Herz zu meiner Brust, wo seine Fingerspitzen, ganz kurz und vorsichtig, meine Nippel berührten. Diese kurze Berührung reichte aus, damit sich meine Atmung ein wenig beschleunigte, und ich seufzte leise.
Ich hörte Metos süßes, leises Lachen, fühlte mich fester von ihm umarmt, und dann war da seine warme Hand an meiner Hüfte, die unter mein Top schlüpfte und meine nackte Haut streichelnd berührte, weiterwanderte bis zum Nabel, wo seine Finger mit meinem Piercing spielten. Seine weichen Lippen tasteten über meinen Nacken, während seine Hand unter meinem Top nach oben wanderte, bis zu meinem Herzen, das von dieser liebevollen Behandlung schneller zu klopfen begonnen hatte.
„Dein Herz …“, sagte er, seine Stimme klang ganz weich und andächtig.
„Weißt du eigentlich, dass es nur für dich schlägt?“, fragte ich, wissend, wie kitschig das klang. Aber das war mir egal, ich sprach einfach das aus, was ich fühlte, und wenn es eben kitschig war.
Meto lachte wieder leise, ich drehte mich in seinen Armen zu ihm um und küsste ihn.
„Tsuzuku, du bist so süß“, sagte er, legte beide Hände an meine Brust und berührte wieder meine Nippel durch den Stoff, diesmal deutlich machend, welche Absichten er damit hatte. „Darf ich … dich verführen?“
„Du tust es ja schon“, erwiderte ich, denn das, was er mit mir machte, war nichts anderes, als mich langsam und liebevoll zu verführen und heiß zu machen.
Meto schob die Hände wieder unter mein Top und zog es mir mit einer einzigen, fließenden Bewegung über den Kopf, sodass ich es nur noch abstreifen und zu Boden fallen lassen musste. Kurz löste er sich von mir, um sein eigenes Oberteil ebenfalls auszuziehen, dann nahm er mich wieder in seine Arme und schmiegte sich an mich, lehnte seinen Kopf an meine Schulter.
„Weißt du …“, fragte er leise und seine Lippen streiften meinen Hals, „ …dass ich mich den ganzen Tag darauf gefreut habe?“
Eigentlich sah ich ja mehr mich selbst als jemanden, der so etwas sagte und empfand, aber anscheinend unterschätzte ich meinen Freund da ziemlich und er fühlte genauso wie ich. Es fiel mir seltsamerweise seit einer Weile ein wenig schwer, ihm zu glauben, dass er mich genauso begehrte wie ich ihn.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Sag’s mir.“
Meto sah mich ganz direkt an, nahm mein Gesicht in seine Hände und atmete einmal tief ein und aus, bevor er sprach: „Ich hab mich den ganzen Tag darauf gefreut, mit dir zu schlafen. Das von heute Morgen, das war so schön, und ich würde es jetzt gern fortsetzen.“ Ein feines, aber deutlich sichtbares Rot breitete sich auf seinen Wangen aus und ich spürte, dass es nicht ganz einfach für ihn war, so offen zu sprechen. Und irgendwie … fand ich das einfach wahnsinnig süß.
„Dann verführ mich“, sagte ich, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken. „Mach mich so heiß, dass ich nur noch an dich denke, an nichts anderes mehr.“
Meto ließ mir auch keine Zeit, im Nachhinein über meine Worte nachzudenken. Kaum hatte ich es ausgesprochen, waren da seine Finger an meinen Nippeln, seine Lippen an meinem Hals und seine Hüfte, die gegen meine drückte, wobei ich spürte, dass er schon ziemlich erregt war. Vorsichtig, um mir nicht weh zu tun, spielte er mit den Piercings, was in mir eine erste heiße Lustwelle auslöste und meine Atmung und meinen Herzschlag beschleunigte. Er wusste einfach ganz genau, womit er mich heiß machen konnte, und schien meine Lust auch zu genießen.
Ich schloss die Augen und spürte einen Moment später, wie Metos warmen Hände an mir herunter wanderten, bis zum Verschluss meiner Jeans, und diesen öffneten. Seine rechte Hand tauchte unter den Stoff in meine Shorts, berührte mein sich schon langsam härtendes Glied und begann, es zu streicheln, während er seine linke hinten in meine Hose schob und mich dort berührte.
Ich konnte nicht anders, als schon leise zu stöhnen, zu gut fühlte sich das an, was er mit mir machte.
Dass er offenbar Lust daran fand, die Initiative zu ergreifen, machte mich zusätzlich an und es gab mir Sicherheit, zu spüren, dass er mein Verlangen teilte und es nicht als bedrängend empfand.
„Komm, lass dich fallen, Tsu“, sprach Meto leise. „Du musst dir keine Sorgen machen. Es ist alles gut. Tu einfach das, wonach dir ist.“
„Was, wenn es wieder so endet wie vorgestern?“, fragte ich mit leiser Angst in der Stimme.
„Das wird es nicht. Ich bin nämlich so heiß auf dich, dass ich komplett entspannt bin.“ Mit diesen Worten ließ er seine Hand von meinem Hintern wieder nach oben und nach vorn wandern und berührte wiederum meine Nippel, diesmal jedoch um einiges mutiger und gezielter. Seine Finger spielten mit dem körperwarmen Metallring und als er schließlich daran zupfte, stöhnte ich laut auf und drängte mein Becken seiner noch immer in meiner Hose befindlichen Hand entgegen. Ich spürte süßesten, erregenden Schmerz an meinen Brustwarzen, ein mich wahnsinnig anmachendes Gefühl, das ich so wohl nur wegen der Piercings empfand.
„Darf ich … dich was fragen?“, fragte Meto, streichelte mich dabei weiter.
„Ja … klar.“
„Bist du wegen der Piercings da so empfindlich oder bist du deshalb da gepierct, weil du so sensibel bist?“
Ich lachte leise auf. Meto war nicht die erste Person, die mir diese Frage stellte. Eine meiner Freundinnen früher hatte, nachdem ich meine Brustwarzen hatte piercen lassen, genau dasselbe gefragt.
„Irgendwie beides“, antwortete ich. „Ich steh da schon immer drauf, aber seit ich die Piercings habe, ist das noch intensiver geworden.“
Meto lächelte, seine Hand in meinem Schritt griff ein wenig fester zu und die andere an meiner Brust rieb mit dem Daumen ganz gezielt über besagte erogene Knospen. Ich stöhnte wiederum, senkte dann leicht den Kopf, küsste seine Schulter, dort, wo das bunte Tattoo endete, legte meinen Arm um seine Taille und zog ihn an mich, was ihn leise seufzen ließ.
Wären wir jetzt schon im Schlafzimmer gewesen, hätte ich mich augenblicklich auf ihn gestürzt, doch so musste ich mich noch darauf beschränken, ihn nur anzufassen und von ihm angefasst zu werden.
Doch Meto gedachte das offenbar zu ändern.
„Ins Bett?“, fragte er und griff meine Hand.
Ich nickte, lächelte. „Ist sicher gemütlicher.“
Mein Liebster lachte leise, dann führte er mich über den Flur ins Schlafzimmer, wo er sich aufs Bett setzte und mich zu sich zog. Er ließ meine Hand los, legte beide Hände an meine Hüfte und schob meine Hose runter, mir deutlich zu verstehen gebend, was er wollte.
Und ich ließ es ihm, überließ ihm dieses Mal die Führung, auch weil ich mich nach dem, was letztes Mal passiert war, doch nicht so recht an meine eigene Lust und diesen Machtwunsch herantraute. Das hier sollte nicht so enden und ich gab mir alle Mühe, mich zurückzuhalten.
Ganz ausgezogen, legte ich mich schließlich aufs Bett und glaubte zuerst, dass Meto sich einfach ebenfalls ausziehen, neben mich legen, und mich weiter anfassen würde.
Doch er schien andere Pläne zu haben, denn er setzte sich, nachdem er sich ausgezogen hatte, wieder auf die Bettkante und sah mich erwartungsvoll an.
„Jetzt du“, sagte er schließlich. „Ich hab dich verwöhnt, jetzt du mich.“
Und da war sie wieder, meine Unsicherheit. Auf einmal hatte ich wieder Angst, dass meine Leidenschaft zu stark und meine Selbstkontrolle zu schwach war.
„Ich weiß nicht, ob ich … ob ich mich genug unter Kontrolle habe, um dich nicht zu überfallen.“
„Ach Tsu …“ Meto drehte sich ganz zu mir um und kam dann über das Bett auf mich zu gekrabbelt. Er kniete sich über meinen Bauch, drückte mich an den Schultern ins Kissen, sah mir in die Augen und sprach: „Warum geht das nicht in deinen Kopf rein, dass ich das will? Oder, besser gesagt, warum hast du dir das selbst ausgeredet? Vor dem Winter warst du da anders.“
„Wie … meinst du das?“ Ich drehte den Kopf zur Seite, wich seinem Blick aus.
Meto beugte sich vor, berührte mich am Kinn und drückte dort sanft aber bestimmt, bis ich ihn wieder ansehen musste. „Erinnerst du dich noch, als wir im Love-Hotel waren? Was du da gemacht hast?“
„Ja.“ Natürlich erinnerte ich mich daran. Damals hatte ich mir absolut keine Gedanken darum gemacht, ob ich Meto mit meiner Lust bedrängte oder nicht. Und mein Verhalten hatte sich seitdem eigentlich kaum verändert. Nur dachte ich jetzt anders über mich.
Dass er mich jetzt so bestimmend behandelte, machte mich irgendwie an, doch ich wagte nicht, das zu zeigen. Doch anscheinend bemerkte er es irgendwie.
„Weißt du, genau das meine ich. Seit vorgestern Abend scheinst du dich nicht mehr so recht zu trauen, mich richtig anzufassen. Du weißt doch eigentlich, dass ich drauf stehe, also, warum hast du Angst? Nur, weil es einmal schief gegangen ist?“
Ich konnte nicht antworten. Denn die Antwort wäre gewesen: ‚Ich hab Angst, dass ich mich nicht unter Kontrolle habe, dir wehtue und mir selbst endgültig beweise, dass ich völlig gestört bin. Mangelnde Selbstkontrolle ist anscheinend noch ein Anzeichen für Borderline.‘
Als ich nicht antwortete, stand Meto wieder auf, stieg vom Bett und holte Dinge aus meiner Nachttischschublade, legte die dann aufs Bett: Das schwarze Tuch, die Gleitmitteltube und die Schachtel mit den Kondomen.
Musste er noch deutlicher werden? Nein, eigentlich nicht. Ich wusste, was er wollte, und ich wollte es ja auch. Sehr sogar. Mein ganzer Körper schrie geradezu danach, mein Herz sehnte sich nach der vollkommenen Nähe meines Liebsten, doch etwas in meinem Kopf sagte Nein. In einem Versuch, dieses Etwas zu überwinden, richtete ich mich auf, griff nach Metos Hand und zog ihn zu mir.
„Hilf mir. Ich glaube, ich denke einfach zu viel. Verführ mich, mach mich so geil, dass ich nicht mehr denken kann!“
Meto lächelte, küsste mich und antwortete: „Sehr gern. Aber nur, wenn du dasselbe mit mir machst.“ Er legte sich neben mich und zog mich in seine Arme. Sein nackter Körper an meinem, seine Hände auf meiner Haut und seine Lippen, die immer wieder meine streiften, all das fühlte sich so gut an, dass meine Selbstkontrolle, mein Versuch zu beweisen, dass ich nicht gestört war, schmolz wie Schnee in der Sonne, und aufgestauter, heftiger Lust wich. Seltsam, so viel konnte sich da doch eigentlich in zwei Tagen gar nicht aufgestaut haben. Egal.
Ich drückte mich an Metos heißen Körper, barg mein Gesicht an seinem Hals, wo ich erst seinen Duft einatmete und dann an seiner Haut saugte, während meine Hände über seine Brust tasteten, bis sie seine noch weichen Nippel gefunden hatten, diese drückten und rieben, und ihm so ein lautes Stöhnen entlockten.
Überglücklich, dass ich meine Leidenschaft scheinbar bedingungslos wiederhatte, richtete ich mich halb auf, drückte Meto ins Kissen und machte mich mit dem Mund über seine Brust her, schmeckte die süße, zarte Haut seiner Brustwarzen und spürte, wie sie sich unter meinen Lippen härteten.
Zu spüren, wie er sich unter mir wand und meine Lust genoss, erregte mich noch mehr. Und als ich mich wieder aufrichtete und ihn ansah, wie er da vor mir lag, die Augen geschlossen, die vollen, weichen Lippen leicht geöffnet, mit diesem absolut süßen Rotschimmer auf den Wangen, lustgeröteten Nippeln, zuckender Bauchdecke und seinem bereits voll erigierten Glied, aus dessen ebenfalls geröteter Spitze schon der Lusttropfen austrat, da wäre von diesem Anblick am liebsten schon gekommen.
Anscheinend hatte er sich sehr danach gesehnt, es wieder mit mir zu tun, wenn er jetzt schon so erregt war. Innerlich lachte ich mich aus und nannte mich selbst einen Idioten, weil ich Meto, meinem festen Freund, der offenbar ebenso geil auf mich war, wie ich auf ihn, nicht zugetraut hatte, mich derartig zu begehren.
„Tsu…“, stöhnte er und hob sein Becken leicht an, gab mir deutlich zu verstehen, was er wollte. Ich kniete mich über seine Oberschenkel, er setzte sich auf und ich umfasste seine harte, heiße Erregung, was er mir augenblicklich nachmachte, mit dem Daumen meine Vorhaut zurückzog und über meine Eichel rieb. Laut aufstöhnend, drängte ich meine Körpermitte seiner Hand entgegen, spürte einen heißen Schwindel im Kopf und brauchte einen Moment, bis ich mich wieder soweit beisammen hatte, dass ich für ihn dasselbe tun konnte.
Eine Weile ging das so weiter, wir heizten uns gegenseitig immer mehr auf, doch auf einmal hielt Meto inne und schob meine Hand von sich weg.
„Wenn … du so … weiter machst, … komm ich gleich …“, keuchte er und ließ sich auf den Rücken sinken.
„Und was … möchtest du jetzt …?“, fragte ich, in meinem Kopf herrschte immer noch dieser hocherregte Schwindel und ich konnte tatsächlich nicht mehr wirklich denken. Ich fühlte mich wahnsinnig gut und alles, was heute gewesen war, schien ganz weit weg, unwichtig in diesem Moment, in dem es nur Meto, mich, unsere Liebe und unsere Lust aneinander gab.
Meto sah mich an, seine Augen schimmerten und seine vollen, gepiercten Lippen verzogen sich zu einem absolut süßen Lächeln. Er bewegte ein wenig seine Beine, um mir zu bedeuten, dass ich von ihnen runtergehen sollte, was ich sofort tat. Augenblicklich spreizte er die Beine, winkelte sie an und hob sein Becken so an, dass ich genau wusste, was er jetzt wollte.
Ich kniete mich dazwischen, griff nach der Gleitmitteltube, öffnete sie und tat mir etwas von ihrem Inhalt auf die Finger. Tastete nach seinem Eingang, schob meinen Finger vorsichtig hinein und berührte sein Inneres. Er hatte Recht gehabt, als er gesagt hatte, dass er vollkommen entspannt war, es ging ganz leicht und ich fand schnell die Stelle in ihm, die ihn vor Lust aufschreien ließ. Und auch, als ich langsam dazu überging, ihn zu dehnen, blieb er so, da war keine Spur von Anspannung zu bemerken, stattdessen stöhnte er lauter.
Vielleicht war die Verspannung von vorgestern Abend etwas gewesen, das nur ab und zu vorkam. Möglicherweise war Meto wegen des Umzuges noch zu aufgeregt gewesen oder hatte sonst irgendwas gehabt, was nichts mit mir zu tun hatte. In diesem Moment konnte ich das wirklich glauben und einfach genießen, dass es wieder klappte mit uns, dass ich gleich in ihn eindringen und ihm damit nur Lust schenken würde, keinen Schmerz.
Mein Blick wanderte über seinen nackten, bebenden Körper, den ich so absolut wunderschön fand, bis zu seinem Gesicht, auf das sich in diesem Moment Lust und beginnende Ekstase malten. Doch etwas fehlte da noch, etwas für meinen eigenen Genuss: Die Augenbinde.
„Meto?“, fragte ich, „Magst du dir die Augen selbst verbinden? Ich hab nur eine Hand frei.“
Er hob den Kopf, sah mich an und sagte, wieder mit diesem feinen, süßen Rotschimmer auf den Wangen: „Heute … will ich dich lieber sehen.“
Irgendwie fühlte sich das fast noch besser an, als wenn ich meinen Willen bekommen hätte. Der Gedanke, ihm in die Augen zu sehen, wenn ich in ihn eindrang, machte mich unheimlich an und ich umfasste wieder seine Erregung, um sie zu massieren und so seine und meine Lust weiter zu steigern.
Mein Liebster stöhnte laut, drängte sich mir entgegen, schrie, als ich mit dem Finger in ihm wieder über diese heiße Stelle in seinem Innern strich und ihn weiter dehnte, und ich sah zu, wie er begann, sich selbst zu streicheln, seine eigenen Nippel drückte und seine Hand dann abwärts wandern ließ, bis sie die meine an seinem lustzuckenden Glied berührte. Irgendwie löste diese Berührung unserer Hände bei mir wildes Herzklopfen aus und ich spürte, wie meine eigene Körpermitte heißer und heißer wurde, sodass ich mich kaum noch zurückhalten konnte.
„Tsu…zuku …! Jetzt mach! Nimm mich …!“
Ich lächelte anzüglich, sah ihm einmal tief in die Augen und fragte, leicht keuchend: „Willst du … mich in dir haben …?“
Metos Antwort war ein tiefes, eindeutiges Stöhnen.
Beinahe hätte ich das Kondom vergessen, im letzten Moment dachte ich noch daran und beeilte mich damit. Ich nahm noch etwas Gleitmittel dazu, dachte, soweit mein hocherregt liebeskrankes Hirn dazu imstande war, daran, dass ich dieses Mal so lieb und vorsichtig wie möglich mit Meto sein wollte, dann zog ich sein Becken auf meine Oberschenkel und schob mich langsam in ihn. Sein glühheißes Inneres nahm mein Glied ganz leicht auf, er schrie nicht auf, sondern stöhnte ekstatisch, und ich fühlte mich vollkommen gut und sicher.
Mein Herz bebte vor Liebe und Erregung, hämmerte gegen meine Rippen, und ich legte, die Augen schließend, den Kopf in den Nacken, um auf dieses wahnsinnig schöne Gefühl irgendwie klarzukommen. Meine Augen fühlten sich seltsam heiß an, wie von Tränen, und ich verharrte einen Moment so, um sicher zu gehen, dass ich jetzt nicht vor Rührung zu weinen anfing.
Als ich mich wieder halbwegs gefangen hatte, beugte ich mich vor, stützte meine Hände links und rechts auf und sprach meinen Liebsten leise an: „Meto?“
Er hob den Kopf, stützte sich auf seine Unterarme, sodass sein Gesicht meinem näher kam und ich ihn küssen konnte. Er öffnete die Lippen und ließ mich ein, seine Zunge spielte mit meiner, fuhr in den Spalt und tauchte dann in meinen Mund, machte mir noch einmal deutlich, dass er mich genauso begehrte wie ich ihn. Einen Moment lang blieben wir so, dann löste ich den Kuss und sah Meto fest in die Augen. Diese wunderschönen, dunkelbraunen Augen, in denen ich hätte versinken können. Ich konnte nicht anders, als ihn wieder zu küssen.
„Wir sind eins“, flüsterte ich rau gegen seine Lippen und leckte zärtlich darüber. „Ich liebe dich.“
„Ich dich auch. Sehr …“, antwortete er. „Und jetzt … beweg dich bitte.“
Eine Aufforderung, der ich nur allzu gern nachkam. Meto ließ sich wieder ganz auf den Rücken sinken, krallte die Hände in die Matratze und drängte seinen Körper mir entgegen, wodurch ich mit einem Mal ganz tief in ihm war und fast schon automatisch leicht in ihn stieß.
Sofort hielt ich inne. ‚Bewegen‘ hatte er gesagt, nicht ‚stoßen‘. Ich versuchte, mich einerseits zu kontrollieren, um ihm nicht weh zu tun, und andererseits seiner Bitte nachzukommen, ihm wahnsinnige Lust zu bereiten und ihn meine Leidenschaft spüren zu lassen. Der Grat dazwischen war schmal und mein Körper bewegte sich wie von selbst, ließ sich kaum beherrschen.
‚Sanft sein‘, dachte ich, ‚Du willst dir doch nicht nachher wieder Vorwürfe machen. Sei so sanft, lieb und vorsichtig, wie du nur kannst.‘
Und so bewegte ich mich langsamer, genoss jede Sekunde, jede Reaktion meines Liebsten und das überwältigende Gefühl, eins mit ihm zu sein. Ihm schien das sehr zu gefallen, er stöhnte, flüsterte meinen Namen, sah mich ab und zu an und lächelte leicht, bevor er wieder stöhnte und den Kopf zur Seite warf. Eine seiner Hände löste sich wieder von der Matratze, suchte nach meiner und hielt sie fest. Und wieder löste das in mir starkes Herzklopfen aus.
„Du … musst nicht … so vorsichtig sein …“, flüsterte er, klang so, als ob die Sprache ihm gleich den Dienst versagen würde. „Halt dich … nicht zurück, … ich halte das … schon aus …“
„Bist du ganz sicher …?“, fragte ich atemlos.
Statt einer verbalen Antwort drängte Meto sich mir wieder entgegen, heftig, mit einem Verlangen, dass ich so von ihm kaum kannte (was auch immer mich dazu brachte, ihn da zu unterschätzen …).
Und mehr als das brauchte es nicht, um meine Selbstkontrolle wieder einmal aufzulösen, meine Lust zu entfesseln und mich vollkommen verrückt zu machen.
Tief einatmend, zog ich mich ein Stück weit aus ihm zurück, verharrte einen Moment so und stieß dann in ihn, wobei mir einen Augenblick lang das Gefühl für oben und unten abhandenkam. Sofort verlangte es mich nach mehr, immer mehr, so sehr, dass ich mein eigenes heftiges Stöhnen nur am Rande mitbekam, während ich wieder und wieder zustieß.
Ich hörte ihn aufschreien, doch es klang so viel mehr nach Lust, denn nach Schmerz, und aufhalten konnte mich jetzt sowieso nichts mehr.
Meine Selbstkontrolle, ohnehin ja nicht besonders stark, hatte sich binnen Sekunden in Nichts aufgelöst, und darunter spürte ich Gefühle hochkommen, die ich eigentlich einzusperren versucht hatte. Da war dieses Machtgefühl, das erhebende Wissen, dass Meto jetzt zur mir gehörte, dass niemand mehr versuchte, ihn mir wegzunehmen. Dass er es mochte, wenn ich ihn meine Lust so deutlich spüren ließ, und dass mich das wahnsinnig geil machte. Und ein dunkles Verlangen danach, ihn zu erobern, mir zu Eigen zu machen und ihm mein Siegel aufzudrücken.
Ob das krank war, oder nicht, war mir in diesem Moment vollkommen egal, ich konnte nur noch, wenn man das denn überhaupt ‚denken‘ nennen konnte, daran denken, dass ich es wollte und dass ich absolut wahnsinnig, intensiv und besessen verliebt war.
Der Höhepunkt kam schneller, als es mir gefallen hätte, war kurz und heftig, ich spürte nichts als reine Lust und Hitze und verlor für einen kurzen Moment vollkommen die Kontrolle über mich.
Als sich mein Bewusstsein wieder zum Dienst meldete, lag ich vornübergebeugt auf Metos Körper und spürte seine Hand zwischen uns, er fasste sich selbst an, und erst, als er einen Moment später erbebte und gegen meinen Bauch kam, spürte ich, dass ich noch in ihm war.
Langsam und leicht zitternd, richtete ich mich wieder auf und zog mich vorsichtig aus ihm zurück, schob ihn dann, ebenso vorsichtig, sanft von mir und ließ mich, immer noch schwer atmend, neben ihn sinken, blickte hoch an die weiße Decke, eine ganze Weile blieben wir so liegen.
Langsam beruhigten sich meine Atmung und mein Herzschlag, ich kam wieder zu klarem Bewusstsein und damit kehrten auch die Gedanken und leisen Zweifel zurück. Ich selbst fühlte mich wahnsinnig gut, aber ob es Meto genauso ging, wusste ich nicht. Hoffentlich war ich am Schluss nicht doch zu heftig gewesen. Ich hatte so versucht, mich zu beherrschen, doch gegen diese beinahe schon wahnsinnige Lust war meine Selbstbeherrschung machtlos, zu gut, zu geil fühlte es sich an.
„Tsu … das war so schön …“, brach Meto schließlich die Stille, ich spürte seine Hand streichelnd an meinem Arm.
Ich wandte mich ihm zu, sah ihn an, hob die Hand und strich ihm die verschwitzten türkisblauen Haarsträhnen aus der Stirn. „War’s dir auch nicht zu heftig am Ende?“
Er schüttelte den Kopf und lächelte. „Nein, das war schön. Genau das, was ich wollte.“
Wieder fragte ich mich, wie ich so jemand Süßes wie ihn eigentlich verdient hatte. Wie konnte es sein, dass er so perfekt zu mir passte und mich Gestörten so sehr liebte? Mein Herz zitterte vor Liebe und den Nachwellen dessen, was wir gerade getan hatten, und auf einmal war mir nach Weinen zumute.
Ich rückte noch etwas näher zu ihm, nahm ihn in meine Arme und flüsterte mit zitternder Stimme: „Ich liebe dich, Meto. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr.“
Er schmiegte sich an mich, ganz süß und lieb, und ich fügte noch leiser hinzu: „Und wenn ich vielleicht mal ganz furchtbar zu dir bin, dann vergiss bitte nicht, dass du alles für mich bist. Du bist mein Leben.“
Meto lächelte, seine Hand streichelte meine Seite. „Das vergesse ich bestimmt nicht. Ich lieb dich doch auch.“
Und wieder war da so ein Moment, in dem ich über meine Angst und meine dunklen Gedanken hätte sprechen können. Ein paar Sekunden lang fühlte ich mich danach, alles auszupacken und zu sagen, was in mir los war. Doch ich ließ den Moment ungenutzt verstreichen, hatte das Gefühl, dass es nicht der richtige dafür war. Auch, wenn ich nicht wusste, wann denn dann der passende Augenblick war, um darüber zu sprechen, dass ich mich für völlig gestört hielt und Angst hatte, dass es schlimmer werden würde.
Meto zog mich eng an sich, seine Lippen streiften meine noch schweißfeuchte Haut, und er sagte ganz leise etwas, das wie „Du bist so schön warm, Tsu“ klang. Seine Stimme hörte sich schon ganz müde an, was angesichts dessen, was wir getan hatten, ja kein Wunder war, und bald darauf hörte ich seine gleichmäßigen, schlafenden Atemzüge.
Ich stand auf, warf das Kondom in den Mülleimer, griff dann nach der Taschentücher-Box auf meinem Nachttisch, zog ein paar heraus und befreite damit Meto und mich von den Spuren unserer Leidenschaft. Dann zog ich die Bettdecke hoch, kroch darunter, deckte uns beide zu und blieb noch eine Weile wach liegen, hielt ihn im Arm, während sich in meinem Kopf die Gedanken drehten. Irgendwann würde ich nicht mehr darüber schweigen können, das wusste ich, aber ich hatte Angst, damit dann alles kaputt zu machen. Doch andererseits … würde denn nicht auch dann alles zerbrechen, wenn ich weiter schwieg und mein Leid verheimlichte?
Je mehr es sich in meinem Kopf drehte, umso mehr furchtbare Gedanken kamen dazu. Nicht nur, dass ich möglicherweise mein Versprechen an Mama brechen würde, sondern auch, ob Meto denn überhaupt mit jemandem zusammen sein wollen würde, dessen Seele und Persönlichkeit den Stempel ‚Borderline‘ trug. Augenblicklich sprangen mir Tränen in die Augen, heftigste Verzweiflung durchfuhr mich und ich drückte mich enger an meinen tief und fest schlafenden Freund, hoffend, dass seine Nähe diesen unerträglichen Gedanken irgendwie vertreiben konnte.
Ich konnte ihm doch vertrauen, oder? Er würde mich nicht allein lassen, liebte mich doch so, wie ich war … oder nicht? Schließlich konnte ich seine Gedanken nicht lesen, wusste nur durch seine Worte und das, was er tat, wie er mich sah.
Als ich die ersten schweren Schluchzer spürte, löste ich mich von ihm, um ihn nicht zu wecken, drehte mich auf die andere Seite und vergrub mein Gesicht im Kissen. Schlang meine Arme um meinen Körper, mein Herz tat weh vor Angst, und weinte mich in den Schlaf.
„Piep-piep … piep-piep …“
Noch im Halbschlaf, streckte ich die Hand aus und versetzte meinem Wecker einen Schlag, damit er schwieg. Ich traf jedoch nicht, schlug ihn stattdessen vom Nachttisch, er fiel zu Boden, wo er unbeeindruckt weiterpiepte.
Ein müdes, leicht genervtes Brummen von Tsuzukus Betthälfte ließ mich mich umdrehen. Er war ganz unter der Decke vergraben, nur seine schwarzen Haare waren zu sehen.
„Mmeto … Mmach bidde den verdammten Wecker aus …“, brummte er verschlafen, ohne sich zu mir umzudrehen.
Ich erhob mich halb, beugte mich dann runter vom Bett, angelte nach dem piependen Wecker und stellte ihn, diesmal erfolgreich, aus.
„Sieben Uhr“, informierte ich meinen Freund über die Uhrzeit, doch anstatt dass er unter der Decke rauskam und mir einen guten Morgen wünschte, kroch er nur tiefer darunter.
„Tsu?“, fragte ich verwundert. „Alles okay?“
Es dauerte ein paar Sekunden, zu lang für mein Gefühl, bis er antwortete: „Hab Kopfschmerzen.“
Kopfschmerzen? Woher das denn auf einmal? So, wie ich ihn kannte, kam so was eigentlich selten vor. Bauchschmerzen, das ja, aber Kopfweh war irgendwie ungewöhnlich.
Jedenfalls fiel mir bei dieser Frage ein, dass Tsuzuku heute um neun sein Vorstellungsgespräch bei dem Bodyart-Shop in der Innenstadt hatte. Hoffentlich ging das gut …
„Schatz, weißt du, was heute ist?“, fragte ich.
Es dauerte ziemlich genau drei Sekunden, bis Tsuzuku sich erinnerte und reagierte.
„Fuuuck!“ Mit einem Ruck war die Decke weg, er sprang auf und lief zum Schrank, griff sich wahllos Unterwäsche und verschwand im Richtung Bad. Kurz darauf hörte ich das Wasser in der Dusche rauschen.
Langsam stand ich ebenfalls auf, suchte mir Klamotten aus dem Schrank, zog mir aber erst einmal meinen Bademantel an und ging dann in die Küche, um schon mal Kaffee und Frühstück zu machen. Dabei spürte ich zwar ein wenig die Folgen des Aktes von gestern Abend, doch ich sah nicht ein, deswegen schon wieder im Bett zu bleiben, und ignorierte den leichten Schmerz.
Als das Wasserrauschen aufgehört hatte, ging ich ins Bad, da ich ebenfalls duschen wollte. Tsuzuku stand, halb angezogen, vor dem Spiegel und hatte meine Concealer-Dose in der Hand. Er sah müde aus, hatte leichte Schatten unter den Augen, fast so, als hätte er nachts lange geweint.
„Alles in Ordnung?“, fragte ich vorsichtig. „Hast du schlecht geschlafen?“
Er nickte und sah mich einen Moment lang an, mit einem Blick, den ich nicht so recht deuten konnte. War, nachdem ich gestern Abend eingeschlafen war, noch irgendwas gewesen? Hatte er sich etwa wieder Vorwürfe gemacht, und das, obwohl ich ihm diesmal mehr als deutlich zu verstehen gegeben hatte, was ich wollte und mochte? Das gestern Abend, das war doch schön gewesen und Tsuzuku hatte, als ich danach eingeschlafen war, auch glücklich gewirkt. Langsam verstand ich wirklich nicht mehr, was los war. Und ich wollte endlich wissen, worum es eigentlich ging.
Ich verschwand erst einmal unter die Dusche, Tsuzuku schminkte sich fertig, machte seine Haare und ging sich dann anziehen im Schlafzimmer, und als ich mich gewaschen, abgetrocknet und angezogen hatte, traf ich ihn in der Küche wieder. Er hatte sich richtig schön gemacht, trug Netzhemd, Lacklederjacke und Lackstoffhose, und einiges an Schmuck. Genau das richtige Outfit, um sich in einem Laden für Tattoos, Piercings und dergleichen zu bewerben.
„Du siehst schön aus“, sagte ich und lächelte.
„Danke.“
Jetzt wirkte er wieder ganz ausgeglichen, schien mit sich und seinem heutigen Vorhaben zufrieden zu sein und sich sogar auf das Vorstellungsgespräch zu freuen. Vielleicht hatte es ihm gutgetan, sich mal wieder richtig schön zu machen und so nach Visual Kei anzuziehen, und ich musste mir keine Sorgen mehr machen.
Wir frühstückten zusammen und Tsuzuku aß sogar etwas mehr als sonst morgens. Er hatte mir mal glaubhaft versichert, dass er auch früher schon jemand gewesen war, der morgens einfach nicht so viel Hunger hatte und dann nur mehr aß, wenn es ihm wirklich gut ging. Entweder spielte er mir jetzt sehr gekonnt gute Laune vor, oder ihm ging es wirklich wieder gut, wobei ich dazu tendierte, Zweiteres anzunehmen, da er einfach kein guter Lügner war.
„Tut’s noch weh?“, fragte er auf einmal, völlig aus dem Zusammenhang gerissen.
Ich musste tatsächlich kurz überlegen, was er meinte, schüttelte dann den Kopf und lächelte leicht.
„Die Schmerztabletten brauchst wohl eher du, oder sind deine Kopfschmerzen von vorhin schon wieder weg?“, fragte ich zurück.
„Geht schon.“
„Wirklich?“
„Ja. Alles gut. Ich hab nur schlecht geschlafen, daran lag‘s wahrscheinlich.“
Jetzt sah ich es ihm wirklich an, dass er log. Aber warum? Wieso konnte er mir nicht einfach sagen, was los war? Ich mochte gar nicht daran denken, dass er mir vielleicht nicht genug vertraute. Eigentlich standen wir uns doch so nah, dass es keine Geheimnisse zwischen uns geben sollte.
Aber vielleicht war jetzt auch einfach der falsche Moment, darüber zu sprechen. Tsuzuku hatte gleich sein Vorstellungsgespräch und musste sich sicher darauf konzentrieren, da war jetzt keine Zeit, tiefgrabende Gespräche zu führen.
Mir blieb nichts anderes übrig, als mir weiter Sorgen zu machen und zu warten, dass ein halbwegs passender Moment kam, in dem ich meinen Freund endlich darauf ansprechen konnte. Denn obwohl ich auch Angst davor hatte, ahnte ich, dass wir, wenn er weiter darüber schwieg, ein echtes Problem haben würden. Und davor hatte ich noch mehr Angst.
Nach dem Frühstück machte Tsuzuku sich alleine auf den Weg in die Innenstadt. Meinem Wissen nach wollte er sich vorher mit der Sozialarbeiterin vom Hikuyama-Tempel treffen und mit ihr zusammen zu dem Bodyart-Studio gehen, um sich da für eine Arbeitsstelle vorzustellen.
Das beruhigte mich ein bisschen, denn so musste er nicht allein da durch und ich hatte gestern beim Kauf des Handys schon bemerkt, dass er irgendwie Probleme damit hatte, solche Situationen alleine durchzustehen. Eigentlich seltsam, wo er doch sonst so selbstbewusst war.
Und zum ersten Mal fiel mir so richtig auf, dass mein Freund offenbar wirklich zwei Seiten hatte, einerseits so und andererseits ganz anders war, und das in mehrfacher Hinsicht. Ich setzte mich ins Wohnzimmer aufs Sofa und schaute aus dem Fenster, während ich mir weiter Gedanken machte, versuchend, Tsuzuku noch besser zu verstehen und vielleicht so selbst dahinter zu kommen, was mit ihm in letzter Zeit nicht stimmte.
Er schien ein großes Stück seines Selbstbewusstseins durch irgendetwas verloren zu haben, langsam, schleichend, und es dauerte lange, bis ich darauf kam, dass es möglicherweise an dem Tag im letzten Jahr begonnen hatte, als das mit der Frau bei ihm im Tempel passiert war. Ich wusste ihren Namen nicht mehr, aber was ich noch wusste, war, dass das, was sie getan hatte, Tsuzuku einen ziemlichen Schlag versetzt hatte. Auch, wenn er nicht viel darüber gesprochen hatte. Ich hatte einfach das Gefühl, dass es da begonnen hatte, und es war diese Art von Gefühl, die mich selten trog.
Da ich heute nichts weiter zu tun hatte, beschloss ich, dem Ganzen mal etwas genauer nachzugehen. Wenn Tsuzuku mir nicht sagen konnte oder wollte, was los war, musste ich es eben, so gut es ging, selbst herausfinden. Ich stand auf, packte meine Handtasche, schrieb für Tsu einen Zettel („Bin Mama und Papa besuchen.“) und verließ die Wohnung in Richtung Bahnhof, um in meine Heimatstadt zu fahren. Mein Ziel war der Tempel, vielleicht konnte ich dort mit jemandem sprechen, zum Beispiel mit Tsuzukus Zimmergenossen Komori, falls dieser noch dort war.
Im Zug kam mir kurz der Gedanke, dass es vielleicht nicht ganz richtig war, wenn ich meinem Freund sozusagen nachspionierte, doch ich rechtfertigte das vor mir selbst damit, dass ich mir Sorgen um ihn machte und ihm vielleicht helfen musste.
Ich ging direkt zum Tempel, die Frau am Eingangstresen kannte mich noch und ich fragte nach Frau Sato. Doch die war nicht da und ich erfuhr, dass ausgerechnet sie es war, die Tsu heute zu dem Vorstellungsgespräch begleitete. Und außerdem dürfe sowieso keiner hier mir Informationen geben, wegen der Schweigepflicht. Da nützte es auch nicht, dass ich sagte, dass ich Tsuzukus engste Bezugsperson war und er außer mir, meinen Eltern und Koichi niemanden hatte.
„Komori… noch da…?“, fragte ich schließlich.
„Ja, der ist noch hier“, sagte die Frau und erlaubte mir auch, zu dem Zimmer zu gehen, in dem Tsu mit ihm zusammen gewohnt hatte.
Komori saß auf dem Bett und rauchte, als ich die Tür öffnete und das Zimmer betrat.
„Na“, sagte er. „Wie geht’s Tsu?“
„Geht… so…“, antwortete ich. „Er… hat irgendwas… und ich weiß… nicht, was… Hat er… zu dir mal… irgendwas gesagt…?“
„Nein“, antwortete Komori. „Seit wann ist er denn schon so?“
„Ich glaube… das… ging schon los, als… als das mit… der Frau hier… passiert ist…, die sich verletzt hat. Seitdem… ist er… langsam… irgendwie… anders geworden…“
„Hitomi?“
Jetzt erinnerte ich mich wieder an den Namen und nickte.
Komori stand auf, drückte seine Zigarette in den Aschenbecher und sagte dann: „Mach mal die Tür zu. Ich glaube, ich weiß da was.“
Ich schloss die Schiebetür hinter mir und setzte mich auf das leere Bett, das zuvor für ein paar Monate Tsuzukus gewesen war.
Und dann erzählte Komori mir folgendes: In der Nacht damals war er vom Sirenengeheul aufgewacht und hatte gesehen, dass Tsuzukus Bett leer war. Er hatte jedoch nur angenommen, dass Tsu einfach nicht schlafen konnte und ein bisschen rausgegangen war, und gedacht, die Sirenen kämen von einem einfach vorbeifahrenden Krankenwagen. Deshalb war er nicht aufgestanden und hatte stattdessen gewartet, bis Tsuzuku wieder ins Zimmer kam. Als der dann wiederkam, bemerkte er offensichtlich gar nicht, dass Komori wach war. Doch dieser sah ihn, wie er schwankend hereinkam, die Tür hinter sich zuknallte, taumelnd ins Bett fiel und sich die Decke über den Kopf zog. Komori glaubte auch, unterdrücktes Weinen gehört zu haben, doch da war er sich nicht sicher.
Am nächsten Morgen fehlte Hitomi, und Komori erfuhr, dass sie sich beinahe umgebracht hatte. Er ging davon aus, dass Tsuzuku die daraus folgende Aufregung im Tempel nachts mitbekommen hatte und deshalb so geschockt gewesen war.
„… Aber irgendwie kam mir das so vor, als ob da noch mehr dahinter steckte“, schloss er und sah mich dann an.
Ich nickte. „Wo… ist Hitomi …jetzt?“, fragte ich.
„Sie ist nicht mehr hierher zurück gekommen, sondern gleich in die Psychiatrie. Ob sie da noch ist oder nicht, weiß ich nicht“, sagte Komori. „Sag mal, kannst du Tsuzuku ausrichten, dass ich in ein paar Tagen in meine neue Wohnung ziehe und dass er mich da mal besuchen soll? Er hat die Adresse schon.“
„M-hm“, machte ich, nicht wissend, wie ich Tsu überhaupt erklären sollte, dass ich Komori getroffen hatte. Wahrscheinlich musste ich lügen und sagen, dass ich ihm in der Stadt begegnet war oder so.
Ich verabschiedete mich wieder von Komori und machte mich auf den Weg zu meinem Elternhaus. Dabei kam ich, ohne dass ich es zuerst so recht bemerkte, durch ein Viertel, das mir erst, als ich an einem bestimmten Haus vorbeikam, Erinnerungen wieder wachrief, die ich bis jetzt ziemlich erfolgreich vergraben hatte. Es war die Gegend, in der MiA lebte, und ich blieb unwillkürlich stehen, als mein Blick im Vorbeigehen an dem Fenster im zweiten Stock hängen blieb, das zu seiner Wohnung gehörte. Hinter der Scheibe sah ich seine weiße, plüschige Katze sitzen und hinausschauen, und Sekunden später ertappte ich mich selbst dabei, wie ich ein wenig hoffte, dass er ebenfalls ans Fenster kam und mich sah. Es tat seltsamer- und glücklicherweise kaum weh, hier zu stehen und zu seiner Wohnung hochzuschauen. Doch es war definitiv besser, wenn ich jetzt schnell weiter ging, bevor er wirklich noch ans Fenster kam und mich bemerkte. Ich lächelte der Katze (Sawako hieß sie, oder?) ein wenig zu, dann ging ich weiter.
Als ich dann mein Elternhaus erreichte, fühlte sich das irgendwie merkwürdig an. Nicht schlecht, aber … seltsam eben. Ein bisschen so, als würde ich in ein Leben zurückgehen, das nicht mehr so sehr meines war, obwohl es ja gerade einmal ein paar Tage waren, die ich nicht mehr hier wohnte. Ich verstand jetzt, warum Tsuzuku nicht mehr in den Akutagawa-Park wollte.
„Yuu!“, begrüßte Mama mich strahlend an der Tür und umarmte mich.
„Hey, Mom.“
„Wie geht’s dir?“
„Okay“, antwortete ich, zog meine Schuhe aus und folgte Mama in die Küche.
„Und Genki? Geht es ihm besser?“
Ich setzte mich auf meinen alten Platz am Küchentisch und schüttelte den Kopf.
„Was ist denn los?“, fragte Mama, während sie zwei Teetassen aus dem Schrank holte.
„Weiß nicht. Er … hat irgendwas, aber er … will nicht mit mir … drüber reden.“
Mama gegenüber wurde es mit dem Sprechen auch immer besser. Seit wir uns wieder näher standen, stockte meine Sprache bei ihr nur noch ein wenig. Vielleicht, so vermutete ich, brauchte ich einfach viel Vertrauen, um richtig sprechen zu können.
„Was, warum denn nicht?“
„Ich hab … keine Ahnung. Ich mach mir … Sorgen um ihn, …aber er sagt immer nur ‚Alles okay‘ …und so was. Manchmal bin ich… ganz nah dran, aber er …blockt immer ab...“
Mama stellte mir eine der Tassen hin und begann, Tee zu machen.
„War er eigentlich mal beim Psychologen oder so?“, fragte sie.
„Im Tempel“, antwortete ich. „Aber … ich glaube nicht, … dass Tsu da wirklich … geredet hat.“
Erst jetzt wurde mir klar, dass ich gerade zum ersten Mal überhaupt darüber sprach, dass mein Freund offenbar ein schmerzhaftes Geheimnis vor mir hatte. Und wie große Sorgen ich mir tatsächlich um ihn machte. Ich hatte Angst, dass er das Vorstellungsgespräch, das in diesem Moment stattfand oder vielleicht schon vorbei war, nicht packte, und dass ihn das runterziehen würde. Runterziehen, das konnte in seinem Fall auch einen Rückfall bedeuten. Ich erinnerte mich noch allzu gut an die Anfangszeit unserer Freundschaft, als es ihm richtig, richtig schlecht gegangen war und ich unheimliche Angst um ihn gehabt hatte. Auf keinen Fall durfte er in diese alten Muster zurückfallen!
Dass ich kurz vorm Weinen war, merkte ich erst, als Mama mich auf einmal in den Arm nahm.
„Yuu“, sagte sie leise, und das reichte, damit mir die ersten Tränen über die Wangen liefen. „So schlimm, das alles?“
Ich nickte weinend, spürte erst jetzt so richtig, wie sehr mich die Sorge um Tsuzuku belastete und dass ich wieder Angst um ihn hatte. Warum war denn schon wieder alles so schwer? Warum sagte er mir nicht, was los war?! Es verletzte mich, dass er mir offenbar doch weniger vertraute, als ich gedacht hatte, oder mir nicht zutraute, mit seinem Problem klarzukommen. Wir hatten doch so viel zusammen durchgestanden!
„Ihr müsst miteinander reden“, sagte Mama, ließ mich los und sah mich an. „Sonst tut ihr euch gegenseitig immer mehr weh. Schau, wie sein Gespräch heute gelaufen ist, und dann, ob du heute Abend oder so mit ihm reden kannst.“
„Er wird… nur sagen, …dass ich mir …keine Sorgen machen… soll…“ Ich schniefte und fuhr mir mit der Hand über die Augen, was meinem Make-up natürlich den Rest gab. Irgendwie, so dachte ich, musste ich Tsuzuku doch zeigen und beweisen können, dass ich ihn über alles liebte und dass er mit mir über all das sprechen konnte, was in ihm vorging. Nur wie, das wusste ich nicht.
Ich blieb noch eine Weile, trank den Tee, den Mama mir einschenkte, und beruhigte mich wieder. Mein Make-up stellte ich in Mamas Badezimmer mit ihren Sachen wieder her. Dann wollte ich zurück in mein neues Zuhause, auch weil das Vorstellungsgespräch inzwischen vorbei und Tsuzuku eigentlich wieder zu Hause sein musste.
Und so verabschiedete ich mich wieder von Mama und versprach, demnächst mit Tsu zusammen wieder zu kommen.
Im Zug hörte ich Musik und versuchte, an nichts zu denken. Es half uns bestimmt nicht weiter, wenn ich jetzt auch noch Angst hatte und niedergeschlagen war. Stattdessen sollte ich, so wie immer, versuchen, meinen Freund so glücklich wie eben möglich zu machen.
Als ich unsere Wohnung wieder betrat, sah ich Tsuzuku umgezogen auf unserem Bett liegen, wieder in alltäglichen Kleidern. Er blickte an die Decke und sah ziemlich nachdenklich, fast traurig aus.
„Hey“, sagte ich leise, ging auf ihn zu und setzte mich auf die Bettkante.
Er hob den Kopf, sah mich an und augenblicklich hellte sich sein Gesichtsausdruck auf. „Meto! Ich hab den Job!“ Mit einem Ruck setzte er sich auf und ich umarmte ihn.
„Ich freu mich für dich“, sagte ich, küsste seine Wange, und er schmiegte sich an mich.
„Und wo warst du?“, fragte er dann und löste sich wieder von mir.
„Bei meiner Mama. Ich … wollte sie mal besuchen.“ Ich dachte an mein Treffen mit Komori und daran, dass ich Tsu etwas von ihm ausrichten sollte, und fügte hinzu: „Und ich hab Komori getroffen. Er sagt, er zieht bald in seine neue Wohnung und du sollst ihn besuchen.“
„Du warst im Tempel?“ Mein Freund sah mich verwundert an. „Warum das denn?“
Sollte ich lügen? Sagen, dass ich Komori zufällig in der Stadt getroffen hatte? Oder die Wahrheit sagen und damit möglicherweise bewirken, dass Tsuzuku erfuhr, dass ich ihm sozusagen nachspioniert hatte?
„Tsu, ich …“, begann ich zögernd.
„Was?“ Er sah mich an und ich glaubte, in seinem Blick zu erkennen, dass er ahnte, dass ich einen Fehler gemacht hatte.
„… Ich wollte …“, brachte ich langsam heraus, und dann ging es ganz schnell, die Worte sprudelten nur so aus mir heraus: „Ich mach mir Sorgen um dich! Deshalb war ich bei Komori. Weil ich dachte, dass er vielleicht ‘ne Ahnung hat, was mit dir los ist! Du bist irgendwie … anders, als ich dich kenne, und das macht mir Angst.“
Tsuzuku sah mich erschrocken an. Ich hatte ihn erwischt. War genau an den Punkt gekommen, den er vor mir zu verbergen versuchte.
„Wie … anders?“, fragte er mit zitternder Stimme.
Ich kannte kein Halten mehr. In meinem Kopf war ein Schalter umgesprungen und die Worte, die Angst und Sorge, all das kam hoch und raus. Ihm nicht in die Augen sehen könnend, blickte ich zu Boden, spürte wieder Tränen in meinen Augen und machte meiner Sorge Luft.
„Tsuzuku, ich merk doch, dass du was hast! Du hast Angst vor irgendwas, und du versuchst, dich zu verstellen! Ich weiß kaum mehr, was in dir vorgeht, weil du nichts sagst, aber ich spüre, dass da was ist, was Großes, und dass du dich davor fürchtest! Und ich krieg Angst um dich, dass du rückfällig wirst und so was! Wieso sagst du mir nicht, was los ist?!“
„Meto …“, sagte er leise, ich sah aus dem Augenwinkel, dass er ebenfalls zu Boden blickte. „Meto, ich kann nicht. Ich kann nicht drüber reden. Mit niemandem. Du musst nicht denken, dass ich dir nicht vertraue und dir deshalb nichts sage, das ist es nicht, auf keinen Fall.“
„Sag mir wenigstens ungefähr, was es ist!“, wurde ich laut.
Jetzt konnte ich ihn auch wieder ansehen, sah die Verzweiflung in seinem Blick. Und er schüttelte den Kopf.
„Meto, bitte, lass uns ein anderes Mal darüber reden. Ich bin ziemlich erschöpft, dieses Vorstellungsgespräch war nicht so einfach für mich, und …“ Er schwieg einen Moment, sah mich lange an und fügte dann hinzu: „… Du hast Recht. Ich habe Angst. Und ich … spüre auch, dass ich wieder … unter Druck gerate.“
„Kann ich …“, fragte ich leise, „… irgendwas für dich tun?“
Tsuzuku hob die Hand, berührte meine Wange, streichelte mich und sagte: „Warte bitte … auf mich. Irgendwann kann ich dir sagen, was los ist. Ich muss nur erst mal selber damit klarkommen. Bis dahin … sei einfach meine Sonne, Meto. Das kannst du doch, oder?“
Ich nickte, versuchte auch, ein wenig zu lächeln. Tsu beugte sich vor, seine Hand wanderte in meinen Nacken und er küsste mich, ganz vorsichtig und sanft. Und irgendwie schaffte er es damit, dass ich mich beruhigte.
Tsuzuku stand auf, ging aus dem Zimmer auf den Flur, ich folgte ihm und sah, wie er seine Schuhe und die Jacke anzog.
„Wo … gehst du hin?“
„Die Straße runter ist dieses Sportstudio, da will ich mich anmelden. Ich ... brauche was, wo ich mich auspowern kann.“
Ich nickte nur, und ging dann, als er weg war, in die Küche, um so was wie ein Mittagessen für uns zu machen. Ich hatte Koichi neulich genau zugesehen und glaubte, dass ich es schon irgendwie hinbekommen würde, dass nicht alles anbrannte. Und wenn doch, dann waren da immer noch zwei Tiefkühlpizzen.
Und so machte ich mich ans Werk, versuchte mithilfe von Mamas Kochbuch, aus dem, was wir im Schrank hatten, ein schönes Essen zu zaubern, etwas, von dem Tsu gern essen würde. Irgendwann fing es sogar an, mir richtig Spaß zu machen. Es war gar nicht so kompliziert, wie ich gedacht hatte, und am Ende saß ich zufrieden am Tisch, auch wenn ich es nur zu Nudeln mit Soße gebracht hatte. Aber immerhin, es war essbar und schmeckte sogar gut.
Und als Tsuzuku dann nach einer ganzen Weile wiederkam, fragte er schon im Flur, was denn hier so gut roch.
„Ich hab gekocht“, antwortete ich, zugegebenermaßen ziemlich stolz auf mein Werk.
„Das ist gut, ich hab Hunger.“ Er setzte sich auf seinen Platz mir gegenüber und nahm sich eine Kelle voll Nudeln, dann Soße und ein bisschen Pfeffer.
Ich wunderte mich ein bisschen, wollte mir aber nicht andauernd Sorgen um ihn machen und sagte deshalb nichts, auch nicht, als er zu essen begann und das ziemlich gierig wirkte.
„Mmmh, das ist sehr gut“, sagte er zwischendurch und ich lächelte, aß ebenfalls und freute mich, dass es Tsuzuku offenbar gut ging, auch wenn ich nicht recht verstand, warum er jetzt auf einmal so gut drauf war.
„Hast du heute noch irgendwas vor?“, fragte er nach dem Essen.
„Nein, nicht wirklich. Wieso?“
„Weil ich gerne mit dir zum Strand gehen würde. Und danach vielleicht ins Schwimmbad hier, was meinst du?“
„Ja … Ja klar, gerne“, antwortete ich. „Aber wie kommst du darauf?“
„Ich hab jetzt ‘nen Job, das müssen wir doch feiern“, antwortete er lächelnd.
Vielleicht sollte ich mich gar nicht so viel fragen, was denn wohl die Gründe für Tsuzukus Launen waren, sondern mich einfach freuen, wenn es ihm gut ging, und mir nur dann Sorgen machen, wenn er wirklich ein Problem hatte.
Wir packten uns eine Tasche mit Badesachen, Handtüchern und so weiter, verließen die Wohnung und nahmen die Stadtbahn in Richtung Strand. Heute war es zwar kühl, windig und bewölkt, aber das machte mir wenig aus, solange es nur nicht regnete.
Das Meer hatte diese schöne, graublaue Farbe, da waren viele Wellen und die Möwen tanzten im Wind über dem Wasser, ich hörte ihre typischen Schreie und fühlte mich auf einmal richtig gut. Wir gingen runter auf den grauen Sand, blieben dort, ganz nah am Wasser, eine Weile stehen. Tsuzukus Arm um mich, seine Nähe, das Meer, der Wind, der uns durch die Haare fuhr, das erinnerte mich an unsere Reise damals. Wir waren als beste Freunde losgefahren und als Liebende zurückgekehrt, zuerst war es noch heimlich gewesen, jetzt waren wir ein richtiges Paar.
Tsuzuku zog mich eng an sich, ich sah ihn an und fand ihn auf einmal wahnsinnig wunderschön. Nicht, dass ich ihn nicht sonst auch schön fand, aber in diesem Moment war da so ein Strahlen in seinen Augen, das mich beinahe schon rührte und mein Herz wie wild klopfen ließ.
„Ist dir kalt?“, fragte er.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, gar nicht.“
„Du zitterst ein bisschen.“
„Ich bin … irgendwie aufgeregt. Weil ich … dich so wahnsinnig lieb habe.“
Er lachte leise, dieses liebe, süße Lachen, dann antwortete er: „Dann lass uns mal ins warme Wasser gehen, bevor du noch wirklich frierst.“
Fast hätte ich erwidert, dass er ja wohl derjenige war, der eher zu frieren anfing, doch im letzten Moment ließ ich es, wollte nicht schon wieder dieses Thema hochholen.
Das Schwimmbad war nur ein kleines Stück vom Strand entfernt, und es war eins von diesen ganz modernen Bädern, in denen wir wegen unserer Tattoos und Piercings wohl keine Probleme zu erwarten hatten. Wir zogen uns schnell um und in der Vordusche dachte ich kurz daran, wie ich im vergangenen Jahr immer mit Tsuzuku im Badehaus unserer Heimatstadt gewesen war. Ich war mir sicher, dass er sich jetzt ebenfalls daran erinnerte.
Zum Glück war es nicht sehr voll, aber weder ich noch Tsu hatte großartig Lust, richtig zu schwimmen. Stattdessen fanden wir eine Grotte in einem der kleineren Wasserbecken und setzten uns dort hinein, um ein bisschen für uns allein zu sein. Das Wasser war aufgeheizt und roch ein wenig nach Salz, vielleicht kam es aus dem Meer.
Es dauerte nicht lange, bis Tsuzuku die Privatsphäre unseres ‚Verstecks‘ nutzte und begann, mich zu streicheln und zu küssen, was ich mit einem angetanen Seufzen erwiderte und ihn ebenfalls ein wenig anfasste. Durch sein Training den Winter über hatte er schön an Bauch- und Armmuskeln zugelegt, die ich jetzt unter meinen Händen spürte, und die ihn weniger mager wirken ließen.
An der gekachelten Wand hing ein kleines Hinweisschild mit Uhrzeiten, zu denen das Wasser hier zu sprudeln anfing, und als es das schließlich auch tat, stand Tsu kurz auf, lächelte und kniete sich dann über meine Beine, sodass ich ihn richtig umarmen konnte. Ein bisschen vorsichtig, drückte er sich an mich, senkte den Kopf, bis seine Lippen an meinem Ohr waren, und sprach, gerade so laut, dass ich es durch das Geräusch des Wassers verstehen konnte: „Ich … würd das gern so lassen. Dass ich dich einfach küssen und berühren kann, … ohne gleich mit dir schlafen zu wollen.“
„Dann mach das doch so“, antwortete ich.
„Ich … kann mich kaum beherrschen. Am liebsten würde ich jetzt mit dir zurück nach Hause und ins Bett, dich nehmen und spüren, dass du fest zu mir gehörst. Aber … andererseits will ich das nicht.“ Er hob die Hand, sah mich an und strich mit dem Daumen sanft über meine Lippen. „Meto, ich will, dass es romantisch ist zwischen uns. Und das … kriege ich beim Sex nicht so hin, das Romantische.“
Zum ersten Mal seit Wochen hatte ich wieder das Gefühl, dass Tsuzuku wirklich mit mir redete, mir einen Blick auf sein Innerstes erlaubte und so offenherzig war, wie ich ihn kannte. Ich legte meine Arme um ihn, zog ihn an mich und küsste ihn, innig und liebevoll, versuchte, ihm zu verstehen zu geben, dass ich seine Mühen zu schätzen wusste. Er seufzte genießend, schmiegte sich an mich, seine Hände strichen über meinen Rücken und auf einmal kam mir das ohnehin sehr warme Wasser noch heißer vor. Ich ahnte, in welche Richtung das hier ging, aber es fühlte sich einfach zu gut an, um mich dagegen zu wehren.
„Meto …“, flüsterte Tsuzuku. „Ich liebe dich, so, so, so sehr …“
„Ich dich auch, sehr, aber …“ Ich nahm mich zusammen, sammelte das ein, was in diesem Moment von meinen aktiven Hirnzellen noch übrig war, und brachte ein wenig Abstand zwischen uns.
Er stoppte, ließ mich los, stieg von mir runter und setzte sich wieder neben mich. „Tut mir leid … Es überkommt mich einfach so …“
„Ist doch nicht schlimm“, sagte ich. „Aber du hattest eben noch gesagt, dass du’s langsamer angehen lassen willst, deshalb …“
Tsuzuku lächelte, drückte mir einen kurzen Kuss auf die Lippen und stand auf. „Komm, wir gehen noch ein bisschen schwimmen.“
Wir stiegen aus dem heißen Wasser und gingen wirklich noch ein paar Bahnen schwimmen. Danach blieben wir noch ein bisschen am Rand und sahen den anderen Menschen zu. Tsu wirkte ziemlich entspannt und ab und zu lächelte er mich an.
Als wir, abgetrocknet und angezogen, das Schwimmbad wieder verließen, war es schon ganz dunkel draußen und noch windiger als vorhin. Wir gingen noch mal runter zum Strand, Tsuzuku umarmte mich wieder und wir blieben eine Zeit lang einfach so stehen.
„Heute Nacht machen wir nichts“, sagte er nach einer Weile. „Ich bin viel zu erschöpft, und außerdem … will ich mich jetzt wirklich mal beherrschen lernen.“
Ich wollte erwidern, dass er das nicht musste, doch er legte mir den Zeigefinger auf die Lippen.
„Shhh… Das ist meine Entscheidung.“
Bald darauf fuhren wir mit der Stadtbahn nach Hause zurück. Ich spürte, dass Tsuzuku sich Mühe gab mit der Selbstbeherrschung, aber es schien ihm so gut zu gehen, dass ich mir jetzt keine Sorgen machte. Im Zug nahm er zwar meine Hand, hielt aber sonst einen gewissen Abstand zu mir, und auch, als wir am Haus angekommen waren, wirkte er ganz ruhig und beherrscht. Immer, wenn er mich ansah, war da dieses feine, hübsche Lächeln auf seinen Lippen, das mir versicherte, dass er sich gut fühlte und das gab mir fast noch mehr Sicherheit, als wenn er mich geküsst hätte.
Wir machten uns gleich bettfertig, ohne noch etwas zu essen, und gingen dann ins Schlafzimmer. Tsuzuku streckte die Arme nach mir aus und ich legte mich zu ihm, ganz nah, wollte seine Nähe spüren, sein Atmen, seinen Herzschlag. Er trug ein einfaches weißes T-Shirt und schwarze Shorts als Schlafsachen und ich wusste, er war jetzt nicht dazu zu bewegen, sich auszuziehen und noch irgendwas zu machen. Statt auf den Mund gab er mir einen Kuss auf die Stirn, zog mich nicht so eng an sich wie sonst und sagte leise: „Ich mach jetzt Ernst, Meto. Ich werde mit aller Mühe, die ich mir geben kann, versuchen, gut zu dir zu sein.“
„Bist du doch schon. Tsu … hab ich mich jemals beschwert, dass du mir kein guter Freund bist? Nein. Weil ich dich liebe, so, wie du bist. Du musst dich nicht großartig verändern.“
„Das ist lieb von dir. Aber ich ertrag mich selber kaum noch. Ich muss was ändern.“
„M-hm …“ Mehr wusste ich nicht zu sagen. Tsuzuku schien sich in diesem Moment ganz sicher zu sein. Ich ahnte zwar, dass er auch noch wieder anders denken würde, spätestens dann, wenn ich wieder anfing, ihn zu verführen, aber für diesen Moment war das so okay.
Und so blieben wir einfach so liegen, ich streichelte ihn ein wenig und er mich, und schließlich holte ich Ruana dazu. Tsuzuku lächelte, tippte ihr auf die schwarze Bärchennase und entschuldigte sich bei ihr dafür, dass sie wegen seiner Sehnsucht nach mir kaum noch geknuddelt wurde.
„Wie lange hast du sie schon?“, fragte er mich.
„Schon seit ich klein war, so vier oder fünf“, antwortete ich. „Sie sah auch nicht immer so aus.“
„Wer hat sie denn so … schick gemacht?“
„Sie ist mal kaputt gegangen, da hat meine Oma sie so repariert.“
Tsuzuku lachte leise. „Deine Oma, die jetzt auf Kyushu lebt?“
„Nein, die andere. Die lebt schon nicht mehr.“
„Oh …“
„Sie ist gestorben, als ich neun war. Muss dir nicht leidtun oder so, ich bin längst drüber hinweg.“
Wir redeten noch ein wenig über meine Familie, so dies und das, ich erzählte Tsuzuku ein bisschen was aus meiner Kindheit und er hörte mir einfach zu. Über seine Familie sprachen wir nicht, oder fast nicht, denn er erzählte kurz, dass er seine Großeltern nie kennen gelernt hatte.
„Du kannst meine Familie mit haben“, sagte ich lächelnd. „Für Mama und Papa gehörst du sowieso schon dazu.“
Als Antwort wurde ich fest umarmt und bekam einen Kuss.
„Danke“, flüsterte Tsuzuku, und ich dachte an das mit seiner Mama, fragte mich, ob es wohl möglich war, dass er irgendwann darüber hinweg kam. Konnte man über so etwas denn hinweg- und damit zurechtkommen? So ganz, dass es nicht mehr weh tat? Wahrscheinlich nicht, dachte ich.
Tsuzuku bemerkte, dass ich nachdenklich wurde, und fragte: „Woran denkst du?“
Ich antwortete nicht, wollte ihn nicht daran erinnern, und umarmte ihn einfach ganz fest.
„Ich bin für dich da, Tsu. Vergiss das nie.“
Wir blieben so liegen, irgendwann hörte ich seine gleichmäßigen schlafenden Atemzüge und sah, dass er eingeschlafen war. Ich gab ihm einen sanften Kuss und hielt ihn weiter, bis ich selbst einschlief.
Der 6. März begann für mich damit, dass ich mit leichten Kopfschmerzen aufwachte und feststellte, dass ich mich im Schlaf vollkommen in meiner Bettdecke verheddert hatte. Ich konnte mich nicht wirklich daran erinnern, etwas geträumt zu haben, doch anscheinend hatte ich eine recht unruhige Nacht hinter mir, denn wie ich einen Moment später bemerkte, lag ich falsch herum im Bett, spürte das Kopfkissen an meinen Füßen.
Seufzend wickelte ich mich umständlich aus der Decke, setzte mich auf und betrachtete einen Moment lang einfach mein pinkschwarzes Schlafzimmer, bevor ich aufstand und begann, meine Klamotten für heute rauszusuchen.
„Kocha, was ist eigentlich los mit dir?“, murmelte ich auf dem Weg ins Bad zu mir selbst und sah mich im Vorbeigehen im Flurspiegel an.
Oh mein Gott!
Ich starrte mein Spiegelbild ziemlich fassungslos an, denn das, was mich da anschaute, hatte weniger Ähnlichkeiten mit mir, als vielmehr mit einer Art Gespenst. Nicht nur, dass meine Haare einem Vogelnest ernste Konkurrenz machten, ich hatte außerdem dunkle Schatten um die Augen und war recht blass um die Nase.
Willens, meine Schönheit umgehend wiederherzustellen, huschte ich ins Bad, direkt unter die Dusche, und griff dann, als ich mit Duschen fertig war, tief in meine Make-up- und Styling-Trickkiste, um mich wieder in den hübschen, schlafstörungsfreien Koichi zurück zu verwandeln, als den ich mich kannte.
Als ich mir schließlich wieder einigermaßen gefiel und öffentlichkeitstauglich aussah, war es schon ziemlich spät und ich musste das Frühstück in meiner Wohnung ausfallen lassen. Stattdessen würde ich mir wohl am Bahnhof ein Sandwich oder dergleichen holen. Ich schnappte mir meine Handtasche, kuschelte mich in meine Jacke und verließ meine Wohnung in Richtung Bahnstation.
Im Zug hörte ich ziemlich laut Musik, um wach zu werden und in Schwung zu kommen. Es war immer noch dämmrig draußen und ich war froh, dass der Bahnhof gut ausgeleuchtet war.
Kaum ausgestiegen, sah ich Meto auf einer der Bänke sitzen. Er wirkte jedoch ziemlich tief in Gedanken versunken und bemerkte mich erst, als ich direkt vor ihm stand und laut „Hey!“ sagte. Er schrak ein wenig zusammen, sah auf und erkannte mich.
„… Hi, Koichi …“, sagte er leise.
„Na, bereit für deinen ersten richtigen Arbeitstag?“, fragte ich.
Meto nickte und sein Gesicht hellte sich etwas auf.
Wir verließen den Bahnhof in Richtung unseres von nun an gemeinsamen Arbeitsplatzes und ich versuchte, eine Unterhaltung mit ihm anzufangen, indem ich danach fragte, wie es Tsuzuku ging und ob dieser seinen Wunschjob bekommen hatte.
Meto nickte und erzählte mir, dass sie beide, um diesen Erfolg zu feiern, zusammen schwimmen gewesen waren.
Ich konnte mir das nur zu gut vorstellen. Und ich musste zugeben, dass mich nach meiner Recherche letztens irgendwie doch ein wenig interessierte, wie Tsuzuku sich verhielt, wenn er mit Meto allein war. Das zwischen den beiden war so innig und besonders, dass ich … nun ja, ein wenig neidisch war. Immerhin hatte ich selbst zurzeit nicht mal die Aussicht auf ein baldiges Ende meines Singledaseins.
„Koichi?“, riss mich Meto mit leiser Stimme aus meinen Gedanken. „Kann ich… dich was …fragen?“
„Was denn?“
Es dauerte einen Moment, bis Meto antwortete, er blickte zu Boden und schien nicht recht zu wissen, ob er diese Frage nun stellen sollte oder lieber nicht. „…Hat Tsuzuku …mal was zu dir gesagt, ob… irgendwas …mit ihm ist?“
Meto wusste es also auch nicht, genau wie ich. Wir schienen in Bezug darauf, dass Tsuzuku irgendwas mit sich herumschleppte, in derselben Lage zu sein, nicht zu wissen, was mit ihm los war.
„Na ja …“, sagte ich, „er hat mir nur gesagt, dass er nicht darüber sprechen kann. Dass er noch Zeit braucht. Dir sagt er also auch nicht mehr?“
Meto nickte wieder.
„Was …hat er dich… denn gebeten, nachzuschauen…?“, fragte er dann.
Erst wusste ich nicht, ob ich ihm das sagen sollte. Schließlich war es etwas gewesen, um das Tsuzuku mich im Vertrauen gebeten hatte, und vielleicht wollte er nicht, dass ich mit Meto darüber sprach. Doch andererseits … wenn es vielleicht mit dem zusammenhing, weshalb wir beide uns solche Sorgen um ihn machten, hatte sein fester Freund doch irgendwo ein Recht darauf, dass ich ihm sagte, was ich wusste.
„Ich weiß gar nicht, ob du das wissen sollst …“, sagte ich. Wir hatten inzwischen das Café erreicht und ich blieb stehen.
„Kocha, sag’s mir, bitte… Ich mach… mir Sorgen um Tsu, …und wenn du …was weißt…“
„Also gut“, erwiderte ich. „Komm mit, ich sag es dir in der Umkleide, okay?“
Nachdem wir dann das übliche ‚Guten Morgen‘ und so weiter mit meinen Kollegen hinter uns gebracht hatten, zu zweit in der Umkleide standen und uns umzogen, erzählte ich Meto, was ich genau für Tsuzuku recherchiert hatte und was dabei herausgekommen war.
Ich verschwieg sämtliche Namen irgendwelcher Störungen, da ich mir absolut sicher war, dass besser keiner der beiden solche unheimlichen Bezeichnungen erfuhr, und sagte wahrheitsgemäß, dass ich rein gar nichts davon hielt, Tsuzukus nächtliches Verhalten in irgendeiner Form als gestört zu deklarieren.
„So ähnlich… sag ich ihm… das auch immer…“, sagte Meto leise. „Aber …er scheint …da nicht auf mich …zu hören. Eigentlich weiß er… dass ich… es mag, …wenn er so …dominant ist…“
„Hat er eigentlich mal irgendwo ein Buch über psychische Störungen gelesen, oder wie kommt er darauf, sich da als krank zu bezeichnen?“, fragte ich.
Meto schüttelte den Kopf. „Hab ich …noch nie gesehen, …dass er …so ein Buch… hatte…“
„Kennst du dich überhaupt irgendwie mit so was aus, also mit psychischen Sachen?“
Wieder Kopfschütteln seitens Meto. „Gar …nicht…“
„Ich auch nicht. Na ja, ich weiß ein bisschen was, so das, was man so hört und so. Aber was Tsuzuku sich da zusammendenkt, versteh ich auch nicht.“
In dem Moment kam Haruma, einer meiner Kollegen, herein. „Wo bleibt ihr denn?“
„Wir hatten noch was zu besprechen“, sagte ich, sah Meto noch einmal von oben bis unten an (er trug das blaue Kleid und die Perücke, die ich letztes Jahr in meinem Lieblingsladen für ihn ausgesucht hatte), befand sein Outfit für süß und fühlte mich ein bisschen wie sein Senpai. Ich wollte mein Bestes geben, dass er sich hier wohl fühlte und gern arbeitete.
„Komm, Meto, der Chef will dich sehen“, sagte Haruma.
Meto wirkte unheimlich aufgeregt, als wir zum Büro unseres Chefs gingen. Verständlich, war es doch meinem Wissen nach das erste Mal, dass er sich für einen Job vorstellte. Er hatte mir erzählt, dass er seit dem Schulabschluss nichts mehr wirklich gemacht und seine Tage stattdessen im Park verbracht hatte. Grund dafür war wohl sein Problem mit dem Sprechen.
Bevor ich die Bürotür öffnete, legte ich Meto kurz die Hand auf die Schulter. „Du schaffst das schon.“
Er nickte etwas unsicher, atmete tief durch und betrat das Büro.
Ich wandte mich meiner Arbeit zu, die wieder einmal darin bestand, Kuchen aus dem Kühlraum in die Theke zu bringen und die Selbstreinigungsautomatik der Kaffeemaschinen anzuwerfen. Schon standen die ersten Mädels vor der Tür, die hier frühstücken wollten, und ich öffnete die Eingangstür, begrüßte die Gäste mit meinem üblichen Lächeln und erkannte unter ihnen auch die eine oder andere Stammbesucherin.
Als ich schon mitten bei der Arbeit war, kam Meto endlich von dem Gespräch zurück. Er strahlte glücklich und ich freute mich unheimlich, ihn jetzt zu meinen Kollegen zählen zu dürfen. An seinem Kleid glitzerte das mit silbrigem Glitter verzierte Namensschild mit der Katakana-Aufschrift ‚Meto‘ und er schien sehr stolz darauf zu sein.
„Na, geschafft?“, fragte ich.
Er nickte strahlend, legte dann den Kopf ein wenig schief und sah mich mit großen Augen an.
„Und jetzt sagst du nichts mehr?“
Breites Grinsen, Kopfschütteln und lautloses Lachen war die Antwort.
Die Mädchen am Tisch hinter mir machten sich gar nicht erst die Mühe, ihr begeistertes Quietschen zu unterdrücken.
„Meto-chaaaan!“, rief eine. „Einen Chai-Tee bitte!“
Er sah mich fragend an und ich ging mit ihm zur Theke, um ihm zu zeigen, wie man so einen Tee zubereitete.
Der Vormittag lief ziemlich gut. Ich kam zuerst zwar kaum selbst dazu, die nach mir rufenden Mädchen zu bedienen, weil ich mich heute erst einmal mehr um Meto kümmern wollte, doch mit der Zeit kam er immer besser allein zurecht und ich konnte mich wieder meiner eigenen Arbeit zuwenden.
Es machte mich ziemlich happy, zu sehen, wie er aufblühte und fast die ganze Zeit über lächelte. Wenn Meto so strahlte, dann konnte ich gut nachvollziehen, warum Tsuzuku ihn als seine Sonne bezeichnete und so sehr liebte. Für jemanden wie Tsu, der im Leben solche Dunkelheit erlebt hatte, war ein so süß lächelnder, lieber Mensch wie Meto wie geschaffen.
Die Mittagspause konnten wir leider nicht zusammen verbringen, da es um die Zeit eine Menge für mich zu tun gab und ich deshalb meine etwas nach hinten verschieben musste, während Meto schon gegen zwölf Uhr eine Pause machen konnte. Er wirkte ein bisschen erschöpft, was ja kein Wunder war, schließlich war er Arbeit nicht gewöhnt. Doch es schien ihm gut zu gefallen und er hatte offenbar eine Rolle gefunden, die er hier spielen konnte und mit der er auch gut ankam.
Am Nachmittag hatten wir dann endlich wieder eine Gelegenheit zu einer gemeinsamen Pause. Wir standen im Hinterhof an der Wand, ich rauchte und bot Meto auch eine Zigarette an. Doch er schüttelte den Kopf.
„Ich hab dich doch schon rauchen gesehen“, sagte ich.
„…Will aber …aufhören“, antwortete er. „Tsu …raucht schon… so viel…“
Ich nickte. Mir war auch schon aufgefallen, dass Tsuzuku, seit er es sich wieder leisten konnte, sehr viel rauchte, und fand es da verständlich, wenn Meto damit aufhören wollte.
„Sag mal …“, begann ich, „Ohne dich jetzt irgendwie ausfragen zu wollen … Aber, na ja, ich wüsste gern, wie Tsuzuku eigentlich auf die Idee kommt, seinen Anteil an eurem Intimleben als krank zu bezeichnen. Er ist doch immer lieb zu dir, oder?“
Meto sah mich überrascht an, ein leichter Rotschimmer schlich sich auf seine Wangen und er nickte mit einem kleinen Lächeln. „Ja, ist er. Ich… liebe ihn, und er mich… Deshalb versteh ich’s ja nicht. Er… scheint …zu denken, dass er …mich bedrängt. Nur …weil er mir… ein Mal wehgetan hat. Und dann …ist er auch wieder …anders, kann… kaum die Hände …von mir lassen…“
„Habt ihr seitdem noch mal … miteinander geschlafen?“
„Ja… Und es war schön, …total schön…“
„Du hältst mich jetzt für neugierig, oder?“, fragte ich, zugegeben ein wenig unsicher.
Meto lachte, wirkte auf einmal total selbstbewusst und sagte dann, ohne Stocken: „Alles okay, Koichi. Es tut gut, mal mit jemandem darüber zu reden.“
Ich staunte ein wenig. Der Sprachfehler ließ Meto irgendwie so schüchtern und unsicher wirken, doch das war er gar nicht. Zumindest nicht immer. Er war viel mutiger, stärker und selbstbewusster, als er auf den ersten Blick wirkte. Wo auch immer dann sein Problem mit dem Sprechen her kam.
„Ich würde euch einfach gern helfen, wenn ich kann und darf“, sagte ich.
„Natürlich… darfst du“ antwortete er.
Den Rest der Pause redeten wir über nicht mehr und nicht weniger als Metos Gefühle für Tsuzuku, ungefähr das, was die beiden zusammen taten, und dass Tsu sich irgendwie verändert hatte.
Mit jedem Satz stockte Meto weniger, sprach flüssiger und wirkte dadurch selbstsicherer. Ich hatte das Gefühl, dass er jetzt endlich wirklich Vertrauen zu mir gefasst hatte, und war mir im Klaren darüber, dass es etwas Besonderes war, wenn er so einfach mit mir sprach. Schließlich wusste ich, dass er lange Zeit nur mit Tsuzuku so flüssig hatte sprechen können.
Als wir zurückgingen und uns wieder unserer Arbeit zuwandten, hatte ich das Gefühl, mich mit Meto richtig angefreundet und ihm auch ein wenig geholfen zu haben.
Der weitere Nachmittag verlief ähnlich gut wie der Vormittag und als Meto und ich abends zusammen zum Bahnhof gingen, fragte ich mich, ob Tsuzukus erster Arbeitstag ähnlich gut gelaufen war. Ich hoffte es sehr, denn so, wie er im Moment drauf war, konnte er beruflichen Misserfolg ganz sicher nicht gebrauchen. Ich spürte, dass seine allgemeine Stimmung wieder auf recht unsicherem Boden stand, und etwas in mir erwartete schon, dass es in nächster Zeit schwer mit ihm werden würde.
„Meto?“, fragte ich den Jungen neben mir deshalb, „Kannst du Tsuzuku sagen, er soll mich heute Abend noch mal anrufen?“
„Ja, klar. Kann er ja jetzt. Ich sag’s ihm.“
Der Zug in meine Gegend kam früher als der, den Meto nehmen musste, und so ließ ich ihn kurz darauf auf dem Bahnsteig zurück und fuhr nach Hause. Schon in der Bahn hatte ich ein etwas seltsames, irgendwie nicht sehr gutes Gefühl, und als ich ausstieg und in Richtung meines Zuhauses lief, wurde dieses Gefühl immer stärker, bis ich, als ich die Tür aufschloss und die Treppe rauf ging, merkte, dass meine Hände zitterten.
Auf einmal wurde mir seltsam klar, dass ich allein lebte, meine Eltern weit weg waren und ich im Gegensatz zu Meto niemanden hatte, der mich abends empfing, in den Arm nahm und mit mir das Bett teilte. Jetzt am ganzen Körper zitternd, suchte ich meinen Wohnungsschlüssel raus, er fiel zu Boden, ich hob ihn auf, versuchte, die Tür aufzuschließen und traf das Schloss erst beim dritten Versuch.
Ich zerrte mir die Schuhe von den Füßen, zog meine Jacke aus und lief automatisch ins Wohnzimmer zum Kotatsu, den ich einschaltete und mir dann Tee machen wollte. Beruhigungstee, damit ich mich wieder einkriegte und darüber nachdenken konnte, was denn eigentlich mit mir los war.
Fast wäre mir die Tasse auch noch runtergefallen, ich hielt sie geradeso fest und ein bisschen Tee schwappte heraus, landete auf dem Küchenfußboden. Leise fluchend, stellte ich die Tasse ab und wischte den Fleck mit einem nassen Lappen auf, dann nahm ich mir den Tee und ging ins Wohnzimmer, setzte mich an den Kotatsu und wartete.
Was war denn nur mit mir los? Warum machte es mir auf einmal etwas aus, dass ich eben allein lebte, Single war und im Moment auch keine Aussicht auf eine Freundin hatte? Bisher hatte ich damit doch ganz gut gelebt. Ich war sogar ein bisschen stolz darauf gewesen, dass ich mein Leben so gut allein hinbekam und dadurch Kapazitäten frei hatte, anderen Menschen zu helfen, denen es nicht so gut ging wie mir. Menschen wie Tsuzuku, der ja wirklich litt und Dinge erlebt hatte, die nicht wieder gut zu machen waren. Ihm wollte ich, so gut es eben ging, helfen, und da konnte ich es nicht gebrauchen, dass es mir auf einmal auch schlecht ging, wo ich doch eigentlich gar keinen Grund dazu hatte.
In dem Moment hörte ich mein Handy im Flur klingeln. Gerade hatte ich an Tsu gedacht und jetzt war es sicher er, der mich anrief, weil ich ihn über Meto darum gebeten hatte.
Ich fischte mein Handy aus meiner Handtasche und hob mit einem leisen „Ja?“ ab und ging ins Wohnzimmer zurück.
„Koichi?“, hörte ich Tsuzuku am anderen Ende der Leitung fragen.
„Japp“, erwiderte ich, versuchend, fröhlich zu klingen.
„Du wolltest, dass ich dich anrufe?“
„Ja. Du hattest doch heute deinen ersten Tag in dem Tattoo-Studio und da wollte ich fragen, ob alles gut gelaufen ist.“
Eine kurze Stille folgte, ich hörte ein paar Geräusche im Hintergrund, so als ob er von einem Raum in einen anderen ging, dann antwortete er: „Ja, alles gut.“ Und dann: „Na ja … so ganz nicht. Ich hab irgendwie so eine seltsame Angst vor den Leuten. Dass sie schlecht von mir denken, verstehst du?“
„Wieso sollten sie das?“
„Ich komm von der Straße. Und wie ich aussehe …“
„Dein Aussehen wird in einem Tattoo-Studio wohl das geringste Problem sein“, sagte ich. „Und dass du mal auf der Straße gelebt hast, müssen ja nicht alle wissen.“
„Sie wissen es aber. Weil ich es erzählt habe.“
„Warum erzählst du das denn, wenn du doch Angst hast, dass die Leute dich dafür verurteilen?“
Stille. Dann: „Ich weiß es nicht. Ich hab‘s einfach so erzählt.“
Der Tonfall, in dem Tsuzuku das alles sagte, gefiel mir irgendwie nicht. Es war derselbe Tonfall, in dem er mich um die Recherche zu seinem Bettverhalten gebeten hatte. Er klang leicht ironisch, jedoch nicht so wie sonst, und hatte eine deutliche Spur von Aggression gegen sich selbst.
Ich schwieg einen Moment, wusste erst nicht, was ich erwidern sollte, und dann sagte Tsuzuku ganz leise: „Koichi, ich hab Angst. Ich hätte da heute einmal fast gebrochen. Ich will davon weg, aber ich merke, wie es mich einholt. Es kommt immer näher …“ Jetzt klang er wirklich nicht mehr gut. Fast schon panisch. Und ich spürte, dass er nah dran war an dem, was er vor Meto und mir verschwieg. Ganz nah.
„Hast du da mal mit der Psychologin vom Tempel darüber gesprochen?“, fragte ich.
„Nein.“
„Warum denn nicht?“
„Weil ich … Ich kann nicht darüber reden. Die Psychologin würde doch sofort merken, dass ich …“
„Dass du was?“
Dieses Gespräch ging eindeutig in eine sehr gefährliche Richtung. Ich war in diesem Moment nicht wirklich in der Lage, Tsuzuku zu helfen, da ich innerlich immer noch mit meinem plötzlichen eigenen Problem zu kämpfen hatte. Doch er schien auf einmal beinahe gewillt, endlich zu sagen, was mit ihm los war, und da durfte ich ihn doch jetzt nicht abblocken, oder?
„Tsu…“, begann ich, doch da hörte ich ein Klicken in der Leitung und dann dieses nervenzerreißende Tuten, das Zeichen, dass er aufgelegt hatte. Ich starrte das Handy in meiner Hand ein paar Momente lang an, dann sprang ich auf, trank den letzten Rest Tee aus und lief in den Flur, zog meine Jacke und meine Schuhe an, lief aus der Wohnung und in Richtung Bahnstation.
Ich rannte, so schnell ich konnte, die kalte, nächtliche Märzluft brannte in meinen Lungen und als ich keuchend den kleinen Bahnhof erreichte, fuhr gerade die Bahn ein, für das Viertel, in dem Tsuzuku und Meto lebten. Ich stieg ein, die Bahn war so voll, dass ich stehen musste, und erst jetzt spürte ich richtig, dass ich Angst um Tsuzuku hatte. Ich hatte Angst, dass er rückfällig wurde, dass er erbrach und sich verletzte, was ich zwar zum Glück noch nie direkt mitbekommen hatte, aber eben wusste, dass er das schon oft getan hatte.
Als die Bahn hielt, stieg ich aus und lief schnell weiter, und mit jedem meiner Schritte nahm meine Sorge weiter zu. Wenn Tsuzuku nicht so einfach aufgelegt hätte, wäre ich jetzt vielleicht nicht ganz so besorgt gewesen, aber so machte ich mir furchtbare Gedanken. Auch, wenn Meto ja sicher bei ihm war.
Ich erreichte das Haus, sah in einem Fenster im zweiten Stock Licht brennen und klingelte Sturm bei dem Schildchen mit der Aufschrift ‚Aoba & Asakawa‘. Es dauerte für mein Gefühl viel zu lange, bis der Türöffner summte, ich die Tür aufdrückte und durchs Treppenhaus nach oben rannte.
Völlig außer Atem kam ich an der Wohnungstür an, musste mich erst wieder ein wenig fangen und klingelte dann wieder Sturm. Ein paar Sekunden, Schritte, dann öffnete Meto die Tür. Und er sah ziemlich genau so besorgt aus, wie ich mich fühlte.
„Koichi …“, sagte er leise. „Was …?“
„Wo ist Tsuzuku?“, fragte ich, immer noch keuchend davon, dass ich die Treppen raufgerannt war.
Meto sah mich traurig und ängstlich an und sagte dann: „Im Bad. Er … hat sich eingeschlossen.“
Ich schob Meto zur Seite, rannte zur Badezimmertür und rüttelte an der Klinke. Abgeschlossen.
„Tsu, ich bin‘s, Koichi! Mach auf!“, schrie ich.
Er antwortete nicht, aber ich hörte ihn schluchzen. In meinem Kopf lief unser Telefongespräch wie ein Tonband ab, immer wieder, das, was er gesagt hatte. Er war so nah dran gewesen, mir zu sagen, was mit ihm los war, und wahrscheinlich hatte das irgendwas in ihm hochgeholt.
Meto stand hinter mir und sagte leise: „Es ging ihm schon nicht gut, als ich nach Hause kam. Ich … weiß nicht, was mit ihm los ist …“
„Tsuzuku, hör mir zu!“, rief ich gegen die verschlossene Tür. „Entweder du machst jetzt auf und sagst uns verdammt nochmal endlich, was mit dir los ist, oder ich breche die Tür auf!“
Er antwortete nicht, schluchzte immer noch.
„Meto, hast du mitbekommen, ob er … gebrochen hat?“, fragte ich leise.
Meto schüttelte den Kopf. „Ich glaube, nicht.“
Ich hörte ein leises Geräusch von der anderen Seite der Tür, dann leise Schritte und schließlich Tsuzukus tränenerstickte Stimme: „Ihr … macht euch jetzt Sorgen, oder?“
„Natürlich!“, rief Meto, schob mich zur Seite und rüttelte an der Türklinke. „Tsu, bitte, mach auf!“
Es dauerte wieder einen Moment, dann klackte das Schloss, der Schlüssel wurde umgedreht und die Tür einen Spalt breit geöffnet. Ich stellte sofort meinen Fuß in die Tür, aber das war gar nicht notwendig, denn Tsu machte keine Anstalten, sie wieder zuzumachen. Er stand einfach nur da, mit rotgeweinten Augen, Tränen auf den Wangen, leicht zerzausten Haaren, zerkratzten Händen, die Unterlippe blutig gebissen, und wirkte wieder so traurig und hilflos, wie ich ihn damals kennen gelernt hatte.
Ich blickte auf seinen rechten Arm, wo ja zwischen den Tattoos noch ein wenig Platz war, doch ich konnte zum Glück keine tiefen Kratzer oder gar Schnitte erkennen. Gut, er war wenigstens nicht so schlimm rückfällig geworden. Was aber nichts daran änderte, dass ich mir unheimlich große Sorgen um ihn machte.
Da stand ich nun, vor den beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben, und wusste nicht, wie ich ihnen das alles erklären sollte. Mein Kopf war wie leergefegt, ich spürte einen schmerzhaften Druck im Herzen und immer noch Tränen in meinen Augen.
Ich hatte versucht, den Druck abzubauen, hatte mit den Fingernägeln meine Handrücken zerkratzt und meine Lippe wundgebissen, dadurch versuchend, mich weder zu schneiden, noch zu erbrechen. Doch es lief auf dasselbe hinaus: Dass ich mir selbst wehtat und schadete, und es mir danach seltsam besser ging. Automatisch machte ich weiter, kratzte mit den Fingernägeln über meine Hände und Unterarme, und spürte, wie schon dieser leichte Schmerz mich ein wenig lockerte und beinahe entspannte.
„Tsuzuku …“ Meto kam auf mich zu, griff meine Hände und hielt sie fest, verhinderte, dass ich mich weiter kratzen konnte. Er zog mich zu sich, in seine Arme, hielt mich fest und führte mich aus dem Bad ins Wohnzimmer, wo er mich sanft aufs Sofa niederdrückte und sich dann setzte.
Koichi folgte uns, setzte sich rechts neben mich und sah mich betroffen und besorgt an.
Langsam kehrten die Gedanken in meinen Kopf zurück, und damit auch die Worte aus dem Buch über Borderline, die mir die Brust zusammenschnürten. Und ich wusste, ich hatte mich, ob ich nun wollte oder nicht, genau so verhalten, wie es da stand. Beinahe schon musste ich lachen, so eindeutig war es, und so nichtig meine Bemühungen, mich anders zu verhalten.
„So“, sagte Koichi, während Meto mich weiter umarmt hielt. „Jetzt erzählst du uns erst mal, was da heute passiert ist.“
Ja, was war passiert … Ich war zurückgefallen, in ganz alte Verhaltensmuster, vielleicht unter anderem deshalb, weil ich mich an meine Ausbildung früher erinnert hatte und daran, wie ich damals gewesen war. Auf einmal war es mir wieder ganz leicht, zu leicht, gefallen, auf Leute zuzugehen, ich hatte zu offen geredet und dabei war mir eben auch entwischt, was ich eigentlich für mich hatte behalten wollen: Dass ich von der Straße kam, fast zwei Jahre lang unter der Brücke und in Notunterkünften gelebt hatte. Und als mir dann klargeworden war, was ich gesagt hatte, da hatte ich es bereut, mich sofort zurückgezogen, war auf die Toilette verschwunden und kurz davor gewesen, wieder zu brechen. Nur mein Versprechen an Mama hatte mich davon abgehalten.
Meinen neuen Kollegen gegenüber hatte ich mir alle Mühe gegeben, so zu tun, als wäre alles okay, und der restliche Arbeitstag war zumindest halbwegs normal gelaufen. Zumindest oberflächlich gesehen. Für die anderen unsichtbar, war in meinem Kopf das schmerzhafte Tonband mit Symptomen und Merkmalen ununterbrochen gelaufen, hatte mich immer noch weiter verletzt. Dazu kam die Angst davor, dass selbst Meto und Koichi mich nicht mehr vorbehaltlos gern haben würden, wenn sie erfuhren, wie gestört ich wirklich war. Und dass es schlimmer werden würde mit mir, wenn ich darüber sprach.
Ich wusste, in dieser Situation konnte ich nicht länger verschweigen, dass ich ein gewaltiges Problem hatte, doch ich hatte keine Ahnung, wie ich es sagen sollte und wie viel. Und so, wie ich mich kannte, würde ich zu viel sagen. Das war ja vorhin, als ich mit Koichi telefoniert hatte, auch so gewesen. Ich hatte, ohne nachzudenken, einfach geredet und mich nur geradeso stoppen können, bevor mir das Wort ‚Borderline‘ über die Lippen gekommen wäre.
„Tsuzuku“, sagte Koichi, als ich nicht antwortete, „… Wenn du nur nichts sagst, damit wir uns keine Sorgen um dich machen, dann kann ich dir sagen: Das tun wir doch schon längst. Also sprich!“
„Das ist es nicht“, erwiderte ich leise. „Nicht nur.“
„Was dann?“, fragte Meto. Er schien den Tränen genauso nah wie ich, und es tat mir leid, dass ich ihn mit meiner Mich-ins-Bad-einschließen-Aktion so in Angst versetzt hatte. Es war nicht fair, dass ich meinem Liebsten solche Angst machte. Aber war es denn besser, wenn ich ihm alles sagte? Würde er sich denn dann nicht noch mehr Sorgen machen? Und Angst haben, dass ich genauso endete wie Hitomi? Was, wenn er damit nicht klarkam und mich am Ende …?
Schon der Gedanke, Meto könnte mich allein lassen, tat wahnsinnig weh, nicht nur psychisch, sondern auch körperlich. Mein Herz fühlte sich an, als würde es ein paar Schläge aussetzen, heiße Tränen brannten in meinen Augen und ich konnte kaum noch atmen. Unwillkürlich griff ich mir an mein schmerzendes Herz, was natürlich nicht unbemerkt blieb.
„Tsuzuku?!“, fragte Meto, klang heftig besorgt. „Tut dir was weh?“
Ich nickte zitternd. Und die Tür in meinen Gedanken, hinter der ich versucht hatte, alles, was mit Borderline zusammenhing, einzuschließen, stand einen Spalt breit offen, ließ ein wenig davon nach draußen. Ich war nicht mehr imstande, sie ganz geschlossen zu halten.
„Ich … ich hab Angst“, brachte ich leise heraus. „Mit mir stimmt was nicht und es wird immer schlimmer. Ich glaube, … ich werde wahnsinnig …“
„Wovor hast du denn Angst?“, fragte Koichi, legte seine Hand auf meinen Arm und sah mich besorgt und ein bisschen traurig an. Er war mein bester Freund und hatte mir nie einen Grund gegeben, ihm nicht zu vertrauen, und trotzdem hatte ich Angst, dass er mich hassen könnte, wenn er erfuhr, wie kaputt und gestört ich war.
Doch ich war nicht länger in der Lage, das alles für mich zu behalten. Ich musste reden, hier und jetzt, es musste einfach raus. Mein Herz hielt dem Druck hinter der verschlossenen Tür nicht mehr stand, das spürte ich deutlich, und es tat so sehr weh, dass ich kaum noch die Fassung wahren konnte.
„Versprecht mir, … dass ihr mich nicht hasst …“ Meine Stimme brach beim letzten Wort zusammen, ich konnte weder Meto, noch Koichi ansehen, blickte zu Boden und hörte das Blut durch meine Adern rauschen. Meine Hand drückte immer noch auf mein Herz, versuchend, den brennenden Schmerz ein wenig zu lindern.
Ich fühlte, wie Meto mich fester umarmte, spürte Koichis Hand immer noch an meinem Arm.
„Warum sollten wir dich hassen?“, fragte Meto leise und ich glaubte, schon Verzweiflung aus seiner Stimme herauszuhören. „Wie kommst du denn nur auf so was?!“
„Ich … bin so kaputt. Völlig gestört …“, sagte ich und spürte, wie wieder Tränen über meine Wangen liefen. Und die Tür in meinem Innern öffnete sich noch ein Stückchen weiter.
„Aber war das für uns jemals ein Grund, dich nicht zu lieben?“, fragte Koichi. „Denkst du wirklich, dass wir dich wegen irgendwas allein lassen würden?“
„Und wenn es schlimmer wird mit mir? Wenn ich so durchdrehe, dass ihr mich nicht mehr ertragt?“
Meto bewegte sich, packte mich an den Schultern, sodass ich ihn ansehen musste und sah, dass ihm ebenfalls Tränen übers Gesicht liefen. „Tsu, ich hab dir mal was versprochen! Und zwar, dass ich immer bei dir bleibe! Ich liebe dich, über alles, und das einzige, was ich kaum ertrage, ist, wenn du dich so runtermachst und daran zweifelst, dass du alles für mich bist! Verstehst du das?!“
Langsam drangen seine Worte zu meinem Verstand durch, und als ich verstand, begriff, dass Meto das ernst, sehr ernst meinte, da verlor ich vor Rührung erst recht die Fassung: Ich drückte mich an ihn, schluchzend, zitternd, meine Hände krallten in seinen Rücken, ich hielt mich an ihm fest, mich danach sehnend, dass seine Nähe den Schmerz vertrieb. Er ließ es einfach zu, hielt mich, streichelte liebevoll, war so lieb und süß wie immer, und schob schließlich eine Hand zwischen uns, legte sie auf mein Herz.
„Tut das richtig echt weh?“, fragte er leise.
Ich nickte. „Aber … wenn du deine Hand da hast … nicht mehr so …“ Tatsächlich wurde der Schmerz fast augenblicklich weniger und ich konnte wieder freier atmen, nur wegen Metos warmer Hand.
Er lächelte, mit Tränen in den Augen. „Na, siehst du. Und deshalb lass ich dich auch bestimmt nicht alleine. Ich bin gern für dich da, ich liebe dich und ich weiß, wie sehr du mich brauchst.“
„Tsu, du kannst uns vertrauen. Und eigentlich weißt du das doch auch“, sprach Koichi. „Also sag, was ist mit dir los?“
Langsam löste ich mich wieder ein wenig von Meto, doch nicht ganz, sodass ich immer noch seine Nähe fühlen konnte. Er schien mich auch nicht so recht loslassen zu wollen, so blieb sein Arm um meine Schultern liegen und ich lehnte mich an ihn.
Und irgendwann, da war ich dann bereit zu reden. Ich wusste immer noch nicht, wo ich anfangen sollte, doch sowohl Koichi, als auch Meto, mein Liebster, wartete geduldig, bis ich einen ungefähren Anfang wusste und beschlossen hatte, mit Hitomi anzufangen, damit, was Frau Sato gesagt hatte, ohne zu wissen, dass ich es gehört hatte.
„Als Hitomi … sich damals geschnitten hat, da … bin ich nachts von dem Blaulicht aufgewacht und aufgestanden. Ich hab gefragt, was los war, und das dann erfahren. Und als ich dann wieder weg bin, auf dem Flur in mein Zimmer, da hat Frau Sato …“ Ich hatte das alles so lange so fest in mir eingeschlossen, dass ich jetzt eine ganze Weile brauchte, um es wirklich auszusprechen. Meto bemerkte, wie schwer es mir fiel, und legte wieder seine Hand auf mein Herz. Das tat so gut, fühlte sich geradezu befreiend an, sodass ich weiter sprechen konnte: „Sie hat nicht bemerkt, dass ich es gehört habe, und sie weiß es bis heute nicht. Im Grunde war das der Auslöser, denn ich hab vorher nie wirklich darüber nachgedacht, was mit mir los ist.“
„Und was hat sie gesagt?“, fragte Koichi leise.
Es kam ganz leicht raus, auf einmal, die Tür in meinem Innern stand weit offen: „Dass Hitomi Borderline hat.“ Und dann: „Und ich weiß, ich bin wie sie. Ich weiß, ich hab’s auch.“
Meto sah mich fragend an. Und zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass er vielleicht gar keine Ahnung von psychischen Krankheiten hatte und deshalb gar nicht wusste, was ich damit meinte.
„Oh Gott …“, hörte ich Koichi sagen. „Und das schleppst du seitdem mit dir rum, ohne was zu sagen?“
Ich wusste nicht, inwiefern Koichi darüber Bescheid wusste und woher. Was ich wusste, war, dass es Gerüchte gab und Vorurteile. Und ich hoffte, betete, dass mein bester Freund diese nicht kannte oder nichts davon hielt.
Ich nickte auf seine Frage hin und sagte leise: „Jetzt wisst ihr’s. Ich bin krank und gestört und kaputt.“
„So’n Quatsch.“ Meto zog mich wieder näher an sich. „Und selbst wenn da irgendwas ist, ändert das rein gar nichts daran, dass ich dich liebe.“
Ich konnte nichts antworten, ließ mich einfach von ihm und Koichi umarmen und halten, bis ich mich wieder so einigermaßen sicher fühlte, dass ich über das sprechen konnte, was ich die letzten Monate still und einsam durchgemacht hatte. Die Tür in meiner Gedankenwelt stand endgültig weit offen und ich wusste, ich würde sie nicht wieder schließen können. Immer noch hatte ich wahnsinnige Angst, jetzt rückfällig und noch kränker zu werden, doch ich konnte es auch nicht länger für mich behalten.
Und so redete ich. Über alles, angefangen von meiner Angst, bis zu dem, was ich in diesem verdammten Buch gelesen hatte. Darüber, dass ich alles, was ich tat, mehr oder weniger für kranke Anzeichen hielt, dass ich fürchtete, mein Versprechen an Mama nicht halten zu können und den Menschen, die mir geblieben waren, weh zu tun.
Und ich erklärte Meto endlich, warum ich in unserer ersten Nacht hier in dieser Wohnung so auf seine Schmerzen reagiert hatte: Ich hatte dieses Machtgefühl und meine unkontrollierte Lust sofort, als er „Hör auf“ gesagt hatte, unter ‚krank‘ eingeordnet, so, wie ich fast alles, was ich tat, in letzter Zeit immer mit ‚krank‘ in Verbindung brachte.
„Und wie, dachtest du, kommst du allein mit so was klar?“, fragte Koichi irgendwann. „Bist du nicht einmal auf die Idee gekommen, dass sich so was leichter tragen lässt, wenn man es mitteilt?“
„Doch“, antwortete ich. „Aber … ich wollte nicht, dass ihr euch Sorgen um mich machen müsst. Meto, du hast schon so viel Angst um mich gehabt, ich wollte nicht, dass du wieder Angst bekommst …“
Mein Liebster zog mich näher an sich, streichelte meine tränennasse Wange und sagte: „Und du dachtest, ich merke nicht, wie du leidest?“
„Ich hab versucht, es zu verstecken. Aber … dieses verdammte Ungeheuer, … es will immerzu, dass ich es zeige. Ich krieg’s nicht hin, ich kann’s nicht verstecken.“
„Dann lass es.“ Koichi legte seine Hand auf meine Schulter, ich sah ihn an. „Tsuzuku, das, was du da Borderline nennst, ist zum Teil auch einfach deine Persönlichkeit. Du bist eben so und die wenigsten Menschen können verstecken, wie sie sind. Leidest du darunter, dass du eben leidenschaftlich, emotional, ein bisschen dominant und impulsiv bist? Doch erst, seit du das ‚krank‘ nennst, oder? Vorher nicht, soweit ich dich damals verstanden habe. Eine Krankheit ist doch erst dann eine echte Krankheit, wenn du darunter leidest.“
„Und was ist mit dem Schneiden und Kratzen? Damit, dass ich nicht genug esse und Angst habe, alles wieder auszukotzen? Dass ich manchmal so überreagiere? Was ist damit?!“, fragte ich, wurde dabei immer lauter. In meinem Kopf ratterte es wieder Symptome herunter und ich spürte, wie mir langsam alles zu viel wurde.
Meto hielt mich immer noch im Arm, streichelte meinen Rücken und sagte leise: „Du trauerst doch immer noch. Auch, wenn es nicht mehr so allgegenwärtig ist. Das ist doch gerade mal zwei Jahre und ein paar Monate her, dass du deine Mama verloren hast, ich glaube, da ist es ziemlich normal, dass du da noch nicht drüber hinweg bist.“
In dem Moment, als er Mama erwähnte, sah ich sie in Gedanken vor mir. Sie sah traurig aus, so als würde sie von dort, wo sie jetzt war, sehen können, wie ich gerade litt, und sich ebenfalls Sorgen um mich machen. Das wollte ich doch nicht! Ich hatte Mama in ihrem Leben schon oft genug Sorgen bereitet, da sollte sie wenigstens im Tod Ruhe vor meinen Eskapaden haben.
Der Gedanke an sie hatte in den letzten Monaten nicht mehr so sehr weh getan, doch jetzt schmerzte es wieder, mich an sie zu erinnern, und aufgewühlt, wie ich war, fing ich schon wieder zu weinen an. Es tat mir so wahnsinnig leid, mein Versprechen an ihren Geist, glücklich zu werden, kaum halten zu können.
„Tut mir leid, ich … ich wollte dich nicht dran erinnern …“, flüsterte Meto neben mir ganz betroffen.
Ich versuchte, zu lächeln, was mich jedoch nur noch mehr weinen ließ, und es kostete mich all meine Kraft, da jetzt nicht noch tiefer zu graben und alles, was mit Mama zu tun hatte, wieder hochzuholen. Ich wusste, das hätte mich jetzt vollkommen fertig gemacht.
Eine Weile saßen wir einfach so, ich versuchte, mich wieder einigermaßen zu beruhigen und nicht alles noch schlimmer zu machen, und Meto hielt mich weiter, Koichis Hand lag auf meinem Arm.
Irgendwann blieb mein Blick an der hübschen, silbernen Buddha-Statue hängen, die wir vor dem Umzug gekauft hatten und die jetzt im Regal in der Mitte stand. Der Buddha lächelte gelassen, und nachdem ich ihm einfach ein paar Sekunden lang ins Gesicht geschaut hatte, spürte ich, wie ich innerlich wieder ruhiger wurde.
Langsam erhob ich mich, ging zu der Statue hinüber und kniete mich davor auf den Boden. Ich fühlte mich leer und erschöpft, wie ausgeblutet. Mein Zeitgefühl war weg, ich wusste nur, dass es draußen dunkel war. Aber ich spürte auch, ganz tief in mir war noch etwas, das okay war, und dieser Teil von mir war jetzt vollkommen ruhig. Ich erinnerte mich daran, dass ich im Tempel gelernt hatte, meinen Atem zu beobachten, und blieb eine Weile so sitzen, hörte mich selbst atmen und versank dabei fast ein wenig darin.
„Tsuzuku?“, riss mich Metos leise Stimme irgendwann aus der Stille. „Geht’s wieder …?“
Ich sah mich um. Meto und Koichi saßen immer noch auf dem Sofa hinter mir, sie schienen auf mich zu warten. Ich stand langsam auf, ging zu ihnen zurück und setzte mich wieder dazwischen. „Könnt ihr … mir was versprechen?“
„Was denn?“, fragte Koichi.
„Dass ihr das nicht irgendwo nachschlagt … Borderline … Ich will nicht, dass ihr das lest.“
„Das hast du gemacht, oder? Das gelesen?“, fragte Meto.
Ich nickte. „Und ich mach das nie wieder. Das war … einfach nicht gut. Ich kriege die Sätze jetzt nicht mehr aus meinem Kopf raus.“
„Versprochen, wir lesen da nichts“, sagte Koichi.
Meto legte wieder seinen Arm um mich, streichelte meine Wange und sagte leise: „Ich lese so was ganz bestimmt nicht. Ich will dich nicht als ‚gestört‘ ansehen, egal wie du bist.“
Eigentlich hätte ich ihn für diese Antwort küssen müssen, doch in diesem Moment war ich dazu einfach nicht imstande. Ich wollte einfach nur Ruhe, ins Bett und schlafen, und nicht daran denken, dass ich ja morgen wieder los musste. Die Arbeit an sich war nicht das Problem, die gefiel mir, aber vor den Menschen hatte ich in diesem Augenblick Angst.
Koichi warf einen Blick auf die Uhr und erst jetzt kehrte mein Zeitgefühl zurück. Es musste gegen neun, halb zehn Uhr nachts sein, spät jedenfalls.
„Viertel nach neun“, sagte er. „Ich fahr mal lieber wieder nach Hause. Ihr kommt hier klar, oder?“
Meto sah mich kurz fragend an und ich nickte. „Ja. Wir gehen gleich schlafen.“
Als Koichi dann wieder weg war, machten wir uns schnell bettfertig und legten uns dann zum Schlafen hin. Zuerst jeder auf seiner Betthälfte, doch dann machte Meto das Licht aus, kam zu mir rüber und legte sich dicht neben mich.
„Wie fühlst du dich jetzt?“, fragte er vorsichtig. Und als ich nicht antwortete, weil ich nicht wusste, was ich darauf sagen sollte, hob er die Hand und strich mir die Haare aus der Stirn. „… Oder kannst du’s nicht in Worte fassen?“
„Ich hab Angst, vor den Leuten morgen“, sagte ich schließlich.
„Möchtest du, dass ich dich zur Arbeit begleite? Ich könnte den Hinweg mit dir zusammen fahren, dann musst du da nicht ganz alleine hin.“
Ich war ihm wahnsinnig dankbar, aber viel zu erschöpft für irgendwelche überschwänglichen Gefühlsreaktionen, deshalb küsste ich meinen Liebsten ganz einfach auf die Wange. „Danke, mein Schatz.“
Er kuschelte sich an mich, legte seinen Kopf auf meine Brust und sprach: „Ich liebe dich, Tsuzuku. Und mir ist egal, ob du Borderliner oder sonst was bist, für mich bist du einfach nur du. Und deine Probleme, das mit dem Essen und so weiter, das wird schon, da glaub ich dran. Du schaffst das.“
„Wenn ich … mir da nur so sicher wäre wie du …“, sagte ich leise.
„Dann bin ich mir eben für dich mit sicher.“ Meto hob den Kopf, zog mich auf die Seite, zu sich, und küsste mich, genauso lieb und lustvoll, wie ich es jetzt auch gern getan hätte. Seine Hände fuhren durch meine Haare, in meinen Nacken, er hielt mich ganz fest und ich spürte, wie seine Liebe mein verletztes Herz wieder auffüllte. Ich seufzte, drückte mich an ihn, nahm seine Zuneigung in mich auf und war einfach froh, dass dieser furchtbare Tag doch ein so schönes Ende nahm.
Und irgendwann, nach diesem süßen Kuss, schlief ich einfach ein.
„Tsuzuku, wach auf“, riss mich die leise Stimme meines Liebsten aus meinem wirren, unbedeutenden Traum. Ich spürte seine Hand auf meinem Oberkörper, er streichelte mich wieder so liebevoll wach wie letztens und ich bewegte mich ein wenig der Berührung entgegen.
„Aufwachen!“ Aus seiner Stimme war ein süßes Lächeln herauszuhören.
Ich gab ein verschlafenes Brummen von mir, öffnete dann aber die Augen. Das Licht war noch aus und es draußen noch dunkel, ich drehte mich um und tastete nach dem Schalter der Nachttischlampe.
Warmes, gelbes Licht füllte den Raum und ich sah meinen Freund an, der mitten auf dem Bett saß und sich erst einmal streckte. Dabei rutschte sein Schlafshirt ein wenig hoch, bis über seinen Bauchnabel. Kurzentschlossen rutschte ich zu ihm rüber, richtete mich auf und legte meine Arme um ihn, begann, ihn zu streicheln und ein wenig zu kitzeln.
„Tsu…!“
„Komm, du magst das doch …“
Meto lachte, schmiegte sich in meine Umarmung, wand sich ein bisschen und drehte sich dann zu mir um. „Was wird das?“
„Wenn ich dich morgens lachen höre, wird mein Tag besser“, schnurrte ich in sein Ohr.
Ich zog ihn näher an mich und bekam richtig Lust auf ihn, meine Hand wanderte unter sein Shirt, streichelte seine Brust. Er seufzte genießend und umarmte mich ebenfalls, doch auf einmal löste er sich wieder von mir, lächelte und sagte: „Wir sollten aufstehen. Du musst duschen, ich auch, und da du unter der Dusche wohl kaum die Hände von mir lassen kannst, duschen wir besser nacheinander.“
Ich sah auf die Uhr auf dem Nachttisch. Fünf nach Sieben. Meto hatte Recht, wir sollten aufstehen, statt uns hier heiß zu machen. Schließlich mussten wir beide heute arbeiten. Doch andererseits war der Gedanke, mal wieder mit ihm zusammen zu duschen, unheimlich verlockend. Wir konnten es ja dabei belassen, dachte ich, es musste ja nicht ausarten. Ich wollte mich beherrschen, wollte doch nur ein bisschen was mit meinem Liebsten machen, gar nicht viel.
Irgendwie sah Meto mir meine Gedanken an, oder er kannte mich einfach zu gut.
„Meinst du, das ist ‘ne gute Idee …?“, fragte er.
„Ich … weiß ja auch nicht … Ich will mich ja beherrschen … aber ich hab dich so wahnsinnig lieb und … ich will dich immer nur bei mir haben …“
Er sah mich einen Moment lang abwägend an, dann sagte er: „Okay. Aber nur zusammen duschen, dann frühstücken und dann los zur Arbeit. Nicht mehr.“
Ich nickte. „Nicht mehr. Bis heute Abend.“ Beugte mich vor und küsste ihn, ehe er aufstand, meine Hand nahm und mit mir zusammen ins Bad ging.
Als ich dort meine Schlafsachen auszog, musste ich auf einmal an gestern Abend denken, an das, was da gewesen war und dass es jetzt raus, ausgesprochen war. Ich fühlte mich schon ein bisschen erleichtert und hatte auch das Gefühl, dass es richtig war, wenn Meto und Koichi Bescheid wussten über das, was da in mir vorging.
Aber mit jemandem darüber zu sprechen, der auf dem Gebiet der Psychologie bewanderter war, davor hatte ich immer noch Angst. Ich spürte, ich wollte das nicht, das alles mit Diagnosen, Therapien und so weiter. Glücklich und gesund werden, das ja, aber das Wort ‚Therapie‘ machte mir Angst und löste bei mir schmerzhaftes Kopfkino aus.
Ich schob die Gedanken daran beiseite und sah meinen Freund an, der sich schon ganz ausgezogen hatte und gerade in die Duschkabine stieg.
Ich schaute ihn einen Moment lang einfach nur an, wie er da so vor mir stand, mit dem Rücken zu mir, und das Wasser einstellte. In meinen Augen war er einfach wunderschön, perfekt und einzigartig. Und als er sich zu mir umdrehte und mir einladend die Hand hinhielt, sah ich in seine dunklen Augen und versank geradezu in ihnen. Es fühlte sich unheimlich gut an, so verliebt zu sein, und ich genoss es, so gut ich eben konnte.
Meto zog mich in seine Arme, stellte das Wasser an und eine Weile blieben wir so stehen, ließen uns von dem warmen Wasser beregnen. Ich spürte die vielen Tropfen auf meiner Haut, Metos warmen Körper ganz nah an meinem, seine Haut an meiner. Seine Hände streichelten über meinen Rücken, er legte seinen Kopf auf meine Schulter und sagte schließlich, ganz leise: „Ich hab dich so lieb, Tsuzuku.“
„Ich dich auch“, antwortete ich und legte meinerseits meine Arme um ihn.
Und auf einmal war da, entstanden aus dieser unheimlich wohltuenden Nähe, dieser Gedanke, der mich lächeln und mein Herz vor Glück wild klopfen ließ: Ich wollte diese Liebe, dieses wahnsinnig Schöne, festhalten, fest machen, offen zeigen, und zwar so, dass es durch nichts mehr zerbrechen konnte, für mein ganzes Leben und die Ewigkeit. In Gedanken hörte ich mich ‚Ja, ich will‘ sagen und einen Moment später war es ganz klar: Ich wollte Meto heiraten.
Ich drückte ihn enger an mich, er sah mich an und ich küsste ihn, mit aller Liebe, die ich in diesem Moment für ihn empfand. Und ich beschloss, diesen Gedanken, ihn zu heiraten, noch ein wenig für mich zu behalten, bis zum richtigen Moment, um ihn zu fragen, ob er das denn auch wollte. Dass er sein Leben mit mir verbringen wollte, daran hatte ich in diesem Augenblick keinen Zweifel, doch um zu wissen, ob er das auch so offiziell machen wollte, würde ich ihn fragen müssen. Und außerdem wollte ich ihm diese Frage mit einem Ring stellen.
Meto nahm, nicht ahnend, an was genau ich dachte, das Duschgel in die Hand, tat sich etwas davon auf die Hände und begann, es auf meinem Körper zu verteilen. Jede seiner Berührungen tat unheimlich gut und ich seufzte leise.
„Ich kann … mich auch kaum beherrschen“, sagte Meto, während seine Hände mich weiter liebevoll einseiften. „Da bist du nicht der Einzige.“
„Wirklich?“, fragte ich leise.
Er nickte, nahm noch etwas von dem Duschgel und sprach: „Wenn ich dich so nackt vor mir sehe und dich dann anfasse, dann sehne ich mich auch danach, mit dir zu schlafen, genau wie du. Und ich will es in dein Herz schreiben, damit du es nie wieder vergisst, dass ich dich liebe und begehre.“ Er legte seine Hand sanft drückend auf mein Herz, zeichnete mit dem Finger ein kleines Herzchen in den Schaum und küsste mich. Ich seufzte wohlig, wünschte mir einen Moment lang, dass er noch ein bisschen mit meinen Nippeln spielen sollte, sah aber dann ein, dass mich das wohl zu sehr erregt hätte, und nahm stattdessen die Flasche mit dem Duschgel, um meinen Liebsten so zu waschen wie er mich.
Mich daran erinnernd, dass ich mich jetzt, ob ich wollte oder nicht, im Griff haben musste, weil wir ja heute beide noch zur Arbeit mussten, und daran denkend, dass wir es vielleicht ja heute Abend tun würden, seifte ich Meto von oben bis unten ein, und war am Ende, als ich das Wasser wieder anstellte, um uns beiden den Schaum wieder abzuwaschen, fast ein bisschen stolz auf mich, dass das jetzt ohne viel Lust und Heiß-werden abgegangen war.
Die Haare wuschen wir uns jeder selbst, und danach blieben wir noch ein bisschen unter dem warmen Wasser stehen, eng umarmt, und Meto tastete und streichelte mit beiden Händen über meinen Körper.
„Kann es sein, dass du ein bisschen zugenommen hast?“, fragte er.
Ich zuckte mit den Schultern. „Kann sein, vielleicht.“
„Wäre doch schön, oder?“
Ich dachte an gestern, als ich beinahe rückfällig geworden wäre, und daran, dass ich das Gefühl hatte, von der Bulimie wieder eingeholt zu werden. Wie schön wäre es, wenn dieses Gespenst einfach für immer aus meinem Leben verschwinden würde …
„Dir geht es ja nicht darum, dünn zu sein, oder?“, fragte Meto.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das nicht. Es … ist mehr so eine Art … Selbstverletzung. Wenn … mein Herz zu sehr wehtut, dann …“ Es fühlte sich seltsam an, so darüber zu sprechen, nachdem ich so lange nichts mehr davon ausgesprochen hatte. Darüber zu reden, dass ich mich nun mal auf die eine oder andere Art selbst verletzte und dass das, ob es nun Borderline hieß oder nicht, irgendwie ein Teil meines Lebens war. Ich spürte jedes Mal, wenn ich dieses Wort dachte, einen merkwürdigen Schauer im Herzen, wie einen leichten Schock.
Meto schob eine Hand zwischen uns, legte sie auf mein Herz, und ich spürte, dass er versuchte, meinen Herzschlag zu ertasten. „Aber jetzt gerade tut es nicht weh, oder?“, fragte er.
„Nein, alles gut.“ Ich lächelte leicht.
Mein Freund löste sich langsam von mir, stellte das Wasser aus, griff dann nach seinem Handtuch und begann, sich abzutrocknen. Ich nahm mir meines und stieg aus der Dusche, da sie doch recht klein war und zu wenig Raum für uns beide zum Abtrocknen bot.
Fertig abgetrocknet ging ich in unser Schlafzimmer und zog mich an, wählte eine Mischung aus relativ normalen Sachen und etwas auffälligerem Schmuck und kehrte dann ins Bad zurück, um meine Haare schön zu machen und mich ein bisschen zu schminken. Meto kam mir entgegen, er hatte sich wohl noch eingecremt und zog sich jetzt erst an.
„Willst du frühstücken?“, fragte er.
Ich fühlte einen Moment lang in mich hinein, ob ich Hunger hatte, und stellte fest, ja, Hunger hatte ich, aber auch Angst, dass es heute auf der Arbeit zu einer ähnlichen Situation kommen würde wie gestern. Vielleicht war es besser, wenn ich nichts aß.
„Ich weiß nicht“, sagte ich.
„Du weißt aber, dass du essen musst, oder?“
„Ich hab Angst. Dass ich unter Druck gerate und am Ende …“
„Das wirst du nicht.“ Meto legte beide Hände auf meine Schultern, sah mich ganz direkt an und fuhr fort: „Tsu, du wirst nicht rückfällig. Du reißt dich zusammen. Denk dran, dass du nicht brechen willst, und dass du was versprochen hast.“
Ich nickte, obwohl ich mir gar nicht sicher war. Aber Meto sollte sich keine Sorgen um mich machen. Das wollte ich einfach nicht.
Und so ging ich, nachdem ich mit Rasieren, Schminken und Haare machen fertig war, in die Küche und deckte den Tisch, dachte dabei daran, dass ich das mit der Arbeit ja hinbekommen wollte und dass es ein Versprechen gab, das ich halten musste.
Ich hatte wirklich kaum Appetit, doch ich zwang mich, als Meto sich dann dazu setzte und zu essen begann, ebenfalls zum Essen. Anders würde ich nichts ändern können, das wusste ich, und mir war auch klar, dass das der schwere Teil des Weges weg von der Bulimie war: Das Durchhalten, Dranbleiben, nicht wieder rückfällig werden.
Nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg zur Bahnstation. Bis in die Innenstadt hatten wir denselben Weg und Meto hielt sein Versprechen von gestern Abend, mich heute auf dem Weg zur Arbeit zu begleiten. In der Bahn war es so voll, dass nicht weiter auffiel, dass er fast die ganze Zeit über meine Hand hielt, und als wir ausstiegen, gab er mir auf dem Bahnsteig einen Kuss auf die Wange.
„Schaffst du’s von hier alleine oder soll ich noch weiter mitkommen?“, fragte er.
„Kommst du dann nicht zu spät ins Café?“
„Das geht schon. Wir haben ja noch ein bisschen Zeit.“
Und so ging er noch die Strecke von der Bahnstation bis zum Tattoo-Studio mit mir mit, hielt wieder meine Hand und sorgte so dafür, dass ich mich gut und sicher fühlte. Als wir dann schließlich da waren, war er es, der mich umarmte.
Über seine Schulter hinweg sah ich, dass einer meiner Kollegen hinter dem Schaufenster saß und uns beobachtete. Und auf einmal war sie wieder da, die Angst. Was, wenn einer meiner neuen Kollegen ein Problem damit hatte, dass ich mit einem jungen Mann zusammen war? Es war eine feige, fiese Angst davor, dass die anderen Menschen schlecht von mir dachten. Und ich schämte mich vor mir selbst dafür, dass ich es wegen dieser Angst jetzt nicht hinbekam, zu meiner Liebe zu stehen.
Meto ließ mich los und sah mich fragend an, hatte sicherlich bemerkt, dass ich seine Umarmung nicht so erwidert hatte, wie er es von mir kannte.
„Du schaffst das schon“, sagte er. „Ganz bestimmt. Ich glaub an dich.“ Und er lächelte, so lieb und süß und strahlend, dass ich gar nicht anders konnte, als auch zu lächeln und ihn nun auch meinerseits zu umarmen.
„Danke, mein Liebster“, flüsterte ich.
Meto löste sich von mir, lächelte mich noch einmal an und ging dann in Richtung seiner eigenen Arbeitsstelle davon. Und ich wandte mich dem Studio zu, öffnete die Tür und ging hinein, hörte das Summen der Nadeln und die dunkle Musik im Hintergrund.
„Guten Morgen, Aoba“, begrüßte mich der Kollege, den ich eben durch das Fenster gesehen hatte.
„Morgen.“
„Wer war das denn eben?“
Und schon ging es wieder los mit der Angst auf der einen Seite und meiner Offenherzigkeit andererseits. Es war dieselbe Situation wie gestern. Ich wurde etwas Persönliches gefragt und wollte ehrlich antworten, doch gleichzeitig hatte ich Angst, dann verurteilt zu werden. Und wenn ich zu lange nachdachte, würde das vielleicht wie Lügen aussehen.
„Mein Freund.“ Und schon war es wieder passiert. Ich antwortete einfach, offenbarte zu viel, sagte etwas, von dem ich wusste, dass es sehr leicht gegen mich zu verwenden war.
„Wie, dein Freund?“ Mein Kollege, der übrigens Takashima hieß, schien zum Glück nicht sofort verstanden zu haben, was ich meinte.
Doch ich, bescheuert wie ich eben war, konnte selbst nicht verhindern, dass ich erklärte: „Mein fester Freund. Mein Lebensgefährte.“
Takashima sah mich einen Moment lang nur verwundert an und ich hätte mich selbst dafür schlagen können, dass ich schon wieder zu viel über mein exzentrisches Leben erzählt hatte.
Und gleichzeitig hasste ich mich dafür, dass ich nicht so zu Meto stand, wie ich sollte. Wieso war ich nur so?! Einerseits umarmte und küsste ich ihn in der Öffentlichkeit, wollte unsere Liebe zeigen und es in die Welt hinausschreien, dass ich an seiner Seite so glücklich war, und auf der anderen Seite hatte ich diese feige Angst davor, dass man mich dafür verurteilte und abstempelte. Warum?
Die Antwort war so einfach, dass es wehtat: ‚… zweiseitiges Verhalten ist ein anderes Merkmal dieser Persönlichkeitsstörung, die sich des Weiteren dadurch zeigt, dass der Erkrankte übertrieben offen ist und sich gleichzeitig zurückzieht …‘ Ein Satz aus dem Buch. Borderline. Schon wieder.
Ich drehte mich einfach um und verschwand in den hinteren Räumen des Ladens. Kaum allein, spürte ich ihn auch schon, diesen altvertrauten Druck im Bauch. Ich wusste, gleich würde es leicht sein, dem nachzugeben, so viel leichter als dagegen anzukämpfen. Meine Schritte trugen mich auf die Toilettenräume zu, doch als ich den Türgriff schon in der Hand hatte, hielt ich inne.
Ich wollte das doch gar nicht. Wollte mein Versprechen an Mama halten, Metos Glauben in mich nicht enttäuschen und auch mich selbst nicht. Wenn ich jetzt da reinging, mich einschloss und erbrach, würden meine ganzen Bemühungen, davon loszukommen, mit einem Schlag zerstört werden. Meine Hand um den Türgriff zitterte und der Druck stieg langsam in mir hoch.
„Aoba?“, hörte ich in dem Moment Takashimas Stimme hinter mir. „Ist alles in Ordnung bei dir?“
Ich schrak zusammen, drehte mich um und sah, dass mein Kollege mich besorgt ansah. Waren mir meine Ängste so deutlich anzumerken? Anscheinend schon.
„A-alles gut“, beeilte ich mich zu sagen und ließ den Türgriff los.
„Ähm … das ist kein Problem für mich, dass du ‘nen Freund hast. Nicht, dass du das denkst …“, sagte Takashima und sah mich ein wenig unsicher an. „Ich hätte dich nur, na ja, nicht so eingeschätzt.“
Jetzt war ich derjenige, der überrascht war. Und natürlich antwortete ich wieder zu viel: „Ich war auch eigentlich mal hetero. Oder … ich hab mich zumindest dafür gehalten.“
Kurz dachte ich an die Mädchen früher, an die, denen ich wahrscheinlich ziemlichen Herzschmerz bereitet hatte, und diejenigen, die mein Temperament nicht ausgehalten und mit mir Schluss gemacht hatten. Das alles war so verblasst, als wäre es in einem anderen Leben passiert. Das einzige, was von diesem Player-Leben geblieben war, war die leise Gefahr, dass ich mir bei einem der Mädchen vielleicht irgendwas eingefangen hatte, weshalb ich bei Meto jetzt immer darauf achtete, ein Kondom zu benutzen. Ich kannte mich nicht aus mit solchen Krankheiten und ging deshalb lieber auf Nummer sicher, wollte ich doch meinen Liebsten auf keinen Fall mit irgendetwas anstecken.
„Wo die Liebe hinfällt, hm?“, sagte Takashima.
Ich nickte, lächelte leicht und dachte, ohne es auszusprechen: ‚Meto ist meine große Liebe. So nennt man das doch, wenn man jemanden so wahnsinnig lieb hat und begehrt, oder?‘
Wir wandten uns beide unserer Arbeit zu, die für mich vorläufig noch darin bestand, die Motive vom Papier auf ungegerbte Tierhaut zu übertragen, die als Testfläche diente. Takashima war schon weiter, er erwartete eine Kundin, die bald darauf eintraf und den Drachen auf ihrem Rücken von ihm vervollständigen lassen wollte.
Ich merkte, dass ich ziemlich aus der Übung war, was das Zeichnen und das Stechen betraf. Wahrscheinlich war das normal, schließlich hatte ich beides ja seit Jahren nicht mehr gemacht, aber es störte mich trotzdem und ich gab mir Mühe, es wieder so zu lernen, wie ich es früher gekonnt hatte. Immerhin hatte ich die Ausbildung damals fast fertig gehabt.
Jedenfalls, je mehr ich mich wieder in die Arbeit einfühlte und mich anstrengte, umso mehr Lust bekam ich, mir endlich auch mal wieder ein neues Tattoo stechen zu lassen. Ich schaute mir die Motive an, doch ich fand keines, das mich genügend ansprach, und beschloss schließlich, mir nebenbei ein eigenes zu entwerfen.
Damit und mit meiner Arbeit war ich bis zum Mittag beschäftigt. Zwischendurch erlaubte ich mir zwar zwei kurze Zigarettenpausen, doch trotzdem war ich mittags irgendwie froh, eine etwas längere Pause machen zu können.
„Trinkst du Kaffee oder Tee, Aoba?“, fragte Ami, die meine einzige weibliche Kollegin war, und jetzt an der kleinen Küchenzeile im Pausenraum stand und sich um die Pausenverpflegung kümmerte. Wir waren nur zu zweit im Raum, die anderen würden aber bestimmt gleich dazu kommen.
Während der Arbeit war ich ziemlich konzentriert gewesen, hatte nicht ein einziges Mal an Essen und so was gedacht, und so holte mich diese Frage auf recht unangenehme Weise in die Welt der Angst vor dem Essen zurück.
„Tee, bitte“, antwortete ich, denn Kaffee fiel bei mir zu sehr unter Essen. Ich wollte heute nicht noch einmal riskieren, wieder diesen Druck im Bauch zu spüren und … an alles Weitere wollte ich nicht mal mehr denken.
Ich wusste, dass diese Angst vor dem Essen einen Rückfall in die Zeit vor dem Winter bedeutete, doch alles war besser als Brechen und ich klammerte mich an die Hoffnung, dass diese kleine Tiefphase schon irgendwann wieder vorbeigehen würde. Ich hatte doch letztens das Essen, das Meto für uns gekocht hatte, gegessen und auch wirklich genossen. Vielleicht lag mein Problem jetzt einfach darin, dass ich hier auf der Arbeit neu war und mich erst eingewöhnen musste.
Ich schloss für einen Moment die Augen, stützte den Kopf in die Hände und atmete so ruhig wie möglich ein und aus, so, wie ich es im Tempel gelernt hatte. Diese Übungen waren für mich viel hilfreicher, als es die eigentliche Therapie gewesen war, bei der ich ja doch nicht richtig mitgemacht hatte, aus Angst, dabei an das Thema ‚Borderline‘ zu stoßen.
Ich hatte mich lieber mit den Mönchen, als mit Frau Watanabe unterhalten, obwohl die nicht sehr gesprächig waren und mein Zusammensein mit ihnen mehr darin bestanden hatte, dass ich ihren Meditationsübungen zugesehen und so von ihnen zu lernen versucht hatte. So ganz hatte ich den Dreh mit dem Meditieren noch nicht raus, aber das bisschen, was ich konnte, half mir.
„Aoba?“, riss mich Amis Stimme aus meinen Gedanken. „Geht’s dir nicht gut?“
Ich öffnete die Augen, sah sie an und antwortete schnell: „Doch, doch, alles gut.“
„Du siehst aus, als ob dir schwindlig wäre.“
„Nein, alles gut, ich hab nur … über was nachgedacht.“
Ami stellte die Teekanne auf den Tisch und kam auf mich zu, setzte sich mir gegenüber und fragte dann leise: „Kann ich … dich mal was fragen?“
„Was denn?“
Sie sah mich einen Moment lang an, dann fragte sie: „Kann es sein, dass du … na ja … vielleicht ist die Frage auch zu persönlich, du musst nicht antworten …“
„Das weiß ich ja erst, wenn du die Frage stellst“, erwiderte ich.
„Okay. Wie gesagt, du musst nicht antworten, wenn du nicht willst, aber … kann es sein, dass du … psychische Probleme hast? Nicht, dass du denkst, ich wär neugierig oder so … aber … ich hab eine Freundin, die hat welche, und irgendwie … erinnerst du mich an sie.“
Sofort war es da, dieses Zittern im Herzen, und die Angst, dazu andererseits das Drängen, darüber zu sprechen, was mit mir los war. Ich wusste, es war mir anzusehen und es hatte keinen Sinn, zu versuchen, es zu verstecken.
„Was hat sie denn?“, fragte ich.
„Sie schneidet sich. Und sie hat Probleme mit dem Essen. Vielleicht erinnerst du mich deshalb an sie, weil du auch so … sehr schlank bist.“
Meine Offenherzigkeit siegte in meinem inneren Kampf und ich wagte mich zögernd ins Neuland vor, wo ich offen mit dem umging, was in mir los war. „Sag ruhig ‚dünn‘, das ist schon okay.“
Sollte ich auch sagen, dass ich mich ebenfalls schon mit einem Messer absichtlich verletzt hatte? Dass ich (wieder dieser heißkalte Schauer) Borderliner war? Einerseits drängte mich etwas dazu, darüber zu sprechen, jetzt, wo ich es nicht mehr völlig geheim halten wollte, und andererseits hatte ich wieder Angst.
„Wie heißt sie denn, deine Freundin?“, fragte ich, einfach nur um überhaupt etwas zu sagen.
„Sie heißt Hitomi“, antwortete Ami.
Allein der Name reichte aus, damit ich zusammenschreckte. Doch nicht etwa dieselbe Hitomi, die ich kannte?! Wie viele Frauen mit diesem Namen und solchen Problemen gab es in dieser Gegend?
„Hitomi?“, fragte ich heiser und wusste, dass mir der Schreck anzusehen war. Und sagte dann, weil es sowieso schon zu spät war: „Ich kenne eine, die so heißt und … die auch diese Probleme hat …“
„Woher?“, fragte Ami, deutlich interessiert.
„Ich war mit ihr im Hikuyama-Tempel.“
„Du, ich glaube, wir kennen dieselbe“, sagte Ami.
„Ja …“, sagte ich leise, „ …Das glaube ich auch.“
Woher Ami und Hitomi sich kannten, war mir erst mal egal. Ich war einfach … schockiert, hier auf einmal, wenn auch indirekt, mit ihr konfrontiert zu sein, und damit auch mit dem, was sie und mich auf gewisse Weise verband. Hitomi hatte mir Borderline angemerkt, bevor ich überhaupt dieses Wort gekannt hatte, durch sie war ich dann schließlich darauf gebracht worden und ihr Verhalten war es, das sich für mich wie ein Spiegel angefühlt hatte.
„Wo ist sie denn jetzt?“, fragte ich.
„Immer noch in der Klinik. Sie war kurz draußen, hat sich dann aber wieder einliefern lassen, weil es ihr ziemlich schlecht ging. Jetzt geht’s ihr langsam besser, aber sie bleibt noch ein bisschen da. Ich besuche sie morgen.“ Ami sah mich an und fügte dann hinzu: „Ich kann sie fragen, ob du mitkommen kannst.“
„Nein“, erwiderte ich sofort, ohne nachzudenken. Und sagte dann, um dieses plötzliche ‚Nein‘ zu erklären: „Morgen hab ich meinem Freund versprochen, dass wir zusammen was unternehmen.“
Ich wollte Hitomi nicht sehen. Zumindest noch nicht. Ich spürte, dass ich noch nicht so weit war, ihr wieder zu begegnen und mit ihr zu sprechen.
In dem Moment kamen Takashima und Kurata, der Besitzer des Studios, in den Pausenraum, sodass Ami und ich das Gespräch nicht fortführen konnten.
„Na ja, schade“, sagte Ami noch und goss dann Tee in die vor mir stehende Tasse.
Der Nachmittag verlief ähnlich wie der Vormittag. Ich übte mich weiter im Zeichnen und machte neben der Arbeit ein paar flüchtige Skizzen für mein eigenes neues Tattoo. Weit kam ich jedoch nicht, meine Kreativität war wie blockiert dadurch, dass ich immer wieder an Hitomi denken musste. Schließlich versuchte ich dann, dagegen anzugehen, indem ich betont an Meto dachte und daran, dass wir vielleicht heute Abend noch was zusammen machen würden. Das wiederum hob zwar meine Laune und setzte meine Kreativität wieder in Gang, tat jedoch meiner Konzentration nicht besonders gut, sodass ich schließlich mehr oder weniger herumsaß und nicht mehr viel machte.
Mein leichtes, verliebtes Lächeln fiel dann auch noch Takashima auf, der daraufhin grinsend meinte, dass man mir anmerken konnte, dass ich in einer Beziehung war. Anscheinend war er einer von den Leuten, die wirklich kein Problem damit hatten, und das beruhigte mich doch sehr.
Als ich dann abends nach Hause kam, war Meto schon da. Er stand in der Küche und schnitt irgendwelches Gemüse für unser Abendessen klein.
„Warst du noch einkaufen?“, fragte ich, denn heute Morgen war der Kühlschrank fast leer gewesen.
„Ja, auf dem Heimweg“, antwortete er und fragte dann: „Hast du viel Hunger oder eher wenig?“
„Es geht“, sagte ich. „Zu viel brauchst du nicht zu machen.“
Er stellte den Herd an, gab das Gemüse in eine Pfanne und warf einen Blick in das auf der Arbeitsplatte liegende Kochbuch.
Irgendwas an diesem Bild, wie mein Freund da am Herd stand und unser Abendessen kochte, gefiel mir nicht. Es war nicht das Essen, sondern etwas anderes, über das ich erst einen Moment lang nachdenken musste, bevor ich darauf kam, was mich störte: Es war diese mit dem Kochen verbundene weibliche Rolle, in die Meto sich da begab. Ich kam von der Arbeit nach Hause, er war schon da und kochte für uns, das erinnerte mich sehr an die typische Frau aus Fernsehserien. Ich wusste nicht, ob er das selbst bemerkte, aber mir fiel es eben auf, zumal ich in der Bahn nach Hause kurz daran gedacht hatte, dass er im Bett bisher immer unten lag, und ich ihn nahm, wir bis jetzt noch nicht wirklich die Positionen getauscht hatten. Aus irgendeinem drängenden Gefühl heraus fand ich das wichtig, mir darum Gedanken zu machen und mit ihm darüber zu sprechen.
„Und? Wie war dein Tag?“, fragte Meto und drehte sich zu mir um. „Erzähl mal.“
Ich setzte mich an den Tisch und nach kurzem Nachdenken erzählte ich ihm mehr oder weniger alles, was auf der Arbeit gewesen war, von meinem kurzen Gespräch mit Takashima, über meine Pläne für ein neues Tattoo, bis zu dem Gespräch mit Ami, bei dem ich wieder von Hitomi gehört hatte. Und ich erzählte auch, dass mich der Gedanke an Hitomi beunruhigte, dass ich ihr nicht begegnen wollte, weil ich Angst hatte, mit ihr dann reden zu müssen über das, was damals passiert war.
Es tat gut, so offen darüber reden zu können und keine Geheimnisse mehr vor Meto haben zu müssen. Ich spürte, wie etwas von der Anspannung, die ich die letzten Wochen und Monate mit mir herumgetragen hatte, von mir abfiel, und ich mich in der Nähe meines Liebsten entspannte. Erst jetzt begriff ich so richtig, was er da gestern gemeint hatte, als er gesagt hatte, dass er mich so liebte, wie ich war, egal ob ich krank war oder nicht. Eine unheimlich wohltuende Wärme breitete sich in mir aus, ich stand auf und umarmte Meto, küsste ihn und zog ihn eng an mich.
„Ich weiß, ich hab’s dir schon tausendmal gesagt, aber ich kann dir einfach nicht oft genug sagen, wie sehr ich dich liebe …“
Er legte seinerseits seine Arme um mich und sagte leise: „Ich liebe dich auch. Und das kann man fast nicht oft genug sagen.“
Das Gemüse in der Pfanne zischte und ich ließ Meto los, damit er sich wieder dem Kochen zuwenden konnte, legte dann die Hände an seine Seiten und schmiegte mich leicht an seinen Rücken.
„Tsu, weißt du, dass das süß ist, wenn du so kuschelbedürftig bist?“, sagte er. „Nachher machen wir’s uns schön gemütlich, dann kannst du mich kuscheln, bis wir einschlafen.“
„Jaa“, schnurrte ich in sein Ohr. „Aber nackt.“
Meto lachte, schmiegte sich rückwärts an mich und erwiderte: „Gerne.“
Ich fühlte mich in diesem Moment ganz sicher und gut, und ich wusste, dass Meto es spürte und dass es ihm gefiel.
Umso wichtiger war mir die Gleichberechtigung in unserer Beziehung, dass wir trotz der fünf Jahre Altersunterschied irgendwie gleichauf und auf Augenhöhe waren.
Das Abendessen dauerte nicht lange, da ich kaum Hunger hatte, und Meto sagte, dass er schon bei der Arbeit viel gegessen hatte. Ich stellte das, was noch an Gemüse in der Pfanne übrig war, in einer Schüssel in den Kühlschrank und ging dann schon mal ins Bad. Meto kam dazu, nachdem er das Geschirr in der Küche fertig abgewaschen und aufgeräumt hatte, da war ich schon fast fertig mit Abschminken und mich bettfertig machen. Als er dann auch so weit war, gingen wir zusammen ins Schlafzimmer, wo ich mich erst einmal nur auf die Bettkante setzte, während Meto sich bis auf die Unterwäsche auszog.
„Ist was?“, fragte er, als ich keine Anstalten machte, mich auch schon auszuziehen.
„Ich muss mit dir über was reden“, sagte ich.
„Was denn?“ Er setzte sich neben mich und sah mich an. „Was Schlimmes?“
„Nein, nichts Schlimmes. Ich hab nur mal über was nachgedacht, nämlich über unsere Rollenverteilung. Beziehungsweise darüber, dass wir anscheinend eine haben und ich das irgendwie nicht gut finde.“
„Du meinst, weil ich unser Essen koche?“
„Das hat mich darauf gebracht, aber ich meine vor allem, dass wir im Bett noch nicht wirklich getauscht haben. Ich find’s nicht richtig, dass du … na ja, dass ich dich da so ein bisschen in eine … wie soll ich sagen … ‚Frauenrolle‘ dränge. Ich weiß, du lässt mich machen, weil du noch keine Erfahrung als Top hast, aber meinst du nicht, wir sollten das irgendwann mal ändern?“
Meto sah mich mit großen Augen an, blickte dann zu Boden und sagte: „Ich … hab Angst, dass ich was falsch mache und … dass ich dir wehtue. Und außerdem … weiß ich doch, wie sehr du das magst, Top zu sein.“
„Und es gefällt dir, wenn ich in dich eindringe?“, fragte ich.
Er nickte. „Sehr sogar.“
„Aber …“ Ich beugte mich vor, legte eine Hand auf seine Schulter und zog ihn zu mir, bis meine Lippen nah an seinem Ohr waren, „… denkst du nicht manchmal daran, wie es wäre, wenn …“ für die nächsten Worte senkte ich meine Stimme zu einem leicht rauen Flüstern ab, „… du deinen harten Schwanz in mein heißes Inneres schieben und mich richtig vögeln würdest, bis du in mir kommst?“
„Tsu …!“
Ich sah ihn an, er war knallrot im Gesicht und wich meinem Blick aus.
„Na, stell dir das doch mal vor. Du bist doch auch ein Mann, genau wie ich, du kannst mir nicht erzählen, dass dieser Wunsch, in ein heißes Loch zu stoßen, nicht irgendwo in dir vorhanden ist.“
„Kann sein, ich … hab ehrlich gesagt noch nicht wirklich darüber nachgedacht“, sagte Meto leise und fragte dann unsicher: „Willst du … heute …?“
„Nein, nicht heute. Ich möchte nur, dass du dir das mal durch den Kopf gehen lässt.“ Ich beugte mich wieder vor und hauchte einen Kuss auf seine Wange. „Weil ich es einfach schön fände, wenn wir gleichauf sind.“
„M-hm …“ Er nickte. „Finde ich ja irgendwie auch, aber ich hab da eben noch nicht so dran gedacht.“ Jetzt beugte er sich vor und küsste mich, allerdings nicht auf die Wange, sondern mitten auf den Mund. Seine Hände schoben meinen Pullover hoch, den ich daraufhin auszog, schlüpften unter das Shirt, das ich darunter trug, und berührten meine Haut, was sich unheimlich gut anfühlte.
Wenn ich jetzt daran dachte, was gestern Abend gewesen war, kam mir das Glück, welches ich empfand, wenn Meto mich so liebevoll berührte, wie ein kleines Wunder vor. Ich hatte geglaubt, dass sich etwas zum Schlechten ändern würde, wenn ich über meine Probleme sprach, doch stattdessen lief alles irgendwie halbwegs normal weiter, so, wie ich es kannte. Vielleicht gab es ja doch eine Möglichkeit, mit den Dämonen in mir zu leben und irgendwie zurechtzukommen.
Tsuzuku zog sich, zunächst nur bis auf die Shorts, aus, und ich schloss ihn in meine Arme. Zusammen ließen wir uns ganz aufs Bett sinken und er begann, mich zu streicheln, seufzte wohlig, als ich das erwiderte und meinerseits mit beiden Händen über seinen Rücken strich, und schmiegte sich an mich.
Mein Herz klopfte wie wild, noch von dem, was wir zuvor geredet hatten, von seinen deutlichen, doch recht unanständigen Worten und dem, was er damit ausgedrückt hatte. Er wollte, dass wir, nicht heute, aber irgendwann, die Positionen tauschten, dass ich dann in ihn eindrang, und das stimmte mich ziemlich aufgeregt.
Ich hatte wirklich noch kaum darüber nachgedacht und im Nachhinein fand ich das selbst ein wenig seltsam. Tsuzuku hatte Recht, ich war mit meinen zwanzig Jahren genauso ein Mann wie er, irgendwo in mir musste doch dieses Verlangen vorhanden sein. Noch spürte ich davon nicht viel, aber so, wie ich meinen Freund kannte, würde er das zu gegebener Zeit zu ändern wissen. Er wusste, wie er mich über alle Maßen heiß machen konnte.
Wir rutschten beide weiter aufs Bett, bis ich das Kissen unter meinem Kopf spürte, und Tsu kuschelte sich an mich, ich spürte deutlich, wie er meine Nähe genoss.
„Meto“, sprach er mich leise an, hob die Hand und streichelte meinen Hals. „Zieh dich ganz aus, ich will dich ganz nackt bei mir haben.“ Er löste sich von mir, ich setzte mich auf und zog mein Tanktop aus, streifte mir dann die Shorts vom Leib und sah zu, wie er seine ebenfalls auszog.
Tsuzuku sah so wunderschön aus, so absolut sexy und verführerisch, wie er dann so ganz nackt vor mir lag und mich mit diesem geradezu lasziven Blick ansah, dass ich gar nicht anders konnte, als mich über ihn zu beugen und seinen Hals zu küssen, dann seine Schulter, die kleine Vertiefung an seinem Schlüsselbein und schließlich das ringförmige Implantat auf seinem Brustbein. Er seufzte tief, bewegte sich mir entgegen, und ich machte weiter, übersäte die Tätowierungen auf seiner Brust mit Küsschen und Streicheleinheiten, drückte dabei meinen nackten Körper immer enger an seinen. Sein Seufzen wurde zu Stöhnen, als ich dann meine Lippen auf seine rechte Brustwarze drückte, küsste, vorsichtig saugte und leckte und ebenso vorsichtig meine Zunge mit dem Piercing spielen ließ. Ich spürte, wie er heiß wurde, seine Härte drückte gegen meinen Bauch, und je mehr Zärtlichkeiten ich ihm zukommen ließ, umso stärker begann er, sich an mir zu reiben.
Ich legte meine Hand auf sein wild gegen seine Rippen hämmerndes Herz und drückte dann meine Lippen auf die Stelle. Tsuzuku stöhnte, wie ich ihn fast noch nie hatte stöhnen hören, klang völlig hingerissen und bis ins Innerste berührt.
„Wie fühlt sich das an?“, fragte ich leise.
„… Schön …“, antwortete er, „… ohhh, so schön …!“ Seiner Stimme war deutlich anzuhören, dass ich da etwas gefunden hatte, das weniger eine erogene als vielmehr eine hoch emotionale Zone war, deren Berührung für ihn eine tiefe Bedeutung hatte. Ich dachte daran, wie gut ihm das auch sonst tat, wenn ich, wenn er aufgeregt war, meine Hand auf sein Herz legte.
„Meto“, sprach er wieder meinen Namen aus und drückte sich sehnsüchtig an mich. „Halt mich, bitte, halt mich ganz fest!“
Ich rutschte wieder hoch, bis wir auf Augenhöhe waren, legte meine Arme um ihn, und er barg sein Gesicht an meinem Hals, ich hörte ihn tief ein- und ausatmen, und spürte, wie sehr er sich nach meiner Nähe und Umarmung sehnte.
„Darf ich wieder in deinen Armen liegen?“, fragte er leise.
„Ja, klar darfst du.“ Ich zog ihn enger an mich, streichelte ihn und hielt ihn fest.
Eine ganze Weile blieben wir so liegen und irgendwann glaubte ich schon, dass Tsuzuku eingeschlafen wäre, doch auf einmal bewegte er sich, drehte uns beide mit einem Ruck herum, so dass er auf mir lag, richtete sich halb auf und sah mich an.
„Ich will jetzt nicht schlafen“, sagte er, beugte sich runter und küsste mich. „Ich weiß was viel Besseres, etwas, das wir noch nicht gemacht haben.“
„Was denn?“, fragte ich, obwohl ich mir irgendwie schon fast denken konnte, was er meinte.
„Mir ist gerade eingefallen, dass ich dich … noch nie so da unten geküsst habe. Und das würde ich jetzt gern tun.“
Das war so ziemlich das, was ich schon gedacht hatte, doch trotzdem wurde ich wieder rot und wich seinem Blick aus. Mir war klar, dass Tsu einiges mehr als nur ‚da unten küssen‘ meinte und kurz fragte ich mich, warum wir das, was er da wollte, nicht schon früher gemacht hatten.
Er streckte die Hand aus, strich mit dem Daumen über meine Lippen und fragte: „Und? Willst du das? Darf ich das mit dir machen?“
Ich versuchte, mir das vorzustellen, seine weichen Lippen und seine Zunge an meiner Körpermitte. Sofort verspürte ich dieses heiße, kribbelige Ziehen, und wie ich heiß und hart wurde.
„Jaah“, kam es mir über die Lippen. „Mach …!“
Tsuzuku erhob sich, stieg vom Bett und blieb an der Bettkante stehen.
„Komm her“, sagte er und streckte mir einladend die Hand entgegen. Ich stand ebenfalls auf, kletterte vom Bett und nahm sie an, wurde von ihm dann mit der anderen sanft in eine sitzende Position gedrückt. Dabei streifte mein Blick seine inzwischen voll ausgeprägte und lustgerötete Erregung, er bemerkte meinen Blick und lächelte.
„Das ist nur wegen dir. Schon allein der Gedanke, dir solche Lust zu schenken, macht mich wahnsinnig an“, sprach er, ließ meine Hand los und schob meine Beine sanft auseinander, um sich dazwischen zu knien und so vorzubeugen, dass sein Kopf in etwa auf Höhe meines Schoßes war. Mein Herz klopfte wie verrückt und immer schneller, als ich seinen warmen Atem dort spürte, und als er sich dann noch etwas weiter vorbeugte und ganz direkt meine Härte küsste, da stöhnte ich auch schon laut auf.
„Gefällt dir das?“, fragte er leise und setzte dann einen weiteren Kuss auf mein Glied.
„Jaah … ohhh … oh Gott, ja …!“
Tsuzuku lachte leise, ließ seine warmen Hände langsam über die Innenseiten meiner Oberschenkel wandern und fuhr dann fort, mich mit seinen Lippen völlig wahnsinnig zu machen.
Obwohl er das ja auch so zum ersten Mal machte, wirkte er kein bisschen aufgeregt, nur erregt, und so süß wie immer. Ich dagegen schwankte zwischen Rotwerden und Stöhnen, einerseits war es ungewohnt und mir irgendwie peinlich, und andererseits genoss ich sehr, was Tsuzukus weichen, warmen Lippen mit mir anstellten. Zuerst küsste und saugte er vorsichtig, dann nahm er seine Zunge dazu, saugte heftiger und leckte über meine ganze Länge, berührte dabei gefühlte hunderttausend Nervenenden, was mich wieder laut stöhnen ließ.
Kurz ließ er von mir ab, blickte zu mir hoch und sah die Röte auf meinen Wangen.
„Ist dir das unangenehm?“, fragte er.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein … es ist nur … halt das erste Mal, dass du das machst, deshalb …“
„Dann soll ich weiter machen?“
„Jaaah …!“
Er nahm meine Hand, legte sie auf seine Schulter und sah mich noch einmal an, lächelte, leckte sich kurz über die Lippen und schloss diese dann wieder um meine heiße Erregung. Ich spürte meinen eigenen Pulsschlag dort unten, Tsuzukus unglaublich weichen Lippen, und wie er den Mund etwas weiter öffnete, um mich schließlich fast ganz in sich aufzunehmen.
Meine Hand krallte in seine Schulter und ich schrie auf, das Gefühl, zum ersten Mal im Leben so in ihm zu sein, überwältigte mich beinahe. Mein ganzes Empfinden konzentrierte sich auf meine Körpermitte und so spürte ich deutlich, wie ich die ersten Tropfen ergoss. Stöhnend legte ich den Kopf in den Nacken und schloss die Augen, fühlte Tsuzukus Hand an meinen Hoden, wie er mich dort streichelte und äußerst erregend massierte. Er leckte meinen Lusttropfen ab, ich hörte ihn schlucken und spürte dann, wie seine heiße Zunge, ihre Besonderheit voll ausspielend, meine Eichel umspielte. Ich stöhnte, meine Hüfte zuckte, und ich hielt mich mit beiden Händen haltsuchend an den Schultern meines Freundes fest.
„Tsu…zuku …“, kam mir sein Name über die Lippen, ich sah ihn wieder an und der Anblick, wie er da vor mir kniete und seinen Kopf in meinem Schoß bewegte, brachte mich dem Höhepunkt ein ganzes Stück näher.
In dem Moment nahm er seine Hand von meinen Hoden weg, die andere grub sich in meinen Oberschenkel, und griff in seinen eigenen Schritt. Ganz offenbar machte es ihn wirklich sehr an, was er hier mit mir tat, und er hielt seine eigene Erregung kaum mehr aus.
„Brings … zuende …“, keuchte ich, woraufhin er wieder an der Spitze saugte, so einen leichten Unterdruck erzeugte und dabei seine Zunge auf den hochempfindlichen Nerv an der Unterseite meines Glieds drückte. Das war zu viel für mich, ich schrie wieder auf und kam heftig in seine Mundhöhle, hörte sein ersticktes Keuchen und dann, wie er schluckte.
Sobald er von mir abließ, sank ich rückwärts aufs Bett und es dauerte einen Moment, bis ich mich wieder soweit beisammen hatte, dass ich mich darum kümmern konnte, dass er immer noch hocherregt war. Ich setzte mich wieder auf, sah zu ihm, wie er da auf dem Boden vor dem Bett kniete und anscheinend, mühsam beherrscht, auf mich wartete.
Er erhob sich, setzte sich zu mir aufs Bett und ließ seinen Kopf an meine Schulter sinken.
„Meto … bitte …“
Ich lächelte, streckte dann die Hand aus und legte sie um sein heißes Glied, spürte das Zucken und den erregten Pulsschlag an meiner Handfläche. Schon ein leichter Druck meiner Hand reichte aus, damit Tsuzuku mit einem tiefen, erlösten Stöhnen kam und sein Samen sich über meine Hand verteilte.
Einen Moment blieben wir einfach so, ich hörte ihn schwer atmen und streichelte mit der sauberen Hand seine Seite. Irgendwann ließ er sich dann auf den Rücken sinken, griff nach der Box Taschentücher auf dem Nachttisch und reichte sie mir. Ich zog ein Tuch heraus, säuberte meine Hand und legte mich dann ebenfalls hin.
„Hat’s dir gefallen?“, fragte Tsuzuku, seine Stimme klang müde, aber auch irgendwie zufrieden.
Ich nickte. „Ja, sehr.“
„Dann … soll ich das von jetzt an öfter mit dir machen?“
„Wenn du möchtest, gerne.“
Etwas wollte ich dann aber doch noch wissen, eine Sache, die mir zwar recht peinlich war, aber ich fragte trotzdem: „Tsu …? Sag mal, findest du wirklich, dass … na ja, dass ich gut schmecke? Du hast das damals in unserer ersten Nacht mal gesagt und …“
Weiter kam ich nicht, denn Tsuzuku lachte laut auf. „Und du glaubst mir das nicht so ganz?“, fragte er lächelnd zurück und sagte dann: „Weißt du, es schmeckt vielleicht bitter, das stimmt schon, aber ich schlucke es trotzdem gern. Weil’s deins ist, verstehst du? Ich hab dann was von dir in mir und … der Gedanke gefällt mir.“ Er blickte zur Seite, zuerst verstand ich nicht warum, doch dann sagte er: „Und, weißt du … ich hatte schon ekligeres Zeug im Mund. Da macht mir so was wie Samen nicht viel aus.“
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Und ich fragte mich, wie Tsuzuku es schaffte, selbst aus einer solchen leicht ekligen Sache eine Liebeserklärung zu machen. Infolge dessen fühlte ich mich wahnsinnig geliebt von ihm und schmiegte mich eng an seinen schmalen, warmen Körper.
Es war fast schon ein bisschen unheimlich, wenn ich so darüber nachdachte, wie beinahe besessen und von mir abhängig er mich liebte und wie sehr er mich brauchte. Ich spürte wieder die Verantwortung für ihn, dass ich als sein Liebster gut auf ihn achten musste und dass es zum größten Teil an mir lag, ob er glücklich war oder nicht. Doch jetzt war es anders als früher, wir waren nicht mehr nur gute Freunde und er lebte nicht mehr auf der Straße, war nicht mehr ganz so krank. Wir waren jetzt ein richtiges Paar und als solches war diese Verantwortung in einem irgendwie leichter zu tragenden Zusammenhang.
Tsuzuku setzte sich auf, zog die Bettdecke heran und deckte uns beide zu, kuschelte sich an mich und gab mir einen sanften Kuss auf die Stirn.
„Schlaf gut, mein Liebster“, flüsterte er.
„Du auch.“
Als ich am Morgen aufwachte, war es noch dunkel. Ich streckte mich, tastete nach dem Schalter der Nachttischlampe und machte Licht an. Tsuzuku schlief noch, er lag wieder auf dem Bauch, aber mit dem Gesicht weg von mir, in die andere Richtung. Ich hörte seine gleichmäßigen Atemzüge, und eine Weile lag ich nur da und sah ihn an. Die Bettdecke bedeckte ihn nur bis zur Hüfte und seine helle, glatte Haut schimmerte im Licht, wunderschön, anziehend, verführerisch.
Ich setzte mich auf, rutschte zu ihm rüber und berührte vorsichtig seinen Arm, fuhr mit den Fingern sanft die Konturen der Rose auf seiner Haut nach und ließ meine Hand dann über seine Schulter zu seinem Rücken wandern. Ich wollte ihn nicht wecken, aber ich konnte einfach nicht die Hände von ihm lassen, zu anziehend fand ich ihn in diesem Moment.
„Ich liebe dich“, sagte ich leise, beugte mich über ihn und küsste seine Schulter.
Dabei schmiegte ich mich ein wenig an ihn, er gab ein leises Brummen von sich und bewegte sich meiner Berührung entgegen. Einen Moment lang wusste ich nicht, ob er noch schlief oder schon wach war, und so hörte ich kurz auf, ihn zu streicheln, denn eigentlich hatte ich ihn ja nicht wecken wollen.
„Mhh… Mmeto … Mach weiter …“
„Ist das so schön, wenn ich dich so wecke?“, fragte ich.
„Jaa. Wunderschön …“ Er drehte sich zu mir um, kuschelte sich an mich und seufzte genießend. Sein nackter Körper an meinem fühlte sich unglaublich gut an und ich war noch schlaftrunken genug, um ihn einfach zurück zu kuscheln, sodass wir wenig später die schönste morgendliche Schmuserei hatten.
Erst, als Tsuzuku dann eine Hand zwischen uns schob, nach meinen Nippeln tastete und begann, sie zwischen seinen Fingern zu drücken und zu massieren, kam mein noch recht umnachtetes Gehirn darauf, dass das hier eventuell in eine gewisse Richtung ging, die für den frühen Morgen etwas unpassend war. Aber andererseits … wir hatten heute beide frei, und es fühlte sich einfach wahnsinnig gut an, was wir hier taten.
Schon reagierte mein Körper deutlich angetan und Tsuzuku bemerkte das sofort, lächelte, küsste mich und fuhr fort, meine Brustknospen zu reiben. Ich seufzte gegen seine Lippen, bewegte meine Brust seiner Hand entgegen und spürte, wie sehr er meine Reaktion und dieses Mich-nah-bei-sich-haben genoss. Seine andere Hand wanderte von meiner Seite über meinen Rücken zu meinem Hintern, streichelte und griff dann zu, zog mich eng an seinen Körper, sodass ich spürte, wie erregt er schon war. Mein Glied berührte seines und wir stöhnten beide auf.
„Meto“, sprach er, näherte seine Lippen meinem Ohr und flüsterte: „Ich will mit dir schlafen.“
„Jetzt?“, fragte ich in einem letzten Versuch, unseren ersten morgendlichen Sex doch noch aufzuschieben. Wir hatten es bisher nur abends getan, bis auf das eine Mal nachmittags im Love-Hotel, und irgendwie war mir der Gedanke ungewohnt und ein bisschen unwohl.
Tsuzuku lächelte wieder. „Ja, jetzt.“ Sah mich dann an und fügte hinzu: „Es sei denn, du möchtest nicht.“
„Wir … haben noch nie … morgens …“, sagte ich leise. „Wollen tu ich schon, aber … ich hab ein bisschen Angst, dass ich wieder verspanne …“
„Kann ich denn was tun, dass du entspannt bleibst?“, fragte er, hob die Hand und streichelte meine Wange, sah mich dabei so liebevoll an, dass mein Herz wild zu klopfen begann.
„Mach so, wie bei … unseren zweiten Mal, dass du hinter mir liegst … und mich im Arm hältst. Das war schön …“
„Und vorher deine Nippel küssen, wenn ich dich vorbereite?“
„M-hmm“, machte ich, konnte auch gar nicht mehr sagen, weil Tsu mich in dem Moment küsste und sich noch ein wenig enger an mich drückte.
Schon löste er den Kuss wieder, jedoch nur, um ein Stück weit runter zu rutschen und sich mit dem Mund über meine Brust herzumachen, während seine Hand an meinem Hintern nach meinem Eingang tastete.
In seinem Tun lag eine Art von liebevoller Dominanz, dass er mich einerseits eroberte und gleichzeitig zeigte, dass er lieb und vorsichtig mit mir sein wollte. Und ich schmolz geradezu dahin, fühlte mich wahnsinnig geliebt von ihm und zerging unter seinen Berührungen, seufzte, stöhnte, und war nicht einen Moment lang angespannt, es war einfach nur schön.
Und so war ich kurz ein bisschen verwirrt, als er sich wieder von mir löste und sich erhob.
„Ich bin gleich wieder bei dir, ich hole nur eben das Gleitgel“, sagte er und lächelte leicht.
Ich beobachtete ihn, wie er die Schublade öffnete, darin herumkramte und die Tube herausnahm, und fand ihn einfach nur wunderschön. Und als er mit der Tube in der Hand zurückkam und wieder zu mir unter die Decke kroch, legte ich meine Arme um ihn. Er legte sich gleich wieder so hin, dass er mit den Lippen an meine Nippel herankam, und tat sich mit den Händen hinter meinem Rücken etwas von dem Gleitmittel auf die Finger, fuhr dann fort, meinen Eingang zu erweichen.
Mein Inneres nahm seinen Finger ganz leicht auf und ich stöhnte leise, weil es sich einfach unheimlich gut anfühlte. Mein Stöhnen schien Tsuzuku als Zeichen zu dienen, dass das, was er mit mir machte, gut war, und so machte er immer weiter, küsste meine Brustwarzen und nahm derweil erst einen zweiten, kurz darauf einen dritten Finger dazu, um mein Loch weit genug zu dehnen, dass ich ihn gleich würde aufnehmen können.
Längst war ich ihm ganz hingegeben, süchtig nach seine Zärtlichkeiten, seinen weichen Lippen, warmen Händen, seinem heißen Körper und der Art, wie er mich so liebevoll und bestimmt für sich eroberte.
Und als er dann seine Finger aus mir zurückzog und mich leise aufforderte, mich umzudrehen, da klopfte mein Herz vor Vorfreude auf das, was jetzt kommen würde, immer schneller. Ich drehte mich auf die andere Seite und zog die Knie ein wenig hoch, wissend, dass er dann leichter reinkam.
Eben war mir gar nicht aufgefallen, dass er mit dem Gleitmittel auch gleich ein Kondom geholt hatte, welches er sich jetzt hinter meinem Rücken über sein Glied abrollte, ich konnte es hören und auch, wie er nach den Taschentüchern griff und seine Finger vom Gleitmittel befreite.
Tsuzuku nahm mich in seine Arme, zog mich eng an seinen Körper und schob sich dann langsam und vorsichtig in mich. Ich war so geweitet, heiß und willig, dass mein Inneres sein Glied fast ebenso leicht aufnahm wie seine Finger zuvor, und es tat fast gar nicht weh. Ein bisschen mochte ich diesen leichten Schmerz sogar, irgendwie machte mich das an.
Tsuzukus weichen Lippen küssten meinen Nacken, seine oben liegende Hand streichelte meinen Oberkörper, von meinen Nippeln bis zu meinem Bauch, wo ich wieder dieses heiße, kribbelige Ziehen verspürte, während seine unter mir liegende Hand sich meiner Erregung widmete. Ich stöhnte, wand mich ein wenig und berührte seine Hände und Unterarme mit meinen Händen, was ihm irgendwie zu gefallen schien, denn er begann, sich in mir zu bewegen.
Wie ich dieses wundervolle Gefühl von vollkommener Nähe und dieses Eins-sein mit Tsuzuku liebte! Wie gut es sich anfühlte, ihn in mir zu haben! Und wie schön die Lust war, die wir einander bereiteten!
Es schien nichts Schöneres auf der Welt zu geben, und ich genoss es in vollen Zügen, stöhnte, sprach seinen Namen aus, und schrie, als er jenen süßen Punkt in meinem Innern traf und so in mir immer mehr Lust entfesselte.
„Tsu…zuku … ohhh, jaah … mehr …!“, kam es über meine Lippen.
Er lachte leise, küsste meinen Nacken, drückte mit der flachen Hand auf meinen Bauch, und fragte mit einem hörbaren Lächeln: „Ist das schön, wenn ich dich so vögele?“
„Weißt … du doch … ahhhh … aber, ohhh, mehr!“
Er stöhnte tief, bewegte sich ein wenig schneller und heftiger und fragte dann, atemlos vor Lust: „Soll ich … stoßen?“
Mein Sprachzentrum versagte mir spontan den Dienst und so nickte ich nur, so deutlich wie nur möglich. Tsuzuku fragte nicht mehr nach, er wusste, dass ich mir sicher war, und war wohl auch zu erregt, um sich noch zu beherrschen. Er zog sich ein Stück weit aus mir zurück und stieß dann, laut aufstöhnend, in mich, was mich wiederum schreien ließ.
Ich spürte, dass ich das irgendwie sehr mochte, wenn er so heftig wurde, dass seine hocherregte Hemmungslosigkeit mich anmachte, dazu kam dieses Gefühl von Sicherheit und wie sehr ich ihm vertraute.
Er hielt mich fest, berührte meine Nippel und meine Härte, während er wieder und wieder in mich stieß, stöhnend und viel zu erregt, meinen Nacken noch zu küssen. Und ich überließ ihm völlig die Führung, ließ mich willig von ihm vögeln und wünschte mir, dass kein Kondom zwischen uns wäre, dass ich seinen Samen gleich in mir haben würde. Ich wusste, das Kondom war wichtig wegen Tsuzukus früherem Lebenswandel, doch daran konnte ich jetzt kaum halbwegs vernünftig denken, war viel zu heiß für irgendeinen geordneten Gedanken.
„Meto … ohhhh…“ Sein Stöhnen war nah an meinem Ohr und ihm war anzumerken, dass er kurz vor dem Höhepunkt stand. „Ohhh… Ich liebe dich …!“
Ich griff hinter mich, berührte seine Seite, fühlte seine schweißnasse Haut unter meinen Fingern und hauchte: „Ich liebe dich auch.“
Seine Hand um mein Glied begann, es richtig zu massieren und mich dem Höhepunkt immer näher zu bringen, dem er selbst schon spürbar nahe war und es, das fühlte ich deutlich, kaum mehr aushielt.
„Ich will … ahhh, mit dir zusammen kommen …“, keuchte er, seine Finger reizten die hochempfindlichen Nerven an meinem Glied, und ich dachte an gestern Abend, als seine Zunge dasselbe mit mir gemacht hatte.
Dieser Gedanke gab mir den Rest, und in dem Moment kam Tsuzuku mit einem harten Stoß und einem tiefen, ekstatischen Knurren in meinem Innern. Ich schrie auf, mein Samen ergoss sich über seine Hand und er rieb und drückte so lange, bis nichts mehr kam.
Ich hörte ihn und mich selbst laut und schnell atmen, spürte meinen aufgeregten Herzschlag und glaubte fast, Tsuzukus Herz gegen meinen Rücken hämmern zu spüren. Es dauerte eine Weile, bis wir wieder recht zu Atem kamen und uns soweit beruhigt hatten, dass ein halbwegs klarer Gedanke daran möglich war, dass wir nicht Abend hatten, sondern Morgen, und jetzt nicht einfach eng zusammen einschlafen konnten.
Schließlich zog Tsu sich langsam und vorsichtig aus mir zurück, erhob sich und entsorgte das Kondom und die benutzten Papiertücher. Dann legte er sich wieder neben mich und schloss mich in seine Arme.
„Irgendwann …“, sagte er nach einer Weile, „… irgendwann machst du das auch mal mit mir.“
„Ich … weiß nicht, ob ich das kann“, gestand ich leise. „Ich hab Angst, dir weh zu tun, weil … Ich hab’s ja noch nie gemacht, jemanden genommen.“
„Du musst ganz einfach nur das machen, was ich eben mit dir gemacht habe. Aber du hast ja noch Zeit. Ich verlange das erst von dir, wenn du dafür bereit bist.“
„Aber du möchtest das wirklich, oder?“, fragte ich und drehte mich zu ihm um.
Tsuzuku nickte. „Ich finde das wichtig. Und außerdem …“, er lächelte, „bin ich neugierig darauf, wie sich das anfühlt. Ich will wissen, wie das für dich ist, was ich mit dir mache, will es selbst spüren.“
Ich überbrückte die kurze Distanz zwischen uns und küsste ihn. Er war einfach so wahnsinnig süß, lieb und wundervoll, und ich fühlte mich so geliebt von ihm, dass es mich richtig rührte.
Deshalb tat es mir auch jedes Mal so weh, wenn er sich abwertete und schlechtredete. Weil er in meinen Augen der liebste, süßeste Mensch auf der Welt war. Egal, was er für Fehler hatte, ich liebte ihn einfach über alles.
„Tsu, du bist so süß, weißt du das?“
„Süß? Ich?“, fragte er und zog die Augenbrauen leicht hoch.
„Ja, süß, du.“ Ich grinste und küsste ihn wieder. „Und ich hab dich so, so, so, so lieb.“
Irrte ich mich oder schlich sich da ein leichter Rotschimmer auf seine Wangen? Doch anscheinend sah ich richtig, denn er drehte den Kopf weg und sagte leise: „Meto, du bist hier der Süße. Du machst mich noch … ganz verlegen.“
Ich lachte, küsste ihn auf die Wange und stand dann auf. Es ziepte ein wenig, doch das ignorierte ich, sah es einfach als notwendige Folge an und als Preis, den ich für diesen Genuss zu zahlen hatte. Und es war ja wirklich so wahnsinnig schön gewesen, das musste ja einen Nachteil haben. Wenn mir dann heute ein bisschen der Hintern weh tat, dann war das eben so.
„Gehst du zuerst duschen?“, fragte Tsu und erhob sich ebenfalls.
Ich nickte und begab mich ins Bad, stieg, unbekleidet wie ich war, gleich in die Dusche, und stellte das Wasser an.
Tsuzuku kam herein, stellte sich vor den Spiegel und begann mit dem Teil seiner Morgenroutine, den er schon vor dem Duschen erledigen konnte.
„Und?“, fragte er und sah mich durch den Spiegel an. „Weißt du schon, was wir heute machen?“
Ich überlegte einen Moment. Zuerst dachte ich ans Meer und an das Schwimmbad beim Strand, doch nachdem Tsu und ich heute ja schon sehr intim geworden waren, war Schwimmen gehen und das damit verbundene Rumknutschen vielleicht zu viel. Besser war es sicher, wenn wir irgendwas taten, was nichts mit Intimitäten zu tun hatte, sozusagen als kleiner Ausgleich, und so kam mir schließlich die Idee, dass wir ja in unsere Heimatstadt fahren und meine Eltern besuchen könnten.
„Wie wär’s, wenn wir zu meinen Eltern fahren?“, fragte ich.
Tsuzuku drehte sich zu mir um und sah mich einen Moment lang durch die durchsichtige Tür der Dusche hindurch an. Er schien kurz darüber nachzudenken und antwortete dann: „Ja, können wir machen.“
„Mama macht sich ein bisschen Sorgen um dich, weil ich ja letztens bei ihr war und ihr erzählt hab, dass es dir nicht gut ging. Ich denke, sie würde sich freuen, zu sehen, dass es dir besser geht“, sagte ich und begann dabei, mich einzuseifen.
„Geht’s mir denn besser?“, fragte Tsuzuku, klang auf einmal wieder so seltsam ironisch und drehte sich wieder zum Spiegel um.
Ich wusste keine rechte Antwort auf die Frage. Sie hörte sich an, als fühlte mein Freund sich, obwohl es ihm von außen gesehen gut ging, trotzdem innerlich instabil, und das ließ wieder leise Sorge in mir aufkeimen. Ich tat doch alles, damit es ihm gut ging, warum fragte er dann so? War etwa wieder irgendwas in ihm nicht in Ordnung, was er mir nicht sagen wollte?
Ich beeilte mich mit dem Duschen und als ich aus der Kabine stieg, wartete Tsu schon darauf und betrat sie gleich, um sich ebenfalls zu waschen. Ich trocknete mich derweil ab, zog mich an, trocknete meine Haare und kämmte sie einfach nur durch, hatte heute keine Lust, sie besonders zu stylen. Stattdessen kramte ich meine heißgeliebten Sclera-Linsen mal wieder raus und setzte eine durchsichtig-weiße und eine schwarz-rote ein. Mein Make-up fiel dementsprechend bunt aus und als Tsu mit Duschen fertig war und mich ansah, lächelte er.
„Du siehst umwerfend aus, mein Süßer.“
Er selbst ließ sein Makeup, nachdem er sich abgetrocknet und angezogen hatte, heute wesentlich schlichter ausfallen als meines, schien weniger Lust auf Kontaktlinsen und dergleichen zu haben. Und so sah ich, als ich in seine dunklen Augen blickte, irgendetwas darin, was sehr verdächtig nach Geheimnis und versteckter Traurigkeit aussah.
Ich wollte einfach nicht, dass er schon wieder irgendwas mit sich herumtrug und mit sich selbst ausmachte, und so nahm ich meinen Mut zusammen, legte beide Hände auf seine Schultern und fragte: „Sag mal, ist irgendwas? Macht dich was traurig?“
Er wich meinem Blick aus, sah nach unten und sagte: „Nein, nichts.“
Zwar hatte ich mir denken können, dass er das antwortete, doch jetzt wollte ich das nicht einfach dabei belassen. Gerade vorgestern, wo er so ausgepackt hatte, hatte ich das Gefühl gehabt, dass er endlich was begriffen hatte, was Geheimnisse anging, doch jetzt schien das schon wieder loszugehen, dass er alles mit sich selbst ausmachte. Und so ließ ich ihn nicht los, sondern berührte ihn am Kinn und zwang ihn, mich anzusehen.
„Tsuzuku, ich merk doch, dass da gerade was ist, also sag! Rede mit mir!“
Es dauerte einen Moment, bis er antwortete, und ich versuchte, in seinen Augen zu lesen. Ging es um diese Borderline-Sache, von der ich immer noch nicht so wirklich wusste, was das eigentlich genau war? Oder war da noch etwas anderes?
„… Mir ist nur eben … irgendwie der Gedanke gekommen …“, sagte er schließlich, „… dass ich schon sehr lange nicht mehr am Grab meiner Mutter war. Zuletzt war ich da vor eineinhalb Jahren oder so, nachdem ich die Wohnung verloren hatte.“
Seine Mama. Das also. Jetzt wusste ich den Schmerz in seinen Augen wieder zu deuten, diese tiefe, unauslöschliche Traurigkeit.
„Möchtest du … da gern mal wieder hin?“, fragte ich vorsichtig.
„Ich weiß nicht. Ob ich das aushalte. Eine Zeit lang hat es nicht mehr so wehgetan, aber in letzter Zeit ist das wieder mehr geworden. Ich …“, er brach ab, biss sich auf die Unterlippe, war auf einmal den Tränen nahe. Und ich schloss ihn in meine Arme, wusste nicht, ob ich ‚Nicht weinen‘ oder ‚Lass sie raus, die Tränen‘ sagen sollte, und spürte, dass er selbst nicht wusste, ob er jetzt weinen wollte oder nicht. Eine Weile blieben wir einfach so, dann löste er sich aus meiner Umarmung, straffte seine Haltung, schluckte, und blinzelte ein paar Mal.
„Wir können ja erst mal zu meinen Eltern fahren, und dann überlegen wir, ob wir noch auf den Friedhof gehen oder nicht“, sagte ich.
Tsuzuku nickte, drehte sich dann um und ging in Richtung Küche. Ich folgte ihm und sah zu, wie er ohne ein Wort den Tisch deckte, sich etwas zu trinken in sein Glas eingoss und sich etwas von dem kalten Gemüse nahm, der noch von gestern übrig war. Ich kochte mir eine Tasse Kaffee und setzte mich dann, um mir ein Brot zu machen, da war er schon mit Essen fertig, öffnete das Fenster und rauchte seine allmorgendliche Zigarette.
„Hat dir das eigentlich gefallen, dass wir heute zum ersten Mal morgens Sex hatten?“, fragte er auf einmal.
Ich nickte, lächelte. „Es war auf jeden Fall schön. Auch, wenn es sich ein bisschen komisch anfühlt, das morgens zu machen und dann aufzustehen.“
Er drückte seine Zigarette auf dem äußeren Fensterbrett aus, ließ sie nach draußen hinunterfallen und sah mich einen Moment lang mit einem leichten Lächeln auf den Lippen an. „Aber es gefällt dir?“
„Ja, sehr.“
„Weißt du, Meto … Ich hoffe immer, wenn wir uns morgens schon nahe sind und sich das so gut anfühlt, dass der ganze Tag gut wird, dass mir das Kraft gibt, all das, was auf mich zukommt, durchzustehen. Im Moment ist alles … irgendwie wieder ziemlich schwer, da … brauche ich das.“
„M-hm.“ Ich nickte. Ja, das konnte ich verstehen.
„Da ist mir wichtig, dass du das auch gern tust. Und wenn dir was wehtut …“
„Das ist mir egal, ob es wehtut“, unterbrach ich ihn, stand auf, ging die zwei Schritte auf ihn zu und umarmte ihn. „Das ist mir wirklich egal. Tsu, das Wichtigste für mich ist, dass es dir gut geht, dass du glücklich bist. Und es gefällt mir sehr, mit dir zu schlafen.“ Ich schob meine Hand zwischen uns, legte sie auf sein Herz und malte ein kleines Herzchen auf den schwarzen Stoff seines Shirts. Einen Moment lang blieben wir so, ich hörte ihn leise atmen und spürte seinen Herzschlag unter meiner Hand.
Schließlich löste Tsuzuku sich von mir, gab mir einen Kuss auf die Wange und ging in den Flur, zog seine Jacke an. Ich räumte schnell das Essen wieder in den Kühlschrank und das Geschirr ins Spülbecken, dann folgte ich ihm und zog ebenfalls meine Jacke an, nahm meine Tasche und wir verließen die Wohnung.
Auf dem Flur trafen wir Akko, das Mädchen aus der Wohnung gegenüber. Sie kam gerade die Treppe rauf, sah uns und lächelte.
„Guten Morgen, ihr beiden“, begrüßte sie uns fröhlich und verbeugte sich leicht.
„… Morgen“, erwiderte ich, viel zu leise und unsicher. Wenn ich lange und intensiv mit Tsu alleine war, vergaß ich manchmal beinahe, wie schwer mir das Sprechen bei anderen fiel. Dadurch, dass ich jetzt bei der Arbeit im Café die Rolle der schweigenden Puppe spielte, fühlte es sich an wie wieder zwei Welten, zwischen denen ich hin- und her wechselte. Mein Stottern und das alles, die Unsicherheit beim Sprechen, lag irgendwo dazwischen.
Tsuzuku war da so anders als ich, oder zumindest ging er anders damit um, tat leichter so, als hätte er kein Problem damit, auf Leute zuzugehen. Ich wusste ja, dass er da auch so seine Schwierigkeiten hatte, aber er überspielte das einfach anders, besser, wünschte Akko freundlich einen guten Morgen.
„Geht ihr aus?“, fragte Akko und sah mich mit besonderem Blick auf mein heute ja sehr buntes Makeup an.
„Wir fahren Metos Eltern besuchen“, antwortete Tsu an meiner Stelle.
„Ihr zwei seht immer so hübsch aus, als ob ihr irgendwo besonderes hinwollt“, sagte Akko. „Aber das gehört ja so, wenn man sich zum VKei zählt, ne?“
„Danke“ Tsuzuku lächelte, und ich bekam auch ein passables Lächeln hin.
Akko ging in ihre Wohnung, und wir die Treppen hinunter und nach draußen.
„Nehmen wir die U-Bahn bis zum Bahnhof oder wollen wir das Stück laufen?“, fragte mein Freund mich und legte einen Arm um meine Taille.
Ich blickte hoch zum Himmel, wo die Sonne gerade zwischen den Wolken durchkam. Es sah nicht nach Regen aus, also sagte ich: „Wir laufen.“
Den ganzen Weg zum Bahnhof über hielt Tsuzuku den Kontakt zu mir: Erst sein Arm um mich, und dann, als wir etwas schneller gingen, nahm er meine Hand. Doch irgendwie fühlte sich das weniger nach seiner Verliebtheit, als vielmehr nach einer Sehnsucht nach Schutz und Kraft an, fast ein bisschen so wie in der Zeit, als ich sein einziger Halt im Leben gewesen war. Ich schaute ihn an, er sah nachdenklich aus und wieder fast so traurig wie vorhin. Ob er auch jetzt wieder an seine Mama dachte? Diese unglaublich schwere Sache, diesen tiefen Schmerz, ich wollte ihm das so gern nehmen, doch das konnte ich nicht, niemand konnte das. Alles, was ich tun konnte, war, ihm so viel Liebe wie irgend möglich zu geben, und das wollte ich unbedingt tun.
Ich schmiegte mich im Gehen an seinen Arm, er sah mich an, und ich lächelte, so süß und fröhlich, wie ich nur vermochte.
Als wir den Bahnhof erreichten, fuhr gerade der Zug in Richtung unserer Heimatstadt ein. Wir stiegen ein und suchten uns ein ruhiges Abteil, in dem nur zwei ältere Damen saßen.
Tsuzuku suchte weiter Körperkontakt zu mir, legte seine Hand auf mein Bein, gut sichtbar, und streichelte mit dem Daumen über den Stoff meiner Hose. Ich lehnte mich an seine Schulter und hörte, wie er mir ganz leise zuflüsterte: „Wenn du jetzt dein Kleid und die Perücke an hättest, würden die beiden Omas dich bestimmt für ein süßes Mädchen halten.“
Ich lachte leise, legte meine Hand auf seine. Wir hatten das schon mal gemacht, dass ich ein Kleid und die Perücke angezogen hatte, und Tsuzuku seine Lackledersachen. So hübsch gemacht waren wir zusammen in die Innenstadt gegangen und hatten unseren Spaß daran gehabt, aufzufallen, anders zu sein und die Leute ein wenig damit zu verwirren, dass ich mit meiner zwar meist leisen, aber doch unverkennbar männlichen Stimme gesprochen und so das mädchenhafte Bild, welches ich durch das süße Outfit abgab, ein wenig aufgebrochen hatte.
Das Selbstbewusstsein, das ich dabei empfand, war ähnlich dem, mit dem ich mich früher im Techno-Club präsentiert und fremde Typen angesprochen hatte, um mich abzulenken. Ich fiel gerne auf, auf gewisse Weise jedenfalls.
Eine der beiden älteren Damen sah uns aufmerksam an und ich vermutete, dass sie versuchte, uns einzuschätzen. Mich störte es nicht, aber ich wusste nicht genau, wie Tsuzuku sich fühlte, wenn ihn jemand so beurteilend ansah. Fühlte er sich ähnlich selbstbewusst wie ich, oder war er gerade so unsicher und traurig, dass ihm das wehtat?
Ich war froh, als der Zug hielt und wir aussteigen konnten. Doch während wir durch den Bahnhof in Richtung Stadt gingen, fühlte ich mich wieder irgendwie seltsam, weil es eben unsere Heimatstadt war, in der wir jetzt nur noch zu Besuch waren. Tsuzuku hielt wieder meine Hand, das gab mir Sicherheit und ließ mich mich gut fühlen.
Wir liefen durch die Stadt, wobei wir einen großen Bogen um die Gegend des Akutagawa-Parks machten, und außerdem, wie schon immer, der Straße auswichen, in der Tsu früher gelebt hatte.
Dabei kamen wir, mehr zufällig, durch die Altstadt, und dort am Friedhof vorbei. Ich sah die vielen grauen Steinstelen schon von weitem und bekam sofort ein ungutes Gefühl, wollte stehen bleiben, doch Tsuzuku legte, statt langsamer zu werden, an Gehgeschwindigkeit zu, ließ meine Hand los und strebte in jene unheilvolle Richtung.
„Tsu…“, begann ich, da blieb er auch schon an der Pforte stehen. Er hatte den Kopf gesenkt und strahlte auf einmal eine seltsame Unnahbarkeit aus.
„… Denkst du, das ist … eine gute Idee …?“, fragte ich unsicher.
Tsuzuku antwortete nicht. Ich ging auf ihn zu und sah, dass seine Hände und seine Schultern zitterten. Vorsichtig legte ich meine Hand auf seinen Rücken und spürte so, dass er große Angst hatte.
Und mit einem Mal drehte er sich um und lief davon. Rannte einfach weg und ließ mich stehen.
„Tsuzuku!“, rief ich, lief dann los, ihm nach. Und als ich ihn endlich sah und einholen konnte, da stand er mitten auf dem schmalen Weg zwischen den alten Häusern, vornüber gebeugt, keuchend, völlig außer Atem. Ich lief auf ihn zu, hörte mich selbst laut und schnell atmen, und als ich bei ihm war, nahm ich ihn einfach in meine Arme. Er zitterte am ganzen Körper, hustete, klammerte sich an mich.
„Bist du okay?“, fragte ich, heftig besorgt.
Er antwortete zuerst nicht, dann, ganz leise: „… Ich … pack das nicht … Ich halte das … nicht aus …“
„Du musst doch auch nicht“, sagte ich und streichelte über seinen Rücken. „Niemand schreibt dir vor, da hin zu gehen, auch deine Mama nicht.“
„Ich … will aber.“
Zum Glück waren wir in einer kleinen Seitenstraße und es war niemand in der Nähe, der uns sehen, anstarren und eine dumme Bemerkung hätte machen können.
„Warum willst du das denn? Einerseits sagst du, du packst das nicht, aber andererseits willst du?“
„Ich … muss mich doch auch … darum kümmern …“, sagte er und fügte dann kaum hörbar hinzu: „Sie hatte doch … nur noch mich …“
„Was ist denn mit deinen Verwandten? Denen, die jetzt in der Wohnung leben und so?“
„Ich kenn die doch kaum. Und … als Mama noch da war, … haben die sich auch nicht für sie interessiert.“
Ich spürte, dass Tsuzuku dabei war, tief in seiner Traurigkeit zu graben und Sachen hochzuholen, die besser vergessen bleiben sollten. Und ich ahnte, wie gefährlich das war. Zwar wusste ich immer noch so gut wie nichts über dieses Ungeheuer namens Borderline, aber ich hatte so das Gefühl, dass er da gerade ganz nah dran war.
„Komm, wir gehen jetzt hier weg, zu meinen Eltern, und du beruhigst dich wieder und lenkst dich ab, okay?“, sagte ich. „Und nachher können wir immer noch überlegen, ob wir auf den Friedhof gehen oder nicht.“
Er nickte, immer noch zitternd. Ich nahm seine Hand und führte ihn weg, in Richtung Akayama.
Auf dem Weg zu meinem Elternhaus beruhigte Tsuzuku sich langsam wieder und als wir dort ankamen, ging es ihm wenigstens auf den ersten Blick gesehen wieder gut. Ich hoffte, dass es in ihm auch halbwegs ruhig aussah und er seine Traurigkeit zumindest bis nachher beiseiteschieben konnte.
Ich schloss die Haustür auf und hörte gleich, dass auf jeden Fall Mama zu Hause war, denn das Radio in der Küche lief, schallte durchs ganze Haus.
„Mama?“, fragte ich laut.
„Yuu, bist du’s?“
Das Radio wurde leiser gestellt und kurz darauf kam Mama aus der Küche, während Tsu und ich noch unsere Schuhe und Jacken auszogen. Mama strahlte mich an, freute sich sichtlich, uns zu sehen.
„Yuu, Genki, kommt ihr mich besuchen?“
„Wir haben frei … und da dachten wir … wir besuchen dich“, antwortete ich.
„Wie geht’s euch?“, fragte sie. „Kommt ihr gut alleine zurecht?“
Ich nickte und erzählte ihr leicht stockend davon, dass ich begonnen hatte, für Tsuzuku und mich regelmäßig zu kochen. Mama fragte weiter, wollte wissen, wie es mit dem Arbeiten lief, mein Job im Café und bei Tsu das Studio, und kochte uns derweil Tee. Ich erzählte, mein Freund sagte auch hin und wieder etwas dazu, und so kamen wir irgendwann auch auf das Thema, wie es ihm ging.
„Geht’s dir besser, Genki? Yuu hatte letztens erzählt, dass es dir nicht gut ging.“
Tsu war sofort anzumerken, dass er nicht wusste, was er antworten sollte. Nach seinem kleinen Zusammenbruch eben konnte man ja irgendwie nicht behaupten, dass es ihm besonders gut ging, aber er schien auch nicht sagen zu wollen, dass es ihm schlecht ging.
„… Es geht …“, antwortete er schließlich. „Mal gut, mal schlechter, ist ja normal für mich.“
„Und geht’s mit dem Essen, wenn ich das fragen darf?“, fragte Mama weiter.
Tsuzuku nickte. „Meto gibt sich so viel Mühe beim Kochen, das muss ich einfach essen.“
Seine Hand griff unter dem Tisch nach meiner, ich ergriff seine und spürte, dass er das wirklich so meinte mit dem Essen. Es war ein Kompliment an meine noch unausgereiften Kochkünste und zugleich ein Zeichen, dass Tsu sich an sein Versprechen, gegen die Essstörung anzukämpfen, unbedingt halten wollte. Und es machte mich glücklich. Ich lehnte mich leicht an ihn, er sah mich an und hauchte mir einen Kuss auf die Wange.
„Man kann euch so schön ansehen, dass ihr glücklich zusammen seid“, sagte Mama, lächelte, nahm einen Schluck Tee und fuhr dann fort: „Ich kann inzwischen wirklich nicht mehr verstehen, wie man was dagegen haben kann.“
„Unsere eine Nachbarin schon“, antwortete Tsuzuku. „Die kommt da gar nicht mit zurecht.“
„Aber sie macht euch nicht das Leben schwer, oder?“
„Bis jetzt nicht“, sagte mein Freund. „Und ich hoffe, sie lässt uns einfach in Ruhe.“
Wir saßen eine ganze Weile am Küchentisch, tranken Tee und redeten, Mama räumte irgendwann ihre auf dem Küchentisch ausgebreiteten Unterlagen weg.
Ich hatte das Gefühl, dass Tsuzuku sich langsam wieder entspannte, dass er sich in meinem Elternhaus wohlfühlte, und er und Mama sich wirklich gut verstanden. Und ich hoffte, dass meine Mama und ich, irgendwie oder vielleicht nur ein klein wenig, meinem Schatz seine verlorene Familie ein bisschen ersetzen konnten. Mir war klar, dass niemand ihm seine Mama wirklich ersetzen konnte, aber vielleicht konnten wir ihn ja ein bisschen ablenken und glücklich machen.
Ich hielt fast die ganze Zeit über seine Hand und bekam so ziemlich genau mit, wie er sich fühlte. Und es schien ihm gerade gut zu gehen. Doch irgendwann spürte ich wieder, wie er sich anspannte und seine Hand zitterte. Es war in dem Moment, als Mama auf die Uhr schaute und sagte, dass es auf Mittag zuging.
„Wollt ihr hier essen?“, fragte Mama.
Ich sah Tsuzuku fragend an. Er wirkte auf einmal wieder so seltsam unnahbar und viel zu nachdenklich, sodass ich mich kaum traute, ihn anzusprechen.
„Tsu …?“, fragte ich unsicher. „Willst du hier essen, oder fahren wir nach Hause und ich koche was für uns?“
Er schüttelte den Kopf. „Ich hab keinen Hunger. Du kannst gerne was essen, aber ich will nichts.“
„Was … ist denn?“
„Ich möchte jetzt nichts essen.“ Er klang zwar noch ruhig, aber seine Hände zitterten und er strahlte diese Mischung aus Angst und … Selbsthass aus, die ich von früher von ihm kannte.
Ich dachte einen Moment nach, darüber, was ich tun sollte, stand dann kurzentschlossen auf, nahm Tsuzukus Hand und zog ihn mit, raus aus der Küche, ins Wohnzimmer, wo ich ihn sanft, aber bestimmt aufs Sofa niederdrückte.
„Was hast du denn?“, fragte ich, mit gedämpfter Stimme, damit Mama in der Küche nicht alles mitbekam.
Tsu sah mich nicht an, blickte zu Boden und sagte leise: „Ich will da hin, auf den Friedhof. Ich hab so ein Gefühl, dass ich das muss. Und wenn ich vorher was essen würde, dann würde ich sehr wahrscheinlich brechen.“
„Und du meinst, du schaffst das, also da hin?“
„Ich muss. Sie hatte doch nur noch mich.“
Ich wusste nichts dagegen zu sagen. Tsuzuku schien das, obwohl er sich bestimmt absolut sicher war, dass er weinen würde, unbedingt zu wollen. Ich hatte Angst, dass es ihm nicht gut tun würde, dass er infolge dessen rückfällig wurde, doch ich konnte ihn nicht aufhalten.
Er stand auf, ging an der Küche vorbei in den Eingangsbereich und zog seine Schuhe und seine Jacke an. Ich ging zu Mama und sagte ihr, dass wir nach Hause fuhren, weil Tsu sich nicht gut fühlte, und dass es mir leidtat, nicht noch länger bleiben zu können. Dann folgte ich ihm, zog ebenfalls Schuhe und Jacke an, nahm meine Tasche und verließ mein Elternhaus wieder.
Ich wusste, Mama bekam mit der Zeit immer mehr von Tsuzukus Problemen mit, von denen sie ja wusste, weil ich ihr damals alles erzählt hatte. Wahrscheinlich machte sie sich jetzt, genau wie ich, Sorgen um ihn.
Tsuzuku ging schnell, ich musste ihn richtig einholen, und als ich ihn erreichte und ansah, da sah ich Tränen in seinen Augen, er schniefte und blinzelte, ging dabei immer schneller.
„Tsu, warte!“, rief ich, fiel schon wieder hinter ihn zurück. „Bleib stehen!“
Er blieb stehen, sah sich nach mir um, ich holte ihn wieder ein und griff seine Hand.
„Wir machen das zusammen, okay?“, sagte ich, leicht keuchend vom schnellen Laufen. „Wir gehen da zusammen hin, du sagst deiner Mama, wer ich bin, und wenn da was zu tun ist, irgendwas aufräumen oder so, dann machen wir das auch zusammen.“
Tsuzuku drückte meine Hand, sah mich mit dieser Dunkelheit in den Augen an und sagte leise: „Danke, Meto. Auch, … dass du mich nicht allein lässt …“
„Warum sollte ich dich alleine lassen?“, fragte ich. „Wieso denkst du so was?“
„Weil ich so unerträglich bin … und dir so viel abverlange …“
Ich drehte mich ganz zu ihm um, legte beide Hände auf seine Schultern und sah ihn ganz direkt an. Beinahe schon machte es mich sogar wütend, was Tsu da gerade gesagt hatte, von wegen er sei unerträglich. Wie oft sollte ich ihm denn noch sagen, dass das nicht stimmte, dass er absolut nicht ‚unerträglich‘ war?! Ich hatte ihn ja gefragt und er hatte geantwortet, aber dass er überhaupt so dachte …
„Tsuzuku!“, sagte ich laut, „Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du ganz sicher nicht ‚unerträglich‘ bist? Ich liebe dich, verdammt nochmal, und es tut mir weh, wenn du so was sagst!“
Er sah mich an, verwundert oder vielleicht ein bisschen erschrocken, weil ich so laut wurde. Ich spürte, das hier war ziemlich nah dran an einem Streit.
„Ich … will dir nicht weh tun“, antwortete er leise. „Es ist nur so, dass ich … Ich kann das manchmal einfach nicht so glauben, dass … du so was wie mich liebst.“
„‘So was‘?“, wiederholte ich diese so abwertend klingenden Worte und spürte dabei einen leichten Stich in der Herzgegend.
Tsuzuku blickte mit Tränen in den Augen an mir vorbei, bewegte tonlos die Lippen und sagte dann, ganz leise, kaum zu hören: „So ‘n Borderliner wie mich …“
Es tat weh. Es tat richtig weh. Ich wusste zwar immer noch nicht genau, was ich mir unter diesem Wort eigentlich vorstellen sollte, aber dass es nichts Gutes war, das war mir klar. Es war abwertend, schmerzhaft und gemein, und der Tonfall, in dem Tsu das sagte, verstärkte das noch.
Ich spürte, wie ich wütend wurde, wusste aber nicht, auf wen oder was. Vielleicht auf dieses Ungeheuer, dass sich vor langer Zeit in der Seele meines Freundes eingenistet hatte und ihn solche Dinge sagen ließ.
Und doch wusste ich, dass er das alles jetzt wahrscheinlich nur sagte, weil er aufgeregt war wegen dem, was er vorhatte. Er konnte nichts dafür und wollte mich weder verletzen, noch wütend machen, er konnte einfach nur nicht anders.
„Du bist aufgeregt, oder? Und du hast Angst. Deshalb sagst du jetzt so was. Eigentlich weißt du, dass ich dich liebe, so wie du bist, oder?“, fragte ich.
Tsuzuku antwortete nicht, doch ich sah ihm an, dass ich Recht hatte. Er hatte einfach wahnsinnige Angst. Angst, am Grab seiner Mama die Fassung zu verlieren, und Angst, dann rückfällig zu werden, zu erbrechen oder sich verletzen zu wollen. Es war ihm nur allzu deutlich anzusehen.
„Ich bin bei dir“, sprach ich und nahm wieder seine Hand. „Ich halte dich.“
Den Rest des Weges gingen wir ohne ein weiteres Wort Hand in Hand. Ich spürte, wie er, obwohl sich ein Teil seiner Anspannung eben ein wenig entladen hatte, mit jedem Schritt aufgeregter wurde. Und als wir die Altstadt durchquerten und schließlich die Pforte des Friedhofs erreichten, war er zwar nach außen hin ruhig, doch von ihm ging eine eigenartige, dunkle Ausstrahlung aus, die sich wie Lava unter der Oberfläche zu stauen schien.
„Bereit?“, fragte ich leise.
Er nickte, seine Hand in meiner zitterte.
Langsam gingen wir zwischen den grauen Steinstelen entlang, den vielen Namen, Blumen, Opfergaben. Tsuzuku schien nicht mehr ganz genau zu wissen, wo sich das Grab befand, er sah sich einige Steine genauer an, schaute sich um, blieb hin und wieder stehen.
„Weißt du noch, wo’s ist?“, fragte ich.
„Irgendwo weiter hinten“, sagte er, seine Stimme klang seltsam ruhig und belegt.
Wir durchquerten den halben Friedhof, auf dem wir ganz allein zu sein schienen, gingen an dem kleinen Tempel vorbei, der sich etwa in der Mitte befand, und Tsu ging wieder schneller, schien jetzt genau zu wissen, wo er hin wollte. Ich ließ seine Hand los, er lief los, zwischen den Grabsteinen entlang, und blieb dann auf einmal stehen. Und ich wusste, er hatte es gefunden.
Zuerst stand er nur da und blickte auf den Stein vor ihm. Je näher ich kam, umso deutlicher sah ich, wie sehr er um Fassung rang. Und als ich schließlich wieder neben ihm stand, da schluchzte er plötzlich auf und sank auf die Knie. Seine Schultern bebten, er beugte sich vor, stützte sich mit den Händen auf dem kalten Erdboden ab und weinte. Ich kniete mich neben ihn, ob meine Hose schmutzig wurde, war mir egal, und legte meine Hand auf seinen Rücken.
„Lass es raus“, sprach ich leise. „Es ist niemand hier außer uns, nur du und ich.“
Ich hatte mit meinen Worten erreichen wollen, dass er sich nicht zu sehr selbst kontrollierte und nicht diesen schmerzhaften Stau im Herzen fühlte. Doch trotzdem war ich erschrocken, als Tsuzuku auf meine Worte hin immer heftiger weinte, hemmungslos alles herausließ und schließlich kaum verständliche Worte über seine Lippen kamen. Worte aus seinem Innersten, schlimme Dinge, die ich so noch nicht gewusst hatte.
„Mama … Es tut mir so leid … Es tut mir so wahnsinnig leid … Ich hab dir so oft weh getan, hab dir das Leben schwer gemacht, mit meiner ganzen verdammten, kaputten Persönlichkeit … Ich weiß jetzt, wie gestört ich bin, ich will nicht so sein, und doch, manchmal bin ich gern so. Ich hasse mich! Warum bin ich so, warum hab ich dir solche Schwierigkeiten gemacht?!“
Seine Tränen fielen auf den Sandboden, malten dort dunkle, runde Flecken. Ich fühlte mich irgendwie befangen, blickte auf den Stein, wo der Name „Aoba Misayo“ in hübschen, perfekt in den grauen Stein gravierten Zeichen stand. Misayo hatte sie also geheißen, Tsuzukus Mama.
„Verzeih mir, Mama, bitte … Ich … hab das nicht gewollt. Ich …“ Er brach ab, konnte vor weinen kaum mehr sprechen. Kurzentschlossen rückte ich näher zu ihm und schloss ihn in meine Arme, hielt seinen bebenden Körper fest, zog ihn eng an mich und spürte seine tiefe Trauer und die entsetzliche Verzweiflung ganz nah. Er ließ sich einfach von mir umarmen und halten, und vielleicht tat es ihm auch ein klein wenig gut.
„Ich … ich hab sie umgebracht“, flüsterte er mit tränenerstickter Stimme an meiner Schulter. „Ich bin schuld. Wenn ich damals nicht …“
„Shhh“, unterbrach ich ihn. „Shhh…“ Ich wollte irgendwas wie ‚Alles gut‘ sagen, ‚Alles gut, ich bin bei dir‘, aber würde ihn das in seiner furchtbaren Traurigkeit überhaupt erreichen?
„… Wenn ich nicht so gestört wäre … und wenn ich dran gedacht hätte, dass sie krank war …“
„Nein, Tsu, nicht das alles wieder hochholen“, unterbrach ich ihn wieder. „Das ist nicht gut.“
Doch ich spürte, dass es längst alles oben war, dass er sich binnen Sekunden seine ganze Trauer und seine Schuldgefühle wieder ins Bewusstsein geholt hatte und jetzt nicht einfach wieder davon weg konnte. Ich hoffte und betete so sehr, dass er das hier überstand, ohne rückfällig zu werden.
Der Tag heute hatte doch so schön angefangen! Warum war jetzt alles wieder so schlimm und traurig? Warum musste der liebste Mensch, den ich auf dieser Welt hatte, so furchtbar leiden? Wieso lag er schon wieder weinend in meinen Armen, statt glücklich zu lachen und mit mir unseren gemeinsamen freien Tag zu genießen?
In diesem Moment empfand ich das Leben als furchtbar ungerecht. Und ich konnte nichts tun, als meinen Freund zu halten und ihm all meine Nähe und Liebe zu schenken, damit er ein paar Momente lang glücklich war, nur um dann wieder zusammenzubrechen. Doch ich war bereit, das immer wieder zu tun, ihn immer wieder, wenn auch nur für kurz, glücklich zu machen.
Tsuzuku klammerte sich an mich, seine Hände krallten in meinen Rücken, er weinte bitterlich und ich spürte die Nässe seiner Tränen schon auf der Haut, mein Shirt war an der Schulter ganz nass. Es war recht lange her, dass er so sehr vor mir geweint hatte, und mir kam der Gedanke, dass er das vielleicht brauchte, mal alles rauszulassen.
Und irgendwann, ich hatte schon ein wenig das Zeitgefühl verloren, da beruhigte er sich langsam wieder. Seine Atmung schluchzte noch weiter, er klang fast so, als bekäme er kaum Luft, und ich streichelte seinen Rücken, geduldig wartend, bis er wieder halbwegs zu Atem kam und seine Tränen nicht mehr flossen. Er sah mich an, seine Augen waren stark gerötet vom Weinen, und fragte flüsternd: „Meto, wie hab ich so jemand Süßes wie dich eigentlich verdient?“
Es war ja nicht das erste Mal, dass er mich das fragte, aber dieses Mal konnte ich ganz sicher und überzeugt antworten: „Indem du der liebste Mensch bist, den ich auf dieser Welt habe. Und jetzt lächle ein bisschen und freu dich, dass du mich hast.“
Ein kleines, zögerliches Lächeln huschte über seine Lippen und dann fiel er mir um den Hals, ich glaubte fast, seinen Herzschlag zu spüren, und wie er mit einem Mal wieder glücklich war. Oder so was Ähnliches wie glücklich.
Er löste sich wieder von mir, wandte sich dem Grabstein zu und blickte diesen einen Moment lang einfach nur an, so als wartete er auf etwas. Und das, worauf er wartete, schien auch kurz darauf einzutreten, denn er erhob sich und bedeutete mir, ebenfalls aufzustehen.
„Mama … Ich möchte dir gern jemanden vorstellen“, sagte er leise.
Sah er sie jetzt vor sich? Es kam mir irgendwie ganz normal vor, kein bisschen seltsam, und ich dachte: ‚Wenn meine Mama tot wäre, würde ich auch noch mit ihr sprechen und sie sozusagen sehen, an ihren Geist glauben.‘
Ich wusste ja nicht, wie Misayo ausgesehen hatte, deshalb konnte ich sie mir kaum vorstellen. Doch trotzdem versuchte ich es und verbeugte mich leicht in Richtung des Grabsteins.
„Mama, das ist Meto. Er ist mein Freund, also … mein fester Freund. Wir leben zusammen und ich hab ihn sehr, sehr lieb.“ Tsuzuku legte seinen rechten Arm um mich und gab mir einen Kuss auf die Wange. Einen Moment standen wir einfach nur da, zumindest aus meiner Sicht, denn ich hatte das Gefühl, dass Tsu seine Mama irgendetwas tun sah. Vielleicht war er auch einfach in Erinnerungen an sie versunken. Aber es schien ihn nicht traurig zu machen, denn er hatte ein ganz leichtes Lächeln auf den Lippen.
Und dann ließ er mich los, kniete sich wieder auf den Boden und erneuerte sein Versprechen, gesund zu werden, oder zumindest glücklich. Ich hörte zu und sah, wie er dann aufblickte und ein wenig den Kopf bewegte, so als wäre da eine Hand, die ihm durchs Haar strich. Obwohl ich Misayo nicht sehen konnte, spürte ich diese Innigkeit zwischen ihr und meinem Freund und mir traten Tränen in die Augen vor Rührung.
Tsuzuku blickte sich nach mir um, sah die Tränen, stand auf und fragte: „Warum weinst du denn jetzt, Meto-chan?“
„Weil … Ich freu mich so … dass deine Mama doch noch … ein bisschen für dich da ist …“, brachte ich leise heraus und blinzelte, um meine Kontaktlinsen an ihrem Platz zu halten und mein Make-up nicht völlig kaputt zu machen.
Tsuzuku lachte, als er das sah. „Deshalb hab ich heute keine drin.“
Dann wandte er sich wieder seiner Mama zu: „Ich gehe jetzt. Aber … ich denke, ich komme bald wieder.“
Er verbeugte sich leicht und nahm meine Hand. Und dann verließen wir, nachdem ich mich ebenfalls verbeugt hatte, den Friedhof in Richtung Bahnhof, um wieder nach Hause zu fahren, in die andere Stadt, unser neues Zuhause.
[am selben Tag, morgens]
Ich hatte Vormittagsschicht, musste arbeiten. Meto hatte ja frei und ich musste ihn mitvertreten, wie das halt so war. Aber ich mochte meine Arbeit ja.
Während einer meiner Zigarettenpausen bekam ich eine SMS von Mikan. Sie schrieb, dass sie am liebsten schon morgen mit mir nach Tokyo fahren wollte, und dass sie sich darauf freute. Sie wusste, dass ich morgen den ganzen Tag frei hatte und schlug deshalb vor, unseren Shoppingtrip vorzuverlegen.
Ich schrieb ihr zurück, dass mir die Idee gefiel und dass ich es kaum erwarten konnte, die ‚heiligen Hallen‘ meines tokyoter Lieblingsladens Closet Child mal wieder unsicher zu machen.
Vielleicht hatten sie da ja wieder Sachen von Vivienne Westwood auf Lager? Schon beim Gedanken an neuen Schmuck, neue Schuhe oder ein hübsches Top schlug mein Herz schneller und wenn ich dann auch noch an die Ginza dachte, an die vielen teuren Läden dort, mit den wundervollen Handtaschen in den Schaufenstern … Hach, ja, ich liebte das!
In dem Moment kam Satchan in den Pausenraum, sah mich mit Handy und Zigarette am Fenster stehen und bemerkte mein verträumtes Lächeln.
„Na, Kocha, was strahlst du so?“, fragte sie lächelnd.
„Ich fahr morgen nach Tokyo“, antwortete ich.
„Shoppen, oder wie?“ Satchan grinste.
Ich nickte, drückte meine Zigarette im auf dem Fensterbrett stehenden Aschenbecher aus und schloss das Fenster. Meine Kollegin kam auf mich zu, grinste wieder und fragte: „Sag mal, wieso trägst du eigentlich zur Arbeit keine Frauensachen, so wie Meto-chan?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Aber ich mag diesen Anzug irgendwie.“
„Ein Kleid würde dir aber auch stehen.“
Irgendwie, obwohl ich ja ab und zu gern mal ein Kleid trug, gab mir diese Aussage einen Stich. Es waren weniger die Worte an sich, als eher der Ton, in dem Satchan das sagte, und der Blick, mit dem sie mich ansah. Ich wich ihrem Blick aus, sah zu Boden, und dann spürte ich, was es war, das mir wehtat: Ich fühlte mich in diesem Moment nicht als Mann angesehen, sondern wieder in die Rolle des süßen Mädchens gesteckt.
Friendzoned war ich bei Satchan sowieso, und ich wusste ja auch, wie ich mit meinem femininen Benehmen auf Frauen wirkte, aber auf einmal, da wünschte ich mir doch sehr, dass sie mich auch mal als Mann erkannten, der sich zwar gerne schön machte und Rosa liebte, aber eben … na ja, ein Mann war.
Wenn Tsuzuku mich mit meinem Aussehen und so weiter aufzog, fühlte sich das ganz anders an. Weil er ja auch ein Kerl war und mich ja nur freundschaftlich neckte. Als heterosexueller Mann wollte ich eben absolut nichts solches von ihm und darum war es okay, wenn er mich ein bisschen auslachte und ‚Mädchen‘ nannte.
Aber meine Kolleginnen und guten Freundinnen, von denen ich mir doch irgendwo immer noch mehr erhoffte, die sollten mich endlich mal irgendwie als männlich ansehen.
Ohne ein Wort ging ich an Satchan vorbei, wandte mich wieder meiner Arbeit zu und registrierte nur nebenbei, dass sie nicht verstand, warum ich so reagiert hatte.
„Kocha!“, rief mich eine Besucherin zu sich. „Lass mal spielen!“
Zum ersten Mal hatte ich auf einmal keine Lust, die Mädels zu bespaßen. Ich hatte generell in diesem Moment keine Lust auf weibliche Wesen. Fast war ich sogar ein bisschen genervt, wenn ich auch nicht so genau sagen konnte, ob von ihnen oder vielleicht auch von mir selbst.
Doch ich konnte mich hier jetzt nicht so einfach rausziehen. Und so setzte ich mein möglichst süßestes Lächeln auf und ging zu dem Tisch, wo drei zuckersüß gekleidete Mädchen mit einem Kartenspiel auf mich warteten.
Der Vormittag zog sich scheinbar endlos in die Länge und ich war unheimlich froh, als mein Kollege für heute Nachmittag auftauchte und ich mich umziehen und dann verschwinden konnte.
Im Zug nach Hause schrieb ich eine Nachricht an Tsuzuku, einfach um zu wissen, ob es ihm nach seinem Zusammenbruch wieder einigermaßen gut ging. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, er schrieb zurück, dass er heute mit Meto in ihrer beider Heimatstadt gewesen und seine Mutter auf dem Friedhof besucht hatte. Ich fragte, ob er okay war, und er antwortete, ja, er fühlte sich jetzt gut. Jetzt schon, dort auf dem Friedhof aber wahrscheinlich nicht.
Ich konnte mir das nur zu gut vorstellen, dass da eine Menge Tränen geflossen waren. Schließlich war Tsuzuku ein hoch emotionaler Mensch und ich hatte oft den Eindruck, dass er seine Trauer die meiste Zeit über beiseiteschob. Da war es nicht verwunderlich, dass er in so einer Situation die Fassung verlor und weinte.
Den Rest der Bahnfahrt über dachte ich noch ein wenig über ihn nach, überlegte, ob es etwas gab, wo ich ihm helfen konnte. Jetzt, wo ich besser wusste, was mit ihm los war, hätte es ja eigentlich einfacher werden können, doch irgendwie war dem nicht so. Es fühlte sich sogar noch komplizierter an. Denn auch, wenn ich wirklich nicht so denken wollte, konnte ich kaum etwas dagegen tun, dass ich das wenige, was ich über Borderline wusste, mit Tsuzukus Verhalten abglich, und mich fragte, was davon auf ihn zutraf. Diese Gedanken fühlten sich ziemlich furchtbar an und ich versuchte schnell, an etwas anderes zu denken.
Zum Beispiel an die geplante Shoppingtour mit Mikan. Ich freute mich immer noch darauf, doch gleichzeitig fragte ich mich, wie sie mich eigentlich sah. War ich für sie auch mehr ‚beste Freundin‘, als Mann, oder blickte sie als meine engste Freundin hinter mein Aussehen? Ich wusste es nicht und es war auch schon ziemlich lange her, dass wir über dieses Thema gesprochen hatten.
Ich sah mich in der spiegelnden Fensterscheibe an, prüfend, mit Blick darauf, was an meinem Äußeren mich für Frauen auf sexuelle Weise attraktiv machen konnte. Und stellte dabei fest, dass ich doch recht gern so aussah, wie ich aussah. Ich liebte meine langen, rosa Haare mit den schwarzen Strähnchen, die Form meiner Lippen und auch die meiner heute kaum geschminkten Augen. Es war einfach mein persönliches Schönheitsideal und ich war ziemlich glücklich, dem zu entsprechen.
Da stellte sich mir die Frage, warum man denn als Mann wie einer aussehen musste, um auch als solcher wahrgenommen zu werden. Gab es nicht noch andere Attribute, denen ich entsprechen konnte, ohne mein geliebtes süßes Aussehen verändern zu müssen?
Vielleicht, so dachte ich, sollte ich Mikan mal ernsthaft danach fragen, wie Frauen das sahen?
Die Bahn hielt an meiner Station, ich stieg aus und steuerte kurzentschlossen auf einen der Imbissläden im Bahnhof zu, um mir ein Mittagessen zu kaufen. Ich hatte Lust auf ein richtig schickes Luxus-Bento, und so eines holte ich mir, nahm es mit nach Hause und machte es mir dort am Kokatsu gemütlich. Ich stellte den Fernseher an, fand einen Liebesfilm, den ich kannte, und sah ihn mir an, während ich zu Mittag aß.
Doch irgendwie gefiel mir der Film auf einmal nicht mehr so, wie ich das von mir kannte. Ich mochte solche kitschigen Filme normalerweise sehr, bezeichnete mich selbst als romantisch veranlagten Menschen und stand dazu, dass es mir eben gefiel, zu beobachten, wie zwei Menschen in Liebe zueinander fanden. Doch heute konnte mich dieser Film nicht so mitreißen und begeistern, dass ich mit rosa Herzchen in den Augen vor dem Fernseher gesessen hätte. Ich konnte mich weder auf die Handlung, noch auf mein Essen wirklich konzentrieren, und aß das teure Bento, ohne es richtig zu genießen, während der Film eine Art Hintergrundgeräusch wurde.
Langsam wurde mir dabei immer klarer, dass bei mir irgendwas nicht stimmte. Irgendetwas lief in letzter Zeit falsch und ich glaubte auch schon, die Ecken und Ränder des Grundes dafür erkennen zu können. Dieses dunkle, kalte Loch abends, dass ich unruhiger schlief als sonst und morgens vor dem Duschen wie ein Gespenst aussah, und dass es mich auf einmal so sehr störte, wenn mich Frauen nicht wirklich als Mann wahrnahmen. Doch ich traute mich irgendwie nicht so recht, da näher ran zu gehen und nachzuschauen, was in meinem Inneren durcheinander geraten war. Ich ahnte, dass ich dann würde weinen müssen, und das wollte ich nicht.
Ich schaltete den Fernseher aus, stand auf, nahm die Reste des Bento mit in die Küche und stellte es dort in den Kühlschrank. Dabei fiel mein Blick auf meine in der Spüle stehende Teetasse mit Bambi drauf und ich überlegte einen Moment, ob ich mir Tee kochen sollte. Irgendwie stand meine innere Uhr schon auf Abends, obwohl es erst kurz nach Mittag war. Vielleicht sollte ich mich ein wenig hinlegen und schlafen.
Ich nahm einen Beutel Kirschtee aus dem Schrank, füllte Wasser in den Wasserkocher und während ich wartete, blickte ich aus dem Küchenfenster. Davor stand ein Zierkirschbaum im Innenhof, der schon die ersten Knospen aufwies und sicher demnächst schön hellrosa blühen würde. Ich mochte Kirschbäume, allein schon wegen der Farbe ihrer Blüten. Doch in diesem Moment machte mich der Anblick der kleinen Blütenknospen irgendwie traurig und ich wandte den Blick ab.
Das Wasser kochte und ich goss es über den Teebeutel, dann nahm ich die Tasse mit ins Wohnzimmer und stellte sie erst einmal auf dem Kokatsu ab, damit der Tee zog, während ich mir ein Lager auf der Couch machte. Ich zog mich bis auf die Unterwäsche aus und kroch unter die dünne Flanelldecke, die ich auf dem Sofa liegen hatte. Es fühlte sich fast so an, als würde ich krank werden. Vielleicht hatte ich mir doch nur irgendwo eine Grippe eingefangen. Doch eine kleine, gemeine Stimme in meinem Kopf flüsterte mir zu, dass das keine Grippe war, sondern etwas viel tiefer sitzendes und schwerer zu heilendes.
Irgendwann dann muss ich einfach eingeschlafen sein und dann auch lange geschlafen haben. Denn als ich wieder aufwachte, war es dunkel draußen. Ich beugte mich vor und griff nach der Teetasse. Sie war kalt, der Tee ebenfalls, und er schmeckte viel zu stark, wie hochkonzentrierter Kirschsaft. Ich erhob mich seufzend, ging langsam in die Küche und kippte den Tee samt Beutel in die Spüle.
Dann sah ich auf die Uhr. Es war halb sechs. Ich hatte wirklich fast fünf Stunden geschlafen, einfach so, mitten am Tag. Das war zuletzt vor Jahren vorgekommen, während meiner kurzen Zeit an der Uni, als ich viel gelernt und deshalb zwischenzeitlich auch viel geschlafen hatte.
Ich ging in den Flur und warf einen Blick aufs Telefon. Eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Ich hatte anscheinend so tief geschlafen, dass ich das Klingeln nicht gehört hatte. Die Nachricht war von Mikan: „Hey, Kocha, hier ist Mikan! Wie geht’s dir? Ich würde dich gern besuchen, wir könnten doch mal wieder zusammen ausgehen. Ruf mich einfach zurück. Hab dich lieb, Ko. Baiii!“
Ich griff nach dem Hörer, doch als ich ihn berührte, bemerkte ich, wie meine Hand zitterte. Und zwar nicht nur ein bisschen, sondern ziemlich stark. Ich zog sie zurück, sah sie verwirrt an. In meinen Ohren klang Mikans durch den Anrufbeantworter leicht elektrisch verzerrte Stimme, ihr ‚Hab dich lieb, Ko‘, und wie vorhin beim Anblick der Blütenknospen fühlte ich mich auf einmal unheimlich traurig. Aber warum machte es mich überhaupt traurig, wenn sie sagte, dass sie mich lieb hatte?
Ich ging erst einmal ins Wohnzimmer zurück und zog mich wieder ganz an, dann ging ich wieder zum Telefon, um Mikan zurückzurufen. Doch was sollte ich ihr eigentlich sagen? Wollte ich sie treffen, oder heute Abend lieber allein bleiben?
Einen kurzen Moment lang spielte ich mit der Idee, Mikan abzusagen, stattdessen Tsuzuku anzurufen und ihn zu fragen, ob er mich besuchen wollte. Doch dann dachte ich daran, dass er sich bestimmt einen schönen Abend mit Meto machen wollte, und verwarf die Idee wieder.
Schließlich wählte ich doch Mikans Nummer und während es bei ihr klingelte, entschied ich, es einfach auf mich zukommen zu lassen, ob sie mich sehen wollte, und was wir taten.
„Hey, Kocha!“, begrüßte sie mich und ich sah sie im Geiste vor mir, ihre braunen Augen und blond gebleichten Haare mit dem Hauch von Violett darin.
„Mikan …“, antwortete ich. „Tut mir leid, ich hab geschlafen und das Telefon nicht gehört.“
„Geschlafen? Mitten am Tag?“
„Ja. Ich bin einfach eingepennt.“
„War die Arbeit heute so anstrengend?“, fragte sie.
Ich antwortete einen Moment nicht, überlegte kurz, was ich sagen sollte. „Ich glaube, ich brüte eine Grippe oder so was aus“, sagte ich schließlich.
„Oh, okay. Dann ist ein Trip in den Visual-Club vielleicht keine so gute Idee, oder?“ Mikan klang ein bisschen enttäuscht, schien sich auf eine aufgestylte Partynacht mit mir gefreut zu haben.
„Ja, wahrscheinlich. Tut mir leid“, antwortete ich.
Auf einmal kicherte sie leise, sagte dann: „Du, ich weiß, was wir machen. Ich komm zu dir und pflege dich gesund, bevor du noch richtig krank wirst.“
Ich musste lachen, einfach wegen dem Ton, in dem sie das sagte. Sie klang wie ein kleines Mädchen.
„Komm halt her und steck dich an“, erwiderte ich.
„Bin schon unterwegs! Bis gleich!“ Und schon hatte sie aufgelegt.
Ich blieb noch einen Moment mit dem Hörer in der Hand stehen. Erst jetzt bemerkte ich, dass mein Herz klopfte wie verrückt. Und wieder fragte ich mich, was denn bitte mit mir los war. Doch an eine mögliche Antwort traute ich mich nicht heran.
Während ich auf Mikan wartete, räumte ich im Wohnzimmer ein bisschen auf und kochte eine Kanne Grünen Tee für uns. Dieses Mal stellte ich die Teeuhr, und während die lief, suchte ich ein paar Filme aus, von denen ich wusste, dass Mikan sie ebenso mochte wie ich. Zuerst war ‚Bambi‘ auch dabei, doch dann entschied ich mich zum ersten Mal aus emotionalen Gründen gegen meinen Lieblingsfilm und stellte ihn ins Regal zurück. Ich hatte Angst vor den traurigen Stellen, wollte nicht weinen.
Und als ich dann den Teebeutel aus der Kanne nahm, fiel mein Blick wieder auf den Kirschbaum im Innenhof. Ich wusste immer noch nicht, was mich daran so melancholisch stimmte, doch dass es so war, daran gab es keinen Zweifel. Ich musste mir zumindest eingestehen, dass es mir zurzeit nicht besonders gut ging und dass sich der fröhliche, starke Koichi, als den ich mich kannte, gerade hinter dunklen, grauen Wolken versteckte.
Ich biss mir auf die Unterlippe, wodurch mein Piercing gegen meine unteren Schneidezähne drückte. Es stach ein bisschen, doch das war nicht der Grund, warum mir auf einmal Tränen in die Augen sprangen. Ich stellte die Teekanne auf den Küchentisch, setzte mich auf einen der Stühle und zog die Knie hoch, schloss meine Arme darum und versuche, die Tränen niederzukämpfen. Doch es waren so viele, so schwer, und die Traurigkeit mit einem Mal so groß und dunkel, dass es mir nicht gelang.
Und so legte ich den Kopf auf die Knie und weinte, nicht laut oder heftig, sondern ganz leise, ließ die Tränen fließen, weil ich sie nicht mehr aufhalten konnte. Ich wusste nicht mal, warum genau ich so traurig war, nur, dass ich es eben war, und dass ich Angst davor hatte.
Als die Türklingel schrillte, schreckte ich auf. So schnell ich konnte, sprang ich auf, fuhr mir mehrmals mit dem Handrücken über die Augen und schniefte. Sofort schämte ich mich irgendwie, dass ich mich so hatte gehen lassen. Das war doch gar nicht meine Art!
Ich lief ins Bad, sah, dass meine Augen rot geweint waren, und wusste, dass ich das kaum vor Mikan würde verbergen können. Ich puderte trotzdem ein wenig die Region unter meinen Augen, wagte mich dann zur Tür und öffnete.
„Hey, Kocha!“ Mikan klang fröhlich wie immer und strahlte mich an. Doch sowie sie sah, dass es mir nicht gut ging, wurde sie ernst. „Du siehst wirklich müde aus, wie geht’s dir?“
„Geht …“, antwortete ich und ließ meine beste Freundin in die Wohnung.
Mikan blieb im Flur neben mir stehen, blickte mich einen Moment einfach nur an, dann fragte sie ganz direkt: „Hast du geweint?“
Ich konnte sie nicht anlügen. „Ja. Ein bisschen.“
„Weil du dich krank fühlst, oder weil du traurig bist?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich fühl mich irgendwie einfach nicht gut.“
Mikan zog ihre Schuhe und Jacke aus, nahm ihre Mütze ab und hängte ihre Tasche an meine Flurgarderobe. Dann ging sie mir voran ins Wohnzimmer.
„Ist ja total dunkel hier“, bemerkte sie und machte erst einmal Licht, dann setzte sie sich aufs Sofa und sah sich meine ausgesuchten, auf dem Tisch liegenden DVDs an. „Na, dann schauen wir uns mal ‘nen süßen Film an, danach geht’s dir bestimmt schon besser.“
Ich sagte nichts dazu, sondern setzte mich einfach neben sie und ließ sie einen Film aussuchen.
„Hast du was zum Knabbern da?“, fragte Mikan.
Ich nickte, stand auf und holte eine Tüte Chips aus der Küche, legte diese dann geöffnet auf den Tisch und nahm mir eine Decke, um es mir neben meiner besten Freundin auf dem Sofa gemütlich zu machen.
Wir sahen uns einen koreanischen Liebesfilm an, den ich eigentlich ziemlich gern mochte und schon einige Male gesehen hatte. Und im Gegensatz zu dem Fernsehfilm, den ich heute Mittag gesehen hatte, konnte ich mich auf diesen auch einigermaßen konzentrieren. Die Geschichte war süß und romantisch, genauso wie ich es mochte, ich futterte Chips, kuschelte mich an Mikans Seite und fühlte mich wieder halbwegs gut. Ab und zu sah sie mich an und lächelte.
Alles schien wieder so weit okay, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als es im Film sexuell zur Sache ging. Irgendwie vertrug ich das in diesem Moment nicht. Sonst sah ich immer ganz normal hin, fühlte mich davon angenehm leicht erregt und mochte solche Szenen, aber heute konnte ich mir das irgendwie nicht anschauen. Ich blickte zu Mikan, die interessiert zusah, und starrte dann selbst knapp am Fernseher vorbei zum Fenster.
Und während das Liebespaar im Film lustvoll seufzend und küssend unter einer raschelnden Bettdecke verschwand, und meine beste Freundin, die mich von Anfang an gefriendzoned hatte, dabei zusah, kam mir der Gedanke, warum ich, ausgerechnet ich, eigentlich hetero war. Ich dachte an Tsuzuku, der anscheinend bisexuell war, und der nach früheren Abenteuern mit Mädchen jetzt seine Liebe fürs Leben in einem anderen Mann gefunden hatte, und an Meto, der nur auf Kerle stand und zwischenzeitlich gleich zwei Interessenten gehabt hatte.
Irgendwie erschien es mir auf einmal fast so, als seien Männer leichter zu bekommen, und ich als Hetero-Mann ziemlich alleine, zumindest als einer, der nun mal gern süß und mädchenhaft aussah. Mein Aussehen hatte doch absolut nichts mit meiner Sexualität zu tun, es war einfach nur mein Schönheitsideal, mehr nicht. Warum war das so schwer zu sehen?! Ich konnte doch auch nichts daran ändern, dass ich mich sexuell nun mal nur zu Frauen hingezogen fühlte!
Ich richtete mich auf, tat, als müsste ich mich ein wenig strecken, doch eigentlich wollte ich nur ein wenig Abstand zu Mikan bekommen. Sie sah mich fragend an und ich tat wiederum so, als müsste ich mich nur bequemer hinsetzen.
Der Film war inzwischen über die erotische Szene hinweg und lief normal weiter, doch jetzt konnte ich mich nicht mehr konzentrieren. Ich achtete nur noch darauf, dass der Abstand zwischen Mikans und meinem Körper nicht zu klein, aber auch nicht zu groß wurde, schwankte dazwischen, mich an sie kuscheln zu wollen, weil ich mich nach Nähe sehnte, und ihr nicht zu nahe zu kommen, weil sie ja nur meine beste Freundin war.
Und irgendwann, als der Film fast vorbei war, wurde mir klar, was ich da tat: Ich hatte Mikan lieb, sehr lieb, ich stand auf sie, und der Abstand zwischen uns war nur da, weil ich nicht wusste, ob von ihrer Seite nicht doch mehr als nur Freundschaft möglich war. Und mir kamen schon wieder fast die Tränen, als ich daran dachte, dass sie mich nur als besten Freund sah, und als halbes Mädchen noch dazu.
Jeden weiteren Gedanken verbot ich mir. Ich durfte jetzt nicht zulassen, dass meine Gefühle und Hormone mit mir durchgingen und ich am Ende noch etwas tat, was unserer Freundschaft schadete.
Zum Beispiel, sie zu umarmen und zu küssen.
‚Nein!‘, dachte ich energisch. ‚Koichi, willst du wohl aufhören damit?!‘
Mikan sah mich wieder fragend an. „Ko, alles okay?“
„Ja, alles gut“, beeilte ich mich zu sagen und dachte dabei nur daran, sie in meine Arme zu nehmen. Ich starrte geistesabwesend auf das Bild auf ihrem pastelllila T-Shirt, eine kleine schwarze Katze, und bemerkte zwei Sekunden zu spät, dass ich eigentlich das anstarrte, was sich unter dem Shirt befand, die sanften, weichen Rundungen ihrer Brüste.
Ich blinzelte, blickte an ihr vorbei, und wusste auf ihren leicht verwirrten Blick nichts zu antworten. Überhaupt hatte ich absolut keine Ahnung, wie ich ihr beibringen sollte, dass ich mehr von ihr wollte und eben nicht die männliche ‚beste Freundin‘ war, für die sie mich hielt.
Ich stand auf und stellte den Fernseher und den DVD-Player aus. Und als ich mich wieder zu Mikan umdrehte, da sah sie, obwohl sich eigentlich gar nichts verändert hatte, auf einmal so schön aus, mit ihren knapp über schulterlangen, blond-lila Haaren, ihren leuchtenden, braunen Augen und ihrem süßen Fairy Kei-Outfit, so wahnsinnig schön.
Sie lächelte. „Koichi, was starrst du mich so an?“
Ich konnte nicht anders, als halbwegs ehrlich zu sein. „Du siehst heute so hübsch aus.“
„Danke. Du auch.“
„Ich bin nicht mal geschminkt“, erwiderte ich trocken und hatte endlich das Gefühl, dass alles wieder halbwegs normal war, dass ich mich wieder gut und sicher fühlte, zumindest für den Moment. Mit einem Unterschied: Ich wusste jetzt zumindest bei einer Sache, was los war. Auch, wenn ich noch keine Ahnung hatte, was daraus werden würde.
„So, ich glaube, die Grippe haben wir abgewehrt. Du siehst jedenfalls wieder okay aus“, sagte Mikan schließlich und stand auf. „Wollen wir noch was machen, oder soll ich wieder gehen?“
Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass sie und ich morgen zusammen nach Tokyo wollten.
„Geh mal lieber“, sagte ich. „Wir sehen uns ja morgen.“
Mikan lächelte. „Stimmt. Soll ich dich dann abholen?“
„M-hm.“ Ich nickte.
Sie ging in den Flur, zog sich Schuhe, Jacke und Mütze wieder an und nahm ihre Tasche.
„Also dann, bis morgen, Koichi.“ Und ehe ich etwas sagen oder tun konnte, hatte sie sich vorgebeugt und mir einen Kuss auf die Wange gedrückt. „Hab dich lieb.“
„… Ich dich auch …“, erwiderte ich, mehr automatisch, meine Wange fühlte sich heiß und kalt zugleich an.
Sie lächelte mir noch einmal zu, dann schloss sie die Tür hinter sich und ich hörte ihre Schritte im Treppenhaus. Ich blieb noch ein paar Augenblicke im Flur stehen. Mein Herz klopfte wie verrückt und ich war schon wieder den Tränen nahe.
Am liebsten hätte ich jetzt Tsuzuku angerufen und ihm alles erzählt, aber dafür war es jetzt eindeutig zu spät. Sicher lag er jetzt mit Meto im Bett, vielleicht schliefen sie sogar miteinander, oder sie waren beide längst im Land der Träume, bestimmt glücklich umarmt.
Ich hatte nicht allzu viele männliche Freunde, und der einzige von ihnen, der mir nahe genug stand, dass ich mit ihm über so etwas hätte sprechen können, war nun mal Tsuzuku. Er hatte mir letztens ja sogar von sich aus angeboten, dass ich, wenn ich mal jemanden zum Reden brauchte, auch zu ihm kommen konnte.
Ich dachte an ihn und Meto, daran, wie glücklich die beiden trotz aller Schwierigkeiten miteinander waren und wie süß ich sie als Paar fand. Und auf einmal spürte ich einen fiesen kleinen Stachel im Herzen, einen neidischen Stachel, weil die zwei einander hatten und ich allein war.
‚Morgen …‘, dachte ich, ‚Morgen bin ich den ganzen Tag mit Mikan zusammen. Da hab ich bestimmt eine Gelegenheit, sie unauffällig zu fragen, wie sie mich eigentlich sieht.‘
Ich fuhr mir mit dem Handrücken über die Augen, merkte jetzt erst, wie müde ich schon wieder war, und ging noch schnell ins Bad, um mich bettfertig zu machen, und dann in meinem Schlafzimmer zu verschwinden. Ich zog mich bis auf die Shorts aus und legte mich einfach so ins Bett, hatte irgendwie keine Lust, noch meinen Schlafanzug anzuziehen.
Liegend schlang ich meine Arme um meinen Oberkörper, streichelte mich selbst und spürte dabei deutlich, was tagsüber durch süße Kleidung und Make-up verdeckt wurde: Dass ich ein Mann war und das gerne, dass ich meinen Körper mochte, wie er war, und endlich wollte, dass Menschen wie Mikan das auch irgendwie sahen. Gerade Mikan. Nur hatte ich keine Ahnung, wie ich ihr das erklären sollte, ohne unserer Freundschaft zu schaden, von der ich insgeheim hoffte, dass mehr daraus werden konnte.
Einen Moment lang spielte ich mit dem Gedanken, es mir noch ein bisschen gemütlicher zu machen, mir irgendwas Erregendes vorzustellen und mir dann darauf einen runterzuholen. Das hatte ich schon eine Weile nicht mehr gemacht und eigentlich verspürte ich jetzt Lust darauf. Doch da ich befürchtete, dabei dann doch an Mikan denken zu müssen, ließ ich es lieber, rollte mich unter der Decke zusammen und schlief auch gottseidank bald ein.
„Piep-piep … piep-piep … piep-“
Ich streckte die Hand unter der Decke raus und versetzte meinem Wecker einen mehr oder weniger gezielten Schlag auf den Knopf an der Oberseite. Das Piepen verstummte und ich zog die Decke, die mich bis über den Kopf zudeckte, weg, atmete kühle Zimmerluft. Anscheinend hatte ich gestern vergessen, die Heizung im Schlafzimmer aufzudrehen, denn es war kälter als sonst.
Und so traute ich mich nur langsam unter der Decke hervor, fühlte mich ein bisschen wie ein kleines Tier nach dem Winterschlaf und es dauerte ein wenig, bis ich es wagte, sie beiseite zu ziehen und meinen bis auf die Shorts unbekleideten Körper der kühlen Luft auszusetzen. Fröstelnd rieb ich mir die Arme und beeilte mich, ins Bad zu kommen.
Dort angekommen, stellte ich das Wasser heiß, streifte mir die Shorts vom Leib und verschwand erst einmal in der Dusche, genoss die Wärme und wusch mich ausgiebig, vertrieb gleichzeitig die Müdigkeit und sorgte selbst dafür, dass ich mich gut fühlte. Dabei kehrte langsam die Erinnerung an gestern zurück, daran, wie traurig ich gewesen war, daran, wie Mikan mich besucht hatte, und was sich zumindest von meiner Seite her zwischen uns verändert hatte. Noch kam ich ganz gut damit klar und vielleicht würde ich heute sogar mit ihr darüber reden können. Doch ich ahnte, dass das nicht ganz einfach werden würde.
Als ich aus der Dusche kam und gerade dabei war, mich abzutrocknen, schrillte das Telefon. Ich wickelte mich schnell in mein Handtuch und huschte auf den Flur raus, sah Mikans Nummer auf der Anzeige und hob ab.
„Hey, Kocha, bist du schon auf?“ Sie klang fröhlich und vorfreudig.
„Ich komm gerade aus der Dusche.“
„Ich ruf nur an, weil ich dachte, ich hole uns noch Frühstück.“
„Meinetwegen.“
„Okay, bis gleich!“
So schnell ich konnte, war ich wieder im Bad, trocknete mich ab und versuchte, meine langen Haare so schnell wie möglich ebenfalls trocken zu bekommen. Und als ich kurz darauf im Schlafzimmer vor meinem Kleiderschrank stand und überlegte, was ich anziehen sollte, entschied ich mich für recht schlichte Sachen, bei denen das Wichtigste war, dass ich sie in den Umkleidekabinen der tokyoter Läden leicht an – und ausziehen konnte. Mein Makeup fiel ähnlich einfach aus, aus demselben Grund. Und als ich mit allem fertig war, vor dem Flurspiegel stand und mich für gutaussehend befand, klingelte es auch schon an der Tür.
„Hey, Ko!“, begrüßte Mikan mich fröhlich, als ich öffnete, strahlte mich an und hielt eine Tüte hoch, auf der der Name der französischen Bäckerei am Bahnhof stand. „Wie geht’s dir?“
„Besser als gestern auf jeden Fall“, antwortete ich.
„Das ist doch schon mal schön.“ Sie lächelte, ich ließ sie rein und sie zog Jacke und Schuhe aus.
Wir frühstückten zusammen, unterhielten uns aber nicht allzu viel, da wir beide noch ein wenig müde waren und, statt zu reden, lieber aus dem Fenster schauten, wo die rote Morgensonne hinter den Häusern rauskam.
„Du siehst gut aus heute, Koichi“, sagte Mikan irgendwann und sah mich an.
Ich lächelte, nahm einen Schluck Tee und antwortete dann: „Danke. Du auch.“
Sie sah heute wirklich hübsch aus. Ihr Outfit war ähnlich shoppingtauglich wie meines, aber insgesamt doch etwas auffälliger und niedlicher. Sie trug ein rüschenbesetztes rosa T-Shirt mit Lolita-Print, einen kurzen, getupften Faltenrock, bunte Kniestrümpfe und rosa Schuhe mit leichtem Absatz, hatte ihre Haare zu zwei offenen Zöpfen gebunden und rosa-blauen Lidschatten aufgelegt.
Als ich merkte, dass ich sie anstarrte, blickte ich schnell wieder aus dem Fenster.
„Findest du mich hübsch, Ko?“, fragte sie, hatte es anscheinend bemerkt und beugte sich lächelnd ein wenig vor.
„Du … bist immer hübsch …“, antwortete ich ein wenig verlegen und nahm den letzten Bissen von meinem Brötchen.
Nach dem Frühstück packte ich meine Handtasche (die Westwood-Tasche mit dem Bambi drauf), zog meine Jacke an und suchte noch kurz nach passenden Schuhen, entschied mich der Bequemlichkeit halber für rosa Chucks, die schön zu meiner pastellblauen Hose passten.
„Na dann, auf nach Tokyo!“, rief Mikan durchs Treppenhaus, während ich noch meine Jacke anzog.
Dann machten wir uns auf den Weg zum Bahnhof.
Wir fuhren erst mit der Stadtbahn zum Hauptbahnhof und nahmen von dort den Shinkansen in Richtung Tokyo. Es war schon relativ voll und als wir einen Platz gefunden hatten, wo wir nebeneinander sitzen konnten, holte ich mein Handy raus und machte mir erst mal Musik an.
Eigentlich war das ja etwas unhöflich, Musik zu hören, während ich mit meiner besten Freundin unterwegs war und mich auch hätte mit ihr unterhalten können, aber ich wusste gerade nicht mehr so recht, worüber wir hätten reden sollen. Die Dinge, die ich mit ihr besprechen sollte, passten besser in ein Café oder dergleichen, nicht in den Zug, wo es vielleicht jemanden gestört hätte.
Mikan tat es mir gleich und so saßen wir eine ganze Weile nur nebeneinander, jeder in seine Musik vertieft und mit sich selbst beschäftigt.
Irgendwann tippte sie mich an, ich zog mir den Ohrhörer aus dem Ohr und sah sie fragend an.
„Ko, sag mal, geht’s dir wirklich besser? Ich denke gerade so darüber nach, ob wir nicht vielleicht doch besser erst nächste Woche gefahren wären, wenn du dich wieder ganz gut fühlst …“
„Nein, nein, das ist schon gut so“, antwortete ich schnell. „Ich weiß ja selber nicht genau, was mit mir los ist, da ist so ein Ausflug ‘ne gute Idee. Es lenkt mich ab.“
„Also war’s keine Grippe oder so, was du gestern dachtest, dass du’s kriegst?“
Ich schüttelte den Kopf. Sollte ich Mikan zumindest davon erzählen, dass ich mich so furchtbar traurig und verkannt gefühlt hatte? Oder hob ich das besser für einen geeigneteren Zeitpunkt auf?
„Ich war einfach … irgendwie traurig, weiß auch nicht, warum“, sagte ich schließlich leise und stellte die Musik aus, die durch den anderen Hörer immer noch in meinen Kopf schallte.
„Aber jetzt geht’s wieder?“
„Ja. Ich freu mich drauf, dass wir nachher in Harajuku sind und uns einen schönen Tag machen.“
Mikan lächelte, beugte sich vor und umarmte mich, einfach so. Augenblicklich fing mein Herz an zu klopfen wie verrückt und ich musste mich richtig zusammenreißen, um sie nicht viel zu eindeutig zurück zu umarmen.
Den Rest der Fahrt über redeten wir über Klamotten, über die Läden, in die wir wollten, und all so was, schnitten beide das Thema ‚Koichi geht’s nicht so gut‘ nicht mehr an.
Wir fuhren bis zum nächsten großen Bahnhof in Tokyo und nahmen von dort die Yamanote-Linie nach Shinjuku. Schon in der Bahn waren ein paar Leute unserer Szene zu sehen, Visual-Cosplayer und Leute in modischen Eigenkreationen. Obwohl es ja in unserer Heimatstadt ebenfalls eine Visu-Szene gab, die in Tokyo war noch mal etwas ganz anderes. Hier erschien mir alles noch auffälliger, noch kreativer und bunter, auch irgendwie originaler. Ich freute mich schon auf die Harajuku-Brücke, darauf, von dort ein paar Ideen mitzunehmen für meine eigenen Looks.
Als wir in Harajuku ausstiegen, war ich Koichi im Wunderland, fühlte dieses vorfreudige Shopping-Kribbeln und war mit einem Mal richtig gut drauf. Für eine Weile waren alle traurigen Gedanken beiseite gewischt und ich genoss das schöne Wetter, bewunderte die tollen Outfits um mich herum und folgte Mikan, die zielsicher auf die Takeshitadori zusteuerte.
Was dann folgte, war ein Shoppingstrip der Extraklasse. Extravagante Schuhe, bunte T-Shirts, Hosen, süße Kleider, fluffige Röcke und jede Menge Schmuck, ich probierte eine Unzahl Kram an, auch vieles, was ich dann gar nicht kaufte. Aber genau das machte mir Spaß: Verrückte Sachen anprobieren, kombinieren, interessante Stilbrüche austesten, und dann nur die schönsten Teile wirklich kaufen.
Und nachdem wir die Takeshita gründlich abgeklappert hatten und mit vollen Einkaufstaschen auf dem Weg zu Closet Child waren, fühlte ich mich, als hätte ich irgendwas genommen, war aufgedreht und kribbelig. Gut, dass mein Job im Café so ausnehmend gut bezahlt wurde.
Closet Child war immer noch mal etwas Besonderes. Weil es eben ein Second-Hand-Laden war und sie dort viele Sachen hatten, die es woanders längst nicht mehr gab. Alles war schön nach Brands sortiert und für einen Markenliebhaber wie mich absolut perfekt. Oft schon hatte ich dort wundervolle Sachen gefunden, nach denen ich zuvor jahrelang gesucht hatte.
Als wir den Laden erreichten und betraten, strebte ich zielsicher auf die Ecke mit den Westwood-Sachen zu und erblickte dort schon von weitem eine rote, herzförmige Handtasche, die mein Herz augenblicklich höher schlagen ließ. Allein schon das goldene Westwood-Planetenlabel, welches groß und gut sichtbar mitten auf dem roten Leder leuchtete, begeisterte mich, und ich nahm die Tasche aus dem Regal, schaute nach dem Preis. Dabei entdeckte ich auf der Rückseite einen kleinen Kratzer, aber der störte mich nicht. Kleine Schäden bei einem Second-Hand-Teil sprachen ja nur davon, dass es zuvor jemandem gehört hatte, der es oft benutzt hatte. Und der Preis war auch gut danach.
Mikan kam mir lächelnd hinterher. „Na, Kocha, hast du ein neues Schätzchen gefunden?“
Ich nickte begeistert. „Ist die nicht wunderschön?“
„So eine hast du doch schon, oder?“
„Ja, aber nur in Schwarz. Die hier ist rot. Rot wie die Liebe.“
„Koichis Liebe zu Designerhandtaschen, haha“, lachte Mikan.
„Lass mich, ich mag so was halt!“, konterte ich gespielt beleidigt und hängte mir die Tasche übers Handgelenk, da ich soeben in der nächsten Abteilung ein wahnsinnig niedliches Oberteil entdeckt hatte und mir das ebenfalls ansehen wollte. Es war unverkennbar Frauenkleidung, aber ich sah es und wollte es haben.
„Sag mal, Ko, hast du eigentlich noch genug Geld oder überziehst du deine Karte schon wieder?“
„Ich glaube, für das beides hier reicht‘s noch. Und wir können danach auch noch ein Crêpe essen gehen“, antwortete ich.
„Na dann, die beiden Sachen noch. Aber mehr dann auch nicht“, sagte Mikan mit leichter Strenge und deutete auf die beiden großen Tüten, in denen sich unsere modischen Errungenschaften aus der Takeshita befanden.
Ich schnappte mir das Oberteil und ging es anprobieren, stellte meine zum Glück leicht an- und ausziehbaren Schuhe ordentlich vor der Umkleide ab und schloss den Vorhang hinter mir. Die rote Handtasche hängte ich an einen der Kleiderhaken, zog dann das Top an und betrachtete mich im Spiegel. Zwar hatte ich heute schon sehr viel anprobiert, aber das hier war mein Lieblingsladen und ich hatte einen Moment Ruhe.
Das Top war wirklich schön und es stand mir richtig gut. Rosa Rüschen, Blümchenmuster, bauchfrei, ein richtiges Mädchenteil, das wunderbar zu meinen Haaren passte und mein Bauchnabelpiercing betonte. Einen Moment lang schaute ich mich nur an, von vorn und von der Seite, und dabei kam mir wieder in den Kopf, was ich Mikan hatte fragen wollen. Es war kein Wunder, dass sie mich als halbes Mädchen ansah, wenn ich mir rote Handtaschen und rosa Rüschentops kaufte und meine rosa Haare so wie heute in zwei schmalen Zöpfen trug. Irgendwie musste ich meine beste Freundin auf das Thema ansprechen, aber ich wusste einfach nicht, wie.
„Und?“, fragte sie von draußen. „Wie sieht’s aus, das Teil?“
Ich öffnete den Vorhang und trat aus der Kabine.
„Wow! Das ist ja süß, das Top!“ Mikan war richtig begeistert, fangirlte mich fast schon. Und ich dachte, dass es wirklich nicht einfach werden würde, ihr zu sagen, wie ich mich dabei fühlte. Einerseits mochte ich es ja, wenn sie sich so über meine feminine Art und mein süßes Aussehen freute. Aber auf der anderen Seite fühlte ich mich eben nicht richtig wahrgenommen. Und das stimmte mich, nachdem ich die letzten zwei, drei Stunden wirklich gut drauf gewesen war, wieder ein wenig nachdenklich.
Ich ging das Top und die Tasche bezahlen, und dann ging es den Weg zurück, ganz bis zur Harajuku-Brücke, um uns im dahinter gelegenen Yoyogi-Park etwas zu Essen an einer der Imbissbuden zu holen.
Und als wir dann an einem der Tische im Park saßen und jeder unser Crêpe aßen, da suchte ich nach dem richtigen Moment, um Mikan auf das Thema ‚Wie siehst du mich eigentlich‘ anzusprechen.
„Mikan …?“, begann ich schließlich, „Sag mal …“ Weiter wusste ich nicht.
„Hm?“ Sie sah mich fragend an. „Koichi?“
Jetzt hatte ich es angefangen, wusste aber nicht, wie ich die ganze Sache ausdrücken sollte. Immerhin war damit auch mein verändertes Interesse an ihr verbunden und ich wollte ihr keinesfalls jetzt schon mit meinen Gefühlen ankommen, die ich ja nicht mal für mich selbst so ganz sortiert hatte.
„… Sag mal … ähm … also …“, begann ich wieder, und dann kam es wie von selbst raus: „Sag mal, siehst du mich eigentlich als vollwertiges männliches Wesen an?“
Mikan sah mich mit großen Augen an. „Huh? Was ist denn das für ‘ne Frage?“
„Na ja … ich denke da in letzter Zeit irgendwie viel drüber nach und …“ Wieder wusste ich nicht weiter, blickte auf meine Hände.
„Hast du ‘ne Identitätskrise oder so?“
‚Nein, weißt du, ich frag so was aus Spaß …‘, dachte ich ironisch, sagte aber: „So was in der Art.“
Mikan lachte verlegen, sah mich einen Moment an und erwiderte dann: „Ich … weiß nicht. Du bist halt einfach Koichi und … ich mache mir ehrlich gesagt gar nicht so viele Gedanken um dein Geschlecht.“
Ich hatte zwar vorhergesehen, dass solche Worte mir einen Stich versetzen würden, auch wenn sie nicht annähernd verletzend gemeint waren, doch es überraschte mich selbst, wie weh es tat. Anscheinend hatte ich da neuerdings einen wunden Punkt. Seltsam, denn früher hatte mir das noch nicht so viel ausgemacht.
Und offenbar war mir anzusehen, dass ich verletzt war, denn Mikan sah mich wieder mit großen Augen an und fragte mit Vorsicht in der Stimme: „Ist das … irgendwie ein Problem für dich?“
Und als ich nicht antwortete, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte, fragte sie weiter: „Möchtest du, dass ich dich … mehr als Mann ansehe?“
Ich nickte und spürte dabei die in mir aufsteigenden Tränen. Schnell blinzelte ich, um meine blauen Kontaktlinsen an ihrem Platz zu halten, dass sie mir nicht wegschwammen. Und natürlich blieb das nicht unbemerkt.
„Oh mann, das macht dich traurig, oder?“ Mikan streckte die Hand aus und ergriff über den Tisch hinweg meine. „Okay, ich werde versuchen, dich nicht mehr so … wie ein Mädchen zu behandeln. Du bist einer meiner allerbesten Freunde, und ich will ja, dass du dich bei mir wohl fühlst.“
„Danke.“ Ich versuchte ein leichtes Lächeln, das mir jedoch kaum gelang. Und dachte daran, dass ich sie wirklich richtig lieb hatte.
Wir machten uns dann bald wieder auf den Heimweg, hatten beide kein Geld mehr und auch keine Lust, noch länger hier herumzulaufen. Meine Füße taten auch ein bisschen weh und ich war ziemlich müde, weshalb ich, als wir dann im Shinkansen nach Hause saßen, fast einschlief. Mein Kopf sank an Mikans Schulter und ich schreckte auf, kniff mich leicht in den Arm, um wach zu bleiben.
Sie begleitete mich noch bis zu meiner Bahnstation, nahm dann selbst den Zug zu sich nach Hause, während ich ebenfalls in Richtung meiner Wohnung fuhr.
Dort angekommen, schminkte ich mich ab, zog bequeme Sachen an und setzte mich aufs Sofa, um ein bisschen fernzusehen. Aber im Fernsehen lief nichts Gescheites, weshalb ich den wieder ausschaltete, mir mein Handy nahm und überlegte, jemanden anzuschreiben.
Es war noch recht früh, erst vier Uhr nachmittags, und schließlich schrieb ich eine SMS an Tsuzuku: „Hey, wie geht’s dir? Ich war heute in Tokyo, hab mir Mikan groß eingekauft. Wie war dein Tag?“
Die Antwort ließ eine Weile auf sich warten und ich schaltete inzwischen mein Laptop ein, um meine sozialen Netzwerke zu checken. Es gab einige Neuigkeiten, aber nichts allzu Wichtiges, und dann klingelte auch schon mein Handy. Ich hob ab und hörte gleich Tsu’s Stimme: „Hey, Koichi. Du, ich weiß gar nicht so wirklich, ob es mir gut geht. Ich fühl mich seltsam, hab heute versucht, was zu zeichnen, aber ich habe es nicht hinbekommen. Und du warst in Tokyo? Hast du schöne Sachen bekommen?“
„Ja, ich hab ‘nen richtig großen Shoppingtrip gemacht, mit vielen süßen Sachen. Und …“ Ich stockte, wusste einen Moment nicht, ob ich Tsuzuku von dem Gespräch mit Mikan erzählen sollte oder nicht. Zwar hatte er mir ja letztens angeboten, dass ich mit ihm drüber reden konnte, wenn was war, aber wenn er wieder mehr mit sich selbst zu kämpfen hatte, wollte ich ihn auch nicht mit meinem Problem belasten.
„Und was?“, fragte er in dem Moment. „Ist alles gut bei dir, Koichi?“ Er bemerkte anscheinend auch ohne dass ich etwas sagte, dass bei mir gerade nicht alles so gut war.
„Na ja …“, begann ich schließlich, „Ich hab mit Mikan über was gesprochen … Weil … sie sieht mich als so eine Art ‚beste Freundin‘ und das … fühlt sich für mich nicht mehr gut an. Lach nicht, Tsu, aber … ich hab’s satt, bei Frauen immer nur in der Friendzone zu sein, und dass sie mich … halt so als halbe Frau ansehen.“
Ich hatte so halb erwartet, dass Tsuzuku darüber lachen würde oder so, aber er blieb ganz ruhig und ernst. „Das ist verständlich, Ko“, sagte er. „Du bist hetero, also willst du Frauen nicht nur als beste Freundinnen haben.“ Er schwieg einen Moment, dann fragte er: „Willst du mehr von Mikan?“
Ich nickte, erst dann fiel mir ein, dass er es ja nicht sehen konnte. „Ja“, sagte ich leise. „Irgendwie schon. Ein bisschen zumindest.“
„Wie viel? Ich meine, willst du nur mit ihr schlafen, oder richtig mit ihr zusammen sein?“
„Ich weiß nicht. Ich will sie als Freundin nicht verlieren.“
Langsam kam Klarheit in meine Gedanken und Gefühle zurück. Es tat gut, darüber zu reden, und ich war sehr froh, einen besten Freund wie Tsuzuku zu haben, mit dem ich solche Gespräche führen konnte. Und ich spürte, dass mich in meiner momentanen Lage das Reden mit einem anderen Mann irgendwie mehr entspannte, als wenn ich mit einer Frau über mein Innenleben gesprochen hätte.
„Sag mal, Tsu … Wie war das eigentlich bei dir früher?“, wollte ich dann wissen.
Es dauerte einen Moment, bis er antwortete: „Du weißt ja, dass ich damals … ziemlich unbedacht war. Ich hab mir nicht wirklich viele Gedanken gemacht, und bin auch mit den Mädchen, mit denen ich zu tun hatte, nicht so gut umgegangen.“ Er lachte selbstironisch. „Es gibt da vieles, von dem ich heute denke, dass ich es gern anders gemacht hätte. Und ich hoffe, dass ich bei meinen damaligen Freundinnen keinen allzu großen Schaden hinterlassen habe.“
„Belastet dich das heute?“, fragte ich.
„Ein bisschen. Es tut mir halt leid. Und … ich will niemanden mehr so behandeln wie die Mädchen damals. Deshalb gebe ich mir bei Meto alle Mühe, die ich aufbringen kann, lieb zu ihm zu sein. Weil … ich ihn mehr liebe als irgendjemanden zuvor.“
„Das merkt man, dass du ihn so liebst.“
Tsuzuku lachte leise. „Ich liebe ihn mehr als mich selbst.“ Und dann: „Na ja, wobei das auch nicht schwer ist … so wenig, wie ich mich selbst leiden kann.“
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Was sagte man dem besten Freund, wenn er sagte, dass er sich selbst nicht mochte?
„… Magst du … dich selbst wirklich gar nicht?“, fragte ich leise.
„Na ja, manchmal mag ich mich schon. Aber … das ist immer nur kurz und oberflächlich. Wenn ich mich schön mache oder so, fühlt sich das gut an, aber im Grunde … hab ich einen Hass auf mich.“
„Wegen …?“, fragte ich, nur andeutend, nach seiner Mama.
„Ja … Ich … ich kann mir das nicht verzeihen. Es … geht einfach nicht.“
Schon wieder ging ein Gespräch zwischen uns in eine gefährliche Richtung. Wir redeten erst ganz normal und dann waren da doch wieder diese Themen, die hochkamen, und bei denen ich mir Sorgen um Tsuzuku machte. Seine Stimme klang schon wieder so unglücklich und traurig, und ich fragte mich, ob Meto bei ihm war oder zumindest in der Nähe.
„Tsu, ist Meto da irgendwo bei dir?“
„Er ist unter der Dusche. Wir waren heute im Schwimmbad.“
„Ihr geht da gerne hin, oder?“, fragte ich, einfach um das Thema zu wechseln.
„Ja. Es gibt da so eine versteckte Ecke, wo es ganz schön ist, und wo ihn und mich nicht gleich jeder sehen kann. Und … wir machen das halt schon lange, dass wir zusammen baden gehen. Meto hat, seit ich ihn kenne, für solche Sachen gesorgt, als ich … noch auf der Straße war.“
Ich lachte leise. Die beiden waren wirklich süß zusammen. Diese süße Fürsorglichkeit und Zuneigung von Metos Seite und Tsuzukus besitzergreifende, intensive Liebe zu ihm, das war wirklich was Besonderes.
Ich dachte an MiA, der versucht hatte, nah bei den beiden, deren Beziehung er wie alle anderen für enge Freundschaft gehalten hatte, einen Platz zu finden, weil er sich in Meto verliebt hatte. So, wie ich das verstanden hatte, hatte Meto zuerst nicht mal selbst gewusst, dass das zwischen Tsu und ihm mehr Liebe als Freundschaft war. Und sicher hatte er sich von MiA eine Art Entlastung gewünscht, weil ihm die Sorge um Tsuzuku, dem es damals ja noch schlechter gegangen war, über den Kopf gewachsen war.
Ich hatte mich ja auch einmal mit MiA unterhalten und er war ja sehr nett gewesen, sodass ich gedacht hatte, wir könnten uns vielleicht ein bisschen anfreunden. Und auch jetzt dachte ich wieder daran, dass wir uns bestimmt gut verstanden hätten, aber meine Loyalität zu Tsuzuku hielt mich davon ab, Kontakt zu MiA aufzunehmen.
„Koichi?“, riss mich Tsus Stimme aus meinen Gedanken. „Bist du noch da?“
„Ja, ja, bin ich. Ich … hab nur eben über was nachgedacht.“
„Über was denn?“
„Ach, nichts weiter, nur dass Meto und du echt süß zusammen seid …“
„Du und Mikan gebt sicher auch ein tolles Paar ab“, erwiderte er.
„Aber nicht so süß und besonders wie ihr beide. Ich mag Mikan sehr gern, aber diese starke Liebe zwischen Meto und dir, das ist einfach so was Besonderes.“
„Hm, da könntest du Recht haben. Ich … frage mich manchmal selbst, ob ich nicht wahnsinnig geworden bin … und wie ich so jemand Süßes wie Meto eigentlich verdient habe.“
„Geliebte Menschen verdient man sich nicht. Liebe ist ein Geschenk“, antwortete ich. „Du musst sie nur annehmen.“
„Das ist gut, Ko, da werde ich drüber nachdenken“, sagte Tsuzuku, „Du, Meto kommt gerade wieder. Ich werde ihn jetzt in den Arm nehmen und küssen und ihm sagen, dass ich ihn liebe, und du machst demnächst dasselbe mit Mikan, okay?“
„Mal sehen, wann ‚demnächst‘ ist …“, antwortete ich. „Aber ja, werde ich machen.“
Es knackte in der Leitung, Tsu hatte aufgelegt. Aber dieses Mal hatte ich keine Sorge um ihn. Zwar war das Gespräch an für ihn schmerzhafte Themen gekommen, doch zum Schluss hatte er sich so entspannt angehört, dass ich mir keine Sorgen machte.
Den Rest des Tages verbrachte ich auf der Couch vor dem Fernseher und sah mir Filme aus meiner Sammlung an. Unter anderem Bambi. Zwar musste ich an den traurigen Stellen ein bisschen schniefen, doch diese große, schwere Traurigkeit von gestern Abend stellte sich nicht wieder ein.
Und als ich dann so richtig müde war, machte ich mich bettfertig und ging schlafen. Die Tüten mit meinen neuen Errungenschaften stellte ich vor meinen Kleiderschrank, die Sachen würde ich morgen Nachmittag nach der Arbeit einsortieren.
[ein paar Tage später, Mittwoch]
Eigentlich lief bei der Arbeit im Studio alles so weit gut. Ich hatte mich wieder in die Beschäftigung eingefunden und spürte, wie es mir guttat, zu arbeiten, etwas zu tun zu haben. Mit dem Zeichnen wurde es auch besser und ich ging immer geschickter mit der Nadel um, erinnerte mich wieder gut daran, wie ich es früher gekonnt hatte.
„Aoba-san“, sprach mich Kurata an diesem Morgen an, als ich gerade dabei war, ein relativ aufwändiges Motiv in Tierhaut zu stechen. „Kann ich mal mit Ihnen sprechen?“ Der Ton, in dem er mich ansprach, beunruhigte mich, ich blickte auf und stellte die Nadel aus.
„Worum geht’s?“, fragte ich.
„In meinem Büro, bitte.“
Ich stand auf und ging hinter Kurata her, meine Anspannung stieg mit jedem Schritt. Worüber wollte er mit mir sprechen? War mit meinen Zeugnissen etwas nicht in Ordnung, hatte ich irgendwas falsch gemacht, oder war sonst etwas?
Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und bat mich, die Tür zu schließen. Ich tat es und setzte mich, meine Hände zitterten.
„Hab ich … irgendwas falsch gemacht?“, fragte ich verunsichert.
Kurata schüttelte den Kopf. „Nein. Aoba, Sie machen Ihre Arbeit gut. Das, was Sie abliefern, ist ordentlich und gefällt den Leuten. Aber … ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen, zu Ihrem Leben, die Sie am besten ehrlich beantworten.“
„Was für Fragen?“, fragte ich, noch ein wenig mehr verunsichert. „Warum?“
„Ich habe Sie eingestellt, weil Sie beim Vorstellungsgespräch einen guten Eindruck gemacht haben, und weil Ihre Zeugnisse gut sind. Sie haben Talent und ich bin neugierig, wie Sie sich hier machen. Nur wüsste ich gern etwas mehr über Sie. Ich weiß ja nur, dass Sie auf der Straße gelebt haben und vorher die Ausbildung fast fertig hatten.“
Mein Herz raste vor Aufregung und meine Finger gruben sich krampfhaft in den schwarzen Stoff meiner Jeans. Ich sollte Fragen beantworten, zu meinem Leben, wahrscheinlich auch zu meiner Vergangenheit und Dingen, über die ich nicht sprechen wollte.
Was, wenn ich die falschen Antworten gab, und Kurata mich dann hier nicht mehr haben wollte? Wenn er mich doch zu seltsam und gestört fand und nach meinen Antworten nicht mehr daran glaubte, dass ich hier arbeiten konnte? Oder ich ihm einfach zu unnormal war? Ich kannte ihn ja kaum und konnte ihn daher nicht gut einschätzen.
„Was wollen Sie denn wissen?“, brachte ich leise heraus, hörte selbst, wie meine Stimme zitterte.
„Zum Beispiel, wie Sie auf der Straße gelandet sind.“
Natürlich. So was war immer die erste Frage. Und sofort waren die Bilder in meinen Gedanken da, die Bilder von Mamas und meiner kleinen Wohnung, die so leer war ohne sie, und in der ich es einfach nicht mehr ausgehalten hatte.
„Darüber … möchte ich nicht sprechen“, antwortete ich und versuchte, die in meinem Innern hochkommenden Erinnerungen an jene Zeit beiseite zu schieben. Und als Kurata mich fragend ansah, fügte ich leise hinzu: „Das war … eine extrem harte Zeit. Wenn ich mich daran erinnere und darüber spreche, dann …“ Ich brach ab, war wieder viel zu nah an der Störung. Und ich spürte, wie der Druck in mir aufstieg, immer mehr wurde.
„In Ordnung“, sagte Kurata und lächelte verständnisvoll. „Wenn Sie es wirklich gar nicht erzählen können …“ Er sah mich einen Moment lang an, dann fragte er: „Wo leben Sie denn jetzt?“
Ich nannte den Namen meines Stadtviertels.
„Und leben Sie allein oder mit jemandem zusammen?“
Noch eine Frage, die den Druck steigen ließ. Bei der ich zwischen Ehrlichkeit und Angst schwankte, Angst davor, dass jemand schlecht von mir dachte und ich in diesem Fall vielleicht sogar meine Arbeit verlor.
„Ich habe … einen sehr guten Freund, mit dem lebe ich zusammen“, antwortete ich schließlich und schämte mich dafür, dass ich in diesem Moment nicht zu meiner Liebe stand. Vielleicht wäre es dumm gewesen, meinen Job zu riskieren, doch so zu lügen kam mir einfach furchtbar vor.
„Wirklich? Ich hatte den Eindruck, Sie hätten eine Freundin“, sagte Kurata.
Jetzt wusste ich endgültig nicht mehr, was ich antworten sollte. Und der Druck stieg weiter. Genau dieser Druck, der in mir den Drang nach Schneiden und Brechen auslöste, und vor dem ich solche Angst hatte. Der Gedanke, mich zu verletzen, kam mir Stück für Stück immer mehr ins Bewusstsein, wurde immer klarer und mischte sich mit den durch Kuratas Frage wieder in mir aufgeweckten Erinnerungen an die Zeit nach Mamas Tod, meine Schuldgefühle kehrten zurück, brannten wie glühende Kohlen auf meinem Herzen, das sofort zu schmerzen begann.
„Aoba-san?“, hörte ich Kuratas Stimme wie durch dichten Nebel. „Alles in Ordnung?“
„Entschuldigen Sie …“, brachte ich mit zitternder Stimme heraus. „… Mir ist nicht gut …“
Jetzt bekam er auch noch mit, dass ich krank war … Das hatte ich beim Vorstellungsgespräch ziemlich gekonnt verheimlicht. Hätte er davon gewusst, dann hätte er mir vielleicht nicht die Frage nach dem Grund für meine Zeit auf der Straße gestellt.
„Wenn Sie sich krank fühlen, warum bleiben Sie dann nicht zu Hause?“, fragte er.
Mein Herz tat so weh, dass ich meine Hand darauf drückte, und ich spürte den Druck jetzt schon im Magen. So weit war es lange nicht mehr gekommen. Ohne ein Wort stand ich auf, verließ Kuratas Büro und ging den kurzen Gang hinunter, auf die Toiletten zu. Mein Kopf war wie ausgeschaltet, alles in mir wollte nur noch diesen entsetzlichen Druck abbauen, sonst nichts.
Ich öffnete mit der einen Hand die Tür und tastete mit der anderen in meiner Hosentasche nach meinem Klappmesser. Seit ein paar Tagen trug ich es wieder bei mir, aus einem starken Gefühl heraus. Immerhin bedeutete es mir ähnlich viel wie der silberne Ring, den ich von Mama hatte.
Ich schloss mich in die erste Kabine ein, sank mit dem Rücken gegen die Tür zu Boden und zog das Messer aus meiner Tasche.
‚Borderline‘, blitzte es durch meinen Kopf. ‚Krank, gestört, kaputt‘
Schlagartig stieg der Druck bis zum Anschlag, ich beugte mich vor, über die in den Boden eingelassene Toilettenschale, meine Hand umklammerte das noch geschlossene Messer, und ich erbrach das Wenige, was ich heute Morgen gegessen hatte.
Sobald der Druck ein wenig nachließ, schaltete sich mein Kopf wieder ein und mir wurde klar, was ich gerade getan hatte: Ich war rückfällig geworden, hatte gebrochen und das Messer in der Hand. Hatte mein Versprechen an Mama nicht halten können. Mein Herz raste, tat immer noch furchtbar weh, und schon spürte ich heiße Tränen in meinen Augen, ließ sie dann einfach fließen, weinte, bis meine Augen sich ganz trocken und leer anfühlten.
Irgendwann hörte ich, wie jemand an die Tür klopfte. Und dann Takashimas Stimme:
„Genki? Kurata sagt, du fühlst dich nicht gut? Kann ich dir irgendwas helfen?“
„Lasst mich doch alle in Ruhe!“, fauchte ich mit tränenerstickter Stimme.
„Was ist denn los?“, fragte er weiter, scheinbar unbeeindruckt von meiner wütenden Reaktion.
Ich war so aufgelöst, fühlte mich so kaputt und zerbrochen, dass ich nicht anders konnte, als ihn durch die Tür anzuschreien: „Ich bin krank, okay?! Total gestört! Ich hab ‘ne verdammte Borderline-Störung und ich komm damit nicht klar!“ Sofort bereute ich es, doch da waren die Worte schon draußen, gesagt, nicht mehr rückgängig zu machen.
„Borderline?“, fragte Takashima, klang ziemlich schockiert. „Also … hast du dich selbst verletzt?“
Ich hörte, wie er irgendwas rauskramte, dann ein Kratzen am Drehschloss der Kabinentür, und schließlich öffnete er sie. Ich drehte mich halb zu ihm um, er hatte eine kleine Münze in der Hand, mit der hatte er die Tür geöffnet.
„Lass mich in Ruhe“, sagte ich noch einmal, doch meine Stimme klang so völlig kraftlos, dass ich mir nicht mal selbst geglaubt hätte.
Takashima sah sich kurz in der winzigen Kabine um, und nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass ich nicht blutete, hockte er sich neben mich und sah mich erst einfach nur an.
„Was ist denn passiert?“, fragte er schließlich.
„Ich weiß nicht … Kurata hat mich ein paar Sachen gefragt und … das hat … irgendwas in mir hochgeholt.“
„Er ist manchmal … ein wenig unsensibel“, sagte Takashima. „Aber warum hast du ihm denn nicht am Anfang schon gesagt, dass du nicht gesund bist?“
Meine Knie taten weh und ich setzte mich ein wenig anders hin, lehnte mich mit dem Rücken an die Wand. „Dann hätte ich den Job hier doch gar nicht bekommen. Und außerdem … ich kann nicht so einfach drüber reden.“
„Okay, verstehe ich. Willst du dann jetzt … lieber nach Hause fahren?“
Sofort, als Takashima das sagte, fiel mir Meto wieder ein, der zu Hause auf mich wartete. Und dass ich ihm ebenfalls versprochen hatte, nicht wieder rückfällig zu werden. Er glaubte an mich, vertraute in meine Kraft und meinen Willen, gesund zu werden, und jetzt musste ich ihn enttäuschen, hatte es nicht geschafft.
War es denn überhaupt noch möglich, dass ich gesund wurde? Ich konnte mich ja kaum mehr daran erinnern, wie ich mich zuletzt wirklich gesund gefühlt hatte. Und war ich denn überhaupt jemals gesund gewesen?
Bei diesem Gedanken, und der Vorstellung, Meto zu beichten, dass ich gebrochen hatte, kamen wieder die Tränen, und obwohl ich mich vor Takashima schämte, zu weinen, konnte ich sie nicht zurückhalten.
Er streckte die Hand aus und legte sie locker auf meine Schulter. „Ich glaube, das geht in Ordnung, wenn du gleich nach Hause fährst. Ich sage Kurata, dass es dir wirklich schlecht geht, dann ist das schon okay“, sagte er. „Und wenn du nicht willst, dass ich das mit … Borderline irgendwem sage, dann behalte ich das auch für mich.“
Takashima half mir, aufzustehen, und wir verließen die Kabine. Auf dem Flur kam uns Ami entgegen.
„Genki? Was hast du denn?“, fragte sie besorgt, als sie meine rotgeweinten Augen sah.
Ich antwortete nicht. Ami wusste ja, was für Probleme ich hatte. Sie konnte sich wohl selbst zusammenreimen, dass ich an derselben Störung wie Hitomi litt, schließlich kannte sie sie gut.
„Ami, hast du eventuell die Zeit, Genki nach Hause zu begleiten? Ich will ihn jetzt ungern alleine losschicken“, sagte Takashima. „Ich sag Kurata Bescheid.“
„Ja, klar.“ Ami nickte und sah mich an. „Ist das für dich auch okay?“
Ich nickte, obwohl ich eigentlich gar nicht wusste, ob ich das wollte. Kam mir vor wie ein unfähiges Kind und fühlte mich schwach und unsicher.
Ich nahm meine Jacke und meine Tasche und machte mich in Begleitung von Ami auf den Weg zur Bahnstation. Sie fragte nicht viel, nur einmal, als wir schon in der Bahn saßen, ob ich mich jetzt ein wenig besser fühlte.
Ich schüttelte den Kopf, dachte an Meto und daran, wie enttäuscht er gleich sicher von mir war, wenn ich ihm sagte, was passiert war. Es tat mir so weh, seinen Glauben in mich enttäuschen zu müssen. Ich wollte ihm doch nicht wehtun!
Zwar spürte ich keinen Druck mehr, aber dieses Gefühl von Leere und Wut auf mich selbst war mindestens genauso schlimm. Ich wollte nur noch ins Bett und mich ausweinen.
„Genki, du wohnst doch nicht alleine, oder?“, fragte Ami, als wir an meiner Bahnstation angekommen waren.
„Nein“, antwortete ich, und weil ich nicht imstande war, zu lügen, sagte ich gleich die Wahrheit: „Ich lebe mit meinem Freund zusammen.“
„Deinem Freund? Also, festen Freund?“, hakte sie nach.
Ich nickte.
„Das ist gut, dann bist du nicht ganz alleine.“ Sie lächelte.
Kein ‚Oh, dann stehst du auf Männer?‘ und kein Blick, der mir sagte, dass ich negativ auffiel und anders war. Einfach nur ein Lächeln und die Erleichterung von Amis Seite, dass ich nicht alleine war.
Ami ging noch bis vor meine Haustür mit, dann kehrte sie in Richtung Studio zurück, und ich ging die Treppen rauf. Mit jedem Schritt nach oben wurde ich langsamer, während ich überlegte, wie ich meinem Liebsten meinen Rückfall erklären sollte. War er überhaupt schon da oder noch bei seiner Arbeit? Zum ersten Mal hatte ich Angst davor, ihn zu sehen.
Ich schloss die Tür auf und lauschte. Stille. Anscheinend war er noch nicht da. Ich zog meine Schuhe und die Jacke aus, hängte meine Tasche an die Garderobe und warf einen Blick ins Schlafzimmer, falls Meto sich, weil seine Arbeit ja schon anstrengend war, vielleicht hingelegt hatte. Doch unser Bett war leer. Meine Schritte trugen mich in die Küche, ich öffnete das Fenster und nahm meine Zigarettenpackung und mein Feuerzeug vom Fensterbrett, zündete mir die letzte in der Schachtel verbliebene Zigarette an und rauchte erst einmal, um den widerlich sauren Geschmack im Mund loszuwerden.
Auf dem Küchentisch lag ein Einkaufszettel und ich schrieb, nachdem ich mit dem Rauchen fertig war, unter die Auflistung von Essen in Metos ordentlicher Handschrift, mit meiner eigenen, flüchtigeren Schrift: Zigaretten, zwei Packungen.
Ich schloss das Fenster wieder und ging ins Schlafzimmer, legte mich angezogen aufs Bett und starrte an die Decke, wusste nichts mit mir anzufangen, fühlte mich für alles zu kraftlos. Und irgendwann schlief ich tatsächlich ein.
Ein metallisches Klappern weckte mich. Noch bevor ich die Augen öffnete, wusste ich, dass es sich um Metos Schlüsselbund handelte, das am Schloss unserer Wohnungstür herumgedreht wurde. Ich öffnete die Augen und hörte, wie die Tür klappte.
„Tsu? Bist du schon da?“, fragte die leise, in diesem Moment, vielleicht vom langen Schweigen bei der Arbeit, leicht raue Stimme meines Liebsten. Wahrscheinlich sah er meine Schuhe im Flur stehen.
Ich gab nichts weiter als ein leises Brummen von mir, und da stand Meto auch schon in der Tür zum Schlafzimmer. Ich wusste nicht, woran genau er es merkte, aber ihm fiel offenbar sofort auf, dass es mir nicht gut ging, denn er fragte: „Alles okay bei dir?“
Ich setzte mich auf und sah ihn an. Wusste nicht, was ich sagen sollte. Sollte ich ihm gleich sagen, dass ich das Versprechen gebrochen hatte? Oder damit noch warten?
„Ich … bin früher von der Arbeit weg“, antwortete ich schließlich.
„Wieso? Geht’s dir nicht gut?“ Meto kam näher und setzte sich auf die Bettkante, ergriff meine Hände und hielt sie fest. „Du siehst ganz blass aus, Tsuzuku.“
„Ich fühl mich auch nicht gut. Ich …“, begann ich, und dann kam es einfach so raus: „Meto, ich muss dir was beichten. Ich … hatte da heute auf der Arbeit einen totalen Zusammenbruch. Und ich hab … ich hab mich wieder übergeben.“
Er sah mich tief erschrocken an. „Du hast was?!“
Ich nickte nur.
„Aber du … du hattest doch Samstag erst noch mal versprochen, dass du’s nicht mehr tust!“
Ich konnte ihn nicht ansehen, blickte auf die Bettdecke. „Es ist einfach so passiert.“
Mein Herz klopfte wieder schneller und ich spürte meine Wut auf mich selbst, war von mir selber genauso enttäuscht, wie Meto jetzt sicher von mir war. Und da ging es los in meinem Kopf, die Abwärtsspirale voller Wut, Abwertung und Selbsthass.
‚Du bist so schwach, Tsuzuku, so völlig unfähig! Du schaffst es einfach nicht! Nicht mal deine eigenen Versprechen kannst du halten, und du enttäuschst alle Menschen um dich herum‘, schrie es in meinem Kopf, und ich verspürte den starken Drang, meine Haut aufzukratzen. Doch es war nicht der altvertraute Druck, der mich drängte, und auch nicht der mir ebenso bekannte Wunsch, mich selbst für irgendeine Schuld zu bestrafen. Ich wollte einfach bluten.
„Tsu?“, sprach Meto mich an, konnte mir wahrscheinlich anmerken, dass ich binnen Sekunden innerlich vollkommen abgestürzt war.
„Ich bin so unfähig …“, kam es über meine Lippen. „So wahnsinnig unfähig …“
„Bist du nicht! Tsuzuku, solche Rückfälle passieren nun mal. Es kommt jetzt nur darauf an, dass du nicht aufgibst!“
‚Du bist krank, unheilbar gestört‘, flüsterte es in meinem Kopf, ein kaltes, gehässiges Flüstern. Es war keine richtige Stimme in dem Sinne, doch das musste es auch gar nicht sein. Meine Gedanken und Gefühle reichten aus, um mich zu quälen, da brauchte es keine psychotische Stimme oder dergleichen.
‚Borderline ist nicht heilbar. Du wirst jetzt damit leben müssen, Menschen zu enttäuschen, und zu leiden. Und du wirst nie wieder gesund‘, flüsterte es weiter. Und dann, als Meto aufstand und meine Hände losließ: ‚Er liebt dich nicht. Nicht wirklich. So was wie dich kann man nämlich gar nicht lieben‘
Ich kam nicht dagegen an. Die in meinem Kopf geflüsterten Worte tropften in mein Herz, breiteten sich aus wie flüssiges, glühend heißes Wachs, verursachten mir solche Schmerzen, dass ich nicht mehr klar denken konnte.
„Meto?“
Er blieb stehen, drehte sich um.
„Wo willst du hin?“
„Dir was zu Trinken holen. Du bist immer noch so blass.“
„Meto, liebst du mich eigentlich wirklich?“ In mir spannte sich etwas, ein Bogen, bereit, einen spitzen Pfeil in irgendeine Richtung abzuschießen. Auf mich selbst. Oder auf jemand anderen.
„Tsuzuku, warum fragst du so was?“
Eine seltsame Empfindung ergriff mich, ich fühlte mich wie zweigeteilt. Ein Teil zerriss sich vor lauter Energie und Gefühl, der andere wurde kalt. Ganz kalt.
Ich stand auf, die Anspannung stieg, der Bogen spannte sich weiter.
„Weil ich krank bin! Komplett krank und gestört!“, antwortete ich laut. „So was wie mich kann man doch gar nicht lieben! Also tust du es nicht wirklich!“ Der Pfeil tat mir weh, als er abgeschossen wurde. Doch das war nur der Rückstoß. Denn getroffen hatte er nicht mich, sondern Meto.
Und als wäre der Pfeil echt gewesen und nicht nur ein Bild meiner Gedanken, taumelte mein Freund wie getroffen zurück, sah mich erschrocken und fassungslos an.
„D-du … du glaubst … dass ich … dass ich dich nicht wirklich liebe?!“, brachte er heraus.
Der kalte Teil in mir vermischte sich auf verdrehte, gestörte Weise mit dem emotionalen Teil, und ich bekam nur noch irgendwo am Rande mit, dass ich gerade vielleicht gar nicht wusste, was ich tat. Alles drehte sich in einem Strudel aus tiefschwarzer Dunkelheit, immer weiter und weiter, bis ich vollkommen die Kontrolle verlor.
„Ich hab Borderline! Du weißt nicht, was das heißt, sonst würdest du nicht denken, dass du mich liebst!!“, schrie ich. „Also seien wir ehrlich!“
Zuerst sah er mich eingeschüchtert an, schien beinahe Angst vor mir zu haben. Doch dann wurde er wütend. So wütend, wie ich ihn noch nicht gesehen hatte.
„Tsuzuku, du weißt doch gar nicht, was du da redest!! Und falls du es doch weißt, falls du das gerade ernst meinst, dann tut’s mir Leid, dass ich dich trotzdem liebe! Aber, weißt du, ich glaub dir diesen ganzen Scheiß gerade nicht mal! Und jetzt geh, verschwinde, irgendwohin, ist mir egal, und komm erst wieder, wenn du wieder weißt, wer du bist!! Vorher brauchst du nicht wieder bei mir anzukommen!“, schrie er zurück und deutete dann auf die Tür.
Ich sah Tränen in seinen Augen, wusste, ich hatte ihn wirklich verletzt, doch ich war nicht imstande, irgendwas in der Art einer Entschuldigung zu sagen oder zu tun. Und dafür war es offenbar auch zu spät. Er wollte mich jetzt nicht mehr sehen.
Ich ging an ihm vorbei auf den Flur, zog meine Schuhe an und nahm meine Jacke. Und kurz bevor ich die Tür hinter mir mit einem Knall zuschlug, hörte ich Meto im Schlafzimmer laut aufschluchzen.
Ich rannte die Treppen runter, knallte die Haustür ebenfalls hinter mir zu und lief einfach los, irgendwohin, Richtung egal. Rannte und rannte, bis ich keine Luft mehr bekam und mit brennenden Lungen keuchend stehen blieb. Es war dunkel und ich wusste nicht, wo ich war. Hohe Wohnblöcke, ein kleiner Park, ein Zigarettenautomat, auf der anderen Straßenseite ging eine Frau mit Kinderwagen entlang, in dem Park hingen ein paar Jugendliche herum.
Zigaretten. Mir fiel wieder ein, dass ich keine mehr hatte. In meiner Jackentasche mussten noch ein paar Münzen sein. Ich ging auf den Automaten zu, kramte in meiner Tasche, fand dreihundert Yen, genug für eine kleine Packung, welche ich nach Einwurf der Münzen aus dem Automaten zog. Erst dann fiel mir ein, dass mein eines Feuerzeug auf dem Fensterbrett in der Küche lag und das andere in einem Seitenfach meiner Umhängetasche steckte. Die ich nicht dabei hatte. Na toll!
Ich lief einfach weiter, kam bald in eine edlere Gegend mit schicken, großen Häusern und ordentlichen Gärten hinter hohen Zäunen. In der Ferne hörte ich jetzt das Meer rauschen und da wusste ich wieder ungefähr, wo ich war. Ich ging dem Meeresrauschen entgegen, wollte zum Strand, hoffte, dass ich dort ein bisschen Ruhe finden würde. Irgendwo, in der Nähe einer gewaltigen Mauer aus dreikantigen Wellenbrechern, kam ich aus der Stadt raus, roch das Meersalz und spürte den Wind in meinen Haaren. Es erinnerte mich an den Abend neulich, als ich mit Meto im Schwimmbad gewesen war.
Meto. Sofort sah ich wieder sein Gesicht vor mir, die Tränen in seinen Augen, und hörte seine Worte wieder, seine Wut. Jetzt hatte ich ihm wirklich wehgetan, das wusste ich. Doch ich war innerlich noch zu aufgeladen, um daran zu denken, jetzt zurück zu laufen und mich zu entschuldigen.
Stattdessen lief ich runter zum Strand, fand dort bald eine hinter hohem Gras versteckte Bank und setzte mich, starrte aufs Meer raus. Irgendwann zog ich das Messer aus meiner Hosentasche, hielt es einfach geschlossen in der Hand, um mich an irgendetwas festzuhalten. Es gab mir Sicherheit, dass ich es dabei hatte. Sollte der Druck in mir wieder steigen, würde ich etwas dagegen zu tun wissen. Auch, wenn das ganz und gar nicht gut war.
Und als hätte ich die schlechten Gefühle und Gedanken damit heraufbeschworen, waren sie kurz darauf da, der schwarze Strudel in meinem Kopf begann wieder, sich zu drehen, meine Hände zitterten und der Gedanke, dass ich bluten wollte, war schneller da, als dass ich irgendwas dagegen hätte tun können. Ich zog meine Jacke aus, den Ärmel meines von mir aus linken Armes hoch, wo zwischen den Tätowierungen noch ein wenig Platz war.
Kurz dachte ich daran, dass ich mich zuletzt geschnitten hatte, kurz bevor Meto und ich ein Paar geworden waren, damals im Akutagawa-Park. Ich erinnerte mich an das Pflaster, das Haruna auf den Schnitt geklebt hatte. So lange war ich schon weg von der Klinge, dachte ich, und jetzt stand ich wieder an diesem Punkt und wollte mich verletzen. Einen Moment lang hätte ich das Messer beinahe wieder weggesteckt, doch dann kam mir der Gedanke, dass ich heute, wo ich sowieso rückfällig geworden war, mich auch ebenso gut schneiden konnte.
Ich klappte die Klinge aus, versuchte, in der Dunkelheit möglichst eine Stelle zu finden, wo ich keines meiner Tattoos beschädigte, und drückte die Klinge in meine Haut, erst die Spitze, dann langsam die ganze Schneide. Schon der erste Schmerz, bevor es blutete, entspannte mich wieder, und als der erste kleine Blutstropfen austrat und sanft kitzelnd über meine Haut rann, fühlte es sich einen Moment lang richtig gut an, beinahe … süß.
Ich spürte, dass das bereits genügte. Mehr brauchte ich in diesem Moment nicht. Nur diesen einen, süßen kleinen Blutstropfen. Ich hob den Arm und leckte den Tropfen von meiner Hand. Zog den Ärmel wieder runter und die Jacke wieder an. Weinte nicht. Saß einfach nur da und schaute wieder aufs Meer.
Auf einmal hörte ich leise Schritte auf dem Sand. Und als sich jemand neben mich setzte, sah ich zuerst nur halb auf. Und spürte ein kleines Gefühl, das ich vor Monaten schon einmal empfunden hatte. Eine Erinnerung.
„Tsuzuku? Bist du das?“
Ich schreckte zusammen, sah jetzt richtig hin. Knapp schulterlange schwarze Haare, eine auffallend schmale Gestalt, ein scheues, kleines Lächeln. Hitomi.
Ich starrte sie zuerst einfach nur an, sie blickte aufs dunkle Meer hinaus, hatte mich längst erkannt.
„Hitomi“, sagte ich schließlich leise. „Ich dachte, du bist … im Krankenhaus?“
Sie sah mich an, wieder dieses scheue Lächeln. „Ich bin nicht auf der Geschlossenen, falls du das meinst. Ich komme oft abends hierher. Es ist so schön still hier.“
„Ich hab …“, begann ich, brach dann aber ab.
Hitomi sah mich aufmerksam an und sagte dann: „Meine beste Freundin Ami war vorhin bei mir. Du kennst sie, oder?“
Ich nickte.
„Sie nennt dich Genki.“
„Sie ist ja auch meine Kollegin bei der Arbeit“, sagte ich.
„Soll ich lieber Genki oder Tsuzuku zu dir sagen?“
„Wie du möchtest …“
„Dann bleib ich dabei, dass ich dich Tsuzuku nenne. Der Name gefällt mir.“ Sie lächelte wieder, anscheinend ging es ihr gut.
„Wie geht es dir?“, fragte sie nach einer Weile.
Zuerst wollte ich lügen, verheimlichen, was heute passiert war, doch dann dachte ich: ‚Das ist Hitomi. Wenn ich zu irgendwem, was das angeht, ehrlich sein kann, dann zu ihr‘
„Mir geht’s nicht gut. Ich hatte heute ‘nen sehr harten Tag … und vorhin … hab ich … mich auch noch ganz furchtbar mit meinem Freund gestritten …“ Wieder spürte ich heiße Tränen in meinen Augen. Es kam mir vor, als hätte ich den halben Tag geweint, und so gab ich mir keine Mühe, es jetzt zurückzuhalten. Ich fühlte Hitomis Arm um meine Schultern, ihren schmalen Körper nah bei meinem, hörte ihre ruhige Stimme, die leise sagte: „Es kommen auch wieder gute Phasen, Tsu. Es gibt die schlechten Phasen, aber eben auch die guten. So ist das … bei uns.“
„Woher …“, fragte ich mit tränenerstickter Stimme, „Woher hast du das damals gewusst, dass ich …“
„Ich hab so was im Gefühl, ich merke das sofort. Weil ich viel darüber weiß, wie es ist … so zu sein.“
Sie stand auf und zog ihre Jacke aus. Schob die Ärmel ihres Oberteils zurück und hielt mir ihren Arm hin. Ich erkannte zahlreiche Narben, manche blass, manche noch leicht rot. „Siehst du? Es kommt einem so vor, als würden die schlechten Phasen unser Leben bestimmen, weil sie eben diese Spuren hinterlassen. Aber, und das kennst du ganz bestimmt auch, es gibt auch genug dieser Momente, wo es uns auf einmal richtig gut geht, oder?“
Ich nickte, dachte daran, wie oft ich Meto aus einem Überschwang an gutem Gefühl plötzlich küsste, und dass ich manchmal einfach so aus dem Nichts glücklich war.
„Mir geht es heute zum Beispiel wirklich gut. Und deshalb helfe ich dir gerne. Wir müssen doch zusammenhalten, oder?“
„Club der Gestörten …“ Ich lächelte ironisch.
Hitomi lachte. „Nenn es, wie du willst.“ Und dann: „Hast du jetzt eigentlich ein Handy? Ich könnte dir meine Nummer geben, dann kannst du mich anrufen, wenn’s dir schlecht geht.“
„Hab’s nicht dabei.“
Hitomi öffnete ihre Handtasche, kramte darin herum und zog Zettel und Stift heraus, schrieb eine Nummer auf und gab sie mir.
Wir blieben noch eine Weile so sitzen und blickten aufs Meer raus. Irgendwann stand Hitomi auf und sagte: „Ich muss zurück zur Klinik. Und du solltest dich auch auf den Heimweg machen und dich bei deinem Freund entschuldigen. Weiß er, dass du Borderline hast?“
Ich nickte. „Aber er weiß nicht wirklich, was das ist.“
„Erklär es ihm. Es gibt auch Bücher für so was. Keine Diagnosenbücher, die sind nicht gut, sondern welche speziell dafür, anderen zu erklären, warum wir so sind, wie wir sind. Ich hab so eines, das kann ich dir leihen.“
„Danke“, sagte ich. „Sag mal … wie machst du das, dass du so dazu stehst?“
„Es ist ein Teil von mir. Also warum sollte ich nicht offen damit umgehen? Ich kann das zwar auch nicht immer, aber im Grunde … Ich hab mir das mehr oder weniger selbst beibringen müssen.“
„Ich glaube, du hast mich gerade ein bisschen gerettet“, gab ich zu.
Hitomi lächelte wieder und zog ihre Jacke an. Dann drehte sie sich um, hob noch einmal die Hand, rief: „Bis dann!“, und ging davon.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich wieder den Weg nach Hause gefunden hatte. Auf dem langen Weg zurück dachte ich über alles nach, was Hitomi gesagt hatte. Sie war schon viel weiter als ich, zumindest kam es mir so vor. Im Gegensatz zu mir haderte sie nicht mehr damit, was in ihr war. Oder, vielleicht tat sie es doch, war nur gerade heute eben gut drauf.
Aber ich spürte, dass sie Recht hatte, wenn sie sagte, dass es neben den schlechten Zeiten auch die guten gab, und dass die genauso wichtig waren. Auch, wenn wir beide Narben trugen, manchmal ging es uns ja wirklich gut.
Als ich schließlich wieder vor der Haustür stand, musste ich mich durchklingeln, bis irgendjemand im Haus öffnete und ich nach oben konnte. Ich hatte meinen Schlüssel nicht dabei und wollte gerade klingeln, da sah ich, dass die Tür nur angelehnt war, gerade so, dass man es nicht sah, ich aber trotzdem rein konnte.
Mit klopfendem Herzen zog ich meine Schuhe aus, hängte meine Jacke auf und betrat vorsichtig meine Wohnung, in der ich mich doch seltsam fremd fühlte. Die Schlafzimmertür war offen und ich sah Meto mit dem Rücken zu mir im Bett liegen, das Licht war schon aus.
Am besten holte ich einfach meine Decke und Kissen und machte mir ein Lager auf der Couch. So leise ich konnte, schlich ich zum Bett, wollte gerade nach meiner Decke greifen, da hörte ich Metos Stimme: „Da … bist du ja wieder.“ Er klang anders als sonst, ein bisschen heiser, so, als hätte er viel geweint.
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Nahm mir schließlich meine Decke und wollte ins Wohnzimmer verschwinden. Doch mit einem Mal richtete Meto sich auf und hielt die Decke fest.
„Ich dachte, … ich schlaf jetzt wohl besser auf der Couch“, sagte ich leise.
Er sah mich einfach nur an, ich wich seinem Blick aus, eine unangenehme Stille breitete sich zwischen uns aus.
„Bist du wieder du selbst?“, fragte er schließlich.
Ich nickte. „Ja. Und ich wollte mich auch bei dir entschuldigen. Es tut mir leid, wirklich.“
Ein winziges Lächeln huschte über Metos vollen Lippen, er ließ sich wieder ins Kissen sinken, und ich fragte: „Bist du … noch wütend?“
„Ich weiß nicht …“, antwortete er. „Aber, wenn du das meinst: Ich liebe dich noch. Und ich werde dich immer lieben. Ich ertrage es nur nicht, dass du das infrage stellst.“
„Das tu ich nicht mehr, das infrage stellen. Ich ver…“
„Versprich nichts, was du nicht halten kannst.“ Er sah mich ernst an, dann lächelte er. „Und jetzt komm her. Du wirst heute Nacht sicher nicht auf dem Sofa schlafen.“
Ich zog mich bis auf die Shorts aus, dann legte ich mich, noch zögerlich, ins Bett, mit ein wenig Abstand zu meinem Freund. Doch er kam selbst näher, legte sich ganz nah neben mich und seine Hand auf meine Brust, seine Lippen waren nah an meinem Ohr und ich hörte ihn atmen.
„Das Bett war so leer ohne dich, Tsuzuku“, flüsterte er und küsste meine Wange.
Ich fühlte mich ein bisschen so wie nach einem heftigen Sommergewitter. So, als räumten wir jetzt zusammen langsam alles wieder auf, was der Sturm durcheinander gewirbelt hatte. Es hatte zum ersten Mal richtig zwischen uns gekracht, deshalb wussten wir beide nicht recht, was zu tun war, doch zumindest Meto tat das richtige, war einfach nah bei mir.
„Ich hatte … richtig Angst, dass du … mich nicht mehr liebst“, sagte er leise. „Wie kannst du glauben, dass ich dich nicht liebe?“
Ich wollte antworten, erklären, doch er legte mir den Finger auf die Lippen. „Shhh, nichts sagen. Wir küssen das jetzt weg und morgen können wir in Ruhe darüber reden.“ Meto beugte sich über mich und dann lagen auch schon seine Lippen auf meinen, ein süßer Versöhnungskuss, der mein verletztes Herz zumindest für den Moment wieder heilte.
„Morgen müssen wir wirklich reden. Ich … hab dir ein bisschen was zu sagen“, sagte ich danach und dachte an das, was Hitomi von wegen bestimmter Bücher gesagt hatte.
„Was denn?“
„Wegen … Borderline. Ich muss dir … das noch mal richtig erklären.“
„Ich dachte, du wolltest nicht, dass ich was darüber weiß“, sagte Meto.
„Wollte ich auch nicht. Aber … du musst was wissen. Du lebst hier mit mir zusammen, ich will mein Leben mit dir verbringen, da kann ich dich nicht unwissend lassen.“
Er nickte. „Das stimmt wohl.“
„Aber da reden wir morgen drüber“, sagte ich dann.
Meto lächelte, setzte sich auf und zog sein Schlafshirt und seine Shorts aus. Legte sich dann wieder zu mir, ganz nah, Haut an Haut. Ich streckte die Hand aus und berührte seine Brust, streichelte das bunte Baby auf seiner Haut, er lachte leise und küsste mich wieder, was mich ermutigte, sodass ich vorsichtig seine weichen Brustwarzen berührte. Er seufzte angetan, schmiegte sich an mich, küsste meinen Hals und fuhr mit der Hand durch meine Haare. Mit einem Mal war die Welt wieder in Ordnung, ich fühlte mich wieder gut und spürte, wie mich jede kleine Berührung und Zärtlichkeit langsam erregte, und wie gut mir das tat.
Meto umarmte mich, zog mich mit einem Ruck an sich, sodass ich auf einmal auf ihm lag, zwischen seinen Beinen, die er anzog und mir so zu verstehen gab, was er wollte: Süßen, heißen, liebevollen Versöhnungssex.
Ich richtete mich auf und streifte meine Shorts ab, löste mich kurz von ihm, und kam gleich darauf mit Gleitmittel und Kondom zu ihm zurück. Er brauchte nur ein wenig Vorbereitung, weniger als sonst, es ging ganz leicht. Ich liebte ihn vorsichtig, zärtlich, und doch mit der Energie und Leidenschaft, die er sich wünschte. Und als ich in ihm kam, im selben Moment wie er, da wünschte ich mir, dass etwas von mir in ihm zurückblieb, als Beweis und Sicherheit, an die er denken konnte, sollten wir noch mal so streiten und ich solche furchtbaren Dinge zu ihm sagen.
Danach lag ich in seinen Armen, dachte an nichts weiter, als dass ich bei ihm war und ihn unendlich liebte. Morgen war morgen, später, jetzt nicht wichtig. Irgendwo in meinem Hinterkopf plante es zwar ein wenig, morgen zu Hitomi zu gehen und das Buch von ihr auszuleihen, um dann mit Meto darüber zu sprechen, doch das war Hintergrunddenken, das ich leicht beiseiteschieben und jetzt ruhig einschlafen konnte.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich leichte Kopfschmerzen. Wahrscheinlich, weil ich gestern so viel geweint hatte. Emotional fühlte ich mich jedoch einigermaßen gut, hatte aber absolut keine Lust, heute zur Arbeit zu gehen. Auch, weil ich Kurata nicht sehen wollte.
Meto schlief noch, hatte Ruana im Arm, was sehr, sehr süß aussah, und ich stand leise auf, um ihn nicht zu wecken, ging ins Bad und versuchte, meine Kopfschmerzen mit einer heißen Dusche zu bekämpfen. Die Uhr im Bad zeigte sechs Uhr zwanzig an, früh genug, und ich beschloss, mich mal so richtig ordentlich zu waschen, danach einzucremen und mich allgemein heute wirklich gut um mich selbst zu kümmern.
Als das heiße Wasser über den Schnitt an meinem Arm lief, spürte ich ein leichtes Brennen und sah hin. Die Haut dort war ziemlich gerötet und es war nur allzu deutlich zu sehen, dass dieser Schnitt nicht einfach irgendein Kratzer war. Aber ich ließ mich von dem Anblick meiner Selbstverletzung nicht runterziehen. Es war eben passiert und im Moment fühlte ich mich stark genug, nach dem kompletten Rückfall gestern aus dem Tag heute eine Art Neuanfang zu machen.
Was hatte Hitomi doch gestern zu mir gesagt? Es kamen auch immer wieder gute Phasen. Und ich kam selbst auf den Gedanken, dass es diese guten Zeiten waren, auf die es ankam. Das Gespräch mit ihr gestern fühlte sich auch im Nachhinein noch gut an, und ich spürte, wie für mich das Wort ‚Borderline‘ ein bisschen was von seinem Schrecken verloren hatte.
Ich war froh, Hitomis Nummer zu haben, und fragte mich, warum ich eigentlich solche Angst gehabt hatte, sie wiederzusehen. Sie war mir nicht nur sympathisch, sondern verstand mich auch gut und vielleicht war sie diejenige, die mir wirklich helfen konnte, mit meinem Problem umzugehen, weil sie einfach dasselbe durchmachte und sich dabei eine gewisse Selbsterkenntnis angeeignet hatte.
Als ich mit Duschen fertig war, nahm ich mir von Metos Bodylotion und cremte mich damit einmal so richtig ein. Die Lotion roch gut und es fühlte sich schön an, mich einmal komplett damit zu verwöhnen. Ich entdeckte ein paar trockene Hautstellen an meinen Beinen, die mir sonst bestimmt nicht aufgefallen wären, und cremte diese besonders gut ein, dann zog ich meinen Yukata über und ging ins Schlafzimmer zurück. Meto war inzwischen aufgewacht und aufgestanden, hatte sich angezogen und machte gerade das Bett.
„Gehst du heute arbeiten oder meldest du dich krank?“, fragte er.
„Ich rufe gleich im Studio an und nehme mir einen Tag frei“, antwortete ich.
„Und was machen wir heute?“
„Ich habe gestern zufällig Hitomi getroffen, als ich weg war. Sie will mir ein Buch ausleihen, das würde ich dir dann gern zeigen.“
„Die Hitomi?“, fragte Meto. „Sagtest du nicht mal, sie sei im Krankenhaus?“
„Ist sie auch, aber nicht auf der Geschlossenen. Ich wollte sie heute Vormittag kurz besuchen.“
„Du magst sie, ne?“ Meto sah mich einen Moment nachdenklich an, dann fragte er: „Sie versteht dich besser als ich, oder?“ Er setzte sich aufs Bett und blickte zu Boden.
„Hey, du musst nicht eifersüchtig sein, okay? Hitomi ist einfach … na ja, sie kennt das eben, wie ich mich fühle, weil es ihr ähnlich geht. Das ist ziemlich was anderes, als meine Liebe zu dir oder wie ich mit Koichi befreundet bin.“
Meto sah auf, lächelte mich an. „Das ist schön, dass sie dich gut versteht.“
Ich suchte mir Klamotten aus dem Schrank, den dunkelroten Pullover und die enge schwarze Jeans, dazu eine Kette mit Kreuz, meine Uhr und das schwarze Lederarmband. Viel Lust, mich noch zu schminken, hatte ich heute nicht, und die Kontaktlinsen ließ ich auch weg.
Fertig angezogen, holte ich mein Handy aus meiner Tasche im Flur und machte ein Foto von meinem Look heute. Es war das erste Bild, das ich von mir mit diesem Handy machte, und ich hatte vor, mir demnächst mal wieder einen Account irgendwo zu machen und das Bild hochzuladen.
Ich behielt das Handy in der Hand und rief im Studio an, um mich für heute abzumelden. Kurata ging ran und fragte, ob es mir besser ging. Ich antwortete, dass es schon okay war, und sagte dann, dass ich mir einen Tag Urlaub nahm. Er schrieb das auf und riet mir, zum Arzt zu gehen, was ich jedoch verneinte und sagte, dass ich schon allein zurechtkam.
Ich wollte nicht zu einem Arzt gehen. So jemandem zu erklären, warum ich Narben von Schnitten hatte und zu wenig wog, erschien mir viel zu schwer. Es war eine Sache, mit Meto, Koichi, oder mit Hitomi über meine Probleme zu sprechen, doch mit einem Arzt, Psychiater oder Psychologen zu sprechen, das war noch mal was ganz anderes und es machte mir Angst.
Meto und ich frühstückten ein wenig, dann gab er mir einen Kuss und ging los zur Arbeit ins Café. Ich blieb noch ein wenig in der Küche, rauchte meine allmorgendliche Zigarette und schaute aus dem Fenster. Dann zog ich meine Jacke an, nahm meine Tasche und machte mich auf dem Weg zur Klinik, um Hitomi zu besuchen.
Auf dem Weg dachte ich an Koichi, daran, ob ich ihm von meinem Rückfall erzählen sollte oder nicht. Ich wollte nicht, dass er sich wieder Sorgen um mich machte, aber andererseits wollte ich, dass er über meine Situation so genau wie möglich im Bilde war. Wahrscheinlich würde Meto ihm heute so oder so seinen Teil des gestrigen Tages erzählen …
Schließlich schrieb ich ihm eine Nachricht:
„Hey, Ko. Ich würde heute Nachmittag gerne mit dir sprechen. Ruf mich bitte an, wenn du mit der Arbeit fertig bist. Tzk“
Die Klinik war nicht allzu weit von unserem Haus weg, nur ein paar Straßen. Ich ging am Sportstudio vorbei, in dem ich bisher nur einmal gewesen war, um mich anzumelden, und dachte an den Trainingsraum im Tempel, den ich genutzt hatte, um mich auszupowern, damit ich mich nicht schnitt. So hart zu trainieren, dass mein ganzer Körper schmerzte, war zwar auch am Rande der Selbstverletzung, aber ich trug keine Narben davon, stattdessen hatte es den Mehrwert, dass ich mich selbst schöner fand, wenn ich ein bisschen Muskeln aufbaute.
Als ich dann vor der Klinik stand und das Schild sah mit der Aufschrift ‚Psychiatrische Klinik‘, bekam ich auf einmal Angst. Angst, hier irgendwann als Patient her zu müssen, über Nacht, mit fremden Menschen und ohne Meto. Hoffentlich merkte mir heute niemand an, dass ich krank war, und ich galt einfach nur als Besucher.
Ich betrat das Vorgebäude und ging gleich zum Informationsschalter.
„Guten Tag, mein Name ist Aoba. Ich möchte jemanden auf Station besuchen.“
Die Dame hinter der Glasscheibe sah mich an und ich bildete mir ein, dass sie mir ansah, warum ich zu dünn war. Wer hier tagtäglich mit psychisch Kranken zu tun hatte, entwickelte bestimmt einen Blick dafür, ob jemand einfach nur so untergewichtig war oder wegen psychischer Probleme.
„Wen und auf welcher Station?“, fragte sie.
Das hatte Hitomi vergessen, mir zu sagen, auf welcher Station sie war.
„Kameyama Hitomi, eine Freundin von mir. Die Station weiß ich nicht“, antwortete ich.
Die Dame gab etwas in ihren Computer ein, suchte darin irgendetwas heraus und sagte dann: „Das ist die offene Station 3, die ist hier im Gebäude, im vierten Stock.“ Sie deutete auf eine breite Treppe, auf der gerade eine Krankenschwester in weißer Arbeitskleidung herunter kam.
Ich bedankte mich und ging die Treppe rauf, mein Herz klopfte und ich spürte diese Klinikatmosphäre, die ich zuletzt gespürt hatte, als ich mit achtzehn mal körperlich krank und sicherheitshalber eine Nacht im Krankenhaus gewesen war. Doch das hier war noch wieder irgendwie anders, schlimmer. Ich war jemand, der hier eigentlich behandelt werden sollte, aber nicht wollte, dass man ihm das anmerkte.
Als ich im vierten Stock ankam und die Glastür öffnete, auf der in weißen Zeichen ‚Station 3‘ stand, verspürte ich leichtes Herzrasen und meine Hände zitterten.
‚Ganz ruhig, Tsuzuku, du willst doch nur Hitomi besuchen‘, sagte ich mir und ging den Gang hinunter. An der einen Seite standen eine Reihe Stühle und da saßen Leute, Patienten vermutlich, die von Büchern und Handarbeiten aufblickten, als ich vorbeiging.
Eine Krankenschwester kam mir entgegen und fragte: „Guten Tag, sind Sie ein Besucher?“
Ich nickte. „Ich möchte Kameyama Hitomi besuchen.“
„Kameyama-san ist gerade in der Gruppentherapie. Die ist in fünfzehn Minuten vorbei, dann können Sie mit ihr sprechen.“ Sie deutete auf die Stühle an der Wand. „Setzen Sie sich doch.“
Es wurden recht lange fünfzehn Minuten. Ich saß da und blickte an die weiße Wand mir gegenüber, traute mich nicht so recht, die anderen Leute anzusehen. Doch lange konnte ich nicht die Wand anstarren, es zog meinen Blick sehr bald zu den Menschen um mich herum. Sie waren ganz unterschiedlich alt, zwei, ein Mann und eine Frau, waren ungefähr vierzig, eine Frau war in meinem Alter, daneben saßen eine ältere Dame und ein noch ziemlich jung aussehendes Mädchen, vielleicht achtzehn Jahre alt.
Das Mädchen schaute mich an und ich fühlte mich wiederum so ertappt, wich ihrem Blick aus. Sie ähnelte Hitomi irgendwie, war auch so dünn wie sie und ich, und hatte diese blassen Narben auf den Unterarmen. Eine merkwürdige Empfindung ergriff mich, eine Mischung aus Angst und Neugier, gemischt mit der Erkenntnis, dass ich nicht der einzige war, der unter solchen Problemen litt.
„Du willst Hitomi besuchen?“, fragte das Mädchen auf einmal, stand auf und setzte sich einen Platz weiter, direkt neben mich. Sie sagte einfach ‚du‘ und wirkte auf einmal so offenherzig, dass es mich an meine eigenen plötzlichen Schwankungen erinnerte.
Ich nickte.
„Wie heißt du?“
„Tsuzuku.“
„Das ist aber ein schöner Name.“ Sie lächelte, stand auf und stellte sich vor mich hin. „Ich bin Maya. Weißt du, es ist ein bisschen langweilig hier, deshalb bin ich immer froh, wenn jemand von draußen kommt und was zu erzählen mitbringt. Hast du was zu erzählen?“
Ich zuckte mit den Schultern. Die Art, wie Maya redete und mich ansah, wie sie da vor mir stand und in einer Tour redete, passte sehr gut in diese Umgebung. Und ich dachte an mein Leben früher, als ich noch nicht diese große Angst vor Menschen gehabt hatte und ähnlich auf Leute zugegangen war.
„Komm, erzähl mal was! Woher kommst du, was machst du, magst du Hitomi? Sie ist nett, oder?“
„Ja, ich mag sie auch. Sie ist … eine gute Freundin von mir“, antwortete ich.
„Oh!“, rief Maya auf einmal aus, strahlte mich an und deutete auf meine Hand, auf die beiden kleinen Tattoos auf meinen Fingern. „Die sind ja toll! Hast du noch mehr?“
Ich zog die Ärmel meines Pullovers bis zum Ellbogen hoch. Und zu spät fiel mir ein, dass ich links ja noch den Schnitt von gestern hatte.
„Woah, sind die toll! Ich will auch welche haben, aber ich darf nicht.“ Sie schien den Schnitt gar nicht zu bemerken. Vielleicht war so was hier einfach … fast schon normal …?
„Warum nicht?“, fragte ich. „Bist du noch nicht alt genug?“
„Ach, nee, alt genug bin ich. Aber die Ärzte hier wollen das nicht. Leute mit Borderline dürfen sich während der Behandlung nichts stechen lassen.“ Auf einen Schlag war ihre überschwängliche Begeisterung verflogen und sie klang fast schon ein wenig wütend. „Aber wenn ich in hier wieder raus bin, dann können die mich alle mal!“
Ich sagte nichts dazu, wusste auch nichts. Was hätte ich auch sagen sollen? Dass ich auch so war? Dass mir dieses Wort ‚Borderline‘ immer noch kalte Schauer über den Rücken jagte?
In dem Moment klappte weiter hinten im Gang eine Tür, ich sah hin und erblickte Hitomi, die mich sofort erkannte und lächelte.
„Tsu!“, rief sie und rannte auf mich zu, ich stand auf und sie fiel mir um den Hals. „Du kommst mich besuchen!“
Ich freute mich ja auch, sie zu sehen, aber ihre Überschwänglichkeit irritierte mich doch ein wenig. Obwohl ich wusste, dass ich Meto gegenüber oft genauso war.
„Sorry“, sagte Hitomi und löste sich wieder von mir. „Ich hab heute nur so gute Laune, irgendwie.“
Sie wandte sich an Maya. „Deine Gruppe geht gleich los, oder?“
Maya nickte, lächelte mich dann an. „Komm mal öfter her, Tsuzuku. Dann können wir richtig über Tattoos reden.“ Dann lief sie den Gang hinunter und verschwand in dem Raum, aus dem Hitomi eben gekommen war.
„Komm, Tsu, wir gehen auf mein Zimmer. Da hab ich auch das Buch, was ich dir leihen will“, sagte Hitomi. Sie führte mich einen anderen Gang hinunter und blieb dann vor einer angelehnten Tür stehen, öffnete diese ganz, sodass ich hinter ihr das Zimmer betrat.
„Möchtest du Tee oder so?“, fragte sie und deutete auf eine Teekanne mit Tassen auf dem Tisch.
Ich schüttelte den Kopf. „Danke, aber ich möchte nichts.“
„Ist okay. Meine Zimmernachbarin ist gestern entlassen worden, wir haben also erst mal Ruhe hier.“ Hitomi deutete auf einen der Stühle am Tisch, ich setzte mich, und sie ging zu einem Regal, nahm zwei Bücher heraus. „Hier, das ist ein Buch für Betroffene und Angehörige, das ist sehr viel besser als diese klinischen Bücher. Und das hier …“, sie hielt ein schwarzes, auffallend hübsch eingebundenes Buch hoch, „ … das möchte ich dich auch gern lesen lassen.“ Sie setzte sich zu mir und legte die beiden Bücher vor mir auf den Tisch. Ich schlug das schwarze auf, es handelte sich um eine Art Sammlung von Geschichten und Gedichten, die den Titeln im Inhaltsverzeichnis nach überwiegend recht dunkel und traurig waren.
„Das ist eins meiner Lieblingsbücher“, sagte Hitomi, hatte wieder dieses ein wenig scheue Lächeln auf den Lippen. „Der Autor hat auch Borderline und schreibt einfach wahnsinnig gut über Gefühle und das alles. Ich verstehe mich selbst besser, wenn ich darin lese.“ Sie lachte, sagte dann: „Oh man, das muss dir ja so vorkommen, als ob ich die ganze Zeit nur damit beschäftigt bin!“
Ich lachte einfach mit, um die Stimmung ein wenig zu lockern. Wirklich angespannt fühlte ich mich auch gar nicht. Hitomi hatte diese Art an sich, mit der sie dafür sorgte, dass ich mich entspannte.
„Sag Bescheid, wenn ich zu viel rede, Tsu“, sagte sie.
„Kein Problem, ich … weiß sowieso gerade gar nicht, was ich sagen soll.“
„Fühlst du dich denn gut bei mir?“
Ich nickte. „Ehrlich gesagt hatte ich, nachdem du … aus dem Tempel weg warst, … ziemliche Angst davor, dich wieder zu sehen“, sagte ich dann.
„Warum das denn?“ Auf einmal wirkte sie ein wenig angespannt. „War ich dir zu unheimlich?“
„Nein, das nicht. Aber … ich bin durch dich erst … auf diesen Gedanken gekommen. Vorher wusste ich gar nicht, was mit mir los ist. Und dann, als ich drauf gekommen bin, hatte ich wahnsinnige Angst, konnte gar nicht darüber sprechen, mit niemandem.“
„Und jetzt?“
„Jetzt wissen mein Freund, mein bester Freund und einer meiner Kollegen davon. Und … na ja, dass ich allgemein psychische Probleme habe, wissen noch mehr Leute.“
Ich dachte an Haruna, Hanako und Yami, an die Zeit, als ich noch im Park unter der Brücke gelebt hatte. Daran, wie ich mir Essen von den anderen zusammengebettelt hatte, viel zu viel, um das dann wieder zu erbrechen. Wie ich mich geschnitten hatte, und irgendwann immer irgendjemand ein Pflaster oder einen Verband für mich dabei gehabt hatte.
Erst rückblickend wurde mir wirklich klar, wie extrem hart diese Zeit gewesen war. Und Meto hatte so viel davon mit mir zusammen durchgestanden. Ich hatte ihm sehr, sehr viel zugemutet, und alles, was ich ihm zurückgeben konnte, waren erst meine Freundschaft gewesen, und jetzt meine Liebe. So gesehen erschien es mir zugleich natürlich und andererseits als größtes Glück, dass aus uns ein Liebespaar geworden war.
Meine Gedanken an Meto waren mir anscheinend anzusehen, denn Hitomi lächelte mich an und fragte: „Woran denkst du gerade? Moment, lass mich raten: Du denkst an deinen Freund?“
„Ja“, sagte ich.
„Du liebst ihn sehr, oder?“
Ich nickte, lächelte beim Gedanken an gestern Abend, an den süßen Versöhnungskuss und das Schöne danach. „Ich liebe ihn wahnsinnig. Manchmal so sehr, dass ich fast glaube, verrückt zu werden.“
„Weißt du eigentlich, dass das das Beste ist, was dir passieren kann?“, fragte Hitomi. „Jemanden zu haben, den man liebt und der das erwidert, die ganzen schönen Gefühle, Lust und Sex …“
„Ich weiß“, sagte ich. „Ich hab das auch schon gespürt, dass ich mich, nachdem ich mit ihm geschlafen habe, nicht mehr so sehr verletzen will.“
Hitomi lächelte. „Ich freu mich sehr für dich, Tsu.“ Dann sah sie auf einmal nachdenklich aus und fügte leise hinzu: „… Ich hatte nicht so viel Glück wie du …“
„Willst du darüber reden?“, fragte ich vorsichtig.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich will dich damit nicht belasten.“
Ich beließ es dabei, wechselte das Thema: „Hast du … eine Idee, wie ich Meto das alles am besten erklären soll? Ich will nicht, dass er zu viel erfährt und sich dann noch mehr Sorgen um mich macht.“
Hitomi nahm das andere Buch, schlug es auf und blätterte ein wenig darin herum, bis sie eine bestimmte Seite gefunden hatte. Dort war eine Passage rot unterstrichen und die las sie mir vor: „Die Störung ist so breit gefächert, dass es wenig Sinn macht oder sogar schädlich ist, alles zu lesen und mitzuteilen. Sprechen Sie nur über das davon, was Sie wirklich persönlich betrifft, und schildern Sie Ihre eigenen Gefühle dazu.“ Sie schob das Buch beiseite und sagte: „Am besten sagst du ihm einfach, wie du dich fühlst, was du denkst, was in dir los ist, wie du bestimmte Situationen empfindest.“
„Manchmal … hab ich keine Worte dafür.“
„Dann sag auch das. Versuche, ihm so genau wie du kannst, zu erklären, wie du funktionierst.“ Sie deutete auf das schwarze Buch. „Und vielleicht findest du da drin irgendein Bild, das dir hilft, es auszudrücken. Ich hab dieses Buch zweimal, du kannst es also gern länger behalten.“
Hitomi lächelte, doch dann verschwand das Lächeln, sie blickte einen Moment lang förmlich durch mich hindurch und sah auf einmal furchtbar traurig aus. Sie stand auf, ging zu ihrem Bett, setzte sich darauf und zog die Knie an.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Genau so hatte ich gestern Kurata gegenüber gesessen, und wahrscheinlich hatte er nicht annähernd kapiert, warum ich plötzlich innerlich abgestürzt war.
„Hitomi?“, fragte ich vorsichtig.
Sie blickte auf, Tränen liefen über ihre Wangen. Lag es daran, dass unser Gespräch eben an ihrer eigenen Traurigkeit gerührt hatte, als sie gesagt hatte, dass sie nicht so viel Glück gehabt hatte wie ich? Hatte das in ihr eine Erinnerung hochgeholt, die sie jetzt so traurig machte?
„Kannst du … bitte gehen?“, fragte sie mit tränenerstickter Stimme.
Ich stand auf, nahm die beiden Bücher und wandte mich zur Tür. Doch statt sie zu öffnen, drehte ich mich wieder um, legte die Bücher wieder auf den Tisch und ging zum Bett, setzte mich neben Hitomi und legte vorsichtig meinen Arm um ihre zitternden Schultern. Dabei spürte ich geradezu ihren inneren Zwiespalt zwischen dem Wunsch, gehalten zu werden, und dem Alleinsein-wollen. Es war einfach dasselbe wie bei mir.
Sie sah mich fragend an und ich lächelte. „Weil du mich gestern auch getröstet hast“, sagte ich.
Ich blieb bei ihr, bis ich das Gefühl hatte, dass ich sie allein lassen konnte, dann nahm ich die Bücher und ging. Verließ die Klinik so schnell wie möglich und ging nach Hause, wo ich beide Bücher im Wohnzimmer auf den Couchtisch legte.
Als ich ins Schlafzimmer ging, um mich ein bisschen hinzulegen, bis Meto nach Hause kam, fiel mein Blick auf meine Sportsachen im geöffneten Kleiderschrank. Eigentlich konnte ich doch, wenn Meto sowieso erst gegen ein oder zwei Uhr mittags zurück war, auch noch eben ins Sportstudio gehen.
Ich nahm die Sachen aus dem Schrank und packte sie zusammen mit zwei Handtüchern in meine Umhängetasche. Meine alte, abgewetzte Reisetasche stand in der Ecke, doch die war erstens zu groß und zweitens sah man ihr an, dass sie mich in meiner Zeit unter der Brücke begleitet hatte.
Und so ging ich wieder aus dem Haus, wieder in dieselbe Richtung, doch dieses Mal war mein Ziel besagtes Sportstudio, in dem ich mich ja schon angemeldet hatte.
Es waren nicht viele Leute da, normal für Mittwoch um halb elf, und ich war froh darüber. In der Umkleide war ich allein und konnte mich in Ruhe umziehen, schloss meine Tasche in einen Spind ein und begann dann mit dem Training, das ich nach dem Programm absolvierte, welches ich noch aus dem Tempel kannte.
Zuerst gingen mir währenddessen noch ein paar Dinge durch den Kopf, doch je mehr ich mich reinhängte, umso stiller wurden meine Gedanken. Ich übertrieb es heute nicht, hatte ja auch gerade keinen Grund dazu, so hart zu trainieren, dass es wehtat, sondern tat einfach, wie ich mir heute Morgen beim Duschen vorgenommen hatte, etwas für meinen Körper, damit ich mich gut fühlte.
Und als ich am Ende im Duschraum stand, den ich zum Glück auch für mich allein hatte, ging es mir auch richtig gut. So gut, dass ich leise vor mich hin sang, während ich mich wusch.
Als ich mich abtrocknete und wieder anzog, schaute ich auf die Uhr. Halb eins, Meto war jetzt bestimmt wieder da. Fertig angezogen, machte ich mich wieder auf den Weg nach Hause, und dachte darüber nach, wie genau ich Meto das, was Hitomi mir geraten hatte, mitteilen sollte. Vielleicht sollte ich die beiden Bücher zuerst lesen und dann mit Meto darüber reden? Aber was, wenn ich in der Zwischenzeit wieder zusammenbrach?
Als ich unsere Wohnung wieder betrat, kam mir der wundervolle Duft von Nudeln und gebratenem Gemüse entgegen.
„Tsu?“, hörte ich meinen Liebsten aus der Küche fragen.
„Ja?“
„Wo kommst du jetzt her?“
„Vom Sportstudio. Ich war ein bisschen trainieren.“ Ich betrat die Küche, wo Meto am Herd stand und unser Mittagessen kochte, umarmte ihn von hinten und küsste ihn.
„Wie geht’s dir, mein Schatz?“, fragte er.
„Alles gut“, antwortete ich. „Wie war die Arbeit?“
„Soweit in Ordnung. Na ja, Koichi wollte wissen, wie es dir geht, und ich hab ihm von gestern erzählt. Er hat auch deine Nachricht bekommen, dass du mit ihm reden willst.“ Er legte den Kochlöffel beiseite und streichelte mit beiden Händen meine Unterarme an seinem Bauch. „Und du? Warst du bei Hitomi?“
„Ja. Sie hat mir zwei gute Bücher geliehen. Ich … würde da gerne nachher mit dir zusammen drüber reden …“
„Wegen … Borderline?“
Ich nickte.
„Tsuzuku, ich weiß gar nicht, ob ich das alles wissen will. Ich will dich nicht als ‚gestört‘ oder so ansehen, verstehst du?“, sprach er und stellte den Herd aus.
Ich umarmte ihn ein wenig fester und senkte meinen Kopf auf seine Schulter. Wollte ihm aus einem starken Gefühl heraus ganz nah sein.
„Weißt du …“, begann ich. „… Ich denke einfach, du solltest wissen, wie ich funktioniere. Wie es in mir aussieht. Und das hat jetzt nun mal diesen Namen. Und … na ja, ich will jetzt ehrlich zu dir sein. Du sollst wissen, wie ich mich fühle und wie ich denke.“ Ich fühlte in diesem Moment ein starkes, sehr starkes Vertrauen zu Meto, ein Gefühl, das sich mit meiner großen Liebe zu ihm mischte und mein Herz ganz warm werden ließ.
„Okay“, sagte er. „Aber erst wird gegessen.“
Das Essen schmeckte genauso gut, wie es roch, und ich hatte dank des Besuchs im Sportstudio auch wirklich Hunger, sodass ich sogar etwas mehr aß als sonst. Meto beobachtete mich aufmerksam, ich spürte, wie er genau darauf achtete, dass ich nicht zu schnell oder zu viel aß. Und als ich mir zum dritten Mal Nudeln nehmen wollte, hielt er auch tatsächlich meine Hand fest.
„Nimm mal nicht zu viel … Nicht, dass dir wieder schlecht wird.“
Ich zog meine Hand zurück. „Hast Recht.“ Stand auf und stellte meinen Teller in die Spüle.
Meto aß noch auf, dann spülten wir gemeinsam das wenige Geschirr, der Topf mit dem übrigen Essen kam in den Kühlschrank.
Ich ging ins Wohnzimmer, Meto folgte mir, und ich setzte mich auf die Couch, bedeutete ihm, sich ebenfalls zu setzen. Die beiden Bücher lagen noch auf dem Tisch und ich nahm das farbig eingebundene in die Hand, schlug es auf und sagte erst einmal nichts, sondern versuchte, mich an das Gefühl, wieder so ein Buch in der Hand zu halten, zu gewöhnen.
Ich spürte meinen eigenen Herzschlag, wie er sich leicht beschleunigte, als ich anfing zu lesen. Dachte an Hitomis Worte und begann dann, zuerst noch zögernd und vorsichtig, Meto zu erzählen und zu erklären, wie ich mich gestern gefühlt hatte und wie es überhaupt in mir aussah. Zumindest das davon, was ich in diesem Moment selbst verstand. Zwischendurch blätterte ich immer wieder in dem Buch und fand darin ab und zu Sätze und einzelne Worte, die mir halfen, mich richtig auszudrücken, und mir irgendwie auch mich selbst erklärten.
Manchmal fragte Meto etwas, dann antwortete ich, wenn ich eine Antwort wusste. Und wenn mir die Tränen kamen, nahm er mich in den Arm. Einerseits war es schwer, darüber zu sprechen, doch auf der anderen Seite fühlte es sich gut an, hatte etwas Befreiendes an sich.
„Und, sag mal, wenn dir das Herz manchmal so wehtut, hat das auch damit zu tun?“, fragte er irgendwann, sein Arm lag um meine Taille.
„Das weiß ich nicht“, antwortete ich. „Vielleicht kommt das, weil ich so viel zu viel fühle, dass es das kaum aushält und ich dann diese Schmerzen habe.“
„Wir sollten beide mal zum Arzt gehen. Ich wegen meiner … Verspannungen, und du wegen deinem Herzen. Nur zur Sicherheit, und falls man da was gegen tun kann. Und … na ja, vielleicht solltest du dich auch mal auch auf gewisse Krankheiten testen lassen, wegen der Mädchen früher und so.“
„Und du meinst nicht, dass ich dann erst mal wegen Untergewicht in die Klinik komme?“, fragte ich und sprach damit auch gleich meine Angst vor Krankenhäusern an.
„Die können dich nicht zwingen. So viel zu dünn wie früher bist du ja auch nicht mehr.“
Er schien sich da ganz sicher zu sein und zerstreute meine Angst zumindest für den Moment. Und Recht hatte er ja auch, ich hatte ja ein bisschen zugenommen.
Wir verbrachten den Rest des Tages wieder einmal mit der Spielekonsole. Ich war mit den Gedanken jedoch ziemlich woanders, weshalb ich andauernd verlor, während Meto sich besser konzentrierte und mich, da wir als Team spielten, ständig retten musste. Es war wie im echten Leben bei uns: Ich setzte alles in den Sand, und er half mir, zu überleben.
Später rief dann Koichi an und fragte, wie es mir ging. Da ich mich relativ gut fühlte und das halten wollte, erzählte ich ihm nicht zu viel über den Tag gestern, sondern nur grob, was gewesen war und dass ich mit Hitomi in Kontakt stand. Er sagte, dass er sich jetzt zwar wieder mehr Sorgen um mich machte, aber froh war, dass ich Hitomi hatte und es mir jetzt wieder gut ging.
Noch später, als Meto und ich am Abend zusammen im Bett lagen, spürte ich noch immer diese Innigkeit zwischen uns, die durch das Gespräch über mein Innenleben entstanden war. Ich fühlte mich wirklich gut und ihm so nah, kuschelte mich an seinen warmen Körper und spürte seine Hände auf meiner Haut. Wir trugen beide nur Shorts, aber ich fühlte mich nicht so, als ob ich in dieser Nacht mit ihm schlafen würde. Viel lieber wollte ich heute romantische, süße Nähe, zärtliche Küsse und liebevolle Worte. Und einfach bei ihm sein und fühlen, dass er da war.
„Meto“, sprach ich ihn flüsternd an, „… mein Süßes …“
Er sah mich an und lächelte. „Du bist auch mein Süßer, Tsu.“
Ich rutschte ein wenig runter und legte meinen Kopf auf seine Brust, kuschelte mich noch ein wenig enger an ihn. Ein unglaublich gutes Gefühl kam in mir hoch, wärmte mein Herz und brachte mich in eine ziemlich kitschige Stimmung.
„Du bist aber mein ganz besonderes Süßes, Meto. Weil du das Liebste bist, was ich in meinem Leben habe“, sprach ich und hörte selbst, wie weich meine Stimme dabei klang.
Er lachte leise. „Was bist du denn so kitschig?“
Ich hob den Kopf und sah ihn an, fand ihn so wunderschön.
„Manchmal bin ich eben so. Und es ist nichts als die reine Wahrheit, wenn ich dir sage, dass du mein Liebster bist“, sagte ich, meine Gedanken und Gefühle schwirrten vor Verliebtheit.
Ich rutschte wieder hoch, bis wir auf Augenhöhe waren, er erriet, was ich wollte, legte seine Hand in meinen Nacken, und ich küsste ihn, so liebevoll und zärtlich wie ich nur vermochte. Seine Finger strichen über eine kribbelige Zone an meinem Hals, was mich leise in den Kuss seufzen ließ, woraufhin er an meinen Lippen lächelte.
„Ich will in deinen Armen schlafen“, flüsterte ich und legte mich wieder ordentlich neben ihn. Meto schob seinen unten liegenden Arm unter meinen Hals und legte den anderen an meine Taille, ich schmiegte mich an ihn und es dauerte nicht lange, da war ich eingeschlafen.
Ich hatte eindeutige Träume manchmal. Träume, die mich mitten in der Nacht aufwachen ließen, mit klopfendem Herzen und Kribbeln im Bauch. Sie handelten ausnahmslos von Tsuzuku, von seinem warmen, wunderschönen Körper, seinen Händen und Lippen, seiner Lust und Leidenschaft, und sprachen eine deutliche Sprache darüber, wie lieb ich ihn hatte.
Und in dieser Nacht, als er in meinen Armen lag, wachte ich davon auf, dass mein durch den Traum erregtes Glied gegen seine Kehrseite drückte. Es dauerte einen Moment, bis mir richtig klar wurde, in was für einer Position wir hier lagen, dass ich so lag wie er sonst, und er so wie ich, wenn er mit mir schlief. Es war zwar lange nicht das erste Mal, dass er in meinen Armen schlief, aber das erste Mal, dass mein Glied in erregtem Zustand seinen Hintern berührte und ich das bewusst mitbekam.
Wie es wohl sein würde … Ich dachte an seine Worte davon, dass dieser Wunsch danach doch irgendwo in mir vorhanden sein musste, der Wunsch danach, dass ich auch mal in ihn eindrang, statt immer nur er in mich. Und auf einmal war sie da, die Neugier, wie es sich wohl anfühlte, Tsu’s enges, heißes Inneres um mein Glied zu spüren, mich in ihm zu bewegen, ihn auf diese Weise zum Stöhnen zu bringen.
Der Gedanke ließ mich nicht mehr los, ich berührte unter der Decke Tsuzukus Becken und zog ihn leicht an mich, stellte mir vor, wie es wäre, wenn er jetzt wach wäre und ich es versuchen würde. Ein bisschen Angst hatte ich noch davor, weil ich eben so unerfahren war und ihm nicht wehtun wollte. Aber der Gedanke an sich war jetzt in meinem Kopf und gefiel mir auch.
Ich beugte mich halb über ihn, so gut es ging, mein Arm lag immer noch unter seinem Nacken, und strich ihm die schwarzen Strähnen aus der Stirn, hauchte einen Kuss auf seine Wange. Wie süß Tsuzuku aussah, wenn er so friedlich in meinen Armen schlief …
So war kaum zu sehen, dass in seiner verletzten Seele ein furchtbares Ungeheuer lebte, das ihn so oft entsetzlich quälte und leiden ließ. Ich wusste jetzt ein wenig mehr darüber, nachdem er es mir gestern ja noch mal näher erklärt hatte, und zum Glück hatte das meine Sicht auf ihn und das Bild, das ich von ihm hatte, kaum verändert. Ich liebte ihn immer noch, so wie er war, und wusste, dass er mich ebenso liebte.
Der Moment, als er an meiner Liebe gezweifelt hatte, hatte mir sehr wehgetan. Hatte wie eine geschärfte Messerspitze in mein Herz gestochen und mich erst sehr traurig und dann sehr wütend gemacht. Ich hatte mich gefragt, wie Tsuzuku nur nicht glauben konnte, dass er alles für mich war.
Doch jetzt, wo er mir erklärt hatte, warum er solche Dinge sagte, dass es an dieser Krankheit lag, da hatte ich ihm längst verziehen. Der Versöhnungssex war einfach zu schön gewesen.
MiA hatte mal zu mir gesagt, dass ich ein großes Herz hatte, und daran dachte ich jetzt. Mein Herz war groß genug, um Tsuzuku mit allen seinen Fehlern und Schwächen zu lieben, doch um zwei Menschen so zu lieben, reichte es nicht aus. Ein wenig fragte ich mich, wie MiA jetzt wohl lebte und ob er eine neue Liebe gefunden hatte. Vielleicht ja die Prinzessin, mit der ich ihn zuletzt gesehen hatte, oder irgendjemand anderes?
Zu viel wollte ich nicht an ihn denken, und so sah ich Tsu wieder an, streichelte ihn unter der Decke und zog ihn noch ein wenig näher an mich. Meine Erregung war langsam wieder abgeklungen, was gut war, denn so konnte ich meinen Freund einfach so ein bisschen kuscheln, ohne dieses Drängen nach mehr. Ich gab ihm noch einen sanften Kuss auf die Stirn und schmiegte mich an ihn, war bald darauf wieder eingeschlafen.
Ich wachte davon auf, dass ich eine warme Hand an meiner Schläfe spürte, ein sanftes Streicheln, und, ganz lieb und leise, Tsuzukus Stimme hörte: „Wach auf, mein Liebster.“ Er klang gleichzeitig leicht amüsiert und ich öffnete die Augen, sah ihn lächeln. „Aufstehen, du bist spät dran.“
„Mh?“, machte ich und sah, dass er schon fertig angezogen und sogar geschminkt war. Anscheinend hatte ich wirklich verschlafen.
„Mir scheint, dein Wecker braucht neue Batterien“, sagte er. „Zumindest ist er irgendwann heute Nacht stehen geblieben.“
Mit einem Satz hatte ich mich aufgesetzt und Tsu zog mir grinsend die Bettdecke weg.
„Wie spät?“, fragte ich.
„Du hast ‘ne halbe Stunde für alles.“
Ich rechnete schnell: Duschen zehn Minuten, Schminken zehn Minuten, zehn Minuten bis zur Bahnstation. Frühstück fiel damit wohl aus.
„Isst du dann alleine?“, fragte ich.
„Ich hab schon gegessen. Bin früh aufgewacht.“
„Und da weckst du mich erst jetzt?“
„Tut mir leid, aber du hast so süß geschlafen …“
Ich verschränkte gespielt beleidigt die Arme vor der Brust. „Also echt, da lässt du mich einfach verschlafen …!“
Tsuzuku lachte, verbeugte sich spielerisch und entschuldigte sich nochmals. Und ich konnte ihm einfach nicht böse sein, weil er gerade offensichtlich glücklich war und ich auf keinen Fall riskieren wollte, dass seine gute Laune irgendwie getrübt wurde.
Ich duschte in Rekordzeit, zog mich an, packte mein niedliches Arbeitsoutfit ein und schminkte mich im Schnelldurchlauf, was mir zum Glück trotz der Eile recht gut gelang. Ich schaute schnell noch in die Küche, an Tsuzukus Platz stand tatsächlich ein benutzter Teller, dann gab ich ihm einen schnellen Kuss und hetzte los zur Bahn.
In der Bahn legte ich beim Makeup noch ein bisschen nach und hörte Musik über Kopfhörer. Dachte ein wenig an meinen Freund, der ja heute auch wieder arbeiten ging, und hoffte, dass er heute auch einen schönen Tag hatte.
Von Tsu wanderten meine Gedanken weiter zu dem, was ich heute Nacht gedacht hatte, wegen dem Positionswechsel, den er sich ja so wünschte. Ich fühlte mich jetzt ein bisschen bereiter dafür und spürte eine leichte Neugier darauf, wie es sich wohl anfühlte. Auch, wenn mir die Vorstellung, dass er unter mir lag und sich von mir nehmen ließ, sehr ungewohnt war, einfach, weil ich seine dominante Art beim Sex so sehr gewöhnt war.
Als ich im Café ankam, war Koichi schon da. Ich zog mich schnell um und half ihm dann mit den Aufgaben, die vor der Öffnung des Cafés erledigt sein mussten. Wir waren heute nur zu viert, Koichi, Satchan, Haruma und ich, und ich hoffte ein bisschen, dass nicht zu viele Leute kamen, damit es nicht ganz so stressig wurde.
Koichi sah zuerst noch recht müde aus, wirkte ein bisschen unkonzentriert, aber im Laufe des Morgens fand er irgendwie zu seiner normalen Form zurück. Als wir um viertel vor zehn unsere erste Zigarettenpause machten, fragte er mich als erstes, ob Tsuzuku heute wieder arbeiten ging.
Ich nickte und erzählte ein bisschen von dem Nachmittag gestern. Dass ich jetzt besser über Tsu’s Innenleben Bescheid wusste, über seine Gefühle und Schwankungen, sein Sich-selbst-wehtun und das alles. Ich hatte das Gefühl, dass ihn und mich das alles noch enger zusammengeschweißt hatte, und das erzählte ich auch Koichi.
„Meto-chan, du bist so ein lieber Mensch, also wirklich“, sagte Koichi. „Du bist wahrscheinlich das Beste, was Tsu passieren kann.“
Ich lächelte. „Danke …“
Koichi nahm einen Zug von seiner Zigarette, blies den Rauch in die Luft und sah mich einen Moment lang einfach nur an. „Ich bin wirklich neidisch auf euch zwei“, sagte er dann. „Ihr habt euch, ihr haltet zusammen, fangt euch gegenseitig auf, und wie ich mir denken kann, habt ihr auch ein schönes Sexleben …“ Er blickte nach oben, zu den Wolken, und fügte hinzu: „Bei mir läuft im Moment nämlich echt gar nichts. Nichts in Sachen Liebe, nichts in Sachen Sex und schon gar keine so tolle Beziehung wie eure.“
„Gibt’s … kein Mädchen, … das du magst?“, fragte ich.
„Doch, schon, da gibt’s eine. Du kennst sie vielleicht, sie heißt Mikan. Aber …“ Er lehnte seinen Kopf rückwärts gegen die Wand und schwieg einen kurzen Moment. „… Aber sie hat, bis ich sie letztens drauf angesprochen habe, nicht mal wirklich kapiert, dass ich ein Mann und keine beste Freundin bin. Und langsam hab ich es satt, dass die Mädels das nicht kapieren.“
„Na ja, du …“ Ich deutete mit einem Kopfnicken auf sein Aussehen.
Koichi seufzte. „Ich weiß … Aber ich sehe nun mal gern so aus. Meto … sag mal, was meinst du, wie ich Mikan das alles verständlich machen kann?“
„Hm …“, machte ich, dann kam mir ein Gedanke: „…Zeig‘s …ihr. Du… musst sie ja nicht … gleich… küssen… oder so, aber … mach irgendwas, … wobei sie … nicht übersehen …kann, dass du … ein Mann bist …“
Koichi trat seine Zigarette aus, dann lächelte er mich an. „Okay, ich lass mir was einfallen.“
Es wurde dann natürlich, ausgerechnet wenn wir nur so wenige Mitarbeiter waren, heute ziemlich voll im Café. Ja klar, das Wetter war toll und deshalb waren viele Leute unterwegs. Auf der anderen Straßenseite gab es einen süßen und ziemlich großen Klamottenladen und eine spezielle Buchhandlung, die Scharen von jungen Mädchen anzog, die dann nach dem Shoppen zu uns kamen.
Irgendwann war ich schon ein bisschen überfordert, weil ich im Gegensatz zu Koichi ja noch nicht so viel Übung darin hatte, irgendwelche Mädels zu unterhalten. Gegen Mittag zog ich mich ein bisschen raus, rauchte noch eine Zigarette im Hinterhof, ruhte mich einen Moment aus, aß ein bisschen was und schrieb dann eine Nachricht an Tsu, fragte, wie es ihm ging.
Er schrieb fast sofort zurück, dass er sich gut fühlte, alles gut war und er die Arbeit auch hinbekam.
Ich fragte, was er gerade machte, und er antwortete, dass er eine Idee für ein neues eigenes Tattoo hatte, an dem er jetzt zeichnete. Und dann, dass ihm die Idee gekommen war, dass er, wenn ich meines mal irgendwann erweitern und ganz färben wollte, das ja selbst machen konnte.
Hm, ja, antwortete ich, das war irgendwie ein schöner Gedanke.
„Eigentlich hasse ich es, dir wehzutun, aber die Idee, dass ich dein Tattoo erweitere, gefällt mir irgendwie“, schrieb er.
Ich lachte kurz in mich hinein und schrieb zurück: „Ich mag den Gedanken auch irgendwie.“ Schaute auf die schwarzweiße, noch ungefüllte Zeichnung, die sich über meinen ganzen Arm hinzog bis auf meine Hand. Die Vorstellung, dass es mein über alles geliebter Freund sein würde, der diese Linien mit bunten Farben füllte, hatte wirklich was an sich.
Ich ging wieder an meine Arbeit und hielt bis zum späten Nachmittag durch, dann machte ich noch eine Pause, zusammen mit Koichi. Ich erzählte ihm von der Idee mit meinem Tattoo und er fand’s süß, sagte, dass er sich das schon fast gedacht hatte.
„Wozu hast du denn auch ‘nen Freund, der tätowieren kann, wenn nicht dafür?“, sagte er und lachte.
Kurz darauf gab sein Handy ein leises Summen von sich, er zog es raus und sofort schlich sich ein hübsches Lächeln auf seine Lippen.
„…Hast du… ‘ne Nachricht… von Mikan?“, fragte ich.
Koichi nickte und hatte dieses Leuchten in den Augen. „Sie fragt, wann wir uns sehen können.“
„Frag… sie doch, …ob sie… heute Abend kann.“
„Soll ich?“
Ich nickte überzeugt. „Wäre doch… eine Gelegenheit … mit ihr drüber zu reden.“
„Okay … Na ja, irgendwann muss ich ja mit ihr darüber sprechen …“ Er schrieb die Antwort und wandte sich dann wieder an mich.
„Meto-chan, fällt dir eigentlich auf, dass du mit mir schon ganz gut redest? Du stockst immer weniger und grammatisch richtig sprichst du auch.“
Ich nickte. Ja, das war mir schon selbst aufgefallen. Ich hatte inzwischen wirklich echtes Vertrauen zu Koichi, warum auch nicht, wo er doch Tsuzukus bester Freund war.
Der Rest des Arbeitstages ging dann recht schnell um, und als ich mich danach umzog, beschloss ich, Tsu von seiner Arbeit abzuholen. Ich rief ihn kurz an, um zu wissen, ob er überhaupt noch dort und nicht schon auf dem Heimweg war, er war noch da und ich machte mich auf den Weg zu ihm.
Als ich das Studio betrat, empfing mich diese Mischung aus leise gestellter Rockmusik und dem Summen der Nadeln und ich bekam augenblicklich Lust, irgendwann demnächst mal wieder was an meinem Tattoo machen zu lassen. Die letzte Sitzung war eine Ewigkeit her, das war noch letztes Jahr gewesen, und seitdem hatte ich auch nicht wirklich Lust darauf gehabt.
Tsuzuku saß an einem der Tische, hatte einen Zeichenblock vor sich und arbeitete an einer Entwurfszeichnung, sah davon auf, als ich näher kam.
„Hey, mein Süßer“, sagte er, stand auf und umarmte mich kurz.
Ich warf einen Blick auf die Zeichnung. Sie zeigte eine geöffnete Schere, an deren Griff zwei Tausendfüßler krabbelten, und deren eine Spitze in einer schwarzen Wunde verschwand.
Tsu bemerkte meinen Blick. „Das wird mein neues“, sagte er. „Wie findest du’s?“
„Hm…“, sagte ich, „Also, du musst zugeben, dass es ein bisschen … besorgniserregend aussieht, oder? Aber … irgendwie passt es zu dir.“
„Die Idee ist mir heute Morgen gekommen. Ich hab heute den ganzen Tag dran gearbeitet.“
„Und wo soll es hin?“
Er deutete auf seinen Hals, auf die von mir aus gesehen rechte Seite. „Und ich glaube, da geht mein erster Lohn für drauf.“ Dann schlug er den Zeichenblock zu und begann, seinen Arbeitstisch ein wenig aufzuräumen. Dabei schien ihm ein Gedanke zu kommen, denn auf einmal drehte er sich um und sah mich an. „Weißt du, wo ich heute Morgen vorbeigekommen bin?“
„Nein, wo denn?“
„An einem ziemlich interessanten Laden. Ich würde da gerne mal mit dir rein, vielleicht haben die sogar jetzt noch offen.“
„Was für ein Laden?“, fragte ich.
„Lass dich überraschen.“ Er lächelte.
Wir verließen das Studio, Tsu nahm meine Hand und führte mich durch die Straßen, bis in eine Gegend, die ich noch gar nicht kannte. Eine etwas zweideutige Gegend. Und das Haus, vor dem er schließlich stehen blieb, machte dem Ganzen alle Ehre. Rotes Licht leuchtete aus den Schaufenstern, in denen Dinge lagen, die eine eindeutige Sprache sprachen, und über der Tür hing ein rundes, rotes Schild mit der Aufschrift: ‚Love Paradise‘
„Tsu, das ist jetzt nicht dein Ernst …“, entfuhr es mir.
„Hey, es ist nur ein Sexshop.“
Ich sah meinen Freund an, der denselben Blick in den Augen hatte wie damals, als wir zusammen im Love-Hotel gewesen waren. Und dieser Blick ließ sich gut mit dem Wort ‚Abenteuerlust‘ beschreiben.
Ich brauchte einen Moment, bis ich darauf klarkam, was er vorhatte. Die kleine Abteilung in der Drogerie, wo es Kondome und Gleitmittel gab, war eine Sache, aber ein richtiger Sexshop war noch mal was ganz anderes. Ich war zwar ja wirklich nicht prüde oder so, aber es fühlte sich eben eigenartig an, vor so einem Laden zu stehen. Und gleichzeitig, wenn ich ganz ehrlich war, dann war diese leichte Aufregung auch irgendwie erregend.
Tsuzuku machte zwei Schritte auf die Tür des Ladens zu, drehte sich dann zu mir um und hielt mir seine Hand hin. „Komm, so schlimm ist das nicht. Sieh’s mal so, das sind alles Sachen, die deine Lust steigern sollen. Und du schämst dich doch auch nicht, wenn ich mit dir schlafe, oder?“
Ich schüttelte ergeben den Kopf, nahm seine Hand an und wir betraten den Laden, der tatsächlich noch geöffnet hatte. Drinnen herrschte rotes Licht, die Musik bestand mehr aus dem Seufzen und Stöhnen einer weiblichen Stimme, als aus Gesang, und wie in einer Art sehr seltsamem Museum standen überall Vitrinen und Regale mit Sachen drin, die ich noch nie gesehen hatte.
„Was … hast du eigentlich vor?“, fragte ich leise.
„Nichts Bestimmtes. Ich würde nur … gerne mal das eine oder andere ausprobieren.“
In dem Moment kam von irgendwoher eine Person, die weder männlich noch weiblich, aber sehr, sehr aufgetakelt aussah, auf uns zu.
„Ah, wie süß, ein Pärchen!“, rief er oder sie erfreut, wobei ich wegen der rauen, rauchigen Stimme auf einen Mann tippte. „Sucht ihr was Bestimmtes oder schaut ihr euch erst mal nur um?“
„Wir schauen erst mal“, antwortete Tsu, woraufhin der Mann wieder zwischen die zahllosen Vitrinen im roten Dämmerlicht verschwand.
Wir sahen uns jetzt genauer in dem Laden um, ich eher vorsichtig, während Tsuzuku eindeutig neugierig auf die Sachen war. Das einzige Spielzeug in der Richtung, das ich wirklich kannte, waren die Augenbinden, von denen es hier einige gab.
„Guck mal, Meto“, sagte er und deutete grinsend auf ein paar mit schwarzem Leder gepolsterte Handschellen und ein daneben liegendes, langes breites Kunstlederband. Anscheinend weckte das hier seinen Spieltrieb. Und irgendwie fand ich diese Seite an ihm süß. Er wirkte so gleichzeitig kindisch und erwachsen, gelassen und aufgeregt.
„Kannst du dir das vorstellen? Dich von mir fesseln zu lassen?“, fragte er, etwas ernster.
„Ich weiß nicht … Ich hab mir das noch nie so wirklich vorgestellt.“
„Stell‘s dir mal vor. Würdest du es nicht gerne mal ausprobieren?“
Ich stellte mir das vor, ich liegend mit den Händen über dem Kopf und er über mir, wie er mir diese Handschellen anlegte, mir die Augen verband und mich so nahm. Augenblicklich verspürte ich ein leichtes Kribbeln im Bauch und dieses Ziehen, das Zeichen, dass diese Vorstellung irgendwas an sich hatte, was mir gefiel.
„Weiß ich nicht …“, antwortete ich. „Na ja, ich … ich weiß immer nicht so recht, was ich von so was halten soll.“
„Weil es … so ein Tabu ist?“, fragte Tsuzuku. „Weißt du, für mich gibt es solche Tabus nicht. Für mich gibt es nur das, was du willst und was ich will. Und Lust, die sich wahnsinnig gut anfühlt und die ich ausleben will. Daran sehe ich nichts Verwerfliches, und wenn dir die Vorstellung, dass ich dich fessele, gefällt, dann sag das und wir probieren es aus.“
„… Ein bisschen Kribbeln im Bauch hab ich schon …“
„Na, siehst du. Und vertraust du mir auch genug dafür?“
Ich spürte in mich hinein, fühlte mein großes Vertrauen zu ihm und nickte. „Ja. Tu ich.“
Tsuzuku lächelte mich an, dann drehte er sich um zu dem travestitischen Verkäufer, der uns aus einiger Entfernung beobachtete, und deutete auf die Vitrine. „Können Sie uns die aufschließen?“
„Aber gerne doch, ihr zwei Hübschen. Was hättet ihr denn gern?“
„Die Handschellen da und das Lederband“, antwortete mein Freund mit derselben Ruhe, mit der er auch im Restaurant etwas zu trinken hätte bestellen können.
„Uhh, habt ihr bisschen was Ausgefallenes vor?“, fragte der Verkäufer und zwinkerte mir zu, bevor er Tsu die beiden Sachen in die Hand gab. Das schwarze, wahrscheinlich künstliche Leder sah weich und anschmiegsam aus, ich streckte die Hand danach aus und es fühlte sich genauso angenehm an, wie es aussah. Trotzdem klopfte mein Herz ziemlich stark, beim Gedanken daran, wozu diese Sachen gut waren. Ich war das eben einfach nicht gewöhnt.
Der Verkäufer verschwand mit den beiden Sachen in Richtung Kasse. „Seht euch ruhig noch ein bisschen um!“
„Und du?“, fragte Tsuzuku mich. „Möchtest du auch irgendwas ausprobieren?“ Er legte die Hand auf meine Schulter, zog mich näher zu sich und flüsterte mir ins Ohr: „Worüber würdest du dich freuen, mein Süßer?“
Ich nahm mich endlich mal zusammen, sagte mir, dass es nichts gab, was mir irgendwie peinlich sein musste, und das Tsu mit seiner Ansicht zu diesen Dingen Recht hatte. Etwas weniger aufgeregt, traute ich mich jetzt auch, mir die Sachen in den Vitrinen und Regalen genauer anzusehen, entdeckte alles Mögliche und erinnerte mich auch daran, dass ich manches davon früher schon einmal gesehen hatte, wenn ich, um mich ein bisschen selbst zu erregen, im Internet gewisse Filme gesehen hatte.
Schließlich fielen mir ein kleines, anscheinend zu Vibration fähiges Plastik-Ei mit Regler und Schnur, und eine hübsche kleine Flasche auf, auf deren Etikett ‚Love Chocolate‘ stand.
Die Atmosphäre im Laden regte mein Kopfkino an und ich verspürte wieder dieses leichte, eindeutige Kribbeln, als ich mir vorstellte, wie Tsu ganz sanft mit diesem vibrierenden Ei über meine Haut fuhr. Die Flasche, die offenbar so was wie Schokosirup enthielt, stand in einem offenen Regal, ich nahm sie heraus und hatte sofort ein Bild im Kopf, wie ich dieses wahrscheinlich sehr süße Zeug auf Tsuzukus schöne helle Haut tropfte und dann ableckte.
„Na, hast du was gefunden?“, fragte er hinter mir, streckte die Hand aus und strich kurz über meinen Rücken. Sein Blick fiel auf das Etikett der Flasche und er lächelte. „Willst du mich damit vernaschen?“
Ich sah ihn an und nickte. „Süßes Zeug, weil du süß bist.“ Deutete dann auf das Plastik-Ei mit dem Regler. „Und das da mag ich, glaube ich, auch.“
Tsuzuku grinste. „Okay. Sag mir dann zu Hause, was ich damit machen soll.“
Ich wurde sofort klatschmohnrot, was Tsu mit einem Lächeln zur Kenntnis nahm und seine Hand an meine Seite legte. Er winkte den Verkäufer heran, der die Flasche und das Ei mit zur Kasse nahm, jedoch nicht ohne eine Bemerkung dazu, dass ich ja angeblich so niedlich war mit meiner schüchternen Zurückhaltung. Tsu warf ihm einen leicht ärgerlichen Blick zu, den der jedoch nicht bemerkte, das Geld von mir entgegennahm und die Sachen in einer weißen, recht diskreten Tüte verpackte.
Ich war froh, als wir wieder aus dem Laden raus waren, wieder im normalen Licht und außerhalb dieser stark anzüglichen Atmosphäre. Tsuzuku nahm wieder meine Hand, wirkte regelrecht euphorisch und konnte, als wir in der kaum besetzten Stadtbahn nach Hause saßen, kaum die Hände von mir lassen. Er berührte mein Bein, ließ seine Hand von meinem Oberschenkel rauf zu meinem Bauch wandern und zog mich dann an sich, beugte sich vor und barg sein Gesicht an meinem Hals.
„Tsu…!“, flüsterte ich. „Nicht hier …!“
„Entschuldige … Aber … ich kann mich gerade kaum beherrschen.“
Ich küsste seine Wange und flüsterte: „Wir sind ja gleich zu Hause.“
„Wollen wir das gleich heute Abend machen?“, fragte er, sah mich an, seine dunklen Augen leuchteten.
Ich nickte, hauchte: „Ja, ich bin jetzt auch … ein bisschen erregt …“
„Das ist schön.“ Er lächelte wieder. Ich sah ihn einen Moment lang an und dachte, dass es von mir aus immer so sein konnte, dass er einfach glücklich war und sich so sehr darüber freute, dass ich ihn liebte. Zu gern wollte ich alles tun, was ich konnte, damit er sich so oft wie möglich so gut fühlte.
Als wir aus der Stadtbahn ausstiegen und nach Hause liefen, klopfte mein Herz wie wild. Wir liefen schnell, konnten es beide kaum noch erwarten, Tsu hielt meine Hand ganz fest, und die Treppen rauf rannten wir fast, ich zog schnell den Wohnungsschlüssel aus meiner Tasche, wollte die Tür aufschließen, da drehte Tsuzuku mich zu sich um, sah mir einmal tief in die Augen und knutschte mich dann rückwärts gegen die Tür, atemlos, leidenschaftlich, unkontrolliert.
Ich griff in seinen Nacken, klammerte mich an ihn und spürte, wie ich heiß wurde, sammelte gerade noch so viele Hirnzellen zusammen, dass ich Tsu dann vorsichtig, aber bestimmt von mir schob, den Schlüssel umdrehte, die Tür öffnete, uns beide in die Wohnung schob und die Tür hinter uns wieder zuschlug.
Sofort, als wir drinnen waren, machte Tsuzuku weiter, küsste mich wieder und wieder, zerrte an meiner Jacke, bis er sie mir ausgezogen hatte, ich zog ihm seine ähnlich ungestüm aus und er drängte mich rückwärts ins Schlafzimmer, wo ich mich aufs Bett setzte und so schnell wie möglich meine Schuhe auszog, während er dasselbe tat, um sich dann wieder auf mich zu stürzen, mich weiter auszuziehen und immer wieder zu küssen. Seine warmen Hände schlüpften unter mein Shirt, zogen es mir über den Kopf aus, tasteten über meine Haut, während seine Lippen von den meinen zu meinem Hals hinabwanderten und er sich an mich drückte, sodass ich seine Erregung spüren konnte.
Ich ließ mich auf den Rücken sinken und zog ihn mit, meine eine Hand auf seinem Rücken, die andere in seinem schwarzen Haar. Er sah mich an, und ich sah dieses erregte Glühen in seinen Augen und das kleine Lächeln auf seinen Lippen, er fühlte sich gut, und ich lächelte zurück, zog ihn zu mir runter und küsste ihn mit derselben Leidenschaft wie er mich zuvor.
Tsuzukus Hand schob sich zwischen uns, er nestelte an meinem Hosenbund herum, bis der Kopf aufsprang, zerrte mir die Hose vom Hintern und kämpfte sich dann selbst aus seiner engen Jeans, wandte dabei nicht ein einziges Mal den Blick von mir ab.
„Tsu …!“, sprach ich atemlos, „Mach mal langsamer. Sonst ist es so schnell wieder vorbei …“
Er hielt inne, atmete einmal tief ein und aus und antwortete: „Hast Recht.“ Ging aus dem Zimmer, hob im Flur die weiße Tüte auf, die ich dort einfach mit meiner Tasche zusammen fallen gelassen hatte, und kam mit ihr in der Hand zu mir zurück. Ich zog meine Hose ganz aus und rutschte rückwärts weiter aufs Bett, während Tsuzuku die Sachen aus der Tüte nahm und auf die Bettdecke legte. Kondom und Gleitmittel holte er auch gleich dazu, dann kam er zu mir aufs Bett, legte sich ganz nah neben mich und schloss mich in seine Arme, barg sein Gesicht an meinem Hals, ich hörte ihn tief und schnell atmen.
„Ich liebe dich, Meto“, flüsterte er und streifte mit seinen weichen Lippen sanft über meine Haut. „So sehr …“ Und wie schon bei dem stürmischen Kuss an der Tür eben spürte ich, dass er ganz seinen Gefühlen hingegeben war, sich nicht beherrschte oder kontrollierte. Er war einfach er selbst und fühlte sich offensichtlich gut dabei, was wiederum mich glücklich machte.
„Vertraust du mir?“, fragte er. „Fühlst du dich ganz sicher bei mir?“
„Ja, natürlich tu ich das“, antwortete ich. „Das weißt du doch.“
„So natürlich ist das nicht“, sagte er, beugte sich über mich und sah mich ernst an. „Das, was ich mit dir vorhabe, ist nicht so ganz ohne, und ich muss wirklich wissen, ob dein Vertrauen dafür reicht. Du musst ganz ehrlich sein. Wenn du es auch nur ein bisschen nicht möchtest, lassen wir es. Sobald du merkst, dass dir was unangenehm ist, sagst du ‚Stopp‘ und ich höre sofort auf.“
Er legte seine Hand auf meine Brust, streichelte ganz sanft und liebevoll, und ich blickte hoch an die Decke, schloss die Augen und fühlte in mich hinein, ob mein Vertrauen wirklich so groß war, wie ich dachte.
Ich wusste, warum er so ausdrücklich nach meinem Vertrauen fragte. Es war ihm anzumerken, dass er dabei an die Störung dachte (deren Namen zu denken auch mir seltsam schwer fiel), und an seinen eigenen Machtwunsch, den er zu kontrollieren versuchte.
Doch ich sah keinen Grund, mein großes Vertrauen in ihn zu schmälern. Er war doch immer noch derselbe Mensch und ich vertraute auch in seine große Liebe zu mir. Er würde mir nicht wehtun, es sei denn, ich wollte es.
Und so sprach ich aus meiner vollsten Überzeugung: „Tsuzuku, ich vertrau dir. Ich fühle mich ganz sicher bei dir und du kannst mir auch gern zutrauen, dass ich dich schon aushalte. Ich kenn dich doch.“
„Sicher?“, fragte er.
Ich lächelte. „Ganz sicher.“
Er beugte sich über mich und küsste mich. „Du machst mich so glücklich, Meto!“, lächelte er und strich mit den Fingerspitzen über mein Tattoo und meine linke Brustwarze. Ich mochte das sehr an ihm, wenn er sich zuerst kontrollierte und dann doch sehr glücklich war, wenn ich ihm sagte, dass er sich gern locker lassen konnte. Irgendwie machte ihn das süß.
Tsuzuku richtete sich wieder auf und zog endlich seine Shorts aus, sodass ich seine Erregung, die ich eben schon gespürt hatte, sehen konnte. Und ich fand ihn einfach wunderschön, wenn er so geil auf mich war und sich nicht schämte, das zu zeigen. Daran, dass ich sein erregtes Glied schön fand, merkte ich immer wieder deutlich für mich selbst, dass ich den männlichen Körper liebte und absolut anziehend fand, und Tsuzuku war für mich sowieso der allerschönste Mann auf der ganzen Welt.
„Was willst du jetzt machen? Was soll heute unser Vorspiel sein?“, sprach er mich lächelnd an und deutete auf die Sachen, die wir gekauft hatten.
Ich setzte mich auf und nahm die Flasche mit dem Schokosirup in die Hand, sah meinen Freund an und sagte leise, versuchend, verführerisch zu klingen: „Ich will dir das auf die Haut tun, überall hin, und dann will ich dich vernaschen.“
„Mmmmh…“, machte er, schnurrte fast schon. „Vernaschen willst du mich?“
„Ja. Du bist schließlich süß.“
„Na, dann mach mal“, sprach er lächelnd und legte sich wieder hin.
Ich zog eben noch meine Shorts aus, dann öffnete ich die Flasche, der ein berauschend süßer Duft nach Schokolade entstieg, und beugte mich über Tsu, tropfte das süße Zeug auf seinen Bauch, in seinen Nabel, auf seine Rippenbögen und schließlich auch auf seine Brustwarzen. Er legte den Kopf in den Nacken und seufzte angetan, noch ehe ich überhaupt begonnen hatte, den Sirup wieder abzulecken, anscheinend erregte ihn bereits der Gedanke daran. Und als ich es dann tat, die flüssige Schokolade zärtlich von seiner glatten, weichen Haut leckte, da stöhnte er auf, sein Körper bog sich mir entgegen. Seine Nippel wurden hart unter meiner Zunge, mein Zungenpiercing berührte kurz den kleinen Metallstab in seiner Brustwarze und das wiederum erregte mich weiter.
„Meto …“, kam ihm mein Name über die Lippen, er hob sein Becken ein wenig an und ich sah hin, zu seiner lustharten, geröteten Erregung, dann zu seinem Gesicht. „Meto, … kannst du …? Nur ein bisschen, bitte …!“
Es war offensichtlich, was er wollte, und ich war auch bereit, es ihm zu geben. Irgendwann war immer das erste Mal und nachdem er das ja letztens auch für mich getan hatte …
Ich rutschte ein Stückchen in Richtung Fußende, kniete mich zwischen Tsuzukus Beine und beugte mich über seine Körpermitte. Zuerst leckte ich den Schokosirup aus seinem Nabel und spielte dabei ein bisschen mit dem Piercing, dann atmete ich einmal tief durch und tropfte ein bisschen was von dem Schokosirup aus der Flasche auf sein Glied. Er stöhnte, zuerst leise, dann merklich lauter, als ich meine Lippen auf seine Erregung senkte und den Sirup zärtlich ableckte. Ich schmeckte die Süße und die zarte Haut, mein Herz klopfte wie verrückt und ich spürte Tsuzukus erregten Pulsschlag unter meinen Lippen.
Kurz richtete ich mich auf und sah hoch zu seinem Gesicht, auf das sich Lust und Genuss malten. Er hatte diese süße kleine Falte zwischen den Brauen und auf seinen Lippen lag ein kleines Lächeln, bevor er sich auf die Unterlippe biss und einen leisen, erregten und beinahe gequälten Laut von sich gab. „Mach … weiter …!“
Ich beugte mich wieder runter, küsste ganz leicht und vorsichtig, tat mit ihm fast genau das, was er letztens auch mit mir gemacht hatte. Nur, dass ich ihn damit nicht zum Kommen bringen wollte. Ich wollte ihn nur erregen, damit er mich gleich so hemmungslos nahm, wie ich es mochte.
Schließlich verließ ich den Platz zwischen seinen Beinen wieder und legte mich neben ihn. Tsuzuku sah mich fragend an und ich küsste ihn auf den Mund, ließ ihn die an meinen Lippen verbliebene Süße schmecken.
„Und jetzt?“, fragte er leise.
„Jetzt du.“ Ich lächelte ihn an. „Du hattest doch auch noch was vor.“
„Und du willst das auch?“ Er sah mich liebevoll an.
Ich nickte und spürte meine eigene Neugierde. Wenn ich an die Fesseln dachte, die da auf der Bettdecke lagen, dann fühlte ich wieder dieses Kribbeln und das erregte Ziehen im Bauch, und auch mein Herz sagte „Ja“ dazu. Ich spürte, dass ich Tsuzuku wirklich vollkommen vertraute. Mir war in diesem Moment alles von wegen irgendeiner Störung völlig egal, er war in meinen Augen einfach nur er, und ich wollte ihn in mir, mich ihm hingeben, und dass er mir zeigte, was er fühlte.
Tsuzuku erhob sich, griff nach den Handschellen und dem Lederband und fragte ohne weitere Umschweife: „Welches möchtest du?“
Ich musste einen Moment überlegen. Die Handschellen hatten eine relativ lange Kette, gerade lang genug für ein bisschen Bewegungsfreiheit, aber trotzdem kurz genug, um mir bestimmt ein Gefühl von Gefesselt-Sein zu geben. Das Band dagegen wurde sicher eng um die Handgelenke gewickelt und bot weniger Spielraum, wenn es richtig gebunden war. Und da ich ja keinerlei Erfahrungen damit hatte, entschied ich mich schließlich für die Handschellen und deutete darauf.
Tsu löste schnell die beiden kleinen Schlüssel, die mit einem kleinen Ring an der Kette befestigt waren, sah mich mit diesem Leuchten in den Augen an, dieser beinahe wahnsinnigen Verliebtheit, und kniete sich dann über meine Beine, sodass ich schon mal nicht aufstehen konnte.
Zuerst streichelte er mich ein wenig, fuhr mit der Hand über meinen Bauch und berührte dann mein hartes Glied, nur ganz leicht, gerade so, dass ich aufseufzte. Seine warmen Hände wanderten über meinen Körper nach oben, er beugte sich über mich und berührte meine Arme, zuerst meinen linken, tätowierten, dann den rechten, führte sie dann so, dass ich sie schließlich über meinen Kopf hob.
Ich sah ihm ins Gesicht, als er die Handschellen nahm und sie über meinem Kopf um meine Handgelenke legte. Er blickte mir tief in die Augen, seine strahlten erregt, er leckte sich unbewusst mit der gespaltenen Zungenspitze über die Lippen und ich erkannte Gefühle in seinem Ausdruck, die er außerhalb unseres Schlafzimmers immer zu verbergen und kleinzuhalten versuchte.
‚Du gehörst zu mir, Meto‘, sagten seine Augen. ‚Gib dich mir hin‘
Ich lächelte. Das war mein Tsuzuku, wie ich ihn am liebsten hatte. Selbstbewusst, leidenschaftlich und liebevoll. Die schönste Seite an ihm.
Die Handschellen klickten leise, dieses typische Geräusch, das mir klar machte, dass ich jetzt nicht zurück konnte. Doch es fühlte sich nicht unangenehm an. Vielmehr wurde das Kribbeln stärker und ich spürte, wie mein Glied an Härte noch ein wenig zulegte.
Tsuzuku griff hinter sich und hatte dann das Plastik-Ei und den Regler in der Hand. Er sah es sich kurz an, schaute nach, ob auch Batterien darin waren, und schob dann den Knopf am Regler langsam ein wenig hoch. Es gab ein leises Summen von sich und ich sah, wie es in seiner Hand vibrierte.
„Da hast du uns aber ein schönes Spielzeug ausgesucht“, sagte er. „Und? Was soll ich als Erstes damit machen?“
„Mach, was du willst“, flüsterte ich. „Ich vertrau dir.“
Tsu beugte sich über mich und fuhr dann langsam mit dem vibrierenden Ei über meine Bauchdecke. Es kitzelte ein bisschen, fühlte sich aber auch unheimlich schön an, besonders, als er die Intensität ein wenig steigerte und das Ei rauf zu meiner Brust führte. Ich seufzte angetan.
„Magst du das?“, fragte er lächelnd, und dann: „Darf ich dir die Augen verbinden?“
Ich nickte nur und hob den Kopf ein wenig an, er nahm das schwarze Tuch und band es mir um, sodass ich nichts mehr sah. Sofort fühlte sich die Vibration auf meiner Haut intensiver an und ich hörte Tsuzukus erregten, tiefen Atemzüge deutlicher. Ich machte mir ganz bewusst, dass ich jetzt mit gefesselten Händen und verbundenen Augen unter ihm lag, und der Gedanke daran erregte mich weiter, fühlte sich noch besser an, als ich gedacht hatte. Anscheinend stand ich wirklich ein wenig auf so etwas.
Ich hörte Tsuzuku leise lachen, es klang so, als sei ihm eine gute Idee gekommen, und im nächsten Moment spürte ich das vibrierende Ei auf meiner rechten Brustwarze. Augenblicklich schoss mir ein Gefühl purer Lust durch den Körper, ich stöhnte auf, dieses Gefühl von Vibration auf der zarten, sich durch diesen Reiz erregt festigenden Haut war so wahnsinnig schön!
„Das ist schön, oder?“, hörte ich Tsuzuku mit liebevoller Stimme fragen.
„Jaah … mehr …!“, stöhnte ich, woraufhin er die Intensität noch etwas höher stellte und ich vor Lust aufschrie. Ich spürte, wie mein Glied pochte, fühlte den Lusttropfen hinablaufen und dann, wie Tsu von meinen Beinen aufstand, hörte ihn nach dem Gleitmittel greifen.
„Mach die Beine auseinander und zieh die Knie an“, sprach er, ich tat es und fühlte kurz darauf seine Hände an meinem Becken, er kniete zwischen meinen Beinen und zog meinen Hintern auf seine Oberschenkel. Ich krallte meine Hände ins Kopfkissen, die Kette der Handschellen klapperte und ich hörte Tsuzuku wieder leise lachen.
Wahrscheinlich spürte er es jetzt, dieses Machtgefühl, das ihn so erregte. Was das wohl an sich hatte, das ihm so gut gefiel? Ich versuchte, ihn zu verstehen, wollte wissen, was daran ihn anmachte. Er hatte mir erklärt, dass es vor allem das Wissen darum war, dass ich zu ihm gehörte, und der für ihn so wahnsinnig wichtige Gedanke ‚Du bist mein, Meto‘. Dass er große Lust empfand beim Gedanken daran, mir sein Siegel aufzudrücken.
Während ich daran dachte, hatte er schon begonnen, meinen Eingang zu erweichen und zu dehnen, das Gleitmittel in mir zu verteilen, was sich, gefesselt und augenverbunden wie ich war, noch mal intensiver anfühlte. Tsuzukus Finger strich in mir fest über jene süße Stelle, ich keuchte vor plötzlicher Erregung, doch das war noch lange nicht alles, was er mit mir tun wollte.
Obwohl er es sicher kaum noch aushielt und bestimmt wahnsinnig erregt war, drang er noch nicht in mich ein, stattdessen hörte ich wieder das Ei summen. Ich ahnte, was er vorhatte, und mein Eingang zog sich reflexartig zusammen.
„Entspann dich, mein Liebster“, sprach Tsuzuku und streichelte meinen Bauch. „Das wird schön, glaub mir.“ Der liebevolle Klang seiner Stimme, seine eine Hand an meinem Bauch und die andere, die mich zwischen den Beinen streichelte, das sorgte dafür, dass ich mich wieder entspannte, und als ich das vibrierende Ei an meinem Eingang spürte, fühlte sich das gut an. Tsu zog die darin befestigte Schnur heraus, das spürte ich ebenso deutlich wie den sanften, aber bestimmten Druck des Ei’s gegen mein Loch.
Vibration als sexueller Reiz war mir neu, bis heute Abend hatte ich keine solche Erfahrung gemacht, nicht mal, wenn ich es mir selbst machte. Und jetzt gleich zwei Mal, erst eben an meinen Nippeln und nun gleich in meinem Innern, es war auf jeden Fall eine neue Erfahrung. Eine, die ich liebend gern mit Tsu zusammen machte.
Langsam schob er das Plastik-Ei in mich und stellte dann vorsichtig die Vibration wieder ein wenig höher. Beugte sich über mich, stützte seine Hand über meinen Kopf auf, hielt die Kette der Handschellen fest und drückte einen lieben Kuss auf meine Lippen. Mein Inneres summte vor Vibration und ich stöhnte in den Kuss, spürte das wahnsinnig starke Kribbeln in meinem Bauch.
„Ist das schön?“, fragte Tsuzuku. „Fühlt sich geil an, oder?“
„Jaah…!“, keuchte ich und spürte daraufhin, wie er die Vibration noch stärker stellte. Ich schrie auf vor Lust und Ekstase, wünschte mir, mich selbst anfassen zu können, fühlte deutlich die Handschellen, das weiche Leder, das sie polsterte, und dieses … ja, geile Summen in mir.
„Tsu …! Ich … ich komm‘ gleich …!“
Fast sofort reduzierte er die Intensität und zog vorsichtig das Ei an der Schnur aus meinem Innern, in mir blieb ein Nachhallen der Vibration zurück.
„Tsuzuku …“, sprach ich ihn an. „Ohhh … nimm mich endlich, ich will eins mit dir sein!“
Er wartete einen Moment, damit er und ich nicht mehr ganz so heiß waren und nicht sofort kamen. Ich hörte, wie er sich das Kondom übers Glied zog.
Aber dann zog er mich näher, hielt mein Becken fest und drang in mich ein, stieß fast sofort zu, und ich hörte seinen lustvollen Aufschrei.
„Meto, ohhhh …!“ Seine Hand umfasste mein Glied und ich stöhnte erlöst, er rieb mich unkontrolliert, wahnsinnig erregt, während er weiter in mich stieß, leidenschaftlicher, tiefer, immer heißer und hemmungsloser.
Ich wusste, danach würde es wahrscheinlich wehtun, aber das war mir gerade so was von egal. Ich hatte Tsuzukus Lust und Hemmungslosigkeit gewollt und bekommen, und in diesem Moment war es nur gut, oh, so gut!
Der Höhepunkt war heiß, so heiß, und heftig, fühlte sich irgendwie ein wenig anders an als sonst und dauerte auch länger. Mein ganzer Körper zitterte und ich verlor für einen Moment beinahe das Bewusstsein, bekam nur ganz am Rande mit, dass Tsu kurz nach mir ebenfalls kam. Sein tiefes Stöhnen hallte in meinen Ohren und ich wünschte mir, ihn jetzt sehen zu können, wie sich vollkommene Erregung und die Erlösung danach auf sein schönes Gesicht malten.
Er sank vornüber auf mich, stützte sich rechts und links von mir ab, und eine Weile blieben wir so, schwer atmend und erfüllt von den Nachwellen der Lust. Schließlich zog er sich langsam und vorsichtig aus mir zurück, blieb aber noch ein wenig so über mich gebeugt.
„Meto …“, flüsterte er mit weicher Stimme. „Ich liebe dich.“
„Ich lieb dich auch“, antwortete ich, klang ganz müde.
„Und … danke.“
„Wofür?“
„Dass ich das immer wieder mit dir machen darf. Du weißt nicht, wie viel mir das bedeutet.“
„Ich … denke schon, dass ich das weiß.“
Ich spürte seine Hand an meinem Kopf, er löste die Augenbinde und zog sie weg, sodass ich ihn wieder sehen konnte. Dann griff er nach den Schlüsseln der Handschellen und öffnete sie, nahm sie mir ab und streichelte meine Arme.
„Meto, ich brauche dich“, sprach er. „Ich brauche dich für mein ganzes Leben. Ich will keinen Tag mehr ohne dich sein.“
Ich lächelte, hob die Hand und berührte sein Gesicht, strich ihm die verschwitzten schwarzen Haarsträhnen aus der Stirn und streichelte seine Wange.
„Ich bleibe bei dir“, sagte ich leise, griff in seinen Nacken und zog ihn für einen Kuss zu mir herunter. Seine Lippen schmeckten süß, waren ganz warm und weich, und ich spürte etwas in diesem Kuss, Tsuzukus beinahe schon wahnsinnige Liebe zu mir und eine noch leise Angst davor, irgendwann mal ohne mich sein zu müssen. Ich wollte ihm diese Angst so gern nehmen, doch ich wusste, wirklich ganz konnte ich das nicht. Es war das Ungeheuer in seiner Seele, das ihm diese Angst einredete, und dagegen kam ich nicht an.
Tsuzuku stand auf, warf das Kondom weg und räumte die anderen Sachen gereinigt in die Schublade auf seiner Seite unseres Bettes. Dann zog er die Bettdecke hoch, legte sich neben mich und deckte uns beide zu. Ich legte meinen Arm um ihn und zog ihn an mich.
„Tut’s weh?“, fragte er leise.
„Ein bisschen“, antwortete ich. „Aber das ist okay. Ich bin eben kein Mädchen.“
„Ich hab wieder die Kontrolle verloren …“, sagte er und blickte hoch an die Decke.
„Ich wollte das. Tsuzuku, ich mag das, wenn du so hemmungslos geil bist, ich will das und du musst dir da rein gar nichts vorwerfen. Das hab ich dir schon mal gesagt und das kannst du mir ruhigen Gewissens glauben.“
Seine Antwort war ein ganz besonders zarter Kuss.
Eine ganze Weile blieben wir so liegen, umarmt und müde, fast wäre ich schon eingeschlafen, doch da spürte ich ein leichtes Zittern neben mir, hörte einen leisen Laut und sah Tsuzuku an. Er hatte Tränen in den Augen und sah auf einmal furchtbar traurig aus, der kleine Laut war so etwas wie ein leises Schluchzen und kam wieder über seine Lippen, als ich ihn ansah und automatisch meine Hand streichelnd auf seiner Seite bewegte.
„Hey, was hast du?“, fragte ich besorgt.
Er zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht …“
„Gar nicht? Du bist traurig und weißt nicht, warum?“
„Eigentlich müsste ich jetzt doch glücklich sein, oder?“, fragte er und die Tränen liefen über sein Gesicht. „Eben war ich es auch noch, wirklich. Aber … weißt du, es springt einfach so um, auf einmal tut alles nur noch weh …“
„Sind da jetzt irgendwelche Gedanken in dir?“, fragte ich. „Gedanken, die dich traurig machen?“
Er schüttelte den Kopf. „Nicht mehr als sonst … Es sind nur meine Gefühle, die einfach wehtun.“
„Und kann ich was tun?“
„Bleib … einfach bei mir … und halt mich fest.“
Das tat ich. Ich nahm Tsuzuku fest in meine Arme, hielt ihn, streichelte ihn, und als er stärker weinte, versuchte ich, ihn zu beruhigen, suchte nach lieben Worten, sprach auf ihn ein, dass alles gut und ich ja bei ihm war, dass ich ihn nicht verließ und ihn sehr liebte.
Irgendwann beruhigte er sich wieder und schlief in meinen Armen ein, wenig später war auch ich eingeschlafen.
Als ich aufwachte, lag er noch immer nah neben mir, so nah, dass das erste, was ich bewusst spürte, seine nackte Haut war, meine Hand ruhte unter der Decke an seiner Hüfte, und seine Hand war zwischen uns, an meiner Brust.
Es war noch dunkel draußen, wir hatten also noch Zeit. Mir fiel wieder ein, dass der Wecker ja nicht funktionierte, dachte daran, dass wir heute sowieso einkaufen gehen mussten. Ich hatte nur Vormittagsschicht heute, danach konnten wir ja in die Stadt gehen.
Über diesen Gedanken wurde ich langsam wacher und spürte so auch die Folgen von gestern Abend, ein leichtes, aber deutliches Ziepen in meinem Hintern. Das kam eben davon, dass ich es beim Sex gern etwas heftiger und wilder mochte, dass es mir so gefiel, wenn Tsuzuku sich so gehen ließ.
Ich dachte noch ein bisschen darüber nach, nachdem das gestern ja so viel Neues enthalten hatte. Erinnerte mich an das schöne Gefühl des vibrierenden Plastik-Ei’s auf meiner Brustwarze und daran, wie ich selbiges Ei bald darauf in mir gespürt hatte.
Irgendwie brachte mich das auf den Gedanken, dass ich mir ein anderes Mal, als wir miteinander geschlafen hatten, gewünscht hatte, es ungeschützt zu tun, dass kein Kondom zwischen uns war und er sich in mein Inneres ergoss. Ich fand diese Vorstellung romantisch. Etwas von ihm in mir zu haben, das auch noch ein wenig blieb, nachdem er sich aus mir zurückgezogen hatte. Ebenso wie er, der er, nachdem er meinen Samen geschluckt hatte, dasselbe gesagt hatte.
Mein nächster Gedanke war, dass wir beide am besten mal zu einem Arzt gingen, damit Tsu sich auf gewisse Krankheiten testen und ich mich untersuchen lassen konnte, wegen der Verspannungen, die zwar jetzt seit einer Weile nicht mehr gewesen waren, aber ja immer wieder vorkommen konnten. Zwar hatte ich keine Ahnung, wie wir einem normalen Arzt erklären sollten, dass wir ein Paar waren und was wir nachts zusammen taten, aber der Gedanke, dass wir das tun sollten, uns untersuchen lassen, blieb hängen.
Ich blieb so liegen, bis Tsuzuku aufwachte. Anscheinend hatte er schön geträumt, denn das erste, was er tat, war, mich zu küssen.
„Guten Morgen“, lächelte ich.
„Morgen, mein Liebstes.“ Er lächelte zurück und küsste mich wieder. „Ich hab von dir geträumt.“
Ich lachte leise. „Und was?“
„Du warst einfach da und hast mich gehalten.“ Er schob seine Hand zwischen uns und streichelte mein Tattoo. Ich drehte mich ein wenig zur Seite und spürte, wie er die bunten Linien mit den Fingern nachfuhr, seine Hand dann weiter zu meinem Arm wandern ließ und über die noch schwarzweißen Linien dort strich. „Irgendwann mach ich dir das mal bunt“, sagte er.
Wir blieben noch ein kleines bisschen so liegen, dann standen wir beide auf und begannen, uns für den Tag fertig zu machen.
„Tsu?“, sprach ich meinen Freund an, als er unter der Dusche und ich vor dem Spiegel stand. „Du hast doch jetzt auch ‘ne Krankenkassenkarte, oder?“
„Ja, hab ich seit dem Tempel. Warum?“
„Weil ich heute Nachmittag gerne mal mit dir zum Arzt möchte. Wegen so gewisser Krankheiten, dass du dich da mal testen lässt. Sicher ist ja sicher und … weißt du, ich will auch mal … ohne Kondom mit dir schlafen.“
„Du weißt aber doch, dass ich nicht einfach so zu Arzt gehen kann“, antwortete er und stellte das Wasser aus. „Der würde mich doch gleich wegen Untergewichts ins Krankenhaus schicken.“
„Das glaube ich nicht mal. Außerdem kann dich auch ein Arzt zu nichts zwingen.“
„Haben Ärzte da nicht so eine Pflicht?“
Ich drehte mich zu ihm um und fragte vorsichtig: „Sag mal … wieso hast du eigentlich solche Angst vor Krankenhäusern?“
Tsuzuku nahm sein Handtuch, wickelte es sich um die Hüfte und kam aus der Duschkabine. „Ich … weiß nicht … Ich hab einfach Angst, vor den Menschen und der Atmosphäre da. Und davor, über Nacht dableiben zu müssen, alleine zu sein, ohne dich.“
Ich konnte nicht anders, als ihn zu umarmen, obwohl er noch ganz nass war.
„So sehr brauchst du mich?“, fragte ich und sah ihn an. „Ich würde dich doch jeden Tag besuchen. Ich lass dich nicht alleine.“
„Ich habe trotzdem Angst. Ich … will nicht … so unter Kranken sein, verstehst du?“
Ja, ein bisschen verstand ich das. Niemand war schließlich gern im Krankenhaus. Doch Tsuzukus Angst davor schien über das Normale hinauszugehen, ließ mich an Leute denken, die sich vor Spinnen oder engen Räumen sehr fürchteten.
„Was genau …“, begann ich vorsichtig, „… befürchtest du denn?“
Tsuzuku schmiegte sich in meine Umarmung und ich kam mir vor, als müsste ich ihn vor etwas beschützen. „Dass ich dann …“, sprach er leise, „mein letztes bisschen Normalität verliere und völlig durchdrehe. In mir ist noch ein kleiner Rest gesundes Ich und das will ich nicht verlieren.“
„Ach, Tsu …“ Ich nahm sein Gesicht in meine Hände und küsste ihn. „Rede dich doch nicht immer so kaputt, mein Schatz. An dir ist so viel mehr Schönes, als du gerade denkst.“
Er antwortete nichts darauf, löste sich von mir und begann, sich abzutrocknen und dann anzuziehen. Ich schminkte mich fertig und ging dann als Erster in die Küche, um schon mal das Frühstück zu machen.
Tsuzuku kam bald nach und zündete sich erst mal seine allmorgendliche Zigarette an, stand am offenen Fenster und rauchte, während ich aß.
„Okay“, sagte er schließlich, drückte die Zigarette aus und setzte sich mir gegenüber auf seinen Platz an unserem Küchentisch. „Wir können heute Nachmittag mal zum Arzt gehen. Aber nur, wenn es um Geschlechtskrankheiten und deine Verspannungen geht. Sobald der von meinem Gewicht und so anfängt, bin ich weg.“
Ich lächelte. „Mehr wollte ich auch gar nicht.“
„Wirklich?“, fragte er. „Ich meine, willst du nicht, dass sich ein Arzt um mein Problem mit dem Essen kümmert?“
„Ich denke einfach, es bringt nichts, wenn wir da ‘nen Arzt einschalten und du das aber nicht willst. Der kann doch auch nicht viel mehr tun als ich. Und ich kenne dich, der nicht.“, sagte ich.
Tsu lächelte, ein süßes Lächeln. „Habe ich dir heute schon gesagt, dass ich dich liebe, Meto?“
Wir machten uns beide auf den Weg zur Arbeit, fuhren bis zur Station Innenstadt zusammen und ich hatte das Gefühl, dass der Tag heute ganz okay wurde. An der Bahnstation umarmte ich Tsu, küsste ihn und wünschte ihm einen schönen Vormittag, er lächelte und sagte, dass er sich Mühe geben wollte. Ich dachte daran, wie er gestern Abend nach dem Akt so plötzlich zu weinen angefangen hatte, und an das, was er mir über sich und Borderline, über seine scheinbar aus dem Nichts kommenden Stimmungsschwankungen gesagt hatte. Angesichts dessen ahnte ich, dass Tsuzuku wenig Einfluss auf seine eigene Gefühlslage hatte, und wünschte ihm einfach wortlos viel Glück, dass er den Tag heute ohne Abstürze überstand.
Als ich dann in der Umkleide hinter dem Caféraum stand und mich umzog, kam Koichi herein, noch ungeschminkt und in Straßenkleidung. Ich sah sofort, dass es ihm nicht wirklich gut ging, er setzte sich und seufzte schwer.
„Alles … gut?“, fragte ich vorsichtig.
Er schüttelte den Kopf. „Mikan hat mich gestern Abend versetzt. Wir wollten uns in ‘nem Restaurant treffen und sie ist nicht aufgetaucht.“ Er klang wirklich niedergeschlagen und ich setzte mich neben ihn, sah ihn aufmerksam an.
„Hast du sie angerufen?“
„Ja, mehrmals sogar, aber sie ist nicht rangegangen.“ Er blickte zu Boden und sah auf einmal furchtbar traurig aus, blinzelte und stützte dann den Kopf in die Hände. „Ich hab so Angst, dass … dass sie … mich nicht mehr mag …“ Weiter sprach er nicht, seine Stimme klang tränenerstickt, und dann weinte er, schluchzte, fuhr sich immer wieder mit der Hand über die Augen.
Ich legte meinen Arm um seine Schultern und fühlte mich noch befangener, wie wenn Tsuzuku vor mir weinte. Weil ich Koichi zum ersten Mal weinen sah. Er war doch sonst immer so fröhlich und ausgeglichen. Zwar hatte ich ja schon mal ein bisschen geahnt, dass auch er manchmal so seine traurigen Momente hatte, aber das jetzt so direkt zu sehen, wie jemand wie Koichi weinte, fühlte sich furchtbar an und ich litt richtig mit ihm mit.
„Das … schon wieder … wird …“, sagte ich leise, verfiel vor Mit-Traurigkeit wieder in meinen Sprachfehler. „Sie … dich bestimmt … noch mag …“
„… Meinst du?“, fragte er und schniefte. „Warum geht sie dann nicht ran, wenn ich sie anrufe?“
„Vielleicht … sie sich … nicht traut … weil sie … dich auch so … mag?“
„Das … kann eigentlich nicht sein …“
„Weißt … du’s?“
Koichi schüttelte den Kopf. Und ich kam mir wieder vor wie früher, als ich mich so um Tsu gekümmert hatte. Wie jemand, der gern anderen half und für sie stark war, wenn sie selbst sich gerade nicht so stark fühlten. Anscheinend war ich so. Ich half gern, wo ich konnte, war gern für jemanden da, und war glücklich, wenn ich denjenigen wieder ein bisschen glücklich machen konnte.
Ich zog mich fertig um und Koichi tat es mir gleich, versteckte seine Traurigkeit unter Makeup und seiner Arbeitsuniform. Ich hatte aber das Gefühl, dass es ihm ein wenig besser ging, und als er mich anlächelte, bevor wir uns an die Arbeit machten, erschien mir dieses Lächeln einigermaßen ehrlich.
Ich hoffte so sehr für ihn, dass ich in Bezug auf Mikan Recht hatte und sie ihn vielleicht einfach nur aus Unsicherheit versetzt hatte.
Der Vormittag verlief recht schleppend, es war ruhig und wir hatten nicht sehr viel zu tun. Die heute eher wenigen Gäste waren nicht so anspruchsvoll wie sonst, und so konnte Koichi sich ein paar mehr Pausen nehmen, während denen ich seine Arbeit übernahm, so gut ich konnte.
„Danke, Meto-chan“, sagte er mittags, als ich neben ihm im Hinterhof stand und ihm beim Rauchen zusah. Ich selbst wollte heute nicht rauchen und konnte mich glücklich schätzen, nicht so abhängig davon zu sein wie Koichi und Tsuzuku.
„Wofür … danke?“, fragte ich.
„Dafür, dass du mich ein bisschen vertrittst. Es ist eigentlich nicht meine Art, jemandem meine Arbeit aufzudrücken, aber ich kann mich heute einfach nicht richtig konzentrieren.“
„Ist okay … Ich doch … gerne arbeite.“ Ich lächelte. „Und … heute Nachmittag?“
„Ich hab auch gleich Feierabend“, sagte Koichi. „Du, wollen wir nicht vielleicht … heute zusammen was machen, du, ich und Tsu?“
„Ich weiß nicht … Also, er und ich … wollten gleich … zum Arzt, … wegen … so Sachen, die wir mal klären müssen … Aber danach … geht’s vielleicht … dass du zu uns kommst.“
Koichi lächelte. „Okay, dann ruft mich an, ja?“
Und so machte ich mich nach der Arbeit auf den Weg zum Tattoo-Studio, um Tsuzuku abzuholen und dann mit ihm zum Arzt zu gehen. Einmal, als wir hier in der Stadt gewesen waren, um die Wohnung anzuschauen und uns mit der Stadt vertraut zu machen, hatte ich auch eine Arztpraxis ausfindig gemacht und da man das ja brauchte, wenn man umzog, eine Hausarztpraxis in der neuen Stadt, hatte ich mich da auch schon gleich vorgestellt.
Auf dem Weg dorthin hielt Tsu haltsuchend meine Hand, ich spürte seine Angst.
„Denk dran, was ich dir heute Morgen gesagt habe“, flüsterte ich ihm zu. „Und wir machen das zusammen, so wie wir alles zusammen machen.“
„Sobald der von was Psychischem anfängt, bin ich weg“, sagte er und blickte auf die Straße.
Die Praxis war ziemlich voll, es waren nur noch ganz genau zwei Plätze im Wartezimmer frei und an der Rezeption stand eine Schlange von Leuten. Zuerst wurde Tsu’s Griff um meine Hand stärker, dann ließ er sie los und als ich ihn ansah, war da diese Panik in seinem Blick, er blickte unruhig um sich und wirkte fast wie ein verängstigtes Tier. Wahrscheinlich schlug ihm das Herz jetzt bis zum Hals. Ich sah winzige Schweißtröpfchen auf seiner Haut.
„Setz dich schon mal und gib mir deine Karte, ich mach das“, sagte ich.
„Du mit deinem Sprachfehler?“, fragte er, klang ironisch vor Angst.
„Ich schaff das schon“, antwortete ich und lächelte ihn ermutigend an, dachte: ‚Stark sein, Meto, du kannst das‘
Tsuzuku wagte sich zu den Leuten ins Wartezimmer und ich stellte mich an der Schlange an. Es ging recht langsam voran und ich schaute durch die geöffnete Tür des Wartezimmers immer mal wieder zu meinem Freund, der scheinbar ruhig dort saß und dem ich mit meinem auf ihn geübten Blick ansehen konnte, dass er seine harte Schale aus Straßenzeiten aufgesetzt hatte. Hoffentlich, dachte ich, löste die Angst in ihm nicht zu viel Schmerz aus.
Als ich endlich dran war, war ich fast so aufgeregt wie Tsu und brachte zuerst kein Wort raus, legte nur unsere Gesundheitskarten hin.
„Sie wünschen?“, fragte die Sprechstundenhilfe.
„Mein Freund … und ich … möchten … Arzt sprechen … heute.“
„Haben Sie viel Zeit?“, fragte sie mit Blick auf die vielen Leute.
Ich nickte. Wir hatten ja heute, soweit ich wusste, nichts anderes mehr vor. Die Frage war nur, ob Tsuzuku so lange durchhielt.
Die Frau nahm die Karten, las sie ein, gab etwas in ihren Computer ein und sagte dann: „Setzen Sie sich dann ins Wartezimmer, Sie werden aufgerufen.“
Es dauerte sehr, sehr lange. Zum Glück war der Platz neben Tsu frei und ich konnte neben ihm sitzen. Ich spürte, wie er immer unruhiger wurde, wie es hinter seiner auf den ersten Blick ruhigen Fassade brodelte und kochte. Die Blicke der vornehmlich älteren Leute, und der Gedanke daran, dann mit dem Arzt reden zu müssen, ich wusste, dass ihn das verletzte.
„Soll ich … deine Hand halten?“, flüsterte ich.
Er schüttelte den Kopf.
„Oder soll ich mal vorne fragen, ob wir noch Zeit haben, ‘ne Runde rauszugehen?“
Er reagierte erst kaum, dann nickte er.
Ich stand auf und ging zur Rezeption zurück.
„Meinem Freund … geht nicht gut … braucht frische Luft … und so … Noch genug Zeit, dass … ein bisschen rausgehen?“, fragte ich.
„Wegen Schwindel?“, fragte die Frau.
Ich nickte, obwohl das ja gelogen war, aber ich konnte ihr ja jetzt schlecht von Tsuzukus Angst vor Menschen und seiner Panik wegen dem Gespräch mit dem Arzt erzählen.
„In Ordnung. Aber seien Sie bitte in einer halben Stunde wieder hier.“
Ich ging zu Tsu zurück und wir verließen die Praxis erst einmal wieder, gingen ein bisschen draußen in der Gegend herum. Es war schon recht warm und ich machte meine Jacke auf, nahm Tsuzukus Hand und er ging einfach mit mir mit.
Zuerst sagte er eine ganze Weile nichts, dann: „Ich hab auch deshalb so lange nicht darüber gesprochen, weil ich Angst hatte, dass es dann ausbricht. Und das tut es jetzt. Ich fühle mich viel instabiler.“
„Meinst du denn, das liegt nur daran, dass du darüber sprichst?“, fragte ich. „Ich glaube, du merkst es nur mehr, weil du jetzt ein bisschen offener damit bist.“
„Weiß nicht … Ich spüre nur, dass ich mir wieder mehr wehtun will.“
„Eben auch? Also, hast du da eben im Wartezimmer daran gedacht?“
Tsuzuku nickte. „Ja. Ich war ganz kurz davor, mich zu kratzen.“
„Was hat dich davon abgehalten?“
„Dass du da warst. Und dass dann jeder gesehen hätte, was mit mir los ist.“
„Davor hast du Angst, oder? Dass die Leute schlecht von dir denken?“
„Diese Blicke … ich halte das kaum aus.“ Seine Stimme klang beinahe schon verzweifelt.
„Du, weißt du, das kenne ich aber auch. Wenn man sich sowieso schon nicht gut fühlt, tun solche Blicke mehr weh. Das ist ziemlich normal.“
Er antwortete nichts darauf und wir gingen dann auch bald zurück. Ich hatte das Gefühl, das Richtige getan zu haben, indem ich mit ihm rausgegangen war, statt dass wir da sitzen geblieben wären. Tsu wirkte ein kleines bisschen entspannter, als wir die Praxis wieder betraten und uns ins Wartezimmer setzten.
„Willst du alleine mit dem Arzt reden oder soll ich dabei sein?“, fragte ich leise.
Er zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht … Vielleicht kommst du mit und kannst dann auch gleich deins besprechen.“ Und dann: „Ich hab keine Ahnung, wie ich erklären soll, dass wir ein Paar sind.“
„Das geht schon irgendwie.“
In dem Moment kam die Sprechstundenhilfe herein. „Aoba-san, Asakawa-san, wer von Ihnen möchte zuerst?“
Tsuzuku stand mit einem Ruck auf, nahm meine Hand und sagte mit auf einmal sehr fester Stimme: „Wir gehen zusammen.“ Auf den irritierten Blick der Frau in Richtung unserer verschränkten Hände hin lächelte er nur und wirkte auf einmal ganz selbstsicher.
Sie zeigte uns das Zimmer, wo der Arzt schon an seinem Schreibtisch saß und wartete. Auf einem Schild auf dem Tisch stand sein Name, Ishida. Er war so um die fünfzig und sah eigentlich ganz nett aus, aber würde er auch noch so nett sein, wenn wir ihm sagten, was los war?
Die Sprechstundenhilfe stellte uns vor und gab dem Arzt einen Zettel, ging dann wieder hinaus.
„Was führt Sie zu mir?“, fragte Dr. Ishida. Vor dem Schreibtisch standen zwei Stühle, darauf setzten wir uns und es entstand eine recht unangenehme Stille, da weder Tsu noch ich wussten, wo wir anfangen sollten.
„Sind Sie beide verwandt?“, fragte der Arzt schließlich. „Oder weshalb kommen Sie gemeinsam zu mir?“
„Nein“, sagte Tsuzuku und nahm gut sichtbar meine Hand. „Wir sind ein Paar.“
Ich spürte, dass er den Starken spielte, er war innen drin genauso aufgeregt wie ich.
„Ein Paar?“, wiederholte der Arzt irritiert, „Sie beide sind ein Liebespaar?“
Mein Sprachzentrum setzte jetzt komplett aus und so musste wieder Tsu antworten, ich drückte seine Hand, um ihn zu unterstützen. Ich stellte mir vor, wie etwas von meiner Kraft und Entschlossenheit durch meine Hand zu ihm floss und anscheinend spürte er etwas davon, denn er antwortetet mit relativ fester Stimme: „Ja, ein Liebespaar. Und wir schlafen auch miteinander. Darum sind wir hier, weil es da … ein, zwei kleine Probleme gibt.“
Dr. Ishida sah uns einen Moment lang abwägend an, so als müsste er sich überhaupt erst dazu entschließen, ob er uns behandeln wollte. Doch anscheinend entschied er sich dafür, denn er fragte schließlich: „Von welcher Art sind denn diese Probleme?“
Da ich immer noch nicht wirklich sprechen konnte, sah ich Tsuzuku an, er drückte meine Hand, schickte mir nun seinerseits Unterstützung.
„Ich hatte früher … viele Freundinnen und … habe nicht immer so gut aufgepasst“, sagte er zu dem Arzt. „Deshalb befürchte ich, dass ich mir da irgendwas eingefangen habe, und ich würde mich jetzt einfach gern testen lassen, damit ich meinen Freund nicht anstecke.“
„Da gibt es die Möglichkeit von Bluttests“, sagte Dr. Ishida. „Den können wir gleich jetzt machen, ich würde Ihnen die Ergebnisse dann zuschicken.“ Dann wandte er sich an mich: „Und Sie, was gibt es bei Ihnen?“
Ich kratzte innerlich meine Sprechfähigkeit wieder zusammen und antwortete, leise und stockend: „Ich … manchmal so … Verspannungen … da unten … auf einmal …“ Ich spürte, wie ich rot wurde und dass es mir wahnsinnig peinlich war, darüber zu sprechen. Und erst jetzt fühlte ich auch, dass es mich in meiner Männlichkeit irgendwie ankratzte und auch in meinem Selbstbewusstsein als homosexueller junger Mann.
„Anale Muskelverspannung?“, fragte Dr. Ishida und ihm war anzumerken, dass es ihm auch unangenehmer war als ‚normale‘ Beschwerden zu erfragen.
Ich nickte, wurde noch röter.
„Und tritt das immer auf oder nur manchmal?“
„… Nur … manchmal …“, antwortete ich, viel zu leise. Jetzt schämte ich mich nicht nur wegen der Verspannungen, sondern auch, weil ich gerade rüberkam wie so ein ‚Uke‘ aus einem Boyslove-Manga für Mädchen, verschüchtert und mädchenhaft. Ich sah meinen Freund an und dachte auf einmal, dass ich in manchen Dingen gern ein bisschen wäre wie er. Meine Gedanken von vorletzter Nacht kamen mir in den Sinn, dass ich ja auch mal Top sein konnte und das auch wollte.
„Ich kann Sie da leider nur an einen Urologen überweisen“, sagte Dr. Ishida schließlich. „Der könnte die Ursache dafür vielleicht klären.“ Er nahm einen Notizblock und schrieb einen Namen, eine Adresse und eine Telefonnummer darauf, riss den Zettel ab und reichte ihn mir.
Dann stand er auf und nahm eine verpackte Spritze, einen Wattetupfer und eine Flasche mit Desinfektionsmittel aus dem Regal, legte alles auf dem Schreibtisch ab und forderte Tsuzuku auf, seinen Ärmel hochzuschieben.
Ich beobachtete Tsu’s Gesichtsausdruck, während der Arzt ihm Blut abnahm. Er hatte diesen einen Blick in den Augen, der dem ähnelte, mit dem er auch sein Messer ansah. Das Wissen darum, wie er zu Schmerzen und Blut stand, dazu, dass seine Haut von ihm selbst oder jemand anderem verletzt wurde. Das Wort ‚Borderline‘ hing geradezu greifbar in der Luft und ich hoffte, dass Dr. Ishida es nicht bemerkte.
„Sie sind ja sehr schlank, Aoba-san“, sagte der Arzt nach dem Blutabnehmen, so, als hätte er es doch bemerkt. Er verpackte die gefüllte Spritze in einer Art Umschlag und schrieb etwas darauf. „Ist Ihnen manchmal schwindlig?“
„Nein“, antwortetet Tsuzuku, ich spürte seine Anspannung und dass er schon am liebsten weglaufen wollte. „Es ist nichts, mir geht’s gut.“
„Wie viel wiegen Sie denn?“, fragte Dr. Ishida weiter, bemerkte anscheinend nicht, dass er gerade in genau das Wespennest stach, vor dem Tsu Angst hatte.
Tsuzuku antwortete nichts darauf. Er stand einfach auf und ging, schlug die Tür knallend hinter sich zu. Ich stand ebenfalls sofort auf, wollte ihm hinterher, doch der Arzt rief mich zurück: „Was ist sein Problem?“
Ich wollte dem Arzt auf keinen Fall von Tsuzukus Problemen mit dem Essen erzählen, das wäre mir wie Verrat erschienen, also antwortete ich: „Er … nicht über … Gewicht … sprechen will.“ Dann lief ich raus, sah mich vor der Tür suchend nach meinem Freund um.
Tsuzuku saß draußen vor der Praxis, an die Mauer gelehnt, auf dem Boden und rauchte.
„Ich hab‘s gesagt, wenn er von meinem Gewicht anfängt, bin ich weg“, sagte er und sah zu mir auf.
„Ist doch okay. Mehr hab ich von dir auch nicht verlangt“, erwiderte ich und hielt ihm meine Hand zum Aufstehen hin. Er ließ sich von mir hochziehen und wir gingen los. Gerade noch rechtzeitig fiel mir ein, dass ich ja neue Batterien für meinen Wecker kaufen musste. Das konnten wir ja eben noch machen, wo wir schon einmal in der Innenstadt waren.
Wir gingen also eben noch kurz einkaufen, dann machten wir uns auf den Heimweg. Tsuzuku wirkte ein wenig unausgeglichen und ich konnte nicht genau erkennen, ob es ihm gut oder weniger gut ging. Und als wir zu Hause waren, zog er sich mit seinem Handy ins Bett zurück, antwortete auf meine Frage hin, dass er sich irgendwo einen Social Network Account machen wollte.
Ich versuchte derweil zum ersten Mal, den Fernseher wieder anzuschließen, ein gemeldeter Anschluss war vorhanden, nur bekam ich das komplizierte Einstellen nicht hin. Zu Hause hatte solche Sachen immer mein Vater gemacht, der kannte sich damit besser aus als ich. Genau so war es mit dem Internet. Ich hatte meinen PC mit hergenommen, aber ich bekam es nicht hin, den vernünftig ans Internet anzuschließen. Wir hatten nur das allgemeine Netz in der Wohnung, das reichte fürs Handy aus, aber ich wusste einfach nicht, wie ich den PC da mit reinbekam.
Also gab ich es erst einmal wieder auf und setzte mich im Schlafzimmer aufs Bett, sah Tsuzuku an, der immer noch mit seinem Handy beschäftigt war. Er blickte zurück und hielt mir das Handy hin, zeigte mir, wo er sich einen Account gemacht und schon ein Bild hochgeladen hatte. Es war ein schönes Foto, ein ungeschminktes, und obwohl ich ihn ja mit Makeup immer wahnsinnig schön fand, gefiel mir dieses Bild mindestens genauso gut. Ohne die dunkle Farbe um die Augen, ohne Lippenstift und ohne Kontaktlinsen sah er irgendwie … weicher aus. Und ich liebte dieses dunkle Braun seiner Augen so sehr!
„Das ist schön, das Bild“, sagte ich und gab ihm einen Kuss.
„Danke.“ Er lächelte, bewegte den Finger auf dem Touchscreen und drehte das Handy um, rückte näher zu mir und legte lächelnd den Arm um mich. Es gab ein leises, typisches Klicken und noch eines, zwei Fotos, und dann noch eines, für das er mich küsste.
„Darf ich die auch hochladen?“, fragte er. „Ich würde dort gern zeigen, dass ich dich habe.“
Ich nickte und freute mich, dass er sich offensichtlich gut fühlte. Tsuzuku zeigte mir die Fotos noch einmal, damit ich sehen konnte, dass ich auch gut aussah, dann lud er die Bilder in seinem Account hoch und schrieb dazu etwas, das er mir auch zeigte: „Das ist Meto, der süßeste, liebste Mensch, den ich auf dieser Welt habe. Ich liebe dich, mein Schatz.“
Ich verbrachte die erste Hälfte meines Nachmittags vor dem Fernseher und wartete. Wartete darauf, dass sich jemand bei mir meldete, und darauf, dass sich mein Leben, nachdem es in letzter Zeit anscheinend aus dem Fugen geraten war, von selbst wieder ordnete. Was es aber natürlich nicht tat. Ich tat mich schwer damit, einzusehen, dass es mir zurzeit einfach nicht so gut ging, und dass ich jetzt sogar schon bei der Arbeit geweint hatte, störte mich mehr, als dass es mir irgendeine weiterbringende Erkenntnis brachte.
Jeder Gedanke an Mikan machte mich traurig, ich hatte ihr noch eine Nachricht auf die Mailbox gesprochen, doch sie antwortete einfach nicht. Ich hatte Angst, dass ich sie mit meiner Forderung, mich mehr als Mann wahrzunehmen, vor den Kopf gestoßen und überfordert hatte.
Als dann irgendwann mein Handy klingelte, schreckte ich zusammen und sprang auf. Fischte es aus meiner Handtasche und hoffte halb, dass es Mikan war, die mich anrief. Aber es war Tsuzuku, der etwas von mir wollte, vielleicht ja, weil ich Meto heute Mittag vorgeschlagen hatte, dass wir irgendwas zu dritt machten.
„Hey, Tsu“, meldete ich mich und hörte dabei selbst, dass ich alles andere als fröhlich klang.
„Koichi“, sagte er, „Wie geht’s dir?“
Wenn Tsuzuku, der auf diese Frage ja so oft keine rechte Antwort wusste, sie stellte, ging ich immer davon aus, dass er es ernst meinte und wirklich daran interessiert war, wie es mir ging.
„Nicht so wirklich gut“, antwortete ich, und allein, es auszusprechen, reichte aus, damit mir wieder Tränen in die Augen sprangen.
„Warum?“, fragte er. „Willst du darüber reden?“
„Ich … weiß nicht …“
„Meto sagte mir eben, du wolltest mal wieder was zu dritt unternehmen …“, begann er, schwieg einen Moment und sagte dann: „Aber wenn es dir jetzt nicht gut geht … lassen wir das besser, oder?“
Ich nickte, was er aber ja nicht sehen konnte. „Ja … Ich bleibe wohl besser zu Hause.“ Meiner Stimme waren die Tränen schon anzuhören, und dann fing ich schon wieder an zu weinen, fühlte mich auf einmal entsetzlich einsam.
„Weißt du was, Koichi, ich komme jetzt einfach mal zu dir“, sagte Tsuzuku.
„Musst … du nicht …“
„Will ich aber. Du bist immer so lieb für mich da, dann will ich auch mal was für dich tun. Ich will auch mal für jemanden da sein.“ Es knackte in der Leitung, er hatte aufgelegt. War auf dem Weg zu mir.
Ich legte das Handy beiseite, zog die Knie an, wickelte mich enger in meine Decke und weinte noch ein wenig, auch wenn ich nicht recht wusste, warum. Nur wegen Mikan? Oder war da noch etwas anderes in mir los, das ich nicht so richtig erkennen konnte? Auch davor hatte ich Angst. Dass ich depressiv wurde oder so was, und es schlimmer werden würde.
Als es dann an meiner Tür klingelte, huschte ich noch schnell ins Bad und wollte meine rotgeweinten Augen noch ein bisschen schminken. Doch ein einziger Blick in den Spiegel reichte aus, damit klar war, dass das keinen Sinn hatte. Meine Traurigkeit war in diesem Moment nicht weg zu schminken.
Ich ließ es also, ging zur Tür, öffnete sie und sah Tsuzuku vor mir im Treppenhaus stehen. Er sah sofort, wie verheult ich war, und umarmte mich einfach. Seine direkte und dabei zugleich liebe Art tat mir sofort gut und vertrieb meine Einsamkeit, zumindest ein wenig.
Ich ließ ihn in meine Wohnung, die er erst zum zweiten Mal betrat, er war erst einmal hier gewesen, im Winter.
„Soll ich Tee kochen?“, fragte ich.
„Wenn du möchtest …“, war Tsuzukus Antwort. „Ich brauche nicht unbedingt was, aber wenn du was willst, trink ich ‘ne Tasse mit.“
Ich ging in die Küche und setzte eine kleine Kanne Tee auf, Tsu folgte mir und setzte sich auf einen meiner Küchenstühle, sah mich aufmerksam an. Während der Tee zog, fragte er: „Willst du drüber reden?“
Ich hob die Schultern, blickte an ihm vorbei, wusste nicht recht, ob ich das jetzt konnte, darüber sprechen. Ich wollte vor Tsuzuku nicht weinen, dachte daran, dass er in mir sonst immer den fröhlichen, stabilen, starken besten Freund sah, und befürchtete, ihn mit meiner Traurigkeit zu verunsichern.
„Komm, sag“, sagte er, als ich nichts antwortete. „Wozu bin ich denn dein bester Freund, wenn nicht dazu, dass du mit mir reden kannst.“
Ich setzte mich ebenfalls und sagte dann: „Ich will nicht, dass du mich so siehst, wenn ich mich so traurig fühle. Weil ich nicht will, dass dich das irgendwie verunsichert.“
Tsu sah mich an, legte seine Hand auf meine und antwortete: „Das lass mal meine Sorge sein, Koichi. Ich kann, auch wenn es vielleicht nicht so aussieht, selbst auf mich achten. Wenn dir nach Weinen ist, dann tu das, du musst keine Rücksicht auf mich nehmen.“
Und als hätten meine Tränen genau auf diese Worte gewartet, sprangen sie mir sofort wieder in die Augen. Tsuzuku stand auf, trat neben mich und legte seinen Arm um meine Schultern, zog mich leicht zu sich, sodass ich sein schwarzes Shirt nassheulte.
„Bist du sehr einsam?“, fragte er leise, seine Hand streichelte über meinen Rücken.
Ich nickte, schniefte, lehnte mich an ihn. Und da ging es ganz leicht, das Reden darüber, was mit Mikan und mir war und mit meinem Gefühl, nicht als Mann erkannt zu werden. Ich wusste, so zu weinen war auch nicht gerade männlich oder so, aber ich konnte einfach nicht mehr. Und weil ich gerade sowieso am Reden war, sagte ich auch das.
„Das ist kompletter Quatsch, Ko“, erwiderte Tsu darauf. „Sieh mal, ich fange doch viel eher an zu weinen als du, und tut es meiner Männlichkeit einen Abbruch? Nein. Ich fühle mich nicht femininer oder so, nur weil ich eben emotional bin. Also rede dir so was gar nicht erst ein.“
„Aber du bist doch eh schon männlicher als ich …“, weinte ich und kam mir jetzt wirklich komplett bescheuert vor. „Und außerdem hast du ‘nen Freund. Ich bin ‘n halbes Mädchen und kriege keine Frau ab …“
„Du weißt doch immer noch gar nicht, warum Mikan dich versetzt hat, oder? Vielleicht ist ihr nur irgendwas Wichtiges dazwischen gekommen oder ihr Handy ist kaputt oder was weiß ich …“ Tsuzuku drückte mich noch einmal leicht an sich, dann löste er sich von mir und hockte sich vor mir auf den Boden, sah zu mir hoch. „Aber jetzt lenken wir dich erst mal ein bisschen ab. Hast du irgendeinen Actionfilm oder so was da?“
Ich nickte. Ja, so was hatte ich auch im Regal.
Tsu stand wieder auf, öffnete den Kühlschrank und blickte hinein, fand meine letzten beiden Bierflaschen. „Yeah, du hast sogar Bier da!“ Er nahm die beiden Flaschen aus dem Schrank und sagte lächelnd: „So, Koichi, wir machen uns jetzt ‘nen gemütlichen Männerabend.“
Und ich musste fast ein bisschen lachen, weil ‚Männerabend‘ angesichts meiner Gedanken und Gefühle so komisch klang …
Wir setzten uns im Wohnzimmer auf meine Couch, ich trank noch eben meinen Tee aus und legte dann den Film ein. Dann machte Tsuzuku das Bier auf und ich bekam auf einmal richtig Lust auf ein bisschen Alkohol und einen entspannten Filmabend mit meinem besten Freund.
Der Film war genau das, was ich gerade brauchte, mit viel Action, tollen Kampfszenen und einer nicht allzu aufdringlichen, eher hintergründigen Lovestory. Einen meiner sonstigen Kitschfilme hätte ich jetzt nicht gut vertragen. Aber so eine Heldengeschichte war vollkommen okay, und ich freute mich auch, dass Tsuzuku sichtlich seinen Spaß daran hatte. Er lachte viel und ich lachte irgendwann mit, das Bier und die dazu geholten Chips hatten ihre Wirkung und ich fühlte mich immer besser.
In der Pause zwischen dem ersten und einem zweiten Film fing Tsuzuku an, in meinen Schränken herum zu suchen.
„Was suchst du denn?“, fragte ich.
„Hast du auch irgendwas Härteres an Alkohol da?“, fragte er zurück.
„So’n Kokoszeug, ist so ähnlich wie Rum, da unten im Schrank.“ Ich deutete auf die entsprechende Schranktür. „Gläser sind da auch.“
„Geil!“ Tsu griff in den Schrank und kam dann grinsend mit der Flasche und zwei Gläsern zurück. Er wirkte so richtig gut gelaunt und ich hoffte sehr, dass seine Stimmung sich hielt und er nicht noch zusammenbrach.
Den zweiten Film kannten wir beide schon und so wurde dieser irgendwann zu einer Art von Hintergrundgeräusch, weil wir mehr miteinander redeten und lachten, als zu schauen. Tsuzuku erzählte mir alles Mögliche und mit jedem Glas Kokosrum sprach er intimere Dinge aus, bis ich, davon angesteckt, ihm meine ganze Sehnsucht nach einem ähnlich erfüllten Liebesleben ebenfalls erzählte.
Es wurde ein ziemlich eigenartiges und betrunkenes Männergespräch über Lust, Sex und Sehnsucht, und über Dinge, die wir noch nicht so recht voneinander gewusst hatten. Und obwohl Tsu ziemlich angetrunken und enthemmt war, redete er von Meto immer noch so liebevoll und wertschätzend, die Liebe leuchtete in seinen Augen. Ich kannte sonst niemanden, der selbst bei Worten wie „Und wenn ich in sein süßes Loch stoße und ihn so richtig nehme, das ist das geilste Gefühl auf der Welt!“ noch so liebevoll klang wie er.
Irgendwann stellte ich den Film aus, der eh schon fast vorbei war, stand auf und merkte deutlich, dass ich doch recht viel getrunken hatte. Ich nahm die jetzt dreiviertel leere Flasche und stellte sie wieder in den Schrank, dann hielt ich Tsu meine Hand hin, um ihm aufzuhelfen, wobei ich aber selber fast umkippte und er mich geradeso auffing.
„Kommsu sso nach Hausse?“, fragte ich.
„Geht schon“, antwortete er, klang auch weniger betrunken als ich, anscheinend vertrug er den Alkohol besser als ich. „Ko, wie geht’s dir jetzt?“
„Prima“, grinste ich, weil ich mich gerade wirklich gut fühlte.
„Ruf mich morgen mal an“, sagte Tsuzuku. „Oder ich melde mich bei dir.“
Ich begleitete ihn noch bis zur Tür, er umarmte mich zum Abschied und ging dann, sodass ich wieder alleine war. Und sofort, als mir das klar wurde, brach meine Hochstimmung in sich zusammen und ich fühlte mich, was der Alkohol sicher noch verstärkte, wieder ganz furchtbar einsam.
Kurz dachte ich daran, dass ich vorhin ja befürchtet hatte, Tsuzuku könnte zusammenbrechen, doch jetzt war ich es, dem wieder sehr nach Weinen zumute war. Und so zog ich mich aus und vergrub mich in meinem Bett, dachte an Mikan und heulte mich in den Schlaf.
Furchtbare Kopfschmerzen waren das erste, was ich am nächsten Tag spürte. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich an den Grund dafür erinnern konnte. An den ‚Männerabend‘ mit Tsuzuku, den Alkohol, das intime Gespräch, und dass ich dann, als er wieder weg war, schon wieder geweint hatte.
Ich beschloss zuerst einmal, dass ich heute zu Hause blieb und nicht arbeiten ging. Mit solchen Kopfschmerzen und diesem fetten Liebeskummer hatte es keinen Sinn, ins Café zu gehen und auf fröhlich zu machen. Ich wollte auch gar keine Mädels sehen.
Und so blieb ich noch eine ganze Weile im Bett liegen, bis ich schließlich Licht anmachte und mich langsam erhob, wobei mein Kopf dröhnte und summte wie ein durchgeknallter Bienenstock. Meine Schritte trugen mich in die Küche, wo ich als erstes gleich mal nach Kopfschmerztabletten suchte. Ich fand noch genau eine, die ich in einem Glas Wasser auflöste und mich dann daran erinnerte, was man bei einem Kater frühstücken sollte.
Aber da ich sowieso noch keinen Hunger hatte, schlich ich erst mal ins Bad, wo mich wieder einmal ein rosahaariges Gespenst aus dem Spiegel anschaute. Ich sah dezent furchtbar aus und entschloss mich, erst einmal zu duschen und so zu versuchen, mich wieder in Normalzustand zu bringen.
Nach dem Duschen fühlte ich mich schon ein wenig besser und machte mir ein bisschen Frühstück, bestehend aus Joghurt, verdünntem Zitronensaft und dem Kopfschmerztablettenwasser. Dann schnappte ich mir mein Handy und schrieb Satchan eine Nachricht, in der ich mich wegen Kopfschmerzen, deren Grund ich diplomatisch verschwieg, krankmeldete. Sie schrieb schnell zurück und wünschte mir ‚Gute Besserung‘.
Ich beschloss, heute mal in Sachen Aussehen ganz schlicht zu bleiben, band meine Haare einfach nur zusammen und ließ jegliches Schminken ausfallen. Klamottentechnisch entschied ich mich für ganz bequeme Sachen und setzte mich dann erst einmal an meinen PC, um mich mal wieder ein wenig mit meinem Internet-Leben zu befassen.
Ich hatte sowohl mein Blog als auch sämtliche sozialen Netzwerke in den letzten Tagen sehr vernachlässigt, und so war ich erst einmal damit beschäftigt, alles zu lesen, Bilder anzuschauen und selber die neuesten Fotos meiner Wenigkeit hochzuladen.
Dabei fand ich, natürlich, wie sollte es auch anders sein, auch Bilder von mir und Mikan. Sofort klickte ich diese weg, bevor ich wieder traurig wurde, und dachte dann betont an Tsuzuku, an gestern Abend, daran, wie er mich wieder aufgebaut und mein Selbstbewusstsein als Mann zumindest teilweise wiederhergestellt hatte.
Ich ließ das Bilder-Hochladen erst mal wieder sein und schrieb stattdessen die versprochene Nachricht an Tsu, jammerte ein wenig über meine Kopfschmerzen und fragte ihn dann, wie es ihm ging. Es dauerte eine Weile, bis er antwortete, er lachte mich erst ein wenig aus und gab dann selber zu, einen ziemlichen Kater zu haben, schrieb, dass Meto arbeitete und er alleine zu Hause war. Ich fragte, was er denn gerade machte, und er erzählte mir, dass er sich übers Handy ein Fotoblog eingerichtet hatte und jetzt daran arbeitete, diesen mit den wenigen Bildern zu füllen, die er bisher hatte, und das Layout schön zu machen. Er schrieb mir den Namen des Accounts und ich suchte diesen gleich mal, wollte sehen, was für Bilder er da drin hatte.
Und bekam sofort Herzchenaugen. Denn das erste, was mir auf dem Blog mit dem für ihn so bezeichnenden Nutzernamen ‚Tzk-sadislove‘ entgegenstrahlte, war eine Mini-Fotostrecke, auf der Tsu Meto umarmte und küsste und darunter eine absolut süße Liebeserklärung stehen hatte. Himmel, war das niedlich!
Ich sah mir die anderen Bilder auch noch an, Selfies, geschminkt und ungeschminkt, denen man ansah, dass Tsuzuku von früher her Übung darin hatte, zu posen und sich selbst darzustellen. Und ich las mir auch seine stichpunktartige Selbstbeschreibung durch, in der er seinen Geburtstag, seinen Beruf und als Hobby ‚Lesen und Sport‘ angab. Dabei fielen mir zwei Worte auf, die zwar irgendwie ganz selbstverständlich dort standen, aber trotzdem einen unangenehmen Schauer über meinen Rücken schickten: ‚Borderline‘ und ‚Bulimie‘. Einerseits fand ich es irgendwie gut, dass er so offen damit umging, aber irgendwie machte mir das auch ein bisschen Sorgen.
Ich trug den Blog in meine Favoritenliste ein, empfahl ihn auch an meine eigenen Abonnenten weiter und benannte Tsuzuku in meiner Freundesliste.
Als ich gerade den Laptop wieder zuklappen wollte, blinkte bei meinen Nachrichten etwas auf: „Koichi, du hast 1 Nachricht von Mikan.“
Sofort fing mein Herz an zu rasen. Mit zitternden Händen klickte ich die Meldung an und schloss die Augen, atmete einmal tief ein und aus.
„Koichi, was ist los? Wieso meldest du dich nicht mehr?“, stand da.
Ich hatte mich nicht gemeldet?! Was sollte das denn jetzt?! Sie hatte mich doch versetzt und war nicht zu erreichen!
Meine Finger zitterten, als ich die Antwort tippte: „Wieso ich? Du warst nicht da, du hast dich nicht gemeldet, du bist nicht zu erreichen! Nicht ich.“
Die Antwort kam mehr oder weniger sofort: „Ko, bei mir geht alles drunter und drüber. Meine Großmutter ist krank geworden, sehr krank, ich musste zu ihr, und dann ist mir auch noch mein Handy kaputtgefallen, das Display ist gesplittert. Und außerdem …“
„Was außerdem?!“, schrieb ich zurück und wusste, dass es sich ziemlich gereizt las.
Jetzt ließ die Antwort recht lange auf sich warten. Ich saß vor dem Laptop und starrte auf die Anzeige, wartete, dass eine neue Nachricht kam. Irgendwie war ich zugleich ängstlich und ungehalten, aber auch ein bisschen froh, dass zumindest teilweise nicht ich die Schuld hatte, dass meine beste Freundin mich versetzt hatte. Ich konnte mir gut vorstellen, dass sie durcheinander war und keine Zeit hatte, wenn ihre Oma, die sie sehr gern hatte, krank war, und ihr dann noch tatsächlich das Handy kaputt gegangen war.
„Ko, du hast mich verwirrt. Mit dem, was du gesagt hast von wegen, dass du von mir mehr als Mann gesehen werden willst. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie du das meinst.“
Ich starrte auf den Bildschirm, wusste erst nicht, was ich darauf antworten sollte. Sollte ich einfach fragen, was sie dachte, oder cool tun und ihr ganz ehrlich schreiben, dass ich es satt hatte, immer nur die, nur nebensächlich männliche, ‚beste Freundin‘ zu sein? Dabei würde dann ganz unweigerlich herauskommen, dass ich mehr von ihr wollte als Freundschaft und das wiederum wollte ich ihr, wenn überhaupt, persönlich und nicht schriftlich sagen.
Meine Hände zitterten immer noch, als ich mich entschloss, die ganz direkte Antwort zu tippen: „Das meine ich, wie ich es sage. Ich will nicht mehr so das halbe Mädchen sein. Ich bin ein Mann, auch wenn ich eben nicht wie einer aussehe, und ich will, dass du das auch siehst.“
Wieder dauerte es etwas, bis die Antwort kam: „Koichi, wie genau meinst du das? Fühlst du dich von mir … verkannt oder so? Oder was willst du?“
Dieser Chat lief definitiv in eine Richtung, die nicht in einen Chat, sondern in ein echtes Gespräch unter vier Augen gehörte.
„Komm her und wir reden drüber. Ich will das nicht online bereden“, schrieb ich und kam mir endlich wieder einigermaßen mutig vor.
„Okay … Bin auf dem Weg.“
In der Zeit, während ich auf Mikan wartete, räumte ich ein bisschen meine Wohnung auf, öffnete die Jalousien und spülte das wenige Geschirr auf der Ablage. Und als sie dann vor meiner Tür stand und ich ihr öffnete, entstand zwischen uns eine eigenartig angespannte Stimmung.
„Ko, tut mir echt leid, dass ich dich versetzt habe“, sagte sie und zog ihre Schuhe aus. „Bei mir ist alles so durcheinander gerade …“
„Schon okay“, sagte ich, einfach um die Situation nicht noch weiter anzuspannen.
Wir gingen durch in mein Wohnzimmer und ich bot Mikan einen Platz auf meiner Couch an. Sie setzte sich und ich mich daneben, wobei ich, mehr versehentlich, ihr Parfum roch und den Duft ihrer Haare. Sie verwendete ein recht geschlechtsneutrales, aber sehr gut riechendes Parfum, das ich auch gerne trug, und ich atmete unwillkürlich tief ein.
„Sag mal, seit wann stört dich das denn eigentlich, dass du halt irgendwie so meine ‚beste Freundin‘ bist?“, fragte Mikan.
„Noch nicht lange. Eigentlich ist mir das erst vor ein paar Tagen so ansatzweise klargeworden.“
„Und warum? Also, wie bist du darauf gekommen?“
„Weiß ich gar nicht so genau. Jedenfalls … ich fühle mich zurzeit ziemlich einsam und auch irgendwie verkannt …“ Es war viel schwieriger, mit Mikan darüber zu sprechen, als mit Tsuzuku. Weil Mikan eine Frau und zudem diejenige war, auf die sich ein großer Teil meines Problems bezog. Doch ich wollte es sie wissen lassen, dass ich einsam war und auch, dass ich mich sehr nach einem erfüllteren Liebesleben sehnte.
Mikan wandte sich mir ganz zu und legte ihre Hände auf meine Schultern. Ihre Berührung löste in mir Herzklopfen aus und ich spürte, dass ich rot wurde.
„Koichi“, sagte sie und sah mir in die Augen. „Was willst du?“
Ich wich ihrem Blick aus, sah zur Seite und antwortete leise: „Na ja … wenn ich Tsuzuku und Meto so sehe, und das höre, was Tsu mir von der Beziehung erzählt, dann … will ich auch so was haben. Ich meine … ich hatte seit über zwei Jahren keinen richtigen Sex mehr …“
„Sex also …“ Mikan nahm ihre Hände von meinen Schultern und sah mich nachdenklich an. Ich wusste, es war nur noch ein kleiner Schritt bis zu dem Punkt, ihr zu sagen, dass ich nicht einfach Sex mit irgendwem wollte, sondern mit ihr. Und so fiel mein Blick wieder auf ihren Körper, ihre Brüste, die durch den BH unter dem T-Shirt so hübsch geformt aussahen und sich bestimmt wunderbar weich anfühlten.
„Das meine ich, wenn ich sage, ich bin auch nur ein Mann. Ich brauche auch Sex, ich hab auch Sehnsucht. Ich bin keine Puppe und auch kein halbes Mädchen.“
„Und … na ja, was soll ich da machen? Ich meine, was soll ich denn tun, damit du merkst, dass ich dich als Mann ansehe?“, fragte Mikan und wurde mit jedem Wort röter.
Ich konnte es ihr nicht sagen. Noch nicht. War noch nicht so weit, ihr meine Gefühle gestehen zu können. Also zuckte ich nur mit den Schultern.
„Darf ich fragen … ob es da jemanden gibt, den du … so magst?“, fragte sie dann und ließ mein Herz noch mal wesentlich schneller klopfen. Sie lagen mir schon auf der Zunge, die Worte, dass sie, Mikan, es war, die ich mochte. Ich sah meine beste Freundin an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Jetzt, wo sie schon mal hier war, konnte ich sie schlecht einfach wieder wegschicken, also musste ich mir was anderes einfallen lassen. Nur was?
„Koichi?“, fragte Mikan, als ich nicht antwortete. „Okay, du musst es mir nicht sagen, aber … es würde mich halt interessieren, wen du da magst.“
„Und warum interessiert dich das?“ Ich wusste nicht, warum ich wieder so gereizt klang. Vielleicht, weil ich einfach sehr nervös und aufgeregt war.
„Na hör mal, ich bin deine beste Freundin! Da darf ich doch fragen, ob du in jemanden verliebt bist, oder?!“
„Tut mir leid … Ich will nicht mit dir streiten. Ich bin nur aufgeregt und hab ein bisschen Kopfschmerzen, weil ich gestern Abend mit Tsuzuku zusammen was getrunken habe und so …“
Zuerst entstand eine seltsame, unangenehme Stille zwischen uns, ich sah, wie Mikan errötete, und spürte selbst in mir den Zwiespalt dazwischen, ihr meine Gefühle gestehen zu wollen einerseits und es andererseits nicht zu können, weil ich Angst hatte, damit unsere Freundschaft kaputt zu machen.
Schließlich blickte Mikan mit hochrotem Gesicht an mir vorbei und ich sah geradezu zu, wie sie mit einem Mal verstand.
„Koichi …?“, fragte sie, ganz leise, und sah mich unsicher an. „Du … na ja, kann es sein, dass du … dass du mich meinst?“
Wie hätte ich sie da noch anlügen oder es verschweigen können? Sie kannte mich gut, hätte sicher sofort bemerkt, wenn ich ausgewichen wäre. Und nachdem ich mich wegen ihr und meinen Männlichkeitskomplexen die letzten Tage so schlecht gefühlt hatte, hatte ich das starke Gefühl, dass es jetzt Zeit wurde, das ganze Durcheinander aufzuräumen. Noch einmal wollte ich so bald nicht wieder vor Tsuzuku von meinem Liebeskummer rumheulen und mich dann deswegen betrinken, der Abend gestern sollte in der Hinsicht definitiv eine Ausnahme bleiben.
„Was …“, begann ich unsicher, „… wäre denn, wenn dem so wäre?“
„Ich … weiß nicht … Ich hab nie drüber nachgedacht, ob du und ich …“, antwortete Mikan leise.
„Und … würdest du das ändern wollen?“ Ich verspürte einen Hauch von … etwas, von dem ich glaubte, dass Mann es fühlte, wenn man gerade dabei war, die Frau seiner Träume für sich zu erobern. Endlich fühlte ich mich wieder einigermaßen als männliches Wesen und konnte mich selbst auch wieder als solches anerkennen.
„Darüber nachdenken?“, fragte Mikan.
Ich konnte ihr endlich wieder in die Augen sehen und sagte mit halbwegs fester Stimme: „Es tun.“
„Es? … Das?“
„Alles Mögliche. Was wir möchten. Nur … ich will, dass wir mehr als nur beste Freunde sind. Ich hab dich sehr lieb und ich bin nun mal keine Frau, verstehst du?“
Sie nickte. „Koichi … Lässt du mich darüber nachdenken?“
„Natürlich“, antwortete ich. „Wirst du lange brauchen?“
„Nicht zu lange. Ich muss jetzt nur ein bisschen alleine sein und überlegen und fühlen, ob ich dich auch so mag.“ Sie stand auf, streichelte mir kurz mit der Hand über die Schulter und dann ging sie.
Und so war ich wieder alleine. Ich musste dieses Gespräch auch erst mal sacken lassen. Zwar hatte ich nicht ‚Ich liebe dich‘ zu Mikan gesagt, aber doch ziemlich klar gemacht, wie es mit meinen Gefühlen für sie aussah und was ich wollte.
Ich hatte das Gefühl, dass sich gerade einiges geordnet hatte, und fühlte mich auch wesentlich besser als gestern. Langsam stand ich auf und ging in die Küche, wobei sich augenblicklich meine Kopfschmerzen wieder meldeten, goss mir ein Glas Saft ein und trank es in einem Zug leer. Dann überlegte ich, was ich mit dem Tag heute anfangen sollte. Mikan würde sich, so wie ich sie kannte, bestimmt frühestens heute Abend wieder bei mir melden, und bis dahin musste ich eine Menge Zeit rumkriegen, damit ich nicht zu sehr darüber nachgrübelte, was meine beste Freundin, beziehungsweise mein Love Interest, jetzt wohl von mir dachte.
Zuerst einmal rief ich Tsuzuku an, um ihm zu erzählen, was passiert war, und um zu hören, ob es ihm immer noch gut ging. Er hob sehr schnell ab (woraus ich schloss, dass er sowieso gerade mit dem Handy zugange war) und als ich fragte, wie es ihm gerade ging, spürte ich sofort, dass da irgendwas nicht stimmte. Und es dauerte auch nicht lange, da sagte er mir auch schon, was los war:
„Irgendein homophober Vollidiot hat mir gerade ‘nen ziemlich fiesen Kommentar auf mein Blog geschrieben.“
„Was?! Wegen dem Bild von Meto und dir?“
„Keine Ahnung, aber … Woah, ich hasse das so! Wieso können solche Leute mich nicht einfach in Ruhe lassen?!“
„Du darfst da nicht drauf hören und schon gar nicht reagieren. Die kennen dich nicht, haben keine Ahnung und wissen wahrscheinlich auch nichts von Liebe“, antwortete ich und spürte, wie ich sofort wütend wurde auf diese fremde Person, die es wagte, Tsuzuku einen Hasskommentar zu schreiben.
Homophobie war etwas, das mich jedes Mal sehr aufregte und das ich irgendwie persönlich nahm, obwohl es mich ja nicht ganz direkt betraf. Aber in meinem Freundeskreis hatte es schon immer mal wieder homosexuelle Menschen gegeben und die verteidigte ich. Es ging einfach nicht in meinen Kopf rein, wie man etwas gegen die Liebe zwischen zwei Menschen haben konnte, nur weil diese dasselbe Geschlecht hatten.
„Kannst du mich mal eben ablenken, Ko?“, fragte Tsu und klang schon leicht verzweifelt.
Und so erzählte ich ihm von dem Gespräch mit Mikan eben und davon, wie ich mich jetzt fühlte. Ich spürte dabei relativ deutlich, dass ich Angst hatte, sie könnte sich doch gegen mich entscheiden. Vielleicht hatte ich es ihr zu früh gesagt, das alles, vielleicht hätte ich damit noch warten sollen.
„Das kann ich dir nicht beantworten, Koichi“, antwortete Tsuzuku, als ich es ihm gegenüber aussprach. „Da musst du warten, bis Mikan fertig ist mit darüber-nachdenken.“ Er schwieg einen Moment und kam dann auf sein eigenes Thema zurück: „Was meinst du, soll ich den Kommentar löschen?“
„Kannst du machen. Dann kann da wenigstens kein anderer dazukommen und den liken und so.“
„Oder soll ich gleich den ganzen Account löschen? Weißt du, ich kann mit so was gerade nicht wirklich umgehen, dann sollte ich vielleicht gar nicht dort sein.“
„Nein!“, antwortete ich sofort. „Wenn du gleich alles löschst, tust du doch nur das, was solche Leute wollen. Den Triumph willst du diesen Idioten doch nicht gönnen, oder? Lösch den Kommentar, aber nicht den Account. Ich kann gerne ab und zu bei dir reinschauen, und wenn da noch mal jemand ist, der dir Probleme macht, dann überlass den mal mir.“
„Danke. Ich bin … so was einfach nicht mehr gewöhnt, dieses ganze Online-Zeug. Ich muss da erst wieder reinfinden …“
„Es zwingt dich aber ja keiner.“
„Ich will aber. Ich brauche das, so einen Ort, wo ich mich der Welt mitteilen kann.“ Er machte eine kurze Pause und fuhr dann leiser fort: „Auch, wenn ich andererseits nicht mit solchen Kommentaren zurechtkomme …“
Einen Moment herrschte wieder Stille, dann fragte er: „Kann ich zu dir kommen?“
„Na klar. Wir können auch irgendwo hingehen“, antwortete ich.
„Zum Meer?“
„Wie du möchtest.“
„Dann treffen wir uns da? Vor dem Schwimmbad?“
„Okay. Machen wir halt einen Strandspaziergang“, sagte ich.
„Bin auf dem Weg.“
Ich machte den PC aus, zog Jacke und Schuhe an, nahm meine Handtasche und machte mich auf den Weg, fuhr mit der Bahn bis zur Strandpromenade und stieg beim Schwimmbad aus, wo ich mich auf eine Bank an der hübschen Promenade setzte und wartete.
Es war ziemlich kalt und windig und ich kuschelte mich eng in meine Jacke, zog meinen Schal ein bisschen hoch und steckte meine Hände in die Jackentaschen. Mein Blick war auf die Straßenbahnstation gerichtet, wo die Bahn aus dem Viertel, wo Tsu und Meto wohnten, gleich ankommen musste. Als diese dann da war und ich Tsuzuku aussteigen sah, stand ich auf und ging auf ihn zu. Er sah recht müde aus, verkaterter als ich, aber als er mich sah, lächelte er.
„Du hast es ihr also gesagt?“, fragte er, immer noch lächelnd.
Ich nickte. „Aber jetzt muss ich halt warten, bis sie weiß, was sie will“, sagte ich und fügte leiser hinzu: „Ich darf da gar nicht so sehr drüber nachdenken, sonst kriege ich Angst, dass sie mich vielleicht doch nicht will.“
„Soll ich dich ablenken?“, fragte Tsuzuku.
„Ja, das wäre schön.“
Wir schlugen den Weg runter zum Strand ein und gingen dort, nah am Wasser, über den grauen Sand. Tsuzuku fing an, mir Sachen zu erzählen, alles Mögliche, ab und zu fragte ich etwas und so wurde ein richtig schönes Gespräch daraus. Er sprach von seinen Plänen für ein neues eigenes Tattoo und davon, dass er Metos Tattoo gern fertig erweitern und färben wollte, erzählte mir allgemein viel von seiner Arbeit. Und dann, als das Thema ‚Arbeit‘ erschöpft war, fing er an, über Meto zu sprechen, und wie gestern Abend wurde es dann schnell recht intim und gefühlsbetont, weil er frei heraus von sexuellen Dingen und von Gefühlen sprach, die es zwischen ihnen beiden gab.
„Wenn dich das Thema gerade nervt, musst du das sagen“, sagte er mittendrin auf einmal. „Ich will dich ja nicht damit an irgendwas erinnern und traurig machen.“
„Nein, nein, ist schon okay. Ich finde euch zwei ja süß, das geht schon.“
„Weißt du, ich habe so ein Bedürfnis, darüber zu reden … Ich will es … irgendwie teilen, dass ich Meto so sehr liebe und das alles. Es füllt mein Herz aus, macht mich glücklich und … dann muss ich einfach so offen darüber sprechen.“
„Ist ja kein Problem, ich hör dir gerne zu. Und das mit euch beiden ist so anders als das mit Mikan und mir, da fühle ich mich nicht dran erinnert.“
„Ich wünsche dir, dass sie ‚Ja‘ zu dir und deinen Gefühlen sagt, Ko.“ Tsuzuku lächelte. „Du bist so ein lieber Mensch, du hast das mehr als verdient.“
„Danke“, lächelte ich. „Du bist aber auch sehr lieb, dass du das sagst.“
Tsuzuku lachte laut auf. „Ja, hahaha, anscheinend bin ich das.“
„Du kannst dich selbst ruhig mal etwas positiver sehen“, sagte ich und knuffte ihn im Gehen spielerisch gegen die Schulter.
„Mein Selbstbild ist halt auch komplett im Eimer …“, erwiderte er nur.
„Wenn’s nicht in dein Gefühl reingeht, dann lernst du es halt auswendig: Du bist ein herzensguter, lieber Mensch, Tsuzuku. Und das wird dir jeder bestätigen, der dich richtig kennt.“ Ich lächelte ihn an und hoffte, dass er es irgendwie verinnerlichen konnte, und anscheinend gelang es ihm zumindest ein wenig, denn er blieb stehen und umarmte mich plötzlich. Ganz kurz musste ich an das Wort ‚impulsiv‘ denken, aber gleich darauf war es mir wieder egal und ich freute mich einfach, dass mein bester Freund so glücklich war.
Wir gingen noch ein ganzes Stück den Strand entlang, bis zu den riesigen Wellenbrecher-Mauern, dann drehten wir um und gingen die ganze Strecke wieder zurück, redeten noch ein bisschen über dies und das, und ein kurzes Stück rannten wir sogar, weil Tsuzuku auf einmal auf die Idee kam, mich wie ein verrückter Junge mit den auf dem Sand herumliegenden Resten einer gestrandeten, weißen Qualle zu jagen. Ich gab ein ziemlich unmännliches Quietschen von mir, als er meine Hand festhielt und mir das glibberige Stück Meerestier auf die Handfläche drückte, er lachte mich aus und war glücklich.
Als wir wieder am Schwimmbad ankamen, fragte Tsu, ob wir nicht noch ein bisschen in die Innenstadt fahren wollten. Da sich Mikan noch nicht bei mir gemeldet hatte und Meto um diese Zeit sicher noch arbeitete, hatten wir ja auch nicht viel Besseres zu tun. Und so fuhren wir zusammen noch ein bisschen in die Stadt, gingen in den einen oder anderen Laden und probierten auch ein paar Teile an.
Ich war bisher noch nicht mit Tsuzuku in Klamottenläden gewesen und ein wenig überrascht, mit welcher Zielstrebigkeit er sich Sachen aussuchte, die ihm dann auch wirklich gut standen. Bei schwarzen Lacksachen war die Sache natürlich klar, aber mit derselben Stilsicherheit suchte er auch ganz normale Kleidung aus. Er schien sehr genau zu wissen, was er tragen konnte und was nicht.
Ich dagegen experimentierte gerne herum und konnte mich dann oft nicht zwischen zwei Sachen entscheiden.
Während Tsu schon mit einem grauen Pullover, einer schwarzen Jeans und einer ebenfalls schwarzen Lackstoffhose zur Kasse lief, stand ich noch mit einer sehr niedlichen Rüschenbluse und einem anderen, eher bunten Oberteil mit englischer Flagge drauf in den Händen vor dem Spiegel und wusste nicht, ob ich das eine oder das andere kaufen sollte. Tsuzuku bezahlte seine Sachen, kam dann zu mir zurück und tippte sofort auf das zweite, bunte Teil.
„Nimm das da, das ist cool. Das andere ist zu mädchenhaft“, sagte er ganz direkt.
„Okaay …“, sagte ich nur.
Tsu grinste. „Du kannst doch nicht immer nur so eindeutige Frauenkleider kaufen. Die sehen zwar auch toll an dir aus, aber wenn du ‘ne Freundin willst, muss auch mal was Cooleres her.“
Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Und ich durfte wieder mal feststellen, dass er wirklich der passendste beste Freund war, den es für mich geben konnte. Also hängte ich die Rüschenbluse wieder weg und kaufte das andere Teil, erwischte mich dabei, wie ich hoffte, dass es dann auch eine Wirkung auf Mikan haben würde, wenn ich mich mal etwas weniger feminin kleidete.
Auf dem Weg zurück dachte ich dann wieder mehr an Mikan, so lange, bis ich fast gegen eine Straßenlaterne gelaufen wäre und mein bester Freund mich darauf aufmerksam machte, dass ich reichlich abwesend wirkte. Er griff einfach meine Hand, hielt mich fest und fragte: „An was denkst du denn gerade?“
„Mikan, was sonst“, antwortete ich. „Ich hoffe einfach so sehr, dass sie … mich will.“
„Natürlich will sie dich.“
„Und wenn sie nur will, dass wir weiter Freunde sind?“, fragte ich und klang schon wieder leicht verzweifelt.
„Dann warte auf sie. Irgendwann wird ihr klar werden, dass du ein Mann bist und der perfekte feste Freund für sie.“
„Meinst du wirklich?“
„Koichi, ich hab in meinem Leben genug Mädels gehabt, ich weiß, wie man die rumkriegt.“
„Ich will Mikan aber nicht rumkriegen! Ich will sie liebhaben!“, widersprach ich und blieb stehen, sah Tsuzuku an.
Und dann wurde ich auf einmal Zeuge, wie er, wieder scheinbar aus dem Nichts, innerlich abstürzte: Sein Lächeln, eben noch breit und selbstsicher, verschwand, er sah einen Moment lang sehr, sehr nachdenklich aus, starrte ins Leere, und dann malten sich tiefe Traurigkeit, Schmerz und Schuldgefühle auf sein Gesicht.
Ich musste nicht lange überlegen, was der Grund für seinen plötzlichen Stimmungsumschwung sein konnte, ich ahnte, dass es direkt mit seinen Beziehungen früher und seinem damaligen Lebenswandel zu tun hatte. Ich wusste, dass er vieles von damals jetzt bereute, das hatte er mir ja schon einmal erzählt.
Ich sah, dass er weglaufen wollte, und griff einfach seine Hand, führte ihn ein Stück weiter zu einer Bank am Straßenrand und drückte ihn sanft darauf nieder. Er ließ mich machen, sah mich aber nicht an, sondern blickte starr zu Boden.
„Vergiss, was ich gerade gesagt habe“, sagte er leise. „Ich hab absolut keine Ahnung von Frauen.“
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten, oder was ich tun sollte, außer neben ihm zu sitzen und abzuwarten, was er tun würde.
„Ko, du hast ja keine Ahnung, wie ich damals war … Ich hab den Mädchen, die ich hatte, so weh getan. Die einen … hab ich einfach verlassen, weil ich keine Lust mehr hatte, und die anderen haben mich verlassen, weil sie mich nicht mehr ertragen haben. Und … Mama hat auch darunter gelitten. Sie dachte, dass ich, wenn ich so mit Mädchen umgehe, vielleicht vor ihr als Frau … auch keine Achtung hätte … Ich hatte sie so lieb, aber … ich glaube, ich hab ihr das damals nicht gezeigt. Als Kind schon, aber später … nicht mehr so. Ich …“ Er brach ab, konnte vor lauter Tränen nicht mehr sprechen, und begann wieder einmal, sich über die Unterarme zu kratzen.
Ich griff rüber und hielt seine Hände fest, konnte es einfach nicht mitansehen, wie er sich selbst wehtat.
„Tsu, das ist vorbei. Vergangenheit, verstehst du? Du kannst nichts mehr daran ändern. Du hast jetzt Meto und bist so lieb zu ihm, du hast dich geändert und würdest so was wie damals heute nicht mehr tun“, sprach ich und hielt dabei weiter seine Hände fest.
„Aber … ich hab mich … doch erst geändert … als Mama schon tot war …“, widersprach er zitternd und versuchte, seine Hände aus meinem Griff zu befreien.
„Sie sieht dich auch jetzt, Tsuzuku. Da bin ich mir ganz sicher.“ Ich lächelte ihn an, streichelte seine Hände und überlegte mit rasenden Gedanken, wie ich ihm helfen konnte. „Deine Mama sieht genau, dass du jetzt anders bist, und sie ist sicher nicht wütend auf dich oder so. Ihr geht’s bestimmt gut, da wo sie jetzt ist, und …“ Jetzt konnte ich nicht mehr weitersprechen, weil mir selbst die Tränen kamen. Die Vorstellung, dass Tsuzukus Mama aus dem Himmel (oder woher auch immer) hinunterschaute und dem Leben ihres einzigen Sohnes zusah, da konnte man doch nur weinen!
„Ko, hör auf zu weinen, sofort!“ Tsu sah mich halb an, in seinen dunklen Augen blitzte eine Mischung aus Wut auf sich selbst und Hilflosigkeit.
Ich blinzelte, schluckte, fuhr mir vorsichtig mit den Fingern über die Augen, bis mir einfiel, dass ich heute ja gar nicht geschminkt war und die Tränen ruhig richtig wegwischen konnte.
„Wenn’s mir gut geht, kannst du gerne vor mir weinen, das ist okay, aber wenn ich mich … so fühle wie jetzt … dann ertrage ich das nicht … wenn jemand vor mir weint“, erklärte Tsu und kämpfte selbst wieder mit den Tränen.
Ich blinzelte meine weg und lächelte leicht, zum Zeichen, dass ich mich wieder gut fühlte.
„Ist gut“, sagte ich. „Nur vor dir weinen, wenn’s dir gut geht, merk ich mir.“
In dem Moment kam eine Frau mit einem kleinen Mädchen an der Hand an uns vorbei, das Kind sah uns fragend und leicht irritiert an.
„Mama, ist das da ein Mann oder eine Frau?“, fragte die Kleine mit der ehrlichen Unschuld, wie sie nur eine etwa Fünfjährige zustande brachte, und deutete auf mich.
Die Mutter sah mich unauffällig einmal kurz von oben bis unten an und flüsterte ihrer Tochter halblaut zu: „Manche Männer möchten heutzutage gerne wie Frauen aussehen, weißt du?“
Dann gingen die beiden weiter und ich sah zu Tsuzuku, der auf einmal wieder breit grinste und mir dann auf die Schulter klopfte.
„Koichi, du Mädchen!“, lachte er, „Jetzt verwirrst du schon kleine Kinder!“
„Ey!“, protestierte ich. „Wie war das gestern von wegen Männerabend?!“
„Alles gut, Ko“, lächelte er. „Du weißt, ich finde so was lustig.“
Das war die andere, hellere Seite seiner Stimmungsschwankungen. So schnell es ihm abgrundtief schlecht gehen konnte, so schnell war seine Laune auch wieder gut und er lachte wieder.
Wir blieben noch ein bisschen sitzen, bis Tsu sagte, dass er sich wieder einigermaßen stabil fühlte, dann machten wir uns auf den Weg zur Bahnstation, von wo aus Tsuzuku die Stadtbahn nach Hause nahm. Zum Abschied umarmte er mich und flüsterte: „Das kriegst du schon hin, das mit Mikan.“
Ich blieb noch ein wenig in der Innenstadt, aß dort in einem Restaurant zu Mittag und hoffte dabei, dass sich Tsu sich bei sich zu Hause ein bisschen was zu essen machte.
Danach fuhr ich zurück in mein Viertel und lief zu meiner Wohnung, wo ich oben auf der Treppe überrascht stehen blieb, als ich Mikan dort vor meiner Tür sitzen sah. Sie schrieb irgendwas in ihr Handy und sah davon auf, als sie meine Schritte hörte.
„Hey“, sagte sie leise. „Können wir reden?“
„Ja … ja klar“, antwortete ich, zugegebenermaßen ziemlich unsicher, zog meinen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Tür, Mikan folgte mir in die Wohnung, wo wir uns wieder ins Wohnzimmer hinsetzten.
„Koichi, ich hab nachgedacht“, sagte sie, als wir einander gegenüber auf dem Sofa saßen. „Über uns und alles, und über das, was du gesagt hast. Du willst, dass ich dich als vollwertigen Mann ansehe und du … bist in mich … verliebt, hab ich das richtig verstanden?“
Ich nickte, mit klopfendem Herzen.
„Und du bist traurig, weil du einsam bist und dich verkannt fühlst?“
Wieder nickte ich, konnte gar nicht sprechen, mein Herz raste.
Mikan lächelte unsicher, und ich wünschte mir, zu wissen, was sie gerade dachte. Sie war manchmal so undurchschaubar, was mich einerseits faszinierte, auf der anderen Seite aber Situationen wie diese schwieriger machte.
„Ich habe darüber nachgedacht. Du bist mir wirklich wichtig, Koichi, und ich hab dich sehr gern. Ich will nicht, dass du dich einsam fühlst. Und wenn du nicht mehr meine ‚beste Freundin‘ sein willst, dann höre ich auch damit auf, dich wie ‘ne Frau zu behandeln. Du hast ja wirklich Recht, du bist unter der Schminke und den Frauenkleidern ein Mann und ich hab das einfach irgendwann nicht mehr gesehen. Na ja, ich muss sogar zugeben, vor Jahren hab ich mal vermutet, dass du vielleicht doch schwul bist …“ Sie schwieg einen Moment, ihre Wangen leuchteten in einem unübersehbaren Rot und als sie weitersprach, war ihre Stimme ein ganzes Stück leiser. „Es ist einfach so … es gibt so wenige Männer, die so sind wie du. Man ist als Frau nicht dran gewöhnt, dass einer, der aussieht wie du, hetero ist, verstehst du?“
Die letzten Worte taten seltsam weh. Mikan sprach da nicht mehr und nicht weniger als den Grund an dafür, dass ich mich so einsam fühlte. Und auf einmal war da dieser Gedanke in meinem Kopf, dass ich sie davon überzeugen wollte, dass ich eben weder eine halbe Frau, noch schwul war, sondern ein heterosexueller Mann, und dass ich sie, genau sie, wollte. Eine oder zwei Sekunden lang war ich kurz davor, Mikan einfach in meine Arme zu nehmen und zu küssen, ihr zu zeigen, wer ich war und was ich mir wünschte.
Es erschreckte mich ziemlich, wie stark dieser Wunsch war, und wie kurz davor ich war, ihn umzusetzen. Unbewusst starrte ich wieder auf Mikans Brust und erwischte mich erst dabei, als sie es ebenfalls bemerkte.
„Und was … ist bei deinem Nachdenken noch rausgekommen?“, fragte ich mit zitternder Stimme.
Mikan blickte zu Boden, ihre Finger spielten mit den Fransen der auf dem Sofa liegenden Decke, und sie schien nach den richtigen Worten zu suchen.
„Koichi … ich hab dich lieb und das weißt du. Aber … ich weiß nicht, ob’s für ‘ne richtige … Beziehung ausreicht. Ich meine … wir können es versuchen … aber es kann sein, dass … es eben nicht reicht, dass meine Gefühle nicht genug sind.“
Wiederum fing mein Herz an zu rasen. Hatte Mikan gerade gesagt, dass sie es versuchen wollte mit mir?! Dass sie auch an eine Beziehung dachte, wenn auch nicht sicher?! Ja, hatte sie, ich hatte mich nicht verhört.
„Wir versuchen es“, sagte ich, ohne wirklich zu spüren, dass ich das gerade wirklich sagte. Es kam einfach aus meinem Mund, fühlte sich fast schon nicht mehr real an. „Wir versuchen es und wenn es nicht reicht, sind wir eben wieder Freunde.“ Mein Hirn machte sich selbstständig, drehte völlig über, und in meinem Bauch flatterten die Schmetterlinge wild durcheinander.
Mikan lächelte, strahlte mich an. „Du bist der beste, Koichi. Der allerbeste!“
Und dann beugte sie sich vor, legte ihre Hände auf meine Schultern, ihr Gesicht kam meinem immer näher, ich sah, was für schöne, dichte Wimpern sie hatte, und was für reine, glatte Haut. Als ihre Lippen meine berührten, fühlte es sich an, als setzte mein Herz für einen Schlag aus. Mein ganzes Empfinden konzentrierte sich auf meine Lippen und ich verlor für einen Moment die Beherrschung, erwiderte diesen ersten Kuss ein wenig zu sehnsüchtig und stürmisch, umarmte Mikan und zog sie nah an mich, sodass ich ihren aufgeregten Herzschlag spürte.
„Ko!“, quietschte sie überrascht.
Sofort ließ ich sie los, ging auf Abstand, atmete einmal tief ein und aus. „Sorry.“
Aber sie lächelte. „Hast ziemliche Sehnsucht gehabt, hm?“
Ich nickte und konnte nach diesem Kuss nicht anders, als ganz ehrlich zu sein: „Und habe ich noch. Ich will mehr von dir.“
„Wir machen schön langsam, okay?“
„M-hm.“
Sie blieb noch eine Weile bei mir, wir schauten einen Film und tranken Tee zusammen. Mikan saß neben mir auf dem Sofa und lehnte sich an mich, was sich für mich unheimlich gut anfühlte.
Waren wir jetzt also zusammen? Eine Sowas-wie-Liebeserklärung und ein eindeutiger Kuss, bedeutete das, dass wir jetzt auf der Beziehungsebene waren? Ich wusste nicht recht, wie ich das einordnen sollte. Vielleicht war es nach der ganzen Sehnsucht auch einfach noch zu neu. Ich musste mich erst an den Gedanken gewöhnen.
Als Mikan dann wieder ging, küsste sie mich zum Abschied etwas unbeholfen auf den Mund, und wieder reagierte ich ein wenig über, umarmte sie und drückte sie eng an mich. Sie ließ mich machen, aber dann ging sie, rief aber noch ein „Hab dich lieb, Ko!“ durchs Treppenhaus.
Ich sah auf die Uhr. Neunzehn Uhr war eigentlich noch zu früh zum Schlafengehen, aber ich war so müde, dass mir mein Bett ziemlich verlockend erschien. Und so ging ich, nach einem kurzen Abstecher im Bad, jetzt schon schlafen.
Ich zog mich bis auf die Shorts aus, kuschelte mich unter die Bettdecke und horchte kurz in mein Herz, ob das dunkle, kalte Loch noch da war. Doch es war nicht zu spüren, schien wieder verschwunden zu sein. Zu viel wollte ich nicht daran denken, aus Angst, dass es vielleicht zurückkam, und so konzentrierte ich mich auf meine anderen Empfindungen.
Und da war die körperliche Sehnsucht ziemlich vornean. Ohne nachzudenken, begann ich, mich selbst zu streicheln, fuhr mit den Händen über meinen Körper und stellte mir dabei vor, dass es Mikans Hände waren, die mich streichelten und dabei von meiner Brust aus langsam tiefer wanderten. Mich anzufassen und dabei meine Gedanken nicht zügeln zu müssen, tat so unendlich gut und mir huschte ein Lächeln über die Lippen, als sich in meinem Bauch dieses eindeutige Kribbeln ausbreitete und mein verliebtes Herz begann, mein Blut in meine Körpermitte zu pumpen.
Ich zerrte mir im Liegen die Shorts runter und umfasste mein heißes Glied mit der einen Hand, während ich mit der anderen weiter meinen Oberkörper streichelte, mir immer noch ein wenig vorstellend, dass es Mikans Hände wären.
Ihr Name kam mir über die Lippen und ich fragte mich, wie sie wohl nackt aussah, ob ihre Brustwarzen eher hell oder dunkel waren, und ob sie viel Schamhaar hatte. Diese Gedanken fühlten sich umso besser an, wenn ich daran dachte, dass ich das alles irgendwann demnächst sogar erfahren würde. Sie hatte mich geküsst und gesagt, dass sie es mit mir versuchen wollte, bald würde ich sie in meinen Armen halten dürfen.
Mein letztes Mal Sex war so lange her, dass ich mich an das Gefühl davon nicht mehr richtig erinnern konnte, und so war mein Kopfkino lückenhaft und strahlte nicht die Erregung aus, die ich erwartet hatte. Ich merkte recht genau, dass ich allein war, mir nur etwas vorstellte und mir dabei selbst einen runterholte. Und als ich mich dann mit einem kaum verhaltenen Stöhnen in meine Hand ergoss, fühlte sich das gleichzeitig gut und aber auch irgendwie traurig an, einen Moment lang spürte ich meine Sehnsucht überdeutlich, dann fiel sie in sich zusammen und mir sprangen Tränen in die Augen.
Gerade noch so riss ich mich zusammen, stand auf und säuberte meine Hand mit einem Papiertaschentuch, legte mich dann wieder hin, rollte mich zusammen und schlief gottseidank bald ein.
Ich lag, halb ausgezogen, auf dem Bett, blickte hoch an die Decke und wartete auf Meto, der eben von der Arbeit heimgekommen war und jetzt unter der Dusche stand.
Irgendwie … fühlte ich mich seltsam leer. Ich verspürte nicht den geringsten Antrieb, irgendetwas zu tun, konnte mich nicht mal dazu aufraffen, mich ganz bettfertig zu machen. Stattdessen lag ich seit ungefähr einer halben Stunde hier herum und tat ganz einfach nichts.
Diese Leere hatte ein wenig Ähnlichkeit mit meinen leeren Tagen auf der Straße, in der Zeit, als ich Meto noch nicht gekannt hatte. Die Trauer hatte mein Inneres leergefressen, bis nur noch ein Gefühl von völliger Leere übriggeblieben war, als sei ich nur noch eine hohle Hülle gewesen. Dann war Meto in mein Leben getreten, hatte mein Herz erst mit Freundschaft, und dann mit Liebe wieder aufgefüllt und seitdem war dieses Gefühl von Leere eigentlich fast weg gewesen.
Doch jetzt spürte ich die Leere wieder, wie von weitem, als käme sie langsam wieder angeschlichen. Und ich wusste, sie hatte meine Trauer dabei, und meine tiefsten Ängste noch dazu. Ich fühlte mich dem ausgeliefert, so als sei ich festgebunden und konnte nur zusehen, wie es langsam immer näher auf mich zukam. Augenblicklich, bei der Vorstellung, dass es mich wieder leerfressen wollte, sprangen mir Tränen in die Augen und ich begann zu zittern.
In dem Moment kam Meto aus dem Bad zurück, und er sah sofort, dass es mir nicht gut ging. Abgesehen davon, dass er mich einfach zu gut kannte, war es wohl auch offensichtlich, da ich kaum imstande war, meine Gefühle zu verbergen.
„Tsu? Was hast du?“, fragte er, setzte sich auf die Bettkante und sah mich besorgt an.
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. ‚Ich hab Angst, dass die Leere kommt und mich auffrisst‘ klang sicher ziemlich bescheuert. Und so zuckte ich nur mit den Schultern, sagte nichts.
„Kannst es wieder nicht recht sagen, hm?“ Meto streckte die Hand aus und fuhr liebevoll durch meine Haare, strich mir die Stirnhaare aus dem Gesicht und beugte sich dann über mich, um einen sanften Kuss auf meine Stirn zu hauchen. „Kann ich was tun?“
Sofort, als er das fragte, spürte ich den heftigen Wunsch, in seinen Armen zu liegen und nah bei ihm einzuschlafen. Tief zu schlafen, zu vergessen und morgen glücklich wieder aufzuwachen.
„Halt mich“, flüsterte ich. „Halt mich einfach ganz fest.“
Meto lächelte, ging zum Schrank, tauschte den Bademantel gegen Shorts und ein Schlafanzughemd und legte sich dann zu mir.
„Zieh dich aus und dann komm her“, sprach er, immer noch lächelnd.
Langsam erhob ich mich, zog meine Jeans und dem Schmuck aus (das Shirt hatte ich schon vorhin ausgezogen) und legte mich dann wieder neben Meto, der mich sogleich in seine Arme schloss und an sich zog. Ich verspürte, obwohl ich nichts weiter als Shorts trug, überhaupt keine Erregung in diesem Moment, wollte nur gehalten werden, nichts weiter.
Metos Hände streichelten über meinen Rücken, meine Seite, meine Arme, er war so lieb und süß und so warm, deckte mich schließlich zu und küsste wieder meine Stirn. Wenn er mir so nah war, spürte ich die Leere nicht mehr, dann war mein Herz voll von Liebe und Wärme.
Und so schlief ich, eng an seinen Körper geschmiegt, irgendwann ein, versank in Träumen, die sich wie dichte Wolken um mich legten und mich mit sich zogen.
Ich hatte oft mehrere Träume hintereinander, ganz unterschiedliche, gute wie schlechte, zwischen denen ich kurz aufwachte und nur Sekunden später wieder eingeschlafen war.
Die ersten beiden in dieser Nacht waren belanglos, wirr, durcheinander, und wären bestimmt ein Paradies für fantasievolle Traumdeuter gewesen. Die würden jedoch nie davon erfahren, denn bei jedem kurzen Aufwachen vergaß ich fast alles davon sofort wieder.
Aber das, was dann kam, war anders. Keine wirren Bilder und Filme, die sich vermischten und keinen rechten Sinn ergaben, sondern Erinnerungen an mein Leben, ganz deutlich und lebhaft. Und es war die Art von Traum, von dem man selbst dann nicht aufwachte, wenn man erkannte, dass man träumte. Ich war vollkommen darin gefangen.
Zuerst war ich in meiner Schule früher, sah vor mir, wie mein sechzehnjähriges Ich mit der Faust die Fensterscheibe zerschlug, im Streit mit einem meiner Mitschüler, den ich mit dieser Aktion ziemlich erschreckt hatte. Dann ein kurzes Bild, wie ich infolge dieser Sache mit verbundener Hand beim Schulpsychologen saß und dieser mich nach dem Grund für meinen Wutausbruch gefragt hatte. Ich konnte mich nicht mehr recht erinnern, was mein Mitschüler zu mir gesagt hatte, dass ich so ausgerastet war, wusste nur, dass es eine ziemliche Kleinigkeit gewesen war.
„Na, meiner Einschätzung nach klingt das nach ADHS“, waren die Worte des Schulpsychologen und ich hörte sie im Traum ganz deutlich, wie in echt.
Das nächste, was mich in diesem Traum von meiner Vergangenheit wieder einholte, war, wie mein Hund, den ich von meinem zwölften Lebensjahr an gehabt hatte, gestorben war. Da war ich achtzehn gewesen. Ich träumte nur eine kurze Sequenz, sah den toten Körper vor mir und mich selbst, wie ich mich weinend darüber beugte, und dann Mama, wie sie mich in den Arm nahm.
Mama. Als hätte ich es geahnt und damit selbst im Traum heraufbeschworen, war meine nächste geträumte Erinnerung ihr Tod. Ich wusste es sofort, als ich im Traum unsere Küche in der Wohnung betrat und in Erinnerung die von der Operation noch verletzte Haut auf meiner Brust und den damals ganz neuen Fremdkörper unter meiner Haut spürte. Das Implantat, welches ich mir tags zuvor einfach so hatte einsetzen lassen. Ich war damals einfach für zwei Tage verschwunden und dann mit dem Ring unter der Haut wieder aufgetaucht. Hatte mich cool gefühlt und kaum an Mama gedacht, obwohl ich eigentlich gewusst hatte, was sie von derlei Dingen hielt. Es hatte ihr nun einmal nicht gefallen, was ich aus mir machte.
Sie war nach mir in die Küche gekommen, hatte mich gehört und war dann auf mich zu gestürzt.
„Genki! Wo bist du gewesen, verdammt?!“, hatte sie mich angeschrien und mich dann plötzlich umarmt. „Ich hab mir Sorgen gemacht!“
Und dann hatte sie das Implantat bemerkt, beziehungsweise den weißen Verband auf meiner Brust, der unter meinem T-Shirt herausschaute. Sofort hatte sie mich losgelassen.
„Was ist das?! Was hast du schon wieder gemacht?!“
„Ich war in Tokyo“, hatte ich ziemlich cool geantwortet. „Die machen da Implantate.“
Mamas Blick war völlig fassungslos gewesen, und eigentlich hatte ich da schon gewusst, dass es jetzt gereicht hatte, dass ich sie wütend gemacht hatte. Aber ich hatte nicht daran gedacht, es einfach vergessen, dass sie krank war, dass ich sie hätte schonen müssen.
„Wieso musstest du so was machen, Genki?! Reichen dir die Piercings und die Tattoos nicht mehr?! Was soll so ein Ding unter deiner Haut?!“, hatte sie mich angeschrien. „Und auch das mit deiner Zunge, das musste doch nun wirklich nicht sein!! Hab ich dich so erzogen, dass du so was aus dir machst und dir deine Zukunft verbaust?! Nein!!“
Auf einmal war ich furchtbar wütend geworden. Hatte gedacht, was Mama sich eigentlich einbildete, mir Vorschriften zu machen, wo ich doch längst erwachsen war mit zweiundzwanzig Jahren! Und das hatte ich ihr, in meiner Wut und mit meinem unberechenbaren Temperament, laut ins Gesicht gesagt: „Dann schmeiß mich doch raus, wenn dich das so stört! Kann dir doch egal sein, was ich mit meinem Körper mache!! Das geht dich gar nichts an! Ich bin alt genug! Und wenn dir das nicht passt, dann halte dich verdammt nochmal aus meinem Leben raus!!“
Der letzte Satz hallte laut nach, und der ganze Traum schwankte und waberte kurz wie ein Bild, über das jemand Wasser gegossen hatte. Ich spürte ein merkwürdiges Stechen im Körper und fühlte mich wie aufgespalten, da ich wusste, dass ich träumte, und trotzdem alles aus dem Blickwinkel meines zweiundzwanzigjährigen Selbst sah.
Den tief erschrockenen Blick, mit dem Mama mich auf meine wütenden Worte hin angesehen hatte, würde ich, das wusste ich damals sofort, niemals vergessen. Einen Moment lang hatte sie mich einfach nur so angesehen, fassungslos und verletzt. Sofort hatte ich meine Worte bereut, doch da war es schon zu spät: Mama keuchte auf, griff sich ans Herz, und ich, unfähig mich zu bewegen, konnte nur noch daran denken, dass sie ja krank war und meine Worte sie offensichtlich so sehr verletzt hatten, dass sie jetzt einen Anfall bekam. Sie beugte sich, stöhnte vor Schmerzen, ich wollte zu ihr, mich entschuldigen, sie um Verzeihung bitten, sie halten, irgendwas tun, doch stattdessen stand ich nur wie gelähmt da und sah zu, wie sie zusammenbrach.
Erst, als sie schon reglos am Boden gelegen hatte, da hatte ich mich wieder bewegen können. Automatisch, wie reflexgesteuert, lief ich zum Telefon, wählte die Nummer des Notarztes und nannte mit zitternder Stimme Mamas Namen, ihre Krankheit und unsere Adresse.
Dann wurde alles schwarz.
Doch diese Schwärze war jetzt voller schmerzhafter Gedanken und voll von Schuldgefühlen, im Gegensatz zu damals, wo sie sehr leer gewesen war. Quälend leer.
Und ich träumte weiter, in dieser Dunkelheit, hörte immer wieder Mamas letzten Worte, die einfach nicht ihre letzten hätten sein dürfen, und dann meine Worte, die sie umgebracht hatten.
Umgebracht. Es war meine Schuld. Allein meine Schuld.
Wahrscheinlich war ich damals schon gestört gewesen, impulsiv, leicht wütend zu machen, und sogar ja irgendwie selbstverletzend, wenn man sich meinen Körper so ansah mit dem ganzen Zeug. Ich mit meiner kranken Persönlichkeit war schuld an Mamas Tod.
Ich träumte Dunkelheit, da war kein Bild mehr, nur noch Stimmen, die mich anschrien und dann wieder kalt und schmerzhaft flüsterten, dass es meine Schuld war, meine Schuld, meine Schuld …
Es tat einfach nur wahnsinnig weh, meine Seele brannte vor Schmerz, doch ich brachte den Wunsch, dass es einfach nur aufhören sollte, noch nicht übers Herz, da ich Mamas Andenken nicht auch noch zerstören wollte.
Doch als es immer schlimmer wurde, es sich anfühlte, als würde das Messer der Schuld tief in mein Herz gestoßen und darin herumgedreht, da konnte ich nicht mehr, und zum ersten Mal seit über eineinhalb Jahren war er wieder da, der Wunsch, zu sterben, einfach weg zu sein, wo nichts mehr war, nichts mehr wehtat. Und Mama wieder zu sehen.
„Tsuzuku!“
Was war das? Eine leicht raue, leise, sehr besorgt klingende Stimme, eine warme Hand an meiner Schulter. Langsam, sehr langsam, wurden die quälenden Stimmen leiser, die tiefschwarze Dunkelheit löste sich langsam auf, und ich erkannte, dass es Meto war, der mich zu wecken versuchte. Ich blinzelte, öffnete die Augen, und erwartete, dass der Schmerz in meinem Herzen, der sich anfühlte, als würde ein Messer hineingestoßen, verschwand.
Doch das tat er nicht. Sowie ich die Augen öffnete, spürte ich einen heftigen, schmerzhaften Ruck im Herzen, dann war es, als würde es für ein paar Schläge aussetzen. Ich keuchte auf, drückte meine Hand darauf, und langsam drang zu meinem Verstand durch, dass dieser Schmerz echt war, kein Traum mehr, ich war wach.
„Tsu, was hast du?“, fragte Meto, ich hörte Angst in seiner Stimme. „Sag doch was!“
Er war über mich gebeugt, griff über meinen Kopf hinweg nach dem Schalter der Nachttischlampe und machte Licht an.
„Ich hab …“, begann ich zu sprechen, kam jedoch nicht weiter, ein heißer, glühender Schmerz blitzte durch mein Herz, ich presste meine Hände darauf, versuchend, das Brennen irgendwie zu lindern, keuchte wieder.
„Tut dir was weh? Dein Herz wieder?“
Ich nickte zitternd.
Meto rückte etwas näher zu mir, hob die Hand und strich mir die Ponyhaare aus der Stirn. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich klatschnass geschwitzt war, meine Shorts und die Bettdecke klebten an meiner Haut. Und ich spürte Tränen in meinen Augen, und salzige Tränenspuren auf meinem Gesicht.
„Du hast mich geweckt, so unruhig hast du geschlafen. Hast du schlecht geträumt?“, fragte Meto, klang trotz der Angst ganz lieb und geduldig.
Ich nickte wieder. „… Ich hab … von Mama geträumt …“ Und dann: „Wie viel Uhr ist es?“, weil mein Zeitgefühl weg war.
„Halb eins“, antwortete Meto. „Aber ist okay. Du hast mich zwar geweckt, aber mach dir deshalb jetzt bloß keine Vorwürfe, okay?“ Er lächelte leicht, ich spürte seine Hand auf meiner Brust, sie streichelte ganz sanft und zärtlich, berührte die meine, welche ich immer noch verzweifelt auf mein Herz drückte.
Wie aus dem Nichts schoss der nächste heiße Blitz aus Schmerz durch meinen Körper, es fühlte sich an, als würde mein Herz zerreißen. Hatte es sich für Mama so angefühlt, als sie zusammengebrochen war? War das ihr letztes Gefühl gewesen, dieser glühende Schmerz? Und war das jetzt die Strafe für mich? Zerbrach mein Herz wortwörtlich, als gerechte Strafe, weil ich Mama solchen Schmerz bereitet hatte? Jede dieser Fragen tat mir wiederum furchtbar weh.
Ich drückte meine Hand so fest auf mein Herz, dass ich fast fürchtete, mir selbst eine Rippe zu brechen, und als der nächste Schmerz kam, schrie ich auf, mir wurde kurz schwarz vor Augen.
„Meto …“, keuchte ich, halb wahnsinnig vor Schmerz, wusste kaum, was ich tat und sagte. „Mach, dass das aufhört, bitte …!“
Augenblicklich zog er mich an sich, legte seine Hand auf meine, schob sie weg und berührte direkt meine Haut, unter der mein Herz mit jedem Schlag wehtat. Seine Berührung war warm und liebevoll, doch sie verschaffte nicht die sonstige Linderung, zu stark war dieser Schmerz, der mein Herz in heißen Wellen durchflutete und mich immer wieder keuchen und aufschreien ließ.
„Tsu, ich bin gleich wieder bei dir. Ich steh jetzt auf und ruf den Notarzt.“ Meto löste sich von mir, stand auf und lief aus dem Schlafzimmer.
Notarzt. Krankenhaus. Sofort bekam ich Panik. Wenn ich ins Krankenhaus kam und die dort rausfanden, dass ich erstens essgestört und zweitens Borderliner war … Ich hatte furchtbare Angst, dass sie mich dann nicht wieder gehen lassen würden.
„Meto!“, schrie ich und fühlte mich wahnsinnig hilflos, „Komm zurück!“
Er kam zurück, hatte sein Handy in der Hand.
„Ich … will nicht … ins Krankenhaus … und das … weißt du …“, brachte ich heraus, versuchte, mich hinzusetzen, was wiederum wehtat, sodass ich wieder ins Kissen zurücksank.
„Tsuzuku, dir tut dein Herz weh, du schreist vor Schmerzen, und ich soll mir das einfach anschauen? Tut mir leid, aber das kann ich nicht. Das ist doch nicht mehr nur das bisschen Herzschmerz, was du sonst hast. Ich ruf jetzt ‘nen Notarzt und dann lässt du dich zumindest mal untersuchen. Wo doch deine Mama herzkrank war, wer weiß, ob du so was nicht auch hast?“
Augenblicklich, als er es aussprach, Mama erwähnte, brannte in mir die Sicherung durch, hinter der ich den Albtraum hastig eingeschlossen hatte. Die Bilder, Gedanken und Gefühle flossen durch meine verletzte Seele und Tränen aus meinen Augen.
„Das ist … jetzt die Strafe“, sagte ich, noch leise, wurde dann mit den folgenden Worten immer lauter, während es immer weiter wehtat, „Ich hab von Mama geträumt. Davon, wie sie gestorben ist! Es ist meine Schuld, meine ganz allein! Ich hab sie umgebracht, ich bin schuld! Ich muss leiden, ich hab’s verdient! Und wenn ich davon draufgehe!“ Ich spürte geradezu, wie meine Gefühle und Gefühlssplitter zwischen den Worten schwankten, fühlte die Impulse, konnte nichts aufhalten, alles kam so heraus, wie ich es in dem Moment fühlte. Und als der Schmerz wieder durch mein Herz schoss: „Ich … kann nicht mehr …“
Meto kam auf mich zu, setzte sich auf die Bettkante und sah mich wahnsinnig besorgt an, ergriff meine Hand. Ich sah ihn an, meine Tränen verschleierten meine Sicht, meine Hand in seiner zitterte.
„Es tut … so weh … Ich halte diese Schuld nicht aus“, flüsterte ich, vollkommen kraftlos. „Warum lebe ich überhaupt noch?“
„Tsuzuku …“ Metos Finger streichelten über meinen Handrücken. Ich spürte, er hatte keine Worte, um mir zu helfen. Er war ebenso hilflos wie ich.
Das plötzliche Gefühl des glühenden Messers in meinem Herzen war so echt, so stark, dass ich mit zitternder Hand danach tastete, obwohl ich wusste, dass es kein reales Messer war. Ich schrie wieder auf vor Schmerz, wurde beinahe wahnsinnig, dann wurde mir wiederum schwarz vor Augen und ich sank einfach weg, ins dunkle, tiefe Nichts.
…
„Aoba-san?“ Eine fremde Stimme, weiblich, sprach mich mit meinem Nachnamen und der höflichen Form an. „Aoba-san, können Sie mich hören?“
Langsam kehrte mein Bewusstsein zurück, ich blinzelte, öffnete die Augen und blickte in das Gesicht einer etwa dreißig Jahre alten Frau, die sich über mich beugte. Sie trug einen weißen Kittel, hielt eine kleine, silbrige Lampe in der Hand und hatte etwas um den Hals hängen, das ich auf den zweiten Blick als Stethoskop erkannte.
War ich jetzt doch im Krankenhaus?
Nein, zum Glück nicht. Ich sah zur Seite, erkannte den Schrank und das Bett, sah Meto am Fußende auf der Bettkante sitzen. Er hatte gerötete Augen, so als hätte er geweint.
„Er ist wieder wach“, sagte die Frau zu ihm, dann sah sie mich wieder an. „Aoba-san, mein Name ist Matsuyama, ich bin Notärztin. Sie waren eine Weile ohnmächtig, Ihr Freund hat mich gerufen. Wie fühlen Sie sich jetzt?“
Ich versuchte, zu lächeln, bekam jedoch nur ein müdes, halbes Lächeln zustande. Doch Meto sah es und lächelte zurück, ebenso erschöpft, aber sehr erleichtert.
„Ihr Freund hat erzählt, dass Sie starke Schmerzen hatten. Tut Ihnen jetzt etwas weh?“, fragte Dr. Matsuyama.
Ich schüttelte den Kopf. Mir tat auch wirklich nichts mehr weh. Die glühenden Schmerzen waren verschwunden, in dem Moment, als ich ohnmächtig geworden war.
„Können Sie die Schmerzen noch beschreiben?“
„Es hat sich angefühlt, … wie ein Messer, das in meinem Herzen herumgedreht wird. So, als ob es mich zerreißt.“
„Hatten Sie solche starken Schmerzen schon einmal?“
„Nein. Nur ein bisschen, … aber nie so stark.“
Dr. Matsuyama sah mich einen Moment lang nachdenklich an, dann sagte sie: „Ich habe Sie eben untersucht und konnte keine Rhythmusstörungen oder dergleichen feststellen. Ihr Herz schlägt ganz normal und gleichmäßig. Sagen Sie … haben Sie sonst schon mal irgendwelche psychosomatischen Symptome gehabt, also zum Beispiel solche Schmerzen ohne körperliche Ursache?“
Ich nickte, dachte an diese eher leichten Herzschmerzen, die ich bei Angst und Aufregung verspürte.
„Wenn ich … Angst habe, oder so …“, antwortete ich. „Dann tut mein Herz weh. Aber … es war bisher nie so schlimm.“
Ich sah Meto an, er stand auf und kam zu mir, nahm meine Hand.
„Meto“, sagte ich leise und zog ihn zu mir herunter, flüsterte: „Was hast du ihr erzählt?“
„Ich hab nur gesagt, dass wir zusammen sind. Und dass deine Mama herzkrank war“, flüsterte er zurück. „Danach hat sie gefragt, also, ob es bei dir Vorbelastungen gibt.“
Ich lächelte leicht. Solange die Ärztin nicht nach meinem Gewicht und meiner Psyche fragte, war alles gut. Jetzt, wo ich nicht weglaufen konnte, da konnte ich nur hoffen, dass sie gar nicht auf die Idee kam, danach zu fragen.
„Gab es denn einen Auslöser für die Schmerzen jetzt?“, fragte sie.
Die Frage war auch nicht viel besser. Ich wollte nicht mit einer fremden Ärztin über Mama und den Albtraum reden, denn ich kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich dann unweigerlich auch das Thema ‚Borderline‘ berühren würde.
„Ich hatte … ‘nen Albtraum“, antwortete ich dann aber doch, um überhaupt etwas zu sagen.
„Hm …“ Dr. Matsuyama sah mich erst nachdenklich an, dann ernst. „So gravierende Schmerzen sind bei einem ansonsten gesunden Menschen sehr ungewöhnlich.“
Auch, wenn sie es nicht direkt fragte, so stand hinter ihren Worten doch die eindeutige Frage danach, ob ich ihr etwas verschwieg. Einen kurzen Moment lang hätte ich ihr beinahe erzählt, was mit mir nicht stimmte, doch ein einziger Gedanke ans Krankenhaus reichte aus, damit ich wieder wusste, wohin ich auf gar keinen Fall wollte: Dorthin, in die Klinik.
Meto beugte sich zu mir runter und fragte, ganz leise: „Willst du nicht sagen, was los ist?“
„Dann komm ich doch gleich in die Klinik.“
„Ich hab ihr gesagt, dass du auf keinen Fall ins Krankenhaus willst, sonst hätte sie den Krankenwagen gerufen, aber sie hat’s gelassen, weil ich ihr gesagt hab, dass du so große Angst vor Krankenhäusern hast. Ich glaube … du kannst ihr vertrauen.“ So, wie Meto mich ansah, konnte ich ihm nur glauben. Und so entschloss ich mich doch dazu, der Ärztin zumindest ungefähr zu sagen, was los war. Sie hatte wahrscheinlich sowieso gehört, was Meto und ich sprachen.
„Sie müssen keine Angst haben, Aoba-san. Sie können hier zu Hause bleiben“, sagte sie auch gleich und lächelte sogar ein wenig. „Sagen Sie mir nur, was los ist, damit ich Ihnen hier helfen kann.“
Und so beschloss ich, zum ersten Mal einer Ärztin gegenüber über meine Probleme zu sprechen, die Dinge zumindest mal beim Namen zu nennen. Auch, wenn ich mir nicht vorstellen konnte, wie sie mir helfen sollte. Aber mein Untergewicht sah sie ja sowieso.
„Ich … bin psychisch nicht gesund“, begann ich und konnte weder Dr. Matsuyama, noch Meto dabei ansehen, blickte hoch an die Decke. „Ich hab ein Problem mit dem Essen und … sehr wahrscheinlich … ‘ne Borderline-Störung. Und der Albtraum jetzt, der die Schmerzen ausgelöst hat … Ich hab mich an meine Mutter erinnert, sie ist vor ungefähr zweieinhalb Jahren an ‘nem Herzanfall gestorben …“
„Sind Sie denn auf Borderline diagnostiziert worden?“
Ich schüttelte den Kopf. „Aber … ich merk doch, was mit mir nicht stimmt.“
„Na ja, dass Sie zu dünn sind, sehe ich ja. Und mir sind auch Ihre Narben aufgefallen. Aber was so eine Störung angeht, sollten Sie sich noch mal mit einem Psychiater unterhalten.“ Dr. Matsuyama sah mich wieder einen Moment lang nachdenklich an, dann sagte sie: „Nun, so etwas kann natürlich auch psychosomatische Schmerzen mit sich bringen, erst recht, wenn Sie vom Tod Ihrer Mutter traumatisiert sind. Von daher kann das schon sein. Aber Sie sollten das abklären.“
„Ich geh nicht ins Krankenhaus“, sagte ich, klang dabei so schwach, wie ich mich fühlte.
„Sie müssen ja nicht über Nacht dort bleiben. Nur, dass Sie mal ein paar Termine machen.“
Meto streichelte mit dem Daumen über meinen Handrücken und sah mich immer noch mit Sorge in den Augen an. Ich wusste, ich hatte ihm wieder Angst gemacht, große Angst. Er liebte mich, und es tat ihm weh, wenn ich so litt. Zwar hatte ich diese Schmerzen ja wirklich nicht absichtlich gehabt, doch trotzdem hatte ich irgendwie ein schlechtes Gewissen, dass ich ihn damit so in Angst und Sorgen versetzt hatte.
„Meto …“, flüsterte ich, „Tut mir leid …“
„Was tut dir denn jetzt leid?“, fragte er.
„Dass du wieder solche Angst um mich hast und so … Ich will das nicht …“
„Alles gut, Tsuzuku. Mach dir keinen Kopf.“ Er beugte sich runter, strich mir wieder die Haare aus dem Gesicht und küsste meine Stirn. „Ich bin bei dir. Ich liebe dich.“ Die letzten, süßen Worte sagte er so, als wollte er mir das einfach noch mal versichern, damit ich es nur ja nicht vergaß. Er verließ mich nicht. Liebte mich und blieb bei mir.
Ich dachte daran, dass ich immer noch vorhatte, ihm einen Heiratsantrag zu machen. Auch, wenn unser Staat es nicht anerkennen würde, wenn es keine echte Ehe sein würde, so wollte ich ihm doch wenigstens diese eine, besondere Frage stellen und ihm einen Ring an den Finger stecken.
Der Gedanke daran ließ mich lächeln und Meto sah mich fragend an. „Woran denkst du jetzt, mein Schatz?“
Ich hob die Hand, legte sie in seinen Nacken und zog ihn zu mir runter, wobei mir völlig egal war, dass die Ärztin noch da war. Küsste meinen Liebsten auf seine süßen, vollen Lippen und hauchte: „Daran, dass ich dich liebe.“
Dr. Matsuyama räusperte sich leise, stand auf und packte ihre Tasche wieder zusammen.
„Da Sie ja nicht ins Krankenhaus wollen: Kann ich mich darauf verlassen, dass Sie sich melden, wenn die Schmerzen wieder auftreten?“, fragte sie.
Ich löste mich von Meto und versuchte, mich aufzurichten, hatte jedoch keine Kraft und sank wieder ins Kissen zurück.
„Wir … Sie anrufen … wenn wieder schlimmer …“, antwortete mein Freund an meiner Stelle.
Die Ärztin zog eine Visitenkarte aus ihrer Tasche und Meto nahm sie entgegen.
„Das ist die Nummer von meinem Büro in der Klinik.“ Sie lächelte leicht. „Melden Sie sich morgen bei mir, dann kann ich Ihnen auch wegen weiterer Termine weiterhelfen.“
Dann ging sie, Meto brachte sie noch zur Tür und kam dann zu mir zurück. Ich war auf einmal furchtbar müde, konnte kaum noch die Augen offen halten und fühlte mich so komplett kraftlos, dass ich mich fragte, wie ich morgen überhaupt irgendetwas tun sollte.
Meto legte sich nah neben mich und deckte mich ganz liebevoll zu, legte seinen Arm um mich, und ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter. In diesem Moment erschien er mir so viel stärker als ich, wie jemand, der mich hielt und bei dem ich mich anlehnen konnte.
Einerseits wollte ich ihm nicht so viel aufbürden, doch auf der anderen Seite genoss ich es auch sehr, wenn er derjenige war, der auf mich aufpasste. In meiner Zeit auf der Straße war es ja auch so gewesen und da ich mich jetzt ähnlich instabil fühlte wie damals, tat es sehr, sehr gut, Meto bei mir zu haben und zu wissen, dass ich mich auf seine Stärke in diesem Augenblick verlassen konnte.
Und irgendwann, es war wohl gegen zwei, sank ich in einen tiefen, gottseidank traumlosen Schlaf.
Als ich wieder aufwachte, war es hell. Zu hell für mein Gefühl, welches mir sofort sagte, dass ich verschlafen hatte. Ich tastete über Metos Betthälfte, doch da war kein Meto, und so drehte ich mich um und entdeckte einen Zettel auf seinem Kopfkissen.
„Tsuzuku, mein Herz, ich hab dich schlafen lassen. Ich hab im Studio angerufen und gesagt, dass du krank bist. Bin jetzt selber los zum Café. In der Küche steht Frühstück für dich. Mach dir einen schönen Tag, erhol dich gut, und wenn was ist, ruf mich an. Ich liebe dich. Meto.“
Ich stellte mir vor, wie er das wohl gemacht hatte, einfach beim Studio anzurufen und denen da verständlich zu machen, dass ich heute nicht zur Arbeit kommen würde. Er musste sich unheimlich angestrengt haben, ich wusste ja, dass er wegen seiner Sprachprobleme nur sehr ungern mit Fremden telefonierte.
Seine süße Fürsorglichkeit rührte mich und ich stand langsam auf, lief, nur in Shorts, in die Küche und erblickte einen schön gedeckten Tisch mit einem liebevoll angerichteten Frühstück. Eigentlich hatte ich keinen Hunger, aber ich setzte mich trotzdem hin und begann zu essen.
Meto musste heute Morgen extra noch mal einkaufen gewesen sein im Conbini um die Ecke, denn das Essen bestand nicht nur aus dem wenigen, was wir im Kühlschrank gehabt hatten, sondern enthielt auch frische Brötchen und Lachs, es war ein richtiges Restaurantfrühstück.
Ich stand auf und schaute in den Kühlschrank, der gestern Abend noch ziemlich leer gewesen und jetzt für unsere Verhältnisse recht voll war.
„Du bist so süß, Meto …“, murmelte ich in Gedanken an meinen Liebsten und setzte mich wieder, hatte auf einmal richtig Hunger und musste aufpassen, dass ich nicht zu viel aß. Nach einem ganzen Brötchen und einer Tasse Kaffee war ich dann aber auch so satt, als hätte ich zu Mittag gegessen, und hatte das Gefühl, dass das jetzt auch für den Tag reichte.
Nach dem Frühstück ging ich schnell duschen und zog mich dann an, ließ das Schminken ausfallen und zog als Schmuck auch nur meine Uhr an, neben dem Ring, den ich ja Tag und Nacht trug.
Ich setzte mich aufs Bett und überlegte, was ich mit dem Tag heute anfangen sollte.
Ich ging ins Wohnzimmer und stand eine Weile vor dem Regal mit den Büchern, welche, mit Ausnahme von Hitomis beiden Büchern, alle Meto gehörten. Ich hatte früher, in meinem alten Leben, mal ganz gern gelesen, doch mit meinem Absturz völlig die Lust daran und auch meine sämtlichen Bücher verloren, sodass ich jetzt keine mehr besaß.
Zuerst griff ich mir einen von Metos Gay-Romance-Romanen und begann, darin zu lesen, doch die Geschichte nahm mich nicht so recht gefangen und so stellte ich das Buch zurück.
Dabei streifte mein Blick das Borderline-Buch von Hitomi, ich griff danach und nahm es mit dem Gedanken in die Hand, dass ich darin vielleicht eine Erklärung für meinen Schmerzanfall von letzter Nacht finden würde. Ich konnte mich jetzt nur noch bruchstückhaft daran erinnern, aber ich wusste, dass das neu war, dass ich derartig schlimme Herzschmerzen vorher nicht gehabt hatte. Höchstens vielleicht in der Zeit kurz nach Mamas Tod, doch da mir an jene Zeit nahezu jede Erinnerung fehlte, wusste ich es nicht sicher. Ich hatte dieses tiefschwarze Kapitel meines Lebens ganz extrem verdrängt.
Mit dem Buch in der Hand setzte ich mich aufs Sofa und suchte im Inhaltsverzeichnis nach ‚psychosomatische Symptome‘. Ganz am Ende fand sich ein kurzes Kapitel darüber, ich schlug es auf und begann zu lesen. Dort stand, dass solche Symptome zwar nicht direkt zum Krankheitsbild gehörten, aber durchaus vorkommen konnten. Es wurde der Fall einer Frau beschrieben, deren Geschichte ähnlich wie meine klang, und abschließend stand da, dass man diese Anzeichen sicherheitshalber immer von einem auf Psychosomatik spezialisierten Arzt untersuchen lassen sollte.
Ich behielt das Buch in der Hand und las noch ein wenig darin, hatte dabei das Gefühl, mich selbst besser zu verstehen und wieder zu finden, fühlte mich verstanden und irgendwie so … als ob es auch in irgendeiner Weise okay war, wie ich war. Ich war, wie ich nun mal war, und fühlte bei diesem Gedanken beinahe so etwas wie … Selbstbewusstsein.
Es war, wie Hitomi gesagt hatte: Die Störung war ein Teil von uns, und ich musste lernen, damit zu leben und zurechtzukommen. Irgendwie.
Schließlich nahm ich auch noch den schwarzen Gedichtband aus dem Regal und begann, diesen von Anfang an zu lesen. Irgendwann holte ich mir von Metos Schreibzeug einen Stift und ein leeres Heft und begann, meine Gedanken und Gefühle zu den Gedichten und Texten aufzuschreiben. Zuerst schrieb ich einfach nur auf, was ich dachte und empfand, doch dann begann ich, die Worte in ähnliche Gedichte zu fassen, wie ich sie in dem Buch fand. So etwas zu schreiben war mir nicht neu, doch das letzte Mal, dass ich meine Gefühle zu Papier gebracht hatte, war so lange her, dass ich erst wieder hineinfinden musste.
Mein Herz zitterte mit jedem Wort, ich spürte, welche Kraft die Schriftzeichen hatten, und wie es mich lockte, das Dunkel. Es zog mich an und gleichzeitig hatte ich Angst davor. Und so wagte ich nicht, meine Gedanken ganz direkt aufzuschreiben, umschrieb manches so metaphorisch, dass nur ich es noch erkennen konnte, und einiges schrieb ich auch ganz einfach auf Englisch, damit es nicht mehr diese ganz direkte Wirkung auf mich hatte.
Ich las und schrieb eine ganze Weile lang, und als ich keine Kraft mehr dafür hatte, war es schon fast Mittag. Hunger hatte ich keinen, aber ich wollte raus, nach draußen, in die Stadt oder zum Strand, nur nicht länger hier drinnen herumsitzen.
Auf Metos Schreibtisch fand ich die Visitenkarte von Frau Dr. Matsuyama und dachte darüber nach, ob ich ins Krankenhaus gehen und mit ihr sprechen sollte, und danach vielleicht noch in die Stadt.
Diese Entscheidung, zu der Ärztin zu gehen, war schwer, weil sie auch bedeutete, dass ich mit einer vom Fach, die sich auskannte und vielleicht sogar richtige Diagnosen stellen konnte, über meine Probleme sprach. Bis jetzt hatte ich mir sozusagen ein wenig aussuchen können, wem ich davon erzählte, und es war immer noch ein wenig mein Geheimnis gewesen. Wollte ich, dass irgendwo in einer Akte über mich dieses Wort ‚Borderline‘ stand und dass es dann jeder Arzt lesen konnte?
Nein, eigentlich wollte ich das nicht. Aber ich wusste, irgendwas musste infolge der letzten Nacht geschehen, das war einfach zu schlimm gewesen, um folgenlos zu bleiben.
Ich konnte mich jetzt nicht entscheiden, wollte aber in jedem Fall raus, also beschloss ich, das ganz spontan zu entscheiden, falls ich auf meinem Weg durch die Stadt an der Klinik vorbeikam.
Und so nahm ich erst mal einfach meine Tasche und ging raus, nahm die Bahn in die Innenstadt und lief dort ein wenig herum.
Als ich dann am Krankenhaus vorbeikam, entschied ich mich doch dagegen, hineinzugehen, und ging in die entgegengesetzte Richtung weiter. Ich hatte einfach nicht den Mut, mit der Ärztin über meine Probleme zu sprechen. Vielleicht sollte ich vorher erst noch mit Meto und mit Hitomi darüber reden.
Ich ging einfach ziellos weiter durch die Straßen und irgendwann fand ich mich in der abseitigen Gegend wieder, wo sich der Sexshop befand, in dem ich letztens mit Meto gewesen war. Und weil mir ein wenig langweilig war und mich dieser Ort außerdem reizte, lief ich nun hier herum, obwohl um diese Zeit noch nicht wirklich was los war. Ich schaute in die Schaufenster, in manchen saßen schöne Mädchen, in anderen wurden alle möglichen Sexspielzeuge und Porno-DVDs ausgestellt.
Eines der Mädchen lächelte mir einladend zu, ich sah sie an und erwartete irgendwie, dass mich ihr nur mit einem knappen Spitzenkleid bekleideter Körper ansprach. Doch ich fühlte bei ihrem Anblick so gut wie nichts außer einer blassen Erinnerung an früher, der jedoch jegliche Erregung fehlte. Kein Interesse, sie zu berühren, kein Gefühl von Lust. Als ich dann jedoch kurz an Meto dachte, daran, wie es sich anfühlte, wenn er nackt und mit verbundenen Augen unter mir lag, da war es wieder da, das Kribbeln im Bauch.
Machte mich ein männlicher Körper wirklich mehr an als ein weiblicher, obwohl ich doch früher eindeutig Frauen gemocht hatte? Oder war es nur Meto, den ich eben liebte und dessen Körper mich darum erregte? Bisher hatte ich mir um diesen Unterschied irgendwie kaum Gedanken gemacht. Meine Gefühle für Meto waren einfach so stark, dass ich mir seitdem nie die Frage gestellt hatte, wie ich denn nun eigentlich orientiert war.
Aber jetzt war die Frage in meinem Kopf und ich hatte das Gefühl, dass ich dem nachgehen musste. Ich hatte ja Zeit und war schon am richtigen Ort. Und so ging ich an dem Fenster mit den Mädchen vorbei weiter, erblickte am Ende der Straße einen Laden, der im Gegensatz zu den umliegenden Etablissements nicht nach Hetero aussah.
Über dem Eingang leuchtete ein rot-pinkfarbenes Neonschild mit der Aufschrift ‚Love has no gender‘ und als ich näher kam, erkannte ich einschlägige Film-DVDs und andere Gegenstände im Schaufenster. Das typische rote Licht, das hinter den Fenstern leuchtete, zeigte an, dass schon geöffnet war, und kurzentschlossen ging ich auf die Tür zu und öffnete diese, wobei sie eine leise Glocke klingeln ließ. Es schien sich um eine Mischung aus Sexshop, Kino und Club zu handeln, aus einem Raum weiter hinten kam jedenfalls leise Musik und Gläserklappern, und auf der anderen Seite erkannte ich ein paar solcher Kinokabinen. Der erste Raum sah ähnlich aus wie der andere Sexshop, lauter Vitrinen und Regale mit Sachen drin.
„Hallo“, hörte ich eine weibliche Stimme von irgendwoher. „Schau dich ruhig um, ich bin gleich wieder da.“
Ich wusste ja gar nicht so recht, was genau ich wollte. Mich nur umschauen? Einen Film ansehen? Irgendwas kaufen? Was ich wusste, war, dass ich neugierig war und wissen wollte, wie nah ich dieser Szene und Lebensweise stand. Ich hatte nicht das Gefühl, wirklich schwul oder bisexuell zu sein, aber hetero war ich ja wohl auch nicht mehr. Ich liebte Meto über alles, und auch seinen Körper, doch ich hatte wie gesagt nicht das Gefühl, allgemein auf Männer zu stehen.
Weil ich nicht einfach nur herumstehen wollte, sah ich mich dann doch in dem Ladenraum um. Neben allen möglichen üblichen und unüblichen Sextoys gab es eine große Anzahl an Filmen und auch ein kleines Regal voll einschlägiger Manga und Bücher, welche mich in diesem Moment am meisten interessierten, weil Meto auch solche besaß.
Ich nahm einen der Manga aus dem Regal und schaute hinein, das Heft war nicht in Folie eingeschweißt und so konnte ich einfach so ein wenig darin herumblättern. Es war keiner dieser leichten Boyslove-Manga für junge Mädchen, sondern ein in einem ganz realistischen Stil gezeichnetes Werk aus der schwulen Szene, welches eine Abgrenzung von diesen Mädchen-Manga ganz deutlich machte.
Da die Verkäuferin sich nicht blicken ließ, nahm ich den Manga einfach mal mit in eine der Kabinen, um ungestört darin lesen zu können. Zuerst las ich etwas von der Geschichte, dann blätterte ich vor bis zur ersten Sexszene und sah mir diese genau an. Ich wollte wissen, ob es mich anmachte, Bilder von zwei Männern beim Sex zu sehen.
Ja, musste ich nach einer Weile vor mir selbst zugeben, diese Bilder hatten was. Obwohl die beiden Männer in der Geschichte nur wenig Ähnlichkeit mit Meto und mir hatten, erkannte ich uns doch irgendwo darin wieder, und diese Gedanken wirkten durchaus erregend auf mich.
Aber wenn ich mir die Bilder ohne den Gedanken an mein eigenes Sexleben anschaute, verlor sich diese erregende Wirkung fast völlig, und ich spürte recht genau, wie es sich bei mir damit verhielt: An anderen Männern als Meto hatte ich kein sexuelles Interesse. Ich begehrte nur ihn. Und da ich nun mal irgendwann das Interesse an Frauen verloren hatte, war ich jetzt weder hetero-, noch wirklich homosexuell. Es fühlte sich seltsam an, undefiniert und ein wenig verwirrend, dass ich anscheinend zwischen den Orientierungen stand, und ich spürte, wie abhängig ich von Meto war, weil es für mich nur noch ihn gab.
Ich stand wieder auf und brachte den Manga ins Regal zurück. In dem Moment kam die Verkäuferin um die Ecke, ein junges Mädchen, wahrscheinlich gerade erst volljährig, und fragte: „Kann ich helfen?“
Zuerst tat ich so, als schaute ich mir die Buchrücken der Werke im Regal weiter an, während ich überlegte, ob ich danach fragen sollte, ob es hier auch Bücher gab, deren Protagonisten in einer ähnlichen Lage und Orientierung waren wie ich. Ich wusste ja nicht, ob und in welcher Form es auch so etwas gab, aber wenn ja, dann wollte ich gern etwas davon lesen.
„Ähm … ja“, begann ich und tat nachdenklich, „Ich suche … eine bestimmte Art von Geschichte. Ich weiß aber nicht, ob es so was überhaupt gibt, ich kenne mich da nicht aus.“
„Beschreib es einfach mal, dann kann ich schauen, ob wir was in der Richtung da haben“, sagte die Verkäuferin und lächelte. Aus irgendeinem Grund duzte sie mich, vielleicht war das hier so üblich, also ging ich darauf ein und benutzte ebenfalls die weniger höfliche Form.
„Also, stell dir vor … Ein Mann, der früher nur Frauen mochte, hat einen besten Freund, den er wahnsinnig gern hat, und nach einer Weile verliebt er sich in ihn. Er verliert jegliches Interesse an Frauen, interessiert sich aber sexuell auch nicht für andere Männer, sondern nur für seinen Freund, der diese Liebe erwidert. Gibt es so eine Geschichte?“
„Hmm… lass mich mal nachdenken.“ Sie kniete sich vor das Regal und suchte bei den weiter unten einsortierten Büchern, zog schließlich eines heraus, ein dickes, vielversprechend aussehendes, und hielt es mir so hin, dass ich den Text auf der Rückseite lesen konnte. „Da, das könnte dir gefallen.“
„Darf ich eben ein bisschen darin lesen?“
„Natürlich.“ Sie verschwand wieder zwischen den Vitrinen und ließ mich mit dem Buch alleine.
Ich zog mich wieder in die eine Kabine zurück und begann zu lesen. Von der ersten Seite an gefiel mir der Schreibstil, und die Geschichte hatte wirklich kleine Ähnlichkeiten mit meinem Leben, zumindest so weit, dass ich mich bald mit dem Ich-Erzähler der Geschichte identifizieren konnte. In dem Buch, das ich vorhin zu Hause in der Hand gehabt hatte, war es um ganz andere Dinge gegangen, dieses hier passte besser für mich.
Ich las das erste Kapitel und blätterte dann noch ein wenig weiter, insgeheim hoffend, dass ich so auf eine Sexszene stieß. Ich fand sogar recht bald eine, die sich über mehrere Seiten hinzog und in einer fesselnden, angenehm erotischen und mich sehr ansprechenden Wortwahl geschrieben war. Was da beschrieben wurde, war vor allem kein schneller One-Night-Stand oder dergleichen, sondern ein Liebesakt zwischen zwei Menschen, die sich wahnsinnig nahestanden und liebten, genau so, wie es bei Meto und mir eben auch war.
Mit einem Unterschied: Der Ich-Erzähler in der Geschichte war in diesem Akt der ‚Bottom‘, der unten lag und sich nehmen ließ. Durch den sehr eingängigen und deutlichen Schreibstil bekam ich eine recht genaue Vorstellung davon, wie das war, und spürte sofort meine eigene Neugierde darauf.
Ich wollte nicht nur der Gleichberechtigung halber mit Meto tauschen, ich wollte es auch, weil ich wissen wollte, wie es sich anfühlte. Ich spürte, wie es mich reizte und lockte, wie ein Geheimnis, das mir die meiste Zeit meines Lebens über vollkommen fremd gewesen war. Ich hatte ja in meinem Leben schon einige sexuelle Praktiken und dergleichen ausprobiert, aber diese eine war mir, als ich mich noch für hetero gehalten hatte, ja gar nicht in den Sinn gekommen. Jetzt, wo ich die Möglichkeit hatte, wollte ich es auch tun. Ganz zu schweigen davon, dass ich es für Metos und meine Beziehung wichtig fand, dass er auch mal zum Zuge kam.
Ich verschlang die Beschreibung des Aktes in dem Buch geradezu, las sie sogar zweimal und spürte, wie es mich fesselte, faszinierte und geil machte. Danach klappte ich das Buch zu, legte es beiseite und schloss die Kabine von innen ab, entdeckte dabei neben der Sitzbank eine Box Taschentücher, die ganz sicher nur für einen bestimmten Zweck hier stand.
Sollte ich? Hier und jetzt? Ich spürte, wie sehr mich das Lesen dieser Szene erregt hatte, und wollte so nicht raus gehen, wo das sicher aufgefallen wäre. Kurz dachte ich an meine Zeit auf der Straße, wo ich mir manchmal nachts, wenn alle schliefen, und ich jenen körperlichen Druck verspürte, möglichst leise einen runtergeholt hatte.
Ich kontrollierte noch einmal, ob die Tür gut verschlossen war, dann setzte ich mich wieder, öffnete meine Hose und schob meine Hand hinein. Es ging schnell, die Aufregung aufgrund der fremden Umgebung erregte mich, und ich dachte an Meto, stellte mir seinen nackten Körper vor und dass es seine Hand war, nicht meine, die mein hartes Glied berührte. Ich kam mit einem halb unterdrückten Keuchen, blieb danach einen Moment einfach sitzen und nahm mir schließlich welche von den Taschentüchern, säuberte meine Hand und warf die benutzen Tücher in den daneben stehenden Mülleimer. Dann schloss ich meine Hose wieder, öffnete ich die Tür, nahm das Buch und meine Tasche mit und suchte nach der Kasse, um das Buch zu kaufen.
Als ich den Laden mit dem Buch wieder verließ, fiel draußen ein leichter Nieselregen. Meine leichte Jacke hatte keine Kapuze und einen Schirm hatte ich natürlich auch nicht, also beeilte ich mich, zur nächsten Bahnstation zu kommen und mich dort unterzustellen.
Von dort nahm ich dann die Bahn zurück nach Hause. Während der Fahrt wurde der Regen draußen immer heftiger, auf dem Weg von unserer Bahnstation zurück nach Hause wurde ich klatschnass und spürte, wie mich das gefährlich frustrierte. Schlechtes Wetter war für meine Stimmung schon oft Grund genug für einen Zusammenbruch gewesen, und ich musste wirklich aufpassen, damit die Frustration mich nicht abstürzen ließ.
Als ich die Haustür öffnete, war ich nass bis auf die Haut und gefährlich nah an meiner inneren emotionalen Grenze. Ich dachte angestrengt an eine heiße Dusche und kämpfte mich die Treppen hoch, mein Herz klopfte schneller und es stach ein wenig. Ich öffnete die Wohnungstür und zerrte mir die nassen Schuhe von den Füßen.
Dabei bemerkte ich einen Brief auf dem Boden, der durch den Briefschlitz in der Tür hereingeworfen worden war. Ich hob den Umschlag auf und nahm ihn mit in die Küche, wo ich ihn erst mal auf den Tisch legte und mich bis auf die Unterwäsche auszog. Dann zündete ich mir eine Zigarette an, öffnete das Fenster und dann den Brief, las diesen, während ich rauchte und draußen der Regen rauschte.
Es war der Brief mit den Ergebnissen der Blutuntersuchung, die ich bei Dr. Ishida hatte machen lassen. Er war direkt nur an mich adressiert und kam von einem Labor, das im Auftrag des Arztes mein Blut untersucht hatte. Ich verstand nicht viel von dem medizinischen Drumherum und überflog die Tabelle mit den verschiedenen Werten nur, denn darunter musste ja irgendwo stehen, ob ich nun irgendeine Krankheit hatte oder nicht.
„… liegt die Wahrscheinlichkeit einer bekannten Geschlechtskrankheit oder von anderen getesteten Krankheiten bei Ihnen augenblicklich bei unter 1 Prozent …“, stand da. Und dass ich mich bei jedem weiteren Verdacht wieder untersuchen lassen sollte, um weitere Krankheiten auszuschließen.
Ich atmete erleichtert aus. Obwohl ich mir nicht allzu viele Sorgen und Gedanken darum gemacht hatte, war die Gewissheit, dass ich zumindest in dem Bereich keine körperlichen Krankheiten hatte, jetzt doch sehr erleichternd. Ich las die Tabelle noch einmal, versuchte, sie zu verstehen und zu erkennen, ob das Ergebnis auch Herzkrankheiten ausschloss. Doch da ich von derlei medizinischen Fachbegriffen keine Ahnung hatte, wurde ich nicht recht schlau daraus.
Dieser Anfall, oder was das auch gewesen war, von letzter Nacht, gab mir weit mehr zu denken als irgendwelche Geschlechtskrankheiten. Dr. Matsuyama hatte zwar gesagt, dass sie zumindest in dem Moment keine körperliche Ursache hatte feststellen können, doch das beruhigte mich kaum. Schließlich waren meine Schmerzen zuvor nie so extrem gewesen, ich war bisher nie davon ohnmächtig geworden.
Jetzt konnte ich mich auch wieder genauer daran erinnern und versuchte, selbst zu verstehen, wie es dazu gekommen war und woran es liegen könnte. Es hatte mit meinem Albtraum zu tun gehabt, mit der Erinnerung an mein tiefstes Trauma, da war ich mir ziemlich sicher. Aber konnte ein Albtraum wirklich ganz allein solche schlimmen körperlichen Schmerzen auslösen?
Einen Moment lang dachte ich darüber nach, mich wieder anzuziehen und doch noch zu Dr. Matsuyama zu gehen, aber ein Blick aus dem Fenster nach draußen, wo es immer noch in Strömen regnete, reichte aus, damit ich es mir doch wieder anders überlegte.
Aber anrufen konnte ich ja. Damit die Ärztin zumindest wusste, dass es mir gut ging. Ich drückte meine Zigarette aus und schloss das Fenster, dann ging ich ins Wohnzimmer und suchte die Visitenkarte raus, nahm mein Handy und wählte die Nummer auf der Karte.
Es dauerte ein wenig, bis die Ärztin abnahm und sich mit ihrem Namen meldete.
„Aoba hier“, meldete ich mich. „Ich wollte nur sagen, mir geht’s gut. Ich wollte auch zu Ihnen kommen, aber … wegen dem Regen …“
„Sind Sie heute zu Hause geblieben?“
„Ja. Ich hab total verschlafen und dachte auch, ich ruhe mich mal besser aus.“
„Aoba-san, ich habe über ihre Symptome noch einmal nachgedacht. Und ich denke, Sie sollten sich in nächster Zeit sicherheitshalber doch untersuchen lassen, einfach, um eine körperliche Ursache der Schmerzen auszuschließen. Ansonsten … wegen Ihrer psychischen Probleme und so weiter … da können Sie erst einmal auch zu mir kommen. Sie müssen auch bestimmt nicht gleich über Nacht in der Klinik bleiben.“
„Danke.“
„Ich sage Ihnen einfach mal, wann ich noch Termine frei habe, dann können Sie zu mir kommen und wir reden über alles“, sagte sie und nannte mir dann Zeiten, wo ich zum Reden und für Untersuchungen zu ihr kommen konnte. Es war auch ein Termin für morgen Nachmittag dabei, nach meiner Arbeitszeit, und den schrieb ich mir auf, sagte, dass ich dann zu ihr ins Krankenhaus kam.
„Passen Sie gut auf sich auf“, sagte Dr. Matsuyama zum Schluss. „Und wenn es Ihnen nicht gut geht, melden Sie sich bitte.“
„Mach ich“, antwortete ich, wusste aber nicht, ob ich es wirklich tun würde.
Ich spürte, irgendwas in mir war durch den Regen und die Erinnerung an den Albtraum aus dem Gleichgewicht geraten. Und weil ich jetzt nichts mit mir anzufangen wusste, ging ich ins Schlafzimmer und legte mich aufs Bett. Eigentlich hatte ich ja duschen wollen, aber auf einmal fehlte mir die Lust dazu und ich blieb einfach eine Weile so auf dem Bett liegen, in Unterwäsche und mit vom Regen nassen Haaren. Wieder diese Leere, wie gestern Abend.
Mir fiel ein, dass ich seit heute Morgen nichts mehr gegessen hatte und es längst Nachmittag war, aber ich konnte mir nicht vorstellen, jetzt etwas zu mir zu nehmen. Ich hatte das Gefühl, als ob mir von jedem kleinen Bissen übel werden würde.
Auf einmal fühlte ich mich entsetzlich einsam, einfach so, ohne ersichtlichen Grund. Ich starrte hoch an die weiße Decke und stellte mir vor, sie schwarz zu färben. Den ganzen Raum rot und schwarz, so wie das Bett.
Ich drehte mich auf die Seite, starrte nun an die Wand, zog die Knie hoch und weinte einfach, ohne recht zu wissen, warum. Wünschte mir, dass Meto da war und mich in seine Arme schloss, und hatte gleichzeitig irgendwie Schuldgefühle, weil ich so abhängig von ihm war. Einerseits wollte ich ihn anrufen, einfach um seine Stimme zu hören, doch auf der anderen Seite fürchtete ich, dass er sich dann wieder Sorgen um mich machte und dass ich ihm zur Last fiel.
‚Borderline‘, flüsterte es in meinem Kopf, immer wieder.
Ich erinnerte mich an meine rasende Eifersucht, als Meto noch mit MiA zusammen gewesen war und es mich unheimlich wütend gemacht hatte, die beiden zusammen zu sehen. An meine Angst davor, dass er mich wegen MiA, der so viel gesünder und umgänglicher war als ich, verlassen könnte. Die Erinnerung an diese Angst hatte ich bisher verdrängt, doch jetzt flammte sie wieder auf, brannte wie Glut auf meinem Herzen, das sofort wieder wehtat.
Ich liebte Meto wahnsinnig und je mehr ich ihn liebte, umso größer wurde meine Angst, dass er mich allein ließ. Mich mit meinen vielen Fehlern und einer solchen Störung. Wie machte er das, mich so zu lieben? Warum begehrte er gerade mich? Warum hatte er sich für mich entschieden und nicht für MiA? Was hatte ich denn an mir, dass er mich mehr liebte? Ich sah es nicht.
Weinend vergrub ich mein Gesicht im Kopfkissen, mein ganzer Körper zitterte und meine Sehnsucht nach Meto wurde immer größer. Ich griff nach meinem Handy, das auf dem Nachttisch lag, und schaute auf den Bildschirm, wo ich ein Foto von uns beiden als Hintergrund eingestellt hatte. Das Foto, auf dem ich ihn küsste. Er sah so lieb und glücklich aus. Und ich musste noch mehr weinen, weil ich mir gerade einfach nicht vorstellen konnte, wie er an meiner Seite so glücklich sein konnte.
Der Wunsch, Metos Stimme zu hören, wurde so übermächtig stark, dass ich schließlich doch seine Nummer raussuchte und ihn anrief. Es dauerte einen Moment, bis er abnahm.
„… Tsu?“, fragte er sofort, „Alles okay?“
„Ich … wollte deine Stimme … hören …“ Meine Stimme klang deutlich tränenerstickt und natürlich bemerkte er das.
„Hey, was hast du denn?“
„Ich … weiß nicht … Mir geht’s einfach … nicht gut …“
„Einfach so?“, fragte er. „Oder ist irgendwas passiert?“
„Ich bin vorhin in den Regen gekommen“, antwortete ich, während in meinem Kopf weiter diese schmerzhaften Fragen nach dem Warum von Metos Liebe zu mir herumschwirrten. Ich wusste, es verletzte ihn, wenn ich diese Fragen aussprach, doch ich konnte nicht anders: „Meto? Warum liebst du mich eigentlich?“
Er antwortete nicht gleich und ich wusste, jetzt machte er sich wieder große Sorgen um mich.
„Tsuzuku, was ist denn das wieder für eine Frage? Ich liebe dich, weil ich dich liebe, da gibt’s kein Weil und kein Warum. Höchstens, dass du für mich der liebste und begehrenswerteste Mensch auf der Welt bist.“ Seine Stimme klang leise und ein wenig rau, wahrscheinlich, weil er bei der Arbeit ja eigentlich nicht sprach. „Ich liebe dich, hörst du?“
Ich wollte erklären, warum ich so etwas fragte, doch er ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen.
„Tsu, ich weiß ja, warum du solche Fragen stellst. Aber ich kann’s dir nur immer wieder sagen, dass du alles für mich bist und dass ich dich niemals verlassen werde. Ich bleibe bei dir, ich weiß doch, wie sehr du mich brauchst. Ich hab jetzt noch zweieinhalb Stunden zu arbeiten, dann bin ich wieder bei dir. Bis dahin halte bitte durch und tu dir nicht weh, ja?“
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Denn der Gedanke, mich zu verletzen, war so präsent, dass ich kaum dagegen ankam. Es erschien mir als einzige erreichbare Möglichkeit, meinen seelischen Schmerz zu betäuben. Ihn mit körperlichen Schmerzen zu überdecken, welche ich mir selbst zufügte.
„Tsuzuku?“, sprach mich Meto an, als ich nicht antwortete. „Bleib stark, ja? Ich glaub an dich.“
„M-hm …“, machte ich und dachte mit aller Kraft an sein Gesicht, wenn er lachte. Stellte mir vor, dass er mich nachher, wenn er wieder da war, umarmte und küsste und mir wieder Kraft schenkte, weiter zu machen, weiter zu kämpfen.
„Bis nachher, mein Herz.“ Er machte noch ein leises Kussgeräusch zum Schluss und legte dann auf.
Ich wusste, wenn ich hier so liegen blieb, wurde es nicht besser. Und so stand ich auf, zog mich wieder an und setzte mich ins Wohnzimmer vor die Spielekonsole, um mich zu beschäftigen und abzulenken. Und tatsächlich gelang es mir, mich da hinein zu vertiefen und an nichts anderes mehr zu denken. Einmal in die Spielwelt abgetaucht, verging die Zeit wie im Flug und irgendwann hörte ich dann, wie Meto die Wohnungstür aufschloss und seine Schuhe auszog.
„Tsu, ich bin wieder da.“
Ich stoppte das Spiel, stand auf und ging zu ihm in den Flur, wo er mich sofort umarmte.
„Wie geht’s dir, mein Herz?“, fragte er und küsste mich. Seine süßen, weichen Lippen vertrieben sofort jedes Gefühl von Einsamkeit und ich fühlte mich wieder sicher.
„Geht wieder“, flüsterte ich. „Wenn du bei mir bist …“
„Na, siehst du.“ Meto lächelte. „Und? Was machen wir heute Abend noch? Ich bin noch nicht wirklich müde, und du?“
Nein, müde war ich auch noch nicht. „Such du dir was aus.“
Meto sah mich einen Moment lang nachdenklich und prüfend an, dann fragte er: „Wollen wir vielleicht mal wieder ausgehen, in ‘nen Club, zum Tanzen? Oder ist dir heute nicht nach Menschenmengen?“
Ich fühlte in mich hinein, ob ein Clubbesuch gerade infrage kam oder nicht, und kam zu dem Schluss, dass ich es zumindest versuchen wollte. Tanzen gehen, ein bisschen was trinken, damit der Tag noch ein schönes Ende hatte.
„Das geht schon“, sagte ich und lächelte. „Ich würde gerne mal wieder mit dir tanzen gehen.“
Meto hob die Hand und streichelte sanft meine Wange. „Dann machen wir uns erst schön und gehen dann in denselben Club wie letztes Mal?“
Ich nickte. Dachte an meine schönsten Klamotten und fühlte schon einen Anflug von Vorfreude.
Wir gingen zusammen ins Schlafzimmer und Meto kramte sein schönstes Lolitakleid raus, das gepunktete, dazu die hellblaue Lockenperücke mit Haarschleife, und rote Lackschuhe.
„Das willst du anziehen?“, fragte ich.
„Ich dachte, dann fällt es nicht auf, dass wir beide Männer sind, und du fühlst dich von den Leuten deshalb nicht so angestarrt“, erklärte Meto. „Und außerdem hatte ich dieses Kleid lange nicht an.“
Ich hatte eigentlich vorgehabt, meine Lacksachen anzuziehen, aber die passten irgendwie nicht so recht zu Metos Kleid, und so wusste ich jetzt außer dem Netzhemd, das ich unterziehen wollte, nicht, was ich anziehen sollte.
Mein Liebster griff rüber in meine Hälfte unseres Kleiderschrankes und zog mein einziges helles Hemd zwischen meinen Shirts raus. Es war ein ganz leichtes Hemd aus hell bedrucktem Stoff, ein Geschenk von Metos Mama zu meinem Geburtstag.
Dazu hatte ich nur eine passende Hose, eine schwarze aus einem schönen, samtigen Stoff, und ein langes Jackett aus demselben Stoff, beides hatte ich im vergangenen Winter gekauft und dann bei Meto zuhause aufbewahrt. Ebenso wie ein Paar schöne rote Schuhe, die ich bisher erst einmal getragen hatte und die auch dazu passten.
„Zieh doch das alles zusammen an“, sagte Meto. „Das sieht gut aus.“
Er lächelte wieder und hielt mir das Hemd hin. Ich zog mich bis auf die Shorts aus, stieg in die Anzughose und zog dann erst eins meiner Netzhemden, dann das helle Hemd und schließlich die Jacke an. Wahrscheinlich würde es mir nachher warm werden, aber ich wollte lieber eine Jacke dabei haben, als auf dem Hin- und Rückweg zu frieren.
Als wir dann beide angezogen zusammen im Bad vor dem Spiegel standen, hatte Meto die Idee, dass er mich zuerst schminkte und dann ich ihn. Dass er mich schminkte, war mir ja vertraut, aber umgekehrt hatten wir’s noch nie gemacht, dass ich ihn im Gegenzug auch schön machte.
Zuerst kamen sowieso die Haare dran, wobei ich bei mir mit dem ganzen Haarspray mehr zu tun hatte als Meto, der ja nur die Perücke aufsetzen und diese einmal ordnen musste.
Ich setzte meine hellblauen Kontaktlinsen ein, Meto seine üblichen Scleras, eine schwarz und eine weiß, und dann fing er an, mich zu schminken. Er wusste ja, wie ich mein Makeup am liebsten mochte, und so bekam ich es auch, mit viel Schwarz um die Augen und diesem einen, dunklen Rotton beim Lippenstift.
Es fühlte sich immer noch unheimlich gut an, wenn er mich schminkte, das erinnerte mich so an seine Fürsorglichkeit in der Zeit, als ich nicht für mich selbst hatte sorgen können.
Und als mein Makeup fertig war und ich begann, Meto in ganz anderen, helleren Farben zu schminken, da hatte ich das Gefühl, ihm damit etwas von seiner Fürsorglichkeit zurückgeben zu können, sodass es wieder ausgeglichen war zwischen uns. Metos Makeup war, weil er gern Glitzersteinchen und dergleichen verwendete, etwas komplizierter als meines, aber am Ende sah es besser aus als ich mir am Anfang zugetraut hatte.
„Hab ich das gut gemacht, gefällt’s dir?“, fragte ich.
Meto sah in den Spiegel, nickte, lächelte, strahlte mich an.
„Bist du jetzt im Puppenmodus und redest nicht mehr?“
Er grinste und nickte wieder, flüsterte dann jedoch: „Doch. Aber nur ganz leise.“
Ich ging in die Küche und schaute aus dem Fenster. Der Regen hatte aufgehört und der Himmel war wieder frei, die langsam untergehende Sonne strahlte die verbliebenen Wolken an, sodass diese in sanften Orange- und Rosatönen am Himmel hingen. Einen Moment lang blieb ich am Fenster stehen und schaute mir diesen schönen Himmel an, dann steckte ich meine Zigaretten und das Feuerzeug ein und ging in den Flur, um die roten Schuhe anzuziehen.
Meto kam aus dem Schlafzimmer, hatte Ruana im Arm, die ein ähnlich süßes Kleid wie seines trug.
„Soll Ruana mitkommen?“, fragte ich.
Meto nickte und antwortete leise: „Ich hab so lange nichts mehr mit ihr zusammen gemacht.“
„Dann darf sie mit“, sagte ich und lächelte.
Der Club, in dem wir auf unserer kleinen Reise damals ja schon gewesen waren, war nur zwei Bahnstationen von unserer Wohnung entfernt. Er lag in der Nähe des Strandes und ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie wir damals dort gewesen waren.
In der Bahn spürte ich die Blicke der Leute, doch da ich wusste, dass sie Meto wahrscheinlich für ein Mädchen hielten und nur so schauten, weil wir beide so auffällig zurechtgemacht waren, kam ich relativ gut damit klar.
Meto lehnte sich an mich, seine eine Hand lag auf meinem Bein, die andere hielt Ruana fest, und ich legte meinen Arm um seine Schultern.
„Oh, was für ein niedliches Paar“, flüsterte eine Mädchenstimme hinter uns. „Das Mädel hat ja ein tolles Kleid an!“
„Er sieht aber auch toll aus“, antwortete eine andere, die anscheinend daneben saß.
Ich drehte mich nicht um, doch Meto schien es ebenfalls gehört zu haben, er wandte sich zu den beiden Mädchen um und lächelte sie an. Dann drehte er sich wieder zu mir um und drückte mir Ruana in die Hand. Hinter mir hörte ich sofort ein begeistertes Quietschen.
„Ein süßer Typ mit ‘nem süßen Teddy, awww!“
Jetzt drehte ich mich doch um und sah die Mädchen, die beide Schuluniform trugen, an. Sie schienen total begeistert von uns zu sein, und ich hatte so das Gefühl, dass sie auch kein Problem damit haben würden, wenn Meto jetzt etwas sagte und sie an seiner Stimme sein Geschlecht erkannten.
Ich wusste ja, dass es viele Mädchen gab, die homosexuelle Männerpaare irgendwie toll fanden, nur war mir das bisher immer ein wenig unheimlich gewesen. Ich verstand es nicht so ganz, doch jetzt freute ich mich ein wenig darüber, denn es war immerhin besser als die Ablehnung, die ich ja auch schon erfahren hatte.
An der nächsten Station stiegen wir aus, Meto lächelte den beiden Mädchen noch einmal zu und nahm dann meinen Arm, verhielt sich genau so, wie es das Bild eines puppenhaften Mädchens an der Seite ihres Freundes vorsah. Er hatte ja vorhin gesagt, dass er das auch für mich tat, und das rührte mich, auch wenn es mir irgendwie ein wenig unangenehm war, dass er wieder diese Frauenrolle spielte. Aber so war Meto eben.
Als wir den Club erreichten, war dort noch recht wenig los. Nicht weiter verwunderlich an einem normalen Wochentag, aber gut für uns, wenn es nicht so voll war. Der Mann an der Eingangstür wollte Metos Ausweis sehen, bekam ihn gezeigt und ließ uns rein, drinnen war die Musik noch nicht so laut und im Augenblick wurde auch ein eher ruhiges Lied gespielt. Meto gab seine Handtasche an der Garderobe ab, Ruana würde dort ebenfalls auf uns warten, damit ihr im Gewirr des Clubs nichts passierte.
„Wollen wir zuerst bisschen was trinken?“, flüsterte Meto als wir den Raum mit der Bar betraten. Er sprach gerade laut genug, dass ich es trotz der Musik hören konnte, kein bisschen lauter.
„Ja, ein bisschen was“, antwortete ich.
An der Bar bestellte ich mir ein kleines Bier, und Meto tippte auf einen Cocktail auf der auf dem Tresen liegenden Getränkekarte. Er bezahlte für uns beide und wir setzten uns mit den Getränken in eine ruhigere Ecke.
Meto lehnte sich wieder ein wenig an mich, legte seine Hand auf mein Bein und nach einer ganzen Weile fragte er leise: „Tsu? Darf ich … dich was … fragen? Es ist … ein bisschen was Schwieriges …“
„Was denn?“
„Deine Angst, dass ich dich allein lasse … hast du die auch, wenn ich bei dir bin, oder nur, wenn ich gerade mal nicht da bin?“ Metos Hand lag fest auf meinem Bein, so als wollte er mir damit zeigen, dass meine Angst völlig unbegründet war.
„Jetzt gerade ist sie nicht da. Zumindest fühle ich sie gerade nicht“, antwortete ich. „Aber … eigentlich ist sie immer irgendwie vorhanden. Sobald ich daran denke, dass ich krank bin und … dass du mich deswegen … verlassen könntest.“
„Aber eigentlich weißt du doch, dass ich das nicht tun werde, oder?“
„Eigentlich schon.“
„Was kann ich denn tun, dass du das nicht mehr vergisst, dass ich bei dir bleiben will?“
„Sag’s mir einfach immer wieder. Ich glaube, mehr kannst du auch nicht tun.“
Meto antwortete nicht mit Worten darauf. Stattdessen beugte er sich vor und tupfte seine rot geschminkten Lippen vorsichtig und lieb auf meine, legte seine Hand auf mein Herz und streichelte über meine Rippenbögen.
„Ich weiß doch, dass das da drinnen nur für mich schlägt“, sagte er und lächelte. Dann stand er auf, hielt mir seine Hand hin, damit ich aufstand, und fragte: „Wollen wir jetzt tanzen gehen?“
Tanzen war gut. Es machte den Kopf frei, lenkte die Konzentration auf schönere Dinge und ich bekam ein richtig gutes Gefühl dabei. Meto hielt meine Hände, lächelte mich an, brachte spielerisch Abstand zwischen uns und kam dann wieder näher, um mich zu küssen und sich dann von mir herumdrehen zu lassen. Um uns herum wurden es immer mehr Menschen, doch ich hatte keine Angst. Ich war vollkommen auf Meto konzentriert, er bemerkte es und strahlte mich glücklich an.
Als das Lied wechselte und etwas Langsameres gespielt wurde, legte er seine Arme um mich, und ich umarmte ihn meinerseits, er sah mich an und fragte leise: „Bist du glücklich, Tsuzuku?“
Ich nickte, lächelte, drückte ihn enger an mich. Ja, in diesem Moment an der Seite meines Liebsten war ich wirklich glücklich. Es tat mir einfach gut, ihn nah bei mir zu haben und an nichts denken zu müssen außer an ihn.
Wir wiegten uns ein wenig zu dem langsamen, romantischen Song, Meto lehnte seinen Kopf an meine Schulter und ab und zu spürte ich ganz leicht und zart seine Lippen an meinem Hals.
Auf der Tanzfläche wurde es langsam doch merklich voller und schließlich zog Meto mich einfach hinter sich her weg aus der Menge und zurück zur Bar. Er hatte, noch bevor es gefährlich für mich wurde, bemerkt, dass mir die Menschenmenge nicht lange guttun würde.
Wir zogen uns in eine ruhigere Ecke zurück und Meto nahm mich in seine Arme, zog mich an sich und flüsterte in mein Ohr: „Wollen wir nach Hause? Ich würde gerne … was mit dir versuchen.“
„Was denn?“, fragte ich und versuchte, in seinen Augen zu erkennen, in welche Richtung seine Gedanken gerade gingen.
Doch er antwortete nicht darauf, lächelte mich nur an und sagte dann: „Lass dich überraschen.“
Eine Überraschung also? Na, so was hatte ich gern … Aber irgendwo ahnte ich, dass es irgendwas Sexuelles war, was er vorhatte, in seinen Augen leuchtete eine gewisse Lust.
Wir holten unsere Taschen und Ruana an der Garderobe wieder ab und verließen den Club. Draußen war es jetzt ganz dunkel, die Luft war ganz klar und am Himmel leuchteten die Sterne.
Ich fragte mich, was Meto gerade im Kopf herumging, was er vorhatte, womit er mich überraschen wollte. Wir hatten ja inzwischen vieles ausprobiert und es dauerte eine Weile, bis ich auf den Gedanken kam, was es sein könnte, was er mit mir tun wollte: Hatte er etwa vor, jetzt, heute Nacht, zum ersten Mal zu tauschen?
„Meto?“, fragte ich ihn leise, als wir schon fast bei der Bahnstation waren. „Kann es sein, dass du … dass du vielleicht heute Nacht tauschen willst?“
Er lächelte mich nur geheimnisvoll an.
„Sag schon!“, forderte ich, mich hatte die Neugierde gepackt. „Was hast du vor?“
„Es wird dir gefallen“, flüsterte er und ging dann ein paar Schritte voraus, sodass ich sein Gesicht nicht sehen konnte.
„Meto! Jetzt sag schon! Spann mich nicht so auf die Folter!“ Ich lief schneller, holte ihn ein und griff seinen Arm.
Er lachte. „Du bist ja richtig ungeduldig, Tsu!“
„Natürlich, wenn du vielleicht tauschen willst!“
„Du wirst schon sehen, was ich mir ausgedacht habe.“
In der Bahn war aus ihm wieder kein Ton mehr rauszukriegen, doch auf dem Heimweg versuchte ich es weiter, ihm sein kleines Geheimnis zu entlocken. Aber er kannte mich einfach zu gut, hielt komplett dicht und lachte über meine Ungeduld und Neugierde. Und so musste ich, ob ich wollte oder nicht, warten, bis wir zu Hause waren.
Doch auch dort verriet er mir zuerst nicht, was er vorhatte, sondern verschwand erst einmal im Bad, um sich auszuziehen und abzuschminken. Ich tat es ihm gleich und versuchte, währenddessen noch einmal herauszubekommen, was er denn nun vorhatte.
Meto lächelte wieder nur, legte mir den Finger auf die Lippen und flüsterte: „Gleich, Tsu. Du kannst dich ja schon mal hinlegen, ich bin gleich bei dir.“
Ich war sowieso gerade fertig mit Abschminken, ging rüber ins Schlafzimmer und begann schon mal, mich auszuziehen. Da hatte ich also richtig geraten, mein Liebster hatte irgendwas Verführerisches vor. Na ja, das war bei uns beiden auch wenig verwunderlich. Mein Herz klopfte schneller vor Spannung und Vorfreude und ich stellte mir alles Mögliche vor, dachte dabei an das Buch, das ich heute in dem Laden im Rotlichtviertel gekauft hatte.
Wo war dieses Buch eigentlich geblieben? Ich konnte mich nicht erinnern, es ins Regal gestellt zu haben. Nur mit meinen Shorts bekleidet, ging ich zurück auf den Flur und sah die diskret dunkelblaue Plastiktüte des Ladens neben meinen noch immer ein wenig nassen schwarzen Schuhen stehen. Da war das Buch also! Ich hatte es nicht mal aus der Tüte genommen.
Ich stellte es noch schnell ins Regal, ging dann ins Schlafzimmer zurück und legte mich aufs Bett.
Es dauerte noch eine Weile, bis Meto in Unterwäsche aus dem Bad kam, und ich fragte mich, was da jetzt so lange gedauert hatte.
„Jetzt sag mir aber auch mal, was du vorhast“, sagte ich und richtete mich wieder halb auf, sah ihn erwartungsvoll an. Wenn er wirklich das plante, was ich mir dachte … Aber eigentlich war das unwahrscheinlich. Denn so, wie ich Meto kannte, hätte er dann mit mir darüber gesprochen, statt so ein Geheimnis darum zu machen. Nein, es musste irgendwas anderes, weniger Bedeutsames sein, was er jetzt mit mir tun wollte.
Meto lächelte und kam dann zu mir aufs Bett, küsste mich und flüsterte: „Was Schönes.“
„Sehr informativ“, lachte ich, küsste ihn zurück und sah ihn dann an. „Nein, mal ernsthaft, Meto, was wird das?“
Er merkte, dass ich langsam echt ein wenig ungeduldig wurde, und kam noch ein wenig näher, legte sich zu mir und schmiegte sich eng an mich.
„Also gut“, sagte er schließlich, „Ich hab mir gedacht, wir machen … ein bisschen so was, wie du dir gewünscht hast.“
Ich wusste sofort, was er meinte, und fragte: „Ein bisschen? Wie meinst du das?“
„Na, ein bisschen eben. Den Anfang davon.“ Meto hob eine Hand, berührte meinen Hals und ließ seine Hand von da aus über meine Schulter runter auf meine Brust wandern, streichelte mein Tattoo und berührte dann meine Brustwarze, ließ seinen Finger darum kreisen. Ich seufzte wohlig und spürte, wie mich schon diese kleine Zärtlichkeit erregte, jede sanfte Berührung vonseiten meines Liebsten tat mir so unsagbar gut.
Ich zerrte mir die Shorts vom Leib, ehe sie noch enger wurden, Meto tat es mir gleich und schloss mich dann fest in seine Arme, um mich lange und liebevoll zu küssen. Ich drückte mich eng an seinen nun ganz nackten Körper, sein schon halb hartes Glied berührte meines und ich stöhnte in den Kuss, was Meto ein leises Lachen entlockte.
Er löste den Kuss, ließ mich los und richtete sich halb auf, um sich dann über mich zu beugen und meinen Oberkörper mit lauter süßen kleinen Küsschen zu übersäen.
Und obwohl das ganz sicher nur das Vorspiel zu dem war, was er eigentlich vorhatte, erregten mich diese zärtlichen Küsschen schon sehr. Ich bog ihm meinen Körper entgegen, verlangte wortlos nach mehr, wünschte mir, dass er meine Nippel küsste und mit meinen Piercings dort spielte. Er kannte mich gut genug, um bald zu wissen, was ich wollte, und er tat es, senkte seine süßen, weichen Lippen auf meine Brustwarze, küsste, leckte, saugte und ließ seine heiße Zunge mit dem Piercing spielen.
„Mmeto …“, kam mir sein Name schon ein wenig verwaschen über die Lippen, „Ohhh…“
„Das magst du richtig gerne, oder?“, fragte er liebevoll, um dann gleich weiter zu machen.
„Ohh … jaah …!“
Viel zu früh hörte er damit auf, legte sich wieder neben mich und rückte dann so weit hoch, dass er mit dem Rücken ans Kopfteil unseres Bettes lehnte.
„Tsu? Machst du jetzt auch für mich was, was ich mag?“, fragte er mit einem kleinen Lächeln.
Ich drehte mich ganz zu ihm um, sah ihn an und fragte zurück: „Was möchtest du denn?“
„Das … was du letztens gemacht hast …“ Jetzt stieg ihm doch wieder ein sichtbarer Rotschimmer in die Wangen. Ich fand es so süß, wenn er rot wurde. Es zeigte, dass er immer noch viel unschuldiger als ich an die Sache ranging.
Ich lächelte anzüglich. „Du meinst ‘nen Blowjob?“
Meto nickte, immer noch mit diesem süßen Rot auf den Wangen. „Ja. Das war schön.“
Ich richtete mich auf, schob seine Beine sanft auseinander und kniete mich so dazwischen, dass ich mich nur runterbeugen musste, um mit den Lippen sein Glied zu berühren. In dieser Position, streichelte ich es, bis es ganz hart wurde, und setzte dann kleine Küsse auf die zarte, nach ihm schmeckende Haut. Als ich seinen erregten Pulsschlag unter meinen Lippen spürte, schlug mein eigenes Herz ebenso schneller und ließ meine Erregung ein wenig pochen.
Und obwohl ich Meto ja mit dem, was ich jetzt tat, noch nicht zum Kommen bringen wollte, konnte ich nicht anders, als seine lustgerötete Eichel zwischen meine Lippen zu nehmen und seinen heißen, in diesem Moment austretenden Lusttropfen abzulecken. Es schmeckte zwar bitter, doch das Gefühl dazu war süß, so süß! Ich schluckte, nahm es in mich auf, und löste dann meine Lippen vom Glied meines Liebsten, rückte hoch bis zu seinem Gesicht und hauchte einen zarten Kuss auf seinen Mund, wusste, dass er jetzt sich selbst an meinen Lippen schmecken konnte.
Er sah mich mit diesem einen Blick an, wie er mich immer ansah, wenn ich solche Dinge tat, die er sich selbst nicht traute, die ihm aber trotzdem gefielen.
„Und?“, fragte er leise. „Möchtest du, dass ich mal den Anfang versuche?“
Ich stellte es mir vor, wie er mit mir dasselbe tat wie ich sonst mit ihm, fragte mich, wie es sich wohl anfühlte, wenn er mich erst mal nur vorbereitete, und spürte ein neugieriges, erregtes Kribbeln im Bauch.
„Ja, will ich“, antwortete ich und erhob mich, um mich dann wieder richtig hinzulegen.
Meto stand ebenfalls kurz auf, griff in meine Nachttischschublade und nahm die Tube mit dem Gleitgel heraus, legte sich dann wieder zu mir, vor mich, so, dass ich ihn ansah. Er legte seinen Arm um mich, schob den anderen unter meine Taille und zog mich an sich, rutschte dabei ein Stückchen runter und hauchte einen Kuss auf mein Schlüsselbein, während seine Hände begannen, meinen Hintern mit Streicheleinheiten zu verwöhnen. Mein Herz schlug immer schneller und ich seufzte angetan, die Vorstellung dessen, was gleich kommen würde, erregte mich immer mehr.
Ich spürte, wie aufgeregt Meto war, fühlte seinen Herzschlag neben meinem, seine Körpermitte berührte die meine, und als seine Finger an meinem Hintern nach meinem Eingang tasteten, stöhnten wir beide auf. Ich, weil es so neu und anders war, weil ich niemals zuvor jemand anderes Finger dort gespürt hatte, und er, weil es auch für ihn neu war, er es noch nie bei jemand anderem getan hatte.
Er nahm sich die Tube mit dem Gleitgel, tat sich etwas davon auf die Finger und machte weiter, verteilte dabei etwas davon um meinen Eingang. Es fühlte sich erst doch ein wenig merkwürdig an, doch ich war so erregt, dass ich mich schnell daran gewöhnte.
Ich legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen, spürte den heißen Körper an meinem und das Tasten um mein Loch herum, und hörte Metos leise Stimme: „Entspann dich, Tsuzuku.“ Ich hörte aus seinen Worten noch eine gewisse Unsicherheit heraus, vielleicht wusste er noch nicht ganz sicher, was zu tun war, und so antwortete ich, ebenso leise: „Weißt du, was du tun musst? Mach einfach dasselbe mit mir, was ich sonst immer mit dir mache.“
„Genau dasselbe?“, fragte er.
Ich nickte, woraufhin er noch ein Stückchen runter rutschte und begann, meine Brust und meine Nippel zu küssen und vorsichtig zu saugen. Sollte ich eben noch nicht richtig entspannt gewesen sein, so war ich es jetzt ganz sicher. Ich fühlte mich wie Butter in der Sonne, zerging geradezu unter seinen zärtlichen, süßen Berührungen, seufzte erregt, und stöhnte, als Metos Finger vom Tasten zum Eindringen übergingen und noch etwas zögerlich begannen, mein Inneres zu erkunden und meinen Eingang weiter zu dehnen.
Die erregten Laute, welche sich zunehmend lauter von meinen Lippen lösten, ermutigten ihn, immer weiter zu machen, und ich spürte, wie es ihm gefiel.
Kurz kam mir der Gedanke, dass er durch sein Tun jetzt mehr zum Mann wurde und ein Gefühl entdeckte, das er bisher nicht gekannt hatte. Ich hatte jedenfalls das Gefühl, dass wir nun ein bisschen mehr gleichauf waren und er sich ein wenig aus der ‚Frauenrolle‘ löste, in die ich ihn mehr versehentlich gedrängt hatte.
Doch es erschien mir nicht so, als würde ich diese Rolle nun übernehmen müssen oder dergleichen. Viel mehr war es so, dass wir nun beide einfach Männer waren, die sich liebten und auch im Bett gleichberechtigt waren. Er war immer doch der Jüngere, der mit weniger Erfahrung, und der Süßere von uns beiden sowieso, aber eben mit der Möglichkeit, durchaus auch mal im Bett die Führung zu übernehmen. Und genau das hatte ich mir gewünscht.
Eine glühend heiße Lustwelle riss mich aus den Gedanken und ich spürte einen süßen, schwebenden Schwindel, hörte mich selbst laut aufstöhnen, es war fast schon ein Schrei. Ich wusste sofort, was es war, dass Meto jenen hocherregenden Punkt in mir gefunden hatte, den ich in ihm auch jedes Mal zu reizen suchte.
Er lächelte und strich dann wieder in mir über diese heiße Zone, ganz langsam, fast schon quälend, sodass ich nicht anders konnte, als wieder zu schreien. Mein ganzer Körper erbebte und ich war selbst überrascht, reagierte ich doch noch heftiger als Meto es tat, wenn ich dasselbe mit ihm machte. Möglicherweise war ich da empfindlicher.
„Lass … das!“, keuchte ich, vor meinen Augen tanzten weiße Punkte und ich fragte mich, soweit ich dazu imstande war, warum ich jetzt noch nicht gekommen war.
„Warum? Ist das zu gut?“
„Viel … zu gut …!“
„Soll ich aufhören?“, fragte Meto, klang dabei aber ganz ruhig.
Ich nickte, und er zog seine Finger aus mir zurück, küsste dabei sachte meine Brust und ließ seine Lippen auch über die Haut über dem Implantat streichen. In meinem Innern blieb ein seltsames Gefühl von Aufgewühltsein zurück, mein Glied pochte wieder und ich wünschte mir jetzt nichts weiter, als endlich von Metos Hand zu kommen.
Er rutschte wieder hoch, bis sein Gesicht vor meinem war, und küsste mich. Seine Hand war noch ganz glitschig vom Gleitgel, als er sie um mein Glied legte und dann liebevoll, aber bestimmt drückte. Ich stöhnte laut auf und ergoss mich in seine Hand, mein ganzer Unterleib zitterte und ich schloss wieder die Augen, genoss die heißen Lustwellen, die durch meinen Körper fluteten. Nur am Rande bekam ich mit, wie Meto sein Glied an meine Hüfte drückte und rieb, bis er ebenfalls mit einem tiefen Stöhnen kam.
Danach lag ich in seinen Armen, innerlich immer noch ein wenig schwebend, und ließ meine Gedanken auftauchen und wieder vorbeiziehen, fühlte mich ganz ruhig und entspannt.
„Tsuzuku?“, sprach Meto mich irgendwann leise an.
„Hm?“ Ich war schon fast weggedämmert und brachte nicht mehr heraus.
„Willst du … immer noch, dass ich … irgendwann … damit weitermache?“
Ich nickte, mir fielen schon die Augen zu.
„Und du willst das auch ganz sicher?“
„Jaah …“, antwortete ich schlaftrunken. „Hab ich dir doch gesagt.“
Meto bemerkte, dass ich schon fast schlief und fragte nichts mehr, küsste mich stattdessen auf die Stirn und zog mich an sich, sodass ich mich ganz von selbst an seinen warmen Körper kuschelte.
„Schlaf schön, mein Herz“, waren seine geflüsterten Worte, bevor ich in tiefen Schlaf sank.
Ich wachte wieder früh auf an diesem Morgen, ein Blick auf die Leuchtanzeige meines Weckers zeigte mir fünf Uhr zwanzig an. Tsuzuku lag immer noch nah bei mir, mein Arm unter der Decke auf seiner Seite, und als ich mich ein wenig an ihn kuschelte, kitzelten seine schwarzen Haare meine Nase.
Ich strich sie vorsichtig weg und fuhr dann mit den Fingern noch ein wenig hindurch, sie fühlten sich ganz glatt und weich an, gesünder als meine eigenen, die ich ja auch mit Bleichen und Färben traktierte. Obwohl ich selbst meine Haare am liebsten kurz trug, fand ich es wunderschön, dass Tsuzukus Haare ihm bis auf die Schultern reichten und ich so die schwarzen Strähnen durch meine Finger gleiten lassen konnte.
Ich streckte mich, bis ich mit der anderen Hand den Lichtschalter erreichen konnte, und machte Licht an, sodass ich das Gesicht meines Schatzes sehen konnte. Er sah so lieb und weich aus, wenn er so friedlich schlief, und ich konnte nicht anders, als ihn ganz vorsichtig und zärtlich auf seine wundervollen, süßen Lippen zu küssen. Tsu gab im Schlaf einen leisen Laut von sich und schmiegte sich enger an mich, so als träumte er gerade von mir.
„Ich liebe dich“, kam es mir leise über die Lippen, und am liebsten wollte ich ihn wieder küssen, aber andererseits wollte ich ihn ja nicht wecken, also ließ ich es. Ich blieb einfach so liegen und wartete, hing derweil meinen eigenen Gedanken nach, die sich vor allem um Tsuzuku und mich drehten.
Ich dachte an die vorletzte Nacht, an Tsus rätselhaften Schmerzanfall, der bei mir einen bleibenden Eindruck von Angst und Hilflosigkeit hinterlassen hatte. Zu sehen, wie mein liebster Mensch auf der Welt solche Schmerzen hatte, und wie er dann sogar davon ohnmächtig geworden war, hatte mir ebenfalls sehr wehgetan. Ich hatte wieder furchtbare Angst um ihn gehabt.
Bis zum Eintreffen der Ärztin und ihrer beruhigenden Diagnose, dass körperlich gesehen mit Tsuzukus Herzen alles okay war, hatte ich befürchtet, dass er vielleicht an derselben Krankheit litt wie seine Mama. Es war zwar nicht das erste Mal gewesen, dass Tsuzuku scheinbar sehr nah an der Grenze zwischen Leben und Tod gestanden hatte (ich konnte mich noch gut an die Zeit erinnern, als wir uns gerade erst kennen gelernt hatten und er oft gesagt hatte, dass er nicht mehr leben wollte), aber da das letzte Mal, dass er vom Sterben gesprochen hatte, so lange her war, war es doch ein ziemlicher Schock gewesen.
Und als er plötzlich ohnmächtig geworden war, hatte ich ganz kurz gedacht: „Was, wenn er jetzt …?“
Ich hatte dann sofort die Notrufnummer gewählt, mit zitternder Stimme und stockenden Worten unsere Adresse genannt und versucht, möglichst genau zu beschreiben, was los war.
Ich sah Tsu an, wie er immer noch tief schlafend neben mir lag, und auf einmal hatte ich wieder große Angst um ihn. Was, wenn es irgendwann noch schwerer wurde, das alles? Wenn dieses Ungeheuer Borderline in ihm noch größer wurde und ich ihm nicht mehr helfen konnte? Wenn es irgendwann nicht mehr ausreichte, ihn in meinen Armen zu halten, zu küssen und meine Hand auf sein Herz zu legen? Wenn ich nichts mehr tun konnte?
Mir blieb nichts, als zu hoffen und zu beten, dass es nicht schlimmer wurde, und dass Tsuzuku sich doch, falls er abstürzte, professionelle Hilfe suchen würde. Aber ich wusste, dass ich ihn dazu nicht zwingen konnte.
Wieder spürte ich diese Last auf meinen Schultern, die Verantwortung, für ihn da zu sein und mich um ihn zu kümmern. Ich wusste, ich war nicht ganz allein damit, da war auch noch Koichi, und Tsu hatte außerdem noch Hitomi, aber mir war klar, dass ich derjenige war, von dem er emotional am abhängigsten war. Er liebte mich wahnsinnig und obwohl sich das sehr, sehr schön anfühlte und mich glücklich machte, war da eben doch diese schwer wiegende Verantwortung.
Seine Angst davor, verlassen zu werden, verstärkte das noch. Ich fragte mich, woher diese Angst eigentlich kam. So, wie er das sagte, hing sie direkt mit der Tatsache, dass er krank war, zusammen, damit, dass er fürchtete, seine Art und sein Wesen könnten mir zu viel werden. Und obwohl ich mir sicher war, dass ich, auch wenn es ihm schlechter ging, nicht von seiner Seite weichen würde, konnte ich ihm diese Angst nicht nehmen.
Als ich Tränen in meinen Augen spürte, war mir klar, dass ich ganz schnell ein anderes Thema für meine Gedanken finden musste. Vorsichtig löste ich mich von Tsu und stand auf, zog mir Shorts und mein Schlafanzughemd an und ging vom Schlafzimmer in die Küche, wo ich mir einen starken Kaffee kochte und dann mit der Tasse in der Hand auf meinem Platz am Tisch saß.
Bemüht, mit meinen Gedanken nicht wieder an die schmerzhaften Dinge und die Angst zu rühren, dachte ich an gestern Abend, als mir beim Tanzen mit Tsuzuku die Idee gekommen war, das, was wir dann ja auch getan hatten, zu versuchen. Erst einmal nur den Anfang des sexuellen Positionstauschs zu wagen, den er sich ja so wünschte.
Es hatte mir gefallen, ihn vorher ein bisschen auf die Folter zu spannen, und ihn dann so zu verführen, wie er es am liebsten hatte. Nur, dass es dieses Mal eben nicht darin geendet hatte, dass er mich nahm, sondern dass ich zum ersten Mal erlebt hatte, wie es war, selbst den dominanteren Part zu übernehmen. Und dieser Part hatte mir so für den ersten Versuch doch recht gut gefallen. Es war noch ein wenig ungewohnt, doch irgendwas daran löste in mir schon beim Gedanken ein leises, angenehmes Kribbeln aus.
Ich erinnerte mich an das starke Herzklopfen, das ich verspürt hatte, und an Tsuzukus erregten Reaktionen, besonders daran, wie er reagiert hatte, als ich jene süße Stelle in seinem Innern entdeckt hatte, von der ich von mir selbst wusste, dass eine Berührung dort eine heftige Lustwelle auslöste. Er hatte darauf noch heftiger reagiert als ich und ich hatte gespürt, wie es ihm fast zu viel geworden war, noch kurz bevor er das auch gesagt hatte.
Aber es hatte ihm anscheinend gefallen, so, wie er danach gewirkt hatte. Entspannt und müde und zufrieden, weil wir endlich den Anfang dessen gemacht hatten, was er sich wünschte.
Und noch ein anderer Gedanke schwirrte jetzt in meinem Kopf herum: Ich hatte vorher gar nicht gewusst, dass mir doch irgendwie ein Teil meines Männlichkeitsgefühls gefehlt hatte. Wie denn auch, wenn ich doch bisher nie den männlicheren Part einer Beziehung so inne gehabt hatte.
Doch jetzt fühlte ich mich in Bezug auf mein Liebesleben so, als sei ich durch diesen kleinen Anfang doch ein wenig mehr erwachsen und mehr zu einem ‚richtigen Mann‘ geworden. Der Gedanke fühlte sich noch ein wenig seltsam an, und mir wurde klar, dass ich doch irgendwie ziemlich die Frauenrolle gespielt hatte.
Draußen wurde es langsam heller und ich blieb noch eine Weile in der Küche sitzen, trank meinen Kaffee und dachte über meine eigene Vorstellung von Männlichkeit und meine Orientierung nach, darüber, wie ich mich eigentlich als Mann sah, der ich ja nun mit meinen zwanzig Jahren war.
Ich hatte schon recht früh gemerkt, dass ich ausschließlich auf Männer stand, dass Frauen für mich nur gute Freundinnen waren und ich mir sexuelle Dinge nur mit einem anderen männlichen Wesen vorstellen konnte.
Doch lange Zeit hatte ich mich wegen meiner Sprachprobleme nicht getraut, mit einem eine Beziehung anzufangen, und es war auch keiner da gewesen, mit dem ich mir so etwas hätte vorstellen können. Irgendwo hatte ich auch gewusst, dass ich für eine dauerhafte Beziehung ein enges Vertrauen zu jemandem brauchte. Nur war ich ja damals noch davon ausgegangen, dass Tsuzuku, mein liebster, bester Freund, hetero wäre, weshalb ich gar nicht daran gedacht hatte, dass er der Richtige für mich sein könnte.
Dann war da MiA gewesen, der mir Ablenkung und ein bisschen Ruhe vor Tsuzukus Problemen geboten hatte, und von dem ich mir gewünscht hatte, dass er vielleicht der Richtige war.
Der Richtige. Die perfekte, oder zumindest fast perfekte Beziehung, in der man sich angekommen und angenommen fühlte, und in der es einfach passte. Ich hatte das bestimmte Gefühl, dass das zwischen Tsuzuku und mir genau das war und dass er das genauso empfand. Immer, wenn er mich seinen ‚Liebsten‘ nannte, mich so lustvoll und sehnsüchtig küsste und ganz fest umarmte, spürte ich es, wie sehr er mich liebte, und dass er mich so annahm, wie ich war.
Ich trank den Kaffee aus und ging dann ins Schlafzimmer zurück, wo Tsuzuku immer noch schlafend halb unter der Decke lag, und ich legte mich wieder zu ihm, um ihn ganz langsam und liebevoll zu wecken. Ich schmiegte mich eng an seinen schmalen, warmen Körper, küsste seinen Hals und seine Schulter, und berührte schließlich seine süßen, leicht dunklen Nippel, die von der Kühle im Raum hart waren und sich ein wenig röteten, als ich sie zärtlich streichelte.
„Mhh… Meto …“, seufzte er schlaftrunken, die Augen noch geschlossen.
Ich beugte mich über ihn und küsste seine weichen Lippen, leckte dabei zärtlich über seine Unterlippe und hauchte: „Guten Morgen, mein Herz.“
„Mach weiter … das ist schön …“
„Sicher?“, fragte ich. „Ich meine, wir müssen doch heute beide arbeiten.“
Tsuzuku öffnete die Augen, legte seine Arme um mich und drehte uns dann mit einem Mal beide herum, sodass er auf mir lag. „Aber bis dahin ist doch noch Zeit, oder?“, schnurrte er in mein Ohr.
Ich blickte zur Seite, der Wecker zeigte jetzt sechs Uhr fünfzehn an. Sollten wir? Jetzt noch so etwas wie Sex zu tun, was mehr Zeit in Anspruch nehmen würde, war das richtig?
„… Es sei denn, du möchtest nicht?“, fragte Tsu und sah mich an. Ich versuchte, in seinen dunklen Augen zu lesen, ob er, sollte ich jetzt ‚Nein, ich möchte nicht‘ sagen, enttäuscht sein würde.
„Wir können doch auch mal einfach nur ein bisschen kuscheln, oder?“, fragte ich.
Tsuzuku lächelte. „Na klar können wir das.“
Und so taten wir jetzt nichts anderes, als uns zu umarmen und zu küssen, wobei Tsu es sich jedoch nicht nehmen ließ, mein Schlafhemd aufzuknöpfen und mein von ihm so geliebtes Tattoo-Baby zu streicheln und mit kleinen Küsschen zu übersäen.
Im Gegenzug verwöhnte ich ein bisschen seine Nippel, wohl wissend, wie sehr er das mochte und dass ich ihn damit sehr schnell erregen konnte. Als er selbst merkte, dass es ihn nur allzu geil machte, hielt er meine Hand fest und lenkte meine Aufmerksamkeit auf seine Seiten und seinen Rücken, wo ich ihn weiter streichelte, und ihn dann ganz fest und liebevoll umarmte.
Ich spürte Tsuzukus Herzschlag, seine Atemzüge, seine glatte, warme Haut an meiner, und wollte ihn am liebsten nie wieder loslassen. Immer bei ihm bleiben, jede Dunkelheit aus seinem Herzen vertreiben und ihn spüren lassen, wie sehr ich ihn liebte.
Er genoss meine Nähe ebenso und ich spürte, dass er jetzt gerade, in diesem Moment, vollkommen entspannt war, und verliebt bis in die Haarspitzen.
Eine ganze Weile blieben wir so eng zusammen liegen, ohne ein Wort, einfach nur so, und unser beider gleichmäßiger Herzschlag ließ uns fast wieder einschlafen. Doch dann bewegte Tsu sich, hob den Kopf und küsste mich.
„Hab ich dir heute eigentlich schon gesagt, dass ich dich liebe?“, fragte er lächelnd.
Ich schüttelte, ebenfalls lächelnd, den Kopf.
Tsuzukus dunkelbraunen Augen leuchteten glücklich, als er ein leises „Ich liebe dich, Meto“ gegen meine Lippen hauchte. Irgendetwas blitze in ihnen auf, ein Gedanke oder eine Idee, die ihn offenbar sehr glücklich stimmte.
„Weißt du, was wir heute Nachmittag nach der Arbeit machen?“, fragte er mich dann.
„Was denn?“
„Wir kaufen Farbe und dann machen wir dieses Zimmer hier mal schön. Ich kann diese weißen Wände nicht mehr sehen.“
„Und welche Farben nehmen wir?“, fragte ich, obwohl wir das ja schon irgendwann mal besprochen hatten.
„Ich dachte an Rot und Schwarz. Oder hättest du gern was anderes?“
Ich erinnerte mich kurz an den Mietvertrag, ob es darin erlaubt war, die Wände mit solchen starken Farben zu streichen. „Ich weiß nicht …“, sagte ich. „Ist das überhaupt erlaubt?“
„Sind doch unbemalte Tapeten drauf. Sollten wir hier jemals wieder ausziehen, reißen wir einfach die Tapeten von den Wänden, dann ist die Farbe mit weg.“ Tsuzuku grinste. „Also, willst du Rot und Schwarz, oder was anderes?“
„Eine schwarze Wand erschlägt einen doch, oder?“, fragte ich.
„Dann machen wir Rot mit irgendwelchen schwarzen Mustern drauf, wie wäre das?“
Ich nickte. Tsuzuku war eh nicht mehr von seiner Farbwahl abzubringen und seine Motivation war auch irgendwie ansteckend.
„Aber erst mal gehen wir heute Vormittag arbeiten“, sagte ich. „Irgendwo muss ja das Geld für so was herkommen.“
Aufstehen, duschen, anziehen und schönmachen ging dann doch recht schnell, und als ich zum Frühstücken in die Küche kam, stand Tsu schon mit einer Zigarette am Fenster.
„Hast du schon gegessen?“, fragte ich.
„Hab keinen Hunger.“
Es war schon seltsam. Eben war er noch so gut drauf gewesen, und jetzt stand er da, schaute aus dem Fenster und rauchte, statt zu essen. Doch er wirkte gar nicht so wirklich traurig. Viel mehr sah es so aus, als hätte er einfach keinen Antrieb, etwas zu essen.
„Komm, Tsu“, sagte ich und hielt ihm meine Schale mit kaltem Reis hin. „Iss ein bisschen was, für mich, bitte.“
Er sah mich erst einfach nur an, dann huschte ein kleines Lächeln über sein Gesicht. Er drückte die Zigarette aus, kam auf mich zu, hockte sich vor mich hin und machte den Mund auf, wie ein Vogelküken, das gefüttert werden wollte. Ich nahm ein bisschen Reis zwischen die Stäbchen und schob es ihm in den Mund, musste dabei lächeln, weil er, um die Niedlichkeit perfekt zu machen, ganz große Augen machte.
„Braves Tsu“, grinste ich. „Und nochmal …“
Wir spielten dieses Spiel noch ein wenig weiter, wobei Tsu immer mehr auf niedlich machte. Ich war ein bisschen überrascht, weil diese Seite von ihm nur selten zu sehen war, aber irgendwie passte das auch zu ihm, zu seiner Gegensätzlichkeit. Als er dann anfing, Geräusche zu machen, die sich sehr nach einer kleinen Katze anhörten, musste ich aber so lachen, dass mir fast die Essstäbchen aus der Hand gefallen wären.
„Und du willst mir erzählen, dass du nicht süß bist?“, lachte ich.
Er zuckte nur mit den Schultern, lächelte wieder.
Ich legte die Stäbchen weg, Tsu stand wieder auf und schloss das Fenster. Während ich den Tisch abräumte, ging er schon mal zur Tür und zog seine Schuhe an. Ich folgte ihm kurz darauf und wir gingen dann zusammen raus in Richtung Bahnstation.
Auf dem Weg hielt Tsuzuku meine Hand und so spürte ich deutlich, dass er sich gerade durchweg gut fühlte. Und als er plötzlich stehen blieb, mich spontan umarmte und küsste, da hatte ich das Gefühl, dass heute ein guter Tag wurde.
„Sag mal, Meto …“, begann er dann, als wir weitergingen, „… wovon bezahlen wir nachher die Farbe und das alles eigentlich?“
Ich dachte an mein Bankkonto, auf das ich zurzeit immer noch Geld von meinen Eltern bekam. Da war bestimmt noch genug drauf, dass wir davon zwei Eimer Farbe, und was man sonst noch so brauchte, kaufen konnten.
„Du hast noch keinen Lohn bekommen, oder?“, fragte ich noch mal nach.
Tsu schüttelte den Kopf. „Nein. Und eigentlich wollte ich den auch für das neue Tattoo ausgeben.“
„Na, was willst du zuerst haben? Rot-schwarze Schlafzimmerwände oder ein neues Tattoo?“, fragte ich. „Da musst du dich entscheiden.“ Ich lachte, denn so ganz ernst gemeint war das nicht. Natürlich war ich als der finanzkräftigere von uns beiden bereit, den größten Teil unserer spontanen Schlafzimmer-Streichaktion zu bezahlen.
„Ach man, was soll denn das?“, seufzte Tsu.
„Hey, das war ‘n Scherz. Ich bezahl die Farbe, wer sonst?“
Wir erreichten die Bahnstation und setzten uns auf eine der Bänke, warteten, bis die nächste Bahn in die Innenstadt kam. Tsuzukus Hand lag wieder auf meinem Bein, liebevoll und zugleich besitzergreifend, deutlich machend, dass er und ich zusammen gehörten. Er sah mich an und in seinen dunklen Augen leuchtete etwas auf, so als ob ihm wieder eine schöne Idee kam, die irgendwie mit mir zu tun hatte. Jetzt, in diesem Moment, hatte er bestimmt keine Angst, dass ich ihn allein lassen könnte.
Auf dem Bahnsteig wurden es immer mehr Menschen und ich spürte ab und an einen irritierten oder abfälligen Blick auf uns. Hoffentlich, so wünschte ich es mir von ganzem Herzen, fühlte Tsu sich gerade gut und stark und sicher, sodass ihm diese Blicke nichts anhaben konnten. Dass seine Hand auf meinem Bein liegen blieb, er sie nicht zurückzog, sprach jedenfalls dafür, dass er gerade keine Angst vor den Blicken der Leute hatte.
Als die Bahn einfuhr, stand er mit einem Ruck auf, umarmte mich noch einmal und stieg dann ein, sah mich noch durch ein Fenster an, als die Bahn schon losfuhr, und formte seine Lippen zu einem Kussmund.
‚Hoffentlich bleibt er heute so glücklich‘, dachte ich, und dann: ‚Wird es immer so sein, dass seine Stimmung so sehr schwankt und ich immerzu hoffen muss?‘
Kurz darauf kam auch meine Bahn und auf dem Rest des Weges zu meiner Arbeitsstelle musste ich daran denken, wie Tsu früher auf der Straße gewesen war. Manches war jetzt ja viel besser, anderes schien schlimmer zu werden. Oder einfach irgendwie anders. Ich war froh, dass er nicht mehr ganz so kaputt war wie damals, als ich ihn kennen gelernt hatte, denn das war auch für mich, der ich ihn sofort gern gehabt hatte, eine schwere Zeit gewesen.
Ich kam recht nachdenklich im Café an, und Koichi, der schon da war, bemerkte das sofort, als wir zusammen in der Umkleide waren.
„Na, Meto-chan, woran denkst du?“, fragte er.
„Wegen Tsu … ihm geht heute grad sehr gut … aber ich hab dann so Angst, dass … er einfach so wieder … abstürzt“, antwortete ich leise und begann, mich umzuziehen.
„Hm …“, machte Koichi und setzte sich neben mich. „Kommt das denn öfter vor?“
„Ab und zu. Einen Moment … ist er total gut drauf und dann … na ja, weißt du ja. Und weil ich jetzt weiß, wie man das nennt und was das ist … Es wird immer so sein, oder?“ Ich spürte, wie ein kleiner, fieser Zweifel in mir hochkam, eine gemeine Angst davor, dass Tsuzukus größte Angst sich bewahrheiten und ich ihn wirklich irgendwann nicht mehr aushalten würde.
„Meto, ich denke mal, solange wir beide bei ihm sind, wird’s nicht arg schlimmer werden“, sagte Koichi. „Wir sind doch genau das, was Tsuzuku am meisten braucht. Du bist nicht allein mit ihm, ich bin auch noch da, und Tsu hat ja jetzt noch Hitomi.“
„Aber … weißt du, vielleicht… wir mal so richtige… Hilfe brauchen ... Und das will er nicht. Er absolut nicht …ins Krankenhaus will…“
„Weißt du, warum er nicht will?“
„Er sagt, …will nicht so… unter Kranken sein. Dass… Angst hat, dann sein letztes bisschen Normalität verliert und völlig durchdreht.“
„Okay, das kann ich irgendwie verstehen“, sagte Koichi und knöpfte dabei die Weste seiner Uniform zu. „Wenn man den falschen Psychiater erwischt, kann das übel schiefgehen.“
Die Arbeit lenkte mich dann aber ganz gut von der Sorge um meinen Freund ab. Ich hatte alle Hände voll zu tun damit, stumm die Mädchen im Café zu bespaßen, Essen zu servieren und immer wieder für Fotos bereitzustehen. Ein bisschen überfordert und ungeübt war ich zwar immer noch, aber ich kam zurecht und Koichi half mir auch, wo er konnte. Er ging richtig auf in seiner Arbeit und ich hatte den Eindruck, dass er sich aus seiner Traurigkeit der letzten Tage rausgekämpft hatte.
„Geht dir besser, Ko, oder?“, fragte ich, als wir in der Pause im Hinterhof standen.
Koichi zündete sich eine Zigarette an und nahm einen Zug, dann antwortete er: „Ja, alles wieder so weit gut.“ Er schwieg einen Moment, lächelte und sagte dann: „Mikan und ich, wir sind jetzt so was wie zusammen.“
„Echt? Also, so ein … richtiges Paar?“, fragte ich erstaunt, denn ich hatte nicht gedacht, dass das so schnell gehen würde.
„Na ja, so ganz und gar klar ist es noch nicht. Aber wir sprechen darüber und wir küssen uns. Das ist doch schon was, oder?“
„Schön ist das!“ Ich lächelte. Es freute mich sehr für Koichi, dass er nicht mehr so einsam war und dass Mikan ihn jetzt anscheinend auch als vollwertiges männliches Wesen ansah. Das hatte ihn offenbar doch sehr gekratzt, dass ihn die Mädels als ‚halbe Frau‘ angesehen und auch irgendwie so behandelt hatten.
In dieser Pause rauchte ich mal wieder eine einzelne Zigarette mit, hatte irgendwie Lust darauf. Ich wusste, ich konnte mich glücklich schätzen, dass ich nicht immer rauchen musste, sondern es die längste Zeit über sein lassen konnte.
Tsuzuku war da ja ganz anders, er war so ziemlich abhängig und konnte nicht ohne seine Zigaretten klarkommen. Ich konnte mich noch gut erinnern, wie ich ihm damals im Akutagawa-Park fast jeden Tag ein Päckchen mitgebracht hatte. Inzwischen rauchte er weniger als damals, vielleicht vier oder fünf am Tag, aber aufhören würde er bestimmt nicht.
„Sag mal, wie geht’s Tsu?“, fragte Koichi mich. „Also, so allgemein?“
Und da erst fiel mir ein, dass Koichi vielleicht noch gar nichts von dem schlimmen Schmerzanfall wusste, den Tsu letztens gehabt hatte. Ich traute meinem Freund zu, dass er diese Sache vor Koichi verschwiegen hatte, aber irgendwie fand ich, dass dieser darüber Bescheid wissen sollte.
„Tsu dir erzählt hat, … was vorletzte Nacht war …?“, fragte ich deshalb.
„Nein. Was war denn?“
„Er… so ‘ne Art schlimmen Schmerzanfall… hatte. Irgendwie… Albtraum oder so …, und dann …aufgewacht und… Herz tat ihm sehr weh. Er ist richtig …ohnmächtig geworden… von den Schmerzen. Ich hab… Notärztin gerufen, aber die… hat keine körperliche …Ursache gefunden …“
„Oh Gott …“, entfuhr es Koichi, er schlug sich die Hand vor den Mund vor Schreck. „Warum sagt er mir so was nicht?“
„Wahrscheinlich, damit… dir keine Sorgen machst… Kennst ihn doch, so ist er.“
Koichi nickte mechanisch, und ich fragte mich, ob es nicht doch falsch war, dass ich ihm das jetzt erzählt hatte. Er schien ziemlich schockiert zu sein.
„Und ist er wenigstens deswegen mal im Krankenhaus gewesen?“, fragte er dann.
„Nein, noch nicht. Weil … die Ärztin hat gesagt, dass … halt psychosomatische Ursache sein kann … und Tsu will halt nicht … in Klinik über … na ja, Borderline und das alles reden …“
„Hm … Ach man, warum muss das auch immer alles so schwer sein?“, seufzte Koichi.
Ich zuckte mit den Schultern, wusste ja auch nicht, warum.
„Wir beide müssen gut auf Tsuzuku aufpassen“, sagte er dann. „Anscheinend weiß er mal wieder vor lauter Angst nicht mehr, was gut für ihn ist.“
Wir gingen beide wieder an die Arbeit und machten bis Mittag durch, dann hatte ich Schluss, während Koichi noch bis abends zu tun hatte. Wenn er nicht noch zu arbeiten gehabt hätte, hätte ich ihn gefragt, ob er Tsu und mir beim Streichen unseres Schlafzimmers helfen wollte, aber so musste ich jemand anderes fragen. Und darum meldete ich mich, als ich auf dem Heimweg war, nach einer gefühlten Ewigkeit mal wieder bei Haruna. Sie war anscheinend wieder mal im Akutagawa-Park, denn ich hörte im Hintergrund das Rauschen der Bäume und das Reden der anderen.
„Hey, Meto! Gibt’s dich auch noch?“, fragte sie und lachte.
Ich nickte, dann fiel mir wieder ein, dass sie das ja am Telefon nicht sehen konnte, und ich brachte ein leises „Ja“ raus.
„Du und Tsuzuku, ihr fehlt hier ein bisschen bei uns im Park. Will er immer noch nicht wieder herkommen?“, fragte Haruna.
„Nein … Aber Hanako und du, ihr … gerne zu uns … kommen könnt. Darum … ich anrufe, weil … Tsu und ich … das Schlafzimmer streichen wollen … heute.“
„Und da braucht ihr Verstärkung, ja?“ Haruna lachte wieder.
„M-hm.“
„Okay, wann sollen wir da sein?“
„Irgendwann … heute Nachmittag. Tsu und ich … noch erst die Farbe kaufen müssen.“
„Also so um drei oder so?“
„Ja, … drei is gut.“
„Alles klar, ich sag Hana und Yami Bescheid, dann treffen wir uns beim Baumarkt, okay? Dann können wir euch gleich schleppen helfen.“
Als ich zu Hause angekommen die Wohnungstür aufschloss, schallte mir laute Musik entgegen. Dir en grey, Raison d‘être. Ich schaute ins Schlafzimmer und sah Tsuzuku bäuchlings auf dem Bett liegen, er hatte meine Musikanlage auf den Boden gestellt und um ihn herum lagen eine Menge Zettel, Stifte und aufgeschlagene Bücher.
„Was machst du da?“, fragte ich laut gegen die Musik an.
„Siehst du doch“, antwortete er. „Ich schreibe wieder.“
„Und was schreibst du?“
Er stand auf, stellte die Musik etwas leiser und sagte: „Gedichte, Texte, alles, was mir so einfällt.“
Ich wusste, dass er früher mal Gedichte geschrieben hatte, doch ich hatte ihn noch nie direkt kreativ schreiben sehen. Und irgendwie, obwohl die Gedichte, die er jetzt schrieb, wahrscheinlich überwiegend dunkel und traurig waren, hatte dieses Bild von ihm, so umringt von Zetteln und Büchern, etwas Positives.
Auf der hellen Bettwäsche sah ich etwas liegen, das meine Aufmerksamkeit auf sich zog: Eine rote, runde Schachtel, eine von denen, die man im Juwelierladen bekam, wenn man ein Paar Ohrringe oder dergleichen kaufte. Hatte Tsuzuku sich irgendein neues Schmuckstück gekauft?
Er bemerkte meinen Blick und nahm die Schachtel in die Hand, doch statt sie zu öffnen und mir zu zeigen, was darin war, steckte er sie in die Tasche seines Kapuzenpullovers.
„Hast du schon Lohn bekommen und dir was gekauft?“, fragte ich.
„Ja, Kurata hat heute mal ausgezahlt. Ist nicht viel, reicht noch nicht für das Tattoo.“
„Und was hast du gekauft?“
„Siehst du noch früh genug“, sagte Tsu und lächelte. Er war immer gut drauf, wenn er ein schönes neues Teil erstanden hatte, aber das Leuchten, das jetzt in seinen Augen strahlte, war irgendwie ein bisschen anders als seine normale Freude über etwas neu Gekauftes. Und so fragte ich mich, was wohl in dieser kleinen, roten Schmuckschachtel steckte, dass es meinen Freund so glücklich stimmte.
Tsuzuku räumte die Schreibsachen weg, ich brachte die Musikanlage zurück ins Wohnzimmer und setzte mich dann in die Küche, um mal zu überlegen, was wir alles brauchten, um das Schlafzimmer schön zu machen.
„Meto, ich war vorhin kurz bei Dr. Matsuyama. Sie sagt, ich soll demnächst doch noch mal für Untersuchungen zu ihr kommen, EKG und so was“, sagte er auf einmal und öffnete dabei wieder das Fenster, um eine Zigarette zu rauchen.
„Und? Gehst du dann auch hin?“
„Wäre wohl besser, oder?“ Er zündete die Zigarette an und nahm einen Zug. „Und sie hat für mich bei einem Psychiater angerufen … Da weiß ich allerdings wirklich nicht, ob ich das will …“
„Eher nicht, oder?“, fragte ich.
„Nein … Wenn ich so dran denke, will ich das wirklich nicht.“
„Hast du ihr das gesagt?“
„Ja. Sie meinte auch, ich muss nicht sofort mit dem Psychiater sprechen. Aber … ich weiß ja selber, dass ich das irgendwann muss …“
„Rede da doch mal mit Hitomi drüber“, schlug ich vor. „Die kennt sich doch aus mit so was, da kann sie dir bestimmt sagen, was man da am besten sagt.“
„M-hm …“
Ich nahm mir Zettel und Stift und wechselte das Thema: „Also, wir brauchen Farbe und Pinsel und diese Malerrollen, Folie, um das Bett und den Schrank abzudecken und … was noch?“
„Dieses Klebeband aus Papier, was man ganz leicht wieder abkriegt, oder? Wenn wir auf dem Rot einen schwarzen Streifen haben wollen.“
Ich schrieb alles auf und sagte dann: „Haruna, Hanako und Yami warten beim Baumarkt auf uns. Dann müssen wir beide nicht alles allein schleppen.“
„Und Koichi muss arbeiten?“
„Ja, bis heute Abend.“
„Meinst du, wir schaffen das ganze Zimmer heute?“, fragte Tsu.
„Weiß nicht. Aber eigentlich schon, zu fünft müsste das zu schaffen sein.“
„Sonst schlafen wir halt eine Nacht im Wohnzimmer, ne?“ Tsuzuku grinste und fügte dann mit einem leicht anzüglichen Ton in der Stimme hinzu: „Das hat doch auch was Romantisches an sich.“
Ich lachte. „Wie du immer gleich an Sex denkst …“
„Ich bin verliebt, ich darf das.“
Ich stand auf und umarmte ihn, flüsterte in sein Ohr: „Ich auch.“ Das brachte mir einen besonders süßen Kuss ein und Tsuzukus Hand unter meinem Shirt an meinem Rücken.
„Heute lieb ich dich irgendwie ganz besonders“, flüsterte er zurück. „Ich will dich am liebsten gar nicht mehr wieder loslassen.“
Einen Moment blieben wir so stehen, eng umarmt und verliebt, und ich spürte geradezu, wie sich Tsu’s innerer Liebesspeicher auffüllte mit meiner Nähe.
„Wir müssen los“, sagte ich schließlich leise. „Komm, heute Abend kann ich dich noch viel mehr umarmen.“
Er löste sich langsam von mir, ich nahm die Liste vom Tisch und tat sie im Flur in meinen Rucksack, der sicher groß genug war, um Pinsel, Malerrollen und eine Rolle Folie unterzubringen. Die Eimer mit der Farbe würden wir so tragen müssen. Zum ersten Mal ärgerte ich mich, dass ich nie den Führerschein gemacht hatte und deshalb immer alles zu Fuß oder mit der Bahn erledigen musste.
„Sag mal, Tsu, hast du eigentlich früher mal Auto fahren gelernt?“, fragte ich ihn, während ich meine Schuhe anzog.
„Ich hab mal angefangen. Aber ich hatte immer Stress mit dem Fahrlehrer und dann halt keine Lust mehr. Außerdem hatten Mama und ich nicht das Geld für ein Auto.“
Wir machten uns auf den Weg zur Bahnstation, und Tsuzuku hielt wieder die ganze Zeit über meine Hand, ganz fest, sodass ich spürte, dass er wieder diese leise, gemeine Angst hatte, ich könnte ihn irgendwann verlassen. Ich drückte seine Hand, streichelte mit dem Daumen über seinen Handrücken und sah ihn ab und zu an, er sah nachdenklich aus.
Und als wir die Bahnstation erreichten, spürte ich, wie seine Hand mit einem Mal zu zittern anfing.
„Alles okay?“, fragte ich leise.
Er zuckte mit den Schultern. „Es ist nur … dieser Zwiespalt immer. Einerseits will ich mit dir auch öffentlich Händchen halten, aber … ich hab Angst vor den Blicken, die dann kommen.“
„Vergiss die Leute. Ignorier sie. Lass nicht zu, dass dich das kratzt“, sagte ich und lächelte leicht.
„Das sagst du so.“
„Versuch es mal. Sieh mal, ich falle auch auf, aber ich kann die Blicke ausblenden. Und ich glaube, das kannst du auch lernen.“
„Meinst du?“
Ich antwortete nicht darauf, denn in diesem Moment fuhr die Bahn ein, die wir nehmen mussten, um in das Industriegebiet am Stadtrand zu gelangen, wo es sicher auch einen Baumarkt gab. Die Fahrt ging einmal quer durch die Stadt, aber wir redeten in der Bahn nicht viel, Tsuzuku hing seinen eigenen Gedanken nach, und ich versuchte, im Kopf auszurechnen, wie lange wir zu fünft für das ganze Schlafzimmer brauchen würden, es zu streichen.
Von der Bahnstation war es ein ganzes Stück zu Laufen, bis wir vor der riesigen Industriehalle standen, über deren Tür in großen Zeichen der Name des Marktes stand. Davor, auf dem Boden an der Mauer, sah ich Haruna und Hanako sitzen, beide in denselben Klamotten wie im Park: Buntschwarz, zerrissen und auffällig, so, wie ich sie kannte.
Zuerst dachte ich, dass Yami vielleicht doch nicht mitgekommen war, aber dann kam sie um die Ecke, mit einer Tüte vom Schnellimbiss, der sich auf der anderen Straßenseite befand. Sie sah ebenfalls genauso aus, wie ich sie kannte, komplett in Schwarz und eine deutliche Spur abgerissener und ärmlicher als die beiden anderen. Anscheinend lebte Yami immer noch dort im Park unter der Brücke, im Gegensatz zu Haruna und Hana, die ja beide in richtigen Wohnungen lebten.
„Heeey, Meto“, rief Hanako und stand auf. „Hey, Tsu!“
Sie kamen alle drei auf uns zu und ich fühlte ein klein bisschen was von dem alten Akutagawa-Park-Gefühl, von dem Zusammenhalt dort. Es fühlte sich seltsam an, ich wusste nicht, ob ich noch wirklich dazugehörte oder nicht.
Haruna umarmte erst mich, dann Tsuzuku, und Yami lächelte nur leicht, blieb wie immer erst mal auf Abstand. Und irgendwie fragte ich mich auf einmal, was mit ihr eigentlich los war. Ich kannte sie kaum richtig, eben weil sie sich selbst immer eher aus Gruppen herauszog und Distanz hielt, aber anscheinend ließ sie sich von Haruna immer wieder überzeugen, Sachen mitzumachen. Ich wusste, ‚Yami‘, Dunkelheit, war ihr selbstgewähltes Pseudonym, und sie wirkte auch so, dass es zu ihr passte.
Als wir alle zusammen in den Markt gingen, sah ich aus dem Augenwinkel, wie Tsuzuku Yami ansprach, und hörte ihn fragen, wie es ihr ging. Ich ließ mich zwei Schritte zurückfallen und ging neben Tsu, hörte ein bisschen zu, was Yami sagte.
„Na ja, geht so … Letzte Woche war ich schlimm erkältet, deshalb war ich in der Unterkunft. Aber kennst du ja, Tsu, die vielen Menschen da machen einen wahnsinnig.“ Sie blickte zu Boden, dann griff sie an ihren Arm, strich über den löchrigen Stoff ihrer schwarzen Jacke. „… Sieht so aus, als ob ich ein bisschen deine Rolle bei uns im Park übernehme, Tsuzuku.“
„Wie jetzt, meine Rolle?“, fragte mein Freund, klang alarmiert.
Yami blieb stehen, blickte wieder nur zu Boden und sagte dann: „Na ja, mit dem Ritzen und so … Ich hab das jetzt auch ein paar Mal gemacht.“
Tsu sah ziemlich erschrocken aus, blieb ebenfalls stehen und sagte recht laut: „Hör damit auf, solange du noch kannst! Sonst kommst du nie wieder davon weg.“
Ich spürte, wie seine Stimmung umschlug und dann lief er voraus, zu Hana und Haruna, die schon auf der Suche nach dem Regal mit den Wandfarben waren.
„Jetzt ist er sauer auf mich, oder?“, fragte Yami mich leise.
„Nein…“, sagte ich. „Ist er nicht … Es ist nur … na ja, er da so tief drin steckt, in dieser… Borderline-Sache, deshalb… ihn regt das auf…“
„Also hat er das so richtig, Borderline?“
„Wahrscheinlich schon…“
Yami sagte nichts mehr dazu und wir gingen die anderen einholen.
Als wir an dem Regal ankamen, hörte ich Hanako fragen: „Schwarz? Echt jetzt, Tsuzuku, du willst die eine Wand schwarz streichen?!“
„Ja, will ich. Zwei Wände rot, zwei schwarz.“
„Das wird dann aber dunkel, euer Liebesnest …“, sagte Haruna.
„Ich mag‘s dunkel, das wisst ihr doch.“
„Und was sagt Meto dazu?“, fragte Hanako, dann sah sie mich und fragte mich direkt: „Meto, was sagst du dazu, dass Tsu die Wand bei den Fenstern und die mit der Tür schwarz streichen will?“
Was sollte ich dazu sagen? Ich konnte mir das noch nicht so wirklich gut vorstellen, obwohl ich irgendwo doch das Gefühl hatte, dass es zum Bett, das ja auch rot und schwarz war, passen würde. Und ich wollte Tsuzuku nicht in seine Farbwahl reinreden, weil ich selbst keinen besseren Vorschlag hatte. Mein Zimmer zu Hause war hellblau und das war ja nun wirklich nicht seine Farbe.
„Meto, lass dich doch von Tsu nicht immer unterbuttern“, sagte Hanako. „Schließlich musst du auch in dem Zimmer schlafen.“
Das hätte sie mal lieber nicht gesagt. Tsuzuku, der sich gerade schon die Farbstreifen am Regal angeschaut und die Rottöne mit dem tiefen Lackschwarz verglichen hatte, fuhr mit einem Ruck herum und blitzte sie wütend an.
„Ich buttere ihn nicht unter! Wir haben die Farben zu Hause besprochen und da war Meto vollauf damit einverstanden, dass ich schwarz dabei haben will!“, widersprach er ziemlich laut. „Und wenn euch das nicht passt, dann machen wir das halt nur zu zweit!“
„Darum geht’s nicht, dass ich nicht mithelfen will oder so. Nur solltest du mal drauf achten, ob ihr beide wirklich zusammen Dinge entscheidet, oder ob du die Sachen einfach beschließt und Meto das dann nur mitmacht.“ Hanako wurde nun auch merklich laut, sodass sich schon die Leute am anderen Ende des Regals nach uns umdrehten.
„Ach ja?! Dann weißt du ja bestimmt auch, wie ich mit meinem Freund am besten umzugehen habe, oder?! Dass ich ihm ja so ein schlechter Freund bin und so weiter …! Sag mir doch auch noch, wie ich wieder gesund und normal werde, wenn du’s alles so genau weißt!“ Innerhalb von ein paar Augenblicken war Tsuzuku komplett auf hundertachtzig, so schnell, dass ich gar nicht richtig mitkam.
„Tsu…“, begann ich, doch er unterbrach mich, schrie mich geradezu an: „Sag’s mir, Meto, hab ich über dich hinweg entschieden?! Bin ich so ein unerträglicher, egoistischer Typ, dass ich keine ordentliche, gleichberechtigte Beziehung auf die Reihe kriege?! Ist das so offensichtlich, dass ich ‘n gottverdammter Borderliner bin?!“ Bei den letzten Worten sprangen ihm Tränen in die Augen, er drehte sich um und lief weg, nach draußen.
Hanako blickte ganz schockiert und betroffen zu Boden.
„Das wollte ich nicht“, sagte sie leise. „Echt nicht. Ich dachte nur …“
Ich drehte mich um und lief raus aus dem Markt, sah mich draußen suchend nach Tsuzuku um. Hoffentlich war er jetzt nicht zu weit weg gelaufen.
Ich fand ihn auf einem fast leeren Parkplatz, wo er mit hochgezogenen Knien auf einem Kantenstein saß. Schon von weitem sah ich an seiner Haltung, dass er weinte. Schnell lief ich zu ihm, setzte mich neben ihn und legte meinen Arm um seine Schultern.
„Fuck!“, fluchte er mit tränenerstickter Stimme. „Ich hab’s schon wieder verbockt.“
„Hana hat’s nicht so gemeint“, sagte ich leise. „Sie wollte dich nicht verletzen.“
„Aber mir sagen, was ich zu tun habe, oder was?!“
„Tsu, wir gehen gleich zurück und dann kaufen wir die Farben, die du möchtest, okay?“
„Aber willst du das denn auch? Möchtest du auch, dass wir die zwei Wände schwarz machen?“
„Ja“, sagte ich und fühlte, dass es stimmte. „Wir haben das heute Morgen beschlossen und wenn ich da was dagegen gehabt hätte, dann hätt ich dir das schon gesagt.“
„Sicher?“
„Ja. Ganz sicher.“ Ich stand auf und hielt meinem Freund die Hand hin, um ihm aufzuhelfen. „Alles gut, mein Herz.“
Er stand auf und umarmte mich, und da spürte ich sie wieder, seine Angst, dass ich ihn verlassen könnte. Ich fühlte es daran, wie er mich an sich drückte: So, als wollte er mich festhalten, gar nicht wieder loslassen, weil er fürchtete, ich könnte verschwinden.
Wir gingen Hand in Hand wieder zurück in den Baumarkt, zu dem Regal mit den Farben, wo Haruna gerade versuchte, die immer noch geschockte Hanako zu beruhigen, und Yami etwas unschlüssig danebenstand.
„… Vielleicht geh ich besser“, hörte ich Hana gerade sagen.
„Nein, wir machen das jetzt zuende. Schau, da sind die beiden schon wieder“, erwiderte Haruna.
Tsuzuku ließ meine Hand los und ging auf Hanako zu. „Tut mir leid, Hana“, sagte er.
Sie stand auf und sah ihn an. „Na ja, war ja irgendwie mein Fehler. Ich muss mich entschuldigen.“
Und bevor es schon wieder gefährlich wurde, mischte sich Haruna ein: „Ist doch jetzt egal, wer angefangen hat. Vertragt euch wieder, und dann ist gut.“
Und obwohl danach Ruhe war und keiner mehr ein böses Wort verlor, war die Stimmung so ziemlich hin. Wir kauften vier Eimer Farbe, zwei rot, zwei schwarz, dazu Malerrollen, Pinsel, Abdeckfolie und Kreppband. Ich bezahlte alles mit Karte und erinnerte mich kurz an die Zeit, als ich vor den Leuten im Akutagawa-Park damals verheimlicht hatte, dass ich aus reichem Hause stammte. Als nicht mal Tsuzuku gewusst hatte, wovon ich seine Zigaretten und die häufigen Besuche im Badehaus bezahlt hatte. Heute verstand ich kaum mehr, warum ich das damals so geheim gehalten hatte.
Im Zug zu uns nach Hause fielen wir mit dem ganzen Kram natürlich ziemlich auf. Wer schleppte schon Farbeimer mit der Stadtbahn nach Hause? Es war auch ziemlich voll und wir hatten Mühe, zusammen zu bleiben und die Eimer an der Haltestelle aus der Bahn zu kriegen.
Auf dem Weg von der Bahn zu uns nach Hause kam dann wieder etwas bessere Stimmung auf. Haruna und Yami redeten über irgendwelche Geschichten aus dem Park, Hanako sagte etwas dazu und Tsuzuku mischte sich schließlich auch wieder ein und zeigte so, dass er Hana den Streit von eben nicht länger nachtrug. Ich sagte nicht viel, da ich den Mädchen gegenüber immer noch nicht gut sprechen konnte und es mir vor Tsu immer irgendwie ein wenig peinlich war, dass ich mit allen anderen außer ihm immer noch nur mit Sprachfehler redete.
Wir schleppten die Eimer bis rauf zu unserer Wohnung, es gab ja keinen Fahrstuhl, deshalb dauerte es ziemlich lange, bis wir oben angekommen waren.
Oben im Flur stellte Haruna dann mit Blick ins Schlafzimmer fest, dass es schon ziemlich spät war, und sagte: „Ich glaube, wir müssen das Ganze in zwei Etappen machen. Heute schaffen wir nicht alles.“
„Wir können ja morgen wieder herkommen, dann machen wir den Rest, während Tsu und Meto bei der Arbeit sind“, schlug Yami vor. „Geht das?“
Sie sah mich fragend an und ich nickte, fragte sicherheitshalber meinen Freund noch mal: „Oder, Tsu, das geht doch …?“
„Klar geht das.“ Tsuzuku lächelte.
Irgendwie schien es ihm wieder gut zu gehen. So war er eben: Innerhalb von Sekunden konnte er sowohl völlig zusammenbrechen, als auch wieder bester Laune sein. Ich hatte mich eigentlich schon längst daran gewöhnt und kam einigermaßen damit zurecht, aber jetzt, wo diese starken Schwankungen einen Namen hatten, sah ich sie ein wenig mit anderen Augen. Ich fragte mich einfach, ob die jemals wieder weniger werden, oder ob es in Zukunft schlimmer werden würde.
Mir blieb jedoch keine Zeit, weiter über die psychische Gesundheit meines Freundes nachzudenken, denn jetzt ging es daran, Schrank und Bett mit der Folie abzudecken und das Zimmer für’s Streichen vorzubereiten. Die Folie reichte geradeso auch noch für den Fußboden, und wir holten uns die Stühle aus der Küche, weil wir ja keine Leitern hatten. Die Matratzen und das Bettzeug kamen rüber ins Wohnzimmer, wo Tsu und ich uns dann später ein Lager für die Nacht machen wollten.
Das Streichen an sich machte zu fünft dann doch ziemlich viel Spaß. Haruna und Hanako hatten sich alte Hosen und Shirts mitgebracht, auch welche für Yami, die ja so wenig besaß. Ich suchte mir ebenfalls geeignete Sachen raus, ein ausgeleiertes T-Shirt und eine alte Sporthose, und auch Tsuzuku kramte eine abgewetzte Jeans und ein schon leicht kaputtes, schwarzes Shirt aus dem Schrank.
Wir fingen mit Rot an, strichen erst die von der Tür aus gesehen rechte Wand, wo ja nichts im Weg stand und wir so ohne Hindernisse einfach den Streifen vorzeichnen und dann alles drum herum rot streichen konnten.
Dabei kleckste Haruna sich natürlich Farbe auf die Hose, Hanako lachte sie aus und bekam dafür einen Tupfen mit dem Pinsel ab, wurde dafür wiederum von Tsuzuku ausgelacht, der jetzt allerbester Laune war und mir dementsprechend auch einen Farbtupfer verpasste. Yami kicherte verhalten, und um sie ein bisschen mit einzubeziehen, verpasste Haruna ihr auch einen Klecks rote Farbe.
„Geht die Farbe eigentlich leicht wieder ab?“, fragte Yami auf einmal und grinste.
„Mit Wasser und Seife wahrscheinlich schon“, sagte Hanako. „Musst sie halt nur schnell wieder abwaschen, denke ich.“
„Dann ist ja gut.“ Yami nahm grinsend ihren Pinsel, an dem ordentlich Farbe war, schnappte sich Tsu, und ehe der sich irgendwie hätte wehren können, hatte sie ihm einen roten Streifen auf die Wange gemalt.
„Woah, Yami, was …?!“ Ein weiterer Streifen kam auf seine Hand, seinen Arm, noch einer in sein Gesicht, er lachte laut, griff sich seinerseits einen Pinsel und verpasste Yami ebenfalls einen Farbstreifen ins Gesicht.
„Iiieeeks, das kitzelt!“, quietschte sie. „Mal du lieber mal Meto an!“
Und bevor ich irgendwas dagegen sagen konnte, hatte ich von Tsu nicht nur einen roten Farbtupfer aufs T-Shirt, sondern auch einen ins Gesicht bekommen.
„Steht dir gut“, lachte er. „Passt zu deinen Haaren.“
„Findest du, dass das passt?“, fragte ich und bemerkte erst gar nicht, dass ich ganz fließend sprach, obwohl ich nicht mit Tsuzuku allein war.
Haruna, deren rückenlange Haare ja ebenfalls blau waren, wenn auch ein wenig dunkler als meine, bemerkte es aber: „Also, ich finde, das passt wunderbar. Aber was ich noch mehr finde, ist, dass Metolein ja gerade ganz ordentlich spricht!“
„Stimmt, das war gerade ganz einfach und fließend“, sagte Hanako.
Sofort wurde ich rot und brachte dank Vorführeffekt nur wieder stockend heraus: „Das… wegen Tsu. Ich… mit ihm ja… gut spreche…“
„Ich glaube, wenn du nicht drüber nachdenkst, dass du sprichst, dann klappt es auch“, sagte Haruna.
Das gab mir ordentlich zu denken, und ich verschwand erst mal ins Bad, um mir die Farbe wieder abzuwaschen. Tsu tat es mir danach gleich und auch die Mädels wuschen das Rot wieder ab, bevor es antrocknete. Dann machten wir weiter, zumindest ich und die Mädchen, während Tsuzuku sich für eine kurze Zigarettenpause ans Küchenfenster zurückzog.
Gegen sieben Uhr waren wir mit der ersten Wand fertig und nahmen uns die zweite Wand, rechts von der Tür vor, wo der Schrank stand. Nachdem wir diesen von der Wand abgerückt hatten, zeichneten Haruna und ich den Streifen wieder mit Kreppband vor und dann ging die Malerei von vorne los. Die zweite Wand war, da wir schön in Schwung waren, um einiges schneller fertig, und dann war auch schon die rote Farbe leer.
„Machen wir das Schwarze heute noch oder verschieben wir das auf Morgen?“, fragte Yami.
„Ich würde sagen, wir machen alles, was wir heute noch schaffen“, antwortete Haruna und sah auf die Uhr. „Wir haben jetzt halb neun. Wann wollt ihr Jungs denn schlafen gehen?“
„Keine Ahnung. Vielleicht um zehn oder elf, das geht auf jeden Fall, oder, Meto?“, fragte Tsu.
Ich nickte. Dachte an das Schlaflager im Wohnzimmer und freute mich schon drauf, mich nachher mit Tsu zusammen dort schlafen zu legen. Allein, wenn ich daran dachte, dass wir einander wieder in den Armen hielten, küssten, und noch mehr …
Aber erst einmal mussten wir die schwarze Wand zumindest anfangen. Ich war vollauf einverstanden damit, dass wir die Wand, in der die beiden Fenster waren, schwarz machten, auch, wenn das Tsuzukus Idee und nicht meine gewesen war. Schließlich lebten wir hier zusammen und er hatte es sich nun mal sehr gewünscht.
Wand Nummer drei in schwarz wurde tatsächlich noch zur Hälfte fertig, dann hatte zuerst Yami, dann auch Haruna genug vom Streichen.
„Den Rest machen wir morgen, okay?“, sagte Haruna.
„Haste keine Lust mehr?“, fragte Hanako grinsend.
Haruna nickte, legte den Pinsel weg und umarmte ihre Freundin. „Ich bin fix und alle.“
„Alles klar, meine Süße. Willst du noch Entspannungsprogramm a la Hana bei mir zu Hause oder gleich in die Heia?“
„Entspannungsprogramm?“, mischte sich Tsuzuku mit einem breiten Grinsen ein. „So nennt ihr Frauen das also?“
„Was du immer gleich denkst …“
„Etwa nicht? Habt ihr keinen Sex?“, fragte Tsu ganz direkt.
Haruna lachte. „Doch, klar. Aber eben nicht nur.“
„Was macht ihr denn noch?“
„Als wenn dich das was angeht … Aber okay, ja, Hana hat ‘ne tolle Badewanne zu Hause, da baden wir oft zusammen. Zufrieden, Mr. Neugierde?“ Haruna lachte, zum Zeichen, dass sie Tsu seine Neugier nicht übel nahm, fragte dann aber: „Und ihr beide? Macht ihr auch ... noch andere Sachen?“
Ich wurde sofort rot, aber Tsuzuku sah die Sache natürlich wieder ganz offen: „Meto und ich duschen ab und zu zusammen. Und wir gehen halt auch zusammen ins Schwimmbad.“
„Ihr Männer seid bei so was ein bisschen direkter, oder?“, fragte Hanako.
„Kann sein“, antwortete Tsuzuku. „Wobei ich nicht so wirklich weiß, ob ich da normal bin.“
„Gibt’s bei Sex überhaupt ‚normal‘ und ‚unnormal‘?“, sagte Hanako und fügte noch hinzu: „Ich meine, wenn es total einvernehmlich ist, kann man doch fast alles machen, oder?“
„Ja, das schon. Aber … ich weiß manchmal nicht, ob es okay ist, dass ich so oft will.“ Tsu sah mich an und in seinen Augen stand die Frage, ob ich denn das alles auch wollte.
„Tsuzuku, wie alt bist du jetzt? Fünfundzwanzig, oder? Ich glaub, da ist es ziemlich normal, oft Sex zu wollen. Und solange Meto das mag, was ihr zusammen tut, brauchst du dir, denke ich, keine Sorgen zu machen“, sagte Haruna.
Ich lächelte, griff Tsu’s Arm und zog ihn zu mir, küsste ihn und flüsterte: „Alles gut, es gefällt mir sehr, was wir zusammen tun.“
Er lächelte mich an, küsste mich zurück, und ich hörte, wie Yami neben uns ein leises „Irgendwie seid ihr schon echt süß, ihr beiden“ hauchte.
Später dann, als die Mädels weg und wir wieder allein waren, legten Tsu und ich die beiden Matratzen im Wohnzimmer aus und machten uns dort ein gemütliches Schlaflager aus Kissen und Decken, zogen uns bis auf die Unterwäsche aus und kuschelten uns eng zusammen.
„Und? Wie findest du unser Schlafzimmer jetzt?“, fragte Tsuzuku.
„Schön“, sagte ich und lächelte. „Ich dachte erst, die schwarze Wand wäre vielleicht doch zu viel, aber jetzt mag ich’s.“
Tsus Finger malten kleine Kreise auf meinen Arm, er wirkte ein bisschen unruhig und aufgeregt. Sein Blick ging zu der roten Schmuckschachtel, die auf dem Bücherregal lag, und ich spürte, wie sich sein Herzschlag unter meiner Hand ein wenig beschleunigte. Auf einmal beugte er sich über mich, sah mich kurz mit leuchtenden Augen an und knutschte mich dann ins Kissen, drückte seinen ganzen Körper an meinen. Mir entwich ein überraschter Laut, den er mit einem kurzen Lachen quittierte, und dann löste er sich wieder von mir, stand auf und nahm tatsächlich die Schachtel aus dem Regal, kam mit ihr in der Hand zu mir zurück, kniete sich neben mir hin.
„Was ist da-…“, begann ich, weiter kam ich nicht, denn er legte mir den Finger auf die Lippen.
„Shhh, keine Fragen, Meto“, sagte er und lächelte.
Langsam und mit leicht zitternden Fingern klappte er die samtig bezogene Schachtel auf. Und was mir da entgegen strahlte, war keine Kette, kein Ohrschmuck, sondern ein silberner Ring mit einem einzigen, winzig kleinen, weißen Stein in der Mitte. Im Gegensatz zu den auffälligen Ringen, die ich sonst trug, war dieser ganz schlicht und praktisch gehalten, wie einer, den man immer trug.
„Gefällt er dir?“, fragte Tsuzuku, seine Stimme klang ganz weich.
Ich nickte, mein Kopf brauchte eine Weile zum Nachdenken. Tsu wollte mir einen Ring schenken? Ein Ring hatte deutlich mehr Bedeutungskraft als eine Kette oder ein Armband, also musste da irgendwas dahinterstecken. Ich war zugegeben ein wenig verwirrt.
Tsuzuku lächelte wieder. „Ich wollte es eigentlich so richtig kitschig machen, mit Rosen und Kerzen und so, aber … na ja, irgendwie ist mir da gerade nicht nach“, sagte er und verwirrte mich damit noch mehr. „Also wird es jetzt eben ganz einfach, nur du und ich und dieser Ring.“
„Tsuzuku? Wovon sprichst du?“, fragte ich.
Er lächelte, sah mich mit diesem unglaublich liebevollen Blick an und nahm dann mit leicht zitternden Fingern den Ring aus der Halterung der Schachtel.
Langsam ahnte ich, dass er irgendetwas sehr Wichtiges und Besonderes vorhatte, doch so richtig begriff ich es erst, als er mir bedeutete, mich vor ihn zu knien, was ich auch tat, und er dann wieder tief durchatmete.
Oh Gott, das war doch jetzt kein …?
„Ich weiß ja, unser Staat wird das nicht anerkennen, aber das ist mir auch egal. Mir geht es nur um dich, Meto. Darum, dass ich dich über alles liebe und keinen Tag mehr ohne dich sein will. Und ich will, dass das fest wird, dass man es sieht, dass du zu mir gehörst.“
Mein Herz klopfte wie verrückt, bei seinen Worten, und so, wie er mich ansah. Ich versuchte, diesen Moment in mir aufzunehmen, jede Sekunde in meine Erinnerung zu brennen und diese ganze starke Liebe zu spüren, die Tsuzuku in diesem Moment für mich empfand.
„Ich bin schon den ganzen Tag furchtbar aufgeregt, weil ich dir das unbedingt sagen will und dir diese eine Frage stellen muss“, fuhr er fort und hatte dieses wunderschöne Leuchten in den Augen. „Meto, ich liebe dich mehr als mein Leben, mehr als mich selbst und mehr, als ich jemals jemanden geliebt habe. Du bist mein Lebensinhalt und deshalb ...“ Er drehte den Ring zwischen seinen Fingern hin und her, blickte abwechselnd auf seine Hände und wieder in meine Augen. Mein Herz raste und ich glaubte, seines ebenso schnell und laut klopfen zu hören, als er sie stellte, diese eine Frage:
„… Deshalb will ich dich fragen: Willst du dein Leben mit mir verbringen, für immer, und … willst du mich heiraten?“
Im ersten Moment war ich zu keiner Antwort imstande. Ich konnte ihn einfach nur ansehen, spürte sofort, dass er unsicher wurde, weil ich nicht gleich antwortete. Ich blickte auf seine Hände, die den Ring weiter unruhig hin und her drehten, und dachte daran, dass ich diesen Ring gleich tragen würde, denn meine Antwort war: Ja. Ja! Ja!!
„Meto …?“, fragte Tsuzuku, seine Stimme zitterte ein wenig.
Und da brach es geradezu aus mir heraus: „Ja! Ja, ich will dich! Ich will dich heiraten!“
Ich sah, wie sich ein überglückliches Strahlen auf Tsuzukus Gesicht ausbreitete, legte im selben Moment meine Arme um seinen Hals und drückte meine Lippen auf seine, küsste ihn mit all meiner Liebe. Er ließ sich rückwärts ins Kissen sinken, ich auf ihm, doch einen Moment später fand ich mich unter ihm wieder, meine Hand in seiner, und sah den Ring aufblitzen. Tsuzuku küsste mich, ganz zärtlich und liebevoll, und schob dann langsam den Ring auf meinen Ringfinger.
„Du machst mich so wahnsinnig glücklich!“, flüsterte er in mein Ohr, küsste mich wieder und wieder und wieder, schmiegte sich eng an mich und ließ mich spüren, dass er heiß und erregt vor Liebe war. Fast sofort waren seine Finger an meinen Brustwarzen, drückten, streichelten, wobei er mein leises Seufzen mit seinen Lippen auffing.
‚Jetzt sind wir verlobt‘, dachte ich mit klopfendem Herzen. ‚Bestimmt hat Tsu gerade überhaupt keinen Zweifel daran, dass ich bei ihm bleiben werde‘
Meine Hände strichen über seinen warmen Körper, bis sie seine Nippel fanden und meine Finger schon fast wie von selbst mit ihnen zu spielen begannen. Tsuzuku stöhnte, ich beobachtete seine erregte, genießende Mimik und dachte daran, wie sehr ich ihn liebte. Ich wollte wirklich mein Leben mit ihm verbringen und trug den Beweis dafür jetzt am Finger, was mich ebenso glücklich machte wie ihn. Und so schob ich meine Shorts runter, zog seinen Körper noch etwas näher an meinen und flüsterte: „Ich will mit dir schlafen.“
Tsu lächelte, drückte mir einen kurzen, sehr süßen Kuss auf die Lippen und richtete sich dann auf, um seine schon recht eng sitzende Shorts ebenfalls auszuziehen. Er war schon richtig erregt, und ich wollte sein Glied einfach nur noch in mir haben, ohne Kondom dazwischen.
Ich lächelte ihn an und fragte leise: „Ist eigentlich das Ergebnis von dem Bluttest schon da?“
„Ja“, sagte er, seine Augen leuchteten erregt. „Alles gut. Wir können’s ohne Kondom tun.“
Er ging kurz das Gleitmittel aus dem Schlafzimmer holen, war schnell wieder bei mir, legte sich zu mir und fragte: „Wie hättest du es denn gern?“
„Ich will dich anschauen, wenn du mich nimmst“, antwortete ich. „Ich will deine Lust sehen, dich küssen und anfassen und lieb haben.“
Was dann folgte, war der wohl liebevollste und süßeste Sex meines bisherigen Lebens. Tsuzuku gab sich noch mehr Mühe als sonst, lieb und zärtlich zu mir zu sein, und doch fühlte ich seine kaum beherrschbare Leidenschaft und Ekstase, diese fast schon wahnsinnige Liebe.
Und als er kurz nach mir mit einem tiefen, erlösten Stöhnen kam und sich endlich, zum ersten Mal, richtig in mein Inneres ergoss, war das genauso schön, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Etwas von ihm in mir zu haben, seinen heißen Samen, seine ganze Lust und Liebe, das fühlte sich unglaublich schön an.
Danach lag er nah bei mir, in meinen Armen, sah mich an und flüsterte, noch ganz schwebend: „Ich liebe dich. Oh Gott, Meto, wenn du wüsstest, wie wahnsinnig ich dich liebe! Du bist das Beste, was mir je passiert ist, das Allerbeste!“
Er griff rüber zu meinem Kopfkissen, wo Ruana saß, und schob sie zwischen uns, kraulte sie ein bisschen zwischen den Ohren, und ich drückte sie an mich.
„Schau mal, Ruana“, sagte er leise, nahm meine Hand und hielt meinem Bärchen den Verlobungsring vor die Nase. „Meto bleibt jetzt für immer bei mir.“
„Ja, das tue ich“, sprach ich und küsste meinen Schatz über Ruanas Köpfchen hinweg.
Tsu legte seinen Arm um mich und drückte mich mitsamt meinem Bärchen eng an sich. Küsste erst mich, dann sie, dann wieder mich, und ich spürte, wie er sich von seinen eigenen Glücksgefühlen berauschen ließ und sich ihnen vollkommen hingab.
So, wie wir lagen, konnte ich aus dem Fenster schauen und die Sterne sehen, die über der Stadt und dem Meer leuchteten. Sie waren nicht stark zu sehen, nur ein wenig, aber sie waren da und ich fand sie romantisch.
„Tsu, schau mal, da sind Sterne“, flüsterte ich.
Er drehte den Kopf, löste sich dann von mir, so, dass er auch zum Fenster schauen konnte.
„Wenn da jetzt eine Sternschnuppe wäre … was würdest du dir wünschen?“
Er zuckte mit den Schultern. „Weiß ich gar nicht … Gibt so vieles … Außerdem darf man’s doch nicht sagen, oder?“
„Stimmt.“
Auf einmal huschte ein Lächeln über sein Gesicht. „Du, ich glaube, ich weiß sogar doch was. Aber ich sag’s nicht.“
„Macht’s dich glücklich?“
„Wenn es sich erfüllen würde, wäre ich der glücklichste Mensch auf der Welt.“
„Dann wünsch ich’s mir auch, für dich mit.“
Tsuzuku lächelte wieder und küsste mich. „Danke, mein Liebster.“
Er schmiegte sich eng an mich, ich setzte Ruana beiseite und umarmte Tsu, fühlte seinen warmen, nackten, wunderschönen Körper Haut an Haut an meinem und war glücklich, ebenso glücklich wie er.
Seit ich mich mit Mikan ausgesprochen hatte und aus uns eine Art Paar geworden war, das es miteinander versuchen wollte, waren meine Einsamkeit und das Gefühl des Verkanntwerdens fast völlig verschwunden.
Doch als ich an diesem Morgen fast eine Stunde früher aufwachte, kam ich irgendwie ins Denken darüber, ob es richtig war, dass Mikan und ich jetzt zusammen waren. Ich spürte nämlich nur wenig von der schwebenden Verliebtheit, die ich erwartet hatte. Dieses Gefühl, das ich bei Tsuzuku beobachtete, wenn er von Meto sprach, diese überschäumenden, rauschhaften Glücksgefühle und diese wahnsinnige Liebe, für die ich die beiden so bewunderte, die sah ich bei Mikan und mir irgendwie kaum. Wir waren immer noch mehr Freunde, als ein richtiges Paar, und ich fragte mich, woran das lag.
Ich hoffte sehr, dass sich dieses Gefühl von richtiger Liebe bald einstellen würde, denn ich wollte zu Mikan ganz ehrlich und von ganzem Herzen ‚Ich liebe dich‘ sagen.
Immer noch im Bett liegend, dachte ich an sie, an ihre süßen, weichen Lippen, ihre reine Haut und ihre nussbraunen Augen, und fragte mich, wann ich sie wohl in meinen Armen halten würde. Ich war unheimlich neugierig auf ihren Körper und darauf, ob ihr der meine gefallen würde. Wollte ihr zeigen, dass ich gerne ein Mann war, und sie liebhaben, nackt und warm und weich.
Und so stellte ich es mir vor, während meine Hände unter der Bettdecke über meinen Körper tasteten und ich mir vorstellte, dass es Mikans Hände waren. Es war noch dunkel und meine Fantasie nur allzu lebhaft, begierig und eindeutig. Langsam kam auch mein Gefühl für Sex zurück, und ich merkte, dass ich diese Empfindungen doch ziemlich weggeschlossen hatte, weil ich in der Hinsicht so allein gewesen war. Doch jetzt war ich nicht mehr Single, jetzt durfte ich Sex wollen, fantasieren und mir beim Gedanken an meine Mikan einen runterholen, und das tat ich.
Danach blieb ich noch ein bisschen liegen, bevor ich aufstand und duschen ging. Weil es ja noch früh war, konnte ich mir ganz entspannt Zeit lassen, schminkte mich danach ausgiebig und drehte meine Haare in Locken. Dann machte ich mir in aller Ruhe Frühstück, sah währenddessen am Laptop meine sozialen Netzwerke nach Neuigkeiten durch und stellte ein Foto von mir und meinem Frühstück auf mein Blog.
Ich klickte mich auch kurz bei Tsuzukus Blog rein, schaute nach, ob dort noch ein Hasskommentar aufgetaucht war, aber zum Glück war alles gut. Kein böser Kommentar, keine neuen Dislikes. Tsuzuku hatte den Hasskommentar gelöscht, und die anderen Kommentare waren drei, vier durchweg positive Rückmeldungen: Ein Kommentar kam von einem recht offensichtlichen Boyslove-Fangirl, die anderen von visuell geprägten Leuten, die Tsu’s Selfies anscheinend toll fanden.
Ich suchte noch ein paar nette, vertrauenswürdige Leute aus meiner Freundesliste aus und empfahl denen den Blog weiter, damit Tsu noch ein bisschen mehr positives Feedback bekam, dann loggte ich mich aus und klappte den PC zu.
Nach dem Frühstück machte ich mich ebenso entspannt für die Arbeit fertig und beschloss kurzerhand, dass ich heute statt des edlen Anzugs, den ich sonst immer trug, ein Kleid anziehen wollte. Mein Selbstbewusstsein als Mann war soweit wiederhergestellt, dass es mir nichts ausmachte, Frauenkleider zu tragen, und irgendwie hatte ich gerade Lust darauf.
Es war ein niedliches, knielanges Maid-Kleid im viktorianischen Stil, in derselben schönen kaffeebraunen Farbe wie der Anzug, und ich fühlte mich, sobald ich es anhatte, so hübsch und süß, sah mich im Spiegel an und lächelte. Mir schien es wirklich wieder gut zu gehen und darüber war ich wirklich sehr, sehr froh. Auch, dass ich mich in meinen geliebten mädchenhaften Sachen wieder so wohl fühlte. Zwischenzeitlich hatte ich nämlich fast schon Angst gehabt, dass mir diese Klamotten vielleicht bald nicht mehr gefallen könnten.
Ich machte ein Foto von meinem Look und stellte das auch gleich auf mein Blog. Und wo ich schon mal wieder online war, schaute ich meine Nachrichten durch und sah, dass Tsuzuku in seinem Blog vor zwei Minuten einen neuen Eintrag geschrieben hatte, einen Texteintrag, der mir augenblicklich ein Lächeln aufs Gesicht zauberte und ein spontanes Quietschen entlockte:
„Ich hab Meto gestern Abend einen Antrag gemacht. Ja, ihr lest richtig, ich will ihn heiraten. Und er hat ‚Ja‘ gesagt! ‚Ja‘! Ich bin so glücklich! Mein liebster Schatz auf der Welt bleibt jetzt für immer bei mir! Er liegt hier neben mir und schläft, ihr könnt euch nicht vorstellen, wie süß das aussieht. Oh Gott, wie sehr ich ihn liebe …!“
Ein Heiratsantrag! Wie wundervoll war das denn bitte!?
Ich konnte nicht anders, als aufzustehen und ein bisschen durch mein Wohnzimmer zu tanzen, so sehr freute ich mich für die beiden. So was Süßes! Und Tsuzuku schien wahnsinnig glücklich zu sein. Er war echt süß, wenn er so verliebt war, und am liebsten wollte ich sofort zu ihm fahren und ihm und Meto zur Verlobung gratulieren.
Ich sah auf die Uhr, es war immer noch sehr früh und ich würde eine Bahn früher als sonst nehmen können, um dann als einer der ersten bei der Arbeit zu sein. Auf jeden Fall würde ich Meto, wenn er dann ebenfalls dort ankam, über alle Einzelheiten des Heiratsantrages ausfragen. Und natürlich schrieb ich Tsu auf sein Blog ein Kommentar: „Oh, wie toll! Herzlichen Glückwunsch euch beiden! Bin ich dann auch zur Hochzeit eingeladen? ko_1“
Die Antwort kam erst, als ich schon auf dem Weg zur Bahn war, und zwar per SMS:
„Na klar bist du eingeladen!“, schrieb Tsuzuku mir zurück, „Wird wahrscheinlich nur ‘ne kleine Feier, aber DU bist auf jeden Fall dabei.“
Die Bahnfahrt über dachte ich dann darüber nach, dass in unserem Land die Regierung sich immer noch dagegen sperrte, dass Männerpaare anerkannt heirateten. Ich fand diese Intoleranz ziemlich idiotisch und engstirnig, und ich verstand es auch nicht wirklich, warum man da überhaupt was dagegen haben konnte. Liebe war doch verdammt nochmal Liebe, und die fiel nun mal da hin, wo sie wollte. Und außerdem: Was ging es den Staat an, welches Geschlecht Paare hatten, die ihr Leben nun mal fest miteinander verbringen wollten? Gar nichts ging den das an!
Als ich beim Café ankam, war ich wirklich der Erste dort, es war noch dunkel drinnen und ich machte erst mal Licht und begann dann mit den alltäglichen Vorbereitungen. Da wir seit einiger Zeit auch Frühstück anboten, musste ich den Ofen für die Brötchen vorheizen und schon mal einen Schwung Eier kochen, die Theke einräumen und so weiter.
Nebenbei schrieb ich am Handy mit Tsuzuku, dem es heute anscheinend wirklich ganz besonders gut ging und der mir wieder alles erzählte, was ihm gerade einfiel.
Dann schrieb mich Mikan an, sie wünschte mir mit Kusssmiley und Herzchen einen guten Morgen, was mich geradezu euphorisch stimmte und mich stark hoffen ließ, dass heute ein wundervoller Tag wurde.
Meine Kollegen trudelten dann auch langsam ein und nachdem sie festgestellt hatten, dass ich den Großteil der morgendlichen Vorbereitungen bereits erledigt hatte, bekam ich dafür ein kleines Lob von Satchan, die in dem Zuge auch gleich mein heute ja wieder sehr mädchenhaftes und niedliches Outfit komplimentierte.
„Heute sind wir richtige Otokonoko-Maids“, grinste mein Kollege Haruma, der sich gerade ebenfalls ein Kleid angezogen hatte. Er griff in seinen Spind und nahm ein Paar Katzenöhrchen raus, die er mir aufsetzte und mich wiederum angrinste. „Miau, miau, Kocha-kun ist ein Kätzchen!“
Ich lachte mit, setzte die Katzenohren dann jedoch wieder ab. Die waren dann doch irgendwie zu viel der Niedlichkeit.
Als Meto dann mit Ruana zusammen ankam und sein getupftes Lolita-Kleid anzog, bekam er auch noch mal Katzenohren aufgesetzt, aber da diese nicht mit seiner großen, roten Haarschleife harmonierten, nahm auch er sie wieder ab.
Bevor der Betrieb losging, fing ich Meto noch mal ab, um ihm zu gratulieren und alles noch mal aus seiner Sicht zu hören, nachdem Tsuzuku mich ja schon mit allen Einzelheiten versorgt hatte.
„Meinen allerherzlichsten Glückwunsch zur Verlobung, Meto-chan!“ Ich umarmte ihn.
„Dankeschön“, antwortete er und strahlte mich an. Er wirkte ebenso glücklich wie Tsuzuku, total verliebt und happy. Hatte er gestern noch über seine Sorgen um seinen Freund gesprochen, so sah er heute so zufrieden und glücklich aus, dass man fast vergessen konnte, dass es in der Beziehung zwischen den beiden durchaus auch dunkle Tage gab.
Meto erzählte mir nicht ganz so viel wie Tsu, was aber wohl zum größten Teil an seinem Sprachproblem lag, aber das war auch nicht weiter schlimm, da Tsuzuku mir ja schon alle für mich interessanten Details mitgeteilt hatte.
Wir machten uns an die Arbeit, die Mädels standen schon vor der Tür und wollten frühstücken. Und ich stellte recht zufrieden fest, dass Metos Art bei den Gästen immer noch sehr gut ankam, und das wohl besonders deshalb, weil sich irgendwie doch rumgesprochen hatte, dass er auf Männer stand. Ich bekam ein paar Mal mit, wie er gefragt wurde, ob er Tsuzuku nochmal ins Café mitbringen konnte, und viele wollten das Foto sehen, das Meto von Tsu im Geldbeutel hatte.
So ganz und gar verstand ich den Zusammenhang zwischen „kawaii“ und „homosexuelle Jungs sind toll“ zwar nicht, aber ich vermutete, dass viele der Mädchen es einfach aus demselben Grund mochten, wie ich solche Paare süß fand: Wegen der Liebe, weil es einfach romantisch war. Jedenfalls freute ich mich, dass Meto bei den Gästen beliebt war und Spaß an der Arbeit hatte.
In der Mittagspause schrieb ich Mikan an, die wohl auch gerade Pause hatte in dem Modeladen, wo sie arbeitete, und bekam einen süßen Kusssmiley als Antwort. Ich schickte ihr ebenfalls einen und sie schrieb zurück: „Ko, du Süßer! Hab dich lieb.“
„Ich dich auch“, schrieb ich und spürte mein Herz klopfen. Ich hatte sie wirklich lieb, auch, wenn sie manchmal so schwer zu durchschauen war und ich oft nicht genau wusste, was sie gerade dachte und fühlte. Ein bisschen war ich manchmal ja genauso, wenn ich anderen nur meine fröhliche Seite zeigte und verbarg, dass es mir auch ab und an mal nicht so gut ging.
Aber im Moment ging es mir echt gut und so machte ich schnell ein Foto von meinem Kleidchen heute und schickte es Mikan, einfach so, und weil ich wusste, dass sie mich im Kleid genauso schön fand wie in Hosen.
„Awww, Koi! Wie süüüß!“, schrieb sie daraufhin zurück. Und es kratzte mich nicht mal mehr, dass sie mich süß fand. Weil ich wusste, dass sie damit nur mein Aussehen meinte und dass ich lieb und nett war. Sie sah mich trotzdem jetzt als männliches Wesen an.
Auf einmal wollte ich sie heute unbedingt noch sehen, sie küssen und umarmen.
„Gehen wir heute Abend was trinken?“, schrieb ich ihr.
„Klar, können wir machen. Ich muss jetzt weiter arbeiten. Hab dich ganz furchtbar lieb, Koi!“
„Ich dich auch.“
Ich steckte mein Handy weg, drehte mich um und sah Meto hinter mir stehen. Er sah ein bisschen traurig aus und hielt sein eigenes Handy in der Hand.
„Koichi?“, fragte er mit leiser Stimme, „Können wir … heute nach der Arbeit … irgendwas zu dritt machen? Wegen Tsu … Ihm geht’s schon wieder nicht gut …“
„Was, wieso denn?“, fragte ich, sofort besorgt. Heute Morgen war Tsuzuku doch noch so himmelhoch euphorisch und glücklich gewesen! Warum fiel das immer wieder in sich zusammen?!
„Er hat mir grad geschrieben, dass er sich nicht gut fühlt.“
„Aber er ist noch bei der Arbeit?“
Meto nickte. „Ja. Er will halt durchhalten und so. Aber er schreibt, dass er sich leer und einsam fühlt, und dass er halt gern was mit uns beiden unternehmen will, um das irgendwie wegzukriegen.“
„Eigentlich hab ich mich eben gerade mit Mikan verabredet …“, sagte ich nachdenklich und überlegte schon, wie man das jetzt lösen konnte, so, dass weder meine Freundin sich versetzt fühlte, noch mein bester Freund womöglich furchtbar litt. Ich wollte Mikan gern heute noch sehen, aber Tsuzuku war mindestens genauso wichtig, gerade wenn es ihm wieder nicht so gut ging.
„Aber ich kann sie fragen, ob wir auch was zu viert machen können … Sofern das für Tsu auch okay ist, wenn Mikan dabei ist …“, sagte ich schließlich.
Meto schrieb das gleich an Tsu weiter, und ich schrieb meiner Freundin eine Nachricht, in der ich erklärte, dass es meinem besten Freund nicht gut ging, und fragte, ob es vielleicht okay war, wenn wir anstatt eines Dates einfach irgendwas zu viert machten.
Als sie zurückschrieb, waren Meto und ich schon wieder mit Arbeiten beschäftigt. Tsu hatte schon geantwortet, dass es für ihn in Ordnung war, zu viert was zu machen, und Mikan schrieb dann auch, dass sie die Idee gut fand.
„… Wir könnten ja erst alle zusammen was trinken gehen, und dann vielleicht ins Kino oder bei dir zu Hause nen Film schauen, oder, Ko?“, fragte sie noch.
Ja, schrieb ich zurück, das war eine gute Idee.
Die Arbeit zog sich heute aus irgendeinem Grund besonders hin, und ich bemerkte, dass Meto jetzt weniger entspannt war als zuvor. Sicher machte er sich wieder Sorgen um Tsuzuku, weil es diesem ja anscheinend doch wieder nicht gut ging.
Ich kam nicht umhin, Meto für seine Stärke zu bewundern. Auch, wenn Tsu mein bester Freund war, war mir klar, dass ich seine Stimmungsschwankungen und das alles wohl nicht lange aushalten würde, wenn ich mit ihm in einer Wohnung zusammenleben würde. Aber Meto hielt das alles so unnachgiebig und stark aus, seine bedingungslose Liebe zu Tsuzuku schien selbst so eine furchtbare Krankheit wie Borderline irgendwie in ihren Schranken zu halten.
Ich sah zu Meto hinüber, der gerade einer Kundin ein Stück Kuchen brachte, und musste lächeln, weil ich diese Liebe zwischen ihm und Tsu einfach so wahnsinnig schön fand. Und ich hoffte, dass Tsuzuku wusste, welchen großen Schatz er in seinem Liebsten hatte. Offenbar schon, wenn ich daran dachte, wie liebevoll er immer über Meto sprach. Die beiden wussten genau, was sie aneinander hatten.
Als die Arbeit endlich getan und das Café wieder geschlossen war, fragte Meto, während wir uns in der Umkleide umzogen: „Tsu ist noch im Studio. Wollen wir ihn da abholen und dann Mikan treffen?“
„Können wir machen. Mikan hat mir vorhin noch geschrieben, sie kennt eine nette Kneipe da in der Gegend, da will sie auf uns warten. Der Laden heißt Takamatsu, ist wohl so ein ganz gemütlicher, älterer Laden, wo’s auch nicht teuer ist.“
Meto hängte sein Kleid in den Spind, schwieg einen Moment und fragte dann: „Ist doch furchtbar unfair, oder? Ich meine, wegen Tsu, dass es ihm so geht, immer rauf und runter und so. Ich hab ihn so lieb, so furchtbar lieb, und trotzdem muss ich immer wieder mitansehen, wie er leidet …“ Er setzte sich auf die Bank vor dem Spind und blickte zu Boden. „Ich find’s einfach gemein, dass so ein lieber Mensch wie er so leiden muss.“
„Ja, das ist es“, stimmte ich ihm zu. „Das ist wirklich alles andere als fair. Wir beide, wir müssen einfach für ihn da sein.“
„Das will ich ja auch, für ihn da sein. Ich will mein ganzes Leben mit ihm verbringen, für ihn sorgen und da sein. Aber … ich hab manchmal Angst, dass ich das nicht schaffe. Und ich weiß eben, dass er ohne mich zerbrechen würde. Diese Verantwortung, weißt du …“
„Aber du trägst sie, die Verantwortung. Du stellst dich dem. Merkst du eigentlich, Meto, wie unheimlich stark du bist? Es gibt ganz sicher genug Leute, die das nicht mal ansatzweise schaffen würden, mit einem Partner zusammen zu leben, der Borderline hat und den man so sehr festhalten muss, damit er nicht zerbricht. Das, was du da leistest in eurer Beziehung, das ist unglaublich.“
„Danke, Koichi …“, Meto lächelte ein wenig. „Weißt du, ich kann auch gar nicht anders. Weil ich Tsuzuku einfach so sehr liebe, ich kann genauso wenig ohne ihn, wie er ohne mich.“
Wir machten uns auf den Weg zum Studio und auf dem Weg kamen wir darauf, dass Meto mit dem Sprechen mir gegenüber schon richtig gut war.
„Hast du das vorhin gemerkt, Meto?“, fragte ich. „Du hast ganz normal und flüssig gesprochen, da war fast kein Stocken mehr drin.“
Er sah mich an, mit einem Rotschimmer auf den Wangen, und antwortete leise: „Ja… jetzt, wo du sagst…“ Da war wieder ein kleiner Fehler drin, wahrscheinlich vom Vorführeffekt, aber den überhörte ich. Ich freute mich, dass Meto langsam seinen Sprachfehler besiegte und auch selbst merkte, dass er ein starker Mensch war. Dieser Sprachfehler hatte ihn immer so unsicher und schüchtern wirken lassen, doch das war er gar nicht. Er war ein starker junger Mann, der ziemlich genau wusste, was er wollte, und zudem noch jemanden mittrug.
Als wir am Bodyart-Studio ankamen, stand Tsuzuku schon davor und wartete auf uns. Er sah müde aus, erschöpft und sehr nachdenklich. Von der euphorischen Stimmung, die er noch heute Morgen über sein Blog mitgeteilt hatte, war jetzt nichts mehr zu sehen, und ich fand das furchtbar schade, hätte ihn gerne so glücklich gesehen.
Meto lief auf ihn zu und umarmte ihn, und ich sah, wie Tsu’s Gesichtszüge sich ein wenig aufhellten, während er seinen Liebsten ganz fest an sich drückte. Als er ihn wieder los ließ, um mich zu begrüßen, sah er einen Moment lang ganz zerbrechlich aus und ich fragte mich wieder einmal, was in seinem Kopf vorging, dass er gleich am Tag nach seiner Verlobung wieder innerlich abstürzte.
„Hey, Tsu.“ Ich umarmte ihn ebenfalls, einfach um ihn festzuhalten, weil er alles andere als stabil aussah. „Was los, hm? Heute Morgen warst du doch noch so happy.“
Er zuckte nur mit den Schultern. „Weiß nicht … Ich fühl mich einfach nicht gut.“
„Wie denn genau? Kannst du’s beschreiben?“, fragte ich, wollte ihn verstehen.
Tsuzuku löste sich von mir, sah mich an und antwortete: „… Leer. Und traurig, weil … heute Morgen war ich so glücklich und das ist jetzt alles wieder weg … Und irgendwie … fühl ich mich einsam.“
„Warum denn einsam?“, fragte ich weiter. „Du bist doch nicht allein.“
Er zuckte wieder mit den Schultern. „Ich weiß. Aber ich fühl mich trotzdem so.“
„Und meinst du, es hilft was, wenn wir jetzt zu viert ausgehen? Oder ziehst du dich dann innerlich raus und fühlst dich weiter allein?“
„Weiß nicht … Ich hoffe einfach, dass es mich ablenkt.“
„Okay, wir versuchen es“, sagte ich. „Aber du sagst sofort Bescheid, wenn irgendwas ist, kann ich mich da drauf verlassen?“
Tsuzuku nickte, und lächelte auch ein wenig. Und ich hoffte inständig, dass er wirklich sagen würde, wenn irgendwas war.
Zu dritt machten wir uns auf den Weg zu der Kneipe, wo Mikan auf uns warten wollte. Es waren nur recht wenige Leute auf den Straßen und ich beobachtete, wie Tsuzuku Metos Hand griff und festhielt. Er suchte sichtlich nach Halt und bekam ihn, und ich bemerkte es, weil er neben mir ging und seine Stimmung sehr abstrahlte.
Ich versuchte, mir die Situation gleich vorzustellen, was passieren würde, wenn es Tsu noch schlechter ging und er das sagte, wie er es eben versprochen hatte. Wahrscheinlich wäre die gute Stimmung dann ziemlich hin.
Mikan stand vor dem Lokal und lächelte, als sie mich sah. Ich ging auf sie zu und umarmte sie, spürte, wie mein Herz dabei etwas schneller schlug.
„Ich hoffe, das ist wirklich okay, dass wir jetzt zu viert sind“, sagte ich.
„Klar ist das okay.“ Mikan lächelte wieder und sah zu Tsu und Meto, die ein Stück hinter mir ankamen. Tsuzuku sah immer noch ziemlich fertig aus, und Mikan fragte mich leise: „Was ist denn mit Tsu?“
Ich wusste nicht recht, was ich antworten sollte. Mikan wusste nichts von Tsuzukus Krankheit, sie wusste nur, dass er in seiner Zeit auf der Straße sehr gelitten hatte, da hatte sie ihn ja auch gesehen. Sie war ja dabei gewesen, als ich ihn damals kennen gelernt hatte.
Ich sah Tsu kurz fragend an und er verstand, antwortete auf Mikans Frage hin: „Mir … geht’s einfach nicht so gut. Ich brauche Ablenkung, verstehst du, Mikan?“
Sie nickte. „Ja, das kann ich verstehen. Alles gut, Tsu, kein Problem.“
Das Lokal war etwas dunkel, aber durchaus gemütlich eingerichtet, wenn auch ein wenig altmodisch. Wir suchten uns eine ruhige, etwas abgelegene Ecke und setzten uns um einen Tisch herum, Tsu und Meto auf der einen, und Mikan und ich auf der anderen Seite.
Ich hörte, wie Meto leise fragte: „Willst du was essen, mein Herz?“, und Tsuzuku antwortete: „Hab keinen Hunger …“
„Du kannst ja erst mal nur was trinken“, sagte ich, woraufhin Tsu dann tatsächlich den gerade vorbeikommenden Kellner heranwinkte und sich ein Bier bestellte.
Ich nahm ebenfalls ein Bier, Mikan einen Cocktail, und Meto bestellte sich als einziger Saft mit der Begründung, dass wenigstens einer von uns irgendwas ohne Alkohol trinken sollte. Es war recht offensichtlich, dass er dabei vorausschauend daran dachte, dass Tsuzuku es mit dem Alkohol gern mal übertrieb, und er daher bereit sein wollte, ihm in diesem Fall zu helfen.
Zu essen gab es hier vor allem Kleinigkeiten, keine größeren Gerichte, und als wir etwas davon bestellten, blieb Tsu dabei, dass er nicht essen wollte. Er sagte, dass er befürchtete, ihm könnte vom Essen schlecht werden.
„Hast du heute denn schon was gegessen?“, fragte ich.
„Heute Morgen“, antwortete er. „Aber jetzt möchte ich wirklich nichts.“
Ob es daran lag, dass er sein Bier auf leeren Magen trank, oder irgendeinen anderen Grund hatte, jedenfalls wirkte er recht bald ganz schön betrunken. Jedoch wurde er nicht so redselig wie sonst, sondern saß einfach nur still da und starrte Löcher in die Luft.
Während ich versuchte, den Abend wenigstens für Mikan schön zu machen und mich mit ihr über die neue Modekollektion des Ladens unterhielt, in dem sie arbeitete, hatte Meto alle Mühe, sich um Tsuzuku zu kümmern und diesen davon abzuhalten, sich nach dem zweiten noch ein drittes Bier zu bestellen. Der Abend drohte, eine kleine Katastrophe zu werden, weil Tsu’s miese Laune natürlich auf die Stimmung drückte, und ich hoffte inständig, dass Mikan ihm das nicht allzu übel nahm.
Eine Weile lang ging es noch halbwegs gut, es gelang mir sogar, Mikan zum Lachen zu bringen, und hatte gerade das Gefühl, dass wir das Ruder noch rumreißen konnten. Aber dann kippte von einem Moment auf den anderen die Stimmung endgültig: Es fing damit an, dass Tsuzuku nach der Getränkekarte griff und sich einen hochprozentigeren, härteren Sake bestellen wollte. Meto versuchte, das zu verhindern, indem er die Karte zuklappte und sagte: „Nein, Tsu, nicht noch mehr von dem Zeug“, was dazu führte, dass Tsuzuku plötzlich aufsprang.
„Lass mich! Ich brauch das jetzt!“, fuhr er seinen Freund an.
„Du bist doch schon total betrunken. Wenn du noch mehr …“, begann Meto, doch Tsu unterbrach ihn laut: „Anders krieg ich diese scheiß Leere aber nicht weg! Die killt mich, verstehst du?! Dieses gottverdammte Gefühl, als ob es mich von innen auffrisst!“
Meto stand ebenfalls auf, wollte Tsu dazu bewegen, sich wieder hinzusetzen. Er packte ihn an den Schultern und drückte ihn mit sanfter Gewalt wieder auf die Bank, was der sogar geschehen ließ und erst dachte ich, dass die gefährliche Situation gerade noch mal gutgegangen war.
Doch statt sich zu beruhigen, fing Tsuzuku mit einem Mal furchtbar an zu weinen, klammerte sich an Meto und sprach mit tränenerstickter Stimme irgendwas aus, wovon ich nur ein einziges Wort verstand: Borderline.
Ich sah sofort zu Mikan, die das ganze reichlich entsetzt verfolgt hatte, jetzt ganz betroffen aussah und sich sichtlich fehl am Platze fühlte.
„Wa-was ist denn los?“, fragte sie leise. „Warum weinst du, Tsu?“
Ich sah mich in der Pflicht, ihr die Situation zu erklären, wollte dies aber nicht in Tsuzukus Anwesenheit tun, da ich ihm nicht das Gefühl geben wollte, dass ich vor ihm über ihn sprach. Und so stand ich auf, nahm Mikan an der Hand und zog sie mit nach draußen.
„Koichi, was ist hier los?“, fragte sie sofort, als wir vor der Tür standen.
„Wie soll ich dir das jetzt erklären …?“, begann ich langsam, „Eigentlich ist es recht einfach zu sagen, aber … irgendwie auch nicht.“
„Sag mir doch einfach, warum dein bester Freund sich erst betrinkt und dann in Tränen ausbricht! Das sah für mich nicht nach ‘nem Einzelfall aus“, erwiderte sie.
„Also gut ... Kannst du dich noch dran erinnern, wie wir ihn kennen gelernt haben? Wie er da war, auf der Straße?“
Mikan nickte.
„Dann hast du vielleicht auch seine Narben an den Armen gesehen, oder? Und du kannst dir auch denken, woher die kommen.“
„Ja … Also ist er … richtig psychisch krank?“
„M-hm.“ Ich nickte und sprach das Wort dann einfach aus: „Borderline.“
„Oh Gott …“, entfuhr es ihr und sie schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund. „Oh Gott, der Arme! Das ist richtig schlimm, oder?“
„Hast du ja gesehen.“
Ich hatte befürchtet, dass Mikan jetzt lieber gehen wollen würde, doch zum Glück schien sie das anders zu sehen. Sie ging wieder mit mir zusammen rein und zum Tisch zurück, wo Meto die Lage anscheinend in den Griff bekommen hatte, jedenfalls lehnte Tsuzuku sich an ihn, weinte zwar immer noch ein wenig, wirkte aber um einiges ruhiger.
„Geht’s wieder?“, fragte ich meinen besten Freund.
Meto nickte, als Tsu kaum reagierte. „Ist wieder okay …“
„Ihr wollt jetzt wohl lieber nach Hause, oder?“, fragte Mikan.
Doch zu meiner Überraschung widersprach Tsu: „Ich … will jetzt nicht nach Hause … Ko, können wir einfach zu dir und … irgendeinen Film schauen?“
„Fühlst du dich denn soweit wieder?“, versicherte ich mich, „Nicht, dass du nochmal so … abstürzt.“
Tsuzuku fuhr sich mit der Hand über die Augen und lächelte leicht. „Geht schon wieder. Ich brauch das jetzt, Meto und dich, euch beide.“
„Okay. Aber keinen Alkohol mehr für dich, verstanden?“
„Verstanden ...“
Wir bezahlten alles, was wir bestellt hatten, und verließen das Lokal wieder, nahmen die Bahn in Richtung meiner Wohnung. In der Bahn saßen wir einander gegenüber, so wie am Tisch zuvor, und während Mikan sich an mich lehnte, beobachtete ich Tsuzuku, der seinen Kopf auf Metos Schulter anlehnte und dessen Hand mit der seinen verschränkt hatte. Er wirkte total erschöpft und fertig, aber ruhig, sodass ich keinen erneuten Ausbruch befürchtete.
Ich war ziemlich froh darüber, dass Mikan Tsuzuku anscheinend nicht dafür verurteilte, dass er uns den ersten Teil des Abends verdorben hatte. Sie hatte offenbar verstanden, dass er nichts dafür konnte. Es war ja nicht seine Schuld, es war diese furchtbare Krankheit, die ihn im Augenblick einfach fest im Griff hatte.
Auf dem Weg zu meiner Wohnung gingen Tsu und Meto ein Stückchen hinter uns und Mikan sagte leise zu mir: „Ich weiß über solche Störungen ja auch nur das, was man so hört und mitbekommt … Redet Tsu mit dir darüber?“
„Manchmal ein bisschen“, antwortete ich. „Wenn wir mal so drauf kommen und so. Aber es ist halt auch so in vielem drin, was er sagt und tut.“
Mikan schwieg einen Moment, dann sagte sie nachdenklich: „Es ist schwer, jemanden noch als normalen Menschen anzusehen, wenn man weiß, dass er so eine Krankheit hat, oder?“
Damit sprach sie eine Sache aus, die mir hintergründig schon eine ganze Weile im Kopf herumging. Mir fiel es ja auch selbst auf, dass ich, ohne es wirklich zu wollen, Worte wie ‚impulsiv‘ und ‚emotional instabil‘ dachte, wenn ich über Tsuzuku nachdachte, und wenn ich mich dabei selbst erwischte, ärgerte ich mich über meine eigenen Gedanken. Tsu war doch mein bester Freund, ich wollte nicht so über ihn denken, so beurteilend. Er konnte schließlich nichts dafür, dass er so war.
Auf Mikans Worte hin nickte ich und antwortete: „Ja, das ist schon irgendwie … schwer. Aber ich will Tsuzuku auf keinen Fall verletzen, deshalb versuche ich wirklich, nicht so abwertend über ihn zu denken.“
Wir kamen an dem Haus an, in dem sich meine Wohnung befand, und Tsu und Meto holten uns wieder ein, wobei ich den Eindruck hatte, dass auch sie beide über etwas Ernstes gesprochen hatten. Tsuzuku wirkte jedoch relativ ruhig und einigermaßen entspannt, auch wenn seine Augen noch ein wenig vom Weinen gerötet waren.
„Und was machen wir jetzt gleich?“, fragte ich. „Ich hab hauptsächlich solche Kitschfilme da, die willst du wahrscheinlich nicht sehen, oder, Tsu?“
„Ist mir heute mal egal“, antwortete er. „Ich bin sowieso müde.“
Wir gingen rauf zu meiner Wohnung, und auf der Treppe wäre Tsu beinahe noch hingefallen, woraus ich schloss, dass er entweder immer noch angetrunken oder einfach total erschöpft war. Meto fing ihn zum Glück geradeso auf und half ihm, die letzten Stufen hochzusteigen.
Nach dem Schuhe-Ausziehen und so weiter ging ich als erster ins Wohnzimmer und begann, Filme auszusuchen, wobei ich dann doch drauf achtete, dass auch ein Actionfilm für Tsuzuku und ein Anime für Meto dabei waren.
Auf einmal stand Mikan hinter mir und umarmte mich. Ihre Hände tasteten über meinen Oberkörper und sie schmiegte sich an meinen Rücken.
„Weißt du, Kocha, was wir nachher machen?“, fragte sie leise.
„Hm?“
„Ich übernachte hier.“ Sie lachte leise und ihre rechte Hand schlüpfte unter mein Shirt. „Ich bin nämlich neugierig.“
„Worauf denn?“, fragte ich, obwohl ich die Antwort schon ahnte.
„Auf dich. Oder, besser gesagt, auf den Koichi, der seinen Körper nicht unter Frauenkleidern versteckt.“
Jetzt musste ich auch lachen. Aber Mikan lachte nicht mit, sondern wurde ernst.
„Ko, ich hab da wirklich Lust drauf.“
„Ist gut, du kannst hier schlafen.“
„In deinem Bett?“
„Gerne“, sagte ich und spürte, wie mich der Gedanke mit Vorfreude erfüllte.
Inzwischen waren Tsuzuku und Meto auch ins Zimmer gekommen und ich bot ihnen an, es sich auf meiner Couch bequem zu machen. Die DVDs legte ich auf den Tisch, und Tsu griff sich gleich den Actionfilm, sah sich die Beschreibung an und sagte: „Ich glaube, den kenn ich schon.“
„Ich dachte, du wolltest heute mal mit uns Kitschfilme schauen.“ Mikan lachte.
„Mir egal. Guckt, was ihr wollt.“ Tsuzuku lehnte sich zurück und legte seinen Arm um Metos Schultern. Ich konnte nicht einschätzen, ob es ihm gut ging oder nicht, er wirkte einerseits müde und andererseits irgendwie aufgedreht.
Meto nahm sich den Anime, es war ‚Das Schloss im Himmel‘, und er fragte: „Können… nicht den hier… schauen…?“
„Klar können wir“, sagte ich. „Oder ist wer dagegen?“
Tsu schüttelte den Kopf, und auch Mikan verneinte.
„Gut, dann wäre das ja geklärt.“
Meto reichte mir den Film und ich legte ihn in den DVD-Player ein, dann machte ich es mir neben Mikan auf dem Sofa gemütlich.
Zuerst schauten wir einfach nur den Film an und jeder war mit sich selbst und der Handlung auf dem Bildschirm beschäftigt. Ab und zu sagte Mikan etwas dazu, und hin und wieder kommentierte auch Tsu die Handlung.
Einmal stand Mikan auf und holte sich was zu essen aus der Küche, beschwerte sich dabei gespielt, dass ich keine Chips da hatte, woraufhin Tsuzuku ein halblautes „Bleib mir weg mit Fresszeug“ von sich gab. Irgendwo in der Mitte des Films sah ich in seine Richtung und stellte fest, dass er sich an Meto angekuschelt hatte und fest eingeschlafen war. Kein Wunder, so müde, wie er gewesen war. Meto hatte seinen Arm schützend um ihn gelegt und in diesem Moment sah es wirklich so aus, als wäre er nicht der Jüngere, sondern der Ältere von beiden, der auf den anderen aufpasste.
Ich tippte Mikan an und flüsterte leise: „Sind die beiden nicht süß?“
Sie grinste. „Kocha, du Fanboy … Aber stimmt, die zwei sind wirklich süß zusammen.“
Meto blickte in unsere Richtung und lächelte leicht.
Als der Film vorbei war, versuchten wir, Tsuzuku zu wecken, doch er schlief so tief und fest, dass wir ihn nicht wach bekamen. Also beschlossen wir kurzerhand, dass er und Meto ebenfalls bei mir übernachteten und dann morgen früh wieder nach Hause fuhren.
Ich kramte meinen Gästefuton raus, Meto machte sich damit ein Lager im Wohnzimmer und machte es dann für Tsuzuku auf der Couch so gemütlich, wie es eben ging. Ich beobachtete, wie er ihm vorsichtig ein Kissen unter den Kopf schob und ihn ganz liebevoll zudeckte, und wieder konnte ich nicht umhin, diese Liebe und Vertrautheit zwischen den beiden unglaublich süß und schön zu finden.
Als ich in mein Schlafzimmer ging, saß Mikan auf meinem Bett und zog sich gerade die Strümpfe aus. Sie hatte sich einfach ein Schlafanzugoberteil aus meinem Schrank genommen und angezogen, was irgendwie total niedlich aussah, und als sie mich hereinkommen sah, lächelte sie.
„Komm kuscheln, Koi“, sagte sie und ließ sich auf den Rücken sinken.
Ich setzte mich auf die Bettkante und begann, mich ebenfalls umzuziehen. Griff mir einen anderen Schlafanzug aus dem Schrank und zog den an, wobei ich Mikans Blick auf meinem Körper spürte. Ich wusste nicht genau, ob sie mich schon mal so fast nackt gesehen hatte, vielleicht war es das erste Mal. Sie kroch unter die Bettdecke und ich tat es ihr gleich, machte das Licht aus und eine Weile blieben wir einfach so liegen.
„Koichi?“, unterbrach Mikan schließlich die etwas unangenehme Stille. „Darf ich dich so in den Arm nehmen?“
„Klar darfst du. Warum denn auch nicht?“, antwortete ich.
„Na ja … weil wir ja langsam machen wollten. Deshalb frag ich. Ich würde aber gern … weil ich wirklich neugierig drauf bin, wie es sich anfühlt, dich so anzufassen.“
„Dann tu’s“, flüsterte ich. „Fass mich an.“
Langsam rückte sie näher zu mir und legte ihren Arm um mich. Ich spürte ihre Wärme und roch ihr süßes Parfüm, ihr Gesicht kam meinem immer näher und dann legte sie ganz vorsichtig und sanft ihre Lippen auf meine. Mein Herz klopfte wie verrückt und ich umarmte sie meinerseits, küsste sie um einiges leidenschaftlicher zurück. Ihre Hände streichelten über meinen Rücken und meine Seite und sie lächelte an meinen Lippen, löste den Kuss und flüsterte: „Zieh dich aus, Ko.“
„Ganz?“, fragte ich.
„Erstmal das Oberteil“, antwortete sie und begann, die Knöpfe meines Schlafanzughemdes einen nach dem anderen zu öffnen, zog es mir anschließend von den Schultern, und ich streifte es ganz ab, ließ es auf den Boden vor dem Bett fallen.
Mikan streckte die Hand nach dem Schalter der Nachttischlampe aus und machte Licht an, sagte: „Ich will dich sehen.“ Küsste mich und begann dann erneut, mich anzufassen und zu streicheln, diesmal meine bloße Haut ohne Stoff dazwischen. Ihre Hände erkundeten jeden Zentimeter meines Oberkörpers, von meinem Bauch über meine Rippenbögen rauf zu meiner Brust, meinen Schultern und Armen, ich seufzte genießend und sie lachte leise.
„Was für einen schönen Männerkörper du hast …“, sprach sie leise. „Warum hab ich das die ganzen Jahre über nicht gesehen? Ich muss ja blind gewesen sein.“
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, und Mikan ließ mich auch gar nicht zu Wort kommen, sondern streichelte weiter meine Brust, entdeckte meine Brustwarzen und berührte diese. Ich seufzte wieder und hörte Mikan flüstern: „Die sind ja süß!“
Ihre zarten Finger begannen, ein wenig mit meinen Nippeln zu spielen und ich seufzte immer lauter, bis sie meine Lippen wiederum mit den ihren verschloss.
„… Dann will ich dich aber auch anfassen“, entkam es mir, zugegeben recht unüberlegt, und ich spürte die Neugier und Begierde in meinen eigenen Händen, welche kaum noch erwarten konnten, endlich Mikans weiche Brüste zu berühren.
Sie kicherte leise und küsste mich wieder, sah mir einen Moment lang in die Augen und setzte sich dann auf, um sich das Oberteil in einem einzigen Zug über den Kopf zu ziehen. Zum ersten Mal sah ich ihren nackten Oberkörper, ihre hübschen, kleinen Brüste, die so weich aussahen, und ihre Brustwarzen, die genauso schön hell waren, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Sie waren durch die Kühle im Zimmer ein wenig hart und ich verspürte den Wunsch, diese zarten Knospen zu küssen.
„Gefalle ich dir?“, fragte Mikan und lächelte.
„Ja, sehr“, antwortete ich, setzte mich ebenfalls auf und fügte dann mit weicher Stimme hinzu: „Du bist schön.“
„Sind sie dir auch nicht zu klein?“
„Nein, genau richtig. Ich mag’s, wenn sie nicht so groß sind.“
Ich setzte mich ebenfalls auf und dann streckte ich langsam, jede Sekunde auskostend, die Hand aus, berührte Mikans nackte Haut und umschloss ihre linke Brust mit meiner Hand. Mein Herz klopfte wie wild und meine Atmung beschleunigte sich, als ihre Brustwarze gegen meine Handfläche drückte und ich die wundervolle Weichheit ihrer Brust spürte und ihren aufgeregten Herzschlag darunter.
„Mikan …“, kam mir ihr Name über die Lippen, und ich senkte den Kopf, um ihren Hals zu küssen. Dieser Moment hatte etwas Zauberhaftes, Magisches an sich, wie eine Seifenblase um uns beide herum. Ich hörte Mikan erregt seufzen, ihre Stimme klang ganz weich, so weich wie sie im Ganzen war, sie war weich und warm und lieb und ich hatte sie so furchtbar gern.
„Wie weit gehen wir heute?“, fragte sie leise und ich war mir sicher, dass sie die Magie dieses Momentes genauso spürte wie ich.
„Wie du möchtest“, antwortete ich.
„Willst du mit mir … schlafen?“ Sie sah mir in die Augen.
„Ich kann auf dich warten.“
„Das ist gut.“
Ich nahm meine Hand von ihrer Brust und umarmte sie, drückte ihren warmen, weichen, weiblichen Körper eng an meinen, sie seufzte wieder, es war fast schon ein Stöhnen.
„Du … wirst ja schon hart …“, hauchte sie und ich spürte ihre Lippen an meiner Halsbeuge.
„Stört dich das?“
„Nein, es ist nur so … Es macht mir deutlich, was du willst, Koichi.“ Sie löste sich von mir, sah mich an und fügte hinzu: „Ich bin mir einfach noch nicht sicher, ob wir schon so weit gehen sollten.“
„Wie gesagt, ich kann auf dich warten“, sagte ich und fühlte, dass es stimmte. Es war mir nicht wichtig, jetzt schon so weit zu gehen. Klar, irgendwann wollte ich schon mit Mikan schlafen, aber wenn sie im Moment noch unsicher war, konnte ich warten.
Und auf einmal war es da, dieses Gefühl von tiefer Verbundenheit, dass sich zwischen uns etwas verändert hatte, enger geworden war und sich auf eine andere Ebene verlagerte. Ich umarmte Mikan wieder, fühlte ihr Herz schlagen, ihre Atemzüge, ihre warme Haut, und hatte sie einfach so lieb, liebte sie so! Sie schmiegte sich in meine Umarmung und küsste mich, es fühlte sich so süß und liebevoll an, dass ich aufseufzte, gegen ihre weichen Lippen.
„Mikan …“
„Koichi?“
„Ich liebe dich“, flüsterte ich.
„Ich dich auch.“ Sie lächelte.
Wir legten uns beide hin, ich umarmte und küsste sie, es war gar nicht viel, aber einfach nur schön. Meine traurige Sehnsucht war ganz weg und schien auch nicht vorzuhaben, zurückzukehren. Wozu auch, wo ich doch nicht mehr einsam war.
Irgendwann schlief Mikan ein, ich lag noch ein bisschen wach, dann wurde ich auch immer müder, bis mir die Augen zu fielen.
Mitten in der Nacht wachte ich davon auf, dass ich zur Toilette musste. Ich stand auf, vorsichtig, um Mikan nicht zu wecken, hob mein Schlafanzughemd vom Boden auf, die Hose hatte ich ja noch an, und ging ins Bad.
Als ich kurz darauf von dort wieder auf den Flur trat, hörte ich, ganz leise, Tsuzukus Stimme im Wohnzimmer: „Meto? Wach auf … bitte …“ Anscheinend war er jetzt doch aufgewacht und versuchte, Meto zu wecken.
Ich blieb erst einfach stehen und lauschte, ob ich Meto auch hören konnte, und kurz darauf hörte ich ihn leise fragen: „Mh … Tsu? Was ist?“
„Warum sind wir noch hier?“
„Du hast so fest geschlafen, dass Koichi und ich beschlossen haben, dass du und ich auch hier übernachten.“
„Ist Mikan noch hier?“, hörte ich Tsu fragen.
„Ich glaub, sie schläft bei Kocha im Zimmer“, antwortete Meto und fragte dann: „Geht’s dir denn ein bisschen besser, mein Herz?“
Ich konnte ja nicht sehen, ob Tsuzuku nickte oder den Kopf schüttelte, weil ich immer noch um die Ecke im Flur stand, aber ich hörte ihn antworten: „Geht so. Ich bin nur … irgendwie so traurig, weil ich ja eigentlich glücklich sein sollte, es auch so gern wäre, aber einfach nicht bin. Ich würde mich so gern so glücklich fühlen, wie man sich fühlt, wenn man gerade frisch verlobt ist.“
„Und warum fühlst du dich nicht gut? Ich meine, gibt’s einen Grund oder ist das einfach nur so?“ Metos Stimme klang ganz lieb und geduldig.
„Einfach nur so. Zumindest … kann ich keinen Grund erkennen. Ich fühl mich einfach nur so leer.“
Ich ging auf die Wohnzimmertür zu, die einen Spalt breit offen stand, und schaute hindurch, sah, dass Tsuzuku sein Schlaflager auf der Couch verlassen und sich zu Meto in den Futon gelegt hatte. Viel konnte ich sonst nicht erkennen, es war zu dunkel, aber ich sah, wie Meto sich über seinen Freund beugte und ihn küsste.
„Kann ich irgendwas tun, dass du dich … nicht mehr so leer fühlst?“, fragte er liebevoll.
„Halt mich fest“, flüsterte Tsuzuku. „Nimm mich einfach in deine Arme und halt mich fest.“
„Hilft das?“
„Ein bisschen.“
Ich sah, wie die beiden enger zusammenrückten und sich umarmten, wie Tsu sich an Meto klammerte, und ich hörte ihn ganz leise flüstern: „Berühr mich ... bitte … Ich will spüren, dass du mich liebst …“
Die Bettdecke raschelte und ich hörte Tsuzuku aufseufzen. Er klang eindeutig erregt und mir schoss das Blut in die Wangen, als mir klar wurde, in welche Richtung das ging und dass ich immer noch hier stand und zuhörte.
Auf leisen Sohlen schlich ich zurück in mein Schlafzimmer und legte mich wieder ins Bett zu Mikan, die davon aufwachte.
„Koi? Was los?“, fragte sie verschlafen.
„Ich war nur auf der Toilette“, antwortete ich und gleich darauf war ein eindeutiges Stöhnen aus dem Wohnzimmer zu hören.
Mikan kicherte. „Sind die beiden auch wach?“
„Anscheinend …“, sagte ich, denn dass ich die zwei eben gerade beobachtet und belauscht hatte, musste Mikan ja nicht wissen.
Und so lagen meine Freundin und ich in meinem Bett und versuchten beide, nicht allzu genau hinzuhören, was da in meinem Wohnzimmer … ähm, getrieben wurde. Ich hatte zwar absolut nichts dagegen, dass Tsuzuku und Meto sich auch in meiner Wohnung lieb hatten, aber so ganz genau wollte ich dann doch nicht mitbekommen, was die beiden zusammen taten, auch wenn Tsu ja bei diesem Thema ein gewisses Mitteilungsbedürfnis an den Tag legte und mir vieles einfach frei raus erzählt hatte. Und so frei heraus, wie er darüber redete, hörte ich ihn jetzt stöhnen.
„Man kann einfach kaum weghören“, wisperte Mikan irgendwann. „Und dann stellt man es sich auch irgendwie vor, ne?“
Ich nickte, und spürte schon längst, wie mir das Blut in die Wangen gestiegen war.
„Tsu erzählt mir viele solche Sachen, von daher … weiß ich halt auch ungefähr, was die beiden so machen …“, antwortete ich und versuchte, meine Verlegenheit mit einer gewissen Coolness zu überspielen. „Und weil die beiden ja jetzt auch frisch verlobt sind … na ja, ist es wohl verständlich, dass sie viel intim miteinander sind.“
„Verlobt?“, fragte Mikan. „Jetzt echt?“
Ich nickte. „Ja, seit vorgestern oder so. Deshalb hab ich mich auch so gewundert, dass Tsuzuku so niedergeschlagen war.“
„Na ja, das lag dann wohl … an dieser Krankheit, oder?“, fragte Mikan vorsichtig.
„Ja, wahrscheinlich“, sagte ich. „Oh mann, das stell ich mir echt schlimm vor, wenn man sich gerade verlobt hat und dann klappt einem das eigene Gefühlsleben ab und man kann sich gar nicht mehr wirklich freuen …“
„Tsu tut mir richtig leid …“, sagte Mikan leise. „Er ist doch schon gestraft genug damit, dass er seine Mutter verloren hat und auf der Straße leben musste …“
„Ist schon echt ungerecht, das Leben.“ Ich wusste nichts mehr weiter zu sagen. Wenn ich so über das Leben und das Schicksal nachdachte, das meinen besten Freund so furchtbar leiden ließ, wurde ich selber ganz traurig.
In dem Moment hörte ich ihn aber wieder so lustvoll und genießend aufseufzen, er klang so glücklich, dass ich leise zu Mikan sagte: „Aber jetzt gerade, in diesem Augenblick, scheint er sich mehr als gut zu fühlen …“
„Ja, ganz bestimmt. Er hat ja Meto bei sich.“
Irgendwann danach schlief ich wieder ein, und durch bis zum Morgen.
Als ich aufwachte, wusste ich erst gar nicht, wo ich war. Ich lag nackt in einem weißen Futon, in einem Raum, der mir auf den ersten Blick fremd erschien, und hörte aus einem anderen Raum nebenan Tellerklappern und leise Stimmen. Erst ein Blick auf die umfangreiche Bambi-Sammlung auf dem Regal neben dem Fernseher brachte Klarheit und ließ mich wissen, dass ich in Koichis Wohnzimmer lag.
Langsam und mit zunehmend dröhnendem Kopf richtete ich mich auf, und ebenso langsam kehrte meine Erinnerung an gestern Abend zurück. An das, was in der Kneipe passiert war, und daran, dass Meto und ich danach zu Koichi nach Hause mitgekommen waren. Wir hatten anscheinend noch einen Film geschaut und ich musste irgendwann eingeschlafen sein. Und später in der Nacht dann war noch irgendwas gewesen, ich erinnerte mich an Wärme und an Zärtlichkeiten, welche die entsetzliche Leere für ein paar Augenblicke aus meinem Herzen vertrieben hatten.
Ich suchte unter der Bettdecke nach meinen Shorts, fand sie und zog sie schnell an, schälte mich aus dem Futon und hob meine Jeans auf, um sie ebenfalls anzuziehen.
„Meto?“, rief ich nach meinem Freund.
Er kam aus der ans Wohnzimmer grenzenden Küche, wo ich Koichi mit Mikan reden hörte, und lächelte mich an. „Hast du ausgeschlafen?“
„Hab Kopfschmerzen“, antwortete ich und drückte meinen Handballen gegen meine Stirn, die sich anfühlte, als würde von innen etwas gegen den Knochen hämmern. Seltsam, denn ich konnte mich nur an zwei Bier gestern erinnern, und das reichte normalerweise nicht, damit ich solche Kopfschmerzen bekam …
„Frag mal Koichi, vielleicht hat er Kopfschmerztabletten da“, sagte Meto. „Ansonsten gehen wir nachher an einer Apotheke vorbei und holen dir welche.“ Er sah mich einen Moment lang einfach nur an, dann fragte er: „Und wie geht’s dir sonst? Ist diese Leere gerade … weg?“
Ich fühlte kurz in mich hinein und antwortete dann: „Ich merk sie zumindest gerade nicht.“
„Und möchtest du was essen?“, fragte er dann.
Ich schüttelte den Kopf, hatte wieder einmal überhaupt keinen Hunger.
„Nicht mal ein kleines bisschen was?“, fragte Meto.
„Nein … Ich hab das Gefühl, dass mir schlecht wird, wenn ich was esse.“
Ich zog mich fertig an, ging dann mit in die Küche und setzte mich zu Koichi und Mikan an den Tisch, auch wenn ich nicht vorhatte, etwas zu essen. Wieder kam mir das Essen, was auf dem Tisch stand, nicht wirklich wie etwas Essbares vor, ich fühlte eine Art Distanz dazu und, dass ich jetzt nichts davon würde zu mir nehmen können. Es war frustrierend, dass mein Essverhalten wieder so stagnierte, aber ich fühlte mich absolut nicht so, als könnte ich jetzt etwas daran ändern.
Koichi hatte tatsächlich eine Kopfschmerztablette da, die ich mit einem Glas Wasser herunterspülte, mehr nahm ich nicht zu mir.
„Willst du … echt nichts essen?“, fragte Mikan mich vorsichtig, als ich keine Anstalten machte, mir etwas zu nehmen.
Ich schüttelte den Kopf. „Vielleicht später …“, sagte ich, mehr um meine Freunde zu beruhigen.
Meto sah mich besorgt an und ich lehnte mich an seine Schulter, fühlte mich furchtbar müde und antriebslos. Er legte seinen Arm um mich, streichelte meine Seite und hauchte einen Kuss auf meinen Kopf. Mir war nach Weinen zumute, doch ich wollte nicht, dass Koichi und Mikan mich schon wieder so aufgelöst sahen, und so riss ich mich innerlich mit aller Kraft zusammen. Doch das brachte nur kurz etwas, und Minuten später spürte ich die erste Träne meine Wange hinablaufen.
„Tsuzuku? Hey, was ist denn los?“, fragte Koichi sofort besorgt.
Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht …“
Ich wusste es wirklich nicht. Es gab keinen bestimmten Auslöser, ich fühlte mich einfach nur furchtbar und wollte am liebsten in ein Loch im Boden verschwinden.
Meto hielt mich, zog mich näher an sich und nahm dann mein Gesicht in seine Hände, um meine Tränen weg zu küssen und dann seine Lippen ganz sanft auf meine zu drücken.
Mein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen, als ich wieder an dieses Wort denken musste, den Grund, warum ich mich leer und einsam fühlte, nicht aß, und ständig emotional zusammenbrach. Ich hatte das Gefühl, als ob es mit mir immer schlimmer wurde, und in diesem Moment tat mir dieses Wort Borderline wieder furchtbar weh.
Vielleicht sollte ich, falls ich heute überhaupt arbeiten ging, danach zu Hitomi gehen und mit ihr darüber sprechen. Denn zu einem Psychiater oder Psychologen traute ich mich immer noch nicht. Mit einer guten Freundin, die solche Dinge von sich selbst nur allzu gut kannte, über so etwas zu reden, war einfach etwas ganz anderes, als zu jemandem ‚vom Fach‘ zu gehen und vor dem mein kaputtes Seelenleben auszubreiten.
Metos Nähe sorgte dafür, dass ich mich bald wieder ein klein wenig besser fühlte, zumindest so weit, dass ich mich doch dazu entschließen konnte, heute arbeiten zu gehen. Ich wollte nicht so oft dort fehlen und außerdem würde mir zu Hause eh nur die Decke auf den Kopf fallen. Zwar konnte ich immer noch nichts frühstücken, aber eine Zigarette und ein Glas Cola reichten aus, damit ich wach genug war, mich für die Arbeit fertig machen zu können.
Obwohl ich mich immer noch nicht wirklich gut fühlte, beschloss ich, es mit der Arbeit heute wenigstens zu versuchen. Auch, weil ich wusste, dass Herumsitzen und Nichtstun meinen Zustand sicher nicht verbesserte.
Koichi und Meto fuhren zum Café, Mikan zu ihrer Arbeitsstelle, und ich also ins Studio, hoffend, dass ich die Arbeit heute halbwegs hinbekam. Ich würde heute nur einfache Aufgaben übernehmen, nichts Kompliziertes oder Verantwortungsvolles.
Als ich beim Studio ankam und mich auf meinen Platz setzte, kam Takashima auf mich zu und fragte, wie es mir ging. Er hatte gestern bemerkt, wie meine Euphorie plötzlich abgekühlt war und ich mich wieder nicht gut gefühlt hatte, und wir hatten ein wenig über das gesprochen, was bei mir gerade los war.
„Geht so …“, antwortetet ich und klappte meinen Skizzenblock auf, nahm einen Bleistift und begann, irgendwas flüchtig hinzuzeichnen.
„Und … es ist echt nur dein Gefühl, was nicht mitspielt?“
Ich nickte, sah ihn aber nicht an. „Nachher gehe ich vielleicht noch zu Hitomi, sie besuchen und ein bisschen reden.“
Takashima lächelte. „Das ist gut, das hilft dir bestimmt.“
Im Verlauf des Arbeitstages bemerkte ich, dass mir die Arbeit guttat. Es war einfach gut, etwas zu tun zu haben und nicht über mein Leben nachdenken zu müssen, sondern nur über das, was ich gerade tat. Ich zeichnete unheimlich viel, hatte auch einige Aufträge für Entwürfe, und die waren überwiegend eher dunkel und unheimlich, gefielen mir und es machte Spaß, die Motive auszuarbeiten und schon mal probeweise auf Tierhaut zu stechen.
Das Summen der Nadel hatte eine beruhigende Wirkung auf mich, weil ich mir dabei vorstellte, wie ich selbst ein neues Tattoo bekam und mir diesen Schmerz ins Gedächtnis rief, der jeden Druck von mir nahm und mir so guttat. Mir war klar, dass das krank war, aber in diesem Moment war mir das ziemlich egal.
Mittags war ich ziemlich erschöpft, weil ich mich doch sehr in die Arbeit vertieft und nur meine üblichen, kurzen Zigarettenpausen gemacht hatte. Ich fühlte mich jedoch insgesamt etwas besser, und erwischte Kurata in einem günstigen Moment, um ihn zu fragen, ob ich den Nachmittag frei machen konnte. Er ließ mich gehen, und ich setzte meinen Plan, Hitomi zu besuchen, in die Tat um.
Ich traf sie vor der Klinik, sie saß auf einer Bank und rauchte. Als sie mich bemerkte, blickte sie kurz auf. Sie wirkte müde und nachdenklich, nicht so lebhaft wie beim letzten Mal.
„Hey, Tsu …“, sagte sie leise, nahm einen Zug von ihrer Zigarette und blickte dann wieder an mir vorbei. Es war heute schon ein bisschen wärmer und sie trug eine graue Strickjacke mit dreiviertel langen Ärmeln, so dass ich die Narben auf ihren Unterarmen sehen konnte.
Ich setzte mich neben sie und sah sie eine Weile lang einfach nur an. Anscheinend ging es uns beiden heute nicht so wirklich gut.
„Wie geht’s dir, Tsu?“, fragte Hitomi irgendwann.
Ich brauchte einen Moment, bis ich antworten konnte, diese Frage war nicht einfach zu beantworten.
„Eigentlich müsste ich richtig glücklich sein“, sagte ich. „Ich hab Meto einen Heiratsantrag gemacht, er hat ‚Ja‘ gesagt und bis gestern Morgen war ich auch richtig glücklich, aber dann … Kennst du das, wenn sich alles auf einmal in Nichts auflöst und nur noch Leere übrig bleibt?“
Hitomi nickte. „Ja … Das kenn ich nur zu gut …“
„Kann man denn …“, fragte ich, „… irgendwas dagegen tun?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Nicht wirklich. Es gibt zwar Medikamente, die das angeblich abmildern sollen, aber nicht mal da hast du ‘ne Garantie, dass sie wirken. Oder Alkohol … manchmal bringt das was, aber oft genug auch nicht und außerdem … sich zu betrinken ist auch nicht gerade klug.“
„Das hab ich gestern auch versucht …“, sagte ich. „Aber vom Alkohol ist es nur schlimmer geworden.“
„Eben. Man weiß nie, wie so was wirkt.“ Hitomi nahm einen Zug von ihrer Zigarette und fügte dann hinzu: „Ich schlucke drei Tabletten jeden Tag und trotzdem geht’s mir heute einfach nicht gut.“
„Kannst du denn … beschreiben, was in dir los ist?“, fragte ich vorsichtig.
Sie schüttelte den Kopf. „Zumindest nicht so richtig.“ Sie nahm wieder einen Zug Rauch und fuhr dann mit einer seltsam ironisch klingenden Stimme fort: „Chronische Einsamkeit, innere Leere, Ritzdrang, Hass, Wut, Angst. Ach ja, und ich fühl mich ausgeliefert. Meine Gefühle jagen mich durch meine Innenwelt und ich kann nicht weg.“ Ihre Hand krampfte, ließ die Zigarette fallen, und sie trat sie mit plötzlicher Wut aus.
Es war wie ein Spiegel. Ich erinnerte mich an die zerbrochene Fensterscheibe in der Schule früher und an die zersplitterten Glasflaschen im Park. An meine eigenen plötzlichen Wutanfälle, mein unbeherrschtes Temperament.
„Ich kenn das“, sagte ich.
„Weiß ich.“
„Hilft dir das, dass ich weiß, wie du dich fühlst?“
„Irgendwie schon …“
Hitomi schwieg eine Weile und sagte dann: „Tsuzuku, du weißt, was du für ein wahnsinniges Glück mit deinem Freund hast, oder?“
Ich sah sie an und nickte. „Ja, das weiß ich.“
„Ich würde das wahrscheinlich gar nicht hinbekommen, so fest und lange mit jemandem zusammen zu sein“, sagte sie. Ihr Blick ging in die Ferne und ihre Stimme klang jetzt traurig und nachdenklich. Ich fragte mich, wie ihr bisheriges Leben wohl ausgesehen hatte, ihre Vergangenheit: Wie war sie auf der Straße gelandet, was für Freunde hatte sie gehabt, was für eine Familie?
„Warum denn nicht?“, fragte ich auf ihre Worte hin.
„Ich bin nicht beziehungsfähig. Mich hat noch kein Mann länger als ein halbes Jahr lang ausgehalten.“ Hitomi klang traurig, beinahe wieder wütend, und so resigniert, dass ich sie am liebsten umarmt hätte. „Ich fühle mich durchgehend einsam, aber ich kann nichts daran ändern. Es geht nun mal nicht mit mir und dem, was man so Liebe nennt.“
„Versuchst du’s denn noch?“, fragte ich leise, rückte näher zu ihr und sah sie an.
Hitomi schüttelte den Kopf. „Ich hab mir das selbst verboten. Jede gescheiterte Beziehung reißt das Loch in mir größer und wenn ich noch ein bisschen leben will, sollte ich das besser lassen.“ Auf einmal klang sie ganz kühl und sachlich, so, als ob sie sich selbst von außen beobachtete. Das Wort ‚Borderline‘ hing geradezu greifbar in der Luft, und ich fühlte mich eigenartig, mein Herz kribbelte.
Einen Moment später fühlte ich Hitomis schmalen Körper in meinen Armen, ihr Haar kitzelte meine Nase. Sie keuchte überrascht und erst dann wurde mir klar, dass ich es schon wieder getan hatte. Sofort löste ich mich von ihr, ging auf Abstand und entschuldigte mich.
„Ist schon okay“, sagte sie. „Ich weiß ja …“
Eine unangenehme Stille entstand zwischen uns. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Wusste aber, dass diese Umarmung, wären wir in Europa gewesen und beide keine Japaner, etwas völlig normales gewesen wäre. Einfach eine Umarmung unter Freunden. Doch hier, in Japan, in unserer Gesellschaft, war es nicht so üblich, sich als Freunde einfach so zu umarmen. Und so machte es unser Anders-sein deutlich und weckte in meinem Kopf das Wort ‚impulsiv‘.
Irgendwie bemerkte Hitomi meine Unsicherheit. Sie kam näher und legte ihre Hand auf meine. Sagte nichts, doch in ihrer Berührung lag etwas, das mir ein gutes Gefühl gab.
Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass ich sie ja etwas hatte fragen wollen. Sie kannte hier in der Klinik sicher mehrere Psychologen und Psychiater.
„Sag mal …“, wechselte ich also das Thema, „Du kennst hier ja sicher einige Psychologen und so weiter … Ich wüsste gerne, wie man mit solchen Leuten vom Fach am besten redet. Weil … irgendwann muss ich da ja mal hin und … ich hab ziemliche Angst davor.“
„Tsu, das ist ‘ne gute Frage …“, antwortete Hitomi. „Ich hab das auch noch nicht ganz raus. Meine eine Therapeutin, bei der ich die Gruppe habe, ist ziemlich furchtbar, ich hab keine Ahnung, wie ich mit der klarkommen soll. Und die anderen beiden … na ja, die sind ganz nett, aber ich hab nicht das Gefühl, dass die mir wirklich helfen können.“ Sie schwieg einen Moment und fuhr dann fort: „Wenn du meinst, dass du anders nicht klarkommst und eine Therapie brauchst, ist das eine Sache, dann helfe ich dir, jemanden zu finden. Aber wenn du gerade noch alleine zurechtkommst, wenn’s noch geht, dann schieb das mit der offiziellen Diagnose und der Therapie noch auf. Gerade, wenn du sowieso Angst davor hast.“
„Ich weiß es nicht …“, sagte ich. „Ich hab das Gefühl, dass es im Moment schlimmer wird, aber ich hab einfach Angst.“
„Es ist halt auch leider so, dass man an die falschen Leute geraten kann, wenn man eine Therapie sucht. Zum Beispiel eben meine Therapeutin in der Gruppe, die ist furchtbar streng und eingebildet und hat null Einfühlungsvermögen für mich. Vor solchen Leuten muss man aufpassen.“
„Genau davor hab ich Angst …“, gestand ich. „Ich kenne eine Ärztin in der ‚normalen‘ Klinik und die würde mich an einen Psychiater weiterleiten, aber was, wenn ich mit dem nicht klarkomme?“
„Im schlimmsten Fall kriegst du ein richtig fettes Tief …“, sagte Hitomi. „Und das musst du verhindern. Lieber hilfst du dir selbst, als dass du einen Therapeuten vor dir hast, der dir nur Vorwürfe macht.“
„Aber … muss man nicht irgendwie eine Therapie machen?“, fragte ich unsicher.
„Man muss selbst wissen, ob man für eine Therapie bereit ist. Wenn du Angst davor hast, bringt es nichts.“ Hitomi sah mich ernst an und ihre Hand streichelte über meine.
Ich fühlte mich bei ihr ganz sicher und gut aufgehoben, und ich wusste, wenn ich etwas sagte, verstand sie es. Und dieses Verstanden-werden tat mir gut.
„Tsuzuku?“, fragte sie nach einer Weile. „Magst du mich eigentlich?“
Ich nickte. „Klar mag ich dich.“
„So klar ist das nicht“, sagte sie. „Zumindest mag ich mich selber nicht so wirklich.“
„Ich mich selbst doch auch nicht. Aber … auch, wenn man sich selbst nicht mag, gibt es irgendwie immer jemanden, der einen trotzdem gern hat …“ Ich dachte an Meto und fühlte, wie mein Herz davon warm wurde. Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen, und Hitomi lächelte mit ihrem scheuen Lächeln zurück.
„Du denkst wieder an Meto, oder?“, fragte sie. „Ich freu mich echt für dich, dass du ihn hast.“
Meine Gedanken blieben bei Meto hängen und ich fühlte mich, als ob die Sonne endlich wieder zwischen den grauen Wolken durchkam und mich wärmte. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und genoss diese Wärme, die mich durchströmte und die Leere ein wenig vertrieb. Und dann war es wieder da, dieses rauschhafte Glücksgefühl von gestern Morgen, als ich auf mein Blog geschrieben hatte, wie glücklich ich mit Meto war und dass wir irgendwann heiraten würden.
„Ich liebe ihn wahnsinnig“, sagte ich lächelnd. „Er ist mein Leben.“
Hitomi lächelte wieder. „Ich hab dir damals schon gesagt, ein Freund hält einen von der Grenze weg.“
Ich erinnerte mich sogar noch daran, wie sie das damals im Tempel zu mir gesagt hatte. Damals hatte ich ihre Worte erst noch nicht verstanden, doch kurz darauf war ich ja dahintergekommen, was sie mit ‚Grenze‘ meinte.
„Wir waren zuerst beste Freunde, Meto und ich“, sagte ich. „Vorher, bevor ich ihn kannte, wollte ich eigentlich nur noch sterben. Aber seit er bei mir ist, nicht mehr. Ich hab ihn zu meinem Sinn im Leben gemacht.“
„Das ist schön, Tsu. Halt das fest, halt ihn fest, tu alles, damit ihr zusammen bleibt.“
„Das werde ich“, sagte ich und war mir in diesem Moment sicher, dass ich es konnte. „Und er wird bei mir bleiben, das hat er mir versprochen.“
Wieder schwiegen wir eine Weile. Ich beobachtete Hitomis Gesicht von der Seite, den wechselnden Ausdruck, dem ich entnehmen konnte, dass sie über viele verschiedene Dinge nachdachte.
„Sag mal …“, brach sie schließlich die Stille, „…kennst du das auch, dass du manchmal einfach so, ohne Grund, wütend auf jemanden bist?“
Ich dachte an früher, als so etwas öfter vorgekommen war, und dann an die letzten Monate, wo ich das zum Glück nicht mehr so oft gehabt hatte.
„Manchmal …“, antwortete ich. „Aber bei Meto zum Glück nur sehr selten.“
„Ich hab das oft.“ Hitomi blickte an mir vorbei und fügte dann hinzu: „Tsuzuku, falls ich das bei dir mal habe, dass ich ohne Grund wütend auf dich bin, dann denk bitte daran, dass ich das nicht mit Absicht mache. Nachher tut’s mir immer leid, aber ich bin eben so … so ‘ne Borderlinerin.“
„Ist okay, ich merk’s mir.“ Ich lächelte sie an, sie lächelte zurück und sagte: „Danke, Tsu, du bist echt ein Schatz.“
Irgendwann danach ging ich wieder nach Hause. Auf dem Heimweg fiel mir wieder ein, dass Haruna, Hanako und Yami ja inzwischen mit unserem Schlafzimmer fertig sein mussten.
Meto war schon da, er stand wieder in der Küche und kochte, ich roch schon im Flur den Duft von Reis und Currysoße. Ich hatte heute noch nichts gegessen, mein knurrender Magen verlangte nach Nahrung, und so ging ich in die Küche und setzte mich auf meinen Platz. Meto drehte sich zu mir um, legte den Kochlöffel weg und umarmte mich.
„Geht’s dir besser?“, fragte er.
Ich nickte, lehnte mich an ihn und hörte sein Herz. „Ich war eben bei Hitomi.“
„Sie hilft dir gut, oder?“
„Ja.“
Das Fleisch in der Pfanne zischte und Meto wandte sich wieder dem Kochen zu. Ich sah ihm zu und versuchte, das lautstarke Verlangen meines Magens zu unterdrücken.
„Vorhin hat hier jemand vom Krankenhaus angerufen. Du hast deinen Termin bei Dr. Matsuyama vergessen“, sagte Meto nach einer Weile.
Den Termin hatte ich tatsächlich komplett vergessen. Aber da ich mich sowieso im Moment nicht imstande fühlte, das Krankenhaus auch nur zu betreten, fiel mein schlechtes Gewissen, weil ich es vergessen hatte, ziemlich gering aus.
„Ich wäre sowieso nicht hingegangen“, sagte ich.
„Hast du immer noch diese Krankenhaus-Angst?“
„M-hm …“
In dem Moment gab mein Magen ein eindeutiges Knurren von sich.
„Tsu, wie lange hast du jetzt eigentlich nichts gegessen?“, fragte Meto und sah mich besorgt an.
Ich zuckte mit den Schultern. „Heute noch nichts. Und gestern auch fast nichts.“
„Aber jetzt hast du Hunger, oder?“
Ich musste nichts sagen, mein Magen sprach für sich. Ich atmete tief ein, roch den Reis und das Curry, und auf einmal hatte ich riesigen Hunger. „Gib her!“
„Das Essen ist gleich fertig, mein Schatz.“
Als das Curry fertig war, stellte Meto es vor mich auf den Tisch und ich sog den berauschenden Duft ein, bevor ich mich auf das Essen stürzte und meinen Teller bis zum Rand mit Curryreis und dem in der Soße gegarten Geflügelfleisch füllte.
„Nimm nicht zu viel“, warnte Meto mich. „Sonst wird dir am Ende wieder schlecht.“
Am liebsten hätte ich das Essen geradezu heruntergeschlungen, doch ich wusste, dass ich nach fast zwei Tagen ohne eine richtige Mahlzeit erst mal langsamer essen musste.
„Hast du extra für mich gekocht?“, fragte ich zwischen zwei Bissen.
„Ich dachte, wenn ich dir so ein richtig schönes Essen mache, dann kannst du gar nicht anders, als zu essen und dich zu freuen.“ Meto lächelte, dieses wahnsinnig süße Strahlelächeln, und füllte sich dann selbst etwas auf den Teller.
„Ich liebe dich, weißt du das?“, antwortete ich mit noch vollem Mund, schluckte und schob mir den nächsten Löffel voll Reis mit Soße rein. Ich konnte gar nicht anders, als so zu schlingen, es schmeckte einfach zu gut und ich hatte solchen Hunger!
Meto griff über den Tisch nach meiner Hand und hielt sie fest. „Tsu, iss mal langsamer. Du hast genug Zeit und keiner nimmt dir was weg.“ Und dann: „Wäre doch furchtbar schade, wenn du mein mit Liebe gekochtes Essen nachher wieder ausspucken müsstest.“
Das reichte, um mich zu bremsen. Ich legte den Löffel für einen Moment ab und atmete einmal tief ein und wieder aus. Meto hatte sich solche Mühe mit dem Essen gegeben, es mit ganz viel Liebe zubereitet, es war viel zu wertvoll, um es am Ende wieder auszukotzen. Viel mehr wollte ich es genießen, und glücklich sein, dass mein Liebster mich so schön bekochte. Und so aß ich dann langsamer weiter, ließ mir die scharf-süße Soße auf der Zunge zergehen und genoss sie.
Nach dem Essen setzte ich mich mit dem Buch, das ich letztens in dem Gayshop gekauft hatte, ins Wohnzimmer und begann, es von vorne an zu lesen. Meto kam dazu, setzte sich neben mich und fragte, was ich da las, also las ich ihm eine Passage daraus vor, woraufhin er mich fragte, wo ich das Buch her hatte.
„Ich war letztens in so einem Laden, in der Nähe von dem Sexshop“, antwortete ich. „Weißt du, ich musste mir mal klar darüber werden, wie ich denn jetzt eigentlich orientiert bin …“
„Und was ist dabei rausgekommen?“, fragte er und sah mich dabei an.
„Ich finde Frauen nicht mehr anziehend. Aber … andere Männer als dich auch nicht“, sagte ich, wobei mir noch mal deutlich wurde, dass ich wirklich so empfand. Ich streckte die Hand aus und berührte Metos Wange, flüsterte: „Nur du kannst mich noch erregen. Ich will nur noch dich.“
„Nur mich …?“, fragte er leise.
Ich nickte, streichelte seine Wange. „Du bist die Liebe meines Lebens, Meto. Vergiss das bitte nie.“ Auf einmal musste ich an Hitomis Worte über plötzliche, grundlose Wut denken. Ich hoffte inständig, dass so etwas zwischen Meto und mir nicht so bald passieren würde …
Später abends dann lagen wir zusammen im Bett und hingen jeder seinen eigenen Gedanken nach. Ich blickte an die schwarze Wand und fand, dass zwei schwarze und zwei rote Wände ziemlich gut aussahen. Die Mädels hatten das letzte Stück Streichen gut hinbekommen und ich fühlte mich wohl in diesem Raum, der jetzt ein bisschen mehr nach mir aussah.
Auf einmal fragte Meto: „Sag mal, Tsu … Als du dich in mich verliebt hast, hast du dir da nicht schon mal die Frage gestellt, ob du jetzt auf Männer oder Frauen oder beides stehst?“
Ich sah ihn an und schüttelte den Kopf. „Diese Frage hab ich mir erst viel später gestellt. In dem Moment, als ich erkannt habe, dass ich dich liebe, waren die Gefühle so stark, und ich so kaputt, dass ich gar nicht darüber nachgedacht habe.“
Meto lächelte. „Das ist schon ziemlicher Wahnsinn, diese Liebe …“
„Ja, das ist es. Ich hab so was in meinem Leben früher nie empfunden.“ Ich blickte wieder hoch an die Decke und einen Moment herrschte wieder Stille, dann fragte ich: „Und du? Ich meine, wusstest du schon immer, dass du nur Männer magst?“
„M-hm.“ Meto nickte. „Irgendwo war mir das schon als Kind klar. Ich hab mich immer gut mit den Mädchen verstanden, aber für mich war immer klar, dass ich mal mit einem Jungen zusammen sein wollte. Nur … na ja, irgendwann hab ich dann eben bemerkt, dass die Gesellschaft, die Leute um mich herum, dass die damit anscheinend ein Problem hatten. Ich wusste irgendwann, dass ich es vor meinen Eltern geheim halten musste.“
„Hm …“, machte ich leise, denn mir kam gerade ein bestimmter Gedanke, den ich vorher irgendwie noch nie so gedacht hatte, und ich sprach ihn einfach aus: „Meto, sag mal, kann es sein, dass dein Sprachfehler damit zu tun hat? Dass du einfach nicht mehr richtig sprechen konntest, weil du in dir diesen Zwiespalt hattest? Und deine Verspannungen, deine Unsicherheit, für mich sieht das so aus, als ob du … na ja, du hast ja vieles versteckt und geheim gehalten, da kann es doch sein, dass dein Körper auf diese Weise darauf reagiert hat?“
Er sah mich an und ich sah etwas in seinen Augen, die Erkenntnis, dass es so war. Dass er deshalb die Probleme mit dem Sprechen und die Verspannungen hatte, weil er so lange seine Orientierung versteckt und nicht richtig ausgelebt hatte. Es passte einfach, so sehr, dass ich mich fragte, wieso ich nicht schon viel früher darauf gekommen war. Vielleicht, weil ich so sehr mit mir selbst beschäftigt war und so viel zu kämpfen hatte, dass ich Metos Ängste und seine Probleme nicht richtig wahrnehmen konnte.
Und auf einmal war sie da, die Gelegenheit, das zu ändern und mal für ihn da zu sein. Ihm zu zeigen, dass ich mich auch um ihn kümmern konnte, nicht immer nur er um mich.
Denn je länger ich ihn ansah, umso trauriger sah er aus, und dann waren da Tränen in seinen Augen und er biss sich auf die Lippen. Ich rückte näher zu ihm und legte meinen Arm um ihn, es fühlte sich irgendwie neu und ein wenig seltsam an, weil es sehr lange her war, dass er vor mir wegen seiner eigenen Probleme geweint hatte. Und ich spürte deutlich seinen Wunsch, unbedingt für uns beide stark zu sein und uns beide zu halten.
„Du musst nicht immer nur der Starke sein …“, sagte ich leise und strich ihm durch seine hellblau gefärbten Haare. „Ich liebe dich auch, wenn du mal Schwäche zeigst.“
Meto versuchte, die Tränen wegzublinzeln. „Tsu, ich … Weißt du, dir geht’s oft so schlecht und ich weiß, dass ich die Verantwortung für dich habe, dass du mich brauchst … Ich kann doch nicht …“
„… Vor mir auch mal in Tränen ausbrechen? Doch, das kannst du.“
Er schüttelte den Kopf, doch da liefen die Tränen schon über seine Wangen und es brauchte nur ein leises „Lass es raus“ von mir, damit er richtig zu weinen anfing. Ich umarmte ihn, zog ihn nah an mich und spürte seine Tränen auf meiner Haut, sein Zittern, seine Traurigkeit und dabei immer noch seinen unbedingten Wunsch, stark zu sein.
„Ach Meto …“, sagte ich und streichelte über seinen Rücken, „Du darfst doch auch mal vor mir weinen. Das ist vollkommen okay.“ Und irgendwie hatte ich auf einmal auch Tränen in den Augen.
„Ich will einfach nicht, … dass es dich verunsichert, Tsu …“, brachte Meto leise und mit zitternder Stimme heraus. Er sah mich an, sah die Tränen in meinen Augen. „Siehst du, jetzt weinst du auch schon …“
„Dann weinen wir eben zusammen.“ Als ich es aussprach, klang meine Stimme schon tränenerstickt, und ich fühlte, dass es meine Liebe war, die mich weinen ließ. Ich litt mit meinem Liebsten mit und irgendwie fühlte sich das ein bisschen gut an, weil ich ausnahmsweise mal nicht um mich selbst weinte.
Und so lagen wir eine Weile einfach da und weinten zusammen, ich spürte die Nähe zwischen uns. Irgendwann löste Meto sich wieder von mir und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Beugte sich über mich, küsste mich auf den Mund und sagte: „Dankeschön, Tsu …“
„Dafür nicht.“ Ich lächelte und küsste ihn zurück. „Weißt du, nur weil ich so viel weine, heißt das noch lange nicht, dass du nicht das Recht hast, auch mal zu weinen.“
„Ich … wollte nur nicht, dass du siehst, dass ich … nicht immer so stark bin … Du sollst dich auf mich verlassen können, verstehst du?“
„Aber wäre es nicht furchtbar einseitig, wenn du nur immer für mich da wärst und nicht auch andersherum? Meto, ich liebe dich, und das bedeutet auch, dass ich auch mal für dich da sein will. So funktioniert Liebe. Ich bin zwar krank, okay, aber das heißt nicht, dass ich nicht auch mal deine Schulter zum Anlehnen sein kann.“
Meto stand auf, zog sich um, und ich tat es ihm gleich, dann legten wir uns wieder hin und er deckte uns beide zu. Ich fühlte mich gut, mein Herz war voller Liebe, und als mein Liebster begann, mich zu streicheln, seufzte ich leise, schloss die Augen und kuschelte mich eng an ihn. Da war keine innere Leere und keine Einsamkeit, keine Angst, nur Metos Hände auf meinem Körper, sein Herzschlag und seine Atemzüge, ich fühlte mich geliebt und sicher.
Ich nahm seine Hand und sah den Verlobungsring an seinem Finger, das Zeichen, dass er sein Leben mit mir verbringen wollte. Dass er bei mir blieb, mich nicht verließ, egal, was passieren würde. Ich hob seine Hand an meine Lippen und hauchte einen Kuss auf den Ring, spürte mein Herz schlagen und war einfach glücklich.
Meto griff mit der anderen Hand nach Ruana und schob sie zwischen uns, lächelte mich an, küsste mich und sagte: „Ruana ist irgendwie unser Baby. Sie und du und ich, das ist doch schon fast wie eine kleine Familie …“
Ich lachte, weil es irgendwie stimmte und weil er so süß war, wie er das sagte. „Irgendwie schon.“
Er ließ Ruana mit dem Köpfchen wackeln und sie mir ein Küsschen geben, sprach dann mit süß verstellter Stimme: „Ruana Tsu ganz doll lieb.“
„Ich hab dich auch lieb, Ruanalein“, antwortete ich und drückte ihr einen Kuss auf den Kopf. Fühlte mich irgendwie wirklich so, als sei sie unser Baby und wir zu dritt eine kleine Familie. Ich hatte mich nie großartig für Kinder und Familiengründung interessiert, doch auf einmal war da dieses Familiengefühl in mir, nur dass es sich nicht auf ein Kind, sondern auf Ruana bezog. Ich wusste, wie wichtig sie für Meto war, und die Idee von uns dreien als kleine Familie gefiel mir.
Auf einmal stand Meto wieder auf und lief aus dem Zimmer, kam wenig später mit seinem Handy in der Hand zurück. Er legte sich wieder zu mir und tippte irgendwas in das Gerät ein, dann hielt er es mir hin. Auf dem Bildschirm war ein buddhistischer Tempel zu sehen, welcher sich der Überschrift der Webseite nach in Kyoto befand. Und unter dem Bild stand, am Ende einer Reihe von Stichworten: „Angebot von gleichgeschlechtlichen Hochzeitszeremonien“
„Hast du das gewusst?“, fragte Meto, seine Augen leuchteten. „In Kyoto gibt es einige Tempel, wo wir heiraten könnten.“
Diese Information war mir neu. Ich wusste zwar, dass gleichgeschlechtliche Paare im Buddhismus anerkannter waren, doch dass es in Kyoto Tempel gab, die tatsächlich Hochzeiten für Paare wie uns anboten, hatte ich nicht gewusst. Ich war davon ausgegangen, dass wir zum Heiraten nach Thailand oder sogar bis nach Europa reisen müssten.
Die Aussicht auf eine solche lange Reise hatte mir schon ein wenig Angst gemacht und so war ich doch sehr froh, dass wir, wenn auch eben nur in einem Tempel, auch in Japan würden heiraten können.
„Dann fahren wir im Sommer nach Kyoto und heiraten“, sagte ich, fühlte mein Herz klopfen und legte meinen Arm um Meto, zog ihn nah an mich. „Du wirst ein wundervolles, weißes Kleid tragen, ich einen schönen Anzug, und Ruana kriegt ein Kleidchen passend zu deinem. Oder möchtest du auch einen Anzug anziehen?“ Es fühlte sich gut an, solche Hochzeitspläne zu machen und mir vorzustellen, wie es sein würde, unsere Liebe fest und ganz öffentlich zu machen.
Meto schüttelte den Kopf und lächelte mich dann an. „Nein, ich würde gern ein Kleid anziehen. Ich mag mich in Kleidern.“
Er sah so glücklich aus, und der Gedanke, dass ich der Grund dafür war, schickte mir eine warme Welle aus gutem Gefühl durch den Körper. Und so beugte ich mich über ihn und küsste ihn, so liebevoll und zärtlich, wie ich es nur vermochte.
„Ich liebe dich“, flüsterte ich in sein Ohr.
„Ich dich auch.“ Meto lächelte wieder, so wahnsinnig süß, dass mir ganz warm davon wurde.
Wir kuschelten uns eng zusammen, Ruana zwischen uns, ich legte meinen Arm um meine beiden Liebsten und irgendwann war ich eingeschlafen.
Als ich am nächsten Morgen die Augen öffnete, war es schon hell. Meto lag neben mir, er schlief noch, hatte Ruana im Arm und sah so wahnsinnig süß aus, dass ich nicht anders konnte, als erst ihm und dann unserem ‚Baby‘ einen Kuss zu geben. Da ich aber nicht vorhatte, ihn zu wecken, stand ich auf und ging zum Schrank, um mir Unterwäsche für heute rauszusuchen.
Dabei fiel mein Blick aus dem Fenster und ich sah etwas, das ich entweder gestern nicht wirklich bemerkt hatte, oder das erst heute Nacht gekommen war: Gegenüber gab es einen kleinen, traditionellen Lebensmittelladen, neben dem stand ein Kirschbaum, und eben jener Baum hatte über Nacht in zartem Rosa zu blühen angefangen. Es sah wunderschön aus und ich blieb einen Moment am Fenster stehen, schaute hinüber und freute mich. Der Anblick der Kirschblüte fühlte sich für mich immer ein bisschen so an, wie wenn man als Kind im Winter morgens aus dem Fenster schaute und den ersten Schnee erblickte. Schnee hatte für mich seit meiner Zeit auf der Straße seinen Reiz verloren, doch die Kirschblüte als Zeichen des Frühlingsanfangs fand ich immer noch schön.
Ich ging zum Bett zurück und schaute auf die Datumsanzeige des Weckers. Dieses Jahr waren die Kirschblüten recht früh dran, und noch dazu war heute Sonntag, was bedeutete, dass die ganze Stadt mehr oder weniger frei hatte und den Frühlingsanfang feiern würde. Vielleicht würden Meto und ich uns dem anschließen und auch in einen der vielen Parks gehen, um die rosa Blüten anzuschauen.
Zuerst einmal ging ich jedoch duschen und mich schön machen. Ich hatte Lust auf schicke, auffällige Klamotten, auf Schmuck und auf Make-up, und so pflegte ich mich erst ausgiebig und zog dann Netzhemd und Lacksachen an. Die Sonne schien schon durchs Fenster herein und ich hatte das Gefühl, dass heute der erste schön warme Tag des Jahres sein würde. Mein Make-up fiel dagegen so dunkel aus wie immer und würde einen schönen Kontrast zu den rosa Kirschblüten bilden.
Als ich fertig angezogen, geschminkt und mit schön gemachten Haaren vor dem Spiegel stand und mich betrachtete, hörte ich auf einmal eine Stimme, die mich mit meinem Taufnamen ansprach. Es fühlte sich an, als würde jemand neben mir stehen, doch da war niemand. Und es war Mamas Stimme. Einen Moment lang konnte ich nicht sicher sagen, ob ich sie nur in meinem Kopf hörte oder sie nicht doch irgendwie da war, ich hörte sie ganz deutlich und fühlte eine hauchzarte Berührung ihrer Hand auf meiner Schulter.
„Du siehst schön aus, Genki.“
Ein leichtes Lächeln schlich sich auf meine Lippen. „Findest du?“, fragte ich und sah mich dabei mit leicht hochgezogener Augenbraue im Spiegel an.
„Ja“, sagte Mamas Stimme. „Heute geht’s dir gut, oder?“
Ich nickte, das Lächeln auf meinen Lippen wurde etwas deutlicher.
„Mach dir heute einen schönen Tag, mein Junge. Und vergiss nicht, dass ich immer bei dir bin. Ich sehe dich, jeden Augenblick deines Lebens.“
Ihre Stimme klang so liebevoll und warm, fühlte sich so echt an, als sei sie wirklich da. Ich blickte neben mich, wo sie meinem Gefühl nach hätte stehen müssen, und fragte: „Hast du auch gesehen, dass Meto und ich jetzt verlobt sind?“
„Ja, das habe ich gesehen“, antwortete sie. „Ich sehe alles, was du tust.“
„… Was bist du denn jetzt?“, fragte ich.
„Das kannst du dir aussuchen“, sagte sie. Ich blickte in den Spiegel und sah ihr Gesicht wie einen ganz leichten, blassen Schatten neben meinem. Sie lächelte.
Ich wusste keine Antwort auf die Frage, was Mama denn jetzt war, aber es war okay. Hauptsache, sie war irgendwie bei mir.
In dem Moment wurde die Badezimmertür geöffnet, Meto stand im Schlafanzug vor mir und sah mich fragend an. „Tsuzuku, mit wem redest du?“
„Mit Mama“, antwortete ich. „Ich hab ihre Stimme gehört, sie hat mit mir gesprochen.“
Meto lächelte. „Und was hat sie gesagt?“
„Dass ich heute gut aussehe. Und … dass sie immer bei mir ist.“ Ich lächelte meinen Freund an, spürte, dass meine Augen strahlten.
Meto sah mich einen Moment lang nachdenklich an, dann fragte er vorsichtig: „Hast du das öfter, dass du sie so … hörst?“
„Manchmal.“
„Und siehst du sie auch?“
„Ein bisschen. Nicht so richtig, aber so, dass es sich gut anfühlt.“
„Tsu … Ich glaube, das bleibt besser ein Geheimnis zwischen uns. Ich weiß nicht … was zum Beispiel ein Psychologe dazu sagen würde, wenn du dem erzählst, dass du deine verstorbene Mama sprechen hörst …“ Er sah mich ernst an. „Ich glaube dir, dass das nicht krank ist, aber solche Leute vom Fach glauben so was gerne mal nicht so.“
„Ich will sowieso erst mal keinen Psychologen. Ich brauch so was nicht. Ich hab ja dich und Ko und Hitomi. Und diese Gespräche mit Mama, die tun mir gut.“
„Das kann ich mir vorstellen, dass dir das guttut.“ Meto lächelte wieder.
„Hast du schon die Kirschblüten gesehen?“, fragte ich, um das Thema zu wechseln.
„Nein. Sind sie schon draußen?“
„Guck mal im Schlafzimmer aus dem Fenster.“
Meto lief aus dem Bad zurück ins Schlafzimmer, um sich die Blüten anzusehen, und sobald er weg war, stand Mama wieder schattenhaft neben mir. Ich fühlte ihre Arme um mich und hörte ganz leise ihre Stimme: „Ich hab dich lieb, Genki.“
Dann verschwand das Gefühl der Berührung, ich hörte sie nicht mehr, sie war wieder weg. Doch sie ließ mich in dem Wissen zurück, dass sie immer irgendwie bei mir war und ich jederzeit mit ihr sprechen konnte.
„Woah, Tsu, das sieht ja toll aus, die Kirschblüten!“, hörte ich Meto im Schlafzimmer rufen.
„Ja, ne?“, antwortete ich. „Hast du heute eigentlich auch frei?“
„Glaub schon. Ich schau mal in meinen Planer.“
Ich verließ das Bad und ging in die Küche, zündete mir meine allmorgendliche Zigarette an und machte wie immer das Fenster auf. Hier auf der anderen Seite stand ebenfalls ein Kirschbaum in voller Blüte, und als ich mit Rauchen fertig war und sich der Nikotingeruch aus meiner Nase verzogen hatte, nahm ich auch den süßen Duft der Kirschblüten wahr.
Meto kam dazu, hatte seinen Kalender in der Hand und sagte: „Ich hab heute frei. Wollen wir uns zusammen die Kirschblüten anschauen?“
Ich atmete noch einmal den Blütenduft ein, schloss dann das Fenster und ging auf Meto zu, umarmte ihn und fragte: „So ein richtig romantisches Kirschblütendate?“
Meto nickte, lächelte mich an. „Wir gehen in den Park und picknicken, und dann kommt ein Windstoß und du hast die Haare voller Blütenblätter.“
„Die du mir dann alle wieder raussuchst“, erwiderte ich lachend.
„Mach ich doch gerne, mein Herz.“ Er küsste mich. „Und was soll ich anziehen?“
„Was du möchtest“, antwortete ich. „Wobei … ich seh dich ja gern im Kleid.“
Meto lachte, dieses süße, liebe Meto-Lachen, und fragte dann: „Und warum?“
„Du siehst schön aus in ‘nem Kleid. Ich finde, es steht dir sehr gut.“
„Und wenn ich heute mal etwas männlicher aussehen möchte?“, fragte er.
„Dann kannst du das machen. Ich finde dich auch dann schön.“ Ich küsste ihn, senkte den Kopf auf seine Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich find dich immer schön, egal was du anhast.“
„Na ja …“, erwiderte er leise, „… wenn ich mich heute mal männlicher kleide, sieht jeder, dass wir zwei Männer sind …“
„Das ist mir heute mal egal. Sollen die Leute sich doch sonstwas denken!“ Ich fühlte mich in diesem Moment ganz stark und sicher, wollte, dass es mir egal war, was fremde Menschen von mir dachten. Es ging niemanden was an, ob die Liebe meines Lebens nun männlich oder weiblich war, und irgendwie wollte ich es auch zeigen, dass ich jemanden hatte und liebte, und nicht allein war.
Ich folgte Meto ins Schlafzimmer, wo er sich eine schwarze, weiß bedruckte Hose und ein kunstvoll zerrissenes, buntes T-Shirt aus dem Schrank nahm und mir beides vorzeigte.
„Wenn ich dazu ein auffälliges Make-up mache und viel Schmuck nehme, passt es auch zu deinem Outfit heute“, sagte er und deutete auf meine ja heute ziemlich lackstofflastigen, schwarzen Sachen.
Ich setzte mich aufs Bett und wartete, bis er sich angezogen hatte und zum Schminken und Zurechtmachen im Bad verschwand. Während Meto sich dann schön machte, saß ich im Wohnzimmer und las noch ein wenig in dem Roman, den ich letztens gekauft hatte.
Es war wirklich eine schöne Geschichte und es gab immer wieder diese schön geschriebenen Aktszenen darin, die in einer Weise ausgeschrieben waren, die man durchaus als ästhetisch bezeichnen konnte. Es war nicht zu erkennen, ob die Person, die dieses Buch geschrieben hatte, männlich oder weiblich war, der Autorenname war ziemlich geschlechtsneutral und es gab immer wieder Stellen in der Geschichte, wo ich nicht sicher war, ob die Ausdrucksweise die einer Frau oder eines Mannes war.
Ich fand das ziemlich faszinierend, zumal ich ja selbst in Meto und Koichi zwei Männer kannte, die sich gern weiblicher Ausdrucksweisen bedienten. Und wenn ich daran dachte, wie oft ich selbst Worte wie ‚süß‘ oder dergleichen verwendete, und dass ich mich auch gern mal schminkte …
Wieder kam ich beim Lesen an eine Aktszene und wieder war der Ich-Erzähler, mit dem ich mich doch ziemlich identifizierte, der ‚Bottom‘. In dieser Geschichte gab es wie ganz selbstverständlich Positionswechsel, beide Partner waren komplett gleichauf, doch da das bei Meto und mir noch nicht ganz so war, fühlte ich wieder diese Neugierde darauf, wie es wohl sein würde, wenn wir irgendwann demnächst mal tauschten. Ob es mir wohl gefallen würde, wenn er in mich eindrang? Es würde definitiv eine ganz neue Erfahrung sein, doch ich spürte keine Angst.
Das Gefühl hatte ein bisschen Ähnlichkeit mit dem Gefühl, was ich damals gehabt hatte, bevor ich mein erstes Tattoo bekommen hatte. Neugierde auf eine neue Erfahrung, ein bisschen Nervenkitzel und eine etwas eigenartige Empfindung, die ich schon mein Leben lang kannte, jedoch nicht wirklich beschreiben konnte.
Ich hörte Metos Schritte auf dem Flur und klappte das Buch zu. Er kam zu mir, stellte sich vor mich hin und fragte: „Na, wie seh ich aus?“
„Schön siehst du aus“, antwortete ich und lächelte.
Er sah wirklich toll aus, hatte sich in seiner Kunst, sich selbst in eine Art Puppe zu verwandeln, wieder einmal selbst übertroffen. Zwar sah er von der jungenhafteren Kleidung und seinen kurzen Haaren her weniger puppenhaft als im Kleid aus, doch die riesigen Kontaktlinsen, die falschen Wimpern und der strahlend rote Lippenstift machten das wieder wett.
Ich liebte es, wenn er diesen bestimmten Lippenstift trug, der betonte die auffällige, volle Form seiner Lippen so schön und war außerdem kussecht. Und so legte ich das Buch weg, stand auf und küsste diese vollen, weichen, roten Lippen, und flüsterte: „Du bist wunderschön, mein Liebster.“
Als wir dann die Treppen hinunter gingen, kam uns, weil es ja auch nicht mal ein, zwei Stunden lang nur schön sein konnte, natürlich Frau Yamaguchi entgegen. Sie hob missbilligend eine Augenbraue, als sie uns sah, und als sie eigentlich schon an uns vorbei war, blieb sie noch mal stehen.
„Ich soll Ihnen von Frau Hirasawa ausrichten, sie möchten bitte in Zukunft von lärmenden Aktivitäten in den Abendstunden absehen“, sagte sie mit hörbar spitzer Stimme.
„Hirasawa?“, fragte ich, der Name sagte mir nichts.
„Die Dame in der Wohnung unter Ihrer“, erklärte Frau Yamaguchi mit noch etwas spitzerer Stimme und blitzte mich bissig an. „Sie beklagt sich wiederholt darüber, dass Sie beide abends oft laut seien und fragt auch, was Sie zu dieser Zeit bitte tun.“
Das Gefühl von Stärke, was ich vorhin gespürt hatte, dieser Gedanke, dass es mir egal sein konnte, was Leute von mir dachten, war immer noch da, und mit diesem Gefühl antwortete ich: „Das geht Sie und jeden anderen hier überhaupt nichts an, was mein Freund und ich in unserer Wohnung machen.“ Ein kurzes, überlegenes Lächeln huschte über meine Lippen und ich fügte noch hinzu: „Sagen Sie Frau Hirasawa das. Und wenn sie sich dran stört, dass wir ab und zu die Musik aufdrehen, soll sie selber kommen und sich beschweren.“
„Oh, es geht nicht um die Musik, Aoba“, zischte Frau Yamaguchi. „Es geht darum, dass Sie beide mit ihrer Liebelei hier das Hausklima verschmutzen.“
„Ich glaube nicht, dass man das hören kann“, erwiderte ich.
„Frau Hirasawa will Schreie gehört haben.“
„Wie gesagt, wenn sie ein Problem hat, soll sie selber vorbeikommen.“ Ich fühlte mich stark, überlegen und zudem im Recht. Und ich war mir ziemlich sicher, dass unsere Wohnung so gut gedämmt war, dass man Meto und mich nachts nicht hören konnte.
„Sagen Sie, Aoba, eins noch: Was war das eigentlich neulich mit dem Notarztwagen hier nachts um eins?“, fragte Frau Yamaguchi noch ein wenig bissiger. „Die waren doch in Ihrer Wohnung, oder?“
Mit einem Schlag war meine Selbstsicherheit weg, zerbrochen und verflogen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wollte nicht, dass diese Frau von meinem Schmerzanfall erfuhr.
Und Meto, der den ganzen Streit ohne ein Wort mit angehört hatte, bemerkte das und sagte, wesentlich leiser als ich eben: „Tsu hatte … hohes Fieber, deshalb hab ich … sicherheitshalber den Notarzt gerufen.“
„Soso …“, sagte Frau Yamaguchi nur, sah uns noch einmal abschätzig an und verschwand dann die Treppen rauf.
Na toll. Jetzt war meine gute Laune wieder mal so ziemlich weg. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn ich mal länger als zwei Stunden gut drauf war … Wieso mussten wir auch gerade heute dieser alten Schachtel wieder begegnen?!
Ich spürte, wie mich diese Begegnung frustrierte, wie meine Gedanken zu kreisen begannen und sich meine Gefühle schon in Richtung Abgrund bewegten. „Fuck!“
Meto sah mich an, bemerkte, dass meine Stimmung am Absacken war und griff einfach meine Hand, als wir aus dem Haus gingen. Er sagte nichts, zog mich einfach mit sich in Richtung des nächsten größeren Parks, wo die Kirschbäume blühten.
Es waren mehr Leute unterwegs als sonst um diese Zeit, und der größte Park unseres Stadtviertels war voller Menschen, die Picknickdecken ausgebreitet hatten und offenbar heute draußen frühstückten. Ich ließ meinen Blick über die Leute schweifen und entdeckte tatsächlich eine Gruppe junger Leute, die ähnlich gekleidet waren wie Meto und ich. Dann waren wir wenigstens nicht die einzigen, die durch unsere Kleidung auffielen.
„Komm, wir gehen da rüber“, sagte Meto und deutete auf ebenjene Gruppe.
Ich fühlte mich immer noch unsicher, ging aber trotzdem mit ihm mit, ohne etwas zu sagen. Er versuchte schließlich, mich abzulenken und dafür zu sorgen, dass es mir gut ging, was sollte ich da anderes tun, als mitzumachen?
Mein Freund hatte heute anscheinend seinen sozialen Tag und setzte sich einfach auf eine Bank in direkter Nähe der Gruppe von Visuals, von denen einige zu uns hersahen. Es waren hauptsächlich junge Mädchen, aber auch zwei junge Männer dabei. Ich setzte mich ebenfalls hin und versuchte, mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen.
Irgendwann stand eins der Mädchen auf und kam auf uns zu. Sie trug als einzige ein aufgebauschtes Lolitakleid ähnlich dem, was Meto auch besaß, aber heute ja nicht trug.
„Hey, seid ihr neu in der Gegend?“, fragte sie und lächelte. „Ich hab euch noch nie hier gesehen.“
Ich sah zu Meto, der anscheinend doch wieder kein Wort herausbekam, und antwortete an seiner Stelle: „Wir sind Anfang März hergezogen.“
„Und woher kommt ihr?“
Ich nannte den Namen unserer Heimatstadt.
„Setzt euch doch mit zu uns“, bot das Mädchen an. „Wir haben auch was zu knabbern da.“
Das musste man mir nicht zweimal sagen. Ich hatte schließlich heute noch nichts gefrühstückt. Froh darüber, dass ich überhaupt richtigen Hunger hatte, stand ich auf und setzte mich auf eine der Picknickdecken auf dem Boden unter den Kirschbäumen. Meto setzte sich neben mich.
“Greift zu“, sagte das Mädchen und hielt uns eine Schale mit Crackern hin, aus der ich mir gleich eine Handvoll nahm.
„Und habt ihr euch hier schon gut eingelebt?“, fragte eine der anderen.
„Ja, ein bisschen schon.“ Ich nickte, lächelte, überspielte meine Unsicherheit, so gut ich eben konnte.
Meto nahm sich ebenfalls welche von den Süßigkeiten und sah so aus, als wollte er etwas sagen und konnte aber irgendwie nicht.
„Ihr wohnt also zusammen?“, fragte das Mädchen im Lolitakleid.
Es war wirklich alles andere als einfach, normal und locker Leute kennen zu lernen und mit ihnen zu sprechen, wenn ich nicht wusste, wie sie darauf reagieren würden, dass Meto und ich ein Paar waren. Es gab sowohl in seinem, als auch in meinem und unserem gemeinsamen Leben so viele Dinge, die nicht gerade gesellschaftstauglich waren. Meine frühere Obdachlosigkeit und meine mentalen Probleme, Metos Homosexualität und sein Sprachfehler, und nicht zuletzt unsere Beziehung als solche. Über diese Dinge konnte man nicht einfach so sprechen. Und so wusste ich nicht, was ich auf die Frage danach, ob wir zusammen wohnten, antworten sollte. Ich wollte nicht lügen.
„Ja. Wir … leben zusammen“, hörte ich da die leise Stimme meines Freundes neben mir. Seine Wangen und Ohren schimmerten verräterisch rot. Und obwohl ihn diese Röte unsicher wirken ließ, erkannte ich seine Stärke in diesem Moment.
Einer der beiden jungen Männer, die ein Stückchen hinter den Mädchen saßen, aber doch eindeutig zur Gruppe dazugehörten, sah erst Meto, dann mich verwundert an.
„Wie, ihr lebt zusammen?“, fragte er. „Wie ein Paar, oder was?!“
Meto sah mich an, in seinen Augen stand die Frage, ob wir nun ganz mit der Wahrheit rausrücken sollten, oder besser nicht. Ich wusste es auch nicht. So, wie der Typ da gefragt hatte, klang es nicht gerade so, als sei es kein Problem. Ich dachte an meinen Kollegen Takashima, der mein Outing einfach so hingenommen hatte, und dann an Frau Yamaguchi, die ihre Abneigung offen zur Schau trug. Ich verlangte ja nicht mal, dass alle so begeistert reagierten wie zum Beispiel die Mädchen in dem Café, wo Meto arbeitete, doch insgeheim wünschte ich mir doch, dass es den Leuten wenigstens egal war, ob ich mit einer Frau oder eben mit einem Mann zusammen war.
Die Ablehnung tat mir weh und ich beschloss den Versuch einer Lüge.
„Es ist … ein bisschen kompliziert“, sagte ich. „Ich mag nicht gern allein leben, deshalb sind wir zusammen gezogen.“
„Na, solange ihr nicht schwul seid oder so …“, sagte der Typ und klang genauso abfällig, wie ich befürchtet hatte.
Ich sah Meto an, der den anderen jungen Mann wie versteinert anstarrte. Er sah verletzt und wütend aus, und ich wusste, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Ich hätte einfach die Wahrheit sagen sollen und dann hätten wir gehen sollen, woanders hin oder nach Hause. Gerade heute, nachdem ich gestern Abend doch erst wirklich verstanden hatte, wo Metos Schwäche lag und warum er mit fremden Menschen nicht richtig sprechen konnte.
Und als ich schon beschlossen hatte, zu gehen, und aufstehen wollte, da platzte Meto neben mir geradezu, er sprang auf und sein Blick traf kurz meinen, er sah furchtbar enttäuscht aus.
„Bin ich aber!“, sagte er laut und blitzte den anderen Typen wütend an. „Ich bin schwul, und Tsu und ich sind zusammen! Er traut sich nur nicht, das öffentlich zuzugeben!“ Er sah mich an, schrecklich enttäuscht, wütend und mit Tränen in den Augen, und fragte leise: „Warum stehst du nicht zu mir?“
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Aber ich wusste, dass ich in meiner Angst davor, dass mich die Leute hassten, dem liebsten Menschen in meinem Leben gerade furchtbar wehgetan hatte. Und weil ich ihm andererseits versprochen hatte, ihn zu heiraten und unsere Liebe öffentlich zu machen, war er jetzt so enttäuscht von mir.
„Meto …“, begann ich, ebenso leise wie er, „Es tut mir leid, ich …“
„Überleg mal, was du eigentlich willst“, sagte er, klang jetzt eindeutig wütend. „Willst du den Leuten gefallen oder mich glücklich machen?“ Er drehte sich um und lief einfach weg, in irgendeine Richtung.
„Meto, warte!“, rief ich, wollte ihm nach, doch meine Beine bewegten sich nicht, fühlten sich wie festgewachsen an. In meinem Kopf drehte sich alles, Sätze, einzelne Worte, Bilder, alles wirbelte durcheinander.
…. ‚Du willst allen gefallen‘
… ‚Borderline‘
… ‚beziehungsunfähig‘
… ‚Zerreißprobe‘
… ‚Jetzt verlässt er dich, weil er dich nicht erträgt‘
… ‚Geh dich ritzen‘
… ‚Er verlässt dich … verlässt dich … verlässt dich‘
Ich stand einfach nur da, blickte, ohne wirklich zu sehen, in die Richtung, wo Meto zwischen den Menschen und Kirschbäumen verschwunden war, und fühlte mich unendlich einsam und leer. Dass die Tränen über mein Gesicht strömten, bemerkte ich erst, als das Mädchen im Lolitakleid mich darauf ansprach und fragte, was das denn eben gewesen war.
Ich blickte an ihr vorbei zu dem Typen, der das alles ausgelöst hatte. Der schien nicht recht zu wissen, was er davon halten sollte, sah aber doch betroffen aus, als er meinen Blick bemerkte und sah, dass ich weinte.
Und erst, als ich mich fragte, wo Meto denn jetzt hingelaufen war, fühlte ich mich selbst wieder, spürte, dass mein Herz furchtbar wehtat, und, dass ich am ganzen Körper zitterte.
‚Er verlässt dich‘, flüsterte der schwarze Strudel in meinem Kopf. ‚Genau wie alle anderen auch …‘
Mein schmerzendes Herz fühlte sich an, als würde es ein paar Schläge aussetzen, und es war, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Ich sah die Kirschblüten, dachte auf einmal an Vergänglichkeit und Tod, in dem Moment gaben meine Beine unter mir nach, mir wurde schwarz vor Augen und ich sackte weg.
…
Ein leises, gleichförmiges Piepen ließ mich irgendwann wieder die Augen öffnen. Ich war in einem weißen Raum, der anscheinend große Fenster hatte, denn es war hell. Zuerst sah ich alles nur verschwommen, dann etwas klarer, ich blickte zur Seite und sah, woher das Piepen kam: Ich lag in einem Bett und daneben stand so eine Maschine, die verschiedene Linien anzeigte, und immer, wenn die oberste Linie ausschlug, war dieses Piepen zu hören. Mein Verstand arbeitete noch langsam und ich brauchte einen Moment, bis ich erkannte, dass es sich um ein Gerät zur Überwachung von Herztätigkeit handelte. Meiner eigenen Herztätigkeit.
Ich spürte, dass ich andere Sachen anhatte, sah meine Lackjacke, die Weste und meine Hose auf einem Stuhl neben dem Bett liegen und meine Schuhe darunter stehen. Stattdessen fühlte ich ein weites Nachthemd an meinem Körper.
War ich etwa im Krankenhaus?!
Panik ergriff mich, ich wollte mich aufsetzen, doch mir war so schwindlig, dass ich sofort wieder ins Kissen zurücksank. Und so musste ich liegen bleiben, und spüren, wie die Angst sich in mir ausbreitete, während mein Verstand versuchte, sich daran zu erinnern, was passiert war, wie ich hier her gekommen war. Ich wusste es nicht mehr.
Ich hob den Kopf und sah, dass ich nicht allein im Zimmer war. An der gegenüberliegenden Wand standen noch zwei Betten, in dem einen lag eine Frau von etwa Vierzig, in dem anderen eine alte Dame. Die jüngere Frau hatte eine Zeitschrift vor sich liegen und die ältere ein Buch in der Hand.
Die Angst stieg in mir hoch, erreichte mein Herz und ließ es schmerzen, woraufhin das Piepen der Maschine neben mir schneller und lauter wurde. Ich hob den Arm und sah, dass ich eine Infusionsnadel mit einem dünnen Schlauch an der Hand hatte, was sich für mich so anfühlte, als sei ich festgebunden. Der Schlauch führte zu einem hängenden Beutel mit einer durchsichtigen Flüssigkeit darin und ich erinnerte mich kurz daran, dass ich in den letzten Tagen nur einmal wirklich gegessen hatte.
Ich dachte an das Curry gestern und dabei fiel mir Meto wieder ein. Wo war er? Warum lag ich allein in einem Krankenhausbett und er war nicht da, um meine Hand zu halten? Was war überhaupt passiert? Ich wusste, irgendetwas war gewesen, doch ich hatte keine Ahnung, was genau.
Die Ungewissheit verstärkte meine Angst. Angst vor dem Krankenhaus, davor, hier bleiben zu müssen, und Angst, dass Meto vielleicht etwas passiert war und er deshalb nicht bei mir sein konnte.
Die Tür des Zimmers wurde geöffnet und jemand kam herein, ich erkannte Frau Dr. Matsuyama. Froh darüber, wenigstens ein vertrautes Gesicht vor mir zu haben, sah ich sie an, und sie kam auf mich zu.
„Aoba-san, Sie sind wieder wach? Wie geht es Ihnen?“, fragte sie.
„Was … ist passiert?“, fragte ich, meine Stimme klang kraftlos.
„Erinnern Sie sich nicht?“
Ich schüttelte den Kopf. Das letzte, was ich noch wusste, war, dass ich mit Meto zusammen aus unserer Wohnung gegangen war und dass er die Tür abgeschlossen hatte. Danach war nichts mehr.
„Sie sind beim Kirschblütenfest im Park zusammengebrochen. Die Leute, die dort waren, haben den Krankenwagen gerufen“, sagte Dr. Matsuyama.
„Wo ist mein Freund?“ Allein beim Gedanken an ihn tat mein Herz weh und das piepende Gerät neben mir schlug etwas schneller aus.
„Wir haben ihn nicht gefunden.“
„Er war nicht bei mir?“
„Nein. Die Leute, die da waren, haben ausgesagt, dass es Streit gab und er deshalb davongelaufen ist.“ Dr. Matsuyama ging auf die Maschine neben mir zu und stellte irgendetwas neu ein, dann fragte sie: „Können Sie sich wirklich nicht erinnern?“
„Nein … Ich weiß nur noch, dass wir rausgegangen sind und auf dem Weg in den Park waren …“
„Haben Sie öfter solche Erinnerungslücken?“
Ich fühlte in meine Erinnerungen, fragte mich, wie viele Lücken es da wohl gab. So jetzt fiel mir nur die eine Lücke nach Mamas Tod ein, die vier oder fünf Monate, an die mir jede Erinnerung fehlte. Das einzige, was ich davon noch hatte, waren blasse Narben von Schnitten auf meinen Armen, Beinen und meinem Bauch. Ich ahnte, woher die kamen.
„Eigentlich nur eine. Als meine Mutter gestorben ist, die Zeit kurz danach, davon weiß ich gar nichts mehr“, antwortete ich.
„Aoba, sie haben keinerlei Verletzungen, die einen Gedächtnisverlust erklären würden. Ich habe mit einem Psychiater der hiesigen psychiatrischen Klinik gesprochen und der würde sich gern später mit Ihnen unterhalten. Ist Ihnen das recht?“
Ich schüttelte den Kopf. „Kann ich nicht einfach nach Hause?“
„Leider noch nicht. Wir müssen Sie noch ein wenig hier behalten. Mit Ihrem Herzen scheint doch irgendetwas nicht in Ordnung zu sein und wir müssen herausfinden, was da los ist.“
„Holen Sie meinen Freund her, dann geht’s mir schon wieder gut“, entgegnete ich.
„Haben Sie seine Handynummer bereit?“
„Ist in meinem Handy eingespeichert.“
Dr. Matsuyama gab mir meine Tasche und ich zog mein Handy heraus, suchte Metos Nummer raus und sie schrieb sie sich auf.
„Aber Sie bleiben trotzdem besser ein, zwei Tage hier. Nur für den Fall, dass Ihre Herzprobleme doch auch eine organische Ursache haben.“
Sie ging hinaus und ich nahm an, dass sie zu einem Telefon lief, um Meto anzurufen. Währenddessen versuchte ich weiter, mich zu erinnern, doch je mehr ich mich dabei anstrengte, umso mehr sperrte sich mein Kopf, die Erinnerung freizugeben.
Meto und ich hatten gestritten? Warum? In dem Teil des Tages, an den ich mich erinnern konnte, waren wir beide doch gut drauf gewesen. Hatte ich irgendetwas getan, etwas Schlimmes oder Falsches, irgendwas gesagt, was ihn wütend gemacht hatte? Ich hatte absolut keine Ahnung.
Als Dr. Matsuyama zurückkam, sagte sie: „Ihr Freund ist bei seinen Eltern. Ich habe ihm gesagt, dass Sie hier sind. Er kommt, so schnell es geht.“
„Danke.“
Die Ärztin ging wieder und ich blieb, immer noch ratlos, zurück. Es war lange her, dass ich eine solche Erinnerungslücke zu verarbeiten gehabt hatte, und ich verspürte das Bedürfnis, mit Hitomi darüber zu sprechen und sie zu fragen, ob sie das auch kannte. Ich hatte das Gefühl, dass diese Amnesie ziemlich direkt mit meinen anderen Problemen zusammenhing.
Meine beiden Zimmergenossinnen beachteten mich nicht weiter, und so war ich mit meinen Gedanken allein, drehte mich zum Fenster und schaute hinaus in den Garten des Krankenhauses. Ich war wohl so ungefähr im dritten oder vierten Stockwerk und so konnte ich in die Bäume sehen, von denen einige blühende Kirschbäume waren.
Ich dachte daran, was ich letztes Jahr um diese Zeit getan hatte: Ich hatte auf der Straße gelebt, mit den anderen im Park die Kirschblüte gefeiert und damit das Ende des für einen Obdachlosen einfach nur furchtbar strapaziösen Winters. Meto war damals noch nur mein bester Freund gewesen.
Es war kaum zu glauben, dass wir noch nicht mal ein Jahr als Paar zusammen waren, nur erst ein paar Monate. Mir kam es schon so lange vor. Dabei waren wir erst seit letztem Herbst ein Paar, und jetzt war Frühlingsanfang.
Ich schaute aus dem Fenster, zu den Kirschblüten, dachte daran, dass es jetzt Frühling wurde, dass ich fünfundzwanzig war, und wie schön der Tag heute begonnen hatte. Sofort fühlte ich eine heiße, wilde Sehnsucht nach Meto, seiner Stimme und seinem Körper. Ich wollte in seinen Armen liegen, ihn lieben und von ihm geliebt werden. Und sogleich sprangen mir Tränen in die Augen, weil ich nicht wusste, wann und wie er wieder bei mir sein würde. Hoffentlich war er nicht allzu wütend auf mich. Ich wusste ja immer noch nicht, was genau eigentlich passiert war.
Wieder betrat jemand das Zimmer, doch es war nicht Dr. Matsuyama, sondern ein etwa fünfzig Jahre alter Mann in Zivilkleidung, der ein kleines Namensschildchen am Pullover trug. Er trug eine Brille und sah mich über deren Rand aufmerksam an.
„Aoba Genki-san?“, sprach er mich an.
Ich nickte nur. War das der Psychiater, von dem Dr. Matsuyama gesprochen hatte? Ich hatte doch deutlich gemacht, dass ich nicht mit einem Psychiater reden wollte.
„Ich weiß, Sie möchten nicht mit mir sprechen, Aoba-san, aber ich wollte mich zumindest einmal bei Ihnen vorstellen. Mein Name ist Niimura, ich bin Psychiater an der Psychiatrischen Klinik in dieser Stadt“, stellte er sich vor.
Er hatte Recht, ich wollte nicht mit ihm sprechen. Ich drehte mich weg, zog die Bettdecke hoch bis über meinen Kopf und sagte nur: „Gehen Sie weg …“
Die neue Lücke in meiner Erinnerung, das Krankenhaus, die Tatsache, dass Meto nicht bei mir war, und jetzt auch noch der Psychiater, all das sorgte dafür, dass mein Herz wieder zu schmerzen begann und die Maschine neben mir schneller und lauter piepte.
„Verschwinden Sie!“, fuhr ich den Arzt an, „Lassen Sie mich in Ruhe!“
„In Ordnung, ich bin schon weg. Aber, wenn sie es sich anders überlegen, Frau Dr. Matsuyama hat meine Nummer.“ Dr. Niimura drehte sich um und ging wieder hinaus.
Meine eben noch aufgekeimte gute Stimmung war weg und ich kroch ganz unter die Decke, wollte nur noch weinen. Ich sehnte mich nach Meto, nach seiner Hand auf meinem schmerzenden Herzen, seiner lieben, leisen Stimme und seinem süßen Lachen. Allein beim Gedanken an ihn weinte ich stärker und vergrub mein Gesicht im Kopfkissen.
Was die beiden Frauen in den anderen Krankenbetten jetzt von mir dachten, war mir gerade ziemlich egal. Sollten sie mich doch für weinerlich und übertrieben emotional halten, sogar für unmännlich, oder sonst was von mir denken. Ich wollte sowieso nur weg.
Als mich der Anruf von der Klinik erreichte, saß ich gerade mit meiner Mama am Küchentisch. Sie hatte mir Tee gekocht und versucht, mich wieder zu beruhigen, nachdem ich völlig verheult, wütend und verzweifelt bei ihr angekommen war und ihr erzählt hatte, was passiert war.
Wir hatten dann lange geredet, über Tsuzukus und meine Beziehung, und auch über seine Probleme. Und ich hatte diese zum ersten Mal meiner Mama gegenüber beim Namen genannt, sie wusste jetzt, dass mein Freund an einer Borderline-Störung litt. Mama wusste etwas mehr darüber als ich und erzählte mir, dass sie einen Mandanten hatte, der anscheinend ebenfalls so eine Krankheit hatte.
Als mein Handy klingelte, ging ich mit großer Sorge ran und erfuhr von Dr. Matsuyama, dass Tsuzuku im Krankenhaus war. Im Krankenhaus!?
Mein erster Gedanke war: „Er hat doch nicht etwa versucht …“, und mir schoss sofort die Angst in die Knochen. Gerade, wo ich mit Mama über das alles gesprochen hatte, war ich mit den Gedanken nah dran, und die Angst, Tsuzuku könnte sich etwas angetan haben, lähmte mich fast.
„Was… denn… mit ihm …ist?“, fragte ich mit zitternder Stimme und verfiel in meinen Sprachfehler.
„Er ist zusammengebrochen, im Park“, antwortete Dr. Matsuyama am anderen Ende der Leitung. „Er war eine Weile ohnmächtig, aber jetzt ist er wieder wach.“ Sie schwieg einen Moment, dann fügte sie hinzu: „Aber er kann sich nicht erinnern, wie das passiert ist.“
„… Wir… hatten Streit, ich bin… einfach weggelaufen…“, sagte ich leise, bekam nur mit Mühe die Worte halbwegs richtig heraus. „Ich… dran schuld, hab ihm … Vorwürfe gemacht… und bin… dann einfach weg …“
„Asakawa-san, Sie müssen sich keine Vorwürfe machen. Wenn Ihr Freund wirklich Borderline hat, dann ist diese Krankheit schuld, sonst niemand.“ Dr. Matsuyama klang ganz ernst und ich hatte das Gefühl, dass unser Fall ihr persönlich nahe ging. Sie war ja eigentlich Notärztin und musste sich gar nicht weiter um ihre Fälle kümmern, nachdem sie sie ins Krankenhaus eingeliefert hatte, doch sie tat es und ich fand das sehr nett von ihr.
„Ich… mach mich… gleich auf den Weg, bin… bald da“, sagte ich schnell und stand schon auf. Die Ärztin legte auf und ich steckte mein Handy weg, nahm meine Tasche.
„Was ist denn?“, fragte Mama besorgt.
„Tsuzuku ist im Krankenhaus“, antwortete ich und zog meine Jacke an. „Er ist wieder zusammengebrochen.“
Ich zog hastig meine Schuhe an und lief, so schnell ich konnte, zum Bahnhof. Gerade, als ich dort ankam, fuhr der Zug in die Großstadt weg, also musste ich warten. Ich setzte mich auf eine der Bänke und hatte alle Mühe, vor Sorge um meinen Freund nicht verrückt zu werden. Meine Wut auf ihn war erst mal weg, wurde von der Angst beiseitegeschoben. Wie konnte ich auch wütend auf ihn sein, wenn es ihm schlecht ging?
Und doch, während ich dort saß und auf den Zug wartete, dachte es in meinem Kopf darüber nach, warum er mich vorhin so verraten und nicht zu mir gestanden hatte. Anscheinend hatte er so große Angst davor, dass ihn Leute hassten, dass er sich zu der Lüge, wir seien gar kein Paar, entschlossen hatte. Und das ausgerechnet in dem Moment, als ich mich selbst dazu durchgerungen hatte, zu meiner Homosexualität zu stehen.
Es hatte furchtbar weh getan, denn mir war durch unser tränenreiches Gespräch von gestern Abend selbst erst so richtig deutlich geworden, dass mein Sprachfehler, die Verspannungen und meine Unsicherheit direkt damit zusammenhingen, dass ich eben auf Männer stand und das vom Großteil der Welt um uns herum nicht akzeptiert wurde. Da hatte ich mich endlich mal dazu durchgekämpft, dazu zu stehen, und dann war es ausgerechnet Tsuzuku gewesen, der es so geleugnet hatte. Ich war einfach so enttäuscht von ihm!
Wenn wir allein miteinander waren oder in vertrauter Umgebung, war er immer so überschwänglich zärtlich, sprudelte über vor Liebe und machte mich unendlich glücklich, doch sobald wir in die Öffentlichkeit gingen und die Blicke der fremden Leute spürten, hatte er offenbar oft mehr Angst, als dass er zu uns stehen wollte oder konnte.
Bisher hatte mir das wenig ausgemacht, doch dieses Gespräch gestern Abend hatte etwas in mir verändert. Ich wollte wirklich zu ihm stehen und dass er auch zu mir stand. Immerhin wollten wir heiraten. Und ich hatte gedacht, er wollte unsere Liebe öffentlich machen, zeigen, dass wir zusammen gehörten.
Wo war das hin, wenn er dann doch wieder leugnete, dass wir ein Liebespaar waren? Und warum tat er das? Wo kam seine Angst vor der Ablehnung vonseiten fremder Menschen her?
Der nächste Zug in die Großstadt fuhr ein, ich stieg ein und suchte mir einen ruhigen Platz, schaute während der Fahrt aus dem Fenster und dachte über meinen Freund nach, über seine Probleme und meine, und als der Zug schließlich hielt, hatte ich einen Entschluss gefasst: Tsuzuku brauchte professionelle Hilfe.
Es waren nicht mal seine Stimmungsschwankungen, seine Selbstverletzung oder seine Essstörung, an die ich da dachte, sondern seine Angst vor Ablehnung fremder Menschen und sein Hinterfragen meiner Liebe. Die beiden Dinge an ihm, mit denen ich am wenigsten zurechtkam.
Ich konnte mit jemandem leben, der sich selbst wehtat. Ich kam halbwegs damit klar, dass er zu wenig aß. Ich konnte mich auf seine Stimmungsschwankungen einstellen und auf sein impulsives Verhalten, und ich wusste ungefähr, was zu tun war, wenn er sich abgrundtief traurig und leer fühlte.
Ich liebte ihn über alles, und ich war bereit, mein Leben mit jemandem zu verbringen, dessen Persönlichkeit nicht gesund war, und das nun mal diesen Namen Borderline-Persönlichkeitsstörung trug. Eben weil ich Tsuzuku so sehr liebte.
Aber ich kam nicht damit klar, wenn er das anzweifelte, dass ich ihn liebte. Und noch weniger kam ich damit zurecht, dass er wegen Angst vor dem Urteil und der Ablehnung fremder Leute nicht zu unserer Beziehung stand. Darüber würden wir sprechen müssen. Und ich würde versuchen, ihn doch zu überreden, sich hilfesuchend an einen Psychologen zu wenden.
Kurz erinnerte ich mich daran, dass meine Eltern mich im vergangenen Jahr auch zu einer Psychologin geschickt hatten, wegen meiner Sprachprobleme, und dass ich mich ebenfalls sehr dagegen gesperrt hatte. Doch letztendlich hatte mir diese Frau doch einmal helfen können, und deshalb glaubte ich, dass so jemand Tsu vielleicht auch helfen konnte.
Von Bahnhof aus lief ich zum städtischen Krankenhaus, fragte am Schalter nach Frau Dr. Matsuyama und wurde angewiesen, auf sie zu warten. Lange warten musste ich nicht, die Ärztin kam bald auf mich zu und bat mich in einen kleinen Besprechungsraum, wo sie sich setzte und mir den Platz gegenüber anbot.
„Ich möchte mich kurz mit Ihnen unterhalten, Asakawa-san“, sagte sie.
Ich sah sie nur an, antwortete nicht, mein Sprachzentrum war wieder einmal lahmgelegt.
„Sie leisten in der Beziehung zu Aoba-san offensichtlich sehr viel. Als ich bei Ihnen war, ist mir ganz deutlich geworden, wie eng Sie beide verbunden sind und das, obwohl ihr Freund an einer solchen Krankheit leidet. Aber … Sie können nicht alles für ihn tun. Asakawa-san, Ihr Freund braucht Hilfe. Professionelle Hilfe, von Leuten, die Sie beide im Leben unterstützen.“
„Ich… weiß“, sagte ich leise. „Soweit… bin ich… auch schon…“
„Ich habe einen sehr guten Psychiater zu ihm geschickt, aber Ihr Freund hat das Gespräch verweigert. Wissen Sie, warum?“
„Er… ja Angst hat… vor Krankenhaus… und so. Und besonders… vor Psychiatern… und Psychologen… und solchen…“, antwortete ich leise. „Genau… weiß ich auch… nicht, warum…“
„Reden Sie bitte mit ihm darüber. Ich denke, Ihnen hört er da noch am ehesten zu.“
Ich nickte. Auch, wenn ich noch nicht wusste, wie ich Tsuzuku meinen Entschluss, dass wir richtige Hilfe annehmen mussten, beibringen sollte.
Dr. Matsuyama stand auf, und ich folgte ihr aus dem Raum, den Gang hinunter und einige Treppen hinauf, bis sie vor einer Krankenzimmertür stehen blieb. Sie öffnete die Tür und ich betrat das Zimmer, in dem drei Betten standen, zwei an der Wand und eins am Fenster.
Die beiden an der Wand waren im Augenblick leer, doch es war zu erkennen, dass sie sonst belegt waren. Und in dem Bett am Fenster war die Bettdecke bis übers Kopfkissen hochgezogen, darunter erkannte ich versteckt den Körper meines Freundes. Zuerst schien es, bis auf das leise Piepen des neben dem Bett stehenden EKG-Geräts, still im Zimmer zu sein und ich dachte schon, dass Tsuzuku vielleicht schlief, doch dann hörte ich ihn leise schluchzen.
Langsam ging ich zu dem Bett hinüber und als ich davor stand, sagte ich leise: „Hey, Tsu …“
Ich setzte mich auf die Bettkante und streckte die Hand nach der unter der Decke verborgenen, zitternden Schulter aus, streichelte sanft und liebevoll. Und obwohl ich immer noch mit ihm über vorhin reden und wissen wollte, warum er unsere Beziehung so verleugnet hatte, spürte ich doch, ich hatte ihm das im Grunde längst verziehen.
Langsam und vorsichtig zog ich die Bettdecke weg, und sah, dass Tsuzuku sich darunter ganz klein und eng zusammen gekauert hatte. Wie ein Kind, das sich bei Gewitter unter der Decke versteckte, hatte er sich aus Angst vor der Welt verkrochen und machte sich ganz klein.
„Meto …“, flüsterte er mit tränenerstickter Stimme meinen Namen und sah mich an, seine Augen waren gerötet vom Weinen und seine Hände wieder ganz zerkratzt. „Was immer ich getan hab … verzeih mir, bitte …“
Tsuzuku sah so unglaublich traurig und kaputt aus, wie er da lag und mich fast schon flehend ansah, dass mir selbst ebenfalls Tränen in die Augen stiegen. Ich stellte meine Tasche ab, zog meine Schuhe aus und legte mich einfach zu ihm, meinen Arm um ihn, und fühlte mich wieder als der, der ihn beschützen musste.
„Alles gut, Tsuzuku, ich bin bei dir“, flüsterte ich. Er zitterte, ich zog die Bettdecke wieder hoch, deckte uns beide zu und fügte hinzu: „Ich wärm dich.“
Ein lautes, schnelles Piepen ließ mich zu der Maschine neben dem Bett schauen. Die Linien, die Tsu’s Herzschlag aufzeichneten, schlugen etwas stärker aus. Er hatte einen damit verbundenen, kleinen Sensor auf der Brust kleben, und noch dazu eine Infusion an der Hand.
„Beruhige dich, mein Schatz, es ist alles gut, ich bin da“, sagte ich noch einmal und streichelte über seine Seite. „Ich pass auf dich auf, dann kann dir nichts passieren.“
„Lass mich bitte … nie wieder allein …“, flüsterte Tsuzuku, er drehte sich zu mir um und klammerte sich an mich. „Du darfst mich nicht verlassen …!“
Ich umarmte ihn fester, zog ihn nah an mich und küsste ihn, dachte daran, dass es an mir lag, dafür zu sorgen, dass er sich wieder ein wenig stabilisierte. Er küsste mich sehnsüchtig zurück, seine Lippen schmeckten nach dem Salz seiner Tränen, und seine Hand krallte in meine Seite, so als wollte er mich mit aller Kraft festhalten, damit ich nie wieder weg ging.
„Ich verlass dich nicht“, antwortete ich. „Ganz bestimmt nicht.“
„Das darfst du nicht … Ich überleb das nicht …“ Seine Stimme klang so verzweifelt, genauso, wie er mich ansah. Der Schmerz in seinem Gesicht, die Angst, es war fast wieder wie damals, als ich ihn gerade neu gekannt und er oft vom Sterben gesprochen hatte.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Hatte keine Worte, um dem Schmerz in seiner verletzten Seele etwas entgegenzusetzen. Alles, was ich tun konnte, war, ihn weiter ganz fest zu halten, damit er fühlte, dass ich bei ihm war, und er nicht zerbrach.
„Und du kannst dich wirklich nicht an vorhin erinnern, hat die Ärztin gesagt?“, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf, sagte mit ganz leiser und kraftloser Stimme: „Ich weiß nur noch, dass wir aus der Wohnung gegangen sind.“ Und dann: „Was ist dann passiert?“
„Tsu, ist es okay, wenn wir später darüber reden? Dann, wenn es dir ein wenig besser geht?“, fragte ich leise. Es war mir zu gefährlich, diese schlimme Situation da im Park jetzt wieder hochzuholen, weil ich ja auch nicht wusste, ob und wie Tsuzuku sich daran wieder erinnern würde.
Er nickte auf meine Worte hin und drückte sich an mich, ich spürte immer noch seine Angst. Und ich beschloss, dass wir erst richtig über alles reden würden, wenn Tsu wieder aus dem Krankenhaus raus war. Das war besser für ihn, und auch für mich. Er musste sich erst einmal erholen, und ich musste überlegen, wie ich ihm beibringen sollte, dass wir professionelle Hilfe brauchten.
Wir blieben eine Weile so liegen, ich hielt ihn im Arm, bis er sich wieder beruhigt hatte.
Irgendwann kamen zwei Frauen herein, denen wohl die beiden anderen Betten gehörten, und die ältere von ihnen sah uns etwas irritiert an, sagte aber nichts. Ich war froh darüber, und Tsuzuku wirkte viel zu kaputt und erschöpft, reagierte gar nicht auf die beiden.
Als die jüngere, eine Frau von etwa vierzig, uns dann doch ansprach und fragte, ob alles in Ordnung sei, und Tsuzuku immer noch einfach nicht auf sie reagierte, antwortete ich, zu meinem eigenen Stolz fast ohne Stocken: „Ja … alles gut, ich … kümmere mich schon um ihn …“
„Sind Sie beide verwandt?“, fragte die Frau.
Ich sah Tsu an, ob er wollte, dass ich antwortete, und er lächelte matt, schmiegte sich enger an mich.
„Nein… wir… sind zusammen“, sagte ich.
Selbst wenn Tsuzuku sich nicht an vorhin erinnern konnte, so war ihm doch anzumerken, dass er irgendwo doch wusste, was der Grund für seinen Zusammenbruch gewesen war. Er kuschelte sich an mich, so als wollte sein Unterbewusstsein mir zeigen, dass er seinen Fehler wieder gut machen wollte.
Die Frau sagte nichts weiter dazu, sondern legte sich wieder hin und wandte sich einer Zeitschrift auf ihrem Nachttisch zu.
„Meto …“, sprach Tsu mich leise an, „Ich liebe dich.“
Ich lächelte, drückte ihn fest an mich und flüsterte zurück: „Ich dich auch.“
Ich blieb bei ihm, und später, als ich Hunger bekam, stand ich auf, um mir etwas zu Essen aus der Cafeteria zu holen.
„Ich hab Hunger. Soll ich dir was mitbringen?“, fragte ich meinen Freund.
Tsuzuku schüttelte den Kopf. „Ich will nichts.“
„Du musst was essen. Wir machen es so, dass ich mir einfach ein bisschen mehr hole und dann kriegst du von meinem was ab, okay?“
Er streckte seine Hand nach mir aus. „Sei bitte schnell wieder da.“
„Klar, ich beeil mich.“ Ich lächelte.
Ich lief den Gang und die Treppen runter in die Cafeteria, überlegte mir auf dem Weg schon mal, was ich essen wollte, und entschied mich, als ich mich in die Schlange vor der Theke einreihte, für ganz einfachen Reis mit Sauce, dazu ein Päckchen Eistee.
Die Schlange war doch recht lang und je länger ich da stand und wartete, umso mehr kam ich wieder ins Nachdenken. Irgendwie … war von einem Moment auf den anderen alles wieder schlimmer geworden mit Tsuzukus Krankheit, er wirkte wieder so kraftlos und kaputt wie früher und jetzt mussten wir außerdem befürchten, dass mit seinem Herzen wirklich etwas nicht stimmte.
Als ich endlich drankam und bestellte, war ich innen drin voller Angst, dass mein Freund diese Krise nicht so einfach überstehen würde.
Mit dem Essen in den Händen lief ich zurück, und als ich wieder ins Zimmer kam, lag Tsuzuku mit leerem Blick im Bett und ich sah wieder Tränen auf seinen Wangen. Ich stellte das Essen auf den Nachttisch und legte mich erst mal wieder zu ihm, streichelte ihn und flüsterte ihm zu, dass doch alles gut und ich wieder da war.
„Komm, wir essen ein bisschen, ja?“, sagte ich, setzte mich auf und nahm den Teller und die Stäbchen in die Hand.
„Ich will nichts.“
„Bitte. Für mich.“ Ich sah ihn lieb an, küsste seine Wange.
Tsu sah mich abwägend an, dann fragte er leise, fast schüchtern: „Fütterst du mich?“
Ich grinste. „Immer doch.“ Nahm ein bisschen Reis zwischen die Stäbchen, Tsuzuku öffnete den Mund und ich schob es ihm rein, einen Happen nach dem anderen. Zwischendurch ließ ich ihm genug Zeit, dass er in Ruhe kauen und schlucken konnte, und ich aß selbst auch etwas, achtete aber darauf, dass er ungefähr die Hälfte der Portion abbekam.
Die beiden Damen in den anderen Betten sahen uns zu, aber zumindest mir war das egal, und Tsu anscheinend auch, denn mit jedem Happen Reis, den ich ihm ‚verfütterte‘, wirkte er entspannter. Ich hatte zwei Päckchen Eistee mitgebracht, und als der Reis aufgegessen war, reichte ich meinem Freund eines davon, welches er auch gleich gierig austrank.
„Gut gemacht“, lobte ich ihn und gab ihm noch einen Kuss.
Er kuschelte sich an mich, wirkte wie ein glückliches Kind, das sehr krank gewesen war und sich jetzt aber auf dem langsamen Weg der Besserung befand. Und ich freute mich, dass es ihm etwas besser ging, auch wenn ich die Verantwortung für ihn deutlich spürte, wenn ich so für ihn sorgte. Aber ich tat es gern, sehr gern, weil ich ihn liebte und ich wollte, dass er sich so gut wie möglich fühlte.
Ich verbrachte den ganzen Nachmittag im Krankenhaus, an Tsuzukus Seite. Irgendwann holte ich ein Buch und zwei Zeitschriften vom Kiosk und begann, ihm daraus vorzulesen, dann las er mir vor, immer abwechselnd. Auch, als Visite war, blieb ich bei ihm sitzen, passte auf ihn auf und tat das, was ich ihm mit meinem ‚Ja‘ zu seinem Heiratsantrag versprochen hatte: Bei ihm zu sein, in guten und schlechten Zeiten, einfach immer, damit er sich nicht allein fühlte.
Ich wusste, wir hatten vorhin im Park beide Fehler gemacht: Er, indem er sich nicht zu mir bekannt hatte, und ich, indem ich einfach weggelaufen war. Ich konnte mir vorstellen, dass das in ihm diese furchtbare Angst vor dem Verlassenwerden wieder wachgerufen und dass eben das zu seinem Zusammenbruch geführt hatte.
Aber jetzt machten wir es beide wieder gut. Tsuzuku stand zu mir, verleugnete den Ärzten und anderen Patienten gegenüber nicht unsere Beziehung, und ich blieb bei ihm und machte ihm keine Vorhaltungen. Uns war jetzt beiden klar, dass unser Zusammenhalt und unsere Beziehung für ihn absolut lebenswichtig waren, und auch, wenn er sich nicht an den Grund für den Zusammenbruch erinnern konnte, war ich mir sicher, dass er dem Fehler, unser Zusammensein zu verleugnen, so schnell nicht wieder machen würde. Aber wir würden, sobald er aus dem Krankenhaus raus und wieder halbwegs gut drauf war, noch einmal in Ruhe darüber reden.
Abends, als ich nach Hause musste, fiel es mir sehr schwer, zu gehen und Tsuzuku hier allein zu lassen. Ich wusste, die Nacht ohne mich im Krankenhaus zu verbringen, machte ihm sehr große Angst, doch ich hatte es nicht geschafft, die Ärzte davon zu überzeugen, dass ich über Nacht bei ihm bleiben durfte. Sie hatten gesagt, eine oder zwei Nächte würde er hier bleiben müssen. Und ich musste morgen wieder arbeiten, er würde also die Nacht und den ganzen Vormittag ohne mich sein. Am liebsten wollte ich entweder gar nicht gehen, bei ihm bleiben, oder ihn wieder mit nach Hause nehmen, weil ich genau wusste, dass er mich in diesem Zustand sehr vermissen würde.
Zum Abschied küsste ich ihn lange und mit all meiner Liebe, er hatte schon Tränen in den Augen und bat dann die Krankenschwester, die uns das Ende der heutigen Besuchszeit angekündigt hatte, um eine Schlaftablette, damit er gleich schlafen konnte und nicht so lange ohne mich wachliegen musste.
„Ich komme morgen Mittag wieder“, sagte ich und streichelte Tsu’s Wange. „Schlaf gut, mein Herz, und hab keine Angst, es wird alles wieder gut.“
Als ich die Tür des Krankenzimmers hinter mir wieder schloss, hatte ich auch Tränen in den Augen. Ich würde Tsuzuku heute Nacht ebenfalls sehr vermissen, unser Bett würde so leer sein ohne ihn. Mit schwerem Herzen und mit den Tränen kämpfend verließ ich das Krankenhaus, lief zur Bahnstation und setzte mich in die Bahn nach Hause. In der Bahn schrieb ich eine längere SMS an Koichi, der ja auch wissen musste, dass Tsuzuku im Krankenhaus war, und bekam eine heftig besorgte Antwort, was denn passiert sei.
Ich rief ihn an, als ich aus der Bahn raus war, erzählte ihm in kurzen Worten, was passiert war, und musste Koichi erst mal beruhigen, weil er sich jetzt natürlich wahnsinnige Sorgen um Tsuzuku machte. Daraus folgte, dass wir wieder einmal länger über meinen Freund sprachen, darüber, was wir beide tun konnten und sollten, damit es ihm besser ging, und wir waren uns wieder einmal einig, dass dieses Ungeheuer Borderline absolut furchtbar war und wir nicht aufhören durften, an Tsuzukus Seite dagegen anzukämpfen.
Ich erzählte Koichi auch, dass anscheinend doch auch mit Tsuzukus Herzen irgendetwas nicht stimmte, dass die Ärzte jedoch noch nicht wussten, was da genau los war. Dr. Matsuyama hatte gesagt, morgen würden sie noch ein paar Untersuchungen machen, dann wüsste man vielleicht mehr.
Zu Hause angekommen, suchte ich nach irgendwas, womit ich mich von meiner Sorge um meinen Freund ablenken konnte, und landete schließlich vor der Spielekonsole, spielte ungefähr eine Stunde, bis ich endlich zu müde dafür wurde, mich abschminkte und auszog und dann ins Bett legte.
Es war ungewohnt, allein hier zu liegen, und nachdem ich einige Minuten vergeblich versucht hatte, ruhig einzuschlafen, und mich immer wieder von einer Seite auf die andere drehte, stiegen mir wieder Tränen in die Augen.
Und als ich dann daran dachte, dass Tsuzuku jetzt, auch ganz traurig und allein, im Krankenhaus lag, musste ich richtig weinen. Ich vermisste ihn, das Bett war so leer und ich hatte Angst um ihn, dass er furchtbar litt und sich wieder kratzte und selbst wehtat, weil er mich ebenso vermisste.
Und, auch wenn das jetzt vielleicht ein wenig unpassend war: Ich sehnte mich nach seinem warmen Körper, nach seinen Armen um mich und den allabendlichen Zärtlichkeiten zwischen uns. Und ich war mir ganz sicher, dass er sich ebenso nach mir sehnte. Zärtlichkeiten, Lust, eng umarmt Haut an Haut einzuschlafen, das war uns beiden so wichtig, er vermisste das ganz sicher genauso sehr wie ich.
Irgendwann schlief ich dann doch ein, doch es war kein ruhiger Schlaf, sondern einer voller Albträume, Ängste und Sehnsucht. Ich träumte, dass Tsuzuku sich selbst verletzte, schrie und weinte, dass es ihm so schlecht ging, dass ich ihn kaum beruhigen konnte. Ich hatte furchtbare Angst um ihn und meine Träume spiegelten das.
Und andererseits träumte ich von seiner Lust, seiner unbeherrschten Leidenschaft und seinem heißen Körper, davon, dass er mich fesselte und nahm, und ich wieder seine Selbstsicherheit in solchen Momenten spürte. Doch diese schönere Seite meiner Träume löste sich immer wieder plötzlich auf und ich sah ihn weinen.
Mitten in der Nacht wachte ich davon auf, dass mein Handy auf dem Nachttisch klingelte. Ich bekam einen wahnsinnigen Schrecken und sprang sofort aus dem Bett, bevor ich ranging und sah, dass Tsuzukus Name und Nummer auf dem Screen standen.
„Meto …?“, hörte ich seine Stimme, ganz leise, „Tut mir leid … dass ich dich wecke …“ Seine Stimme zitterte und klang ganz verweint und schwach.
„Tsu, was ist los?“, fragte ich besorgt, „Hast du auch schlecht geträumt?“
„M-hm …“, machte er leise, „Und ich wollte … deine Stimme hören. Mein Herz tut weh und ich sehne mich so nach dir, nach deiner Hand auf meinem Herzen …“
Fast war es schon wieder süß, wie er das sagte. Aber ich wusste, er meinte das ganz ernst.
„Tsuzuku, du musst schlafen“, sagte ich. „Sonst bist du morgen so müde …“
„Ich kann nicht schlafen. Die Tablette wirkt nicht mehr“, flüsterte er und klang mit jedem Wort zerbrechlicher. „Meto … ich hab solche Angst …! Ich halte das hier nicht aus, ich brauche dich bei mir. Bitte sei da …!“
„Wovor … hast du denn Angst?“, fragte ich vorsichtig, um herauszufinden, was genau gerade in ihm vorging. Ich wollte ihn verstehen, wollte wissen, was ich tun konnte.
„Ich will nicht wieder sterben wollen“, antwortete er. „Aber meine Gefühle, die Angst, der Hass auf mich, das wird immer mehr, immer schlimmer … Irgendwann halte ich das nicht mehr aus …“
Er klang wirklich gar nicht gut, nicht nur seine Worte machten mir große Sorgen, sondern auch der verweinte, verzweifelte Klang seiner Stimme. Ich stand auf und ging ins Wohnzimmer, setzte mich auf die Couch und zog die Knie hoch, während ich am Handy versuchte, Tsuzuku zu beruhigen und ihm über die Entfernung hinweg Halt zu geben: „Hilft es dir, wenn du dir sagst, dass eigentlich alles soweit gut ist? Ich meine, ich bin für dich da, und morgen Mittag kann ich wieder bei dir sein. Die Ärzte werden schon rausfinden, was mit deinem Herzen los ist und wie sie dich wieder gesund kriegen.“
„Ich … vermiss dich so …!“ Jetzt weinte er richtig, ich hörte ihn schluchzen und er konnte kaum noch sprechen. „Bitte, kannst du … morgen früh schon … bei mir sein?“
„Tsu, ich muss arbeiten. Und vorher muss ich auch noch bei deiner Arbeit vorbei und sagen, dass du krank bist“, erwiderte ich und hätte am liebsten gesagt, dass ich jetzt einfach zu ihm kam und die Nacht und den ganzen Tag bei ihm blieb. Aber wenn wir beide bei unseren Arbeitsstellen so oft fehlten, das ging einfach nicht.
„Ich vermiss dich doch auch, mein Schatz“, sagte ich, als er nicht antwortete und ich ihn weiter weinen hörte. „Ich kann dich morgen auch in meiner Pause mal anrufen, und mittags bin ich ganz bestimmt wieder bei dir.“
„Ich … will hier weg …“
„Tsuzuku, das ist ein Krankenhaus. Die wollen dir helfen, etwas tun, damit es dir bald wieder besser geht. Du musst keine Angst haben, morgen oder übermorgen kannst du bestimmt wieder nach Hause zu mir.“
„Ich hab aber Angst …!“ Jetzt klang er nicht nur völlig verweint, sondern richtig panisch. Ich überlegte fieberhaft, was ich sagen konnte, damit er sich wieder beruhigte.
„Okay, dann stehst du jetzt auf, rufst die Nachtschwester und sagst ihr, dass du Panik hast. Entweder redet sie mit dir, oder sie gibt dir noch eine Tablette, dann kannst du schlafen.“
Ich hörte ihn keuchen, dann ein lautes, schnelles Piepen im Hintergrund, das bestimmt von dem Gerät neben seinem Bett kam. Am liebsten hätte ich mich jetzt ganz angezogen und wäre zum Krankenhaus gefahren, um bei Tsuzuku zu sein und ihn in meine Arme zu nehmen. Aber ich wusste, dass sie mich jetzt, mitten in der Nacht, nicht zu ihm lassen würden.
„Tsu?“, fragte ich besorgt, als er nichts sagte. „Was hast du?“
„… Mein Herz …“, keuchte er, „… es tut so weh …“
„Hör zu, du drückst jetzt den Schalter, mit dem man die Nachtschwester ruft, verstanden? Und dann lässt du dir bitte helfen. Ich bin morgen wieder bei dir, bis dahin musst du noch ein wenig durchhalten.“ Innerlich betete ich zu allen mir bekannten Göttern, dass mein Freund diese Krise einigermaßen heil überstand und dass er danach wieder glücklich werden würde. Auch, wenn ich wusste, dass das Glück bei ihm nur bis zur nächsten Tiefphase hielt. Und so versicherte ich ihm noch einmal: „Tsu, ich liebe dich, mein Schatz.“
„Ich lieb dich auch …“, flüsterte er, ich hörte ein anderes Piepen, das wahrscheinlich von dem Notrufknopf herrührte. Dann wurde die Leitung unterbrochen, er hatte aufgelegt.
Danach war an Schlafen natürlich nicht mehr zu denken. Ich versuchte es noch, aber ich war so hellwach und voller Angst um meinen Freund, dass ich kein Auge mehr zu bekam. Und so musste die Spielekonsole wieder als Ablenkung herhalten, erfüllte diesen Zweck jedoch nur mit mäßigem Erfolg. Ich spielte den Rest der Nacht durch, doch zwischendurch musste ich immer wieder unterbrechen, weil ich so weinen musste.
Als es zum Morgen dämmerte, war ich völlig müde und fertig, schaltete die Konsole aus und begann schon, mich für die Arbeit fertig zu machen. Ich stand über eine halbe Stunde unter der Dusche, ließ das heiße Wasser auf mich niederregnen und schwankte dazwischen hin und her, einerseits nur an Tsuzuku zu denken, und mich andererseits ablenken zu wollen. Ich vermisste ihn, machte mir wahnsinnige Sorgen um ihn, aber ich musste nachher arbeiten gehen und mich ja irgendwie auch darauf konzentrieren.
Und so machte ich mich dafür zurecht, machte mich so hübsch, wie ich konnte, damit wenigstens die Gäste im Café glücklich und zufrieden waren, wenn ich selbst es heute nicht sein konnte. Ich wollte Ruana heute mal wieder mitnehmen, sie bekam ein Puppenkleid an und eine Schleife auf den Kopf.
Beim Frühstück saß sie mir gegenüber auf Tsuzukus Platz (auch damit der nicht ganz so leer aussah) und ich redete ein bisschen mit ihr, erzählte ihr alles, was sie nicht mitbekommen hatte. Ich wollte sie auch deshalb mit zur Arbeit nehmen, weil ich danach gleich vom Café aus ins Krankenhaus wollte und da sollte sie mitkommen, schließlich war sie sozusagen Tsu’s und mein Baby.
Kurz vorm Losgehen packte ich schnell noch eine kleine Tasche für Tsuzuku, mit normalen Klamotten und seiner Kulturtasche, damit er sich anziehen und waschen konnte.
Mit Ruana in der Handtasche machte ich mich schließlich auf den Weg zur Bahn, setzte mich in die, welche in die Innenstadt fuhr, und stieg erst noch beim Tattoo-Studio aus, um Bescheid zu sagen, dass Tsuzuku jetzt ein paar Tage nicht zur Arbeit kommen würde.
Dort wurden gerade eben erst die Rollläden hochgezogen und Tsuzukus Kollege Takashima schien auch als einziger schon da zu sein. Ich klopfte ans Fenster und er öffnete die Tür.
„Ah, du bist doch Genkis Freund, oder?“, fragte er. „Ist was?“
Ich sammelte mein mageres Sprechvermögen zusammen und sagte leise: „Tsu … also Genki, ist krank. Er liegt … in Krankenhaus … deshalb … er jetzt ein paar Tage … fehlen wird.“
„Oh, im Krankenhaus?“, fragte Takashima erschrocken. „Was hat er denn?“
„Er … zusammengebrochen ist … gestern. Vielleicht … irgendwas mit … seinem Herzen … nicht okay ist …“, antwortete ich leise.
„Also, ist er im städtischen Klinikum? Nicht in der Psychiatrischen?“, fragte Takashima weiter. „Kann man ihn besuchen?“
„Ich bin heute Mittag bis abends dann bei ihm“, sagte ich.
„Vielleicht schau ich nachher mal bei ihm vorbei. Wir verstehen uns ja ganz gut.“
Nachdem ich also Bescheid gesagt hatte, dass Tsuzuku erst mal nicht zur Arbeit erscheinen würde, fuhr ich mit der Bahn weiter zu meiner eigenen Arbeitsstelle, wo ich auf Koichi traf, der schon da war und gerade die Frühstückstheke vorbereitete. Als er mich sah, stürzte er geradezu auf mich zu.
„Meto, hey, bist du in Ordnung?“, fragte er besorgt. „Du siehst total fertig aus.“
„Ich hab auch … die halbe Nacht nicht geschlafen“, antwortete ich. „Tsu hat mich … mitten in der Nacht … angerufen, und ich musste ihn … wieder beruhigen, und danach … konnte ich dann nicht mehr schlafen.“
„Und da kommst du trotzdem zur Arbeit?“, fragte Koichi.
„Zu Hause würde mir … jetzt doch nur … die Decke auf den Kopf fallen …“, sagte ich. „Heute Mittag geh ich ins Krankenhaus, ihn besuchen.“
„Da komm ich mit. Ich muss ihn doch schließlich auch besuchen.“ Koichi ging zur Theke zurück und fuhr fort, sie einzuräumen, und sagte dann: „Ich hoffe, er macht keinen Blödsinn, wenn wir nicht bei ihm sind. Aber im Krankenhaus passen sie gut auf ihn auf, oder?“
„Ich glaube, er hat heute den Vormittag über Untersuchungen, und die eine Ärztin weiß auch, was er für Probleme hat …“, sagte ich. „Von daher passen sie wahrscheinlich schon besonders auf ihn auf.“
Ich machte mich an die Arbeit, half zuerst Koichi bei den Vorbereitungen für das Frühstücksangebot und tat dann noch dieses und jenes, was in einem Café vor den Öffnungszeiten erledigt werden musste. Die Arbeit lenkte mich ein bisschen ab und ich sammelte nach dieser furchtbaren Nacht neue Kraft, damit ich nachher zu Tsuzuku gehen und ihm wieder etwas von meiner Kraft abgeben konnte.
Als das Café öffnete, war ich bereit, die Gäste zu bedienen, und zuerst lief alles prima, ich funktionierte einfach und dachte, während ich arbeitete, an nichts anderes.
Doch dann, als ich gerade drei Teller mit Brötchen, Marmelade und Butter zu einem Tisch bringen wollte, betraten drei Personen das Café, von denen ich bei zweien geglaubt hatte, ich würde sie niemals wieder sehen. Mein Herz machte einen erschreckten Satz und mir wären fast die Teller heruntergefallen, ich bekam sie nur gerade eben so heil auf den Tisch und starrte die drei an, die sich an einen Tisch setzten und mich zuerst gar nicht besonders bemerkten.
MiA sah gut aus, hatte immer noch die Haare lila und trug sehr schicke Sachen, die stark an einen Märchenprinzen erinnerten. Mit ihm zusammen waren die Prinzessin, mit der ich ihn zuletzt gesehen hatte, und ein jugendlich wirkender Typ mit silbrig gefärbten, langen Haaren hergekommen, und dieser winkte meinen Kollegen Haruma heran, um etwas zu bestellen.
Ich stand einen Moment wie erstarrt da, konnte MiA einfach nur anstarren und mein Herz raste. Und im nächsten Augenblick handelte mein Körper gottseidank von selbst, ich drehte mich schnell um und lief nach hinten in die Umkleide, schlug die Tür hinter mir zu und ließ mich auf die Bank vor meinem Spind sinken.
Hoffentlich, oh bitte, bitte hatte er mich nicht erkannt!
Ich hatte heute eine langärmlige Strickjacke über dem Kleid an, sodass mein Tattoo kaum zu sehen war, und mit der Perücke hatte MiA mich, soweit ich das noch wusste, nie gesehen. Die Chancen standen gut, dass er mich nicht erkannt hatte.
Jemand klopfte an die Tür und ich erschrak wiederum, bis ich Koichis Stimme leise wispern hörte: „Meto? Hast du gesehen, wer da ist?“
Ich stand auf, öffnete die Tür und flüsterte: „Ja, hab ich. Deshalb bin ich ja hier hinten. Ich komm nicht eher raus, bis er wieder weg ist.“
„Okay, bleib da drin, oder geh rüber ins Büro, da kannst du auch Sachen bearbeiten und so“, sagte Koichi leise und fragte dann: „Soll ich zu ihm gehen, oder nicht?“
Am liebsten wollte ich, dass MiA auch Koichi nicht sah, aber das konnte ich Ko doch irgendwie schlecht vorschreiben.
„Mach, wie du willst“, sagte ich also.
„Ich sag ihm nicht, dass du hier arbeitest“, erwiderte Koichi. „Und ich rede mit ihm auch nicht über dich und Tsu, versprochen.“
Ich huschte also über den Gang ins Büro, wo ebenfalls niemand war, weil Satchan heute nicht da war, und begann, mich mal näher mit den Rechnungen und allgemeinen Geschäftsunterlagen des Cafés zu befassen. Zwischendurch rief ich noch Tsuzuku über Handy an, was ich ihm ja heute Nacht versprochen hatte.
„Wie geht’s dir, mein Herz?“, fragte ich.
„Geht so …“, antwortete er. „Die schleppen mich hier von einer Untersuchung zur nächsten.“
Ich atmete erleichtert auf, weil er eher gleichgültig oder ein bisschen genervt klang, jedenfalls nicht traurig oder verängstigt. „Bald ist Mittag, dann bin ich bei dir.“
„Ich vermiss dich …“, flüsterte er.
„Ich dich auch. Bis nachher, mein Schatz.“
Als ich nach etwa einer halben Stunde soweit mit der Büroarbeit durch war, dass ich absolut keine Lust mehr auf Papierkram hatte, riskierte ich einen vorsichtigen Blick in den Caféraum und sah, dass MiA immer noch mit seinen zwei Leuten da saß, während Koichi gerade für ein Foto mit zwei Mädchen bereitstand.
Schnell verschwand ich wieder in die Umkleide und schaute dort auf die Uhr. Es war halb zwölf Uhr mittags, bald musste ich los zu Tsuzuku in die Klinik. Aber dafür musste erst MiA verschwinden, denn das Café hatte nur diesen einen Ausgang zur Straße hin.
Und als wenn das nicht schon nervig genug gewesen wäre, dass ich mich hier vor meinem Exfreund versteckte, begannen auch noch meine Augen aus einem unerfindlichen Grund zu tränen und ich musste die Kontaktlinsen rausnehmen, wobei auch noch mein ganzes schönes Augen-Makeup verwischt wurde.
Leise vor mich hin schimpfend, machte ich es schnell neu, ließ die Linsen aber weg, weil ich den Verdacht hatte, dass sie entweder nicht mehr gut waren oder ich irgendwas ins Auge bekommen hatte, was beides ein Grund war, den Rest des Tages auf die Dinger zu verzichten.
Einen Moment später klopfte Koichi an die Tür der Umkleide: „Er ist weg, du kannst wieder rauskommen.“
Ich atmete erleichtert auf, packte schnell meine Taschen zusammen und öffnete die Tür.
„Ziehst du dich um, Ko? Es ist gleich Mittag.“
Koichi betrat die Umkleide und beeilte sich mit dem Umziehen. Ich behielt mein Kleid an, hatte ja heute Morgen nur Wechselsachen für Tsu eingepackt und entschieden, dass ich heute auch den Rest des Tages in Kleid und Perücke herumlief.
Dann machten wir uns auf den Weg zum städtischen Krankenhaus.
Auf dem Weg fragte ich Koichi, ob und was er mit MiA gesprochen hatte, und er antwortete, dass er nur kurz ‚Hallo‘ gesagt und ihm dann Kaffee und Frühstück gebracht hatte. MiA hatte nicht nach mir gefragt, also ging ich davon aus, dass er mich wirklich nicht erkannt hatte, worüber ich sehr froh war.
Ich konzentrierte meine Gedanken wieder ganz auf Tsuzuku und hoffte, dass es ihm nach dieser grauenvollen Nacht wieder einigermaßen gut ging. Aber vorhin hatte er ja ganz gut geklungen.
Als wir das Krankenzimmer betraten, lag er im Bett, wandte uns den Rücken zu und blickte aus dem Fenster. Die Maschine zur Überwachung seines Herzschlags stand noch am Bett, war aber ausgeschaltet, und die Infusion war weg. Ich ging zu ihm, er hörte meine Schritte und drehte sich zu mir um. Einen Moment sah er noch traurig aus, hatte Tränen auf den Wangen, doch als er mich sah, leuchtete sein Gesicht geradezu auf.
„Meto!“ Aus seiner Stimme klang die pure Wiedersehensfreude.
Ich setzte mich auf die Bettkante, er setzte sich auf und ich umarmte ihn, was dazu führte, dass er sich an mich klammerte und mich voller Freude küsste.
„Hast mich sehr vermisst, hm?“, fragte ich und streichelte durch seine Haare.
Er nickte an meiner Schulter, drückte sich enger an mich, sah mich an, hatte Freudentränen in den Augen und küsste mich wieder. „Mein Liebster“, flüsterte er, „Bist du wieder bei mir?“
„Ja, ich bin wieder bei dir“, antwortete ich, lächelte und küsste ihn ebenfalls, mit all meiner Liebe.
Hinter mir hörte ich, wie Koichi ein leises „Hach, wie süß“ von sich gab.
Tsuzuku legte seine Hände auf meine Schultern, sah mich an und sagte: „Ich komm heute mit nach Hause. Noch eine Nacht hier drin überstehe ich nicht, und das wissen die hier auch.“
Dann blickte er an mir vorbei zu Koichi, der kam zu uns ans Bett, und Tsu umarmte ihn ebenfalls.
„Tsu, deine Hände …“ Koichi sah ihn erschrocken an. „Die sind ja ganz zerkratzt!“
Tatsächlich, es fiel mir erst jetzt auf! Tsuzukus Handrücken sahen noch schlimmer aus als gestern, und sein rechtes Handgelenk, wo neben den Tattoos noch ein wenig Platz war, war jetzt auch total zerkratzt und gerötet. Ich musste nicht groß nachdenken oder fragen, es war offensichtlich, dass er sich da mangels einer brauchbaren Klinge mit den Fingernägeln die Haut kaputt gekratzt hatte.
Ich umarmte ihn wieder, drückte ihn fest an mich und streichelte über seinen Rücken.
„Was machst du denn nur für Sachen, mein Schatz?“, fragte ich leise.
Tsuzuku antwortete erst nicht, dann sagte er leise: „Kennst mich doch …“ Und dann: „Letzte Nacht … weißt du, ich hab das anders nicht ausgehalten …“
„So sehr hast du mich vermisst?“, fragte ich erschrocken.
Tsu nickte. „Und dann waren da die anderen Sachen, das mit Mama wieder und mein Herz und … erst diese Leere, dann so viele Gefühle, dass ich einfach nicht anders konnte …“
Als er es aussprach, waren da fast wieder Tränen in seinen Augen, ich sah den Schmerz in seinem Gesicht, und mir wurde noch mal so richtig klar, wie verletzt und kaputt er innerlich war. Es tat mir weh, das so zu sehen, und dann war da dieser Gedanke in meinem Kopf, der mir noch mehr wehtat: ‚Du bist mit ‘nem Borderliner zusammen.‘
Um diesen schmerzhaften, fiesen Gedanken zu vertreiben, umarmte ich meinen Freund wieder und dachte ganz fest daran, dass ich ihn liebte und wie sehr. Ich wollte nicht noch einmal, nie wieder, zulassen, dass sich dieses Ungeheuer in seiner verletzten Seele so zwischen uns drängte! Wenn es auf uns zukam, fies, gemein, wütend und gefährlich, würde ich mich schützend vor Tsuzuku stellen und ihn beschützen. Ihn nie wieder so allein lassen, weil ich doch ganz genau wusste, dass er ohne mich diesem Biest schutzlos ausgeliefert war!
„Ich lass dich nie wieder so allein“, flüsterte ich. „Von jetzt an passe ich noch besser auf dich auf!“
Tsuzuku schmiegte sich in meine Umarmung, ich sah ihn an und er lächelte ein wenig. „Nimmst du mich nachher mit nach Hause?“, fragte er.
„Ja. Noch eine Nacht allein halten wir wohl beide nicht aus“, sagte ich. „Und ich kann doch nur auf dich aufpassen, wenn du bei mir bist.“
„Auf mich aufpassen?“ fragte er. „Wovor willst du mich denn beschützen?“
„Vor dem Ungeheuer. Dieses Borderline-Biest, ich lass nicht zu, dass es dir so wehtut!“
Tsuzuku lächelte wieder, küsste mich. „Meto, ganz ehrlich, du bist so was von wundervoll …“
Koichi saß neben uns und obwohl er sich zurückhielt und nicht viel sagte, war zu erkennen, dass er die Innigkeit und Nähe zwischen Tsuzuku und mir sehr bewunderte.
Einen Moment lang sah ich meinen Freund und mich wie von außen und spürte selbst, dass ich wirklich stark war, stark genug, um Tsuzuku zumindest ein wenig zu halten und zu beschützen. Mir war ja nun schon oft gesagt worden, dass ich psychisch sehr viel stärker war als Tsu, und gewusst hatte ich es selbst auch immer, aber jetzt fühlte ich es richtig.
Und es fühlte sich irgendwie ziemlich gut an. Dieses Gefühl, stark genug zu sein, um jemanden, den man über alles liebt, zu beschützen und festzuhalten. Es füllte mein Herz aus, ließ mich lächeln, und ich sah Tsuzuku an, erkannte in seinen Zügen, dass meine Worte ihm Kraft gaben und ihn glücklich machten.
Ich nahm meine Tasche und holte Ruana heraus, Tsu nahm sie in beide Hände und drückte sie an sich.
„Hast du unser Baby mitgebracht?“, fragte er und lächelte.
„Ja, sie wollte dich auch besuchen“, antwortete ich.
Er sah Ruana an und sagte, direkt zu ihr: „Das ist aber lieb von dir, Ruanalein.“
Ich ließ sie antworten: „Ruana Tsu lieb, deshalb besuchen, dass Tsu sie nicht auch vermisst.“
Tsuzuku drückte ihr einen Kuss auf das Köpfchen, dann zog er mich zu sich und küsste mich auf den Mund. Und als Koichi gespielt protestierte, dass er sich ausgeschlossen fühlte, da bekam er auch einen Kuss auf die Wange ab. Tsu lachte, wirkte richtig locker und gut drauf, schien sich wieder vollkommen gut und sicher zu fühlen.
Als wenig später Dr. Matsuyama das Zimmer betrat, blieben Koichi und ich da, während die Ärztin die Ergebnisse der Untersuchungen mit Tsuzuku besprach.
Sie sagte, dass sie inzwischen recht fest davon ausging, dass es sich bei seinen Herzproblemen noch um keine Herzkrankheit, sondern um psychosomatische Beschwerden handelte, aber auch, dass er aufpassen sollte, dass sich das nicht doch irgendwann änderte und sein Herz die Belastung auch physisch nicht mehr aushielt und doch noch richtig krank wurde.
„Es wäre gut, wenn Sie weniger rauchen würden. Und wegen Ihrer psychischen Probleme … da kann ich Ihnen nur noch einmal wärmstens eine Therapie empfehlen. Dr. Niimura hat derzeit ein bisschen Terminspielraum, machen Sie da zumindest einen Anfangstermin.“
„Ich hab doch gesagt, dass ich das nicht will“, widersprach Tsuzuku.
„Ich weiß. Aber sehen Sie es mal so: Wenn sich Ihre Borderline-Symptome verschlimmern und Sie sich öfter und mehr aufregen und diese starke Angst haben, wird Ihr Herz davon immer stärker belastet. Dann können wir nicht mehr ausschließen, dass es richtig krank wird, denn erblich vorbelastet sind Sie und das wissen Sie auch.“ Dr. Matsuyama klang streng, wie sie das sagte, aber ihr war sehr deutlich anzumerken, dass sie es gut meinte.
Tsuzuku senkte den Kopf, blickte nachdenklich auf die Bettdecke, wo seine zerkratzten Hände mit dem weißen Stoff spielten.
„Machen Sie einen Termin bei Dr. Niimura, Aoba-san. Er ist ein wirklich guter Arzt und ich bin sicher, dass er Ihnen hervorragend helfen kann, wenn Sie es nur zulassen“, sagte Dr. Matsuyama.
„… Ist gut …“, antwortete mein Freund leise.
„Sie müssen wirklich keine Angst haben. Wir wollen Ihnen nur helfen“, verdeutlichte die Ärztin noch einmal und sah mich dann an. „Asakawa-san, sprechen Sie beide darüber.“
Dann ging sie aus dem Zimmer.
Sofort, als die Ärztin weg war, stand Tsuzuku auf, griff nach der Tasche, in der ich die Klamotten für ihn mitgebracht hatte, und begann einfach, sich anzuziehen. Dann packte er die Lacksachen ein, machte das Bett ordentlich und sagte: „Die können sagen, was sie wollen, ich bleib auf keinen Fall noch eine Nacht hier.“
Er war ziemlich deutlich nicht davon abzubringen und so sagte weder Koichi noch ich etwas dagegen. Nur eine Sache wagte ich doch anzusprechen: „Tsu, dann machen wir aber gleich einen Termin bei dem Psychiater.“
„Und was soll mir das bringen?!“
„Dass du mal richtig professionelle Hilfe bekommst“, mischte sich Koichi zu meiner Verstärkung mit ein. „Du hast doch gehört, was die Ärztin eben gesagt hat, Tsuzuku. Wenn du dir nicht helfen lässt, kann das auch sehr gefährlich für dein Herz sein.“
Tsuzuku setzte sich auf die Bettkante, blickte einen Augenblick ohne ein Wort aus dem Fenster und schien über Koichis und meine Worte nachzudenken. „Meinetwegen, geh ich halt mal zu dem Psychiater. Aber ich lass mich von dem nicht umkrempeln.“
„Das will doch auch niemand. Du musst nur lernen, wie du mit deinen Problemen umgehen kannst, ohne dass immer gleich so eine Katastrophe dabei rauskommt“, sagte Koichi.
„Wir sind ja auch für dich da …“, sagte ich. „Und ich werde immer für dich da sein. Aber, Tsu, du merkst doch selbst, das wir das nicht ganz alleine schaffen.“
Er sah mich nicht an, blickte weiter aus dem Fenster und fragte schließlich mit einem seltsamen Klang in der Stimme: „Überfordere ich euch?“
Was sollte ich antworten? Ich wollte auf keinen Fall, dass er glaubte, er würde mir zu viel werden. Und ich wollte ihn ja festhalten und für ihn da sein, mit all meiner Kraft!
Doch irgendwo … da spürte ich auch, dass ich nicht alles für ihn tun konnte. Dass ich auch meine Grenzen hatte und dass es nicht ewig so gehen konnte. Tsuzuku brauchte mehr Hilfe, als ich, der ich immer noch nur sehr wenig über seine Krankheit wusste, ihm geben konnte.
Ich ging zu ihm, setzte mich neben ihn und legte meinen Arm um ihn.
„Tsuzuku, ich liebe dich. Und ich will alles für dich tun, was ich nur kann. Aber … was, wenn das, was ich kann, irgendwann nicht mehr reicht? Wenn ich dich nicht mehr so einfach beruhigen kann, wenn wir mehr streiten und deine Krankheit schlimmer wird? Und wenn dein Herz wirklich in Gefahr gerät, dass du es überlastest? Dann brauchen wir jemanden, der dir noch mal anders helfen kann. Jemanden, an den du dich wenden kannst, wenn ich mal nichts tun kann.“
„Ich geh nicht in die Psychiatrie.“
„Musst du ja auch nicht. Du musst nur hin und wieder einen Termin bei diesem Arzt machen, den ein bisschen auf dem Laufenden halten und dir von ihm helfen lassen.“ Ich streichelte über seinen Rücken und hoffte, dass meine Worte ihn erreichten.
„Tsu, es gibt Therapien für Menschen wie dich“, sagte Koichi. „Ich hab mich da gestern Abend mal informiert, du musst dafür nicht unbedingt in die Klinik. Du kannst zu Hause bleiben und musst nur einmal in der Woche oder so zum Therapeuten. Der bringt dir dann bei, wie du besser auf deine Gefühle und das alles reagierst und damit umgehst.“
Tsuzuku erwiderte nichts darauf, er nahm seine Tasche und die mit den Lacksachen und sagte nur: „Lass mal gehen, hier drinnen kann ich nicht klar denken.“
Wir verließen zu dritt das Zimmer und am Ausgang des Krankenhauses musste Tsu noch was unterschreiben, dass er sich selbst entließ, dann gingen wir raus.
Auf dem Weg durch die Stadt zurück nach Hause wirkte er sehr nachdenklich, sagte kaum etwas und schien sich Gedanken um das zu machen, was die Ärztin und Ko und ich ihm gesagt hatten.
Aber dann, als Koichi sich verabschiedet hatte und wir zu zweit vor unserem Haus standen, griff Tsu auf einmal meine Hand und sah mich an.
„Ist gut“, sagte er, „Ich versuch das mit der Therapie.“ Er zog mich zu sich, beugte sich ein wenig vor und flüsterte in mein Ohr: „Aber du, Meto, bist und bleibst das Beste, was mir hilft.“
Ich lächelte, und spürte im nächsten Moment seine Lippen hauchzart an meinem Hals, bevor er sie sanft und ein bisschen sehnsüchtig auf meine drückte. Er umarmte und küsste mich, mitten auf dem Gehweg vor unserem Haus, ihm war wieder egal, ob uns jemand sah.
„Lass uns raufgehen und dann machen wir es uns schön“, flüsterte er. „Ich will in deinen Armen liegen, und vorher dich in meinen halten.“ Er küsste mich wieder und sagte dann, ganz leise und liebevoll: „Ich hab dich so vermisst letzte Nacht, mein Körper hat sich so nach deinem gesehnt.“
„Gleich kannst du mich ja haben“, lächelte ich.
Wir liefen die Treppen rauf, es war sonst niemand im Treppenhaus, und kaum, dass ich die Tür unserer Wohnung aufgeschlossen und den Schlüssel wieder eingesteckt hatte, drängte Tsuzuku mich hinein und schlug die Tür hinter uns zu, bevor er sich geradezu auf mich stürzte. Er strich die langen, gelockten Haare meiner Perücke beiseite und begann, meinen Hals zu küssen und zu beknabbern, während seine andere Hand unter den Rock meines Kleides fuhr und den Petticoat runterzerrte.
„Heute muss ich dich ja richtig auspacken“, sagte er und lachte. „Wie ein Geschenk.“
„Hätte ich mich doch lieber umziehen sollen nach der Arbeit?“, fragte ich.
„Nein. Ich packe gern Geschenke aus.“
Ich lachte ebenfalls, der Petticoat fiel raschelnd zu Boden und schon waren Tsuzukus Hände an meinem Rücken zugange, öffneten die Schleife und den Reißverschluss und zogen mich nah an seinen Körper, sodass ich aufseufzte.
Es fühlte sich ein wenig seltsam an, dass ich so weibliche Kleidung trug, während mein männlicher Körper darin auf die erregenden Zärtlichkeiten meines Freundes reagierte. Und es war das erste Mal, dass es dazu kam, weshalb ich jene mich ebenfalls erregende Aufregung verspürte, die man fühlt, wenn man in Bezug auf Sex etwas Neues ausprobiert. Ich spürte, wie mir trotzdem das Blut in die Wangen stieg, und Tsuzuku bemerkte das.
„Gefällt dir das?“, fragte er leise, während seine Hand an meinem Rücken wieder unter mein Kleid schlüpfte und dort ihren Weg hinten in meine Shorts suchte. „Magst du das, wenn ich dich geil mache, während du so ein Kleid anhast?“
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, doch das Rot auf meinen Wangen und die Reaktion meines Körpers waren meinem Freund anscheinend schon Antwort genug, denn er lachte kurz auf und machte weiter, berührte mich mit dieser absoluten Zärtlichkeit, während er mich langsam ins Schlafzimmer dirigierte und mich dabei immer wieder küsste.
Als ich unser Bett hinter mir spürte und mich darauf fallen ließ, war er gleich über mir und kniete sich über meine Beine, zog dann seine Jacke und sein Oberteil aus und beugte sich runter, um mich erst wieder zu küssen und dann in mein Ohr zu flüstern: „Ich hab dich so vermisst, Meto. Nachts brauche ich dich immer ganz besonders …“
Ich lachte. „Du hast zu viel Sex im Kopf, mein Schatz.“
Tsuzuku sah mich an, ganz ernst, und erwiderte: „Mir geht’s nicht nur um Sex. Auch, ja, aber nicht nur. Ich brauche dich bei mir, wenn mich nachts die Verzweiflung packt, wenn ich vor Angst fast verrückt werde. Wenn du dann neben mir liegst und ich dich anschauen und berühren kann, sodass ich spüre, dass du bei mir bist, dann hilft mir das.“
„Wachst du oft nachts auf?“, fragte ich.
„Manchmal. Und als ich jetzt so allein da in der Klinik lag … da hat es mich wieder gepackt, die Verzweiflung und das alles.“
„Und dann hast du mich angerufen …“
Tsuzuku nickte. „Eigentlich viel zu spät.“ Er schaute runter auf seine Hände, seine Handgelenke, die so furchtbar zerkratzt waren. Er hatte das getan, bevor er mich angerufen hatte.
Einen Moment lang schien es so, als seien seine Lust und Erregung von eben wieder verschwunden, doch dann sah er mich an, so liebend und lustvoll, beugte sich wieder runter, küsste mich und drückte sich fest an mich, sodass ich seine Härte an meiner Hüfte spürte.
„Tsu, warte mal, ich will mich eben ganz ausziehen“, sagte ich, und er ließ mich aufstehen, damit ich das Kleid, die Perücke und alles andere ausziehen konnte, während er selbst sich seiner Schuhe und Hose entledigte. Währenddessen sah er mich die ganze Zeit an und ich sah das lustvolle, verliebte Leuchten in seinen Augen, das Zeichen, dass er sich gut und sicher fühlte.
Ich umarmte ihn, fühlte seinen Körper Haut an Haut an meinem und zusammen sanken wir wieder aufs Bett, in die Kissen, fühlten nur Nähe und Liebe und Lust. Tsuzuku liebte mich sehnsüchtig, flüsterte mir immer wieder zu, dass er mich sehr vermisst hatte, und obwohl es nur eine Nacht und ein Vormittag gewesen waren, kam es ihm offenbar wie eine halbe Ewigkeit vor. Sein Seufzen und Stöhnen klang irgendwie ein wenig anders als sonst, schien von ganz tief drinnen zu kommen, und ich fühlte mich so geliebt von ihm, er war einfach so wundervoll und süß!
„Meto“, sprach er mich an, sah mich an und ich versank in seinen schönen Augen. „Lass mich nie wieder los!“
Ich griff nach seiner Hand, hielt sie fest, und fühlte im selben Moment die flüssige Liebe in mir, sah den wunderschönen Ausdruck auf Tsuzukus Gesicht.
Danach lag er wieder in meinen Armen, sein Kopf auf meiner Brust, eine Weile lagen wir einfach ohne ein Wort da und fühlten uns gut. Als Tsu den Kopf hob und mich ansah, war da dieses liebe, süße Lächeln auf seinem Gesicht und er sagte leise: „Wenn ich so darüber nachdenke … eigentlich waren wir von Anfang an schon wie ein Paar, oder?“
Ich dachte an den Tag, als wir uns kennen gelernt hatten, daran, wie ich ihn dann immer im Park besucht hatte und was für eine harte Zeit er damals durchgemacht hatte. Ich war von Anfang an nah bei ihm gewesen, da war immer dieses Band zwischen uns, das mich ihm zuhören und helfen ließ. Wir waren uns seelisch fast von Anfang an nah gewesen und auch, wenn ich in ihm lange Zeit keinen möglichen Partner gesehen hatte, waren wir doch schon früh mehr als nur gute Freunde gewesen.
„Irgendwie schon …“, antwortete ich. „Auf die eine oder andere Weise hab ich dich schon sehr bald geliebt. Und ich bin sehr, sehr glücklich, dass du mich auch liebst.“
„Wie könnte ich auch so einen wundervollen, süßen Menschen wie dich nicht lieben?“ Tsuzuku lächelte immer noch. „Du bist wirklich unglaublich, Meto.“
„Sag mal …“, begann ich, denn mir war eine Frage gekommen, die ich so bisher noch nicht so wirklich gestellt hatte: „Wie … siehst du mich eigentlich … so als Mann? Begehrst du mich vor allem, weil du mich liebst, oder …?“ Ich dachte an das, was ich von Tsu’s altem Leben wusste, von den vielen Mädchen, die er gehabt hatte, und dann daran, was er vorgestern gesagt hatte, von wegen seiner Orientierung.
Tsuzuku richtete sich auf, beugte sich über mich und küsste mich, ganz weich und süß.
„Hmm, wie sag ich das jetzt am besten …? Meto, du bist der einzige Mann, für den ich jemals solche Gefühle hatte und habe. Ich begehre dich, ich liebe deinen Körper, du bist ein wundervoller Mann. Ich kann dich nur nicht mit anderen vergleichen, weil es keinen anderen gibt, für den ich jemals etwas Ähnliches empfunden habe. Frauen erregen mich nicht mehr, andere Männer aber auch nicht, das hab ich dir ja schon gesagt. Und ich kann den Augenblick, wenn wir endlich verheiratet sind und du mein Mann bist, kaum erwarten.“
Mein Herz begann, wild zu klopfen, und ich spürte, wie mir wieder einmal die Röte in die Wangen stieg. Sein Mann. Allein, wie wunderschön er dieses ‚mein‘ betonte! Als sei ich der größte Schatz in seiner Welt, das Wertvollste, was er kannte! Und ich wusste, das war ich.
Ich hob die Hand, griff in Tsuzukus Nacken und zog ihn sanft zu mir herunter, um ihn mit meiner ganzen Liebe zu küssen. „Ich kann’s auch kaum erwarten, dich zu heiraten“, flüsterte ich gegen seine himmlisch weichen Lippen, meine Hand streichelte seinen Hals.
Er seufzte wohlig, ließ sich ganz auf mich sinken und schmiegte sich an mich. Seine weiche, glatte Haut an meiner und seine Liebesbedürftigkeit zusammen mit seiner Liebe seinerseits zu mir, das fühlte sich wundervoll an und ich wollte am liebsten jetzt eng umarmt mit ihm einschlafen, obwohl es dazu eigentlich noch zu früh am Tag war.
Doch auf einmal löste er sich von mir und stand auf, zog sich Shorts und T-Shirt wieder an und ging in die Küche, wo er, wie ich sah, irgendwas aus dem Kühlschrank nahm.
„Ich hab Hunger“, erklärte er. „Haben wir irgendwo noch Reste von dem Curryreis?“
„In dem Topf mit Deckel ist noch was“, antwortete ich. „Ansonsten müssten wir auch mal wieder einkaufen gehen.“
Ich zog mir ebenfalls Shirt und Hose an, räumte mein Kleid und den Petticoat in den Schrank und nahm Ruana aus meiner noch im Flur stehenden Tasche, um sie auf ihren Platz neben meinem Kopfkissen zu setzen.
Dann ging ich in die Küche, wo Tsuzuku gerade etwas von dem Reis mit Currysoße im Kochtopf auf den Herd gestellt hatte. Ich umarmte ihn von hinten und achtete mit darauf, dass nichts anbrannte, stellte jedoch zu meiner Freude fest, dass Tsuzukus Aussage „Ich lass doch sowieso immer alles anbrennen“ übertrieben war und er sehr wohl wusste, wie man sich Essen warm machte.
Er schien wirklich Hunger zu haben, zumindest aß er heute gut und auch nicht zu schnell oder zu viel, und nach dem Essen gingen wir noch raus und runter in den nächsten Conbini, um unseren Kühlschrank wieder aufzufüllen. Tsu holte sich außerdem noch Zigaretten, wobei ich ihn an die mahnenden Worte der Ärztin erinnerte, woraufhin er jedoch widersprach.
„Ich brauch das Zeug. Anders krieg ich mich nicht ruhig.“
„Weiß ich ja. Aber eine Packung am Tag ist doch ein bisschen viel, oder?“, versuchte ich, ihn wenigstens von einer Minderung seines Rauchverhaltens zu überzeugen, wenn er schon nicht ganz davon abzubringen war. „Versuch doch mal, dass eine Packung zwei oder drei Tage hält.“
Tsuzuku zuckte nur mit den Schultern. „Versuchen kann ich’s ja …“
Als wir wieder zu Hause waren und die Einkäufe in den Kühlschrank geräumt hatten, startete ich einen weiteren Versuch, den Fernseher anzuschließen. Ein Anschluss war vorhanden und eine Anleitung ebenfalls, und nachdem Tsu mir half, bekamen wir die Kiste zum Laufen und konnten uns zumindest mal einen Film anschauen. Mein Freund hatte sich Bier vom Conbini mitgebracht und eine Tüte scharfe Chips, und ich trank ab und zu einen Schluck mit und nahm mir von dem Knabberzeug.
Da es Tsuzuku gerade so gut ging, verschob ich das Gespräch über unseren Streit auf irgendwann später. Er konnte sich anscheinend immer noch nicht daran erinnern und ich wollte, dass er sich erst mal stabilisierte und eine Weile gut fühlte, bevor ich riskierte, dass er sich wieder erinnerte und es ihm infolgedessen wahrscheinlich wieder schlechter ging.
Gegen vier Uhr rafften wir uns noch mal auf und Tsuzuku suchte die Telefonnummer von Dr. Niimura raus, rief dort an und holte sich für morgen einen Termin. Wir hatten dann noch einen recht schönen Abend zu zweit und in dieser Nacht schlief ich gut, erholte mich und war mir sicher, dass Tsuzuku sich ebenfalls von den Strapazen der letzten beiden Tage erholte.
Nachdem ich Tsuzuku und Meto noch vom Krankenhaus bis zu ihnen nach Hause begleitet hatte, ging ich gleich nach Hause. Setzte mich im Wohnzimmer mit einer Tasse Tee an den Kokatsu und machte den Fernseher an. Es lief nichts wirklich interessantes, aber ich ließ ihn trotzdem an, weil ich gern ein bisschen Hintergrundgeräusch haben wollte.
Ich hatte gestern Abend eine ziemliche Angst um Tsuzuku gehabt. Als Meto mich angerufen hatte, um mir zu sagen, dass Tsu im Krankenhaus war, hatte ich gleich ans Schlimmste denken müssen und infolgedessen nicht wirklich gut geschlafen, weil ich mir furchtbare Sorgen um meinen besten Freund gemacht hatte. Mir wurde immer deutlicher, was es wirklich bedeutete, dass er krank war.
Zwar schien es ihm jetzt wieder besser zu gehen, doch ich wusste, dass sich das jederzeit wieder ändern konnte. Ein falscher Gedanke, eine einzige irgendwie belastende Situation, und schon konnte er wieder abstürzen.
Ich stand auf und holte mir mein Laptop, stellte es auf den Kokatsu und öffnete Google, um … ja, um was zu tun? Ich hatte das Gefühl, noch mehr wissen zu müssen über dieses Ungeheuer, das meinem besten Freund das Leben so schwer machte. Zwar hatte ich ihm ja mal versprochen, dass ich nichts in der Richtung nachlesen würde, doch nachdem er mir letztens mal erzählt hatte, dass er mit Meto zusammen darüber gesprochen und dabei auch ein psychologisches Buch zur Hilfe genommen hatte, fand ich irgendwie, dass ich jetzt doch selbst recherchieren durfte. Also hatte ich gestern schon nach dem Namen der speziellen Therapie gesucht, und jetzt wollte ich mehr darüber wissen.
Trotzdem klopfte mein Herz aufgeregt und ich spürte eine gewisse Angst, als ich, zum zweiten Mal, ‚Borderline-Persönlichkeitsstörung‘ in die Suchleiste eingab. Ich wusste nicht mal genau, was ich mir davon versprach. Doch ich tat es trotzdem, klickte ‚Suchen‘ und saß dann vor einem riesigen Angebot an Seiten, alles von Wiki bis zu Foren, Online-Artikeln und Homepages von psychiatrischen Kliniken.
Das Wiki ließ ich gleich weg, doch da war ein Forum, das irgendwie interessant aussah, und dort klickte ich mich rein. Doch weit kam ich da nicht, man brauchte einen Account, um die meisten Dinge lesen zu können.
Schließlich landete ich über die allgemeine Suche auf einer englischsprachigen Seite, die Artikel, medizinische Abhandlungen und ähnliches zum Thema Borderline enthielt, von denen ich die meisten nicht verstand, doch auf dieser Seite war ein Artikel dabei, der einfacher geschrieben war und den ich ohne größere Probleme lesen konnte.
Es fühlte sich eigenartig und irgendwie nicht richtig an, so als ob ich hinter Tsuzukus Rücken schlecht über ihn redete oder so, aber irgendwie konnte ich nicht mehr aufhören zu lesen, bis ich den zum Glück nicht allzu langen Artikel durch hatte. Und als ich die Seite schloss, um nicht noch mehr zu lesen, fühlte sich auch das merkwürdig an. Ein Teil von mir weigerte sich, zwischen dem Inhalt dieses Artikels und Tsuzukus Verhalten einen Zusammenhang herzustellen, und ich hatte das Gefühl, jetzt zu viel zu wissen.
Ich schloss Google und klappte den Laptop zu, setzte mich aufs Sofa und musste das, was ich gerade gelesen hatte, erst mal sacken lassen. Worte wie ‚emotionale Instabilität‘ ‚Impulsivität‘ und ‚Suizidalität‘ kreisten durch meine Gedanken und ich spürte, wie die großen Sorgen um meinen besten Freund wieder hochkamen.
Von der harten Zeit in seinem Leben, als er in Gefahr gewesen war, sich ernsthaft was anzutun, wusste ich ja nur, weil er und Meto es mir erzählt hatten. Ich hatte ihn ja erst kennen gelernt, als diese Zeit schon vorbei gewesen war. Im Moment schien er zumindest in der Hinsicht weniger gefährdet, dafür machten ihn aber, so wie ich das mitbekam, seine Stimmungsschwankungen und seine Angst davor, verlassen zu werden, wahnsinnig.
Auf einmal hatte ich das Gefühl, mit Tsuzuku reden zu müssen. Weil ich wissen wollte, wie er sich im Moment fühlte. Als ich gegangen war, hatte er gut gelaunt und entspannt gewirkt, wahrscheinlich war bei ihm grad so ziemlich alles gut, aber dadurch, dass ich jetzt diesen Artikel gelesen hatte, waren meine Gedanken sehr darauf konzentriert, wie Tsu war, wenn es ihm schlecht ging.
Sollte ich ihm sagen, dass ich wieder recherchiert hatte? Oder würde ihn das verletzen? Ich wusste auf einmal nicht mehr recht, wie ich mit ihm umgehen sollte. Jede Kleinigkeit konnte ihm furchtbar wehtun, und dadurch, dass ich das jetzt gelesen hatte, konnte ich an nichts anderes denken.
Ich entschloss mich, ihn doch nicht anzurufen. Bestimmt lag er gerade sowieso glücklich mit Meto im Bett und ich hätte nur gestört, wenn ich mich jetzt gemeldet hätte.
Stattdessen begann ich, meine Wohnung ein wenig aufzuräumen, und dachte dabei konzentriert an alles Mögliche, nur nicht an Tsu‘s Krankheit. Ich wollte ihn als den sehen, der er war, nicht als kranken, wenn nicht sogar schwer gestörten Menschen. Und als ich mit dem Aufräumen fertig war, tat es mir furchtbar leid, diesen Artikel gelesen zu haben.
Ich setzte mich wieder an den PC, jedoch öffnete ich nicht die Suchmaschine, sondern klickte mich in Tsuzukus Blog rein, schaute mir die Bilder wieder an, wo er zusammen mit Meto zu sehen war und so glücklich aussah. Dieses Bild, wo er Meto umarmte und beide in die Kamera lächelten, zeigte sein wahres Gesicht, wie er wirklich war, abseits von jeder Störung oder Krankheit. Diese wahnsinnige Liebe, die er für Meto empfand. Und auch, wie lieb er zu mir gewesen war, als es mir schlecht gegangen war. Er war so ein toller, lieber Mensch, und auch wenn er diese großen Probleme hatte, so beschrieben sie nur einen Teil von ihm.
Ich klickte nochmal die Suchmaschine an und löschte den Suchverlauf, dann klappte ich den PC wieder zu und ging ins Schlafzimmer, um auch da ein wenig aufzuräumen. Als ich damit fertig war, schaute ich in der Küche in den Kühlschrank und stellte fest, dass ich mal einkaufen gehen musste.
Ich machte mich also auf den Weg zum Supermarkt, kaufte vorher am Automaten an der Straßenecke zwei Packungen Zigaretten, und betrat dann den Laden, überlegend, ob ich mir heute Abend noch was kochen sollte oder irgendein Fertiggericht genug war.
Schließlich entschied ich mich fürs Selberkochen und kaufte Gemüse, Nudeln und ein bisschen mageres Fleisch für ein einfaches Pfannengericht. Dann noch ein bisschen Kleinkram, alles bezahlen, und schon war ich wieder raus aus dem Laden.
Wieder zu Hause begann ich gleich mit dem Kochen, was nur davon unterbrochen wurde, dass jemand mich anrief. Ich legte das Messer, mit dem ich den Pak Choi kleingehackt hatte, beiseite, und lief zum Telefon, erkannte Mikans Nummer auf der Anzeige.
„Hey, Kocha! Hast du heute noch was vor?“, fragte sie direkt.
„Ich koche gerade mein Abendessen.“
„Wollen wir heute Abend vielleicht ausgehen? Im Visual-Club ist Kawaii-Party.“
Ich überlegte schnell: Eigentlich hatte ich wirklich nichts vor, und Mikan sehen wollte ich auch gern. Unsere Beziehung war immer noch nicht richtig fest, auch wenn wir ja vor ein paar Tagen zum ersten Mal ein bisschen intim miteinander geworden waren. Es konnte nicht schaden, wenn wir öfter mal ein Date hatten.
„Okay“, sagte ich. „Ich muss nur schauen, was ich anziehe.“
„Mit ‘ner ordentlichen Portion Rosa kannst du bei dieser Party nichts falsch machen.“ Mikan lachte kurz. „Ich hol dich dann in ‘ner Stunde bei dir zu Hause ab, ja?“
Ich kochte also erst einmal mein Essen fertig, ging zwischendurch immer wieder in mein Schlafzimmer zum Kleiderschrank und suchte mir mein Outfit zusammen. Als das Essen fertig war, aß ich gemütlich und zog mich anschließend um.
Mikan klingelte genau währenddessen an meiner Tür, als ich halb angezogen und mit provisorisch hochgesteckten Haaren im Bad vor dem Spiegel stand und gerade anfangen wollte, mich zu schminken.
Sie lachte, als sie mich so unfertig sah, ließ es sich aber nicht nehmen, mich zu umarmen und zu küssen. „Na, Mr. Prinzessin?“, fragte sie neckend und beäugte mein halb fertiges Outfit.
Mikan sah mal wieder absolut umwerfend aus. Sie trug denselben niedlichen Stil wie sonst auch, aber im Detail deutlich aufgehübschter als sonst, mit zig bunten Ketten und Haarspängchen. Ihre Haare hatte sie zum Teil in Locken gedreht und auch neue Farbe drin, wieder Violett, nur jetzt deutlich kräftiger. Anscheinend hatte sie heute nachgefärbt.
„Ich hab vorhin noch gekocht, willst du was davon?“, fragte ich.
„Danke, ich hab schon gegessen.“
Ich stellte also den Rest von der Fleisch-Gemüse-Pfanne in den Kühlschrank und fuhr fort, mich für die Party anzuziehen und schön zu machen, während Mikan erst in meinem Wohnzimmer wartete, und dann zu mir ins Bad kam, um sich an meinem Styling zu beteiligen.
Als wir dann beide wie rosa Zuckerwattepuppen aussahen, machten wir uns auf den Weg zum Club, der nur zwei Stadtbahnstationen entfernt war.
Aus dem Club schallte, anders als sonst, kein Rock a la Dir en grey, sondern ein fröhliches Lied irgendeiner süßen Oshare-Band, die ich aber nicht näher kannte. Heute schienen die Gäste ein paar Jahre jünger zu sein als die, die sonst hier tanzen gingen, aber vielleicht sahen sie auch nur einfach jünger aus als sonst, weil heute der Dresscode einfach so pink und kindlich war. Ich sah mich selbst in einer spiegelnden Fensterscheibe und musste feststellen, dass ich in diesem Styling auch nicht gerade wie Mitte Zwanzig aussah, sondern eher wie siebzehn oder so.
Mikan nahm meine Hand und zog mich hinter sich her in den Club. Wir gaben unsere Taschen an der Garderobe ab und stürzten uns ins Partygetümmel, das durch eben jenen heutigen Dresscode einerseits sehr jung und niedlich wirkte, aber genau dadurch auch seltsam surreal, fast ein bisschen wie die Tee-Party aus ‚Alice im Wunderland‘.
Mikan bestellte uns zwei Getränke und wir standen erst mal ein bisschen an der Bar. Sie fragte, wie es Tsuzuku ging, und ich sagte nur: „Besser“. Ich hatte Mikan nicht erzählt, dass er im Krankenhaus gewesen war, es hatte sich einfach nicht ergeben, und wahrscheinlich dachte sie an unseren Abend zu viert, als es Tsu ja auch nicht gut gegangen war.
„Kommen Meto und er eigentlich auch manchmal in diesen Club?“, fragte Mikan.
Ich nickte. „Aber heute wahrscheinlich weniger. Dieses Pink mit Glitzer ist ja nichts für Tsu.“
Mikan lachte. „Ja, das kann ich mir vorstellen. Er hat’s ja mehr mit Schwarz.“
Als wir beide ausgetrunken hatten, gingen wir dann endlich tanzen. Es wurden Lieder von SuG und An Café gespielt, wozu Mikan besser tanzte als ich, aber Spaß hatten wir trotzdem beide, auch wenn ich diese Musik zu Hause eher seltener hörte. Ab und zu mochte ich so was schon ganz gerne und außerdem war Tanzen mit meiner besten, jetzt festen Freundin immer toll, egal zu welcher Musik.
Als ein langsames, verträumtes Lied gespielt wurde, umarmte Mikan mich und wir verfielen in dieses paartypische Schmusetanzen. Ich fühlte ihre Hände auf meinen Schultern und meinem Rücken, ihren weiblichen, süßen Körper nah bei mir, und wollte am liebsten, dass sie nachher noch wieder mit zu mir kam und wir das von letztens fortsetzen konnten.
„Kommst du nachher wieder mit zu mir?“, fragte ich leise in ihr Ohr.
Sie lächelte. „Willst du kuscheln?“
Ich nickte. „Oder auch mehr …“
„Mehr?“, fragte sie lächelnd. „Wie viel mehr?“
Ich antwortete nicht mit Worten, sondern nahm ihr Gesicht in meine Hände und küsste sie, ließ sie durch diesen Kuss spüren, wie viel mehr ich mir mit ihr wünschte. Sie seufzte leise und erwiderte den Kuss mit derselben Lust, dann sah sie mich an und fragte: „Willst du jetzt schon gehen?“
Ich musste nicht lange überlegen und nickte. Fühlte, dass ich mit Mikan allein sein wollte, bei mir zu Hause. Weil ich mich gerade nach Dingen sehnte, die in heimische vier Wände gehörten.
„Gut, dann gehen wir.“ Sie nahm meine Hand und zog mich weg von der Tanzfläche, wir holten unsere Taschen ab und verließen den Club.
Draußen war die Luft ganz klar, duftete jedoch schon deutlich nach Frühling. Die Kirschbäume überall in der Stadt standen in voller Blüte und auch wenn die einzelnen Blüten jetzt in der Nacht geschlossen waren, so hing doch ihr Duft vom ganzen Tag noch in der Luft, weckte in mir eine Menge Frühlingsgefühle und machte mich ganz kribbelig.
Wir nahmen die letzte Bahn in Richtung meiner Wohnung und während der kurzen Fahrt lehnte Mikan sich an mich, ihre Hand war mit meiner verschränkt und ganz warm.
Als wir ausstiegen, griff sie meinen Arm und hängte sich ein wenig an mich, und auf dem Weg zu meiner Wohnung flüsterte sie mir dann auf einmal ins Ohr: „Koichi … ich bin jetzt bereit für mehr …“
„Mehr was?“, fragte ich, obwohl ich wusste, wovon sie sprach.
„Mehr mit dir.“ Sie blieb stehen, sah mich an, lächelte und fügte hinzu: „Ich will dich.“
Wir hatten mein Haus fast erreicht, ich schloss auf und wir liefen schnell die Treppen rauf zu meiner Wohnung, gingen rein und ich zog meine Schuhe aus, fühlte, wie diese eine positive Anspannung in mir hochstieg, die mein Herz wild klopfen ließ. Mikan schlüpfte aus ihren weniger aufwändig auszuziehenden Schuhen und hängte ihre Tasche an die Garderobe, dann sah sie mich wieder an, ich fühlte ihren Blick auf meinem Körper. Ein zartes, süßes Rosa war in ihre Wangen gestiegen und sie atmete ein wenig schneller und tiefer, ihre Augen leuchteten.
„Erst abschminken?“, fragte ich. „Oder willst du mich gleich haben?“
„Abschminken ist vielleicht ganz gut vorher …“, antwortete sie und folgte mir ins Bad.
Wir beeilten uns beide damit, Makeup, Kontaktlinsen und Haarspray loszuwerden, und als das erledigt war, waren wir beide voller Vorfreude auf das, was wir gleich vorhatten. Darauf ein wenig warten zu müssen und sich dabei vorzustellen, wie es sein würde, das machte es noch schöner als wenn wir gleich im Bett gelandet wären.
Mikan sah mich im Spiegel an und ich drehte mich zu ihr um, nahm ihr Gesicht in meine Hände und küsste sie, schmeckte noch ein bisschen fruchtigen Lipgloss an ihren Lippen. Sie drückte sich sehnsüchtig an mich, ich spürte ihr klopfendes Herz und ihr rasches Atmen, das Zeichen, dass sie schon ziemlich erregt war.
„Koichi …“, flüsterte sie, als ich ihre Lippen wieder freigab. Sie sah mir tief in die Augen und dann schob sie mich vor sich her, rückwärts aus dem Bad, in Richtung Schlafzimmer. Ich fühlte mich ein wenig eigenartig, als ich dort meine Sammlung von Schmuck und Handtaschen an der Wand hängen sah und den Kontrast zwischen diesen femininen Sachen, und meinem Gefühl, das sich im Augenblick recht männlich anfühlte, bemerkte. Ich war erregt und spürte unter meiner niedlichen, rosa-lastigen Kleidung die Reaktion meines männlichen Körpers auf die Schönheit und Süße meiner Freundin.
Mikan umarmte mich, drückte sich an mich, und ich fühlte, wie ihr Unterleib an meine erregte Körpermitte unter meiner Kleidung drückte. Ich seufzte leise und Mikans Hände schlüpften unter mein Shirt, sie lächelte.
„Fass mich an, Koichi“, flüsterte sie und ich tat es, legte meine Hände an ihre Taille, unter ihrer pastellfarbenen Bluse. Sie ließ sich auf mein Bett sinken und zog mich mit, ich setzte mich rittlings über ihre Beine und als sie sich auf den Rücken fallen ließ, war ich über ihr, sie zog mich zu sich runter und ich küsste sie. Ihre weichen, zarten Lippen schmeckten so süß, waren genauso warm und weich wie ihre Hände, und verzauberten mich geradezu. Ich ließ meinen Händen freien Lauf, knöpfte ihre Bluse auf und öffnete ihren Rock, tastete fasziniert über ihre weiche, warme Haut und hörte sie seufzen. Ihr Atem ging immer schneller und tiefer, und ich hörte die Erregung in ihren Seufzern.
Ich löste mich kurz von ihr und stand auf, aber nur, um mich bis auf die Unterwäsche auszuziehen, und Mikan tat es mir gleich, ließ nur BH und Slip noch an.
„Das darfst du mir ausziehen“, sagte sie und sah mich verheißungsvoll an, ehe ihr Blick, nur noch ein klein wenig zögerlich, über meinen nun fast unbekleideten Körper wanderte und dabei auch meine sich unter meiner Shorts deutlich abzeichnende Erregung streifte.
Ich machte einen Schritt auf sie zu und umarmte sie, meine Hand fand wie von selbst den Verschluss ihres BHs und versuchte, ihn zu öffnen. Als mir das jedoch zuerst nicht gelang, lachte Mikan leise.
„Kriegst du ihn nicht auf?“, fragte sie lächelnd.
„Doch.“
Ich nahm die andere Hand zur Hilfe und löste die beiden kleinen Häkchen, woraufhin Mikan sich die Träger von den Schultern streifte und den BH zu Boden fallen ließ.
Sie legte sich wieder auf mein Bett und ihre Hand streichelte einladend über ihre Körpermitte, ich legte mich zu ihr und fuhr dann ganz langsam mit meiner Hand über ihren flachen Bauch, ihre schöne helle Haut, fühlte die Bewegungen ihrer Atmung, bis ich am Bund ihres Slips angekommen war.
Einen Moment lang zögerte ich, war irgendwie nicht ganz sicher, ob das jetzt wirklich das Richtige zu tun war. Sollten wir jetzt schon so weit gehen? Ich fühlte, dass ich, wenn wir jetzt damit anfingen, nicht mehr würde aufhören können, und spürte auch, dass ich als Mann die Verantwortung trug.
Apropos Verantwortung: Ich hatte keine Ahnung, wo sich etwaige noch bei mir vorhandene Kondome gerade befanden. Irgendwo mussten noch welche sein, aber ich wusste absolut nicht, wo genau. Und ich war nun wirklich nicht in der Stimmung, jetzt die ganze Wohnung abzusuchen. Beim Aufräumen vorhin hatte ich jedenfalls keine gefunden.
„Mikan?“, sprach ich meine Freundin an, „Sag mal, nimmst du eigentlich … die Pille oder so?“
„Klar nehm ich die. Allein schon wegen meiner Regel. Aber die, die ich nehme, ist nicht ganz sicher, so vom Schutz her“, antwortete sie, grinste mich dann frech an und fragte: „Hast du etwa keine Kondome da?“
„Ich … hab irgendwo schon welche. Aber …“, gestand ich und spürte, wie ich rot wurde, „… ich weiß gerade wirklich nicht, wo die gelandet sind.“
„Im Nachtschrank?“, fragte Mikan.
Ich streckte mich, bis ich mit der Hand an die Schublade herankam, und öffnete diese. Doch bis auf meine Kopfschmerztabletten, ein paar Haarklammern, und ein altes Notizbuch war sie leer.
„Warte kurz, ich schau mal im Badezimmer.“ Ich stand auf und lief rüber ins Bad, öffnete dort sämtliche Schränke, doch außer viel zu vielen Produkten zur Schönheitspflege und meinen fluffigen Handtüchern fand ich nichts.
„Keine da!“, rief ich über den Flur.
Mikan seufzte kopfschüttelnd. „Also echt, Koichi! Hast du nicht mal Kondome da?“ Sie stand auf und kam zu mir ins Bad. „Dann wird das wohl nichts heute …“
„Hm“, machte ich, da ich gerade auch nicht wirklich wusste, was wir tun sollten. „Kann auch sein, dass ich die Dinger irgendwann mal weggetan habe …“
Mikan sah mich einen Moment lang an, dann sagte sie: „Sag mal … würde es dir reichen, wenn du mich nur … fingerst oder so?“
Das war durchaus eine gute Frage. Klar, ich konnte mich durchaus beherrschen und noch nicht aufs Ganze gehen. Und ging ja jetzt wohl auch nicht anders, so ohne Kondome. Aber … ich wollte auch nicht nachher unzufrieden sein. Es war ein eigenartiges Gefühl und ich wusste nicht so wirklich, was ich tun sollte. Ein Teil von mir wollte definitiv Sex, oder jetzt eben mindestens Petting, doch meine Vernunft zögerte aus irgendeinem Grund.
Wir gingen ins Schlafzimmer zurück und Mikan hob ihren BH auf, zog ihn sich wieder an. Das war relativ eindeutig und ich wusste, dass sie mein Zögern als ein „Ich will doch nicht“ von meiner Seite gedeutet hatte.
„Geh mal erst einmal Kondome kaufen, dann können wir an der Stelle weitermachen“, sagte sie, klang aber zum Glück nicht eingeschnappt oder so. Während wir uns wieder anzogen, sah ich sie an und versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen. Aber sie war wieder mal so undurchschaubar.
Ich brachte sie noch zur Tür und war dann wieder allein in meiner Wohnung. Die abgekühlte Lust in mir fühlte sich schal und seltsam an, ich war richtig vorfreudig gewesen und hatte das, was ich mir so gewünscht hatte, jetzt wegen meiner eigenen Schussligkeit nicht bekommen.
Müde war ich überhaupt nicht und so setzte ich mich noch ein bisschen vor den Fernseher, schaute mir einen Film an und versuchte zu verhindern, dass mich dieses gescheiterte Erste Mal mit meiner Freundin mich in mein Gefühl von Einsamkeit zurückwarf.
Irgendwann danach ging ich dann doch ins Bett, doch es dauerte relativ lange, bis ich einschlief.
Am nächsten Morgen wurde ich von meinem Handy geweckt. Ich schaute drauf und sah, dass es Tsuzuku war, der mich anrief. Langsam richtete ich mich auf und meldete mich: „Morgen …“
„Morgen, Koichi.“ Zuerst war ihm nicht anzuhören, ob er müde war oder nicht, aber als er weiter sprach, klang seine Stimme doch so, als hätte er nachts nicht besonders viel geschlafen: „Können wir … uns heute sehen? Ich mag … heute noch nicht wieder … arbeiten gehen.“
Ich überlegte schnell, ob ich Zeit hatte, dann fiel mir ein, dass ich heute nur die Nachmittagsschicht hatte, und Meto die für heute Morgen.
„Klar können wir“, antwortete ich und fragte dann vorsichtig: „Wie … geht’s dir denn?“
„… Ich hab … nicht so wirklich gut geschlafen …“
„Schlecht geträumt?“
„Ja, zuerst das, und dann konnte ich nicht wieder richtig einschlafen … Hab mir Gedanken gemacht und so weiter … immer so weiter …“ Tsuzuku schwieg einen Moment und sagte dann: „Ich komm von dem Gedanken nicht mehr weg, dass ich euch zur Last falle.“
„Weißt du was?“, sagte ich kurzentschlossen und angelte mir meine Klamotten, „Ich hol dich in einer Stunde bei dir an der Wohnung ab, und dann gehen wir in die Stadt und irgendwo frühstücken. Wie wäre das?“
„Frühstücken …“, wiederholte Tsu mit diesem bestimmten, ironischen Tonfall. „Mit mir …“
„Du musst ja nicht viel essen. Nur, dass wir in Ruhe irgendwo sitzen können“, erklärte ich. „Machen wir das so?“
„Meinetwegen …“
„Ich mach mich nur eben soweit fertig, dann bin ich bei dir.“
Tsu legte auf und ich fing an, mich für den Tag zurechtzumachen. Ich wählte relativ schlichte, bequeme Sachen, nichts großartig Süßes oder Feminines, sondern so mehr oder weniger den Jeans-und-Shirt-Look. Meine Haare band ich einfach zu einem offenen Zopf zusammen und mein Makeup beschränkte sich auf das Basic-Programm.
Dann schnappte ich mir meine Bambitasche, die heute das auffälligste Accessoire neben meinen rosa Haaren darstellte, und lief los zur Bahn. Die Fahrt dauerte nicht lange, und den Fußweg bis über die Treppen rauf zu Tsuzukus und Metos Wohnung hatte ich auch schnell hinter mich gebracht. Doch als ich schließlich klingelte, öffnete mir ein sehr müde aussehender Tsuzuku, der noch kein bisschen zurechtgemacht war, die Tür.
„Hey …“, sagte er leise.
„Meto ist schon los, oder?“, fragte ich, einfach um überhaupt irgendwas zu fragen.
„Ja, schon ganz früh.“ Tsu ließ mich rein und ich sah mich kurz um, ob in der Wohnung alles okay war. Dabei fiel mir auf, dass das Schlafzimmer nicht mehr weiß war, sondern rote und schwarze Wände hatte, farblich passend zu dem schicken Bett.
„Ihr habt das Schlafzimmer gestrichen?“, fragte ich.
„Ja, vor ein paar Tagen. Haruna, Hanako und Yami haben uns geholfen.“ Tsuzukus Stimme klang wirklich müde, ganz leise und fast gleichgültig.
Ich konnte das nicht mitansehen, wie er da in Tanktop und Shorts vor mir stand, mit ungekämmten Haaren und diesem leeren, traurigen Ausdruck in den Augen. Also griff ich kurzentschlossen seine Hand und führte ihn ins Bad, sagte: „Jetzt mach dich erst mal schön, und dann gehen wir raus.“
Er stand erst unschlüssig da, dann griff er nach seiner Haarbürste und begann, seine schönen, schwarzen Haare zu ordnen. Ich lief schnell rüber ins Schlafzimmer und suchte ihm Klamotten raus, einfach eine Jeans und einen grauen Pullover, brachte ihm die Sachen ins Bad und ging dann in die Küche, wo ich kurz in den Kühlschrank schaute und wenigstens feststellen durfte, dass genug zu essen da war.
Ich setzte mich auf einen der Küchenstühle und während ich auf Tsuzuku wartete, schaute ich aus dem Fenster nach draußen, wo die Kirschbäume noch in voller Blüte standen. Irgendwie fand ich es furchtbar schade, dass es Tsuzuku gerade jetzt, wo alles zu blühen und zu grünen anfing, eine so schlechte Phase hatte und die Schönheiten draußen gar nicht genießen konnte.
Als Tsu dann aus dem Bad kam, sah er ein wenig besser aus, seine Augen wirkten wieder lebendiger und interessierter, und er war sogar ein kleines bisschen geschminkt.
„So gefällst du mir schon viel besser“, sagte ich lächelnd und stand auf. „Komm, auf geht’s!“
Tsuzuku sah mich einen Moment lang einfach an, und ehe ich mich versah, hatte er mich auch schon fest umarmt. Ich wusste erst nicht so recht, wie ich auf diese plötzliche Nähe reagieren sollte, denn ich hatte jetzt einfach nicht damit gerechnet, aber Tsu war eben ab und zu für eine Überraschung gut und schien das jetzt offenbar zu brauchen, also streichelte ich einfach mit meinen Händen über seinen Rücken und fragte: „Na, bist du heute ein bisschen nähebedürftig?“
Doch auf einmal schien es ihm doch unangenehm zu sein und er wollte sich wieder von mir lösen, doch ich ließ ihn nicht so schnell los. „Ist doch okay. Wenn du grad mal ‘ne Umarmung brauchst, das ist doch komplett in Ordnung.“
„Ich hab … nicht drüber nachgedacht. Ko, weißt du, diese Dinge, die ich manchmal tue, einfach so, ohne einen einzigen Gedanken …“
„Schscht …“, machte ich, denn ich sah dieses Wort ‚impulsiv‘ schon kommen. „Wir gehen jetzt schön in die Stadt, essen was, und dann kaufen wir uns noch ein paar schöne Sachen, was meinst du?“
„Den Part mit dem Essen können wir gern weglassen …“, murmelte er.
„Nichts da!“, widersprach ich lächelnd. „Wir finden schon was, was dir schmeckt, und zu viel brauchst du ja nicht zu nehmen.“
Den Weg in die Innenstadt legten wir wieder in der Stadtbahn zurück, fuhren bis in die Nähe eines netten Restaurants, wo es das beste (oder zumindest zweitbeste) Frühstück der ganzen Stadt gab. Als selbst in der Gastronomie Beschäftigter musste ich natürlich das Essen an meiner eigenen Arbeitsstelle besser finden, doch dieses andere Restaurant hier war eine ganze Spur ruhiger und somit eine passendere Umgebung für jemanden wie Tsuzuku, der dem quietschig-niedlichen Ambiente meines Arbeitsplatzes nur sehr wenig abgewinnen konnte.
In diesem Restaurant suchten wir uns eine abgelegene, ruhige Ecke, die sowohl von der nach Essen duftenden Küche, als auch dem quirligen Eingangsbereich recht weit entfernt war. Ich nahm mir die Frühstückskarte und begann, mir etwas auszusuchen, und Tsuzuku griff ebenfalls nach einer Karte, jedoch war ihm kurz darauf schon recht deutlich anzusehen, dass er sich absolut nicht entscheiden konnte. Er hatte eine nachdenkliche Falte auf der Stirn und diesen einfach nicht gesund aussehenden Blick in den Augen.
„Wenn du nicht selber was bestellen willst, kannst du auch was von mir haben“, sagte ich, und das schien ihn sehr zu erleichtern.
Als der Kellner an unseren Tisch kam und fragte, ob es schon ein Getränk sein durfte, bestellte ich mir einen Kaffee, und Tsuzuku nahm nach einem wahllosen Blick auf die Karte dasselbe.
Ich bestellte auch gleich mein Frühstück, da ich mich schon für eines entschieden hatte. Als der Kellner sich dann fragend an Tsu wandte, wurde ich Zeuge, wie mein bester Freund eine Art lächelnder Maske aufsetzte und den Kellner mit einem höflichen „Für mich nichts weiter, danke“ abspeiste. Dieser sagte noch irgendwas von einem zweiten Teller und Besteck, was er bringen wollte, und verschwand dann wieder.
Zwischen Tsuzuku und mir breitete sich zunächst eine unschlüssige, etwas nachdenkliche Stille aus. Ich wusste nicht, ob ich ihn nach seiner schlechten Nacht fragen sollte oder besser nicht, und er schien gerade generell nicht zu wissen, was er sagen sollte. Eine Weile saßen wir uns einfach gegenüber und ich sah mir ein wenig die Bilder an, die an den Wänden hingen, während Tsuzuku auf seine auf dem Tisch liegenden Hände blickte.
Doch als dann auf einmal eine Träne seine Wange hinunter lief und eine zweite rasch folgte, da musste ich ihn einfach fragen, was denn jetzt los war: „Hey, Tsu, was ist denn? Warum weinst du?“
Er antwortete erst nicht, wich meinem Blick aus, während die Tränen einfach über sein Gesicht liefen. Ich streckte meine Hand aus und berührte seine, einfach um ihm so was wie Halt zu geben, er ließ es zu und sah mich an, in seinen dunklen Augen stand die reine Verzweiflung.
„Ko, ich … ich hab geträumt, dass ich … Meto und dir und allen … zu viel werde … Dass ich einfach zu kompliziert bin … Und wer will schon immer … auf so ‘nen … verheulten Borderliner wie mich … aufpassen?“, brachte Tsuzuku unter Schluchzern und immer weiter fließenden Tränen heraus.
Ich musste nicht großartig überlegen, was ich tun sollte, sondern ich tat es einfach, wissend, dass es das einzig richtige war: Ich stand auf, ging um den Tisch herum und legte meine Arme um Tsuzukus Kopf und Schultern, so dass er, immer noch sitzend, sich an mich anschmiegen konnte. Mir war egal, ob uns jemand sah und es vielleicht eigenartig fand, ich dachte nur daran, dass ich meinem besten Freund jetzt den größtmöglichen Halt geben wollte.
„Schscht, Tsu … Du brauchst nicht zu weinen, ich bin bei dir, du hast nur schlecht geträumt heute Nacht“, sagte ich leise und streichelte durch sein Haar.
Tsuzuku blickte zu mir hoch, mit Angst in den Augen, und fragte mit einem Ton, der fast wie der eines weinenden, ängstlichen Kindes klang: „Und du verlässt mich ganz bestimmt nicht?“
„Nein, ich bleib bei dir. Meto und ich, wir lassen dich niemals allein.“ Ich drückte ihn noch einmal lieb an mich, dann ging ich zu meiner Tasche und nahm ein Päckchen Taschentücher heraus. „Und jetzt wisch dir die Tränen weg und putz dir die Nase, und dann essen wir. Essen ist gut.“
Kurz darauf wurde dann das Essen gebracht. Ich teilte mein Frühstück so auf, dass Tsuzuku genug bekam, aber nicht zu viel, und er sagte auch, dass ihm ein einziges Brötchen mit ein bisschen Butter und Marmelade genügte. Es war okay, denn schließlich wollte ich auch nicht, dass ihm wieder schlecht wurde. Während ich aß, sah ich ihn immer wieder an und beobachtete, wie sich seine Stimmung wieder ein wenig hob, und auf einmal lächelte er mich an.
„Wie geht’s mit Mikan?“, fragte er.
Ich wunderte mich ein wenig, fragte mich, wie er jetzt darauf kam, aber gleichzeitig war ich einfach froh, dass er sich offenbar wieder gut fühlte, und antwortete: „Ganz gut.“
„Hast du sie schon rumgekriegt?“ Diese direkte, unverblümte Art, so was zu fragen, war so typisch Tsuzuku, und ich musste lachen.
„Noch nicht ganz“, antwortete ich lachend und fügte dann etwas leiser hinzu: „Ich hatte keine Kondome da.“
Ich hatte ja erwarten können, dass Tsuzuku mich dafür auslachen würde, doch dass er es wirklich tat, überraschte mich doch, da er ja eben noch geweint hatte. Aber so war er eben. Saß mir gegenüber im Restaurant und lachte mich ziemlich lauthals aus, weil ich mein erstes Mal Sex mit meiner Freundin nicht auf die Reihe bekommen hatte.
„Wie geil! Ko, du bist echt … geil!“
Ich spürte, wie ich rot wurde. Es war mir doch ein bisschen peinlich, die Sache gestern Abend mit Mikan, und dass Tsuzuku mich jetzt so schamlos auslachte.
„Tsu! Jetzt lach nicht!“ Doch dass ich selber ein bisschen grinsen musste, weil die Situation doch was echt Komisches an sich hatte, nahm meiner Entrüstung die Kraft.
„Sorry“, entschuldigte er sich, grinste dabei aber immer noch. „Ich hab mir das nur gerade vorgestellt, wie Mikan und du endlich aufs Ganze gehen wollt und dann hast du kein Gummi da …“
Ich schüttelte den Kopf, lächelte aber dabei. „Du bist echt unmöglich.“
Tsu erwiderte nichts darauf, biss von seinem Brötchen ab, und eine ganze Weile saßen wir einfach einander gegenüber und aßen. Schließlich sagte er leise und wieder recht ernst: „Koichi … wenn dich das nervt, dass ich … so unverschämt bin und so … dann kannst du das sagen.“ Er blickte auf seine Hände und fügte noch etwas leiser hinzu: „Ich kann zumindest versuchen, mich zu bessern …“
Ich sah ihn an und sagte dann, ganz einfach und völlig von meinen Worten überzeugt: „Es ist okay. Du darfst gern lachen, wenn du so was lustig findest. Ich weiß ja, wie du das meinst.“
„Hinterher tut mir so was leid. Aber … weißt du, dann hab ich es eben schon getan.“
„Tsu, das weiß ich doch.“
„Denkst du das dann? Hast du eben gedacht: ‚Jetzt war Tsuzuku wieder impulsiv‘?“, fragte er und sah schon wieder fast traurig aus.
„Nur ganz kurz, wirklich. Ich denke viel mehr, dass du eben einfach so bist, wie du bist. Dieses Wort … ‚impulsiv‘ … das benutze ich in Gedanken kaum und auch nicht gern.“ Ich griff über den Tisch und berührte wieder seine ineinander verschränkten Hände, die eine seltsam haltlose Ruhelosigkeit ausstrahlten. „Du brauchst keine Angst zu haben, dass ich dich irgendwie beurteile oder so. Hey, du bist mein bester Freund und ich hab dich gern. Ich will, dass es dir gut geht, und ich versuche immer nur, dich zu verstehen.“
Tsuzuku lächelte leicht. „Danke, Ko. Ich hab dich auch gern.“
Wir aßen noch beide auf, dann ging ich zum Bezahlen und wir verließen das Lokal.
„Wollen wir noch ein bisschen durch die Stadt?“, fragte ich.
Tsu zuckte nur mit den Schultern. „Meinetwegen …“ Und dann: „Na ja, ein neues Hemd könnte ich schon brauchen …“
Ich lächelte. „Na, siehst du. Shoppen hat bisher noch immer die Stimmung gehoben.“
„Ich hab nur kaum Geld …“ Zuerst sah er so aus, als ob er es sich doch noch anders überlegt hatte, doch dann sagte er: „Für ein Teil reicht‘s aber sicher noch.“
Und so gingen wir wieder zusammen einkaufen. Hier in der Gegend gab es einen größeren Supreme-Laden und da ich dieses Label sehr mochte, schleppte ich Tsuzuku dorthin mit. Schon als wir vor dem Schaufenster standen, sah ich, wie mein bester Freund in seinen Shoppingmodus wechselte und seine Augen geradezu aufleuchteten.
„Die haben hier echt schöne Sachen“, sagte ich, aber das war eigentlich komplett überflüssig, denn Tsu hatte schon den Laden betreten und ein dunkelblau-weiß gemustertes Hemd in der Hand, das er mir strahlend hinhielt und fragte: „Meinst du, das steht mir?“
Ich sah erst das Hemd an, dann ihn, und stellte fest, dass es zwar ziemlich anders war als die schwarzen, finsteren Sachen, die er sonst viel trug, er aber trotzdem gut darin aussehen würde.
„Ja, ich würde sagen, das ist was für dich“, sagte ich und begann dann, mir selbst die Auslagen genauer anzuschauen.
Zwischendurch beobachtete ich Tsuzuku ein wenig und sah zu, wie er, obwohl er ja laut eigener Aussage nur Geld für ein einziges Teil hatte, immer mehr Sachen zusammensuchte, Oberteile und Hosen und den einen oder anderen Schal oder Hut.
„Tsu, hattest du nicht gesagt, du hast kaum Geld?“, fragte ich vorsichtig.
Er kam auf mich zu, beide Arme beladen mit Klamotten, und erwiderte: „Ich kann mich nicht für ein Teil entscheiden …“
Ich musste lachen, einfach weil das irgendwie so süß aussah, wie er da vor mir stand.
„Probier die Sachen doch erst mal an“, sagte ich und wies rüber zu den Umkleiden. „Ich helfe dir auch beim Aussuchen.“
Die Situation war einerseits irgendwie seltsam, aber auf der anderen Seite auch so typisch für Tsuzuku und mich, dass ich mich eher freute, als dass mich irgendwas daran störte. Und so stand ich dann vor der Umkleide und wartete immer wieder, während Tsu ein Teil nach dem anderen anprobierte, um es mir dann zu präsentieren.
Es waren ganz unterschiedliche Sachen dabei, einiges in seiner Lieblingsfarbe Schwarz, aber auch viel Rot und Blau und das eine oder andere bunt gemusterte Shirt oder Hemd. Er hatte sich dazu passende Schals, Hüte und Caps ausgesucht, die ihm überraschend gut standen, und ich entdeckte, dass mein bester Freund bei all seiner Stilsicherheit doch auch für stilistische Überraschungen gut war. Er war, wenn auch eben in seinem Stil männlicher und dunkler, im Grunde genauso experimentierfreudig und shoppingwütig wie ich.
Letztendlich entschied er sich dann doch für das blau-weiß gemusterte Hemd, das er zuerst gesehen hatte, und für einen schwarzen Hut, der ihm wirklich sehr gut stand.
Ich selbst kaufte infolge dessen, dass ich Tsu beim Aussuchen geholfen hatte, dieses Mal nichts, aber ich hatte ja auch wirklich genug Sachen, während Tsuzukus Kleiderschrank sicher noch einigen Platz für neue Klamotten bot.
Eigentlich hätte es danach schön sein müssen, alles gut und wir beide happy, aber so war es mit Tsuzukus Problemen nun mal einfach nicht. Ich wusste erst nicht einmal, warum, als er auf einmal auf dem Weg durch die Stadt mitten auf dem Weg stehen blieb und wieder diese Angst und Traurigkeit in den Augen hatte. Ich sah ihn an, war erst ein wenig verwirrt, weil er eben noch gelacht und einen Witz über sein eigenes Einkaufsverhalten gemacht hatte, jetzt aber plötzlich wieder so niedergeschlagen wirkte.
„Hey, was los?“, fragte ich besorgt und machte einen Schritt auf ihn zu, nahm seine Hand und ging mit ihm zu einer Bank am Wegesrand, wo er sich setzen konnte.
„Ich … hab heute noch nachher den Termin … bei dem Psychiater …“, antwortete Tsuzuku leise.
„Und du hast Angst davor?“
Er nickte. „Ich hab so Angst … dass alles noch schlimmer wird, wenn ich da bei dem über das alles rede … Hitomi hat auch gesagt, dass das furchtbar schiefgehen kann …“
Ich legte ihm meine Hand auf den Rücken, damit er sicher fühlte, dass ich da war, und sagte: „Wieso sollte es denn schlimmer werden? Der Psychiater will dir doch sicher auch helfen, und vielleicht weiß er sogar etwas, womit du dir selbst helfen kannst und so. Und nur, weil das bei Hitomi nicht richtig klappt, heißt das nicht, dass es bei dir genauso schief läuft.“
Tsuzuku hatte wieder Tränen in den Augen und sagte dann, ganz leise: „Weißt du, Ko … Ich war schon mal suizidal. Ich will das nicht wieder. Ich will nicht wieder sterben wollen.“ Er schwieg einen Moment, den ich ihn hochgradig besorgt ansah und nicht wusste, was ich sagen sollte, dann fügte er ebenso leise hinzu: „Aber ich fühle, dass es wieder … näher kommt, dieses Gefühl von … von ‚Ich will nicht mehr‘…“
„Tsu …“, begann ich und hörte meiner eigenen Stimme die entsetzte Sorge an, „Du musst kämpfen! Und du brauchst Hilfe, viel Hilfe. Also geh bitte zumindest zu diesem ersten Termin hin, ja?! Wenn du mit diesem Arzt nicht klarkommst, suchen wir dir ‘nen anderen, aber du musst da heute hingehen!“
Er sah mich an, ein wenig verwundert vielleicht, weil ich ein bisschen laut geworden war, und fragte dann einfach: „Kommst du mit?“
„Sollte nicht besser Meto mit dir hingehen?“
„Der Termin ist in zwei Stunden, und ich weiß nicht, ob er dann schon wieder da ist …“
„Müsste er eigentlich schon“, sagte ich. „Komm, wir gehen zu dir nach Hause und dann gehst du nachher mit ihm los, okay?“
Wir machten uns dann auf den Weg, zurück zu Tsuzukus und Metos Wohnung, und warteten dort auf Meto. Währenddessen kümmerte ich mich ein bisschen um Tsu, kochte ihm Tee und redete weiter mit ihm, über alles Mögliche, um ihn ein bisschen abzulenken. Aber das Gespräch kam immer wieder auf das Thema ‚Psychiater‘ zurück, vielleicht weil Tsu einfach so wahnsinnige Angst davor hatte und an nichts anderes denken konnte in diesem Moment.
„Koichi, weißt du …“, sprach er mich an, als ich mir gerade eine zweite Tasse Tee einschenkte.
„Hm?“
„Weißt du, ob ich, wenn der mir mit Medikamenten kommt … ob ich da auch Nein sagen kann?“
„Sicher. Der kann dich zu nichts zwingen“, antwortete ich. „Aber … vielleicht gibt es ja ein Medikament, was dir hilft. Eins, mit dem du dieses Gefühl von Leere nicht mehr so hast und deine Angst nicht mehr so groß ist … Ich kenn mich da nicht aus, aber könnte doch sein, oder?“
„Ich will nichts nehmen, keine Tabletten oder so. Das kommt mir … irgendwie falsch vor.“
„Dann sag das dem Arzt. Es geht schließlich darum, dass der sieht, was in dir los ist, und dir dann hilft. Denke ich zumindest …“
„Und wenn er sowieso beleidigt ist, weil ich ihn vorgestern so angefahren habe?“
„Dann wäre das sehr unprofessionell von ihm. Ich denke mal, einer, der sich mit solchen Sachen auskennt, wird schon verstehen, warum du Angst hast. Er hat das schließlich studiert.“
Es war doch recht schwierig irgendwie, meinen besten Freund davon zu überzeugen, dass er zu diesem Termin hinging. Er hatte offenbar wirklich sehr große Angst davor und widersprach deshalb so ziemlich allem, was ihm hätte helfen können. Ich fühlte mich ein bisschen hilflos, weil ich mich ja selbst kaum auskannte und keine Erfahrung mit Psychiatern hatte.
Als Meto dann kurz darauf nach Hause kam, hatte der schon an den Termin gedacht und schlug von sich aus vor, dass er Tsuzuku dorthin begleitete. Tsu war sichtlich froh darüber und wirkte sowieso, sobald Meto nah bei ihm war, viel entspannter. Unnötig zu erwähnen, dass ich das wieder unheimlich süß fand, diese Vertrautheit und Nähe zwischen den beiden.
Ich machte mich dann wieder auf den Heimweg zu meiner Wohnung, wo ich, als ich dort an meiner Tür angekommen war, mich gleich wieder umdrehte, die Treppen wieder runterlief und mich auf den Weg zu einem kleinen, aber durchaus gut ausgestatteten Sexshop in der Nähe machte, um ein Päckchen Kondome zu kaufen. Ging ja wohl nicht an, dass ich so was nicht im Haus hatte. Der nächste Versuch von Sex zwischen Mikan und mir sollte sicher nicht wieder daran scheitern, dass ich unvorbereitet war.
Aber heute wurde nichts mehr daraus. Ich schrieb ihr zwar, dass ich die Kondome besorgt hatte, doch sie antwortete, dass sie sich für heute Abend mit einer Freundin zum Bowlen verabredet hatte und deshalb nicht zu mir kommen konnte.
Und so saß ich bis zum Abend mehr oder weniger herum, surfte ein bisschen im Internet und machte dann noch ein wenig Hausarbeit, steckte eine Ladung Wäsche in die Waschmaschine und räumte endlich die in Tokyo gekauften Klamotten ordentlich in den Schrank.
Ich hoffte, dass bei Tsuzuku alles gut war, dass sein Gespräch beim Psychiater gut verlaufen war, aber ich rief ihn jetzt nicht an, weil ich vermutete, dass er mit Meto vielleicht anderweitig beschäftigt war.
Stattdessen schaute ich kurz auf seinem Blog vorbei. Und da hatte sich schon wieder irgendein homophober Idiot einen fiesen Kommentar erlaubt. Es war kein langer Post, nur ein „Igitt, Schwule, wie eklig!“ unter einem Foto von Tsu und Meto, das eigentlich für Außenstehende gar nicht so sehr nach Beziehung aussah.
„Maul halten!“, schrieb ich als Antwort darunter.
Und natürlich ließ die Retourkutsche nicht lang auf sich warten: „Was willst du denn?!“
„Meinen besten Freund verteidigen. Schreib ihm weiter solchen Shit und ich hetz dir ein paar Leute auf den Hals!“
„Das wagst du nicht.“
„Tu ich doch.“
Ich hatte Tsuzuku versprochen, dass ich gegen solche Leute, die es wagten, ihm Hasskommentare zu schreiben, vorgehen würde, und dieses Versprechen hielt ich. Zumal ich eben einige Freunde auf der Website hatte, die durchaus imstande waren, jemanden ziemlich zur Schnecke zu machen.
Von eben jenen Leuten schrieb ich einige besonders schlagfertige Personen an und bat sie, den Kommentarschreiber, bitte abseits von Tsuzukus Blog, damit er das nicht mitbekam, per Privatnachricht mal ordentlich Bescheid zu sagen, dass das ja wohl mal gar nicht ging! Aus dem weiteren Stress hielt ich mich dann raus. Ich legte keinen Wert darauf, da mit zu streiten, das überließ ich anderen, die das besser konnten. Stattdessen schrieb ich per Handy eine Nachricht an Tsu, dass ich auf seinen Blog aufgepasst und einen Hater fürs erste vertrieben hatte.
Er antwortete mit einem kurzen Danke und einem kleinen Herzchen, das mir Lohn genug war.
Und wo ich schon mal im Kontakt zu ihm war, rief ich Tsuzuku auch gleich an und fragte, wie das Gespräch beim Psychiater gelaufen war.
„Ganz okay …“, antwortete er. „Der ist sogar … irgendwie nett …“
„Das ist doch schon mal gut.“
„Er hat aber schon von Medikamenten angefangen. Ich hab ihm gesagt, ich bin da unsicher, und er meinte, ich soll mal darüber nachdenken.“
„Und tust du das, darüber nachdenken?“
„Ja, schon … Ich weiß nicht …“, sagte Tsuzuku. „Ko, kannst du … mir da vielleicht ein bisschen helfen? Also, na ja … ich weiß, ich hab dir mal gesagt, du sollst nichts drüber nachlesen, aber … jetzt brauch ich deine Hilfe. Können wir da mal zusammen drüber recherchieren und so?“
„Klar, natürlich“, antwortete ich.
„Danke dir. Ich … will das Meto nicht aufbürden irgendwie … Er ist gerade sowieso irgendwie … unsicher, wegen der ganzen Sache …“
„Wieso denn?“, fragte ich.
„Er war bei dem Gespräch dabei, ich wollte ihn dabei haben, und jetzt sieht er die ganze Zeit so nachdenklich aus und ich hab das Gefühl, er weiß nicht recht, wie er damit umgehen soll, was der Psychiater alles gesagt hat …“ Tsuzukus Stimme zitterte ein wenig und er klang wieder so, als hätte er ziemliche Angst.
„Lass Meto ein bisschen Zeit. Er muss ja auch mit dem ganzen, was jetzt ist, klarkommen, genau wie du. Das ist für euch beide ja nicht einfach, für dich nicht und für ihn eben auch nicht.“
„Ja …“, sagte er, und fragte dann: „Ko … wie soll ich das machen, Meto Zeit lassen?“
„Indem du einfach so bist wie immer. Ich kann mir vorstellen, dass so ein Gespräch das Bild, was Meto von dir hat, durcheinander bringen kann. Zeig ihm jetzt einfach, dass du noch derselbe Mensch bist wie sonst auch.“
„Danke, Ko.“ Und schon hatte Tsuzuku wieder aufgelegt. So war er eben beim Telefonieren: Wenn es nichts mehr zu sagen gab, legte er einfach auf. Aber ich hatte jetzt keine Angst um ihn. Er hatte im Großen und Ganzen gut und sicher geklungen, und ich war mir relativ sicher, dass er jetzt nicht in irgendeiner Gefahr schwebte.
Ich wandte mich noch mal ein wenig meiner Wohnung zu, schaute danach noch ein bisschen fern, machte mir ein schönes Abendessen und ging dann recht früh ins Bett.
Mitten in der Nacht wachte ich dann noch mal auf, weil ich viel zu früh schlafen gegangen war, und sah mir spontan noch einen Film an, bis ich wieder müde wurde und bis zum Morgen durchschlief.
[Zuvor, vor dem Gespräch beim Psychiater]
Die Kirschbäume blühten noch und auf den Straßen roch es nach Frühling, süß und blumig, als ich mit Meto zusammen in Richtung der psychiatrischen Klinik ging, die ja nur ein paar Straßen von unserer Wohnung entfernt lag. Wir durchquerten den großen Park, liefen durch die rosafarben blühende Allee von Kirschbäumen und ich atmete ihren Duft ein, fühlte, wie schon einzelne Blütenblätter herunterfielen und sich in meinen Haaren verfingen.
Auf einmal blieb Meto stehen, sah mich an, und fragte dann: „Kannst du dich jetzt eigentlich erinnern, was vorgestern passiert ist?“
Ich schüttelte den Kopf. Nein, da war immer noch nichts.
„Es war genau hier“, sagte Meto leise.
„Ich kann mich nicht erinnern.“
„Willst du es denn wissen?“
„Ich weiß nicht …“
Meto sah mich etwas unsicher an, schien selbst nicht recht zu wissen, ob dies der richtige Moment war, über das zu sprechen, was passiert war, bevor ich im Krankenhaus wieder aufgewacht war.
„Ich muss mit dir irgendwann darüber reden …“, sagte er. „Aber wir können das auch später machen. Vielleicht dann, wenn du dich wieder daran erinnerst?“
„Ja … Ich glaube, ich könnte das jetzt nicht …“, sprach ich aus, dass ich mich wegen des gleich anstehenden Termins zu unsicher fühlte, um an meiner Erinnerungsfähigkeit zu graben.
Halb erwartete ich, dass Hitomi wieder auf der Bank vor der Klinik sitzen würde, doch sie war nicht da. Und ich würde sie heute wahrscheinlich auch nicht sehen, wenn wir uns nicht gerade zufällig begegneten. Heute war das erste Mal, dass ich die psychiatrische Klinik als möglicher Patient betrat.
Meine Hand, die von Metos festgehalten wurde, begann zu zittern, und ich spürte meinen eigenen, aufgeregten Herzschlag und leichten Druck im Bauch. Ich musste an das Brötchen von heute Morgen denken und schon hatte ich das Gefühl, es wieder loswerden zu müssen. Meine Stimmung sackte schlagartig ab.
Wir gingen zum Schalter und ich riss mich unheimlich zusammen, fragte nach dem Büro von Dr. Niimura und sagte, dass ich einen Termin bei ihm hatte.
„Ihr Name bitte?“
„Aoba Genki.“
„In Ordnung, ich sage Dr. Niimura Bescheid, dass Sie da sind. Sie können noch einen Moment Platz nehmen.“
Meto und ich setzten uns in den Wartebereich und ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter, während die Fingernägel meiner rechten Hand sich in meinen linken Unterarm bohrten, reflexartig, um den Druck zu verringern und mich irgendwie zu entspannen.
„Tsu, lass das doch …“, flüsterte Meto, als er es bemerkte.
„Ich … hab Angst … und ich halte das nicht anders aus …“, antwortete ich ebenso leise.
Meto sah mich an und tat dann das einzig Richtige: Mit der einen Hand ergriff er die meine und zog sie von meinem Arm weg, und die andere legte er auf mein Herz, ganz fest und warm. Es dauerte keine zwei Sekunden, da spürte ich die Wirkung, fühlte mich wieder etwas sicherer.
„Ich lieb dich, mein Süßes“, flüsterte er. „Und ich bin bei dir, du brauchst keine Angst zu haben.“
„Kannst du … gleich mit rein kommen?“, fragte ich, meine Stimme klang schon wieder fast nach Tränen.
„Klar, wenn ich denn darf?“
„Ich werde dem Arzt sagen, dass ich dich dabei haben will.“
„Ich komm mit. Ich lass dich doch nicht allein.“
Wir mussten etwa zehn Minuten warten, dann kam Dr. Niimura um die Ecke und begrüßte uns.
„Und Sie sind …?“, fragte er dann Meto.
Meto schien einen kurzen Moment zu brauchen, bis er seine Sprechfähigkeit beisammen hatte, dann stellte er sich mit seiner leisen Stimme vor: „Ich bin … Asakawa Yuuhei. Sein fester Freund.“
Dr. Niimura lächelte und hatte dabei etwas Freundliches, fast Väterliches an sich. „Wie wollen Sie es halten? Möchten Sie ihren Freund bei dem Gespräch dabei haben, Aoba-san?“
„Ja.“ Ich nickte, und beschloss, diesen Arzt jetzt doch ein bisschen sympathisch zu finden. Metos Nähe beruhigte mich, sorgte dafür, dass ich einigermaßen klar und geordnet denken konnte, und so wusste ich, dass es hier nur darum ging, dass ich Hilfe bekam.
Wir folgten dem Arzt die Treppen rauf zu seinem Büro, welches sich in der Nähe der Station 3 befand. Es war hell und freundlich eingerichtet und mir fiel ein Foto von einer Frau und zwei Kindern auf dem Schreibtisch auf. Er hatte also Familie, und ich hoffte einfach mal, dass damit die Chancen, dass er nett war, gut standen.
Er bot uns aber nicht die Plätze vor dem Schreibtisch an, sondern setzte sich an eine schöne Sitzgruppe auf der anderen Seite des Raumes und wies uns die beiden anderen Plätze dort zu.
„Vor dem Schreibtisch ist es doch ungemütlich, oder?“, bemerkte er und lächelte wieder. Er hatte ein Klemmbrett mit Blättern und einen Stift in der Hand und schob eine Box mit Taschentüchern so hin, dass ich leichter dran kam.
Einen Moment lang herrschte eine etwas unangenehme Stille. Ich wusste nicht recht, wo ich anfangen sollte, und der Arzt wollte wohl mir den Anfang überlassen.
Als er bemerkte, dass ich diesen Anfang gerade nicht fand, sagte er: „Frau Dr. Matsuyama sagte mir, Sie hätten diese Herzbeschwerden schon einmal gehabt. Können Sie mir beschreiben, wie diese Schmerzen entstehen, wie es dazu kommt?“
„Ich hab das schon lange, dass mein Herz wehtut, wenn es mir nicht gut geht“, antwortete ich und war ein bisschen überrascht, wie ruhig ich dabei klang. „Es war aber nie so schlimm, dass ich zusammengebrochen bin oder so … Aber jetzt vor einer Woche oder so, da hatte ich nachts Albträume … und bin mit höllischen Schmerzen aufgewacht …“
„Und das hing direkt mit dem Albtraum zusammen?“
Ich nickte. „Die Schmerzen gingen schon im Traum los.“
„Können Sie sich noch erinnern, was in dem Traum passiert ist?“
Wieder nickte ich, doch ich fühlte mich absolut nicht danach, diesen Albtraum von Mamas Tod wieder hochzuholen und darüber zu sprechen. „Ich weiß den Traum noch … aber ich kann jetzt nicht darüber reden.“
„In Ordnung. Wir haben ja Zeit. Wenn Sie weiter Termine bei mir haben, können Sie später darüber sprechen, wenn es Ihnen dann möglich ist“, sagte Dr. Niimura und sah mich einen Moment lang abwägend an, ehe er fragte: „Wie ist es denn im Augenblick … mit Ihren anderen Symptomen? Frau Dr. Matsuyama sagte, Sie hätten das schon selbst benannt, aber das hat Ihnen noch kein Arzt oder Psychologe bestätigt, oder?“
Ich schüttelte den Kopf. Meto sah mich an und rückte dann näher zu mir, streckte die Hand aus und berührte mich leicht am Arm, einfach, um mir zu zeigen, dass er bei mir war.
„Wie sind Sie denn auf den Gedanken gekommen, dass es sich bei ihren Problemen um eine Borderline-Störung handeln könnte?“
Ich erinnerte mich daran, an diesen schmerzhaften Moment nachts im Tempel, als ich dieses Wort zum ersten Mal auf mich selbst bezogen hatte. Und an dieses Gefühl von Ähnlichkeit, das ich bei Hitomi gleich zu Anfang schon gehabt hatte.
„Ich kann es nicht richtig erklären …“, sagte ich leise. „Ich weiß nur einfach, was mit mir nicht stimmt. Ich hab dieses Wort gehört und wusste irgendwie sofort, dass es mit mir zu tun hat, verstehen Sie?“
„Und wann war das?“
„Letzten Herbst. Ich hab eine kennen gelernt, im Hikuyama-Tempel, und irgendwie kam mir was an ihr so bekannt vor, und dann … na ja, sie hat dann versucht, sich das Leben zu nehmen … und da hab ich zum ersten Mal dieses Wort Borderline auch auf mich bezogen …“
„Kannten Sie es vorher schon?“
„Nicht wirklich, nur so, wie man es halt hört. Ich … bin so was früher immer … möglichst aus dem Weg gegangen … weil meine Mutter ja herzkrank war und … ich fand Krankheiten jeder Art unheimlich irgendwie …“ Meine Stimme zitterte, als ich mich an früher erinnerte. Hätte ich damals schon mehr über diese Krankheit Borderline gewusst … dann wäre mir früher sicher schon aufgefallen, dass ich auch da schon anfällig dafür gewesen war.
„Herzkrank war?“, wiederholte Dr. Niimura, „Wie geht es Ihrer Mutter denn jetzt?“
Ich fühlte einen schmerzhaften Stich am Herzen, wie von einer scharfen Nadel, und bekam einen Augenblick lang kaum Luft.
„Sie ist gestorben.“ Meine Stimme hatte kaum Klang, es war eher ein tonloses Flüstern, und ich fühlte schon Tränen in meinen Augen. „Vor etwas über zwei Jahren …“
„Oh, das tut mir leid …“ Der Arzt sah ehrlich betroffen aus. „Das tut Ihnen noch sehr weh, nicht wahr?“
Ich nickte, und da lief die erste Träne über meine Wange. Meto war sofort nah bei mir und berührte mich am Rücken, streichelte vorsichtig und sah mich besorgt an.
Ich fühlte, wie der Schmerz in meiner Seele zusammen mit dem meines Herzens anstieg, und wie damit auch der Druck in mir wieder mehr wurde. Ich hatte zwei Gründe, mir jetzt selbst wehtun zu wollen: Diesen Druck abzubauen, und den seelischen Schmerz mit körperlichem zu überdecken. Denn das Stechen in meinem Herzen reichte dafür nicht aus.
Und so begann ich wieder, mich zu kratzen, und kurz flammte in mir der Wunsch auf, jetzt bei der Arbeit im Studio zu sein, alleine, und mir einfach irgendein Tattoo selbst zu stechen, nur um mir weh zu tun. Einen Moment lang tauchte ich komplett in meine Innenwelt ab, aus der ich aber Sekunden später wieder herausgerissen wurde, weil Meto meine mich selbst kratzende Hand ergriff und festhielt, mich stoppte.
Ich schreckte aus der Fantasie auf und sah kurz den Arzt an, konnte dessen Blick nicht recht deuten. Er sah nicht schockiert oder unfreundlich aus, nur besorgt, wahrscheinlich hatte er sehr viele Patienten, die so vor ihm saßen wie ich jetzt und weinten und sich selbst wehtaten.
„Darf ich fragen … wie lange Sie so etwas schon tun?“, fragte er.
„Schon … lange“, brachte ich leise und immer noch weinend heraus. „Früher waren’s nur die Tattoos und das alles … aber seit … Mamas Tod, da hab ich … irgendwie die Kontrolle darüber verloren …“
Und dann ging es irgendwie ganz leicht, das Reden. Obwohl ich immer noch Angst hatte und der Schmerz auf meiner Seele brannte, oder vielleicht auch gerade deshalb …
Ich redete über meine Zeit auf der Straße, über die Leere, die Bulimie, die Schuldgefühle, die Hoffnungslosigkeit und den Hass auf mich selbst. Und auch darüber, dass Meto, seit ich ihn kannte, immer da gewesen war, bei mir, und dass es mir heute leid tat, ihm so viel zugemutet und aufgebürdet zu haben.
Dr. Niimura hörte einfach nur zu, schrieb nichts auf, sah mich einfach nur aufmerksam an. Hin und wieder fragte er etwas und ich antwortete, während Meto still neben mir saß und meinen angekratzten Arm streichelte.
„Aoba-san, wissen Sie, dass Sie sich sehr glücklich schätzen können, eine solche Beziehung zu haben?“, fragte der Arzt schließlich. „Viele Menschen mit Borderline bekommen das gar nicht hin. Aber Sie haben jemanden und für mich sieht es auch so aus, als ob ihre Beziehung funktioniert.“ Er sah sowohl mich, als auch Meto anerkennend an.
Meto sah mich einen Moment lang an, dann sagte er leise in Richtung des Arztes: „Er … aber trotzdem … Angst hat … dass ich ihn … allein lasse …“
„Woher kommt denn diese Angst?“, fragte Dr. Niimura mich ganz direkt, und hatte ich mich eben noch fast wieder gut gefühlt, so musste ich jetzt schon wieder weinen.
„Ich … hab einfach Angst … dass ich zu schwierig bin … dass er mich irgendwann … nicht mehr aushält und … ich weiß, dass ich … dann ohne ihn … nicht mehr leben mag …“ Es war das erste Mal, dass ich das so aussprach, den Gedanken daran, dass ich ... ja, Angst hatte, wieder suizidal zu werden, falls Meto mich wirklich mal länger allein lassen würde.
Mein Herz tat wieder weh und ich hatte wirklich Angst, dass Metos Hand jetzt von meinem Arm verschwinden würde. Doch das tat sie nicht. Stattdessen stand Meto auf und umarmte mich einfach, hielt mich fest, während ich sein Shirt nassweinte.
„Tsu, mein Herz, ich bin doch bei dir …“, flüsterte er. „Ich kann dich doch gar nicht alleine lassen.“
Einen Moment lang blieb es so, Meto umarmte mich, ich weinte, und Dr. Niimura sah einfach zu. Und als mein Liebster sich dann vorsichtig wieder von mir löste, sich wieder setzte und meine Hand ergriff, sein Daumen streichelte über meinen Handrücken, da sagte der Arzt: „Das ist wirklich beeindruckend, das muss ich Ihnen beiden mal so sagen. Ich hab so einige Menschen mit Borderline in Behandlung und kaum einer von diesen Menschen hat eine solche Liebesbeziehung wie die Ihre. Halten Sie das bitte mit aller Kraft fest.“
Ich schluchzte noch, konnte nicht antworten, und so sagte Meto an meiner Stelle mit seiner leisen Stimme: „Ich … lieb ihn … halt so sehr …“
Dr. Niimura hielt mir die Box mit den Taschentüchern hin und ich wischte mir die Tränen und die Reste meines leichten, nun aber völlig ruinierten Makeups aus dem Gesicht.
„Tut mir leid, ich … fange immer so leicht an zu weinen …“, sagte ich mit noch erstickter Stimme.
„Das ist vollkommen in Ordnung“, widersprach mir der Arzt. „Es wäre viel schlimmer, wenn es Ihnen so schlecht ginge und Sie nicht weinen könnten.“
Er stand auf und holte etwas vom Schreibtisch, das ich als Broschüre einer Medikamentenfirma erkannte. „Aoba-san, wie wäre es, wenn Sie sich das hier zu Hause mal ansehen?“
„Was ist das?“, fragte ich.
„Da steht etwas über die Medikamente drin, die für Sie infrage kommen. Ich hab Ihnen da schon welche unterstrichen, die wegen Ihrer möglichen Herzprobleme geeigneter sind als die klassischen Präparate. Gesetzt natürlich den Fall, dass Sie überhaupt eine medikamentöse Therapie möchten …“
„Ich … weiß nicht, ob ich das will …“, gab ich zu.
„Was macht Sie da denn unsicher?“
„Weiß nicht … mir ist das irgendwie unheimlich …“
„Schauen Sie beide es sich einfach gemeinsam mal an. Und wenn Sie Fragen haben, rufen Sie mich an. Außerdem … können wir beim nächsten Mal auch über ein verhaltenstherapeutisches Therapieprogramm sprechen. Aber lassen Sie das hier erst einmal sacken und ruhen Sie sich aus.“
Dr. Niimura gab mir noch eine Visitenkarte mit seiner Telefonnummer mit und ich steckte sie zusammen mit der Broschüre ein.
Wir verabschiedeten uns und verließen die Klinik, Meto hielt meine Hand, und als wir auf dem Heimweg wieder durch den Park kamen, packte mich plötzlich der heftige Wunsch danach, dass er meine Hand nie, niemals wieder loslassen sollte. Er sollte immer bei mir bleiben, denn ich würde es nicht überleben, wenn er mich verließ.
„Meto“, sprach ich ihn an, er blieb stehen, sah mich an und ich umarmte ihn, ganz eng und fest. „Lass mich niemals los …“
Er sagte nichts, ich fühlte nur, wie seine Hände über meinen Rücken streichelten. Irgendwie wirkte er ein wenig … verwirrt und nachdenklich, so als hätte das Gespräch eben mit dem Psychiater etwas in ihm durcheinander gebracht und er müsste sich jetzt erst wieder ordnen.
Wir gingen den Rest des Weges nach Hause wieder Hand in Hand, mein Herz klopfte und ich fühlte die Wärme, die von Metos kleiner Hand ausging und mich mit neuer Kraft füllte.
Als wir wieder in der Wohnung waren, setzte Meto sich gleich vor die Spielekonsole und ich legte mich aufs Bett. Ich hatte das bestimmte Gefühl, dass er wirklich ein bisschen durcheinander war, und so traute ich mich irgendwie nicht, ihn jetzt anzusprechen und zu fragen, ob irgendwas war.
Und es machte mir Angst. Wenn irgendwas von dem, was Dr. Niimura gesagt hatte, meinen Liebsten jetzt verwirrt hatte und er jetzt vielleicht … Abstand oder so was wollte … weil er mit dem bewussten Wissen, mit einem Borderliner wie mir zusammen zu sein, doch nicht umgehen konnte … Was dann?
Meine Angst davor, dass er mich allein ließ, flüsterte mir diese Dinge zu, brachte mich dazu, mir vorzustellen, wie Meto heute Abend vielleicht auf der Couch schlafen wollte, statt mit mir in einem Bett, und dass er dann … morgen vielleicht nicht mehr da sein würde …
Sofort fühlte ich verzweifelte Tränen in meinen Augen und mein Herz begann zu schmerzen. Es war so leicht, mich in diese Verzweiflung zu stürzen, ein einziger Gedanke reichte aus. Und es tat so furchtbar weh!
Ich biss mir auf die Lippen, während sich meine Fingernägel wieder einmal in meine Unterarme bohrten und ich mich so zu entspannen versuchte.
In dem Moment summte mein Handy in meiner Hosentasche, ich erschrak, zog es heraus und sah, dass Koichi mir eine Nachricht geschrieben hatte. Auf meinem Blog war anscheinend wieder ein Hasskommentar aufgetaucht und Koichi berichtete mir, dass er sich darum schon gekümmert hatte.
Dadurch abgelenkt, beruhigte ich mich wieder ein wenig und schrieb ein kurzes Danke mit Herzchen an meinen besten Freund, woraufhin er mich Sekunden später anrief und fragte, wie es gelaufen war.
Ich erzählte ein bisschen was, dass der Arzt eigentlich ganz nett war, aber mich schon gleich auf das Thema ‚Medikamente‘ angesprochen hatte. Kurzentschlossen bat ich Koichi, mir da zu helfen und sich die Broschüre und etwaige andere Informationsquellen mit mir zusammen anzusehen. Ich wollte Meto, weil ihn das Thema anscheinend ja verwirrte, nicht gleich damit belasten.
Koichi fragte, was los sei, und ich erzählte ihm, auch weil ich drüber sprechen musste, von meiner Vermutung, dass Meto dieses Gespräch mit dem Psychiater im Nachhinein nicht so gut vertragen hatte. Ich hörte dabei selbst die Angst in meiner Stimme.
Koichi sagte, dass ich Meto ein bisschen Zeit lassen sollte. Dass es ja für uns beide, Meto und mich nicht einfach war, weil wir beide mit dieser Situation im Moment und der Tatsache, dass ich eben krank war, zurechtkommen mussten.
Ich konnte mir nicht vorstellen, wie das gehen sollte, Meto diese Zeit zu lassen. Bedeutete das Abstand? Distanz, bis er nicht mehr so verwirrt war? Der Gedanke machte mir Angst.
„Indem du einfach so bist wie immer. Ich kann mir vorstellen, dass so ein Gespräch das Bild, was Meto von dir hat, durcheinander bringen kann. Zeig ihm jetzt einfach, dass du noch derselbe Mensch bist wie sonst auch“, sagte Koichi und zerstreute damit wieder einmal meine Angst.
Ich war davon so gerührt und auch noch so angegriffen von der Angst, dass ich einfach nur „Danke, Ko“ sagte und dann ohne ein weiteres Wort auflegte.
In dem Moment kam Meto aus dem Wohnzimmer, blieb im Türrahmen stehen und sah mich eine Weile nur nachdenklich an. Ich blickte zurück und versuchte so was wie ein Lächeln.
„War das gerade Koichi?“, fragte er.
Ich nickte.
Meto kam zum Bett, setzte sich auf die Kante und einen Moment herrschte wieder Stille, dann sagte er leise: „Tsu … ich … ich bin ein bisschen … durcheinander …“
Ich fühlte meine Angst, brachte nur ein leises „Warum?“ heraus.
„Wegen dem, was der Arzt gesagt hat … von den Leuten, die keine Beziehung hinbekommen … und so, ich … weiß nicht, was ich davon halten soll.“
Das war ziemlich genau das, was ich befürchtet hatte. Dass Meto sich jetzt fragte, wie stabil das zwischen uns wirklich war, wenn es doch zu meiner Krankheit gehörte, Beziehungen nicht auf die Reihe zu bekommen.
Meine Angst war mir wohl deutlich anzusehen, denn Meto sah mich erschrocken und besorgt an und fragte dann leise: „Oh … hab ich dir jetzt … irgendwie weh getan?“
Ich riss mich mit aller Kraft, die ich nur hatte, zusammen, und schüttelte den Kopf, griff seine Hand, sah ihm fest in die Augen und antwortete: „Meto, hör mir gut zu: Ich krieg das hin, das mit uns! Ich lass nicht zu, dass das irgendwelche Schäden abkriegt! Das mit dir und mir, das ist das Wichtigste und Allerwertvollste in meinem Leben und das wird nichts und niemand kaputtmachen, schon gar nicht dieses Borderline-Ding in meinem Kopf, hörst du?!“
Ich sah Tränen in seinen Augen und spürte, er hatte genauso große Angst wie ich. Angst, dass ich mich zum Schlechten verändern würde und dass unsere Beziehung dann nicht mehr funktionierte.
Um ihn und auch mich selbst zu überzeugen, dass das nicht passieren würde, und dass wir zusammen blieben und gemeinsam irgendwie glücklich wurden, beugte ich mich vor, griff in Metos Nacken und zog ihn sanft zu mir, um ihn mit all meiner Zärtlichkeit und Liebe zu küssen. Es war ein süßer, unschuldiger Kuss, nur schönes Gefühl, aber keine Lust oder dergleichen. Ich war selbst ein wenig verwundert, dass ich einen solch reinen Kuss ohne jedes sexuelle Verlangen hinbekam.
Als ich ihn wieder löste, lächelte mein Liebster und ich wusste, er fühlte sich wieder sicher.
„Wollen wir … schlafen gehen?“, fragte er leise. „Oder noch irgendwas essen?“
„Ich hab keinen Hunger“, antwortete ich. „Aber du kannst ja essen.“
Meto stand auf, ging in die Küche, und ich erwartete, dass er sich irgendwas zu essen machte. Doch stattdessen kam er bald zurück und hatte eine Schale mit Früchten in der Hand, die wir gestern Abend gekauft hatten. Er schälte einen Apfel, schnitt ihn in kleine Stücke und hielt mir eins der Stückchen vor die Nase. „Mund auf, Tsu.“
Ich sah das Stückchen Apfel an und fühlte dabei in mich hinein, ob ich es jetzt würde essen können, ohne dass mir schlecht wurde. Es fühlte sich unsicher an. Ein Stück Obst war nicht so schlimm wie ein Stück Brot oder so etwas, aber … ich wollte es eigentlich nicht wieder ausspucken. Also besser gar nicht erst essen.
„Komm, Tsu, mach den Mund auf und iss“, bat Meto und sah mich so lieb an, dass ich mich wieder sicherer fühlte und das Obststückchen mit meinen Lippen aus seiner Hand nahm.
„Sehr gut“, lobte er mich und hatte gleich das nächste Stück für mich bereit.
Irgendwas in mir genoss dieses Spiel sehr, mochte gern gefüttert werden, und so machte ich mit und aß den Apfel Stückchen für Stückchen ganz auf. Zwischendurch nahm Meto sich auch selbst davon, sagte aber, dass er gleich noch was Richtiges essen wollte.
Und während er sich dann in der Küche noch Reis mit Soße machte, lag ich einfach auf dem Bett und fühlte mich irgendwie gut. Schließlich stand ich auf, ging zu Meto in die Küche und rauchte am offenen Fenster eine Zigarette, und gleich noch eine zweite hinterher, bis ich innerlich ganz ruhig war.
„Du rauchst gar nicht mehr, ne?“, fragte ich ihn, weil mir auffiel, dass ich ihn schon lange nicht mehr mit einer Zigarette gesehen hatte.
„Ich muss das nicht“, antwortete er. „Nur, wenn ich Lust auf den Geschmack habe.“
„Und hast du?“, fragte ich und hielt ihm meine Zigarette hin.
Meto schüttelte den Kopf. „Jetzt gerade nicht.“ Er kam auf mich zu, nahm mir die Zigarette aus der Hand und drückte sie auf dem äußeren Fenstersims aus. „Komm, ich esse eben auf und dann hab ich Lust auf einen ganz anderen Geschmack …“
Ich erriet, was er meinte, und grinste. „Welchen denn?“, fragte ich, weil ich es von ihm hören wollte.
Meto legte seine Arme um meinen Hals, barg sein Gesicht an meiner Halsbeuge und flüsterte mit einer leicht rauen Stimme, die mich ein wenig überraschte: „Den Geschmack deiner Haut …“
Ich lachte leise, und er fügte noch hinzu: „Ich will … dich vernaschen …“
Ich konnte nicht anders, als sein Gesicht mit meinen Händen leicht anzuheben und ihn wieder zu küssen. Dieser Kuss fiel deutlich heißer und lustvoller aus als der vorhin, weil mich schon die Vorfreude erfüllte auf das, was gleich folgen würde.
Metos Essen blieb auf dem Tisch stehen und würde kalt werden, doch das war uns beiden egal. Ich schloss nur eben das Fenster und dann hielt uns nichts mehr, weder ihn noch mich. Nur war es diesmal er, der sich mit den Lippen über meinen Hals hermachte und mich vor sich her in Richtung Schlafzimmer schob, mich auf dem Weg dorthin immer wieder küsste, und dessen Hände deutlich verlangend unter mein Shirt schlüpften und an Knopf und Reißverschluss meiner Hose herumnestelten, bis beides offen war und ich rückwärts aufs Bett fiel.
Meto zog sich das Shirt über den Kopf, schob seine legere Hose runter und ich sah, dass er schon ziemlich erregt war, hörte es auch an seinem raschen Atmen. Ich beeilte mich mit dem Ausziehen, und da kam mir der Gedanke: ‚Jetzt könnten wir doch … eigentlich auch mal tauschen …‘
„Willst du … jetzt … tauschen?“, fragte ich darum, nackt ausgezogen auf dem Bett liegend, und sah meinen Liebsten an, der, ebenfalls unbekleidet, vor mir saß.
Schon an seinem Blick sah ich, dass jenes ‚Positionen tauschen‘ nicht das war, was er jetzt mit mir vorhatte. Vielleicht brauchte er noch ein wenig bis dahin. Er schüttelte den Kopf, kam näher, bis er neben mir kniete und sich über mich beugte, und antwortete: „Nein. Aber bald … Aber das, was ich jetzt möchte … ist auch neu.“
„Und was ist das?“, fragte ich, jetzt mit aufflammender Neugierde.
Meto antwortete erst nicht, stattdessen kniete er sich über meine Beine und beugte sich wieder runter, bis seine Lippen an meinem Ohr waren. „Ich will nur auch … mal oben sein.“
„Reiten?“, fragte ich, unverblümt wie ich eben war. Es war wirklich süß, dass er das nicht so direkt aussprach wie ich, und wie er wieder rot wurde …
Meto nickte, mit roten Wangen und Ohren, und gleichzeitig leuchtete in seinen Augen eine solche Lust und ein eindeutiges Verlangen, das die doch ein wenig mädchenhafte Röte wieder wett machte und mir deutlich zeigte, dass er richtig geil auf mich war, auch wenn er es anders ausdrückte als ich.
„Und wie?“, fragte ich, ein wenig herausfordernd. „Wie möchtest du es?“ Ich wollte, dass er es mir sagte, in seinen eigenen Worten, mit seiner leisen, lieben Stimme und dieser absolut süßen Röte auf den Wangen. Zum einen für mich, weil es mir gefiel, ihn ein bisschen herauszufordern, und auch, weil ich das für ihn selbst wichtig fand.
Meto wich meinem Blick aus, sah nach unten, auf seine Hände, mit denen er sich links und rechts von meiner Brust abstützte. „Ich … möchte auf deinem Schoß sitzen … und dich umarmen ... und küssen … und dass du dabei … in mir bist …“, sprach er leise, seine Stimme zitterte ein wenig vor Aufregung.
Ich lächelte. „Also willst du es mal im Sitzen?“
Er nickte, ein kleines Lächeln huschte über seine vollen Lippen und das Rot auf seinen Wangen und Ohren wurde ein bisschen weniger. Langsam erhob er sich und ich rutschte zur Bettkante, dorthin, wo das Gleitgel in der Nachttischschublade lag, setzte mich aufrecht hin und bedeutete Meto, sich auf meine Oberschenkel zu setzen.
Es war so lange her, dass ich in dieser Stellung mit jemandem Sex gehabt hatte, ich konnte mich nicht einmal erinnern, mit welcher meiner früheren Freundinnen das gewesen war. Die kurze Erinnerung daran war ganz blass und fühlte sich eigenartig fremd an, und ich schob sie schnell beiseite, nachdem ich wieder wusste, wie Sex in dieser Haltung überhaupt ging.
„Meto …“, sprach ich den Namen meines Liebsten aus, um mich wieder ganz ins Hier und Jetzt zu bringen, und als er mich fragend ansah, sagte ich leise: „Ich … hab das lange nicht gemacht, ich bin nicht sicher, ob ich dir nicht vielleicht wehtun werde …“
Er senkte den Kopf und küsste mich, dann flüsterte er: „Ich halte das schon aus, Tsuzuku.“
Ich griff zur Seite, öffnete die Schublade und nahm die Tube Gleitgel heraus, tat mir hinter Metos Rücken etwas davon auf die Finger und tastete, als er sich etwas anhob, nach seinem Eingang.
Er seufzte leise, seine Hände lagen auf meinen Schultern, und als ich den Blick hob und zu seinem Gesicht sah, hatte er die Augen geschlossen und seine weichen, vollen Lippen leicht geöffnet, schien schon diese kleine Berührung da unten zu genießen.
Und ich wusste da noch etwas, was er sehr mochte: Ich senkte den Kopf, verteilte kleine Küsschen über seine Schulter und das bunte Tattoo, leckte zärtlich über seine nach ihm schmeckende Haut und drückte dann meine Lippen liebevoll auf seine zarten, süßen, hellen Nippel, zuerst auf die eine, die sich augenblicklich erregt festigte und sanft rötete, dann die andere, die ebenso reagierte.
Mein Liebster stöhnte, zuerst leise, dann ein wenig lauter, der genießende Ausdruck auf seinem Gesicht wurde geradezu wunderschön und sein kleines Loch zog sich so süß zusammen, als ich mit dem Finger dagegen drückte und schon ein wenig eindrang, während ich die erregte Knospe seiner rechten Brustwarze zwischen meine gespaltene Zunge nahm.
„Tsu…zuku …!“, sprach er meinen Namen aus, legte seine Arme um meinen Hals und drückte sich sehnsüchtig und erregt an mich, ich fühlte sein Glied und seinen Lusttropfen an meinem Bauch.
„Ich weiß doch, wie sehr du das liebst“, sagte ich, während meine Finger fortfuhren, seinen Eingang und sein heißes Inneres zu weiten. Er war bereit und weich, es ging ganz leicht und ich konnte sicher sein, dass es ihm nicht wehtat.
Ich fühlte schon ein leichtes Pochen in meinem Glied, das sich verlangend danach sehnte, Metos Inneres zu erobern und ihn richtig zum Stöhnen zu bringen.
„Bereit?“, fragte ich, obwohl ich wusste, dass er es war.
Er nickte, küsste mich, dann hob er sich ein Stück weit an und senkte sein heißes, weiches Loch langsam auf mein hartes Glied. Ich sah ihn an, beobachtete das genießende, lustvolle Spiel seiner Mimik, dann senkte er den Kopf und küsste mich wieder, meine Lippen, meinen Hals, die kleine Vertiefung an meinem Schlüsselbein, meine Schulter, die Tattoos, das Implantat, einfach alles, wo er in dieser Position herankam.
Ich seufzte wohlig, was er zum Anlass nahm, mit seiner gepiercten Zunge über meine Haut zu lecken, und ich dachte an das, was er vorhin vom Geschmack meiner Haut gesagt hatte.
„Tiefer …“, flüsterte er gegen meine Haut. „Ich will dich … tiefer in mir …“
Ich lachte leise. „Das musst du selbst machen. In dieser Haltung kann ich nicht stoßen …“
Irgendwas daran schien ihm zu gefallen, denn er küsste mich wiederum und lächelte, dann lehnte er sich ein wenig zurück, hielt sich dabei an meinen Schultern fest und begann, seine Hüfte zu bewegen. Ich hielt ihn fest und er legte seine Beine um mich, wir klammerten uns aneinander, während er sich leicht auf und ab bewegte und die Verbindung zwischen uns immer heißer wurde.
„Gefällt dir das?“, fragte ich mit weicher Stimme, und Meto seufzte ein süßes, erregtes „Jaah…“, seine Arme um meinen Nacken griffen ein wenig fester zu. Da ich in dieser Position nicht so wirklich stoßen konnte, blieben meine Gedanken noch recht klar und ich konnte meinen Liebsten ganz bewusst dabei beobachten, wie er sich an meinem Körper selbst in die tiefen Sphären seiner eigenen Lust und Erregung begab. Ich fühlte sehr, sehr deutlich, wie geil er war und dass er meinen Körper sehr liebte und begehrte.
Seine ganze Körpersprache drückte reinste Ekstase aus und als ich ihn weiter streichelte und wiederum seine süßen, rosa Nippel zärtlich küsste, bog er sich mir sehnsüchtig entgegen, stöhnte ein leises „… Mehr …!“ und dabei veränderte sich der Winkel, wie ich in ihm war.
Er schrie auf, in einem Ton, der mir eindeutig sagte, dass ich jene hochsensible, süßeste Stelle in ihm getroffen hatte, und senkte sich ganz auf mich, mein Glied vollkommen in seiner heißen Tiefe, seine Hände krallten in meinen Rücken. Ein tiefer Laut kam über seine Lippen, wie ich ihn noch nie von Meto gehört hatte.
Und irgendwie machte mich diese seine Lust so sehr an, dass ich allein von diesem Laut und dem Ganz-tief-in-ihm-sein fast gekommen wäre.
„Meto …“ keuchte ich seinen Namen, er sah mich an und ich versank in seinen braunen Augen. „Das ist … ahhh … ohhh jaaah, oh Gott, so schön … Ich … ohhh … liebe dich …!“
Ein Lächeln huschte über seine lustvoll verzogenen Lippen, er senkte den Kopf, presste seine Lippen heiß und fest auf meine, und in dem Augenblick zog sich sein heißes Inneres eng zusammen und er kam, atemlos gegen meine Lippen stöhnend, mit geschlossenen Augen.
Meinen eigenen Höhepunkt spürte ich kaum, es war nur ein kurzes Erbeben meines Unterleibs und das Fühlen meines Samens im heißen Körper meines Liebsten. Der schönste Moment war das davor gewesen, als ich ihm in die Augen gesehen hatte. Diese wunderschönen braunen Augen, in denen ich jedes Mal am liebsten versinken wollte, weil sie diesem so wundervollen jungen Mann gehörten, der mein Herz liebend in seinen Händen hielt und es beschützte.
Ich ließ mich schwer atmend auf den Rücken sinken, Meto über mir, er sank ganz auf mich und eine Weile blieben wir so liegen, Haut an Haut, sein Gesicht an meinem Hals, seine Hände zwischen uns an meiner Brust. Sie tasteten über meine schweißnasse Haut, fanden meine Brustwarzen, berührten sie ganz leicht und vorsichtig. Ich fühlte mich schwebend, mein ganzer Körper war voller Liebe und wurde noch von den süßen Nachwellen der Lust durchströmt. Und so war mir ein kleines Nachspiel mehr als recht und ich genoss es sehr, dass mein Liebster mich noch ein bisschen verwöhnte und der Sex noch nicht ganz vorbei war.
Er hob den Kopf und küsste mich, hauchte ein leises „Ich liebe dich, Tsuzuku“ und ich fühlte, dass ich ihn glücklich gemacht hatte. Der Gedanke, dass wir jetzt fast gleichauf waren, gefiel mir nochmal besser, und ich freute mich schon darauf, dass wir demnächst mal ganz tauschten und ich erfahren würde, wie es sich anfühlte, wenn er in mich eindrang.
Kurz darauf löste Meto sich langsam wieder von mir, mein jetzt wieder weiches Glied glitt aus seinem Innern, und er legte sich zum Schlafen hin. Ich tat es ihm gleich, nachdem ich seinen Samen von meinem Körper weggewischt hatte, und dann deckte er uns beide zu, kuschelte sich eng an mich und drückte einen liebevollen Kuss auf meine Stirn.
„Schlaf schön, Tsu, und träum süß. Ich liebe dich.“
Mitten in der Nacht wachte ich wieder auf. Ich hatte total wirres, unerklärbares Zeug geträumt und brauchte einen Moment, bis ich wieder klar und ganz wach war. Meto lag neben mir und schlief tief und fest, ich spürte seine Nähe und hörte ihn ruhig atmen.
Licht anzumachen traute ich mich nicht, weil ich ihn nicht wecken wollte, und so blieb ich im Dunkeln liegen und versuchte erst, wieder einzuschlafen. Doch als ich zehn Minuten später immer noch wach lag, stand ich doch auf, sammelte meine Shorts vom Boden auf, zog sie an und ging rüber in die Küche, wo ich das Fenster öffnete und mir eine Zigarette anzündete.
Und natürlich, als ich da stand und rauchte und aus dem Fenster sah, fingen in meinem Kopf wieder die Gedanken an, sich zu drehen. Das Gespräch mit Dr. Niimura ging mir durch den Kopf, und Metos Unsicherheit danach.
Wir hatten beide Angst: Er davor, dass es mit mir schlimmer wurde, und ich davor, dass er mich infolge dessen allein lassen könnte. Und sobald ich mit den Gedanken an diese Angst stieß, war sie da und tat mir weh. Ich versuchte, sie wegzuschieben und abzuschütteln, wusste doch, dass sie im Augenblick eigentlich unbegründet war, doch sie flüsterte mir unerbittlich zu, dass ich krank und schwierig war und dass ich darum Angst haben musste, verlassen zu werden.
Ich nahm noch einen Zug Rauch, drückte die Zigarette dann aus und schloss das Fenster. Mein Herz tat wieder weh und ich spürte schon wieder Tränen in meinen Augen. Nachts alleine hier sitzen und weinen, das wollte ich nicht, und so ging ich ins Schlafzimmer zurück und legte mich wieder hin, nah neben meinen Liebsten.
Der Mond, der vorhin vielleicht hinter Wolken versteckt gewesen war, schien jetzt durch das Fenster herein, und ich sah Meto an, hob die Hand und strich ihm vorsichtig die blau gefärbten Haarsträhnen aus der Stirn. Ihn zu berühren, tat mir gut, einfach zu fühlen, dass er bei mir war, und zu wissen, dass er mich liebte.
Er gab im Schlaf einen leisen Laut von sich und wandte sich mir zu, was mich dazu brachte, ihn ganz sanft zu küssen.
„Mhh …“, machte er, und dann kam ein leises, schlafendes „Lieb dich, Tsu“ über seine Lippen. War er zwischen Wachsein und Schlaf, oder träumte er vielleicht sogar gerade von mir? Der Gedanke ließ mein Herz klopfen und ich antwortete leise: „Ich lieb dich auch.“
Kurz spielte ich mit dem Gedanken, Meto ganz zu wecken, doch ich entschied mich doch dagegen. Schließlich wollte ich ja nicht allzu egoistisch sein. Und wenn er gerade so schön von mir träumte, dann ließ ich ihn ja wohl lieber schlafen.
Ich kuschelte mich eng an ihn, zog die Bettdecke hoch und sah ihn an, bis ich irgendwann wieder eingeschlafen war.
Als ich wieder aufwachte, war es hell. Ich fühlte Metos nackten, warmen Körper an meinem und hörte seine liebe, leise Stimme: „Wach auf, Tsuzuku, die Sonne scheint.“
Grummelnd drehte ich den Kopf in seine Richtung, blinzelte und blickte in Ruanas schokobraunes Teddygesicht direkt vor meiner Nase. „Tsu aufwachen, schon spät ist.“
„Will schlafen …“, brummte ich, war noch nicht wirklich wach.
Meto lachte und ließ Ruana mit dem Köpfchen wackeln. „Es ist Viertel vor sieben, mein Schatz.“
Mit einem Ruck fuhr ich hoch. „Fuck!“
„Alles gut, Tsu, ich bin doch auch noch nicht aufgestanden“, sagte Meto, erhob sich dann aber ebenfalls und begann, seine Klamotten vom Boden aufzusammeln. „Willst du zuerst duschen?“
Ich verschwand also als Erster im Bad, warf meine Shorts in den Wäschekorb und stellte mich unter die Dusche. Meto kam kurz nach mir rein, steckte die Wäsche in die Maschine und stellte diese an, dann ging er wieder, sagte, dass er erst mal Frühstück machen wollte.
Als ich dann mit Duschen fertig war und angezogen vor dem Spiegel stand, um den Rest meiner Morgenroutine zu erledigen, kam er zurück und ging jetzt selbst duschen. Ich sah ihm über den Spiegel ein wenig dabei zu, er bemerkte es, lächelte und sagte: „Eigentlich hätten wir auch mal wieder zusammen duschen können, oder?“
Ich drehte mich zu ihm um. „Ja, eigentlich schon …“
„Nächstes Mal“, antwortete er. „Dann können wir erst zusammen duschen und dann ins Bett.“
„Wie wär’s mit heute Abend?“, fragte ich mit einem schon leicht anzüglichen Ton in der Stimme.
Meto grinste, sein süßestes, breites Grinsen. „Gerne, mein Schatz.“
Ich ging schon mal in die Küche und machte wie jeden Morgen das Fenster auf, um meine erste Zigarette an diesem Tag zu rauchen. Dabei schaute ich nach draußen, wo die Sonne schien und die Kirschbäume immer noch blühten, wenn auch schon viele der zartrosa Blütenblätter auf dem Erdboden gelandet waren.
Ich hatte wieder absolut keinen Appetit und beschloss daher, erst heute Mittag etwas zu essen. Vielleicht fiel mir das Essen später ja doch etwas leichter?
Meto kam in die Küche und setzte sich an den vorhin schon gedeckten Tisch.
„Magst du nichts essen?“, fragte er, und ich schüttelte den Kopf.
Heute nahm er das mal einfach so hin, begann selbst mit dem Frühstück, während ich am Fenster stehen blieb, auch als meine Zigarette aufgeraucht war. Ich sah ihn einfach an, und dabei kam mir wieder diese Frage, die ich oft morgens stellte, wenn wir am Abend zuvor miteinander geschlafen hatten: „Tut’s noch weh?“
„Fast gar nicht.“ Meto lächelte, dann stieg ihm ein sanftes Rosa in die Wangen und er fügte noch hinzu: „Es ist … kein Schmerz. Ich fühl nur, dass du in mir warst …“
„Und … wie fühlt sich das an?“, fragte ich. „Wie ist das danach, wenn wir Sex hatten?“ Ich wollte es wissen, weil ich ja der Verursacher war, und auch weil ich mir ja selbst immer wieder vorstellte, wie es sich wohl anfühlte, jemanden auf diese Weise in sich zu spüren.
Meto sah mich einen Moment lang mit großen Augen an, dann sagte er leise und mit ganz roten Ohren: „Ich fühle mich … ganz weich … und irgendwie halt … körperlich aufgewühlt … aber es fühlt sich schön an …“ Er lächelte leicht, und dann stand er auf und umarmte mich einfach. „Ich hab dich so gern in mir …“
Ich legte meine Arme um ihn, drückte ihn an mich, fühlte mich so geliebt! Und gleichzeitig, im selben Augenblick, spürte ich den Abgrund näher kommen, die Angst.
Einen Moment lang stand ich auf der Grenze dazwischen, schwankte innerlich, mal auf die eine, dann wieder auf die andere Seite. Ich wollte nicht wieder abstürzen, nicht jetzt, wo ich mich doch noch vor einer Sekunde so gut und geliebt gefühlt hatte! Doch es passierte einfach.
„Ich liebe dich, Meto“, flüsterte ich, mehr um es mir selbst bewusst zu machen, und natürlich reagierte er darauf: Er sah mich an, wollte mich küssen, doch dann sah er mir in die Augen, erkannte meine Angst. Seine Hand berührte meine Wange, ganz sanft, und ich wusste nicht, ob es das war oder irgendwas anderes, auf einmal fühlte ich mich vollkommen leer. Da war einfach nichts mehr, gar nichts. Kein Gefühl, kein Schmerz, nur noch ein leeres Rauschen.
„Tsu?“, hörte ich Metos Stimme, nah an meinem Ohr und doch so schrecklich weit weg. „Hey, was hast du?“
Ich konnte nicht antworten, hatte einfach keine Worte mehr. In mir fühlte es sich so an, als hätte ich ein tiefschwarzes Loch in meinem Herzen, so groß, dass von meinem Selbst räumlich gesehen nicht mehr viel übrig sein konnte.
In mir war sonst nur noch eine einzige Frage: Warum jetzt?! Wieso hatte mich diese Leere, dieses tiefe, dunkle Loch, gerade jetzt eingeholt, in einem Moment, in dem ich eben noch furchtbar glücklich gewesen war?!
Ich kämpfte mich aus Metos Umarmung los, ging wie ferngesteuert auf den Flur und begann, meine Schuhe anzuziehen. Irgendwas in mir musste noch da sein und sorgte jetzt dafür, dass ich funktionierte und arbeiten gehen wollte.
„Tsuzuku, was ist los?“, hörte ich Meto hinter mir fragen.
Ich antwortete wieder nicht. Was hätte ich auch sagen sollen? Diese Leere war so schwer zu beschreiben …
Meto kam um mich herum, hockte sich vor mich hin, ergriff meine Hände, die gerade meine Schuhe zubinden wollten, und sah mich abwartend an. Ich blickte zurück, in seine Augen, die mich besorgt und ungebrochen anschauten.
„… Leere …“, kam es über meine Lippen. „Ich … fühl mich … so leer …“
„Wie kommt das denn jetzt?“
Ich zuckte nur mit den Schultern.
Metos Hände hielten meine fest, er zog mich hoch, sah mich dabei an. Und als wir beide wieder standen, umarmte er mich, ganz fest und nah und unnachgiebig. Ich hatte das Gefühl, zu fallen, die Kontrolle zu verlieren, und tatsächlich war es gut, dass er mich jetzt hielt, seine Arme boten mir Halt und ein Gerüst, die Gewissheit, dass ich nicht wirklich fiel.
„Ich lass dich nicht los. Niemals.“ Seine Stimme klang so fest wie der Griff seiner Arme um mich.
Und so schnell die Leere und das Gefühl, bodenlos tief zu fallen, aufgetaucht waren, so schnell verschwand beides wieder und ließ mich erschöpft zurück.
Eine ganze Weile blieben wir so umarmt stehen, langsam kam das zurück, was mein Herz füllte, und ich konnte zu dem zurückkehren, was zuvor gewesen war.
„Danke …“, flüsterte ich schließlich.
„War das gut, wie ich das jetzt gemacht habe?“, fragte Meto leise.
Ich nickte und ein kleines Lächeln huschte über meine Lippen. „Mach das bitte immer so …“
„Ist gut.“ Er klang erleichtert.
Wir machten uns dann beide auf den Weg zur Arbeit. Wieder fuhren wir möglichst weit zusammen mit der Bahn, er brachte mich noch bis vor die Tür des Studios und nahm dann die Bahn zum Café. Ich sah ihm nach, wie er zurück zur Bahnstation ging, dann drehte ich mich um und betrat das Studio, wo mir sofort ein „Guten Morgen“ von Takashima entgegen schallte.
Er stand von seinem Platz auf und kam auf mich zu. „Na, geht’s dir wieder besser, Genki?“
„Passt“, antwortete ich nur und ging dann zu meinem Platz, wo ich meine Tasche ablegte und gleich nachsah, was in meiner Abwesenheit alles gemacht worden war.
„Sorry, eigentlich wollte ich dich im Krankenhaus besuchen. Aber mir ist ‘ne Menge Kram dazwischen gekommen“, sagte Takashima.
„Macht doch nichts …“, erwiderte ich und schlug den Zeichenblock auf, wo mir als erstes die Entwurfszeichnung für mein nächstes eigenes Tattoo entgegenstrahlte. Wann ich wohl endlich dazu kommen würde, es auf meine Haut bringen zu lassen?
Wir machten uns an die Arbeit, wobei ich mich nach wie vor mehr um die Zeichnungen und das Drumherum kümmerte und Takashima die Nadeln vorbereitete. Ich traute mir im Moment noch nicht zu, jemandem was zu stechen, meine Konzentration und Sicherheit reichte nur dafür aus, die Entwürfe auf Papier oder höchstens auf der nicht gegerbten Tierhaut auszuarbeiten.
Aber dann, als ich gerade aus der Mittagspause zurückkam und meine Zigaretten wegpacken wollte, kam Kurata bei mir an und hatte einen Kunden dabei, auf dessen Oberarm sich schon die Vorzeichnung für das Abbild eines Tigers befand.
„Aoba, trauen Sie sich zu, mal wirklich was zu stechen?“, fragte Kurata und stellte mir den Kunden vor: „Das hier ist Hashiyama-san, ein Freund eines langjährigen Kunden.“
Mein Verhältnis zu Kurata war komplizierter geworden, seit meinem Absturz in seinem Büro. Er behandelte mich jetzt mit einer gewissen Vorsicht, schien mich aber nur schwer einschätzen zu können, und ich wusste meinerseits nicht, wie viel ich ihm von meiner Unzulänglichkeit zeigen durfte. Und jetzt, wo er natürlich auch erfahren hatte, dass ich im Krankenhaus gewesen war, war ihm anzumerken, dass er nicht recht wusste, wie er mit mir umgehen sollte.
„Ich weiß nicht, ob ich das schon kann“, antwortete ich halbwegs ehrlich. „Ich kann mich noch nicht wieder so gut konzentrieren …“
Kurata sah mich an und ich glaubte, in seinem Blick zu lesen, dass er gern gewusst hätte, was mit mir los war, mich das aber nicht in Anwesenheit eines Kunden fragen wollte.
„Versuchen Sie es. Wenn was nicht klappt, geben Sie den Auftrag an Takashima weiter, in Ordnung?“
Ich nickte, sammelte mich innerlich, versuchte, mich zu konzentrieren. Kurata gab mir die Papierzeichnung, damit ich die Farben aussuchen konnte, und bevor er wieder in Richtung seines Büros verschwand, sagte er noch zu mir: „Ich möchte mich nachher noch einmal mit Ihnen unterhalten, Aoba.“
Ich versuchte, nicht allzu aufgeregt zu sein, während ich mit Hashiyama-san rüber in den Raum mit der Liege ging, und dort die Nadel mit der ersten, schwarzen Farbe füllte.
„Ich hab dich hier noch nie gesehen“, sagte er und setzte sich auf die Liege. Dass er mich duzte, störte mich nicht weiter. Er wirkte so, als ob er jeden so vertraulich ansprach.
„Ich arbeite erst seit Anfang März hier“, antwortete ich und schaltete die Nadel ein. „Um ehrlich zu sein, sind Sie der erste seit über zwei Jahren, dem ich ein Tattoo steche …“
Glücklicherweise waren meine Hände ganz ruhig, als ich die Nadel zur Hand nahm und auf einem Stück Tierhaut ein paar Probestiche machte. Ich war immer noch aufgeregt, aber meine Hände funktionierten gottseidank einfach ganz ruhig und als ich schließlich mit dem richtigen Tätowieren begann, beruhigte sich mein Innenleben auch schnell wieder. Irgendwo wusste ich einfach, dass ich es ja konnte, meine Hand, die die Nadel hielt, erinnerte sich genau daran, wie es früher funktioniert hatte, und schon die ersten paar Stiche sahen überraschend gut aus.
Hashiyama-san hatte schon einiges an Tätowierungen auf dem Körper, das meiste davon ging vom Stil her mehr in die traditionelle Richtung und ich wollte lieber gar nicht wissen, wie dieser Mann sein Geld verdiente. Stichwort Yakuza. Aber das konnte mir egal sein. Es zählte nur, dass ich meine Arbeit gut machte und das tat ich. Das viele Üben zuvor zahlte sich jetzt aus, ich war wieder voll drin und es machte mir sogar richtig Spaß.
Und während ich den fauchenden Tiger mit surrender Nadel in die Haut zeichnete, fing Hashiyama-san eine Unterhaltung mit mir an. Er deutete mit der freien Hand auf meinen rechten Arm und pfiff anerkennend durch die Zähne.
„Das sieht schon richtig cool aus, was du da hast“, sagte er. „Ich mag‘s ja eher bunt, aber dir steht dieses dunkle Blau.“
„Danke.“ Ich lächelte und kam mir irgendwie richtig selbstsicher und cool vor. Es war dieses bestimmte Gefühl, das ich immer hatte, wenn es um Bodyart ging. Dieses Wissen, dass ich so aussah, wie ich mir gefiel, und etwas aus mir machen konnte, was mich in meinen Augen schöner und interessanter machte. Und dann war da noch dieses starke, schöne Gefühl von Kraft und Sicherheit. Es gab mir jedes Mal einen ziemlichen Selbstbewusstseinsschub und jetzt bekam ich erst recht Lust, selbst auch mal wieder was an meinem Körper machen zu lassen. Den Entwurf dafür hatte ich ja sogar schon fertig.
Hashiyama-san schien sehr zufrieden mit meiner Arbeit zu sein, jedenfalls sagte er das, und ich war zugegeben ziemlich stolz auf mich, als ich die jetzt noch ungefärbten, schwarzen Linien des Tigers auf seiner Haut so betrachtete.
„Wollen Sie das gleich in Farbe, oder erst beim nächsten Mal?“, fragte ich.
„Nächstes Mal tut‘s auch“, war seine Antwort. „Ich komme dann wieder zu dir, du bist gut.“
Ich lächelte, freute mich ehrlich über seine Anerkennung.
Das Desinfizieren war dann so eine Sache, die mir deutlich machte, dass ich wahrscheinlich wirklich einen Yakuza-Mann vor mir hatte: Er verzog keine Miene, obwohl das Desinfektionsmittel garantiert auf der Haut brannte. Ich kannte diesen Schmerz ja selbst.
Als Hashiyama-san wieder ging, stand auf einmal Kurata hinter mir und klopfte mir anerkennend auf die Schulter. „Gut gemacht, Aoba, sehr gut. Ich wusste doch, Sie können das.“
So viel Lob von allen Seiten war fast wieder zu viel für mich, machte mich ein bisschen verlegen. Jetzt fiel mir wieder ein, dass Kurata ja noch mit mir sprechen wollte, und schon war dieses Gefühl von Stolz auf mich selbst, das ich eben noch gespürt hatte, fast wieder weg.
Ich folgte meinem Chef also in sein Büro und setzte mich auf den mir angebotenen Platz.
„Aoba, ich bin stolz auf Sie“, wiederholte er sein Lob noch einmal, lächelte breit, wurde dann aber ernst: „Wie geht es Ihnen? Takashima hat mir erzählt, Sie waren im Krankenhaus?“
Ich beschloss, einfach so ehrlich zu sein, wie ich eben konnte, und antwortete: „Ich bin einfach zusammengeklappt und die Ärzte hatten den Verdacht, dass ich was am Herzen habe. Aber alles gut, da ist nichts.“
„Das ist gut“, sagte Kurata, sichtlich erleichtert. „Wir brauchen hier jeden guten Mann, da freue ich mich, dass es nichts Ernstes mit Ihrem Herzen ist und Sie weiter bei mir arbeiten können.“
Ich nickte nur. Kurata war so ziemlich der Letzte, dem ich irgendwas von wegen Borderline erzählen wollte. Das ging ihn einfach nichts an. Lieber log ich und buchte meine Arbeitsausfälle unter ‚Herzprobleme‘ und ‚Bauchschmerzen‘ ab, als dass ich meinem Chef von meinen psychischen Problemen erzählte.
Das gute Gefühl, das beim Stechen von Hashiyama-sans Tattoo aufgekommen war, hielt sich dann doch bis zum Feierabend. Ich fühlte mich stolz und als ob ich einen großen Schritt nach vorn gemacht hatte, und zum ersten Mal, seit ich in diesem Studio arbeitete, fühlte ich mich wirklich angekommen hier. Es war einfach der richtige Ort für mich und ich war sehr, sehr froh, hier zu arbeiten. Das Surren der Nadeln und die künstlerische Atmosphäre, dazu dieses leicht verruchte Image, und auch, dass ich mich mit meinen Kollegen gut verstand, es war so ziemlich perfekt für mich.
Und so ging ich am späten Nachmittag mit einem sehr guten Gefühl nach Hause und dachte ein bisschen darüber nach, dass ich ja Metos Tattoo auch irgendwann mal fertig bunt färben wollte. Dass ich derjenige sein würde, der das tat, und dass Meto das auch so wollte, machte mich glücklich, denn ich sah darin eine Möglichkeit, unsere Beziehung noch enger zu machen und ihn an mich zu binden.
Auf dem Heimweg kam ich, ob zufällig oder unbewusst gewollt, wieder durchs Rotlichtviertel, und blieb vor dem Schaufenster des ‚Love Paradise‘-Sexshops stehen. Ich wollte zwar eigentlich nichts kaufen, nur ein bisschen die Atmosphäre fühlen und mich auf neue Ideen bringen, aber ich betrat den Laden, einfach um mich ein wenig umzusehen.
„Ah, heute mal ohne deinen Süßen hier?“, begrüßte mich der Verkäufer, derselbe wie beim letzten Mal, als ich mit Meto hier gewesen war. „Schau dich ruhig um.“
Und das tat ich. Als ich mit Meto zusammen hier gewesen war, hatte mich seine Zurückhaltung ein wenig gebremst und ich hatte mir nicht alles so genau angeschaut, doch jetzt, wo ich allein hier war, konnte ich mir alles eingehender ansehen und schauen, was davon mir gefallen könnte.
Ich war der einzige Kunde im Laden und so hatte der glitzernd aufgedonnerte Verkäufer bald nichts Besseres zu tun, als mich zu beobachten und ein Gespräch mit mir anzufangen.
„Wie lange seid ihr denn schon zusammen, du und dein Süßer?“, fragte er.
„Noch nicht lange“, antwortete ich. „Erst seit letzten Herbst. Wir waren aber vorher schon Freunde.“
„Wie süß!“
Ich lachte. „Meto ist auch süß.“
„Das hab ich gesehen. Du hast da wirklich ein ganz besonders niedliches Sahnestückchen zum Freund.“ Mr. Travestie strahlte begeistert.
„Hey, der ist meiner!“, protestierte ich. „Den geb ich nicht mehr wieder her!“
„Ganz ruhig, ich will ihn doch gar nicht. Mir reicht’s vollkommen aus, dass ihr zwei ab und zu hier vorbeischaut. Wenn ihr mal was Neues ausprobieren wollt, seid ihr bei mir richtig.“
Der Verkäufer kramte einen kleinen Schlüssel raus, schloss eine der Vitrinen auf und nahm etwas heraus, das ich in dem schummrigen Rotlicht erst auf den zweiten Blick als eine Art Dildo zum Aufpumpen erkannte.
„Habt ihr so was schon?“, fragte er ganz unverblümt.
Ich wollte ja eigentlich nichts kaufen, weil das Geld im Moment eher knapp war und überhaupt, aber je länger ich mir dieses Ding ansah und mir vorstellte, was man damit alles machen konnte, umso mehr bekam ich Lust darauf, es zu kaufen und auszuprobieren. Allein schon, weil ich Metos Blick sehen wollte, wenn ich mit so einem Teil nach Hause kam. Diese Mischung aus Überraschung, leichter Scham und Erregung in seinem Blick, wenn ich solche Sachen machte, war einfach zu süß.
Mr. Travestie sah mir anscheinend an, dass ich interessiert war, und drehte das Teil so um, dass ich das Preisschildchen sehen konnte. Es war gar nicht mal so teuer, wie ich gedacht hatte.
„Mach deinem Süßen doch ‘ne Freude“, sagte er und lächelte reizend.
„Sicher.“ Ich zog mein Portmonee raus und schaute, ob ich überhaupt genug Geld dabei hatte. Ja, es war genug.
Ich folgte der glitzernden Gestalt mit der rauchigen Stimme zur Kasse und bezahlte das Spielzeug. Mein Herz klopfte vor Verliebtheit und Vorfreude schneller und ich verließ den Laden, machte mich jetzt wirklich auf den Heimweg.
Als ich, zu Hause angekommen, die Wohnungstür aufschloss, hörte ich gleich, dass Meto schon da war, aus dem Wohnzimmer kamen die typischen Geräusche und Töne eines Videospiels. Ich schlich ins Schlafzimmer, stellte die Tüte vom Sexshop neben das Bett, und ging dann auf leisen Sohlen Richtung Wohnzimmer, mit der Absicht, meinen Liebsten von hinten zu überraschen. Er war tatsächlich sehr in das Spiel vertieft und ich kniete mich hinter ihn, hielt ihm die Augen zu.
„Hey, mein Süßer“, flüsterte ich in sein Ohr.
Er gab ein etwas unmännliches Quietschen von sich und auf dem Bildschirm vor ihm erschien ein rot leuchtendes ‚Game over‘, weil er jetzt abgelenkt war und dadurch, dass ich ihm die Augen zuhielt, ja nicht mehr sehen konnte, was er tat.
Er schien mir das jedoch nicht weiter übel zu nehmen, denn als ich meine Hände wieder von seinen Augen wegnahm, drehte er sich zu mir um und küsste mich. „Hey, Tsu.“
Ich umarmte Meto und schnurrte verführerisch in sein Ohr: „Ich hab eine Überraschung für dich mitgebracht.“ Dachte an das, was ich gekauft hatte, und fühlte die Vorfreude.
„Und was?“, fragte er lächelnd.
Ich nahm seine Hand, er stand auf und ich zog ihn hinter mir her ins Schlafzimmer. Er sah die Tüte neben dem Bett stehen und fragte: „Hast du was gekauft?“
„Was zum Spielen für uns beide“, antwortete ich, hob die Tüte auf und nahm das Spielzeug heraus.
Metos Blick war genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte: Mit großen Augen und roten Wangen und Ohren sah er mich an, und ich war sicher, dass in seinem Kopf jetzt wilde Fantasien abliefen.
„Tsuzuku, das ist jetzt nicht dein Ernst …“, brachte er heraus und wurde noch ein bisschen röter.
„Eigentlich wollte ich ja gar nichts kaufen, aber dieses Teil hat mich so angeschaut und da dachte ich, ich mache dir vielleicht eine Freude damit …“, erwiderte ich, jetzt ein wenig verunsichert.
„Ist ja okay“, sagte Meto, lächelte und umarmte mich. „Und irgendwann probieren wir das auch sicher mal aus.“ Er küsste zärtlich meine Wange und flüsterte mir dann ins Ohr: „Nur … heute würde ich gern … was anderes mit dir tun. Ich … bin jetzt bereit … zum Tauschen, Tsu …“
Das war in der Tat eine Überraschung. So früh hatte ich dann doch nicht damit gerechnet. Doch anscheinend hatte ich meinen Freund mal wieder unterschätzt.
„Jetzt? So richtig?“ entkam es mir.
Meto nickte. „Ja. Es sei denn, du möchtest das doch noch nicht …“
Ich war jetzt nicht so wirklich darauf eingestellt, sodass ich tatsächlich einen Moment lang in mich gehen und darüber nachdenken musste. Ich hatte damit gerechnet, dass ich Meto heute Nacht nehmen würde, weil ich ja wirklich nicht geahnt hatte, dass er den Tausch schon heute wollte. Aber andererseits war heute eigentlich wirklich der perfekte Tag dafür. Ich war gut drauf, fühlte mich sicher, also wann, wenn nicht jetzt, sollten wir den ersten Versuch wagen, dass mein Liebster mal in mich eindrang?
Ich stellte die Tüte wieder auf den Boden und legte meine Arme um Meto.
„Soso, du willst mich also vögeln?“, fragte ich in einem mehr als anzüglichen Ton und sah ihm dabei verführerisch in die Augen. Er hielt den Blickkontakt jedoch nur kurz, sah dann nach unten, und irgendwie stachelte mich das an, richtig schmutzig zu reden: „Du willst also deinen süßen, harten Schwanz in mein heißes Loch schieben, in mich stoßen, bis ich vor Lust schreie, und dann in mir deinen Samen abspritzen?“
Meto umarmte mich fester, drückte sich an mich, und ich fühlte ganz nah, wie sein Körper auf meine Worte reagierte, wie sein Glied hart wurde. Es machte ihn spürbar an, wenn ich so schmutzig redete, und seine Ohren und Wangen waren zwar immer noch rot, doch er widersprach mir nicht. Stattdessen sah er mich an, nahm mein Gesicht liebevoll in seine Hände, küsste mich und sprach leise: „Ich will dich zum Dahinschmelzen bringen …“
Metos Hände wanderten runter, über meine Schultern, meine Oberarme, meine Brust, meine Bauchmuskeln, schlüpften weiter unten unter mein Shirt und tasteten sich darunter wieder nach oben vor, bis er meine Brustwarzen berührte und sie zärtlich zu massieren begann. Seine Finger spielten mit den Piercings, tasteten auch hin und wieder rüber zu meinem Implantat, so als kosteten sie diese künstlichen Anomalien meines Körpers ganz besonders aus. Ich seufzte angetan, mein Herz klopfte wie wild und pumpte schon Blut in meine Körpermitte.
„Zieh dich aus“, flüsterte er, und seine Hände schoben mein Shirt zusammen, sodass ich es mir nur noch über den Kopf ziehen und zu Boden fallen lassen musste. Sogleich waren Metos Finger an meinem Hosenbund, öffneten den Knopf und den Reißverschluss und tauchten in meine Shorts darunter, berührten mein nun hartes Glied, was mich wiederum aufseufzen ließ.
Er zerrte mir die Hose vom Hintern und ich setzte mich aufs Bett, um sie ganz auszuziehen, was er nutzte, um sich schnellstmöglich ebenfalls die Kleidung von seinem erregten Körper zu ziehen. Und die ganze Zeit sah er mich an, mit einem Blick, wie ich ihn so kaum von ihm kannte, und den man wohl noch am ehesten mit ‚wahnsinnig verliebt, erregt und hungrig‘ beschrieb.
„Leg dich hin“, sagte er, als wir beide ganz nackt waren, seine Stimme klang ein bisschen rau.
Ich rutschte ganz aufs Bett, schob die Decke beiseite, und Meto kam mir nach, legte sich zu mir und schloss mich in seine Arme.
Mein Herz klopfte wie verrückt und ich hörte mich tief und schnell atmen, fühlte gleichzeitig Metos Atmung und Herzschlag, und seine Hände auf meinem Körper. Zuerst strichen sie über meinen Rücken, dann wieder nach vorn, zwischen uns, spielten mit meinen gepiercten Brustwarzen und tasteten über meine Rippenbögen, immer auf der Suche nach besonders sensiblen Stellen.
Ich seufzte erregt, zuerst leise, dann immer lauter, bis Meto seine weichen, warmen Lippen fest auf meine presste und mir damit fast die Luft zum Atmen nahm. Seine gepiercte Zunge drängte in meinen Mund, traf auf die meine, gespaltene, und begann, mit ihr zu spielen, während seine Finger an meinen Nippeln mich ganz verrückt machten.
Ich fühlte vollkommene Nähe, so als wären wir schon jetzt miteinander verschmolzen, und doch wusste ich ja, das war noch lange nicht alles. Wenn sich das jetzt schon so wahnsinnig schön und verschmelzend anfühlte, wie intensiv musste es dann erst sein, wenn er in mir war?
Keuchend lösten wir den Kuss wieder, atmeten beide schwer, und Meto drehte sich um, griff in die Nachttischschublade und nahm das Gleitgel heraus. Als er sich mir wieder zuwandte, strahlte da etwas so wunderschön in seinen Augen, Vorfreude, Lust und Liebe. Er umarmte mich wieder und öffnete hinter meinem Rücken die Tube, tat sich etwas von ihrem Inhalt auf die Finger, die sogleich an meinem Hintern nach meinem Eingang tasteten. Ich zog das oben liegende Bein ein wenig hoch, winkelte es an und schob es so über seine Hüfte, dass er leichter an mein Loch herankam.
Hatten wir eben noch kaum gesprochen, so fragte er mich jetzt, als seine Finger begannen, den Muskelring weicher zu machen, mit leiser Stimme, ob das so okay war. „… Wenn das irgendwie weh tut, musst du sagen, ne?“
„Ist gut“, brachte ich ebenso leise heraus. „Tut noch nicht weh …“
Irgendwas in mir mochte das richtig gern, wie Metos Finger sich langsam in mein Inneres vortasteten und mich so liebevoll vorbereiteten. Manch ein anderer Mann hätte das vielleicht als unangenehm empfunden, so erobert zu werden und zu wissen, dass danach ein Eindringen in ihn folgte, doch mir gefiel es, sehr sogar. Ich hatte alle Bedenken, allen falschen männlichen Stolz und irgendwelches Normendenken in dieser Richtung längst abgelegt und es fiel mir leicht, mich hinzugeben. Alles, was ich wollte, war, zu fühlen, dass Meto mich liebte.
Er ging nun langsam dazu über, mich erst mit zwei, dann mit drei Fingern zu weiten, und ich spürte, dass er bei all seiner Erregung doch noch ein wenig unsicher war, er war ganz vorsichtig. Fast ein bisschen zu vorsichtig sogar.
„Du … musst nicht … so sehr vorsichtig sein“, sagte ich darum, und dachte daran, dass er das auch immer zu mir sagte, wenn ich Angst hatte, ihm weh zu tun. „Ich halte das schon aus.“
„Sicher?“, fragte er.
„Klar. Mach mit mir einfach dasselbe, was ich auch immer mit dir mache.“ Ich sah Meto an, er blickte zurück, und dann rutschte er ein wenig runter, um sich mit seinen wunderbar weichen Lippen meiner Brust zu widmen, während seine Finger sich nun merklich mutiger in mein Inneres vorwagten.
Seine süßen kleinen Küsse an meinen Brustwarzen, dazu seine Finger in mir, das zusammen sorgte augenblicklich dafür, dass ich mich ganz schmelzend und weich fühlte, und gut, oh, so gut! Ich drückte mich noch enger an ihn, verlangte unter leisem Stöhnen nach mehr, und bekam es, ein zärtliches Saugen an meinen Nippeln und drei Finger in mir, schon ein kleines bisschen an süßem Schmerz.
„Ist das schön so?“, fragte Meto leise.
„Jaah …“, antwortete ich, „So schön …!“ Mein Herz raste und tat fast ein wenig weh, und ich fühlte, wie Lusttropfen aus meiner Härte austrat und daran herunterlief. Ich schob meine Hände zwischen uns und berührte Metos Glied, das fast noch erregter war als meines, er stöhnte laut und im nächsten Moment drängten seine Finger etwas härter in mich, was mich ebenfalls aufstöhnen ließ.
Es spannte, tat ein bisschen weh, doch irgendwas daran fühlte sich unsäglich gut an und ich wollte auf der Stelle mehr davon. Und als ich daran dachte, dass das jetzt genau das war, was Meto jedes Mal fühlte, wenn ich das mit ihm tat, da wusste ich, dass ich jetzt bereit für den nächsten Schritt war. Ich war so wahnsinnig neugierig darauf und sehnte mich nach immer mehr von diesem wunderschönen Gefühl des Verschmelzens mit meinem Liebsten, wollte mehr Nähe, als möglich war, immer nur mehr und mehr …
„Nimm mich“, flüsterte ich, und sprach dann einfach aus, was in mir vorging: „Ich will eins mit dir sein, mit dir verschmelzen, vögel mich durch und dann komm in meinem Loch …“
Meto lachte leise, dieses liebe, süße Meto-Lachen, setzte einen Kuss auf mein Implantat und rutschte dann wieder hoch, um mich so unglaublich liebevoll zu küssen. Dabei zog er seine Finger aus mir zurück, und griff danach nach den Taschentüchern auf dem Nachttisch, machte seine Hand sauber und sagte: „Dann dreh dich um.“
Mit vorfreudig klopfendem Herzen drehte ich mich auf die andere Seite und zog die Knie ein wenig hoch, schmiegte mich rückwärts an Metos heißen, nackten Körper, fühlte sofort sein Glied an meinem Hintern. Schon allein der Gedanke, dass ich diese harte, heiße Lust gleich in mir haben würde, ließ mich leise stöhnen und einen Moment lang glaubte ich, schon jetzt vor Lust und Liebe zu platzen.
Meto nahm sich noch mal das Gleitgel, tat sich noch etwas davon auf sein Glied, obwohl die Menge des glitschigen Gels in meinem Innern sicher schon ausreichte, dann strich er mein Haar beiseite und begann, kleine Küsschen über meinen Nacken zu verteilen, und ich glaubte, seinen wahnsinnig aufgeregten Herzschlag zu spüren. Er legte seinen Arm um mich, den anderen unter meinen Hals, sodass ich mich von ihm umarmt fühlte und dachte: ‚Jetzt liege ich in seinen Armen …‘, während seine weichen Lippen weiter meinen Nacken küssten.
„Bereit?“, fragte er leise, und ich nickte.
Er atmete einmal tief durch, und ich hielt unbewusst die Luft an, dann fühlte ich seine Eichel gegen mein Loch drücken und langsam und vorsichtig in mich eindringen. Die angestaute Luft in meinen Lungen entwich mit einem lauten Stöhnen und ich schrie gleich darauf laut auf, verlor einen Moment lang die Kontrolle über Atmung und Stimme. Es spannte sehr, tat weh, und war heiß, so heiß!
Einen Augenblick lang spürte ich nichts als unglaubliche Hitze und die Härte in meinem schmerzenden Eingang, bevor ich wieder einen halbwegs klaren Gedanken zustande brachte und wahrnehmen konnte, dass Meto von dem neuen Gefühl, in mir zu sein, spürbar genauso überwältigt war, wie ich von diesem Gefühl, beinahe zerrissen zu werden.
Einen Moment lang blieben wir so, er bewegte sich kaum, küsste nur weiter meinen Nacken, während seine Hand meinen Bauch streichelte. Langsam gewöhnte ich mich ein wenig an sein Glied in mir, und das Spannen wurde etwas weniger, veränderte sich, fing an, sich irgendwie gut anzufühlen. Ich fühlte ein Kribbeln im Bauch, ein angenehmes Ziehen, das stärker wurde, als Meto sich langsam tiefer in mich schob, bis sein Glied ganz in mir war.
„Tut’s weh?“, fragte er leise.
„Geht schon …“, antwortete ich mit einem leisen Zittern in der Stimme.
„Wenn’s zu sehr wehtut, hör ich auf“, sagte er.
„Nein“, widersprach ich sofort. „Nicht aufhören!“ Ich drückte mich rückwärts an ihn, meine Hand griff hinter mich, berührte seine Hüfte, meine Fingerkuppen gruben sich in seine heiße Haut.
Er stöhnte leise, umarmte mich fester, und in dem Moment wallte in mir wieder dieses extreme Sehnen nach Verschmelzung auf, nach hemmungsloser Nähe, gepaart mit süßem Schmerz.
Einen kurzen Moment lang konnte ich es für mich behalten, doch dann brach es geradezu aus mir heraus: „Vögel mich endlich! Beweg dich, stoß‘ in mich … ohhh … ich will, dass wir eins sind … ganz verschmelzen … und … tu mir weh … so süß …!“
Einen Augenblick befürchtete ich, zu viel ausgesprochen zu haben, gerade die letzten Worte waren absolut impulsiv gewesen, aus meinem puren Gefühl und tiefsten Innern, und ich war mir nicht sicher, ob ich Meto nicht damit Angst machte.
Doch irgendwas an dem, was ich gesagt hatte, schien ihn anzumachen, und ich spürte, dass sich bei ihm etwas verändert hatte, er war so unglaublich erregt und viel mutiger als sonst. Vielleicht unterschätzte ich ihn auch nur wieder.
„Tsuzuku …“, sprach er meinen Namen aus und küsste wieder meinen Nacken, seine Hand wanderte von meinem Bauch runter zu meiner Hüfte, die andere zog sich von meinem Hals zurück und folgte der ersten, sodass er mich dann mit beiden Händen an der Hüfte festhielt.
Er atmete wieder tief durch und dann zog er sich ein Stück weit raus, um im nächsten Moment zum ersten Mal in mich zu stoßen. Wir schrien beide auf, die Süße der schlagartig mehr werdenden Lust und des Schmerzes überrannte mich geradezu, und Meto war sicher ebenso überwältigt von dem für ihn ganz neuen Gefühl, in ein heißes, enges Loch zu stoßen.
„Mehr …!“, kam es atemlos über meine Lippen. „Ohhh … bitte … mehr …!“
Ein Teil von mir rechnete immer noch irgendwo damit, dass ich Meto mit meinem wahnsinnigen Verlangen überforderte, doch dem war anscheinend wirklich nicht so. Er hatte in diesem Moment alles Besorgte, allzu Vorsichtige, und jeden vielleicht mädchenhaften Zug abgelegt, zumindest für eine Weile, und ich spürte irgendwie, dass er sich in diesem Augenblick wirklich als Mann fühlte.
Und er gab mir das Mehr, das ich verlangte: Hielt mich weiter fest und stieß immer wieder zu, stöhnend, glühend heiß und mit einer solchen Lust und Ekstase, dass ich mich ihm vollkommen hingab und entgegendrängte.
Und mit jedem Stoß vervielfachte sich die Nähe, verschwammen die Grenzen zwischen uns ein wenig mehr, und je mehr wir eins wurden, umso schneller und drängender wurden seine Stöße, bis ich wirklich glaubte, innerlich zu platzen vor Geilheit und wahnsinniger Liebe. Ich krallte meine Hände haltsuchend ins Bettlaken, wünschte mir, Meto zu küssen, und weil das in dieser Stellung nicht so möglich war, nahm ich seine Hand von meiner Hüfte weg und legte sie an mein pochendes Glied, das sich schon seit Minuten nach seiner Aufmerksamkeit sehnte.
„Aahhhh …!“ Ich schrie auf, als er begann, es zu massieren, im fast selben Rhythmus, in dem er sich weiter in mir bewegte. „Ohhhh … Meto … jaaaahh!“
Er antwortete nichts, ich hörte nur sein schnelles, hocherregtes Atmen und Stöhnen, doch es brauchte auch keine Worte, denn die reichten sowieso nicht aus, um diese wahnsinnigen, intensiven Gefühle zu beschreiben.
Als er mich dann auf einmal ganz eng und fest umarmte, veränderte sich ein wenig der Winkel, in dem er in mich stieß, und er traf jenen Punkt in mir, dessen Berührung meinen ganzen Körper erbeben ließ. Ich schloss unwillkürlich die Augen, vor meinen Lidern blitzten hunderte von kleinen, weißen Sternen auf, und ich verlor für einen Moment komplett die Kontrolle, schrie, zitterte, wusste kaum mehr, was ich tat, die ungeheure Ekstase in mir war einfach zu viel, und ich kam mit einem tiefen Knurren, mein Samen verteilte sich über die heiße Hand meines Liebsten.
Und in dem Moment, als sich mein aktives Bewusstsein langsam wieder zum Dienst meldete, fühlte ich einen einzigen, harten Stoß, hörte Meto haltlos aufschreien, und fühlte, wie er seinen Samen in mein wundgenommenes Loch ergoss.
Langsam, ganz langsam, kam ich wieder zu Atem und mein Körper kühlte sich wieder etwas runter. Meto zog sich vorsichtig aus mir zurück, hielt mich aber weiter im Arm, streichelte mich, keuchte noch. Ich fühlte mich schwebend, wie im Traum, unwirklich und noch nicht wieder ganz bewusst. Es war zum Schluss so viel gewesen, zu viel beinahe, und ich fühlte Tränen in meinen Augen. Ich wollte etwas sagen, doch kein Wort verließ meine Lippen, nur ein leises, irgendwie seltsam klingendes, aber doch glückliches Seufzen.
„… Tsuzuku?“, brach Meto mit leiser, rauer Stimme die Stille.
„Mh …?“
„… War das schön?“
Ich nickte nur, bekam immer noch kein Wort heraus.
Meto beugte sich über mich, tupfte seine Lippen ganz sanft auf meine, sah mich dann an. „Tsu … das war echt … wow! Ich … hab nicht geahnt, dass das so … schön ist …“ Er küsste mich wieder, dann sagte er: „Ich glaube … ich liebe dich jetzt noch mehr, als sowieso schon …“
„Geht das überhaupt?“, fragte ich.
Er lächelte. „Anscheinend schon.“
„Ich lieb dich auch.“
Eine Weile sagte wieder keiner von uns mehr ein Wort, wir lagen einfach nur da, und in meinem Kopf zogen Wolken aus Gedanken vorbei, gute wie schlechte, nichts blieb hängen.
Der nächste Gedanke, den ich zu fassen bekam und aussprechen konnte, war: „Fühlst du dich jetzt eigentlich … männlicher?“
Meto sah mich erst nur an, dann lächelte er und nickte. „Ich hab mich vorher zwar … nicht wirklich unmännlich oder so gefühlt … aber irgendwie … ja, doch, ich fühl mich jetzt anders.“
„Und gefällt es dir?“
„M-hm, ja.“ Er blickte hoch an die Decke, dann fügte er hinzu: „Es ist ziemlich genau so, wie du gesagt hast … Diesen Wunsch … in jemandem zu sein … und so zu stoßen … den hab ich auch.“
Ich lachte auf. „Siehst du, ich hab’s dir ja gesagt.“
„Und … war das jetzt auch so, wie du es dir gewünscht hast?“, fragte Meto dann.
„Besser“, antwortete ich sofort. „Viel besser.“ Ich drehte mich ganz auf den Rücken und spürte ein wundes Ziepen in meinem Hintern, eine Erinnerung an den süßen Schmerz. „Ehrlich gesagt … hatte ich dir zu Anfang nicht so ganz zugetraut, dass du mich derartig durchvögelst …“ Ich lachte und sah, wie Meto jetzt doch wieder ein wenig rot wurde.
„Es … hat mich so überrannt …“, sagte er leise.
„Ist doch gut. Ich mag das.“
„Ich ja auch.“ Er lächelte wieder. „Weißt du ja, ich steh sonst auch drauf, wenn du so hemmungslos zu mir bist.“
„Da stehen wir wohl beide drauf …“
Apropos Stehen: Ich fühlte, dass ich mal ins Bad musste. Langsam versuchte ich, aufzustehen, kam auch bis zur Bettkante, doch als ich ganz aufstehen wollte, gaben meine Beine unter mir nach und ich sackte zu Boden.
„Ouh …“, entfuhr es mir und ich versuchte, mich wieder hochzuziehen, wobei ich wieder dieses doch sehr deutliche Ziepen in meinem Hintern fühlte und zischend die Luft einsog.
„Alles okay?“, fragte Meto besorgt.
„Das fragst du?“, erwiderte ich mit gespielter Entrüstung. „Du hast mich doch so wundgevögelt!“
Er verstand zum Glück, dass ich nur Spaß machte, und lachte einfach, dann stand er auf und half mir, wieder aufzustehen und über den Flur ins Bad zu kommen.
Ich schloss die Tür hinter mir ab, hörte, wie Meto ins Schlafzimmer zurück ging, und als ich mich wieder halbwegs sicher auf den Beinen fühlte, ging ich von der Tür zum Spiegel und sah mich an. Ich sah ziemlich genau so durchgevögelt aus, wie ich mich fühlte. Meine Haare hingen mir wirr und feucht vom Schweiß ins Gesicht, in meinen Augen war noch dieses Leuchten zu erkennen, das von der ungeheuren Liebe und Erregung herrührte, meine Haut glänzte nassgeschwitzt und meine Brustwarzen waren noch hart und deutlich gerötet.
Ich sah an mir herunter, strich mit beiden Händen über meinen Körper und berührte ganz leicht meinen Schritt, fühlte noch ein klein wenig Härte in meinem Glied. Vorsichtig fuhr ich mit der Hand weiter, zwischen meine Beine nach hinten, tastete nach meinem Loch und sog wieder unwillkürlich zischend die Luft ein, als sich die Berührung dort doch ziemlich wund anfühlte.
Aber irgendwie … fühlte sich das gar nicht mal schlecht an. Es tat zwar weh, doch die Erinnerung an das Schöne, woher es kam, war so stark und süß, dass es mir überhaupt nichts ausmachte. Eher im Gegenteil. Es ähnelte dem Lustschmerz, den ich empfand, wenn Meto an meinen Nippelpiercings herumspielte, und darum mochte ich es irgendwie.
Mir wurde ein wenig schwindlig und so setzte ich mich erst einmal auf die Toilette, und da schoss mir dann doch mal das Blut in die Wangen, als der Samen aus meinem Inneren rann und ich das nur allzu deutlich spürte. Einen Moment lang wollte ich Metos Samen gern in mir behalten, doch da war schon fast alles raus. Dann blieb ich noch einen Moment sitzen, erinnerte mich an den ganzen, wunderschönen Sex eben und wie intensiv dieses zweite Erste Mal gewesen war.
Ich dachte daran, dass ich jetzt, so viele Jahre nach meinem ersten Mal Sex überhaupt (den ich mit meiner damaligen Freundin in meiner Oberschulzeit gehabt hatte), mal die andere Seite der Sache kennen gelernt hatte. Mir kam der Gedanke: ‚Jetzt ist mein Hintern auch keine Jungfrau mehr‘, was mich irgendwie zum Lachen brachte.
Als ich wieder aufstand, das Bad verließ und ins Schlafzimmer zurückging, lag Meto im Bett, eingekuschelt unter der Decke. Ich machte das Licht aus und legte mich dann zu ihm, ganz nah, er hatte sich nichts zum Schlafen angezogen, war immer noch nackt, und ich kuschelte mich an seinen warmen Körper, umarmte ihn liebevoll. Er küsste meine Stirn, umarmte mich seinerseits und flüsterte: „Ich liebe dich, Tsuzuku.“
„Ich dich auch, mein Liebster“, antwortete ich ebenso leise. Und mein letzter bewusster Gedanke, bevor ich in einen tiefen Schlaf sank, war tatsächlich: ‚Jetzt sind wir gleichauf, er und ich. Und ich will alles tun, damit das mit uns für immer ist‘
Ich wachte wieder sehr früh auf am nächsten Morgen. Wärme umgab mich, und ich hörte Tsuzukus ruhigen, schlafenden Atemzüge nah an meinem Ohr. Seine Arme hielten mich umarmt, was mir ein wundervolles Gefühl von Liebe und Geborgenheit gab, und ich sah ihn an, hauchte einen sachten Kuss auf seine Wange. Er schlief noch tief und fest, doch vielleicht träumte er gerade von mir, denn er schmiegte sich enger an mich und gab einen leisen, wohligen Laut von sich.
Ich hatte gestern, während der Arbeit im Café, in einer Pause den Entschluss gefasst, es am Abend endlich mit dem sexuellen Positionstausch zu wagen, und diese Entscheidung danach nicht wieder überdacht, sondern mich dann innerlich meiner Neugier hingegeben, die dann bis zum Abend immer größer geworden war, ebenso wie meine Vorfreude.
Schließlich war ich dann innen drin so erregt gewesen, dass ich meine ganze sonstige Schüchternheit und dieses doch irgendwie Mädchenhafte für den Moment hatte ablegen können, was sich zwar neu, aber auch sehr gut angefühlt hatte.
Und dieses zweite Erste Mal war dann so viel besser gewesen, als ich es mir hätte vorstellen können! Von Tsuzuku genommen zu werden, seine hemmungslose Leidenschaft zu spüren und ihn in mir zu haben, war ja schon so wunderschön, doch in ihn einzudringen, ihm zu zeigen, dass auch ich ihn so sehr liebte und begehrte, und zu spüren, wie er sich mir schenkte und hingab, das war schlicht unglaublich!
Und hatte ich zuvor noch Angst gehabt, ihm vielleicht weh zu tun, so war ich jetzt auch dazu bereit gewesen, weil er doch sehr deutlich gemacht hatte, dass er das mochte, solchen Schmerz. Er hatte es ja sogar ausgesprochen und da war es für mich dann irgendwie okay gewesen. Wenn er es sich so sehr wünschte, so wollte ich es ihm geben, denn mein oberstes Gebot war weiterhin, ihn so glücklich wie möglich zu machen. Und das hatte ich gespürt, dass es ihn glücklich gemacht hatte.
Jetzt fühlte ich mich irgendwie ein bisschen verändert, konnte es aber noch nicht ganz einordnen. Ich wusste nicht sicher, ob dieses neue Gefühl, entstanden aus der neuen Erfahrung, ein Gefühl von Männlichkeit oder Erwachsensein war, aber es fühlte sich gut an. Vielleicht war es auch nur einfach eine neue Ebene in der Beziehung zwischen Tsuzuku und mir, weil wir jetzt noch mehr und deutlicher gleichauf waren.
Und als ich dann weiter darüber nachdachte, wurde mir klar, dass mir dieses Männerrolle-Frauenrolle-Ding, von dem Tsu gesprochen hatte, einfach gar nicht so wichtig war. Ich kannte genug Geschichten aus Manga und dergleichen, in denen es in homosexuellen Beziehungen diese Einteilung in zwei Rollen gab, doch ich wusste ja, dass das nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte.
Wenn ich über meine Beziehung mit Tsuzuku nachdachte, dann nicht darüber, ob ich in irgendeiner Form ‚die Frau in der Beziehung‘ war, sondern über ganz andere Dinge. Viel wichtiger war mir doch, dass ich bei ihm war, dass wir beide zusammen glücklich waren, und dass Tsuzuku sich an meiner Seite gut und sicher fühlte. Es ging nicht um ein Rollenschema, es ging nur um ihn und mich, und um unsere Liebe. Mir war nicht mal wirklich wichtig, ob ich selbst nun mehr männlich war oder halt meine femininen Züge hatte, ich war nun mal, wie ich war, ich mochte mich so, und ich konnte meine Liebe zu Tsuzuku jetzt auf beide Arten ausdrücken, konnte mich ihm hingeben oder ihn nehmen. Hauptsache, er fühlte deutlich, dass ich ihn wahnsinnig liebte.
Ich sah ihn wieder an, erkannte sein schönes Gesicht im Halbdunkel und musste lächeln, weil Tsuzuku so lieb und weich aussah, wenn er schlief.
‚So ein wunderschöner Mann …‘, dachte ich und hauchte noch einen Kuss auf seine Stirn. ‚Und er ist ganz meiner …‘
Ich blieb lange so liegen, ließ meine Gedanken kommen und gehen, fühlte die Nähe zwischen uns und sah zu, wie das Halbdunkel zur Dämmerung wurde und sich das frühmorgendliche Licht sanft auf den roten und schwarzen Wänden unseres Schlafzimmers zeigte. Es war schön, einfach nur zu liegen, Tsuzukus nackten, warmen Körper so nah an meinem zu spüren, seinen Schlaf zu bewachen und zu warten, dass es heller wurde.
Als die ersten richtigen, golden glänzenden Sonnenstrahlen durchs Fenster kamen und die schwarze Wand bei der Tür in eine schöne Mischung aus Grau und Gold tauchten, beschloss ich, meinen Freund langsam und liebevoll zu wecken.
Zuerst streichelte ich nur einfach über seinen Rücken und seine Seite, dann brachte ich ein wenig Abstand zwischen uns, aber nur gerade so viel, dass ich mit den Händen zwischen uns kam und seinen Bauch, seine Rippenbögen und seine Brust berühren konnte.
Ich fühlte seine Atmung und seinen Herzschlag, beides ganz ruhig und regelmäßig, und beschloss kurzerhand, ihn heute nicht nur wach zu streicheln, sondern seinen Körper ganz zärtlich wach zu küssen. Ich rutschte ein Stückchen runter und begann an seiner Schulter und seinem Hals, liebkoste die empfindliche Stelle zwischen Halsbeuge und Schlüsselbein, bevor ich begann, kleine Küsschen auf den Tattoos auf seiner Brust zu verteilen.
Tsuzuku gab im Schlaf einen leisen Laut von sich, fast schon ein kleines, wohliges Seufzen, und ich sah ihn an, erkannte an seinem Gesicht, dass er ganz langsam wach wurde. Sein Seufzen wurde ein wenig lauter, als ich meine Lippen auf seine rechte Brustwarze tupfte, und er bewegte sich mir sehnsüchtig entgegen.
„Mmmeto … mhhh …“
„Gut geschlafen, mein Herz?“, fragte ich mit einem Lächeln.
Er nickte, seufzte wieder so süß, sah mich an und sagte mit noch ganz verschlafener Stimme: „Eben träum ich noch von dir, dass du mich im Arm hältst, und dann wache ich auf und du küsst mich wirklich …“
„Du magst das doch, wenn ich dich so wecke“, erwiderte ich und küsste seinen Hals.
„Jaah … das ist schön …“
Ich lächelte und setzte einen zärtlichen Kuss auf sein Implantat, bevor ich noch ein Stückchen runter rutschte und ihn liebevoll über seinem Herzen küsste. Der völlig hingerissene und von Glück erfüllte Laut, den Tsuzuku dabei von sich gab, traf mich direkt in der Seele und machte mich ebenso glücklich. Ich sah zu seinem Gesicht hoch, er hatte die Augen geschlossen, die Lippen leicht geöffnet und wieder diese genießerische kleine Falte zwischen den Augenbrauen.
„Hör … auf …!“, bat er, und ich spürte, wie sein Körper zu reagieren begann. „Sonst … vögeln wir … gleich wieder …“
Ich stoppte und ging ein bisschen auf Abstand, aber nur gerade so weit, dass ihn meine Nähe nicht mehr so sehr erregte. „Und wie … würden wir es denn jetzt tun?“, fragte ich dann. „Würdest du mich nehmen, oder soll ich dich?“
„Mir egal“, antwortete Tsu, legte seine Arme um mich und zog mich wieder an sich. „Hauptsache, wir sind eins.“
Einen Moment lang dachte ich, dass wir es gleich wirklich tun würden, doch dann ging Tsuzuku wieder ein Stückchen auf Abstand und sagte: „Aber … ich glaube, wir lassen das jetzt besser.“
„Tut … dir noch was weh, … von gestern Abend?“, fragte ich leise und wurde wieder einmal klatschmohnrot.
„Selbst wenn, das würde mich nicht davon abhalten.“
„Was dann?“
„Ich … denke, wir sollten … nicht so extrem oft miteinander schlafen. Sex lebt doch auch davon, dass man ein bisschen Spannung und Wartezeit davor hat, das macht es doch erst richtig schön. Wir haben gestern und vorgestern so schön gevögelt, vielleicht sollten wir jetzt ‘ne kleine Pause damit machen, oder?“
Ich nickte. „M-hm. Ist okay.“
„Aber weißt du, Meto, was wir stattdessen machen können?“
„Mh?“
Tsuzuku lächelte mich strahlend an. „Wir können zusammen duschen gehen.“
Und das taten wir dann auch. Gingen zusammen nackt ins Bad, anziehen brauchten wir uns ja nicht, und stellten uns unter die Dusche, ließen das warme Wasser auf uns herunter regnen. Tsuzuku umarmte mich, ich legte meinerseits meine Arme um ihn, und eine ganze Weile standen wir einfach nur da, genossen die Wärme und ich fühlte Tsu’s nackten Körper an meinem, seine Haut, seine Atmung und seinen Herzschlag. Wir sprachen beide kein Wort, hörten nur das Wasser rauschen, aber es gab auch nichts zu sagen, nur die Gefühle zwischen uns, die sich über unsere Körper mitteilten, sodass wir uns in diesem Moment ohne Worte verstanden.
Nach einer Weile löste Tsuzuku sich langsam von mir und nahm die Flasche mit dem Duschgel, tat sich etwas davon auf die Hände, schäumte es ein wenig auf und begann dann, den Schaum auf meinem Körper zu verteilen. Er sagte nichts, doch seine Hände sprachen von einer solchen Liebe, wie sie ganz sanft und zärtlich über meine Haut strichen, dass mein Herz ein wenig schneller klopfte und mir vor Rührung sogar ein paar Tränchen in die Augen sprangen. Ich fühlte mich so geliebt und sicher bei ihm, dass ich die Augen schloss und ihn einfach machen ließ.
Auch, als er begann, mich zwischen den Beinen zu waschen, sagte ich nichts, nur ein kleiner Seufzer löste sich von meinen Lippen, was Tsuzuku mit einem leisen Lachen erwiderte und einfach weiter machte, wissend, dass ich damit einverstanden war. Und als er das Wasser wieder anstellte und mir den Schaum vom Körper wusch, tat er auch das mit derselben liebenden Zärtlichkeit.
„Jetzt du“, sagte er leise, stellte das Wasser wieder aus und gab mir das Duschgel in die Hand. Ich tat mir etwas davon auf die Hand und machte es genauso wie Tsu, schäumte das angenehm nach exotischen Früchten riechende Zeug leicht an und begann dann meinerseits, ihn zu waschen.
Dabei ließ ich meinen Händen freien Lauf, ließ sie seinen Körper erkunden und auch ein bisschen mit ihm spielen, nur nicht zu viel, damit er nicht zu sehr erregt wurde. Ich fand eine sensible Zone hinten an seiner Schulter, und berührte auch die, die ich schon kannte, welche sich an seiner Halsbeuge befand, kurz vor dem Grübchen am Schlüsselbein. Er seufzte wohlig, über seine Lippen huschte ein süßes Lächeln und ich fühlte, dass er glücklich war.
Zuerst scheute ich mich doch noch ein wenig davor, ihn jetzt auch zwischen den Beinen zu waschen, doch als er meine Scheu bemerkte und mich mit einem leisen „Du kennst meinen Körper doch schon“ dazu aufforderte, tat ich auch das und hörte ihn wieder so süß aufseufzen. Kurz fragte ich mich, ob ihm nicht sein Hintern von gestern her noch wehtat, doch falls das so war, ließ er es sich absolut nicht anmerken, denn seine Reaktion auf mein Tun jetzt sprach nur davon, dass es ihm gefiel.
„Magst du das?“, fragte ich.
Tsuzuku nickte, lächelte leicht und sagte dann: „Das tut einfach so wahnsinnig gut …“
„Dann geht’s dir jetzt gut?“
Wieder nickte er lächelnd, dann überbrückte er einfach die kurze Distanz zwischen uns und küsste mich auf den Mund. Seine nassen Hände fuhren in meinen Nacken und er hielt den Kuss einige Sekunden, so als ob er den Geschmack meiner Lippen genoss.
Ich nahm noch eine zweite Portion Duschgel und verteilte noch mehr weißen Schaum auf seinem Körper, spielte ein wenig damit, indem ich versuchte, seine vielen Tattoos so unter dem Weiß zu verstecken, dass sie nur noch durchschimmerten.
Tsuzuku schien an diesem Spiel irgendwie Gefallen zu finden, denn er nahm sich ebenfalls noch etwas und tat dasselbe mit meinem Tattoo, versuchte, es unter dem Schaum zu verstecken, um das Weiß dann mit einer fließenden Handbewegung wieder wegzuwischen und die bunten Farben auf meiner Haut wieder freizulegen.
„Meto“, sprach er mich an und küsste mich wieder. „Du bist so wunderschön …“
„Danke“, flüsterte ich. „Du auch.“
Zum Dank bekam ich noch einen Kuss, dann stellte Tsu das Wasser wieder an und wusch uns beiden den Schaum von der Haut, wobei er wieder so zärtlich war, dass ich einen Moment doch das Gefühl hatte, dass er jetzt eigentlich am liebsten mit mir schlafen wollte.
Aber er schien sich gerade wirklich mal beherrschen zu wollen, denn das Haare-Waschen ging dann ohne irgendwelche erregenden Zwischenspiele ab. Wir nahmen uns unsere Handtücher und ich zog nach dem Abtrocknen erst mal meinen Bademantel an, um Tsuzukus Selbstbeherrschung nicht dadurch zu gefährden, dass ich nackt durch die Wohnung lief.
Während er sich im Bad zurechtmachte, trocknete ich meine Haare im Schlafzimmer mit einem Handtuch und begann dann schon mal, mich anzuziehen. Und als er sich dann anziehen ging (wobei er tatsächlich einfach nackt vom Bad zu mir ins Schlafzimmer lief), nutzte ich das Bad für meine Morgenroutine.
Fertig angezogen und schön gemacht kam ich wenig später in die Küche und sah meinen Freund schon wieder rauchend am offenen Fenster stehen. Er sah nachdenklich aus, so als beschäftigte ihn irgendwas, und ich setzte mich auf meinen Platz am Tisch und fragte: „Alles gut?“
„Vielleicht hätten wir vorhin … doch Sex haben sollen …“, antwortete er. „Das hilft wenigstens ein bisschen gegen diese Leere in mir …“
„Hast du dich denn vorhin auch schon wieder so gefühlt?“
„Nein, aber jetzt. Und jetzt ist es zu spät.“
Ich stand auf, stellte mich zu ihm, nahm seine Hand. „Heute Abend können wir‘s wieder tun. Dann kannst du wieder in meinen Armen liegen.“
„Und du nimmst mich?“
„Wir machen es so, wie du dann möchtest“, sagte ich. „Ich will, dass du dich gut fühlst.“
Tsuzuku lächelte leicht, ein halbes, irgendwie auch trauriges Lächeln. „Meto, du bist so süß.“
Er drückte seine Zigarette aus, ließ sie nach draußen runterfallen und umarmte mich dann. Ich legte meine Arme um ihn, drückte ihn fest an mich und spürte dabei ein Zittern in ihm, ehe auch schon eine Träne über seine Wange lief und auf mein Shirt tropfte.
„Hey, nicht weinen …“, sagte ich leise, doch da schluchzte er schon und klammerte sich an mich, weinte einfach, ohne dass ich recht erfuhr, warum. Ich konnte mir irgendwie unter dieser Leere, die er beschrieb, kaum etwas vorstellen, doch anscheinend war das ein sehr schmerzhafter Zustand, den er kaum aushielt. Alles, was ich tun konnte, war, ihn festzuhalten und so deutlich zu machen, dass ich bei ihm war und ihn liebte. Vielleicht, so dachte ich, war meine Liebe sowieso das einzige, womit ich gegen Tsuzukus Seelenschmerz irgendwas tun konnte.
„Meto …“, flüsterte er weinend, „Lass mich nicht los …“
„Mach ich nicht, Baby. Ich halte dich fest. Hab dich lieb.“ Ich lächelte ein bisschen, streichelte über seinen Rücken und küsste ihn dann, mit meiner ganzen Liebe. Er erwiderte den Kuss sehnsüchtig, aber fast ein wenig scheu, und seine Lippen schmeckten ganz salzig von seinen Tränen.
Ich streifte mit meinen Lippen über seine Wange, küsste die Tränen weg und hielt ihn dabei weiter fest umarmt, wollte, dass er sich sicher und geliebt fühlte.
Eine Weile standen wir so da, bis Tsuzuku sich wieder ein wenig beruhigt hatte. Ich ließ ihn langsam wieder los, er schloss das Fenster und ging in den Flur, griff in seine an der Garderobe hängende Tasche und nahm sein Handy heraus, ging damit ins Schlafzimmer, wo er sich aufs Bett fallen ließ und begann, irgendwas zu schreiben, vielleicht in sein Blog.
Ich sah auf die Uhr, wir hatten noch ziemlich viel Zeit, aber weder Tsu noch ich hatten Lust auf Frühstück, und so setzte ich mich noch ein wenig vor die Konsole und spielte eine Weile. Letztes Jahr hatte ich kaum gespielt, aber seit wir hier wohnten, hatte ich es wieder entdeckt und fand es fast besser, als immer nur zu lesen.
Als es dann Zeit war, loszugehen, schaltete ich die Konsole wieder ab und ging ins Schlafzimmer rüber, packte mein Kleid für die Arbeit und alles, was dazu gehörte, in eine Tasche. Tsu war inzwischen auch fertig mit seinem Handy und stand auf.
„Eigentlich könnte ich mir ja, so wie ich mich gerade fühle, heute schon das neue Tattoo stechen lassen …“, sagte er.
Ich war ein bisschen verwundert, weil er eben noch so unsicher gewirkt hatte, aber vielleicht war es ja auch genau das: Er brauchte eine Entscheidung, irgendwas, was ihn sich wieder sicher fühlen ließ, und ich wusste, dass ein neues Tattoo für ihn genau das bedeutete: Sicherheit.
„Mach doch“, sagte ich. „Vielleicht erst mal nur die Outlines, oder gleich alles?“
„Mal sehen, was Kurata dazu sagt, wegen der Kosten … Aber ich brauch das mal wieder, mein letztes Tattoo ist fast drei Jahre her.“ Tsuzuku zog seine Schuhe an und fügte dann noch hinzu: „Und bevor irgendein Arzt auf die Idee kommt, mir neue Tattoos zu verbieten …“
„Können solche Ärzte das denn?“
„Anscheinend schon. Eine in der Klinik, auf Hitomis Station, hat das gesagt, dass man sich während ‘ner Borderline-Therapie nichts stechen lassen darf.“
„Weil es als Selbstverletzung zählt?“, fragte ich.
Tsuzuku nickte. „Warum sonst?“ Er schaute in den Garderobenspiegel, strich sein Haar am Hals ein wenig beiseite und sah sich einen Moment lang an, als stellte er sich vor, wie das neue Tattoo auf seiner Haut wohl aussehen würde. „Und wenn ich jetzt selber kein neues haben darf, dann mach ich eben deins fertig. Du hast ja auch lange nichts mehr dran machen lassen.“
Da hatte er Recht. Ich hatte jetzt auch schon fast ein Jahr lang nichts mehr an meinem Tattoo weitermachen lassen, aber in letzter Zeit bekam ich wieder Lust darauf. Die bunte Entwurfszeichnung lag irgendwo in meinem Schreibtisch, war schon komplett fertig und musste nur noch nach und nach auf - beziehungsweise in - meine Haut gebracht werden.
Auf dem Weg zur Bahnstation sprachen wir noch ein wenig weiter über das Thema Bodyart, was für uns beide doch recht unterschiedliche Bedeutungen hatte.
Für mich war es einfach ein besonderes Schönheitsideal, eine Art von Schmuck, und ich mochte es gern bunt und auffällig, außerdem hatte das ‚Baby‘ auf meiner Haut eine gewisse Bedeutung für mich.
Tsuzuku ging es dagegen, wie er ehrlich zugab, neben der Schönheit und Bedeutung der Motive vor allem um Kraft und Sicherheit, und auch sehr um den Prozess des Stechens an sich. Er sagte, dass er das Summen der Nadel und den Schmerz mochte, dass ihn das entspannte und sogar irgendwie glücklich machte. Und dass es ihm eben auch Spaß machte, anderen die Haut zu schmücken und in dem Tattoo-Studio zu arbeiten.
Ich freute mich, dass Tsu an seiner Arbeitsstelle so glücklich war, das Studio passte einfach perfekt zu ihm und ich hatte auch das Gefühl, dass es ihm Halt gab. Das viele Herumsitzen damals auf der Straße hatte ihm ja überhaupt nicht gut getan, das hatte ich genauso gemerkt wie er selbst.
„Vielleicht bin ich in Wirklichkeit einfach so eine verrückte Künstlernatur“, sagte er und lachte. Er wirkte richtig gut drauf und entspannt, ganz anders als vorhin, und ich freute mich einfach darüber. Und auch, was er da sagte, war gut. Dass er sich selbst auch mal anders sah, als immer nur krank. ‚Verrückte Künstlernatur‘ klang einfach so viel schöner und positiver als ‚Borderliner‘.
„Stimmt“, sagte ich. „Du zeichnest ja echt gut, und Gedichte schreibst du ja auch wieder.“
„Ich könnte dir auch mal eins über Liebe schreiben.“ Tsuzuku lachte wieder. „So richtigen Kitsch.“
Ich lachte mit, stellte mir das ein bisschen vor und spürte, wie sehr ich mich über ein solches Liebesgedicht von Tsuzuku freuen würde.
Die Bahn in die Innenstadt fuhr ein und Tsu entschied schnell, dass ich die nächste in Richtung Café nehmen sollte und er die Strecke bis zum Studio ohne mich fuhr. Ich war damit einverstanden, weil er gerade stark und glücklich wirkte und den Weg sicher alleine schaffen würde. Die Bahn war nicht mal besonders voll, und nachdem er eingestiegen war und sogar noch einen Sitzplatz gefunden hatte, warf er mir durchs Fenster noch eine Kusshand zu.
Ich winkte ihm zu, dann fuhr die Bahn ab und ich setzte mich auf eine der Bänke, wartete auf die nächste Bahn in die andere Richtung. Als diese kam, stieg ich ein und hörte während der Fahrt noch ein bisschen Musik.
Koichi und Satchan waren schon da, als ich im Café ankam und mich erst mal zum Umziehen in die Umkleide zurückzog. Als ich von dort zurückkam, fertig umgezogen und aufgerüscht, ging ich zu Koichi in den Caféraum.
„Hey, Meto“, begrüßte er mich lächelnd und fragte gleich: „Wie geht’s euch, dir und Tsu?“
Bei Koichi war mir das Sprechen zwar um einiges leichter geworden, doch ein bisschen musste ich mich trotzdem noch sammeln, bevor ich dann wenig stockend antwortete: „Tsuzuku … geht’s gut, er will sich vielleicht … bald ein neues Tattoo machen lassen. Und mir … geht’s auch gut.“
„Schön, was für eins denn?“, fragte Koichi.
„Am Hals, ‘ne Schere“, antwortete ich.
„Na, da bin ich ja mal gespannt, wie das dann aussieht.“
Koichi sah mich einen Moment lang an und fragte dann: „Sag mal, hat sich bei euch beiden irgendwas verändert? Du wirkst irgendwie … anders als sonst. Oder täusche ich mich?“
Ich wusste erst nicht recht, was er meinte, weil ich selbst in dem Moment keine besondere Veränderung an mir spürte. „Nein, eigentlich hat sich nichts verändert.“
„Irgendwie siehst du selbstbewusster aus.“
Eigentlich war ja nur eine Sache passiert, der Positionstausch gestern Abend, aber ob das wirklich bewirkt hatte, dass ich jetzt selbstbewusster wirkte? Jedenfalls stieg mir, ob selbstbewusst oder nicht, beim Gedanken daran doch ein wenig Blut in die Wangen.
„Tsu und ich haben … gestern Abend zum ersten Mal richtig getauscht …“, sagte ich leise.
„Im Bett?“
Ich nickte.
„Dann liegt’s vielleicht daran. Und, war‘s schön?“
„Ja, total schön.“ Jetzt spürte ich es auch, das Selbstbewusstsein, und ich lächelte. „Und Tsu hat es auch sehr gefallen, glaub ich …“
„Würde zu ihm passen.“ Koichi grinste. „Er hat mir erzählt, dass er sich darauf gefreut hat.“
„Er … erzählt dir so was?“, fragte ich und wurde noch ein wenig röter. Obwohl ich ja wusste, dass Tsuzuku beim Thema Sex kaum Schamgefühle hatte, überraschte es mich doch irgendwie, dass er Koichi so etwas erzählt hatte. Zwar war Ko sein bester Freund und ich wusste ja, wie Tsu war, aber dass er ihm auch von der Sache mit dem Tauschen so offen erzählt hatte …
„Was … hat er denn gesagt?“, fragte ich leise.
„Dass er sich sehr drauf gefreut hat, mit dir zu tauschen, und dass er sehr neugierig darauf war. Und er wollte unbedingt, dass du diese Erfahrung machst. Ich glaube, diese Gleichberechtigung in eurer Beziehung, die ist ihm sehr wichtig.“ Koichi lächelte wieder. „Ich fand‘s richtig süß, wie er das gesagt hat. Wie verschossen er einfach in dich ist, das ist echt was Besonderes.“
Wir machten uns an die Arbeit, dasselbe wie immer, aber ich war mit den Gedanken irgendwie mehr woanders. Ich fragte mich, ob Tsuzuku das mit dem neuen Tattoo heute wirklich machen lassen würde, nachdem er ja heute Morgen wieder so schwankend in seiner Stimmung gewesen war.
Und da fiel mir auf, dass es das erste Mal war, seit wir uns kannten, dass er wieder etwas an seinem Körper verändern wollte. In seiner Zeit auf der Straße war da ja nichts Neues dazugekommen, also kannte ich das Gefühl, dass mein Freund etwas an seinem Aussehen nachhaltig veränderte, so nicht, weil ich ihn vorher ja noch gar nicht gekannt hatte. Und meine eigene letzte Veränderung in dem Bereich war auch schon fast ein Jahr her.
In der Pause stand ich mit Koichi im Hinterhof, wir rauchten beide und redeten ein bisschen, über dies und das. Ich hatte irgendwie ein seltsames Gefühl, musste auf einmal sehr an Tsuzuku denken, und als dann mein Handy klingelte und ich seinen Namen auf dem Screen sah, fühlte ich von irgendwoher schlagartig Sorge um ihn.
„Tsu?“, fragte ich, noch ehe er Hallo sagen konnte. „Alles gut?“
Er antwortete erst nicht, ich hörte ihn atmen, es hörte sich irgendwie gar nicht gut an.
„Meto …“, sagte er dann, seine Stimme klang wieder so sehr nach Angst und Weinen. „Meto, ich … ich hab Angst …“
„Was ist los?“, fragte Koichi neben mir. „Ist das Tsuzuku?“
Ich nickte in seine Richtung und fragte dann ins Telefon: „Tsu, was ist los?“
„Ich … hab eben … wieder gebrochen …“, hörte ich ihn mit verzweifelter Stimme sagen. „In … meinem Kopf … dreht sich alles … und … ich weiß wieder … was letztens war … da im Park …“
„Du kannst dich wieder daran erinnern?“, fragte ich, jetzt hochgradig besorgt.
„Meto … es tut mir leid … Ich hatte nur … so Angst, dass … die mich … alle hassen … wenn ich sage, dass wir … zusammen sind … Ich wollte dir … nicht wehtun …“
Ich dachte an das, was ich an jenem Tag beschlossen hatte, dass wir darüber noch einmal würden sprechen müssen. Aber das ging so am Telefon wirklich nicht.
Koichi drückte seine Zigarette aus, sah mich einen Moment lang an und sagte dann: „Geh schon zu ihm, Meto. Ich krieg das hier auch alleine geschaukelt.“ Und als ich zögerte, fügte er noch hinzu: „Tsu ist wichtiger als das bisschen Arbeit hier. Ist heute ja sowieso nicht so viel los.“
„Danke, Ko“, sagte ich, wollte dankbar lächeln, doch meine Sorge um Tsuzuku ließ in diesem Moment kein Lächeln zu.
„Tsu, ich bin gleich bei dir“, sprach ich ins Telefon. „Ich mach mich sofort auf den Weg.“
Er antwortete nicht, ich hörte ihn nur zitternd atmen, dann legte er auf.
Ich zog mich schnellstmöglich um und schminkte mich ab, verließ das Café und machte mich auf den Weg ins Tattoo-Studio. Wie war das jetzt nur passiert, dass Tsu sich wieder an den Vorfall von letztens erinnern konnte? Kam so etwas einfach so zurück oder hatte er irgendwas getan, was die Erinnerung wieder freigegeben hatte? Ich machte mir wieder große Sorgen um ihn.
Als ich das Studio betrat, war nur Takashima zu sehen, der an seinem Platz saß und mit einer der Nadelmaschinen hantierte. Als er mich erkannte, sah er davon auf.
„Hat Genki dich angerufen?“, fragte er.
Ich nickte nur. Sprechen war wieder mal nicht drin.
„Er ist hinten im Bad. Ich glaub, ihm geht’s wieder gar nicht gut.“ Er deutete auf einen Flur, der hinten vom Ladenraum abging, und ich sah eine Tür, dem Schild nach die zur Herrentoilette.
Ich durchquerte den Raum und klopfte an die Tür. „Tsu? Ich bin’s. Bist du da drin?“
Zuerst kam keine Antwort, dann ein leises „Komm rein …“.
Ich öffnete die Tür, blickte mich um und sah Tsuzuku in einer der beiden geöffneten Kabinen auf dem gefliesten Boden sitzen. Mir fuhr der Schreck in die Knochen, als ich sah, dass er seine Jeans bis zum Knie hochgezogen hatte und sein rechter Unterschenkel von blutig roten Schnitten übersät war. Seine Augen waren vom Weinen gerötet und als er mich ansah, war da diese Mischung aus abgrundtiefer Traurigkeit und entsetzlicher Leere in seinem Blick. Neben ihm lagen sein Handy und eine einklappbare Klinge, so eine, wie sie in einem Studio wie diesem für Cuttings verwendet wurde. Die Luft im Raum roch ein bisschen sauer, und ich wusste gleich, dass das daher kam, dass Tsu wieder gebrochen hatte.
„Hey, was machst du denn für Sachen?“, fragte ich und fühlte mich furchtbar hilflos.
Er sah mich nicht an, blickte nur zu Boden und sagte mit ausdrucksloser Stimme: „Borderliner sein …“
Ich riss mich zusammen, hockte mich vor ihn hin und berührte ihn am Kinn, zwang ihn so, mich anzusehen. „Das ist keine Antwort, mein Schatz. Also, was ist los?“
Es dauerte wieder einen Moment, bis Tsuzuku antwortete: „Ich … weiß nicht … Auf einmal … war das alles … wieder da … Und jetzt … hab ich wieder Angst …“ Seine Augen füllten sich mit neuen Tränen und er bat mich mit flehender Stimme: „Bitte … hass mich nicht …!“
„Du Dummerchen …“, sagte ich und streichelte seine Wange. „Wie könnte ich dich jemals hassen? Ich liebe dich, und eigentlich weißt du das auch.“
„Ich … hab dir wehgetan …“
„Das hab ich dir doch längst verziehen, mein Herz. Es ist alles gut. Kein Grund, dass du dir selbst wehtust.“ Ich beugte mich vor und hauchte einen Kuss auf Tsuzukus Stirn, was dazu führte, dass er plötzlich seine Arme um meinen Nacken schlang und mich ganz fest umarmte, so als drohte er, zu ertrinken.
„Verlass mich nicht … bitte …“, flüsterte er weinend und klammerte sich an mich.
Ich konnte nichts weiter tun, als ihn zu halten, liebevoll über seinen Rücken zu streicheln und zu versuchen, ihn irgendwie spüren zu lassen, dass ich ihn liebte.
„Komm, wir fahren nach Hause“, sagte ich nach einer Weile, griff seine Hände und zog ihn hoch. Er hob sein Handy auf, und die Klinge, die er in ihre Schutzhülle einklappte, so als bereute er es jetzt, sich damit verletzt zu haben. Dann zog er das rechte Hosenbein wieder runter, versteckte so die Schnitte und ging mit mir raus, zurück in den Ladenraum.
„Wir… nach Hause… fahren“, sagte ich zu Takashima.
„Ist gut, ich sag dem Chef Bescheid“, antwortete er und sah dann Tsuzuku an: „Ruh dich gut aus, und lass dir helfen, Genki.“
Tsu versuchte zu lächeln, doch im nächsten Moment sah er schon wieder aus, als müsste er weinen, und drehte sich weg, nahm seine Tasche.
Wir verließen das Studio und machten uns auf den Weg zur Bahn, Tsuzuku hielt sich die ganze Zeit über an meiner Hand fest und einzelne Tränen liefen über seine Wangen. Und als wir die Bahnstation erreichten, schwankte er, wir schafften es gerade noch bis zu einer Bank, bevor er emotional vollkommen zusammenbrach. Ich setzte mich neben ihn, umarmte ihn, versuchte, ihm den größtmöglichen Halt zu geben, während er so furchtbar weinte wie neulich auf dem Friedhof am Grab seiner Mama.
Vorsichtig fragte ich ihn, was denn los war, was ihm so schrecklich wehtat, solche entsetzlichen Schmerzen bereitete. Seine Antworten waren kaum zu verstehen, er konnte vor Weinen kaum sprechen und brachte nur Satzfetzen heraus, deren Zusammenhänge ich kaum verstand. Und immer wieder war da dieses Wort, das er sichtlich kaum aussprechen konnte und es doch tat, dieses furchtbare, verletzende Wort ‚Borderline‘.
„Schscht …“, machte ich, drückte ihn fest an mich und strich durch sein Haar, „Es wird alles wieder gut, mein Schatz, ich bin bei dir …“
Eine ganze Weile blieben wir so, Tsuzuku lag weinend in meinen Armen, bekam vor Schluchzen kaum noch Luft, und ich hielt ihn, versuchte dabei, ihn zumindest ein klein wenig vor den Blicken der vorbeigehenden Leute zu schützen. Mir war es kaum unangenehm, dass sie uns anschauten, doch ich spürte, dass es Tsuzuku noch mehr verletzte, so angestarrt zu werden.
Irgendwann beruhigte er sich langsam wieder, hing völlig erschöpft in meinen Armen und schien überhaupt keine Kraft mehr zu haben. Wir blieben noch ein wenig sitzen, bis ich das Gefühl hatte, dass er den Weg nach Hause schaffte, dann nahmen wir die Bahn in unser Viertel. Auf der kurzen Fahrt lehnte er sich an mich, sah mit leerem Blick zu Boden und schien von der Welt um uns herum nicht mehr viel aufnehmen zu können. Ich legte meinen Arm um ihn, hielt seine Hand.
Auf dem Weg von ‚unserer‘ Station nach Hause kamen wir an einer Apotheke vorbei und ich kaufte eine Salbe für blutige Wunden, weil ich nicht mehr wusste, ob wir zu Hause welche hatten. Tsuzuku hielt sich wieder an meiner Hand fest und die Verkäuferin in der Apotheke sah ihn mitleidig an, weil er komplett kaputt und verweint aussah und teilnahmslos neben mir stand, als ich die Salbe kaufte.
Als ich gerade unsere Wohnungstür aufschloss, klingelte mein Handy, Koichi wollte wissen, ob alles okay war. Ich bat ihn, einen Moment zu warten, wollte ihn gleich zurückrufen. Zuerst einmal verfrachtete ich Tsuzuku ins Bett, wo er einfach liegen blieb und an die Decke schaute. Dann rief ich Koichi zurück und erzählte ihm, was passiert war, woraufhin er gleich sagte, dass er nach der Arbeit bei uns vorbeikommen wollte, um nach Tsu und mir zu schauen und zu helfen.
Nach diesem Gespräch mit Ko ging ich zu meinem Freund zurück, der immer noch so da lag wie eben. Ich setzte mich auf die Bettkante und streichelte ihn einfach ein wenig, dann fragte ich: „Magst du dich nicht ausziehen?“
Er schüttelte den Kopf. „Ich … möchte jetzt nicht … so nackt sein …“
„Aber zieh zumindest die Jeans aus, damit ich dein Bein eincremen kann. Sonst kann sich das doch entzünden.“ Ich sah meine weite, lange Schlafanzughose auf den Boden liegen, hob sie auf und fügte hinzu: „Du kannst dann die hier anziehen, wenn du jetzt nicht nackt sein magst.“
Zögernd und langsam begann er, sich auszuziehen, und ich gab ihm auch das Oberteil von meinem Schlafanzug, was er dann zusammen mit der zugehörigen Hose anzog. Da es ja meine Sachen waren, hatten sie eher süße, helle Farben und ein etwas kindisches Katzen-Motiv, und Tsuzuku sah darin ein wenig komisch, aber irgendwie auch niedlich aus.
Ich holte die Salbe und schob das weite Hosenbein ein bisschen hoch, sah die Schnitte auf Tsuzukus schmalem Unterschenkel, an denen jetzt das Blut getrocknet war, und begann, sie vorsichtig einzucremen. Er beobachtete mich dabei, sein Blick war leer, und er gab keinen Ton von sich, kein ‚Aua‘, kein schmerzerfülltes Zischen, gar nichts. Als jeder Schnitt ein bisschen Salbe bekommen hatte, zog Tsu selbst das Hosenbein wieder runter und sah mich einen Moment lang nur an, dann fragte er leise: „Meto … wie hab ich dich nur verdient …“
Ich lächelte, kannte diese Frage ja schon, und antwortete: „Tsuzuku, du bist ein wunderbarer, sensibler, lieber und süßer Mensch. Ich liebe dich über alles, das kannst du mir ruhig glauben, und ich werde alles tun, was ich kann, damit es dir gut geht.“
Zur Bekräftigung meiner Worte umarmte ich ihn und drückte ihn fest an mich. Er schmiegte sich in die Umarmung, ganz weich und ergeben, eine ganze Weile blieben wir so, und dann merkte ich, dass er fest eingeschlafen war. Vorsichtig bettete ich ihn aufs Kissen, deckte ihn zu und hauchte einen Kuss auf seine Stirn. Blieb bei ihm sitzen und bewachte seinen Schlaf, damit ich ihn wecken konnte, falls er Albträume bekam.
Ruana saß auf ihrem Platz neben meinem Kopfkissen, schaute mich an, und ich nahm sie in die Hand, legte sie neben Tsu, so, dass sie das Erste sein würde, was er sah, wenn er wieder aufwachte. Ich machte mir ein bisschen Essen in der Küche und kehrte dann damit ins Schlafzimmer zurück, aß auf dem Bett sitzend, und ab und zu streichelte ich Tsuzuku ein bisschen, hoffend, dass er meine Anwesenheit auch im Schlaf ein wenig spürte.
Irgendwann legte ich mich neben ihn und es dauerte nicht lange, da war ich ebenfalls eingeschlafen, obwohl es mitten am Tag war.
Das Läuten an der Wohnungstür weckte mich gegen fünf. Ich brauchte einen Moment, bis ich soweit wach war, dass mir einfiel, dass Koichi ja noch vorbeikommen wollte. Tsuzuku schlief immer noch, aber ich stand langsam auf und ging zur Tür.
„Hey, Meto“, begrüßte mich Koichi, und ich ließ ihn in die Wohnung. „Du siehst ja verschlafen aus.“
„Ich hab auch geschlafen“, antwortete ich. „Und Tsu schläft immer noch.“
Ko warf einen kurzen Blick ins Schlafzimmer, dann gingen wir beide in die Küche. Ich machte eine kleine Kanne Tee und wir setzten uns an den Tisch, und Koichi fragte: „Was ist denn jetzt eigentlich genau passiert?“
„Tsu kann sich … wieder an den Streit erinnern, den wir letztens hatten. Das, wo er danach im Krankenhaus war. Und irgendwie … hat ihm das ganz furchtbar wehgetan.“ Ich schwieg einen Moment, dann fügte ich hinzu: „Er hat gebrochen und sich auch wieder geschnitten.“
„Oh, schlimm geschnitten?“, fragte Koichi besorgt.
„Am Bein, ganz viele Schnitte. Und er hat sehr geweint.“
„Hast du den Psychiater mal angerufen?“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich kann ja nicht gut telefonieren. Und ich glaube, Tsuzuku will das auch nicht, dass ich den anrufe.“
„Frag ihn mal, wenn er wieder wach ist. Ich glaube, er wird das einsehen, dass so ein Rückfall keine Kleinigkeit ist, und dass er Hilfe braucht.“
„M-hm, ja.“
In dem Moment kam Tsuzuku ganz verschlafen in die Küche getappt, fuhr sich mit der Hand durch die vom Schlaf wirren Haare und fragte mit müder Stimme: „Ko? Was machst du denn hier?“
„Na hör mal, ich mach mir Sorgen um dich!“, erwiderte Koichi, dann grinste er breit und schaute auf das, was Tsu immer noch anhatte, meinen Schlafanzug mit den Kätzchen drauf. „Und was bitte hast du da an?!“
„Meto hat drauf bestanden, dass ich nicht in Jeans und T-Shirt schlafe, also hat er mir seinen Schlafanzug hingelegt“, antwortete mein Freund, und da wir nur zwei Stühle da hatten, von denen einer von Koichi und einer von mir besetzt war, setzte er sich einfach auf meinen Schoß.
„Hast du keine eigenen Schlafsachen?“, fragte Koichi.
„Ich schlafe doch eh meistens nackt.“ Tsuzuku grinste, und ich hatte das Gefühl, dass ihm der Schlaf gut getan und er sich wieder ein bisschen erholt hatte.
Jedenfalls umarmte er mich, nahm sich dann einen Schluck aus meiner Teetasse und schließlich trank er die Tasse ganz leer, sodass ich ihn bat, von mir aufzustehen, damit ich mir neuen Tee einschenken konnte. Er blieb dann stehen, öffnete das Fenster und zündete sich eine Zigarette an.
„Geht‘s dir ein bisschen besser, mein Herz?“, fragte ich ihn.
Tsuzuku nahm einen Zug Rauch, schaute aus dem Fenster und antwortete: „Irgendwie schon. Nur … ich weiß nicht recht, was ich jetzt tun soll.“
„Was denkst du denn, was du tun könntest?“, fragte Koichi.
„Na ja, dagegen ankämpfen. Oder es eben lassen. Am liebsten, also von meinem Gefühl her, würde ich gerade einfach alles so laufen lassen, weil ich keine Kraft zum Kämpfen habe. Aber … ich hab auch Angst … dass es dann wieder ganz schlimm wird.“ Tsu fuhr sich mit der Hand über die Narben an seinem Unterarm, dann fügte er hinzu: „Ich will nicht, dass ihr so unter mir zu leiden habt. Und ich will auch nicht wieder sterben wollen.“
„Dann musst du kämpfen. Und du bist ja nicht allein. Wir sind bei dir, und du hast dir professionelle Hilfe gesucht, das Ganze ist also nichts, was du alleine durchstehen müsstest“, sagte Koichi.
Tsuzuku antwortete nichts darauf, doch er schien dankbar für Koichis Worte zu sein und dafür, dass wir bei ihm waren.
Koichi blieb dann noch eine Weile, aber wir redeten nicht mehr direkt über Tsuzukus Rückfall, nur über die Medikamente, die Dr. Niimura vorgeschlagen hatte. Ich saß allerdings eher still daneben, irgendwie war das mehr ein Gespräch zwischen Tsu und Koichi. Ko hatte irgendwas recherchiert bezüglich dieser Medikamente und jetzt sahen sie sich zusammen über sein Smartphone das Ergebnis an.
„Schau mal, wenn du das hier nimmst, dann musst du auch nicht ständig zur Beruhigung rauchen. Das wäre auch besser für dein Herz und für deine Lunge sowieso“, sagte Koichi und deutete auf einen Absatz in dem Heftchen, das uns der Psychiater mitgegeben hatte.
„Ich weiß nicht …“, erwiderte Tsu. „Ich trau dem ganzen Zeug nicht.“
„Was daran macht dir denn Angst?“
„Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie das wirken soll. Ich meine, wenn sich diese Ärzte noch nicht mal sicher sind, wieso ich überhaupt krank bin und was genau da bei mir falsch läuft, wie sollen sie dann wissen, was solche Tabletten mit meinem Kopf machen?“
„Aber meinst du nicht, dass es zumindest mal auf einen Versuch ankommt?“, fragte Koichi. „Du bist doch vorher nie in irgendwelcher psychiatrischer Behandlung gewesen, oder?“
„Nein …“
„Und, sag mal, ganz ehrlich, Tsuzuku: Kann es sein, dass du das im Grunde immer noch nicht wirklich willst, in Behandlung sein?“
Einen Moment lang sah Tsu verletzt aus, doch dann antwortete er: „Ja … kann sein …“
„Da musst du mit dem Arzt auch drüber sprechen. Dass du noch nicht den richtigen Willen dazu hast und warum das so ist. Aber, was ich mich frage: Wie hast du dir das bis jetzt vorgestellt? Weil, dass du gesund und glücklich werden willst, das hast du letztes Jahr ja schon gesagt.“
Irgendwas daran tat Tsuzuku weh, das sah ich sofort. Und als sich seine Augen dann wieder einmal mit Tränen füllten, umarmte ich ihn gleich.
„Ich dachte … dass ich das … schon irgendwie schaffe … mit Meto und mit dir … dass ihr ja bei mir seid … und dass ich … das in meinem Kopf … fast alleine hinkriege … weil … ich dachte halt … dass es so schon irgendwie gehen wird …“, antwortete er schluchzend. „Aber … ich schaff es einfach nicht …“
„Nicht weinen, mein Schatz“, sagte ich leise und streichelte über seinen Rücken. „Du hast doch heute schon genug geweint …“
Ich berührte ihn am Kinn, sodass er mich ansah, und ich tastete mit meinen Lippen über sein Gesicht, küsste die Tränen weg und fuhr dabei ein wenig mit meinen Händen durch sein schwarzes Haar. Ihm schien das sehr gut zu tun, er lehnte sich an mich und ließ sich einfach von mir halten.
Ich wollte so sehr, dass das genügte, dass es reichte, um ihn gesund und glücklich zu machen. Dass meine Liebe stark genug war, diese furchtbare Krankheit weit von ihm wegzuschieben. Denn viel mehr als das, was ich jetzt tat, konnte ich nicht tun, und das machte mich so traurig, dass ich beinahe auch noch zu weinen angefangen hätte.
Doch ich schluckte meine Traurigkeit herunter. Es half doch nichts, wenn ich jetzt auch noch verzweifelte. Ich musste doch stark sein, Tsuzuku festhalten und auf ihn aufpassen! Denn ich hatte es versprochen, und es war zugleich mein größter Wunsch.
Und dann fühlte es sich einen Moment lang so an, als würde sich dieser Wunsch doch bald erfüllen, oder zumindest für diesen Augenblick: Ein Lächeln schlich sich auf Tsuzukus schönes Gesicht, obwohl er noch Tränen in den Augen hatte, er schmiegte sich an mich und sagte leise: „Ich liebe dich, Meto. Du machst mich so glücklich.“
Koichi murmelte irgendwas, das verdächtig nach „Ihr beiden seid ja so wahnsinnig süß zusammen …“ klang, und sagte dann: „Wir sind ja auf jeden Fall bei dir, Tsu.“
Wir aßen dann noch zu dritt zu Abend, wobei Koichi dann auch Zeuge wurde, wie Tsuzuku sich wieder von mir füttern ließ. Ko fand das ziemlich niedlich und sagte, dass er so eine Beziehung wie die unsere echt noch nicht gesehen hatte.
„… da hast du ja keine andere Wahl, als schön alles aufzuessen“, fügte er an Tsu gewandt hinzu und lächelte.
Und Tsuzuku war jetzt so gut drauf, dass er lachte und antwortete: „Und ich glaube, es macht mich für Meto sogar attraktiv, wenn er mich füttern darf.“
Ich wurde natürlich wieder rot, weil es einfach stimmte. Ich tat das gern, konnte ich doch auf diese Weise ein wenig dafür sorgen, dass mein Freund wieder ein bisschen Freude am Essen hatte, außerdem war es romantisch und ich fand es ziemlich süß, wie Tsuzuku in solchen Momenten auch Gefallen daran fand, sich etwas verspielter und ein bisschen kindlich zu geben.
Nach dem Essen ging Koichi, zum Abschied umarmte er zuerst Tsuzuku, dann mich, und sagte: „Tsu, du musst dir noch mal klar drüber werden, was du genau willst, und was du tun willst, um da auch hin zu kommen. Denk da mal noch ein bisschen drüber nach.“
Tsu nickte nur, wirkte wieder ziemlich in Gedanken versunken.
Als Koichi dann weg war, legten wir uns ziemlich bald hin, und ich merkte sehr, dass so was wie Sex oder dergleichen jetzt nicht drin war. Tsuzuku wirkte unsicher, schwankend, so als wüssten seine Gefühle nicht, zu welcher Seite sie kippen sollten. Vorsichtig rückte ich ein bisschen näher zu ihm, meine Nähe hatte ihm bisher ja immer noch am meisten gut getan, und umarmte ihn, doch er war seltsam teilnahmslos, so dass ich leise fragte: „Geht’s? Oder fühlst du dich wieder nicht gut?“
Tsu blickte hoch an die Decke und es dauerte einen Moment, bis er antwortete: „Ich … weiß es nicht. Mir tut … irgendwas weh … aber ich kann dir nicht sagen, was.“
„Kann ich … was tun?“, fragte ich weiter.
Wieder dauerte es ein wenig, bis er antwortete: „Halt mich.“
Und das tat ich. Tsuzuku trug immer noch meinen Schlafanzug und ich nichts weiter als Shorts, und ich hielt ihn in meinen Armen, einfach nur liebevoll und mit dem Wunsch, ihn zu beschützen. Als er dann doch wieder ein bisschen weinte, umarmte ich ihn fester und küsste seine Stirn, zum Zeichen, dass ich für ihn da war und jetzt nicht zu viel von ihm verlangte.
Hätte er jetzt gewollt, dann hätten wir auch miteinander schlafen können, doch da er sich ganz offenbar gerade nicht danach fühlte, schob ich mein eigenes Verlangen beiseite und bewahrte die Unschuld dieser Umarmung.
Und irgendwann danach schlief erst er ein, dann ich.
Als ich aufwachte, war es noch ganz dunkel, irgendwann mitten in der Nacht. Ich spürte, dass Tsuzuku sich irgendwann umgedreht hatte und nun mit dem Rücken zu mir lag, und hörte ihn ganz ruhig und tief schlafend atmen. Zuerst wollte ich einfach wieder einschlafen, doch binnen weniger Augenblicke war ich so wach, dass ich nicht so einfach wieder einschlafen konnte.
Und so blieb ich wach liegen, ließ meine Gedanken ein bisschen laufen und dabei landete ich irgendwie wieder beim Thema Sex. Ich dachte an das Tauschen, daran, wie es sich angefühlt hatte, und wie Tsuzuku sich mir so lustvoll hingegeben hatte. Augenblicklich wallte es in mir auf, dieses neue, andere Begehren, zusammen mit meiner Liebe zu ihm, und ich schmiegte mich an seinen Rücken, legte meinen Arm um ihn und barg mein Gesicht an seinem Nacken, atmete den Duft seiner Haut und seiner weichen Haare ein.
Allein der Gedanke daran, dass er aufwachen und sich mir wieder so hingeben könnte, dass ich dann erneut in seine heiße Enge eindringen und ihn so unglaublich glücklich machen würde, indem ich seinem süßen Körper diese Lust schenkte … Die Vorstellung reichte aus, damit ich hart wurde.
„Tsuzuku …“, flüsterte ich und küsste zärtlich seinen Nacken, „Hast du eine Ahnung, wie sehr ich dich begehre? Was für ein wahnsinnig wunderschöner Mann du bist?“
Er reagierte nicht, schlief viel zu fest, um irgendwas bewusst mitzukriegen, und so wagte ich noch ein bisschen mehr, ließ meine Hand unter sein -mein- Schlafanzugoberteil wandern und seinen flachen, leicht muskulösen Bauch ein bisschen streicheln. Ihn so zu berühren, erregte mich weiter, ich begehrte und liebte jeden Quadratzentimeter seiner warmen Haut und schmiegte mich noch ein wenig mehr an seinen schmalen Körper.
Mir kamen Gedanken, die ich so noch nicht allzu oft gedacht hatte, eindeutige Fantasien von Dingen, die ich mit Tsuzuku zusammen tun wollte, und von denen ich jetzt glaubte, dass sie auch mir sehr gefallen könnten.
Am liebsten wollte ich ihn hier und jetzt vernaschen, anfangen, während er noch schlief, damit er aufwachte, wenn ich schon dabei war, seinem Körper die allerschönsten Lustgefühle zu bereiten.
Schon beim Gedanken daran spürte ich, wie mein Körper sich darauf freute, doch sollte ich Tsuzuku wirklich jetzt wecken? Ich wusste ja nicht, was er gerade träumte und ob er sich innen drin gut fühlen würde, wenn er jetzt aufwachte. Und als wir eingeschlafen waren, hatte er nichts Sexuelles gewollt.
Ich beschloss also, mich zu beherrschen, da ich nicht riskieren wollte, etwas zu tun, das Tsu möglicherweise in diesem Moment gar nicht wollte. Und auch, wenn mein Begehren nach ihm in diesem Moment so stark war, so wollte ich ihn doch nicht im Schlaf überfallen.
Vorsichtig löste ich mich von ihm, stand auf und ging ins Bad, wo ich mich auszog und erst mal unter die kalte Dusche stellte, um meine Erregung wieder in den Griff zu bekommen. Mein Glied war in seiner Lust in diesem Moment ungewöhnlich hartnäckig und es brauchte eine Weile, bis es wieder weich wurde.
Als ich mich gerade abtrocknete, hörte ich ganz leise Tsuzukus Stimme aus dem Schlafzimmer.
„Meto …?“
Ich wickelte mir mein Handtuch um die Hüfte und lief zu ihm, fragte mich, ob ich ihn etwa doch geweckt hatte. Er lag jetzt auf dem Rücken, hatte das Schlafhemd aufgeknöpft, und mir fiel sofort auf, dass er seine Hand auf sein Herz drückte, so als ob es ihm wieder wehtat.
„Wo … warst du?“, fragte er und jetzt klang auch seine Stimme nach Schmerzen.
„Ich hab nur eben kalt geduscht“, antwortete ich und setzte mich aufs Bett. „Hatte ‘nen ziemlichen Ständer …“ Ich rückte nah zu ihm, legte mich hin und fragte dann: „Tut dir was weh?“
„Mein Herz …“, antwortete er. „Ich weiß auch nicht … warum.“
„Na ja, war ja wieder ein ziemlich harter Tag für dich“, sagte ich und legte meine Hand auf seine Brust, spürte sein Herz ziemlich schnell schlagen. „Vielleicht ist es ein bisschen überanstrengt, dein Herz.“
Er seufzte, als ich sanft über seinem Herzen streichelte, es tat ihm offenbar sehr gut, und ein süßes Lächeln huschte über seine Lippen.
„Möchtest du einen Kuss auf dein Herz?“, fragte ich leise.
Tsuzuku nickte, und ich beugte mich über seine Brust, drückte meine Lippen liebevoll auf die Stelle über seinem Herzen, wo er so sensibel war. Er seufzte lauter, sein Körper bog sich mir ein wenig entgegen, verlangte nach mehr. Ich setzte einen weiteren Kuss auf die Stelle, was ihm wahnsinnig gut zu tun schien, und streifte dann ganz vorsichtig mit meinen Lippen über seine gepiercte Brustwarze.
„Mmmeto … ahhh …“
„Das magst du sehr, oder?“, fragte ich lächelnd und küsste ihn wieder dort, dieses Mal ein wenig mutiger und eindeutiger.
Tsuzuku stöhnte, seine Herzschmerzen schienen vergessen, und auch, dass er sich ja eigentlich, was Sex anging, hatte beherrschen wollen. Innerhalb von ein paar Augenblicken war er erregt, seine Hände wanderten hungrig über meinen Körper, und ich ließ mich ganz auf ihn sinken, was mich meinerseits wieder erregte.
Ich sah ihn an, blickte in seine schönen, dunkelbraunen Augen, in denen wieder diese intensive Lust und Liebe leuchtete, die ich an ihm so liebte, und im nächsten Moment knutschte ich ihn mit aller Leidenschaft ins Kissen, atemlos, geradezu verschmelzend, während seine Hände das Handtuch von meiner Hüfte lösten und er sich dann die Schlafanzughose vom Hintern zerrte.
Kurz dachte ich noch daran, dass ich mir die kalte Dusche hätte sparen können, dann war kein klarer Gedanke mehr möglich. Mit einem unglaublich intensiven Gefühl, das fast nicht von dieser Welt sein konnte, stürzten sich unsere erbebenden Körper aufeinander, Tsuzuku zitterte vor Lust und küsste mich mit einer solchen Intensität, dass mir beinahe schwindlig wurde und ich nichts anderes mehr fühlte als ihn, seine Haut an meiner, sein Haar unter meinen Händen, seine unbeherrschte Ekstase und seine heiße, gespaltene Zunge, die gierig und wie wahnsinnig liebend in meinen Mund drängte.
Es war eigentlich nichts weiter als ein Kuss, doch ein so inniger, mit so viel Lust und Körpereinsatz, dass wir in diesem Moment keinen ‚richtigen‘ Sex brauchten. Und so eng und heiß, wie wir uns aneinander drückten, war es auch nicht verwunderlich, dass wir bald kurz nacheinander zum Höhepunkt kamen und Tsuzuku dabei voller Verzückung laut gegen meine Lippen stöhnte.
Danach lag ich in seinen Armen, mein Kopf auf seiner Brust, ich hörte seinen Herzschlag, erst noch schnell und hämmernd, dann langsam ruhiger.
„Das war besser … als alle Tabletten der Welt …“, sagte Tsuzuku leise und streichelte mit den Fingern über meine Seite. „Ich brauch keine Medikamente, Meto. Ich brauche nur dich.“
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Er war gerade so glücklich und ich wollte das auf keinen Fall trüben. Außerdem … war das, was er da sagte, ja im Grunde auch mein Wunsch: Dass das, was ich für ihn tun konnte, ausreichte, um ihn glücklich und vielleicht sogar irgendwie gesund zu machen. Ich wollte jetzt nicht daran denken, dass das schwierig, wenn nicht gar unmöglich war, sondern mich einen Moment lang der Hoffnung und der Liebe hingeben, die ich für Tsuzuku empfand.
Und so kuschelte ich mich einfach ganz nah an ihn, hauchte noch ein kleines Küsschen auf seine Brust und war dann bald wieder eingeschlafen.
Am Morgen wachte ich davon auf, dass jene warmen, schlanken Männerhände, die ich so liebte, sanft über meinen Körper strichen, und zarte, weiche Lippen meinen Hals küssten. Ich blinzelte und tastete nach dem schmalen, süßen Körper neben mir, hörte Tsuzukus Stimme leise lachen, und dann sah ich ihn, als er sich über mich beugte und seine Lippen auf meine drückte.
„Ich dachte, ich weck dich auch mal wieder so“, sagte er dann und lächelte. „Mein Liebster …“
Ich lächelte zurück. „Gut geschlafen, Baby?“
Er nickte, sah wirklich glücklich und entspannt aus. „Du willst nicht wissen, was ich geträumt habe.“
Ich musste grinsen. „Doch, will ich. Erst recht, wenn es ein schöner Traum war.“
„Na gut.“ Tsuzuku ließ sich wieder neben mich sinken und sagte lächelnd: „Ich hab geträumt, dass ich dein Tattoo weiter bunt mache. Und dann waren wir im Love Hotel und du hast mich nach allen Regeln der Kunst vernascht.“
„Du träumst ja Sachen … Hast wieder nur Tattoos und Sex im Kopf?“, fragte ich und küsste ihn.
„Du bist bald mein Mann, da darf ich doch wohl davon träumen, dass wir Sex haben, oder?“
„Ist ja schön“, erwiderte ich. „Ich freu mich, wenn du schöne Sachen träumst.“
Ich dachte an den Kuss nachts, diese süße Lust, und daran, dass ich mir davor gewünscht hatte, Tsu noch mal richtig zu vernaschen. Vielleicht hatte er das irgendwie gespürt und dann hatte der innige, heiße Kuss dafür gesorgt, dass er schön geträumt hatte. Dieser Gedanke stimmte mich glücklich, dieses schöne Gefühl, dass ich es anscheinend doch irgendwie schaffte, dass Tsuzuku sich gut fühlte.
Er sah mich an, berührte sanft meine Wange. „Du weißt, ich will mich ja beherrschen und so … aber eigentlich … würde ich jetzt doch gern mit dir schlafen.“
Ich lächelte. „Ich ja auch“, gab ich ehrlich zu. „Mir fällt’s genauso schwer, mich zu beherrschen.“
Tsuzuku beugte sich über mich und schnurrte mit verführerisch tiefer Stimme in mein Ohr: „Wie wär’s dann, wenn wir heute den ganzen Tag im Bett bleiben und kuscheln? Und dann machst du mich so geil, dass ich ganz willig die Beine für dich breit mache?“
Ich musste mich ganz gewaltig zusammenreißen, und doch ließ es sich nicht vermeiden, dass ich allein schon von der Art, wie Tsu das sagte, heiß wurde, und seine Worte taten ihr Übriges.
„Tsu!“, protestierte ich mit roten Wangen. „Mach mich nicht so heiß!“
Aber er wäre nicht er gewesen, wenn er dieses Spielchen nicht noch ein klein wenig weiter gespielt hätte: „Stehst du drauf, dir das vorzustellen, Meto? Macht dich der Gedanke an, dass ich unter dir liege, vollkommen willig und dir ganz hingegeben, und ich die Beine breit mache, damit du mich nimmst?“, fragte er herausfordernd und schmiegte sich eng an mich.
Ich nickte, konnte nicht anders, denn diese Vorstellung war, zusammen mit meinem Wunsch, Tsuzuku zum Dahinschmelzen zu bringen und ihm so viel gutes Gefühl wie nur möglich zu schenken, wirklich sehr, sehr schön und erregend.
Er lächelte, süß und selbstsicher, küsste mich, und ich spürte, dass er erregt war und sich trotz seines Vorhabens, sich zu beherrschen, jetzt doch sehr danach sehnte, mit mir zu schlafen.
„Wie viel Zeit haben wir?“, fragte ich. „Wenn wir heute arbeiten gehen und so?“
Tsu drehte sich kurz nach dem Wecker um und sagte dann: „Ne halbe Stunde, dann aufstehen, duschen und so, dann los. Schaffen wir, oder?“
„Du hast das Frühstück vergessen. Ich muss dich doch füttern.“
Er lachte, küsste mich wieder und sagte: „Dann fang mal jetzt an, mich zu vernaschen, dann haben wir dafür auch noch Zeit.“
„Und?“, fragte ich, hob die Hand und strich eine Strähne von Tsuzukus schwarzem Haar hinter sein gepierctes Ohr. „Wie möchtest du es heute?“
Er sah mich an, mit diesem für ihn typischen, unverstellten Blick, und antwortete: „Am liebsten würde ich mich dir wieder so hingeben, und dass du in mich eindringst. Aber … ich glaube fast, mein Hintern fände das nicht so toll … Der muss sich noch ein bisschen erholen. Und du? Wie möchtest du es gern?“
„Ich möchte, dass du dich gut fühlst, dass du heute einen schönen Tag hast. Ich will es dir und uns beiden schön machen“, antwortete ich.
„Das ist süß von dir, Meto. Aber ich will wissen, wonach dir ist, was du dir gerade vorstellst. Wonach sehnt dein Körper sich? Was möchte er mit meinem tun, oder was soll ich mit ihm anstellen?“
Ich fühlte einen Moment in mich hinein, fragte mich, ob es da etwas Bestimmtes gab, was ich mir jetzt wünschte. Doch ich spürte in diesem Augenblick kein solches eigenes Sehnen, da war nur der Wunsch, meinem Freund nach dem furchtbaren Tag gestern jetzt schöne Gefühle und Genuss zu schenken. Ich wollte dieses wunderbare Gefühl spüren, das ich hatte, wenn es mir gelang, Tsuzuku glücklich zu machen.
„Ich meine das ernst, Tsu. Ich will jetzt nichts weiter, als dir solche Lust zu bereiten, dass du dich heute den ganzen Tag gut fühlst.“ Und während ich das sagte, bekam ich auch eine konkrete Vorstellung, was ich gleich tun würde: Seinen Unterleib liebkosen, sein Glied mit meinem Mund verwöhnen, und ihn auf diese Weise dazu bringen, dass er so süß stöhnte und schrie wie vorletzten Abend, als ich ihn zum ersten Mal richtig genommen hatte.
„Oh Gott, Meto …“ Tsuzukus braunen Augen leuchteten geradezu. „Du bist viel, viel zu gut für mich!“
Ich legte ihm meinen Finger auf die Lippen. „Nichts sagen, Baby. Setz dich auf die Bettkante, mach die Beine auseinander, und dann will ich aus deinem Mund kein Wort mehr hören, nur noch diese wunderschönen Laute, die mir zeigen, dass du das, was ich gleich mit dir machen werde, wahnsinnig gern magst.“
Er tat einfach, was ich sagte, konnte sich mit seiner lebhaften, lustvollen Fantasie ganz sicher denken, was ich vorhatte. Zog sich Shorts und Schlafanzughose aus, ließ beides neben das Bett fallen, und setzte sich dann auf die Kante, die Beine so weit auseinander, dass ich gut Platz dazwischen fand, als ich mich dann vor ihn hinkniete.
Er war jetzt richtig erregt, seine voll ausgeprägte Härte lustvoll gerötet, und als ich dieses schöne, heiße Glied mit der Hand sanft berührte, spürte ich ein erwartungsvolles Zucken darin, dieses süße Sehnen nach meinen Zärtlichkeiten.
Und während ich Tsuzukus Erregung zuerst nur liebevoll streichelte, und erforschte, was er dort besonders mochte, beobachtete ich jede Reaktion seines so wunderschönen Männerkörpers, wie seine Atmung rascher wurde und sein Brustkorb sich dadurch ruckartiger bewegte, seine Bauchdecke vor Erregung leicht zuckte, seine schönen Hände ins Bettlaken krallten und sein Gesicht seine Lust spiegelte.
Ich ließ meine Hände etwas höher und darum herum wandern, strich über seine Leisten- und Lendengegend, machte ganz langsam, so lange, bis ihm ein leicht unwilliges Seufzen über die Lippen kam. „Meto … jetzt quäl mich nicht so …“
Ich lächelte zu ihm hoch und beugte mich dann vor, drückte einen Kuss auf sein Glied, noch einen, immer weiter, viele kleine Küsschen, fühlte das Pochen seines erregten Pulsschlages unter meinen Lippen und lauschte seinem erst noch leisen, dann immer lauteren, glückstriefenden Seufzen.
Und als ich dann seine Eichel, aus der schon sein Lusttropfen austrat, zwischen meine Lippen nahm und zärtlich zu lecken begann, wurde er richtig laut, stöhnte und schrie seine Lust frei heraus.
Der bittere Geschmack war mir egal, ich leckte alles ab, schluckte, dachte nur an meinen größten Wunsch, Tsuzuku glücklich zu machen, und hörte zufrieden, dass es ihm mehr als gefiel, ja dass er es liebte, was ich mit ihm tat.
Meine Hände strichen derweil über die helle Haut seiner schmalen Oberschenkel, ich fühlte die eine oder andere Narbe unter meinen Fingern und dachte kurz daran, dass seine Haut dort deshalb so blass war, weil er seine Beine nicht gern zeigte und sie deshalb kaum Sonne bekamen. Und so streichelte ich ihn jetzt dort besonders liebevoll, um ihm zu zeigen, dass ich auch diejenigen Partien seines Körpers liebte, die er selbst nicht so mochte.
Und während ich sein Glied mit meinen Lippen verwöhnte und seinem süßen Stöhnen lauschte, kam meine Hand auch an seinem Unterschenkel an, berührte vorsichtig die verletzte Haut. Ich sah zu ihm hoch, ob es für ihn okay war, dass ich ihn jetzt auch dort berührte, er blickte zu mir runter, fragend, schien nicht recht zu wissen, was er davon halten sollte.
„Möchtest du da auch ein bisschen Liebe haben?“, fragte ich.
Auf einmal sah ich Tränen in seinen Augen, kurz schien es so, als würde er anfangen zu weinen, weil ihn etwas daran emotional traf, doch dann nickte er. „Ja … bitte, Meto …“
Ich ließ meine Lippen von seinem Glied ab, er streckte sein Bein so, dass ich leichter ran kam, und ich begann, vorsichtige kleine Küsschen auf den immer noch leicht geröteten Schnitten zu verteilen. Seine Reaktion ähnelte der, wie wenn ich sein Herz küsste, war mehr emotional als körperlich, ein hingerissenes, tief aus seiner Seele kommendes Seufzen, das zwar glücklich, aber auch irgendwie so klang, als sei er von seinen eigenen Gefühlen fast ein wenig überfordert.
„Ist das schön, mein Schatz?“
Er nickte, lächelte, doch seine Augen weinten, ihm liefen Tränen über die Wangen.
„Soll ich da weiter machen oder … wieder dein Glied küssen?“, fragte ich.
Die Antwort schien ihm seltsam schwer zu fallen, er war sichtlich gerührt und jetzt nicht so imstande zu seinen üblichen freien Worten. „Ja … küss mich wieder da … meinen Schwanz … ich … halte das andere … jetzt nicht so aus …“
„Ist doch okay“, erwiderte ich. „Ich mach es so, wie es für dich schön ist.“
Und so setzte ich das liebende Tun meiner Lippen an seinem Glied fort, langsam und vorsichtig, dabei genau auf seine Reaktionen achtend, und ab und zu sah ich zu ihm hoch. Der Anblick, der sich mir dann bot, war so schön und rührend zugleich, und so typisch für Tsuzuku, dass ich eine Gänsehaut bekam und mein Herz wie verrückt klopfte:
Er stöhnte genießend, seine Lippen zogen sich immer wieder zu einem lustvollen Lächeln, und dabei liefen weiter Tränen aus seinen geschlossenen Augen. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass diese Tränen keine der Traurigkeit waren, sondern einfach nur deshalb flossen, weil er so voller Gefühle war, dass er nicht anders konnte, und sein erregtes Stöhnen und das Lächeln sagten mir, dass er sich dennoch gut fühlte.
Mir kam jedoch die Frage, ob es denn so gut war, wenn er am frühen Morgen schon so viele Gefühle durchmachte. Es war jetzt einfach so passiert, weil ich mich sehr von ihm und seinen Reaktionen leiten ließ, und die nun mal so gefühlsbetont und sprunghaft waren.
Sollte ich es schnell zu Ende bringen und ihn jetzt kommen lassen? Ihn aus diesen dichten Wolken voller Gefühl zurück auf den Boden holen und dafür sorgen, dass er heute seinen Arbeitstag gut überstand? Vernünftiger war das sicher und ich wollte ja auch auf keinen Fall, dass er wieder so zusammenbrach wie gestern.
Meine eigene Lust war mir in diesem Moment nicht wichtig, ich konnte mir auch gleich unter der Dusche einen runterholen.
„Tsuzuku?“, sprach ich ihn leise an, „Ich bring’s zu Ende, okay? Du musst heute noch den ganzen Tag durchstehen und du weinst ja jetzt schon wieder …“
Er nickte, fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Tut mir Leid, Meto, ich …“
„Ist okay“, unterbrach ich ihn und sah zu ihm hoch. „Alles gut. Entspann dich.“
Ich senkte den Kopf, nahm seine Eichel wieder zwischen meine Lippen, schmeckte die zarte Haut und schenkte ihm so viel Lust, wie er gerade aufzunehmen vermochte. Er stöhnte, und ich spürte, wie die Erregung wieder in ihm aufflammte, schnell mehr wurde, bis er mit einem tiefen, knurrenden Laut zum Höhepunkt kam und seinen heißen Samen in meinen Mund ergoss. Es war viel, schmeckte bitter und eigenartig, doch ich dachte dennoch nicht daran, es auszuspucken, sondern schluckte alles herunter, leckte sogar noch weiter, bis nichts mehr kam.
Als ich mich danach von ihm löste, ließ er sich nach hinten aufs Bett fallen, schien seine Gefühle erst wieder ein wenig ordnen zu müssen, und ich legte mich dazu, beugte mich über ihn und streichelte seinen Hals. Meine eigene Lust war abgekühlt, mein Glied wieder weich, doch ich war nicht unzufrieden, obwohl ich mich ein wenig seltsam fühlte.
„War das jetzt trotzdem schön, obwohl du weinen musstest?“, fragte ich leise.
Er nickte, lächelte, umarmte mich. „Ja, war es. Dankeschön, mein Liebster.“
Ich stand auf, ging kurzentschlossen als Erster ins Bad, stellte mich unter die Dusche und musste mich irgendwie auch erst mal wieder innerlich ordnen. Irgendwas war durcheinander geraten, doch ich konnte nicht erkennen, was es war.
Der Rest des Morgens verlief dann aber wieder so wie immer. Duschen, anziehen, schminken, frühstücken, beziehungsweise rauchen. Und es fühlte sich auch alles normal an, fast so, als ob der Tag heute gut wurde, für mich, und auch für Tsuzuku.
Wir gingen zusammen zur Bahn, Tsuzuku umarmte mich auf dem Bahnsteig und wir nahmen jeder die jeweilige Bahn zu unseren Arbeitsstellen.
Innerlich betete ich, dass er den Tag gut überstand, halbwegs stabil blieb. Und gleichzeitig spürte ich, dass ich mich auch um mich selbst kümmern musste. Ich spürte permanent die Versuchung, nur noch für ihn da zu sein, alles für ihn zu tun, nur ihn glücklich zu machen, und dabei passierte es leicht mal, dass ich mich selbst ein wenig vergaß.
Während der Bahnfahrt hörte ich Musik und versuchte, mir mal wirklich keine Sorgen um meinen Freund zu machen, sondern nur über mein eigenes Leben nachzudenken.
Ich hoffte, dass MiAs Auftauchen an meiner Arbeitsstelle eine einmalige Sache gewesen war und er nicht erfuhr, dass ich dort arbeitete. Beziehungsweise, vielleicht sollte Koichi ihm das einfach sagen, damit MiA sich dann nicht mehr blicken ließ. Ich wollte ihn wirklich nicht mehr sehen, und schon gar nicht irgendwie mit ihm zu tun haben. Jede Situation mit ihm wäre einfach nur seltsam gewesen.
Als die Bahn hielt und ich ausstieg, kam mir vom anderen Bahnsteig Koichi entgegen. Anscheinend war er heute auch ein bisschen später dran.
„Morgen, Meto“, begrüßte er mich lächelnd und fragte auch gleich: „Wie geht’s dir?“
Ich brauchte wieder einen Moment, bis ich richtig sprechen konnte, dann antwortete ich: „Eigentlich ganz gut.“
„Und Tsuzuku?“
„Vorhin ging’s ihm gut“, sagte ich und dachte daran, dass ich das, sobald ich nicht mehr bei ihm war, ja nicht mehr sicher wissen konnte.
„Ist gerade alles ziemlich … schwankend, oder?“, fragte Koichi.
Ich nickte.
„Meto, du darfst dabei auch nicht vergessen, für dich selbst zu sorgen. Ich weiß, du willst am liebsten nur für Tsuzuku da sein, aber pass auch auf dich selber auf.“
„Ich weiß“, sagte ich. Auf den Gedanken war ich ja selbst schon gekommen. Nur, irgendwie war das schwer umzusetzen. Vielleicht sollte ich erst einmal einfach meiner täglichen Arbeit nachgehen, ohne mir die ganze Zeit Sorgen zu machen.
Der Vormittag verlief dann tatsächlich ziemlich gleichförmig und geregelt, es gab genug zu tun und ich machte einfach meinen Job, was mir auch soweit gut gelang. Bediente die wie immer zumeist weibliche Kundschaft, stand für Fotos bereit und spielte die stumme Puppe.
Es gefiel mir, und das Ganze hatte, trotz dass es Arbeit war, etwas Entspannendes an sich, weil es mich zwang, nur an mich und meine Kundschaft zu denken, und mich von meiner Sorge um Tsuzuku abzulenken.
In der Mittagspause rief ich ihn trotzdem kurz an, einfach um zu fragen, ob bei ihm alles okay war. Er klang ganz entspannt und ruhig, erzählte ein bisschen was und fragte mich, wie es bei mir lief, worauf ich ebenfalls ein wenig erzählte. Nach dem schlimmen Tag gestern und dem Gefühlschaos heute Morgen war ich jetzt einfach nur froh, dass es ihm gerade ganz normal gut ging. Tatsächlich hätte ich mir, wenn er jetzt wegen irgendwas euphorisch gewesen wäre, mehr Sorgen um ihn gemacht, weil ich dann befürchtete, dass er zu hoch flog und dann umso tiefer fiel.
Aber jetzt war alles okay und ich machte mich nach der Pause wieder an die Arbeit.
Ein ganz normaler Tag, ein fast normales Leben, einfach mal nicht daran denken müssen, dass der Mann, den ich über alles liebte, an einer schlimmen Krankheit litt. Ich hoffte, dass er das auch ab und zu mal vergaß und sich auch mal ohne einen Gedanken daran einfach nur gut fühlte. Ich wünschte es ihm so sehr!
Abends, als ich nach Hause fuhr, fühlte ich mich seltsam, traute dem Frieden nicht. Ich war nicht mehr an solche Ruhe gewöhnt. Doch als ich unsere Wohnung betrat, erwartete mich kein Chaos, kein weinender oder sonst wie niedergeschlagener Tsuzuku, sondern stattdessen einer, der irgendwie unseren Fernseher zum Laufen gebracht hatte, und jetzt davor saß und eine Sportsendung ansah. Er hatte eine Tüte Knabberzeug neben sich stehen, dazu eine Dose Bier, und wirkte so entspannt, wie ich ihn lange nicht mehr gesehen hatte.
„Hey, Baby“, begrüßte er mich lächelnd. „Wie war dein Tag?“
„Gut. Hatte ordentlich zu tun“, antwortete ich. „Und bei dir?“
„Alles gut.“ Er lächelte wieder und es wirkte ganz ehrlich.
Es war nur eine kleine Unterhaltung und in einer anderen Beziehung hätte sie vielleicht für Langeweile oder ähnliches gesprochen, doch für Tsuzuku und mich war es einfach mal ein Stück Normalität, etwas, das wir beide brauchten, weil es Stabilität und Entspannung bedeutete.
Ich setzte mich neben ihn aufs Sofa und wir sahen uns die Sendung, ein Baseballspiel, zusammen an, aßen von dem Knabberzeug und ich holte mir auch ein Bier. Das Spiel war schon halb durch, aber spannend bis zur letzten Minute, und als dann tatsächlich die Mannschaft gewann, die Tsu lieber mochte, freute er sich richtig darüber, sprang sogar auf, und umarmte mich dann.
Der Rest des Abends verlief ebenso entspannt und normal. Nach dem Spiel sahen wir noch einen Film an, der auf einem anderen Sender lief, und als wir beide müde waren, gingen wir einfach schlafen, ohne Tränen, ohne Sex, ich lag einfach nur in seinen Armen und fühlte, wie sein Herz kräftig und gleichmäßig schlug und er ganz ruhig atmete.
Als ich an diesem Abend von der Arbeit im Café heim kam und die Treppen zu meiner Wohnung hinauf stieg, wartete oben vor meiner Tür eine Überraschung auf mich.
„Hey, Koichi!“ Mikan saß auf der obersten Stufe und grinste mich an. Als ich vor ihr stand, erhob sie sich und küsste mich, einfach so, es war ja auch sonst niemand hier, vor dem es vielleicht peinlich gewesen wäre. „Ich dachte, ich komm einfach mal vorbei.“
„Warum auch nicht“, sagte ich und schloss die Tür auf, ließ meine Freundin in die Wohnung und schloss hinter uns wieder zu.
Kaum hatte ich den Schlüssel wieder in meiner Bambitasche versenkt, fand ich mich auch schon in einer engen, warmen Umarmung wieder, die mich dazu brachte, Mikan nun auch meinerseits zu küssen. Ihre Lippen schmeckten nach Erdbeerlipgloss und sie küsste mich so stürmisch zurück, dass es meinen eigenen roten Lippenstift sicher ebenfalls verschmierte.
„Na komm, Mr. Princess, erst abschminken, dann weiterküssen.“ Sie lachte, stupste mir mit dem Finger auf die Nase und schob mich vor sich her ins Bad.
Es hätte auf manche Leute wahrscheinlich schon etwas eigenartig gewirkt, dass ich als Mann mit meiner festen Freundin vor dem Spiegel stand und wir uns gemeinsam abschminkten. Aber so war ich eben, und inzwischen war ich auch wieder vollkommen okay damit, dass Mikan mich scherzhaft ‚Mr. Princess‘ nannte und ich eben nicht der typische Kerl mit Freundin war, sondern ihre Liebe zu Makeup, hübschen Kleidern und rosa Kitschkram teilte.
Ich fühlte mich nicht mal mehr unmännlich, als ich die falschen Wimpern abnahm und die bunten Glitzersteinchen um meine Augen herum entfernte. Das konnte jedoch auch daran liegen, dass mich Mikans Anwesenheit und Nähe schon so weit erregte, dass ich meinen Körper in diesem Moment gar nicht anders als männlich wahrnehmen konnte, weil er ganz eindeutige Reaktionen zeigte.
„Huiii, Kocha!“, lachte Mikan, als ich meinen Rock auszog, sie mir dabei zusah und die eindeutige Beule in meiner Unterhose bemerkte. „Was geht denn in deinem Kopf gerade ab, dass du schon so geil bist?“
„Gar nichts“, antwortete ich und umarmte sie einfach. „Es reicht, dass ich allein mit dir bin.“
Mikan gab ein freches, gespieltes Schnurren von sich und drückte sich an mich. „Was glaubst du, warum ich hier bin?“
Ich lachte. „Um mit mir zusammen zu Abend zu essen?“, riet ich absichtlich falsch.
„Koichi, Koichi … das Abendessen bist du!“ Sie küsste mich wieder, dieses Mal ein ganzes Stück weit hungriger. „Ich bin nämlich total neugierig drauf, den Mann in dir endlich mal ganz zu bekommen.“
„Ich hab dieses Mal sogar Kondome da.“
„Na dann …“, grinste sie und drückte sich wiederum an mich. „Zeig’s mir. Zeig mir, dass du auch ein richtiger Mann sein kannst.“
Sie löste sich von mir, jedoch nur, um sich das pastellrosa T-Shirt über den Kopf auszuziehen, unter dem ein absolut süßer, ebenso hellrosa BH zum Vorschein kam. Ich erinnerte mich daran, wie es sich angefühlt hatte, diese weichen Brüste zu berühren, und mir entfuhr ein erstes Seufzen.
Mikan drehte sich um, schob sich den fluffigen Tüllrock runter und ich sah, dass sie darunter einen zu ihrem BH passenden, knappen Slip trug, vielleicht extra für mich. Und als sie sich wieder zu mir umwandte und „Mach mir den BH auf, Ko“ flüsterte, umarmte ich sie, öffnete mit meinen Händen hinter ihrem Rücken die beiden kleinen Häkchen und nahm ihr den BH ab.
Ihre kleinen, weichen Brüste mit diesen süßen, hellen Nippeln sahen so süß und verführerisch aus, dass ich sie einfach schon mal kurz berühren musste. Mikan seufzte, als ich mit dem Daumen zärtlich über ihre linke Brustwarze strich, und ich küsste sie auf den Mund.
Sie schlang ihre Arme um meinen Hals, legte ihre Beine um meinen Körper, und ich hob sie hoch, sie war ja ein ganzes Stück kleiner und somit auch leichter als ich, und so trug ich sie rüber ins Schlafzimmer, wo ich sie vorsichtig auf meinem Bett ablegte. Liegend begann sie, mein Oberteil aufzuknöpfen, dann machte sie meine Zöpfe auf und fuhr mit beiden Händen durch meine Haare, ich sah sie an und beobachtete, wie sie sich ebenso in Erregung versenkte wie ich.
„Wollen wir richtig liegen oder willst du’s einfach auf der Bettkante tun?“, fragte Mikan ganz direkt, aber ihre Stimme war dabei so weich, als hätte sie etwas kitschig Romantisches gesagt.
„Ist doch unser erstes Mal … das sollte schön werden, finde ich“, sagte ich und richtete mich auf, zog das nun offene Oberteil ganz aus und streifte endlich die schon sehr eng sitzende Shorts ab.
Mikan lächelte, stand auf, schob meine Bettdecke weg und legte sich dann ganz auf mein Bett, griff nach der Kondomschachtel, die in der offenen Nachttischschublade lag, und nahm eines heraus, hielt es mir hin.
Es fühlte sich ein wenig ungewohnt an, ein Kondom anzulegen, mein letztes Mal Sex war einfach viel zu lange her, und mein Herz klopfte aufgeregt gegen meine Rippen beim Gedanken daran, dass ich es gleich mit Mikan tun würde. Schließlich kam ich zu ihr aufs Bett, beugte mich über sie und fragte einfach: „Wie … möchtest du es denn?“
„Romantisch“, antwortete sie und lächelte. „Mit schön viel Vorspiel. Aber nichts Kompliziertes, verstehst du? Ganz einfach nur schön.“ Sie trug immer noch den Slip, doch nun schob sie auch diesen runter, zog ihn aus, sodass ich zum ersten Mal ihren unbekleideten Unterleib sah.
Vorsichtig fuhr ich mit der Hand dorthin, fühlte ihr Schamhaar und mein Finger glitt wie von selbst ganz zwischen ihre Beine, ertastete ihr heißes, intimstes Körperteil und die Feuchtigkeit. Sie war schon richtig erregt und stöhnte laut auf, als ich mit dem Finger langsam und zärtlich über ihren Kitzler strich, mich erinnernd, dass es die wahrscheinlich erregbarste Stelle eines Frauenkörpers war.
Ihr Stöhnen klang in meinen Ohren so süß, dass ich sofort mehr davon wollte und mich runterbeugte, um ihre süßen, rosa Nippel endlich zu küssen, während meine Finger zwischen ihren Beinen jeden Zentimeter der feuchten Haut erkundeten.
„Ko…ichi …! Ahhh … oh Gott …!“
„Gefällt dir das?“, fragte ich leise.
Sie nickte, lächelte erregt, hob ihre Hände an meinen Körper und begann, mich zu streicheln, wobei sie sehr Gefallen an meinen Brustwarzen zu finden schien.
Ihr Tun an meinem Körper erregte uns beide, ebenso wie das, was ich mit ihr tat, sodass wir uns immer weiter in die Lust begaben, einander erkundeten und beide herausfanden, was sie mochte und was mir gefiel.
Und war ich zuerst vielleicht doch noch ein wenig unsicher gewesen, so verlor sich das jetzt völlig, ich fühlte mich total gut und wusste auch recht genau, was ich zu tun hatte.
Mikans Nippel wurden fest unter meinen Lippen, ihr weicher Körper bebte, und als ich meine Hand zwischen ihren Beinen wegnahm, sah sie mich an, griff in meinen Nacken und küsste mich mit einer Ekstase, wie sie zwischen uns immer noch neu war. Es war ja erst unser erstes Mal.
„Leg dich auf mich“, flüsterte sie und spreizte die Beine so weit, dass ich dazwischen Platz fand.
Ich ließ mich ganz auf sie sinken, stützte mich nur noch mit einem Arm neben ihrem Kopf ab und mein Unterleib drückte heiß auf ihren, ich fühlte ihr Schamhaar und das Weiche, Feuchte schon an meinem Glied.
„Das … ist jetzt aber nicht dein allererstes Mal, oder?“, fragte ich sicherheitshalber noch einmal.
„Nein“, antwortete sie. „So’n Typ in meiner Schule früher war da schneller als du.“
Ich wollte nicht näher darauf eingehen, hatte meine Frage doch nur das Ziel gehabt, sicherzustellen, dass ich nicht als Erster etwas in ihr kaputtmachte.
Mikans Hände strichen wieder durch meine Haare, wanderten dann langsam runter über meinen Hals und kamen wieder an meinen Nippeln an, wo ihre Finger neugierig spielten und mich zum immer lauteren Seufzen brachten.
Ich richtete mich halb auf, was den Druck meines Unterleibs auf ihren verstärkte, ich fühlte die Hitze und Feuchtigkeit, und ließ mich einen kopflosen Moment lang davon leiten, mit einem Mal war ich in ihr. Sie stöhnte laut, hielt sich an meinen Schultern fest, ihre Beine legten sich um meinen Körper, drückten mich eng an sie und mein Glied tief in ihr Inneres, was mich ebenfalls aufstöhnen ließ.
Ich hatte das Gefühl, als ob das hier keine sehr lange Sache werden würde, leider, denn ich hätte es am liebsten auf bestimmt eine halbe Stunde ausgedehnt. Aber ich hatte einfach viel zu lange meine Leidenschaft nicht ausleben können, mich ja auch nur selten selbst berührt, meine ganze Sexualität nicht gelebt, sodass sich da sehr viel angestaut hatte, was sich nun in sehr kurzer Zeit entladen wollte.
Obwohl das Kondom meine lustvollen Empfindungen ein wenig hemmte, musste ich mich sehr beherrschen, um nicht augenblicklich schon zu kommen.
„Koi … beweg dich bitte … ein bisschen …“, bat Mikan mich und strich dabei mit den Händen über meinen Rücken.
„Kann sein, dass ich dann sehr bald komme …“, antwortete ich. „Ich hab’s so lange nicht getan …“
Mikan lächelte. „Ist okay. Mach dir keinen Stress … Du musst mich nicht gleich … beim ersten Mal auch zum Kommen bringen …“
„Ich will aber“, sagte ich, während mein Kopf aus reiner Ablenkung zu rechnen begann. „Sonst hast du ja gar nichts davon.“
„Doch. Ich hab dich, das reicht mir erst mal.“
Sie zog mich zu sich runter und begann, mich richtig zu küssen, ließ mich ihre Leidenschaft spüren, sodass ich gar nicht anders konnte, als mich in ihr immer mehr zu bewegen.
Mein Versuch, mich zu beherrschen, schmolz wie Schnee im Sonnenschein, ich ließ die Lust meinen Körper steuern, drängte immer wieder in diese weiche Hitze, drückte mich dabei an Mikans süßen Frauenkörper, fühlte ihre Brüste, und küsste sie mit derselben Leidenschaft ins Kissen, mit der sie ekstatisch ihre Finger in meinen Rücken krallte.
Viel zu früh kam ich, hätte gern noch länger diese übersüße Lust genossen, doch mein Höhepunkt war so heiß und heftig, dass ich nicht wirklich enttäuscht sein konnte. Keuchend sank ich auf Mikans weichen Körper, küsste sie, während mein Unterleib noch an und in ihrem bebte, und flüsterte ein leises „Ich liebe dich“ gegen ihre süßen Lippen.
„Ich lieb dich auch, Koichi“, antwortete sie, ihre Stimme klang ganz weich und liebevoll.
Ich richtete mich wieder auf, zog mich langsam aus ihr zurück, entsorgte das Kondom, und dann kam mir der Gedanke, dass ich Mikan jetzt nicht einfach so liegen lassen wollte. Nein, ich wollte, dass sie auch einen Höhepunkt bekam, diese schwebende, vollkommene Lust fühlte.
Und so legte ich mich wieder neben sie und beugte mich über ihre Brust, küsste ihre Nippel, während meine Hand wieder zwischen ihre Beine fuhr und ich mir jetzt alle Mühe gab, sie zum Höhepunkt zu fingern. Sie stöhnte, schrie schon beinahe, so gut schien es ihr zu gefallen, und dann kam sie, mit meinem Namen auf den Lippen, drängte ihren Unterleib dabei verlangend gegen meine Hand.
Danach hielt ich sie noch ein wenig im Arm, streichelte sie, und ab und zu küssten wir uns, irgendwann holte Mikan die Bettdecke wieder heran und deckte uns beide zu.
„Wann musst du morgen los?“, fragte ich.
„Später als du. Klamottenläden machen ja später auf als Cafés.“ Sie lächelte und fügte hinzu: „Ich kann uns morgen früh das Frühstück holen, dann essen wir zusammen, ganz romantisch.“
„Klingt gut“, antwortete ich.
Mikan im Arm zu halten, ihren nackten, weichen Körper an meinem zu spüren, fühlte sich unheimlich gut an, und ein Teil von mir hätte am liebsten noch eine weitere Runde angefangen, noch mal mit ihr geschlafen. Aber der weitaus vernünftigere Teil von mir war wesentlich beherrschter und auch viel zu müde dafür. Und so schlief ich dann auch bald ein, Haut an Haut an Mikan angekuschelt, und hörte noch, wie sie leise „Schlaf schön, Koichi“ sagte.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war sie nicht mehr neben mir. Aber auf dem Nachttisch lag ein Zettel: „Koi, ich bin eben Frühstück holen. Bin gleich wieder da. Lieb dich. Mikan.“
Ich stand langsam auf, zog meine auf dem Boden liegende Shorts wieder an und ging auf den Flur, holte mein Handy aus meiner Bambitasche und schaute drauf, ob mir jemand geschrieben hatte. Es war aber nichts Neues da, und so legte ich mich erst mal wieder ins Bett, das Handy auf meinen Nachttisch. Einschlafen konnte ich jedoch nicht mehr, und so griff ich doch wieder nach dem Handy und loggte mich auf der Blogseite ein, wo ich meinen Blog und Tsuzuku auch seinen hatte.
Tsu war anscheinend wieder nachtaktiv gewesen, denn da waren, mit entsprechenden nächtlichen Uhrzeiten, massenhaft neue Bilder in seinem Blog, die er irgendwo gefunden und weiter geteilt hatte. Bilder von Blumen, vornehmlich Rosen, Bilder von Bodyart-Models, und dann, was mich ein wenig überraschte, sehr viele Bilder von kleinen Katzen und Hundewelpen.
Ich wusste ja, dass Tsuzuku Hunde mochte, er hatte mir irgendwann mal von dem erzählt, den er selbst früher gehabt hatte, aber dass er vor Niedlichkeit triefende Katzenbaby-Bilder in seinem sonst doch eher dunkel und traurig gehaltenen Blog zeigte, wunderte mich dann doch. Aber es schien ein gutes Zeichen zu sein, wenn er so niedliche Bilder postete, immerhin war das besser als traurige Gedichte oder ähnliches.
Zwischen den ganzen Bildern fand sich auch ein kleiner Texteintrag, den Tsuzuku selbst geschrieben hatte: „Mein Meto, mein über alles geliebter Bald-Ehemann, liegt hier neben mir und schläft tief und fest. Er sieht so unglaublich süß aus, wenn er schläft! Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viel Liebe in diesem Menschen steckt … Er ist mir das Allerliebste in meinem Leben, ich habe nie jemanden mehr geliebt. Ich will ihn küssen, aber das würde ihn wecken, glaube ich. Tzk.“
Mir entfuhr ein leises „Awww“ und ich stellte mir vor, wie Tsu heute Nacht wach gewesen war und Meto beim Schlafen beobachtet hatte. Mochte ja sein, dass ich da ein ziemlicher Fanboy war, aber diese Liebe zwischen den beiden war einfach so süß, da konnte ich nicht anders. Und nach dem, was ich inzwischen über Borderline und so was wusste, war es wohl auch wirklich etwas Besonderes und Schönes, dass Tsuzuku überhaupt diese gute Beziehung mit Meto hatte.
Ich schrieb einen Kommentar unter den Eintrag („Ihr beiden seid so verdammt cute! *--*“) und bloggte einige besonders süße Tierbaby-Bilder in meinen eigenen Blog weiter, dann loggte ich mich aus und ging ins Bad, um zu duschen und mich für den Tag schön zu machen.
Als ich ungefähr zwanzig Minuten später gerade wieder aus der Dusche kam, hörte ich Mikan auf dem Flur. Ich wickelte mir ein Handtuch um und begrüßte sie mit einem Kuss, den sie einigermaßen leidenschaftlich erwiderte und mir dann eine Tüte mit Brötchen vor die Nase hielt.
„Frühstück, Koi!“, verkündete sie grinsend und verschwand in Richtung Küche, während ich mich weiter zurechtmachte. Mikan war schon komplett schick gemacht und geschminkt, und als ich wenig später zu ihr in die Küche kam, hatte sie schon ein Marmeladenbrötchen in der Hand.
Ich umarmte sie und gab ihr einen Kuss auf die Wange, dann setzte ich mich und goss mir Kaffee und Milch in meine Bambi-Tasse. Durchs Fenster schienen die morgendlich-goldenen Sonnenstrahlen und es herrschte eine sehr angenehme Ruhe, die Mikan ebenso zu genießen schien wie ich, denn wir sprachen beide eine Weile lang nicht. Ab und zu sah sie mich an und lächelte.
„Koichi … Das gestern Abend, das war sehr, sehr schön“, brach sie schließlich mit sanfter Stimme die Stille. „Hat es dir auch so gefallen?“
Ich nickte. „Ich hätte das gerne noch ein bisschen länger gemacht“, gab ich ehrlich zu.
„Wir haben alle Zeit der Welt, wir können noch so oft miteinander schlafen. Und für das erste Mal seit so langer Zeit warst du wirklich gut“, sagte sie und lächelte.
„Danke.“
„Und weißt du, falls du immer noch denkst, dass du kein … richtiger Mann seist oder so: Ich find’s viel angenehmer, mit einem wie dir zusammen zu sein und Sex zu haben, als mit irgendeinem angeblich ‚coolen‘ Macho-Typen, der sich ständig über seine Männlichkeit profilieren muss. Du bist so viel besser als solche Kerle.“
Jetzt stieg mir doch ein wenig das Rot in die Wangen. Das so direkt von meiner Freundin gesagt zu bekommen, dass sie meine Art, Mann zu sein, mochte, tat mir wirklich gut.
Nach dem Frühstück gingen wir gemeinsam aus dem Haus. Mikan hatte noch Zeit, bis sie selbst arbeiten gehen musste, deshalb begleitete sie mich erst noch zum Café. Dort angekommen, umarmte sie mich, drückte mir einen schnellen Kuss auf die Lippen und ging dann weiter in Richtung ihrer eigenen Arbeitsstelle.
Mein Arbeitstag begann zunächst ganz normal, ich half Satchan mit ein bisschen Büroarbeit und kümmerte mich mit meinen anderen Kollegen zusammen um das tägliche Frühstücksangebot.
Alles sah nach einem relativ belanglosen Tag aus und irgendwann tauchte auch, etwas verspätet, Meto zur Arbeit auf, entschuldigte sich mit roten Ohren und gab unterschwellig zu verstehen, dass Tsuzuku ihn nicht ohne eine gewisse Portion Zärtlichkeiten hatte gehen lassen.
Ich musste an Tsu’s Angst vorm Alleinsein und Verlassenwerden denken, als Meto das so sagte, dass Tsu ihn morgens nicht gern gehen ließ, und ich hoffte, dass diese furchtbare Angst nur phasenweise so stark war, denn sowohl Tsuzuku als auch Meto litten beide offenbar sehr darunter.
Als das Café öffnete, war Meto gerade hinten und zog sich um, und so war er zum Glück nicht anwesend, als zum zweiten Mal eine gewisse Person das Café betrat, jemand, den Meto ganz bestimmt nicht sehen wollte: MiA.
Dieses Mal war er allein, bestellte bei einem meiner Kollegen ein Frühstück, und als er mich sah und erkannte, hob er kurz die Hand zum Gruß.
Sollte ich zu ihm gehen, Hallo sagen, kurz reden? Ich wusste es erst nicht. Zuerst einmal lief ich nach hinten zur Umkleide, um Meto Bescheid zu sagen.
„Meto?“, wisperte ich durch die geschlossene Tür, „MiA ist wieder da. Bleib mal hier, ich regele das.“
„Sag ihm, ich arbeite hier und er soll nicht mehr herkommen“, antwortete er leise. „Ich will ihn nicht sehen, nie mehr!“
„Ist gut.“
Das erschien nun auch mir als einzige richtige Lösung. Wenn MiA erfuhr, dass Meto hier arbeitete, würde er wahrscheinlich nicht mehr herkommen, dann hätte Meto wieder Ruhe von ihm. Und genau so sollte ich ihm das auch sagen, klar und deutlich.
Ich ging also zu ihm, sagte kurz Hallo und fragte, ob ich mich mal eben zu ihm setzen durfte. MiA sah mich einen Moment lang zögernd an, dann nickte er.
„Was gibt‘s?“, fragte er.
„MiA, ich sag’s dir gleich: Meto arbeitet auch hier, jeden Tag.“
„W-was?!“
„Ja. Er hat dich letztens auch hier gesehen und eben hat er mir gesagt, er will nicht, dass du hier her kommst.“
MiA sah mich einigermaßen erschrocken an. „Er ist gerade hier?!“
Ich nickte. „Er sitzt hinten in der Umkleide und wird erst rauskommen, wenn du wieder weg bist.“
„Wie … wie geht’s ihm?“
„Gut“, sagte ich. „Er ist mit Tsuzuku verlobt, die beiden leben zusammen hier in der Stadt. Und ich werde dir nicht erlauben, da in irgendeiner Form dazwischen zu funken.“
„Hab ich nicht vor, keine Sorge.“ MiA fühlte sich mit dieser Situation sichtlich unwohl. „Ich bin durch mit der Sache.“
„Das hoffe ich“, sagte ich. „Komm einfach nicht wieder her, das ist das Beste für ihn und für dich.“
MiA sah mich einen Moment lang an und fragte dann leise: „Und du, Koichi? Was ist mit dir?“
„Nichts. Tsuzuku ist mein bester Freund und ich lasse nicht zu, dass er in irgendeiner Weise noch mehr verletzt wird. Er ist immer noch nicht gut auf dich zu sprechen und ziemlich eifersüchtig.“
„Schade. Du und ich, wir hätten uns gut verstanden, glaube ich.“
„Geh jetzt bitte. Und komm nicht mehr her.“
Woraufhin MiA tatsächlich sofort aufstand, seine Tasche nahm, die Bestellung stornierte und ging.
Ich blieb noch einen Moment an dem Tisch sitzen und musste dieses Gespräch erst mal sacken lassen. So abweisend und fast schon fies kannte ich mich eigentlich gar nicht, und MiA hatte das auch vermutlich nicht verdient.
Aber ich hatte die ganze Zeit dran denken müssen, wie eifersüchtig Tsuzuku sein konnte und welch große Angst er davor hatte, dass Meto und ich ihn allein ließen. Mit Metos Exfreund zu sprechen, kam mir angesichts dessen fast wie Verrat an meinem besten Freund vor, und ich wusste nicht, ob er von dieser kurzen Episode überhaupt erfahren durfte oder ich das besser für mich behielt.
Ich beschloss dann, Tsuzuku erst einmal nichts davon zu sagen, und ging nach hinten, um Meto Bescheid zu geben, dass ich das Ding mit MiA fürs erste geklärt hatte und er wieder weg war.
Meto war sichtlich erleichtert, dass MiA weg war, und bis zur Mittagspause stürzten wir uns jeder einfach in die Arbeit.
Mittags aßen wir hinten im Hof, ich rauchte und Meto schrieb am Handy mit Tsuzuku. Seinem Gesichtsausdruck nach ging es dabei um irgendwas Schönes, er lächelte immer wieder und ich sah aus dem Augenwinkel, wie da jede Menge rote Herzchen verschickt wurden.
„Geht’s Tsu gut?“, fragte ich.
Meto nickte. „Er ist so süß, wenn er glücklich ist.“ Sein Handy summte wieder, er sah sich die Nachricht an und ich beobachtete, wie er rot wurde.
„Was schreibt er denn?“, fragte ich grinsend.
Meto antwortete erst nicht, dann sagte er leise und mit rotem Kopf: „Er schreibt, er will mich heute die halbe Nacht nicht schlafen lassen … mich stundenlang lieb haben und verwöhnen … und so was alles …“ Er lächelte. „Aber … weißt du, ich freu mich so sehr, dass er sich gerade stark und glücklich fühlt. Das ist so schön, und deshalb darf er dann alles mit mir anstellen, was er mag.“
In diesem Moment wurde mir wieder ganz deutlich, was Meto für ein Mensch war, insbesondere in Bezug auf Tsuzuku: Sein oberstes Ziel schien tatsächlich zu sein, Tsu glücklich zu machen und für ihn da zu sein. Und was noch viel bemerkenswerter war: Es machte ihn offenbar selbst richtig glücklich. Er zog anscheinend für sich selbst einiges an Zufriedenheit und Glück daraus, wenn er es schaffte, sich gut um Tsuzuku zu kümmern und diesem das Leben so schön wie nur möglich zu machen.
Doch ich sah auch, dass das Probleme machen konnte, und auch schon gemacht hatte. Immer dann, wenn Tsuzuku in seiner Selbstabwertung und Angst die Beziehung infrage stellte, und Metos Liebe hinterfragte, weil er diese in dem Moment nicht annehmen konnte, wurde Meto dann doch wütend, weil er ja so viel Kraft und Gefühle in die Beziehung steckte.
„Sag mal, Meto … denkst du manchmal drüber nach, warum du das alles tust?“, fragte ich. „Also, warum du deine ganze Kraft da rein steckst, Tsuzuku glücklich zu machen?“
Meto sah mich einen Moment lang mit großen Augen an, dann lächelte er, sah dabei unglaublich lieb aus. „Weil ich ihn über alles liebe. Das mit ihm und mir ist mir so wahnsinnig wichtig, und ich bin am glücklichsten, wenn ich diese Liebe zu ihm leben kann. Wenn er mit mir schläft oder ich mit ihm, wenn ich für ihn koche und ihn zum Essen bewegen kann, und wenn er nachts schlafend in meinen Armen liegt … Ich weiß, manche finden das vielleicht dumm, dass ich das so mache. Aber ich bin einfach so, ich kann nicht anders, als Tsuzuku so zu lieben.“
„Das ist auch echt schön, ich finde dich da richtig beeindruckend“, sagte ich. „Aber, du weißt ja auch, du musst auch auf dich selbst achten. Es gibt nun mal Dinge, bei denen du nichts tun kannst und wo Tsu auch selbst lernen und an sich arbeiten muss, und da müssen wir uns rechtzeitig ein Stück weit rausziehen.“
„Weiß ich ja.“ Meto blickte nachdenklich auf seine Hände. „Aber … ich habe immerzu die Versuchung in mir, Tsuzuku vor sich selbst und allem, was ihm weh tun kann, beschützen zu wollen. Ich weiß, das kann ich nicht, aber ich will es irgendwo einfach so sehr …“
Metos Handy summte wieder, ich sah ebenfalls hin, und erblickte ein komplett mit roten Herzchen ausgefülltes Textfeld und darunter die Worte: „Ich will dich sehen, Liebster.“
„Kommt er her?“, fragte ich.
„Er hat vorhin schon geschrieben, dass er heute nicht viel zu tun hat, und vielleicht hat sein Chef ihm jetzt erlaubt, zu gehen.“
„Meto, wie machen wir’s: Soll er wissen, dass MiA hier war? Lieber nicht, oder?“
„Nein. Auf keinen Fall!“ Meto stand auf. „Da soll er gar nichts von wissen, das tut ihm nur weh.“
Tatsächlich tauchte Tsuzuku dann etwa zwanzig Minuten später im Café auf, setzte sich an einen Tisch an der Wand und wartete, bis Meto und ich ein bisschen Zeit für ihn hatten. Und sobald Meto sich zu ihm gesetzt und ihn zur Begrüßung umarmt hatte, wurden die Mädchen auf die beiden aufmerksam.
„Wer ist das denn?“, fragte mich die Kundin, die ich gerade bediente. „Hat Meto-chan etwa einen festen Freund?“
„Siehst du doch“, antwortete ich nur, wollte die Aufregung, die jetzt sowieso schon herrschte, nicht noch vergrößern.
Die meisten Mädels begnügten sich damit, hin und wieder zu Tsu und Meto hinüber zu schauen, aber nach einer Weile standen drei von ihnen auf, setzten sich an den Tisch neben den beiden und fingen an, Tsuzuku irgendwelche Fragen zu stellen, da Meto hier vor den Gästen ja nicht sprach.
Tsu war das sichtlich unangenehm, er schien nicht zu wissen, wie er damit umgehen sollte, und bevor das auf seine Laune schlug, mischte ich mich ein, ging mit einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen zu dem Tisch hinüber und wies die Mädels ein wenig zurecht: „Kommt schon, jetzt fragt ihm kein Loch in den Bauch. Lasst ihn in Ruhe einen Kaffee trinken und seid lieb, okay?“
Ich lächelte meinem besten Freund zu und stellte ihm den Kaffee hin, das Stück Kuchen näher zu Meto. Er wirkte sichtlich erleichtert, dass ich die Situation ein bisschen entspannt hatte, und zum Glück schien sich nichts davon negativ auf seine Stimmung ausgewirkt zu haben. Allein, wie er Meto ansah und unter dem Tisch über sein Bein streichelte, wirkte so entspannt und glücklich, dass ich mich richtig für ihn freute.
Anscheinend war im Tattoo-Studio heute wirklich nicht viel zu tun, denn Tsuzuku blieb bis zum Abend bei uns, saß an dem Tisch und beobachtete den Betrieb an diesem Ort, der so gegensätzlich zu ihm wirkte. Meto arbeitete weiter, kam jedoch zwischendurch immer wieder zu Tsu zurück, und die kleinen Zärtlichkeiten, die die beiden dann austauschten, waren für einige der Mädels hier sicher das Highlight des Tages.
Kurz vor Feierabend kam Tsuzuku dann bei mir an und fragte: „Ko, ich hab ‘ne Idee. Also, nur wenn du magst und heute Zeit hast, natürlich. Aber ich würde gerne wieder zu dritt ‘nen schönen Abend machen, so mit Film und so weiter. Vielleicht, dass wir gleich zu dir mitkommen?“
Ich musste einen kurzen Moment überlegen, aber eigentlich hatte ich ja Zeit. Mit Mikan war nichts weiter für heute Abend geplant und irgendwie war es nach dem für Tsuzuku so blöd gelaufenen Filmabend letztens doch jetzt eine gute Idee, das Ganze noch mal so ähnlich zu wiederholen, wo es ihm doch heute so viel besser ging.
„Okay, aber nur wir drei dann“, sagte ich also. „Mikan hatte ich heute auch schon bei mir.“
Sofort, als ich es ausgesprochen hatte, wusste ich, was jetzt kam, und tatsächlich grinste Tsuzuku mich an und fragte: „Über Nacht?“
„Jaa“, gab ich zu, und weil Tsu mich schon so ansah, fügte ich auch gleich noch an: „Und ja, ich hab mit ihr geschlafen.“
Das breite Grinsen auf dem Gesicht meines besten Freundes war so was von typisch für ihn, und dann klopfte er mir auf die Schulter. „Gut gemacht, Koichi. Und, war‘s schön?“
„Willst du jetzt Details, oder was?“, fragte ich, lachte aber, da ich ja wusste, wie er so was meinte.
„Eigentlich will ich echt nur wissen, ob es schön war“, antwortete er lachend. „Aber da ich dich ja ständig mit heißen Details zutexte, kannst du das gerne auch machen.“
„Na gut …“ Ein bisschen rot wurde ich jetzt schon. „War keine lange Sache, aber ich hab sie zum Kommen gebracht und sie fand’s schön.“
„Na, siehst du. Ich hab dir doch gesagt, du bist ‘n toller Mann. Wahrscheinlich hast du mehr Ahnung von Frauen als ich.“
„Meinst du?“, fragte ich.
„Definitiv. Ich gehe mit Frauen auf der Beziehungsebene um wie der letzte Idiot.“ Auf einmal wurde Tsuzuku ernst und ich spürte, er dachte an früher, an die vielen gescheiterten Beziehungen zu irgendwelchen Mädchen.
„Jetzt bist du ja mit ‘nem Mann zusammen. Vielleicht kannst du das einfach besser?“, sagte ich schnell, um die Situation zu retten.
„Du meinst, ich bin vielleicht wirklich schwul?“
„Zumindest bist du mit Meto glücklicher, oder?“
„Ja.“ Jetzt lächelte er wieder. „Viel glücklicher.“ Er schwieg einen Moment, dann sagte er: „Koichi, weißt du, ich hab keine Ahnung, ob ich schwul oder bi oder sonstwas bin.“
„Ist das denn wichtig? Du bist mit Meto fest zusammen, du liebst ihn und er liebt dich, ihr habt schönen Sex, was willst du mehr?“
Er zuckte mit den Schultern. „So was weiß man doch normal mit fünfundzwanzig, oder? Also, auf welches Geschlecht man steht und so was.“
In dem Moment kam Meto dazu, und hatte Tsuzuku eben fast schon wieder nachdenklich und unsicher gewirkt, so hellte sich sein Gesicht augenblicklich auf, als Meto ihn umarmte und leise fragte, was wir denn redeten.
Tsu antwortete ihm, dass wir über mich und Mikan gesprochen hatten, dann fragte er ihn: „Wollen wir gleich mit zu Koichi gehen und noch ‘nen Film schauen?“
„Können wir machen“, war Metos Antwort.
Nachdem Meto und ich uns also umgezogen hatten, machten wir uns zu dritt auf den Weg zu mir nach Hause. In der Bahn saß ich den beiden gegenüber und sah, dass Tsuzuku doch irgendwie müde zu sein schien, denn er lehnte sich an Metos Schulter und schloss für einen Moment die Augen.
„Aber nicht wieder mitten beim Film einschlafen, Tsu“, sagte ich.
Er sah mich an, lächelte und antwortete: „Keine Angst, Ko, heute bin ich ja nicht so betrunken.“
„Trinkst du eigentlich viel?“, fragte ich.
„Im Moment nicht so viel. War mal mehr.“
Auf dem Weg von der Bahnstation zu meiner Wohnung rauchte er dann aber ganze zwei Zigaretten, und ich hatte schon fast wieder den Verdacht, dass es ihm doch nicht mehr so gut ging. Vielleicht merkte er das aber auch selbst und das Rauchen war sein Versuch, einen möglichen Absturz zu verhindern.
Wir kamen an einem Conbini vorbei und ehe Meto und ich uns versahen, war Tsuzuku darin verschwunden und kam fünf Minuten später mit zwei Tüten Chips wieder heraus.
„Hast du Hunger?“, fragte Meto.
„Film gucken ohne Chips ist doch nichts, oder?“, antwortete Tsu nur.
In meiner Wohnung angekommen, setzte er sich dann vor mein DVD-Regal, schaute es eine Weile suchend an und bemerkte dann laut: „Hast du irgendwie nur solche Kitschfilme da, Ko?!“
„Ja sorry!“, rief ich aus dem Bad zurück. „Die Actionfilme sind im Schrank, unten in dem Fach.“
„Danke!“
Ich ging rüber ins Wohnzimmer, wo Tsuzuku jetzt in meinem Schrank nach Filmen suchte, während Meto vor meiner Bambi-Sammlung stand und sich diese ansah.
Schließlich legte Tsu uns seine Auswahl vor und wir entschieden uns für einen ziemlich guten, amerikanischen Film mit vielen Kampfszenen und relativ anspruchsvoller Storyline. Ich füllte die Chips in zwei Schüsseln und holte noch Saft dazu, was Tsu mit einem halblauten „Ich würd aber schon auch Bier nehmen“ kommentierte.
„Nichts da, heute gibt’s keinen Alkohol“, widersprach ich, woraufhin er zwar kurz eine Schnute zog, dann aber nichts weiter dazu sagte.
Wir machten es uns also vor dem Fernseher gemütlich, ich saß am ausgeschalteten Heiztisch, während Tsuzuku und Meto mein Sofa in Beschlag nahmen. Meto legte sich so hin, dass er gut sehen konnte, und Tsu machte es sich zwischen Metos Beinen gemütlich, lag mit gleicher Blickrichtung halb auf ihm, sodass Meto ihn von hinten umarmte. Das sah so gemütlich und liebevoll aus, dass ich mir wünschte, Mikan wäre hier, damit ich sie auch so umarmen konnte.
Ich hatte den Film länger nicht gesehen, deshalb war er sogar ein bisschen spannend für mich.
Und Tsuzuku schien ihn noch gar nicht gesehen zu haben, jedenfalls fieberte er sichtlich mit, kommentierte laut das, was die Charaktere taten, und einmal, an einer besonders spannenden Stelle, sprang er sogar auf und schrie den Helden des Films an: „Krieg jetzt endlich deinen Arsch hoch und rette die Welt!“ Wenn die Filmhandlung zwischendurch mal lustig wurde, lachte er laut mit, während ihn aber die traurigeren Szenen nicht von seiner heute so guten Grundstimmung abzubringen vermochten.
Ab und zu sah ich zu Meto, der das Verhalten seines Freundes einfach nur beobachtete und dem absolut nicht anzumerken war, ob es ihn störte, dass Tsuzuku immer wieder aufsprang und sich dann doch wieder zu ihm legte. Ich kam nicht umhin, Meto für seine unglaubliche Geduld zu bewundern.
Nach dem Film blieben wir noch eine Weile sitzen, redeten noch ein bisschen über die Handlung und aßen die letzten Chips auf. Ich bemerkte, dass sowohl Meto, als auch ich in einer Art ‚erwartender Alarmstimmung‘ waren, was Tsuzukus Laune betraf, einfach weil wir seine plötzlichen Schwankungen schon so sehr kannten und dem Frieden nicht trauten. Doch Tsu wirkte weiter ganz entspannt und gut drauf, ihn schien gerade so gut wie nichts wirklich ankratzen zu können.
Nur bemerkte er natürlich, dass wir ihn mehr oder weniger beobachteten, und fragte: „Ist was?“
„Du bist so gut drauf, das ist schön“, antwortete ich.
„Darf ich denn nicht auch mal gut drauf sein?“
„Doch, sollst du sogar“, sagte ich. „Das ist sehr gut.“
Meto, der neben Tsu saß, lächelte und lehnte seinen Kopf an Tsuzukus Schulter. „Ich freu mich, wenn’s dir gut geht, Baby.“
Tsu grinste anzüglich. „Zeig ich dir zu Hause, wie gut es mir gerade geht …“ Er umarmte Meto und berührte dessen Brust, stupste mit dem Finger dort auf Metos Shirt, wo sich darunter dessen rechte Brustwarze befand.
Meto lächelte. „Du lässt mich heute Nacht nicht wirklich schlafen, nicht wahr?“
„Überhaupt nicht.“ Tsuzuku strahlte. „Du musst die ganze Nacht mein Liebster sein.“
Ich sagte nichts dazu, doch mein Gesicht sprach anscheinend von ‚too much informations‘, und als Tsu das sah, entschuldigte er sich.
„Na, dann geht ihr beiden mal schön nach Hause und macht Liebe“, war mein Versuch einer scherzhaften Retourkutsche an Tsuzukus Offenherzigkeit. „Ich geh normal pennen.“
„Du holst dir doch auf Mikan einen runter, Ko.“ Tsu lachte und ich hatte fast das Gefühl, dass er doch irgendwie ein bisschen überdrehte.
Ich sah ihn aufmerksam an, versuchte zu erkennen, ob er sich wieder in Gefahr befand, und eine ausgedehnte Sekunde lang fürchtete ich, dass er kippte, doch irgendwie fing er sich wieder, atmete ein und aus, dann sagte er einfach: „Gute Nacht, Koichi.“
Ich brachte die beiden noch zur Tür und hoffte einfach mal, dass Tsuzuku es nicht übertrieb mit der guten Laune. Ich hatte den Eindruck, dass Euphorie in seinem Fall gefährlicher war als entspannte Ruhe, dass er umso tiefer fallen konnte, wenn er so aufgedreht gut gelaunt war.
Nachdem ich mich im Bad abgeschminkt und umgezogen hatte, legte ich mich schlafen. Einen Moment überlegte ich, ob ich mich wirklich noch heiß machen sollte, aber da mir schon die Augen zu fielen, ließ ich das sein und war bald im Land der Träume.
Seit Tagen schon hatte ich diese Idee, die eigentlich schon mehr ein Sehnen war, ein Sehnen, das sich plötzlich noch mehr verstärkt hatte als sowieso schon.
Ich wünschte mir ja immer schon, seit Meto und ich ein Paar waren, immerzu seine Nähe, seinen Körper an meinem, seine Zärtlichkeiten. Seit wir zusammen lebten, schliefen wir so viel miteinander, und trotzdem war es mir noch nicht genug.
Zwar hatte ich zwischendrin immer wieder auch Momente, in denen ich mir vornahm, mich zu beherrschen und nicht mehr so viel Sex zu haben, doch mein Verlangen nach ihm war letztendlich immer stärker, sodass wir uns dann doch wieder zu fast allen Tages- und Nachtzeiten in irgendeiner Form körperlich liebten. Ob es nur ein mehr als intensiver Kuss war, oder ob ich in ihn oder er in mich eindrang, ob mit Spielzeug oder ohne, war mir ganz gleich, solange ich nur fühlte, dass er mich liebte.
Und jetzt spann sich in meinem Kopf der Wunsch nach noch mehr zusammen, nach einer ganzen Nacht, die nur aus Liebe bestehen sollte. Ich hatte so viele Ideen, so viel, wonach es mich verlangte und was ich mit Meto teilen wollte. Denn ich sehnte mich nach Extremen und Intensität, aufregenden Dingen, grenzüberschreitender Lust.
Allein schon, wenn ich mir das vorstellte, zwei oder drei Mal Sex in einer einzigen Nacht, so vieles, was man ausprobieren konnte, zuerst mein Glied in Metos Innerem, dann seines in dem meinen Loch, hart, heiß und zugleich so süß …
Ich war heimlich, ohne ihm etwas zu sagen, wieder in dem Sexshop gewesen, hatte mir ein Buch mit Sex-Praktiken und auch ein paar neue Spielzeuge ausgesucht und gekauft, wobei natürlich dieser überaus neugierige Travestit von Verkäufer noch mehr über Metos und mein Sexleben erfuhr, weil ich mich beraten ließ und dabei impulsiver Weise ein sehr eindeutiges und schamloses Männergespräch zustande gekommen war.
Dann hatte ich die Tüte mit den gekauften Sachen zu Hause unter dem Bett versteckt, hoffend, dass Meto sie nicht fand und später positiv überrascht sein würde, wenn ich ihm damit ankam.
Das Buch, in dem Stellungen, Spielzeuge und alles, was dazu gehörte, beschrieben wurde, holte ich immer wieder hervor, wenn ich allein war, und las darin, was meine Fantasien weiter anheizte.
Und an diesem Abend, es war ein Samstag und ich hatte sowohl Metos als auch meine Arbeitspläne genau beobachtet, um sicher zu sein, dass er und ich beide morgen frei hatten, da beschloss ich, dass diese Nacht eine ganz besondere sein sollte.
Ich war schon zu Hause und wartete auf ihn, meine Vorfreude steigerte sich immer weiter und ich holte die Tüte mit den Spielzeugen unter dem Bett hervor, setzte Ruana rüber ins Wohnzimmer, baute auf dem Bett eine gemütliche Kissen- und Deckenlandschaft auf. Dann machte ich leise, ruhige Musik an und suchte aus dem Wohnzimmerschrank rote Duftkerzen und was wir an Deko und solchem Zeug da hatten, verteilte alles auf den Nachttischchen und um das Bett herum, machte alles schön, sodass unser Schlafzimmer, als ich mein Werk betrachtete, den Begriff ‚Liebesnest‘ wirklich mehr als verdiente.
Nachdem ich die Kerzen angezündet hatte und der Raum sich langsam mit dem sanften, anregenden Duft von Vanille füllte, zog ich mich um, stellte dabei fest, dass ich nichts besonders Reizendes an Wäsche besaß und entschied mich für einfache schwarze Shorts.
Ich ging noch mal ins Bad, ließ aber jegliche Schminke weg, die würde sowieso nur stören, und kämmte nur einfach meine Haare durch, sodass sie mir schwarz glänzend in leichten Wellen über die Schultern fielen, schaute mich dann im Spiegel an und fand mich ziemlich sexy.
Und als ich dann das Klappern von Metos Schlüsselbund an unserer Tür hörte und wie er hereinkam und seine Schuhe und die Jacke auszog, klopfte mein Herz vor Vorfreude und Aufregung bis zum Hals.
„Ich bin wieder da“, hörte ich ihn sagen. „Tsu? Was ist denn das für Musik?“
Ich kam aus dem Bad, immer noch nur mit Shorts bekleidet, umarmte ihn und antwortete auf seine Frage: „Die ist gut, oder? Ich wollte mal was anderes hören.“
Meto umarmte mich seinerseits, und er kannte mich einfach so gut, dass er die Stimmung gleich richtig deutete: „Schöner Abend zu zweit heute?“
„Guck mal ins Schlafzimmer“, sagte ich und ließ ihn los, machte die Musik aus.
Er ging hinein und ihm entfuhr sogleich ein leises „Wow“, gefolgt von einem „Das sieht ja toll aus!“ Dann drehte er sich zu mir um und fragte: „Ist irgendwas Besonderes heute? Du hast dir ja richtig Mühe gegeben.“
„Nur so“, sagte ich und umarmte ihn wieder. Zu viel wollte ich ihm noch nicht verraten, das würde uns beiden nur Druck machen, und Druck war bekanntlich der Lustkiller Nummer eins. Viel mehr wollte ich uns einfach treiben lassen, unser beider Sehnen in lustvolle Taten verwandeln, auf diese Weise würde es sicher schöner werden, als wenn ich ihm jetzt schon alles sagte, was ich mir vorstellte. „Ich möchte einfach, dass wir beide mal wieder so eine richtig schöne Nacht zusammen verbringen.“
Meto lächelte. „Fühlst du dich gut heute?“
Ich nickte, lächelte.
„Ich hab auch Lust auf dich“, sagte er, seine Hände streichelten über meinen Rücken. „Die letzten paar Tage waren so schön, dir geht’s gerade so gut.“ Meto küsste mich, seine Lippen schmeckten süß, ein bisschen nach Kaffee und Cola, und er fügte noch hinzu: „Ich bin auch überhaupt nicht müde, wir können die ganze Nacht wach bleiben.“
„Sag mal, kannst du Gedanken lesen?“, fragte ich und grinste. „Genau das habe ich vor. Ich will so eine richtige Liebesnacht mit dir, mit allem Drum und Dran.“
Meto nahm mein Gesicht in seine Hände, drückte sich an mich und seine Lippen wieder ganz weich und liebevoll auf die meinen, und als er den Kuss wieder löste, flüsterte er: „Dann lass uns anfangen, Tsuzuku. Lieb mich nach Herzenslust, die ganze Nacht.“
Sofort waren meine Hände unter seinem Shirt, berührten seine warme, weiche Haut, ich zog ihm das Shirt über den Kopf und machte gleich an seiner Hose weiter. Er hatte sich schon auf seiner Arbeitsstelle abgeschminkt, sodass er jetzt nicht noch mal ins Bad musste, und so lagen wir einen Moment später zusammen auf dem Bett, nackt umarmt und einander küssend, während der ganze Raum mehr und mehr nach Vanille duftete und das unsere Sinne zugleich anregte und vernebelte.
„Meto?“, sprach ich meinen Liebsten leise an, „Sag mal, magst du das wirklich so, wenn ich in dich eindringe? Oder … machst du nur mit, weil ich das will?“
Er sah mich an, hob die Hand und strich durch meine Haare. „Ich mag das. Wirklich. Hört sich vielleicht komisch an, aber ich steh da richtig drauf.“ Er küsste mich und fügte dann noch hinzu: „Und bevor du fragst: Ja, ich mag es ebenso gern, dasselbe mit dir zu tun. Das kannst du mir ruhig zutrauen.“
„Ich wollte nur noch mal fragen, weil …“, begann ich, ein wenig unsicher.
Meto unterbrach mich: „Weil ich gerne mal Mädchen spiele, und du dir nicht vorstellen kannst, dass ich beides mag, genommen werden und nehmen? Tsu, ich bin keine Porzellanpuppe oder so, und das weißt du. Du sagst es doch selbst, ich bin ein Mann, genau wie du. Und ich habe auch Vorlieben, Wünsche und Fantasien, die sind deinen sogar relativ ähnlich. Trau mir ruhig zu, dass ich gut mit dir mithalten kann.“
Warum vergaß ich das nur immer wieder? Warum traute ich ihm immer wieder nicht zu, dass er ebenso erregt und begierig fühlte wie ich? Er hatte Recht, ich hatte es ja selbst auch schon gesagt, dass er ebenso Mann war wie ich, und trotzdem war da immer wieder diese Frage in mir, danach, ob er das alles auch so wollte. Fast dachte ich schon wieder zu viel, beinahe wäre die schöne Stimmung zerplatzt, doch Meto rettete sie gerade so, wie so oft, indem er mich eng umarmte, küsste und leise sagte: „Denk nicht so viel, mein Herz, wir haben heute noch viel vor.“
„Und womit fangen wir an?“, fragte ich.
Meto küsste mich wieder, schmiegte seinen nackten, warmen, süßen Körper ganz an meinen und flüsterte: „Nimm mich. Und vergiss nicht, ich mag das.“
Ich lächelte, küsste ihn. „Und wie möchtest du’s?“
Er errötete wieder, nur ein wenig, aber so süß … „Ich will liegen, dich dabei anschauen, und dass du mich küssen kannst.“
Seine Hand an meinem Nacken kraulte zärtlich, an einer Stelle, wo er wusste, dass ich dort besonders empfindlich war, und ich seufzte wohlig, mein Herz klopfte ein wenig schneller und begann, Blut in meine Körpermitte zu pumpen.
Ich richtete mich langsam auf, atmete die nach Vanille duftende Luft ein und aus, sah Meto an, der mich liebevoll anlächelte, und beeilte mich, das Gleitgel aus der Schublade zu nehmen und griffbereit hinzulegen. Meto spreizte die Beine, sodass ich Platz dazwischen fand und mich kniend über ihn beugte.
Ich fühlte sehr, dass er der größte Schatz war, den ich in meinem Leben je gehabt hatte, und mit diesem Gefühl strich ich beinahe ehrfürchtig über seine helle Haut, er erschien mir so engelsgleich, dass ich mich einen Augenblick lang fast schon schämte, ihn gleich zu beschmutzen. Und gleichzeitig begehrte ich ihn so sehr, mein Verlangen nach seiner heißen Enge war so unglaublich stark!
Ich spürte seine Atmung unter meinen Händen, und, als ich die Hand auf seine Brust legte, seinen Herzschlag, beugte mich runter und legte mein Ohr auf sein Herz, hörte es kräftig und gleichmäßig schlagen, was mir ein Gefühl von vollkommener Sicherheit gab. Wenn er bei mir war und wir miteinander schlafen konnten, fühlte ich mich so sicher und gut …
„Mein Engel …“, kam es mir leise über die Lippen. „Ich liebe dich, so sehr …“
Er lächelte, hob die Hand und strich durch meine Haare. „Ich lieb dich auch.“
Mein ganzer Körper wurde warm, sehnte sich danach, mit dem seinen eins zu werden, doch zu schnell wollte ich es nicht tun, liebte ich doch unser zärtliches Vorspiel ebenso sehr, manchmal war es sogar fast schöner als der Akt an sich.
Und so beugte ich mich runter, begann, viele kleine Küsschen auf Metos Bauch und Brust zu verteilen, sein buntes Tattoo zu liebkosen und über seine samtige, süße Haut zu lecken, hob mir dabei seine nach all dem Küssen und Saugen daran immer noch so hellen, niedlichen Nippel bis zuletzt auf, diese zarten, besonderen Hautpartien, die unter meinen Lippen zu zwei rosa Knospen wurden und deren Berührung ihm die allerschönsten Seufzer entlockte.
Und hatte ich mich zuvor noch beinahe geschämt, meinen persönlichen Engel auf Erden in ein nicht ganz so heiliges Lust- und Liebesspiel zu verwickeln, so reizte mich die Vorstellung auf einmal doch sehr, seine Reinheit und Süße ein wenig zu beschmutzen und seine andere, ekstatische Seite zu wecken, die es im Bett auch gern wilder mochte, und die mir ebenso gut gefiel.
Während ich mir schön Zeit nahm, die Zartheit und Süße seiner Nippel zu genießen, schien auch sein Interesse an den meinen erwacht zu sein. Seine Hände, eben noch an meiner Taille, wanderten hoch zu meinen Brustwarzen und begannen, zuerst vorsichtig, dann immer mutiger, mit ihnen zu spielen. Er schob das Stäbchen in der einen hin und her, zupfte zärtlich an dem Ring in der anderen und drückte die Knospen zwischen seinen Fingern, was mir unzählige Wellen heißer Lust durch den Bauch schickte und mich schon erregt stöhnen ließ.
„Ich sag doch, deine Vorlieben sind gar nicht so anders als meine …“, sprach er leise und fuhr mit den Fingern den Ring auf meinem Brustbein nach. Die Berührung war ganz leicht, kribbelte ein wenig und beschleunigte meine Atmung.
Oh, wie ich diese Zärtlichkeit liebte, die in Metos kleinen, sanften Händen steckte und mit der er mich so immerzu berührte! Es machte mein Herz ganz warm und mein Glied noch mal härter, beides zugleich, sodass ich einen kurzen Moment lang fast ein wenig zerrissen war zwischen unschuldiger, reiner Liebe und begieriger Lust auf heißen, geilen Sex mit diesem süßen Engel, der bald mein Mann sein würde, es im Grunde schon längst war.
Meto sah mich an, lächelte, und ich wusste, er konnte mir an meinem Gesicht ablesen, in welcher Richtung ich gerade dachte und fühlte.
„Fang an, Tsuzuku. Mach mich bereit, ich will dich in mir haben“, sagte er mit seiner leisen Stimme, während seine Hände wieder über meinen Rücken strichen und meinen Nacken kraulten.
„Sag mal …“, fragte ich, „Ist es eigentlich immer noch so, dass es dir Sicherheit gibt, wenn ich mich beim Sex mit dir so … gehen lasse?“
Er nickte, zog mich zu sich herunter und küsste mich. „Ja, das ist noch so. Weißt du, wenn du so bist, wenn du mit mir schläfst … du wirkst dann so stark und glücklich. Ich mag das so gern …“
Ich lächelte, in mir wallte ein Gefühl von wahnsinnigem Glück und kaum beherrschbarer Lust auf, und ich griff nach der Flasche mit dem Gleitgel, sah Meto an und flüsterte mit der verführerischsten Stimme, die ich hatte: „Das kannst du haben …“ Tat mir etwas von dem Gel auf die Finger und begann, es zwischen seinen Beinen um seinen Eingang herum und darin zu verreiben.
Er seufzte erregt, stöhnte, als ich meinen Finger gegen die Öffnung drückte und langsam hineinschob, und ich spürte ein Pulsieren und leichtes Zucken in seinem Loch, wie eine erwartungsvolle, unbändige Vorfreude. Augenblicklich verlangte es mich nach mehr davon, und ich berührte mit der anderen Hand sein hartes Glied, begann, es zu streicheln und zu massieren, was den süßen Puls in ihm deutlich verstärkte, während ich seinen Eingang langsam weich machte und weitete.
Von seinen Verspannungen war nichts zu spüren, aber dass wir immer noch nicht sicher wussten, was deren Ursache war, sorgte dafür, dass ich ganz vorsichtig war, auch wenn das jetzt schon länger nicht mehr vorgekommen war, dass er sich so plötzlich verspannt hatte. Aber sicher war sicher, ich wollte ihm auf keinen Fall wieder wehtun.
Metos Hand berührte die meine an seinem Glied, seine Finger streichelten zugleich meinen Handrücken und seine eigene Erregung, er hatte die Augen geschlossen und auf seinen Gesicht lag ein Ausdruck von süßestem Genuss, ich spürte sein Verlangen so deutlich und stark, dass es mich richtig rührte.
Wie sehr ich ihn liebte, und wie verrückt mich diese Liebe machte! Es brachte mich geradezu um den Verstand, und ich zögerte nicht, mich dem hinzugeben, zu stark waren diese Gefühle, und so unmöglich war es mir, sie zu beherrschen!
„Tsu?“, sprach er mich nach einer Weile leise an, „Holst du … das Ei aus der Schublade? Ich …“
„Du willst spielen?“, fragte ich anzüglich und lächelte, zog meine Finger aus seinem nun ganz weichen, geweiteten Loch zurück.
Er nickte, sah mich an und flüsterte: „Ich will … mehr … und mehr … Dich und mich … zusammen, so, dass wir beide … vor Liebe und Lust fast verschmelzen …“
Ich war doch ein wenig … überrascht. Konnte es denn wirklich sein, dass Meto sich nach denselben Dingen verzehrte wie ich? Dass er sich ebenso nach Verschmelzung sehnte, wie ich es tat? Es fiel mir doch immer noch ein wenig schwer, das zu glauben. Und doch hatte er es mir schon so oft bewiesen, wenn wir miteinander schliefen und er sich mir so sehnsüchtig entgegendrängte.
„Tsuzuku, ich will dich. Ich will, dass du ganz unanständige Sachen mit mir machst, und dann will ich dasselbe mit dir anstellen.“
Noch deutlicher musste er nicht werden. Ich hatte verstanden, und seine Worte regten meine lustvolle, schmutzige Fantasie an. Ich beugte mich wieder über ihn, bis meine Lippen nah an seinem Ohr waren, und raunte mit tiefer Stimme: „Ich hab was viel besseres als das Ei.“
„Hast du wieder was Neues gekauft?“ Aus seiner Stimme klang die Neugierde.
Ich griff nach der Tüte vom Sexshop, ertastete darin, was ich suchte, und fühlte die samtig raue Oberfläche und aus mehreren aneinander gereihten Perlen beschaffene Struktur des Spielzeugs in meiner Hand, ehe ich es herausnahm und aufs Bett legte.
Der Verkäufer im Sexshop hatte das Ding ‚Analkette‘ genannt, obwohl es mehr eine Art unförmiger, elastisch-biegsamer, lilafarbener Stab aus gummiartigen Perlen, als eine wirkliche Kette war, und ich konnte mir sehr, sehr gut vorstellen, dass dieses Teil genau das Richtige für meinen Liebsten und mich war.
Meto sah mich mit großen Augen an, diesem Blick, der sowohl ein klein wenig Scham, als auch zugleich Lust und Neugierde bedeutete.
„Nimm’s ruhig mal in die Hand und schau es dir an“, ermutigte ich ihn, woraufhin er das Spielzeug tatsächlich in die Hand nahm und mit den Fingern neugierig über die verschieden dicken, elliptisch geformten Perlen fuhr, bei denen er, das sah ich ihm an, genau wusste, wozu diese besondere Struktur gedacht war.
„Ich hab so das Gefühl, du wirst das lieben“, flüsterte ich ihm verführerisch zu.
Er lächelte leicht, hatte doch ein wenig Röte in den Wangen, dann nickte er und gab mir das Spielzeug zurück.
Ich nahm noch ein bisschen Gleitgel dazu, ein neues, das einen prickelnden, heißkalten Effekt versprach, benetzte das Spielzeug damit, und Meto hob seinen Unterleib ein wenig an, legte den Kopf in den Nacken, seine Hände griffen in die Kissen, die ich schön nestförmig auf dem Bett drapiert hatte. Die erste Perle glitt ganz leicht in sein Inneres, die zweite, ein wenig größer, ließ ihn schon aufseufzen.
Ich beugte mich herunter und setzte Küsschen auf die Innenseiten seiner Oberschenkel, während meine Hand das Spielzeug Perle für Perle in ihn schob oder auch wieder ein Stück weit herauszog, und ich jedes Mal an meinen Fingerspitzen spürte, wie seine Öffnung sich um die Perlen weitete und nach jeder wieder ein wenig zusammenzog.
Irgendwas daran erregte mich wahnsinnig, ich spürte meine Erregung pochen und hätte die Analkette am liebsten augenblicklich durch meinen Schwanz ersetzt. Doch das noch hinauszuzögern, hatte auch seinen Reiz, allein zu spüren, wie dieses süße kleine Loch sich ebenso sehnte …
Metos Körper bebte schon jetzt vor Erregung, er krallte seine Hände in die Kissen, stöhnte laut, und ab und zu kam ihm auch mein Name über die Lippen, was mein Herz jedes Mal vor Liebe erzittern ließ. Ich fürchtete mich manchmal ein wenig davor, mich ihm ganz hinzugeben, doch andererseits war vollkommene Hingabe, beinahe Verschmelzung, ja genau das, wonach ich mich sehnte, und so siegte in mir immer wieder aufs Neue die Lust, diese wahnsinnige Liebe.
Jene verrückte Lust und Liebe, die mich in diesem Moment etwas tun ließ, was meinem Liebsten einen ekstatischen Schrei entlockte und zugleich seine Wangen leuchtend rot färbte:
Ich hob seinen Hintern noch ein wenig an, zog die Analkette langsam heraus, fuhr ganz zärtlich mit meinem Finger über die zuckende, erregt gerötete Öffnung und beugte mich weiter runter, um diese schließlich sanft mit meinen Lippen zu berühren.
„Oahhhh …! Tsu … oh Gott … nhhh …“
Seine Ekstase, oh, ich wollte mehr davon sehen! Und so setzte ich noch eins drauf, ließ ihn nicht nur meine Lippen an seinem Loch spüren, sondern auch meine Zunge in ihrem ganzen Reiz. So etwas zu tun, machte mich selbst ebenso an, dieses Gefühl von ‚schmutzig‘ und ‚unanständig‘ war einfach zu geil, um zu widerstehen.
Ich hob den Kopf wieder und sah zu Metos Gesicht, fand ihn so unglaublich sexy in seiner Erregung, seine vollen Lippen zogen sich immer wieder zu seinem von Natur aus breiten, süßen Lächeln, das nur schwand, wenn er aufstöhnte und den Kopf zur Seite warf, weil meine Hand zwischen seinen Beinen nach besonders empfindlichen Stellen suchte.
„Gefällt dir das, mein Liebster?“, fragte ich, meine Stimme klang erregt und dunkel. „Magst du das, wenn ich dich dort unten küsse?“
Meto sah mich an, mit diesem absolut süßen Rot auf den Wangen, und nickte. „Ja … Aber jetzt … dring in mich … nimm mich …“
Das musste er mir nicht zweimal sagen. Mein Glied pochte schon erwartungsvoll, sehnte sich nach seinem heißen Innern, und so richtete ich mich weiter auf, zog ihn ganz zu mir und drängte, von meinem Verlangen vollkommen eingenommen, hart und heiß in ihn, fühlte eine Welle unglaublicher Hitze durch meinen Körper branden.
Er schrie, doch es klang so viel mehr nach Lust als nach Schmerz, und meine ohnehin schwache Selbstkontrolle war sowieso längst dahin. Ganz ihm, meinem Verlangen und dem Gedanken „Er ist mein, gehört mir, wir sind eins“ hingegeben, nahm ich ihn, machte ihn mir zu eigen, fühlte mich stark und irgendwo auch mächtig einerseits, und auf der anderen Seite so, als sei er derjenige, der uns beide führte und mich versorgte und beschützte.
Ich sah und spürte, wie Meto sich gehen ließ, hörte sein Stöhnen, das in meinen Ohren so wundervoll klang, dann legte er seine Beine fest um mich, sodass ich noch mal tiefer in ihn drang, und flüsterte mit erregter Stimme: „… Tsuzuku … ich liebe dich … zeig’s mir, lass mich alles spüren …“
Ich konnte nicht antworten, meine Stimme versagte mir den Dienst, auf einmal fühlte ich verdächtige Hitze in meinen Augen und mein Herz erzitterte vor Rührung.
Ich beugte mich vor, stützte meine Hände links und rechts neben ihm ab, mein ganzes Empfinden war auf mein heißes Glied in seinem ebenso heißen Loch konzentriert, was sich so übermächtig süß und lustvoll anfühlte, dass ich gar nicht anders konnte, als seinen Worten Folge zu leisten:
Ich bewegte mich nicht einfach nur, ich stieß in ihn, immer drängender, härter, schneller, lebte mein Verlangen kopf- und haltlos aus, mein unkontrolliertes Sehnen nach Verschmelzung und Hemmungslosigkeit, immer wieder und wieder.
Und dabei sah ich ihn an, versank geradezu in seinen Augen, so tief, dass ich einen endlos scheinenden Moment lang von einem Gefühl völliger Verschmelzung mit ihm übermannt wurde, wir waren wie ein einziges Wesen, ein Herz in zwei Körpern, ehe ich mich mit einem lauten Schrei, der in meinen Ohren eigenartig anders klang als sonst, in sein glühend heißes Loch ergoss und schon im nächsten Augenblick fühlte, wie er ebenfalls laut stöhnend kam, und ich seinen Samen an meinem Bauch spürte.
Ich sank ganz auf ihn, wir bebten beide noch, waren noch eins, ein einziges Herz. Meto legte seine Arme um mich, seine Hände streichelten über meinen Rücken, während ich in ihm den langsam ruhiger werdenden Nachwellen unserer Lust nachspürte.
Eine ganze Weile blieben wir so, trotz oder vielleicht auch gerade wegen des heftigen Höhepunktes dauerte es etwas, bis mein Glied wieder weich wurde, und außerdem wollte ich so lange wie möglich in ihm sein, mich noch nicht wieder von ihm trennen. Dieses Gefühl von Eins-sein und Verschmelzung war einfach so unglaublich schön.
„Das war schön …“, brach Meto schließlich die Stille, „So schön …“ Ich hob den Kopf, sah ihn an, er lächelte und fügte hinzu: „Tsuzuku, ich bin so froh, dass ich vor dir mit niemandem geschlafen habe, dass du mein Erster bist und für immer sein wirst. So gehöre ich nur dir.“
Ich lächelte, küsste ihn und antwortete, so ernst wie ich es meinte: „Ich gehöre dir. Ich brauche dich. Ich will nie mehr einen anderen so anschauen wie dich.“
Langsam richtete ich mich auf, zog mich vorsichtig aus ihm zurück, er ließ mich frei und ich sank neben ihn in die Kissen. Meto umarmte mich und ich schmiegte mich hautnah an seinen Körper, in dessen Innerem sein Herz im selben Takt schlug wie meines.
Auf einmal war ich furchtbar müde, dachte noch kurz daran, dass ich ja eigentlich wach bleiben und weiter machen wollte, aber einen Moment später fielen mir schon die Augen zu und ich dämmerte weg, sank in einen süßen, traumlosen Schlaf.
Als ich die Augen wieder öffnete, war es dunkel. Die Luft roch immer noch leicht nach Vanille, aber die Kerzen waren aus und das Licht auch. Ich lag noch so, wie ich eingeschlafen war, nur war ich jetzt zugedeckt, aber ich spürte Metos Körper nicht, er war nicht bei mir. Mich an das Gefühl von Verschmelzung erinnernd, bekam ich sofort wieder Angst: Wir waren eins gewesen und nun war er nicht mehr bei mir, hatte die Grenzen sich wieder zwischen uns ziehen lassen, wieder den Abstand hergestellt, der zwar bestimmt vernünftiger und gesünder war, aber mich in dieses Gefühl von Einsamkeit zurückwarf.
„Meto?“, fragte ich verunsichert. „Wo bist du?“
„Ich bin hier, mein Herz“, hörte ich seine liebe Stimme von der Bettkante her. Ich sah hin und da saß er, hatte nur ein dunkles, offenes Schlafhemd an, sein Unterkörper war nackt, und irgendwie sah er in diesem Halbdunkel, das nur vom Mond etwas Licht bekam, ziemlich männlich und sexy aus.
„Wie lange hab ich geschlafen?“, fragte ich, streckte mich und machte die Nachttischlampe an.
„Zwei Stunden ungefähr“, antwortete er. „Ich war die ganze Zeit wach, hab eben noch bisschen Kaffee getrunken und gewartet, bis du wieder wach bist.“ Meto lächelte, drehte sich ganz zu mir um und kam übers Bett auf mich zu, legte sich wieder neben mich, unter die Decke, mit der er mich zugedeckt hatte, als ich schlief. „Hast du Lust, weiter zu machen?“
„Echt weitermachen?“, fragte ich, unverblümt wie ich war. „Tut dir nicht der Hintern weh? Ich hab dich doch ziemlich rangenommen.“
Meto beantwortete die Frage nicht, sagte stattdessen: „Ich dachte jetzt ehrlich gesagt eher dran, dass ich dich nehme.“ Er lächelte und fügte dann mit seiner süßen Mischung aus Schüchternheit und Verführung hinzu: „Hab mir da gerade was ausgedacht, das könnte dir gefallen.“
Er klang so verheißungsvoll, sah mich dabei so liebevoll und begierig an, dass ich mich halb aufrichtete, über ihn beugte, bis ich ganz auf ihm lag, und ihm ins Ohr flüsterte, während ich mich eng an seinen bis auf das offene Hemd nackten Körper drückte: „Dann lass mal hören, Baby. Was willst du mit mir anstellen?“
Meto lachte, küsste mich, dann umarmte er mich und drehte uns beide herum, sodass er jetzt auf mir lag. „Könntest du dir vorstellen, dass es dir gefallen wird, wenn ich mal deine Augen verbinde?“
„Du willst mal so richtig toppen?“, fragte ich zurück.
„Ich will dich verwöhnen, Tsu.“
Ich lächelte. „Dann mach mal.“
Er lachte wieder, strahlte mich so wahnsinnig süß an und sagte: „Erst die Schokolade.“
Während er die Flasche mit dem Schokosirup und die Augenbinde aus dem Nachtschrank nahm, machte ich das ‚Liebesnest‘ aus Decken und Kissen neu, ließ mich darauf sinken und spürte, wie mein Herz wieder vor Vorfreude und Erregung schneller schlug, während meine Fantasie sich wunderbar versaute Spielereien ausmalte, die Meto sich vielleicht für mich ausgedacht haben konnte.
Er kam zu mir, kniete sich über meine Beine und begann damit, dass er mit seinen liebevollen, warmen Händen über meinen Oberkörper fuhr, kurz meine Brustwarzen neckte und dann zärtlich über die empfindliche Zone vorn an meiner Schulter weiter zu meinen Armen strich. Zuerst berührte er meine Oberarme, dann auch die Unterarme, wo er ganz vorsichtig über die Narben fuhr, die teils unter meinen Tattoos verborgen waren, oder, wenn ich mich später verletzt hatte, darüber die dunkelblaue Tinte an der Stelle zerstört hatten.
Ein eigenartig halbes Lächeln huschte über Metos Lippen, seine Fingerkuppen berührten meine vernarbten Handgelenke, dann griff er meine Hände, dirigierte sie nach oben, neben meinen Kopf, wo er sie mit den seinen verschränkte, sich herunterbeugte und seine Lippen fest und liebend auf meine presste, mich mit dem deutlich spürbaren Wunsch küsste, mich glücklich zu machen.
Als er den Kuss wieder löste, sich aufrichtete und mich ansah, leuchtete eine eindeutige Lust in seinen Augen, eine, die vielleicht der meinen ähnelte, offensiver und hungriger war als das, was er sonst an den Tag legte. Ich sah eine andere Seite von ihm, die weder schüchtern errötete, noch sich empfangend hingab, sondern es durchaus mit meinem eigenen sexuellen Machthunger aufnehmen konnte. Meto war fest entschlossen, mir seine Liebe jetzt offensiver zu zeigen, das spürte ich ganz deutlich und es fühlte sich richtig gut an.
Er griff nach der schwarzen Augenbinde, ich setzte mich auf und er band sie mir um, strich dabei ein wenig durch mein Haar und band den Knoten an meinem Hinterkopf ganz vorsichtig, dass es nicht ziepte. Ich schloss hinter der Binde die Augen und konnte mir gut vorstellen, dass es mir, obwohl ich sonst ja mehr auf Sex bei Licht stand, sehr gefallen würde, mit Meto zu schlafen, ohne etwas zu sehen. Ein klein wenig fühlte ich mich ausgeliefert, aber nicht zu sehr, es war mehr ein spannender Nervenkitzel, als dass es mir Angst gemacht hätte.
Und als ich mich dann wieder in die Kissen sinken ließ, nichts mehr sah als Dunkelheit, bemerkte ich, dass ich so viel mehr spürte, ich fühlte das Gewicht von Metos Körper auf meinen Beinen, hörte ihn atmen, und seine liebe, leise Stimme klang noch viel schöner als sonst, als er sagte: „Irgendwie fühlt sich das gut an, wenn du so mit verbundenen Augen unter mir liegst …“
„Sag ich doch immer schon, dass das geil ist“, antwortete ich.
Ich hörte das Geräusch, das vom Öffnen der Schokosirup-Flasche herrührte, hörte Meto leise lachen, er schien sich schon auf das zu freuen, was er vor hatte, und dann fühlte ich den klebrig-süßen Sirup auf meiner Haut. Zuerst nur auf meinem Bauch, dann mehr davon auf meiner Brust, bis rauf zu meiner Halsbeuge, und wieder herunter, wo er ein wenig davon in meinen Nabel tropfte.
Ich hörte, wie Meto ein leises, lustvolles Seufzen von sich gab, dann sagte er leise: „Tsuzuku … wenn du wüsstest, wie heiß du gerade aussiehst … Ich werde schon hart, wenn ich dich nur ansehe …“
Ich konnte mir sehr gut vorstellen, wie ich gerade aussah: Mit verbundenen Augen und dem Schokosirup auf meinem komplett nackten Körper, ja, es war nur natürlich, dass mein Liebster von diesem Anblick geil wurde.
Und ich ebenso, mein Unterleib wurde schon ganz warm und mein erregt klopfendes Herz pumpte Blut in mein Glied, als Meto sich wiederum runterbeugte und begann, das süße Zeug von meiner Haut zu lecken. Ich selbst stand ja mehr auf den normalen Geschmack seiner Haut ohne Süßkram, wenn ich ihn meinerseits so leckte, aber Meto schien das Spiel mit der Schokolade wirklich zu mögen.
„Schmeck ich gut?“, fragte ich.
Er setzte noch einen Kuss auf meine Haut, dann antwortete er: „Ja … Genau so süß, wie du bist.“ Dann rutschte er ein Stückchen nach hinten und im nächsten Moment spürte ich seine gepiercte Zunge an meinem Nabel, wie sie hineintauchte, mit meinem Piercing spielte und dann den kleinen See aus flüssiger Schokolade ausleckte.
Ich legte aufstöhnend den Kopf in den Nacken, krallte meine Hände in die Matratze, mein Herz klopfte wie wild, und dann hörte ich, wie Meto die Sirupflasche erneut öffnete und jetzt zum wirklich erregenden Teil der Schokoladenparty überging: Er tropfte etwas davon auf meine Nippel und mein hartes Glied, verrieb die Tropfen ein wenig mit den Fingern, wobei sich sein erregtes, seufzendes Atmen mit meinem Stöhnen mischte, und begann dann, die süße Flüssigkeit wiederum weg zu lecken und weg zu küssen, wobei er an meinen Brustwarzen auch ein wenig saugte, was mich wiederum aufstöhnen ließ und machte, dass ich ihm meinen Körper entgegenbog.
Er lachte, schien meine Sehnsucht süß zu finden, und machte dann ungeniert weiter, widmete sich mit seinen göttlich weichen, gepiercten Lippen meinem schon leicht pochenden Glied, leckte, küsste und streichelte es so zärtlich und liebevoll, dass es mich schon jetzt ganz verrückt machte. Ich wusste kaum, wohin mit dieser Lust, sodass ich schließlich meine Hände über meinem Kopf ins Kissen grub und mich meinem Liebsten so sehr entgegen drängte, wie es mir nur möglich war, da er ja immer noch auf meinen Beinen saß und ich deshalb meinen Hintern nicht recht hoch bekam.
„Du kriegst ja gar nicht genug“, bemerkte er und ich war mir sicher, dass er lächelte.
„Von dir kriege ich doch nie genug“, antwortete ich.
„Das ist sehr gut, mein Schatz.“ Jetzt war es geradezu hörbar, dass er sich freute. „Ich hab nämlich noch viele schöne Sachen mit dir vor.“
Was das für Sachen waren, die er sich für mich ausgedacht hatte, erfuhr ich nur allzu bald. Meto hatte nämlich, vermutlich während ich geschlafen hatte, die Tüte mit den neuen Spielzeugen entdeckt und sich diese anscheinend eingehend angeschaut. Kurz stand er auf, löste sich von mir, blieb aber in der Nähe. Ich hörte, wie die Tüte raschelte, wie er die Sachen herausnahm und nahm an, dass er sie aufs Bett legte, dann war er wieder bei mir, schob sanft, aber bestimmt meine Beine auseinander und setzte sich dazwischen.
„Du hast ja richtig viel gekauft“, sprach er mich an. „Was davon darf ich jetzt mit dir machen?“
„Suchs dir aus“, antwortete ich, und der Gedanke an den ganzen Kram, den ich in einem Anfall von eindeutigem Kaufrausch und meiner starken Lust auf Sex gekauft hatte, machte mich ziemlich an. Ich hatte neben der Analkette und dem neuen, prickelnden Gleitgel auch noch zwei kleine Vibratoren und einen vielversprechend aussehenden Plug angeschafft, und dann hatten wir ja auch noch das Ei und die Handschellen.
„Nein, sag mal“, beharrte Meto. „Ich hab gesagt, ich will dich verwöhnen, also sag du, was wünschst du dir, was ich mit dir tun soll?“
Eindeutiger brauchte er nicht zu werden, seine Worte heizten meine Fantasie und Erregung zu Genüge an, sodass ich in meiner unverblümten Art antwortete, was mir in diesem Moment durch den Kopf ging: „Nimm die Handschellen und fessele mich, und dann mach mich weit und weich, spiel mit meinem Körper … Ich will viel, du weißt, worauf ich stehe … Mach mich mit allem, was dir einfällt, so geil, dass ich vor Lust halb verrückt werde, und dann nimm mich ran … Lass mich so deutlich, wie du nur kannst, spüren, dass du mich liebst …“
„Das kannst du haben, mein Schatz“, antwortete er und klang dabei so süß!
Ich spürte, wie Meto sich vorbeugte, und dann küsste er mich, liebend und fordernd zugleich, schob mir seine heiße, gepiercte Zunge in den Mund, wo sie auf meine gespaltene traf und mit ihr zu spielen begann. Er genoss es, was ich aus meinem Körper hatte machen lassen, das fühlte ich ganz deutlich, es gefiel ihm wirklich gut.
Vielleicht, so dachte ich in diesem Moment, war das wirklich etwas, was er an mir liebte: Dass wir diese Freude daran, unsere Körper mit Bodyart schön und besonders zu machen, miteinander teilten und gemeinsam auslebten, entweder, indem wir miteinander schliefen und diese Dinge auf solche Weise auskosteten, oder ich eben auch den Plan hatte, sein großes, buntes Tattoo eigenhändig weiter zu vervollständigen.
Dieses plötzlich in meinem Herzen aufblühende Wissen darum, dass es etwas Greifbares gab, was er an mir wirklich liebte, einen sichtbaren Grund, warum er gerade mit mir zusammen war, machte mich beinahe schwindlig im Kopf, und ich griff mit beiden Händen in sein Haar und seinen Nacken, küsste ihn nun meinerseits mit einer solchen Leidenschaft und Liebe, dass er doch etwas überrascht davon schien, aber umso lustvoller darauf einging.
Es wurde ein langer, intensiver, liebevoller Kuss, den wir schließlich nur widerwillig lösten.
Meto richtete sich langsam wieder auf und sagte: „Auch, wenn ich dich jetzt fesseln werde, dich wehrlos mache und dazu bringe, mir komplett zu vertrauen: Du sagst mir Bescheid, wenn dir was zu viel wird, okay?“
Ich nickte, hörte die Kette der Handschellen metallisch klappern, und hob die Hände über meinen Kopf, dachte, dass es mir gefallen hätte, wenn unser Bett eine Stange am Kopfende gehabt hätte, und fühlte die Lust und Hingabe in mir aufwallen.
Meto beugte sich über mich, ich hörte sein erregtes Atmen und spürte sein hartes Glied an meinem Bauch, als er meine Hände griff und mir die Handschellen anlegte, die leise klickten, als er sie verschloss. Es war das erste Mal, dass mich jemand so fesselte, und mein Herz raste vor Lust und Nervenkitzel.
„Ist das okay so?“, fragte er leise.
Mein Herz klopfte so stark, dass ich erst kaum sprechen konnte, dann antwortete ich: „Jaah … mehr als okay … total geil!“
Ich hört ihn lachen, er drückte mir einen kurzen Kuss auf die Lippen, und dann fühlte ich seinen warmen, weichen Mund auf meiner linken Brustwarze, während er die rechte mit seinen Fingern drückte und mit dem Stäbchen spielte.
So gefesselt fühlte sich jede Berührung meiner erogenen, intimeren Körperstellen noch mal anders, intensiver an, und ich seufzte laut, mein Körper drängte sich Metos ganz von selbst entgegen und die Kette der Handschellen klimperte leise.
Ich machte mir ganz bewusst, wie ich hier lag, ganz nackt, mit verbundenen Augen und gefesselten Händen, meinem Liebsten und seiner Lust an mir komplett ausgeliefert, und statt dass mir dieses Bewusstsein Angst gemacht hätte, gefiel es mir, sehr sogar, ich liebte diese Art von Aufregung!
Je länger Meto sich meinen Nippeln widmete, mit ihnen spielte und sie so richtig verwöhnte, umso empfindlicher schienen sie zu werden, und umso härter und heißer wurden nicht nur sie, sondern auch mein Schwanz. Ich fühlte jetzt schon meinen Lusttropfen austreten und an meiner Härte hinablaufen, und auch das erregte mich weiter, ich hob meinen Unterleib an, presste ihn sehnsüchtig an Metos ebenso erregten Körper.
Und doch hatte ich noch lang nicht genug, wollte, dass es noch lange weiter ging, dass er mich noch viel, viel mehr erregte, denn, fuck, ich war fünfundzwanzig, im besten Alter für sexuelle Eskapaden, und ich wollte das ausleben und zwar so richtig!
Als mein Liebster dann meine Nippel wieder in Ruhe ließ, sie fühlten sich jetzt ganz heiß und kribbelnd an, und sich wieder aufrichtete, mich dabei an der Hüfte leicht in die Matratze drückte, war ich schon voller Spannung und Vorfreude auf das, was er wohl als nächstes mit mir vorhatte.
„Möchtest du vorher wissen, was ich mache, oder soll ich dich überraschen?“, fragte er und ich hörte ihm doch noch ein wenig Unsicherheit an, da er mich ja nie zuvor gefesselt unter sich liegen gehabt hatte und diese Praktiken nur anders herum kannte.
Doch war es nicht sowieso schon so, dass ich, wenn auch auf emotionaler Ebene, schon immer von ihm gefesselt war? Ich konnte nicht ohne ihn leben, brauchte ihn wie die Luft zum Atmen, er hielt mein Herz in Händen und ich war komplett abhängig von seiner Liebe. Im Grunde stellten jetzt die Augenbinde und die Handschellen also nur etwas dar, was sowieso schon die ganze Zeit da war.
„Überrasch mich“, antwortete ich auf seine Frage, „Ich mag das.“
Meto lachte leise, und einen Moment später hörte ich, wie er die Flasche mit dem prickelnden Gleitgel öffnete, und spürte bald darauf das sich heiß und kalt zugleich anfühlende Zeug zwischen meinen Beinen, wo er es ein wenig verrieb und dabei, noch etwas vorsichtig, mit dem Finger immer wieder über meinen Eingang strich.
Sein Tun erregte auch ihn selbst hörbar, ich hörte ihn immer wieder leise aufstöhnen und konnte mir gut vorstellen, dass sein Glied ebenso hart und pochend war wie meines.
Ich seufzte erregt, und als er seinen Finger dann in mich schob und begann, den Muskel weich und weit zu machen, krallte ich meine gefesselten Hände ins Kissen. Ihm schien das als Bestätigung zu dienen, und ich hatte meine Wünsche ja auch deutlich genug formuliert, dass er sicher sein konnte, was ich wollte. Und so hielt er sich nicht lange mit Vorsicht und Unsicherheit auf, sondern drängte bald schon erst mit zwei, dann mit drei Fingern in mich, verteilte das prickelnde Gel in meinem Loch und schenkte mir dabei genau das Maß an süßem Schmerz, was ich brauchte.
Der elliptisch geformte Fremdkörper, den ich schließlich an meinem Loch spürte und Sekunden später als erste Perle der Analkette wieder erkannte, fühlte sich angenehm kühl an, und Meto informierte mich mit leiser Stimme darüber, dass er das Spielzeug gereinigt hatte, während ich vorhin geschlafen hatte.
Er fuhr mit der Perlenreihe, ganz wie mit einer echten Kette, zwischen meinen Beinen entlang, ich fühlte eine Perle nach der anderen erregend über meinen Eingang streifen, dann schob er die erste in mich und ließ mich genau das spüren, was ich in der ersten Runde mit ihm gemacht hatte: Das Weiten und wieder Zusammenziehen meines Lochs um die einzelnen Perlen und die Reizung meines Inneren, das erbebend auf das erregend geformte Spielzeug reagierte.
Ich stöhnte laut auf und Meto lachte leise, dieses liebe Meto-Lachen, selbst in diesem schmutzigen Tun gerade war er noch genauso süß und lieb wie sonst, auch wenn ich von ihm forderte, dass er mich dominierte.
„Gefällt dir das, Tsuzuku?“, fragte er.
„Jaah …“, stöhnte ich, „Mehr …!“
Woraufhin er das Spielzeug so griff, dass er es schneller bewegen konnte, und ich fast wahnsinnig wurde von diesem neuen, unglaublich geilen Reiz an und in meinem Loch, der mich jedoch noch nicht kommen ließ und so die Erregung in mir immer weiter steigerte. Ich schrie, hatte das Gefühl, gleich zu platzen vor Lust und langsam verlor ich auch die Kontrolle über mein Verlangen und dieses völlig verrückte Sehnen …
„Meto“, sprach ich meinen Liebsten atemlos an, „Ich werde … ganz verrückt … aber … ist gut, ich will das … tu mir weh … bitte …“ Noch während ich es aussprach, fürchtete ich schon wieder, dass ich ihn überforderte, und tatsächlich schien er sich nicht sicher zu sein, ob er meinem Verlangen oder besser seiner eigenen Vorsicht Folge leisten sollte, denn er zog das Spielzeug aus mir zurück, beugte sich dann über mich und streichelte sanft meine Wange.
„Ach Tsu …“ Seine Stimme klang so warm und lieb, dass ich sofort bereute, ihn um Schmerz gebeten zu haben. „Ich liebe dich doch, mein Herz. Ich mag dir nicht noch mehr wehtun als sein muss …“
„Wenn ich es doch will?“, widersprach ich.
„Wo soll das denn enden? Du kriegst ja jetzt schon nicht genug. Und wie ich dich kenne, willst du dann so viel, dass es nicht mehr gut ist, für uns beide nicht.“
Meto verließ den Platz zwischen meinen Beinen und legte sich neben mich, streichelte liebevoll meine Arme, meine Brust, meinen Bauch, meine Seite. Und dann küsste er mich mit einer solchen Zartheit und Süße, dass es mein ganzes Sehnen nach Extremen und Grenzüberschreitung mit einem Mal auflöste und mich wieder ganz ruhig machte.
„Lass uns nicht noch viel weiter gehen. Ich will lieb zu dir sein, verstehst du?“, sprach er leise und strich durch mein Haar. „Ich kann in dich eindringen, ja, aber ich werde dir nicht mehr wehtun, als dabei eben sein muss, okay?“
Ich nickte, sah jetzt ein, dass ich ihn mit meinem überbordenden Verlangen zu sehr gefordert und bedrängt hatte. Meto küsste mich wieder, dann kehrte er zu seinem Platz zwischen meinen Beinen zurück, fühlte kurz nach, ob mein Eingang noch entspannt und locker war, und fragte dann: „Sag mal, magst du mal ‘ne schöne Massage haben?“
‚Massage‘ klang wirklich gut, und so wie Meto das sagte, hatte er etwas wesentlich sanfteres vor, als das, was eben gewesen war. Ich nickte auf seine Frage hin, hörte gleich darauf ein leises Summen und erkannte, dass er den kleinen, neuen Vibrator eingeschaltet hatte, mit diesem zuerst ein wenig herumprobierte, und dann spürte ich die sanfte Vibration auf meinem Bauch, die samtige Oberfläche des Spielzeugs fühlte sich gut an.
„Ist das schön?“, fragte Meto, und ich nickte wieder, gab ein leises „Mhm“ von mir.
„Und da?“ Er hielt den Vibrator an meine Leistengegend, streichelte mich mit der anderen Hand zwischen den Beinen, ich seufzte genießend und er ließ das Ding weiter wandern, neben meinem Glied entlang, berührte damit ganz leicht meine Hoden, was mir einen heißen Schauer durch den Körper schickte und mich wieder lauter stöhnen ließ.
Meto war, das musste ich an dieser Stelle wieder einmal zugeben, wirklich sehr gut darin, mich nach Momenten jeglichen Wahnsinns wieder zu erden, auf einen ruhigen Boden zurück zu holen, und er war dabei so liebevoll und sanft, und doch so bestimmt in seiner Haltung, dass ich mich nicht abgestürzt, sondern aufgefangen fühlte.
„Das ist gut, oder?“, fragte er und verstärkte ein wenig die Berührung der Vibration an meinen Hoden, sodass ich doch wieder aufschrie.
„Oh Gott … jaaah … Meto, ich … ich liebe dich so …!“
„Ich lieb dich auch“, antwortete er und fuhr mit der intimen Massage fort, kam jetzt zu meinem Loch, das sehr, sehr empfänglich auf die Vibration reagierte und sich anfühlte, als würde es gleich weit genug, dass er in mich würde eindringen können.
„Jetzt nimm mich …!“, kam es mir über die Lippen, während mein Körper wiederum erbebte.
Ich hob meinen Unterleib an, Meto schaltete das Spielzeug aus, legte es irgendwo beiseite, und ergriff mit beiden Händen meinen Körper, zog mich auf seine Schenkel, ich grub wiederum meine Hände ins Kissen und drängte mich ihm, ja immer noch blind und gefesselt, entgegen.
Seine harte, heiße Eichel drückte gegen mein weiches Loch, ich hielt unwillkürlich die Luft an, und als er ganz in mir war, entlud sich die kurze Anspannung meines Atemsystems in einem ekstatischen Schrei. Er blieb einen Moment so, ganz still, ich hörte ihn nur, aufs Äußerste erregt, laut atmen, dann begann er, sich in mir zu bewegen, in einer Weise, die mich auch ganz ohne Heftigkeit und Stöße, nur als einfache Bewegung, schon wieder fast verrückt machte.
Er bewegte sich so langsam und liebevoll, drang dabei tief in mich vor und blieb in einer Weise ruhig, dass es sich tatsächlich viel besser anfühlte, als wenn er mich so schnell und hart genommen hätte wie ich ihn zuvor. Was ich an hemmungsloser Intensität aufgeboten hatte, ersetzte Meto durch eine liebevolle, langsame Lust, nahm mich auf seine Weise, und ich fühlte mich wirklich geliebt in diesem Moment, geliebt und glücklich.
Und genau diese ruhige Lust, dieses Blümchensex-Artige, war jetzt genau das Richtige, und Meto war gut darin, machte es, wohl intuitiv, genau so, wie ich es brauchte, indem er sich zwar langsam bewegte, aber dabei immer wieder jenen süßesten Punkt meines Inneren traf, dessen Berührung mich Sterne sehen, aufkeuchen und stöhnen ließ.
Durch die langsamere Bewegung intensivierte sich diese Reizung tatsächlich mehr, und als er leicht den Winkel veränderte, in dem er gegen diese Stelle in mir drängte, überrollte mich die Lust schließlich und ich kam mit einem atemlosen Schrei und sehr viel Samen, fühlte im selben Augenblick den doch recht harten Stoß, mit dem er sich in mich ergoss, und wie er keuchend auf mich sank.
Ich spürte seinen und meinen hämmernden Herzschlag, es war beinahe derselbe Takt, und unsere nassgeschwitzten, heißen Körper, Metos süße Nähe. Eine Weile blieben wir einfach so, er über mich gebeugt. Langsam beruhigte sich unsere Atmung wieder, wurde alles wieder klar, trat aus den zartrosa Nebelschleiern, in die die Lust alles um uns herum getaucht hatte, wieder hervor.
Schließlich richtete Meto sich ebenso langsam auf, zog sich vorsichtig aus mir zurück, legte sich neben mich und öffnete mir die Handschellen, streichelte meine Arme, küsste mich und griff dann hinter meinen Kopf, um die Augenbinde wieder zu lösen. Ich blinzelte, sah ihn zuerst nur verschwommen, dann jedoch klarer, meine Wahrnehmung normalisierte sich wieder und ich lächelte leicht, bekam dafür einen lieben Kuss.
„Alles gut?“, fragte er und lächelte.
„Ja … alles okay.“ Ich hob die Hand, sie fühlte sich noch ein wenig lahm an, und berührte Metos Gesicht, strich durch seine kurzen, blau gefärbten Haare und fügte noch hinzu: „Danke, mein Liebster, das war sehr, sehr schön.“
„Fand ich auch. Ehrlich gesagt … war das vielleicht sogar der beste Sex, den wir je hatten, oder?“
„Ich wollte halt mal so eine richtige echte Liebesnacht mit dir.“
„Das war es, Tsuzuku … so schön …“
Er griff nach den Taschentüchern auf dem Nachttisch und begann, meinen Samen von meinem Bauch weg zu wischen, warf das Tuch dann weg und räumte die Spielzeuge und so weiter zusammen, brachte alles ins Bad und war dann sofort wieder bei mir, zog die Bettdecke heran, legte sich nah zu mir und deckte uns beide liebevoll zu.
Ich war auf einmal wahnsinnig müde, mir fielen schon die Augen zu, aber kurz bevor ich einschlief, sprach Meto mich noch mal an: „Tsuzuku?“
„Ja …?“
„Träum schön, von mir oder irgendwas anderem, was dich auch glücklich macht, okay? Ich liebe dich über alles, mein Schatz, ich will, dass du immer nur schöne Träume hast.“ Er küsste mich auf den Mund, ganz weich und lieb und zärtlich, strich mir durchs Haar und kuschelte sich an mich.
„Nach so einer Nacht kann ich doch nur von dir träumen“, antwortete ich müde.
Meto lachte leise, legte seinen Arm um mich, und ich schlief bald darauf ein, spürte im Einschlafen noch seinen ruhigen, kräftigen Herzschlag.
[1 1/2 Wochen nach der besonderen Liebesnacht]
Manchmal kam es vor, dass ich morgens aufwachte und bestimmte Dinge, die ich mir schon lange vorgenommen hatte, auf einmal ganz nah waren, so dass ich wusste: ‚Heute mach ich das.‘
So war es an diesem Morgen mit meinem Plan für das neue Tattoo an meinem Hals.
Ich wachte auf, sah Meto neben mir liegen, er schlief noch und ich betrachtete einen Moment lang die noch ungefärbten, schwarzweißen Linien auf seinem Arm, verspürte eine leichte, angenehme Aufregung und hob dann meinen eigenen Arm, den linken, wo ja bis auf meine Hand keine freie Haut mehr zu sehen war.
Im Gegensatz zu Meto, der ja bunte Tattoos liebte, hatte ich schon von meinem ersten Tattoo an dieses dunkle Blau vorgezogen, weil mit bunte Farben einfach nicht so standen. Lediglich bei dem Schmetterling auf meinem Rücken hatte ich mir ein wenig Farbe erlaubt. Das neue Tattoo, die Schere, sollte nur dunkel werden, fast schwarz.
Und dann war der Gedanke einfach da: „Heute ist der Tag dafür.“ Ich sprach es aus, leise zwar, aber es war nicht nur ein Gedanke, es war ein Plan für den heutigen Tag. Das Geld war mir egal, wenn nötig, würde ich mir von Kurata den entsprechenden Betrag vorstrecken lassen und später abbezahlen. Ich wollte dieses Tattoo, und zwar heute! Ich wusste, nach den vielen Abstürzen in den letzten Wochen und auch insgesamt, wurde es wieder Zeit für so etwas, und augenblicklich freute ich mich darauf.
Langsam stand ich auf und ging erst mal ins Bad, um mich zu duschen und fertig zu machen. Das nahm etwa zwanzig Minuten in Anspruch, mehr nicht, da ich heute keine Lust hatte, mich großartig zu schminken oder sonst wie hübsch zu machen.
Als ich ins Schlafzimmer zurückkam, war Meto auch schon wach und wünschte mir einen guten Morgen. Ich gab ihm einen schnellen, süßen Kuss, und wandte mich dann dem Kleiderschrank zu, zog eine meiner engen Jeans an und das blau-weiß gemusterte Hemd, das ich letztens mit Koichi zusammen gekauft hatte.
„Ich will mir heute das Tattoo stechen lassen“, sagte ich, einfach so, wie ich halt war.
„Das, was du schon selbst gezeichnet hast?“
Ich nickte. „Ich freu mich da schon drauf. Ich hab einfach das Gefühl, dass das heute sein muss.“
„Dann mach das“, sagte Meto und lächelte. „Ich kann mir vorstellen, dass dir das gut tut.“
Das dachte ich auch. Nur, dass mir schon der Gedanke an den Schmerz und die Veränderung ein vorfreudiges Kribbeln durch den Körper schickte, sagte ich nicht. Sonst hätte Meto sich doch wieder Sorgen um mich gemacht. Dass mir so ein Schmerz gut tat und auf mich entspannend wirkte, war für ihn und fast jeden anderen so schwer zu verstehen und das wusste ich. Die einzige Person, die ich da kannte und wo ich glaubte, dass sie das nachvollziehen konnte, war nun mal Hitomi.
Ich war so gut drauf, dass ich sogar frühstückte, bevor ich eine Zigarette rauchte und mich dann auf den Weg ins Studio machte. Fühlte mich gut und entspannt, die Aufregung war durchweg eine positive, die mich regelrecht euphorisch stimmte.
Ich überlegte schon, von welchem meiner Kollegen ich das Tattoo stechen lassen wollte, und kam recht schnell auf Takashima, da ich bei ihm auch das Gefühl hatte, dass wir uns ein wenig angefreundet hatten. Und als ich dann nach der Bahnfahrt und dem Fußweg schließlich das Studio betrat, war ich so entspannt und aufgeregt zugleich, dass ich es kaum erwarten konnte.
„Morgen, Genki“, begrüßte Takashima mich lächelnd. „Na, du strahlst ja! Geht’s dir gut heute?“
Ich stellte meine Tasche an meinen Platz am Tisch und suchte aus meiner Mappe mit den Entwürfen das Blatt mit meinem eigenen Entwurf heraus, legte es meinem Kollegen einfach vor die Nase auf seinen Tisch und sagte: „Das Ding ist heute fällig. Traust du dir das zu?“
„Ah“, sagte er und sah sich das Bild von der Schere an. „Das soll dein Neues werden? Und ich soll’s machen?“
„Genau“, erwiderte ich. „Und? Machst du’s?“
„Wo willst du das denn haben?“
Ich deutete auf die noch freie Seite an meinem Hals.
„Okay, ja, ich denke, das kriege ich hin“, sagte er. „Musst das halt noch mit Kurata absprechen, aber ich denke mal, der hat nichts dagegen.“
„Wo hab ich nichts dagegen?“, hörte ich Kurata hinter mir fragen. „Was habt ihr beiden vor?“
„Aoba will heute selber ein neues Tattoo“, informierte ihn Takashima, bevor ich überhaupt irgendwas sagen konnte.
Ich drehte mich zu Kurata um, der grinste mich an. „Na dann, macht ihr beiden mal. Und die Finanzierung ist kein Problem, Aoba. Schließlich arbeitest du hier, und machst das gut. Da ist auch mal ein Tattoo für dich selbst mit drin.“
So einfach war das? Kurata verwirrte mich mal wieder. Ich war fest davon ausgegangen, dass ich mindestens einen Anteil würde bezahlen müssen. Aber vielleicht war das ein Vorteil daran, dass er sich ab und zu in zwielichtigeren Kreisen aufhielt: Er nahm Dinge wie Geld oder Ordnung nicht so ernst, sah das viel lockerer als es für einen Japaner sonst üblich war.
Ich ging also mit Takashima zusammen in den Raum hinter dem Vorhang, setzte mich auf die Liege und zog mein Hemd aus. Er nahm ein paar Haarklammern aus einer Schachtel und steckte meine Haare so zurück, dass er an meinen Hals gut rankam, dann legte ich mich hin und wartete, bis er sich einen guten Überblick über das Motiv verschafft hatte.
„Erst mal nur die Outlines, okay? Und dann schauen wir danach, was ich heute noch weiter hinkriege?“, fragte er.
Ich nickte, mein Herz klopfte vorfreudig.
Zuerst reinigte und desinfizierte Takashima die Stelle, dann füllte er die Tinte in die Nadelmaschine und bereitete das Gerät so weit vor, dass er gleich mit dem Stechen würde beginnen können.
„Soll ich lieber vorne anfangen oder hinten?“, fragte er.
„Ist mir egal. Mach so, wie du am besten kannst.“
Takashima setzte sich auf einen Hocker mit Rollen und bewegte sich auf diesem um die Liege herum, zog die Nadelmaschine mit. Und als er dann so vor mir saß, fühlte ich mich einen Moment lang irgendwie ganz seltsam, wie zurückversetzt in die Zeit vor Mamas Tod, als ich zuletzt ein neues Tattoo bekommen hatte, und gleichzeitig so gut und vorfreudig, dass mein Herz mir vor Glück fast aus meiner Brust springen wollte.
„Betäubung willst du keine, oder?“, fragte Takashima, während er mit einem schwarzen Stift mein Motiv auf meiner Haut vorzeichnete.
„Nein“, sagte ich.
„Magst du den Schmerz?“
Ich nickte.
„Klingt vielleicht blöd, aber das hab ich mir schon gedacht.“
„Bleibt aber unter uns, okay?“
„Logisch.“ Er lächelte. „Übrigens, wo wir schon mal dabei sind: Nenn mich gerne Koji.“
Es passte irgendwie zu der Situation und auch zu dem, was mich inzwischen mit ihm verband, dass er mir jetzt noch mal in aller Form das Beim-Vornamen-nennen anbot, deshalb antwortete ich: „Dann nenn du mich Tsuzuku. Ist mir lieber als ‚Genki‘.“
„Okay. Hatte ich auch schon von deinem Freund gehört, der nennt dich ja auch so.“
Als er mit der Vorzeichnung fertig war, hielt er mir einen Spiegel hin. „Richtig so?“
Ich betrachtete die noch provisorischen Linien auf meiner Haut, Taka… ähm, Koji zeichnete wirklich gut, und ich wusste, dass er mit der Nadel ebenso geschickt umging.
„Ja, sieht gut aus.“
Koji stellte die Nadelmaschine an, fragte noch mal kurz „Bereit, Tsuzuku?“ und dann setzte er die surrende Nadel an meine Haut und begann mit seiner Arbeit.
Ich schloss die Augen, spürte den Schmerz, hörte das Surren der Nadel und fühlte, wie mein Körper ganz warm wurde. Mein Herz klopfte wie wild und ich fühlte mich so gut, vollkommen entspannt und gleichzeitig glücklich und aufgeregt.
Und je länger der Schmerz andauerte, umso tiefer versank ich in diesem Glücksgefühl, das mich nach fast drei Jahren Entzug augenblicklich wieder süchtig machte. Ich hatte mich, ohne es recht zu merken, sehr danach gesehnt, nach dem süßen Schmerz und diesem Gefühl, das ich noch nie wirklich hatte benennen können, sich aber so unglaublich gut anfühlte.
Doch in diesem Moment, als ich mich sehnsüchtig tiefer in diese Empfindungen versenkte, während Koji mein selbst entworfenes Bild für immer in meine Haut zeichnete, da wusste ich es auf einmal: Es war einzig dieser Schmerz, der mich spüren und wissen ließ, wer ich war. Nichts anderes, nur vielleicht noch der Sex mit Meto, ließ mich mein Ich spüren, meine Identität, mein Selbst.
Wenn ich mich jetzt vor meinem inneren Auge selbst ansah, dann war da jemand, ich konnte mich erkennen, während ich, wenn ich lange Zeit ohne diesen guten Schmerz (oder meinen Liebsten) war, das Gefühl für mich selbst weitgehend verlor.
Aber jetzt war es da, ich spürte mich so deutlich, fühlte mich so gut und sicher. So tief versank ich in meinem Innenleben, in schönem Schmerz und Glücksgefühl, dass ich richtig erschrak, als Koji mich irgendwann leise ansprach: „Du wirkst richtig glücklich. Fühlt sich das so gut an?“
Ich hatte keine Ahnung, wie ich gerade aussah, aber so gut, wie ich mich fühlte, war es wohl nicht verwunderlich, dass ich lächelte.
„Ich mag das“, sagte ich leise und öffnete die Augen. „Es entspannt mich, und ich spüre mich selbst.“
„Merkt man dir auch an.“ Koji hatte die Nadel kurz von mir weggenommen und füllte jetzt neue Tinte nach. „Du wirkst gerade richtig entspannt und … irgendwie selbstsicher ...“
Ich lächelte. „Mach weiter.“
Und sogleich begann es wieder, das süße, mich so entspannende Brennen auf meiner Haut, das Surren der Nadel, mein Selbstgefühl. Es tat so unglaublich gut, dass ich mich fragte, warum ich so etwas nicht schon viel früher wieder gemacht hatte, und viel zu früh war es vorbei.
Koji stellte die Nadel aus und sagte: „So, die Outlines sind drauf. Machen wir morgen weiter?“
Am liebsten wollte ich, dass er jetzt nicht schon aufhörte. Mein Sehnen nach diesem Tattoo-Gefühl aus Schmerz, Sicherheit und Selbstgefühl war gerade erst wieder erwacht und wollte nicht schon wieder schlafen geschickt werden. Der kurze Schmerz zuletzt, das Desinfizieren, war mir zu wenig.
Koji bemerkte mein Zögern und sagte: „Hey, dann hast du morgen noch mal was davon. Ist doch besser, als wenn’s heute schon fertig wird, oder?“
Da hatte er allerdings Recht. Ich würde mehr davon haben, wenn ich es in Etappen aufteilte.
Koji holte die Schutzfolie und klebte sie mit ein paar Pflastern auf meine Haut, ich zog mein Hemd wieder an und nahm die Haarklammern raus. Die Stelle, wo ich, als ich dann in den Spiegel schaute, die noch nicht schattierten Linien der Schere auf meiner jetzt geröteten Haut sah, tat noch weh, verlief sie doch auf einer empfindlichen Hautzone, und als ich vorsichtig mit der Hand über die Folie und die Haut darunter strich, kribbelte es. Es war ein schönes, sicheres Gefühl.
„Gefällt’s dir?“
Ich nickte. „Ist gut geworden.“
„Arbeitest du jetzt noch oder gehst du?“, fragte Koji.
„Ich zeichne noch bisschen was, heute Nachmittag bin ich dann eh weg, hab nen Termin.“
„Wo denn?“
„Psychiater“, antwortete ich knapp, stand auf und ging zu meinem Arbeitsplatz am Zeichentisch, holte die Mappe mit den Entwürfen raus und sah nach, wo ich weiter arbeiten musste.
Bis zum Mittag zeichnete ich an verschiedenen Entwürfen, und kurz vor der Pause drückte Kurata mir noch eine Kundin auf, die nach einem Motiv suchte und ein Beratungsgespräch wollte.
Es war eine blonde, junge Ausländerin, die jedoch ziemlich fließendes Japanisch sprach und sich für ein Geisha-Motiv interessierte, das sie auf dem Oberarm haben wollte. Sie hatte keine präzisere Vorstellung und so zeigte ich ihr einfach eine unserer Motivmappen, die mit den Geisha-Motiven.
„Das hier ist schön“, sagte sie schließlich und zeigte auf einen bunten Entwurf in einem recht aufwändigen Shojo-Manga-Stil, sehr süß, sehr farbig und mit sehr feiner Linienführung. „Würden Sie mir das machen?“
Ich sah mir das Bild einen Moment lang an, versuchte schon mal, mir vorzustellen, wie ich an ein so aufwändiges, feines Motiv rangehen würde, und entschied, dass es für mich als gerade erst wieder eingestiegenen Tätowierer zu schwierig war, ich war noch nicht wieder gut genug.
„Ehrlich gesagt … ist so was Feines, Süßes nicht wirklich meine Art. Ich bin gerade erst wieder in die Arbeit eingestiegen nach zwei Jahren Unterbrechung, wissen Sie, deshalb traue ich mir noch nicht alles wieder zu“, erwiderte ich, drehte mich dann mit dem Bild in der Hand zu Kojis Platz hinter mir um und sprach ihn an: „Sag mal, kannst du so ein Motiv wie das hier …“, ich legte ihm das Bild auf seinen Tisch hin, „… solche Teile, kannst du die gut stechen?“
Koji grinste. „Traust dir das nicht zu?“
„Nein, ich glaube, das würde nicht gut werden, da sind zu viele verschiedene Farben drin und der Stil ist so fein und filigran …“ Ich wandte mich wieder an Kundin und sagte: „Mein Kollege kriegt das sicher schöner hin, der macht so was seit Jahren.“
Sie sah ein bisschen enttäuscht aus, vielleicht gefiel ich ihr irgendwie und sie hätte sich gewünscht, dass ich sie tätowierte. Aber dann ging sie doch zu Koji hinüber und er übernahm sie, sodass ich mich wieder der finsteren, dämonisch wirkenden Zeichnung widmete, an der ich zuvor gearbeitet hatte. Ab und zu sah ich dabei in den Spiegel und betrachtete mein eigenes, nagelneues Tattoo, das sich schon jetzt, wo es noch nicht mal fertig war, als echter Teil meines Körpers in mein Bild im Spiegel integrierte. Ich fühlte mich komplett wohl damit und freute mich schon auf die nächste Session, wenn es dann ganz fertig wurde.
Nach der Mittagspause, die ich mit einer Zigarette (der vierten an diesem Tag) im Hinterhof des Studios verbrachte, machte ich für heute Feierabend, meldete mich ab und machte mich auf den Weg zur psychiatrischen Klinik.
Auf dem Weg rauchte ich noch eine Zigarette, weil ich ziemlich aufgeregt war, und als ich den Kippenrest vor der Klinik in der Raucherecke wegwerfen wollte, saß dort Hitomi. Sie sah müde aus, gefühlsmüde, und als ich sie fragte, ob ich mich kurz setzen durfte, sah sie nur auf und nickte.
„Hey“, sagte ich nur.
„Hey, Tsu …“ Sie nahm einen Zug von ihrer Zigarette.
„Geht’s dir okay?“, fragte ich vorsichtig.
„Passt“, antwortete sie. „Es killt mich, ich bin völlig fertig, aber ich mag mich nicht verletzen oder so, darf ich ja auch nicht … Warum bist du hier?“
„Ich hab gleich nen Termin. Bei Dr. Niimura, kennst du den?“
„Nur vom Sehen. Ist der gut?“, fragte Hitomi.
„Ich glaube schon. War aber erst einmal bei ihm.“
„Na dann, viel Glück, dass er echt gut ist“, sagte sie und lächelte sogar ein wenig.
Ich stand auf, verabschiedete mich wieder und ging zum Klinikeingang.
Hitomi hatte so müde und kaputt ausgesehen, dass ich mir doch ein wenig Sorgen um sie machte, und hoffte, dass sie sich bald wieder besser fühlte. Tun konnte ich jetzt wenig, ich hatte nur noch fünf Minuten, bis mein eigener Termin losgehen sollte.
Ich musste tatsächlich nur ein paar Minuten warten, dann kam Dr. Niimura aus seinem Büro und begrüßte mich.
„Aoba-san, guten Tag.“ Er lächelte, dann bemerkte er mein neues Tattoo mit der Folie darüber. „Ah, Sie haben ein neues Tattoo?“
Ich lächelte, irgendwie freute es mich sehr, dass er es überhaupt bemerkte und ansprach. „Ja, heute gestochen“, antwortete ich.
Wir gingen in sein Büro, er bot mir denselben Platz an wie beim ersten Gespräch, und als ich saß, sagte Dr. Niimura: „Ich muss Sie das fragen: Wie fühlen Sie sich, wenn Sie sich ein Tattoo stechen lassen? Ich meine, tut es weh und wie ist das für Sie?“
Ich konnte mir ja gut denken, warum er das fragte, und dachte an Maya, das Mädchen, das mich für meine Tattoos beneidet hatte, weil sie selbst als Borderline-Kranke in Therapie keines haben durfte.
„Es fühlt sich gut an, richtig gut“, antwortete ich. „Mich selbst zu fühlen und den Schmerz zu spüren … Aber es ist ja was Gutes, ich mag mich so, mit dem ganzen Zeug, was ich schon hab machen lassen. Ich finde mich schön so.“
„Würden Sie sagen, es ist Selbstverletzung? Oder sind Tattoos für Sie eher ein Skill, also etwas, das Ihnen hilft, sich nicht zu verletzen, oder Ihnen sonst irgendwie gut tut?“
Ich musste tatsächlich nicht lange überlegen, um zu wissen, dass es ziemlich eindeutig das Zweite war, ein ‚Skill‘, wie der Arzt und die Bücher es nannten. Das Gefühl, wie gut mir das Stechen heute getan hatte, war mir noch so präsent, dass ich mir ganz sicher war.
„Es tut mir sehr gut. Ich weiß, es hört sich komisch an, dass etwas Schmerzhaftes wirklich gut sein kann, aber ich fühle mich richtig gut gerade, weil ich das heute habe machen lassen, verstehen Sie? Wissen Sie, wenn ich mich schneide oder erbreche, das ist Selbstverletzung, das sehe ich selbst. Aber Tattoos tun mir einfach gut.“
„Das glaube ich Ihnen, Aoba-san. Sie können sich sicher denken, dass ich bei jemandem wie Ihnen so fragen muss, ich bin als Psychiater dazu verpflichtet, nachzuhaken, ob solche Dinge für Sie Skill oder Selbstverletzung sind. Ich hatte auch schon Patienten, bei denen der Schmerz beim Tätowieren zu sehr der Selbstverletzung ähnelte und denen ich daher untersagt habe, sich weitere Tattoos stechen zu lassen. Aber bei Ihnen sehe ich da kaum Gefahr, Sie wirken tatsächlich so, als ob es Ihnen wirklich hilft. Sollte sich das ändern, sprechen Sie mit mir bitte darüber, ja?“
Ich nickte, hoffte ja selber, dass ich diesen Unterschied zwischen dem Schmerz beim Tätowieren oder beim Sex einerseits, und dem Schmerz von Selbstverletzung andererseits, weiterhin so hinbekam und das voneinander trennen konnte.
„Ist es in Ordnung, dass wir uns heute schon mal ein wenig Ihre Geschichte anschauen?“, fragte Dr. Niimura dann. „Einfach, damit ich Sie und ihr Leben anfange kennen zu lernen und zu verstehen?“
„Ich weiß nicht …“, antwortete ich, der Gedanke an meine Vergangenheit machte mir Angst, ich wusste nicht, was in mir passieren würde, wenn ich darüber sprach.
„Wie wäre es, wenn ich Ihnen einfach Fragen stelle und Sie antworten so weit, wie Sie können?“
Ich nickte, aber meine Hände zitterten leicht.
Die Fragen, die er mir dann stellte, waren zuerst noch harmlos: Dinge wie zum Beispiel meine Schulzeit als Kind und Jugendlicher, meine Noten, ob und wie viele Freunde ich gehabt hatte, welche Musik ich gehört und welche Filme ich gemocht hatte.
Aber dann fragte er auch andere Dinge, der Übergang von einfachen Themen zu den schweren, schmerzhaften Sachen war ganz fließend und doch landete das Gespräch dann sehr bald bei meinen Beziehungen zu Mädchen und meinem verantwortungslosen Verhalten in diesen Beziehungen.
Ich spürte, dass sich alles in mir dagegen wehrte, darüber jetzt schon zu sprechen, und Dr. Niimura merkte mir das an, fragte dann andere Dinge, wollte wissen, wann ich mit der Körperkunst angefangen hatte und wie das damals für mich gewesen war.
„Angefangen hab ich gleich mit achtzehn“, begann ich dieses für mich so viel einfacher zu erzählende Thema. „Ich fand so was schon immer cool und wollte auch in der Richtung arbeiten, also hab ich gleichzeitig die ersten Sachen machen lassen und die Ausbildung in ‘nem kleinen Studio angefangen. Ging alles ziemlich schnell, ich war so begeistert davon, dass ich gleich mehrere Sachen kurz nacheinander hab machen lassen. Ich hab mir sogar neben der Ausbildung kleine Jobs dazu ran geholt, hab in ‘ner Szenekneipe gejobbt und Zeitschriften verteilt und was es alles gab, damit ich das alles bezahlen konnte. Irgendwie war das fast wie ne kleine Sucht, ich wollte immer mehr, also bin ich noch weiter gegangen, war in Tokyo in so ‘ner komischen privaten Schönheitsklinik und hab meine Zunge machen lassen. Die Mädchen fanden das sogar auch toll, ich war meistens mit welchen zusammen, die auf so was standen.“
Während ich erzählte und mich erinnerte, wie gedankenlos ich damals gewesen war, kamen auch andere, verdrängte, dunklere Erinnerungen dazu: Ich hatte mich damals schon manchmal absichtlich selbst verletzt. Hatte mir heimlich, still und ohne darüber irgendwie nachzudenken immer wieder blutige Schnitte zugefügt, meistens an meinen Beinen, wo es eh niemand sah, weil ich die damals schon nicht gern gezeigt und meist lange Hosen getragen hatte.
Irgendwann, als ich etwa zwanzig war, kam dann das Erbrechen dazu, ebenso gedankenlos und ohne dass ich den Grund dafür selbst wirklich gesehen hatte. Ich hatte mich nicht mal zu dick gefunden oder so, nur einfach entdeckt, dass ich mir auf diese Weise wehtun konnte, ohne dass Schnitte und Narben zurückblieben.
Jetzt wunderte es mich doch, dass damals niemand diese Dinge bemerkt und mich darauf angesprochen hatte, nicht mal meine Freundinnen, und auch nicht Mama. Ich wusste nicht, ob gerade Mama es bemerkt und geschwiegen hatte, oder ob es ihr entgangen war, vielleicht hatte sie auch davon gewusst, aber da sie und ich wegen ihrer Herzkrankheit so vorsichtig gewesen waren und nur selten gestritten hatten, konnte ich mir gut vorstellen, dass sie nicht gewagt hatte, mich darauf anzusprechen.
Dr. Niimura hakte kaum nach, als ich das erzählte, er ließ mich erst mal einfach reden und hörte nur zu. Wenn ich zwischendrin weinen musste, hielt er mir die Box mit den Taschentüchern hin, die ganz selbstverständlich auf dem Tisch stand.
Langsam begann ich, diesem Arzt zu vertrauen, zu glauben, dass er mir helfen konnte und wollte, und dass ich für ihn nicht nur eine Akte, sondern ein Mensch war. Er hatte in gewisser Weise wirklich etwas Väterliches an sich, wobei ich ihn da mehr mit Vätern aus Filmen oder Büchern verglich, da mir der Begriff eines guten Vaters in meinem eigenen Leben so fremd war. Meiner war nur noch ein gesichtsloser Schatten in meiner Erinnerung, ich hätte ihn vermutlich nicht mal erkannt, wenn er vor mir gestanden hätte.
Und als hätte dieser Arzt meine Gedanken gelesen, fragte er bald darauf: „Sie sind allein von Ihrer Mutter erzogen worden, nicht wahr? Haben Sie ihren Vater kennen gelernt?“
„Wenig. Er hat ja immer gearbeitet, als ich klein war, er war fast nie da. Und als Mama sich von ihm getrennt hat, war ich acht und ja immer in der Schule. Mama und ich sind ausgezogen, er hat sich nie wieder bei uns gemeldet, war einfach weg und fertig, ich hab ihn nicht mal besonders vermisst.“
„Und Ihre Mutter hat Sie ganz allein großgezogen?“
Ich nickte. „Mama war nicht gut mit ihrer eigenen Familie. Ich hatte nie Großeltern oder so ...“ Ich wusste erst nicht, warum, aber auf einmal machte mich diese Erinnerung an Mama und daran, wie sie und ich zusammen gelebt hatten, ganz entsetzlich traurig.
Es war nicht nur, dass ich an sie dachte und um sie trauerte, sondern auch das plötzliche Bewusstsein, wie schrecklich einsam sie gewesen sein musste. Sie hatte mir manchmal Sachen erzählt von ihrer Familie, aber immer nur ganz vage, sodass ich keine wirkliche Ahnung hatte, woher sie eigentlich selbst gekommen war.
Mit einem Mal wurde mir klar, dass Mama nicht nur unter ihrem schwachen Herzen und mir als ihrem temperamentvollen Sohn gelitten hatte, sondern ganz sicher auch unter ihrem eigenen Seelenschmerz, ihrer Einsamkeit, die sie mir jedoch niemals wirklich mitgeteilt hatte. Ich wusste nicht, warum sie nie was gesagt hatte, und das machte mich noch viel trauriger, denn nun war sie fort, tot, und ich konnte sie nicht mehr fragen.
Dass ich mir wieder heftig mit den Fingernägeln über die Arme kratzte und vor Weinen kaum noch atmen konnte, bemerkte ich erst so richtig, als Dr. Niimura mich mit ruhiger, aber starker Stimme ansprach, über den Tisch griff und meinen Arm berührte.
„Aoba-san, atmen Sie, ein und aus, beruhigen Sie sich.“
„Meine Mama hat … mir nie … was gesagt … ich hab’s nicht gewusst … wie allein sie war … und ich hab … nicht … drüber nachgedacht …“, brachte ich schluchzend heraus und wurde der Gefühle in mir nicht Herr, sodass ich, als der Arzt seine Hand von meinem Arm nahm, wieder begann, mich wie verrückt zu kratzen. „Ich war so ein Idiot, so ein entsetzlicher, unsensibler, gemeiner Idiot!“
Dr. Niimura sah mich nachdenklich an, als ich kurz aufblickte, doch irgendwie … sah ich ihn nicht richtig. Nicht nur, dass ich durch meine Tränen alles nur verschwommen sah, sondern auch, dass ich seine Sorge um mich und sein Wohlwollen für mich als seinen Patienten kaum spürte.
„Hören Sie, Aoba-san“, begann er nach einer Weile, „Sie können Ihre Vergangenheit nicht mehr ändern. Ich sehe, wie furchtbar schmerzlich das alles für Sie ist, Sie sind in Ihrem Schmerz sehr ausdrucksstark und das ist auch in Ordnung. Aber sehen Sie auch das an, was jetzt da ist in Ihrem Leben: Sie haben einen wunderbaren, liebevollen Partner an Ihrer Seite, der Sie ganz bestimmt um nichts in der Welt wieder hergeben würde. Und Sie sind gut zu ihm, so gut wie Sie können, Sie machen nicht mehr dieselben Fehler wie früher.“
Ich versuchte alles in mir, damit diese Worte mich erreichten, doch es dauerte einige Minuten, bis ich mich wieder halbwegs gefangen hatte und auch wieder klarer sah.
„Ich möchte Sie in diesem Zustand ungern gleich so nach Hause schicken“, sagte er. „Ist Ihr Partner jetzt da, oder werden Sie zu Hause allein sein?“
Ich sah kurz auf die Uhr, die an der Wand hing. Es war noch früh, erst halb vier, und Metos Schicht ging bis sechs.
„Er arbeitet noch“, antwortete ich.
Dr. Niimura schien einen Moment lang nachzudenken, dann fragte er: „Gibt es hier in der Stadt jemanden, zu dem Sie gehen können, bis Ihr Freund seinen Feierabend hat? Ich möchte, dass Sie etwas Schönes tun, lenken Sie sich ab. Auch wenn Ihr Kopf jetzt in Schwärze und Traurigkeit versinken will, lassen Sie das nicht zu!“
Mir fiel so direkt niemand ein, zu dem ich jetzt gehen konnte. Koichi arbeitete ja ebenfalls, und Hitomi ging es ja nicht gut. Aber dann fiel mir Haruna ein, und die anderen Leute im Park. Noch vor ein paar Wochen hatte ich nicht mehr vorgehabt, den Akutagawa-Park wieder zu betreten, doch jetzt fühlte ich mich danach.
„Ich kann in meine Heimatstadt rüber fahren, da hab ich noch Freunde“, sagte ich.
„Tun Sie das. Gehen Sie unter Menschen, die Sie mögen.“ Dr. Niimura lächelte.
Der Rest des Gespräches war wieder harmloser, der Arzt fragte mich nur noch ein wenig danach, wer Haruna und Hanako waren und wie ich mich mit ihnen verstand und so weiter.
Als ich ging und die Klinik mit einem neuen Termin in der Tasche wieder verließ, fühlte ich mich eigenartig, meine Augen waren trocken nach den vielen Tränen und mein Herz stach ein wenig. Ich setzte mich kurz in die Raucherecke und rauchte eine Zigarette, was mich schon ein bisschen wieder auf die Beine brachte.
Danach lief ich in Richtung Bahnhof, um den Zug rüber in die andere Stadt zu nehmen. Während ich auf den Zug wartete, sah ich mich in der spiegelnden Glasscheibe des Wartebereichs und war doch ein wenig erschrocken, wie müde ich aussah.
Der Tag heute hatte so wunderbar begonnen, doch es kam mir so vor, als sei das Stechen meines neuen Tattoos schon Tage her, einzig mein Verstand und die Folie auf meiner Haut sagten mir, dass es noch keine zwölf Stunden alt war.
Ich holte mein Handy aus der Tasche, steckte mir die Ohrhörer in die Ohren und machte mir Musik an, irgendwas mit viel Schreien und harten Riffs, um die Leere, die sich nach dem Weinen jetzt in mir ausbreitete, zu ersticken.
Im Zug, der wenig später eintraf, suchte ich mir darin einen einsamen Sitzplatz, ich wollte keine fremden Menschen sehen, brauchte Ruhe. Es machte mich traurig, dass das Hochgefühl, welches ich heute beim Stechen empfunden hatte, jetzt wieder so verschwunden war, und in meinem Herzen brannte noch die schmerzliche Erinnerung an Mama.
Die Dunkelheit lockte mich, flüsterte nach mir, verführte mich dazu, dass ich mir schmerzhaft in den Arm kniff, und meine Tränen liefen einfach, stumm und unaufhaltsam, während die harte, melancholische Musik, die ich immer noch laufen hatte, anstelle meiner selbst meine Gefühle herausschrie.
Als ich dann den Bahnhof meiner Heimatstadt betrat, musste ich an den Friedhof denken, an Mamas Grab, doch im letzten Moment kamen mir Dr. Niimuras Worte in den Sinn, dass ich mich ablenken und auf keinen Fall in die Schwärze versenken sollte.
Und so schlug ich nicht den Weg in die Altstadt ein, sondern ging in Richtung Fluss, immer weiter, bis zu der Fußgängerbrücke am Park, die eineinhalb Jahre lang mein Zuhause gewesen war.
Es war alles wie immer, nichts hatte sich verändert. Haruna saß mit Hanako an der Feuerstelle, die zu dieser Tageszeit noch kalt war, überall erkannte ich vertraute Gesichter, der Kern der kleinen Punkgemeinde war vollständig anwesend. Ich ging zur Feuerstelle, fühlte mich auf einmal wieder heimisch, nahm mir ein Bier und setzte mich zu den Mädchen.
„Hey, Tsuzuku“, begrüßte Haruna mich und schien sich sehr zu freuen, mich zu sehen. „Bist du doch mal wieder hier?“ Sie reichte mir einen Flaschenöffner und ich machte mein Bier auf.
„Ja … Meto ist noch auf Arbeit, ich war beim Psychiater, war ziemlich hart und da meinte der, ich soll jetzt nicht alleine sein. Also dachte ich, ich komm mal zu euch.“
Hanako, die mir meinen Wutausbruch im Baumarkt vor Wochen hoffentlich verziehen hatte, lächelte und sagte: „Find ich aber gut, dass du zum Arzt gegangen bist.“
Ich verschwieg, dass sich Dr. Niimura mir im Krankenhaus förmlich angeboten hatte und dass das auf dem Mist einer überengagierten Notärztin gewachsen war, weil ich selber nicht den Mut gehabt hatte, mir selbstständig Hilfe zu suchen.
Stattdessen ließ ich den Ex-Obdachlosen raushängen, genoss mein Bier und zog Haruna und Hanako mit ihrem Turteltäubchen-Verhalten auf.
„Als ob du in dem Punkt mit Meto auch nur ein klein wenig anders wärst …“, konterte Haruna. „Du knutschst ihn doch auch jedes Mal fast zu Boden.“
„Ihr wisst doch, wie ich das meine …“, sagte ich.
„Ja, wissen wir. Du bist ein immer noch rettungslos in einen anderen Mann verschossener Gockel, der gerne andere Leute mit deren Sexleben aufzieht.“ Haruna lachte. Ich mochte die Art, wie sie meinem Humor gewachsen war, mir lachend Konter gab und mit meinen Merkwürdigkeiten so locker umging. Sie wusste, wann ich Spaß machte und wo es ernst wurde, und daran hielt sie sich.
Ich blieb bis halb sechs im Park, war noch dabei, wie das Feuer angemacht wurde und einige Leute anfingen, rohe Teigstücke darin zu Stockbrot zu backen. Doch ich hatte wieder mal überhaupt keinen Hunger und so ging ich, erwischte auch noch den Zug nach Hause.
Die Rückfahrt in meine neue Heimat fühlte sich besser an, mir ging es wieder gut und ich war gespannt darauf, wie Meto mein neues Tattoo finden würde, auch wenn es ja noch nicht fertig war. Auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause rauchte ich trotzdem ganze zwei Zigaretten, aber mehr aus Langeweile und Sucht, als weil ich angespannt gewesen wäre.
Als ich die Treppen rauf lief, spürte ich richtig, wie meine Stimmung plötzlich fast schon euphorisch wurde, nur weil ich nach diesem mir unglaublich lang erscheinenden Tag gleich meinen Liebsten wieder sehen würde, und als ich die Wohnungstür aufschloss, kam mir der verführerische Geruch von Nudeln und Currysauce entgegen.
„Ich bin wieder da“, sagte ich und zog Schuhe und Jacke aus.
Meto kam aus der Küche, er trug seine blaue Küchenschürze und hatte den Kochlöffel in der Hand, was irgendwie unheimlich süß aussah.
„Willkommen zurück, Baby.“ Er umarmte und küsste mich, dann fragte er: „Hast du Hunger?“
Ich lächelte. „Wenn du kochst, immer.“
Und ich hatte jetzt wirklich Hunger, hatte ich doch wieder einmal seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Das machte sich auch Sekunden später bemerkbar, als mein Magen, vom Geruch des Essens aufgeweckt, zu knurren begann.
„Ist fast fertig, setz dich schon mal hin“, sagte Meto und wandte sich wieder dem Herd zu.
Er hatte den Tisch gedeckt, sogar eine Kerze angemacht, und ich setzte mich auf meinen Platz, wartete mit weiter zunehmendem Hunger auf das Essen.
Kurz darauf nahm Meto den Topf vom Herd, stellte ihn auf den Tisch und das Sieb mit den Nudeln dazu, und ich stürzte mich geradezu darauf, nahm mir ausgiebig von beidem und begann zu essen wie einer, der gerade irgendwoher kam, wo es lange nichts zu essen gegeben hatte.
Und wie immer, wenn ich so zu schlingen anfing, unterbrach Meto mich, hielt meine Hand fest, sah mich ernst an und sagte: „Iss nicht zu schnell, sonst wird dir wieder schlecht. Du hast wieder den ganzen Tag über nichts gehabt, oder?“
Ich schüttelte den Kopf, versuchte aber, jetzt etwas langsamer zu essen.
„Wie war das Stechen?“, fragte mein Liebster und ich spürte seinen Blick auf dem neuen Tattoo.
„Richtig gut. Ich hab‘s von Koji machen lassen, also Takashima, und morgen oder die Tage macht er den Rest fertig, das wird dann noch mal gut, glaube ich.“
„Und wie geht’s mit der Bezahlung?“
„Kurata hat ernsthaft gesagt, das geht so. Keine Ahnung, der ist eh ein bisschen seltsam.“
„Ansonsten zahl ich das, das weißt du, oder?“
„Will ich aber nicht. Das ist mein Tattoo, das zahl ich, wenn schon, selber.“
Nach dem Essen setzten wir uns zusammen ganz altes-Ehepaar-like vor den Fernseher, ich zog die Knie hoch und kuschelte mich an Metos Seite, er legte seinen Arm um meine Schultern und wir sahen irgendeinen Film an, der aber schon ungefähr mittendrin war.
„Tsu?“, fragte Meto irgendwann, als der Film fast durch war, „Du warst doch heute auch wieder bei Dr. Niimura, oder?“
Ich war schon halb eingeschlafen, so satt zu sein vom Essen machte mich müde, und ich musste mich erst wieder ein bisschen erinnern. „Ja, war ich.“
„Und, war ok?“
Ich nickte. „Na ja, ich hab mir ziemlich die Augen ausgeheult … Aber danach war ich bei Haruna und Hanako und so, da ging‘s mir dann wieder gut.“
„Du warst wieder im Park?“ Meto sah mich an und schien sich darüber zu freuen, dass ich dort gewesen war.
„Ja … Dr. Niimura hat drauf bestanden, dass ich zu Leuten hingehe, wenn du noch auf Arbeit bist. Er wollte es nicht verantworten, mich so, wie ich da drauf war, alleine zu Hause zu wissen.“
„Guter Arzt“, sagte Meto und lächelte.
Der Film lief weiter, war aber dann bald zu Ende und als der Abspann über den Bildschirm lief, fragte ich meinen Liebsten: „Und dein Tag, wie war der?“
„Ganz in Ordnung. Es gab viel zu tun, aber ist ja immer so. Der Laden ist ziemlich beliebt.“
„Dafür, dass ihr nur Omelett und Kuchen verkauft, ja“, sagte ich und grinste. „Diese Mädchen sind schon komisch, oder? Da trägst du als Mann ein niedliches Kleid, gibst zu, dass du auf Männer stehst, und schon lieben sie dich irgendwie …“
„Mhm … bisschen seltsam ist das schon“, sagte Meto nachdenklich. „Letztens, als du mich auf Arbeit besucht hast, da war es fast ein bisschen unheimlich, wie diese Mädchen dann ankamen und Fragen gestellt haben …“ Er schwieg einen Moment und fügte dann lächelnd hinzu: „Aber es ist immerhin besser, als wenn sie einen ablehnen, nur weil man halt einen anderen Mann liebt.“
„Ich fänd‘s schön, wenn es einfach mal normal wäre, so fast egal, weißt du?“, sagte ich. „Wenn es niemanden interessieren würde, ob jemand nun Männer oder Frauen mag, sondern die sich einfach nur freuen, dass man überhaupt eine schöne Beziehung hat und glücklich ist.“
Meto umarmte mich ein wenig fester, küsste mich und lehnte seinen Kopf an meine Schulter.
„Ja, das wäre sowieso das Schönste“, sprach er.
Meto stellte den Fernseher aus, stand auf und hielt mir seine Hand hin, die ich ergriff, mich von ihm hochziehen ließ und ihm dann ins Schlafzimmer folgte.
Er sah mich liebevoll an, dann schien ihm etwas einzufallen: „Setz dich hin und zieh dein Hemd und die Jeans aus. Die Shorts lässt du aber an.“
„Warum?“, fragte ich, tat aber, was er sagte, legte Hemd und Hose ab, behielt die Unterhose an und setzte mich auf die Bettkante.
„Ich hab was Schönes für dich.“ Er lächelte, ließ meine Hand los und ging zurück auf den Flur, wo ich ihn in seiner Umhängetasche herumkramen hörte. Kurz darauf kam er mit einer hübschen Flasche aus mattem Glas zurück, wie man sie bei den kosmetischen Ölen in der Drogerie kaufen kann. Wieder lächelte er mich an, drückte mir die rund geformte, mit blauen Satinbändern geschmückte Flasche, deren Inhalt blassgelb durchschimmerte, in die Hand und verschwand im Bad, kam mit meinem Duschhandtuch zurück und breitete es auf unserem Bett aus.
„Leg dich darauf, auf den Bauch.“
„Sagst du mir mal, was du vorhast?“
Meto kam auf mich zu, streckte die Hand aus und fuhr mit den Fingerspitzen ganz sanft über meine Brust, dann sagte er: „Verwöhnen ohne Sex, mein Schatz. Du kriegst jetzt ‘ne schöne Massage.“
Ich lächelte, griff seine Hand, zog ihn zu mir und küsste ihn. Dann legte ich mich bäuchlings auf das Handtuch auf dem Bett, bettete meinen Kopf auf meine Arme und spürte gleich darauf, wie Meto zu mir kam und sich einfach rittlings auf meinen Hintern setzte, fühlte seine Hände sogleich auf meinem Rücken, wie sie sanft und fest zugleich über meine Haut strichen.
Ein kühler Tropfen von dem Massageöl, noch einer und noch einer, und Metos lieben, sanften Hände, die das süß nach Honig duftende Öl auf meiner Haut verrieben und wärmten. Ich seufzte wohlig, schloss die Augen und genoss, während mein Liebster sich langsam von unten nach weiter oben vorarbeitete, mich abwechselnd zärtlich streichelte und fest massierte.
Und nach und nach fiel die Anspannung des Tages ein wenig von mir ab, ich wurde innerlich ruhig und äußerlich sorgten Metos Hände überraschend gekonnt dafür, dass meine Muskeln etwas lockerer wurden und sich mein Körper und meine Seele langsam entspannten. Er hatte keine besondere Technik oder dergleichen, sondern berührte mich einfach nur, variierte nur den Druck seiner Hände und massierte das duftende Öl zärtlich in meine Haut.
„Du bist schon ziemlich verspannt“, sagte er leise, als seine Hände in meinem Nacken ankamen und dabei vorsichtig um die Schutzfolie des Tattoos herumstrichen. „Hier oben ist alles richtig hart.“
„Heute Morgen beim Stechen war ich da ganz locker.“
„So was geht auch schnell. Kann sein, dass das heute Morgen ganz entspannt war und jetzt wieder fest ist.“ Meto drückte vorsichtig, aber mit sanftem Druck mit dem Handballen auf eine Stelle hinter meiner Schulter und ich keuchte überrascht, es tat weh, ich spürte richtig, wie angespannt und verkrampft ich an dieser Stelle war.
„An der Stelle spannst du immer sehr an, wenn du weinst“, sagte er leise. „Ich spür das schon immer, wenn ich dich dann umarme.“
Er streichelte mit den Fingern darüber, ich seufzte leise, und er hörte ganz einfach nicht auf, mich zu berühren. Mit derselben unnachgiebig liebenden Art, mit der er auch meiner Traurigkeit und Wut und meinem Selbsthass begegnete, massierte er die verspannte Stelle, so lange, bis ich dort endlich wieder locker wurde.
Eigenartigerweise wurde ich, trotz der zärtlichen Berührungen, in diesem Moment kaum geil, mein Glied regte sich nicht, ich fühlte nur ein leichtes Herzklopfen und eine süße Wärme in mir. Ich genoss die Massage sehr, fühlte mich geliebt und sicher, aber mir war nicht nach Sex zumute, ich hatte schlicht keine Lust, wollte mich auch mal ohne so etwas entspannt und glücklich fühlen.
Und so blieb ich ruhig liegen, während Meto sich die Taschentücher nahm und meinen Rücken wieder von dem Öl reinigte. Danach legte er sich neben mich, halb über mich gebeugt, und bedachte meinen Nacken mit vielen kleinen Küsschen, während seine Hand entlang meiner Wirbelsäule auf und ab strich, sodass ich leicht erschauerte und leise seufzte.
Schließlich stand Meto auf, zog sich bis auf die Unterwäsche aus, nahm Ruana in die Hand und ich wandte mich ihm ganz zu. Er legte sich zu mir und ich nahm ihn und Ruana in meine Arme, drückte meine beiden Liebsten an mich und küsste erst meinen Bald-Ehemann, dann unser Teddy-Baby, hatte wieder dieses schöne Familiengefühl in mir.
„Ich liebe dich, Tsuzuku“, flüsterte Meto in mein Ohr und ließ Ruana mir ein Küsschen geben. „Du bist das Beste, was mir je passiert ist.“ Er schmiegte sich in meine Umarmung, lächelte, und in diesem Moment wusste ich ganz klar, er war wegen mir so glücklich, weil er mich liebte.
„Ich lieb dich auch.“
Ich lag immer noch auf dem Handtuch, das Meto für die Massage auf dem Bett ausgebreitet hatte, aber das störte weder mich, noch ihn, wir ließen es einfach so, und bald schon war ich fest eingeschlafen.
Als ich aufwachte, lag ich allein. Es war schon hell, und ich hörte Meto in der Küche reden, er telefonierte mit jemandem, sprach gerade von „… ich muss schauen, wie früh ich heute Nachmittag von der Arbeit weg kann, dann kann ich da sein …“ und ich brauchte einen Moment, bis ich soweit wach und klar war, dass ich erkannte, dass er mit seiner Mutter telefonierte.
„Was ist los?“, rief ich, ohne aufzustehen, quer durch die Wohnung.
Meto kam ins Schlafzimmer, hatte das Handy noch am Ohr. „Mama, sag mal, Tsuzuku kann auch mitkommen, oder?“
Minami antwortete irgendwas, was ich nicht hören konnte, und Meto lächelte. „Okay, Mam, dann sind wir heute Abend da. Ich freu mich.“
„Wo?“, fragte ich dazwischen, weil ich immer noch keine Ahnung hatte, worum es genau ging.
Meto verabschiedete sich noch von seiner Mama, dann legte er auf und kam zu mir ans Bett.
„Was ist heute Abend?“, fragte ich.
„Meine Großeltern aus Kyushu sind gerade zu Besuch bei meinen Eltern im Haus. Und heute Abend ist ‘ne kleine Feier mit noch ein paar anderen Verwandten, die würden mich auch gerne mal wieder sehen“, antwortete Meto. „Ich hab Mama gefragt, du kannst auch dabei sein.“
Zuerst freute ich mich. Dass Minami mich sozusagen auch mit eingeladen hatte, so als festen Freund ihres Sohnes und Fast-Familienmitglied, zuerst fühlte sich das gut an.
Doch als ich dann unter der Dusche stand und ins Denken kam, während Meto in der Küche unser Frühstück aufdeckte, kamen mir andere Gedanken:
Passte ich denn auf so eine Feier? Metos Eltern waren so reich, gehörten als Anwälte zu den einflussreicheren Personen ihrer Stadt, und ich kannte ja das Haus, in dem Meto aufgewachsen war, diese riesige, feine Villa. Ich wusste auch, dass seine Großeltern ebenso wohlhabend waren, genau wie der Rest der Familie, und konnte mir vorstellen, wie so eine Feier aussehen würde. In Gedanken sah ich Tische mit edlen Speisen im Garten der Villa stehen, teuren Sekt und Champagner, Menschen in eleganten, unglaublich teuren Kleidern, die Gespräche über Geld und Luxus führten.
Eine Welt, in der ich mich als Sohn einer armen, herzkranken Frau, die Zeit ihres Lebens als einfache Angestellte gearbeitet und mich größtenteils allein großgezogen hatte, ganz sicher fehl am Platze und verloren fühlen würde.
Ich sah mich in Gedanken dort zwischen den reichen, eleganten Menschen stehen, sah, wie ich mit den Tränen kämpfte, mich einsam und ausgeschlossen fühlte, und wusste, ich würde mich komplett blamieren und Meto gleich mit, wenn herauskam, dass er sich mit mir einen armen, psychisch instabilen, sogar ehemals obdachlosen Versager geangelt hatte, der so gar nicht zu seiner edlen Familie passte.
Als Meto ins Bad kam, fand er mich in der Dusche auf dem Boden sitzend, ich weinte, zitterte am ganzen Körper. Er riss die Kabinentür auf, packte meine Hand und zog mich hoch, scannte mich von oben bis unten ab, und erst dann wurde mir klar, dass er dachte, ich hätte mich verletzt. Doch der rote Fleck auf dem Boden der Duschkabine war nicht mein Blut, es war nur das mit rotem Farbstoff eingefärbte, neue Duschgel, das mir zuvor versehentlich daneben getropft war.
Meto riss ein Handtuch aus dem Regal, legte es um meinen Körper, umarmte und hielt mich, während ich weiter weinte, jetzt allerdings weniger wegen meinen Minderwertigkeitskomplexen, als vielmehr wegen dem Schreck, den ich meinem Liebsten unabsichtlich eingejagt hatte.
„Tsuzuku … Mensch, mach mir nicht solche Angst …“, sagte Meto leise.
„War doch nur das Duschgel …“
„Ich dachte, das wär dein Blut! Ich dachte, du hast dir was getan …“ Er ging mit mir die zwei Schritte zur Toilette, wo ich mich auf den Deckel setzte, dann ließ er mich los, nahm die Flasche mit dem roten Duschgel aus der Kabine, legte sie ins Waschbecken. „Das kommt weg, noch so nen Schreck vertrage ich nicht.“
Meto gab mir ein Handtuch für meine nassen Haare, dann fragte er: „Was ist denn gerade passiert? Hat dir irgendwas wehgetan in dir drin?“
„Ich …“, begann ich, zitterte noch, „Ich weiß nicht … ob ich da heute Abend mitkommen will …“
„Wieso denn? Hast du Angst?“ Er hockte sich vor mich hin, sah mich an.
Ich nickte.
„Wovor denn? Du kennst meine Eltern, du kennst das Haus … Es wird keine große Party oder so, nur eine kleine Familienfeier mit meinen Großeltern und den Geschwistern von meiner Mam. Vielleicht sind noch meine Cousinen dabei, vielleicht aber auch nicht.“
Ich traute mich nicht, ihm zu sagen, dass ich mich seiner Familie und ihrem Reichtum gegenüber minderwertig und unwohl fühlte, denn ich befürchtete, ihn damit zu verletzen. Und so zuckte ich nur mit den Schultern und sagte: „… Ich mag einfach nicht …“
Meto sah mich einen Moment lang nachdenklich an, dann sagte er: „Ist ja erst heute Abend. Wir schauen einfach, wie es dir den Tag über geht und dann entscheiden wir das heute Nachmittag so, wie es dann ist, okay?“
Ich nickte nur.
Beim Frühstück verloren wir beide kaum ein Wort mehr zu dem Thema, ich aß auch wieder nicht wirklich etwas, stand nur fertig angezogen am offenen Küchenfenster und rauchte, während Meto normal aß und wir nur ein wenig über seine und meine Arbeit sprachen.
Wir gingen wie immer zusammen los, trennten uns erst an der Bahnstation, wo er zum Café fuhr und ich zum Studio. Und die ganze Zeit über fühlte ich mich seltsam stumpf und leer, so als wollte etwas in mir nichts fühlen, weil ihm alles zu viel wurde.
Mein Vormittag verlief unbedeutend und gleichgültig. Koji fragte mich zwar, ob ich mit ihm an meinem Tattoo weiter machen wollte, doch das verneinte ich, mir war nicht danach. Ich wollte heute nur funktionieren, arbeiten, nur Dinge tun, die so wenig Folgen wie möglich hatten. Und so verbrachte ich den Tag mit Zeichnen und Probestechen, später, nach der Mittagspause, setzte mir Kurata noch einen großen Sortierkasten voller verschiedener Piercing-Teile vor die Nase und ich tat bis zum Feierabend nichts anderes, als die kleinen Teile zu zählen und einzutragen. Und obwohl diese einfache, monotone Arbeit genau das zu sein schien, was ich gerade brauchte, stieg in mir die Anspannung, sodass ich, als ich den Kasten zurück stellte und dabei mein Blick auf die Kiste mit den Cutting-Klingen fiel, diese unheilvolle Anziehung zu diesen Klingen verspürte.
‚Nein!‘, sagte ich mir in Gedanken, „Nein, nein, nein!‘
‚Komm, Tsuzuku, ein kleiner Schnitt, ein paar Blutstropfen, mehr brauchst du doch gar nicht … Du willst den Schmerz, du magst ihn, es wird sich gut anfühlen …‘, flüsterte es in mir.
Meine Hände zitterten und fast wäre mir der schwere Kasten mit den tausenden kleinen Teilen runter gefallen, ich hielt ihn nur geradeso fest.
„Nein!“, flüsterte ich, „Nein, ich will das nicht. Meto wird wieder Angst um mich haben und das will ich nicht, er hat sich schon heute Morgen so erschrocken …“
„Gen… Tsuzuku?“, hörte ich in dem Moment Kojis Stimme hinter mir. „Alles okay?“
Ich schaffte es nicht rechtzeitig, meine Fassade aufzusetzen, sah ihn so an, wie ich gerade war, und anscheinend war ihm mein Gesichtsausdruck Antwort genug.
Koji nahm mir den schweren Kasten aus der Hand, stellte ihn ins Regal, sah dabei, wie mein Blick an dem anderen Kasten mit den Klingen klebte.
„Die sollten hier wirklich nicht so herumstehen“, sagte er und nahm die Kiste weg, ging damit in Richtung von Kuratas Büro, wo sich auch unser Safe befand. Ich folgte ihm und er fragte mich, ob ich den Zahlencode des Safes kannte.
„Nein“, sagte ich wahrheitsgemäß.
„Gut. Wir tun die jetzt da rein, dann bist du sicherer.“
Kurata war im Büro und als er sah, was Koji in der Hand hatte, fragte er: „Was sollen die im Safe?“
Koji sah mich kurz an, ich schüttelte den Kopf. Kurata sollte einfach wirklich nicht wissen, dass die Klingen wegen mir und meiner Krankheit in den Safe sollten.
„Kurata-san, ganz ehrlich: Wir können einen Kasten mit solchen Klingen nicht einfach offen im Regal stehen haben. Die gehören in den Safe, und fertig“, sagte Koji und klang dabei so ernst, dass Kurata den wenig ehrerbietigen Tonfall ignorierte und einfach nur nickte.
„Okay, dann macht halt“, sagte er.
Koji schloss den Kasten im Safe ein, dann gingen wir in den vorderen Raum zurück.
„Kurata ist so fahrlässig manchmal“, murmelte er, als er sich wieder an seinen Tisch setzte. „Vielleicht sollte er wissen, dass du krank bist?“
„Nein!“, widersprach ich sofort. „Ich will das nicht, okay?!“
„Warum nicht?“
„Weil er mich dann doch ganz sicher rausschmeißen muss!“ Ich flüsterte zwar, klang aber dennoch recht heftig. „Weißt du, was die meisten Leute denken, wenn man ihnen sagt ‚Hey, ich hab Borderline‘?!“ Die Anspannung, die immer noch in mir war, weil ich sie nicht hatte abbauen können, brach durch und ließ mich laut werden: „Guck dir Krimis und so was an, dann siehst du, was die Welt von so einem wie mir denkt!“
Koji merkte, dass ich kurz vor einer emotionalen Explosion stand, er erhob sich, kam zu mir rüber und sagte leise: „Ist gut, du musst es ihm nicht sagen, und ich tu’s auch nicht, okay?“
Ich stand auf, spürte, dass ich zitterte, lief aus dem Raum und verschwand türenknallend in den Toilettenräumen, schloss mich in die erste Kabine ein und sank vor der Schale zu Boden. Doch im letzten Moment, bevor ich mir den Finger in den Hals stecken konnte, musste ich an Meto denken, an den Schreck heute Morgen, als er mich weinend in der Dusche gefunden und gedacht hatte, dass ich mich verletzt hatte.
Und da konnte ich es nicht mehr, ließ meine Hand sinken und weinte einfach, eine ganze Weile, bis ich Kojis Stimme von draußen hörte: „Hey, was immer du gerade vorhast, lass es bitte.“
Ich hatte sofort ein schlechtes Gewissen. Jetzt zog ich Koji da auch schon mit rein, er machte sich Sorgen um mich, statt sich seiner Arbeit widmen zu können. Ich fuhr mir mit der Hand über die Augen, stand auf, schloss die Kabinentür wieder auf und sagte nur: „Hab nichts gemacht.“
Koji lächelte. „Das ist gut.“
Ich hatte tatsächlich noch die Kraft, mich noch mal an meinen Tisch zu setzen und mit einer Zeichnung weiter zu machen, und bis zum Feierabend um sechs war dann auch alles soweit okay. In der Bahn hörte ich Musik, versuchte, an nichts zu denken, doch als ich von der Bahn nach Hause lief, kam ich wieder ins Denken, denn ich wusste immer noch nicht, ob ich jetzt mitkommen wollte zu der Feier bei Metos Eltern, oder ob ich lieber zu Hause blieb.
Meto war schon da, als ich unsere Wohnung betrat, er stand im Schlafzimmer vor dem Schrank und zog sich gerade eine schlicht schwarze Hose und ein weißes Hemd mit leichten Rüschen an, das nur dezent darauf hinwies, in welchem Stil er sich sonst gern kleidete. Er war nur ganz leicht geschminkt, hatte die Haare glatt gekämmt und sah zwar sehr hübsch, aber seltsam fremd aus, angepasst an die Welt seiner Familie, in die er in meinen Augen gar nicht so recht hineinpasste.
„Hey, mein Schatz“, sagte er, als er mich sah, ich ging zu ihm und er küsste mich kurz. „Wir sind ein bisschen spät dran, ziehst du dich eben um?“
Ich sah ihn an, das weiße Hemd, die schwarze Anzughose, die eleganten Schuhe, und eine halbe Sekunde lang dachte ich, ich könnte meinen dunklen Samtanzug anziehen und die roten Schuhe.
Aber die Vorstellung von mir auf dieser Feier, umgeben von reichen, erfolgreichen Menschen, die mich wahrscheinlich für mein Äußeres verurteilen würden und erst recht dafür, dass ich krank war und aus armen Verhältnissen kam, machte diesen Gedanken augenblicklich zunichte.
„Ich komme nicht mit“, sagte ich.
„Fühlst du dich nicht gut?“, fragte Meto, sah mich besorgt an.
Ich nickte nur.
Er hob die Hand und streichelte meine Wange. „Ach Tsu … Meine Mama wollte dich gerne mal wieder sehen, weißt du?“
„Ich mag heute aber nicht.“
„Hm … und was machen wir jetzt? Ich will meine Großeltern gerne mal wieder treffen, ich hab die seit Jahren nicht gesehen. Es werden auch nicht viele andere da sein, nur eine Tante noch, die Schwester von meiner Mama.“
„Geh halt“, sagte ich nur. „Ich komm nur nicht mit.“
Meto sah mich einen Moment lang an, dann fragte er: „Kann es sein, dass du Angst hast?“
Wieder nickte ich nur. Ich wollte keinen Streit anfangen, wo Meto doch seine Familie gern sehen wollte, er musste da hin, aber ich fühlte mich so sehr nicht danach, mitzugehen. Und so sagte ich nicht, was ich in diesem Moment dachte, sagte nichts von meinem Gefühl von Minderwertigkeit.
„Okay, wenn du echt nicht willst, dann geh ich allein. Ich weiß leider nicht, wie lange das Ganze dauern wird, aber ich bleib nicht länger, als sein muss.“
Und so blieb ich zu Hause, während Meto sich auf den Weg in unsere Heimatstadt machte, um seine Familie wieder zu sehen. Zum Abschied küsste er mich liebevoll, doch als er die Tür hinter sich schloss, überfiel mich sofort diese furchtbare Einsamkeit.
Um mich weniger allein zu fühlen, machte ich im Wohnzimmer Musik an, hörte ein Album nach dem anderen durch, während ich mit angezogenen Knien auf dem Sofa saß und mich mit meinem Handy beschäftigte.
Doch schnell wurde mir das irgendwie langweilig, ein Gefühl von Leere breitete sich in mir aus, ich legte mich lang aufs Sofa und das Handy auf den Tisch davor, starrte hoch an die Decke, bis ich mich komplett leer und geradezu leblos fühlte.
Warum war ich nicht mitgegangen auf diese verfluchte Feier? Warum, verdammt nochmal, hatte ich mich nicht getraut, endlich Metos weitere Familie kennen zu lernen?! Wieso lag ich jetzt alleine hier auf dem Sofa und fühlte mich so wahnsinnig leer und tot?
Ich hasste mich für meine Angst vor fremden Menschen, für meine Panik vor ihrem abfälligen Urteil über mich, denn diese Angst brachte mich immer wieder dazu, Dinge zu tun, die dem Wertvollsten in meinem Leben, meiner Beziehung zu Meto, schadeten.
Ich hatte die Musik, die ich zuvor noch gehört hatte, längst ausgemacht, weil ich mich nach Ruhe gesehnt hatte, doch die Stille, die unweigerlich auf das Ausschalten der Musik folgte, ertrug ich ebenso wenig. Stille war Leere, und Leere bedeutete Schmerz.
Langsam erhob ich mich vom Sofa, wo ich gelegen hatte, wollte erst die Anlage wieder einschalten, mir ging ‚Glass Skin‘ von Dir en grey durch den Kopf, kurz verspürte ich Lust, dieses Lied jetzt zu hören. Doch als ich nach der CD ‚Uroboros‘ greifen wollte, die besagtes Lied enthielt, entschied ich mich um, ging rüber ins Schlafzimmer und ließ mich dort aufs Bett fallen. Wieder blieb ich eine ganze Weile liegen, bewegungslos in der Stille, verlor für eine Weile das Zeitgefühl.
Bis mich, ganz plötzlich, eine wilde, unbeherrschte Sehnsucht packte. Sehnsucht nach Meto, meinem Ein und Alles, meinem Lebenssinn. Ich sehnte mich so wahnsinnig danach, in seinen Armen zu liegen, dass ich meine eigenen Arme um meinen Körper schlang und mir vorstellte, es wären die seinen.
Würde er morgen wieder bei mir sein? Mich umarmen und küssen und die entsetzliche Leere und Sinnlosigkeit, die ich verspürte, wenn er nicht bei mir war, wieder vertreiben?
Oder … würde irgendwas passiert sein, vielleicht ein Streit oder ähnliches, das ihn dazu brachte, mich als den kranken Borderliner zu sehen, der ich war, und mich infolge dessen … verlassen?
Augenblicklich sprangen mir heiße, verzweifelte Tränen in die Augen und mein Herz begann, entsetzlich zu schmerzen.
„Verlassen …“, flüsterte die Stimme in meinem Kopf. „Er wird dich verlassen. Irgendwann hält er dich nicht mehr aus …“
Ich dachte an die Situation beim Kirschblütenfest, die jetzt, nachdem ich mich ja erst nicht hatte erinnern können, umso stärker in mein Bewusstsein gebrannt war: Meto war wütend auf mich gewesen und davongelaufen, weil ich ihn und unsere Beziehung in meiner feigen Angst vor Ablehnung verleugnet hatte.
Es tat so weh, dass ich aufkeuchte, mein Herz krampfte und in meinem Kopf zog sich alles auf einen Punkt zusammen: ‚Wenn er mich verlässt, dann sterbe ich‘
Ich drehte mich auf die andere Seite, mehr um den Schmerz irgendwie ein wenig zu lindern, und da sah ich Metos mit kleinen Kätzchen bedrucktes Schlafanzugoberteil im Schrank liegen. Es hing unordentlich aus einer offenen Schublade heraus und ich wusste, er hatte es letzte Nacht noch getragen, es war nicht gewaschen. Mir blitzte ein Gedanke durchs Hirn: ‚Das Teil riecht also noch nach ihm‘
In einem verzweifelten Aufwallen von Selbsterhaltungstrieb erhob ich mich, ging zum Schrank und zerrte mir auf dem Weg dorthin Shirt und Jeans vom Leib. Ich nahm Metos Schlafhemd aus der Schublade, hob es an mein Gesicht und schnupperte daran. Tatsächlich, diese Mischung aus seinem Lieblingsparfüm und dem ihm ganz eigenen Körpergeruch war noch deutlich wahrnehmbar.
Mit Tränen in den Augen vergrub ich mein Gesicht in dem seidigen, bunten Stoff und sog Metos Geruch ein, atmete ihn wie lebensnotwendigen Sauerstoff gierig in meine Nase und spürte meine wahnsinnige Sehnsucht nach ihm, merkte erst einen Moment später, dass ich binnen Sekunden heftig zu weinen angefangen hatte.
Die zu dem Oberteil gehörende Hose lag auch hier herum, und ehe ich wusste, was ich tat, hatte ich sie schon angezogen und hüllte nun meinen vom Weinen zitternden Oberkörper in das Hemd. Ging zum Bett hinüber, kroch unter die Decke und hielt mir liegend den Ärmel des Hemdes an die Nase, atmete weiter Metos Geruch, bis es sich beinahe so anfühlte, als sei er bei mir.
Mein Körper schwankte zwischen Weinen und Erregung, zwischen Angst und Lust, ich fühlte Schmerz im Herzen und aufkeimende Hitze in meinen Lenden.
Und als ich das Gefühl hatte, der wunderbare Geruch meines Liebsten wurde schwächer in seinem Schlafhemd an meinem Körper, da kroch ich auf seine Betthälfte hinüber und vergrub meine Nase in seinem ebenfalls nach ihm riechenden Kopfkissen, während meine Hand über die Matratze tastete, dort, wo sein Körper Nacht für Nacht eine kleine Kuhle hinterließ.
Längst war ich hart, doch ich kümmerte mich nicht darum. Ich wollte mir jetzt keinen runterholen, hatte Angst, dass ich mich danach noch einsamer fühlen würde. Doch das rächte sich, denn als ich wenig später in erschöpften Schlaf sank, waren meine Träume nichts als Meto, Meto, Meto.
Sein liebes Lächeln, sein warmer Körper, einmal willig und gefesselt unter mir liegend, und einmal mich von hinten umarmend und mit seinem harten Glied in meinem Innern. Und noch im Aufwachen spürte ich jene süßen Stöße, bis ich langsam wacher wurde und realisierte, dass ich allein war.
Es war mitten in der Nacht und wieder krampfte mein Herz sich schmerzhaft zusammen vor Einsamkeit. Ich war im Schlaf gekommen und fühlte meinen eigenen Samen klebrig an meinem Unterleib, doch ich wollte nicht aufstehen, fürchtete, dass ich, wenn ich jetzt ins Bad ging, dort auf Dinge treffen würde, die mich zu Dummheiten verleiten konnten. Rasierklingen, zum Beispiel.
Und kaum war ich mit den Gedanken daran gestoßen, war er wieder da, der Drang, mir selbst weh zu tun. Ohne recht zu merken, was ich tat, überlegte ich schon, ob wir irgendwo noch Kerzen hatten, denn dass heißes Wachs weniger Spuren hinterließ als Klingen, wusste ich längst.
Doch je länger ich einfach da lag, umso größer wurde die Leere in mir, bis ich es kaum noch aushielt und einfach aufstehen musste, um nicht verrückt zu werden. Falls ich nicht schon längst vollkommen wahnsinnig geworden war …
Ich erhob mich langsam, ging ins Bad und griff mir dort einen Waschlappen, den ich unter den Wasserhahn hielt, bis er nass war, und mir dann damit den Samen abwusch. Dabei versuchte ich, möglichst nicht in den Spiegel zu schauen, doch als ich kurz den Blick hob und mich doch im Spiegel sah, schaute mich ein derartig traurig und kaputt aussehender Tsuzuku daraus an, dass ich richtig erschrak. Seine – meine – dunklen Augen sahen so leer aus, als sei jede Freude, jedes gute Gefühl aus ihnen verschwunden.
Ich hob langsam die Hand, berührte mein Spiegelbild, spürte das kalte Glas unter meinen Fingern und irgendwas daran machte mich furchtbar traurig. Schnell ließ ich die Hand sinken, wandte den Blick ab, ging vom Bad ins Wohnzimmer und suchte, ohne recht zu wissen, was ich tat, nach einer Kerze.
Ich fand ein rotes Teelicht, ging in die Küche, wo mein Feuerzeug bei meinen Zigaretten auf dem Fensterbrett lag, und ging mit Kerze und Feuerzeug zurück ins Bad, wo ich mich auf den Boden sinken ließ, die Kerze anzündete und vor mir hinstellte.
In mir wechselten sich Leere und Schmerz ab, binnen Sekunden, entweder fühlte ich gar nichts, oder mein Herz war so voller Schmerz, dass ich am liebsten schreien wollte. Ich hatte das Gefühl, als ob Minuten und Stunden vergingen, während ich auf die kleine Flamme starrte, die das rote Wachs langsam zu einem kleinen See zerschmolz.
Als ich die Flamme ausblies, fühlte ich Leere, und als ich sie vorsichtig anhob, mit der anderen Hand mein Hosenbein hochschob und meinen Unterschenkel, auf dem noch die blassen Spuren meiner letzten Selbstverletzung mit einer Cutting-Klinge zu sehen waren, frei machte, war der Schmerz in meinem Herzen wieder vornean, so sehr, dass meine Hand zitterte und das ganze schöne rote Wachs beinahe auf dem gefliesten Boden gelandet wäre.
Langsam goss ich das flüssige Wachs auf meine Haut, fühlte augenblicklich Erlösung, Lebendigkeit, diesen entspannenden Schmerz. Ich legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und fühlte nur, wie ich durch den Schmerz ruhig wurde und mich wieder als Herr über meine Gefühle wahrnahm.
Ich war ihnen nicht mehr ausgeliefert, konnte etwas tun, um mich wieder gut zu fühlen. Blutrotes, heißes Wachs auf meiner Haut … Es tat einfach so gut, warum also sollte ich es nicht tun?
Eine ganze Weile saß ich da auf dem Badezimmerboden, fühlte süßen Schmerz und eine solche Ruhe, wie sie mir sonst nur Metos warmer Körper nah an meinem geben konnte. Ich fühlte mich richtig gut und sicher, es war … schön.
Doch wie aus dem Nichts musste ich wieder weinen, einfach so, ohne recht zu wissen, warum. Es floss einfach so aus mir heraus, meine Tränen dienten dem, was raus wollte, als eine Art Fluss.
Irgendwann stand ich auf und ging ins Schlafzimmer zurück, saß dann dort auf dem Bett und löste das inzwischen kalt und fest gewordene Wachs wieder von meiner Haut ab, die darunter stark gerötet war.
Als das dunkelrote Wachsstück auf meiner Hand lag und ich es einen Moment lang einfach ansah, um mir die Süße des Schmerzes wieder in Erinnerung zu rufen, begann das Flüstern wieder, dieses Ding in meinem Kopf, das, wenn es einmal wach war, unentwegt „Borderline“ flüsterte.
Wiederum erhob ich mich, mir war etwas eingefallen, was vielleicht noch besser war als heißes Wachs: Eine Flasche starker Sake, die ich letztens beim Einkaufen mitgenommen hatte.
Ich ging in die Küche, machte den Schrank auf, und da stand die Flasche, noch ungeöffnet. Mit zitternden Händen nahm ich sie aus dem Schrank, riss die Versiegelung ab, suchte nach Gläsern, fand aber keine für Alkohol, und so musste ein Saftglas genügen, welches ich auch gleich halbvoll füllte.
Ich kippte das scharfe, starke Zeug einfach runter, in großen Schlucken, die mir im Hals brannten und sofort zu Kopf stiegen. Fühlte, wie die Leere wich, und verspürte stattdessen Aufregung und ein Gefühl von Lebendigkeit.
‚Dann schieß ich mich halt so richtig ab‘, dachte ich und musste lachen. Mir war so gut wie alles egal, ich wollte nur weg von dieser entsetzlichen Leere. Ob ich mich schnitt oder mir mit Wachs wehtat, oder mich eben betrank, alles egal.
Ich nahm die Flasche und das Glas mit ins Schlafzimmer, setzte mich auf die Bettkante und trank dort weiter, bis die Flasche halb leer war und ich ziemlich voll. Dann ließ ich mich ganz aufs Bett sinken und wieder packte mich die heftige Sehnsucht nach Meto. Wenn er hier gewesen wäre, dann wäre jetzt alles gut gewesen, wir hätten vielleicht sogar Sex gehabt, süßen, schönen Sex …
Stattdessen lag ich betrunken und von mir selbst verletzt allein auf unserem Bett und verzweifelte. Durch den Alkohol war ich ziemlich enthemmt und verlor komplett die Fassung, weinte, schrie, schleuderte die Kissen gegen die Wand und zerwühlte unser Bett, bis ich erschöpft zusammenbrach und nur noch still weinend da lag.
Irgendwann danach musste ich wieder eingeschlafen sein, denn ich wachte davon auf, dass mich eine liebe, warme Hand vorsichtig an der Schulter berührte.
„Tsuzuku, mein Herz … Hey, bist du okay?“ Metos Stimme, leise, rau und besorgt.
Ich blinzelte, meine Augen fühlten sich müde und verweint an. Es war noch nicht hell, musste irgendwann am frühen Morgen sein, und Meto trug noch dieselben Familienfeier-tauglichen Klamotten, in denen er gegangen war.
„Tut mir leid, ich konnte erst jetzt weg“, sagte er und es klang wirklich so, als ob es ihm ehrlich leid tat, nicht eher bei mir gewesen zu sein. „Hast du … getrunken?“
„Siehst du doch …“, antwortete ich und deutete auf die halb leere Flasche und das Glas neben dem Bett. Langsam richtete ich mich auf und augenblicklich tat mir der Kopf weh.
Meto sah mich besorgt an, streichelte meine Schulter und fragte leise: „Baby, was machst du nur für Sachen?“
Wollte er eine Antwort darauf?! Wollte er wirklich wissen, warum ich mich wieder verletzt und betrunken hatte?! Die Wut in mir kam so schnell hoch, dass ich mit dem Denken nicht hinterher kam und da waren die Worte auch schon draußen.
„Nur, weil du nicht bei mir warst!“, platzte ich laut heraus. „Wenn du hier gewesen wärst, wäre das nicht passiert! Dann hätten wir zusammen hier gelegen, vielleicht Sex gehabt, und ich hätte mich nicht so verdammt leer und verlassen gefühlt!“
Er sah erschrocken aus, verwirrt, weil ich so laut wurde. Und dann sah es einen Moment so aus, als ob er sich gleich umdrehen und gehen würde, und da wurde mir mit einem Schlag klar, dass ich gerade, in diesem Augenblick, unsere Beziehung gefährdete, indem ich so wütend wurde. Sofort bekam ich Angst. Angst, dass er ging und mich allein ließ.
„Tsu …“, sprach Meto mich leise an. „Wärst du doch lieber mitgekommen?“
„Ich hatte Angst und das weißt du!“ Ich stand auf, mein Kopf brummte schmerzhaft und ich verlor wiederum für einen Moment die Kontrolle: „Deine tolle, reiche Familie will doch so was wie mich gar nicht haben!“
„Und was, denkst du, hätte ich tun sollen?“
„Bei mir bleiben!“
„Meine Großeltern sind so selten da, ich wollte sie eben mal wieder sehen. Und ich hätte dich ihnen gern vorgestellt.“
„Als was?!“, schrie ich. „Was bin ich denn?!“
„Als meinen Mann“, erwiderte Meto, mühsam beherrscht. „Als den Mann, an dessen Seite ich lebe und den ich heiraten will.“
„Willst du das denn?!“
Ich sah in seinem Ausdruck, dass ich in diesem Moment den Bogen wieder überspannt und den Pfeil abgeschossen hatte. Jetzt hatte ich ihn verletzt und wütend gemacht.
„Ja, Tsuzuku, stell dir vor, das will ich! Ich will dich, verdammt noch mal! Und das einzige, was mich an dir wirklich stört, ist, dass du mir das immer wieder nicht glaubst!“, schrie er mich nun seinerseits an. „Ich weiß, das ist auch ein Teil von dem, was du immer mit diesem verdammten Wort bezeichnest, das ich gerade gar nicht aussprechen will! Aber was soll ich denn noch machen, damit du mir endlich mal wirklich glaubst, dass ich dich liebe?!“
Damit hatte er mich. Ich wusste nicht mehr, was ich sagen sollte. In mir war ein unguter Gedanke, doch ich war gerade noch so weit Herr meiner Selbst, um diesen Gedanken nicht auszusprechen: ‚Dann lass deine Familie doch schießen. Sei nur noch bei mir, damit ich spüre, dass du mich liebst‘
„Sag mir, was soll ich jetzt tun, Tsuzuku?!“ Er war sichtlich hilflos und verzweifelt, doch dass er so fragte, zeigte, dass er die Situation noch eher überblickte als ich. „Wie soll ich mit dir umgehen, wenn du so bist?“ Während er das sagte, wurde seine Stimme wieder leiser und ruhiger, was mich irgendwie auch mit ein wenig beruhigte.
Doch sowie meine Wut abkühlte, war die Angst wieder da, davor, dass er ging. Ich ließ mich auf die Bettkante sinken, mir stiegen Tränen in die Augen.
„Ich weiß es nicht …“, antwortete ich leise und stützte den Kopf in die Hände. „Ich weiß es wirklich nicht. Weder, was ich will, noch, wer oder wie ich eigentlich bin …“
Meto kam auf mich zu, hob die Hand und berührte meine Schulter, ganz vorsichtig und sanft, fast ein bisschen unbeholfen. „Du hast ja wieder meinen Schlafanzug an …“, sagte er leise.
„Ich … hab dich so vermisst … und der roch so schön nach dir …“, kam es mir unüberlegt über die Lippen, und ich fing zu weinen an.
Meto hockte sich vor mich hin, sah zu mir hoch und lächelte. „Ist doch okay, Tsu. Aber das nächste Mal machen wir’s anders, okay? Entweder kommst du mit, oder ich bleib hier bei dir, oder ich ruf dich zwischendurch ein paar Mal an, was auch immer.“ Er stand auf und umarmte mich, drückte einen lieben Kuss auf mein Haar und streichelte über meinen Rücken. „Es tut mir leid“, fügte er noch hinzu, „Ich hätte das machen sollen, dich zwischendurch mal anrufen …“
Sofort fühlte ich mich wieder sicherer, wusste wieder, wer ich war und was ich tun sollte. Es war anscheinend wirklich so, dass ich nur dann klar, glücklich und ich selbst sein konnte, wenn ich jemanden bei mir hatte, und am besten Meto. Wenn ich allein war, verlor ich sofort das Gefühl für mich selbst und jeden Halt.
Mein Liebster setzte sich zu mir aufs Bett, sah mich einen Moment lang an und fragte dann: „Und was machen wir jetzt?“
Sofort hatte ich den Wunsch, in seinen Armen zu liegen, einfach nur so, und vom Geräusch seines Herzschlages einzuschlafen. Ich sehnte mich einfach durchgehend so wahnsinnig nach Liebe, Halt und Ruhe, doch ich traute mich jetzt nicht, nach dem Streit gerade eben, nun wieder zum Kuscheln anzukommen. Ich hatte so das Gefühl, dass ich Meto damit verwirrte und irritierte.
„Soll ich … auf dem Sofa schlafen?“, fragte ich leise.
Er sah mich an, nahm dann meine Hände in die seinen und sagte: „Nein, sollst du nicht. Tsu, was auch immer passiert, du schläfst bei mir, in diesem Bett, verstanden? Ich lass nicht zu, dass du auf dem Sofa schläfst und nachts vor Angst fast verrückt wirst.“ Seine Daumen streichelten über meine Hände und er fügte hinzu: „Du willst jetzt schmusen, oder? Obwohl das eben … so war?“
Ich nickte. „Vielleicht auch gerade deshalb … Ich will nicht, dass so was … so zwischen uns stehen bleibt … darum …“
Meto lächelte wieder, dann stand er auf und fing an, sich auszuziehen. Die Unterwäsche behielt er an, dann legte er sich unter die Decke, ich ebenfalls, und er schloss mich in seine Arme.
„Fühlst du’s jetzt wieder, dass ich dich liebe?“, fragte er leise.
Ich nickte nur.
„Und das fühlt sich doch schön an, oder?“
„Ja …“
„Genieß es, freu dich, dass du mich hast. Du wirst mich jetzt nämlich nicht mehr los, Tsuzuku, dein ganzes Leben lang nicht.“
Ich antwortete nichts darauf, wollte seine Worte nicht zerstören, ließ sie einfach so stehen und versuchte, das zu tun, was er mir sagte: Zu genießen, dass er bei mir war.
Wir hatten keinen Sex in dieser Nacht, die ja schon halb vorüber war. Lagen einfach nur nah zusammen auf dem Bett und warteten, dass es wieder Tag wurde. Irgendwann schlief Meto neben mir ein, da dämmerte es schon fast, und ich ließ ihn schlafen, während sich in meinem Kopf die Gedanken im Kreis drehten.
Alles, was ich in den letzten Stunden getan hatte, erschien mir so typisch, wie aus dem Buch, das immer noch bei uns im Regal stand, weil ich es Hitomi noch nicht zurückgegeben hatte. Es fühlte sich eigenartig an, einerseits tat es weh, dieses Wort ‚Borderline‘, aber irgendwo … fühlte es sich auch gut an, erklärend und wissend.
In Gedanken zählte ich mir alles auf, was ich gefühlt und getan hatte: Die Einsamkeit und Leere, der Selbsthass, der gescheiterte Versuch, mich abzulenken, die vielen Tränen, Metos Schlafanzug an meinem Körper, die sehnsüchtigen Träume, der Gedanke an Klingen und das heiße Wachs, das ich als Ersatz benutzt hatte, meine ständig wechselnden, sprunghaften Gefühle, und der unselige Alkohol, der alles noch schlimmer gemacht hatte, dann später der Streit mit Meto, der ebenso typisch abgelaufen war.
Wenn ich nicht gewusst hätte, was das alles war und bedeutete, wäre es mir dann vielleicht noch viel bedrohlicher erschienen, weil ich es nicht hätte einordnen können? War das Wissen, dass das alles einen Namen hatte, gut? Oder waren mein Selbsthass und diese furchtbare Angst, verlassen zu werden, nur deshalb so stark, weil ich mich selbst nur noch als den kranken Borderliner sah und darüber abwertete?
Ich fand keine Antwort auf diese Frage. Wusste nur, dass ich mich auch ohne dieses Wort ‚Borderline‘ hasste, weil ich mich in meiner Vergangenheit so furchtbar aufgeführt und damit letztendlich meine eigene Mama in den Tod getrieben hatte.
Gerade noch rechtzeitig bemerkte ich selbst, dass ich es schon wieder tat, mich in meinen Seelenschmerz versenkte und selbst Gefühle weckte, die mich garantiert wieder auf den Abgrund zu trieben.
In einem Versuch, mich zu retten, schmiegte ich mich eng an Metos Körper, vergrub mein Gesicht an seinem Hals und atmete seinen Geruch ein, er roch süß und warm und so gut, und ich spürte den Puls seiner Halsschlagader unter meinen Lippen.
Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, küsste ich seine Haut, dachte dabei mit aller Kraft an das wunderschöne Gefühl, welches ich hatte, wenn ich mit ihm schlief, und versenkte mich da hinein. Sofort wurde ich sehr schnell hart, doch wecken wollte ich Meto ja nicht, und so blieb mir nur die Möglichkeit, es mir selbst zu machen.
Es war recht lange her, dass ich zuletzt wirklich masturbiert hatte, bestimmt ein, zwei Monate. Beim letzten Mal hatte ich mich danach ziemlich einsam gefühlt, ich mochte es nicht, so etwas allein zu tun. Und seit Meto und ich hier zusammen lebten, hatten wir ja auch so viel Sex, dass ich kein besonderes Bedürfnis nach Selbstbefriedigung gehabt hatte.
Ich blieb neben ihm liegen, schob mir Schlafanzughose und Shorts runter und begann, mich selbst zu berühren, zuerst blickte ich dabei hoch an die Decke, dann sah ich Meto an, der tief schlafend neben mir lag und so lieb und süß aussah … Ich fühlte mich irgendwie schmutzig, weil ich mir auf ihn einen runterholte, während er neben mir schlief, aber ich konnte nicht anders, wollte bei ihm sein, nicht alleine, denn nach dem vergangenen Abend ertrug ich jegliche Einsamkeit nicht mehr.
Es fühlte sich eigenartig an, mich so selbst zu berühren, aber nicht etwa, weil ich mich schämte oder so etwas, sondern weil ich es selbst tat, weil es meine eigene Hand an meinem Glied war und nicht die meines Liebsten. Mir wurde klar, dass ich mir selbst absolut nicht genug war, ich brauchte jemanden bei mir, brauchte starke, liebevolle Arme um mich und das Gefühl, geliebt zu werden.
Und so genügte es mir nicht, mich einfach nur selbst anzufassen, ich rückte wieder ein Stück näher zu Meto, schmiegte mich an ihn, brauchte seine Nähe, um überhaupt richtig fühlen zu können, und als ich mit einem halb unterdrückten Stöhnen kam, landete ein bisschen was von meinem Samen auf seinem Oberschenkel.
Schnell tastete ich auf dem Nachttisch nach der Taschentücher-Box, riss eines heraus und reinigte meine Hand von meinem Samen, wischte ihn von Metos Bein weg, hoffte, dass ich ihn nicht weckte. Im Dunkeln tastete ich mich zum Papierkorb vor, warf das Taschentuch hinein, dann legte ich mich wieder hin, nah neben meinen Liebsten, der immer noch tief und fest schlief.
Und irgendwann, als es schon hell wurde, schlief ich auch endlich ein.
Als ich am Morgen um sieben vom Piepen des Weckers aufwachte, lag Tsuzuku neben mir, er schlief wieder auf dem Bauch liegend, mit dem Gesicht zu mir. Sein schwarzes Haar verdeckte jedoch sein Gesicht, sodass ich nicht gleich erkennen konnte, ob er einen schönen Traum hatte oder nicht.
Vorsichtig streckte ich meine Hand aus und strich seine Haare beiseite, davon wachte er auf, zog die Nase kraus und blinzelte.
„Guten Morgen, mein Herz“, sagte ich und lächelte.
„Mh“, machte er, sah mich an. „Meto … mach bitte den Wecker aus …“
Ich drehte mich um, schaltete den Wecker aus, und spürte einen Moment später, wie Tsuzuku mich von hinten umarmte und sich eng an mich schmiegte.
„Willst du kuscheln, Baby?“, fragte ich, wiederum lächelnd, weil es süß war, wie er sich anschmiegte.
„Tsu will Liebe …“, antwortete er in Babysprache und mit süß verstellter Stimme.
Ich drehte mich in seinen Armen zu ihm um und küsste ihn, er erwiderte das ganz süß und sehnend, wie ein kleines Kind.
„Liebe machen?“, fragte ich, auf sein Spiel eingehend, und streichelte über seinen Oberkörper, der ja immer noch mit meinem pastellfarbenen Kätzchenschlafanzug-Hemd bekleidet war.
Er sah mich mit großen Augen an, schüttelte den Kopf und antwortete mit derselben kindlichen Stimme: „Tsu will schmusen …“
Ich lachte, weil es eben ziemlich niedlich war, wie er sich so süß und kindlich gab, küsste ihn wieder und nahm ihn nun auch meinerseits in meine Arme. Zwar verstand ich nicht so ganz, was ihn gerade dazu bewegte, das Kind in sich so nach außen zu zeigen, aber ich hatte auch kein Problem damit.
Tsuzuku kuschelte sich eng an mich, ich küsste und streichelte ihn, es wurde eine richtig schöne Schmuserei, nur ohne die übliche sexuelle Erregung. Er war so sehr im Kind-Modus, dass erwachsenere Regungen solcher Art in diesem Moment außen vor blieben.
„Wollen wir nicht bald mal aufstehen?“, fragte ich irgendwann.
Tsu schüttelte den Kopf und zog eine Schnute. „Mag nicht aufstehen …“
In dem Moment ließ sein Bauch jedoch ein unmissverständliches Knurren vernehmen.
„Komm, mein Schatz, ich mach uns ein schönes Frühstück“, sagte ich.
Tsuzuku sah mich an, schmuste sich noch ein wenig an mich, blinzelte bittend und fragte ganz lieb und ein bisschen schüchtern: „… Fütterst du mich?“
„Und Frühstück im Bett, oder was?“, fragte ich und lachte.
Tsuzuku nickte begeistert. „Füttern im Bett!“
Ich konnte ihm ja sonst schon nicht widerstehen, wenn er mich um etwas bat, und wenn er so niedlich war wie jetzt, erst recht nicht. Was sollte ich ihm abschlagen, wenn er meinen süßen Kätzchenpyjama trug und mich so mit großen Augen bittend ansah?
„Okay, ich hol das Essen her“, sagte ich. „Aber das machen wir nicht zur Gewohnheit, okay?“
Tsuzuku strahlte mich an wie ein kleiner Junge, küsste mich und dann ließ er mich los, aber nur, damit ich aufstehen und in die Küche gehen konnte.
Es dauerte seine Zeit, bis ich ein kleines Frühstück gemacht hatte, und als ich alles auf einem Tablett anrichtete, hörte ich auch schon, wie Tsuzuku im Schlafzimmer ein wenig ungeduldig wurde:
„Meeeto … Tsu hat Hunger …“
Ich ging mit dem Tablett in den Händen rüber und da saß er schon aufrecht im Bett. Ich stellte das Tablett auf dem Bett ab, setzte mich zu meinem Schatz und stupste ihm auf die Nase.
„Braves Tsu, hast schön gewartet“, lobte ich ihn, nahm einen Apfelschnitz vom Teller und hielt ihm den unter die Nase. „Mund auf!“
Er machte brav den Mund auf und nahm das Apfelstückchen an, schien es auch zu genießen, kaute, schluckte und bat sogleich um mehr, bekam es auch. Ein wenig unheimlich war mir seine Babymasche schon gerade, er spielte sie länger und intensiver aus als sonst, möglicherweise steckte irgendwas dahinter.
Während ich ihn also fütterte und für jeden Bissen lobte, fragte ich mich, ob dieses Spiel irgendwie mit gestern Abend zusammenhing, mit seiner entsetzlichen Einsamkeit und unserem Streit, als ich spät in der Nacht nach Hause gekommen war und ihn betrunken und verletzt vorgefunden hatte.
Tsuzuku bemerkte irgendwie, dass ich nicht ganz bei der Sache war, und er forderte meine Aufmerksamkeit ein, zupfte an meinem Top und bat ganz direkt: „Tsu will Küsschen …“
Ich sah ihn an, und irgendwie war der Blick seiner dunkelbraunen Augen nicht ganz klar, da war irgendwo wieder so eine Traurigkeit in ihm. Ich nahm sein Gesicht in meine Hände und tupfte meine Lippen zärtlich auf die seinen, er schmiegte seinen Kopf an meine Hand und erwiderte den Kuss ganz weich und lieb.
„Bist du gerade ganz liebesbedürftig, mein Herz?“, fragte ich leise und streichelte seine Wange.
Und auf einmal sah er ganz furchtbar traurig aus, seine Augen füllten sich mit Tränen, ich nahm ihn sogleich in meine Arme und er weinte, klammerte sich an mich.
Ich spürte richtig, wie zerrissen er war zwischen dem Kind in sich und dem erwachsenen Mann, der er nun mal war, er strahlte beides zugleich aus, und so hielt ich in diesem Moment einen Menschen im Arm, der selbst nicht wusste, ob er Erwachsener war oder Kind.
„Nicht weinen, Tsu, alles gut …“, sagte ich leise und streichelte über seinen zitternden Rücken. Ich sah über seine Schulter und da saß Ruana neben meinem Kopfkissen. Ganz kurz löste ich mich von Tsuzuku, griff nach meinem Teddymädchen und drückte sie ihm in die Arme, umarmte ihn dann wieder, fühlte Ruana weich zwischen uns.
„Ruana ist bei dir“, sagte ich und lächelte ihn an, dachte daran, dass ich ja seine Sonne war. „Ich hab dich sehr lieb, Ruana hat dich auch lieb, du bist nicht allein.“
Tsuzuku barg sein Gesicht an meinem Hals, ich spürte seine Tränen auf meiner Haut, und es dauerte noch ein wenig, bis er sich wieder gefangen hatte.
„Was hat dich denn jetzt so traurig gemacht?“, fragte ich danach.
„Weiß nicht, ich … irgendwie tut mir wieder alles so weh … und … manchmal will ich einfach wieder klein sein … und gehalten werden, verstehst du?“, antwortete er, seine Stimme zitterte noch vom Weinen. „Ich weiß, dass das … dieses Kindische … das ist auch Borderline … aber …“
„Tsu, das ist mir egal und das weißt du“, unterbrach ich ihn.
„Was denkst du von mir, wenn ich so bin, so kindisch und so …? Denkst du dann nicht, dass ein Mann von Mitte Zwanzig nicht so sein sollte?!“
Ich merkte ihm an, dass er schon wieder sehr gegen sich selbst ging in seinem Selbsthass, und dachte meine Worte kurz durch, bevor ich sie aussprach: „Tsuzuku, schau mich doch mal an. Schau mich an, schau Ruana an, guck wie ich aussehe, wie ich bin und das alles. Sieht das für dich großartig erwachsen aus?“
„… Nein …“, antwortete er leise.
„Na siehst du. Ich bin, wie ich bin, und du auch, du bist, wie du bist. Manchmal hältst du mich, bist stark und ‚der Mann‘ von uns beiden, und manchmal bist du eben auch anders, brauchst selber Küsschen und willst von mir gehalten und gefüttert werden“, sagte ich, sah ihn an und umarmte ihn wiederum, drückte ihn fest an mich. „Tsuzuku, weißt du … ich denke, so ist das mit uns beiden. Ich lege da keinen fremden Maßstab mehr an, ich sehe nur dich und mich. Und deshalb darfst du auch mal wie ein Kind sein, ich liebe dich auch dann.“
Tsuzuku sah mich an, mit einer Mischung aus Unglauben und Freude, und einen Moment später küsste er mich mit einer solchen Liebe, dass er uns beide umwarf und ich mich unter ihm in die Kissen gedrückt wiederfand, und allzu deutlich seine übersprudelnden Gefühle spürte, wie sein schmaler, warmer Körper sich eng an meinen drückte und meine kleine Ruana und ich eine volle Ladung ‚heftig verliebter Tsuzuku‘ zu spüren bekamen.
Als er den innigen, leidenschaftlichen Kuss schließlich wieder löste und wir uns beide wieder aufrichteten, kribbelten meine Lippen ein wenig, so heftig hatte er mich geküsst. Ich lächelte, streichelte noch ein wenig seinen Arm und sah, wie er sich unbewusst über die Lippen leckte, in einer Weise, die mir zeigte, dass er sich wieder als erwachsener Mensch fühlte.
Dennoch frühstückten wir weiter im Bett, und nun fütterten wir uns gegenseitig, was jedoch fühlbar weniger mit Babymasche zu tun hatte, viel mehr war es nun einfach ein Ausdruck unserer gegenseitigen Verliebtheit.
Dass Tsuzuku binnen weniger Augenblicke zwischen übersprudelndem Glück und tiefer Traurigkeit hin und her sprang, und mal das bedürftige Kind und dann wieder den heftig verliebten Mann zeigte, sein ständiges Auf und Ab und Hin und Her, ich kannte ihn längst gut genug, um mich einigermaßen daran gewöhnt zu haben, und ich fand, dass ich doch ganz gut damit umging. Und anscheinend sah er das genauso, zumindest sagte er das:
„Meto … weißt du, dass du wirklich, wirklich toll bist?“, fragte er und sah mich dabei so ernst an, dass ich deutlich spürte, er hatte darüber nachgedacht. „Wie du das alles machst … mit mir umgehst … mich hältst und liebst und einfach nicht aufgibst … Ich liebe dich dafür.“
Ich sah ihn einen Moment lang an, er wirkte mit einem Mal so klar und stark, so als hatte er gerade einen guten, ehrlichen, klaren Blick auf sich und mich.
„Danke, mein Herz“, antwortete ich. „Ich liebe dich auch.“
Nach dem gemütlichen Bettfrühstück standen wir dann auf, Tsuzuku ging als Erster zum Duschen, zog meinen Schlafanzug schon auf der Bettkante aus und lief dann einfach nackt rüber ins Bad.
„Tsu, nimm die Sachen doch mit“, rief ich ihm noch nach, weil ich eigentlich keine Lust hatte, ihm hinterher zu räumen, aber da rauschte schon das Wasser in der Dusche.
Und so sammelte ich gleich alles, was in die Wäsche gehörte, zusammen auf und füllte eine Waschmaschine, räumte die sauberen Sachen in den Schrank, und nahm mir vor, heute Nachmittag die nasse Wäsche dann aufzuhängen.
Als Tsuzuku dann aus der Dusche kam, zog ich mich aus und ging selbst duschen, während er den Rest seiner Morgenroutine erledigte.
„Hilfst du mir heute Nachmittag? Ich glaube, wir beide müssen hier mal ein bisschen Haushalt machen“, sagte ich, als ich unter der Dusche stand.
Tsu stand gerade vor dem Spiegel, er drehte sich zu mir um, schien einen Moment darüber nachzudenken, dann sagte er: „Klar.“ Und dann: „Du hast heute Morgen keine Arbeit, oder?“
„Nein, ich hatte doch letzte Woche nen Termin beim Urologen bekommen …“
Der Termin war noch eine Folge unseres Besuchs bei Dr. Ishida, der hatte mich an einen Urologen überwiesen, welcher sich dann in der vergangenen Woche bei mir gemeldet hatte. Es ging immer noch um meine Verspannungen, ich wollte das einfach noch mal abklären, auch wenn das furchtbar peinlich werden würde.
Tsuzuku lachte. „Ich würde dich ja gerne begleiten, aber ich muss arbeiten …“
„Hauptsache, du hilfst mir heute Nachmittag dabei, dass wir beide hier mal aufräumen“, erwiderte ich. „Soll doch gemütlich in unserer Wohnung sein, oder?“
Er nickte wieder, auch wenn ich merkte, dass er eigentlich wenig Lust auf Hausarbeit hatte.
Der Rest des Morgens lief ab wie immer, Tsu stand rauchend am Küchenfenster, als ich geduscht und angezogen dazu kam. Gefrühstückt hatten wir ja schon, und so aß ich jetzt nichts, stattdessen stand ich ebenfalls am Fenster und Tsuzuku legte seinen Arm um mich, nachdem seine Zigarette aufgeraucht im Aschenbecher gelandet war.
„Ich liebe dich, Baby“, sagte er, nachdem wir eine Weile einfach schweigend da gestanden hatten, und gab mir einen Kuss aufs Haar. „Lass dir von dem Arzt nachher nichts sagen, ne?“
„Was sollte ich mir von ihm sagen lassen?“, fragte ich.
„Na ja, falls der was dagegen hat, dass wir miteinander schlafen und so … Solche Ärzte haben gerne mal ein Problem damit, dass Menschen Analsex haben … Lass dir nicht einreden, dass ich dich dazu überredet hätte oder so was …“
Ich hörte irgendwie heraus, dass diese Vorstellung für Tsuzuku eine gewisse Angst bedeutete. Er hatte Angst, dass ich mich beeinflussen ließ und etwas glaubte, das gegen ihn sprach …
„Du hast mich nicht überredet“, widersprach ich und sah ihn an. „Und das werde ich auch so sagen, wenn mich jemand fragt. Ich schlafe mit dir, lasse dich in mich eindringen, weil ich das will, wirklich will, und ich lasse mir das nicht von irgendwem ausreden, das kannst du mir aber glauben!“
Tsuzuku lächelte, dann küsste er mich. „Danke, Baby.“
Kurz darauf gingen wir beide aus dem Haus, ich begleitete Tsu zu seiner Bahn und machte mich dann auf den Weg ins städtische Krankenhaus, in dem sich auch die Urologen-Praxis befand, wo ich den Termin hatte.
Und als ich dann da im Wartezimmer saß, wünschte ich mir doch, dass Tsuzuku mitgekommen wäre. Klar, er konnte sich wegen so was nicht frei nehmen, fehlte sowieso schon oft genug bei seiner Arbeit, ich musste da jetzt allein durch und eigentlich konnte ich das auch. Aber ein wenig unsicher war ich eben doch und es hätte mir gefallen, wenn Tsuzuku mit seiner offenherzigen Art, die Dinge auszudrücken, bei mir gewesen wäre, um mir Sicherheit zu geben und vielleicht für mich manches auszusprechen.
„Asakawa Yuuhei, bitte“, wurde ich schließlich von der Sprechstundenhilfe angesprochen, ich stand auf und sie geleitete mich ins Zimmer des Arztes. Mein Herz klopfte aufgeregt und wieder wünschte ich mir, Tsu wäre bei mir, würde meine Hand halten. Ich dachte angestrengt an seine Worte von vorhin, davon, dass ich mir nichts einreden lassen sollte.
Wie sollte ich, mit meinem Sprachfehler und meiner Unsicherheit, einem Arzt verständlich machen, dass ich den Sex mit meinem Freund liebte und einfach nur ein Mittel gegen diese Verspannungen wollte, mehr nicht?
Der Arzt war ein Mann von vielleicht Mitte Vierzig und musterte mich ein wenig, als ich den Raum betrat. Ich trug zwar heute für meine Verhältnisse recht gewöhnliche Kleidung, aber meine blauen Haare, die Piercings und mein Tattoo sprachen eben immer für sich.
Ich setzte mich auf den Stuhl gegenüber dem Schreibtisch und natürlich versagte mir meine Sprache augenblicklich den Dienst. Ich brachte nur ein ganz leises „Guten Tag“ heraus.
„Sie wurden mir von Dr. Ishida überwiesen, richtig?“, fragte der Arzt, auf dessen Namensschild der Name Abe stand.
Ich nickte nur, kämpfe innerlich mit meiner Unsicherheit, spürte, wie sich mein Unterleib anspannte und die Enge in meinem Hals mir das Sprechen weiter unmöglich machte.
„Dr. Ishida sagte nur, dass Sie ein Problem mit Muskelverspannung haben. Können Sie mir genauer beschreiben, wo diese Verspannung liegt und inwiefern sie ein Problem darstellt?“
Mir stieg die Röte ins Gesicht, ich blickte auf meine Hände. Ich verstand Tsuzukus Ängste vor Ablehnung nur allzu gut, fühlte ich sie in diesem Moment doch selbst. Er hatte Recht gehabt, als er mich vor ein paar Wochen gefragt hatte, ob mein Sprachfehler und die Verspannung mit meiner Unsicherheit zu tun hatten, weil ich eben schwul war und wusste, dass andere das ablehnten.
„Ich …“, begann ich schließlich leise, „… einen Freund … habe …“ Vor lauter Angst brachte ich wieder die Reihenfolge der Worte durcheinander, und das machte mich noch unsicherer. „Einen … festen Freund … verstehen Sie?“
„Sie sind homosexuell?“, hakte Dr. Abe nach.
Ich nickte.
Der Arzt sah mich einen Moment lang nur an, ich konnte seinen Blick nicht recht deuten, dann fragte er: „Und Sie haben Analsex mit Ihrem Freund?“
Ich nickte wieder, sah auf meine zitternden Hände. „Ich … das mag … aber … manchmal … da … bei mir alles … so verspannt und … tut weh … dann …“
„Sind Ihnen die Risiken solcher Praktiken bekannt?“
Ich nickte. „… Ich … das aber … trotzdem mag … und will … Mein Freund … sehr lieb ist und … ganz vorsichtig … aber … manchmal … da bin ich … da unten einfach … so zu …“ Ich dachte an Tsuzukus Worte von vorhin, an seine Angst, und versuchte, eine Art Mauer um mich zu bauen, damit mich kein Zweifel erreichen konnte.
„Aus ärztlicher Sicht kann ich Ihnen da nicht viel sagen, außer dass es in dem Bereich eben einige Risiken gibt“, sagte Dr. Abe dann. „Der Muskel kann beschädigt werden, es gibt immer wieder Fälle von inneren Blutungen, und alle möglichen Geschlechtskrankheiten sind da auch sehr verbreitet. Auf dem Erotikartikel-Markt gibt es verschiedene Mittel, die angeblich entspannend wirken sollen, aber die kann ich als Arzt nicht so einfach absegnen.“
Ich konnte nichts antworten. Die Worte machten mir Angst, säten doch fiese Zweifel in mir.
„Ich kann Ihnen nur raten, beim Auftreten solcher Verspannungen auf den Verkehr zu verzichten. Im Allgemeinen rate ich von Analverkehr sowieso ab, es ist einfach nicht gesund. Und wenn Ihr Partner Sie zu überreden versucht …“
„Das macht er nicht!“, unterbrach ich den Arzt und sprang auf, hatte auch meine Sprache wieder gefunden. „So was macht er einfach nicht! Er will mir nicht wehtun, auf keinen Fall, und ich will einfach nur irgendein wirksames Zeug haben, was mich … da unten halt entspannt!“
Ich hatte genug, die Situation zerrte so an meinen Nerven, dass ich keinen anderen Weg wusste als einfach zu gehen. Und so stand ich auf und verließ die Praxis ohne ein weiteres Wort, weil dieser Arzt anscheinend nicht gewillt war, mir das zu verschreiben, was ich brauchte.
Auf dem Weg nach Hause kam ich dann in die Nähe des Sexshops, den ich ja nun schon kannte, und kurzentschlossen ging ich da hinein, um nach einem Entspannungsmittel oder dergleichen zu fragen. Sicher kannte dieser Travestit, der dort verkaufte, sich damit aus und hatte vielleicht auch so etwas da. Mit dem „Nein“ des Urologen gab ich mich jedenfalls absolut nicht zufrieden.
„Ah, das Sahnestückchen“, begrüßte mich der Verkäufer sofort, als ich den Laden betrat. „Heute mal allein hier? Was kann ich denn für dich tun?“
Ich lächelte leicht, ob des Kompliments und seiner offenherzigen Freundlichkeit, meine Sprache war noch nicht wieder ganz sicher und ich brauchte einen Moment, bis ich sagen konnte, warum ich hier war: „Haben Sie …“, begann ich, doch ich wurde gleich wieder unterbrochen, der Travestit strahlte mich an und sagte: „Sag gerne ‚Du‘, und nenn mich Charlize, okay?“
„Meto“, nannte ich kurz meinen Namen und begann dann von neuem: „Hast … du irgendwas … ‘ne Creme … oder so was … zum Entspannen? Also …“, ich wurde wieder mal klatschmohnrot, „ … so für den Hintern … wenn man … manchmal so … verspannt ist?“
„Hast du das manchmal?“, fragte Charlize und sah mich mitfühlend an. „Armes Sahnestückchen, so was ist deprimierend, oder?“
Ich nickte nur.
„Aber ich glaube, ich hab da was für dich, Schätzchen.“ Mit diesen Worten verschwand er zwischen den Vitrinen und kam wenig später mit einer kleinen Schachtel zurück, die er öffnete und eine kleine Sprühflasche ans rote Licht des Shops beförderte.
„Das ist ein Entspannungsspray, extra für analen Spaß, wenn man sich manchmal nicht richtig locker machen kann. Alles getestet und einwandfrei, verträgt sich mit jedem Gleitgel und so weiter. Geht auch prima, wenn du dazu noch ‘nen kleinen Plug hast, dann kann dein Schatz dich nebenbei noch anders verwöhnen, während du den drin hast und der das Dehnen übernimmt.“ Er zog noch einen Gegenstand aus der Schachtel, einen kleinen schwarzen Plug mit einem Ring am Ende, wie ich ihn hier auch schon gesehen hatte, und fügte hinzu: „Das Teil ist extra für Anfänger und für süße Sahneschnittchen, die manchmal ein bisschen verspannt sind. Und so, wie ich deinen Schatz einschätze, hat der auch Geduld mit dir, der geht nicht gleich so ran, oder?“
Ich nickte wieder, spürte, dass ich immer noch ein bisschen rot war und Charlize kaum ansehen konnte, während er sprach.
„Ach Schätzchen, musst dich doch nicht schämen. Alles gut, ihr kriegt das schon hin.“
„Ich … war eben beim Urologen … und … na ja, der hat mich verunsichert …“, gestand ich.
„Ach Gott, Ärzte … Die sind grad hierzulande ein bisschen … wie sagt man, verklemmt? Klar, manchmal gibt’s da Verletzungen, aber längst nicht immer. Man muss halt wissen, wie es richtig geht. Mach dir keine Sorgen, du merkst doch auch selber, was dein Popo mag und was nicht, oder?“
„Mhm …“
„Eben. Lass dir das Liebemachen nicht verderben, Sahnestückchen, dafür macht es viel zu viel Spaß. Ich hab selber nen Kerl zu Hause, und meinem Popo geht’s prima.“
Ich bezahlte das Spray und den Plug, Charlize verpackte beides in einer diskreten Tüte und ich verließ den Laden wieder, machte mich jetzt auf den Heimweg. Es war kurz vor Mittag und ich kaufte mir am Bahnhof ein kleines Bento, dann nahm ich die Bahn nach Hause.
Auf dem Fußweg von der Bahn zur Wohnung fühlte ich mein Herz aufgeregt klopfen und spürte, ich hatte Lust, war leicht erregt. Das Gespräch mit Charlize hatte bei aller Peinlichkeit auch etwas Anregendes an sich gehabt, einfach durch das Thema, und als ich zu Hause angekommen die Wohnungstür hinter mir schloss und feststellte, dass Tsuzuku noch nicht wieder da war, fasste ich den Entschluss, es mir mal selbst gemütlich zu machen.
Früher hatte ich mich zeitweise recht oft selbst befriedigt, aber tatsächlich war das viel weniger geworden, seit ich mit Tsu zusammen wohnte und wir eben so oft und schön Sex hatten, dass ich davon mehr als genug Befriedigung bekam.
Aber nun war er noch auf seiner Arbeit, und ich allein zu Hause, mit einem Nachtschrank voller Sexspielzeug und einer heißen Lust im Körper. Warum auch nicht? Und nach dem anstrengenden Arzttermin konnte ich ein bisschen Entspannung gebrauchen, mein Hintern fühlte sich tatsächlich ziemlich angespannt an.
Ich packte den Plug und das Spray aus, nahm beides mit ins Schlafzimmer und setzte mich aufs Bett, zog mich nackt aus und holte mir die Flasche Gleitmittel aus dem Nachtschrank. Rückwärts rutschte ich weiter aufs Bett, bis ich ganz darauf lag, winkelte die Beine an, tastete dazwischen, spürte die Spannung dort, mein Glied war hart, mein Hoden hatte ein wenig Druck, und alles dahinter war ganz angespannt und fest, ich bekam nicht mal meine Fingerkuppe in mich hinein.
Mit geschlossenen Augen und versuchend, mich durch ruhiges Atmen zu entspannen, streichelte ich mich, massierte mit der einen Hand mein Glied und versuchte mit der anderen, mein Loch ein wenig locker zu machen. Schließlich öffnete ich die Augen wieder, tat mir etwas von dem Gleitmittel auf die Finger und versuchte es damit, doch irgendwas blockierte mich, verhinderte, dass ich mich entspannen konnte, sowohl körperlich, als auch mental.
Wenn Tsu jetzt nach Hause gekommen wäre und mich so gefunden hätte … Sicher hätte ihm mein Anblick, wie ich hier nackt und mit erregtem Glied auf dem Bett lag, Lust gemacht, und er wäre enttäuscht gewesen, dass ich wieder so verspannt war.
Was war das nur, was mich gerade so verspannen ließ? Hatte dieser Urologe mit seinen Worten bei mir tatsächlich so viel bewirkt, dass mein Körper jetzt Angst hatte und mein Loch sich nicht mehr von außen her dehnen lassen wollte? Ich spürte den typischen Druck, war erregt, und trotzdem ging es in diesem Moment nicht, egal wie viel Gleitmittel ich benutzte und wie sehr ich mich zu lockern versuchte.
An das Spray traute ich mich nicht heran, mir klangen die Worte des Urologen im Kopf, dass er solche Mittel medizinisch nicht absegnen konnte. Und je mehr ich erfolglos versuchte, mich zu entspannen, umso mehr schwand meine Lust und ich spürte, wie es mich frustrierte.
Und auf einmal wurde mir klar, dass ich Angst hatte, eine tief in mir lebende, alte Angst, davor, etwas Unrechtes, Schmutziges zu tun. Manchmal, in letzter Zeit sogar oft, war diese Angst weg, aber in diesem Moment war sie da und machte, dass ich nicht wagte, mich zu entspannen und die Lust, die noch in meinem Unterleib schwelte, auszuleben.
Wenn Tsuzuku bei mir war, wir miteinander schliefen, dann tat er die schönen Dinge einfach, von denen er wusste, dass ich sie auch mochte und wollte, ich ließ mich von ihm mitreißen und traute mich auch selbst viel mehr. Er hatte diese Art, die mich verwandelte, mutiger und lockerer machte, und für die ich ihn so sehr liebte.
Wenn er so zärtlich und leidenschaftlich zu mir war, wurde mein Loch manchmal fast von selbst weich, nahm sein Glied ganz leicht auf, doch jetzt, wo ich hier allein lag und versuchte, es mir selbst zu machen, blieb der Muskel so fest, dass ich kaum meinen Finger hinein bekam, selbst das Gleitmittel brachte nicht viel. Und ich spürte eben auch, es war ein mentales Problem, da würde auch das neue Spray nicht viel bringen.
Schließlich, als sogar meine Erektion durch den Frust abklang, stand ich auf und zog mich wieder an, ärgerte mich über mich selbst, dass ich heute Morgen überhaupt bei dem Arzt gewesen war. Tsuzuku hatte Angst gehabt und mich gebeten, mir nichts sagen zu lassen, und er hatte Recht gehabt. Jetzt hatte ich den Salat, und ich konnte nur hoffen, dass diese Verspannung bald wieder verschwinden würde, spätestens dann, wenn Tsu sich nach Liebe und Lust sehnte und wieder mit mir schlafen wollte. Ich wollte ihm die Frustration ersparen, wusste ich doch, dass Frust und Enttäuschung für ihn das reinste Gift waren.
Ich blieb noch eine Weile auf der Bettkante sitzen, dann stand ich auf, räumte alles wieder weg und ging ins Bad, räumte die Waschmaschine aus und stellte den Wäscheständer im Wohnzimmer auf, begann, die Wäsche aufzuhängen. Eigentlich hatte ich ja geplant gehabt, dass Tsuzuku und ich die Hausarbeit später gemeinsam machten, aber ich brauchte jetzt irgendwas zu tun.
Als die Wäsche auf der Leine hing, wandte ich mich dem Bad zu und fing an, dort zu putzen. Zu Hause bei meinen Eltern war ich für mein eigenes Bad und mein Zimmer selbst verantwortlich gewesen, und so wusste ich, was ich tun musste, auch wenn ich es zu Hause natürlich oft auch vernachlässigt hatte, so wie ein jugendlicher Junge eben war … Umso mehr wunderte ich mich jetzt über mich selbst, dass ich tatsächlich hier, in meiner eigenen Wohnung, Gefallen daran fand, sie ab und zu in Ordnung zu bringen und alles wieder schön sauber zu machen.
Als ich mit dem Bad soweit fertig war, dass man dem Raum nicht mehr allzu sehr das Fehlen einer Frau in unserem Haushalt anmerkte, ging ich ins Wohnzimmer und machte Musik an, so laut, dass ich es auch im Schlafzimmer hören konnte, und befasste mich dann damit, dort ebenfalls wieder Ordnung zu machen. Sowohl Tsuzuku als auch ich ließen unsere Kleider gern auf dem Boden zwischen Bett und Schrank liegen, und ich räumte einfach mal alles auf, sortierte schmutzige Sachen in den Wäschekorb und hängte alles, was noch okay war, in den Schrank zurück.
Dabei fiel mir auf, dass Tsuzukus Hälfte unseres Kleiderschrankes inzwischen merklich voller war, er war ja in letzter Zeit doch einige Male shoppen gewesen und man sah seinem Klamottenfundus inzwischen kaum mehr an, dass er noch im letzten Jahr auf der Straße gelebt hatte, mit nichts als einer einzigen Reisetasche voller abgetragener Klamotten.
Ich griff in seine Schrankhälfte und zog eine löchrige, schwarze Sweatjacke heraus, diejenige Jacke, die er immer getragen hatte, als ich ihn damals kennen gelernt hatte. Neben seinen neuen Sachen sah sie noch schäbiger und armseliger aus und strahlte immer noch die todtraurige, verzweifelte Aura aus, die Tsuzuku damals an sich gehabt hatte. Ich wunderte mich beinahe, dass er diese Jacke überhaupt noch besaß, er trug sie nämlich gar nicht mehr.
Ich strich mit der Hand ein wenig über den abgetragenen Stoff und erinnerte mich daran, wie ich ihn kennen gelernt hatte, damals auf dem Stadtfest, wo ich versehentlich sein weniges Geld verstreut, mich entschuldigt und ihm beim Aufsammeln geholfen hatte. Wie er mich angesehen hatte, so unendlich einsam und traurig, und doch war er, dieser junge, einsame und verzweifelte Obdachlose, der damals keinen Glauben mehr an sich und sein Leben gehabt hatte, in dem Moment damals meine Rettung gewesen.
Mit ihm hatte ich wieder sprechen können, er hatte mich davor bewahrt, mich vor der Welt zurückzuziehen, hatte meinen damaligen Plan, zu einer Art Hikikomori zu werden, aus meinem Kopf gelöscht, weil ich ihm hatte helfen wollen. Und während der darauf folgenden ersten paar Treffen, immer im Akutagawa-Park, wo ich ja dann auch neue Freunde gefunden hatte, hatte ich mir fest in den Kopf gesetzt, diesem Mann zu helfen, ihn zu retten, für ihn da zu sein.
Anfangs hatte Tsuzuku Angst gehabt, hatte sich mir kaum öffnen können, doch als ich dann einmal wirklich zu ihm durchgedrungen war, ihm klar gemacht hatte, dass er mich nicht mehr so einfach los wurde, da war er mir zum liebsten besten Freund geworden, den ich je gehabt hatte.
Ich lächelte bei der Erinnerung daran, obwohl die Zeit damals auch furchtbar hart gewesen war. Ich konnte mich noch daran erinnern, wie er damals ganz zu Anfang oft vom Sterben gesprochen hatte, und wie schwer es ihm gefallen war, einen Sinn im Leben zu sehen.
Aber irgendwann war das weniger geworden. Er hatte sich immer noch oft erbrochen, sich selbst verletzt, viel geweint, aber vom Sterben hatte er fast nichts mehr gesagt. Und ich wusste, das hatte mit mir zu tun, er hatte mich zu seinem Lebenssinn gemacht. Und dann, irgendwann, zuerst ohne dass ich es selbst bemerkt hatte, hatte er sich in mich verliebt.
Mit einem nachdenklichen Seufzen hängte ich die Jacke zurück in den Schrank, machte die Musik wieder aus, ging rüber in die Küche und begann mit dem Kochen fürs Mittagessen.
Ich wollte eigentlich mal ein neues Rezept ausprobieren, doch wir hatten schon wieder fast nichts mehr im Kühlschrank und ich hatte jetzt keine Lust, noch einkaufen zu gehen. Also blieb es wieder bei Nudeln mit Sauce, mir genügte das und ich wusste nicht, ob Tsuzuku überhaupt zum Mittag zu Hause sein würde oder ob er den ganzen Tag bei der Arbeit blieb.
Aber als ich dann am Herd stand und gerade die Nudeln ins kochende Wasser tun wollte, hörte ich Tsu’s Schlüssel an der Wohnungstür, wie er hereinkam und seine Schuhe auszog.
Ich kippte schnell die Nudeln ins Wasser und ging dann auf den Flur, um meinen Freund zu begrüßen, doch als ich ihn sah, war mir sofort klar, dass er nicht deshalb jetzt schon zu Hause war, weil er einfach Feierabend hatte. Ihm war anzusehen, er fühlte sich nicht gut, sah angespannt und niedergeschlagen aus. Und er roch nach Zigarettenrauch, sehr viel Zigarettenrauch, so als hätte er ein halbes Päckchen in eins weggeraucht.
„Hey, Baby …“, begrüßte ich ihn, wollte ihn kurz umarmen, doch er wich mir aus, ging an mir vorbei ins Schlafzimmer, ließ sich dort aufs Bett fallen und blieb schweigend liegen.
Ich ging in die Küche zurück, wusste nicht recht, was ich jetzt tun sollte. Erst einmal kümmerte ich mich ums Essen, fragte mich aber dabei sehr, was mit Tsuzuku wieder los war und was ich für ihn tun konnte. Schließlich, als das Essen soweit fertig war und nichts mehr anbrennen konnte, stellte ich den Herd aus und ging zu ihm ins Schlafzimmer, wo er immer noch still auf dem Bett lag und die Decke anstarrte.
„Tsu? Ist was passiert, mein Herz?“, fragte ich, leise und vorsichtig.
Er antwortete erst nicht, dann sagte er mit ganz seltsam klingender Stimme: „Geh weg.“
„Was ist denn passiert?“, fragte ich noch einmal.
Tsuzuku sah mich an, sein Blick war so voller Zerrissenheit und Angst, dass ich erschrak, und dann sprang er plötzlich auf, explodierte geradezu und schrie mich an: „Geh weg, hab ich gesagt! Lass mich! Hau ab!“
Ich wich automatisch zurück, wusste einen Moment lang nicht, was ich denken, sagen, davon halten sollte. Unwillkürlich schoss es mir durch den Kopf, dieses Wort ‚Borderliner‘, und ich fühlte mich hilflos, wusste ja nicht, was überhaupt los war und was ich tun sollte.
„Tsuzuku, was ist los?!“, wiederholte ich meine Frage noch einmal, wurde selbst lauter, als ich beabsichtigt hatte. Es war einfach so schwer, ruhig zu bleiben, wenn er mich so anschrie und dabei diesen Blick in den Augen hatte, diese Mischung aus Wut, Angst und Zerrissenheit. Ich bekam selbst Angst, befürchtete irgendwo in mir, dass er mich auf einmal hasste.
Doch mit einem Mal, ebenso plötzlich wie seine Wut zuvor, fing er furchtbar zu weinen an, sank zu Boden, blieb dort heftig weinend und zitternd sitzen, begann wieder, sich zu kratzen und zog dann die Knie an, schlug mit seinem Kopf gegen seine Knie, immer wieder.
Ich war total verunsichert, wusste nicht, ob ich ihn jetzt umarmen sollte oder nicht, und er schien es auch selbst nicht zu wissen. Doch schließlich kniete ich mich neben ihn, streckte meine Hand aus und berührte ganz vorsichtig seine Schulter, streichelte ein wenig und spürte dabei ganz nah, was für ein riesiger, entsetzlicher Sturm in ihm tobte.
Eine Weile saßen wir ohne ein Wort da auf dem Boden, Tsuzuku weinte und ich streichelte seine Schulter und seinen Rücken, konnte jedoch nicht verhindern, dass er sich immer wieder wehtat, nur warten, bis er sich wieder beruhigt hatte.
Irgendwann, als ich kurz an das Essen in der Küche dachte, das jetzt sicher schon wieder kalt wurde, flüsterte Tsuzuku mit verweinter Stimme: „Meto … bitte, hass mich nicht …“
Ich hatte keine Antwort, hatte ich doch eben selbst Angst gehabt, dass er mich hassen könnte.
„Es tut mir leid … ich … ich weiß nicht, was das gerade war … Ich will das nicht …“, sagte er leise. „Ich will nicht, dass das gerade passiert ist …“
„Was … was war denn los? Also, wie kam das?“, fragte ich ebenso leise und unsicher.
„Ich … weiß nicht … Meto, ich hab Angst … Ich will dich nicht hassen …“, antwortete er. „Ich will dich lieben, immer nur lieben, nicht hassen, niemals … Wenn ich dich hasse … dann verlässt du mich doch … musst mich verlassen … wäre doch nur logisch und verständlich … aber wenn du mich verlässt, dann sterbe ich …!“ Seiner Atmung war das Weinen noch anzumerken, und schon füllten sich seine Augen erneut mit Tränen.
„Tsuzuku, ich verlass dich nicht“, sagte ich und konnte dann nicht mehr anders, als ihn zu umarmen. Ich griff in sein Haar, drückte seinen Kopf sachte an meine Halsbeuge, und er ließ es zu, wenn auch ein wenig teilnahmslos.
„Ich … will dich nicht hassen …“, flüsterte er wieder. „Du bist doch mein Liebster, meine Sonne …“
„Ich weiß …“, sagte ich und streichelte durch sein Haar. „Ich weiß das doch, mein Herz.“
„Aber … wenn ich so leer bin … nichts fühle … wenn in mir alles nur grauer Sand und Staub ist?“
„War das vorhin so?“
Er nickte an meiner Schulter. „Alles weg, wie ausgeschaltet …“
„Aber jetzt ist es wieder da?“
„Ja … Aber ich … ich hatte solche Angst …“ Er flüsterte wieder, hatte kaum Klang in der Stimme, und dann sagte er noch einmal: „Ich will dich nicht hassen …“
„Ich glaub dir, mein Herz. Ich glaube dir, dass du mich nicht hassen willst“, sagte ich und streichelte ihn weiter, hielt ihn fest, weil er mir wieder so furchtbar zerbrechlich erschien.
In diesem Moment ließ sich ‚Borderline‘ nicht ignorieren, das spürten wir beide, es war da, doch wir dachten nur daran, sprachen es nicht aus. Das Wort hing greifbar in der Luft, mit allem, was damit zusammenhing, aber ich spürte sehr, dass Tsuzuku jetzt nicht die Kraft hatte, darüber zu sprechen. Und so blieb uns wieder nichts anderes übrig, als irgendwie mit dem Alltag weiter zu machen, statt tiefer darüber zu reden, was da eben passiert war und warum.
Langsam stand ich auf, bot Tsu meine Hand an, er sah mich an, nahm sie und ich zog ihn hoch.
„Was tun wir jetzt?“, fragte er unsicher.
„Weitermachen“, sagte ich. „Leben, zusammen sein, nicht aufgeben.“
Er lächelte ein ganz klein wenig. „Einfach so?“
Ich umarmte ihn, hauchte einen Kuss auf seine Wange. „Ja. Einfach so. Und heute Abend liegst du wieder in meinen Armen.“
Ich spürte, dass es wirklich das Beste war in diesem Moment. So weiter zu machen wie sonst auch, nichts zu verändern, weiter zu leben und zu lieben, immer wieder, nach jedem Sturm. Wie sollte es auch anders gehen? Tsuzuku war nun einmal so und ich war sein Lebenspartner, wollte das sein für den Rest meines Lebens, also durfte ich mich in diesem Weg, den ich an seiner Seite gehen wollte, nicht durch die Stürme seiner verletzten Seele verunsichern lassen.
Wir gingen rüber in die Küche und ich machte das Essen noch mal ein bisschen warm, dann aßen wir zusammen. Tsuzuku aß weniger als ich, aber er aß, und ich sagte nichts dazu.
„Ich muss gleich noch mal zum Conbini runter …“, sagte er nach dem Essen. „Hab keine Zigaretten mehr und mein Feuerzeug macht‘s auch nicht mehr lange.“
Mir fiel wieder ein, dass der Kühlschrank auch fast leer war, und so sagte ich: „Wir gehen gleich zusammen einkaufen, okay? Essen ist auch nicht mehr viel da.“
Die Wäsche auf dem Wäscheständer im Wohnzimmer war noch nicht trocken, und so gingen wir doch zuerst einkaufen. Auf dem Weg zum Laden fragte Tsu mich nach dem Arzttermin vom Morgen, ich hatte den schon fast wieder vergessen.
„War nicht so gut …“, antwortete ich. „Der Arzt da meinte nur, Analsex sei nicht gut und wir sollten das lassen. Will ich aber nicht, das lassen, ich mag das.“ Ich sah Tsuzuku an, lächelte leicht und fügte dann hinzu: „Ich war danach im Sexshop, der Verkäufer da hat mir so ein Spray und nen kleinen Plug empfohlen, hab ich auch gleich gekauft.“
Tsu lächelte, legte seinen Arm um mich, und erst jetzt hatte ich das Gefühl, dass er sich wirklich wieder gut und sicher fühlte. „Und? Gleich heute ausprobieren?“
„Vielleicht …“, sagte ich. „Ich hab‘s schon versucht, alleine, aber ich war komplett verspannt.“
„Bis jetzt hab ich dich doch immer irgendwie locker gekriegt, oder?“
„M-hm …“, machte ich, schmiegte mich an seinen Arm.
Im Conbini war es relativ voll, es war die Zeit der Leute, die am späten Nachmittag noch mal einkaufen gingen, und da es ein recht kleiner Laden war, fiel es noch mal mehr auf. Ich suchte schnell alles zusammen, was ich zum Kochen brauchte, und ein paar Sachen zum Frühstücken, da stand Tsuzuku schon mit seinen Zigaretten an der Kasse.
Als wir mit zwei vollen Einkaufstaschen wieder aus dem Laden kamen, wollte Tsu gleich wieder eine rauchen, aber ich hielt seine Hand fest.
„Meinst du nicht, dass du heute genug geraucht hast?“
Er sah mich abwägend an, dann steckte er Zigaretten und Feuerzeug wieder in seine Jackentasche.
„Hast Recht, Meto …“
Zurück in der Wohnung wandte ich mich, nachdem alle Einkäufe im Kühlschrank verstaut waren, dem Wäscheständer zu, und Tsu übernahm von sich aus das Wegräumen der getrockneten Sachen.
Er war jetzt wieder richtig gut drauf, als wäre vorhin nichts passiert, und ich dachte ein wenig darüber nach, kam aber zu dem Schluss, dass das für den Moment erst mal gut so war, dass er solche Ausbrüche danach wegschob und nicht mehr daran dachte.
Dadurch änderte sich zwar nichts und es würde wieder passieren, aber jetzt gerade sah es so aus, als würde ein nachträgliches Gespräch darüber nur einen weiteren Anfall verursachen. Und so hielten wir es wohl beide für das Beste, erst mal einfach normal weiter zu leben und die guten Gefühle zu genießen, wenn sie da waren.
In diesem Moment kam Tsuzuku aus dem Schlafzimmer zurück, er hatte gerade den letzten Stapel Klamotten in den Schrank geräumt und ließ sich mit einem entspannten Seufzen aufs Sofa fallen.
„Ich bin fertig, Baby“, sagte er. „Fertig und platt und durch.“
Ich klappte den Wäscheständer zusammen, räumte ihn weg und setzte mich dann zu meinem Freund aufs Sofa, lehnte mich an ihn. Er legte seinen Arm um mich, beugte sich vor und strich sachte mit Lippen und Nase über meine Wange, schnupperte an meinen Haaren und flüsterte: „Lass uns schlafen gehen … und vorher nackt schmusen …“
Ich kicherte, küsste ihn, er grinste und sah dabei so wahnsinnig süß aus, dass ich ihn gleich noch mal küssen musste.
„Kein Sex?“, fragte ich.
Tsuzuku grinste wieder. „Nee. Nur Schmusen.“
„Aber nackt?“
„Natürlich, Baby.“
„So, wie ich dich kenne, mein Schatz, kommst du doch sowieso auch beim Küssen“, erwiderte ich und piekte ihn mit meinem Finger spielerisch in die Seite.
Tsu lachte. „Da könntest du Recht haben …“
Und so lagen wir bald darauf zusammen im Bett unter der Decke, nackt umarmt und zusammen gekuschelt, aber nicht großartig erregt, ich selbst nicht und Tsuzuku auch nicht, ich spürte sein Glied weich und schlaff an meiner Hüfte. Schön war es trotzdem, diese Wärme und Nähe, ganz ruhig und lieb und süß, ohne dieses erregte Drängen, das zwar sonst auch schön war, wo wir uns aber zuerst nicht nach fühlten.
„Ich liebe dich, Meto“, brach Tsu nach einer Weile die entstandene Stille und küsste mich.
Ich lächelte an seinen Lippen, küsste ihn zurück, flüsterte: „Ich lieb dich auch.“
„Weißt du, wie glücklich du mich machst?“, fragte er und seine warme Hand streichelte zärtlich an meinem Nacken, so zart und liebevoll, dass ich eine leichte Gänsehaut bekam.
„Ich hoffe, ich mache dich sehr glücklich“, entgegnete ich.
„Tust du.“ Er lächelte und wurde dann ernst. „Ernsthaft, Meto, ich sag das nicht nur so. Du bist wirklich das Beste, was mir je passiert ist. Dass du das mitmachst … so was wie das heute Mittag … Ich weiß, das war für dich auch schwer, aber du bist nicht gegangen.“
„Ich kenn dich ja auch“, sagte ich.
Tsuzuku vertiefte das Thema jedoch nicht weiter, und ich wusste, dass er spürte, wo seine Grenzen lagen, wo er nicht hingehen durfte in seinen Gedanken, und er passte in diesem Moment gut auf sich auf. Stattdessen schmiegte er sich noch ein wenig näher an mich, streifte mit seinen Lippen an meinem Hals entlang und atmete meinen Geruch ein.
„Du riechst so gut …“
„Wonach denn?“, fragte ich und lächelte leicht.
„Nach Meto, nach Liebster, nach Süßester-Mann-auf-der-ganzen-Welt.“ Tsu hauchte einen Kuss auf meine Haut, seufzte leise, es tat ihm sichtlich selbst gut, mich so zu berühren. Mit geschlossenen Augen vergrub er sein Gesicht an meiner Halsbeuge, ich hörte ihn tief ein- und ausatmen und wusste, er atmete weiter meinen Geruch, den er sehr zu lieben und zu genießen schien.
Fast schien es sogar so, als berauschte es ihn, denn hatte er zuvor noch versichert, heute keinen Sex zu wollen, so spürte ich jetzt nur allzu deutlich, wie sein eben noch weiches Glied sich recht schnell hart und heiß aufrichtete und gegen meinen Bauch drückte.
Er sah mich an, fragend, um Erlaubnis bittend, und der Ausdruck in seinen Augen hatte wirklich etwas von einem leichten Rausch, er schien geradezu ‚high‘ vor Liebe zu sein.
„Kein Sex heute, hast du gesagt“, erinnerte ich ihn.
„Vergiss das“, schnurrte er erregt in mein Ohr. „Ich will mit dir Liebe machen … vögeln … mit dir schlafen …!“
„Okay, was hältst du von ‘nem Kompromiss?“, fragte ich schnell. „Nur anfassen und küssen, nicht eindringen?“
„Aber warum?“
„Weil wir das vorhin ausgemacht haben: Nur nackt schmusen, kein Sex. Und da wird sich dran gehalten.“ Kurz dachte ich an die Warnungen des Urologen heute Morgen. Aber darum ging es mir gar nicht. Viel wichtiger war mir, dass Tsu sich an sein eigenes Wort hielt, so wie ich mich immer an meines zu halten bemühte.
Er schien einen Moment lang darüber nachzudenken, dann lächelte er mich an, als hätte er eine gute Idee, ergriff meine Hand und führte sie an seinem nackten Körper hinab bis zu seinem Hintern.
„Greif zu, Baby“, schnurrte er mir ins Ohr, und im nächsten Moment spürte ich seine Hand meinerseits an meinem Po, er zog mich eng an sich, sein erregtes Glied berührte meines, das von dieser Berührung ebenfalls langsam hart wurde.
Sein süßer Hintern unter meiner Hand verführte auch geradezu zum Zupacken, ich tat es und hörte Tsuzuku aufseufzen, was so schön klang, dass ich gleich noch meine andere Hand dazu nahm und begann, ihn dort ein wenig zu massieren. Und er tat dasselbe bei mir, seine großen, schlanken, warmen Hände verwöhnten mich genauso, bis seine Finger schließlich begannen, zielsicher nach meinem Loch zu tasten, und es in die Berührungen mit einbezogen.
Und als ich dann selbst meinen Finger zwischen seine Pobacken schob und vorsichtig gegen seine Öffnung drückte, stöhnte er so süß, seine Lippen waren noch nah an meinem Ohr und ich liebte den Klang seiner Stimme, wenn er solche Laute von sich gab.
„Tsuzuku …“, kam mir sein Name über die Lippen, während mein Finger weiter zärtlich gegen seinen Eingang drückte, darüber strich, und ich spürte ein süßes, zuckendes Pulsieren darin, ein eindeutiges Zeichen, wie sehr er die Berührung dort unten mochte und genoss.
„Das gefällt dir, oder?“, fragte ich.
„Jaah … Das ist schön … so schön …!“
Und während ich ihn so verwöhnte und spürte, wie er geradezu unter meinen Berührungen zerschmolz und sich hingab, hatte er sich doch immer noch so weit beisammen, dass er für mich dasselbe tun konnte, seine Hand an meinem Po berührte mich ebenso, mit derselben Zärtlichkeit, die mir ebensolches Stöhnen entlockte.
Und war ich heute Vormittag noch so verspannt gewesen, so ging es jetzt ganz leicht. Ich war selbst ein wenig verwundert, nahm es aber so an, dachte nicht weiter darüber nach.
Ich mochte gar nicht mehr aufhören mit diesem Spiel, doch wenn wir noch ein wenig weiter gehen wollten, brauchte es Gleitmittel, und so löste ich mich kurz von meinem Freund, drehte mich um, nahm die Flasche mit besagtem Mittel aus der Nachttischschublade und legte die Taschentücher-Box in Reichweite.
Sogleich war ich wieder bei ihm, flüsterte ihm zu: „Weitermachen …“
Tsuzuku lächelte, küsste mich, nahm mir die kleine Flasche aus der Hand und tat sich etwas von ihrem Inhalt auf die Finger, ich tat es ihm gleich, wir mussten beide aufpassen, dass das glitschige Zeug auch an seinem Bestimmungsort ankam und nicht ganz im Bettzeug landete. Tsu rieb es ein wenig zwischen seinen Fingern, dass es warm wurde, dann fühlte ich wieder seine Berührung an meiner Öffnung, dieses zärtliche und dennoch so bestimmte Tasten, mit dem er den Muskel langsam erweichte und seine Finger hineinschob.
Und ich tat dasselbe für ihn, er war dort unten ganz offenbar ebenso empfindlich und erregbar wie ich, was ich ja inzwischen auch sicher wusste, nach den beiden Malen, die ich jetzt auch schon ihn genommen hatte. Ich spürte deutlich, er liebte dieses gegenseitige Tun, liebte es, mein Inneres zu ertasten und zugleich meine Finger in sich selbst zu spüren, beide Seiten der Medaille Sex, mich zu lieben und von mir geliebt zu werden.
Es war schon nicht ganz einfach, ihn so zu verwöhnen, während er dasselbe mit mir anstellte, immer wieder unterbrach ich die Bewegung meiner Finger an und in ihm, weil er seine so zärtlich und fordernd zugleich in mich drängte, dass es meine Konzentration dahinschmolz.
Und manchmal konnte ich nicht anders, als ihn nur anzusehen, das Spiel der Lust auf seinem Gesicht zu beobachten, was so unbeschreiblich schön aussah.
„Meto …“, sprach er mich an, als ihm meine Hand mal wieder zu still war. „Warum hörst du auf?“
„Ich kann … mich nicht so gut konzentrieren … wenn du das gleichzeitig dasselbe mit mir machst … Das will ich ja auch genießen …“
Tsu lachte leise, küsste mich und fragte dann: „Was machen wir denn da?“
Ich lächelte, hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. „Du kommst zuerst, dann ich?“, schlug ich vor, denn allein die Vorstellung, wie er in meinen Armen zum Höhepunkt kam und ich ihm dabei ins Gesicht sehen konnte, war so absolut verlockend …
„Dann mach. Mach mich ganz verrückt …“, flüsterte er mit leicht rauer Stimme.
„Gerne, mein Schatz.“
Und mit einem Mal küsste er mich, heftig, heiß und berauschend süß, ich spürte seinen aufgeregten, wild klopfenden Herzschlag überall, seine Wärme und dass er gerade sehr glücklich war.
Seinen Kuss erwidernd, drängte ich zugleich meine Finger noch ein wenig mehr in ihn, er erbebte, stöhnte gegen meine Lippen, lauter, als ich in ihm jene erregbarste Stelle fand und dagegen drückte. Ich kannte das Gefühl ja selbst, doch Tsuzuku reagierte noch intensiver und heftiger als ich auf die Berührung dort, sein ganzer zerbrechlicher, zarter, warmer Körper erzitterte, er drückte sich hemmungslos an mich, seine Hand an meinem Hintern packte zu, zog mich an ihn, und für einen Moment waren wir so nah, so eng, dass wir eins wurden, verschmolzen, ohne dass wir im eigentlichen Sinne miteinander schliefen.
Aber das hier genügte vollkommen, und als ich den Kuss kurz löste und ihn ansah, war da dieser unbeschreiblich schöne Ausdruck auf seinem Gesicht, der noch ein bisschen schöner wurde, als ich wieder die süße Stelle in ihm drückte, er schrie auf und kam, und als ich seinen Samen zwischen uns spürte, küsste ich ihn wieder, was sich so anfühlte, als ob einen Moment lang jede Grenze zwischen uns komplett aufgelöst wurde.
Schwer atmend und mit hämmernden Herzen blieben wir eine Weile so liegen, wollten beide noch nicht recht zurückkehren aus diesem Gefühl von eins-sein, und so blieben wir noch ein wenig darin, ich war ja noch nicht gekommen.
„Liebster …“, flüsterte Tsuzuku mit ganz weicher Stimme in mein Ohr, küsste mich und schob seine Hand dann zwischen uns, umfasste mein Glied, ich stöhnte auf.
Ich barg mein Gesicht an seiner Halsbeuge, auf der Seite, wo das tätowierte Herz seine Haut zierte, und fühlte seine wundervollen, heißen Hände, die mich ganz gezielt geradezu verrückt machten, die eine immer noch an meinem Loch, die andere um mein Glied.
„Meto …“, hörte ich seine gefühlvolle Stimme sanft flüsternd an meinem Ohr, „…mein Süßes …“
Er schien regelrecht betrunken vor Liebe, sodass ich mir beinahe schon wieder Sorgen machte. Aber ich sagte und tat nichts, wollte den Fluss seiner Gefühle so fließen lassen, das war vermutlich besser, als wenn ich ihn jetzt wieder auf den Boden geholt hätte. Er war in diesem Moment glücklich und das war gut so.
„Ich liebe dich auch“, sprach ich leise, und er küsste mich auf meine Halsbeuge, leckte zärtlich über meine Haut. „Und jetzt mach, Tsu, bring mich zum Kommen.“
Das musste ich ihm nicht zweimal sagen. Er war gut darin, sehr gut, seine Hände kannten meinen Körper, taten genau das, was ich am liebsten mochte, und als ich stöhnend kam, mich über seine warme Hand ergoss, schien er das ebenso zu genießen wie ich.
Danach lagen wir noch zusammen da, irgendwann löste ich mich vorsichtig von ihm, griff nach den Taschentüchern. Tsu gab ein unwilliges Brummen von sich, als ich ihn losließ, und als ich ihn fragend ansah, sagte er leise: „… Fühlt sich immer bisschen … einsam an, wenn du mich loslässt …“
„Ach, mein Herz …“, sagte ich, während ich die glitschigen Spuren unserer Lust beseitigte. „Ich kann dich doch nicht vierundzwanzig Stunden im Arm halten.“
„Ich weiß …“, antwortete er. „Ich sag nur, wie es sich anfühlt …“
Ich stand auf, warf die benutzten Taschentücher weg und kam dann zu ihm zurück, legte mich nah neben ihn.
„Ich hätt’s dir nicht sagen sollen …“, sagte Tsuzuku leise und blickte hoch an die Decke. „Du kannst ja nichts daran ändern, dass ich so fühle …“
„Nein, da hast du Recht, das kann ich nicht ändern. Aber es ist trotzdem gut, dass du es sagst“, sagte ich. „Tsu, ich will, dass du mir immer sagst, wenn was los ist. Wenn ich nichts weiß, fühle ich mich nur noch hilfloser.“ Ich beugte mich über ihn, drückte einen lieben Kuss auf seine Lippen, strich durch sein schwarzes Haar.
Er schmiegte sich an mich, griff in meinen Nacken und forderte einen weiteren Kuss ein, den ich ihm liebend gern gab, und auf einmal erschien er mir wieder wie ein zerbrechliches Kind, was meinen Beschützerwunsch weckte.
Ich nahm ihn in meine Arme, zog ihn nah an mich, Haut an Haut, er vergrub sein Gesicht an meinem Hals und so blieben wir, bis erst er einschlief und dann ich.
Mein Traum in dieser Nacht war dunkel, ein leerer Raum mit nur einem einzigen, schmalen Lichtstrahl. Tsuzuku und ich saßen zusammen auf dem kalten Boden, er lag in meinen Armen, ich spürte seine große Angst. Und als sich dunkle, böse Schattenwesen von den Wänden lösten und den verängstigt weinenden Mann in meinen Armen bedrohten, umarmte ich ihn fester, schützte ihn mit meinem Körper und schrie die Schatten an, sie sollten verschwinden, ihn in Ruhe lassen!
Er hatte es nicht verdient, so zu leiden, warum ließen sie ihn nicht in Ruhe?! Warum quälten sie den liebsten, süßesten Menschen, den ich in meinem Leben hatte, so sehr?! Warum musste er, der so lieb und verletzlich war, solche Schmerzen erleiden, während andere, die ohne Einsicht anderen weh taten und sich auch nicht ändern wollten, ungestraft davon kamen und auch noch auf ihn herunterschauten!?
Ich fuhr aus dem Schlaf hoch, realisierte, dass ich im Bett lag und er neben mir, er schlief tief und fest und sah ganz süß und weich aus. Ich streckte die Hand aus und strich ihm vorsichtig die schwarzen Strähnen aus dem Gesicht, tupfte meine Lippen auf seine Wange.
Es war mitten in der Nacht und ich wollte ihn nicht wecken, widerstand der Versuchung, ihn wach zu küssen, stattdessen schmiegte ich mich einfach an ihn, zog die Bettdecke wieder hoch, sodass wir es schön warm hatten, und war dann auch bald wieder eingeschlafen.
Als ich aufwachte, war Tsuzuku nicht mehr bei mir im Bett. Zuerst dachte ich, er war vielleicht schon in der Küche und rauchte, aber dann hörte ich ein eigenartiges Geräusch aus dem Bad, eines, das mich bedrohlich an eine frühere Zeit erinnerte …
Ich sprang auf, lief über den Flur zum Bad und riss die Tür auf, und da saß er, mit nichts als Shorts bekleidet, auf dem Boden vor der Toilette. Mit der einen Hand hielt er sein Haar zusammen, die andere hatte er auf sein Herz gepresst, so als ob es ihm wieder sehr wehtat, kurz sah er mich an, dann würgte er wieder und erbrach.
„Tsu, hey, was ist passiert?“, fragte ich und kniete mich zu ihm auf den Boden.
„Ich … weiß nicht … mir ist so schlecht … und mein Herz tut so weh …“, antwortete er mit heiserer Stimme. „Ich hab … nicht mal was gegessen …“
Ich legte meine Hand auf seinen Rücken, streichelte ein wenig, spürte, wie er krampfte, und als er wieder erbrach, sah ich, es war nur Schleim.
„War dir zuerst schlecht oder hat zuerst dein Herz wehgetan?“, fragte ich.
Er zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht …“ Sein Körper unter meiner Hand spannte sich sehr an, und einen Moment später hörte ich ihn schmerzvoll aufkeuchen, ich nahm ihn sofort ganz in meine Arme und legte meine Hand auf die seine auf seinem Herzen. Er lehnte sich an mich, kraftlos und kaputt, hatte Tränen in den Augen, und ich wiegte ihn ein wenig in meinen Armen, streichelte über seinem Herzen, küsste ihn aufs Haar.
Eine Weile saßen wir so auf dem Badezimmerboden, dann fragte ich leise: „Wollen wir nicht ins Schlafzimmer zurück?“
„Und dann?“
„Es ist noch früh genug, wir können noch ein bisschen liegen. Und dann können wir immer noch schauen, ob du heute arbeiten kannst oder nicht.“
„Ich bin doch gestern schon eher weggegangen … Wenn ich so weiter mache, bin ich den Job bald wieder los …“
„Dann gehst du heute arbeiten. Aber vorher können wir noch ein bisschen kuscheln, vielleicht geht’s dir dann auch besser, hm?“
Wir gingen also ins Schlafzimmer zurück, legten uns wieder hin, ich nahm ein Taschentuch und wischte Tsu damit die letzten Tropfen Schleim vom Mund weg, dann nahm ich ihn wieder in meine Arme und hielt ihn, ab und zu streichelte ich ihn über dem Herzen.
„Meto?“, sprach er mich irgendwann leise an, „Ich weiß, du willst nicht, dass ich das so frage … aber ich versteh es einfach nicht: Was an mir liebst du?“
„Verstehst du das wirklich nicht?“, fragte ich, aber nicht vorwurfsvoll, sondern sanft und besorgt. Ich wusste, ich durfte ihm seinen Selbsthass nicht vorwerfen, das würde ihm nur wehtun, nichts helfen.
Er schüttelte auf meine Frage hin den Kopf. „Nein …“
Ich sah ihn an, sah den Schmerz und die Selbstabwertung in seinen Augen, und die Angst. Ich griff in seinen Nacken, hob mit dem Daumen sein Kinn leicht an, sodass er mich ansehen musste, und bevor ich zu sprechen begann, wägte ich meine Worte genau ab, damit ihn nichts davon verletzte.
„Tsuzuku, kannst du dich noch daran erinnern, wie wir uns damals kennen gelernt haben?“, fragte ich, und er nickte. „Und weißt du noch, dass ich davor ganz allein gewesen war? Ich hatte niemanden, ich war so kurz davor, mich für den Rest meines Lebens in mein Zimmer einzuschließen. Weißt du noch, dass dieser Tag damals, als wir auf dem Stadtfest zusammengestoßen sind, für mich mein letzter Versuch sein sollte, doch noch jemanden zu finden, mit dem ich sprechen kann? Tsu, du hast mich damals gerettet. Mit dir konnte ich sprechen, irgendwie hast du es geschafft, dass ich es wieder konnte, reden, ohne diesen Sprachfehler. Du warst da und mein Entschluss, dir zu helfen, hat mir den Glauben an mich selbst zurückgegeben. Jedes Mal, wenn ich es geschafft habe, dir ein noch so kleines Lächeln zu entlocken, war das das Größte für mich und ist es immer noch. Ich bin eben so, ich bin ein Altruist, ich liebe es, dich zu lieben und glücklich zu machen. Und außerdem … bist du so ein liebevoller, wunderschöner, faszinierender Mensch, Tsuzuku, auch wenn du das selbst nicht so sehen kannst.“
Er sah mich an und ihm war anzumerken, dass er versuchte, meine Worte in sich aufzunehmen. Ich wusste, er glaubte mir, nur schien zwischen ‚glauben‘ und ‚verstehen‘ ein großer Unterschied zu bestehen. Er glaubte mir, warum ich ihn liebte, aber er verstand es nicht, es drang nicht bis dorthin vor, wo es hin musste in ihm.
Und mit einem Mal weinte er wieder, es ging so schnell, von einem Moment auf den anderen klammerte er sich bitterlich weinend an mich, flüsterte tränenerstickt: „Meto … ich … ich will es verstehen … ich will verstehen, warum du … mich liebst … aber … ich kann’s nicht … Ich seh’s nicht … ich sehe nicht, was … an mir liebenswert sein sollte … Was an mir ist so … dass du … es liebst … mich liebst?“
Ich wusste nicht, was das Richtige zu antworten war. Würde er sehen, was an ihm liebenswert war, wenn ich es ihm jetzt ganz genau sagte, oder würde es ihn wieder nicht richtig erreichen? Und so umarmte ich ihn einfach, drückte ihn ganz fest an mich und flüsterte nur in sein Ohr: „Vertrau mir, Tsuzuku … Bitte, vertrau mir, dass ich dich liebe.“
Er weinte noch ein wenig, irgendwann beruhigte er sich wieder, löste sich aus meiner Umarmung und stand auf.
„Was machst du jetzt?“, fragte ich.
„Ich geh duschen“, antwortete er, sah mich einen Moment lang einfach an und lächelte dann. „Oder willst du mitkommen?“
Ich lächelte zurück. „Immer gern, mein Schatz.“
Das gemeinsame Duschen war dann wieder so schön wie immer, warm und zärtlich, wir wuschen uns gegenseitig und dazwischen küssten wir uns, wobei ich dann auch sein neues Tattoo mal richtig als neuen Teil seines Körpers ‚begrüßte‘ und mit ein paar lieben Küsschen bedachte.
Nach dem Duschen und der darauf folgenden Morgenroutine machte ich Frühstück, allerdings nur für mich allein, weil Tsu schon zuvor gesagt hatte, dass er sich heute wirklich nicht traute, etwas zu essen, nachdem ihm vorhin so schlecht gewesen war. Aber ich überzeugte ihn, statt der Zigarette eine Tasse schwarzen Tee zu trinken, was er auch tat, und ich buchte das mal als Erfolg.
Nach dem Frühstück gingen wir zusammen raus, zur Bahn, und auf dem Bahnsteig umarmte ich ihn, streichelte seine Wange, sah ihm in die Augen und sagte: „Pass heute schön auf dich auf, mein Herz, und heute Abend machen wir es uns schön, okay?“
„Wie schön?“, fragte er.
Ich küsste ihn, und mir war egal, ob es jemand sah. „Wunderschön. Gemütlich und warm und mit ganz viel Liebe. Und wenn du dich heute mal nicht gut fühlst, dann denk ganz fest daran, dass du heute Abend wieder mit mir schlafen kannst, und freu dich darauf. Ich versprech’s dir, heute Abend wird schön.“
Tsuzuku strahlte mich an, dann drückte er mich ganz fest an sich. „Meto, ich liebe dich!“
Dann nahm er die Bahn in Richtung Studio und ich die nächste zum Café.
Bis zum Mittag lief dann alles so wie immer. Koichi und ich hatten alle Hände voll zu tun damit, die Mädchen (und gelegentlich auch auftauchenden männlichen Gäste) zu bedienen. Satchan hatte eine Neuerung eingeführt, sie hatte ein paar Instant-Kameras angeschafft und ab sofort bot das Café Sofortbilder von uns Mitarbeitern zum Verkauf an. Das brachte den Laden ganz schön in Schwung und sorgte dafür, dass wir unsere Mittagspause dann auch wirklich brauchten.
Während der Arbeit hatte ich keine Gelegenheit gehabt, auf mein Handy zu schauen, und so fand sich, als ich es in der Pause hervorholte, eine Nachricht von Tsuzuku darauf:
„Meto, mein Liebster, es funktioniert wirklich! Ich denke die ganze Zeit an dich, fühle, dass du mich liebst, und ich freue mich so wahnsinnig auf heute Abend! Ich hab mir was ausgedacht, weißt du, wir machen unser Erstes Mal sozusagen nochmal, was hältst du davon? Nur schöner und besser und so, dass dir morgen früh nicht so der Hintern weh tut. Und ich hab noch was für dich, was Schönes, eine Überraschung, die siehst du dann. Ich liebe dich. Tzk“
Ich lächelte, drückte mein Handy an meine Brust, hob es dann an meine Lippen und hauchte einen Kuss auf die Nachricht, dann schrieb ich zurück: „Das ist wirklich schön, mein Herz, fühl dich ganz und gar geliebt von mir, denn das tue ich, ich liebe dich. Und ich freu mich auch schon auf heute Abend, das wird ganz bestimmt total schön. me+0“
„Na?“, fragte Koichi neben mir und grinste. „Ist Tsuzuku mal wieder zum Turteltäubchen mutiert?“
Ich musste lachen. „Ja, anscheinend schon.“
„Ich find’s immer noch total schön, das mit euch beiden.“
„Gestern hatten wir nen ziemlichen Streit …“, sagte ich und erinnerte mich kurz daran, an den Knall gestern Mittag. „Und heute Morgen hab ich Tsu mit Herzschmerzen im Bad gefunden. Aber jetzt geht’s ihm wieder gut und das zählt.“
Koichi sah einen Moment lang besorgt und nachdenklich aus, dann lächelte er. „Ja, da hast du Recht. Das zählt, die Momente, wenn es ihm gut geht. An die schlechten Dinge denkt er selber viel zu viel, das müssen wir nicht auch noch tun.“
Der Nachmittag ging ebenso mit Arbeit herum, und erst, als ich in der Bahn zurück nach Hause saß, schaute ich wieder auf mein Handy und fand eine Reihe von Nachrichten vor, die Tsuzuku mir seit dem Mittag geschrieben hatte:
„Meto, ich freu mich so auf nachher!“ und „Liebster, ich werd dich zu Boden knutschen!“ und „Komm, antworte mir, dass dein süßes kleines Loch sich schon auf meinen Schwanz freut, Baby!“
Ich wurde nicht mal mehr rot bei diesen eindeutigen Worten, zu sehr freute ich mich selbst darauf, nach Hause zu kommen, von ihm empfangen zu werden und mit ihm zu schlafen, ich hatte keinen Zweifel daran, dass er mich schon erwartete und sich geradezu auf mich stürzen würde.
Den Weg von der Bahnstation nach Hause lief ich schnell, mein Herz klopfte aufgeregt und ich spürte, wie sich vorfreudige Erregung in mir breit machte. Und als ich die Treppen hoch gelaufen war und unsere Wohnungstür öffnete, war da zwar ein kleiner Moment der Angst, dass mich drinnen vielleicht doch ein niedergeschlagener Tsuzuku erwartete, doch diese Angst wurde augenblicklich vertrieben, denn er kam mir gleich entgegen, strahlte vor Freude, umarmte und küsste mich.
„Du hast mir gar nichts geantwortet, Baby“, flüsterte er, klang aber überhaupt nicht traurig oder sauer. Viel mehr klang seine Stimme nach einem verspielten Schnurren, und das, was er dann sagte, machte die Sache eindeutig: „Das kann ich dir so nicht durchgehen lassen, mein Lieber, das gibt eine saftige Strafe.“
Ich spielte mit, sah ihn mit großen Augen an und fragte: „Was für eine Strafe?“
Er lächelte selbstsicher. „Das erfährst du noch früh genug.“ Und dann küsste er mich wieder, fordernd und beinahe ein wenig grob vor Verlangen, drängte mich dabei rückwärts in Richtung Schlafzimmer.
Auf dem Bett war schon alles vorbereitet, die Decke war beiseite geschlagen und auf dem Laken lagen neben der Flasche mit dem Gleitgel auch die Sprayflasche und der Plug.
„Eigentlich wollte ich es ja heute ohne die Handschellen … Aber da du nicht brav warst, Meto-chan, und mir einfach nicht zurück geschrieben hast, muss ich jetzt ein wenig umplanen, damit du deine Strafe bekommst.“ Tsuzuku sah mich an, zuerst gespielt streng, ganz in seiner Rolle, dann einen kurzen Moment lang ernst fragend, er wollte sichergehen, dass ich auch wirklich mitspielen wollte und er mich zu nichts zwang.
Ich nickte leicht, wie ein Schauspieler, der unauffällig und ganz kurz aus der Rolle fiel, so dass die Kameras es nicht bemerkten. Dieser Moment war ein aufregendes Spiel, Tsuzuku und ich spielten beide gern, und nachdem wir uns nun gegenseitig versichert hatten, dass wir beide dasselbe wollten, ging es weiter, das Liebesspiel.
Tsu ging zum Nachtschrank und nahm die Handschellen heraus, ich zog mich derweil aus, und als ich bis auf die Shorts nackt war, kam er auf mich zu, drängte mich mit einem weiteren Kuss zum Bett, bis ich darauf saß und er sich über meine Beine kniete. Er lächelte mich an, legte die Handschellen neben mir ab und griff dann mit beiden Händen in meinen Nacken, um mich wild und ungehalten zu küssen.
Seine weichen, wundervollen Lippen pressten sich fordernd auf die meinen und seine gespaltene Zunge drängte heiß in meinen Mund, traf auf die meine und lud sie zum Spielen ein, worauf ich liebend gern einging, doch heute nicht so ebenso fordernd wie er, sondern empfangender, ich wollte dieses Mal wieder mal ein bisschen devot sein.
Mit einem Mal unterbrach er den Kuss, sah mich an, grinste und griff dann einfach in meinen Schritt, zog den Bund meiner Shorts ein wenig vor und sah hinein, während seine Hand meinen Rücken hinab wanderte und hinten in meine Shorts schlüpfte. Das selbstsichere Grinsen auf seinen Lippen, der verspielte Schalk in seinen braunen Augen, das war er wieder, der selbstbewusste, starke, und vor allem glückliche Tsuzuku, der genau wusste, was er wollte, und den ich von allen seinen vielen Facetten am allermeisten liebte.
„Dein süßer Schwanz freut sich ja schon auf mich“, sagte er, unverblümt und liebevoll zugleich. „Er wird schon ganz rot vor Freude. Aber es tut mir leid, ihn enttäuschen zu müssen, heute darf er nicht rein.“ Mit diesen Worten schob er an meinem Hintern seine Finger zwischen meine Pobacken und ertastete meinen Eingang, der bei dieser Berührung sofort ein wenig zu zucken begann. „Ahh, sehr gut, da freut sich auch schon was auf mich. So ein süßes, kleines, heißes Loch … ob es ihm wohl gefallen wird, wenn ich heute ganz besonders lieb zu ihm bin?“
„Ganz bestimmt“, sagte ich leise und seufzte gleich darauf, ob der bestimmenden und dabei so zärtlichen, liebenden Berührung dort.
Tsuzuku stand wieder auf, bedeutete mir, dass ich weiter aufs Bett rutschen sollte, und zog mir dann einfach die Shorts aus, sodass ich ganz nackt vor ihm lag. Er blieb einen Moment stehen und sah mich an, mit diesem selbstsicheren Lächeln auf dem Gesicht, dann begann er, sich selbst auszuziehen.
Danach kam er, jetzt selbst komplett nackt, zu mir aufs Bett, hatte die Handschellen in der Hand und ich hob meine Arme über meinen Kopf, damit er sie mir anlegen konnte. Während er meine Hände fesselte, sah ich seinen Körper an, ließ meinen Blick von seiner schmalen Brust mit den Tattoos und den gepiercten Nippeln über seinen flachen Bauch mit dem Bauchnabelpiercing bis zu seiner Körpermitte wandern, wo sein erregtes, steifes Glied, sein weniges Schamhaar und sein Hoden, dem die Lust ebenso anzusehen war, meine Aufmerksamkeit für sich einnahmen.
Er lächelte, als er meine Blicke bemerkte, und küsste mich. „Gefällt er dir, mein Schwanz?“
„Weißt du doch“, antwortete ich und lächelte ebenso. Tsuzukus Hand drückte die Kette der Handschellen ins Kissen, sodass ich mich von ihm dominiert fühlte, und die Art, wie wir miteinander sprachen und welche Worte er wählte, waren zu gleichen Teilen Spaß, Erregung und Liebe.
„Warum haben wir damals eigentlich kein Bett mit Stange am Kopfende gekauft?“, fragte er dann und bewegte sich dabei in Richtung Fußende, wo er sich zwischen meinen Beinen, die ich bereitwillig spreizte, niederließ.
„Es gab keins“, antwortete ich.
„Schade.“ Er grinste wieder. „Wirklich schade.“
„Ich kann mich ja an den Kissen festhalten“, sagte ich.
„Das wirst du auch müssen, Baby. Denn ich werde jetzt etwas tun, das dich hoffentlich total verrückt macht, so sehr, dass deine Hände Halt brauchen.“ Tsuzuku grinste wieder, leckte sich dann lasziv über die Lippen und legte dabei kurz die beiden Spitzen seiner Zunge übereinander, zeigte mir, dass ihn diese selbstgeschaffene Anomalie seines Körpers mit Stolz erfüllte.
Er sah mir einmal betörend tief in die Augen, seine Hände griffen an meine Hüfte und mit einem Mal fand ich mich auf dem Bauch liegend wieder, er hatte mich einfach umgedreht. Und kaum hatte ich mich wieder zurechtgefunden, spürte ich eine weiche, warme Berührung an meinem Hintern, erkannte erst eine Sekunde später, dass es sich um Tsuzukus Lippen handelte, die meine Pobacken mit zärtlichen Küsschen bedachten.
Ich seufzte erregt, und dann fiel mir wieder ein, was er in unserer Liebesnacht letztens getan hatte, es hatte mich wirklich verrückt gemacht und war doch so unglaublich schön gewesen.
Eben jenes war er jetzt im Begriff wieder zu tun, er gab ein leises „Mmmh“ von sich, einen Laut von Hunger und Genuss, hauchte noch ein Küsschen auf meine Pobacke und dann spürte ich seinen Finger dazwischen tasten, mich ein wenig säubern, falls notwendig. Er schien zufrieden mit mir, ließ erneut ein „Mmmmh …“ vernehmen und nun waren es sein Atem und sein Gesicht, die ich an meinem Hintern spürte, ehe er die Ritze mit seiner Hand ein wenig spreizte und ich seine warmen, göttlichen Lippen an meinem längst vorfreudig zuckenden Eingang fühlte.
Ich stöhnte laut auf, selbst von der Intensität der Berührung überrascht, es war so heiß und intim, noch intimer als wenn er mit seinem Glied in mich eindrang. Und als ich seine Zunge dort spürte, diese süße, zärtliche, einzigartige Zunge, die frech und spielerisch gegen mein Loch stupste und dann sogar ein wenig hineindrängte, da musste ich schreien, meine Hände ins Kissen krallen, die Augen schließen, meinen Rücken durchbiegen und meinen Körper reibend ins Laken drücken.
„Tsu…zuku … oh Gott … aahhhh …!“
„Wie du das liebst … du bist so süß … so wahnsinnig süß …!“, antwortete er, um sogleich damit fortzufahren, mich an meinem Hintern um den Verstand zu küssen …
Als er schließlich damit fertig war, war ich komplett willig, heiß und verrückt im Kopf, und dort unten allein von seinem Speichel schon so feucht, dass es eigentlich keines Gleitgels mehr bedurfte. Er nahm trotzdem noch welches dazu und griff sich dann außerdem noch das Spray.
„So, das war die Strafe, mein Süßer“, sprach er und ich war mir sicher, dass er lächelte. „Bist du jetzt schön verrückt und entspannt, sodass wir zum nächsten Teil übergehen können?“
Ich nickte, drehte den Kopf zu Seite und sah ihn an. Irgendwann, während seine Lippen und Zunge mich sehr gekonnt und überzeugend für mein Nicht-Beantworten seiner liebestollen Nachrichten bestraft hatten, war mir ein wenig die Sprache abhandengekommen und so nickte ich nur.
„Sehr gut“, erwiderte er und gleich darauf spürte ich den kühlen Sprühnebel aus der Sprayflasche, wie sich die unzähligen winzigen Tröpfchen um meinen Eingang verteilten.
Die Zeit, bis sich der versprochene Entspannungseffekt einstellte, nutzte Tsuzuku, um unter meinen Körper zu greifen, zwischen meinen Beinen, und meinem erregt pochenden Glied ein wenig Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Er massierte es, zärtlich und fordernd zugleich, seine warmen Hände wussten genau, was sie zu tun hatten, spielten mit meiner Vorhaut und Eichel, sodass ich wiederum laut stöhnte, wieder und wieder, bis er hatte, was er wollte: Meinen Lusttropfen, den er verrieb und dann seine Hand an seine Lippen hob und ableckte.
Als er dann wieder nach meinem Loch tastete, war es ganz weich und locker, nahm seine Finger sofort auf, sodass er schon einen Moment später meine Prostata gefunden, gedrückt, und mir so einen ekstatischen Schrei entlockt hatte.
„Meto …“, flüsterte er verführerisch meinen Namen, „Erlaubst du, dass ich jetzt ein wenig egoistisch bin und dich gleich nehme, ohne noch mehr Vorspiel und ohne den Plug?“
„Klar“, antwortete ich, meine Stimme klang schon ganz weich. „Mach’s wie damals, bei unserem Ersten Mal, nimm mich mit deinem ganzen Verlangen, und leg deine Hände auf meinen Rücken, stoß so in mich, sei der selbstsichere, verrückt verliebte Tsuzuku, den ich so sehr liebe.“
Ich hörte ihn lachen, er klang so glücklich und sicher, und dann senkte er sich auf mich nieder, stützte seine Hände zuerst noch rechts und links neben mir ab, während er in mich eindrang, sein heißes, hartes Glied in mein weiches, ebenso heißes Inneres drängte. Er schrie auf, seine schöne Stimme erbebte vor Ekstase, und sein Körper stieß sogleich zu, schnell und zuckend, ließ mich augenblicklich ganz dahinschmelzen und in seinem Rhythmus aufgehen.
„Nimm mich …“, kam es mir über die Lippen. „Komm, nimm mich ran … leb es aus … die ganze Vorfreude, die ich dir seit heute Morgen versprochen habe …! Tsuzuku, ich liebe dich, und ich liebe es, wenn du so bist, so glücklich und selbstsicher und geil.“
Seine Antwort war ein unglaublich süßer, zärtlicher Kuss in meinen Nacken, dann legte er seine großen, warmen, wundervollen Hände auf meinen Rücken, drückte mich mit seiner Kraft und dem Gewicht seines Körpers in die Matratze und begann, richtig in mich zu stoßen, sich wieder und wieder erst ein wenig rauszuziehen, um dann erneut in mich zu drängen, so hart und glühend heiß, dass ich mich ganz zerschmelzend fühlte.
Ich stöhnte haltlos, gab mich ihm vollkommen hin, während er seine Lust laut herausschrie, dabei immer tiefer in Ekstase versank, tiefer in mich drängte, zuckte und bebte, mehr und mehr und mehr, bis er mit einem atemlosen Lustschrei zum Höhepunkt kam und seinen Samen erbebend in mein Inneres ergoss.
Keuchend sank er auf mich, ich spürte seinen hämmernden Herzschlag ebenso wie meinen eigenen, seinen heißen Atem in meinem Nacken und seine nassgeschwitzte Haut auf meiner, hörte die süßen, glücklichen Laute, die er von sich gab, weil die Lust noch ein wenig weiter durch seinen Körper flutete. Noch war sein Glied nicht wieder weich, noch zuckte es in meinem Innern, und das genügte, damit ich, als er noch einmal ein wenig stieß, selbst auch endlich zum Höhepunkt kam.
„Ich liebe dich … mein Meto … du bist meiner, ganz allein meiner …“, flüsterte Tsuzuku danach, seine Hände streichelten meine Seiten. „Willst du mir gehören, für immer?“
„Ja“, antwortete ich. „Das will ich.“
Er richtete sich langsam auf, zog sich vorsichtig aus mir zurück, berührte meine gefesselten Hände und ließ sich dann neben mich sinken, öffnete die Handschellen und nahm meine Hand in die seinen. Er sah den Ring an meinem Finger an, den Verlobungsring, fuhr zärtlich mit dem Zeigefinger über das Silber und den kleinen Diamanten und drückte dann liebevoll seine Lippen darauf.
Zuerst sah es so aus, als wollte er noch etwas sagen, doch dann schüttelte er lächelnd den Kopf, küsste mich auf den Mund und stand dann auf einmal auf, lief nackt rüber ins Wohnzimmer und kam mit einem Blatt Papier in der Hand zurück.
„Ich hatte dir eine Überraschung versprochen, und hier ist sie“, sagte er und legte sich wieder zu mir, sodass ich sah, das Blatt war beschrieben, kurze Zeilen in Tsuzukus Handschrift, drum herum gemalt sah ich kleine rote Herzen.
„Und was ist das?“, fragte ich.
„Ich hatte dir mal ein Liebesgedicht versprochen, weißt du noch?“
Ich nickte, lächelte, und er hielt mir das Blatt einfach hin. „Lies, Meto.“
Ich wusste es nicht mehr ganz genau, aber möglicherweise war es das erste Mal, dass ich ein Gedicht las, das Tsuzuku selbst geschrieben hatte. Seine Worte waren dieselben, die er auch benutzte, wenn er mir seine täglichen Liebeserklärungen machte, er benutzte dieselben Koseworte und auch sonst trug dieses Gedicht seine unverkennbare Handschrift.
Während ich es las, und gleich noch ein zweites Mal las, sah er mich erwartungsvoll an, und ich spürte seine Liebe zu mir ganz stark und intensiv.
Wärm‘ mich, meine Sonne,
dass ich nicht vor Kälte sterbe.
Halt mich, mein Liebster,
dass mein Herz nicht noch mehr zerbricht.
Lieb mich, mein Süßes,
dass ich weiß, wer ich selbst bin.
Ohne dich
zerbreche ich,
verliere mich,
erfriere im Dunkeln.
Küss mich, süßer Mund,
dass mir warm wird.
Umarme mich, du meine Stärke,
dass ich nicht falle.
Sei immer bei mir, Liebster,
dass ich weiß, du verlässt mich nicht.
„Tsuzuku … mein Gott, das ist so schön …!“, kam es mir schließlich leise über die Lippen, und ich umarmte ihn. „Danke, mein Herz, vielen Dank!“
„Gefällt’s dir?“, fragte er, ein wenig unsicher.
„Ja, sehr. Mir hat noch nie jemand ein Gedicht geschrieben … und schon gar kein so schönes.“
„Ich hab das heute Morgen bei der Arbeit geschrieben, ich konnte an nichts anderes mehr denken, bis ich es fertig hatte“, sagte er. „Meto, du hast mich heute so glücklich gemacht! Ich kann kaum glauben, dass das funktioniert hat, ich hab wirklich immer an dich gedacht, und als es in mir fast wieder dunkel werden wollte, da hab ich ganz fest dran gedacht, dass wir heute Abend miteinander schlafen werden, und das hat wirklich geholfen …“
„Das ist wirklich schön“, antwortete ich und kuschelte mich an ihn. „Das ist nämlich genau das, was ich will: Dass du glücklich wirst.“
Kurz dachte ich an den Schreck von heute Morgen, als es Tsuzuku so schlecht gegangen war, und ich war überglücklich, dass dieser Tag ein so schönes Ende genommen hatte, Tsu sich so geliebt von mir fühlte, selbst so glücklich war.
[zwei Tage später]
Ich hatte mich mit Meto getroffen, recht früh am Morgen, und wir waren zusammen frühstücken gewesen in der Innenstadt. Tsuzuku war da noch nicht dabei, er hatte einen Termin in der psychiatrischen Klinik, es ging wohl um die Möglichkeiten von Notfallmedikamenten, und danach holten Meto und ich ihn von dort ab.
Gestern hatte ich bis tief in die Nacht hinein erst Webseiten gewälzt und dann hatten wir zu dritt lange gechattet, es ging um die bevorstehende Hochzeit der beiden, das ganze Drum und Dran, von der Kontaktaufnahme mit dem besonderen Tempel in Kyoto bis zu der Suche nach einem schönen Hotel und nicht zuletzt auch der Frage der Ringe und der hübschesten Kleidung für diesen möglichst schönsten Tag im Leben.
Meto tendierte in dem Punkt zwar zum Kleid, war sich aber auch noch nicht komplett sicher, und obwohl Tsuzuku sich für sich selbst ganz klar für einen dunklen Anzug ausgesprochen hatte, lohnte es sich doch, dass wir Kyotos teuren Shoppingmeilen einen Besuch abstatten würden. Schließlich waren ja beide (so wie ich eben auch) Anhänger des Visual Kei und da ließen sich sowohl ‚Kleid‘, als auch ‚dunkler Anzug‘ als Begriffe sehr weit fassen, es gab unzählige Möglichkeiten und die galt es zu konkretisieren.
Und so waren wir zu dem Schluss gekommen, heute einfach mal nach Kyoto hinzufahren, uns alles Notwendige genau anzuschauen, schon mal in dem Tempel vorzusprechen und einfach mal anzufangen, das Ereignis in die Wege zu leiten, auch wenn das genaue Datum noch nicht hundertprozentig feststand.
Meto hatte Ruana dabei und auf dem Weg zur Klinik unterhielt ich mich irgendwie ein wenig mit ihr, erfuhr, dass sie für Meto sowohl sein ‚Baby‘ als auch eine Art ‚Kindheitsfreundin‘ war, und dass wohl auch Tsuzuku für Ruana ein familiäres Gefühl entwickelt hatte.
„Irgendwie hast du ja zwei Babys, oder?“, fragte ich, sah Meto an und wies unauffällig auf die von mir aus rechte Seite seiner Brust, wo unter dem Ausschnitt seines Shirts ein Teil seines bunten Embryo-Tattoos herausschaute.
Meto lächelte, schüttelte aber den Kopf. „Nein, das bin ja ich, das Baby von dem Tattoo. Da ist Tsuzuku viel eher mein zweites Baby, zumindest dann, wenn er sich von mir füttern lässt …“
Ich lachte, aber es war nett gemeint. Denn so wirklich wunderten mich diese vielen kleinen, verrückten Details dieser Beziehung schon lange nicht mehr. Klar, ich sah, dass das alles nicht alltäglich war, dass sowohl Tsuzuku als auch Meto ausgeprägte Eigenheiten hatten, die ihnen bestimmt so schnell keiner nachmachte, aber in meinen Augen machte gerade das, die Kombination dieser beiden so ganz besonders besonderen Menschen mit ihren ganz eigenen Wesenszügen und Ideen, das Wunderschöne an ihrer Beziehung aus.
Dass Tsuzuku Meto so wahnsinnig liebte und Meto ihn seinerseits ganz so annahm, wie er war, wie sie einander so weit ähnelten, dass sie die Verrücktheiten des jeweils anderen weitgehend verstanden, und zugleich so verschieden waren, dass Meto Tsuzuku auch beschützen konnte … Ich konnte einfach nicht anders, als das unglaublich toll zu finden!
Wir erreichten die Klinik und ich sah schon von weitem, wie Tsuzuku in der Raucherecke vor dem Eingang saß, rauchte und auf uns wartete. Als wir näher kamen, stand er auf, und ich versuchte wie immer, in seinem Gesicht zu lesen, wie es ihm gerade ging.
Manchmal waren seine Augen fast wie ein offenes Buch für mich, dann war es ganz leicht, ihm Gefühle oder teilweise sogar Gedankengänge anzusehen und herauszufinden, wie er sich fühlte und was er brauchte. Manchmal aber auch nicht, dann verschloss er sich, vielleicht bewusst oder oft sicher auch ohne es selbst zu merken, und es fiel mir dann deutlich schwerer, ihn zu lesen.
Aber heute war sein Blick zuerst ganz offen und entspannt. Nachdem wir uns begrüßt hatten, wobei er mir einfach kumpelhaft auf die Schulter klopfte und Meto deutlich inniger berührte, wenn auch nur kurz, da wir uns in der Öffentlichkeit befanden und es eben leider immer noch auffiel, wenn man sich auf offenen Plätzen umarmte und küsste, machten wir uns auf den Weg zum Hauptbahnhof.
Am Bahnhof mussten wir ein wenig warten, bis der Shinkansen nach Kyoto einfuhr, wir holten die Tickets und setzten uns dann auf eine Bank am Bahnsteig. In der Wartezeit fragte ich Tsuzuku, wie sein Termin gelaufen war und ob er sich für irgendwas entschieden hatte, was Medikamente betraf.
„Ging ja jetzt nur um welche, die ich im Notfall nehmen soll …“, antwortete er. „Ich weiß es auch noch gar nicht … also, ob ich das will.“
„Kann doch eigentlich nur helfen, oder?“, hakte ich nach.
„Ja, weiß ich, soll es ja auch. Aber … weißt du, Koichi, ich hab meine Erfahrungen mit Glückspillen gemacht, früher, und ja, die waren meistens nicht gerade legal … Und seitdem ist mir die Vorstellung irgendwie nicht geheuer … Tabletten zu nehmen, damit ich mich anders fühle … Okay, ich rauche, ich trinke, ich bin nicht wirklich clean … Aber Tabletten … es fällt mir einfach schwer, mich da wieder drauf einzulassen …“
„Okay, das verstehe ich irgendwie …“, sagte ich. „Hast du denen in der Klinik das gesagt, also dass du Drogenerfahrungen hast?“
Tsuzuku nickte. „Gesagt hab ich das. Ich meine, viel war es nie, nur ab und zu, ich war achtzehn und ein Idiot. Ich bin da irgendwie wieder ganz gut von weg gekommen und darüber bin ich auch froh. Vielleicht will ich die Medikamente deshalb nicht, weil … dieser krasse Sprung, wenn man sich was einwirft und dann auf einmal ganz andere Gefühle hat, das kriegt mein Kopf auch von selbst hin, ohne solche Pillen, und das ist so schon schlimm genug, verstehst du? Ich will nichts nehmen, was dasselbe mit mir macht, auch wenn das dann der Sprung von Schmerz zu Glück ist. Weil ich will, dass es langsamer läuft, damit ich es selbst sehen kann, was in mir abgeht, diese Verwirrung tut mir immer so weh …“
„Aber, Tsu, ich glaube, das machen solche Medikamente gar nicht, diese schnellen Sprünge. Sind die nicht gerade dafür entwickelt worden, dass es ein bisschen langsamer läuft, damit du nicht mehr diese plötzlichen, starken Schwankungen hast?“, fragte ich weiter, merkte aber, dass wir gerade beide vorsichtig sein mussten.
„Selbst wenn …“, antwortete er, „Ich fühl mich bei der Vorstellung trotzdem nicht wohl.“
Wir ließen das Thema dann sein, ich sagte nichts mehr dazu und Tsuzuku wandte sich Meto zu, der zugehört und sich aber lieber mit Ruana beschäftigt hatte. Tsu kraulte das kleine Teddymädchen ein wenig hinter ihren Plüschöhrchen und bekam dafür von ihr ein Küsschen, das ließ ihn lächeln und ich sah, wie sich Metos tätowierte Hand auf Tsuzukus Oberschenkel stahl und dort, versteckt von Ruana, liebevoll streichelte.
Als dann der Zug für die Richtung Kyoto einfuhr, stiegen wir ein, suchten uns ein halbwegs ruhiges Abteil und saßen dann mit einem jungen Pärchen zusammen, ein Mann und eine Frau von etwa zwanzig Jahren, die uns aber kaum beachteten.
Die Fahrt dauerte ihre Zeit, irgendwann nahm ich mein Handy raus und schrieb kurz an Mikan, fragte sie einfach, wie es ihr ging und was sie machte. Und während ich dann eine Weile mit ihr schrieb, sah ich ab und zu auf und beobachtete, wie Tsuzuku und Meto sich aneinander lehnten und Meto einen Soundsplit-Adapter am Handy hatte, in dem zwei Paar Ohrhörer steckten, sodass die beiden gemeinsam dieselbe Musik hören konnten. Ich linste unauffällig auf das Display und da stand irgendwas von einem uralten Dir en grey-Album, wovon ich ja wusste, dass sie das beide gern hörten. Meins war Dir en grey nun nicht unbedingt, auch wenn ich die Band natürlich kannte und es auch Songs von ihnen gab, die ich ganz gern hörte. Zwar hörte ich selbst doch eher leichtere Musik, aber zu Tsuzuku und auch zu Meto passte dieser typische Visual Hard Rock hervorragend.
Der Zug erreichte den Hauptbahnhof von Kyoto und wir stiegen aus, wobei mir sofort auffiel, dass sich Kyoto irgendwie immer schon vom ersten Moment an anders anfühlte als unsere Stadt oder Tokyo. Zwar war der Bahnhof riesig und durchweg super modern, aber man spürte dennoch, dass hier eine andere Mentalität herrschte, diesen ganz leichten, aber eindeutig vorhandenen Hauch von Geschichte und Tradition, der einfach in der Luft hing und das Besondere an Kyoto ausmachte.
„Ich war lange nicht hier …“, hörte ich Tsuzuku hinter mir sagen. „Ist bestimmt schon über zehn Jahre her, war ne Klassenfahrt oder so was …“
Ich setzte einen Schritt zurück, sodass ich neben Tsu gehen konnte, und sagte: „Na, dann wird’s ja mal wieder Zeit für ein bisschen Kyoto-Feeling, oder?“
„Mit Fotos vor dem Kinkakuji und ner Flasche mit heiligem Schrein-Wasser, oder was?“ Tsuzuku lachte und fügte dann aber hinzu: „Nee, ohne mich.“
„Tsu, das war ein Scherz“, erwiderte ich, ebenfalls lachend, und fragte mich im Stillen, wie mein bester Freund wohl generell zu den Traditionen unseres Heimatlandes stand.
Ich wusste, dass er es ab und zu mit dem Buddhismus versuchte, und dass ihm die Symbolik der Kirschblüte gefiel, aber ansonsten waren diese traditionellen japanischen Dinge bisher irgendwie noch kein Thema gewesen, über das wir ausführlicher gesprochen hätten. Wir lebten beide eine Lebensweise, die sich doch eher an modernen, westlichen Maßstäben orientierte, gehörten wir eben dieser japanischen Jugend an, für die Kimonos und Samuraiwerte nur noch am Rande eine kleine Rolle spielten.
Wir brauchten tatsächlich eine Weile, bis wir die richtige Straßenbahnlinie gefunden hatten, die uns in das Altstadtviertel bringen sollte, in dem sich der Adresse und Wegbeschreibung nach, die wir uns gestern Abend ausgedruckt hatten, der Tempel befand, den wir suchten.
Zuerst nahmen wir eine ganz moderne, gewöhnliche Bahn, doch auf dem Weg in besagten Teil der Altstadt mussten wir auch einmal umsteigen, und die Straßenbahn, die wir dann nahmen, war eine ganz andere, sie machte, noch bevor die ersten alten Holzhäuser zu sehen waren, schon mal deutlich, dass wir uns in der Hauptstadt der japanischen Tradition und Kultur befanden.
Denn der Straßenbahnwagen, in dem wir dann saßen, schien einem Freilichtmuseum zu entstammen, einem an der Wand angebrachten Schild zufolge stammte er aus den 50er Jahren und gehörte tatsächlich zum Eisenbahnmuseum von Kyoto, und dennoch fuhr er seine Linie ganz genauso korrekt und pflichtbewusst ab wie eine moderne Straßenbahn.
Während der Fahrt sah ich Tsuzuku immer mal wieder an, er saß zwischen mir und Meto und blickte aus dem gegenüberliegenden Fenster, wo die Stadtlandschaft vorbeizog und sich langsam wandelte, von hohen, modernen Häusern zu kleineren Blöcken und vereinzelt dazwischen stehenden alten Holzhäusern mit nur einem oder zwei Stockwerken.
Hinter den Häusern sah man ab und zu die dicht bewaldeten Berge um die Stadt herum durchblitzen, und die Pagoden und Tempel, die am Stadtrand die Berghänge zierten, es war dieses typische Bild einer Mischung aus moderner Großstadt und dem alten Japan, und mir gefiel es.
Tsuzuku sah nachdenklich aus, und ich fragte mich, worüber er nachdachte, während er aus dem Fenster sah und dasselbe erblickte wie ich, die Symbole unserer Heimat Japan und damit unserer nationalen Identität …
„Es ist eigenartig …“, hörte ich ihn leise sagen und ich wusste erst nicht, ob er mich ansprach oder nur laut nachdachte, „… manchmal fühlt es sich so an, als ob ich gar kein richtiger Japaner bin …“
„Warum denn?“, fragte ich leise, um niemand anderen zu stören.
Tsuzuku zuckte nur mit den Schultern. „Ich weiß nicht … Na ja, ich denke eben, wenn man sich das alles so anschaut, was der Rest der Welt in unserem Land sieht und was den meisten Menschen hier wichtig ist und so … Ich weiß nicht, ob ich dem entspreche …“
„Was denn, zum Beispiel?“, hakte ich vorsichtig nach.
„Wie ich aussehe … und mich verhalte … Ich bin auffällig, unbeherrscht, chaotisch … In Tokyo kann man so sein, aber hier in Kyoto …? Ich fühle mich irgendwie … deplatziert?“
„Tsu, ich bin mir sicher, dass es hier in Kyoto genauso Menschen wie dich gibt wie in Tokyo oder in unserer Stadt“, widersprach ich ihm leise. „Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert, und auch wenn Japan in manchen Punkten, die dich eben mit betreffen, da ein bisschen hinterherhängt, kann dir auch hier niemand vorschreiben, wie du zu sein hast.“
„Aber … bin ich nicht dann … na ja, eben nicht das, was die Welt von einem Japaner erwartet?“
„Ist denn das so wichtig, Tsuzuku? Du bist genauso Japaner wie ich oder der Typ im langweiligen Anzug da drüben oder dieser uralte Opa da in der Reihe hinter uns. Du bist hier geboren und deine Eltern ebenso, du hast braune Mandelaugen, eine schöne kleine Nase und schwarzes Haar, also bist du Japaner, mehr ist das doch gar nicht. Und was irgendwo Leute von dir erwarten, hängt doch auch immer damit zusammen, mit welchen Leuten du dich überhaupt umgibst und wessen Meinung dir wirklich wichtig ist.“
Und gerade, als ich selbst zu spät bemerkte, wie plötzlich Tsuzuku wieder einmal viel zu nahe an seine Selbstentwertung geraten war, ich sah den Ausdruck in seinen Augen, diesen eigenartigen, dunklen Schleier in seinem Blick, und dass er irgendwas auf meine Worte antworten wollte, was ihn seinem Selbsthass noch näher bringen würde, da saß auf einmal Ruana auf seinem Schoß, Meto hatte sie schnell dorthin gesetzt, und unter Ruanas Teddykörper halb versteckt erkannte ich wieder Metos Hand auf Tsuzukus Oberschenkel, beruhigend streichelnd.
„Tsu, komm, atmen … alles gut …“, hörte ich Meto flüstern, und tatsächlich schien Tsuzuku für einen Moment die Luft angehalten zu haben, unabsichtlich, vermutlich vor lauter Anspannung. Er atmete halblaut aus, unterdrückt, und doch hörte ich deutlich diese Spannung heraus, die sich so ungeheuer schnell in ihm aufbauen konnte.
Kurz darauf erreichte die Straßenbahn die Station, an der wir laut der Wegbeschreibung zum Tempel aussteigen mussten. Als wir wieder draußen auf der Straße waren und uns mithilfe des kleinen Straßenkartenausschnittes den Weg suchten, sah ich Tsuzuku immer mal wieder kurz und vorsichtig von der Seite an. Einfach, um sicher zu gehen, dass er sich von dem kleinen Gefahrenmoment zuvor jetzt wieder soweit erholt hatte, dass es überhaupt möglich sein würde, gleich in diesem Tempel über seine und Metos geplante Hochzeit zu sprechen und das Ereignis auf diese Weise Stück für Stück in die Tat umzusetzen.
Der Tempel, vor dem wir schließlich stehen blieben und an dessen hölzernem Tor auch der Name stand, den wir von der Webseite her kannten, war einer der eher unauffälligen, kleinen Sorte, einfach einer von den vielen, vielen kleinen buddhistischen Tempelchen, für die Kyoto so berühmt war.
Mir kam der Gedanke, dass es sich vermutlich auch nur so ein eher unbekannter, kleiner Tempel in unserem Land überhaupt leisten konnte, so etwas wie Hochzeiten für homosexuelle Paare anzubieten. Ein berühmterer Tempel hätte das möglicherweise aufgrund seiner Bekanntheit gar nicht durchsetzen können, da galt es auf einen ‚guten Ruf‘ zu achten und ich war mir leider doch ziemlich sicher, dass sich da der Staat doch irgendwo einmischte und in solche Ideen relativ vernichtend reinreden konnte.
Ich fand das doch ziemlich traurig und auch irgendwie arm, denn immerhin lebten wir doch im einundzwanzigsten Jahrhundert und in einer der führenden Industrienationen der Welt. Warum sperrte sich unser Staat ausgerechnet so sehr gegen die Ehe für alle Paare?! Was sollte an einer Liebe angeblich so falsch sein, nur weil die Liebenden zwei Männer oder zwei Frauen waren? Ich verstand es nicht, und ich wollte es auch gar nicht verstehen.
Für einen Moment, den wir wartend vor dem Tor gestanden hatten, nachdem ich den Türklopfer betätigt hatte, war ich sehr in meinen Gedanken versunken gewesen. Und so erschrak ich ganz schön, als ich auf einmal Metos dezent besorgte Stimme neben mir hörte, wie er an seinen Verlobten gewandt fragte: „Tsu? Hey, bist du okay? Was hast du?“
Ich sah mich um, schon ahnend, dass da wieder etwas nicht in Ordnung war, und tatsächlich stand Tsuzuku mitten auf der altmodisch gepflasterten Fußgängerstraße, hatte den Kopf gesenkt und den Oberkörper leicht gebeugt, sodass ihm die schwarzen, schulterlangen Haare ins Gesicht fielen, und er presste wieder einmal seine Hand auf sein Herz, machte so sichtbar, dass es ihm wieder wehtat. Sofort waren wir bei ihm, Meto auf der einen Seite und ich auf der anderen, wir führten ihn an den Straßenrand zu einer Bank, wo er sich setzen konnte.
„Was ist denn los?“, fragte ich ihn besorgt. War das jetzt noch ein Nachbeben von dem Moment zuvor in der Straßenbahn oder hatte sich in seinem Kopf und Herzen längst ein neuer, anderer Schmerz zusammengebraut? Das ging bei ihm immer so furchtbar schnell …
Tsuzuku antwortete nicht, reagierte zuerst nicht mal, dann schüttelte er nur den Kopf. Es war ganz offensichtlich, dass sein schmerzendes Herz nichts weiter war als ein körperlicher Ausdruck seines seelischen Leids und seiner Angst.
„… Geht gleich wieder …“, brachte er schließlich heraus, klang aber so gepresst und schmerzvoll, dass ich ihm das nicht mal ansatzweise glaubte.
„Tsuzuku, was ist los, jetzt sag schon!“, sprach ich und sah ihn direkt an.
Er schüttelte wieder den Kopf, und als ich meine Frage dennoch wiederholte, setzte er noch eins drauf: „Wirklich, ich bin okay! Ich brauch nen Moment, dann geht’s wieder, und dann gehen wir da rein und planen das alles mit der Hochzeit … Bitte, fragt jetzt nicht weiter, ich weiß es selbst nicht …!“
„Ist gut …“, sagte ich leise, mir blieb wohl nichts anderes übrig.
Wir blieben noch einen Moment sitzen, dann stand Tsuzuku von sich aus wieder auf und ging in Richtung der hölzernen Pforte vom Tempel, wo in diesem Augenblick eine Dame im Kimono auf die Straße hinaus trat und sich suchend umsah.
Ich sah, wie Tsuzuku seine Haltung straffte, durchatmete, und ihm war anzumerken, dass er eine Fassade hochzog, dann standen Meto und ich ebenfalls auf und gingen auf die Dame zu.
„Guten Tag. Haben Sie eben bei uns geklopft?“, fragte sie und verbeugte sich leicht.
Ich erwiderte die Verbeugung und antwortete: „Ja. Mein Name ist Niigata, ich hatte gestern eine Mail an Sie geschickt, wegen einer besonderen Hochzeit.“
„Ah, Sie waren das, gestern ganz spät am Abend?“, fragte die Dame höflich lächelnd und ich bejahte, woraufhin sie sich vorstellte: „Mein Name ist Iwajima, ich bin für die Koordination und Planung der Hochzeiten in unserem Tempel zuständig.“
Sie wandte sich an Tsuzuku und Meto und fragte mit demselben höflichen Lächeln: „Und Sie beide sind das Hochzeitspaar, nehme ich an?“
Da Meto sichtlich die Sprache wieder einmal versagte, übernahm wie so oft Tsuzuku die Kommunikation und antwortete mit einem „Ja, das sind wir“, wobei er, für mich als seinen besten Freund deutlich spürbar, eine Art emotionaler Maske trug, er verbarg seine Ängste und Unsicherheiten und spielte den sozial kompetenten Mann von fünfundzwanzig Jahren, mit dem äußerlich gesehen alles okay war.
Dass er das konnte, so schauspielern, obwohl es in ihm drinnen gar nicht gut aussah, war in meinen Augen irgendwie ganz schön beeindruckend. Zwar konnte ich so etwas auch, aber bei mir war doch der Schmerz hinter der Fassade niemals so groß gewesen, wie das, was Tsuzuku tagtäglich durchmachte, er hatte so viel mehr zu ertragen und dennoch konnte er so spielen.
„Folgen Sie mir bitte“, forderte uns Iwajima-san höflich auf und verbeugte sich erneut.
Wir folgten ihr zur Pforte und in den Garten des Tempels, der so aussah wie alle Tempelgärten in dieser Stadt: Kleine Felder mit Steinen, graue und sehr ordentlich zurechtgehakte Sandflächen, kleine Bonsai-Gewächsen und hübsche Steinlaternen. Blumen gab es kaum, nur die Blüten an den Bäumen und Sträuchern, aber das war ja auch so üblich, ein Tempelgarten war kein Blumenbeet.
Ich hatte jedoch kaum einen Blick für diesen Garten, machte mir wieder viel zu große Sorgen um Tsuzuku und musste ihn immer wieder ansehen und versuchen, aus seinem Blick zu lesen. Doch es war schwierig dieses Mal, er hatte sein Innenleben gerade gut verschlossen.
Ich mochte mir gar nicht vorstellen, wie viel Kraft es ihn kostete, sich so zu verstecken, er war doch so ein extrovertierter, lebhafter Mensch, der sich der Welt so gern mitteilte, es musste ihm also ungeheuer schwer fallen, diese Fassade zu halten, und der Schmerz in ihm musste furchtbar sein, wenn er sich so zumachte.
Was tat ihm gerade nur so weh? Wir waren doch hier, um einen wichtigen und schönen Tag in seinem und Metos Leben zu planen … Oder war es am Ende genau das, was ihm das Herz schwer machte? Fürchtete er seine eigene Hochzeit, die er doch selbst initiiert und herbeigesehnt hatte, weil sie nun irgendwo auch wieder seine Angst vor dem Verlassenwerden weckte?
Ich hatte jedoch jetzt keine Gelegenheit, darüber weiter nachzudenken, und Tsuzuku wollte ganz offenbar gerade auch wirklich nicht, dass ich ihn danach fragte, also ließ ich das Thema sein und konzentrierte mich, als Iwajima-san uns durch den Garten und einen schmalen, hölzernen Gang zu einem kleinen Büroraum führte, auf die konkreten Fragen, die sie dort dann an uns richtete.
„Haben Sie schon Ideen, wie Ihre Zeremonie aussehen soll?“, fragte sie, an Tsuzuku gewandt.
„Nein, wir haben gerade erst mit der Planung angefangen“, antwortete er.
„Sie wissen aber, dass wir im Zen da sehr flexibel sind?“
„Ja.“
„Wir können das natürlich auch gemeinsam planen“, bot Iwajima-san an und ließ uns in den kleinen Raum, schloss dann hinter uns die hölzerne Schiebetür.
„Das wäre tatsächlich eine gute Idee“, antwortete Tsu darauf und wandte sich mit fragendem Blick an Meto. „Oder siehst du das anders, Baby?“
Meto schüttelte den Kopf und brachte leise und ein klein wenig heiser heraus: „Können wir … so machen … hier …“
Iwajima-san schien ein wenig verwundert, weil Meto so leise und unsicher sprach, und Tsuzuku bemerkte das. „Mein Verlobter ist … ein wenig schüchtern, er spricht nicht so gern. Es ist aber okay für ihn, dass ich so ein bisschen für ihn mit rede, das ist bei uns schon immer so. Mit mir allein spricht er sicherer.“
Ich stand daneben und hatte, so wie Tsuzuku Meto jetzt ansah, endlich wieder das Gefühl, dass Tsu sich halbwegs sicher fühlte. Irgendwas daran, so für Meto zu sorgen, schien ihm Sicherheit und Kraft zu geben, sein Blick war jetzt wieder offen und unverstellt.
Iwajima-san fragte mich noch, was denn meine Aufgabe in der ganzen Sache war, und ich antwortete, dass ich als der beste Freund des Hochzeitspaares gern mithelfen wollte, dass dieses Fest ein wirklich schöner Tag für die beiden wurde.
Wir setzten uns dann zusammen und redeten, über alles, was es bei einer buddhistischen Hochzeit zu bedenken gab. Tsuzuku und Meto waren sich beide einig, dass es nur eine kleine, weniger aufwändige Zeremonie werden sollte, und im Laufe des Gesprächs ergab sich, dass es wohl auch einen leichten westlichen Anstrich bekommen sollte, mit einer kleinen Rede zum Leben der beiden, und mit Eheringen und Hochzeitskuss.
„Was möchten Sie denn bei Ihrer Hochzeit tragen?“, fragte Iwajima-san danach.
„Wir sind noch am Suchen“, antwortete Tsuzuku. „Mein Freund mag gern süße Kleider, vielleicht ein weißes, da schauen wir noch. Und ich möchte einen Anzug tragen, aber keinen gewöhnlichen, da muss ich auch noch das Passende finden.“
„Wir gehen hier in Kyoto nachher noch zusammen in die Einkaufsstraßen“, sagte ich dazu.
„In Ordnung, sie melden sich dann, wenn es in dem Punkt noch Fragen gibt? Haben Sie denn auch schon ein Hotel gefunden?“, fragte Iwajima-san.
Tsuzuku schüttelte den Kopf.
„Falls Sie hier in der Stadt für diesen besonderen Anlass nichts finden, und falls Ihnen ein traditionelles Hotel mit Tatami und Futon zusagt, haben wir direkt vom Tempel auch ein Angebot für Sie: Wir haben, da mit der Zeit immer mehr homosexuelle Paare zu uns gekommen sind und diese Paare dann in Kyoto kein Hotel für die Hochzeitsnacht gefunden haben, selbst ein schönes Machiya-Haus angemietet, in dem wir unsere Hochzeitspaare unterbringen können. Es liegt ein bisschen außerhalb, sodass Sie beide dort dann ganz in Ruhe Ihre Zweisamkeit genießen können, ohne dass sich jemand daran stören wird.“
Tsuzuku schien die Idee zu gefallen, er lächelte und sah Meto an, der lächelte zurück und Tsuzuku fiel kurz aus seiner selbstauferlegten Ordnung und flüsterte Meto etwas zu, das ich ebenfalls hören konnte, weil ich nah daneben saß: „Nostalgisches Liebemachen, wie die alten Samurai, was sagst du dazu, Baby?“
Und anscheinend gefiel Meto diese Idee ebenso gut, denn da schlich sich mit einem Mal ein breites, süßes Lächeln auf seine Lippen und er nickte.
Iwajima wandte sich nun direkt an mich: „Niigata-san, wir wäre es, wenn Sie die Rede für die Zeremonie schreiben? Sie kennen das Paar gut, sind ein enger Freund der beiden, da wäre das doch eine gute Idee, oder?“
Ich nickte und bejahte, mir war diese Idee auch schon gekommen. Ich war zwar mit dem Schreiben lange nicht so begabt wie Tsuzuku, aber für eine kleine Rede reichte es sicher, mir würde schon etwas Schönes einfallen.
Wir sprachen dann noch über den genauen Termin, bei dem sich aber insbesondere Tsuzuku noch nicht ganz sicher war. Er sprach es nicht direkt aus in Iwajima-sans Gegenwart, aber ich merkte, er dachte dabei an seine unvorhersehbaren Stimmungen und wollte vermeiden, dass die Hochzeit ausgerechnet in eine seiner Tiefphasen fiel.
Und so machten wir erst einmal nur einen vorläufigen Vorschlag fest, der sich dann auf Ende Mai bezog, wenn es warm und schön war und eben noch vor der Regenzeit im Juni. Iwajima-san sagte, das sei kein Problem, es sei jetzt ja jetzt erst Anfang April und wir müssten uns einfach rechtzeitig noch mal melden, sie würde unseren vorläufigen Termin auch im Blick behalten.
„Wollen Sie sich das Hotel einmal ansehen?“, fragte sie dann und suchte dann in der wohlsortierten Visitenkartenbox auf dem Tisch nach dem entsprechenden Kärtchen mit der Adresse und Wegbeschreibung zu besagtem Hotel, welches sie mir als dem freiwilligen „Hochzeitsplaner“ mit beiden Händen überreichte.
„Ja, gerne“, antwortete Tsuzuku, schneller als ich, während ich das Kärtchen in meinem eigenen Etui verstaute.
Er hatte ganz offenbar Gefallen an der Idee gefunden, seine Hochzeitsnacht mit Meto in einem traditionell-japanischen Hotel zu verbringen, statt dass er, wie er einmal zuvor zu mir gesagt hatte, sich ein heißes Love Hotel mit allen Raffinessen für diese besondere Nacht wünschte. Vielleicht fand er die Abwechslung toll, aber ich traute ihm auch zu, dass er die Hochzeitsnacht mit dem Mann seines Lebens doch lieber romantisch als allzu sexspielzeug-lastig zelebrieren wollte.
So viel Sex, wie die beiden sowieso schon miteinander hatten, und der war ja, soweit ich wusste, auch gerne mal etwas experimentierfreudiger, da war es sicher auch mal schön, richtig romantischen Blümchensex zu haben …
„Melden Sie sich dort einfach an der Rezeption mit der Anmerkung, dass sie hier beim Tempel waren und ein Zimmer für eine Hochzeitsnacht ansehen wollen. Unser Portier kennt sich da aus“, sagte Frau Iwajima.
Ich fragte mich einen Moment lang, was diese Frau persönlich wohl davon hielt, in ihrem Beruf gegen den Konservatismus unserer Regierung anzugehen und verliebten Männerpaaren zumindest eine Hochzeit auf religiöser Ebene zu ermöglichen. Sie ließ sich wenig anmerken, und in diesem Fall war ihre Professionalität durchaus angenehm, ich hatte das Gefühl, dass sowohl Tsuzuku, als auch Meto, sich in diesem Gespräch als ‚normal‘ angenommen fühlten.
Wir verabschiedeten uns dann und machten uns auf den Weg zu dem Hotel. Ich bemühte, da ich mich in Kyoto nicht wirklich auskannte, mal Google Maps Satellite, um die Gegend zu finden, wo wir hin mussten, laut Iwajima-san lag das Hotel weiter draußen, in einem nördlichen Randbezirk von Kyoto, wo wir eine Weile würden fahren müssen.
Wir nahmen dann wieder die Straßenbahn zum Bahnhof und wollten von da mit einer anderen Stadtbahn in den Norden der Stadt fahren. Auf diese Anschlussbahn mussten wir eine Weile warten und dieses Mal war ich mehr der Zuschauer, während Meto sich an Tsuzuku wandte und ihn fragte, ob jetzt wieder alles okay sei.
„Ja … geht wieder.“ Tsuzuku lächelte leicht. Es waren immer seine Augen, an denen ich annähernd lesen konnte, wie es ihm ging, und in diesem Moment war sein Blick relativ offen.
„Hast du schon mal in so einem alten Haus geschlafen?“, fragte Meto. „Ich noch nicht, aber ich stelle mir das schön vor, irgendwie romantisch …“
„Ich hab das auch noch nie gemacht“, sagte Tsuzuku. „Aber ich würde schon gerne mal …“
Wir saßen zu dritt auf einer Bank am Bahnhof und Ruana durfte wieder auf Tsuzukus Schoß sitzen, um Metos darunter streichelnde Hand zu verstecken. Diese Lösung des Problems, dass Tsu oft viel Berührung brauchte und das aber in der Öffentlichkeit unserer Gesellschaft sonst schwierig war, fand ich wie so vieles zwischen den beiden richtig schön und süß, es schien Ruanas Aufgabe in der Beziehung zu sein, sie war ein Schutz, ein Trost-Teddy und zugleich auch ein bisschen wie das Kind der beiden.
Die Fahrt in Kyotos Norden verlief dann ruhig, wir redeten nicht viel, aber zumindest ich hatte das Gefühl, dass es auch wirklich ruhig war, dass Tsuzuku, wie er da zwischen Meto und mir saß, wieder soweit entspannt war, dass nicht viel passieren konnte.
Wir hatten Glück, fanden das Hotel recht bald, es war von außen gesehen ein ganz normales Machiya-Haus, wie es sie in Kyoto in großer Zahl gab, da früher fast die ganze Stadt aus diesen mit viel Holz gebauten Reihenhäusern bestanden hatte.
Als wir es betraten, sah ich, wie Tsuzuku sich interessiert umschaute, vielleicht dachte er an die Geschichte, die in diesem Haus stecken konnte. Ich schlug einmal kurz auf die kleine Tischklingel an der Rezeption und aus einem dahinter gelegenen Raum kam ein etwas älterer Herr im schlichten Anzug, der sich höflich lächelnd verbeugte und fragte: „Sie wünschen bitte?“
„Wir waren eben beim Tempel, es geht um eine Hochzeit“, sagte ich, machte wieder den Sprecher und Hochzeitsplaner.
„Ah, ja … Moment, Sie waren bei Iwajima-san, ist das richtig?“
Ich bejahte und stellte Tsu und Meto kurz vor. Der Portier kam hinter seinem Tresen heraus und begrüßte die beiden in aller Form. Meto ging, seiner wohlhabenden Herkunft entsprechend, ganz gekonnt darauf ein, wenn auch recht leise, während Tsuzuku, bis eben noch in irgendwelchen Gedanken zugange gewesen, mit der Etikette und Höflichkeit, die der Portier aussandte, ein wenig überfordert zu sein schien und, als er sich vorstellte und verbeugte, ein wenig unbeholfen wirkte.
„Wir haben fünf Zimmer, die sich alle sehr ähnlich sind. Sie befinden sich oben“, sagte der Portier und deutete auf eine hölzerne Treppe ins Obergeschoss. „Bitte, immer nach Ihnen, meine Herrschaften.“
Neben der Treppe befand sich der Abstellbereich für die Schuhe und nachdem wir unsere ausgezogen hatten, gingen wir die Treppe hinauf.
Oben führte ein langer Gang zwischen fünf Türen entlang, an denen Nummern angebracht waren, wie es sich für ein Hotel gehörte. Es gab die Zimmer Nummer Eins bis Drei und zwei Zimmer mit den Nummern fünf und sechs. Die Zahl Vier fehlte, wie es traditionell üblich war, da sich ja „vier“ als „shi“ in der Sprache eben wie „Tod“ anhören konnte und die Nummer deshalb aus Aberglauben in Hotels und anderen Einrichtungen oft fehlte. Das Zimmer trug also einfach die Nummer Fünf und die eigentliche Fünf war dann entsprechend eine Sechs.
Der Portier öffnete die Schiebetür des Zimmers Nummer Eins und führte uns hinein.
Die Tatamimatten machten dieses altmodische, leicht raschelnde Geräusch, als wir sie betraten und uns in dem Zimmer umsahen. Es war wie eine kleine Suite, hatte einen Wohnraum, einen Schlafraum und ein Bad mit einer Ofuro-Badewanne für zwei Personen, alles zwar nicht sehr groß oder luxuriös, aber schön und sehr sauber.
Ich sah, wie sich ein kleines Lächeln auf Tsuzukus Lippen schlich, als er die altmodische Badewanne sah, und so, wie ich ihn kannte, stellte er sich jetzt schon vor, mit Meto zusammen darin zu baden.
„Hast Recht, Baby, das hier ist wirklich romantisch“, sagte er und legte seinen Arm um Meto.
„Hab ich doch gesagt.“ Meto lächelte.
Tsuzuku beugte sich ein wenig vor und flüsterte etwas in Metos Ohr, was ich nicht verstand, diesen aber eindeutig erröten ließ. Ich konnte mir denken, was wieder in Tsu‘s Kopf abging, und ich warf einen Seitenblick auf den Portier, den ich so einschätzte, dass ihm das verliebte Geturtel zweier Männer doch sicher irgendwie unangenehm war. Aber der lächelte nur leicht, denn wahrscheinlich hatte er, wo dieses Hotel doch bevorzugt von heiratswilligen homosexuellen Paaren genutzt wurde, in seiner Arbeit hier genug mit solchen Pärchen zu tun.
„Wir nehmen genau dieses Zimmer“, verkündete Tsuzuku dann, nachdem wir uns auch das Schlafzimmer angeschaut hatten, und Meto nickte bestätigend.
„Für welchen Zeitraum soll ich es Ihnen denn reservieren?“, fragte der Portier.
„Irgendwann Ende Mai. Wir haben das genaue Datum noch nicht“, sagte ich.
„Kein Problem, wir haben nicht so sehr viele Gäste, ich kann Ihnen das Zimmer für die Zeit von einer ganzen Woche reservieren, den Tag bestimmen dann Sie. Falls Sie etwas daran ändern oder es ganz absagen wollen, melden Sie sich einfach rechtzeitig.“
Nachdem das nun auch geklärt war, geleitete uns der Portier noch zur Rezeption zurück, wo ich ihm meine Visitenkarte da ließ, dann zogen wir unsere Schuhe wieder an und verließen das Hotel, um uns um die nächste wichtige Sache zu kümmern: Das, was Tsu und Meto am hoffentlich schönsten Tag ihrer Beziehung an Outfits tragen würden.
Kyoto war zwar nicht wie Tokyo, aber bestimmt gab es auch hier Filialen von h.Naoto und Angelic Pretty, wo ich einfach mal davon ausging, dass ersteres Label Tsuzuku eher gefiel, und bei zweiterem wusste ich, dass Meto dort gut ein Kleid für sich finden konnte.
Und so fuhren wir wieder in Richtung Shoppingmeile und Innenstadt. Die Kyoto-Tickets, die wir am Bahnhof gekauft hatten, wurden heute gut genutzt, so konnten wir uns in der ganzen Stadt bewegen.
Während der Fahrt war ich mit meinem Handy zugange und suchte darin nach den Adressen der örtlichen Visual Kei Stores und Lolita-Boutiquen, wurde auch fündig und wusste bald, wo wir hin mussten.
Wir waren noch nicht an der von meinem Handy bestimmten Haltestelle angekommen, da sprach Tsuzuku mich leise an: „Koichi?“
„Hm? Was ist?“
„Es ist schon seltsam, oder? Je mehr wir vorbereiten und planen und es fest machen, dass Meto und ich heiraten werden … umso unwirklicher fühlt es sich an, und umso mehr bekomme ich irgendwie Angst …“ Tsu’s Blick fiel gedankenverloren ins Leere, als er das sagte, er war deutlich sichtbar in seine Innenwelt abgetaucht.
„Angst, dass du an dem Tag dann nicht gut drauf bist?“, fragte ich nach.
Tsuzuku zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht … Das sicher auch …“
Ich sah zu Meto, der auf der anderen Seite neben Tsu saß und zuhörte, während seine Finger an Ruanas Teddyohren herumspielten.
Und irgendwie hatte ich auf einmal das ganz ungute Gefühl, dass Tsuzukus Angst, wie auch der kleine Schmerzanfall vorhin vor dem Tempel, diese berüchtigte Hochzeitspanik war, die sich bei ihm gefährlicherweise mit seiner großen Angst vor dem Verlassenwerden zu mischen drohte.
Ich wusste nicht so recht, was ich sagen oder tun sollte. Wollte Tsu jetzt darüber sprechen, oder war es besser, das Thema zu lassen? Würde es seine Angst verschlimmern, wenn wir jetzt darüber redeten, und wusste er das? Manchmal war es echt nicht so einfach, zu unterscheiden, ob er in sich sicher war und wirklich reden konnte, oder ob sein Ansprechen eines für ihn gefährlichen Themas vielleicht nur der Anfang seines immer wieder hochkochenden Selbsthasses war.
Ich entschied mich dazu, ihn genau das zu fragen, ehrlich mit ihm zu sein und so vielleicht besser herauszufinden, wie er funktionierte.
„Tsu? Sag mal … denkst du, es ist gut, wenn wir jetzt darüber sprechen? Wäre es nicht besser, wenn wir nachher reden, mit mehr Ruhe? Weil … na ja, ich hab ein bisschen das Gefühl, dass du dir mit diesen Fragen und der Angst wieder selber wehtust, verstehst du?“
Er sah mich kurz an, blickte dann zu Boden. „Ja … Kann sein … Ich weiß es nicht, ich hab Angst, ich will uns ja nicht den Tag verderben … Aber … na ja … Ko, verstehst du, es fühlt sich gerade alles so unwirklich an, richtig unecht, als ob es gar nicht passiert … Ich weiß nicht, ob ich mit diesem Gefühl irgendwas entscheiden kann.“
In dem Moment erklang die Ansage, dass die Straßenbahn die Haltestelle erreichte, an der wir aussteigen wollten.
„Kannst du noch durchhalten und dann Bescheid sagen, wenn es zu schlimm wird?“, flüsterte ich Tsuzuku zu, als wir ausstiegen, und er nickte.
Auf dem Weg in Richtung des großen Ladens für vornehmlich schwarzen Visual Kei, den ich per Handy gefunden hatte, ging Tsu zwischen Meto und mir, und in dieser Gegend des sonst so traditionellen und eher strengen Kyoto liefen dann doch so viele junge Leute mit bunt gefärbten Haaren und szenebezogenen Outfits herum, dass Tsuzuku sich traute, mit Meto Hand in Hand zu gehen.
Wir kamen dann doch zuerst an einer Boutique von Angelic Pretty vorbei, und so wurde es als erstes für Meto ernst, was sein Hochzeitskleid betraf. Der Laden strahlte schon von weitem das Flair von rosa Zuckerwatte aus, wie ein lebensgroßes Puppenhaus voller furchtbar niedlicher Kleider für menschliche Puppen.
„So, rein da, ihr beiden!“, forderte ich das zukünftige Hochzeitspaar auf, da stand Meto auch schon vor dem Schaufenster neben der Tür und bewunderte einen wahren Traum in Rosa, ein Kleid, das mit unzähligen Erdbeeren und Kirschen auf rosa Grund bedruckt war. Es sah ein wenig seltsam aus, wie dieser junge Mann von zwanzig Jahren in seinem heute eindeutig männlichen Aufzug und der kurzen, leuchtend blauen Punkfrisur mit strahlenden Augen dieses kitschrosasüße Kleid anschaute, aber so war Meto eben, er hatte viele Gesichter.
Tsuzuku schien weniger begeistert von der Aussicht, mindestens eine Stunde in diesem so extrem rosa-lastigen Laden zu verbringen, er zog skeptisch die Augenbrauen hoch und sah doch recht deplatziert aus.
„Oder willst du dir schon mal selber was suchen? Der andere Laden ist hier gleich in der Nähe, müsste irgendwo da hinten sein“, fragte ich ihn, auch weil mir eingefallen war, dass es ja angeblich Unglück brachte, wenn der Bräutigam das Kleid seiner ‚Braut‘ vor der Hochzeit sah.
Tsu sah mich einen Moment lang abwägend an, dann nickte er. „Ihr kommt aber nach, oder?“
„Ja, sicher. Ich traue Meto zu, dass er schnell ein schönes Kleid findet.“
Und so ging Tsuzuku schon mal zu dem VKei-Laden vor, während ich mit Meto zusammen die Lolita-Boutique betrat.
Ich war doch recht selten in diesen reinen Lolita-Läden, selbst wenn ich mit Mikan Shoppen war, ging sie lieber in Boutiquen mit gemischterem Sortiment, weil es dort etwas günstiger war. Lolita war eine teure Angelegenheit und der Stil hatte zudem so viele Regeln und teils auch ziemlich elitäre Vorstellungen von Stil und Schönheit.
Meto wusste das sicher auch, aber er schien sich darum nicht zu kümmern. Die neugierig-irritierten Blicke der perfekt im Sortiment ihres Ladens eingekleideten Verkäuferin ignorierte er gekonnt und ging zwischen den goldfarbenen Kleiderständern entlang, zielsicher nach einem rein weißen Kleid Ausschau haltend. Er wusste genau, was er wollte, und hielt sich gar nicht erst damit auf, Sachen anzuschauen, die nicht seinen heutigen Kriterien entsprachen. Weiß sollte das Kleid sein, und nicht zu kurz, bunte Prints auf weißem Grund schienen ebenfalls nicht seiner Vorstellung vom perfekten Hochzeitskleid zu entsprechen, und richtige Ärmel sollte das Kleid auch haben. Ich stand mehr oder weniger nur herum und sah ihm genau zu, wie er systematisch suchte und schließlich fündig wurde.
Mit diesem himmlisch süßen, breiten Meto-Lächeln kam er auf mich zu, mit einem Kleid in den Händen, das schon auf den ersten Blick einfach perfekt zu ihm passte. Es hatte breiten Gummizug am Rücken, war ganz rein weiß und mit Schleifen, Spitze und Rüschen zwar detailverliebt, aber nicht zu überladen geschmückt, hatte süße Puffärmel, und es ging ihm, als er es sich vor einem Spiegel an den Körper hielt, bis über die Knie.
Mir hätte es wahrscheinlich nicht gepasst, ich war mit meinen 1,78 Metern viel zu groß gewachsen für solche Kleider, aber Meto war ja ein ganzes Stück kleiner als ich, und an ihm sah es einfach toll aus. Mit einer passenden Perücke und dem richtigen Make-up würde er darin die perfekteste, süßeste ‚Braut‘ abgeben, die Kyoto je gesehen hatte.
„Komm, zieh es an“, forderte ich ihn lächelnd auf.
Sogleich war die Verkäuferin mit der obligatorischen Schutztüte in der Hand zur Stelle und zeigte Meto die Umkleidekabinen. Sie schien zwar immer noch ein wenig irritiert, verbarg das jedoch unter so viel Höflichkeit, dass es weder Meto noch mich störte.
Während er sich umzog, suchte ich nach einer schönen Perücke, damit er das Kleid auch im richtigen Modus präsentieren konnte, und ich fand eine, die seiner blauen, gelockten sehr ähnlich war, diese reichte ich ihm durch den Seitenspalt des Vorhangs hinein.
Als er dann nach einer ganzen Weile aus der Kabine kam, war ich, obwohl ich ihn ja von unserer Arbeit her schon in solchen Kleidern kannte, dennoch überrascht, wie wunderschön Meto in so einem Kleid aussehen konnte. Von dem verrückten Punk, der er zuvor noch gewesen war, zeugten nur noch sein großes Tattoo und die Piercings, ansonsten hatte er sich in eine strahlend schöne, süße Prinzessin verwandelt, die niedlich vor dem großen Spiegel posierte und dabei so richtig, richtig glücklich aussah.
„Wow!“, entfuhr es mir. „Junge, du bist wunderschön!“
„Dankeschön, Koichi.“ Metos Stimme klang ein wenig heiser und rau, das brach das Bild ein wenig auf, machte ihn aber in meinen Augen nur noch süßer.
„Tsuzuku wird das so was von lieben!“
„Meinst du?“
„Ja. Er ist zwar selber absolut kein so mädchenhafter Typ, aber er liebt es total, wenn du solche Kleider trägst.“
Meto lächelte, dann schlich sich ein zartes Rosa auf seine Wangen und er sagte leise: „Ja, das weiß ich schon … Und vor allem liebt er es, mich später aus so einem Kleid wieder auszupacken …“
„Ja, so ist er, der Gute …“, sagte ich.
Tsuzuku nahm in Sachen seiner amourösen Vorlieben ja selten ein Blatt vor den Mund, und seine Formulierung „Meto ist wie mein persönliches Geschenk, und ich packe gern Geschenke aus“ war mir von unserem letzten diesbezüglichen Männergespräch noch sehr präsent.
Meto schien heute einen mutigen Tag zu haben, denn er sprach die Verkäuferin von sich aus an, sagte, dass er das Kleid mitsamt einer passenden Haarschleife und der Perücke auf jeden Fall kaufen wollte, und nachdem er sich wieder umgezogen hatte, suchten wir noch nach einem schönen Paar Schuhe. Schließlich ging es ja nicht, dass Meto dieselben niedlichen Schuhe, die er bei der Arbeit trug, auch an seiner Hochzeit an hatte.
Er entschied sich für ein Paar weiße, flache Teaparty-Schuhe, High-Heels waren seine Sache nicht, und nach der Auswahl von passenden Spitzenkniestrümpfen und ein bisschen Perlenschmuck waren wir dann auch fertig und bezahlten alles.
Als wir die Boutique wieder verließen, sagte Meto, dass er in diesem Fall sehr froh war, reiche Eltern zu haben, die ihm solche teuren Sachen ermöglichten. Ich wusste, dass das Leben, das er so mit Tsuzuku zusammen führte, die Wohnung und das alles, zur Zeit noch zum größten Teil auf dem Vermögen von Metos Eltern aufgebaut war, und ich freute mich für die beiden, dass Herr und Frau Asakawa dieser Beziehung und dem Wunsch der beiden, zusammen zu leben, so offen und fördernd gegenüber standen. War ja auch nicht selbstverständlich.
„Wissen deine Eltern eigentlich schon, dass du Tsuzuku heiraten wirst?“, fragte ich.
„Nein, noch nicht. Ich hab noch nicht den passenden Moment gefunden“, sagte Meto, schien sich aber darüber keine größeren Sorgen zu machen.
Na ja, man brauchte eben wirklich einen guten Zeitpunkt, um seinen Eltern zu sagen, dass man heiraten wollte, und wenn der Auserwählte dann eben auch noch ein anderer Mann war, dann war es eben so, dass der richtige Zeitpunkt vielleicht noch wichtig war, auch wenn die Eltern die Beziehung unterstützten.
Wir waren gerade auf dem Weg in Richtung des Visual-Stores, zu dem ich Tsuzuku schon mal vorgehen lassen hatte, da klingelte mein Handy und ich sah, als ich ranging, seinen Namen auf dem Screen.
„Tsu, wir sind doch schon auf dem Weg zu dir“, sagte ich.
Er antwortete erst nicht, ich hörte ihn nur atmen und irgendwie klang das nicht gut, viel zu schnell und aufgeregt.
„Bist du noch in dem Laden?“, fragte ich.
„… Ja …!“ Schon dieses kleine Wort klang so, als sei er wegen irgendwas ziemlich aufgebracht.
„Wir sind gleich bei dir, okay?“
Er antwortete nicht, legte einfach auf.
„Was ist los?“, fragte Meto neben mir besorgt.
„Keine Ahnung … Tsu klang grad ziemlich genervt oder so …“
Wir beeilten uns, zu dem Laden hin zu kommen, der hatte zwei Stockwerke und während das Erdgeschoss augenscheinlich den eher femininen Klamotten vorbehalten war, wies ein pfeilförmiges Schild an der Treppe auf die männlicheren Styles im ersten Stock hin.
Wir gingen also die Treppe rauf und da sah ich Tsuzuku auch schon, er saß auf einem Sitzplatz bei den Umkleiden und neben ihm türmte sich ein riesiger Stapel mit Klamotten auf. Er sah müde und genervt aus, lehnte mit dem Oberkörper rückwärts an der Wand hinter sich und hatte seine Hand wieder auf seinem Herzen liegen.
Meto war sofort bei ihm. „Tsu, mein Herz, bist du okay?“
Tsuzuku schüttelte den Kopf. „Manchmal hasse ich Shoppen …“
„Wieso, was ist denn los?“, fragte ich.
„Ich weiß nicht … Ich finde nichts, kann mich nicht entscheiden …“ Er wies mit einer müden Handbewegung auf den Klamottenstapel neben sich. „Ich wollte nur einfach ein interessantes Outfit finden, das halt zu mir passt und so, aber irgendwie … ich glaube, ich bin mir gerade selbst abhandengekommen …“ Mit einem Mal sprang er auf, dann setzte er sich wieder, wirkte ziemlich unruhig. „Mist, verdammter!“
„Tsuzuku, wir kriegen das hin, okay?“, sagte ich. „Wir suchen jetzt zu dritt diesen Stapel durch und da ist ganz bestimmt was dabei.“
Aber er schien das gar nicht wirklich zu hören. Denn statt darauf einzugehen, wurde er wieder laut und sprang erneut auf. „Wisst ihr, vielleicht soll das auch alles gar nicht sein …! Vielleicht soll ich nicht heiraten, nicht glücklich sein, passt doch auch gar nicht zu mir … Ich bin doch kaputt, total gestört und krank, wozu sollte man mich heiraten?!“
Meto sah ihn reichlich entsetzt an. „Tsu …“
Ich sah, wie sich etwas weiter weg ein paar Leute zu uns umdrehten, aber ich sagte nichts. So ein ‚Sei still, die Leute gucken schon‘ würde Tsuzuku nur unnütz wehtun, und das wollte ich wirklich nicht.
„Tsuzuku, du weißt, dass ich dich will“, versuchte Meto, die Situation auf seine Weise in den Griff zu bekommen. „Das hatten wir doch letztens erst, und ich kann dir nur immer wieder sagen, dass ich dich mit allem will und liebe, was du bist. Ich hab zu deinem Antrag ‚Ja‘ gesagt, und dabei bleibe ich, weil du alles bist, was ich will.“
„Und was bin ich?! Was an mir ist bitteschön so toll?!“
Meto sagte nichts weiter dazu. Die Leute weiter hinten schauten immer noch zu uns rüber, und Meto sah es auch, und vielleicht tat er das, was er dann tat, genau deshalb: Er griff wortlos Tsuzukus Hand und zog ihn nah zu sich, der ließ sich überrascht mitziehen, und dann küsste Meto ihn, vor allen Leuten, mitten auf den Mund und absolut eindeutig.
„… Und das wird immer meine Antwort sein, Tsuzuku, das und nichts anderes, für den Rest meines Lebens, mein Herz“, hörte ich ihn sagen und sah, wie er liebevoll Tsu’s Gesicht in seinen Händen hielt und ihm in die Augen sah. „Auch, wenn es dir gerade Angst macht, dass wir heiraten werden, andererseits willst du es so sehr. Und diese andere, glückliche Seite von dir, die mich heiraten und für den Rest unseres Lebens das Bett mit mir teilen will, auf diese Seite hören wir jetzt, ja?“
Tsuzuku nickte nur, hatte Tränen in den Augen.
Meto ging zu dem Stapel Klamotten hinüber und begann, da ein wenig Ordnung hinein zu bringen, und Tsu stand einfach daneben und sah zu. Er schien zwar immer noch in sich unsicher zu sein, aber dafür vertraute er Meto offenbar so weit, dass er diesen seinen Anzug aussuchen ließ.
„Was für Schuhe willst du anziehen?“, fragte Meto und hatte dabei eine dunkle, lange Hose in der Hand, die halb nach VKei und halb nach einem eleganten, hübschen Anzug aussah. Sie war teils aus glänzend schwarzem Jersey-Samt und teils aus ebenso schwarzem Nadelstreifenstoff gefertigt und hatte ein paar Bänder und Schnallen dran.
„Weiß nicht, vielleicht die roten?“
Meto warf einen abschätzenden Blick auf die Hose und dann auf Tsu, dann nickte er. „Okay, dann die roten Schuhe mit dieser Hose?“
Tsuzukus Blick war zwar ein wenig skeptisch, es war sicher nicht einfach für ihn, gerade in diesem Moment der ‚Selbstbild-Blindheit‘ herauszufinden, ob ihm diese Hose für sein Hochzeitsoutfit wirklich gefiel, aber schließlich nickte er. „Ja, das kann ich mir vorstellen.“
So ging es dann noch ein wenig weiter, zu der Hose gab es dann eine passende Jacke und ein dunkles, leicht rüschenbesetztes Hemd, dazu noch ein bisschen silbernen Schmuck. Die Schuhe hatte Tsuzuku ja schon zu Hause, und auf diese dunkelroten Anzugschuhe hatten die beiden den Rest des Outfits jetzt fest abgestimmt.
„Du wirst so wunderschön aussehen, mein Herz“, sagte Meto, als wir den Laden mit vollen Einkaufstüten verließen.
Tsuzuku lächelte. „Du bestimmt auch, Baby.“
„Aber du darfst mich erst dann in dem Kleid sehen“, bemerkte Meto und wandte sich an mich: „Ko, du musst gut auf das Kleid aufpassen.“
„Na klar“, sagte ich und war einfach froh, dass die kleine Krise vorhin nicht schlimmer geworden war.
Eigentlich hatte ich im Stillen noch gehofft, wir würden nach dem Shoppen noch ein wenig Sightseeing machen, so ein kurzer Blick auf den Kinkakuji und ein kleiner Spaziergang im Geisha-Viertel Gion hätte mir schon gefallen, aber ich sah ein, dass Tsuzuku darauf jetzt keine Lust hatte und Meto auch ziemlich erschöpft war.
Aber wahrscheinlich würde sich das sowieso noch ergeben, wenn die beiden hier in Kyoto heirateten, dass ich dann meine Sightseeing-Tour mit Mikan machen konnte.
Wir machten uns dann auf den Rückweg, nahmen die Straßenbahn zum Hauptbahnhof, und von dort wenig später den Zug nach Hause. Am Bahnhof hatten Meto und ich uns je ein Bento gekauft und während der Fahrt wurde ich dann Zeuge, wie Tsu seinen Anteil davon abbekam, Meto ließ es sich trotz der Öffentlichkeit um uns herum nicht nehmen, seinen Schatz zu füttern. Es schien schon ein kleines Ritual zwischen den beiden zu sein, und vielleicht zeigte es ja bald Wirkung und Tsuzuku würde ein wenig zunehmen.
In unserer Stadt angekommen, begleitete ich die beiden noch nach Hause. Metos Kleid war gut in einer blickdichten Hülle verpackt. Und nachdem wir noch ein bisschen gesessen und geredet hatten und ich sicher war, dass es beiden nach diesem Tag gut ging, machte ich mich mit dem Kleid im Gepäck auf den Weg zurück in mein eigenes Zuhause. Ich würde gut darauf achtgeben, war ich doch sozusagen ‚Trauzeuge‘ dieser Beziehung und derjenige, der versuchte, von außen her auf ihrer beider Liebe aufzupassen.
Den Rest des Abends verbrachte ich vor dem Fernseher, das Kleid hing sicher in meinem Schrank und ich schaute wieder koreanische Liebesfilme an, weil ich einfach romantisch gestimmt war.
Irgendwann später schrieb ich noch mal mit Mikan, wir schickten Herzchen und Küsschen hin und her und sagten uns dann ‚Gute Nacht‘, ich ging dann auch gleich ins Bett.
Es dauerte eine Weile, bis ich einschlafen konnte, denn zuerst gingen mir von irgendwoher Tsuzukus Worte von seinem leichten Anfall im Klamottenladen noch mal durch den Kopf: ‚Und was bin ich?! Was an mir ist bitteschön so toll?!‘
Es machte mich traurig, dass er manchmal so blind für sich selbst zu sein schien. Er war so ein liebevoller, wunderbarer und nebenbei auch noch sehr attraktiver Mensch, aber es schien oft so, als könnte er das selbst gar nicht erkennen. Es war schon ein merkwürdiger Gedanke, dass gerade er, der sogar in meinen Hetero-Augen ein auffallend schöner Mann war, sich vielleicht manchmal kaum im Spiegel anschauen konnte, weil er sich so verzerrt wahrnahm, dass er entweder nichts sah oder sich vielleicht sogar hässlich fand.
„Ach Tsuzuku …“, sprach ich leise in die Dunkelheit und hoffte, dass er gerade glücklich in Metos Armen lag. „Was machen wir nur mit dir, hm?“
Ich drehte mich auf die andere Seite, zog meine Bettdecke hoch und war dann zum Glück bald eingeschlafen.
Ich hatte schlecht geträumt, total wirres Zeug, und war mit dem Salz getrockneter Tränen um die Augen herum aufgewacht, mitten in der Nacht. Meto lag neben mir und schlief, es war dunkel und ich konnte ihn kaum sehen, aber ich spürte seine Nähe und die Wärme seines Körpers bei mir.
Mein eigener Körper fühlte sich seltsam an, irgendwie leicht und dennoch schwer, und so fremd, als sei zwischen meiner Seele innen und meiner Haut zu viel freier Raum in mir. Ich spürte so etwas wie einen leichten Schwindel, schloss die Augen und öffnete sie wieder, und auf einmal schien alles um mich herum so seltsam weit weg, wie der Blick durch ein umgedrehtes Fernglas, ich hörte eine Art merkwürdiges Rauschen und hatte ein eigenartiges Gefühl im Mund.
Angst ergriff mich, ich wusste das, was hier mit mir passierte, nicht einzuordnen. Es war, als würde ich noch ein Stückchen mehr wahnsinnig werden … Es kam mir zwar ganz entfernt bekannt vor, irgendwann musste ich so etwas schon mal erlebt haben, aber ich wusste absolut nicht, wann genau.
Zu dem anhaltenden Gefühl von Entfernung und Verbindungsverlust kam mein Herz, das von der Panik zu schmerzen begann, ich spürte, dass mein Körper zitterte, aber zugleich fühlte er sich nicht wie der meine an, mehr wie irgendeiner, entfernt und seltsam fremd …
Sollte ich Meto wecken? Ihm versuchen zu beschreiben, was ich hier gerade erlebte? Würde er es verstehen können? Ich hatte das Gefühl, dass ich allein damit war, dass niemand anderes dieses eigenartige Erleben verstehen konnte.
Niemand anderes? Mit einem Mal fiel mir Hitomis Buch ein.
Ich schlug langsam die Bettdecke beiseite, erhob mich schwankend, das Umgedrehtes-Fernglas-Gefühl nahm noch weiter zu, und ich tastete mir mit diesem furchtbaren, eigenartigen Gefühl zitternd durch das Dunkel vor bis zur Schlafzimmertür, die offen stand, und dann rüber ins Wohnzimmer, wo ich Licht machte und dann mit zitternden Händen das Borderline-Buch aus dem Regal nahm.
Ich überflog das Inhaltsverzeichnis und landete bei dem Begriff ‚Wahrnehmungsverzerrungen‘, gefolgt von dem seltsamen Wort ‚Dissoziation‘. Mit fliegenden Fingern blätterte ich zu dem angegebenen Kapitel vor und fand dort nach einem Einführungstext, den zu lesen meine Konzentration jetzt überstiegen hätte, eine knapp verfasste Stichwort-Liste mit Anzeichen für dieses Phänomen. Mein Herz klopfte aufgeregt, als sich die Anzeichen in dieser Liste mit meinem Erleben zu decken begannen, und diese Liste war, wie darunter zu lesen war, direkt von Betroffenen zusammen gestellt worden, beschrieb also das echte Erleben, so wie es war.
Ich ließ mich aufs Sofa sinken, versuchte, ruhig ein und aus zu atmen, aber das fremde, seltsame Gefühl in meinem Mund und die Verzerrung meiner Sicht hielten noch eine Weile an, was mich meine Zunge gegen meinen Gaumen drücken und immer wieder heftig blinzeln ließ. Meine Hände zitterten stark und ich spürte immer noch das Stechen in meinem Herzen.
„Okay, Tsuzuku, das nennt man also eine Dissoziation …“, hörte ich meine eigene Stimme wie von weit weg sagen, ich versuchte, mich so zu beruhigen, indem ich halblaut mit mir selbst sprach. „Da steht, dass das nach einer Weile wieder vorbei geht, du musst nur abwarten.“
Ich schaute wieder in das Buch, vielleicht standen da auch Möglichkeiten, wie man diese Verzerrungen wieder weg bekam. ‚Wasser trinken‘ stand da, unter anderem, und ‚Auf und ab gehen‘. Auch ‚scharf essen‘ war ein Punkt, und ‚Ammoniak riechen‘, aber das kam mangels Vorhandensein nicht in Frage. Ich ging also rüber in die Küche, nahm mir ein Glas und ließ es am Wasserhahn volllaufen, trank es in zwei gierigen Zügen aus, dann ging ich zur Küchentür und von dort zum Fenster, wo meine Zigaretten lagen.
Ich wusste nicht, ob Rauchen in dieser Sache förderlich oder eher problematisch war, also ließ ich es mal lieber sein und ging stattdessen zurück ins Wohnzimmer, lief zu Metos Schreibtisch, zweimal ums Sofa herum und vom Regal zum Fenster, hin und her, und dann wieder in die Küche, um noch ein Glas Wasser zu exen.
Und auf einmal war alles wieder normal, von einer Sekunde auf die andere waren die Verzerrungen wieder verschwunden, die mir eben noch solche Angst gemacht hatten. Ich wusste nicht, ob das Herumgehen und das Wasser geholfen hatten oder ob es von alleine wieder gut geworden war, aber das war mir auch egal, ich war einfach nur froh, dass es vorbei war.
Ich ging ins Schlafzimmer zurück, legte mich wieder zu Meto ins Bett und kuschelte mich rückwärts an seine Vorderseite, fühlte seine Wärme und legte seinen oben liegenden Arm über meine Seite, hielt seine Hand mit meiner fest. So umarmt konnte ich schlafen und schon bald war ich wieder im Land der Träume, wo ich dieses Mal auch von allzu schmerzhaften Albträumen verschont blieb.
Doch als ich am Morgen wieder erwachte, fühlte ich mich kaum besser, wie gerädert. Mein Kopf tat weh und ich war furchtbar müde, brauchte eine ganze Weile, bis ich überhaupt so weit wach war, dass ich mich aufsetzen und dann auch hören konnte, wie Meto anscheinend schon unter der Dusche stand.
Und auch emotional war ich nicht gut drauf, konnte aber nicht benennen, was da genau in mir los war, es war ein verschwommenes Durcheinander, irgendwo zwischen Druck und Leere.
Langsam stand ich auf und ging rüber ins Bad, wo Meto immer noch duschte, und ich putzte mir erst mal die Zähne, da ich auch wieder dieses eigenartige Gefühl im Mund hatte.
„Guten Morgen, mein Schatz“, begrüßte Meto mich und wischte dabei mit der Hand ein wenig den Wasserbeschlag an der Duschkabinentür weg, um mich besser sehen zu können.
„Morgen“, erwiderte ich nur und begann, meine Haare zu kämmen, einfach nur um irgendwas zu tun, denn wenn ich gleich auch duschen ging, würden sie danach ja sowieso nass und durcheinander sein.
„Alles okay?“ Typisch Meto, er merkte einfach alles …
„Weiß nicht …“, antwortete ich.
Und Meto deutete es, weil er mich einfach zu gut kannte, ganz richtig als „Mir geht’s nicht gut“.
„Also nicht so gut?“, fragte er, nahm sich sein Handtuch, kam aus der Dusche und sah mich einen Moment lang an, fragte dann: „Möchtest du eine Umarmung?“
Ich nickte nur und er kam zu mir, legte seine Arme um mich und drückte mir einen sachten Kuss auf meine Halsbeuge. Manchmal waren seine Küsse wie kleine Pflaster auf meinen seelischen Wunden, heilten mich zwar nicht, aber taten dennoch so gut!
Ich seufzte leise und Meto schenkte mir ein weiteres liebes Küsschen, dann sagte er: „Vielleicht, falls dir danach ist, lass dir doch heute dein Tattoo weiter machen? Danach geht’s dir ja vielleicht besser?“
„Vielleicht …“, sagte ich. Aber das war tatsächlich eine gute Idee. Ich dachte an das Surren der Nadel und den süßen, definierenden, mich glücklich machenden Schmerz, und da wusste ich, Meto hatte Recht, es war das Richtige für heute.
„Nicht nur vielleicht“, korrigierte ich mich umgehend. „Sondern ganz bestimmt!“
Meto lächelte, sein von mir so heiß geliebtes, breites, liebes Meto-Lächeln, und antwortete: „So ist gut, mein Herz, so muss das sein.“ Er streichelte meine Wange, küsste mich auf den Mund und flüsterte ein süßes „Ich liebe dich, Tsu“ gegen meine Lippen.
Während er sich dann anzog, ging ich duschen und er blieb bei mir im Bad, ich spürte, er machte sich wieder Sorgen um mich. Und später beim Frühstück versuchte ich zwar, etwas zu essen, aber ich hatte ein solches Druckgefühl auf der Brust, dass ich kaum einen Bissen runter bekam, und mich daher dann doch meinen Zigaretten am Fenster zuwandte.
Meto beobachtete das mit Sorge, sagte aber nicht viel dazu. Er stand, nachdem er fertig gegessen hatte, einfach auf, nahm Ruana in die Hand und drückte sie sachte an mich.
„Tsu traurig?“, ließ er sie mit Babystimme fragen. „Ruana ihn wieder froh machen?“
Ich kraulte sie ein wenig hinter ihren weichen Ohren, und sie stupste ihre Nase gegen meine Hand. Meto ließ sie leise lachen, und ich beugte mich runter und gab unserer Kleinen ein Küsschen aufs Köpfchen. Auch, wenn es mir gerade nicht so gut ging, ich wollte trotzdem lieb zu unserem Baby sein, sie konnte ja schließlich nichts dafür.
Ruana kuschelte sich noch ein wenig an mich, und ich kraulte sie mit der einen Hand, drückte mit der anderen die Zigarette aus. Schließlich sollte unser Kind nicht zu viel Rauch abbekommen.
Meto sah mich an, in seinen dunklen Augen stand die Frage danach, ob ich mich jetzt zumindest ein wenig besser fühlte, und ich nickte, lächelte ein wenig. Er war so lieb und süß, gab sich solche Mühe, mich glücklich zu machen, also wollte ich glücklich sein, für ihn, weil er sich das so sehr wünschte.
„Dann lass dir heute das neue Tattoo fertig machen, okay?“, fragte er noch einmal.
„Ja, mach ich. Sofern nichts anderes ansteht, ne …“
„Und heute Abend machen wir’s uns gemütlich, schön kuscheln und vielleicht auch mehr …“, flüsterte er noch in mein Ohr.
Irgendwie rührte mich das in diesem Moment sehr, wie er immer bereit war, mich zu lieben, ich wusste, dass das nicht selbstverständlich war. Und so küsste ich ihn, so zärtlich, wie ich in diesem Moment nur vermochte, um ihm immer wieder für diese Liebe zu danken.
Später dann, als ich allein in der Bahn zur Arbeit saß und mein Spiegelbild in der Fensterscheibe sah, mit dem noch unfertigen Tattoo an meinem Hals, da fühlte ich mich schon ein wenig besser, spürte einen steigenden Anflug von Vorfreude.
Ich war mir jetzt sicher, es würde mir gut tun, die Nadel und der Schmerz und die gewollte, positive Veränderung. Nach dieser Vielleicht-Dissoziation von heute Nacht wollte ich jetzt frühzeitig etwas tun, um nicht wieder ganz abzustürzen.
Koji war schon da, er war meistens der erste im Studio, und ich ging gleich zu ihm und fragte ihn: „Hast du heute noch mal Zeit für mein Tattoo? Ich würde das heute gern weiter machen.“
Er sah auf und lächelte. „Klar, ich schieb dich da dazwischen, sind einige Termine heute, aber ich hab gegen elf oder so ‘ne Weile Zeit, okay?“
Ich setzte mich dann an meinen Tisch und begann, die dort stehende Nadelmaschine vorzubereiten, denn heute würde meine Tätigkeit darin bestehen, dass ich mich auf nicht gegerbter Tierhaut im Stechen feinerer Motive übte. Die Sache mit der Kundin letztens, die ich hatte abweisen müssen, weil ich mir ihr zierlich-feines Geisha-Motiv nicht zugetraut hatte, das störte mich doch sehr. Also wollte ich jetzt zusehen, dass ich mich bald dahingehend verbesserte und weiter entwickelte, solche fein gezeichneten Bilder ähnlich sicher stechen zu können wie die einfacheren Zeichenstile, die ich bereits fast im Schlaf beherrschte.
Und so lief der Vormittag für mich sehr bemüht und konzentriert ab, ich versuchte wirklich, mich zu verbessern, und größtenteils gelang mir das sogar. Bis auf zwei Momente zwischendurch, als ich von meinem eigenen Perfektionismus derartig genervt war, dass ich die verdammte Nadelmaschine am liebsten in die nächste Ecke gefeuert hätte. Aber am Ende hatte ich dennoch das Gefühl, zumindest ein bisschen was dazu gelernt zu haben.
Gegen elf, als Koji dann zu mir an den Tisch kam und sagte, er hätte jetzt genug Zeit für mich und mein Tattoo, war ich aber doch innerlich auf einem ziemlich hohen Anspannungslevel. Er hatte meine Zeichnung schon in der Hand und hatte sich am Rand Notizen und kleine Test-Skizzen dazu gemacht.
Ich atmete einmal tief durch, dann folgte ich Koji wieder hinter einen der beiden schwarzen Vorhänge, welche die Tätowierer-Kabinen vom Rest des Studios diskret abteilten. Ich setzte mich dahinter auf die Liege und Koji nahm sich wieder einen Hocker mit Rollen.
„Alles gut, Tsuzuku?“, fragte er und sah mich aufmerksam an.
„Passt“, sagte ich nur.
„Und dann willst du das heute trotzdem weiter machen?“
„Ja. Deswegen ja.“
„Okay, aber wenn irgendwas ist oder so, dann sag mir bitte sofort Bescheid.“ Koji sah ernst aus und ich fragte mich, wie viel er eigentlich über meine Krankheit im Allgemeinen wusste. Wahrscheinlich nur das übliche Teilwissen …
„Koji?“, sprach ich ihn leise an, und als er „Ja?“ antwortete, fuhr ich flüsternd fort: „Was weißt du eigentlich so … also, über Borderline …?“
„Ich hab in meiner Ausbildung mal so nen Zusatzkurs belegt, über Risikogruppen in der Bodyart-Szene, da ging es vor allem um Aids-Kranke oder Leute, die Blutverdünner nehmen müssen, aber halt auch um so was wie Borderline …“, sagte er, ebenso leise. „Aber ich halte dich nicht für verrückt, da musst du keine Angst haben. Ich will nur … na ja, ich will dich ja nicht verletzen, oder irgendwas Schlimmes falsch machen, von daher ist mir schon wichtig, dass ich das weiß, dass du … na ja, solche Probleme hast, verstehst du?“
Ich nickte. Ja, das verstand ich.
„Also machst du das mit dem Tattoo heute, damit es dir besser geht?“, fragte er noch.
„Ja. Ich hab heute Nacht sehr schlecht geschlafen und ich will einfach nicht schon wieder so eine schlimme Krise …“
„Ist gut. Dann fangen wir mal an.“
Ich nahm mir die Haarklammern und fasste meine Haare damit zusammen, zog mein Shirt aus, und Koji bereitete die Nadelmaschine vor.
„Willst du wieder so sitzen oder dieses Mal lieber liegen?“, fragte Koji noch, und ich antwortete, dass ich lieber sitzen wollte.
Dann schaltete er die Nadel ein und begann mit seiner Arbeit. Das süße Brennen auf meiner Haut entspannte mich beinahe sofort und ließ zugleich mein Herz ein wenig schneller klopfen. Vielleicht seltsam, dass es mir so gut tat, aber das tat es eben und ich liebte es.
Wie gut Meto mich kannte, dass er heute Morgen gewusst hatte, wie gut mir eine erneute Tattoo-Session tun würde!
Meto … Ob er dieses Gefühl des Tattoo-Stechens ebenso sehr liebte wie ich? Wahrscheinlich nicht, ihm gab dieser Schmerz sicher nicht dasselbe berauschende Wohlgefühl, er war ja nicht so schmerz-affin wie ich. Für ihn war dieses Brennen auf der Haut nur ein Nebeneffekt, er liebte mehr den Look des fertigen Tattoos, die Schönheit und Bedeutung der Motive.
Und dennoch, obwohl ich das wusste, kam mir in diesem Moment der Gedanke, dass ich Meto, wenn ich dann endlich mal sein Tattoo weiter bunt machte, dieses von mir so geliebte Gefühl ebenso schenken würde. Vielleicht würde er es lieben, weil ich es war, der es ihm zufügte, zumindest hoffte ich das irgendwie …
Während Koji mit der surrenden Nadel die Schere mit der gemalten Wunde weiter in meine Haut zeichnete, und ich den Schmerz und die Veränderung genoss, dachte ich zugleich an Meto, an seinen süßen Körper mit den wunderschönen, bunten Tattoos und den vielen Piercings.
Und die Vorstellung von meinem so wie verrückt geliebten Meto, wie er nach seiner eigenen, von mir selbst durchgeführten Tattoo-Session dann später nackt in meinen Armen lag und ich das Ergebnis meiner Handwerkskunst auf seinem Körper in voller Schönheit anschauen und mit zärtlichen Küssen übersäen durfte … dieser Gedanke machte mich noch so viel glücklicher!
„Denkst gerade wieder an deinen Freund, stimmt‘s?“, fragte Koji, als er neue Tinte in die Nadel füllte.
Ich schreckte auf. „Sieht man das?“
„Du strahlst wie ein Honigkuchenpferd.“ Koji grinste. „Find ich aber nicht mal schlecht. Ich steh auf Frauen, aber mir ist egal, worauf andere stehen, muss ja jeder selber schauen und so. Und ich muss schon sagen, es ist ziemlich … beeindruckend, das mit deinem Freund und dir, fast schon süß.“
Ich lachte auf. „Du klingst wie mein bester Freund Koichi, der sagt so was auch immer.“
„Recht hat er. Dein Schatz war ja kurz hier, als du im Krankenhaus lagst, er hat dich extra abgemeldet, und ich muss schon sagen, der ist was Besonderes. Nicht so die klassische Schönheit, aber auf so ‘ne bestimmte Art echt … süß?“
„Er ist süß“, sagte ich und spürte selbst, wie verliebt ich gerade aussah. „Das Süßeste, was ich mir überhaupt vorstellen kann …“
„Und küsst er gut?“, fragte Koji, grinste wieder. „Er hat ja … auffallend volle Lippen.“
Ich nickte. „Er küsst so gut wie niemand sonst auf der Welt.“
Koji stellte die Nadel wieder an, sagte „Endspurt, gleich ist das Ding fertig“, und setzte dann zum Finale der Session an. Ich schloss die Augen, fühlte und genoss den Schmerz, mein süchtiges Sehnen danach, und das Gefühl, für einen kurzen Augenblick zu wissen, wer ich war. Benennen konnte ich dieses Selbstgefühl nicht, nur spüren, es war ein beinahe wortloses Gefühl.
Viel zu früh war Koji fertig, nahm die Nadel von meiner Haut weg und stellte den surrenden Motor ab. Ich öffnete die Augen und er hielt mir einen Spiegel hin.
„Gefällt‘s dir?“, fragte er.
Ich drehte den Kopf ein wenig zur Seite und besah die fertige Schere auf meiner Haut, die beiden Tausendfüßler und die gemalte Wunde, und es fühlte sich vollkommen gut und richtig an.
„Sieht toll aus, ich mag’s“, sagte ich.
Es fühlte sich aber ein bisschen eigenartig an, dass es jetzt schon fertig war, und ich dachte daran, dass ich mir das nächste Tattoo dann auf drei oder noch mehr Sessions aufteilen wollte, um noch mehr davon zu haben.
Koji klebte mir wieder Schutzfolie auf die Haut, und sagte dabei: „Die üblichen Pflegehinweise und so weiter kennst du ja längst.“
Ich zog mein Shirt wieder an, nahm die Haarklammern raus und als ich den Vorhang beiseite zog und wieder zu meinem Tisch ging, sah ich, wie Kurata gerade in seinem Büro bei offener Tür seine Mittagspause machte. Ich schaute auf die Uhr, es war wirklich Zeit für ‘ne Pause, und ich beschloss einfach mal, diese Pause in der Stadt zu verbringen und nicht hier im Studio.
Ich sagte Koji Bescheid, dass ich draußen in der Stadt Mittag machen wollte, dann nahm ich meine Tasche und ging los, ließ mich spontan und nach Impuls einfach durch die Straßen treiben, von der Innenstadt führten mich meine Schritte recht bald in Richtung Rotlichtviertel. Ich hatte Lust, mich bei Charlize wieder mal ein wenig umzusehen oder vielleicht in dem anderen Laden, wo ich vor einer Weile ja mal ein schönes Buch gekauft hatte.
Statt also zu Mittag zu essen, ließ ich das wieder mal ausfallen, mir war eh nicht danach, und bald stand ich vor der Tür des ‚Love Paradise‘, ging hinein, hörte die Türglocke und wie Charlizes rauchige Stimme „Herzlich Willkommen“ rief.
„Ich bin‘s“, antwortete ich, und da kam er auch schon an, wie immer aufgedonnert bis zum Geht-nicht-mehr, ein echter Paradiesvogel.
„Ah, du bist das wieder, Süßer“, begrüßte er mich. „Was kann ich denn heute für dich tun?“
„Ich hab Mittagspause und wollte mich hier einfach mal wieder umschauen“, sagte ich wahrheitsgemäß, und Charlize brach in lautes Lachen aus.
„Ist das süß, du opferst deine Mittagspause, um dich bei mir nach neuen Toys umzusehen!“
„So sieht‘s aus.“
„Dein Sahnestückchen von Freund hat es so gut, du gibst dir richtig schön Mühe.“
„Ich lieb ihn ja auch, und ich will, dass er absolut süchtig nach mir ist.“
Irgendwie fiel es mir gerade in dieser Umgebung und gegenüber dieses Typen, der eine solche Akzeptanz jeglicher Liebesspielart ausstrahlte, ganz leicht, so ehrlich zu sein.
„Und wonach steht euch beiden gerade so der Sinn?“, fragte Charlize.
Ich sah mich kurz um, und dabei blieb mein Blick an einem Plug in einer der Vitrinen hängen, ein relativ kleines, glänzend schwarzes Teil mit einem runden, weißen Glitzerstein am Stopper, das seiner Form nach zu schließen dazu gedacht war, es ein wenig länger zu tragen. Binnen Sekunden hatte dieser Plug mein Interesse geweckt.
„Sag mal, wie lange kann man so ‘nen Plug eigentlich drin haben?“, fragte ich geradeheraus.
„Das kommt auf die Form an, und darauf, wie weit du dehnen kannst. Aber dieser hier …“ Charlize deutete auf eben jenen Plug, „… den kann man lange tragen, ein paar Stunden. Ab und zu rausnehmen und neues Gleitgel drauf machen, dann sind drei, vier Stunden schon drin.“
„Hört sich gut an.“
„Ihr beiden tauscht auch richtig, ne?“, fragte Charlize.
Ich nickte. „Ich mag’s beides, sowohl nehmen, als auch genommen werden, finde ich beides schön.“
„Und dein Schatz nimmt dich auch gern?“
„Er war erst ein bisschen unsicher, aber ich glaube, inzwischen steht er da genauso drauf wie ich.“
Charlize strahlte mich an. „Also, wenn der nicht in so festen Händen wäre, ich würd mir glatt die Finger nach so einem Sahnestückchen lecken, der ist einfach zu süß!“
„Hey, Finger weg, das ist meiner, ok?!“
„Ist ja gut, reg dich nicht auf. Ich mach nur Spaß.“
Charlize zog einen Schlüssel hervor und öffnete die Vitrine, nahm den Plug heraus und hielt ihn mir hin. „Fühl mal, das ist massives, lackiertes Aluminium, schön kühl und schwer, du wirst das lieben.“
Ich nahm das Teil in die Hand, und tatsächlich fühlte sich dieses schwere, glatte Material schon in der Hand erregend an. Und die Vorstellung, so ein Ding über längere Zeit in mir zu haben, mich damit zu bewegen und dabei heimliche Lust zu fühlen, tat ihr Übriges, dass ich mich spontan entschied, dieses Teil zu kaufen.
„Hach, ich mag solche Männer wie dich“, seufzte Charlize, als ich mein Interesse an dem Plug noch ein wenig deutlicher signalisierte. „Du bist so direkt und hast keine falsche Scham, bist aber trotzdem treu und süß, dein Sahnestückchen kann sich echt glücklich schätzen.“
„Übertreib mal nicht“, erwiderte ich nur, denn Charlizes schwärmerisches Geblubber erinnerte mich langsam doch an diese seltsamen Yaoi-Fan-Mädchen in Koichis Café. Klar war es schön, dass es manchen Leuten gefiel, wie ich mit Meto zusammen war, aber ich konnte mit diesen so sehr überschwänglichen Komplimenten einfach nicht gut umgehen, und es war mir einfach irgendwie unangenehm. Am wenigsten störte es mich bei Koichi, aber gerade vonseiten von Mädchen mochte ich das weniger …
Warum konnte es nicht einfach vollkommen normal sein, dass Meto und ich eben beide Männer waren? Warum kam uns oft entweder Ablehnung oder schwärmerisches Fangirl-Verhalten entgegen? Klar, manche behandelten uns schon auch normal, aber das ging so oft zwischen Ablehnung und Schwärmen unter, irgendwie …
Ich folgte Charlize zur Kasse und bekam, als ich den Plug bezahlte, noch eine kleine Probepackung eines angeblich neuartigen Gleitgels mit dazu, dann verließ ich den Laden. Irgendwie war ich auf einmal genervt von diesem Typen, etwas an ihm regte mich unterschwellig auf, sodass ich fast überlegte, erst einmal eine Weile lang nicht mehr herzukommen.
Andererseits war mir dieser Gedanke unheimlich, Charlize hatte nichts getan und dennoch war ich ehrlich gesagt ziemlich sauer auf ihn. Ich wusste ja, gesund war das nicht.
Auf dem Weg zurück zum Studio kam ich an einem Bäckerladen vorbei, der natürlich einen französischen Namen hatte und dieses extrem weiße Brot verkaufte. Mich lachte im Vorbeigehen ein rundes Törtchen an, so was mit viel Sahne und süßen, kleinen Erdbeeren drauf, und kurzentschlossen ging ich hin, holte meinen Geldbeutel raus, sprach die Verkäuferin an und deutete auf das Törtchen.
„Das da, bitte.“
Die Verkäuferin sah mich an und irgendwie kam es mir doch so vor, als versuchte sie, einen Zusammenhang zwischen meiner schmalen Figur und diesem sahnigen Törtchen herzustellen, dann nahm sie einen Tortenheber und holte besagtes Törtchen aus der Auslage.
„Hier essen oder mitnehmen?“, fragte sie.
„Mitnehmen.“
Sie packte es in Papier und eine feste Tüte ein, ich bezahlte und ging weiter. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zuletzt ein derartig fettes Stück Kuchen gehabt hatte, und einen Moment lang hätte ich es am liebsten weggeworfen, aber ich nahm es mit zum Studio und stellte es da auf den Tisch im Pausenraum.
Gerade kam Koji aus der Raucherecke im Hinterhof, er sah mich mit dem Törtchen und fragte: „So was zum Mittag?“
Ich zuckte nur mit den Schultern. Was hatte ich mir bitte dabei gedacht?! Nichts, gar nichts, und jetzt stand ich hier mit einer dämlichen Erdbeer-Sahnetorte und spürte diesen verdammten Druck im Bauch! Was sollte das?! Ein Frust-Fress-Kauf wegen meiner unbegründeten Wut auf Charlize?!
„Kannst was abhaben, wenn du willst“, sagte ich und hörte selbst, dass es mehr wie ein „Nimm das bloß weg, ich will’s gar nicht“ klang. Verdammt, warum war ich denn jetzt so drauf? Ich hatte doch wirklich versucht, alles zu tun, damit es mir gut ging!
Kojis Blick sprach von Besorgnis. „Alles okay, Tsuzuku?“
„Keine Ahnung … na ja, ich hab mich über jemanden geärgert, aber … irgendwie ohne Grund? Ich versteh mich gerade selber nicht …“
„Wenn du reden willst …“
„Nee, lieber nicht.“
„Hm … Ist okay.“
Koji wandte sich dann wieder seiner Arbeit zu und ich mich der meinen.
Und während ich weiter möglichst fein gezeichnete Tattoo-Motive zur Übung in rohe Tierhaut stach und dabei mein eigenes neues Tattoo immer mal wieder im Spiegel ansah, kam in mir das starke Gefühl hoch, dass ich irgendwas Krasses tun musste, etwas Intensives, Verruchtes, das garantiert dafür sorgte, dass ich mich gut und außergewöhnlich fühlen würde. Ich brauchte einen aufregenden Reiz, von dem ich zuvor noch nicht gekostet hatte …
Mir fiel der Plug ein und die kleine Probepackung Gleitgel, und die Idee formierte sich in mir binnen Sekunden: Ich stand auf, nahm meine Tasche und ging zur Toilette, schloss mich dort in die erste Kabine ein und holte Plug und Gleitgel-Probe aus meiner Tasche.
Mein Herz klopfte mir aufgeregt bis zum Hals, aber es war eine erregende Aufregung, ein richtig angenehmer Nervenkitzel. Mit leicht zitternden Fingern packte ich den Plug aus, öffnete meine Hose, schob sie ein Stück runter und tastete hinein bis nach hinten, wo ich tatsächlich meinen erregten Puls spürte, der Nervenkitzel hatte wirklich eine anregende Wirkung.
Ich machte die kleine Tube mit dem Gleitgel auf, tat mir einen Teil ihres Inhaltes auf die Finger und verschloss sie dann sorgfältig wieder, dann griff ich den Plug, benetzte ihn ausgiebig mit dem Gleitgel und setzte ihn ohne hinzusehen an mein Loch, schob dieses kühle, schwere, glatte Metallteil langsam bis zum Stopper in mich hinein.
Mir entwich ein halb unterdrücktes Stöhnen, als die harte Spitze des kleinen Spielzeugs in meinem Innern gegen meine Prostata drückte und mir das einen heißen Schauer durch den Unterleib jagte.
Es war ungewohnt, etwas so hartes im Hintern zu haben, ohne Metos nackten Körper dabei, aber zugleich war es erregend neu und interessant, ich konnte mich freier bewegen und die Form des Plugs war mit dem schmalen Steg, dem dickeren, konisch geformten Ende und dem flachen Stopper doch eine ganz andere als die eines echten Schwanzes, der ja durchgehend etwa gleich dick war.
Meine Hand tastete noch ein wenig dort, ich spürte, wie der Plug saß, und fühle den facettiert geschliffenen Zierstein am Stopper unter meinen Fingern. Vielleicht würde Meto dieser Anblick ja gefallen, wie dieser große, glitzernde Schmuckstein an meinem Hintern glänzte?
Ich machte meine Hose wieder zu, verließ die Kabine und spürte den Plug bei jedem Schritt erregend hart und zugleich süß stimulierend in meinem Eingang stecken. Und als ich einen kurzen Blick in den Spiegel riskierte, sah ich ein gewisses Leuchten in meinen Augen, das mich irgendwie schön machte.
Versuchend, dass man mir mein kleines Geheimnis beim Gehen nicht anmerkte, kehrte ich an meinen Platz zurück, wo gerade Ami stand und Koji bei seiner Arbeit zusah. Ami war mit Piercings begabter als mit Tattoos, musste also weniger Motive üben, und wenn sie gerade keine Kunden hatte, saß sie recht viel herum oder half Kurata bei organisatorischen Aufgaben.
Ich setzte mich auf meinen Platz, spürte den Plug in mir, und in meinem Kopf tauchte ein äußerst erregendes Fantasiebild auf: Metos nackter, süßer Körper, gefesselt und mit verbundenen Augen unter mir, ich nahm ihn und spürte bei jedem Stoß zugleich seine heiße Enge und den Plug in meinem eigenen Hintern.
Amis Lachen ließ mich aufschrecken. „Koji, guck mal, Genki hat anscheinend gerade das allerschönste Kopfkino!“
„Äh, was?“, brachte ich überrumpelt heraus und spürte, wie mir das Blut in die Wangen stieg.
„Dein Blick eben … das waren gerade ganz, ganz unanständige Gedanken in dir, oder?“, klärte Ami mich darüber auf, dass meine Selbstbeherrschung immer noch nicht die beste war. „Aber irgendwie niedlich, dass du rot wirst …“
„Ist eigentlich nicht meine Art …“, sagte ich leise und wünschte umgehend, im Boden zu versinken, um diesen Plug unbemerkt wieder aus meinem Arsch zu nehmen. Aber ich blieb sitzen, wusste, dass ich mich über mich selbst geärgert hätte, wenn ich jetzt einen wortwörtlichen Rückzieher gemacht hätte. Ich hatte etwas Krasses gewollt, jetzt hatte ich es, und das wurde auch durchgezogen!
Koji beachtete Amis Bemerkung gottseidank kaum, er war sehr mit einer aufwändigen Zeichnung beschäftigt und antwortete nur, ohne überhaupt aufzublicken: „Sein Freund ist ja auch ein ganz Süßer, da ist das doch verständlich, dass er so an ihn denkt, oder?“
„Kennst du ihn?“, fragte Ami.
„Der war letztens kurz hier, früh morgens, da warst du noch nicht da. Ist wirklich ein ganz liebes Wesen, total bunt und verrückt, aber irgendwie schüchtern, ne, Tsu?“
„Meto ist nicht schüchtern“, sagte ich. „Er spricht nur nicht einfach so mit jedem.“
„Nennt man das nicht schüchtern?“, fragte Ami.
„Ansonsten ist er aber nicht so. Er ist stark und mutig, viel mehr als ich, und er hat seinen eigenen Kopf, seine eigenen Vorstellungen und Ideen, für die er kämpft, und wenn es sein muss, auch gegen seine eigenen Ängste.“ Irgendwie lag mir viel daran, dass meine Kollegen verstanden, dass Meto längst nicht so schüchtern und unsicher war, wie er auf den ersten Blick vielleicht wegen seines Schweigens wirkte. Weil seine unnachgiebige Liebe, seine Stärke und sein Mut mir wahnsinnig wichtig waren, es hing doch nicht weniger als mein Leben davon ab.
Langsam gewöhnte ich mich an das Gefühl in meinem Hintern, konnte mich wieder meiner Arbeit zuwenden, versuchte aber trotzdem, mich nicht zu sehr zu bewegen. Denn einmal, als ich mich ein wenig in die falsche Richtung an die Lehne meines Stuhls lehnte, drückte der Plug in mir wieder gegen meine Prostata und ich musste mir ganz knapp ein Aufseufzen verbeißen.
Aber es funktionierte, lenkte mich ab von meinen seltsamen, wirren Emotionen, weil ich ganz darauf konzentriert war, den Reiz zu regulieren, ihn präsent und dennoch gering zu halten.
Irgendwann im Laufe des Nachmittags hatte ich trotzdem erst mal genug von dem Ding und verschwand auf die Toilette, nahm den Plug wieder raus, wusch ihn mit Wasser und Seife ab, wickelte ihn in ein Taschentuch und verstaute ihn in meiner Tasche.
Als ich zurückkam und mich wieder an meinen Platz setzte, stand da das immer noch original verpackte Erdbeertörtchen. Ami hatte es mir hingestellt, und ich beschloss, es einfach nachher mit nach Hause zu nehmen. Vielleicht hatte ich dort dann etwas mehr Lust darauf.
Ich wandte mich erst mal wieder dem Probestechen zu und stellte fest, dass ich doch langsam Fortschritte machte mit dem Stechen filigran-bunter Motive. Ich hatte die Vorlage des Geisha-Motives, das die eine Kundin letztens hatte haben wollen, auf meinem Tisch liegen und versuchte immer wieder, einzelne Teilpartien davon nachzustechen, und es gelang mir immer besser.
Als ich mich später, nach Feierabend, auf den Heimweg machte, hatte ich dann den Plug wieder drin, ich wollte wissen, wie es sich anfühlte, ihn bei längerem Laufen zu tragen. Und tatsächlich machte mich das ziemlich geil, und ich hoffte, dass Meto schon zu Hause war, denn mein Körper verlangte bei jedem Schritt nach seinem.
Ein wenig seltsam kam ich mir zwar vor, mit dem ordentlich verpackten Erdbeertörtchen, meiner großen Handtasche und dem Plug im Hintern, und dann war da ja noch die Schutzfolie an meinem Hals mit dem frisch fertig gestochenen Tattoo darunter. Aber ich fühlte mich gut, freute mich auf zu Hause, entweder würde Meto schon da sein, oder ich wollte mir ganz gemütlich und ausgiebig einen runterholen.
Das Treppensteigen rauf zu unserer Wohnung machte mich dann endgültig geil, und gleich als ich die Tür aufschloss, hörte ich, dass Meto schon da war, aus der Küche kamen Musik und Tellerklappern, anscheinend spülte er gerade unser Geschirr.
Ich zog meine Schuhe aus, sah dabei mich selbst im Garderobenspiegel und bemerkte, dass die erregte Ausbeulung in meiner Jeans jetzt ziemlich deutlich zu sehen war. Ohne ein Wort ging ich auf leisen Sohlen in die Küche, Meto schien mich noch nicht bemerkt zu haben, und ich umarmte ihn von hinten, schmiegte mich an ihn und flüsterte: „Ich bin wieder da, Baby“ in sein Ohr.
Er erschrak ein wenig, ich spürte einen leichten Schauer durch seinen Körper gehen.
„Hey, Tsu“, begrüßte er mich und drehte sich in meinen Armen halb zu mir um, erwischte beim Begrüßungsküsschen aber dennoch nur meinen Mundwinkel. „Du, sag mal, kann es sein, dass du ein kleines bisschen … geil bist?“
Ich nickte, grinste leicht. „Erwischt, Meto-chan, und weißt du, ich bin geil nur auf dich …“
Meto sah zu der Tüte mit dem Kuchen, welche ich zuvor auf dem Tisch abgestellt hatte, und fragte dann: „Was ist das denn?“
„Erdbeertorte-Spontankauf …“, sagte ich nur.
Meto sah die Tüte sekundenlang an, dann grinste er, griff mir ans Kinn und küsste mich. „Tsuzuku, ich glaube, ich hab da ‘ne Idee …“ Die Art, wie er das sagte, war absolut eindeutig und meine Fantasie wirklich lebhaft genug. Kuchen-Sahne-Füttern-Liebesspielchen mit Erdbeergeschmack? Das konnte er haben, so bekam er mich rum, doch etwas zu essen, besser gesagt zu naschen!
„Meto will wieder spielen?“, schnurrte ich, und er antwortete: „Du wirst garantiert mit größter Freude mitspielen, mein Schatz.“
Kurz ließ ich ihn los, er zog die Vorhänge vom Küchenfenster zu, machte die Musik aus, und ich packte die Torte aus, fühlte dabei das erregte Pulsieren vorn und hinten zwischen meinen Beinen, spürte den harten Plug.
Als Meto wieder nah vor mir stand, streckte er die tätowierte Hand aus, nahm ein bisschen Sahne vom Kuchen auf seinen Finger, und die Art, wie er sie dann mit seinen vollen, weichen Lippen vom Finger lutschte und diesen anschließend noch mit seiner gepiercten Zunge ableckte, hatte etwas so verboten Süßes und zugleich Laszives an sich, dass mir das Wasser im Mund zusammen lief.
Mein Kopf war voll mit Sex, allerschönstem Kopfkino, süßesten Unanständigkeiten, allem, was sich mit Sahne, Schokokuchen, Erdbeeren und Metos sündhaft süßem Körper würde anstellen lassen. Da bekam der Begriff ‚Foodporn‘ noch mal eine ganz neue, wörtlichere Bedeutung!
Meto nahm noch ein wenig Sahne und genoss sie auf dieselbe Weise wie zuvor, seine himmlischen Lippen schmatzten leise, und dann sah er mich mit großen Augen an, fuhr sich mit dem Finger über die Lippen und sagte einfach: „Zieh mich aus, Tsuzuku.“
Oh, wie mich seine Mischung aus süß, sexy und Mann anmachte! Er war das alles in einer Person, alles, was ich liebte und begehrte! So sehr süßes Kind, um meinen Spieltrieb zu wecken, so sehr sexy, mich schamlos zu verführen, und so sehr Mann, dass ich mich bei ihm ganz sicher fühlte.
Ich legte meine Hände an seine Hüfte, meine Finger schlüpften unter den Stoff seines Shirts und kosteten von seiner warmen Haut, bekamen augenblicklich nicht mehr genug davon und so zog ich ihm das Teil mit einer einzigen gemeinsamen Bewegung über den Kopf. Ihn danach sofort umarmend, machte ich hinten an seiner Hose weiter, ließ meine Hand hinein und unter seine Shorts tauchen, er seufzte leise und drückte sich an mich, sodass ich spürte, wie er geil wurde.
Meine eine Hand hinten in seiner Hose belassend, griff ich mit der anderen vorne an den Knopf und ließ ihn gekonnt aufspringen, der Reißverschluss folgte und Metos Glied kam meiner Hand geradezu freudig entgegen.
„Wie erregt du bist …“, flüsterte ich in sein Ohr. „Macht es dich so sehr an, die Idee mit diesem Kuchen?“
Meto nickte nur, griff dann mit beiden Händen in meinen Nacken und küsste mich, wild und leidenschaftlich, so als wollte er mich mit seinen süßen Lippen geradezu verschlingen.
„Du bist doch nicht weniger scharf“, hauchte er und nun waren seine Hände hinten an meinem Hosenbund, tauchten ebenso hinein wie meine bei ihm zuvor, und ich spürte den Plug, und wie seine Hand diesem immer näher kam.
Aber ganz plötzlich ließ er mich los, allerdings nur zu dem Zweck, sich selbst auf den Tisch zu hieven, und, als er saß, seine Hose mitsamt der Shorts ganz zu Boden fallen zu lassen, sodass er nun auch untenrum nackt war. „Lass es uns hier tun, Tsu, das haben wir noch nie gemacht …“
Ich grinste. „Küchentisch-Sex?“
„Jaa …!“, antwortetet er, nickte wieder, wurde ein bisschen rot, aber das war nur noch Reflex, er schämte sich nicht.
Ich machte einen Schritt auf ihn zu, er machte die Beine breit, sodass ich Platz dazwischen fand, und dann machten sich seine warmen Hände erneut an meinem Hosenbund zu schaffen, nestelten den Knopf auf und tauchten hinein. Ich spannte ein wenig an, der Plug in mir berührte wieder meine Prostata und ich stöhnte leise, meine Haut reagierte zudem ganz empfindsam auf die Zärtlichkeit in Metos Händen.
Er strich langsam mit den Fingerspitzen über mein hartes Glied, dann wanderte seine Hand über meine Hüfte nach hinten, Zentimeter für Zentimeter nach unten, und ich seufzte wiederum erregt, allein von dem Gedanken, dass er den Plug gleich finden würde.
Im ersten Moment sah er wirklich überrascht aus, als er ihn entdeckte, auch ein wenig verwirrt, aber schon einen Augenblick später breitete sich Gefallen auf seinen Zügen aus.
„Ah …“, machte er und sah mich an. „Hast du den neu gekauft?“
„Ja. Irgendwie hatte ich Lust auf so was.“
„Soll heißen, ich soll dich heute nehmen?“, fragte er, für ihn ungewöhnlich direkt.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein … aber ich will ihn tragen, während ich in dir bin …“
„Du magst das gern, so viele Sachen auf einmal, oder? Also, mit Plug drin und mit dem Kuchen und hier in der Küche, so viele neue Reize?“
„Kann sein …“, sagte ich. „Ich hab‘s ja gern so intensiv. Aber der Küchentisch-Sex mit Kuchen war jetzt ja wohl deine Idee.“
„Schon, aber ich will natürlich auch wissen, ob dir das gefällt.“ Meto lächelte, seine Hand tauchte aus meiner Hose wieder auf und er zog mir mein Shirt aus, legte dabei auch das frisch gestochene Tattoo frei. „Das sieht irgendwie richtig gut aus, Tsuzuku, passt gut zu dir“, kommentierte er es und strich sachte über die Folie, beugte sich vor und liebkoste ganz leicht mit den Lippen darüber.
Ich seufzte, die Berührung kribbelte angenehm und ließ einen wilden Schwarm Schmetterlinge in meinem Bauch aufflattern.
„Holst du eben das Gleitgel?“, fragte Meto noch, und ich nickte, löste mich kurz von ihm, um ins Schlafzimmer zu gehen und das Gleitgel aus dem Nachtschrank zu holen. Vor der offenen Schublade hielt ich kurz inne, die Handschellen sahen verlockend aus, aber ich ließ sie liegen. Stattdessen nahm ich aus einem Lustimpuls heraus die Flasche mit dem Schokosirup und die Augenbinde mit.
Im Hintergrund hörte ich das Rascheln von Tortenpapier, ahnte Verführerisches und ging schnell in die Küche zurück. Und da saß mein Liebster splitternackt auf dem Küchentisch, neben ihm die sahnige Erdbeertorte, und er naschte davon, ausgiebig, mit der ganzen Hand. Er sah mich an, schleckte sich dabei die Sahne von den Fingern und lächelte sein süßestes, breites Meto-Lächeln.
Ich ging ganz zu ihm, nahm seine Hand und leckte meinerseits ein wenig von der Sahne ab, sie schmeckte süß und ganz leicht fruchtig von den Erdbeeren und dem süßen Fruchtsirup zwischen den schokoladenbraunen Kuchenschichten.
Meto nahm eine der Erdbeeren zwischen seine Lippen, zog mich zu sich, wobei etwas von der Sahne von seiner Hand auf meinem nackten Oberkörper zurückblieb, und küsste mich, mit der Erdbeere, die dabei langsam von seiner Zunge in meinen Mund geschoben wurde.
„Mmmhh …“, machte ich, die Süße der roten Frucht hatte etwas Überwältigendes.
„Hose aus, mach dich ganz nackt, mein Schatz …“, flüsterte Meto gegen meine Lippen.
Ich beeilte mich, zuerst aus meiner Jeans zu kommen, und ließ dann die Shorts ebenso gen Boden fallen, stieg aus beidem heraus, und mir entwich ein leises Stöhnen bei diesem Bild: Meto saß nackt und erregt vor mir auf unserem Küchentisch, naschte ausgiebig Sahnetorte und süße Erdbeeren und ich stand, ebenso nackt und geil, vor ihm, hatte einen sexy Plug im Hintern und die Aussicht auf absolut geilen Sex mit meinem Liebsten, ein Spiel mit süßer Sahne, liebesroten Früchten und dem garantiert umwerfenden Reiz, ihn zu nehmen und zugleich selbst hart ausgefüllt zu sein …
Er umarmte mich, küsste mich wiederum voller Lust und Hunger, und flüsterte mir zu: „Vernasch mich, Tsu, und nimm’s wörtlich …“
Das musste er mir nicht zweimal sagen! Ich griff ganz einfach schamlos mit meiner Hand in die Torte, nahm ordentlich Sahne und Erdbeeren, und Meto lehnte sich ein wenig zurück, stützte sich mit beiden Händen auf der Tischplatte auf und bot mir willig seinen wundervollen Körper dar. Ich begann, die Sahne auf seiner Brust und seinem Bauch zu verteilen und ein wenig mit den Fingern zu verstreichen, schmückte seine Nippel und seinen Nabel mit kleinen Sahnetupfern und Erdbeeren und malte noch ein, zwei kleine Herzchen in die fluffig weiße Sahne.
Er kicherte leise, als er hinsah und die Erdbeerchen auf seinen Brustwarzen erkannte, und ich lächelte, weil ich ihn, so himmlisch versüßt, einfach unglaublich sexy fand.
Einen Moment lang genoss ich diesen Anblick, dann beugte ich mich vor, spürte die Spannungen des Tages von mir abfallen und gab mich meinem Hunger und der Lust hin. Ich machte mich gierig über den wunderschönen, sündigen und zugleich so reinen Körper meines Liebsten her, leckte die süße, fluffige Sahne von seiner hellen, zarten Haut und naschte die berauschend schmeckenden Erdbeeren herunter, um dann erst seine süßen Nippel und dann auch seinen Nabel mit meiner Zunge ausgiebig zu genießen und zu verwöhnen und ihm so die allerschönsten Lustseufzer zu entlocken. Dabei spielte ich wieder den Spalt in meiner Zunge voll aus, wusste ich doch, wie sehr Meto das liebte.
„Tsu-… oahhh … oh Gott …!“
Wie er seine Lippen verzog, warum sah das nur so verflucht geil aus?! Sein hartes Glied drückte heiß gegen meinen Bauch, als ich mich weiter vorbeugte, um diese verführerisch vollen Lippen zu küssen.
„Meto …“, flüsterte ich in den Kuss, „Du machst mich wahnsinnig, Baby … Aber hör bloß niemals damit auf!“
„Versprochen“, sprach er und berührte mich wieder, strich mit seinen sahnebefleckten Händen über meinen Oberkörper und meine Arme, hinterließ weiße, süße Spuren auf meiner Haut. Ich richtete mich wieder ganz auf und Meto dann ebenso, er beugte sich vor und leckte die Sahne wieder von meiner Haut, küsste mit seinen himmlischen Lippen meine Brustwarzen und ließ seine Finger dabei leicht in meine Seiten krallen. Ich stöhnte, liebte seinen Mund und seine Hände, die Wärme und heiße Zärtlichkeit darin so sehr!
„Sag mal, Tsu … wie fühlt sich das an, den Plug so zu tragen?“, fragte er leise, und wie er mich ansah, hatte das beide Seiten zugleich in sich, er dominierte mich und war zugleich der, der gleich genommen werden würde …
Ich lächelte, mein Unterleib spannte ein wenig an und ich spürte das harte, glatte Metall des Plugs.
„Schön fühlt sich das an“, antwortete ich, fühlte den Reiz in mir und flüsterte mit verrucht tiefer Stimme in Metos gepierctes Ohr: „Es macht einen geil, den drin zu haben und keiner darf es merken, und damit dann zu gehen und zu sitzen, … Und ich freue mich schon drauf, dich gleich zu nehmen, in dich zu stoßen, während ich selbst was im Hintern habe …!“
Meto grinste, und dann war da seine Hand an meinem Hintern, tastete nach dem Plug.
„Oh, da ist ja ein Glitzerstein dran!“, sagte er und klang richtig ein bisschen begeistert. „Darf ich den mal sehen?“
Wie ich es liebte, wenn er und ich so gleichauf waren, wenn er mich zugleich hielt und sich mir hingab, seine Lust an mir offen zeigte und sich die Grenzen zwischen ‚Top‘ und ‚Bottom‘ weiter auflösten, ebenso wie die Grenzen zwischen uns …
„Klar“, antwortete ich auf seine Frage und grinste, dann drehte ich mich um, stützte meine Arme auf der Küchenarbeitsplatte auf, und Meto rutschte vom Tisch, hockte sich hinter mich. Irgendwas hatte dafür gesorgt, dass er den letzten Rest seiner doch irgendwo vorhanden gewesenen Scham abgelegt hatte, vielleicht hatte ich ihn endgültig neugierig gemacht und er wollte jetzt unbedingt alles wissen und mitmachen, was mein liebestolles, versautes Hirn sich so für uns beide ausdachte.
Die Quittung für mein beständiges Meto-geil-machen bekam ich umgehend, in Form seiner vollen, weichen Lippen, die kleine Küsschen auf meinen Hintern setzten. Ich seufzte erregt, es war das erste Mal, dass mich dort jemand so küsste, und es tat so unglaublich gut!
„Magst du das?“, fragte er, und ich nickte, seufzte wiederum. „Ach Tsu, das ist so süß, wie du so was wirklich gerne magst …!“, fuhr er fort, „Ich lieb das so, wie sensibel du da unten bist und dass du da überhaupt keine Vorbehalte hast.“
„Hat ja nicht jeder so …“, sagte ich nur und blickte auf meine Hände auf der Arbeitsplatte.
„Ja, die meisten Männer, die sich für hetero halten, behaupten, dass sie das nicht mögen, alles am Hintern und so … Aber du magst das sehr und stehst auch dazu, darauf kannst du stolz sein, mein Schatz“, sprach er und machte weiter, es war für ihn ja auch neu, er kannte das ja bisher nur umgekehrt, dass ich es bei ihm tat …
„Ich bin … oahhh … ja auch nicht hetero …“
Metos Lippen, die die wunderbare Fähigkeit hatten, mich um den Verstand zu küssen, taten genau das, tupften viele kleine Küsschen auf meinen Hintern und um den Plug herum, machten mich ganz verrückt, ließen mich laut herausstöhnen. Und ich wusste, er sah den glitzernden Schmuckstein daran, und der Anblick erregte ihn offenbar, ich hörte ihn schon leise stöhnen und spürte seinen Atem heiß auf meiner Haut.
„Gefällt dir das, wie das aussieht?“, fragte ich leise.
Meto seufzte ein erregtes „Jaah“ und fügte noch hinzu: „Tsuzuku … du bist wirklich … überall wunderschön …“ Jetzt klang er doch wieder ein wenig so, als schämte er sich, aber sicher war es nur ungewohnt für ihn, mir dieselbe Art von sexuell eindeutiger Liebeserklärung zu machen, die ich sonst immer ihm machte.
Es gefiel mir sehr, wie er sich ebenso wie ich bemühte, unsere Beziehung gleichauf zu gestalten und so, dass wir beide dieselben Dinge füreinander taten. Weil mir das wichtig war, dass wir trotz aller unserer Verrücktheiten diese gute Beziehung hatten.
Auf einmal hörte ich Meto hinter mir leise kichern, es klang so, als hätte er irgendeine verrückte Idee, und dann griff er von hinten neben mich, nahm sich die Flasche mit dem Schokosirup.
„Tsu, ist dir eigentlich klar, was für einen göttlich süßen Hintern du hast?“, fragte er.
„Wenn du das sagst“, antwortete ich.
Ich bekam keine Antwort in Worten, stattdessen hörte ich das leise Klicken des Flaschenverschlusses und spürte einen Moment später etwas von ihrem süßen Inhalt hinten auf meiner Gürtellinie am Rücken, und wie kleine Tropfen von da aus meinen Hintern hinabliefen …
„Oahhh …!“, entfuhr es mir, als einer der Tropfen zwischen meine Pobacken lief und Metos heiße Zunge sogleich zur Stelle war, ihn abzufangen und weg zu lecken. Das Unanständige daran reizte mich, aber noch viel mehr tat diese Berührung einfach nur unsäglich gut!
Wie hatte ich nur die ganzen Jahre früher auf diese Lust verzichten können?! Warum hatte ich mich mit den Mädchen damals, von denen keine so etwas für mich getan hatte, zufrieden gegeben? Zwar war ich einerseits wirklich unendlich froh, dass Meto mein erster Mann war, aber dennoch fragte ich mich, warum ich von dieser Art von Sex nicht schon viel eher gekostet hatte … Ich hatte schlicht nicht geglaubt, dass ich das so sehr lieben würde.
Und darum genoss ich es jetzt umso mehr, und ich wollte, dass es zu einem Teil von mir wurde, dieses Wissen, dass ich so etwas mochte, lustvolles Liebesspiel mit einem Mann, der mich so sehr liebte, dass er mich wirklich absolut überall hin küsste, und dessen hartes Glied ich in mir haben wollte, damit er mich damit geradezu wundliebte.
„Das zuckt ja richtig, dein Loch …“, hörte ich Meto leise sagen, als er mit dem Finger unter den Stopper des Plugs tastete. „Ehrlich, ich finde das so schön, wie du das magst …!“
Ich konnte kaum in Worte fassen, wie mich seine neue, schamlosere Redeweise und die Lust, die er an mir hatte, anrührten, und ich war ihm so wahnsinnig dankbar, dass er einfach er war und solche wunderschönen Dinge mit mir tat … Und so erwiderte ich nichts darauf, nur ein Stöhnen, weil sein Finger neben dem Steg des Plugs in meinen Eingang drang und meine Erregbarkeit dort weiter erkundete.
Aber bald darauf löste er sich von mir, hievte sich wieder auf den Küchentisch und ich drehte mich zu ihm um. Er sah noch erregter aus als vorhin, aus seinem hart erigierten Schwanz trat schon sein Lusttropfen aus und die Erregung in seinem Körper äußerte sich durch sein leises, tiefes Stöhnen.
„Jetzt mach, Tsuzuku … Nimm mich, und mach’s richtig, du weißt, ich lieb’s, wenn du so hemmungslos bist …!“
Ich spürte noch das Nachgefühl seiner Lippen und Finger an meinem Hintern, als er mich jetzt umarmte, und spontan griff ich nach der Augenbinde, die hinter mir auf der Arbeitsplatte lag. Ich sah Meto kurz fragend an, er nickte und ich verband ihm die Augen, genoss diesen erregenden Anblick, und dann setzte ich noch eins drauf: Ich nahm eine weitere Erdbeere von der jetzt ziemlich zermatschten Torte und schob Meto diese zwischen die Lippen.
„Behalt sie im Mund, während ich in dich dringe“, wies ich ihn an, und er nickte gehorsam, verstand meine Art zu spielen.
Ich nahm das Gleitgel, verrieb es an Metos weichem Loch, das meinen Finger bereitwillig empfing, und er war so entspannt und erregt, dass es keiner allzu langen Vorbereitung bedurfte.
Langsam und mit einem Gefühl von glühender Lust schob ich mich in ihn, er lehnte sich zurück, ich beugte mich über ihn und mein Gesicht war dem seinen so nah, dass ich das leise Schmatzen der Erdbeere in seinem Mund hören konnte. Kurzentschlossen küsste ich ihn, fordernd, heiß und mit Zunge, verschlang seinen Mund geradezu mit meinem und schmeckte die süße Frucht, während mein Unterleib sich zu bewegen begann, drängend zustieß, sodass Meto immer lauter in den Kuss stöhnte.
Und mit jedem Stoß spürte ich den Plug in mir, wie mein Loch auf das metallene Spielzeug reagierte und beinahe damit spielte, es ließ nur durch seine Form meinen Körper erbeben und sorgte dafür, dass mein Meto in den Genuss meiner von ihm so geliebten, hemmungslosen Lust kam.
Er legte seine Beine fest um meinen Körper, hielt mich so und gab mir mit seinen Unterschenkeln kleine Zeichen, verdeutlichte diese, indem er stöhnend immer wieder „Mehr!“ und „Tiefer!“ forderte, hatte selbst jetzt, wo ich ihn so nahm, jede Passivität abgelegt. Er war nicht passiv, selbst wenn ich in ihn eindrang und stieß, sondern er empfing mich aktiv, genoss meine Ekstase und forderte ebenso wie ich. Und ich mochte das so sehr, zu spüren, wie stark er war, dass er mir gewachsen war und ich mich bei ihm ganz sicher fühlen konnte!
Seine heiße Enge umschloss mein Glied fest und zugleich nach mehr Stößen sehnend, ich spürte die Ekstase in ihm aufwallen und durch sein Inneres fluten, wie es sich weitete und zusammenzog, und das fühlte sich so schön, so berauschend süß und gut an!
Mein Herz raste, ich hörte mich laut und tief stöhnen, stieß wieder und wieder zu, und vernahm Metos aufs Äußerste erregten Schrei. Kaum zu glauben, dass er, der nach außen hin ja oft so still war, sich in solchen Momenten vor mir so sehr gehen ließ und vor Lust schrie. Aber ich liebte das, denn so fühlte es sich fast so an, als ob der süße Klang seiner Stimme sein Geschenk nur für mich war, etwas, das er nur mir in ganzer Schönheit zeigen wollte.
„Tsu…zuku … aahhh …“ Sein Körper drängte sich mir entgegen, seine Beine hielten mich noch ein wenig fester, und seine Hände klammerten an der Tischkante. „Oooahhh … ohh, das ist gut … so gut … ohhh …!“ Anscheinend hatte ich soeben seine Prostata getroffen, und er stand jetzt ganz kurz vor dem Höhepunkt.
Seine tätowierte linke Hand ließ die Tischkante los und griff nach der meinen, umklammerte sie und versetzte damit mein Herz in höchsten Aufruhr. Ich hielt seine Hand fest, er sah mich sekundenlang mit lustverschleiertem Blick an, dann legte er den Kopf in den Nacken und drängte sich mir wiederum entgegen, ich stieß noch einmal hart zu und er kam, mit einem ekstatischen Laut auf den Lippen und viel Samen, der sich zwischen uns hin ergoss.
Mein Körper hatte nur noch auf Metos Höhepunkt gewartet, kam nur einen Augenblick später ebenso, ich versank für einen Moment ganz in mir selbst, sah hell blinkende Lichter vor meinen geschlossenen Lidern tanzen und bekam nur mehr am Rande mit, wie mein Körper erbebte, meine Stimme aufschrie und mein Glied all meinen Samen in Metos heißes Inneres pumpte, während mein Loch um den Plug herum in höchster Lust zuckte.
Als ich wieder ganz zu mir kam, lag ich mit dem Oberkörper auf Metos Körper, schwer atmend und ein wenig zitternd, spürte geradeso, wie mein Glied weich wurde und ich zog es aus ihm zurück, sank dann wieder auf ihn. Ich spürte seine Hand streichelnd in meinem Haar und die andere hielt immer noch die meine fest.
„Das war gut … oh ja, richtig gut …“, hörte ich seine Stimme nah an meinem Ohr. Er hob die Hand an seinen Kopf und löste den Knoten der Augenbinde selbst, dann fuhr er fort, mich zu streicheln.
„M-hm …“ Zu mehr Äußerung war ich noch nicht imstande, spürte noch die letzten Nachwellen der Erregung, den Plug und dieses Gefühl erlebter eigener Hemmungslosigkeit.
Ganz langsam richtete ich mich auf, griff nach hinten und tastete nach dem Plug, spürte dessen facettierten Schmuckstein wieder unter meinen Fingerspitzen. Es war gar nicht so einfach, ihn wieder raus zu ziehen, dauerte ein wenig und erforderte, dass ich meinen Unterleib bewusst entspannte.
Als ich ihn dann in der Hand hielt und auf dem Tisch ablegte, sah Meto hin und lächelte.
„Der Glitzerstein steht dir übrigens gut“, sagte er und klang dabei schon fast so wie ich, wenn ich ähnliche Dinge zu ihm sagte. Es freute mich, dass er immer selbstbewusster wurde, lag mir doch so viel daran, dass wir dieselben Dinge füreinander tun konnten.
„Danke“, sagte ich, und dann: „Du darfst den Plug dann beim nächsten Mal tragen, ich glaube, dir steht er genauso gut.“
Meto grinste, richtete sich auf und griff in meinen Nacken, um mich lange und liebevoll zu küssen.
„Tsu, du bist zu süß!“
„Was ist daran jetzt süß?“, fragte ich ein wenig verwirrt.
„Wie du immer drauf achtest, dass wir gleichauf sind … Ich finde das sehr aufmerksam von dir.“
„Du findest, ich bin ein aufmerksamer Freund?“
„Ja, sehr sogar. Du weißt, worauf ich stehe, du achtest genau darauf, dass wir beide jeweils nicht zu kurz kommen, und du hast den unbedingten Wunsch, dass das mit uns gut funktioniert. Ich finde, du machst das großartig, du darfst gerne stolz auf dich sein.“ Meto lächelte sein liebstes, süßestes Meto-Lächeln, küsste mich wieder und als er sah, dass ich von seinen Worten errötete, umarmte er mich.
„Meto … ist das dein Ernst?“
„Natürlich. Ich sag so was nicht nur so, und das weißt du.“
Und wieder wünschte ich mir sehnlichst, seine lieben Worte ganz in mich aufnehmen zu können. Stolz darauf zu sein, dass ich ihn glücklich machte, und selbst zu sehen, dass ich meine Sache in unserer Beziehung gut machte, ihm ein guter Partner war.
Aber ich konnte es nicht, es ging einfach nicht! Ich wollte nicht, dass solche Komplimente mir weh taten, weil ich ja wusste, wie ernst er das meinte und dass er mich liebte, aber es gelang mir nicht, das, was er an mir Schönes und Gutes sah, in mein Selbstbild aufzunehmen … Als wäre da in mir etwas ganz fest zugesperrt, oder Metos Worte fielen in diese bodenlose Leere in mir, dieses Loch, das ich dort hatte, wo andere wussten, wer und wie sie waren …
Fast wollte ich deshalb weinen, seltsam, wo ich doch eben noch so unsäglich glücklich gewesen war und solchen wirklich guten Sex mit meinem Liebsten gehabt hatte … Aber anscheinend war ich so, das waren sie, die Schwankungen meiner Gefühle, jetzt, in diesem Moment. Ich spürte, wie es zu kippen drohte, aber ich wollte das nicht, wollte vor allem nicht, dass Meto es mitbekam, wie ich nach dem wundervollen Sex mit ihm wieder abstürzte.
Aber er sah es.
„Tsu? Alles okay?“, fragte er und sah mich an, er saß immer noch auf dem Tisch, war immer noch nackt, und neben ihm stand die zermatschte Torte, es war nur ein paar Minuten her, und kam mir dennoch so weit weg vor, als hätten wir es vor Stunden getan.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und in mir breitete sich ein eigenartiges Gefühl von Leere aus.
„Hey, nicht abstürzen, Baby, ist doch alles gut“ Meto legte seine Hände auf meine Schultern, sein Daumen strich über die Tattoo-Schutzfolie an meinem Hals, er sah mir in die Augen. „Alles gut, hörst du, nichts passiert, nur in deinem Kopf …“
Ich blinzelte, um die Tränen zu unterdrücken, versuchte mit aller Kraft, nur einfach Metos Nähe und Liebe zu spüren, doch da lief die erste Träne schon meine Wange hinunter.
„Nicht weinen, mein Herz …“, sprach Meto und küsste die Träne sachte weg, er tat alles, um mich zu retten. „Komm, wir gehen jetzt schön duschen, zusammen, ich hab ein neues Duschgel gekauft, das riecht echt richtig gut und es ist nicht rot.“
Draußen wurde es schon langsam dunkler und ich warf einen Blick auf die Küchenuhr, die kurz nach sieben Uhr abends anzeigte. Eigentlich war es Zeit fürs Abendessen, aber weder Meto noch ich wollten jetzt Essen machen, er griff meine Hand und führte mich, nackt wie wir beide waren, ins Bad.
Ich stellte das Wasser ein, er legte schon die Handtücher bereit, und kurz darauf standen wir unter dem warmen Regen, ich schloss die Augen und spürte Metos Hände zärtlich über meine Haut streicheln.
Ein berauschend süßer Duft nach Vanille und Himbeeren ließ mich die Augen öffnen, und ich sah die hübsche Flasche mit dem neuen Duschgel vor mir, es hatte eine sanfte, hellgelbe Farbe und der Duft wirkte kein bisschen künstlich, nur angenehm.
Meto ließ sich ein wenig davon in die Handfläche laufen und verrieb es zu einem fluffigen Schaum, dem viele kleine, duftige Seifenblasen entstiegen. Und als er begann, diesen Schaum auf meiner Haut zu verteilen, fühlte ich mich wieder richtig gut, seufzte wohlig und genoss die Berührung.
Dann drückte er mir die Flasche in die Hand, damit ich dasselbe für ihn tat, und der Schaum duftete so gut, dass ich daran schnupperte. Meine Liebe zu Meto deutlich spürend, schäumte ich seinen Körper ein, wartete kurz seine Zustimmung ab, ehe ich ihn auch zwischen den Beinen wusch.
Und auf einmal umarmte er mich ganz fest, drückte mich an sich, sodass wir mit einem Mal beide in einem duftenden Meer aus Schaum und lauter Seifenblasen standen, die um uns herum schwebten und in unseren Haaren hängen blieben.
Ich musste lachen und Meto ebenso, sein strahlendes Gesicht und die Seifenblasen ließen ihn beinahe unwirklich süß aussehen.
„Schade, dass ich gerade nicht an mein Handy rankomme …“, sagte ich und grinste.
„Wieso?“
„Weil du gerade so unglaublich wahnsinnig süß aussiehst, dass ich am liebsten ein Foto davon hätte.“
„Tsu, ich bin nackt …!“
„Eben“, grinste ich. „Nackt und süß und mit Seifenblasen im Haar, besser geht’s doch gar nicht!“
Meto lächelte, küsste mich. „Dann mach mit dem Herzen ein Foto davon.“
Ich wollte aber ein richtiges Foto. Eines, das ich wirklich anschauen konnte, wenn es mir nicht gut ging, wenn ich Angst hatte und mich allein fühlte. Kurzerhand schnappte ich mir mein Handtuch, trocknete mich flüchtig ab und stieg aus der Dusche, lief über den Flur zu meiner Tasche und nahm das Handy raus, war kurz darauf wieder bei Meto und stellte die Kamera an.
Es wurden gleich drei Fotos: Eins, auf dem er so himmlisch süß lächelte und wieder Seifenschaum im Haar hatte, dann eines, auf dem er einen Kussmund machte und mit den Händen ein Herz formte, und zuletzt noch eins, auf dem ich selbst auch mit drauf war und ihn küsste.
„Die zeigst du aber niemandem, oder?“, fragte er danach.
„Nein, die sind unser süßes Geheimnis“, schnurrte ich und küsste ihn wieder.
Ich legte das Handy auf dem Regal mit den Handtüchern ab und wir setzten unser gegenseitiges Waschen fort. Schließlich mussten die Sahne von vorhin und der ganze Samen wieder weggewaschen werden, und ich freute mich schon drauf, gleich frisch geduscht mit Meto im Bett zu liegen, seine Haut war nach dem Duschen immer so herrlich weich.
Als wir dann gewaschen und abgetrocknet vom Bad rüber ins Schlafzimmer gingen und uns dort zusammen hinlegten, fühlte ich mich richtig gut. Meto deckte uns beide zu, kam ganz nah zu mir und umarmte mich, sodass ich seine weiche, warme Haut ganz spüren konnte, wir waren beide immer noch nackt. Unsere Kleider lagen noch in der Küche auf dem Boden, und eigentlich wollte ich jetzt nicht noch mal aufstehen, um da aufzuräumen, aber Meto bestand darauf.
„… oder soll ich gehen und aufräumen und du bleibst hier liegen?“, fragte er dann aber.
Ich nickte, war nämlich so müde, dass mir fast schon die Augen zufielen.
Und so stand er allein auf, ging rüber in die Küche, um dort wieder Ordnung zu schaffen. Durch die offene Schlafzimmertür sah ich, wie er die zermatschte Torte entsorgte, den Plug, der auch noch dort gelegen hatte, in der Spüle abwusch, und unsere Kleider aufhob, dann brachte er alles mit zurück ins Schlafzimmer, stellte die Flasche mit dem Gleitgel auf den Nachttisch.
Dann legte er sich wieder zu mir, schloss mich in seine Arme und hielt mich, bis ich bald darauf eingeschlafen war.
…
Süße Zärtlichkeiten weckten mich wieder, es war hell, ich sah das Sonnenlicht durch meine Lider leuchten, fühlte die Wärme des vertrauten Körpers meines Liebsten an meinem und seine Hand sanft streichelnd auf meiner Brust.
Noch mit geschlossenen Augen schmiegte ich mich enger an Meto an und mir entwich ein wohliges Brummen, denn seine Hand auf meiner nackten Haut war mir der liebste Wecker.
„Guten Morgen, schöner Mann“, hörte ich ihn sagen und ich öffnete die Augen. „Hast du gut geschlafen?“
„M-hm …“, machte ich und nickte leicht. Falls ich irgendwas geträumt hatte, erinnerte ich mich nicht daran, und es ging mir gut.
„Das ist schön“, sagte er und lächelte. „Es ist Sonntag, und ich hab frei, wir können uns nen gemütlichen Tag machen, was meinst du?“
Seine warme Haut an meiner, sein ganzer Körper, der sich so nah an meinem so wundervoll anfühlte, machte mich immer noch wieder und wieder aufs Neue verrückt, ich bekam, kaum dass ich wach war, einfach nicht genug davon!
Und so wandte ich mich ihm zu, küsste ihn und flüsterte dann in sein Ohr: „Gemütlich klingt gut, Baby, und du weißt, wie ich das am liebsten mag …“
Meto grinste. „Ja, das weiß ich.“ Und schon war da seine Hand in meinem Nacken, an einer Stelle, von der er ganz genau wusste, wie sensibel ich dort war, kraulte zärtlich und ließ mich aufseufzen.
„Tsu, und weißt du, dass du wunderschön bist, wenn man dir so ansieht, dass du was magst?“, fragte er dann.
„Weiß nicht …“, antwortete ich, und bekam dafür einen „Ich steh da aber drauf“-Kuss von ihm.
„Willst Liebe machen, ne?“, fragte er mit weicher Stimme.
Ich nickte, kuschelte mich an ihn. ‚Liebe machen‘, dieser Ausdruck hatte zwar irgendwo etwas Kindliches an sich, war aber zugleich so süß und romantisch, dass er mir dennoch gefiel. ‚Sex‘ so als reine ‚Paarung‘ mit wenig Gefühl, das hatte ich in meinem alten Leben schon gehabt, doch diese Zeit hatte ich hoffentlich hinter mir gelassen. Ich wollte nur noch richtige Liebe machen, mit Meto, meinem süßesten Liebsten, wollte es so tun, dass nur ‚Sex‘ als Wort für das, was wir taten, nicht ausreichte …
„Und wie möchtest du es?“
Ich fühlte kurz in mich hinein und das erste Bild, was ich innerlich sah, war, wie ich in Metos Armen lag, als das ‚kleine Löffelchen‘, und er mich von hinten nahm. Allein beim Gedanken daran spürte ich schon ein leichtes, freudiges Zucken an meinem Loch.
„Löffelchenstellung …“, antwortete ich. „In deinen Armen liegen …“
„Löffelchen ist schön, ne?“, sagte Meto und küsste mich wiederum, ehe er ein wenig in Richtung Fußende rutschte, bis sein Gesicht auf Höhe meiner Brust war. Ich wusste, was jetzt gleich kam, und mein Herz klopfte schneller vor Vorfreude.
Meto legte seine Hand darauf und streichelte ein wenig. „Ich spür‘, wie es klopft …“, sprach er leise und hielt dann sein Ohr an meine Brust, um meinen Herzschlag auch zu hören.
„Schlägt immer noch nur für dich …“, sagte ich und legte meinen Arm um ihn. „Nicht mal für mich, nur für dich …“ Wie leicht mir das über die Lippen kam … Aber manchmal dachte und fühlte ich eben so, sah Meto ganz deutlich und eindeutig als einzigen Sinn meines Lebens, als den einzigen Grund dafür, dass mein Herz weiter schlug.
Meto ließ mir jedoch keine Zeit mehr für solche dunkleren Gedanken, stattdessen begann er, kleine Küsschen auf meiner Brust zu verteilen, näherte sich dabei langsam meinen Nippeln.
Und als er seine traumhaft weichen Lippen dann auf meine rechte Brustwarze drückte und mit seiner Zunge gegen das Piercing stupste, um gleich darauf zärtlich zu saugen, entkam mir ein jähes, lautes Aufstöhnen und ich drängte mich ihm unkontrolliert entgegen, sodass mein jetzt ganz hartes Glied das seine berührte, welches nicht weniger erregt war.
„Mehr …!“, verlangte ich atemlos und bekam es, dieses süße Saugen an meinen gepiercten, in diesem Moment hochempfindlichen Nippeln, während Metos Hände begannen, meinen Hintern zu massieren und mein Loch locker zu machen.
Doch mit einem Mal löste er sich ein wenig von mir, aber nur, um rüber zu meinem Nachttisch zu greifen, wo die Flasche mit dem Gleitgel stand. So, wie er sich dabei über mich beugte, hatte ich die Gelegenheit, kurz über seine Nippel zu streicheln, und das tat ich, denn sie sahen einfach zu verführerisch aus, diese zarten, vor Erregung dunkelrosa gefärbten Knospen …
Meto seufzte leise ob der Berührung und drängte seine Brust meiner Hand entgegen, ich hob meinen Kopf an und küsste seine linke Brustwarze, leckte auch gleich noch spielerisch über sein Tattoo und genoss sowohl den Geschmack seiner Haut, als auch seine erregte Reaktion auf meine Zunge.
„Tsuzuku … mhhh … aahhh …!“
Wie ich das liebte, wenn er seine vollen Lippen so verzog! Und wie er jedes Mal aufs Neue so himmelschreiend süß auf diese besonderen Zärtlichkeiten reagierte, die ich ihm zukommen ließ!
Es machte mich zugegebenermaßen stolz, dass ich ihn mit meiner gespaltenen Zunge so verrückt machen konnte, schließlich machte die mich relativ einzigartig, und wenn Meto so süchtig danach war, sie überall an seinem Körper zu spüren, band ihn das in gewisser Weise an mich.
Er legte sich, mit der Gleitgel-Flasche in der Hand, wieder neben mich unter die Decke, tat sich etwas vom Inhalt der Flasche auf die Finger und wandte sich mit dem Mund wieder meinen Nippeln zu, während seine Finger das kühle Gel an und in meinem Loch verrieben. Damit er leichter dran kam, winkelte ich mein oberes Bein leicht an und legte es über seine Taille.
Ich senkte den Kopf, atmete die Luft unter der Decke, die nach Meto roch, und es fühlte sich an, als ob ich langsam zerschmolz … Seine Lippen und Hände und sein Geruch lösten die Grenzen langsam auf, aber ich hatte kaum Angst, es war so schön und warm!
„Ich liebe dich, Meto“, sprach ich leise und stöhnte gleich darauf auf, weil er begann, gleichzeitig stärker an meinen Nippeln zu saugen und seine Finger tiefer in mein Loch drängte.
„Ich liebe dich auch“, antwortete er und drückte einen lieben Kuss auf mein Herz, was mich ganz laut und verzückt aufseufzen ließ.
Dieses Gefühl, wenn Meto mein Herz küsste, war tatsächlich so ungefähr das Intensivste, was er an Gefühlen in mir wecken konnte. Es war so viel, dass ich unmöglich so stark darauf reagieren konnte, wie es sich in mir anfühlte, es ließ sich auch kaum in Worte fassen. Und dabei war es weniger sexuelle Ekstase, lag mehr auf emotionaler Ebene, wo es wie stürmische Wellen in mir aufbrandete und mir ein paar Tränchen in die Augen trieb.
„Tsu?“, sprach Meto mich leise an, „Sag mal … kannst du mir beschreiben, wie das ist, wenn ich so dein Herz küsse?“
Ich schüttelte den Kopf, blinzelte die Tränchen weg, antwortete dann: „Nein … Ich kann‘s nicht in Worte fassen … aber es ist schön, sehr, sehr schön …“
Meto lachte leise, drückte ein Küsschen auf meine linke Brustwarze und umarmte mich fester, seine Finger in meinem Innern dehnten mich weiter und irgendwie tat das so gut …
Und als er mich dann leise aufforderte, mich umzudrehen, hatte ich wiederum Glückstränen in den Augen, mein Herz hämmerte unbändig gegen meine Rippen, während ich mich auf die andere Seite drehte, und ich spürte den erregten Pulsschlag in Metos Glied, noch ehe es mein Loch direkt berührte.
Er strich mein Haar beiseite, küsste zärtlich meinen Nacken und umarmte mich ganz fest, schmiegte sich an meinen Rücken, sodass ich seinen Herzschlag spürte, flüsterte mir zu: „Ich liebe dich, du schöner Mann …“, und drang dann langsam in mich ein.
Es spannte ein wenig, doch ich empfand das mehr als erregend, denn als unangenehm. Meto hatte mich genügend vorbereitet und außerdem fand ich ja so ein bisschen Schmerz durchaus nicht schlecht …
Er begann, sich zu bewegen, vorsichtig und doch so, dass ich spürte, er hatte kaum mehr Scheu. Und während mein Körper sich seinem unter Stöhnen hingab und seine Lust genoss, dachte ich daran, dass er ja wirklich schwul war, wirklich immer nur den männlichen Körper geliebt hatte, auch wenn ich sein Erster im Bett war. Ich dagegen … ich kam mir mit meiner Vergangenheit, den vielen Frauen und meinem Verhalten damals, irgendwie schmutzig und unvollständig vor … Warum nur hatte ich so viele Fehler machen müssen, ehe ich Meto gefunden hatte?
Doch ehe sich meine Gedanken weiter verselbstständigen konnten und ich vielleicht noch wieder traurig geworden wäre, riss Meto mich da heraus: „Hey, nicht so viel denken, Tsu.“
„Kannst du bitte mal mein Hirn knebeln?“, fragte ich halb ironisch.
Meto lachte leise, küsste wieder meinen Nacken. „Knebeln kann ich es nicht, tut mir leid. Aber ich kann’s dir für ‘nen Moment rausvögeln.“
„Dann tu das, bitte …!“
Das musste ich ihm nicht mal zweimal sagen. Er wusste, was ich brauchte und wie ich es brauchte, und das gab er mir, mit ebenso viel Liebe wie Ekstase. Zog sich ein Stück weit raus und stieß dann in mich, so hart und heiß und geil, dass ich tatsächlich nicht mehr zum Denken imstande war. Wieder und wieder und wieder, ich spürte seinen bebenden, heißen Körper, den Schweiß auf seiner und auf meiner Haut, seinen harten Schwanz tief in mir, und hörte sein Stöhnen nah an meinem Ohr, während ich selbst meine Lust bei jedem seiner Stöße herausschrie.
Als ich spürte, dass ich kurz vorm Kommen war, kam mir das ungefiltert über die Lippen: „Oaah-aahhh… mehr … bitte, Meto, ich … oahh, ich komm gleich …!“
Statt einer Antwort in Worten spürte ich Metos liebe, warme Hand an meinem Schwanz, er rieb mich und zugleich veränderte er den Winkel, in dem er meine Tiefe nahm, traf meine Prostata und ließ mich für einen Moment komplett die Kontrolle verlieren. Mein Körper stöhnte, schrie, bebte, wand sich, meine eine Hand krallte haltsuchend ins Bettzeug, während ich mit der anderen hinter mich griff und meine Finger in Metos heiße Haut grub …
Der heftige Höhepunkt ließ mich erschöpft und mit hämmerndem Herzen zurück, und einen Moment später spürte ich, wie mein Liebster ebenso stöhnend erbebte und sein süßes Glied seinen Samen in mich ergoss, ich fühlte sein wild klopfendes Herz …
Eine Weile blieben wir so liegen, dann zog er sich langsam raus, schlug die Bettdecke beiseite, ohne die mein verschwitzter Körper gleich zu frösteln begann.
„Das war gut …“, hörte ich ihn sagen, ich sah ihn an und er lächelte, sah sehr zufrieden – befriedigt – aus. „Aber was machen wir jetzt? Gestern Morgen geduscht, gestern Abend dann auch, und jetzt heute Morgen schon wieder …?“
„Wir können uns ja auch so abwaschen, am Waschbecken …“, sagte ich nur.
Langsam stand ich auf, spannte dabei meinen Unterleib an und dachte daran, dass Meto das ja schon länger als ich immer so machen musste … Es kam mir schon irgendwie eigenartig vor, aber so war das eben, wenn man als Mann einen anderen Mann liebte, mit ihm schlief und auf Kondome verzichten konnte.
„Willst du zuerst ins Bad?“, fragte Meto und war wieder ein wenig rot um die Nase.
„Sag mal, Baby, stehst du eigentlich mitten in der Nacht noch mal auf und gehst zur Toilette, um meinen Samen wieder raus zu lassen, oder was?“, fragte ich mit meiner unverblümten Art.
Meto nickte, wurde noch ein wenig röter. Eben noch beim Sex hatte er mir ohne jedes unsichere Stocken wortwörtlich angeboten, mir das Hirn rauszuvögeln, und das ebenso hemmungslos getan, und jetzt wurde er rot, als es darum ging, wie man den ganzen Samen wieder loswurde. Aber ich fand es immer noch so süß, wenn er errötete, ebenso süß wie wenn er seine scheinbare Schüchternheit ablegte und zu mir genauso eindeutige Sachen sagte wie ich zu ihm …
Auf seine Frage hin ging ich als erster ins Bad, und als ich dort auf der Toilette saß, fand ich das Ganze tatsächlich so komisch im Sinne von amüsant, dass ich mir ein kurzes Auflachen nicht verkneifen konnte.
Vielleicht war das ein seltsamer Gedanke, aber irgendwie fand ich, dass dieses unverblümte Drüber-reden bei solchen Sachen („Samen im Hintern, muss auch wieder raus“) dem ganzen Akt eine gewisse Ganzheitlichkeit verlieh … Einfach zu sagen, wie es eben war, das erschien mir gut, so wie ich eben auch Sex bei Licht mochte, weil ich alles sehen wollte.
In diesem Moment bemerkte ich, dass das ein Ideal von mir war: Alles von Meto zu sehen, zu fühlen und zu lieben, und dass er ebenso alles von mir sah und spürte. Und in der Hinsicht war der Hintern eben auch nur ein Teil vom Körper des geliebten Menschen, und damit ein Teil, der ebenso ein Recht auf liebevolle Berührung hatte wie jeder andere Körperteil auch … Es hatte zwar diesen ‚verbotenen‘ Reiz, dorthin zu küssen, aber dennoch hatte ich davor eben kaum eine Scheu.
Ich stand auf, ging zum Waschbecken und griff mir einen Waschlappen, den ich unter dem kühlen Wasser nass werden ließ und dann Seife drauf tat. Als ich begann, mich zu waschen, sah ich dabei in den Spiegel, und irgendwie fand ich mich schön.
Mir zusehend, fuhr ich mit dem nassen Lappen über meine Haut, die Tattoos auf Brust und Armen, über das Implantat, strich auch kurz über meine gepiercten Brustknospen, und fuhr dann runter, über meinen Bauch und das Tattoo weiter unten, bis hin zu meinem Schritt.
Mit den Fingern tastete ich an meinem Glied und Hoden vorbei nach hinten, mein Loch fühlte sich noch weich an und die Haut war ein wenig gereizt dort, es ziepte leicht, als ich mit dem Lappen, der ja voll Seife war, darüber wusch. Vielleicht sollten wir es nicht jedes Mal so hemmungslos über-treiben, dachte ich, aber wusste zugleich, in solchen Momenten höchster Erregung würde mir das ganz egal sein, dann wollte ich es so hart und heiß wie nur möglich.
Nach dem Waschen ging ich, nackt wie ich war, wieder rüber ins Schlafzimmer, Meto stand auf und ging an mir vorbei ins Bad, jedoch nicht ohne mich im Vorbeigehen kurz zu küssen.
Vor dem Kleiderschrank stehend, überlegte ich, was ich anziehen sollte, und entschied mich für die lange, schwarze Lackhose, ein Netzhemd und die zur Hose passende Weste. Es sollte halbwegs warm werden heute, hatten sie gestern irgendwann im Radio gesagt, und ich wollte später mit Meto rausgehen, in die Stadt.
„Meto?“, rief ich laut quer durch die Wohnung. „Weißt du schon, was du heute anziehst?“
„Keine Ahnung“, kam es aus dem Bad zurück. „Was ziehst du denn an?“
„Lack und Netz“, antwortete ich.
„Dann geh ich in Netz mit Minirock und Lackshirt!“
„Geil!“
Als Meto aus dem Bad kam, stand ich dort schon vor der Tür, in voller Montur, nur noch nicht geschminkt.
„Siehst heiß aus, Tsu“, kommentierte er mein Outfit mit einem süßen Lächeln. „Darf ich heute das passende Mädchen dazu sein?“
„Immer gern, Baby“, antwortete ich und küsste ihn.
Wenn er das so sagte, dass er gerne Kleider und Röckchen trug, dann war da nichts dabei von ‚Frauenrolle‘ oder irgendeiner Ungleichheit, für ihn waren Mädchensachen ein schöner Stil, nicht mehr und nicht weniger, und nachdem ich ja jetzt auch noch die Erinnerung an seine Stöße in mein Loch spürte, hatte sich das Ding mit Mann-Frau-Rollenbildern für uns beide wohl wirklich erledigt. Ich fand das sehr gut, denn im Moment gab es mir viel Sicherheit, dieses Wissen, dass ich mit einem Mann zusammen war, bei dem mir die Fehler mit den Mädchen früher vielleicht nicht so leicht passieren würden …
Während ich mich schminkte, zog Meto sich an, kam dann in fast fertigem Outfit zu mir und schminkte sich ebenfalls. Himmel, sah er wieder süß aus! Wobei, ‚süß‘ war für dieses Outfit vielleicht nicht der richtige Ausdruck …
Er hatte sich eine feinmaschige Netzstrumpfhose angezogen, dazu einen knappen schwarzen Lack-Minirock und ein enges, aus selbigem Stoff bestehendes Oberteil, ein kurzes, beinahe durchsichtiges Strickjäckchen und ein Halsband mit Ring und Handkette. Seine kurzen, blauen Haare hatte er unter einer blonden, langhaarigen Perücke versteckt, die ich noch nie gesehen hatte, und wie er sich jetzt schminkte, mit den riesigen Kontaktlinsen und diesem wundervollen roten Lippenstift, verwandelte er sich in ein Wesen, das zwar auch irgendwo süß, aber definitiv total sexy war, gerade auch wegen seines sichtbaren Männerkörpers in diesen weiblich-erotischen Kleidern.
Ob ich vielleicht doch schwul war, wenn ich darauf so abfuhr, wusste ich nicht. Aber dass ich es liebte, wenn Meto sich so stylte, das war auch für mich selbst unübersehbar, ich war total hin und weg!
Und als wir beide dann fertig geschminkt und zurechtgemacht waren, hatte ich sogar auf einmal richtig Hunger, sodass ich, als Meto sich in der Küche zum Frühstücken hinsetzte, nach meiner ersten Zigarette des Tages dazusetzte und sogar eine ganze Scheibe Brot mit Marmelade schaffte.
Meto sah das und lobte mich erfreut dafür: „Schön, du isst ja richtig was!“
Nach dem Frühstück fragte er, wohin in die Stadt wir denn gehen wollten, und ich schlug die Gegend vor, wo sich der VK-Club befand, denn dort in der Ecke gab es auch einschlägige Läden und ein Szenecafé, sodass wir unter unseresgleichen sein würden.
Meto packte noch Ruana ein, sie bekam noch ein zu seinem Outfit passendes Lackkleidchen an, und dann gingen wir los, raus in die Stadt.
In der Stadtbahn saßen die allerunterschiedlichsten Leute, es war Sonntag und schönes Wetter und jeder wollte raus, sich einen schönen Tag machen. Ich beobachtete zwei junge Mädchen in pastellfarbenen Lolita-Outfits, die noch aufwändiger waren als das, was Meto an solchen Sachen trug, er nahm von diesen Mädchen jedoch kaum Notiz, sondern spielte ein wenig mit Ruana.
Es war, als hätte er mit dem heutigen Lack-Outfit in einen anderen Modus umgeschaltet, hatte jetzt mal kein Interesse an Pastellfarben und Rüschen, sondern daran, als meine anziehende, verruchte ‚andere Hälfte‘ aufzutreten, was er dann mit einem Mal noch deutlicher machte, als er nämlich das Ende seiner Halsband-Handkette von seinem nietenbesetzten Armband löste und es mir in die Hand drückte. Manchmal war er so, einfach ebenso verrückt wie ich, und ich mochte das so sehr!
Entsprechend musste ich grinsen, als er von seinem Sitzplatz neben mir nach unten glitt, Ruana dabei an sich drückend, und sich zu meinen Füßen hinsetzte, so als wäre er mein Haustier an der Leine.
„Du bist verrückt, Baby“, sagte ich, und er grinste von unten her zu mir hoch und nickte deutlich.
Die ganze Fahrt über blieb er da unten sitzen und ich spürte, es machte ihm Spaß. Wahrscheinlich hatte er das bisher noch nie gemacht, früher hatte ihm ja der passende Partner dazu gefehlt, aber nun war ich ja da und ich war definitiv bereit, dieses Spiel mitzuspielen.
Als wir ausstiegen, stand er auf, bedeutete mir aber, dass ich die Kette in der Hand behalten sollte, und das tat ich. Draußen vor der Bahnstation drückte er mir dann sein Handy in die Hand und sagte leise: „Film uns mal, wie du mich an der Leine hast …“
Ich grinste. „Gerne doch, mein Süßer.“
Es wurde ein total verrückter Spaziergang durch eine Gegend, in der uns heute tatsächlich immer wieder Leute entgegenkamen, die ähnlich aussahen wie wir. Vielleicht war hier irgendwo ein Treffen oder so, weshalb heute so viele Visuals herumliefen, uns war es recht, so fielen wir nicht ganz so sehr auf, wie wir hier zusammen gingen, Meto an der Kette und ich mit seinem Handy als Kamera, wie ich unser Spiel filmte.
Mein Liebster hatte sichtlich Spaß dabei, posierte beim Gehen wahlweise wie ein SM-Bottom oder wie mein persönliches Haustier, flirtete abwechselnd mit mir und mit der Kamera, und ich hatte, weil es eben eindeutig Spaß und eine Spielerei war, auch meine Freude daran, seinen dominanten Herrn zu mimen.
Wir fanden das Café, aus dem schon eindeutig Musik einer Visual-Rock-Band schallte, und Meto wollte unbedingt da hinein und auch dort drinnen weiterspielen. Und so gingen wir rein, suchten uns einen Platz am Rande und Meto setzte sich da wiederum auf den Boden, unter den Tisch. Ich machte die Kamera erst mal aus, später konnten wir ja immer noch weiter filmen.
Meto ging in dieser Rolle auf, gerade weil uns beiden bewusst war, dass es eine Rolle und ein Spiel war, und spielte sie dennoch mit dem detailgenauen Perfektionismus aus, den ich auch an seinen Looks so mochte.
„Du spielst auch so gerne, stimmt‘s?“, fragte er mich von unten her.
Ich nickte. Dass ich im Grunde ein ziemliches Spielkind war, wussten wir beide, nur stand Meto die Rolle des verspielten Kindes besser zu Gesicht als mir, ihn schätzte man eher so ein. Bei mir waren andere Menschen oft überrascht, wenn ich mich auf einmal fast wie ein kleiner Junge benahm, vielleicht deshalb, weil ich auf den ersten Blick eher ernst und finster wirkte …
Ein Kellner, in einer ‚visual-isierten‘ Uniform, kam an unseren Tisch und zuerst sah er Meto gar nicht. Erst, als er fragte, ob ich schon etwas trinken wollte, tauchte Meto unter dem Tisch hervor und schnappte sich die Getränkekarte. Auf die Frage des Kellners, was er denn bitte unter dem Tisch machte, blinzelte mein Freund nur mit seinen großgeschminkten Augen und sagte kein Wort.
Also war ich wieder mal gefragt, und da das Spiel ja weiterhin im Gange war, sagte ich, ganz der coole SM-Typ mit dunkler Aura: „Er möchte heute gern mein Haustier sein, also sitzt er unten. Natürlich trinkt er Wasser, und ich hätte gern eine Cola.“
Meto nickte bestätigend.
Der Kellner erkannte das Spiel und machte mit: „Also eine Cola für den Herrn und ein Wasser für sein Haustier?“ Er notierte alles und verschwand dann mit einer Verbeugung und einem „Kommt sofort!“
Als er weg war, kam Meto halb unter dem Tisch hervor und sah zu mir hoch.
„Streichelst du mich, ‚Herr‘?“, fragte er, und es sah einfach extrem süß aus, wie er zugleich ernst wirken wollte und sich dabei aber kaum das Lachen verkneifen konnte.
Ich streichelte über seinen Kopf und berührte seine Wange, er gab einen Laut wie ein kleines Tier von sich und schmuste seinen Kopf gegen mein Bein.
Ich sah mich ein wenig um, und tatsächlich entdeckte ich an einem Tisch weiter drüben, in der Nähe der Bar, ein weibliches Pärchen, zwei junge Frauen, die anscheinend ein ähnliches Spiel spielten wie Meto und ich. Zumindest hatte die eine ebenfalls ein Halsband mit Kette an und die andere hielt das Ende in der Hand und fütterte sie gleichzeitig mit Kuchen.
„Meto, schau mal“, flüsterte ich und er hob den Kopf. „Da drüben, die beiden Mädels, die hatten anscheinend dieselbe Idee wie wir …“
Meto kicherte breit grinsend und tauchte unter dem Tisch hervor, und gerade, als das dominantere der beiden Mädchen ebenso in den Raum schaute wie ich zuvor, winkte er zu ihr rüber. Sie fiel komplett aus der strengen Rolle und winkte schulmädchenhaft zurück, ihre Freundin ebenso, und da kam bei uns auch schon der Kellner mit dem Wasser für Meto und der Cola für mich.
Und hast-du-nicht-gesehen standen die beiden Mädchen dann bei uns am Tisch und die ‚Top‘ fragte, ob sie sich zu uns setzen durften.
Ich war ja Mädchen gegenüber oft ein wenig unsicher, doch da es sich bei den beiden eindeutig um ein lesbisches Pärchen handelte, die mich dadurch ein wenig an Haruna und Hanako erinnerten, ging es in Ordnung. Lesbisch-vergebene Frauen zeigten ja in der Regel kein Interesse an mir, mit dem ich dann nicht würde umgehen können, das nahm also für mich eine Menge unterschwelligen Druck raus.
Und so bejahte ich die Frage der beiden und sie setzten sich mit ihren Teetassen und dem Kuchen zu Meto und mir an den Tisch.
„Ich bin Rika, und das hier ist Mayumi“, stellte die ‚Top‘ sich und ihre Freundin vor, die brav nickte und erst mal nichts sagte. „Und ihr beiden?“
„Nennt mich Tsuzuku“, sagte ich, dieser Name war mir immer lieber und erst recht in dieser Umgebung, wo ich kaum mehr eine Verbindung zu meinem Taufnamen fühlte. „Und das ist Meto, mein Schatz.“
„Zwei Männer, zwei Frauen“, stellte Rika fest und schien das schon irgendwie cool zu finden. „Und ihr seid auch in Sachen BDSM unterwegs?“
„Manchmal“, sagte ich. „Eigentlich haben wir ‘ne Gleichauf-Beziehung, aber wir spielen beide gern.“
„Für die Abwechslung?“, fragte Rika.
Ich nickte und das offene Reden fiel mir in diesem Moment ganz leicht. „Wir switchen, was die Kiste hergibt …“, ich musste bei meinen eigenen Worten ein wenig lachen, „… und es ist halt schön, auch mal so etwas auszuprobieren.“
„Ein Männerpaar, das switcht, ist ja toll!“, meldete sich Mayumi zu Wort und bekam dafür einen strengen Blick von Rika: „Habe ich dir erlaubt, zu sprechen, Mayu-chan?“
„Nein, Herrin …“
„Dann sei still, du bekommst auch später deine Belohnung.“
Mayumi nickte gehorsam und dann tauschten die beiden diesen ganz kurzen Blick, den ich von Meto und mir kannte, diese kurze Absicherung, dass es okay war. Ihre Beziehung schien der unseren zu ähneln, sie spielten ab und zu Herrin und Sklavin, weil es Spaß machte und reizte, aber dahinter war die Beziehung gleichauf und alles gut abgesprochen.
Die Zeit, bis wieder ein Kellner auftauchte und mich nach meinen und Metos Essenswünschen fragte, verging dann schnell über dem freien Gespräch, das ich mit Rika über Beziehungen und Bettexperimente führte. Sie war da ganz offen und das ermutigte mich, ihr, obwohl ich sie ja erst ein paar Minuten kannte, ähnlich offen zu erzählen, was ich mochte und was Meto und ich zusammen taten. Er saß dabei weiter unter dem Tisch und immer, wenn ich zu ihm runter sah, um seine Zustimmung zu meinen Worten abzusichern, berührte er mich am Bein, sodass ich wusste, ob es okay oder nicht okay war, auch zu erzählen, worauf er so stand.
„Du bist als Herr sehr liebevoll“, stellte Rika fest, als sie bemerkte, wie ich mir jedes Mal wieder Metos Zustimmung versicherte.
„Ich liebe ihn ja auch wirklich. Ich kann, auch wenn wir spielen, nicht irgendwas tun, was ihm wirklich wehtun könnte, das könnte ich mir nicht verzeihen“, sagte ich und spürte dabei, wie Meto sich unter dem Tisch an mein Bein schmiegte. Ich streichelte ihn dafür und er sah zu mir hoch, die Lippen zu einem Kussmund geformt.
„Ich finde auch, man muss schon eine gute Beziehung haben, wenn man so spielen will. Dafür braucht es viel Vertrauen, von beiden Seiten … Ich will Mayumi ja auch nie verletzen, wir sprechen uns vor jedem Spiel genau ab“, sagte Rika und sah Mayumi an. „Meine kleine Maus steht auf heißes Wachs und viele Fesseln, da muss man so vorsichtig sein.“
Heißes Wachs … Ganz kurz spürte ich einen seltsamen Schauer in mir. Ich wusste, manche Paare taten das im Bett, und sicher war das für sie auch schön. Aber ich wusste auch, Meto und ich würden das nie zusammen tun. Heißes Wachs war für mich zu sehr krank, zu sehr Selbstverletzung, zu viel Borderline, als dass ich es auch im Bett gewollt hätte.
Fast wäre mir eine Andeutung entwischt, ein „Für mich wäre das nichts“ oder so, aber ich schluckte es gerade so herunter. Über Sex zu reden, auch so speziellen Sex, war eine Sache, das fiel mir leicht, aber bei jemandem, den ich gerade mal zwanzig Minuten kannte, zu erwähnen, dass ich psychisch krank war, das konnte ich nicht.
Nachdem ich für Meto etwas zu essen bestellt hatte, Curryreis, und für mich eine weitere Cola, nahm Rika das Gespräch wieder auf, mit den Worten: „Irgendwie ist das vielleicht seltsam, dass ich als Frau, die auf Frauen steht, mich dafür interessiere, was zwei Männer im Bett miteinander machen, oder?“
„Weiß nicht, finde ich nicht mal …“, sagte ich. „Ich hab früher viel mit Frauen gehabt, aber ich bin komplett durch damit, und ich find‘s trotzdem spannend, zu hören, was lesbische Paare machen, auch wenn ich selber keine Frau mehr anfassen will.“
„Du bist also nicht ‚richtig‘ schwul?“
„Ehrlich gesagt weiß ich das nicht mal … Ich weiß nur, dass ich nur noch Meto will, niemand anderen mehr, und er ist eben ein Mann.“
Rika lächelte. „Dann ist das wohl die ganz große Liebe, hm?“
Und ich nickte, lächelte auch, weil es das war, die ganz große Liebe, und es sich gut anfühlte, wenn jemand von außen mir das bestätigte.
Rikas Offenheit war von einer angenehmen Art, zwanglos und ohne dieses fangirlhafte Geschwärme, das mich ja oft so verlegen machte. Sie interessierte sich einfach dafür, blieb dabei aber normal ruhig und erreichte so, dass es sich für mich normal und einfach anfühlte, ihr zu erzählen, dass und wie ich Meto liebte.
Als dann Metos Essen und meine zweite Cola gebracht wurden, war ich dann erst mal damit beschäftigt, Meto unter dem Tisch hervor zu locken, und dann, als er neben mir saß, wollte er tatsächlich auch noch von mir gefüttert werden.
Entsprechend versiegte das Gespräch zwischen Rika und mir dann erst einmal, sie beschäftigte sich mit Mayumi, und ich fütterte Meto, der sich dabei benahm wie ein süßes kleines Kind. Ich verstand nicht so wirklich, wie wir jetzt dabei gelandet waren, lauter so seltsame Fetische auszuprobieren, aber es fühlte sich gut an, machte Spaß, also machten wir damit weiter. Meto spielte Haustier oder Baby, ich mimte den dazu passenden Herrn und Versorger, und in meinem Kopf war als Gegenstück dazu die Erinnerung daran noch ganz lebendig, wie er mich heute Morgen genommen hatte …
„Mach schön den Mund auf, Baby“, sagte ich und musste dabei sehr grinsen.
Meto öffnete die Lippen (oh, diese göttlichen, vollen, einzigartigen Lippen …!) und beugte sich vor, um den Löffel mit dem Mund in Empfang zu nehmen, und als er gekaut und geschluckt hatte, küsste ich ihn, einfach so, weil seine Lippen mich so sehr anmachten. Ich schmeckte das Curry in dem Kuss und bekam augenblicklich Hunger, wollte am liebsten ebenso gefüttert werden.
„Liebes Meto-Baby …“, begann ich und sah ihn bittend an, „… wärst du so lieb und gibst mir ein kleines bisschen was ab? Ich mag auch essen …“
Meto strahlte mich breit lächelnd an, fiel vor Freude darüber, dass ich hier, öffentlich, etwas essen wollte, aus seiner Rolle, und schnappte sich sogleich den Löffel, sodass wir kurz darauf die Rollen getauscht hatten, indem er mich nun seinerseits fütterte.
Rika grinste, und Mayumi war offensichtlich ziemlich hingerissen. Aber ich beachtete die beiden in diesem Moment kaum, zu sehr nahm mich das Essen in Anspruch, der starke Geschmack und der nicht weniger intensive Duft des Currys.
Einmal, zwischendrin, wurde mir beinahe ein wenig schlecht, da musste ich Meto kurz um einen Moment Unterbrechung bitten und hoffte, dass die beiden Mädels das nicht als das erkannten, was es war, eine Essstörung … Es war seltsam mit mir und meinen Krankheiten, manchmal lebte ich locker damit, konnte darüber reden und schreiben und war mir in dem Moment sicher, dass ich damit klarkam, und dann wieder war es mir schmerzhaft unangenehm und ich schämte mich sehr für meine Unzulänglichkeiten …
Ich brauchte nicht viel zu essen, war bald satt, mein Magen war einfach nicht mehr imstande, viel Essen aufzunehmen. Den Rest der Portion bekam Meto alleine, er nahm den Teller mit unter den Tisch und aß dort.
Währenddessen holte Rika ihr Handy raus, das in einer glitzernden, mit viel Zeug geschmückten Hülle steckte, und fragte mich, ob wir Nummern tauschen wollten. Einen Moment lang war ich etwas unsicher, aber da ich ja noch nicht allzu viele Nummern in meinem Handy hatte und Rika auch ganz gut leiden konnte, sagte ich schließlich zu und zog meines ebenfalls aus meiner Tasche, sodass ich kurz darauf Rikas Nummer hatte und sie die meine.
Wir redeten dann noch ein bisschen, und es stellte sich heraus, dass sie und Mayumi auch gerne bei Charlize vorbei schauten, und den anderen Laden, ‚Love has no gender‘, kannten sie auch.
Rika sprach auch von einem Ero-Club dort in der Gegend, wo man auch als gleichgeschlechtliches Paar gut hingehen konnte und es mit dem sonst weit verbreiteten Partnertausch nicht ganz so schlimm bestellt war. Solche Clubs interessierten mich auch, aber die Befürchtung, jemand könnte Meto oder mich dort in irgendwelche Partnertausch-Dinger verwickeln, die mir absolut zuwider waren, hielt mich bisher davon ab, da näher drüber nachzudenken oder gar einen Besuch in so einem Club zu planen.
„Das magst du überhaupt nicht, ne?“, fragte Rika, als sie bemerkte, dass es mich schon beim Gedanken daran schüttelte. „So kreuz und quer in der Gegend rum vögeln und Partner tauschen und so was?“
‚Überhaupt nicht mögen‘ war untertrieben, ich hasste schon die Vorstellung, jemand könnte Meto vor meinen Augen anmachen, oder auch mich anflirten …! Deshalb war ich vermutlich auch sauer auf Charlize, auch wenn der das gestern nur als Spaß gemeint hatte.
„Ich hasse das! Meto ist das Wichtigste in meinem Leben und … ich könnte das nicht ertragen, wenn er mit jemand anderem so was tun würde …“ Das Thema war nicht gut, gar nicht gut, und während in mir die Angst hochkam, überlegte ich fieberhaft, wie ich jetzt an ein neues, erträglicheres Thema herankam. „Können wir bitte über was anderes reden?“
„Klar“, sagte Rika, da meine extreme Abneigung diesem Thema gegenüber wohl ziemlich offensichtlich war. „Und, wie gesagt, in dem Club da, wo Mayu und ich hingehen, ist es nicht so schlimm damit, da wird man als festes Paar auch in Ruhe gelassen.“
Und dennoch, nach diesem Thema war für mich irgendwie die Luft raus aus dem Gespräch. Es tat mir leid, aber ich konnte dann nicht mehr richtig folgen, redete nach außen hin weiter, während in mir drin die Angst schwelte, davor, dass wieder jemand wie MiA kommen und versuchen könnte, mir Meto wegzunehmen …
Mein Liebster bemerkte, dass es mir nicht mehr so gut ging, er kam unter dem Tisch raus und lehnte sich an mich, streichelte versteckt über meinen Rücken und ließ mich so spüren, dass er bei mir war und nicht gehen würde.
Aber wir bezahlten dann bald und verabschiedeten uns von Rika und Mayumi, und ich hoffte einfach, dass die beiden nicht allzu viel von meinen Problemen bemerkt hatten.
„Möchtest du nach Hause?“, fragte Meto, als wir wieder draußen auf der Straße standen und nicht recht wussten, wo wir jetzt hingehen sollten.
Ich nickte, denn die vielen Menschen auf der Straße verunsicherten mich jetzt mehr als vorhin, ich wollte wirklich nach Hause, mit Meto allein sein, Ruhe haben.
Dadurch, wie wir beide ja heute gekleidet waren, diese Sachen, die so viel Selbstbewusstsein ausstrahlten, war es in gewisser Weise einfach für mich, auf dem Heimweg eine Art Fassade zu tragen, ich setzte diesen unnahbaren Blick auf, den ich noch aus Straßenzeiten beherrschte, und der passte zu Netz und Lackleder, sodass ich mir halbwegs sicher sein konnte, dass niemand mir meine Ängste ansah. Meto berührte immer wieder meine Hand, meinen Arm und Rücken, und das tat mir gut, ließ mich spüren, dass er hinter meine Fassade blickte und bereit war, mich aufzufangen, falls ich trotz der Maske fallen würde. Und als wir in der Bahn saßen, legte er seinen Arm um mich, seine Hand auf mein Herz, was mich wieder ruhiger machte.
Als wir unsere Wohnung erreichten, wartete oben auf dem Treppenabsatz eine kleine Überraschung auf uns: Koichi saß dort und wartete, sah gerade wieder auf sein Handy.
„Hey, Ko!“, rief ich überrascht und kam die letzten Treppenstufen dann bedeutend schneller hoch als zuvor. „Wartest du schon lange?“
Koichi lächelte, stand auf und umarmte mich kurz, dann begrüßte er Meto. „Ich hab versucht, dich anzurufen, Tsu, aber du bist nicht dran gegangen.“
Ich zog sofort mein Handy raus und tatsächlich stand da was von „Zwei verpasste Anrufe von Koichi“. Anscheinend hatte ich es wirklich nicht gehört, und so stellte ich die Lautstärke des Klingeltons gleich ein wenig höher ein.
„Ihr seht ja heiß aus“, bemerkte mein bester Freund und grinste. „Wart ihr schick ausgehen?“
„Hatten halt irgendwie Lust drauf“, sagte ich.
„Da ist auch irgendwo ein Treffen, glaub ich, ich hab in der Bahn auch mehr Visuals gesehen als sonst“, erwiderte Koichi. „Wart ihr da?“
„Nein, nur in ‘nem Café in der Gegend dort“, sagte Meto, während er den Wohnungsschlüssel aus seiner Tasche kramte. „Ich wollte mal Herr und Haustier mit Tsuzuku spielen, das haben wir ein bisschen gemacht.“
Koichi lachte. „Ja, Meto-chan, das kann ich mir gut vorstellen.“
Drinnen ging Meto gleich in die Küche und kochte eine kleine Kanne Tee, ich räumte kurz ein bisschen im Wohnzimmer auf, damit Koichi sich nicht mitten in unser Chaos setzen musste, und dann fragte ich ihn, warum er überhaupt hergekommen war.
„Ich hab versucht, schon mal mit dem Schreiben von der Rede anzufangen, für eure Hochzeit. Aber dann dachte ich, ich kann die nicht einfach so alleine schreiben, da solltet ihr auch mitreden dürfen. Schließlich ist es eure Hochzeit und die Rede muss richtig passen, finde ich“, antwortete Koichi.
Das klang einleuchtend und ich stimmte zu, woraufhin Koichi ein Heft und einen Stift aus seiner bunten Bambitasche kramte und wir uns zusammen aufs Sofa setzten.
„Meto?“, rief er meinen Freund zu uns, der daraufhin aus der Küche kam und die Teekanne samt Tassen vor uns auf den Couchtisch stellte. „Komm mal mit her, es geht um die Rede, die ich für euch schreiben soll …“
Meto setzte sich neben mich, kuschelte sich ein wenig an, und Koichi legte uns seine Notizen vor, mit vielen Fragezeichen an Stellen, wo er sich nicht sicher war, ob er das so schreiben sollte.
„Tsuzuku, die Frage für mich wär jetzt tatsächlich, ob ich … na ja, ob eine Erwähnung deiner Probleme, die ja doch auch in eurer Beziehung ihre Rolle spielen … ob ich die halt mit dazu schreiben soll, verstehst du?“
„Wie würdest du das denn schreiben?“, fragte ich.
„Natürlich nicht irgendwie so, dass es ein schlechtes Licht auf eure Beziehung wirft, ist ja klar, an eurer Hochzeit. Ich dachte nur, es wäre vielleicht ganz richtig und ehrlich, wenn ich schon auch schreibe, dass es dir nicht immer so gut geht und dass Meto halt trotzdem immer zu dir hält. Daraus ist eure Liebe doch auch entstanden, dass er in deinen ganz schweren Zeiten nicht von deiner Seite gewichen ist.“
Ich wusste erst nicht, ob ich damit so einverstanden war, zuckte nur mit den Schultern.
„Eigentlich werden ja auch sowieso nur Leute eingeladen sein, die wissen, was manchmal mit dir los ist, von daher musst du eigentlich keine Angst haben, oder?“, fuhr Koichi fort. „Die Leute aus dem Park wissen eh Bescheid, Metos Eltern auch, und ich und Mikan sowieso.“
„M-hm …“, machte ich und wenn ich das so sah, machte es für mich jetzt auch Sinn. Schließlich war es ja wirklich so, meine Krankheit hatte diesen Einfluss auf mein Wesen und damit auch auf die Beziehung zu Meto. Und darum ging es ja am Tag unserer Hochzeit, dass ich trotz meiner Schwierigkeiten den Bund fürs Leben mit ihm schließen wollte.
Koichi schrieb sich das notizenartig auf und danach saßen wir noch weiter zusammen, tranken den Tee und redeten, über das, was Meto und ich vorhin erlebt hatten, und Koichi erzählte von Mikan. Sie hatte wieder bei ihm übernachtet und mein loses Mundwerk ließ es sich nicht nehmen, dass ich eine kleine, schlüpfrige Anspielung machte, die Koichi aber lachend konterte: „Als wenn ihr zwei nicht auch fast jede Nacht miteinander schlaft, ne?“
„Erwischt“, gestand ich.
„Dachte ich mir.“ Koichi grinste. „Und nein, Tsu, wir tauschen hier jetzt keine heißen Details aus.“
„Habt ihr auch schon nen Schrank voll Spielzeug?“, fragte ich, ebenso grinsend, und schickte aber noch ein ernsteres „Nein, schon gut, ich mach nur Spaß“ hinterher.
Irgendwie zog es mich immer zu diesen Themen hin, ein nicht unerheblicher Teil von mir hatte einen Heidenspaß daran, bei jeder halbwegs passenden Gelegenheit das Thema ‚Sex‘ anzusprechen. Zwar war mir das auch schon ein wenig unheimlich, aber es machte zugleich so viel Spaß …!
Und als hätte Koichi wieder meine Gedanken an meinen Augen abgelesen, fragte er: „Sag mal, Tsuzuku, das machst du irgendwie richtig gerne, ne, über Sex reden und so?“
Ich zuckte mit den Schultern, auf einmal war es mir fast ein wenig peinlich.
„Ist ja nicht schlimm, das meine ich nicht, aber … na ja, weißt du, warum du das machst?“
„Nein …“, sagte ich, „Zumindest nicht so richtig.“
„Aber es macht dir ein gutes Gefühl?“
„Ja, schon … irgendwie mag ich das, es reizt mich, so zu reden …“ Ich spürte, wie mir doch ein wenig das Blut in die Wangen stieg.
Koichi bemerkte, da er mich ansah, natürlich, dass es mir jetzt doch unangenehm war, und er legte mir die Hand auf die Schulter. „Alles gut, Tsuzuku, war nicht böse gemeint. Es hat mich nur interessiert, verstehst du?“
Ich nickte. „M-hm …“ Und irgendwie fragte ich mich auf einmal, ob Hitomi, wenn sie richtig gut drauf war, auch so reden konnte, so eindeutig-zweideutig und sexuell, und ob sie dabei ähnlich empfand wie ich.
Koichi ging dann bald wieder, er wollte die Rede zu Hause an seinem PC schreiben, und Meto und ich setzten uns dann wieder auf die Couch, sahen ein bisschen fern und aßen dabei zu Mittag.
Danach gingen wir, dieses Mal in gewöhnlicheren Klamotten, wieder raus, ich brauchte wieder mal neue Zigaretten, und auf dem Weg zum und vom Conbini machten wir ein paar kleine Umwege, sahen uns die Gegend, in der wir ja jetzt lebten, mal gemeinsam etwas genauer an.
Beim Gehen streifte Metos Hand hin und wieder die meine, doch wir trauten uns, trotz dass wir heute Morgen noch so auffällig und öffentlich gespielt hatten, jetzt nicht, hier Hand in Hand durch die Wohnviertel zu gehen.
„Wollen wir zum Strand?“, fragte Meto irgendwann.
Weit war es von hier aus nicht zum Meer, und so sagte ich „Ja“ und wir schlugen den Weg in Richtung Strand ein, gingen dort über die Promenade mit den teuren Hotels und Restaurants hin auf den grauen Sand.
Es waren gerade nur wenige Leute hier, die meisten liefen eher auf der Promenade und konnten uns dank des hohen Dünengrases nicht sehen, und so trauten wir uns hier auch endlich, Hand in Hand zu gehen, ein Stück den Strand runter.
Dann blieben wir stehen und Meto umarmte mich, ich hörte die Möwen schreien und das Wasser rauschen und fühlte mich wohl und sicher, spürte Metos Hand auf meinem Herzen. Es war, als gehörte es ihm, es fürchtete sich schon beim Gedanken daran, ohne ihn sein zu müssen, davor, dann haltlos auszutrocknen. Es war beinahe ‚sein‘ Herz, nicht wirklich meines, obgleich es in meinem Körper war und ich damit meine Liebe zu ihm fühlte. So sehr gehörte es ihm, so sehr liebte ich ihn.
„Ich liebe dich, Meto“, flüsterte ich in sein Ohr und streifte es sanft mit meinen Lippen.
Er sah mich an. „Ich lieb dich auch.“ Seine braunen Augen sahen mich so liebevoll an, dass ich kurz in ihnen versank und mir dabei beinahe wünschte, er liebte mich ebenso vollkommen und abhängig wie ich ihn … Ich wollte beides zugleich, von ihm gehalten werden und ihn halten, dass er meine Tränen wegküsste und ich ebenso stark sein würde, wenn er mich brauchte, seine Tränen zu trocknen.
Wir blieben nicht allzu lange am Strand, gingen dann bald wieder zurück und nach Hause. Wieder landeten wir auf dem Sofa, doch der Fernseher bleib aus, stattdessen saßen wir einfach nah zusammen da, redeten nicht mal, sondern schwiegen gemeinsam, eine ganze Weile.
Ich schwelgte innerlich in romantischen Gedanken davon, eins zu werden, der Frage, wie weit das möglich war, und versank ein wenig darin.
Aber auf einmal bemerkte ich, dass Meto ein bisschen traurig aussah und er biss sich auf die Lippen. Dabei hatte er diesen Blick in den Augen, den er selten zeigte, der aber immer dann zu sehen war, wenn er seine eigenen Traurigkeiten hinter den meinen zurück zu stellen versuchte.
„Hey, was hast du?“, fragte ich.
Es brauchte einen Moment, ehe Meto antwortete, dann fragte er mit trauriger Stimme: „Tsu? Sag mal … also … findest du mich eigentlich so richtig hübsch?“
„Soll das ein Scherz sein?!“, fragte ich überrascht zurück und sah ihn verwundert an. „Der süßeste, schönste Mann auf dieser Welt fragt mich, ob er wirklich hübsch ist?!“
Er nickte, sah noch ein wenig trauriger aus.
„Meto, du bist wunderschön!“ Ich überbrückte die kurze Distanz zwischen uns und küsste ihn. „Wie kommst du nur drauf, dass du nicht schön sein könntest?“
Er biss sich wieder auf die Lippen (was in einer anderen Situation ganz sicher verflucht sexy ausgesehen hätte) und sagte leise: „Manchmal fällt mir wieder ein, wie ich früher war, in der Schule und so … Ich war ziemlich schüchtern und die anderen in meiner Klasse … na ja, die meinten, ich hätte so einen großen Mund … und dass das hässlich sei.“
„Und hast du das geglaubt?“
„Ein bisschen schon … Ich meine, na ja, meine Mama hat auch solche Lippen wie ich, aber sie ist ja eine Frau, bei ihr sieht das schön weiblich aus. Aber ich bin halt kein Mädchen, und für Männer passt das doch irgendwie nicht, oder? Und außerdem …“
„Jetzt hör aber mal auf, Baby“, unterbrach ich ihn. „Du bist ja fast so schlimm wie ich mit solchem Gerede!“ Ich beugte mich vor, drückte ihn an den Schultern ins Sofakissen, sah ihm in die Augen und sagte einfach, was mir in den Kopf kam: „Ich steh total auf deinen Mund, Metolein, gerade weil er so groß ist. Du küsst einfach großartig, deine Lippen sind wunderbar weich und süß, und es sieht so verflucht geil aus, wenn du beim Sex mit mir die Lippen so verziehst, weil sich dir was schön anfühlt. Und außerdem … kann ein großer Mund mit vollen Lippen meinen Schwanz ja wohl viel besser verwöhnen. Also hör auf, dich damit fertig zu machen, ich liebe deine Lippen, verstanden?“
Er nickte, lächelte ein wenig, und ich beugte mich vor, presste meine Lippen auf die seinen, küsste ihn nach allen Regeln der Kunst, ließ ihn spüren, dass ich seine – nur seine!- Lippen wie nichts sonst auf der Welt genoss. Wie konnte er nur denken, dass ihn diese göttlich süßen Lippen weniger attraktiv machten?!
Meto erwiderte den Kuss ganz süß und weich, er schien unter meiner fordernden Liebe geradezu zu zerschmelzen, sein Körper unter meinem fühlte sich so warm an, und fest und weich zugleich.
Es blieb beim Küssen, wenn auch ich alles tat, damit es nicht einfach nur ein Kuss wurde, sondern einer, den er nicht so bald vergessen sollte. Ich griff in seinen Nacken, während meine Zunge in seinen Mund drängte und dabei mein Spalt auf sein Piercing traf, er ließ einen genießenden Laut vernehmen und seine Hände klammerten sich an meine Schultern.
Später dann, abends im Bett, lag ich in Metos Armen, mein Kopf auf seiner Brust, sodass ich seinen Herzschlag hören und auch fühlen konnte. Sein Herz, seine Atmung und seine Arme um mich gaben mir ein Gefühl von Halt und Sicherheit, in das sich aber bald dennoch meine Ängste zu mischen versuchten.
Ich wollte diese Angst nicht, wollte nicht, dass sie solche schönen Momente zerstörte, und so versuchte ich, sie weg zu schieben, und auch, dass Meto es nicht bemerkte.
Und vielleicht merkte er es wirklich nicht, oder er kannte mich einfach … Seine warme Hand strich ruhig durch mein Haar und die andere über meinen Rücken, und alles, was er sagte, war: „Ich liebe dich, Tsuzuku."
Ich hatte in dieser Nacht ganz seltsame, surreale Albträume. Tsuzuku kam in ihnen vor, spielte wie in meinem Leben sonst auch seine Hauptrolle, und dann waren da noch Koichi, Haruna, meine Eltern und, was mir Angst machte, MiA spielte ebenfalls mit. Er tat erst nicht viel, war aber da, und allein das versetzte mich in Angst, ich verstand nicht, warum er plötzlich wieder in meinen Träumen vorkam.
Der letzte dieser Träume war der Furchtbarste: Tsuzuku ging es darin gar nicht gut, er weinte, schrie mich an, tat sich weh, und ich konnte nichts tun, fühlte mich hilflos und wie gelähmt.
Es war wie letztens, als er mich angeschrien hatte, ich sollte weggehen, verschwinden, ihn lassen, nur dass ich in diesem Traum nicht gehen konnte, ich war wie festgewachsen.
Und auf einmal war dann MiA da, sah mich an, als wollte er mir helfen, doch ich bekam nur noch mehr Angst. Die alte Zerrissenheit, ich zwischen Tsuzuku und ihm, in diesem Traum war sie wieder da und tat mir so weh!
MiA kam auf mich zu, auf der anderen Seite sah ich Tsuzuku entsetzlich leiden, und ich stand gelähmt dazwischen, schaute nur hilflos zu, wie mein geliebter Freund, den ich heiraten wollte, sich selbst blutige Schnitte zufügte und sich erbrach, und wie MiA immer näher auf mich zu kam ...
Mit einem heiseren Keuchen wachte ich auf, saß aufrecht im Bett. Es war noch ziemlich dunkel, nur ganz leichte Lichtschimmer kamen schon herein, die Sonne war noch kurz vor dem Aufgehen. Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich soweit wieder klar war, dass ich halbwegs geradeaus denken konnte, dann sah ich zu Tsuzukus Betthälfte, wo er lag und friedlich schlief.
Er lag wieder auf dem Bauch, hatte die Decke um sich herum wild verzogen, und sein schwarzes Haar verdeckte sein Gesicht. Vielleicht hatte er ähnlich unruhig geschlafen wie ich, aber jetzt lag er ganz ruhig da, und ich beugte mich über ihn, strich ihm sachte die Haare aus dem Gesicht, er sah wieder so lieb und weich aus …
„Tsuzuku …“, kam mir leise sein Name über die Lippen und ich fuhr ganz leicht mit dem Finger über seine Nase. „… mein süßes Baby, du …“
Die Erinnerung daran, was in meinem Traum gewesen war, spukte noch durch meinen Kopf und die Angst steckte mir noch in den Knochen, das Bild, wie Tsu sich im Horrorfilm meiner Ängste verletzt und wie er geschrien und geweint hatte … Aber langsam wurde der Albtraum blasser, denn in Wirklichkeit lag Tsuzuku hier neben mir und schlief, unverletzt und ruhig.
Ich rückte näher zu ihm, schmiegte mich an seinen schmalen, warmen Körper und spürte, wie er atmete. Meine Sorge und Angst um ihn, die ja fast immer latent vorhanden war, war durch den Albtraum wieder größer, ich berührte ihn mit dem Gefühl, das ich schon gehabt hatte, als er noch auf der Straße gelebt hatte. Spürte, als ich seinen Arm streichelte, seine Narben unter meinen Fingern, und dachte nur: „Baby, ich liebe dich doch, und ich will nicht, dass du dir weh tust …“
An MiA wollte ich nicht denken. Ihn nur ganz, ganz weit von mir schieben, damit er nicht wieder in meinen Träumen vorkam. Die Erinnerung an ihn machte mir irgendwie richtig Angst.
Irgendwann musste ich wieder eingeschlafen sein, denn ich wachte davon wieder auf, dass ich spürte, wie Tsuzuku sich neben mir umdrehte und aufsetzte. Noch mit geschlossenen Augen, hörte ich seine Stimme, und spürte seine Hand streichelnd an meiner Wange.
„Aufstehen, Meto, die Sonne scheint.“ Seine Stimme klang so unglaublich lieb und warm, und ich war mir sicher, dass er lächelte.
Langsam blinzelte ich, öffnete die Augen, setzte mich auf und sah ihn an.
„Hast du gut geschlafen, mein süßer Mann?“, fragte Tsuzuku und küsste mich.
Ich erinnerte mich nicht, noch irgendwas weiter geträumt zu haben, und fühlte mich jetzt auch gut ausgeschlafen. Den Kuss erwiderte ich nicht weniger liebevoll als er, aber es war nur ein unschuldiger Guten-Morgen-Kuss, keiner, der in morgendlichem Sex ausgeartet wäre.
„Ich hoffe, du auch, mein Herz?“, fragte ich auf seine Frage hin zurück.
Tsuzuku nickte. „Ja, zumindest kein Albtraum.“
Von meinem Albtraum wollte ich ihm nichts erzählen, das hätte ihm nur wehgetan, dass ich davon träumte, wie er zusammenbrach. Und über MiA wollten wir ja wohl beide kein Wort verlieren.
Tsuzuku ging es jetzt anscheinend gut, sehr gut sogar, er strahlte mich an, küsste mich wieder, und mit einem Mal fand ich mich in liegender Position wieder, er auf mir, schmiegte sich wie ein Kätzchen schmusend an mich, und übersäte mein Tattoo-Baby mit kleinen, liebevollen Küsschen.
Ich lachte, weil seine Haare meine Haut kitzelten, und weil er so süß war, wenn er so verliebt war, und er kniff ganz leicht in meine linke Brustwarze, ehe er seine Lippen zärtlich dorthin tupfte.
Auf einmal richtete er sich wieder auf, sah mich an und fragte einfach so: „Sag mal, Metolein, wann darf ich eigentlich mal anfangen, deinen Arm bunt zu machen?“
„Wie kommst du da jetzt drauf?“, fragte ich, doch ein wenig verwundert.
„Ich hab da vorgestern drüber nachgedacht, als Takashima mein Tattoo fertig gemacht hat … Da dachte ich, eigentlich könnten wir das doch bald mal machen, deins weiter, oder willst du nicht?“
Es war nicht so, dass ich nicht wollte. Nur war es ja schon recht lange her, dass ich an meinem Tattoo was hatte machen lassen … Ich hob meinen Arm, sah die schwarzen, noch ungefüllten Linien auf meiner Haut, und dann sah ich Tsuzuku an, dem der Wunsch, mir mein Tattoo eigenhändig weiter zu machen, deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Ich wusste ja, wie sehr er sich das wünschte, und dennoch, es war ja mein Tattoo, meine Haut …
„Ich will dich nicht drängen, tut mir leid …“, sagte er leise, als ich zuerst nicht auf seine Frage antwortete.
„Alles gut“, erwiderte ich. „Lässt du mich darüber nachdenken?“
„Ja klar.“ Er schien sichtlich erleichtert. Es schien ihm wirklich sehr viel zu bedeuten, sowohl dass er mein Tattoo weiter vervollständigen wollte, als auch die Tatsache an sich, dass wir beide solchen Gefallen an Körperkunst fanden, sicher sah er darin eine Stärkung der Verbindung zwischen uns.
Aber zuerst mal standen wir auf, gingen jeder für sich den allmorgendlichen Dingen nach und saßen danach zusammen in der Küche. Tsuzuku griff zwar erst nach seinen Zigaretten, legte sie dann aber wieder beiseite, ohne eine zu rauchen, und stattdessen klaute er mir kurzerhand mein Marmeladenbrot, was ich aber ohne größeren Protest hinnahm, immerhin war es gut, dass er aß.
Ich machte mir also eine zweite Scheibe, sah ihm derweil zu, wie er die jetzt seine genoss, und es schien ihm wirklich zu schmecken.
Nach dem Frühstück suchte ich in meinem Schreibtisch nach dem fertigen Entwurf für mein Tattoo, es waren mehrere, aneinander geklebte Blätter, auf denen komplett bunt und fertig aufgemalt war, wie mein Arm dann damit aussehen sollte. Ich faltete den Entwurf zusammen und steckte ihn in meine Handtasche, sodass ich, falls ich mich dafür entschied, die Zeichnung auf jeden Fall dabei hatte.
Den Weg zur Bahn gingen wir wie immer zusammen, und da war ich dann innerlich auch so weit, dass ich Tsuzukus Hand griff und ihm beim Gehen ins Ohr flüsterte: „Mach mal nen Termin für mein Tattoo, vielleicht heute Nachmittag?“ Dass ich heute den Nachmittag vielleicht frei bekommen konnte, hatte ich schon halb sicher, Satchan hatte zwei neue Kollegen eingestellt und damit die Arbeitszeiten ein wenig lockern können.
„Rufst du mich an?“, fragte Tsuzuku.
„Ja, oder ich schreib dir.“
„Ich weiß nicht genau, wie viel ich heute zu tun haben werde. Kurata ist ziemlich chaotisch, da weiß man nie … Aber ich fänd’s auch schön, wenn wir das heute machen.“
„Schreib du mir, wie du Zeit hast, und je nach dem komme ich dann zu dir, machen wir’s so?“, sagte ich, da standen wir schon auf dem Bahnsteig.
„Du ziehst dich am besten um, wenn das mit dem Tattoo heute klappen sollte. In dem Kleid ist das sonst umständlich, oder?“, antwortete Tsu.
Ich umarmte ihn, hauchte ihm ein kleines Küsschen auf die Wange, und er schnupperte dabei kurz an meinen Haaren, sagte einfach so, dass ihm der Duft meines neuen Shampoos gefiel.
„Hab einen schönen Vormittag, mein Herz, und wir sehen uns.“
„Ich kann’s kaum erwarten“, sagte er und lächelte, dann stieg er in seine Bahn.
Ich musste noch kurz auf meine warten, und als ich mir dann darin einen Platz suchte, was nicht einfach war, denn es war sehr voll, da sah ich weiter hinten Koichi stehen, gut zu erkennen an seinen langen, pastellrosa Haaren, und auch weil er so groß war. Ich kämpfte mich zu ihm durch, er drehte sich um und erkannte mich.
„Hey, guten Morgen, Meto!“, begrüßte er mich lächelnd. „Wie geht’s dir?“
In dieser Umgebung war das Sprechen wieder schwieriger für mich, also lächelte ich nur.
„Und bei Tsu auch alles okay?“
„Ja …“ Ich lächelte wieder. „Alles gut.“
„Das ist schön. Ich hab heute Nacht ganz fies geträumt, dass es ihm sehr schlecht ging, da ist es gut, zu hören, dass er okay ist“, sagte Koichi.
„Du auch?!“, entfuhr es mir, ich dachte an meinen eigenen Albtraum der letzten Nacht. „Ich … hab auch … geträumt … so was …“
„Das nennen wir jetzt aber keine böse Vorahnung, Meto-chan, das waren nur Träume. Und vielleicht ist das auch ein Stück weit normal, weil wir beide viel über Tsuzuku nachdenken, und ihm geht’s ja oft auch echt mies, da kann es schon mal sein, dass wir das in Träumen auch erleben …“ Koichi sprach leise, weil wir ja von vielen Menschen umgeben waren.
Als wir ausstiegen, hatte ich kurz das Gefühl, dass ich mit Koichi über MiA reden könnte, darüber, dass der in meinem Traum auch vorgekommen war. Aber ich ließ es sein, wollte Koichi nicht in die Situation bringen, so ein Geheimnis vor Tsuzuku zu haben. Denn dass Tsu nicht erfahren durfte, dass MiA sich ungefragt in meinen Träumen herumtrieb, war ziemlich klar.
Wir erreichten das Café und Satchan war auch schon da, sie wies gerade die beiden neuen Kollegen ein, zwei Jungs etwa in meinem Alter, die aussahen, als wären sie eher von dem Typ Mann, der hier als seltener männlicher Gast auftauchte, solche schlaksigen Otaku-Typen. Als Koichi und ich dazu kamen, überreichte unsere Chefin den beiden gerade ihre Anfänger-Arbeitskleider, die doch sehr nach einer Mischung aus Maid und Schulmädchen aussahen.
Während Koichi und ich uns umzogen, kamen die beiden dazu, und zum ersten Mal, seit ich hier arbeitete, kam ich mir fast wie ein Profi vor, weil diese beiden neuer hier waren als ich und noch diese fanboyartige Begeisterung für ihre niedlichen Uniformen an den Tag legten.
Ich zog mir wie immer mein blau-weiß gepunktetes Lolita-Kleid an, setzte die Perücke mitsamt Schleife auf und frischte mein Make-up noch mal auf, und mein Aufzug versetzte die zwei Neuen in Begeisterung.
„Gott, siehst du süß aus!“, rief der eine aus, ich wusste seinen Namen ja noch nicht. „Und wie heißt du?“ Er beugte sich vor, schob seine Brille ein Stückchen hoch und las mein Namensschild: „Meto heißt du also?“
Ich nickte nur.
„Meto ist unsere stumme Puppe hier“, erklärte Koichi und musste sich angesichts des Verhaltens der Neuen sichtlich das Grinsen verkneifen. „Unter uns spricht er schon, aber mit den Gästen nicht.“
„Und warum nicht?“
„Ich … spreche nicht … so gut“, brachte ich leise heraus und spürte, dass ich schon wieder rot wurde.
„Süß!“, rief der andere der beiden aus, benahm sich original wie eine Kawaii-Maid in einer kitschigen, klischeehaften Fernsehsendung. „Hier ist alles irgendwie so süß!“
Was die jetzt an meinem Sprachfehler so süß fanden, blieb mir schleierhaft, und ich machte mich umgehend an meine Arbeit.
Koichi half mir, wie immer, wir arbeiteten meistens als Team zusammen, und unsere Kombi schien bei den Gästen auch gut anzukommen. Einmal, als das Café schon ziemlich voll war und die Mädchen nach den Instant-Fotos verlangten, musste Koichi einem der beiden Neuen erst mal erklären, wie so eine Kamera zu bedienen war, und ich spielte derweil mit Ruana zusammen das Fotomodell, merkte selbst, dass ich da schon ganz schön sicher geworden war.
In der Mittagspause standen Koichi und ich wieder im Hinterhof, er rauchte, ich nicht, und wir redeten über dies und das, kamen dabei irgendwie auf das Thema ‚Familie‘. Koichi hatte meine Eltern noch nicht persönlich kennen gelernt, aber anscheinend hatte Tsuzuku ihm von meiner Mama erzählt, denn Ko fragte interessiert danach, wie meine Mama ihren anspruchsvollen Beruf und den Haushalt daheim unter einen Hut bekam.
„Sie hat eine Haushaltshilfe angestellt, die putzt einmal die Woche im Haus und hilft auch sonst hier und da. Und ich hab mein Zimmer und mein Bad schon früh alleine in Ordnung gehalten, damit Mama sich da nicht auch noch Gedanken machen muss“, antwortete ich.
„Das Haus ist sehr groß, oder?“
Ich nickte. „Wir haben das von meinen Großeltern geerbt, die sind nach Kyushu gezogen, haben da jetzt auch wieder so ein sehr großes Haus.“
„High Society?“
„So ein bisschen, ja.“
„Aber ist nicht so deine Welt, ne?“
Ich schüttelte den Kopf. Nein, meine Welt war diese reiche, edle Gesellschaft nicht.
Und ich konnte mir auch denken, dass Tsuzuku sich meiner Verwandtschaft gegenüber unwohl fühlte. Das war einer der Gründe, warum ich meiner Familie noch nichts von meinen konkretisierten Hochzeitsplänen erzählt hatte: Ich wollte nicht, dass sich meine ganze reiche, schicke Verwandtschaft dann dazu eingeladen fühlte und damit meinen Verlobten in eine für ihn schmerzhafte Verlegenheit brachte. Am liebsten wollte ich nur einen ganz kleinen Kreis zu unserer Hochzeit einladen, nur unsere guten Freunde und meine Eltern.
„Ich bin halt mehr so ein Mittelstandskind“, sagte Koichi, setzte damit das eigentliche Gesprächsthema fort, von dem ich gedanklich schon abgeschweift war. „Meine Mum ist Hausfrau, Papa ist so ein total durchschnittlicher Angestellter in einer dieser gewöhnlichen Bürofirmen, alles bisschen … langweilig.“
„Und du dann mit rosa Haaren?“, fragte ich und lächelte ein wenig.
Koichi grinste. „Japp. Hat bisschen gedauert, bis mein Paps kapiert hat, dass ich so bin, solche Sachen wie rosa Haare oder Bambi-Tassen einfach mag. Und er hatte wohl auch Angst, dass ich schwul geworden wäre und so was …“ Er sah mich an, bemerkte, dass er mich ein wenig irritiert hatte, und erklärte sofort: „Ich hätte ja selber kein Problem damit, wenn ich auch Männer mögen würde, aber bei mir ist da halt nichts, ich kann’s mir einfach irgendwie nicht vorstellen, keine Ahnung. Nee, ich bleib mal bei den Mädels, hab ja meine Mikan. Aber sag mal, Meto, weißt du noch, seit wann du das weißt, dass du Männer magst?“
„Immer schon“, sagte ich. „Im Grunde schon, seit ich ganz klein war. Natürlich war es damals noch mehr unterschwellig und nicht so deutlich, aber ich hab das früh gemerkt, als alle im Kindergarten so Liebespärchen gespielt haben, wie Kinder das halt machen, ich hab da automatisch immer an nen Jungen gedacht, nicht an die Mädchen.“
„Aber du hattest … vor MiA keinen anderen, oder?“
Ich schüttelte den Kopf. „Früher ging‘s halt so schwer mit dem Sprechen, ich hab eine Zeit lang fast gar nicht mehr gesprochen. Da kriegt man nicht so leicht einen ab.“
„Verstehe …“ Koichi nahm einen Zug Rauch, blies ihn Richtung Himmel und fragte dann: „Darf ich dich … nur so aus Interesse … mal was Intimes fragen?“
„Was denn?“, fragte ich zurück, okay war es, schließlich wusste Koichi eh viel von mir, alles, was Tsuzuku ihm erzählte.
„Hast du mit MiA damals auch … so richtig geschlafen?“
„Nein“, sagte ich, sofort, und fügte dann hinzu: „Nur fast, aber nie so richtig. Tsuzuku ist mein Erster, mit ihm hatte ich mein Erstes Mal.“
„Da bist du froh drüber, oder?“
Ich nickte. „Ja. Sehr froh. Es hätte meine Beziehung zu Tsuzuku belastet, wenn ich vorher mit MiA richtig geschlafen hätte. So ist es viel besser, es fühlt sich dadurch so an, als ob ich auf Tsuzuku gewartet habe, damit mein Erstes Mal ihm gehört.“
„… dass nie vorher jemand in dir war, ne?“
„Ja. Tsu sagt immer, sein Herz gehört mir, und ich denke, ihm gehört meines, und mein ganzer Körper mit dazu. Hört sich vielleicht verrückt an, aber ich will das so, das fühlt sich auch so gut an …!“
„Es klingt auf jeden Fall sehr verliebt“, sagte Koichi.
Ich hatte ein bisschen den Eindruck, dass Koichi einer von diesen Menschen war, die nicht gern über sich selbst sprachen. Er redete lieber über das, was sein Gegenüber bewegte, und ich spürte, wie viel Verständnis er zu geben imstande war.
Aber hatten wir zuvor noch ansatzweise über seine Familie gesprochen, so war das Gespräch jetzt ja sehr bald wieder bei meinem und Tsuzukus Leben gelandet.
Doch ich traute mich jetzt nicht, Koichi darauf anzusprechen, dass mir dieser Wesenszug von ihm gerade auffiel. Vielleicht war es ja auch okay für ihn, so zu sein, ein wenig kannte ich das ja auch von mir selbst, wenn ich nur für Tsuzuku da war, weil er die Zuwendung einfach so sehr brauchte.
Nach der Mittagspause zog ich mich um, tauschte das süße Kleidchen wie immer gegen T-Shirt und Hose, schminkte mich etwas dezenter neu und ließ die Perücke weg.
Danach ging ich, und von Satchan aus war es okay, und auch Koichi sagte, er bekam das auch ohne mich hin. Ich schrieb Tsuzuku eine kurze Nachricht, dass ich zu ihm kam, dann verließ ich das Café für heute und machte mich auf dem Weg zum Studio.
Mein Herz klopfte aufgeregt, beim Gedanken daran, dass Tsuzuku vielleicht wirklich heute die Zeit und Konzentration aufbrachte, mir mein Tattoo weiter zu stechen. Er hatte Recht, ich hatte viel zu lange nichts mehr daran machen lassen. Es war so lange her, dass ich schon beinahe vergessen hatte, wie es sich anfühlte, etwas an meinem Körper so verändern zu lassen.
Ich stieg aus der Bahn aus, und auf dem letzten Stück Weg zum Studio versuchte ich, mir dieses Gefühl vom Tattoo-stechen-lassen wieder ins Gedächtnis zu rufen. Und als ich es dann sozusagen wieder hatte, da freute ich mich so richtig darauf.
Im Studio war gerade viel los, als ich hinein ging, überall surrten die Nadelmaschinen und der Wartebereich war fast voll. Tsuzuku war erst nirgends zu sehen, und ich setzte mich einfach mal zu den anderen wartenden Kunden.
Schließlich kam er, mit einem sehr nach Yakuza aussehenden Mann, aus einem der durch schwarze Vorhänge abgeteilten Räume, der Mann hatte einen halb fertig gefärbten, fauchenden Tiger auf dem Oberarm.
„Tsu!“, rief ich, ohne nachzudenken, und hob meine Hand.
Tsuzuku bemerkte mich, sah zu mir, und mir fiel auf, dass er hier irgendwie anders wirkte, als wie ich ihn kannte. Er war sichtlich in einem anderen Modus, wirkte ganz wie ein professioneller, gekonnter Tätowierer, der den Stress aufgrund der vielen Kunden ganz gelassen und cool meisterte. Ich sah zu, wie er dem Yakuza-Mann die Bezahlung für die Tattoo-Session abnahm und ihn verabschiedete, dann kam er zu mir.
„Hey, Babe“, sagte er und lächelte. Diese coole, selbstsichere Seite stand ihm richtig gut, auch wenn vielleicht etwas davon ein wenig gespielt war. Aber irgendwie freute ich mich trotzdem, dass es ihm anscheinend gerade gut ging. Ich wusste: Wenn er wirklich nicht gut drauf war, konnte er nicht so spielen und cool tun.
„Wie geht’s dir?“, fragte ich leise.
„Alles gut. Ist ziemlicher Stress heute, aber ich krieg’s hin.“
„Wie viel musst du denn noch, bevor ich dran bin?“, fragte ich, angesichts der vielen wartenden Kunden.
„Einen, vielleicht zwei. Die anderen sind alle Takashimas Kunden oder nur zum Piercen da.“
„Dann warte ich so lange.“
„Du kannst mir aber den Entwurf schon mal geben, dann schaue ich mir den schon mal genauer an und so, welche Farben wir da brauchen.“ Tsuzuku berührte mich leicht an der Schulter, seine Hand fühlte sich stark und warm an, und dann, auf einmal, küsste er mich kurz auf den Mund, vor allen Leuten. Und sagte, so dass es alle in der Nähe hören konnten: „Es wird mir eine große Freude sein, dir heute deinen Arm ein bisschen bunter zu machen.“
Ich lächelte, küsste ihn zurück, fühlte mich, so von seiner Kraft mitgerissen, selbst richtig gut und sicher. Manchmal, wenn auch nicht oft, war Tsuzuku auch mal der Stärkere von uns beiden, er hatte dann so eine Kraft und Energie, dass er meine Unsicherheiten und Schamgefühle einfach mit einer schwungvollen Welle aus Mut und Lust davonspülte, und ich liebte diese Momente so sehr! Es waren eben auch immer noch die Zeiten, in denen ich keine Angst um ihn haben musste.
Ich setzte mich wieder und nahm mir eine der auf dem Tisch liegenden Szenezeitschriften, während Tsuzuku sich dem nächsten Kunden zuwandte.
In der Zeit, als er seiner Arbeit nachging, sah ich mir dann auch die an den Wänden des Studios hängenden Tattoo-Zeichnungen an, vor allem die, die etwas neuer aussahen. Und tatsächlich fand ich unter einigen von ihnen Tsuzukus Signatur, ‚tzk‘. Es waren schöne Zeichnungen, zwar überwiegend düster und dämonisch, aber auf ihre eigene Weise wirklich gut. Und ich war stolz auf meinen Freund, dass er so künstlerisch begabt war, ganz sicher würde er mein eigenes Tattoo genauso schön fortsetzen, auch wenn es einen etwas anderen Stil hatte als seine.
„Hey, ein cooles Septum hast du da“, sprach mich jemand von der Seite an, ich wandte mich um und sah eine an ihrem Namensschildchen als Mitarbeiterin zu erkennende junge Frau neben mir stehen, die gerade mit einem Kasten voller kleiner Metallperlen beschäftigt war.
„D-danke“, brachte ich überrascht heraus.
„Ich hatte letztens ‘ne Frau aus England hier, die hatte auch so eins, aber ganz ehrlich, dir steht‘s besser. Sieht an kleinen Stupsnasen einfach süßer aus.“ Auf ihrem Schildchen stand der Name ‚Ami‘, und sie schien eine von diesen typischen Bodyart-Frauen zu sein, die sich kaum um Höflichkeiten und Etikette scherten. „Sag mal, du bist doch Genkis fester Freund, oder?“
„Ja“, sagte ich.
„Ich hab‘s vorhin gesehen, wie er dich geküsst hat“, sagte Ami. „Und, besuchst du ihn einfach oder ist irgendwas los?“
Ich wies leicht auf mein Tattoo, antwortete leise: „Nein … er mir … heute meins … mein Tattoo … weiter macht …“ Natürlich wurde ich wieder mal rot, so wie ich hier wieder rumstotterte.
„Oh schön!“, rief Ami aus. „Ja, das kann ich mir vorstellen, dass er das gerne macht.“
In dem Moment kam Tsuzuku hinter dem Vorhang heraus, wies den Kunden an, sich wegen der Bezahlung an den Chef zu wenden, und kam dann zu uns. Ich sah kurz zum Wartebereich, dort saß jetzt niemand mehr, vielleicht war die Kundin, die da noch für Tsuzuku gesessen hatte, inzwischen doch wieder gegangen.
Tsu legte seinen Arm um meine Schultern und sagte mit gehörigem Stolz in der Stimme zu Ami: „Darf ich dir vorstellen? Das ist mein Meto.“
„Wir haben uns schon kennen gelernt“, sagte Ami und lächelte. „Nen hübschen Freund hast du da, blaue Haare, schöne Piercings und ein ordentliches Tattoo, was will man mehr, ne?“
Ich wurde wieder ein wenig rot und bekam dafür von Tsuzuku einen Kuss.
„Und, Baby? Bist du bereit?“, fragte er.
Ich dachte an das Tattoo, an Tsuzukus intensive Liebe zu mir, die er mir damit zeigen wollte, und so strahlte ich ihn glücklich an und sagte: „Ja, bin ich!“
Kaum waren wir in der Kabine hinter dem schwarzen Vorhang allein, war Tsu auch wieder ganz so wie immer, sein Blick unverstellter und empfindsamer.
„Möchtest du liegen?“, fragte er. „Ist vielleicht bequemer, oder?“
Ich nickte, zog mein T-Shirt aus und legte mich auf die Liege, sah meinem Freund zu, wie er die Nadel vorbereitete. Mein Herz klopfte aufgeregt.
„Mit Betäubung, oder ohne?“ Tsuzuku sah mich aufmerksam an, hatte die kleine Sprühflasche mit dem Betäubungsmittel schon in der Hand.
„Mit“, sagte ich. „Aber nur ein bisschen.“
„Und wo möchtest du, dass ich anfange?“, fragte er weiter, musste ja von mir wissen, wo er betäuben sollte.
Ich hob meinen Arm, sodass ich ihn genau ansehen konnte, und sah dann auf den Entwurf, der auf dem Tisch neben der Liege lag.
„Unten“, sagte ich, ohne groß nachzudenken, denn im Grunde war es egal. Die Outlines waren ja schon da, es ging ja jetzt nur darum, sie mit bunten Farben zu füllen.
Tsuzuku lächelte. „Also machen wir den Unterarm zuerst?“, fragte er noch mal nach und betätigte dann den Zerstäuber der Flasche, sodass der kühle, betäubende Sprühnebel auf meine Haut niederging. Kurz erinnerte mich das an eine ganz andere solche Flasche, das Hintern-Entspannungs-Spray in unserem Nachtschrank, und ich musste leicht grinsen.
„Woran denkst du gerade?“, fragte Tsuzuku, mein Grinsen entging ihm nicht.
„Hat mich nur gerade an was erinnert …“, sagte ich.
Irgendwie, vielleicht weil er noch mehr an so etwas dachte wie ich, erriet er, was ich meinte, und sagte einfach mit einem leichten Grinsen: „Ja, mich auch.“
Er wirkte gerade so richtig glücklich und sicher, lächelte immer wieder, während er wartete, dass die leichte Betäubung bei mir wirkte.
„Du weißt nicht, wie viel mir das hier bedeutet, Meto“, sagte er und seine Hand streichelte über mein Bein. „Es fühlt sich an, als ob ich dir zum zweiten Mal einen Verlobungsring schenke, nur dass du diesen nie wieder abnehmen kannst. Ich hoffe ein bisschen, dass mir das auch ein wenig meine Angst nimmt …“
„Das hoffe ich auch“, sagte ich und fühlte mit der rechten Hand nach, ob die Betäubung an meinem linken Unterarm inzwischen wirkte. Ja, die Stelle fühlte sich schon taub an.
„Bist du bereit?“, fragte Tsuzuku noch einmal.
„Ja“, sagte ich. „Fang an.“
Tsuzuku nahm sich die Vorlage näher ran, dann setzte er sich, schaltete die Nadelmaschine ein und ich sah hin, als er die surrende Nadel an meine Haut setzte. Zuerst tat es doch ein wenig weh, aber mein Körper erinnerte sich bald an diesen Schmerz, dann war es nicht mehr so schlimm.
Während Tsu dann also die Linien auf meinem Unterarm mit blauer, roter, grüner und gelber Farbe füllte, die überschüssige Tinte vorsichtig mit einem Tuch abtupfte, und dabei die Schönheit seiner geschickten Hände irgendwie ganz besonders zur Geltung kam, sah ich ihn an, diesen begabten, liebevollen, wunderschönen Mann, für den ich mir alles Glück der Welt wünschte, und dem das hier, an meinem Tattoo weiter arbeiten, so viel bedeutete.
Sein Körper und mein Körper, wir wurden nicht nur dadurch eins, dass wir miteinander schliefen, sondern auch durch so etwas wie das hier: Unsere gemeinsame Liebe zur Körperkunst, die wir auf diese Weise teilen konnten, indem Tsu nicht nur selbst so aussah, sondern mir auch ein ähnliches, für ihn und mich gleichsam schönes Äußeres schenken konnte.
Ich war so stolz auf ihn, dass er in diese Kunst des Tätowierens wieder so hineingefunden hatte, nach der harten Zeit auf der Straße!
„Wenn’s doch zu sehr wehtut, sagst du mir bitte Bescheid“, bat er mich und stoppte kurz, füllte wieder neue Farbe in die Nadel.
„Ist gut“, sagte ich. „Geht noch.“
„Du hast es ja nicht so mit Schmerz wie ich …“, fügte er noch hinzu.
Und als er weitermachte, da fragte ich mich im Stillen, wie das wohl war, den Schmerz beim Tätowiert-werden so zu lieben, wie es bei Tsuzuku der Fall war. Ich versuchte, mir das vorzustellen, doch das war gar nicht so einfach. Dieser ja auch teilweise betäubte Schmerz jetzt war von ganz anderer Art als der, den ich ab und zu im Bett manchmal mochte.
Vielleicht war ich ganz einfach nicht so, mir blieb die Lust und Entspannung, die mein Freund bei absichtlich erzeugten körperlichen Schmerzen empfinden konnte, weitgehend verschlossen. Ich wollte es zwar verstehen, ihn verstehen, aber so weit zu gehen war ich nicht imstande.
Irgendwann schloss ich die Augen, hörte das Surren der Nadel und fühlte das Stechen und Tsuzukus liebevolle Hand, die immer wieder die Tinte wegtupfte.
„Weißt du, Meto … ich hatte tatsächlich ein bisschen gehofft, dass du das vielleicht auch ein wenig magst, dieses Gefühl, diesen Schmerz …“, hörte ich ihn sprechen. „Ich weiß, du bist da anders als ich, aber trotzdem … ich selbst mag das so sehr, und der Gedanke, dass ich dir auch dieses schöne Gefühl schenken könnte … das hätte mir gefallen.“
„Es ist ja ein schönes Gefühl, Tsu“, sagte ich. „Aber eben nicht der Schmerz, sondern allein die Freude, die du gerade daran hast. Du stehst auf den Schmerz, und ich stehe drauf, dich so glücklich zu sehen. Wenn ich weiß, dir geht’s gut, das ist für mich das Größte.“
Wenig später, als ich schon fast das Stechen kaum mehr spürte, nahm Tsu dann die Nadel weg, schaltete die Maschine aus, und ich öffnete die Augen, sah meinen Arm an. Er fühlte sich zwar ein wenig schwer und wund an, aber die bunten Farben, die die zuvor noch ungefüllten Linien jetzt ausfüllten, sahen wirklich richtig gut aus, auch wenn es erst knapp zur Hälfte fertig war.
„Gefällt es dir?“, fragte Tsuzuku, ich setzte mich langsam auf und er küsste mich.
„Ja! Sieht toll aus!“
Er lächelte, sah so stolz und glücklich aus, küsste mich wiederum. „Nach der Hochzeit, darf ich dann daran weiter machen?“
„Natürlich!“
Tsu nahm von der Schutzfolie, wickelte ein langes Stück davon um meinen Arm und sagte: „Ich erinnere dich dann daran, wenn du’s pflegen musst.“
„Das krieg ich wohl noch alleine hin, da dran zu denken …“, sagte ich, lächelte aber.
Tsuzuku hatte dann auch bald Feierabend und wir nahmen zusammen die Bahn nach Hause. In der Bahn lehnte ich mich leicht an ihn, ich war ziemlich müde, und er legte seinen Arm um mich. Uns war egal, dass es jeder sehen konnte, ging es doch eigentlich wirklich niemanden etwas an.
Zu Hause angekommen, zog Tsu sich einfach spontan bis auf die Unterwäsche aus, legte sich im Wohnzimmer aufs Sofa, und ich tat es ihm gleich, legte mich ebenso halb ausgezogen zu ihm. Er machte ein bisschen Platz zwischen seinen Beinen, sodass ich mit gleicher Blickrichtung auf ihm in seinen Armen liegen konnte, und in dieser Position sahen wir den Rest des Abends fern, eine Serie, ein fast fertiges Baseballspiel und einmal das Wetter für morgen.
Es sollte warm werden, mit Sonne und nur wenigen Wolken, und die Frau vom Wetteramt sprach auch schon mal über die am Ende des nächsten Monats anstehende Regenzeit.
„Müssen wir aufpassen, dass wir nicht von der Regenzeit überrascht werden, wenn wir dann heiraten. In Kyoto kommt die ja gerne bisschen früher als hier …“, kommentierte Tsuzuku diese Aussichten.
„Dann kauf ich zu meinem Kleid noch einen Schirm“, sagte ich und grinste.
„Ich bin schon ganz gespannt, wie du dann aussehen wirst in dem Kleid, mein Süßer“, erwiderte Tsu.
„Nichts da, das siehst du erst dann.“
Tsuzuku lachte, seine Arme hielten mich fest umarmt und ich spürte die Bewegung seiner Brust beim Lachen, seinen Herzschlag, seine Wärme. Ich lehnte meinen Kopf nach hinten gegen seine Schulter, meine Hände streichelten seine tätowierten Arme, und ich fühlte seine Hand ganz sanft und vorsichtig über meinen Unterarm mit dem neu bunten Tattoo streichen und war so glücklich, ihn zu haben, meinen Tsuzuku!
Wir gingen dann bald schlafen, und ich holte, als wir fertig im Bett lagen, meine kleine Ruana mit dazu. Tsu umarmte mich wieder von hinten, sodass ich in seinen und Ruana in meinen Armen lag.
„Weißt du, Meto, dass du mich heute sehr, sehr, sehr glücklich gemacht hast?“, fragte Tsuzuku mit leiser, sanfter Stimme.
„M-hm“, machte ich, nickte, denn ja, das wusste ich.
„Ich bin so glücklich, dass ich dich habe, und glücklich, dass ich dich so lieben kann, und so glücklich, dass du mich auch liebst.“ Er klang nachdenklich, beinahe ernst, hatte nicht dieses betörende Schnurren in der Stimme wie sonst, wenn er mir Liebeserklärungen machte. Ich ahnte, dass er mit den Gedanken wieder nah am Kranksein war, und es schien so, dass sein Glück in diesem Moment etwas Ernstes an sich hatte, er hatte viel darüber nachgedacht, das konnte ich spüren. Es war nicht dieses überschwängliche, schwebende Glück, das aus Verliebtsein entstand, sondern etwas Tieferes.
Ich streichelte über seine Unterarme, spürte wieder die vielen Narben unter meinen Fingern und dachte, dass es sich für Tsuzuku sicher seltsam anfühlen musste, wenn ich diese Stellen berührte. Manchmal schien er das beinahe zu mögen, ich hatte ihm ja auch einmal schon die verletzten Stellen an seinem Bein gestreichelt und geküsst, das hatte er gewollt, auch wenn es ihm dann zu viel geworden war.
„Ist das gut … oder eher unangenehm, wenn ich an deine Narben rankomme?“, fragte ich leise.
„Weiß nicht … mal so und mal so“, antwortete er. „Manchmal schäme ich mich dafür … und manchmal ist es auch … irgendwie schön, wenn du mich da berührst.“
„Vor mir brauchst du dich da nicht zu schämen“, sagte ich. „Ich weiß doch, dass du solche Dinge tust, und ich will nicht, dass du dich für irgendwas vor mir so schämst.“
Für diesen Satz bekam ich einen ganz besonders zarten Kuss in den Nacken. „Meto, du bist wirklich unglaublich. Wie machst du das nur?“
„Ich liebe dich, das ist alles.“ Ich lächelte.
Und irgendwann danach waren wir beide eingeschlafen.
Am nächsten Morgen wachte ich davon auf, dass ich allein lag. Noch mit geschlossenen Augen spürte ich es und hörte zugleich Tsuzukus Schritte, irgendwo in der Wohnung.
Ich streckte mich, öffnete die Augen und setzte mich langsam auf. Es war kälter als sonst, zog ein wenig, und ich sah, dass das Fenster über dem Bett offen stand, ebenso wie das Küchenfenster, denn als ich in die Richtung schaute, sah ich Tsu dort stehen und rauchen.
Er hatte nichts als Shorts an, schaute aus dem Fenster, und die strahlenden Schimmer der aufgehenden Sonne tauchten seine helle Haut in ein sanftes Honiggold. So, wie er da stand, mit dem Rücken zu mir, die Zigarette zwischen den Fingern und eben nur mit Shorts bekleidet, sah sein schmaler Körper bei aller Krankheit einfach nur wunderschön aus, seine schönen Hände, seine starken Arme, die schlanke Silhouette seines Rückens, und sein schwarzes Haar, das ihm bis über die Schultern fiel … Und in diesem Moment drehte er sich zu mir um, sah, dass ich wach war, und lächelte, was in diesem goldenen Licht einfach himmlisch schön aussah.
„Guten Morgen, mein Liebster“, sprach er. „Hast du gut geschlafen?“
„M-hm“, machte ich, erhob mich und ging zu ihm rüber. „Wie lange bist du denn schon auf?“
Er drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus, wandte sich mir ganz zu und antwortete: „Ein, zwei Stunden schon … Ich konnte nicht mehr schlafen.“
„Hast nicht gut geschlafen?“
Tsu schüttelte den Kopf. „Hab Albträume gehabt …“
„Ach man“, seufzte ich mitfühlend und streichelte ein wenig seine Schulter. „Albträume sind furchtbar.“
„Aber jetzt bin ich okay“, sagte er. „Ich hatte zwei Zigaretten, und zwischendurch hab ich dich beim Schlafen beobachtet, das macht’s besser.“ Er lächelte, küsste mich auf die Schläfe und fügte noch hinzu: „Du und Ruana, ihr seht süß aus beim Schlafen.“
„Ist ja noch früh“, sagte ich. „Wir können uns noch ein bisschen hinlegen, was meinst du?“
„Ich kann nicht mehr schlafen.“
„Nicht schlafen, nur liegen, ein bisschen schmusen …“, ich grinste leicht, „… und was du sonst noch magst …“
Tsuzuku lächelte. „Was ich sonst noch mag?“
„Ja, mein Herz, was du möchtest.“
Er legte seine Arme um mich, näherte seine Lippen meinem Ohr und flüsterte hinein: „In deinen Armen liegen … und dich küssen … und dabei deine Finger an meinem Hintern …“
Ich grinste wieder. „Das gefällt dir, nicht wahr?“
Tsu leckte leicht über meine Ohrmuschel, kicherte leise und schnurrte dann: „Weißt du, Meto-chan, ich hab’s gern in den Popo.“
Ich lachte. „Süßer, du …“ Und küsste ihn, schlang dabei meine Arme um seinen Hals.
Wenig später lagen wir wieder zusammen im Bett, schmusten uns nackt aneinander, ich streichelte ihn und er genoss die Berührung mit geschlossenen Augen. Meine Hände wanderten über seine Arme, seinen Rücken, Brust und Bauch, hielten an seinem Herzen kurz inne, er gab ein wohliges Brummen von sich und legte sehnend den Kopf in den Nacken, damit ich dazu noch seinen Hals küssen konnte.
„Das ist gut, oder?“, fragte ich leise, und Tsuzuku nickte, seufzte genießend. Es war immer wieder so schön, wie sehr er es liebte, von mir berührt zu werden, sein Körper schien sich praktisch durchgehend danach zu sehnen, geradezu unersättlich. Und auf einmal umarmte er mich, ganz fest und eng und warm, und barg sein Gesicht an meinem Hals, ich spürte seine Lippen und seine Nase und hörte ganz nah, wie er schnupperte.
„Meto …“, flüsterte Tsuzuku gegen meine nackte Haut, „Du riechst wieder so unglaublich gut, mein wunderschöner Mann …“
„Ich bin nicht mal geduscht“, antwortete ich.
„Eben drum.“ Er lachte leise. „Kein Parfum, kein Zuckerzeug, nur du selbst.“
„Magst du das?“, fragte ich, ein wenig verwirrt.
„Ja. Sehr sogar.“
„Du magst mich riechen, wenn ich noch nicht mal geduscht bin?“
„Ich liebe es ja, wenn du frisch geduscht bist, deine Haut ist dann so wunderbar weich. Aber, weißt du, am liebsten riechen mag ich dich direkt nach dem Sex, oder so wie jetzt, früh morgens.“
„Und wonach rieche ich jetzt?“, fragte ich, er hatte mich neugierig gemacht.
„Warm und lebendig, und nach dem Mann, der du bist. Ich bin einfach so froh, dass du kein Mädchen bist, vielleicht mag ich das deshalb so …“
„Du findest, ich rieche männlich?“, fragte ich und musste ein wenig kichern.
Tsuzuku lachte leise. „Ja“, sagte er, „Finde ich. Außerdem hast du ‘nen schönen Schwanz und keine Brüste und deine Stimme ist eindeutig männlich, und ich steh da drauf. Und wenn wir miteinander geschlafen haben und ich danach wahrnehme, wie du dann riechst, nach Lust und frischem Schweiß und nach dir selbst, nach dem Mann, der du eben bist … ich weiß, es klingt vielleicht verrückt, aber das gefällt mir.“
Ich musste kichern, weil es doch ein wenig eigenartig war, was er da sagte. Tsuzuku tat das immer wieder, er machte aus Dingen, über die sonst niemand so wirklich sprach, weil es den meisten Menschen unangenehm war, ganz ernsthafte Liebeserklärungen an mich:
Er schluckte meinen Samen und sagte, dass er es mochte, den in sich zu haben. Er küsste und leckte mich an meinem Hintern um den Verstand, und wurde davon selbst so geil, dass es ihn geradezu berauschte. Er sagte mir ganz ernst, dass er es wahnsinnig liebte, von meinem Glied ausgefüllt zu werden. Und jetzt sagte er auch noch, dass er den Geruch meines vom Sex verschwitzten, männlichen Körpers mochte.
„Du bist schon ein ganz kleines bisschen bescheuert, Tsuzuku“, antwortete ich kichernd und schmuste mich an ihn. „Stehst einfach mal drauf, wie ich ungeduscht rieche, du verrückter Schatz …!“
„Komm damit klar, Baby, jeder Quadratzentimeter an dir macht mich ganz verrückt vor Liebe.“ Er war in diesem Moment so glücklich und selbstsicher, und ich liebte das so! Und natürlich setzte er jetzt noch eins drauf, vergrub seine Nase innen an meinem Oberarm und schnupperte.
„Mein Meto …“, flüsterte er liebestrunken gegen meine Haut. „Mein Mann, ganz allein meiner …!“
Seine Liebe zu mir, sein ekstatisches Aufgehen in diesem Gefühl, machte mich nicht weniger verrückt als ihn, er riss mich wieder mit, sodass ich kurzentschlossen mit beiden Händen an seinen Hintern griff und begann, ihn dort zärtlich zu massieren. Tsuzuku stöhnte leise, drückte sich an mich, und ich spürte deutlich, wie sehr er die Berührung dort unten liebte.
Ich fing sein Stöhnen mit meinen Lippen auf, küsste ihn, leckte dabei zart über seine hübsch geschwungene Oberlippe, die in der Mitte ja etwas von einem süßen, kleinen Kissen hatte. Seine heiße Zunge stupste gegen meine Lippen, bat um Einlass, und ich gewährte ihm, ließ sie ein wenig mit mir spielen, ehe ich den Spieß umdrehte und meine Zunge meinerseits in seinen Mund drängte. Und war es mir früher immer noch ein wenig peinlich gewesen, wenn beim innigen Küssen dieses leise Schmatzen entstand, so machte mich selbiges Geräusch nun irgendwie an.
Wir versanken in diesem Kuss, der, nackt wie wir waren, und lustvoll unersättlich, wie es nun mal Tsuzukus Art zu lieben war, im Grunde so viel mehr war. Aber abgesehen von der Intensität der Gefühle, hatten wir an diesem Morgen keinen Sex in dem Sinne, brauchten wir auch nicht, es genügte, dass wir uns so eng wie nur möglich aneinander schmiegten …
Danach gingen wir zusammen duschen, wuschen uns wieder gegenseitig, und nach dem Duschen half Tsuzuku mir, mein neubuntes Tattoo zu pflegen. Ich saß im Wohnzimmer auf dem Sofa und er cremte meinen Arm mit einer speziellen Salbe ein, die er für sein eigenes neues Tattoo aus dem Studio mitgebracht hatte.
Während ich frühstückte, stand Tsu wieder am Fenster und rauchte, und ich beobachtete ihn dabei. Irgendwie sah er auf einmal wieder angespannt aus, irgendwas beschäftigte ihn, und es schien nichts Schönes zu sein. Ich hatte keine Ahnung, worüber er gerade nachdachte, aber es schien ihm weh zu tun, seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen.
„Tsu?“, fragte ich leise und sah ihn an. „Alles okay?“
Seine Hand zitterte, als er die aufgerauchte Zigarette ausdrückte, und es sah aus, als hätte er Angst. Und als er auf meine Frage hin den Kopf schüttelte, schien das schon zu genügen, damit ihm zwei, drei Tränen über die Wangen liefen.
„Was los, mein Herz?“, fragte ich, stand auf und ging zu ihm.
„Ich … ich hab Angst …“, flüsterte er tonlos und hielt sich die Hand vor den Mund, um das Verziehen seiner Lippen zu verbergen.
„Wovor denn?“, fragte ich und legte vorsichtig meine Hand auf seinen Rücken.
„Vor mir ...“, antwortete er zitternd und verbarg sein Gesicht nun ganz mit seinen Händen. „Ich glaube, ich werde langsam richtig verrückt …“
„Hast du gerade an was Schlimmes denken müssen?“, fragte ich leise.
Tsuzuku nickte zitternd, schien auf einmal keinen Halt mehr zu haben, sank vor mir an der Wand herunter auf den Küchenboden und blieb dort weinend sitzen.
Das alles war so plötzlich passiert, noch vor einer Viertelstunde war er so gut drauf gewesen und jetzt saß er hier vor mir, weinte und zitterte.
Ich kniete mich neben ihn auf den Boden, streichelte seine Schulter und spürte, er hatte solche Angst, dass er mich beinahe wegstoßen wollte. Doch er tat es nicht, ließ zu, dass ich ihn berührte, machte sich dabei aber so klein, wie er nur konnte.
„Ich … ich werde wahnsinnig, Meto …! Und irgendwann … dann hältst du das doch gar nicht mehr aus, dann gehst du … verlässt mich … weil du dich vor mir schützen musst!“
„Das tue ich nicht“, sagte ich, so ruhig wie nur möglich. „Ganz bestimmt nicht!“
„Und wenn ich dich dann hasse?! Wenn du irgendwas Belangloses tust, was mich aber enttäuscht und wütend macht, und dann stoße ich dich weg und du gehst! Und wenn ich dir jetzt sagen würde, dass ich ohne dich sterbe, dass ich mich definitiv umbringe, wenn du mich verlässt … das ist doch Erpressung, das macht doch niemand lange mit!“
Ich konnte nicht verhindern, dass seine Worte mir Angst machten. Ich liebte ihn, wollte an seiner Seite leben, aber was, wenn ich das wirklich nicht konnte? Wenn er wirklich … ‚wahnsinnig‘ wurde? Und zugleich wusste ich, sein Leben hing an mir, er meinte das sehr ernst, wenn er sagte, dass er ohne mich nicht leben konnte.
„Tsu, ist das jetzt so? Oder denkst du nur, dass es irgendwann passieren könnte?“, fragte ich und meine Stimme zitterte dabei.
„Noch nicht“, sagte er tonlos. „Aber … verstehst du, es kann passieren. So ‘n Borderliner wie ich, ich bin so, ich hab mich nicht unter Kontrolle …!“
„Das stimmt doch nicht“, widersprach ich und legte meine Hand auf seine bebende Schulter. „Du hast dich viel besser im Griff, als du gerade denkst.“
„Nur, weil ich solche Angst habe …“
„Ist doch ganz gleich, warum, aber du bist lange nicht so schlimm, wie du denkst.“
„Normal bin ich nicht, das brauchst du mir nicht einzureden …!“
„Ich hab ja auch nichts von ‚normal‘ gesagt“, sagte ich, sah Tsuzuku ganz direkt an und fügte noch hinzu: „Das Wort ‚normal‘ ist ein echter Scheiß-Begriff! Da passe ich doch genau so wenig rein wie du! Ich bin doch auch nicht wie alle anderen, ich bin auch anders! Und ich liebe dich, Punkt, aus, fertig, und ich will nur, dass du mir das glaubst!“
„Und wenn ich das nicht kann?!“
„Dann höre ich nicht eher auf, dir das zu sagen, bis du es kannst!“
Er sah mich an, ungläubig und in diesem Moment nicht fähig, irgendwas besser zu machen. Er konnte es jetzt einfach nicht, konnte mir nicht wirklich glauben, dass ich davon überzeugt war, dass er ein guter Mensch war. Und dass ich ihn nie, niemals allein lassen würde!
Meine Liebe zu ihm und die Verantwortung, die ich hatte, weil ich ja wusste, wie sehr er mich brauchte, sie wogen manchmal so schwer, und ich mochte nicht daran denken, dass ich vielleicht eines Tages keine Kraft mehr haben könnte, das zu tragen.
Tsuzuku stand auf und ging ins Schlafzimmer, ließ sich dort aufs Bett fallen, und ich ließ ihn eine Weile in Ruhe.
Als er von dort wieder kam, sah er ein wenig besser aus, hatte sich wieder gefangen.
Wir machten uns dann gemeinsam auf den Weg, und im Treppenhaus suchte Tsuzukus Hand nach der meinen, er wollte die Situation wieder gut machen.
„Tut mir leid … das von eben …“, sagte er leise.
„Ist okay“, sagte ich nur und drückte seine Hand. „Geht’s denn jetzt wieder?“
Er nickte, und seine Hand in meiner war ruhig, zitterte nicht.
Wir verließen das Haus, traten raus auf die Straße, und auch dort ließ ich Tsuzukus Hand nicht los. Ich wusste, er brauchte jetzt diesen Halt, und ich sah es als meine Aufgabe an, als sein Bald-Ehemann zu ihm zu halten und ihm den Halt zu geben, den er zum Leben brauchte. Egal, was andere dachten oder sagten.
Heute nahm ich mit ihm zusammen die Bahn bis zum Studio, wünschte ihm dort vor der Tür einen schönen Arbeitstag und nahm dann die nächste Bahn in Richtung Café. Auf dem Weg sah ich meinen Arm an, die neuen, bunten Farben, und war ganz gespannt, was Koichi dazu sagen würde.
„Heeey, Meto!“ Koichi kam mir schon vor dem Café entgegen, winkte mir von weitem zu. „Naa?“
Ich wartete, bis er näher kam, sah ihn erwartend an, und tatsächlich bemerkte er die Veränderung sofort: „Cool, hat Tsuzuku dein Tattoo weiter gemacht?“
„Ja, gestern Nachmittag“, antwortete ich und musste einfach richtig breit lächeln.
„Sieht richtig toll aus!“
„Finde ich auch. Und ich glaube, ich hab Tsu damit sehr glücklich gemacht“, sagte ich.
„Wie geht’s euch sonst so?“, fragte Koichi und schloss die Eingangstür des Cafés auf.
„Passt“, antwortete ich und folgte ihm hinein. „Tsu ist halt im Moment nicht stabil, heute Morgen hatte er so was wie ‘ne kleine Attacke, aber … na ja, es geht ihm dann auch schnell wieder besser … wie das halt so ist …“
„Und dir? Wie geht’s dir?“
„Okay. Ich komme zurecht …“
Koichi sah mich direkt an, aufmerksam und ernst. „Meto, wirklich: Kommst du klar?“
Ich nickte. „Ich bin okay. Nur … Tsuzuku geht’s im Moment einfach so unsicher, ich muss jetzt auf ihn aufpassen. Er verlässt sich doch auf mich.“
„Meto, bitte, pass auch auf dich auf, ja? Wir kennen Tsuzuku beide, und wir wissen, er kann nicht anders, aber du bist immer mit ihm zusammen, du kriegst so viel davon mit, verstehst du? Sag bitte Bescheid, wenn dir irgendwas da mal zu viel werden sollte, ja?“
„M-hm …“, machte ich und nickte. Bei Koichi, der Tsuzuku ja gern mochte, konnte ich mir sicher sein, dass er das nicht sagen würde, ohne Tsu da auch mit einzubeziehen. Ihm lag etwas daran, dass es uns beiden, Tsu und mir gleichermaßen, gut ging.
Der Vormittag verlief dann ganz normal. Die beiden neuen Kollegen integrierten sich nach und nach in unser Team, legten ein wenig von ihrer Otaku-Art ab, aber mir fiel auf, dass eine bestimmte Art von Mädchen anscheinend gerade solche Typen mochte, jedenfalls wurden sie oft als sogenannte ‚Idol-Bediener‘ an Tische gerufen, wo Mädchen saßen, die nach einem Otaku-Kumpel in Maid-Gestalt zu suchen schienen.
In einer Pause sprach ich mit Koichi darüber, dass unser Café offenbar recht spezielle Arten von Mädchen anzog. Die einen eskalierten vor Freude, wenn ich mich als homosexuell outete und Tsuzuku mich hier besuchte, die anderen liebten mehr diejenigen Typen, die deutlich nach ‚Otaku‘ aussahen, und wieder andere waren von Koichis Schmink-Kumpel-Aura begeistert.
Im Kontext ‚Kellner und Gäste‘ kam ich mit diesen Mädchen auch klar, aber dennoch zog ich, wenn ich mir im privaten Umfeld weibliche Freunde suchte, genau wie Tsuzuku auch, diejenigen Mädchen vor, die vielleicht auffällig aussahen, aber … na ja, nicht so überdreht waren. Haruna war da das beste Beispiel, sie war lieb und begeisterungsfähig, blieb dabei aber ruhig und in gewisser Weise cool. Ich wusste, dass auch Tsuzuku sich weiblichen Wesen gegenüber oft nicht so sicher fühlte, und mir ging es, wenn auch aus anderen Gründen, ähnlich.
In der Mittagspause schrieb ich Tsuzuku eine Nachricht, fragte ihn, wie es ihm ging, und bekam zur Antwort, dass er sich ganz okay fühlte. Ich hatte den Eindruck, dass ihm das Arbeiten, die Struktur und das Eine-Aufgabe-haben gut taten, auch wenn es in diesem Tattoo-Studio sicher chaotischer zuging als an anderen Arbeitsplätzen.
„Meto, es tut mir leid, dass ich heute Morgen so … undankbar zu dir war“, schrieb er noch. „Ich weiß, dass du mich liebst. Und ich liebe dich auch, so sehr … Aber, verstehst du, manchmal schaltet sich in mir alles aus, da bleibt nur noch Schwärze …“
„Ich versteh das doch“, schrieb ich zurück. „Ist alles gut, Tsu, vergeben und verziehen.“
„Wirklich?“
„Ja, alles gut. Hab keine Angst, mein Herz.“ Ich schickte noch einen lieben Smiley nach, einen mit Kussmund und Herzchen.
Tsuzukus Antwort bestand aus einem Smiley, der vor Rührung weinte, und einer Reihe roter Herzchen, gefolgt von einem „Chu chu chu chu“. In dieser Zeichensprache wirkte er noch mal ein Stück emotionaler und süßer, fast schon niedlich, und ich drückte meine Lippen sachte aufs Display, schrieb ebenfalls ein „Chu chu“ zurück.
Der Rest meines Arbeitstages verlief gleichförmig und unbedeutend, und nach Feierabend nahm ich die Bahn in Richtung Bodyart-Studio, um meinen Verlobten von seiner Arbeit abzuholen. Es war schon ziemlich warm heute, und als ich das Studio betrat, verteilte die Piercerin Ami gerade süß aussehende Eistütchen.
„Hey, Meto“, begrüßte sie mich. „Magst du auch ein Eis?“
Ich nickte, nahm mir ein Erdbeereis und sah mich dann suchend nach Tsuzuku um, entdeckte ihn an einem der Tische stehend, wo er sichtlich vertieft über einer Auswahl an Zeichnungen brütete.
„Genki hat heute nen echten Flow, er zeichnet und zeichnet und zeichnet“, sagte Ami und lächelte.
Ich ging zu ihm, tippte ihm vorsichtig auf die Schulter. „Hey, mein Herz.“
Er drehte sich zu mir um, und ich sah sofort die Energie und den kreativen Fluss in seinem Ausdruck, er war noch mitten in der Arbeit, obwohl er eigentlich auch schon Feierabend hatte.
„Hey, mein Liebster“, begrüßte er mich ebenso und küsste mich, kurz aber zärtlich. Ob er mich nun ganz romantisch ‚Liebster‘ nannte oder mich cool und jugendlich mit ‚Baby‘ oder ‚Babe‘ ansprach, war mir ganz egal, es hing eh von seiner Laune ab und davon, in welchem Modus seiner Selbst er gerade war.
„Magst du auch ein Eis?“, fragte Ami dazwischen und hielt ihm ihre Box mit dem Eis hin.
Tsuzuku grinste und fischte sich ein Eis am Stiel heraus, legte es kurz auf dem Tisch ab und packte schnell die Zeichnungen zusammen. „Das essen wir auf dem Heimweg“, sagte er zu mir, während er die Zeichensachen wegräumte und dann zu seinem Platz an dem anderen Tisch ging, und von dort seine Tasche holte.
Wir gingen dann nicht direkt zur Bahn, sondern machten einen kleinen Schlenker durch einen schönen Park in der Nähe, setzten uns auf eine etwas versteckt gelegene Bank und aßen zusammen Eis. Ich hatte meins schon fast auf, als Tsuzuku von seinem erst die Folie abriss, und so beobachtete ich ihn beim Essen, als ich mein eigenes schon aufgegessen hatte.
Und verstand sogleich, warum Tsuzuku sich das Eis am Stiel für diesen Moment aufgehoben hatte. Denn die Art, wie er es aß, hatte etwas so Intimes, Verführerisches an sich, und er wusste das ganz genau, wodurch ein simples Eis-Essen bei ihm zu einer ganz persönlichen Peepshow nur für mich allein wurde.
Zuerst waren es ‚nur‘ seine absolut schönen, süßen Lippen, die genießerisch an dem roten Fruchtsaft-Überzug des Eises lutschten, doch es dauerte nicht lange, da nahm er seine gespaltene Zunge dazu, leckte mit den beiden Spitzen den gefrorenen Fruchtsaft ab und machte sich über das Vanilleeis darunter her.
Dass er sich des Sexappeals seines Mundes vollauf bewusst war, machte es für mich nicht einfacher, er bot mir wirklich seine ganz für mich allein bestimmte Show, die kaum weniger sexy war, als wenn er für mich in einer einschlägigen Bar Poledance gemacht oder zu Hause gestrippt hätte.
Immer wieder leckte er sich das zu Vanillesoße geschmolzene Eis von den Lippen, um diese dann wieder an das Eis zu setzen und es nach allen Regeln der Kunst buchstäblich zu vernaschen. Überflüssig zu sagen, dass ich anstelle des Eises allzu bald an mein bestes Stück denken musste, welchem er ja nur allzu gern dieselbe lustvolle Aufmerksamkeit zukommen ließ … Und ihm war anzusehen, dass er dieselben Gedanken im Kopf hatte wie ich.
Als mir dann ein kleiner Tropfen Speichel über die Lippen rann und ich den nur eben und geradeso weglecken konnte, lachte Tsuzuku laut auf.
„Baby, du schmachtest ja richtig“, rief er aus, ein klein wenig zu laut.
Ich errötete und mir entkam ein: „Wenn du auch aus Eis-Essen so eine Show machst …“, was ihn dazu brachte, mich zu küssen.
Ich schmeckte das Fruchtige und die Vanille, und fühlte Tsuzukus göttlichen Lippen und seine sündige, süße Zunge, meine Hand griff in seinen Nacken und ich erwiderte den Kuss mit sehr viel mehr Leidenschaft, als es sich an diesem öffentlichen Ort gehörte.
Zum Glück waren wenige Leute hier in diesem Park, und die Bank stand so versteckt, dass niemand unseren leidenschaftlich-zärtlichen Kuss mitbekam. Meine Hand wanderte von Tsu’s Nacken runter über seine Brust bis zu seinem Herzen, das unter seinen Rippen wild klopfte, und die Berührung dort ließ ihn leise in den Kuss seufzen, seine schöne Stimme klang dabei nach so viel Gefühl, dass ich leicht erschauerte.
Danach, auf dem Weg nach Hause, gingen wir wieder Hand in Hand. Tsuzuku war so glücklich und entspannt, dass er sich, als wir in der vollen Bahn standen, an mich lehnte, und da ich mit dem Rücken zur Wand stand, sodass es niemand sah, stahl sich seine Hand sogar kurz auf meinen Hintern.
Im Haus kam uns dann zwar Frau Yamaguchi entgegen, bedachte unsere verschränkten Hände mit einem missbilligenden Blick und murmelte irgendwas von ‚Sittenverfall‘, aber selbst das konnte unser Glück jetzt nicht trüben.
„Willkommen im 21. Jahrhundert, Misses!“, rief Tsu ihr laut nach, als sie kopfschüttelnd weiterging, und ich sah ihn ein wenig verwundert an.
„Was? Sie ist ‘ne alte Schachtel, die sich selber nichts traut“, sagte er und fügte noch murmelnd hinzu: „Wahrscheinlich ist sie insgeheim sexuell frustriert und lässt das an Leuten aus, auf die sie deshalb neidisch ist …“
Er wirkte so euphorisch und selbstsicher, und als wir die Wohnungstür hinter uns geschlossen hatten, umarmte er mich sofort, küsste mich wieder und drückte mich dabei gegen die Wand neben dem Garderobenspiegel, und seinen Körper an den meinen.
„Meto, mein Liebster …“, schnurrte er in mein Ohr und schnupperte an meinem Hals. „Möchtest du mit mir Liebe machen?“
Ich sah ihn an und in seinen braunen Augen leuchtete wieder diese überglücklich verliebte Lust, die ihn so himmlisch süß machte, dass ich nicht anders konnte, als ihn auf seine Frage hin mit all meiner Liebe zu küssen und ein leises „Ja“ gegen seine Lippen zu flüstern.
Kaum hatte ich es ausgesprochen, zerrten Tsuzukus Hände gierig an meinem Shirt, er konnte es kaum erwarten, doch ich bremste ihn ein wenig: „Nicht so schnell, mein Herz, mach langsamer, ist schöner.“
Woraufhin Tsu meine Hand griff, mich in unser Schlafzimmer führte und dort auf die Bettkante niederdrückte. „Zieh dich schnell aus, bitte …“, sprach er und zerrte sich schon mal selbst die Jeans vom Leib, wobei ich deutlich sehen konnte, wie erregt er schon war.
Ich beeilte mich, aus meinen Sachen zu kommen, und kaum war ich damit fertig, fand ich mich mit dem Oberkörper auf dem Bett liegend wieder, Tsuzuku über mir, er drückte sich gierig an mich und machte sich mit dem Mund über meinen Hals her. Ich fühlte die warme, feuchte Berührung, hörte das leise Schmatzen seiner Lippen und Zunge, und spürte seine Hände, die erregt über meinen Körper tasteten.
„Rückst du ein Stückchen hoch?“, fragte er, und ich tat es, rutschte weiter aufs Bett, bis ich ganz darauf lag und er sich bequem zwischen meine Beine knien konnte. Sogleich waren seine Lippen und Hände an meinen Brustwarzen, er massierte die eine zwischen seinen Fingern und saugte zärtlich an der anderen, was mir heiße Schauer durch den Körper schickte und ein erstes erregtes Stöhnen entlockte.
Mein Glied wurde schnell hart, drückte gegen seinen Unterleib, berührte seines, er seufzte davon leise und begann, die andere Brustwarze ebenso mit seinem Mund zu verwöhnen, schien das selbst sehr zu lieben, so hingebungsvoll, wie er daran küsste und saugte.
„Magst du das?“, fragte ich, meine Stimme klang schon ein wenig atemlos.
„Die sind so süß …!“, antwortete er hingerissen, „So was Süßes, Zartes wie deine Nippel hab ich überhaupt noch nie gesehen …“
Ich musste kichern von seinen verliebten Worten, streichelte durch sein Haar und berührte seinen Nacken, was ihn dazu animierte, meine Nippel noch ein wenig erregender mit seiner heißen Zunge zu lecken.
Und mit einem Mal richtete er sich auf, sah mir tief in die Augen, seine strahlten vor Liebe, und er knutschte mich mit aller Leidenschaft ins Kissen, während sein Unterleib sich ekstatisch bebend an meinen presste und ich sein Glied pulsieren spürte.
„Tsu ...! Wo ist das Gleitgel?“, keuchte ich in den Kuss.
Er ließ ein widerwilliges Brummen vernehmen, wollte sich kaum von mir lösen, erhob sich dann aber und streckte sich, sodass er an das Gleitgel, das auf dem Nachtschrank stand, herankam.
„Dürfen wir ja nicht vergessen“, sagte er leise und sah mich liebevoll an. „Ich will dir ja auf keinen Fall wehtun, mein Liebster.“
Ich erwartete erst, dass er jetzt anfing, mich mit den Fingern zu dehnen, aber stattdessen stand er ganz von mir auf, ging die zwei Schritte neben dem Bett zum Nachtschrank und suchte in der Schublade herum, bis er etwas gefunden hatte, das er mir hinhielt: Einen Plug mit Vibrator, eins von den Dingen, die er für unsere lange Liebesnacht letztens gekauft hatte, aber da nicht zum Einsatz gekommen war. Das Teil war etwas anders geformt als der Plug mit dem Glitzerstein und schien eher zum Dehnen gedacht als zum längeren Tragen, hatte eine dickere Struktur mit drei aufeinander sitzenden, verschieden großen Kugeln.
„So hab ich die Hände frei“, erklärte Tsu mir und kehrte zu seinem Platz zwischen meinen angewinkelt gespreizten Beinen zurück, wo er sich etwas von dem Gleitgel auf die Finger tat und das Spielzeug damit benetzte. „Wobei … ich hab dich gar nicht gefragt, ob du das so möchtest heute?“
„Ist gut“, sagte ich und lächelte leicht.
Tsuzuku lächelte zurück, dann spürte ich seine Finger an meinem Loch tasten und wie er begann, langsam das Spielzeug hinein zu schieben. Es spannte ein wenig, fühlte sich etwas eng an, und einen Moment lang hatte ich Sorge, dass ich schon wieder zu verspannt war. Aber als Tsu sich über mich beugte und wieder begann, meinen Körper liebevoll zu küssen, und er zeitgleich die Vibration des Plugs einschaltete, wurde ich merklich lockerer, das Kitzeln der Vibration in meinem Eingang entfachte ein wildes Kribbeln in meinem Bauch und Tsu verstärkte das noch, indem er wieder meine Nippel küsste.
Da er jetzt die Hände frei hatte, während der vibrierende Plug mein Loch weich und locker machte, hatte er die Möglichkeit, mich zusätzlich anderweitig zu verwöhnen, und auch sich selbst dabei anzufassen. An meinen Nippeln zu saugen und zu küssen schien ihn ziemlich anzumachen, er umfasste währenddessen sein eigenes Glied und drückte sich dabei reibend an mich, was uns beiden schon halblautes Stöhnen entlockte.
Ihn so zu erleben, so glücklich und erregt, war für mich beinahe noch schöner als der Sex an sich, es machte mich einfach mit glücklich. Ich war in diesem Moment mehr auf ihn konzentriert als auf mich selbst, und Tsuzuku dabei zu beobachten, wie er sich an meinem Körper in die schönste Lust versetzte und es so sehr liebte, mich bei sich zu haben und zu berühren, war so schön!
Sich so an mich zu drücken, erregte ihn so sehr, dass er seinen Oberkörper immer wieder aufrichtete und aufstöhnend den Kopf in den Nacken legte. Schließlich setzte ich mich halb auf und umarmte ihn, hielt mich an ihm fest und presste meinerseits meinen Unterleib an seinen. Und mit einem Mal spürte ich seine Hand und sein hartes Glied heiß an meinem, er umfasste uns beide und rieb so heiß und schnell, dass ich aufschrie. Ich klammerte mich an ihn, spürte dabei, so wie ich jetzt saß, den Plug in meinem Innern gegen meine Prostata drücken, und wäre davon fast gekommen.
Stöhnend und schwer atmend ließ ich mich wieder auf den Rücken sinken, und Tsuzuku, ebenso aufs Äußerste erregt wie ich, zog den Plug aus meinem Innern und ersetzte ihn, mich auf seine Knie ziehend, durch sein heißes Glied, drängte hart in mich und stöhnte so laut, dass es einem Schrei gleichkam.
Der ekstatische Klang seiner Stimme trieb mir einen Schauer über die Haut, ich krallte meine Hände in die Matratze und drängte ihm meinen Körper entgegen, sodass er sogleich zustieß, einmal und noch einmal, wieder und wieder. Er hielt mich fest und liebte mich mit ganzer Leidenschaft und, was ich ganz deutlich spürte, mit dem Genuss dessen, was sein eigener Körper an schönem Gefühl aufzubringen vermochte.
Ich wusste, was Tsuzuku am Sex so sehr liebte, warum es ihn derart süchtig machte: Zum einen einfach das Intim-sein mit mir, das, was er ‚Liebe machen‘ nannte, und zum anderen war es einfach etwas, bei dem er sich so gut wie jedes Mal wirklich gut fühlte. Wenn wir Sex hatten, konnte er alles um uns herum für einen Moment vergessen, vollkommen in unserer Zweisamkeit versinken und sich richtig gut fühlen. Es waren so gesehen kleine Oasen für ihn, in denen er sich mit mir zusammen von allem erholen konnte, was ihm in der ‚Außenwelt‘ Schmerz bereitete.
Vielleicht redete er deshalb auch so gern darüber, weil es eben ein Thema war, das ihm leicht fiel und bei dem er sich einfach wohl fühlen konnte.
„Meto … oahhh … ohhh!“ Er stöhnte laut, seine Hände klammerten an meiner Hüfte, sein Körper bebte und stieß, ich sah ihn an und griff seine Hand, streichelte über seinen Handrücken.
Mein Loch fühlte sich ganz heiß und weich an, und ich spürte Lusttropfen, meinen oder Tsu’s, auf meinem Bauch kleben. Irgendwas daran machte mich an, und ich richtete mich wieder halb auf, schlang meine Arme um seinen Hals und küsste ihn, während sein Unterleib vor Lust und Drängen zitterte und er dann mit einem gegen meine Lippen gestöhnten „Ich liebe dich“ in mir kam.
Im Nachbeben seines Höhepunktes traf er ein letztes Mal für heute meinen inneren Lustpunkt und ich ließ mich aufstöhnend nach hinten sinken, er über mir, während ich kam und selbst sah, wie mein Samen gegen seinen Bauch spritzte.
Schwer atmend blieben wir eine Weile so, Tsu zog sich langsam raus und sank dann ganz auf mich, mit dem Kopf auf meiner Brust. Ich hörte ihn laut und tief atmen, streichelte ihn ein wenig und fühlte die Hitze seines Körpers an meinem.
„Das war gut“, entkam es ihm, und ich spürte seine Hand, wie sie zärtlich über mein Tattoo wanderte, von meiner linken Brustseite aus meinen Arm hinab. „Oh Gott, Baby, war das gut!“
Ich lächelte, lachte leise, und er sah mich an und küsste mich.
„Meto, Baby, hab ich dir eigentlich jemals gesagt, wie sehr ich dein Lächeln liebe?“, fragte er, noch ganz trunken vor Liebe.
„Ich weiß das“, sagte ich.
„Dann lächele noch mal so süß, bitte …“, bat er und sah mich lieb an.
Ich brauchte nicht viel, um noch mal so zu lächeln, immerhin lag der Grund für mein Glück hier nackt auf mir, und so strahlte ich ihn an, so breit und süß, wie ich nur konnte. Das brachte mir ein ausgiebiges Geschmust-Werden ein, Tsuzuku schnurrte wie ein Kätzchen und strahlte mich dann seinerseits an.
„Du kannst aber auch sehr, sehr süß lächeln, mein Herz“, komplimentierte ich ihn meinerseits.
Er lächelte wieder. „Aber du bist meine Sonne, Liebster.“
Und auf einmal grinste er mich einigermaßen anzüglich an, richtete sich auf und sagte einfach so, wie es seine Art war: „Ich glaube, du solltest jetzt mal eben das Bad aufsuchen, mein Süßer.“
Ich merkte es auch, Tsuzuku ging von mir runter, er half mir, aufzustehen und begleitete mich zum Badezimmer. Ich schloss die Tür hinter mir und setzte mich auf die Toilette, spürte das mir immer noch ein wenig eigenartig anfühlende Gefühl, als mich Tsu’s Samen wieder verließ, und wurde auch nach all der Zeit immer noch ein wenig rot davon.
Als ich auf leicht zittrigen Beinen zurück ins Schlafzimmer ging, hatte Tsuzuku sich schon mit Kissen und Decken eingekuschelt, was so gemütlich und süß aussah, dass ich mich sofort dazu legte und mich an ihn schmuste. Er ließ mich zu sich unter die Decke, und wir kuschelten uns ganz eng zusammen, Haut an Haut umarmt.
„Meto … sag mal, mache ich dich eigentlich auch so glücklich wie du mich?“, fragte Tsuzuku leise.
Ich sah ihn an, küsste ihn und flüsterte in sein Ohr: „Ja. So glücklich wie sonst nichts auf der Welt.“
Ich wachte ganz früh am Morgen auf. Wärme umgab mich, und ich tastete nach dem Lichtschalter, machte Licht und sah Mikan schlafend neben mir liegen. Sie war zugedeckt bis über die Brust, aber ihre nackten Schultern und Arme verrieten, dass sie weder Shirt noch BH trug. Und ich wusste, unter der Decke hatte sie auch nichts an, nicht mal ein Höschen, schließlich hatte ich ihr das gestern Abend eigenhändig ausgezogen.
Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, erhob ich mich und sammelte meine Shorts und mein T-Shirt vom Boden auf, zog beides an und ging ins Wohnzimmer. Dort setzte ich mich aufs Sofa, zog die Knie an und fragte mich, warum ich mitten in der Nacht aufgewacht und sofort so hellwach war.
Mikans Handy lag auf dem Tisch, neben meinem, und unsere Partnerlook-Anhänger schimmerten in dem wenigen Licht, das von den Straßenlaternen durchs Fenster herein kam. Die Anhänger waren Mikans Idee gewesen, ein zweigeteiltes Herz, von dem ihr Handy die eine und meines die andere Hälfte bekommen hatte.
Gestern Abend hatte sie vor meiner Tür gestanden, mich sofort umarmt und geküsst, und wir waren recht schnell im Bett gelandet. Das war in den letzten zwei Wochen öfter vorgekommen, sie kam einfach zu mir, wir aßen vielleicht noch zusammen etwas und schliefen dann miteinander, sie blieb über Nacht und morgens frühstückten wir gemeinsam.
Und dennoch: Irgendwas fehlte mir. Nur hatte ich keine konkretere Ahnung, was genau. Es war nur so ein Gefühl.
Vielleicht täuschte ich mich auch? Vielleicht suchte ich nur nach etwas, das es bei Mikan und mir nun einmal nicht gab. Ich sah Tsuzuku und Meto, sah die starke Intensität in ihrer Beziehung, und vielleicht erschien mir deshalb das, was ich mit meiner Freundin hatte, so blass?
Ich stand auf, ging zur Balkontür, wo meine Zigaretten auf dem Regal lagen, und ging raus, zündete mir draußen eine an und rauchte sie auf, blickte dabei auf die Kulisse der nächtlichen Großstadt.
„Koichi?“, hörte ich auf einmal Mikan hinter mir fragen. „Alles okay?“
Ich drehte mich um, sah sie an, sie stand in meinem Morgenmantel mitten im Wohnzimmer und sah mich fragend an.
„Ja, ich bin bloß aufgewacht“, sagte ich. „Alles gut.“
Sie kam auf mich zu und umarmte mich. Ich spürte ihren warmen Körper, sie war nackt unter dem Yukata, ihre Brüste fühlten sich schön weich an.
„Wirklich?“, fragte sie leise und sah mich an.
Ich wusste ja selbst nicht, was los war, oder ob überhaupt irgendwas nicht stimmte, vielleicht täuschte ich mich ja wirklich und es war alles so, wie es sein sollte.
„Ja, alles okay“, sagte ich, und es kam mir dennoch gelogen vor.
Wir gingen dann wieder ins Bett, aber schlafen konnte ich nicht mehr. Mikan schlief wieder ein und ich lag wach, fragte mich, ob das, was ich an Tsuzukus und Metos Beziehung so sehr bewunderte, bei mir und Mikan überhaupt machbar war. Sie war einfach ganz anders als die beiden, und zudem war ich mir auf einmal nicht mal mehr sicher, ob meine Gefühle für sie wirklich von so romantischer Natur waren, wie ich gedacht hatte.
Aber wie sah sie das? Ich wusste nicht, wie ich sie das fragen sollte. Ich mochte Mikan ja sehr, aber ob es für so eine Beziehung reichte, wusste ich in diesem Moment einfach nicht mehr. Zwar hatten wir ja zu Anfang ausgemacht, dass wir es einfach versuchten und wenn nicht, dann wurden wir wieder zu normalen Freunden, aber ich wusste nicht, ob das wirklich noch galt, auch von ihrer Seite aus. Es würde nicht einfach sein, darüber zu sprechen … Denn wieder Single sein und bei allen Frauen in der Friendzone landen, wieder selbst als halbe ‚Frau‘ betrachtet werden, das wollte ich auch nicht.
Irgendwann stand ich wieder auf und ging in die Küche, machte schon mal Frühstück, damit es fertig war, wenn Mikan aufwachte.
Während das Teewasser kochte, schnappte ich mir mein Handy und beschäftigte mich damit, legte es dann auf den Küchentisch, während ich den Tee fertig machte, und tatsächlich gab es dann einen Signalton von sich, jemand hatte mir schon zu dieser Zeit, früh am Morgen, eine Nachricht geschickt.
Ich konnte mir schon fast denken, dass es eigentlich nur einen in meinem Freundeskreis gab, der so früh morgens oft schon auf war, und tatsächlich war die Nachricht von Tsuzuku.
Er schickte mir ein Foto vom schlafenden Meto und eine kurze Textnachricht: „Morgen, Ko. Ich muss dir das einfach zeigen, Meto sieht so unglaublich süß aus!“
„Na du bist ja einer …“, schrieb ich zurück. „Fotografierst ihn beim Schlafen, tse tse … Aber hast Recht, er sieht wirklich sehr süß aus.“
Tsu schickte eine Reihe Herzchen als Antwort, und dann: „Ko, sag mal, ich hab Lust, dich zu sehen … Heute Abend, Männerabend zu zweit?“
„Klar“, schrieb ich, ohne nachzudenken. Männerabend mit Tsuzuku ging immer.
„Ich bring auch Bier mit“, schrieb er mit einem grinsenden Smiley zurück. „Oder wollen wir irgendwo ausgehen?“
„Können wir auch …“, antwortete ich. „Weißt du was? Ich such uns ‘ne schöne Bar und dann gehen wir heute Abend mal aus.“
In dem Moment kam Mikan aus dem Schlafzimmer, sie trug eins meiner Shirts mit einem amerikanischen Comic-Print.
„Mit wem schreibst du denn schon so früh?“, fragte sie.
„Mit Tsuzuku, der ist auch schon auf.“
Mikan setzte sich an den Tisch, nahm sich eine Tasse und schenkte sich Tee ein. „Wie geht’s ihm denn so?“
„Heute Morgen anscheinend gut“, antwortete ich. „Ändert sich halt schnell mal, aber es gibt auch Zeiten, da ist er ein paar Tage lang gut drauf.“
„Ich hab letztens mal ein bisschen was gelesen …“, sagte Mikan. „Also über solche Krankheiten, die sind ja teilweise wirklich ganz furchtbar … Man fragt sich, wie kommt so was, wo kommt das her und so … Weißt du, warum Tsuzuku so ist?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nicht so wirklich. Ich glaube, das ganze ‚Warum‘ weiß er selbst nicht, nur halt … diese Geschichte mit seiner Mutter, wie die gestorben ist, aber da weiß ich nicht, ob‘s ihm recht ist, wenn ich da mit jemandem drüber spreche …“
„Musst du ja auch nicht … aber … er ist nicht irgendwie als Kind misshandelt worden oder so was?“
„Nein, ich glaube, das hätte er mir erzählt, wenn dem so wäre. Ich glaube, das, was ihn so gemacht hat, muss irgendwie eher unterschwellig gelaufen sein … Ich weiß auch nur, dass er die meiste Zeit ohne Vater aufgewachsen ist, mehr nicht …“ Es kam mir irgendwie unpassend vor, dass ich mit meiner Freundin so über Tsuzuku redete. Ich wusste nicht, ob ihm das recht war.
Mikan bemerkte das irgendwie, dass ich nicht weiter darüber reden wollte, und wechselte das Thema, wir sprachen dann über ihre Großmutter, die immer noch krank war und um die sie sich Sorgen machte.
Ich kannte Mikans Familie kaum, größtenteils nur davon, was sie mir erzählte. Und ihr musste es mit meiner Familie ähnlich gehen, wir waren beide allein hergezogen, unsere Familien lebten ganz woanders, meine Eltern in Osaka und ihre in Aomori.
Nach dem Frühstück machten wir uns beide für die Arbeit zurecht, wobei sie sich von mir ein Shirt auslieh, und dann standen wir gemeinsam im Bad vor dem Spiegel und schminkten uns.
„Irgendwie ist das ja schon ein bisschen komisch …“, sagte Mikan, während sie ihre Haare mit meinem Glätteisen bearbeitete. „Aber welche Frau hat das schon, einen Mann, der mit ihr gemeinsam lange im Bad braucht? Gibt sicher einige, die das gern hätten …“
„Für das Verständnis zwischen Männern und Frauen wär’s vielleicht ganz gut“, erwiderte ich und musste bei dem Gedanken grinsen. „Aber das ist ja so uralt drin in unserer Gesellschaft, dass sich nur die Frauen so schön machen sollen …“
„Schade eigentlich“, sagte Mikan und sah mich an. „Ihr Männer könnt so schön aussehen und die meisten trauen sich nicht …“ Sie lachte, piekte mich leicht in die Seite und fügte dann hinzu: „Da hab ich mit dir ja einen echten Goldschatz an der Angel, du siehst ja teils noch hübscher aus als ich.“
„Wenn du erst mal Meto siehst, wie er in seinem Hochzeitskleid aussieht …“, sagte ich. „So was Wunderschönes hast du noch nicht gesehen.“
„Glaub ich dir. Er ist ja auch so ein liebes Wesen, das macht einen auch schön, so ein liebevoller Charakter.“ Mikan schaltete das Glätteisen aus und schnappte sich das Haarspray, um damit in Richtung Balkon zu verschwinden, da mein Bad kein Fenster hatte.
Ich schaute derweil noch auf mein Handy, checkte meinen Blog und schaute dann noch auf anderen Seiten vorbei, zuletzt bei Tsuzuku, der anscheinend wieder mein Dashboard mit Fotos von Katzenbabys vollpostete. Ich freute mich, weil er offenbar gute Laune hatte, und schrieb ihm ein, zwei nette Kommentare und Smileys, was er umgehend mit Herzchen beantwortete.
Als Mikan mit dem Haarspray fertig war, ging ich noch eben raus, um meiner heutigen Frisur ebenso den nötigen Halt zu verleihen, und dann gingen wir zusammen aus der Wohnung in Richtung Bahn.
Als ich dann später allein am Café ankam, war ich wieder einer der ersten dort, und ich begann gleich damit, meiner täglichen Arbeit nachzugehen.
Meto kam dann auch bald an, entschuldigte sich, dass er ein wenig spät war, und ich konnte mir denken, dass es Tsuzuku wieder einmal schwer gefallen war, seinen Freund losgehen zu lassen.
„Arbeitet Tsu heute auch?“, fragte ich.
„Ja“, sagte Meto. „Ich hab ihn noch bis zum Studio begleitet.“
„Er ist gerade ziemlich anhänglich, oder?“
„M-hm …“ Meto nickte. „Aber das macht mir nichts aus.“
Als wir uns dann umzogen, fiel mir ein eindeutiger, rötlicher Fleck an Metos Hals auf, den er vielleicht selbst noch nicht bemerkt hatte.
„Knutschfleck?“, fragte ich grinsend und deutete darauf.
Meto wandte sich zum Spiegel um, besah sich die Stelle und errötete ein wenig.
„Tsu war heute Morgen sehr in … Schmuselaune …“, erklärte er.
Ich suchte aus meinem Spind ein buntes Halstuch raus und hielt es ihm hin. „Da, mach das drüber. Sonst haben wir hier nachher lauter neugierige, nasenblutige Mädels.“
„Danke.“ Meto lächelte und band sich das Tuch um.
Kurz darauf machten wir das Café auf und die ersten Mädchen standen schon wartend vor der Tür.
Während des Frühstücksprogramms hatten Meto und ich keine Gelegenheit mehr, irgendwo zu reden, er wurde heute sehr von einem gewissen Teil unsere Stammkundschaft beansprucht, die sich fast schon als seinen Fanclub bezeichnete.
Diese Mädels wollten jedes Mal Ruana sehen und begrüßen, und sie fragten auch viel nach Tsuzuku, wobei Meto das mit dem Antworten ziemlich elegant und dabei konsequent schweigend löste. Ab und zu kam ich ihm aber doch zur Hilfe, weil die Mädchen doch ganz schön aufdringlich sein konnten.
Mehr als die Hälfte von ihnen schien neben der Vorliebe für niedlich zurechtgemachte Jungs auch eine enorme Verehrung homosexueller Männerpärchen an den Tag zu legen, was vermutlich auch der Grund war, warum sie Meto derartig gern mochten.
Sicher hatte es in ihren Kreisen schnell die Runde gemacht, dass hier im ‚Amai Ame‘ ein junger Mann im süßen Puppenoutfit arbeitete, der in fester Beziehung mit einem anderen, definitiv gutaussehenden Mann war. Es war ja, wenn Tsuzuku hier zu Besuch war, unübersehbar, wie begeistert die weibliche Kundschaft auf ihn und Meto als Paar reagierte.
In der Mittagspause stand ich mit Meto und Haruma im Hinterhof, ich rauchte und Meto aß ein belegtes Brötchen, Haruma war mit seinem Handy beschäftigt.
Und irgendwie landete das Gespräch von Meto und mir dann bei den Fragen, die ich mir heute Morgen gestellt hatte, darüber, was Metos und Tsuzukus Beziehung so intensiv machte und was ich in meiner eigenen Beziehung irgendwie vermisste.
„Na ja, Mikan ist halt ganz anders als wir beide“, sagte Meto. „Sie ist doch mehr so eine unabhängige Frau, die ihr eigenes Ding macht, oder?“
Ich nickte. „Ja, schon.“
„Tsuzuku ist quasi das Gegenteil davon. Er kann ja überhaupt nicht allein sein, braucht so viel Halt und Bestätigung von mir, manchmal schreibt er mich ja den Tag über mehrmals an, weil er Sehnsucht hat …“ Meto blickte hoch zu den Wolken, schwieg einen Moment und sagte dann: „Ich tu das ja gern, ich bin gerne für ihn da, bin so gerne seine Sonne und sein Liebster, aber … manchmal ist es schwer, und dann wünsche ich mir, dass es einmal ein bisschen weniger … intensiv sein könnte …“
„M-hm …“, machte ich. „Verstehe … Ja, das stimmt, Tsuzuku neigt sehr zur Intensität, das ist auch für dich nicht immer so leicht, oder?“
„Vielleicht solltest du das, was du mit Mikan hast, gar nicht so sehr mit Tsu und mir vergleichen, Koichi. Unsere Beziehung ist so anders, Tsuzuku und ich sind unter ganz anderen Voraussetzungen ein Paar geworden, verstehst du?“
„Ich bewundere euch einfach so sehr …“
„Aber weißt du, Ko, es hat auch viel mit Tsuzukus … Problemen zu tun … Ich musste ihn retten, sein Leben festhalten, als er es selbst nicht konnte, ich hab ihn versorgt, als er wirklich am Boden war, und daraus ist unsere Beziehung gewachsen, aus so einer extremen Situation. Du und Mikan, ihr seid einfach beste Freunde gewesen, jetzt versucht ihr, ob eine Beziehung für euch beide richtig ist, das ist so was vollkommen anderes.“
Da hatte Meto allerdings Recht. Wenn ich das Ganze mit seinen Augen sah, so wie er es mir erzählte, dann stand hinter dieser intensiven Liebe der beiden auch enorm viel Anstrengung und harte Arbeit. Er war so unheimlich stark, dass er das so konnte, ich wusste nicht, ob ich auch dazu imstande war. Klar, Tsuzuku war mein bester Freund und ich war gerne bei ihm, aber ich glaubte nicht, dass ich so wie Meto so eng mit ihm zusammen leben könnte.
Nach der Pause ging der Arbeitstag so weiter wie immer: Mädels bedienen, sie bespaßen, Instant-Fotos mit ihnen machen, und jeder seine Rolle spielen. Zum Ende hin war ich dann ziemlich platt und fragte mich, ob aus dem Männerabend mit Tsuzuku überhaupt noch was wurde, aber da er mich tatsächlich anschrieb und mir mitteilte, dass er sich schon darauf freute, sagte ich das jetzt nicht ab. Ihm konnte man so schwer etwas abschlagen …
Meto hatte ich schon erzählt, dass ich Tsu heute noch sah, und als wir uns nach Feierabend jeder auf den Heimweg machten, sagte Meto dann, dass er sich freute, wenn Tsuzuku ab und zu etwas mit mir unternahm.
In der Bahn schrieb ich Tsu noch eine Nachricht, wo er denn jetzt war, und er schrieb mir, dass er gerade erst Schluss hatte und noch beim Bodyart-Studio war.
„Okay, dann hole ich dich da ab“, schrieb ich zurück.
Ich stieg also einige Stationen früher aus, von der Bahnstation bis zum Studio war es nicht weit, und ich sah Tsuzuku schon vor der Tür stehen, er rauchte und war dabei noch mit seinem Handy zugange.
„Hey“, begrüßte ich ihn, und er sah auf und lächelte leicht. „Schön, dich zu sehen.“
Er steckte sein Handy weg, rauchte noch eben die Zigarette auf, die kam in den neben der Tür stehenden Aschenbecher, dann gingen wir los in Richtung Kneipenviertel.
Es befand sich in der Nähe des Rotlichtviertels und als wir dort vorbei gingen, zwinkerte eine der dort herumstehenden Damen uns vielsagend zu. Tsuzuku sah nicht mal wirklich hin, obwohl die Frau ihn ganz direkt anschaute, und ich dachte an ein Gespräch, das wir mal darüber geführt hatten, dass er niemanden außer Meto mehr in sexueller Hinsicht auch nur anschauen wollte, und dass er sich fremden Frauen gegenüber in diesem Thema unwohl fühlte. Und so, wie das jetzt aussah, zog er das wirklich durch, er signalisierte den Frauen in dieser eindeutigen Gegend ganz deutliches Desinteresse und ging sogar etwas schneller, damit wir diesen Ort bald hinter uns ließen und in eine weniger anzügliche Gegend kamen.
„Sonst gehst du doch ganz gern durch so ein Viertel, oder?“, fragte ich ihn.
„Nur tagsüber, und zusammen mit Meto. Ich … mag diese Frauen da nicht“, antwortete er.
„Weil sie … na ja, halt leichte Mädchen sind?“
„Sie flirten mich an“, sagte er und ihm war anzuhören, wie sehr ihn das störte. „Mir ist egal, ob sie das für Geld tun oder nicht, ich will nur … einfach nicht, dass sie mich so anschauen und zwinkern und was von mir wollen.“
„Ist dir das unangenehm?“
„Wenn ich in irgendeiner Form darauf eingehen würde, wäre es Meto gegenüber Betrug, und das will ich einfach auf keinen Fall!“ Tsu wurde beinahe laut und ich ließ das Thema dann sein. Es war jetzt ganz offensichtlich, warum er diese Frauen nicht mochte, er wollte einfach jegliche Gefahr, welche seine Beziehung zu Meto in irgendeiner Form bedrohen könnte, so weit wie möglich abblocken.
Wir sahen uns dann nach einer schönen Kneipe um, fanden eine, die ziemlich gemütlich aussah, und gingen dort hinein, suchten uns einen ruhigen Tisch in einer Ecke und bestellten jeder erst mal etwas ohne Alkohol.
Ich dachte an unseren letzten Kneipenabend, als Meto und Mikan auch dabei gewesen waren und Tsu sich betrunken hatte, und er schien auch daran zurück zu denken, jedenfalls bestellte er sich als erstes eine simple Cola. Bier konnten wir nachher immer noch trinken.
„Wie geht’s Mikan?“, fragte Tsuzuku und nahm einen Schluck Cola.
„Gut, denke ich. Sie war letzte Nacht bei mir, und heute Morgen haben wir noch zusammen gefrühstückt“, antwortetet ich und dachte jetzt erst wieder an die Gedanken von heute Morgen.
„Und zwischen euch alles klar?“ Entweder fragte Tsu, weil es ihn von sich aus interessierte, oder er kannte mich zu gut und merkte es mir an?
„Mh … na ja, es fühlt sich … ein bisschen komisch an …“, sagte ich leise und blickte in mein Glas.
„Was fühlt sich komisch an? Mit ihr zusammen zu sein?“
Ich nickte.
„Komisch im Sinne von ungewohnt? Oder im Sinne von falsch?“
„Weiß ich nicht … Das ist es ja …“, sagte ich. „Ich weiß irgendwie nicht, ob das, was ich mit ihr habe, wirklich als romantische Beziehung funktioniert. Ich hab sie gern, total gern, aber ich weiß nicht, ob es so, wie es jetzt ist, richtig ist …“
Tsuzuku sah mich einen Moment lang nachdenklich an, und ich hatte das Gefühl, als spürte er dem nach, was seine feinen Gefühlsantennen von meiner Gefühlslage aufnahmen. Er konnte manchmal so gut zuhören, machte sich Gedanken, wie er mir vielleicht helfen konnte, und das spürte ich wiederum selbst.
„Was denkst du denn, wie das mit dir und Mikan sein sollte?“, fragte er nach einer Weile.
„Na ja, irgendwie romantischer. Ich dachte, es würde einen Unterschied machen, wenn ich mit ihr eine Beziehung anfange, aber ich spüre keine wirkliche Veränderung. Selbst wenn ich mit ihr schlafe, ist es wie ‚Friends with benefits‘ und nicht wie in einer richtigen Liebesbeziehung. Ich hab das Gefühl, ich schlafe einfach ab und zu mit meiner besten Freundin …“
„Im Grunde ist es das doch auch. Ihr wart beste Freunde und habt dann, weil du so einsam warst, beschlossen, dass aus euch ein Paar werden soll“, fasste Tsuzuku meine Worte treffend zusammen.
„Aber … du und Meto, ihr wart auch beste Freunde. Und trotzdem habt ihr jetzt diese super romantische, intensive Beziehung.“
„Das war ja auch anders, Koichi. Ich war – und bin es immer noch – wahnsinnig in Meto verliebt. Ich habe ziemlich extreme Gefühle für ihn, das geht schon über Romantik auch hinaus. Bei ihm und mir war es kein ‚Wir beschließen jetzt, dass wir zusammen sind‘, es war viel eher … wie ein Erdbeben oder ein Vulkanausbruch, verstehst du, einfach total überwältigend. Ich kannte das auch nicht von früher, aus meinem alten Leben, meine Frauengeschichten damals waren ganz was anderes. Das mit Meto und mir ist so was Existenzielles, das geht so extrem tief, und ich glaube, so etwas gibt es auch nicht so oft.“
„Und was mache ich jetzt mit Mikan?“, fragte ich.
„Du solltest mit ihr darüber reden. Ihr sagen, wie sich das mit euch für dich anfühlt. Man muss ehrlich zueinander sein.“
„Und wie sag ich ihr das? ‚Hey, Mikan, weißt du, ich bin mir nicht sicher, ob wir wirklich ein richtiges Paar sind‘?“
„Das musst du selbst wissen … Weißt du ja, ich und Frauen …“, sagte Tsuzuku.
„Sind Frauen denn wirklich so sehr anders als wir? Ich meine, sie sind ja keine Wesen vom anderen Stern, so verschieden können wir doch nicht sein, oder?“
Tsu zuckte mit den Schultern. „Ich hab halt keine Ahnung von denen …“
„Ich glaube, das hast du schon. Du kannst doch mit Haruna und Hanako zum Beispiel auch umgehen. Und Hitomi ist doch auch eine Frau.“
„Aber bei denen allen steht ja keine Beziehung im Raum, Haruna und Hanako sind fest zusammen und Hitomi will keine Beziehungen mehr.“
„Tsu, ich glaube, dein Problem ist nicht, dass du keine Ahnung von Frauen hast. Du hast eher Angst, dass du bei ihnen was falsch machst, weil du die Beziehungen früher, in deiner alten Lebenssituation, nicht hinbekommen hast.“
„Du hast mich damals nicht erlebt, Koichi!“ Innerhalb von Sekunden war Tsuzuku deutlich spürbar einem Abgrund nahe, und ich bereute schon, dass ich das Thema ‚Er und Frauen‘ so auf den Tisch geholt hatte. „Ich war wirklich ein kompletter Idiot, verstehst du?! Ich hab so ziemlich alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann, und manchmal könnte ich mich wirklich dafür schlagen, dass ich so war!“
„Aber das war damals, das ist heute vorbei“, versuchte ich, die Situation zu retten, „Du hast irgendwie gelernt, es anders zu machen, vielleicht durch den großen Bruch, den du hinter dir hast, auf jeden Fall bist du jetzt mit Meto zusammen und eure Beziehung ist wirklich gut, gerade wenn man bedenkt, dass du solche Probleme hast.“
„Weil er ein Mann ist …“
„Ist das wirklich der Grund? Oder ist es nicht einfach so, dass er eine ganz andere Art von Mensch ist als der Typ von Frau, worauf du früher standst?“
„Kann sein … das waren früher mehr so die Partygirls …“
„Da hast du es. Du hast Meto als einen Menschen am Rand der Gesellschaft kennen gelernt, der Probleme mit dem Sprechen hat und sich dennoch sehr lieb um dich gekümmert hat, als du wirklich am Boden lagst. Er ist fürsorglich, opfert sich auf, und ist absolut nicht oberflächlich, und vielleicht hat etwas in dir dein ganzes Leben lang auf so jemanden gewartet. Ich glaube, wenn er eine Frau wäre, aber dabei genau so, wie er vom Wesen her ist, dann würdest du ihn genauso lieben. Nur hast du dich halt auch in ihn verliebt, weil du dich bei ihm als dem Mann, der er ist, sicherer fühlst.“
Tsuzuku sah mich nachdenklich an, vielleicht versuchte er, zu verstehen, was ich ihm sagen wollte. Kurz fragte ich mich, ob er das wirklich konnte, ob diese überwiegend schwarz-weiße Welt in seinem Kopf zuließ, dass er es wirklich verstand. Und im nächsten Moment tat mir das leid, denn genau das wollte ich ja nicht über ihn denken.
Und dann sagte er etwas, das für mich so wirkte, als sei er mit den Gedanken an einem Punkt, den unser Gespräch zuvor berührt hatte, sozusagen hängen geblieben: „Vielleicht … sollte ich Meto normaler lieben … nicht so extrem … Ich seh ja selbst, wie extrem ich da bin … Aber … na ja, ich kann’s einfach nicht anders …“
„Was genau meinst du?“, fragte ich vorsichtig.
„Was ich mit ihm mache … im Bett und so … er scheint es zwar zu mögen, aber … ich weiß nicht, ob das alles wirklich so gut ist. Und auch, dass ich so abhängig von ihm bin, ihn unbedingt brauche, um mich selbst überhaupt fühlen zu können …“ Er klang seltsam, als er das sagte, und ich sah dabei wieder diesen Ausdruck in seinen Augen, der wie eine Mischung aus Unsicherheit und Selbsthass aussah.
Dieses Gespräch drohte, langsam aber sicher, schief zu gehen, ich sah es Tsuzuku an, er stand wieder viel zu nah an seinem inneren Abgrund, und ich wusste erst nicht mal, wie ich die Situation retten und ihn von diesem Abgrund wegziehen sollte.
Einen Moment lang wünschte ich mir so eine Art Ratgeber zu kennen, ein Buch oder ähnliches, in dem stand, wie man als bester Freund eines Borderline-Kranken dafür sorgte, dass ein Gespräch mit ihm nicht aus dem Ruder lief. Dieses Wort, Borderline, es hing wieder so in der Luft zwischen uns, so deutlich, dass ich es einfach ansprechen musste:
„Tsuzuku, merkst du das? Du machst dich wieder selbst runter, und ich weiß nicht, wie ich dir helfen kann. Was soll ich dazu sagen, wenn du so redest? Dich bestätigen? Oder dir widersprechen? Würdest du mir jetzt überhaupt glauben, wenn ich sage, dass alles gut ist?“
Tsuzuku sah mich einen Moment lang wortlos an, es arbeitete in seinen Augen, er schien nicht zu wissen, was er sagen sollte, und ich sah eine Menge Angst.
„Ich … ich weiß nicht …“, sagte er schließlich und senkte den Blick, sah auf seine Hände.
„Was ist denn gerade los in dir? Kannst du mir das beschreiben?“
Wieder sah er mich an, aber nur kurz, dann blickte er wieder auf seine Hände, die sich geradezu aneinander festhielten, sein rechter Daumen kratzte dabei stetig an der Nagelhaut seines linken Ringfingers herum. Man sah seine ganze Anspannung darin.
„Ich hab Angst“, sagte er dann, ganz leise, und auf einmal waren da Tränen in seinen Augen. „Ich hab Angst, dass ich alles falsch mache, und Angst vor den Schuldgefühlen … Meine Schuld macht mich fertig, bei meiner Mama, bei meinen Freundinnen früher, bei Meto … und bei dir. Du wolltest mit mir über Mikan reden, und ich reiße die Situation in den Abgrund, jetzt, in diesem Moment … Ich heule rum, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich gut für Meto bin … Aber ich weiß es eben wirklich nicht. Manchmal denke ich, ich liebe ihn so sehr und ich kann gut zu ihm sein, und lieben tue ich ihn immer, aber ich … ich glaube, ich bin nicht gut für ihn …“
Es war furchtbar, diese Zerrissenheit in ihm so zu sehen und zu hören, diese an Selbsthass grenzende Entwertung seiner selbst und die Schuld, die er sich an allem gab. Wie sollte ich ihm nur klar machen, dass er das nicht tun sollte, sich so sehr die Schuld daran geben, wenn etwas schief lief? Ich fühlte mich tatsächlich ein bisschen hilflos, und das einzige, was mir zu tun einfiel, war, dass ich einfach über den Tisch griff und meine Hand fest auf Tsuzukus krampfhaft ineinander gekrallten Hände legte.
„Tsu, wir wissen alle, du und ich und Meto auch, dass eure Beziehung harte Arbeit ist. Aber weißt du, man kann auch etwas lieben und gern tun, was Anstrengung in sich hat. Und Meto liebt dich. Er liebt dich so sehr, du hast für ihn absolute Priorität, und er ist so stark! Er und ich, wir sprechen hin und wieder ein wenig über dich, und da sagt er immer wieder, dass es zwar manchmal schwer ist mit dir, aber dass er dich so sehr liebt, und dass er unbedingt für dich da sein und sorgen will.“
„Und du? Bin ich … dir auch ein guter Freund?“ Ihm liefen jetzt die Tränen aus den Augen, er zog seine Hand unter meiner heraus und fuhr sich übers Gesicht.
Ich sah ihn an, ganz direkt, und sagte, als ich das Gefühl hatte, dass er auch zuhörte: „Ja, bist du. Du bist mir ein so guter Freund, wie es dir eben möglich ist mit deiner Krankheit. Ich weiß ja, dass du krank bist, und das ist gut so, weil ich dann auch eher mal wissen kann, wo dir etwas zu viel wird. Das Wichtigste ist nur, dass wir miteinander darüber reden, und das tun wir ja.“
Dass wir eigentlich über mich und Mikan gesprochen hatten, schien jetzt nicht mehr so wichtig. Ich würde es erst einmal dabei belassen, auch ihr gegenüber, vielleicht fand sich das alles von selbst. Mir leuchtete ein, dass ich Mikans und meine Beziehung nicht mit der von Tsuzuku und Meto vergleichen durfte, und so wollte ich erst mal zufrieden sein mit dem, was ich hatte.
Eine Weile redeten Tsu und ich jetzt weniger, tranken nur unsere Cokes und bezahlten diese dann, um die Kneipe zu verlassen und woanders hinzugehen.
Ich beobachtete, wie er ganz langsam wieder ruhiger wurde, sein inneres Gleichgewicht wiederfand, während wir durch die belebten Straßen des Viertels gingen, wo sich Bar an Bar reihte und ich mich ein wenig nach einem Ort umsah, an dem wir noch ein wenig Zeit verbringen konnten.
Als ich eine Bar entdeckt hatte, die so nett und gemütlich aussah, dass ich dort hinein wollte, war Tsuzuku wieder ganz entspannt. Wir hatten ein wenig die Menschen auf den Straßen beobachtet und uns darüber unterhalten, und Tsu lachte, als uns ein totaler Paradiesvogel entgegen kam, der aber schon sichtlich angetrunken war und laut singend an uns vorbei lief.
„Komm, lass uns mal da rein gehen.“ Ich deutete auf besagte Bar, zog meinen besten Freund ein wenig am Ärmel seines Shirts, er sah sich um und ich sagte weiter: „Das sieht da drin total gemütlich aus, und teuer scheint es auch nicht zu sein.“
„Ein Cocktail-Schuppen?“ Tsuzuku zog die Augenbrauen hoch. „War mir klar, dass du da rein willst.“
„Die haben bestimmt auch Bier“, widersprach ich. „Komm schon.“
Er meinte es nicht so, wenn er mich aufzog, das wusste ich ja, und als ich auf die Bar zu lief, folgte er mir ohne Widerstreben.
Tatsächlich fanden sich einige exotische Cocktails auf der Getränkekarte, aber eben auch Bier und Cola, und so kam ich zu meinem schicken Cocktail und Tsuzuku zu seinem Suntory-Bier, von dem ich auch einen Schluck probierte.
„Komm, jetzt probierst du auch mal von meinem Drink“, sagte ich dann und schob ihm mein Glas rüber.
Er war mit einem Mal richtig ausgelassen, wer wusste schon, warum und woher, und so kam von ihm erst mal wieder einer dieser für ihn so typisch offenherzigen Sprüche: „Du meinst, weil ich mich von meinem Babe in den Hintern vögeln lasse, muss ich auch Mädchendrinks probieren?“
„Nein, das meine ich nicht“, konterte ich, „Aber du kannst doch einfach mal probieren, oder?“
„Stimmt.“ Er grinste und nahm einen Schluck, kostete ausgiebig und stellte dann fest: „Nicht schlecht, echt nicht.“
„Siehst du, es muss nicht immer Bier oder Cola sein.“
„Und wer weiß …“ Tsu grinste wieder. „Vielleicht bin ich ja wirklich irgendwie schwul?“
„Du weißt aber schon, dass das ein Stereotyp ist, von wegen feminin und schwul?“
„Klar. Ich mach nur Spaß, Ko.“
Der Abend wurde dann noch richtig schön. Zwar floss schon ordentlich Alkohol, ich bestellte mir noch einen zweiten, anderen Drink, und Tsuzuku sich ein weiteres Bier, aber dieses Mal trug das zur guten Stimmung bei. Wir saßen einfach zusammen an diesem Tisch und redeten das, was zwei Männer unseres Alters eben redeten.
Tsuzukus Lieblingsthemen waren wie immer Sex und Bodyart, wo ich ja auch ganz gut mitreden konnte, wenn auch er mich tatsächlich mit mancherlei ausgefalleneren Ideen zu überraschen wusste. Irgendwann zwischendrin sprachen wir auch über Make-up und Klamotten, dann landete das Gespräch wieder bei Sextoys und der Frage, ob sich so etwas auch für Mikan und mich mal lohnte zu kaufen, und Tsu versprach, dass er mich in der Sache mal beraten würde. Ich konnte mir anhand dessen, was er immer so erzählte, lebhaft vorstellen, dass er sich da gut auskannte, und wir beschlossen, dass er mir demnächst mal seinen bevorzugten Sexshop zeigte.
Spät in der Nacht machten wir uns auf den Heimweg, ich begleitete Tsuzuku noch bis vor seine Wohnungstür und ging dann selbst nach Hause. Die letzten Stunden über hatte ich nicht mehr auf mein Handy geschaut, und nun fand sich dort eine Nachricht von Mikan: „Hey, Koi, du bist mit Tsu unterwegs, ne? Ruf mich morgen mal an, nur so. Mikan“
Ich schrieb ihr zurück: „Ja, wir waren bisschen auf Kneipentour. War echt schön. Wir telefonieren morgen. Lieb dich. Ko“
Es kam nichts zurück, wahrscheinlich schlief sie längst, und so machte ich mich nach einem Besuch im Bad auch auf den Weg ins Bett. Mit dem Gedanken im Kopf, dass mit Mikan und mir eigentlich alles gut war und wir einfach noch ein bisschen Zeit brauchten, bis sich das ‚richtige‘ Paargefühl einstellte, lag ich noch ein bisschen da und wartete, dass ich einschlief.
Kurz dachte ich noch an Tsu und Meto, daran, wie schön und schwer zugleich ihre Beziehung war. Sie liebten einander so sehr, und dennoch war es nicht einfach, weil Tsuzuku nun mal so krank war. Umso bewundernswerter fand ich Metos Stärke und unnachgiebige Liebe.
Über diesen Gedanken dämmerte ich langsam in einen tiefen Schlaf.
Am Morgen machten sich dann die beiden Cocktails vom Vorabend bemerkbar. Ich wachte mit dem Gefühl von summenden Bienen im Kopf auf und fragte mich, was bitte in den Drinks drin gewesen war, denn eigentlich vertrug ich diese Menge ohne nachfolgenden Kater.
Langsam erhob ich mich, nahm meinen Yukata vom Haken neben meinem Kleiderschrank und zog ihn über meine Schlafsachen an, streckte mich, gähnte, und tappte dann erst mal in die Küche, um mir einen ordentlich starken Kaffee zu kochen. Während der Kaffee durchlief, schnappte ich mir meine Zigaretten und ging zum Rauchen raus auf den Balkon, wohin ich auch gleich mein Handy mitnahm und meine Nachrichten checkte.
„Hast du wieder Schlafstörungen, Tsu?“, entkam es mir, als ich sah, dass er heute Morgen wieder mein Dashboard mit Hundebaby-GIFs aufgefüllt hatte und sich in seinem Blog einige neue Postings fanden, die darauf schließen ließen, dass er alleine wachgelegen und seine Gefühlslagen geradezu protokolliert hatte.
Alle halbe Stunde ein Posting, und jedes sprach von einer anderen Stimmung, da war alles dabei von Glück, Verliebtheit und Euphorie, über Postings, die von einer diffusen Leere sprachen, bis zu Selbstzweifeln und tiefer Traurigkeit. Ich konnte mir wahrscheinlich nur ansatzweise vorstellen, was Tsuzuku in dieser Nacht wieder durchgemacht hatte, und das alles ohne dass irgendwas von außen her passiert war. Es war alles nur in seinem Kopf, aber das schien für ihn keinen Unterschied zu machen, er durchlebte diese Gefühle und Stimmungen ganz real.
„Tsu, bist du okay?“, schrieb ich als Antwort auf seinen letzten Eintrag.
Während ich auf seine Antwort wartete, rauchte ich meine Zigarette auf und ging dann wieder in die Küche, um meinen Kaffee fertig zu machen.
„Ich … hatte keine gute Nacht“, kam schließlich von ihm zurück. „Hab so gut wie gar nicht geschlafen, wollte Meto nicht wecken, hab zwei ganze Päckchen Zigaretten weggeraucht und … na ja, siehst du ja. Ich musste das irgendwie alles so hinschreiben …“
„Wollen wir uns heute sehen?“, fragte ich und schickte einen Umarmungs-Smiley dazu.
„… Würde schon gerne …“
„Dann lass uns doch heute Nachmittag treffen, und wenn du magst, können wir das machen, was du gestern für ‘ne Idee hattest mit dem Sexshop und so?“, schlug ich vor.
„Musst du erst noch arbeiten?“
„Ja …“
„Ich glaube, ich bleibe zu Hause, ich krieg heute nichts hin …“
„Hm … dann bist du aber alleine, oder? Weil, Meto muss ja auch arbeiten.“
„Ich geh zu Hitomi oder so …“
„Okay. Hitomi ist gut, oder?“
„Glaub schon.“
„Dann mach das. Besuch Hitomi und danach sehen wir uns, ich seh Meto ja schon auf Arbeit. Er kann auch mit dabei sein, ne?“
„Klar“, Tsu schickte einen überraschend fröhlich aussehenden Smiley, „Und wenn du Mikan mitbringst, machen wir Gruppendate im Sexshop.“ Auf einmal schien es ihm wieder merklich besser zu gehen, vielleicht wegen dem Thema Sex, das bisher noch fast immer seine Stimmung wieder gehoben hatte, oder weil er jetzt die Aussicht auf ein Programm für den heutigen Tag hatte. Programm für den Tag zu haben, eine Aussicht und Perspektive darauf, etwas zu erleben, das schien wichtig für ihn zu sein und ihm gut zu tun.
Ich trank meinen Kaffee, aß ein bisschen was und begann dann, mich für die Arbeit fertig zu machen. Als ich dann auf dem Weg zur Bahn war, rief Mikan mich an.
„Koi … sag mal, wir können uns doch eigentlich heute Nachmittag auch sehen, oder?“, fragte sie.
Ich dachte an Tsuzukus Idee und wusste erst nicht, wie ich Mikan diese richtig erklären sollte.
„Eigentlich wollte ich heute Nachmittag Tsu treffen“, sagte ich.
„Geht’s ihm wieder nicht gut?“
„Das auch. Aber wir hatten gestern Abend auch eine Idee, die wir heute umsetzen könnten … und da könntest du auch dabei sein.“
„Was denn?“
Ja toll, wie sollte ich Mikan das jetzt sagen? ‚Tsu würde uns gerne seinen Lieblings-Sexshop zeigen, so als Empfehlung‘?
„Tsu und ich … wir haben gestern Abend viel geredet … und, weißt du, er ist in manchen Dingen sehr … offen …“, begann ich, „Und dann hatte er diese Idee … dass er uns beiden mal einen Laden zeigt, wo er mit Meto gerne hingeht … fürs Liebesleben und so …“
„Nen Sexshop?!“ Mikan klang doch reichlich überrascht.
„Ja …“
„Und da wolltest du heute mit ihm hin, oder wie?“
„Ich dachte, vielleicht kommst du mit …? Weil, geht ja auch um dich, was du magst und so …“
„Mh, ich war noch nie in so einem Laden …“, sagte Mikan leise.
Ich war ja immer noch auf dem Weg zur Bahn und versuchte ebenfalls, leise zu sprechen, weil mir immer wieder Leute entgegen kamen.
„Tsuzuku meinte, dass der Laden echt okay ist, der gehört wohl so ‘nem glitzernden Travestie-Typen, der wohl total nett ist.“
„Hm … Okay, ich denk drüber nach, ja?“
Ich erreichte die Bahnstation und musste das Gespräch vorerst beenden. „Ruf mich einfach später noch mal an“, sagte ich zu Mikan und legte dann auf.
In der Bahn traf ich zwei Stationen später Meto, der schon fertig geschminkt und im Lolita-Kleidchen natürlich unübersehbar war. Er hatte Ruana dabei und war mit dem Handy beschäftigt, ehe ich ihn ansprach.
„Hey“, sagte ich. „Wie geht’s?“
Meto lächelte. „Ganz okay.“
„Tsuzuku hat wieder kaum geschlafen, ne?“
„Ja … Aber als wir losgegangen sind, ging es ihm gut.“
„Hat er dir erzählt, was wir vielleicht heute Nachmittag machen?“, fragte ich.
„Ja, hat er. Und wenn das für Mikan okay ist, würde ich auch gerne mitkommen.“
„Ich frag sie nachher mal.“
Der Morgen und Vormittag lief dann ziemlich genauso ab wie immer. Alles vorbereiten, die Gäste bedienen und sie unterhalten, immer gleich, es gab keine besonderen, auffälligen Vorkommnisse. Die Mädels waren gut drauf und wir ‚Maids‘ lächelten ebenso, alles gut.
In der Pause schrieb ich Mikan, fragte sie, ob es ihr recht war, wenn Meto zu dem Treffen heute Abend auch mitkam, und es war ihr recht, sie schrieb zurück: „Dann hat Tsuzuku seinen Schatz auch gleich dabei, und du und ich können uns in Ruhe umsehen.“
Ihr schien es nun nicht mehr großartig peinlich zu sein, dass wir zu viert diesen … Liebesladen aufsuchen wollten, und vielleicht war sie ja sogar ein wenig neugierig darauf?
Ich sagte Meto Bescheid, dass er von Mikan und mir aus gerne mitkommen konnte, und er zeigte mir eine Nachricht von Tsuzuku, der sich offensichtlich schon sehr auf den Abend freute.
Der Nachmittag ging dann ebenso herum, es wurde noch ziemlich voll im Café, da blieb keine weitere Zeit für Gespräche oder Handy-Chats.
Gegen Feierabend, als es wieder leerer und ruhiger wurde, klingelte dann auch direkt gleich mein Handy, Tsuzuku rief an und sagte, dass er den Nachmittag über doch noch im Studio gewesen war und ein wenig gearbeitet hatte. Er fragte, ob wir ihn dort abholten, vom Tattoo-Studio aus war es wohl nicht weit bis zum ‚Love Paradise‘.
Ich bejahte das erst mal, und sagte, dass ich es gut fand, dass er doch noch zur Arbeit gegangen war. Er klang so, als ob es ihm gut ging, und das freute mich.
Zum Glück kam Mikan dann, als wir das Café für heute schlossen, direkt hier vorbei, so dass wir uns zu dritt auf den Weg in Richtung Studio machten.
Tsuzuku stand wieder vor der Tür und rauchte, er sah jetzt gut aus, stabil und gut gelaunt. Er hatte einige Strähnen seines schwarzen Haars zusammen gebunden und zu einem ziemlich schicken Man-Bun hochgesteckt, und als er uns sah und lächelte, sah er einfach richtig toll aus.
„Hey“, begrüßte ich ihn und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Gut siehst du aus.“
„Geht mir auch gut“, sagte er und lächelte, dann wandte er sich Meto zu und umarmte ihn.
Auf dem Weg zu dem Laden rauchte er zwar noch eine weitere Zigarette weg, aber so, wie er dabei redete und lachte und gut drauf war, konnte das kein schlechtes Zeichen sein.
Ich beobachtete, wie Mikan sich in der Gegend, in die wir jetzt kamen, ein wenig peinlich berührt umsah, es standen schon einige leichte Damen auf den Gehsteigen herum und in einigen Schaufenstern sah man diese typischen, fetischisierten Uniformen hängen …
Zum Glück war das ‚Love Paradise‘ ziemlich vorne an im Viertel, sodass wir nicht lange durch diese Gegend laufen mussten. Aus den Fenstern leuchtete rotes Licht und aus der geöffneten Ladentür drang leise, sinnliche Musik auf die Straße.
„Nicht erschrecken“, sagte Tsuzuku und grinste. „Charlize ist ziemlich … extrovertiert.“
„Im Sinne von … aufdringlich?“, fragte Mikan.
„Im Sinne von direkt“, präzisierte Tsu.
Wir betraten den Laden und ich hatte das Gefühl, in ein sehr … spezielles Museum oder Kabinett einzutauchen. Im gedimmten, rötlichen Licht der hübschen Lampen standen viele Glasvitrinen und Regale aus geschmiedetem Metallgestänge, auf denen alles nur Erdenkliche an Reizwäsche, Sextoys, Massageölen und so weiter ausgestellt war.
Mir fiel ein ziemlich großes, schwarzes Teil auf, das ich erst auf den zweiten Blick als Analplug erkannte, bei dem ich mich allerdings fragte, wie um alles in der Welt dieses Teil da hinten hineingehen sollte. Gleich daneben lag ein wesentlich kleineres Exemplar in leuchtendem Pink, das mir in seiner geringeren Größe da schon plausibler erschien, jedoch mein Interesse nicht besonders weckte. Ich wusste nicht, ob ich auf so etwas stand, auch wenn Tsuzuku mir von solcherlei Freuden ja mit Begeisterung vorschwärmte.
Mikan war hinter mir direkt bei der Tür stehen geblieben und ließ die Atmosphäre des Sexshops erst mal auf sich wirken, während Tsuzuku sich längst hochinteressiert und zielstrebig umsah und Meto es ihm dabei gleichtat. Die beiden kannten sich erkennbar aus, und Meto schien mir heute sowieso wieder einmal weniger schüchtern zu sein, er wirkte ganz interessiert und, soweit man das in diesem Licht sehen konnte, errötete er auch nicht.
„Mikan-chan“, sprach ich meine Freundin an. „Komm, ist doch nichts dabei.“
Sie lächelte verlegen. „Ich war noch nie hier, und auch sonst noch nie in so einem Laden …“
Das hatte Tsuzuku jetzt gehört und konnte sich daraufhin offenbar ein „Dann wird’s aber doch Zeit!“ nicht verkneifen.
In dem Moment kam aus einem Raum hinter dem Kassentresen eine Gestalt, die selbst in diesem rötlichen Licht einem glitzernden Pfau stark ähnelte.
„Einen wunderschönen guten Abend!“, flötete der menschliche Pfau mit rauchiger Stimme. „Ahh, meine liebsten Sahnestückchen sind wieder da!“ Da sonst niemand hier war, ging ich stark davon aus, dass mit ‚Sahnestückchen‘ Tsu und Meto gemeint waren. „Womit kann ich euch denn heute dienen, ihr Lieben?“
Tsuzuku hatte gerade ein seltsam geformtes Spielzeug aus einem der Regale in der Hand, drehte sich zu dem Travestiten um, bei dem es sich wohl um Charlize handeln musste, und sagte, wie es nun mal seine direkte Art war: „Das dort sind mein bester Kumpel Koichi und seine Freundin Mikan. Ich wollte den beiden mal deinen Laden zeigen.“
„Ah, sehr schön.“ Charlize kam um den Tresen herum auf uns zu, er war ziemlich groß, vielleicht ein halber Europäer, jedenfalls auf seinen funkelnden High-Heels sogar größer als ich. „Habt ihr denn irgendwelche Vorstellungen, was ihr sucht?“
Mikan sah zunehmend verlegener aus, schien immer noch ein wenig zu brauchen, bis sie sich an diesen Laden gewöhnt hatte, und sagte dann leise: „Irgendwas … ganz einfaches …“
Charlize sah sie einen Moment lang an, dann mich, und fragte dann, ganz und gar direkt, an mich gewandt: „Sind Toys für dich Konkurrenz im Bett?“
„Ähm …“, brachte ich zuerst nur heraus, „Weiß nicht …“
„Würdest du eifersüchtig werden, wenn deine Freundin einen phallischen Vibrator benutzt?“
„Ich … denke nicht …“
Charlize schien einen Moment nachzudenken, dann stöckelte er los und kam wenig später mit einer Schachtel wieder, die auf den ersten Blick wie ein Behälter zur Präsentation französischer Süßigkeiten aussah, babyrosa und bemalt mit kleinen Schleifchen und Macarons. Dieser Schachtel entnahm er etwas, das tatsächlich wie ein etwas größerer, pastellrosa Plastik-Macaron aussah.
„Das ist ja … niedlich?“, sagte Mikan leise.
„Genau. Ein niedliches kleines Macaron, das bei hübschen Mädchen für süße Gefühle sorgt! Du drückst einfach diesen kleinen Knopf da und es fängt an zu vibrieren, und dann kann dein Freund dich damit verwöhnen, oder du dich selbst, wie ihr wollt. Eifersucht ausgeschlossen!“ Charlize strahlte uns an und reichte Mikan das Macaron, damit sie es mal befühlen konnte.
„Was ist das für ein Material?“, fragte Mikan leise. „Das ist so weich und glatt …“
„Das ist Silikon, das so ziemlich beste Material, um kleine Lustspender weich und anschmiegsam zu machen“, erklärte Charlize, ganz der professionelle Verkäufer.
Ich musste zugeben, dass mir dieses niedliche Spielzeug ebenso gefiel. Es war immerhin rosa und hatte diese süße Form, und wenn ich mir vorstellte, damit über Mikans weiche Mädchenhaut zu fahren und es ihr damit schön zu machen, bekam ich richtig Kribbeln im Bauch.
Sie dagegen schien sich noch nicht so sicher zu sein, zumindest sah es so aus.
„Komm, wir nehmen das, oder?“, flüsterte ich in ihr Ohr. „Ich mach dir dann damit heute einen schönen Abend …“
„Mh … okay.“ Sie lächelte ein wenig. „Eigentlich ist ja echt nichts dabei, oder?“
„Gar nichts. Guck dir Tsu und Meto an, da ist echt nichts dabei.“ Ich schaute kurz zu meinem besten Freund und seinem Verlobten hinüber, die an unterschiedlichen Regalen standen und sich jeder für sich die Spielzeuge, Gleitgel-Flaschen und das Angebot an schöner Männerwäsche ansahen.
„Also soll es das Macaron sein?“, fragte Charlize.
„Ja.“ Mikan klang nun merklich überzeugter.
„Gute Entscheidung.“ Charlize lächelte liebenswürdig und stöckelte in Richtung Tresen, um das niedliche Spielzeug zu verpacken und abzurechnen.
Mikan folgte ihm und ich ging eben zu Meto hinüber, der gerade irgendwas an seinem Handy machte, während Tsuzuku sich weiter Spielzeuge ansah.
„Na?“, sagte ich nur.
Meto sah von seinem Handy auf und antwortete ganz leise: „Tsu und ich gehen gleich noch woanders hin. Ich hab ‘ne Überraschung für ihn.“
„Dann gehen Mikan und ich zu mir nach Hause.“
„Macht ihr das.“ Meto lächelte.
„Verrätst du mir, was du mit Tsu noch vorhast?“, fragte ich leise.
Meto hielt mir kurz sein Handy hin, dort war die Homepage eines Love Hotels hier in der Stadt zu sehen, das sagte schon alles.
„Na dann, viel Spaß euch beiden.“
In dem Moment kam Mikan mit dem in einer diskreten Tüte verpackten Spielzeug samt Schachtel zurück.
„Der Typ ist echt … direkt“, sagte sie leise und mit roten Wangen. „Hat der mir doch glatt noch zwei, drei Pflegeprodukte oder so’n Zeug mit aufgeschwatzt.“
„Das macht er immer so“, kam es von Tsuzuku, der sich jetzt auch wieder zu uns gesellte, was Meto dazu veranlasste, schnell sein Handy wegzustecken. „Aber du musst zugeben, Mikan-chan, dass so ein Laden auch Spaß macht, oder?“
Mikan nickte nur, und ich merkte ihr an, sie würde erst beim nächsten Mal wirklich so was wie Spaß daran haben.
Sie und ich warteten dann noch kurz auf Tsu und Meto, die sich beide jeder noch etwas ausgesucht hatten und das eben noch bezahlen wollten.
„Ihr beiden fahrt jetzt gleich zu dir, Ko?“, fragte Tsuzuku danach, als wir den Laden verließen.
„Ja“, sagte ich. „Vielleicht das süße neue Teil gleich ausprobieren?“
„Wir fahren noch nicht nach Hause.“ Meto lächelte und nahm Tsuzukus Hand.
Tsu sah echt überrascht aus. „Wohin dann?“
„Ich entführe dich ein bisschen, mein Schatz“, antwortete Meto und küsste seinen Verlobten. „Keine Angst, das wird dir gefallen.“
Tsuzuku grinste. „Dann bin ich ja mal gespannt.“
Wir verabschiedeten uns dann und ich ging zusammen mit Mikan zur Bahnstation, wir nahmen die Bahn zu mir nach Hause und Mikan blickte auf dem Weg immer wieder auf die diskret weiße Tüte in ihren Händen, in der sich gut verpackt das neue, niedliche Spielzeug verbarg.
Auf dem Weg von der Bahn zu meiner Wohnung liefen wir beide immer schneller, rannten die Treppen zu meiner Wohnung rauf und kaum hatte ich die Wohnungstür hinter uns verschlossen, kannte Mikan kein Halten mehr.
Sie küsste mich, wieder und wieder, zerrte an meinen Sachen, zerwühlte mit ihren Händen mein Haar und schob mich dabei vor sich her in Richtung Schlafzimmer.
Ganz offenbar hatte allein die Anwesenheit ihres ersten Liebesspielzeugs sie so sehr erregt, dass wir es nun eigentlich kaum mehr brauchten …
Ich war kaum weniger geil, ihre Nähe und die Aussicht auf ihre Lust machten mich unheimlich an, sodass ich gelöst ausatmete, als Mikan den Knopf meiner Hose öffnete und mein schon deutlich aufgerichtetes bestes Stück befreite.
Sie zog sich schnell aus, ich tat es ihr gleich, und während ich in meinem Nachtschrank nach einem Kondom kramte und es mir anlegte, holte Mikan das Spielzeug aus seiner Schachtel und schaltete es ein. Es gab ein leises Summen von sich und vibrierte in ihrer Hand, dann atmete sie tief aus und schob es sich langsam zwischen die Beine.
Ich konnte nicht mehr an mich halten, kniete mich aufs Bett, über sie, und senkte meinen sehnend erregten Körper auf ihren, spürte gleich ihre Weichheit und das Feuchte, und dazu die Vibration des rosa Spielzeugs, das summend auf ihrem Kitzler ruhte. Sie stöhnte laut, schien selbst ein wenig überrascht, wie erregt sie war, und drückte sich dennoch so süß an mich …
Ich wusste, was ich an Frauen liebte: Diese Weichheit, die mich dazu brachte, sie zart und liebevoll zu berühren, und wie sie mich mit diesem Weich-Sein zugleich so aufnahm und empfing.
Wieder war es kein langer Akt, wir waren beide so erregt, dass es nicht lange ging, zu schnell kam der Höhepunkt, der all meine Energie forderte. Ich war keiner, der zwei, drei oder noch mehr Male nacheinander kommen konnte. Mikan hingegen erbebte lange, und danach flüsterte sie mit leiser, noch von Lust getränkter Stimme: „Koi … ich glaube, ich bin gerade zum ersten Mal mehrmals auf einmal gekommen …“
Danach lag sie in meinen Armen, ihr Kopf auf meiner Schulter, ich streichelte sie noch ein wenig und sie seufzte leise und genießend.
„Koi?“
„Hm?“
„Worüber hast du gestern Morgen wirklich nachgedacht?“
Ich erinnerte mich an meine Zweifel, doch die waren jetzt so weit weg.
„Nichts, Süße. Nichts Wichtiges.“
Mein Herz klopfte aufgeregt, ich spürte eine süße Erregung in mir, und Metos warme Hand, die meine hielt, während wir zu zweit durch die Straßen liefen.
Der Besuch im ‚Love Paradise‘ hatte mich ziemlich heiß gemacht, und ich dachte an das neue Teil, das ich gekauft hatte, einen relativ kleinen, aber kraftvollen Massagestab mit dickem ‚Kopf‘.
Hinter dem Rotlichtviertel kamen wir in die Gegend mit den vielen kleinen Bars und Hotels, und ich ließ mich von Meto führen, er schien zu wissen, wo er hin wollte. Ich sah ihn im Laufen an, er erwiderte meinen Blick und lächelte breit, sah so süß und glücklich aus.
Wir waren nicht allein, um uns herum liefen viele Menschen in die eine oder andere Richtung, doch niemand achtete auf uns, wir konnten einfach Hand in Hand gehen. Meto trug immer noch seine Arbeitskleider vom Café und die meisten hielten ihn wohl einfach für meine Freundin. Dieses Gefühl, dass wir durch seine weiblichen Kleider so viel einfacher öffentlich zusammen sein konnten, während nur ich wie ein Geheimnis wusste, dass in diesem niedlichen Rüschenkleid und der langen Perücke ein wunderschöner Männerkörper steckte, fühlte sich irgendwie befreiend an.
„Wo willst du eigentlich hin?“, fragte ich atemlos.
Meto grinste mich an, legte sich den Finger auf die Lippen und schüttelte den Kopf. ‚Sag ich nicht‘, hieß das.
Und schließlich, nach noch ein wenig Laufen, blieb er stehen, vor einem Gebäude mit vielen bunten Leuchtschildern an der Fassade. Ich brauchte nur einen Blick, um zu wissen, dass wir vor einem Love Hotel der verrückteren Sorte standen, eines von denen mit Motto-Zimmern, in denen einen alles Mögliche an lustbringenden Besonderheiten erwarten konnte.
Meto kam näher, bis seine Lippen nah an meinem Ohr waren, und flüsterte hinein: „Ich hab uns vorhin per Handy hier ein Zimmer gebucht.“
Seine Initiative machte mich ziemlich an, sodass ich antwortete: „Du buchst ein scharfes Hotelzimmer, um mich darin zu vernaschen? Gefällt mir, Baby, ich bin stolz auf dich.“
Meto grinste, sein süßestes, breites Meto-Grinsen, dann griff er wieder meine Hand und wir betraten zusammen das Hotel. Das Einchecken erledigte mein Liebster komplett am Handy, dann führte er mich eine ausgeschilderte Treppe hinauf. Der Flur oben war dunkel tapeziert und ein roter Teppich dämpfte unsere Schritte, ehe Meto vor der ebenso roten Tür des Zimmers stehen blieb, das er gebucht hatte.
„Cage and Mirrors“ stand in Englisch an der Tür, offenbar das Motto des Zimmers. Käfig und Spiegel, das klang mehr als vielversprechend, ich musste an diese legendär berüchtigten Zimmer denken, in denen an der Decke direkt über dem Bett ein Spiegel angebracht war …
Die Tür wurde mit einem Code, ebenfalls vom Handy aus, geöffnet, und Meto und ich betraten das Zimmer.
Rot schien auch hier die bevorzugte Farbe zu sein, rote Wände, rotes Metallgestänge, ein roter Teppich und ein rot gekachelter, kleiner Whirlpool fielen mir als erstes auf. Aber das Geilste an diesem Zimmer war das Bett: Groß, rund und rot, mit glänzender Seidenbettwäsche, und von einem ebenso roten, runden Käfig umgeben, der oben in einen runden Sternenhimmel-Spiegel mündete. An der Wand hinter dem Kopfende des Bettes befand sich ein zweiter Spiegel, in den man wohl schauen konnte, wenn man aktiv war und ritt, während der Spiegel an der Decke für den liegenden Partner seinen Reiz hatte, sofern der auf dem Rücken lag. Ich erkannte auch kleine Metallhaken an der Bettkante, und ledernes Fesselgeschirr, das an den Stangen des Käfigs hing.
„Wow!“, entfuhr es mir, und Meto lächelte wieder.
„Gefällt’s dir?“, fragte er und küsste mich.
„Du weißt, dass ich auf so was abgehe.“
„Das habe ich mir gedacht, deshalb hab ich uns dieses Zimmer gebucht“, sagte Meto, küsste mich wieder und schloss dann die Tür hinter uns.
Mein Herz klopfte mir aufgeregt bis zum Hals, als ich meine Schuhe und die Jacke auszog, und ich spürte, wie mein Glied sich nun, wo wir in diesem Zimmer waren, deutlich zu regen begann, nachdem es sich draußen auf der Straße so hatte zurückhalten müssen.
Ich sah Meto an, der ebenfalls seine Schuhe und die bunten Kniestrümpfe ausgezogen hatte, und nun vor mir stand, immer noch in diesem süßen Kleid, das mit dem bauschigen Petticoat seine sicher schon aufgerichtete Erregung verdeckte.
„Komm her, Tsuzuku …“, sprach er mit verführerischer Stimme. „Zieh mich aus …!“ Er öffnete die Tür des Käfigs um das Bett, ließ sich auf dem seidenen Bettzeug nieder und sah mich mit diesem Blick an, der so süß und sexy zugleich war! Ich betrat ebenfalls den Käfig, setzte mich zu ihm und strich die langen Haare seiner Perücke beiseite, um an den Rückenverschluss des Kleides heranzukommen. Und während ich diesen öffnete, flüsterte ich in sein Ohr: „Ich liebe es, dich so auszupacken.“
„Wie ein Geschenk, ne?“
„Du bist ein Geschenk, Meto-chan. Das Süßeste, was mir in meinem Leben jemals geschenkt wurde.“
Für diese Worte bekam ich einen ganz besonders zärtlichen Kuss, bei dem Metos Hand durch mein Haar fuhr und vorsichtig die Haargummis und Klammern löste, mit denen ich mein Haar hochgesteckt hatte.
„Das sah total schön aus, du mit so hochgesteckten Haaren“, flüsterte Meto. „Nachher mache ich dir das wieder so, okay?“
Ich nickte, und Meto lächelte mich an, küsste mich wieder und umarmte mich. Und während ich ihm das Kleid von den Schultern streifte und bis zur Hüfte herunterschob, öffneten seine zärtlichen Hände mein Hemd und zogen es mir aus.
„Schöner Mann …“, sprach er leise, „Du machst mich richtig geil, weißt du das?“
Seine Hände wanderten meinen Oberkörper hinab, genossen meine Haut, und er öffnete, unten angekommen, meine Hose, befreite mein erregtes Glied, das seiner Hand freudig entgegenkam.
Ich sah ihn an, wie er da saß, mein halb nackter, wunderschöner Mann mit seinem riesigen, bunten Tattoo, der halb noch süße Puppe mit Kleid, Make-up und langen, hellblauen Locken war, und dieser Anblick hatte etwas so erregendes an sich, dass es in meinem Bauch wild zu kribbeln begann.
„Wie geil?“, fragte ich. „So geil, dass du in mich dringen und mich nehmen willst?“
Er war beinahe noch erregter als ich, seine Wangen färbten sich in einem lustvollen Rosa und in seinen Augen stand dieses Leuchten …
„Ja“, sprach er, seine kleine, warme Hand fuhr meinen offenen Hosenbund entlang, „So geil, dass ich in dich will … Ich will, dass du bebst vor Glück … und dass du dich mir hingibst … Und ich will deinen Körper unter meinem … deinen süßen, männlichen, warmen Körper …“ In diesem Moment, das war ihm deutlich anzumerken, war er wirklich ganz der schwule junge Mann, er war sich dessen sichtlich bewusst.
Ich wollte auch so sein, dieses sichere Wissen, dass ich Sex mit einem – meinem – Mann liebte und dass das genau meins war. Wollte am liebsten nie mit jemand anderem, nie mit einer Frau geschlafen haben, es erschien mir so … schmutzig, die Erinnerungen an mein altes Leben früher.
Ich wollte endlich einen Beweis, dass ich mich damals einfach nur verrannt und geirrt hatte. Den Beweis, dass ich für Meto geschaffen war, für ihn als meinen Liebsten und als den Mann, der er war.
Und mich nur ‚bisexuell‘ zu nennen, genügte mir da nicht, ich wollte etwas eindeutigeres, wollte mich endlich selbst auch als ‚schwul‘ begreifen, auch wenn mein früheres Leben dem widersprach und ich keinen anderen als Meto auch nur begehrend anschaute.
Aber wenn ich doch meinen Mann und den Sex mit ihm so sehr liebte, durfte ich mich dann auch als ‚schwul‘ bezeichnen?
„Tsuzuku, schau mich an“, riss mich Meto aus meinen Gedanken. „Du denkst wieder viel zu viel.“
Er hob die Hand an mein Kinn und zwang mich, in anzusehen, blickte mir seinerseits fest in die Augen.
„Halt mich davon ab“, sagte ich. „Mach einfach alles, was dir einfällt, damit ich nicht mehr so viel denken kann.“
„Alles, was mir einfällt?“ Er lächelte leicht.
„Ja … du kennst mich, du weißt, womit du mich verrückt machen kannst …“
Meto lächelte immer noch. „Okay“, sagte er und fuhr dabei mit den Fingerspitzen über meine Brust, und hinab bis zu meinem Nabel, berührte das Piercing dort. „Dann tue ich das. Ich mach dich ganz verrückt.“
Er stand auf und ließ das Kleid samt Petticoat einfach von seinem Körper fallen und auf dem Boden liegen. Streifte sich dann die Shorts herunter, ging zu einem der Spiegel und nahm die Perücke ab, die er auf einem der beiden dort stehenden Stühle ablegte.
Ich sah ihn an, als er sich wieder zu mir setzte, seinen nackter Körper, und sein noch geschminktes Gesicht, und dieses riesige, wunderschöne Tattoo, das ich zumindest zum Teil eigenhändig bunt gefärbt hatte. Und ich liebte dieses Bild, das er abgab, seine Piercings und das Tattoo, seine groß geschminkten Augen, die kurzen blauen Haare und dieser große, süße Mund mit dem knallroten Lippenstift.
Meto kniete sich vor mich hin, griff an meine Hüfte und zog leicht an meiner offenen Hose, sodass ich aufstand und sie runterließ, mitsamt der Shorts. Fast schon andächtig hob mein Liebster langsam die Hand, berührte mein erregtes Glied, ich seufzte auf, setzte mich wieder, die Beine breit auseinander, und er dazwischen. Für nur eine Sekunde schloss ich die Augen, und spürte Metos heißen Atem an meiner Körpermitte, und dann seine weichen, warmen, gepiercten Lippen, die mir zarte kleine Küsse auf Schaft und Eichel setzten, mich lauter seufzen ließen.
„Mach mich wahnsinnig, Meto“, kam es mir über die Lippen, „Küss mich, überall hin, mit deinem süßen Mund, und dann mach’s mir, nimm mich ran …!“
Seine Antwort war wortlos, einfach, und so süß und heiß, dass ich laut aufstöhnte: Er schloss seine wunderbaren Lippen um meine Eichel und saugte leicht, ließ mich jäh erbeben, und tastete dann mit seiner Hand weiter unter mich, streichelte meinen Hoden und Damm, und fand dann mein Loch, drückte sachte mit dem Finger dagegen, während seine Lippen weiter an meinem Schwanz saugten und seine gepiercte Zunge mich ganz verrückt machte.
„Ooaaahh …!“ Ich schrie beinahe, und die wahnsinnige Hitze und Süße in mir nahm unbeschreibliche Formen an. „Ahhh … oh Gott … jaah!“
Kurz ließ er von mir ab, jedoch nur um leise und liebevoll zu fragen: „Das liebst du sehr, nicht wahr?“
Ich konnte nur nicken, die lustvolle Hitze in mir nahm mir für einen Moment die Sprache.
Und Meto war noch lange nicht fertig mit mir, er fing gerade erst an …
Wieder nahm er mein Glied zwischen seine Lippen, stupste mit seiner Zunge dagegen und ließ mich, zwar vorsichtig, aber durchaus intensiv, seine Piercings an Lippen und Zunge spüren.
Das körperwarme, an allen Kanten gut abgeschliffene Metall der Stecker hatte eine noch mal erregendere Wirkung auf mich, besonders sein Zungenpiercing … Und er war gut darin, mich damit verrückt zu machen, sein Mund schien fast von selbst zu wissen, was mein Schwanz liebte. Mein Herz raste und ich spürte jetzt schon meinen Lusttropfen, und wie Meto ihn weg leckte, hörte das leise Schmatzen seiner Lippen.
Ich krallte meine Hände in das seidene, rote Bettzeug, und einen Moment lang fühlte es sich so an, als ob ich jetzt schon gleich kam, doch mit einem Mal ließ Meto von mir ab, stand auf und setzte sich neben mich, sah mich an.
„So früh lasse ich dich heute nicht kommen, sonst ist es ja gleich vorbei“, sprach er und lächelte leicht. „Und ich hab noch viel mit dir vor.“
Ich erinnerte mich, ohne an eine Person von damals zu denken, daran, dass ich das früher mal ganz gut gekonnt hatte, nicht gleich abzuspritzen, sondern mich zu beherrschen, trocken zu kommen und dadurch mehrmals zu können. Ich kannte die Stelle an meinem Damm, die ich dafür drücken musste, nur hatte ich das eben sehr lange nicht mehr gemacht. Warum ich das einfach vergessen hatte, wusste ich nicht.
Ich nahm Metos Hand, führte sie zu meinem Schritt und flüsterte ihm dabei ins Ohr: „Es gibt da ‘ne Stelle, wenn du die drückst, kann ich trocken und mehrmals kommen …“
Ihm schien das neu zu sein, vielleicht hatte er noch nie davon gehört und es auch noch nie an sich selbst entdeckt. Vorsichtig tastete er wieder zwischen meine Beine, suchend, bis ich spürte, dass er die Stelle gefunden hatte, und mir ein leicht heiseres „Da!“ entwich.
Er sah mich einen Moment lang nachdenklich an, dann sagte er: „Ich … ich hab Lust, dich ein bisschen … liebevoll zu quälen, mein Herz … So, dass ich es dir wunderschön mache, aber dich zuerst nicht kommen lasse, erst am Ende … Würde dir das gefallen?“
Ich dachte daran, an die Aussicht, was er in diesem Zimmer alles mit mir anstellen konnte, unzählige erregende Möglichkeiten … Mich liebevoll quälen, mit der Betonung auf ‚liebevoll‘, das tat er ja sowieso schon immerzu, oft genug war seine Nähe mir so wahnsinnig süß, dass es mich schmerzte.
„Jaah …“ Meine Stimme klang ganz weich, so als ob ich jetzt schon ganz ergeben war.
„Dann steh auf“, sprach Meto und deutete auf das Käfiggestänge um uns herum, wo daran schwarze, lederne Handfesseln befestigt waren. Schon der Anblick des weichen Leders und der metallisch glänzenden Schnallen entfachte ein Kribbeln in meinem Bauch, und ich erhob mich, ließ mich von Meto dorthin führen.
Was ich allerdings zuerst nicht so deutlich gesehen hatte, war, dass sich die Stelle, wo die Fesseln hingen, direkt gegenüber einem Spiegel an der Wand außerhalb des Käfigs befand. Zwar wusste ich natürlich, wie mein nackter Körper im Spiegel aussah, doch irgendwas an diesem Anblick fühlte sich seltsam an, unangenehm … Ich ertrug es nicht und schloss sofort die Augen.
Meto bemerkte das, berührte mich sanft an der Schulter, fragte: „Alles okay?“
„Ich … weiß nicht … irgendwie … mag ich den Spiegel nicht …“
„Sonst schaust du aber doch ganz gern in den Spiegel, oder?“, fragte er leise.
„Manchmal …“, antwortete ich, hatte immer noch die Augen zu. „Aber … ich weiß auch nicht … irgendwie geht’s gerade nicht …“
„Soll ich … dir die Augen verbinden?“ Metos Stimme klang ganz lieb und fürsorglich, ganz genauso, wie ich ihn kannte. Seine Beständigkeit beruhigte mich, und ich nickte.
Woher er den dunklen Schal nahm, mit dem er kurz darauf meine Augen verband, wusste ich nicht, aber es war mir auch egal. Sofort, als der Stoff meine Augen bedeckte, fühlte ich mich wieder sicherer, und als Meto meine Hände zu den Fesseln führte, klopfte mein Herz viel mehr vor Lust, als vor Angst. Ich spürte, wie er das weiche Leder fest um meine Handgelenke legte und die Schnallen schloss, und musste allein davon schon leise seufzen.
„Gut, dass Charlize einem immer solche Gleitmittel-Proben mitgibt“, hörte ich Meto sagen, und dann, wie er die Verpackung öffnete. Kurz darauf spürte ich seine Finger an meinem Hintern, wie sie nach meinem Loch tasteten, es fanden und begannen, es mit dem Gleitgel weicher und dehnbarer zu machen. Sofort, als er es berührte, hatte es ein wenig zu zucken begonnen, und ich fühlte ein erregtes Zittern in mir, als Meto damit fortfuhr, mich dort langsam zu dehnen.
Auf einmal hörte er auf, ging von mir weg, doch gleich darauf war er wieder bei mir und ich hörte die Plastiktüte vom Sexshop in seinen Händen rascheln, dann, wie er eine weitere Verpackung öffnete. Er nahm meine Hand und ließ mich einen Gegenstand ertasten, das Spielzeug, das er vorhin gekauft hatte, ich hatte da nicht gesehen, um was für eines es sich handelte.
Jetzt spürte ich es unter meinen Fingern, wunderbar glattes und zugleich festes Silikon, in einer Form ähnlich der Analkette, die wir schon zu Hause hatten, ein fester Strang aus vier oder fünf Perlen mit kleinen Abständen dazwischen. Und dieses Spielzeug hatte noch mehr drauf als nur seine anregende Form, es begann zu vibrieren, in einer Art von Rhythmus, der sich schon an meiner Hand total intensiv anfühlte und der mein Loch schon beim Gedanken daran, das dort zu spüren, vorfreudig zucken ließ.
Metos Hand tastete wieder dorthin, ich hörte ihn leise lachen.
„Du wirst das so lieben“, flüsterte er in mein Ohr und schmiegte sich an meinen Rücken. Ich spürte seinen nackten, wunderbar warmen Körper, seine Erregung und beinahe seinen Herzschlag, alles fühlte sich so viel intensiver an, weil ich nichts sah.
Und immer, wenn ich mich bewegte, klapperte die Kette der Handfesseln gegen das Gestänge des Käfigs, was mein Herz noch mehr in Aufruhr versetzte. Meto küsste meinen Nacken, drückte und rieb sich dabei an meinen Körper, und ich dachte daran, wie viel offener und mutiger er geworden war, er schämte sich kaum noch, zeigte mir seine Lust ebenso deutlich, wie ich ihm die meine.
Neues, kühles Gleitgel tropfte zwischen meine Pobacken, und die Hand meines Liebsten verteilte es, seine Finger schoben sich in mich, wieder und wieder, weiteten mich so vorsichtig wie bestimmt, und ich liebte das, besonders, wenn er schon leichte Stöße andeutete und dabei seine heiße Körpermitte an meine Hüfte drückte.
Das plötzliche, rhythmische Kitzeln der Vibration an meinem Hintern ließ mich aufstöhnen, zuerst strich Meto mit dem Stab nur darum herum, ehe er die Spitze dann an mein Loch setzte und ganz langsam hineinschob. Ich hielt überrascht die Luft an, das Gefühl war wahnsinnig intensiv und mein Körper schien empfindlicher als sonst zu sein. Das Summen der Vibration klang laut in meinen Ohren, mein Herz raste und die Süße der Lust in mir überwältigte mich beinahe.
„Oahhhh …“
„Ist das so gut?“, fragte Meto leise und küsste wieder meinen Nacken.
„Jaaahh … oh Gott … nhhh … oahh … wehe, du hörst jetzt zu früh auf damit …!“
Die zweite und dritte ‚Perle‘ aus Silikon folgten, und ich glaubte schon, dass mich allein das wahnsinnig machte, doch mein Liebster war auch jetzt noch lange nicht fertig mit mir. Er schaltete die Vibration hoch, drückte sich eng an mich und zog dann mit einem leichten Ruck am Griff des Stabs, sodass dieser sehr schnell aus meinem Innern glitt und dabei mit seiner Struktur mein Loch reizte und stimulierte, so intensiv, dass es mir einen Schrei über die Lippen trieb.
Meto wusste, wie ich es mochte, er kannte mich und hatte diese unglaubliche Intuition, und so ließ er mir keine Zeit zur Ruhe, sondern drängte das Spielzeug sogleich wieder in mich, damit ein solches Drängen und so süße Stöße imitierend, dass ich nur noch haltlos stöhnen konnte …
Ich spürte, dass ich dem Höhepunkt schon gefährlich nahe war, doch ich wollte noch nicht kommen, und Meto schien genau zu wissen, was er tun musste. Er schob den Stab ganz in mich hinein, was mich vor Lust erzittern ließ, und tastete dann zwischen meinen Beinen nach der Stelle, mit der er mich trocken kommen lassen konnte.
Ich spannte automatisch leicht an, fühlte es nahen, und wie mein Loch sich um das vibrierende Spielzeug herum zusammenzog, und noch ehe ich die Spannung wieder lösen konnte, überkam es mich, ein solches Schweben, ein heißkalter, absolut süßer Höhenflug … Dass ich dabei wieder ziemlich laut war, war mir egal, ich bekam es nur am Rande mit.
Meto hatte die ganze Zeit über seine Hände auf meinem Körper, streichelte meine Seiten und meinen Rücken, und ab und zu stahl sich seine linke Hand auch zu meinen Nippeln, die er mit besonderer Zärtlichkeit massierte, während die rechte zwischen meinen Beinen verweilte.
„Hast du schön gemacht“, lobte er mich danach und küsste meinen Nacken. „Bist ein braver Tsu.“
Es machte mich ziemlich an, wenn er so redete, es erinnerte mich daran, wie er mich ja manchmal fütterte, auch dann lobte er mich so und gab mir dieses gute Gefühl.
Der trockene Höhepunkt hatte mich in einen schwebenden, sich ganz weich anfühlenden Zustand versetzt, ich fühlte mich beinahe unwirklich, aber so gut, so, so, so gut! Nur waren meine Knie ziemlich weich, ich hielt mich hauptsächlich durch meine an den Käfig gefesselten Hände noch aufrecht, und so bat ich Meto: „Können wir uns aufs Bett legen? Ich kann gerade … nicht mehr so gut stehen …“
„Na klar“, antwortete er und begann, die Fesseln zu lösen, nahm mir auch die Augenbinde ab, umarmte mich dann und half mir zum Bett, wo ich mich bäuchlings in das rote, seidige Bettzeug sinken ließ.
Ich wagte jetzt, wo ich wieder sehen konnte, noch nicht, den Blick zu heben und in den Spiegel am Kopfende zu schauen, blieb eine Weile so liegen und hörte, wie Meto neben mir saß, er atmete laut und erregt, und als ich den Kopf in seine Richtung drehte und ihn ansah, sah ich, dass er sich selbst anfasste.
In mir war immer noch dieses schwebende Gefühl, und ich wollte mehr davon. Und richtig kommen, von meinem Liebsten genommen werden, genauso, wie ich es immer bei ihm tat, dass er mich in die Matratze vögelte …
Ich setzte mich auf, umarmte ihn, schmiegte mich an seinen Körper und flüsterte meinen Wunsch in sein gepierctes Ohr: „Liebster, komm, jetzt fass dich nicht selbst an … Mein Loch wartet schon auf dich, auf deinen Schwanz, ich bin ganz heiß und eng und süß, und ich will deinen Samen in mir …“
Wieder stahl sich ein sanftes Rot auf seine Wangen, doch das sah immer noch so süß aus, und das Leuchten in seinen Augen verriet mir, dass er sich ganz und gar nicht schämte.
Er sah mich an, küsste mich auf den Mund und sagte: „Dann leg dich hin.“
„Mach’s mir so, wie ich es dir am liebsten mache, leg deine Hände dabei auf meinen Rücken …“
Er lächelte, kicherte leise, und auf einmal schubste er mich, nur leicht, aber so, dass ich in die Kissen fiel und er auf mir, presste seinen Körper an meinen und küsste mich wild und ungehalten.
„Dreh dich um“, sprach er etwas atemlos, küsste mich wieder. „Ich hol eben noch ein bisschen Gleitgel, und dann kriegst du mich, und alles, was du dir wünschst.“
Ich drehte mich wieder auf den Bauch, und wagte jetzt auch einen Blick in den Spiegel. Viel von meinem Gesicht sah ich nicht, meine Haare hingen mir wirr vor den Augen, aber ich sah meinen Körper in dem roten Bettzeug liegen, meine zutätowierten Arme, meinen Rücken, meinen Hintern …
Und dann Meto, wie er wieder zu mir kam, sich hinter mich zwischen meine Beine kniete und sich Gleitgel auf die Finger tat, um es dann zwischen meinen Pobacken an meinem Loch zu verteilen.
„Ist der Spiegel jetzt okay?“, fragte er.
„Ja“, sagte ich und tatsächlich fand ich diesen Anblick jetzt ziemlich geil. „Alles gut.“
Ich spürte es, und sah im Spiegel, wie er sich an meinem Hintern in Position brachte, fühlte seine Lust und Wärme, und dass er mich liebte. Seine warmen Hände streichelten meine Seiten, ehe er sie fest auf meinen Rücken legte, mich so in die Matratze drückte und leise „Bereit?“ fragte.
„Jaah“, antwortete ich, mein Körper fühlte sich warm an, und ganz weich … Der Druck von Metos Händen auf meinem Rücken machte es mir leicht, mich hinzugeben, und als er sich dann langsam in mich schob, fühlte es sich an, als ob ich endlich ‚ganz‘ wurde, ganz und vollständig, im Vereint-sein mit ihm.
„Ahhh …“, entkam es mir.
„Ist gut so?“, fragte Meto, beugte sich runter und küsste meinen Nacken.
„Jaah … oh, ich liebe dich …!“
„Ich lieb dich auch.“ Metos Stimme bebte schon leicht, so erregt war er. Das Spiel mit dem vibrierenden Stab und den Fesseln zuvor hatte ihn definitiv ziemlich geil gemacht, ich fühlte, wie sein Glied in meinem Innern pulsierte. Seine Kraft und Liebe ließen mich geradezu dahinschmelzen, und als ich ihn bat, in mich zu stoßen, war meine Stimme kaum mehr als ein weiches Flüstern.
Er tat es, zog sich ein wenig raus und drängte dann wieder heiß in mich, einmal und noch einmal, bebend und unter süßestem Stöhnen. Ich sah hin in den Spiegel vor mir, sah, wie Meto mit vor Lust geschlossenen Augen über meinen Rücken gebeugt war, seine Hände auf meinem Rücken und seine Körpermitte ekstatisch zitternd auf meinen Hintern gepresst, sein harter Schwanz in mir übertrug dieses Zittern auf meinen Körper, sodass unsere Verbindung mit jeder Sekunde heißer wurde. Ich schrie ins Kissen, krallte meine Hände ins seidige Bettlaken, musste für einen Moment die Augen schließen und hörte, wie mein Liebster ebenso aufschrie.
Die Kraft, mit der er mich ins Laken drückte, ließ mein Herz rasen, doch auf einmal veränderte er seine Haltung, richtete sich ganz auf und griff mit beiden Händen an meine Hüfte, hielt mich so fest und drängte härter in mich, in einem Wechsel aus Stößen und diesem absolut ekstatischen Zittern, das mir deutlich machte, dass ich ihn an die Grenzen seiner Beherrschung gebracht hatte. Seine Zärtlichkeit und Vorsicht liebte ich auch, sehr sogar, aber diese andere, hemmungslosere Seite, die ich immer erst aus ihm herauskitzeln musste, machte mich derartig geil, dass ich nur noch „Jaahh!“ schreien konnte.
Das schien ihn noch mehr anzumachen, doch viel länger konnte er nicht so weiter machen, zu erregend war es für ihn und mich, und ich sah gerade im richtigen Moment noch einmal in den Spiegel, als er sich mit einem lustvollen Schrei ein letztes Mal tief in mich trieb und dann kam, wobei ich den Ausdruck auf seinem Gesicht sehen konnte, seine weit geöffneten, roten Lippen, die fast geschlossenen Augen und eine süße kleine, genießerische Falte zwischen seinen Brauen.
Ich spürte seinen vielen Samen, er erbebte lange, und als er dabei meine Prostata traf, hatte ich keine Kraft mehr zum Schreien, keuchte nur noch und kam, ergoss mich, spürte dabei, wie Meto auf mich sank und seine Lippen zärtlich über meinen Nacken streiften.
Eine ganze Weile blieben wir so liegen, nur unterbrochen davon, dass er sich langsam rauszog und sich dann wieder auf mich nieder legte, wir sprachen nicht, atmeten nur und ließen unsere verschwitzten, von der ungeheuren Lust erschöpften Körper langsam wieder zur Ruhe kommen.
„Tsuzuku?“, brach Meto irgendwann die Stille, „Ich liebe dich, weißt du das?“
„Ich dich auch“, antwortete ich und fühlte, dass ich glücklich war.
Wieder lagen wir eine Zeit lang nur da, dann stand Meto auf und legte sich neben mich. Ich sah ihn an, sein Make-up war jetzt natürlich ziemlich verschmiert, aber irgendwie stand ihm das, er sah in meinen Augen einfach immer gut aus. Ich wandte mich ihm ganz zu, hob eine Hand und strich ihm die verschwitzten, blauen Ponysträhnen aus der Stirn, er lächelte und küsste mich.
In diesem Moment war alles so perfekt. Wir waren zusammen, hatten perfekten Sex gehabt, ich fühlte mich leicht und glücklich, auch wenn mir schon ein wenig mein Hintern wehtat, aber das war mir egal, mir ging es einfach gut.
Meto stand wieder auf, ging durchs Zimmer zu einer Tür, hinter der sich wohl ein kleines Bad befand, und begann dort, die Reste seines Make-ups abzuschminken und die Kontaktlinsen rauszunehmen. Als er damit fertig war, holte er Hose und Shirt aus seiner großen Umhängetasche und zog sich an, verstaute dann Kleid und Perücke in der Tasche.
Ich erhob mich ebenfalls, nahm den Vibro-Stab und wusch ihn in dem kleinen Bad am Waschbecken kurz ab. Meinen neuen Massagestab hatten wir nun gar nicht gebraucht, aber dafür würde sich ganz sicher eine andere Gelegenheit finden.
Und wo ich schon mal im Bad war, setzte ich mich kurz auf die Toilette. Es tat mir beinahe leid, dass ich Metos Samen, nach dem es mich so sehr verlangt hatte, immer gleich wieder loswerden musste, aber so war das nun mal.
Während ich mich dann wieder anzog, meldete Meto uns per Handy wieder vom Zimmer ab, damit ein Zimmermädchen herkommen und das Bettzeug wechseln konnte.
Draußen auf der Straße brauchte ich dann eine Zigarette, rauchte eine auf dem Weg zur Bahn, und später, nach der Bahnfahrt, auf dem Weg nach Hause, noch eine. Das Rauchen brachte ein Gefühl von Alltag mit sich, all die Gedanken und Gefühle, die eben in diesem Love-Hotel-Zimmer irgendwie ganz weit weg gewesen waren. Und außerdem mochte ich es, mit Meto Hand in Hand durch die nächtlichen Straßen zu gehen, dabei zu rauchen und in mir noch die Erinnerung an den Sex zu spüren.
„Das tut dir richtig gut, ne?“, fragte Meto, als wir schon fast zu Hause waren. „Also, mit mir zu schlafen und so, das macht dich richtig glücklich.“
„Ja“ Ich lächelte. „Es ist einfach die größte Nähe, die möglich ist, und ich brauche deine Nähe, Meto. Ich brauche dich einfach so nah wie möglich bei mir, dann ist alles gut, und wenn wir uns so abwechseln, dass mal ich in dir bin und dann wieder du mich nimmst, dann bekomme ich alles, was ich brauche, um glücklich zu sein.“
Wir gingen ins Haus und leise die Treppen hoch, Meto schloss die Tür auf und ließ uns in unsere Wohnung. Ruana saß auf ihrem Platz auf dem Bett und erwartete uns schon, aber wir gingen noch nicht schlafen, sondern erst mal duschen, erst ich und nach mir Meto.
Während er dann noch unter der Dusche stand, machte ich das Küchenfenster auf und zündete mir noch eine Zigarette an, stand dort mit nichts als einem Handtuch um den Körper und rauchte. Unten war die Stadt mit ihrem Nachtleben, dem selbst nachts nicht abreißenden Lärm der Straßen, und ich stand hier oben, rauchte und hatte eine süße Ruhe in mir.
Später lagen wir zusammen im Bett, Haut an Haut umarmt, Meto fühlte sich frisch geduscht so wunderbar weich an, und ab und zu küsste er mich, kicherte, barg sein Gesicht an meinem Hals.
„Tsuzuku?“
„Hm?“
„Ich bin so froh, dass ich dich hab.“ Er schmuste sich an mich, seine Hand auf meiner Brust tippte mit dem Finger vorsichtig und zärtlich auf meine gepiercte Brustwarze.
„Ich auch. Aber das weißt du ja“, sagte ich. „Dass ich ohne dich nicht leben könnte …“
„Ja … Das weiß ich. Und ich bin ja da.“
Irgendwann danach war ich eingeschlafen.
Ich wachte davon auf, dass ich ein zuerst noch leichtes, aber eigenartiges Druckgefühl auf der Brust verspürte. Zuerst dachte ich, es käme daher, dass Meto mit dem Kopf auf mir lag, doch dann öffnete ich die Augen und sah, er lag mit dem Rücken zu mir. Und der Druck verschwand nicht, sondern wurde mehr, fing an, weh zu tun.
Ich drehte mich auf die Seite, fuhr mir mit der Hand ans Herz, hoffte, dass dieser Druck von allein wieder verschwand, doch das tat er nicht. Stattdessen stieg er weiter an, mein Herz begann zu schmerzen, und ich konnte beim besten Willen nicht sagen, ob dieser Schmerz körperliche Ursachen hatte oder psychischer Natur war. Und dass mir mit dem steigenden Druck nun auch merklich übel wurde, machte es natürlich schlimmer.
Langsam erhob ich mich und kam unter der Decke raus, fror sofort, spürte Schwindel und fragte mich, ob ich mir nicht vielleicht einfach irgendwo eine Grippe oder ähnliches eingefangen hatte. Krank zu werden, war zwar ungefähr das letzte, was ich gebrauchen konnte, aber die Option war deutlich beruhigender als der Gedanke, dass ich vielleicht wieder so eine Herzattacke hatte …
Den Weg ins Bad schaffte ich gerade noch, ehe mich ein stechender Schmerz in meiner Brust auf die Knie zwang, glücklicherweise genau vor der Toilette, in die ich mich Sekunden später erbrach. Fast empfand ich es als ‚Glück‘, dass ich gestern Abend nichts mehr gegessen hatte, so kam jetzt nur Schleim, das war bedeutend erträglicher.
Ich sah mich nach einer Uhr um, die neben dem Spiegel zeigte halb fünf Uhr morgens an.
Mir war kalt, ich zitterte und griff mir eine der Shorts, die gewaschen neben der Waschmaschine im Wäschekorb lagen, und ein schwarzes Tanktop, zog beides hastig an und blieb dann auf dem gefliesten Boden sitzen, traute mich nicht, das Bad zu verlassen, weil ich nicht wusste, ob ich noch mal erbrechen musste.
Ich verstand überhaupt nicht, warum es mir jetzt so schlecht ging. Gestern Abend war doch alles gut gewesen, also warum reagierte mein Körper jetzt so, als hätte ich eine tiefe Krise?! Und emotional fühlte ich auch nichts von dem, was eine solche Reaktion meines Körpers erklärt hätte. Ich war weder traurig, noch hatte ich großartig viel Angst, meine Seele fühlte sich ausnahmsweise mal neutral an. Und als ich meinen Unterleib leicht anspannte, fühlte ich die Erinnerung an den Sex von gestern Abend, und das stimmte mich sogar irgendwie gut, beinahe glücklich.
Es gab also keinen Grund, warum mein Herz schmerzen und mir so übel sein sollte, es sei denn, ich hatte mir wirklich irgendwo eine Grippe eingefangen …
Als ich nach einer Weile merkte, dass ich wieder aufstehen konnte, ohne mich noch mal zu erbrechen, erhob ich mich langsam, ging ins Schlafzimmer zurück. Ich wollte Meto nicht wecken, und so legte ich mich ganz leise und vorsichtig neben ihn, blickte hoch an die Zimmerdecke, während sich in mir Schwindel und Gedanken drehten, und in meinem Herzen ab und zu ein kleiner Stich schmerzend aufblitzte. Ich ertrug es, so wie ich immer schon so viel Schmerz ertrug und irgendwie aushielt, irgendwie immer weiter lebte.
Dieses Gefühl, dass mein Leben als einzelnes Leben nur für sich allein keinen Sinn hatte … dass ich nur atmete und mein Herz nur schlug, weil Meto da war in meinem Leben … dass ich ohne ihn sterben würde … je länger ich so lag und dachte und fühlte, umso deutlicher wurde es mir.
Ich sah Meto an, wie er neben mir tief schlafend auf dem Rücken lag, und fand, dass er wieder so süß aussah beim Schlafen. Seine kleine, gepiercte Nase, sein großer Mund mit den vollen, ebenso gepiercten Lippen, und seine kurzen, blauen Haare mit dem vor ein paar Tagen neu nachgeschnittenen Doppel-Sidecut, der ihm so gut stand … Ob ich ihn eigentlich männlich fand, fragte er ja manchmal, und ja, das tat ich. Ich fand, er war ein wunderschöner Mann!
„Mein Ein und Alles …“, flüsterte ich ins Halbdunkel und rückte ein Stückchen näher zu ihm. „Mein Liebster …“ Und ich fühlte mich, fühlte mich selbst darin, dass er bei mir war.
Ich streckte meine Hand aus, berührte seinen Arm, den zutätowierten, dessen bunte Farben, weil ich sie ihm geschenkt hatte, sich für mich wie ein zweiter Verlobungsring anfühlten. Es war schon so weit hell, dass ich auch den Ring an seiner Hand erkennen konnte, und ich fand das so schön, diesen schlichten Ring an seiner Hand, die kleiner war als die meine.
Eigentlich hatte ich Meto ja nicht wecken wollen, doch mit einem Mal verlangte es mich so sehr danach, seinen Herzschlag zu hören, dass ich noch näher zu ihm rückte und vorsichtig meinen Kopf auf seine Brust legte. Sein ruhiger, kräftiger Herzschlag erfüllte mich mit einem rauschhaften Gefühl von Glückseligkeit, ich presste meinen Körper an seinen und spürte sehr, dass er ganz nackt war unter der Decke, die ihn auch nur bis zum Bauch bedeckte.
„Mh …?“, hörte ich auf einmal seine leise Stimme. „Tsuzuku? Was’n los?“
Ich hob den Kopf. „Entschuldige … hab ich dich geweckt?“
Er sah mich an, fast ein wenig besorgt, vielleicht dachte er, mir ginge es nicht gut. „Alles okay?“
„Ja“, sagte ich mit einem Gefühl von schwirrendem Glück in mir. „Ich liebe dich, mein Süßes.“
Ich legte meinen Kopf wieder ab, spürte Metos Hand in meinem Haar, er streichelte mich und ich glaubte fast, dass sein Herz im selben Takt und Moment schlug wie meines.
Am liebsten hätte ich ihm verschwiegen, dass ich Schmerzen gehabt und gebrochen hatte, aber er bemerkte irgendwie, dass etwas nicht stimmte, und fragte: „Alles okay mit dir, Tsu?“
Ihn anzulügen kam für mich nicht infrage, und so antwortete ich: „Mir war vorhin übel … und mein Herz tat weh …“
„Hast du dich übergeben?“
Ich nickte. „Aber ich hatte sowieso nichts gegessen.“
„Und jetzt? Hast du jetzt noch Schmerzen?“
„Nein“, sagte ich, und das stimmte auch, gerade tat mir nichts weh.
„Wenn du einfach so solche Herzschmerzen hast und auch noch erbrechen musst, denkst du nicht, wir sollten damit doch mal zum Arzt gehen?“, fragte Meto.
„Mh“, machte ich nur. Zum Arzt gehen … etwas in mir wollte das nicht. Was sollte der mir denn auch schon großartig helfen? Mir sagen, dass ich zu viel rauchte, und dass ich ruhiger werden musste und Psychopharmaka nehmen sollte … Und das wollte ich eben nicht.
Meto sah mich an, besorgt und ein bisschen so, als sei ich ein Kind und er müsste mich erziehen.
„Tsu, ich weiß ja, dass du nicht gern zum Arzt gehst. Aber wer weiß, vielleicht kann der so was irgendwie behandeln? Das ist doch nun wirklich nicht schön so, wenn du immer wieder Schmerzen hast und dir so furchtbar schlecht ist.“
„Ist mir egal“, sagte ich nur.
„Mir aber nicht!“ Er wurde sogar ein bisschen laut. „Tsuzuku, ich muss darauf bestehen, dass du deswegen heute zum Arzt gehst! Sonst hab ich Angst um dich, verstehst du?“
„… Vielleicht ist es auch nur ‘ne Grippe …“, lenkte ich ein wenig ein.
„Auch dann gehst du damit zum Arzt, verstanden?“
„… Ist gut …“, gab ich schließlich auf, gegen Metos Stärke, für mich zu sorgen, kam ich nicht lange an. Er hatte ja Recht, und vielleicht war es meine Selbstschädigungstendenz, die mich dazu lenken wollte, nicht zum Arzt zu gehen.
Und außerdem … war es doch mit Meto und mir schon immer so: Er kümmerte sich um mich, besorgt und engagiert, und das auch, wenn es sein musste, gegen meinen Willen. Und ich wollte darauf vertrauen, dass er besser als ich selbst wusste, was gut für mich war.
Meto stand auf, begann, sich für den Tag und die Arbeit fertig zu machen, während ich es, nachdem ich ja wohl mal wieder krank war, ruhiger angehen ließ. Ich schrieb eine Nachricht ans Studio, dass ich heute später kommen würde (denn den ganzen Tag wegzubleiben und damit möglicherweise die Stelle dort zu riskieren, das fiel mir ja gar nicht ein!), dann kuschelte ich mich wieder tief unter die Decke und war binnen Minuten eingeschlafen.
Mein Handy weckte mich, irgendwann, der Uhr nach eine gute Stunde später. Es war Meto, der mich anrief, um mich zu wecken und daran zu erinnern, dass ich zum Arzt gehen sollte.
Mit einem widerwilligen Brummen schälte ich mich aus der gemütlich warmen Bettdecke, fror sofort an der kühlen Zimmerluft und hatte dabei immer noch das Handy am Ohr, wo Meto mich mehr oder weniger bekniete, zu Dr. Ishida zu gehen.
„Ist ja gut, ich bin so gut wie auf dem Weg“, antwortete ich. „Mach dir keine Sorgen, Baby.“
„Kann ich mich drauf verlassen?“
„Ja, kannst du.“
„Und du gehst danach nicht noch arbeiten!“
„Doch. Was soll ich sonst machen, rumsitzen?“
„Dich ausruhen.“
„Ist aber kein Ausruhen, wenn ich dann nur wieder diese verfluchte Leere hab! Ich brauch was zu tun, also geh ich arbeiten.“
„Ich ruf dich nachher noch mal an.“
„Mach das, Babe“, sagte ich, nun etwas ruhiger. „Tut mir leid, ich will nicht mit dir streiten.“
„Ich mach mir nur Sorgen um dich, Tsuzuku.“
„Ich weiß. Ich mach, was du sagst, okay? Ich liebe dich.“
„Ich lieb dich auch.“
Ich beeilte mich mit Duschen, ließ das Schminken ausfallen und zog ganz schlichte Klamotten an, dann nahm ich meine Tasche samt Handy und Zigaretten und machte mich auf den Weg.
Es brauchte eine Zeit, bis ich die Praxis von Dr. Ishida wieder gefunden hatte. Wir waren ja erst ein Mal hier gewesen. Das Wartezimmer war fast voll, aber ich war gerade so weit ruhig, dass ich mich einfach anmeldete, dort hinein setzte und mein Handy rausnahm, um mich mit Spielen abzulenken.
„Aoba Genki-san, bitte!“, rief mich gefühlte Stunden später die Sprechstundenhilfe auf. Ich sah auf die Uhr, es hatte tatsächlich fast eine Stunde gedauert.
Ich folgte ihr ins Arztzimmer, wo Dr. Ishida hinter seinem Schreibtisch saß und in eine Akte schaute, auf der ich meinen Namen erkannte.
„Setzen Sie sich. Was führt Sie denn heute zu mir?“, fragte er.
„Ich bin heute Morgen mit Herzschmerzen aufgewacht und hab mich übergeben“, erzählte ich mehr oder weniger locker daher, so als wäre das keine große Sache.
„Haben Sie das öfter?“
„Manchmal … In letzter Zeit schon einige Male …“, gab ich zu. „Ich dachte erst, vielleicht ist es davon abhängig, wie ich emotional drauf bin, aber heute Morgen ging’s mir gefühlsmäßig voll okay, da war nichts, mir war einfach nur total schlecht.“
Dr. Ishida schaute in die Akte, dann sah er mich eine Weile an. „Aoba-san, können Sie sich erinnern, ob ihre Mutter bei ihrer Krankheit einen ähnlichen Verlauf hatte?“
Ich muss ihn ziemlich entgeistert angeschaut haben, doch eigentlich brachte er damit das, was die ganze Zeit schon im Raum stand, auf den Punkt.
„Ich muss nur ausschließen, dass Sie an derselben Krankheit leiden“, erklärte er.
„Ich weiß es nicht mehr“, sagte ich. „Keine Ahnung, ob Mama auch so was hatte mit Übelkeit und so … Sie hat ja auch viele Tabletten genommen.“
„Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, dass Ihre Schmerzen jetzt mit ihrer psychischen Verfassung zusammen hängen, das müssen wir mit bedenken. Und dass Sie Raucher sind, spielt da natürlich auch mit rein. Aber ich möchte zur Sicherheit noch einmal Ihr Blut gezielt untersuchen lassen. Beim letzten Test haben wir ja wegen ihrer Beziehungs-Risiken nur nach sexuell übertragbaren Krankheiten gesucht, dieses Mal suchen wir nach Faktoren für eine Herzkrankheit, das ist etwas völlig anderes.“
Ich machte also meinen linken Arm frei, der Arzt rief die Schwester herein und die nahm mir drei Kapseln voll Blut ab.
„Ich rufe Sie an, wenn die Ergebnisse da sind“, sagte Dr. Ishida. „Ich glaube, es würde wenig Sinn machen, wenn ich ihnen ein Mittel gegen die Übelkeit verschreibe, oder?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Melden Sie sich, wenn es Ihnen deutlich schlechter geht. Oder gehen Sie zur Sicherheit ins Krankenhaus.“
„Mach ich“, sagte ich und dachte aber: ‚Wenn’s denn sein muss …‘
Ich ging dann von der Arztpraxis aus direkt zum Studio, wollte einfach nur arbeiten, irgendwas zu tun haben, nicht nach Hause, da ich dort sowieso nur alleine herumsitzen würde.
Meine Kollegen waren gerade alle irgendwo beschäftigt und ich setzte mich einfach an meinen Zeichentisch, machte dort weiter, wo ich zuletzt aufgehört hatte, mit einer dämonischen, finsteren Zeichnung, die ein Auftrag von einem Kunden war.
Ich hatte diesen Kunden schon zwei Mal getroffen, und ihm gefiel mein Zeichenstil so gut, dass er sich ein von mir für ihn entworfenes Tattoo wünschte. Es handelte sich um eine Art Chamäleon, ein unheimliches, starrendes Exemplar, umgeben von Stacheldraht-Ranken und umgekehrten Pentagrammen.
Der Kunde war noch recht jung, in etwa so alt wie ich, und von seinem Style her irgendwo zwischen Gothic und dunklem Visual Kei unterwegs. Er hatte sich einfach ein Chamäleon und Stacheldraht gewünscht, und ich sollte nun für ihn ein ausdrucksstarkes Bild daraus machen.
Die Symbolik des Motivs sprach mich an, und ich vermutete fast, dass dieser Kunde irgendwas an psychischer Last mit sich herum trug, vielleicht ähnlich wie ich …?
In meiner Mittagspause ging ich ein wenig raus, lief in der Stadt herum, und dort begegnete ich Hitomi, sie saß auf einer Bank in einem kleinen Park und hatte Handarbeitszeug dabei, strickte an einem bunten Fleck, der noch nicht erkennen ließ, was es einmal werden sollte.
„Hey“, sagte ich, sie sah von ihrem Strichzeug auf und lächelte.
„Hey, Tsuzuku.“
„Wie geht’s dir?“, fragte ich.
Sie rutschte ein Stückchen zur Seite, bot mir den Platz neben ihr an und sagte: „Ganz okay. Vielleicht komm ich bald raus aus der Klinik.“
„Bist ja auch schon ziemlich lange drin, oder?“
Sie nickte. „Lieber Klinik als wieder auf die Straße, deshalb war ich so lange drin. Ich will nicht wieder in den Tempel zurück. Aber jetzt hab ich ‘ne Wohnung in Aussicht, hier in der Stadt.“
„Das ist gut“, sagte ich. „Krieg ich dann deine Adresse?“
„Klar, die schick ich dir aufs Handy, sobald ich sie habe.“
Ich musste an Komori denken, meinen Zimmergenossen damals im Tempel. Sicher war er inzwischen nicht mehr dort, sondern auch in einer eigenen Wohnung, aber ich hatte ihn noch nicht wieder gesehen.
Ich wusste selbst nicht recht, warum ich es nicht geschafft hatte, Komori zu besuchen. Vielleicht war in meinem Leben in letzter Zeit einfach so viel los und durcheinander, dass ich es nicht von mir aus hin bekam, alte Kontakte zu pflegen.
Hoffentlich würde mir das bei Hitomi besser gelingen, denn sie wollte ich nicht verlieren. Sie war mir zu wichtig geworden, immerhin war sie meine Leidensgenossin.
"Hitomi?", fragte ich sie, als mir das Buch einfiel, das ich ja immer noch von ihr hatte. "Willst du dein Buch eigentlich mal wieder haben?"
"Kannst du behalten", sagte sie und lächelte ein wenig. "Ich hab’s ja noch mal da und wenn es dir hilft, solltest du es behalten."
"Sicher?"
"Ja." Jetzt lächelte sie richtig. "Tsuzuku, wenn ich dir damit weiter helfen kann, dann behalte das Buch gerne. Tut mir selbst ja auch gut, jemandem helfen zu können ..."
Ihr schien es heute gut zu gehen, und ich blieb ein wenig bei ihr sitzen, während sie strickte. Wir redeten nicht viel, aber ich ahnte, was sie ungefähr dachte, und wir schienen uns auch ohne viele Worte zu verstehen.
Als meine Pause sich dem Ende näherte, verabschiedete ich mich. Hitomi bat mich, Ami von ihr zu grüßen, was ich zu tun versprach, dann ging ich zurück in Richtung Studio.
Als ich wieder dort war, stand Ami an meinem Platz, zusammen mit dem Kunden, für den ich vor der Pause das Chamäleon-Motiv gezeichnet hatte. Sie unterhielt sich mit ihm, und als sie mich kommen sah, sagte sie: „Hey, da ist Genki ja. Jetzt kannst du ihn selbst fragen, ob er das macht.“
„Was denn?“, fragte ich und stellte meine Tasche ab.
„Koyama-san hat eine etwas … schwierige Frage, und ich glaube, du kannst ihm die am besten von uns beantworten“, sagte Ami.
„Worum geht’s?“
Koyama-san sah mich an, und ich spürte seinen Blick kurz auf meinen Unterarmen. Es war ein ähnliches Gefühl wie damals, als ich Hitomi im Tempel kennen gelernt hatte. Und dieses Gefühl sagte mir binnen Sekunden alles, was ich gerade wissen musste.
„Kommen Sie, wir gehen nach nebenan“, sagte ich zu ihm. „Da sind wir ungestörter.“ Ich merkte selbst, wie selbstsicher und professionell mein Verhalten wirkte, und das Wissen, dass ich diese Situation händeln konnte, war gut.
Ich führte Koyama-san in eine der mit dunklen Vorhängen abgeteilten Tätowierkabinen und bot ihm einen der beiden Stühle an. Er wirkte unsicher, viel unsicherer als bei seinem ersten Termin hier, setzte sich und ich sah ihm seine Anspannung an.
Ich schob wie beiläufig meine Ärmel ein wenig hoch, bis zum Ellbogen, und für jeden anderen musste das so aussehen, als ob mir einfach warm war an diesem Frühlingstag. Aber Koyama-san schien offenbar nicht ‚jeder andere‘ zu sein, er verstand diese ‚geheime‘ Geste.
Ich wusste nicht recht, was ich sagen, wie ich es anfangen sollte, aber ich spürte seinen Blick auf meinem linken Unterarm.
„Machen Sie das? Stechen Sie auch jemandem ein Tattoo, der … depressiv ist?“ Die kleine Pause vor dem Wort ‚depressiv‘ machte deutlich, dass es ein Tarnwort war, eine möglichst harmlos klingende Beschreibung für das, was man sich nicht getraute, beim Namen zu nennen.
„Ja“, sagte ich. „Ich mache das, und mein Kollege Takashima auch. Er hat mir vor kurzem das hier gestochen“, ich deutete auf die Schere an meinem Hals, „in dem Wissen, dass ich krank bin.“
Wieder ein kurzer Blick auf meinen Arm, dann öffnete Koyama den Ärmelknopf an seinem linken Hemdärmel, schob den Ärmel hoch, und ich erblickte einen übel aufgeritzten Unterarm, manche Schnitte alt und vernarbt, manche vielleicht zwei oder drei Tage alt.
„Ich brauch da ein Tattoo drauf, sonst mache ich immer weiter“, sagte er und schien jetzt den Tränen nahe.
Es war ein seltsames Gefühl, hier, in meinem beruflichen Umfeld, mit jemandem zu tun zu haben, der dasselbe tat wie ich, dieselben sichtbaren Zeichen innerer, seelischer Schmerzen. Aber ich wollte professionell sein, diesem Mann helfen, ohne mich von der Ähnlichkeit verwirren zu lassen.
„Zeig mal her“, sagte ich, das ‚du‘ schien mir jetzt passender. „Ich muss schauen, ob ich da was machen kann.“
Er hielt mir seinen Arm hin, und ich berührte ganz, ganz vorsichtig die verletzte und vernarbte Haut. Es fühlte sich so an, wie ich mir die Arbeit eines Arztes vorstellte, ein berufsbedingtes Eindringen in den privatesten, intimsten Lebensbereich eines anderen Menschen.
„Ich kann es versuchen, technisch ist es möglich“, sagte ich schließlich. „Aber … weißt du, ich bin mir nicht sicher, ob dir ein Tattoo da wirklich hilft. Der Drang, dir selbst weh zu tun, der wird davon nicht für immer verschwinden, das kann ich dir aus meiner eigenen Erfahrung sagen.“
„Und was soll ich dann tun?“ Jetzt hatte er wirklich Tränen in den Augen. Ich griff mir die Schachtel mit Kosmetiktüchern, die ich sonst dafür benutzte, beim Tätowieren die überschüssige Tinte wegzuwischen, und reichte ihm ein Tuch.
Ich dachte einen Moment nach, dann nahm ich einfach einen Zettel und einen Stift und schrieb die Telefonnummer von Dr. Niimura darauf.
„Das ist die Nummer von meinem Psychiater“, sagte ich und reichte Koyama den Zettel. „Der ist wirklich gut und kann dir sicher irgendwie weiter helfen.“
„Danke …“
„Es ist gut, dass du zu mir gekommen bist“, sagte ich. „Und ich kann dir das Tattoo auch gern stechen, es hat mir gefallen, es zu zeichnen. Nur … vielleicht lässt du es dir nicht auf den Arm, sondern woanders hin stechen, was meinst du?“
Er nickte, fuhr sich mit der Hand über die Augen.
„Komm demnächst einfach vorbei und dann besprechen wir das noch mal, wo du es hin haben willst und so weiter“, sagte ich. „Machen wir das so?“
„Ja … danke, echt …“
„Ich helfe gerne, wenn ich kann“, sagte ich und fühlte mich irgendwie echt kompetent. Es war ‚mein‘ Gebiet, die Sache mit Tattoos und psychischen Problemen, und ich hatte jetzt das Gefühl, irgendwie gut darin zu sein.
Ich begleitete Koyama noch zur Tür, dann setzte ich mich wieder an meinen Platz und musste erst mal ein wenig durchatmen. ‚Gut gemacht, Tsuzuku‘, dachte ich und klopfte mir in Gedanken selbst auf die Schulter, um mir klar zu machen, dass ich diese Situation wirklich gut gemeistert hatte.
Später saßen Ami und ich noch ein wenig zusammen im Küchenraum. Sie hatte, als sie selbst mit Koyama gesprochen hatte, ebenso wie ich bemerkt, was mit ihm los war, und sie fand auch, dass ich alles richtig gemacht hatte.
„Ich soll dich übrigens von Hitomi grüßen, ich hab sie vorhin getroffen“, sagte ich.
„Dankeschön. Grüß sie mal zurück, wenn du sie vor mir wieder siehst.“ Ami lächelte. „Und … sag mal, Genki, wie geht’s dir? Alles okay mit dir und deinem Freund?“
„Ja, alles gut“, sagte ich und dachte kurz an den Sex gestern Abend. Mit Meto und mir war alles gut, immer noch. Und von meinen Herzschmerzen, von denen ich ja nicht mal wusste, wo sie genau herkamen, wollte ich Ami nichts erzählen.
Als ich dann nach Feierabend das Studio verließ, erwartete mich vor der Tür eine Überraschung: Koichi stand da, rauchte, und wartete auf mich.
„Hey, was machst du denn hier?“, fragte ich.
„Wenn du mal auf dein Handy gucken würdest, wüsstest du das. Ich hatte Lust, dich zu sehen, und deshalb hole ich dich ab und bring dich bis nach Hause.“
„Mit ‘nem kleinen Schlenker zur Cocktailbar?“ Ich lachte.
„Wenn du willst, gerne.“
Ich hatte das zwar eher im Scherz gesagt, aber wir zogen dennoch los, gingen in dieselbe Bar wie letztes Mal. Auf dem Weg dorthin fragte ich Koichi, ob Meto schon nach Hause gegangen war, und er antwortete: „Ich hab das mit ihm abgesprochen, dass ich doch abhole, er erwartet dich zu Hause.“
„Und da gehen wir noch was trinken?“
„Das hast du doch vorgeschlagen.“ Koichi grinste.
„War aber eher ein Scherz gewesen.“
Ich nahm mein Handy raus und schrieb Meto eine Nachricht, damit er sich keine Sorgen machte.
Die Bar, in der wir dann wieder saßen, war zwar kein so mädchenhafter Laden wie das Café, aber dennoch saßen hier hauptsächlich Frauen in kleinen Gruppen, mit süßen Cocktails vor sich, und es schien mir so, als ob ich einer der wenigen Gäste war, der ein einfaches Bier bestellte.
Koichi tat es mir dieses Mal gleich, bestellte auch ein Bier, und die Kellnerin sah uns mit einem Blick an, der mich vermuten ließ, sie hielt uns für ein Pärchen.
„Hast du das gesehen?“, flüsterte Koichi, als sie weg war. „Ich glaub, die dachte, wir sind zusammen oder so?“
„Wenn du auch solche Sachen anhast“, kommentierte ich sein heute recht feminines Outfit. „Sag mal … stört dich das jetzt noch, wenn Leute dich für ‘ne Frau oder für schwul halten?“
„Nicht so sehr, nein“, antwortete er. „Ich hab ja meine Mikan, und was andere denken, ist mir jetzt erst mal egal.“ Er sah mich an und fragte dann: „Und du? Ich meine, du als Mann, der einen anderen Mann liebt … wie ist das, was denkst du, wenn Leute zu dir sagen, du bist schwul?“
„Ich weiß nicht … manchmal ist das gut, dann wünsche ich mir selbst, richtig schwul zu sein, und das selbst auch so sehen zu können … Ich fühl mich irgendwie so … dazwischen stehend, ich weiß nicht, ob ich mich als ‚schwul‘ bezeichnen kann. Und andererseits … es wäre schön, wenn es egal wäre. Wenn ich einfach öffentlich mit Meto zusammen sein könnte, so wie alle anderen Paare auch, dass keiner was dazu sagt, verstehst du? Diese Homophobie, und dieses Betonen, dass wir ‚anders‘ und nicht normal sind, das stört mich schon.“
„Ja, mich auch“, sagte Koichi. „Ich falle da selbst zwar nicht drunter, aber es regt mich trotzdem auf. Wieso kann es nicht einfach mal normal sein, ne? Und in Europa zum Beispiel ist es das ja sogar schon fast. Da könntet ihr sogar staatlich anerkannt heiraten. Aber hier dagegen … ich hab das ja gemerkt, als ich für euch die Wohnung gesucht habe. Ich musste an die zwanzig Vermieter durchtelefonieren und jedes Mal extra fragen ‚Die beiden sind ein Männerpärchen, ist das in Ordnung?‘, und achtzehn von zwanzig haben Nein gesagt!“ Er seufzte schwer. „Manchmal, so ganz ab und zu, bin ich auf unser Land ein kleines bisschen wütend.“
„Ich auch …“, sagte ich. „Ich fühl mich aber sowieso kaum noch wie ein ‚richtiger‘ Japaner. Ich bin einfach zu anders.“
Wir blieben nicht lange in dieser Bar, nur so lange, wie es dauerte, unsere beiden Gläser Bier zu leeren. Danach zahlten wir und gingen, Koichi begleitete mich wie versprochen noch bis nach Hause.
Als ich die Wohnungstür öffnete, hörte ich wieder das Radio laufen, und fand Meto in der Küche, wo er wieder einmal unser Geschirr spülte. Es war nicht viel, wir gingen sparsam damit um, aber dieses Bild, wie er da stand, mit der Schürze und den Einweg-Handschuhen, und Geschirr spülte, gefiel mir einfach nicht.
Ich nahm mir ein Handtuch, um ihm wenigstens das Abtrocknen abzunehmen, und er drehte sich zu mir um, lächelte und begrüßte mich mit einem kurzen Kuss.
„Wir brauchen nen Haushaltsplan“, sagte ich. „Ich will nicht, dass du immer die ganze Hausarbeit machst, und ich alleine weiß immer nicht, wo ich anfangen soll.“
„Den können wir nachher zusammen schreiben“, antwortete Meto. „Ich zeig dir, wie die Waschmaschine angeschaltet wird, und wir können zusammen schauen, was du an Arbeit übernimmst.“ Er lächelte wieder, sah mich an und fragte: „Stört dich das so sehr, wenn ich die Hausfrau spiele?“
„Ich will einfach … dass wir das gemeinsam machen“, sagte ich und musste einen Moment lang ein und aus atmen, denn einer der Gründe dafür, dass mir die Gleichberechtigung zwischen uns so wichtig war, war für mich schmerzhaft auszusprechen: „Meto … weißt du, ich hab Angst. Angst, dass ich das mit dir verbocke … und dass du irgendwann gehst. Und deshalb will ich alles tun, was ich kann, damit es uns beiden gut geht. Dass du zu deinem Recht kommst und niemals unter mir leiden musst, und demnach … keinen Grund hast, weg zu gehen. Das fängt schon bei so was wie Hausarbeit an, weil ich Angst habe, dass du irgendwann, wenn du das immer allein machen musst, frustriert sein könntest …“ Ich konnte nicht weiter sprechen, meine Angst schnürte mir, jetzt wo ich sie aussprach, die Kehle zu.
Meto tat das, was er immer tat, wenn es mir so ging. Er legte das, was er gerade in der Hand hatte, beiseite, machte einen Schritt auf mich zu und umarmte mich.
„Ach Tsuzuku … Du musst keine Angst haben. Ich werde nicht gehen, niemals. Aber … ich finde es trotzdem sehr lieb von dir, dass du dir solche Mühe gibst. Und du bist mein Mann, mein wunderbarer, liebevoller Mann, und ich find‘s schön, wenn wir die Dinge gemeinsam machen.“
Wir blieben eine Weile so, umarmt und nah, dann ließ Meto mich langsam wieder los und wir machten den Abwasch gemeinsam fertig.
Danach setzten wir uns im Wohnzimmer hin, Meto nahm einen Bogen Papier und einen Stift aus seinem Schreibtisch und zeichnete eine Art Kalender mit Wochentagen auf. Er trug darin unsere Arbeitszeiten ein und dazu das, was er selbst an Hausarbeit machen wollte. Dazu zählte er Bettmachen, Kochen und das Bad zu putzen. Der Abwasch, sämtliches Aufräumen, Müll wegbringen, und das Sortieren der Wäsche wollten wir dann gemeinsam machen. Und ich allein nahm mir vor, mich erst mal nur darum zu kümmern, dass die Waschmaschine rechtzeitig gefüllt und angeschaltet wurde.
Da das sowieso gerade dran war, zeigte Meto mir, wie die Maschine bedient wurde, und ich packte gleich eine Ladung Wäsche hinein, wobei ich Haushalts-Chaot beinahe meinen roten Pullover mit in die weiße Wäsche sortiert hätte. Rosa Unterwäsche wollte ich nun nicht gerade haben, und so war ich froh, dass Meto meinen Fehler sofort bemerkte und korrigierte.
Später dann, nach einem kleinen Abendessen, lagen wir zusammen im Bett, und eigentlich rechnete ich nicht damit, dass wir heute noch irgendwie intimer miteinander wurden. Ich lag mit dem Rücken zu ihm, sein Arm ruhte locker auf meiner Seite, und zuerst dachte ich, wir schliefen jetzt so ein.
Aber Meto schien das anders zu sehen, er trug nichts als Shorts, schmiegte sich enger an meinen Rücken, sodass ich ein wenig sein Glied spürte, welches zuerst aber noch weich und schlaff war. Er umarmte mich fester, küsste meinen Nacken und ich hörte ihn tief atmen.
Als dann seine Hand unter mein Schlafhemd schlüpfte, meinen Bauch streichelte und dann hoch zu meiner Brust wanderte und gezielt an meine Nippel ging, spürte ich, wie sich sein Schwanz so nah an meinem Hintern sehr bald hart und heiß aufrichtete.
Ich lachte leise, wollte eine meiner schlüpfrigen Bemerkungen machen, doch die Worte blieben mir im Hals stecken, als Meto mir in einem Zug die Shorts vom Hintern schob und sich mit seinem Schwanz so hart und fest an mich drückte, dass mir ein leises Aufkeuchen entwich.
„Tsuzuku …“, flüsterte Meto mit erregter Stimme meinen Namen in mein Ohr. „Mein Mann … meiner! Du machst mich so was von geil …!“
Seine Initiative machte mich immer noch sehr an, ich liebte es, wenn er so direkt wurde und den ersten Schritt machte. Seine verschämte Schüchternheit früher hatte ich auch sehr süß gefunden, aber dieses Neue, Mutigere, wenn ich wirklich spürte, dass er wie ich auch ein Mann war, das gab mir so eine Sicherheit, und es erregte mich wahnsinnig.
Ich drehte mich zu ihm um, drückte mich an ihn, spürte, wie freudig mein Körper auf seinen reagierte, und küsste ihn, verschlang seinen Mund geradezu, knutschte ihn mit aller Lust und Liebe ins Kissen und ließ ihn meine Zunge spüren, wissend, wie sehr er das seinerseits liebte.
Meine Hände liebkosten seinen bebenden Körper, und ich spürte, irgendwas, von dem ich nicht wusste, was genau, hatte ihn so sehr erregt. Vielleicht ein Gedanke, eine kleine Fantasie, eine Erinnerung an irgendeinen Sex zwischen uns …
Ich streichelte über seine Hüfte, die so hungrig erbebte, nach hinten, packte mit der einen Hand fest an seinen Hintern und tastete mit der anderen dazwischen, fand sein Loch und fühlte, wie es zuckte.
„Soll ich dich rannehmen, Liebster?“, sprach ich mit rauer Stimme in sein Ohr. „Dein süßes Loch freut sich ja schon auf meinen Schwanz …“
„Ahhh … oh … oh ja …!“ Er sah mich an, mit diesem absolut weichen, süßen Lächeln auf den vollen Lippen, und sein Unterleib presste sich an meinen.
„Und wie möchtest du es?“, fragte ich und hörte mich selbst, dachte, dass ich das selbst an mir mochte, wenn ich so zugleich liebevoll und verdorben redete. Schmutzige Dinge auf eine zärtliche, liebende Art zu sagen, weil Meto meine Sonne und mein Liebster war, und mich zugleich derartig geil machte, dass mein Schwanz sich nach seinem heißen Loch sehnte.
„Ich will dich anschauen“, flüsterte er, drehte sich dabei ganz auf den Rücken und spreizte unter der Bettdecke die Beine, zog sie an, und mich ganz auf sich.
Ich streckte mich, bis ich mit der Hand an die Flasche Gleitgel auf dem Nachtschrank heran kam, tat mir eine Ladung davon auf die Finger und begann, meinen Liebsten vorzubereiten.
Es schien mit jedem Mal einfacher zu gehen, er war schon so daran gewöhnt, und von seinen Verspannungen war nichts zu spüren. Vielleicht hatte er dieses Problem endlich besiegt und hinter sich gelassen, so wie ihm auch das Sprechen mit anderen immer leichter fiel. Ich dachte daran, dass das vielleicht mein Verdienst war, und das machte mein Herz ganz warm.
Und als ich mich dann langsam in ihn schob, die süße Hitze seines Innern genoss und mich zu bewegen begann, sah er mich dabei an, legte seine Arme um meinen Nacken und flüsterte mit seiner leisen, weichen Stimme: „Ich lieb dich, Tsu, so, so, so sehr …! Hör bitte … niemals damit auf!“
„Kann ich gar nicht, aufhören“, antwortete ich und lächelte leicht. „Ich bin doch süchtig nach dir, schon immer …!“
Etwas daran schien ihn anzurühren, er hatte auf einmal Tränchen in den Augen, zog mich, so nah es ging, an sich, und küsste mich mit zitternden Lippen.
„Alles okay?“, fragte ich sofort.
„Ja, alles gut“, antwortete er und versuchte, die Tränen wegzublinzeln. „Es macht mich nur … so furchtbar glücklich, dieses ‚schon immer‘ …“
„Es ist einfach so“, sagte ich, mein Körper hielt dabei ganz still. „Seit du da bist, schon als wir nur Freunde waren, machst du das, immer schon, dass ich einfach nicht mehr ohne dich kann.“
„Du bist verrückt, Tsuzuku …“
„Und du erst!“ Ich dachte daran, dass ich das am Anfang oft zu ihm gesagt hatte. Dass ich ihn für einen kleinen Verrückten hielt, weil er so lieb zu mir gewesen war, ohne mich zu kennen. Und nun, wo er alles von mir kannte, meine ganze Last und meinen Schmerz und meine Fehler, war er immer noch so unnachgiebig bei mir!
„Und jetzt … nimm mich bitte“, sprach er, und seine Hand in meinem Nacken fand diesen Punkt dort, dessen Berührung mich aufseufzen ließ und mich dazu brachte, mich wieder zu bewegen, zuerst langsam, dann schneller, fordernder, in meinem Gefühl dieses Momentes so selbstsicher und glücklich, machte es so, wie Meto immer sagte, dass er meine Selbstsicherheit beim Sex so sehr liebte. Er legte seine Beine um meinen Rücken, klammerte sich an mich und schien ganz darin aufzugehen, in meinen Stößen in sein Inneres und auch dem Klang meiner Stimme, als ich meine Lust an seinem Körper laut herausschrie.
Und als ich mich laut und haltlos in ihn ergoss, spürte ich im selben Moment, wie er ebenso kam, seinen Samen an meinem Bauch …
Danach lag er in meinen Armen, glücklich, lachte fast.
„Das war gut, Tsu“, sagte er und küsste mich. „So gut!“
„Besser als sonst?“, fragte ich.
„Sonst ist auch immer sehr gut“, antwortete er. „Aber das eben war … seelischer irgendwie. Also, mit dir zu sprechen, während du mich nimmst … und zu hören, was du dabei denkst und fühlst …“
„Soul-Sex“, fasste ich seine Beschreibung zusammen.
„Genau.“ Er lächelte, küsste mich wieder. „Ich mag das sehr. Es passt zu uns, finde ich.“
„Finde ich auch …“, antwortete ich, meine Stimme klang schon ganz müde.
Meto sah mich an, hob die Hand und streichelte meinen Hals. „Und jetzt schlaf schön, Tsuzuku.“
Ein paar Tage später nahm ich mir einen freien Tag, um meine Eltern mal wieder zu besuchen. Ich war ja eine Weile lang nicht dort gewesen und wollte Mama mal wieder sehen.
Tsuzuku musste an diesem Tag arbeiten, er sagte, dass er am Vormittag einen wichtigen Kunden hatte, den zu tätowieren wohl mit speziellen Komplikationen verbunden war. Ich hatte ihn gefragt, was genau an dem Kunden so kompliziert war, und Tsu hatte geantwortet, dass dieser Kunde möglicherweise an Borderline litt, sich ihm anvertraut hatte, und jetzt lag es meinem Freund verständlicherweise am Herzen, ihn zu beraten.
Also fuhr ich alleine in unsere Heimatstadt, und weil ich auf dem Weg zu meinem Elternhaus am Friedhof vorbei kam, machte ich dort einen Besuch am Grab von Tsuzukus Mama. Ich stellte die Blumenvase wieder auf, die der Wind umgeweht hatte, und leerte das Regenwasser aus der Opferschale, brachte alles in Ordnung.
„Hallo, Misayo“, sagte ich dann. „Ich bin heute mal allein hier, Tsuzuku arbeitet.“
Da ich sie ja nie gekannt hatte und auch immer noch nicht wusste, wie sie ausgesehen hatte, konnte ich sie mir auch nicht so vorstellen, wie Tsuzuku das durch seine Erinnerungen an sie konnte. Aber ich versuchte es, mir eine Frau von etwa Vierzig vorzustellen, die ihm ein wenig ähnlich sah.
„Misayo, ich weiß nicht, hat Tsuzuku dir schon erzählt, dass er und ich heiraten werden? Er hat mir einen Antrag gemacht und ich hab Ja gesagt. Ich hoffe, das ist okay für dich. Wäre ihm, und auch mir, sehr wichtig, wenn du uns irgendwie … deinen Segen dafür gibst …“
Da ich nicht wusste, was Misayo wirklich für ein Mensch gewesen war, und sie ja nun niemals mehr eine Antwort geben konnte, musste ich dann gehen, ohne zu wissen, ob wir ihn nun hatten, ihren Segen. Aber irgendwie glaubte ich, dass sie mit unseren Hochzeitsplänen einverstanden sein würde, wenn sie noch gelebt hätte.
Auf dem Weg zu meinem Elternhaus fühlte ich mich seltsam, irgendwie auf einmal ganz müde und erschöpft. Fast ein bisschen so, als hätte mich etwas über lange Zeit sehr viel Kraft gekostet, und ich bemerkte jetzt erst, dass es mich ausgelaugt hatte. Vielleicht brauchte ich mal einen längeren Urlaub?
Mich beschlich eine dunkle Ahnung, was der Grund für meine Erschöpfung sein könnte, doch der Gedanke daran machte mir solche Angst, dass ich ihn weit von mir schob. Nein, das durfte einfach nicht sein!
An der Tür meines Elternhauses musste ich klingeln, meinen Schlüssel hatte ich nicht mehr, und ich war überrascht, als mir Papa die Tür öffnete. Es war ungewöhnlich, dass er an einem Vormittag mitten in der Woche zu Hause war.
„Hallo … Papa“, sagte ich und zog meine Schuhe aus.
„Guten Morgen, Yuu.“ Papa war höflich und förmlich, wie immer. Nur, dass er statt meines vollen Vornamens Yuuhei jetzt die Kurzform benutzte, mit der mich auch Mama immer ansprach.
„Ist … Mum … auch … da?“, fragte ich, und fand es nach all der vielen Zeit mit Tsu und Koichi, wo ich ja völlig normal sprach, doch recht seltsam, dass ich jetzt wieder in dieses Stocken verfiel.
Papa brauchte nicht antworten, denn da kam Mama schon aus der Küche.
„Yuu! Schön, dich zu sehen!“ Sie umarmte mich. „Wie geht’s dir?“
„Ganz okay … bin nur … etwas müde …“
„Ich hab gerade frischen Kaffee gemacht, möchtest du einen?“
„Ja“, sagte ich, und atmete tief durch, als ich meinen Eltern in die Küche folgte.
Auf dem Küchentisch lagen eine Menge Papiere, und ich vermutete, dass sie Papa gehörten. Manchmal bat er Mama, wenn ein Fall auch ihr Fachgebiet mit betraf, einen Blick darauf zu werfen, dann brachte er die Unterlagen mit nach Hause. Vermutlich war er deshalb gerade da.
Gut für mich, so hatte ich meine Eltern beide beisammen, um ihnen von Tsuzukus und meinen Hochzeitsplänen zu erzählen. Ein bisschen hatte ich ein schlechtes Gewissen, dass wir schon alles vorbereitet hatten und aber meine Eltern noch nichts davon wussten. Insbesondere bei Papa war ich mir nicht ganz sicher, was er dazu sagen würde.
„Mama? Papa?“, begann ich, als ich meinen Kaffee auf hatte und die beiden auf der anderen Seite des Tisches gemeinsam wieder in die Unterlagen schauten. „Ich muss mit euch … über was reden …“
„Was denn, Yuu? Was liegt dir auf der Seele?“, fragte Mama und klappte die Mappe, die sie gerade gelesen hatte, zu. Sie setzte sich neben mich und sah mich aufmerksam an.
„Also … na ja, dass das mit Tsuzuku und mir etwas sehr Ernstes, Festes ist, wisst ihr ja. Er braucht mich sehr und ist immer noch total verliebt in mich, und ich in ihn.“ Ich war ein bisschen stolz auf mich, als ich selbst bemerkte, dass ich kaum noch stockte und alles richtig herauskam. „Und er hat mir einen Heiratsantrag gemacht, schon vor einer Weile …“ Ich drehte etwas aufgeregt an dem silbernen Verlobungsring an meinem Finger herum und sah, dass Mama ihn bemerkt hatte. „Ich hab Ja gesagt. Ich will ihn nämlich auch heiraten.“
Mamas Reaktion war einfach toll. Genauso, wie man es sich wünschte.
„Yuu, Spatz, das ist ja wundervoll! Ich hab das gleich gesehen, Genki ist dein Mann fürs Leben, stimmt’s?“ Sie stand auf und umarmte mich.
Papas Reaktion war verhaltener. „Ihr wisst aber, dass ihr das nicht offiziell machen könnt? Laut Gesetz ist die Ehe nun mal nur für Mann und Frau bestimmt …“
„Das wissen wir“, antwortete ich. „Wir heiraten nur buddhistisch, in Kyoto gibt es einen Tempel, wo sie das machen.“
„Und? Habt ihr schon alles vorbereitet?“, fragte Mama.
„Ich hab schon ein Kleid, und Tsu einen Anzug. Und ein Hotel in Kyoto haben wir auch schon gefunden.“
„Und wie sieht das Kleid aus?“ Mama war ganz begeistert.
„Weiß“, sagte ich. „Ich hab es in Kyoto bei Angelic Pretty gekauft.“
Mama strahlte mich an, hatte sogar Tränen in den Augen. „Mein kleiner Junge … Erst findet er ganz heimlich seinen Mann fürs Leben, dann heiratet er ihn, und auch noch ganz in Weiß … Du bist so schnell erwachsen geworden …“
Ich sah sie nur an, wusste nicht recht, was ich dazu sagen sollte, dass sie so gerührt war.
„Wir sind aber auf jeden Fall zu deiner Hochzeit eingeladen, oder?“, fragte Mama dann.
„Das lassen wir uns nämlich nicht entgehen.“ Jetzt lächelte Papa auch. „Auch, wenn du niemals den geraden Weg gehst, Yuu, wir sind trotzdem sehr stolz auf dich. Als Eltern wünscht man sich natürlich, dass das eigene Kind erfolgreich ist, aber wir haben dich ja außerdem dazu erzogen, dass du selbst deinen Weg gehst und dir da auch von uns nicht reinreden lässt. Und das machst du sehr, sehr gut.“
„Klar seid ihr eingeladen!“ Jetzt hatte ich, von Papas Worten, auch Tränen in den Augen.
Ich hatte schon echt tolle Eltern. Allein, wenn ich mir ansah, dass Mama immer noch als Anwältin arbeitete und damit erfolgreich war … Sie hatte wieder zu arbeiten angefangen, als ich in der Mittelschule war, und das war schon ungewöhnlich in unserem Land, dass sie als Mutter einfach in ihren studierten, anspruchsvollen Beruf wieder eingestiegen war. Ich fand nicht, dass sie mich vernachlässigt hatte, sondern war stolz auf sie. Und jetzt sagte Papa, dass er und Mama ebenso stolz auf mich waren, weil ich mich in dem, was ich wollte und tat, auch nicht beirren ließ.
„Und wann ist der Termin?“, fragte Mama.
„Wir haben mehrere zur Auswahl und uns noch nicht entschieden. Aber es wird bald sein“, sagte ich und merkte, dass ich jetzt wirklich nicht mehr stotterte.
Und Mama bemerkte es auch. „Yuu! Merkst du, dass du ganz normal redest?“
„Ja … fällt mir selbst gerade auf …“
„Wie kommt das denn?“
„Ich weiß nicht … Seit ich mit Tsu zusammen wohne, fällt mir das Sprechen viel leichter. Vielleicht, weil ich mit ihm ja schon immer gut reden kann.“
„Du hast dich so sehr entwickelt, seit du mit ihm zusammen bist, das ist so schön.“
Ich dachte daran, dass Tsuzuku mich eben auch ganz schön forderte. Dass ich durch ihn, seine Art und auch zum Teil eben seine Krankheit, vieles lernen musste, um ihn gut zu unterstützen. Aber das sagte ich nicht. Ich wollte jetzt nicht von seiner Krankheit reden.
„Sollen wir den anderen Bescheid geben, dass du heiratest? Also, Oma und Opa, und so weiter? Oder willst du das selbst machen?“, fragte Mama.
„Wir wollen nur im ganz kleinen Kreis feiern. Nur ihr beide und Koichi und noch ein paar andere Freunde. Keine große Party …“, antwortete ich. „Wisst ihr … na ja, Tsuzuku würde sich unwohl fühlen, wenn meine ganze Familie angereist kommt, er hat da ein bisschen … Berührungsängste … versteht ihr? Er kennt so vornehme Gesellschaft nicht … Und ich will, dass unsere Hochzeit auch für ihn ein ganz und gar wunderbarer Tag wird, an dem er sich nicht minderwertig oder traurig fühlt.“
„Ja, das verstehen wir natürlich …“, sagte Mama.
„Du kannst Oma und Opa sagen, dass ich heirate und wen, und dass ich sie auch dabei haben würde, wenn wir nicht beschlossen hätten, nur im kleinen Kreis zu feiern“, erklärte ich. „Sie kennen Tsu ja nicht, sie wissen nicht, wie empfindlich er manchmal ist …“
Ich blieb bis zum Mittag bei meinen Eltern. Sie waren ziemlich beschäftigt, es schien sich tatsächlich um einen schwierigen Mandanten-Fall zu handeln, bei dem Papa Mamas Hilfe brauchte. Sie war auf einem anderen Gebiet spezialisiert als er und hatte auch eine andere Sicht auf die Dinge als er, das wusste er genau und bat sie deshalb, sich den Fall mit anzuschauen.
Während meine Eltern zwischen Küche und Büro hin und her liefen, oder in der Küche saßen und diesen Fall besprachen, saß ich dann im Wohnzimmer vor dem Fernseher und sah mir das an, was dort gerade lief.
Ein amerikanischer Naturfilm, der gerade fast vorbei war, eine Sportsendung mit Rückblicken auf ein Fußballspiel Japan gegen Senegal, und schließlich erwischte ich den Anfang eines romantischen Films aus Europa, der Koichi sicher sehr gefallen hätte.
Die Geschichte schien aber einigermaßen dramatisch zu sein, und irgendwie sah ich auch bald Parallelen zu Tsuzuku und mir, wenn die Frau im Film ihren Mann verzweifelt bat, sie niemals zu verlassen …
Ich drückte die „Beschreibungstext“-Taste auf der Fernbedienung, das war eine moderne Funktion unseres Fernsehers, die einem so etwas wie einen Klappentext zu jedem Film bereitstellte. Ich wollte den Titel des Films wissen, und tatsächlich hieß der Film in seiner französischen Originalfassung „Frontier du Sentiments“, was der japanische Titel mit „An der Grenze der Gefühle“ übersetzte. Und die Beschreibung klang auch danach: Eine Frau, die viele Beziehungen hatte, ehe sie den Mann kennen lernte, mit dem es einerseits so schön und einfacher war, aber zugleich spielten ihre Gefühle manchmal völlig verrückt und sie bekam wahnsinnige Angst …
„Es ist schon seltsam …“, dachte ich, „… wie oft es das doch gibt. Ich hab Tsuzuku, Tsuzuku kennt Hitomi, und heute hat er einen Kunden im Studio, der auch so leidet. Es sind doch ganz schön viele, die so was haben … so was wie Borderline …“
Es erschien mir ein bisschen wie eine Welt unter der Oberfläche, in der ich selbst mit meinem Anderssein auch lebte, während unser Heimatland Japan sich dem Rest der Welt ja gerne ebenmäßig, geordnet und stets lächelnd präsentierte.
Ich stellte den Film irgendwann aus, die Geschichte wurde mir zu traurig. Und wieder hatte ich dieses seltsame Gefühl von Kraftlosigkeit, als ob ich die letzte Nacht sehr schlecht geschlafen und außerdem in letzter Zeit zu viel gearbeitet hätte. Das hatte ich beides nicht, und wenn ich an die Arbeit selbst dachte, fühlte ich auch keine Ermüdung oder Unlust.
Doch … und das machte mir wirklich Angst, es fühlte sich so an, als ob ich mal alleine verreisen wollte. Ohne Tsuzuku. Ich musste an seine Angst denken, davor, dass er mir zu viel wurde, und fühlte mich augenblicklich furchtbar, weil ich so dachte, als ob ich eine Ruhepause ohne ihn brauchte.
Ich aß noch bei meinen Eltern zu Mittag und machte mich dann wieder auf den Heimweg. Durch die Stadt, am Park vorbei, wo gerade aber fast niemand war, zum Bahnhof, wo ich auf den Zug nach Hause wartete. Nach Hause … ja, so fühlte es sich jetzt auch an. Die große Stadt war jetzt meine Heimat, ich kam nur noch hier her, um meine Eltern oder Freunde zu besuchen.
Ich wusste nicht, ob MiA überhaupt noch hier wohnte oder vielleicht weggezogen war, aber das ging mich ja auch nichts mehr an.
MiA? Warum dachte ich jetzt wieder an ihn? Erst dieses Gefühl, als ob ich eine Pause von Tsuzuku brauchte, und dann ein Gedanke an MiA … Es hatte etwas Bedrohliches an sich.
Doch im Zug nach Hause, als ich mit Cage von Dir en grey auf den Ohren da saß und aus dem Fenster schaute, wie die Landschaft vorbeizog und in der Ferne sogar das Meer glänzte, da verschwand dieses seltsame Gefühl wieder, tauchte irgendwohin ab und ich freute mich wieder darauf, nach Hause zu kommen, Tsuzuku zu sehen, ihn in meine Arme zu nehmen …
Als ich nach Hause in unsere Wohnung kam, war Tsuzuku auch wieder da. Er lag angezogen auf dem Bett und zuerst dachte ich, ihm ging es vielleicht nicht gut, aber als er mich hereinkommen hörte, setzte er sich auf und lächelte, und ich sah, ihm schien es gut zu gehen.
Ich setzte mich zu ihm, ließ mich dann auf den Rücken sinken, und er griff meine Hand, hielt sie fest. So lagen wir eine Weile einfach Hand in Hand da, blickten beide hoch an die Decke, und dann sagte ich: „Ich hab Mama und Papa gesagt, dass wir heiraten werden.“
„Und?“ Tsuzuku sah mich an. „Wie haben sie reagiert?“
„Mama war total begeistert. Und Papa hat gesagt, er ist stolz auf mich.“
„Stolz?“
„Ja. Er meinte, er findet es gut, dass wir beide unseren eigenen Weg gehen, so wegen der Gesellschaft und so …“
„Hätte ich gar nicht gedacht, dass er so was sagt“, sagte Tsu.
„Ich hatte auch ein bisschen Angst. Papa war früher manchmal ziemlich streng … Aber seit er und Mama so wissen, dass ich nun mal so bin, ist er voll okay damit.“
„Hast du die beiden jetzt eingeladen?“
„Klar. Aber auch nur sie, nicht den Rest meiner Familie. Ich hab gesagt, wir heiraten im kleinen Kreis, ohne zu viel Drumherum …“
Tsuzuku atmete erleichtert aus. „Das find ich gut. Ich hatte … ehrlich gesagt ein bisschen Angst … dass deine Großeltern und Verwandten und so weiter alle kommen und so …“
„Nein, ich hab jetzt wirklich ausdrücklich nur meine Eltern eingeladen. Und ich hab ihnen auch gesagt, dass du da Ängste hast und es keine große Party werden soll.“
Er lächelte mich an. „Meto, du bist ein Schatz.“
Wieder lagen wir eine Weile stumm da, ich spürte Tsuzukus große, warme Hand, die meine etwas kleinere hielt, und rückte ein wenig näher zu ihm.
„Weißt du, Meto, woran ich heute irgendwie gedacht habe?“, fragte er.
„Was denn?“
„Daran, wie wir zuerst uns nur gegenseitig einen runter geholt haben, nachdem ich dir gesagt habe, dass ich dich liebe. Du warst so verspannt und eng, dass ich nicht in dich eindringen konnte, und dennoch … hatte ich damals das Gefühl, den besten Sex meines Lebens zu haben.“
Ich musste ein wenig lachen, weil es so wirkte, als ob Tsu den halben Tag über Sex nachdachte.
„Meto, ich hab dieses Gefühl immer noch. Jedes Mal, wenn wir miteinander schlafen, ist das immer aufs Neue der beste Sex meines Lebens. Du weißt ja, ich hab früher, vor dir, schon viel Sex gehabt, und damals fand ich den auch schön, sonst hätte ich es wohl nicht so wild getrieben … Aber wenn ich so zurück schaue, dann war dieser viele Sex damals, mit den vielen wechselnden Mädchen und so, wirklich längst nicht so toll wie das jetzt mit dir.“
„Weil ich ein Mann bin?“, fragte ich leise.
„Vielleicht, manchmal denke ich das auch. Aber egal, warum es so ist, es ist definitiv so, dass dieser Sex mit dir so unglaublich viel erfüllender ist als alles davor. Erfüllender in … na ja, körperlicher, wörtlicher Hinsicht …“ er lachte kurz ob des kleinen Wortwitzes, „wenn du mich nimmst und mit deinem Samen füllst. Du kannst mit mir einfach Dinge tun, mir etwas geben, was Frauen nicht können, einfach weil du ein Mann bist. Aber ich glaube, das Wichtigste ist das Seelische. Diese verrückte, tiefe Verbundenheit zwischen uns, die von Anfang an einfach da ist, die ist so extrem, und es fühlt sich so an, als hätte die Tatsache, dass wir jetzt ein Paar sind und miteinander schlafen, das einfach nur noch mehr gesteigert. Manchmal denke ich wirklich, ich hab dich schon an unserem ersten Tag damals im Badehaus geliebt, als wir uns praktisch noch gar nicht kannten. Ich konnte das damals vielleicht nur nicht erkennen, ich war viel zu kaputt.“
Ich wandte mich Tsuzuku ganz zu, berührte seine Wange und küsste ihn. Diese tiefe, liebevolle, süße Art, wie er mir immer wieder sagte, dass er mich liebte und das mit uns das Wertvollste in seinem Leben war, rührte mich jedes Mal aufs Neue.
„Wie geht’s deinem Herzen?“, fragte ich dann.
„Ganz okay, tut nicht weh“, antwortete er.
„Was hat denn Dr. Ishida gestern gesagt?“
„Nicht viel, aber er hat mir Blut abgenommen und wollte dann anrufen, wenn das getestet ist.“
„Und schlecht war dir auch nicht, oder?“
Tsu schüttelte den Kopf. „Nein, mir geht’s gut. Ich hab sogar ein bisschen Hunger.“
„Soll ich uns was kochen?“, fragte ich.
Tsuzuku lächelte, als hätte er eine schöne Idee, dann küsste er mich und sagte: „Wie wär’s, wenn wir zusammen kochen?“
Das hatten wir schon länger nicht mehr gemacht, aber wir hatten dennoch genug Zutaten da, sodass wir nicht noch einkaufen gehen mussten. Tsu stellte das Radio in der Küche an, da lief gerade uralter, amerikanischer Rock aus den 70er Jahren, und zu dieser Musik fingen wir an, uns ein einfaches, aber schönes Essen zu kochen. Ich hatte zwar bei meinen Eltern zu Mittag gegessen, aber Tsuzuku hatte wohl seit dem Frühstück nichts mehr gehabt, er schien ziemlich hungrig zu sein.
Wir hatten so viel Spaß beim Kochen, dass wir zuerst Tsu’s Handy nicht hörten, es klingelte ganz schön lange, ehe er ranging und kurz ins Wohnzimmer verschwand, während ich weiter Gemüse für unser Curry klein schnitt.
„Das war Dr. Ishida. Der Test hat nichts weiter ergeben, ich bin körperlich gesund“, sagte Tsu, als er wieder kam. „Die gehen da jetzt erst mal davon aus, dass meine Schmerzen und das Erbrechen psychische Ursachen haben.“
„Also musst du noch mal mit Dr. Niimura darüber reden, oder?“
„Werde ich auch tun.“
„Wann siehst du den wieder?“
„Morgen Nachmittag.“
Das Gemüse mit Currypulver anzubraten und dann in Sahne zu kochen, übernahm ich dann größtenteils alleine, während Tsuzuku sich darum kümmerte, die benutzten Kochutensilien abzuwaschen.
Und später beim Essen aß er dann mehr als ich, weil ich ja schon Mittag gehabt hatte und er wirklich hungrig war. Ich passte schon ein wenig auf, dass er sich nicht zu viel nahm, aber er wirkte so glücklich und gut drauf, dass ich mir keine allzu großen Sorgen machte.
Nach dem Essen fragte Tsuzuku einfach so: „Wollen wir mal wieder zusammen ausgehen? In ‘nen Club, ein bisschen tanzen?“
Ich wusste nicht, wie er da jetzt drauf kam, aber die Idee hörte sich gut an. Wir waren jetzt länger nicht mehr zum Tanzen ausgegangen, und ich bekam gleich Lust darauf.
„Mit vorher Schminken und alles?“, fragte ich.
„Wie du möchtest.“ Tsu legte seinen Arm um mich und gab mir einen Kuss. „Wir können ja mal nen Gayclub ausprobieren, wo du auch ohne ein süßes Kleidchen mit mir hingehen und tanzen kannst.“
„Kennst du denn einen?“
„Ich hab mal im Internet gesucht, und da hab ich einen kleinen Club entdeckt, der scheint ziemlich schön zu sein …“ Tsuzuku holte sein Handy aus der Hosentasche und suchte darin eine Internetseite heraus, die er mir dann zeigte. „Schau mal, das sieht doch echt gemütlich aus. Und irgendwo auf der Homepage steht auch, dass queere Paare dort sehr willkommen sind.“
Er hatte Recht, der Club schien den Fotos nach wirklich sehr schön zu sein. Zwar eher klein und wahrscheinlich ganz versteckt gelegen, aber die Einrichtung wirkte gemütlich, die Bar war nicht zu groß, und die Tanzfläche sah einladend aus.
Wir beschlossen dann tatsächlich, uns dieses Mal nicht besonders schick zu machen oder so, sondern so hinzugehen, wie wir waren, in normal schönen Klamotten und ohne viel Make-up. Wenn das echt so ein richtiger Gayclub war, wo wir uns nicht verstecken mussten, dann wollten wir das auch nicht tun.
Und ich hatte in letzter Zeit, weil ich ja zur Arbeit immer Kleid und Perücke trug, auch keine große Lust, in meiner Freizeit noch mal als ‚Mädchen‘ herumzulaufen. Meine männliche, schwule Seite wollte auch gelebt und gezeigt werden.
Also gingen wir an diesem Abend noch mal raus, um jetzt endlich in die queere Szene der Stadt tiefer einzutauchen. In unserer Heimatstadt hatte ich keine explizit ausgewiesenen, queeren Clubs gekannt, nur diesen bunt gemischten Club, in dem ich MiA damals kennen gelernt hatte …
„Ich war noch nie in ‘nem richtigen Schwulenclub“, sagte Tsu, als wir in der Bahn saßen. „Hoffentlich ist das nicht so einer, wo dich jemand Fremdes einfach angräbt …“
„Ich glaube nicht“, entgegnete ich. „Und selbst wenn, ich lass mich nicht einfach angraben.“ Ich sah Tsu an, er schien wieder seine Angst zu haben, und ich legte meine Hand auf sein Bein. „Du brauchst keine Angst haben, ich hab nur Augen für dich, mein Schatz.“
Der Club befand sich in der Gegend, die hinter dem Love Paradise die Straße runter lag, und wo es auch einen Laden mit Büchern zu queeren Themen im Schaufenster gab. Wir mussten eine ganze Weile suchen, bis wir die schmale, abseitig gelegene Tür fanden, die in den Club hinein führte, der in echt genauso gemütlich aussah wie auf den Fotos.
Tatsächlich entdeckten wir, dass sich der Laden mit den Büchern (wo Tsuzuku, wie er sagte, vor einiger Zeit schon einmal ein Buch gekauft hatte) direkt neben dem Clubraum befand, die beiden Räume schienen auch irgendwie zusammen zu gehören, zumindest gab es eine durchsichtige Verbindungstür.
Wir bestellten uns beide etwas zu trinken, ich hatte keine große Lust auf Alkohol und blieb bei einem Saftcocktail, während Tsuzuku sich einen Longdrink bestellte. Während wir darauf warteten, sahen wir uns ein wenig um, der Club war wirklich recht klein, bestand nur aus drei Sitzecken, der Bar und der Tanzfläche. Das Ambiente wirkte gemütlich und alles sah ein wenig nach ‚Geheimtipp‘ aus, die roten Plüschsessel waren bequem und die Musik eher ruhig.
Wir setzten uns in eine schöne Ecke, der Barkeeper brachte die Drinks und langsam kamen mehr Leute in den Club, ich erkannte zwei ganz verschiedene Männerpärchen, dann eine einzelne Frau, und noch zwei ganz junge Frauen, die offensichtlich ein Paar waren.
Die Musik wechselte, es wurde ein Lied mit etwas mehr Rhythmus gespielt, und ich vermutete, dass irgendwo im Dunklen ein DJ saß, der jetzt, wo mehr Leute hier waren, Musik auflegte, die zum Tanzen einlud.
Tsuzuku trank den Rest seines Drinks in einem letzten Zug leer, stellte sein Glas ab, stand auf und hielt mir ganz galant seine Hand hin. „Darf ich um diesen Tanz bitten, mein Liebster?“
„Sehr gerne“, lächelte ich und stand auf, ließ mich von ihm zur Tanzfläche führen.
Als wir die Tanzfläche betraten, kamen ziemlich bald andere Paare dazu, und ich bemerkte zwei junge Männer, die von ihrem Styling her uns beiden ähnelten, als zählten sie sich auch zum Visual Kei. Die beiden wirkten wie frisch verliebt, küssten sich immer wieder, schienen die freie, offen homosexuelle Atmosphäre in diesem Club vollauf zu genießen.
Mich animierte das dazu, dass ich, als das gerade laufende Lied eine etwas ruhigere Melodiestelle hatte, meine Arme um Tsuzukus Nacken legte und ihn liebevoll und innig küsste, dabei spürend, wie frei wir hier waren, niemand störte sich daran, dass ich als Mann meinen geliebten Mann küsste.
Tsuzuku erwiderte den Kuss nicht weniger zärtlich, drückte mich einmal fest an sich, ehe die Musik wieder schneller wurde und er meine Hand ergriff und mich ziemlich gekonnt herumwirbelte. Ich sah und hörte ihn lachen, spürte seine Kraft und Energie, und wie glücklich er gerade war, und das machte mein Herz wieder einmal ganz warm.
Nach dem ersten Lied waren wir beide erst mal ein bisschen geschafft, setzten uns wieder in die Sitzecke und ich trank meinen Saft aus.
Tsuzuku bestellte sich einen zweiten Drink, nahm dieses Mal jedoch einen ohne Alkohol, und dass er dazu zu mir sagte „Ich will ja den Abend mit dir genießen und mich nicht betrinken“, das freute mich doch sehr. Ich war tatsächlich immer froh, wenn er weniger Alkohol trank, da ich ihn früher so oft betrunken und dabei so todtraurig erlebt hatte …
Wir machten ein Lied lang Pause, dann gingen wir noch mal auf die Tanzfläche, dieses Mal lief so ein langsames Stück aus viel Klaviermusik, zu dem man schön Schmusetanzen konnte, und das nutzten wir. Nur dass Tsuzuku sich dieses Mal von mir umarmen ließ, sich an mich schmiegte und in mein Ohr flüsterte: „Führ du mich mal, mein Liebster.“
Ich hielt ihn also in meinen Armen, wir wiegten uns mehr zur Musik, als wirklich zu tanzen, und er legte seinen Kopf auf meiner Schulter ab, ich hörte ihn nah an meinem Ohr leise das Lied mitsummen. Das klang beinahe ein wenig wie das tiefe, wohlige Schnurren einer Katze, und ich ließ meine Hände seinen Rücken hinauf wandern, um sanft seinen Nacken zu kraulen. Tsuzuku erwiderte das, indem er kleine Küsschen auf meinen Hals hauchte und mir ein leises „Ich liebe dich, Meto“ zuflüsterte, das so weich und lieb und hingegeben klang, dass mein Herz wilder klopfte.
Ich genoss es so sehr, hier zu sein, in diesem besonderen Club, wo ich überhaupt keine Angst haben musste. Und tatsächlich, auch wenn ich meine mädchenhafte Seite sonst sehr gern mochte, genoss ich es ebenso, einfach mal als offen erkennbar männliches Wesen mit meinem geliebten Mann zu tanzen, an einem Ort, an dem wir beide uns auf gewisse Weise zu Hause fühlen konnten.
Ich sah über Tsuzukus Schulter hin zu dem jungen Frauenpärchen, die mir vorhin schon aufgefallen waren, die beiden hatten sich ebenso wie wir eng umarmt und sahen so vertraut und glücklich aus, dass ich mich richtig für sie freute.
Ich dachte ein wenig nach, darüber, wie bewusst ich mir gerade meiner eigenen Homosexualität war, und wie sehr ich das auch mochte, so zu sein. Lange Zeit hatte es mir Angst gemacht, hatte dafür gesorgt, dass ich mich als Außenseiter empfand, nicht richtig sprechen und kaum Beziehungen eingehen konnte. Doch in diesem Moment war ich stolz und selbstbewusst darauf, schwul zu sein, eben auch weil ich den wunderbarsten Bald-Ehemann bei mir hatte, den ich mir nur vorstellen konnte.
Und auch, wenn ich ja längst um Tsuzukus Vorleben und Vergangenheit wusste, das schien rein gar nichts mehr mit dem Mann zu tun zu haben, der er jetzt war. Der Tsuzuku, der sich hier verliebt in meinen Armen zur Musik wiegte und mir immer wieder so zärtliche Küsschen gab, der mich so vollkommen und so abhängig liebte, für den ich Sonne und Mittelpunkt seiner Welt war … da war nichts mehr zu erkennen von einem, der sich in Beziehungen zu mehreren Frauen, wie er sagte, wie ein Vollidiot aufgeführt hatte. Ich glaubte daran, dass Menschen sich ändern konnten, denn das beste Beispiel dafür hielt ich hier in meinen Armen.
Dass er selbst nicht sicher war, ob er nun bisexuell, schwul oder irgendwas dazwischen war, störte mich nicht. Ich wusste, dass er mich liebte und begehrte, und dass er keine Augen mehr für andere mögliche Partner hatte. Er wollte mir absolut treu sein, und dafür war ich ihm dankbar.
„Ich liebe dich, Tsuzuku“, flüsterte ich ihm zu, „So sehr, zehnmal bis zum Mond und wieder zurück.“
„Nicht elfmal?“, fragte er.
„Wenn du willst, auch elfmal oder hundertmal“, antwortete ich und küsste ihn.
Er lächelte mich strahlend an. „Ich lieb dich tausendmal!“
Als die Musik wieder wechselte und noch mal etwas Schnelleres gespielt wurde, gingen wir dann wieder, machten uns auf den Heimweg.
Und auf dem Weg hielt Tsuzuku die ganze Zeit meine Hand. Ich war glücklich, schmuste mich sogar im Gehen ein wenig an seinen Arm, und er sah mich an und küsste mich.
Zu Hause angekommen, gingen wir dann aber bald schlafen. Tsuzuku sagte, dass er jetzt doch ziemlich müde wäre, und so hatten wir an diesem Abend auch keinen Sex. Wir legten uns nur einfach zusammen hin, er hinter mir, sein Arm auf meiner Seite.
Doch während Tsu dann wirklich bald eingeschlafen war, lag ich noch eine ganze Weile wach.
Ich spürte wieder diese merkwürdige Erschöpfung, dieses Gefühl, als ob mir alles irgendwie auf einmal zu viel wurde. Und wieder machte es mir Angst, weil etwas in mir ahnte, dass es die Beziehung mit Tsuzuku war, die für mich immer anstrengender und erschöpfender wurde. Das machte mich ziemlich fertig, denn ich wollte ihm niemals, auf gar keinen Fall, das Gefühl geben, dass er mir zur Last fiel.
Ich musste auf einmal an solche Leute denken, die anderen in komplizierten Beziehungen gern rieten, sich doch einfach von dem schwierigen Partner zu trennen. Dieses Wort ‚trennen‘ tat mir furchtbar weh, weil ich genau wusste, dass Tsuzuku eine Trennung von mir nicht überstehen würde.
Und außerdem: Ich spürte, dass ich ihn ebenso brauchte, wie er mich. Ich dachte an die Zeit am Anfang unserer Freundschaft früher, an das, was mich dazu bewogen hatte, mich so um Tsuzuku zu sorgen und für ihn da zu sein. Wenn er nicht gewesen wäre, vielleicht hätte mich dann meine damals latent vorhandene Depression und Einsamkeit ganz gekriegt, ich hätte mich für lange Zeit in meinem Zimmer eingeschlossen …
Ich brauchte Tsuzuku. Ich war ebenso abhängig von ihm, wie er von mir. Auch wenn ich, im Unterschied zu ihm, nicht diese große Verlassenheitsangst fühlte, so brauchte ich ihn dennoch sehr und die Vorstellung, ich könnte mit ihm überfordert sein, löste in mir eine ähnlich starke Angst aus.
Als ich die Tränen in meinen Augen spürte, und wie das Weinen in mir hochstieg, löste ich mich vorsichtig von seinem schlafenden Körper, schob seinen Arm weg von mir und brachte Abstand zwischen uns, einfach weil ich nicht wollte, dass er aufwachte und mich weinen sah.
Ich rückte von Tsuzuku weg, griff mir meine kleine Ruana und drückte sie fest an mich, vergrub mein Gesicht im Kopfkissen und weinte mich in den Schlaf.
Etwas stimmte nicht, als ich an diesem Tag aufwachte und die Augen öffnete. Mir war ein wenig kalt, und ich wunderte mich, wo Meto war, erinnerte ich mich doch, dass er, als ich am Abend eingeschlafen war, in meinen Armen gelegen hatte.
Langsam drehte ich mich auf den Rücken und hörte dann auch das Wasser in der Dusche rauschen. Anscheinend war Meto vor mir wach geworden, schon aufgestanden, und duschte jetzt.
Ich sah zu seiner Hälfte unseres Bettes und dort lag Ruana mitten auf dem Laken, so als hatte Meto sie nachts im Arm gehabt. Die Vorstellung dessen ließ mich lächeln, denn ich fand es immer noch himmlisch süß, dass mein Liebster trotz seiner erwachsenen zwanzig Jahre noch so eine Bindung zu seinem geliebten Teddymädchen hatte. Ich streckte die Hand aus und berührte die Kleine, streichelte ihr braunes, weiches Fell und dachte glücklich: „Wir brauchen auch gar keine Familie zu gründen, wir sind schon eine. Meto und ich, und Ruana ist wie unser Kind.“
Ich stand langsam auf und ging über den Flur ins Bad hinüber, wo immer noch das Wasser rauschte.
„Guten Morgen, mein Liebster“, begrüßte ich Meto und streckte mich dabei ausgiebig.
„Morgen, Tsu“, antwortete er und ich hörte gleich, er klang müde.
„Hast du nicht gut geschlafen?“, fragte ich daher.
Meto stellte das Wasser aus, nahm sich ein Handtuch und kam aus der Dusche, und ich sah, dass er dunkle Schatten unter den Augen hatte, die beinahe so aussahen, als hätte er die halbe Nacht geweint.
War irgendwas passiert? Etwas, das ich nicht mitbekommen hatte? Gestern Abend war doch alles gut gewesen, wir waren ausgegangen zum Tanzen, hatten einen wunderbaren Abend gehabt!
Ich sah ihn an, wusste nicht, ob ich nachfragen sollte oder nicht, und tat es dann doch: „Du siehst müde aus, Meto … Ist alles okay?“
„Ja, geht schon“, antwortete er, sah mich dabei aber nicht an, sondern begann einfach, sich abzutrocknen. „Ich hab nur schlecht geschlafen.“
Ich machte einen Schritt auf ihn zu und umarmte ihn, doch irgendwie schien ihn das kaum zu erreichen. Er ließ es zu, wirkte aber so seltsam teilnahmslos … Offenbar ging es ihm nicht gut, aber dass ich nicht wusste, was der Grund war, machte mich innerlich fast wahnsinnig. So sehr, dass ich mich dann nicht mehr traute, weiter nachzufragen … Denn was, wenn ihn irgendwas so verletzt hatte, dass es unsere Beziehung gefährden könnte?
Also ging es an diesem Morgen irgendwie mit der täglichen Routine weiter. Wir sprachen kaum miteinander und ich versuchte mein Möglichstes, ruhig zu bleiben, nicht zu weinen oder auszurasten, auch wenn ich innerlich verrückt wurde vor Angst.
Während ich schnell duschte, machte Meto in der Küche unser Frühstück, doch das fiel heute recht klein aus, er schien auch, genau wie ich sonst, keinen Appetit zu haben. Er aß dennoch ein bisschen was, ich jedoch gar nichts.
Ich rauchte stattdessen zwei Zigaretten hintereinander weg und hoffte, dass er nichts dazu sagte. Als ich die dritte auspackte und anzünden wollte, zerschlug sich diese Hoffnung.
„Tsu, komm, lass das, zwei auf einmal sind doch genug.“
„Kann dir doch egal sein“, entkam es mir, und ich bereute meinen Tonfall sofort. Meto ging es nicht gut und ich wurde patzig, wie gemein von mir!
„Ist mir aber nicht egal. Deine Ärzte sagen alle, du musst weniger rauchen, dein Herz macht das nicht mehr lange so mit!“
„Ich bin fünfundzwanzig, was soll denn da passieren?“
„Dass du so krank wirst wie deine Mutter?“
„Dann wäre das längst ausgebrochen“, sagte ich. „Und Ishida hat mich doch gerade untersucht, da ist nichts!“
Meto stand auf, kam zu mir und nahm mein Gesicht in seine Hände. „Ich mach mir doch nur Sorgen um dich, mein Herz“, sprach er. „Bitte, versuch doch, ein bisschen weniger zu rauchen …“
Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen, antwortete aber: „Anders kriege ich mich nicht ruhig, das weißt du …“
Metos Hände strichen meine Arme hinab, bis zu meinen Händen, wo ich immer noch die Zigarette und das Feuerzeug hielt. Sanft nahm er mir beides ab, steckte die noch neue Zigarette wieder in die Packung und legte das Feuerzeug daneben.
„Tsuzuku, es tut mir leid, dass wir heute wohl beide nicht gut drauf sind …“, sagte er dann und blieb dabei bei mir. „Ich hab einfach mies geschlafen, hatte Albträume und musste davon weinen …“
„Und warum hast du mich nicht geweckt?“
„Damit du auch noch ‘ne furchtbare Nacht hast? Nein, ich krieg das schon alleine hin.“
Ich musste gestehen, da hatte er irgendwo Recht. Ich machte es ja genauso, wenn ich nachts traurig war, ich weckte ihn dann auch nicht. Wollte ihn nicht immerzu mit meinem Schmerz belasten, an dem er ja auch kaum etwas ändern konnte. Und meine Angst, dass er irgendwann ging, weil ich ihm zu viel wurde, hing da auch noch mit dran.
Wir gingen dann zusammen aus dem Haus, liefen wie immer zu Fuß bis zur Bahnstation, und dort angekommen verabschiedeten wir uns, Meto umarmte mich und flüsterte mir ein „Ich lieb dich, Tsu, pass heute bitte gut auf dich auf“ zu.
„Du auch …“, antwortete ich, und irgendwie stiegen mir dabei Tränen in die Augen. Ein bedrohliches Gefühl kam in mir hoch, als ob irgendwas gerade ganz und gar nicht gut war, aber ich konnte es nicht greifen, wusste nicht, was es war.
Den Vormittag verbrachte ich also im Studio bei der Arbeit, doch allzu viel zu tun hatte ich nicht. Koyama war ja gestern da gewesen, wir hatten noch mal über sein Tattoo gesprochen und waren zu dem Schluss gekommen, dass er es statt am Arm jetzt besser auf dem Rücken haben wollte. Das Motiv blieb dasselbe, nur hatte ich ihn eben davon überzeugt, dass er sich professionelle Hilfe suchte. Er hatte mir erzählt, dass er meinem Tipp gefolgt und Dr. Niimura angerufen hatte, und tatsächlich hatte er dort einen Termin bekommen, worüber er sehr froh schien. Ich hatte ihm dann gesagt, dass ich Dr. Niimura als sehr hilfreichen Arzt empfand, und das schien Koyama auch ein wenig die Angst vor einer Behandlung zu nehmen.
Am frühen Nachmittag hatte ich dann selbst meinen Termin bei Dr. Niimura. Saß ihm gegenüber in seinem Büro und antwortete auf die Fragen, die er mir stellte, um mich noch besser kennen zu lernen und herauszufinden, wo genau ich Hilfe brauchte.
Irgendwie waren wir natürlich schnell beim Thema ‚Meto und ich‘ gelandet und da auch sehr bald bei meinem Sexleben, was mir dann aber doch ein wenig schwer fiel, mit einem Psychiater zu besprechen. Doch es war bedeutend einfacher, dieses komplizierte Thema mit ihm als Mann durchzusprechen, als es mit einer weiblichen Ärztin gewesen wäre, und Dr. Niimura wirkte auch bei diesem Thema vollkommen ruhig, sachlich und mitfühlend zugleich, behandelte es wie jedes andere Thema auch, was mir ein Gefühl von Sicherheit gab. Er sagte kein Wort dazu, dass es unnormal sein könnte, dass ich als Mann mit einem Mann schlief, sondern tat so, als sei dieses Detail vollkommen normal und nicht weiter der Rede wert.
Er fragte auch nicht danach, was genau Meto und ich zusammen taten, sondern mehr danach, wie ich mich dabei fühlte, und welche emotionalen Wünsche und Sehnsüchte ich hatte.
Seltsamerweise fiel es mir ihm gegenüber nicht so leicht wie bei Koichi, diese Wünsche in Worte zu fassen, aber schließlich hatte der Arzt mir so viel entlockt, dass er mir zurückmelden konnte, wie meine geschilderten Gefühle auf ihn wirkten.
„Aoba-san, ist Ihnen klar, dass dieser sehr starke Wunsch nach Verschmelzung, den Sie da beschreiben, mit einer instabilen Identität zu tun haben kann?“, fragte er.
Ich zuckte nur mit den Schultern. Irgendwo war mir das schon klar, ich hatte ja dieses Gefühl, nicht recht zu wissen, wer und wie ich war und was ich wollte, schon selbst bemerkt. Aber wie das in meine Beziehung zu Meto mit reinspielte und in meinen Wunsch, die Grenzen zwischen ihm und mir immer wieder weiter aufzulösen, hatte ich bisher noch nicht so recht gesehen.
„Wissen Sie, wer Sie sind?“, fragte Dr. Niimura weiter.
Die Frage gab mir zu denken. Wusste ich, wer ich war? Aoba Genki, Tsuzuku, ja, meinen Namen wusste ich. Und ich erkannte mich selbst ja auch im Spiegel wieder.
Aber … was war das eigentlich, Identität? Ich konnte mir unter diesem Wort kaum etwas vorstellen.
„Gut, andere Frage: Wissen Sie denn, wie Sie sind?“
Ich wusste zuerst keine Antwort. Nach ein paar Sekunden erst fiel mir meine Arbeit ein, das gute Gefühl, das ich mit dem Tätowieren verband. Meine Lust am Sex kam dazu, meine Vorlieben. Und der Grund, warum ich hier war, dass ich krank war und dass das Ding Borderline hieß. Sonst nichts.
„Ich bin krank, ich mag Schmerzen, ich kann keine drei Tage ohne Sex mit Meto, ich steh auf Tattoos und solches Zeug …“, zählte ich monoton auf und kam mir irgendwie ziemlich dumm vor.
„Mit welchem Geschlecht haben Sie denn eigentlich lieber Sex?“ fragte Dr. Niimura ganz direkt.
Ich zuckte wieder mit den Schultern. „Keine Ahnung … Früher war ich ja so ein bescheuerter Player … mit den vielen Mädels und so … hab aber auch mal nen Kerl geküsst … aber jetzt … ich weiß es nicht. Ich gucke eh nur noch Meto so an, ich kann mir überhaupt nicht mehr vorstellen, mit jemand anderem zu schlafen.“
„Lieben Sie Ihren Partner denn auch als den Mann, der er ist?“
„Ja, schon“, antwortete ich. „Ich liebe alles an ihm, er war ja vorher mein bester Freund, und … ja, ich steh schon auch wirklich auf seinen Körper, mag ihn richtig als Mann. Vielleicht bin ich irgendwie schwul geworden oder so, keine Ahnung … Aber ich will keinen anderen, mich reizt kein anderer Körper mehr als seiner, und außerdem will ich ihm treu sein.“
„Treue ist sehr gut, Aoba-san“, sagte der Arzt, lächelte ein wenig und sah mich dann ernst an: „Aber was mir ehrlich gesagt mehr Sorgen macht, ist dieser starke Verschmelzungsgedanke in Ihrer Beziehung. Ich weiß, Sie und Ihr Partner lieben einander sehr, Sie beide sind auch ein wirklich schönes Paar, aber worauf Sie unbedingt achten müssen, ist, dass Sie eben nicht miteinander verschmelzen, so groß der Wunsch danach auch sein mag.“
Diese Worte waren wie ein fieser Stich, versetzten mich in Angst. Augenblicklich begann mein Herz zu schmerzen, mir stiegen Tränen in die Augen und meine Hände begannen zu zittern.
„Aber … wie soll das gehen?“, brachte ich mit leiser, tränenerstickter Stimme heraus. „Wenn er nicht ganz nah bei mir ist … ich hab so Angst … dass er mich … dann allein lässt …“
„Sie sehen nur die Extreme, Aoba-san, das ist normal in Ihrer Lage, aber meine Aufgabe ist es, Ihnen zu zeigen, dass es auch ein Leben zwischen Schwarz und Weiß gibt. Ihr Partner wird Sie ganz bestimmt nicht verlassen, nur weil Sie beide nicht zu einem einzigen Herz in zwei Körpern verschmelzen können und das auch nicht tun sollten. Er liebt Sie sehr, das habe ich ganz deutlich gesehen, und Sie sehen das auch, wenn Sie mal weniger Angst haben.“
Ich wusste nicht, ob ich das sah. Vielleicht war ich schon wieder fast blind vor Angst und Selbsthass, denn ich konnte mich nur noch vage erinnern, dass ich mich ja auch oft genug sehr von Meto geliebt fühlte und dann keine Angst hatte.
So sehr ich auch versuchte, das Ganze von oben zu betrachten und alles so zu sehen, wie es wirklich war, es gelang mir in diesem Moment einfach nicht. Ich sah nur das „Ich will eins mit ihm sein, mehr Nähe als möglich ist, ganz verschmelzen“ einerseits und das „Er verlässt mich irgendwann, so was wie mich kann man nicht lieben“ auf der anderen Seite. Dazwischen sah ich nichts, da war nur eine völlig undefinierbare, diffuse Leere. Ich kippte innerlich hin und her zwischen den beiden Seiten, zwischen Sehnsucht und Angst, während ich fühlte, dass ich heftig weinte.
Dass ich schon wieder weit in meine Innenwelt abgedriftet war, bemerkte ich erst, als ich ziemlich erschrak, weil Dr. Niimura mich sanft, aber sehr bestimmt ansprach: „Aoba-san, hören Sie mir zu: Einatmen, ausatmen, beruhigen Sie sich, es ist nichts Schlimmes passiert.“ Er reichte mir die Box mit den Taschentüchern und lächelte freundlich. „Glauben Sie mir, es gibt ein Leben dazwischen, abseits der Extreme, die Sie gerade sehen. Und ich möchte Ihnen gern zeigen, wie so ein Leben aussehen kann. Sie sind ein intelligenter junger Mann, und Sie und ich, wir schaffen das schon zusammen, was meinen Sie?“
Ich nickte zitternd, schluchzte noch, versuchte aber, so ruhig zu atmen wie er sagte. Irgendwo wusste ich, dass er Recht hatte, aber es war einfach so furchtbar schwer, das wirklich zu erkennen.
„Es ist einfach so … ich brauche ihn, ich brauche Meto ganz nah bei mir … so sehr …! Wenn er nicht bei mir ist, wenn ich allein bin, dann … Ich verliere mich, verstehen Sie?! Diese Leere dann, und die Angst … dass er nicht … zu mir zurück kommt … und …“, schluchzte ich und konnte wieder kaum noch atmen, „… Dieses Loch in mir … da ist so ein tiefes, dunkles Loch … und ich hab keine Wahl, als immer wieder … diesen Wunsch zu haben, mit Meto komplett eins zu werden … weil dieser Wunsch, und dann in seinen Armen zu liegen, mit ihm zu schlafen und zu verschmelzen … das ist das einzige, was dieses Loch in mir geschlossen halten kann …“
„Ich verstehe …“, sagte Dr. Niimura und sah mich an, sehr besorgt, als sei das, was ich da erzählte, der heftigste Wahnsinn, und es tat ihm sichtlich leid, dass ich so litt. „Wissen Sie, Aoba-san, dieses große Leid, dieser Schmerz, den Ihnen dieses Loch bereitet, Sie sind damit nicht allein. Vielleicht hilft es Ihnen ein wenig, wenn Sie das zuordnen können? Wenn Sie wissen, dass genau das, dieses Loch und diese Angst, dass das Borderline ist, dass Sie nicht der Einzige sind, der so fühlt, und dass ich Ihnen dabei helfen kann, damit umzugehen, weil ich mich mit diesem Krankheitsbild gut auskenne?“
Ich zuckte nur mit den Schultern, wusste nicht, wie das gehen sollte. Womit sollte es möglich sein, dieses bodenlose Loch in mir zu füllen? Was sollte dafür besser passen als die Verschmelzung mit meinem Liebsten? Der Gedanke, irgendwelchen Abstand zwischen Meto und mir herzustellen, machte mir wahnsinnige Angst.
„Haben Sie ein bisschen Vertrauen, Aoba-san, es gibt immer einen Weg. Und Sie müssen keine Angst haben, ich werde Sie zu nichts zwingen, was Sie nicht wollen.“
Der Rest des Gespräches zog irgendwie an mir vorbei, blieb nicht hängen. Als ich wieder draußen vor der Klinik stand, konnte ich mich nur noch an mein Weinen erinnern, an das Sprechen darüber, dass ich mich ohne Meto jedes Mal so unsäglich leer und sinnlos fühlte …
„Tsuzuku!“, hörte ich hinter mir meinen Namen, drehte mich um und sah Hitomi auf mich zu kommen. „Hey, sieht man dich hier auch mal wieder?“
Sie blieb stehen, und erst dann schien sie zu sehen, dass es mir nicht gut ging, denn sie fragte: „Alles okay bei dir?“
Ich schüttelte nur den Kopf.
„Magst du mit mir eine rauchen?“
Ich nickte, vielleicht war Rauchen jetzt eine gute Idee. Und so saßen wir dann zusammen in der Raucherecke und Hitomi erzählte ein bisschen, wie es ihr ging und dass sie bald entlassen werden würde.
„… bisschen Panik hab ich schon davor, wieder raus zu kommen und so. Ich bin’s nicht mehr gewöhnt, alleine klar zu kommen. Aber ich hab endlich ‘ne Wohnung, und ich kriege eine nette Frau an die Seite, die mich unterstützt. Die Wohnung ist sogar hier in der Gegend. Du wohnst ja auch hier irgendwo in dem Viertel, ne? Dann können wir uns vielleicht mal sehen?“
Ich nickte. „Ja, vielleicht …“
„Und dir geht’s heute nicht so gut?“, fragte Hitomi dann und sah mich aufmerksam an.
„Nicht wirklich, nein“, sagte ich. „Ich war eben bei Niimura, das war aber nicht so gut …“
„Hat er dir Druck gemacht oder so?“
„Nein, er ist voll okay, es lag nicht an ihm. Nur … bei Meto und mir gibt’s … na ja, eine Gefahr, sozusagen, und die macht mir ziemliche Angst …“
„Eine Gefahr?“ Hitomi klang besorgt, und ich dachte, sicher wusste sie, wovon ich sprach. „Aber eure Beziehung läuft doch gut, oder?“
„Ich will … immerzu bei ihm sein, ich halt‘s nicht aus, wenn er mal nen Abend nicht da ist. Und als ich mal über Nacht im Krankenhaus war, wegen meinem Herzen, da hatte ich in der Nacht so wahnsinnige Angst, ich dachte, ich sterbe vor Einsamkeit …“
„Oh …“, sagte Hitomi, „… das hört sich echt nicht gut an.“
„Dr. Niimura sagt, das ist genau das … also, Borderline …“ Dieses Mal tat das Wort wieder weh. Vielleicht aber auch nur, weil mir gerade einfach alles wehtat, meine Seele fühlte sich ganz wund an.
Hitomi nickte. „Kann gut sein. Ich kenn das ein bisschen auch, nur ist das bei mir noch wieder anders. Ich hatte das auch mal, aber ich hab den Mann dann verlassen, bin selbst gegangen, weil ich dieses ständige Hin und Her von Abhängigkeit und Wut nicht mehr ausgehalten habe. Aber das war auch nicht so eine Beziehung wie das mit deinem Freund und dir, so etwas extrem Enges, Schönes hatte ich ja nie.“
Ich fühlte mich eigenartig, so extrem dünnhäutig, als sei mir diese Schicht knapp über der Haut, der unsichtbare Schutzfilm der Gefühle, abhandengekommen. Hitomis Worte von ihrer eigenen Beziehungserfahrung machten mir Angst, obwohl ich wusste, dass es ihre Erfahrung und nicht meine war, ich fürchtete, komplett wahnsinnig zu werden, Meto weh zu tun, ihn selbst zu verlassen, irgendwann, wenn ich es nicht mehr ertrug, dass er mich allein lassen könnte …
Mein Herz stach, das Atmen fiel mir schwer, und ich drückte meine Zigarette aus, obwohl sie noch nicht aufgeraucht war. In mir war der Impuls, zu gehen, weg von Hitomi, auf einmal machte sie mir Angst. Ich sah mich in ihr, und zugleich war sie anders als ich, und das bekam ich nicht sortiert, sodass ich Angst hatte, so zu werden wie sie.
„Tsu, ich will dir keine Angst machen“, sagte sie auf einmal, vermutlich war mein Innenleben wieder viel zu offensichtlich.
In mir spannte sich alles an, mein Herz tat weh und kribbelte eigenartig, meine Hände zitterten, und irgendwo wusste ich, das hier war gar nicht gut …
„Ich geh mal wieder …“, sagte ich und musste auf einmal an Mama denken, an ihr Grab. Hatte plötzlich das starke Gefühl, dorthin zu müssen.
„Bis dann, Tsuzuku … und pass bitte auf dich auf, ja?“, sagte Hitomi, doch ich erwiderte nichts darauf, stand wortlos auf, drehte mich um und ging.
Auf dem Weg zum Bahnhof musste ich an unserem Haus vorbei, überlegte einen Moment, einfach nach Hause zu gehen, aber der Gedanke, jetzt allein in unserer Wohnung zu sein, machte mir solche Angst, dass ich weiter ging.
In meinem Kopf schwirrte alles, ich bekam teilweise kaum mit, wo ich gerade war, lief einfach per ‚Autopilot‘ in Richtung Bahnhof, ohne recht zu merken, was ich tat.
Am Bahnhof angekommen, fuhr der Zug in die andere Stadt, meine Heimatstadt, gerade weg, also musste ich warten, und die Wartezeit machte mir solche Angst, dass ich in den erstbesten Laden am Bahnhof ging, einen Drogerieladen. Ich lief ziellos durch die Gänge, hörte schwirrende Geräusche, von denen ich mir nicht sicher war, ob sie wirklich da waren, und auf einmal stand ich, ohne recht zu wissen, wie ich da gelandet war, vor dem Regal mit den Rasierutensilien. Die in Folie verpackten Klingen zum Auswechseln schimmerten im künstlichen Licht der Ladenbeleuchtung. Ein Blitz in meinem Kopf, dann ein heißkaltes Zittern, mein Herz raste.
Ich sah meiner Hand zu, wie sie in das Regal griff und ein Päckchen Klingen herausnahm. Sie hatten diese typische Form mit der Ausstanzung in der Mitte, und ich wusste, manche Leute trugen Imitationen dieser Klingen als Schmuck. Ich hatte solche Klingen bisher tatsächlich nur zum Rasieren gebraucht, für anderes hatte ich immer mein Messer gehabt. Aber das lag gerade zu Hause, irgendwo, wo Meto es vor mir versteckt hatte. Vielleicht trug er es auch bei sich, ich wusste es nicht.
Um meinen Klingenkauf ein klein wenig zu tarnen, nahm ich noch zwei Päckchen Zigaretten und ein Fläschchen dunklen Nagellack mit, die ich auf dem Kassenband dann so hinlegte, dass es ganz belanglos aussah. Und trotzdem fühlte ich mich eigenartig fremd und unsicher, als die Kassiererin die Sachen abrechnete und ich bezahlte.
Ich verließ den Laden, sah auf die Uhr, der Zug würde gleich kommen. Die Klingen und den anderen Kram verstaute ich in meiner Tasche. Als der Zug kam, stieg ich ein, suchte mir eine stille Ecke, machte mir die heftigste, schnellste, geschreilastigste Musik an, die ich auf dem Handy hatte, und dachte an Mamas Grab.
Das Wissen, dass ich Klingen bei mir trug, fühlte sich eigenartig an, irgendwie … gut? Es war nicht gut, sagte mein Verstand. Aber es fühlte sich gut an, sagte mein Gefühl.
Ich griff in meine Umhängetasche, tastete ohne hinzusehen darin herum, fühlte das Päckchen mit den Klingen darin unter meinen Fingern und spürte die kleinen Schauer durch meinen Körper rasen.
Ich schloss für einen Moment die Augen, doch dann riss ich sie wieder auf, als das rasende, pechschwarze Chaos in mir drohte, mich zu verschlingen …
Als ich im Bahnhof meiner Heimatstadt aus dem Zug stieg, musste ich die Musik ausmachen, denn ich hatte ein unheimliches, lautes Rauschen im Kopf, das jeden Klang von außen verzerrte und unerträglich machte. Ich schleppte mich wie fremdgesteuert zum Ausgang, von da aus durch die Straßen, in Richtung Altstadt.
Und dann stand ich da, an der Pforte zum Friedhof, mit schmerzendem Herzen und einer wie ein Buschfeuer um sich greifenden Dissoziation im Kopf. Ich sah dorthin, wo ich hergekommen sein musste, und konnte mich nicht erinnern, wie ich so schnell hier gelandet war, eben war ich doch noch im Zug gewesen ...! Mein Verstand wusste, vom Bahnhof bis hier her waren es etwa fünfzehn Minuten. Aber ich konnte mich an nichts von diesem Weg erinnern.
Ich öffnete die Pforte, sie quietschte leise und ließ mich erschaudern, und ich sah meinen Füßen in den roten Turnschuhen zu, wie sie unter mir den Weg zu Mamas Grab fanden. Meine Hand tastete in meiner Tasche nach dem Päckchen mit den Klingen …
Manche der Gräber sahen unordentlich aus, die Opfergaben lagen auf dem Boden und die eine oder andere Laterne war umgekippt.
Und als ich bei Mamas angekommen war, lag auch bei ihr die kleine steinerne Laterne am Boden. Sofort kniete ich mich hin und stellte sie wieder auf, stellte das weiße Grablicht wieder hinein und suchte in meiner Hosentasche nach meinem Feuerzeug, um es wieder anzuzünden. Meine Hand zitterte und ich brauchte mehrere Versuche, bis das kleine Licht wieder brannte. Dass ich deshalb so lange brauchte, weil ich kaum etwas sah vor lauter Tränen, merkte ich erst einen Moment später.
„Mama …“, flüsterte ich weinend und wünschte mir so verzweifelt, wieder diesen leisen Hauch ihrer Präsenz zu spüren. „Mama … bist du da?“
Es dauerte eine Weile, bis ich sie wieder spürte, quälende Sekunden, in denen ich mich entsetzlich allein fühlte. Aber dann war sie da, ihre Hand geisterhaft und warm zugleich auf meiner Schulter.
„Genki“, hörte ich sie meinen Namen sagen. „Ich bin da.“
„Mama, warum bin ich so? Was hat mich so verrückt gemacht, so wahnsinnig und kaputt?!“, brachte ich heraus, sank leicht nach vorn und sah meine Tränen auf den grauen Sand fallen.
„Nichts. Und zugleich sicher vieles“, sagte sie und ich spürte, wie sie sich vor mich hinkniete, mich ansah. „Manches hast du vielleicht auch von mir …“
„Von dir?!“, fragte ich erschrocken.
Sie nickte. „Ich hab dir das nie gezeigt, denn so etwas zeigt eine Mutter ihrem Sohn nicht. Ich hab mir auch wehgetan, früher, als ich so alt war wie du jetzt. Du hast einige der Narben mal gesehen, da warst du noch klein, und ich habe dir gesagt, sie kämen von einer Operation wegen meines Herzens. Ich wollte nie, dass du davon weißt.“
Woher wusste ich das jetzt? Ich verstand nicht, wie dieses Wissen auf einmal in meinen Kopf kam. Aber es stimmte, ich hatte als kleiner Junge mal gesehen, wie sie in Unterwäsche aus dem Bad gekommen war und Narben auf der Brust gehabt hatte.
Aber woher konnte ich jetzt wissen, dass es wirklich keine Operationsnarben gewesen waren? Mama war tot, auch wenn ich mir jetzt vorstellte, sie zu hören. Sie konnte mir nichts mehr von sich sagen, und dennoch wusste ich es auf einmal, diese Narben damals kamen von ihr selbst, davon, dass sie sich auch selbst wehgetan hatte.
„Aber warum? Warum hast du das gemacht? Und warum hast du mir auch dann nichts davon gesagt, als du ganz sicher gemerkt hast, dass ich mir dasselbe antue?!“, wurde ich laut vor Entsetzen.
„Das tut nichts mehr zur Sache, mein Sohn, warum ich das getan habe. Und ich habe nie mit dir darüber gesprochen, weil ich große Angst hatte.“
Mir wurde alles zu viel. Der Schmerz aus dem Gespräch mit Dr. Niimura, die Angst wegen Hitomi, und das Wissen, dass meine Mama ebenso krank gewesen war wie ich, alles kam über mir zusammen und drückte mich so sehr nieder, dass ich Mamas Geist verzweifelt bat: „Darf ich mir wehtun, Mama? Ich halte das sonst nicht aus, mir wird einfach alles so sehr zu viel …!“
„Ich kann dich nicht mehr daran hindern“, hörte ich sie sagen, ganz leise. Und auf einmal schwand ihre Präsenz, so als zöge sie sich in ihr Grab zurück, damit sie mir nicht zusehen musste.
Schneller, als mein Verstand hinterherkam, griff ich in meine Tasche, ertastete das kleine Päckchen mit den Klingen und nahm sie heraus. Meine zitternden Finger rissen das Plastik auf, holten vorsichtig die erste, hauchdünne, silbrig glänzende Klinge aus der Verpackung. Ich zog den Ärmel links hoch, ein merkwürdiger Schwindel machte sich in mir breit und die neue und daher blitzscharfe Klinge traf auf meine Haut, erwischte den Heiligenschein der Madonna auf meinem Unterarm, einmal und noch einmal, bis ihr mein Blut über das dämonisierte Gesicht lief.
Es war mehr als nur ein, zwei Blutstropfen wie sonst, und irgendwie stimmte mich das nach einer Weile … zufrieden? Ich sah zu, wie es herausquoll und in vielen kleinen Tropfen meinen Arm hinab lief, und der Schmerz entspannte und löste mich, zugleich fühlte sich der Anblick meines eigenen Blutes angenehm aufregend an.
Irgendwann, als das Blut gerann und antrocknete, stand ich auf und ging einfach, fühlte mich seltsam fremd in mir, und die Entspannung wandelte sich in eine Art von innerer Leere, wie ich sie sehr lange nicht mehr gefühlt hatte.
Ich zog den Ärmel meines Shirts runter, als ich den Friedhof verließ, und ging dann wieder in Richtung Bahnhof, um den Zug nach Hause zu nehmen. Ich war ruhig, ganz ruhig, so geradezu unheimlich ruhig … Die Realität schien ein Schleier über meiner Welt zu sein, zog an mir vorbei wie die Stadt vor dem Zugfenster, schnell und langsam und leer. Ich war ruhig, weil ich leer war. In mir war nichts mehr, nicht mal mehr Schmerz.
Als der Zug hielt, bemerkte ich erst daran, das ich erwachte, dass ich mich zuvor während der Fahrt in einen eigenartigen Dämmerzustand begeben hatte, einen Zustand, den ich kannte, von der Zeit auf der Straße und auch den Zeiten davor.
Wie automatisch fand ich den Weg durch den Bahnhof, und als ich an der Verbindungsstation ankam, fuhr die Bahn nach Hause gerade ab. Egal, dachte ich leer, ich konnte auch ebenso gut laufen.
Und so ging ich zu Fuß durch die Stadt, irgendwo lang, alles egal, irgendein Weg würde mich schon irgendwie … nach Hause bringen. Mehr als ‚nach Hause‘ dachte ich nicht, und ich wusste auch nicht, ob ich wirklich nach Hause ‚wollte‘.
Erst als ich sah, dass Blut über meine Hand lief und zu Boden tropfte, spürte ich meinen Arm wieder, und langsam sickerte durch die betäubende Leere so etwas wie eine Realität dessen, was ich gerade getan hatte und tat. Ich hatte mich verletzt, mein Arm blutete. Doch statt Schrecken oder Schmerz zu fühlen, war da immer noch diese Ruhe in mir, auch als ich den Arm hob, den Ärmel zurück zog und bemerkte, dass der Stoff durch mein gerinnendes Blut an meiner Haut klebte. Ich blieb einfach stehen, schaute kurz auf meinen blutenden Arm, schob den Ärmel wieder darüber und ging weiter. Niemand sah mich an, niemand bemerkte das Blut.
Irgendwie fand ich den Weg, irgendwann stand ich in der Straße, die ich kannte, vor dem Haus, in dem die Wohnung war. Und erst, als der Türöffner summte und ich die Tür aufdrückte, fiel mir Meto wieder ein.
Meto …
Ich schien ihn zwischenzeitlich komplett vergessen zu haben … Die Leere hatte alles geschluckt, auch die Gedanken an ihn …
Und sobald ich jetzt an ihn dachte, bekam ich Angst. Mir fiel der Termin bei Dr. Niimura wieder ein, meine ganze Angst, verlassen zu werden, und es nahm mich vollkommen ein, ich war viel zu schwach für jeglichen Widerstand …
Ich schleppte mich langsam die Treppen hoch, ließ Nachbars Akko, die mir entgegen kam, wortlos links liegen, konnte sie nicht einmal ansehen. Und auf einmal bekam ich Angst, oben bei der Wohnung anzukommen, hatte Angst, Meto zu sehen …
Wieder tropfte Blut von meiner Hand, als ich nach meinem Schlüssel suchte, schließlich fand ich ihn, schloss auf und dachte nur: „Ich hab wohl ziemlich tief geschnitten.“
Meto saß im Wohnzimmer vor dem Fernseher, es lief wieder ein Baseballspiel, das hörte und erkannte ich schon, als ich im Flur meine Schuhe auszog. Und er hatte mich hereinkommen gehört, begrüßte mich, nicht ahnend, was mit mir los war: „Da bist du ja wieder, Tsu!“
Um an Pflaster und Verbände ran zu kommen, musste ich am Wohnzimmer vorbei ins Bad, ich huschte an der offenen Wohnzimmertür vorbei und dachte schon, dass ich es sicher ins Bad geschafft hätte, da sah ich, als ich zurück schaute, dass ich eine schmale Spur aus kleinen, eindeutigen Blutstropfen im Flur hinterlassen hatte.
„Tsu?“, fragte Meto laut, als ich nicht antwortete. „Alles okay?“
Ich zog die Badezimmertür hinter mir zu, schloss ab und hörte von drinnen, wie Meto aufstand, und dann seinen erschrockenen Laut, als er das Blut sah. Sekunden später rüttelte er an der verschlossenen Tür.
„Tsuzuku!! Was hast du gemacht?!“
Ich hatte die Box mit dem Verbandszeug schon in der Hand, hatte vorgehabt, die Wunde einfach zu versorgen und dann irgendwie, ich wusste auch nicht, wie genau, weiter zu machen … Aber in diesem Moment, als Meto gegen die Badezimmertür hämmerte, an der Klinke rüttelte und schrie, dass ich aufmachen sollte, zerplatze etwas in mir, zerriss in tausend Fetzen …
„Geritzt hab ich mich!!“, schrie ich gegen die Tür. „Lass mich in Ruhe!!“
„Der ganze Flur ist voll Blut!“, schrie er zurück. „Verdammt, Tsuzuku, jetzt mach diese Tür auf!“
Mach ich nicht!, dachte ich nur. Das Zerplatzte in mir hatte meinem Selbstzerstörungsdrang Tür und Tor geöffnet und ich bekam nur noch am Rande mit, dass ich absolut nichts mehr unter Kontrolle hatte. Alles drehte sich wieder wie wahnsinnig in diesem verfluchten, tiefschwarzen Strudel, der mich zu zerreißen drohte und das auch gleich tun würde, denn ich wusste kaum mehr, was ich sagte und schrie.
„Geh weg!! Lass mich in Ruhe!!“, schrie ich wieder.
Zuerst kam keine Antwort, dann Metos Stimme, mühsam beherrscht: „Lass mich … wenigstens sehen, wie tief du geschnitten hast …“
„Nein!!!“ Meine Stimme klang vollkommen haltlos, wie im freien Fall. „Und das kann dir doch sowieso egal sein!“
„Egal?!“, wurde er wieder laut.
„Ja, egal!! Weil du mich nicht liebst, das geht nämlich nicht! Mich kann man nicht lieben! Irgendwann hast du garantiert genug von mir, also kann es dir doch auch jetzt schon egal sein, wie tief ich mich aufschneide!!“ Meine Hand griff nach dem leeren Seifenspender auf dem Waschbeckentisch, und ehe ich überhaupt begriff, was ich da tat, knallte es laut und der Spender zersprang an der Tür in tausend Scherben.
Einen Moment lang herrschte eine Totenstille. Ich stellte mir vor, wie Meto auf der anderen Seite der Tür erschrocken zurückwich, vielleicht kaum begriff, was ich getan hatte …
Ich hob eine der Scherben auf, hielt sie einen Moment lang in der Hand, dann fühlte ich sie an meinem Handgelenk, innen, und sah mein Blut …
„Tsuzuku!!! Verdammt, was war das??!“
„Ich mach mich kaputt!“
„Weißt du was, ich breche gleich die Tür auf, wenn du sie nicht von selbst auf machst!“
„Mir egal, dann bring du mich halt um.“ Meine Stimme brach beim letzten Wort. „Bevor ich es selbst tue …“ Das war nur noch ein leeres Flüstern …
Aber Meto brach die Tür nicht auf. Er schrie auch nicht weiter auf mich ein. Ich hörte nur seine Schritte, die sich entfernten. Und dann die Wohnungstür, wie sie ins Schloss fiel.
Und ich wusste, er war weg.
Weg.
Mit zitternden, krampfenden Händen wischte ich die Scherben auf den Fliesen zusammen, dann drehte ich den Schlüssel um, öffnete die Tür.
„Meto?“ Meine Stimme klang so leise und ich hörte meine eigene Angst. „… Meto?! Wo bist du?!“
Ich sah meine Hände an, das Zusammenschieben der Scherben hatte winzige Schnitte auf meinen Handflächen hinterlassen, aus denen ganz kleine Blutstropfen quollen. Der Schnitt an meinem Handgelenk blutete stärker, aber die auf meinen Armen waren inzwischen getrocknet.
„METO?!“
Ich stand jetzt vor der Schlafzimmertür und sah, der Platz neben Metos Kopfkissen war leer, Ruana war weg. Und an der Garderobe neben mir fehlte seine große Handtasche.
Langsam sickerte der Gedanke, dass Meto wirklich gegangen war, in mein Bewusstsein. Er war weg, und er hatte Ruana mitgenommen. Er war nicht nur mal eben rausgegangen, um eine Runde um den Block zu laufen, sondern er war gegangen, … um länger … wegzubleiben …
Ich blickte zu Boden und sah mit einem Gefühl von Fremdheit zu, wie das Blut rot und warm von meiner Hand tropfte.
„Hat er mich jetzt … verlassen?“, hörte ich mich selbst leise, tonlos fragen, und beim Wort ‚verlassen‘ fühlte es sich an, als ob jemand mir von hinten ein glühendes Messer ins Herz stieß. Ich keuchte vor Schmerz, sah den Boden näher kommen, sank auf die Knie. Dass ich deshalb so verschwommen sah, weil mir heiße Tränen aus den Augen flossen, und darum so schwer Luft bekam, weil ich schwer schluchzend weinte, erreichte mich kaum.
Ich stand wie automatisch auf, ging zum Badezimmer zurück, wo noch die Scherben lagen, und nahm mir eine, fügte den Schnitten an meinem Arm einfach einen, zwei, drei neue hinzu. Dass ich die Madonna zerstörte, war mir in diesem Moment so egal. Ich wusste, anders würde ich den wahnsinnigen Schmerz in mir nicht ertragen, diese gewaltige, entsetzlich schmerzende Leere, das Gefühl und Wissen, dass Meto, meine Sonne, mich verlassen hatte.
Warum schlug mein Herz eigentlich noch? Musste es jetzt nicht stehen bleiben? Was hatte es noch für einen Sinn, dass es weiter schlug, wenn der Mensch, der der Sinn meines Lebens war, mich soeben verlassen hatte?
Warum dachte ich noch an Leben, wenn mir doch immer klar gewesen war, dass ich ohne ihn nicht weiterleben wollte? Was war da noch in mir, dass ich nicht einfach tief genug schnitt?
Ich wusste nicht mehr, wie viel Zeit verging. Irgendwann saß ich nur noch weinend mit dem Rücken an der Wand, mein helles T-Shirt war voller Blut, ebenso meine Jeans, überall mein Blut …
Und auf einmal war jemand bei mir, ich erkannte Koichi. Wie er hereingekommen war, wusste ich nicht, aber er war da.
„Tsuzuku, oh Gott … was ist denn hier passiert, was hast du gemacht?!“ Er kniete über meinen Beinen, rüttelte mich, zwang mich, ihn anzusehen. „Ist das alles dein Blut?! Sag doch was, Tsu!“
Ich hörte nicht, was ich sagte, spürte nur, dass mir irgendwelche Worte über die Lippen kamen.
„Wo ist der Verbandskasten, verdammt nochmal!“
„… Badezimmer …“, antwortete ich tonlos.
Koichi sprang auf, ich hörte, wie die Scherben unter seinen Schuhen knirschten, er suchte im Bad nach dem Verbandskasten, fand ihn und war sofort wieder bei mir, kniete sich neben mich.
„Oh Gott, Tsuzuku …“, sagte er wieder, „… so viel Blut …!“
Er griff meinen verletzten Arm und begann, Pflaster und Wundstrips auf die Schnitte zu kleben und meinen Arm dann mit Mullbinden fest einzuwickeln. Auch meine Handflächen wickelte er sorgfältig ein, obwohl die winzigen Kratzer dort kaum noch bluteten.
„Kannst du aufstehen?“, fragte er dann und erhob sich.
Ich wollte tun, was er sagte, doch als ich aufstand, wurde mir furchtbar schwindlig und ich sank wieder zu Boden. Sofort war Koichi neben mir, packte meine Oberarme, zog mich hoch, stützte und hielt mich dabei.
„Komm, ich nehm dich mit zu mir. Mikan wartet unten, wir sind mit dem Auto da“, sagte er. „Ich packe dir ein paar Sachen ein und dann kannst du über Nacht bei mir bleiben.“
Er half mir ins Schlafzimmer, wo ich mich auf die Bettkante setzte und zusah, wie er ein paar meiner Klamotten aus dem Schrank nahm, dann ins Bad lief und meine nötigsten Waschsachen einpackte. Alle Sachen kamen in einen Stoffbeutel und dann half er mir, aufzustehen, und wir verließen die Wohnung.
Als die Tür hinter uns zuklappte und Koichi abschloss, wobei ich immer noch keine Ahnung hatte, woher er den Schlüssel hatte, da überkam es mich wieder, ich sank auf der ersten Treppenstufe weinend zusammen …
Koichi saß sofort neben mir, umarmte und hielt mich, sagte nichts, streichelte nur einfach meinen Rücken und machte leise „Shhh“, um mich zu beruhigen.
„Woher … wie bist du … überhaupt … hergekommen?“, fragte ich schluchzend.
„Meto stand vorhin bei mir vor der Tür. Er war völlig fertig und sagte, ich solle sofort zu dir fahren, du seist total drüber. Er ist dann mit dem Zug zu seinen Eltern gefahren … Und er hat mir seinen Schlüssel da gelassen, damit ich zu dir rein kann.“
„Zu seinen Eltern …?“, fragte ich.
„Ja, zumindest sagte er das. Er war total … überfordert. Was ist denn bloß passiert zwischen euch?“
„Ich … weiß es nicht mehr …“, antwortete ich tonlos. Tatsächlich war alles, was passiert war, in meiner Erinnerung jetzt so zersplittert, dass ich nicht mehr zusammen bekam, wie es dazu gekommen war.
Koichi stand langsam auf, zog mich mit hoch, und führte mich langsam und vorsichtig die Treppen runter. Draußen stand ein kleines Auto, das ich noch nie gesehen hatte, aber ich sah Mikan am Steuer sitzen und nahm an, dass es ihr Auto war.
Koichi öffnete eine Tür, half mir beim Einsteigen und stieg dann auf der anderen Seite neben mir ein, legte seinen Arm um mich, sodass ich mich einfach an ihn lehnte.
Ich fühlte mich vollkommen leer, so als sei alles, was ich wusste und war, mit meinen Tränen weggeflossen. Mein Herz tat weh und meine Haut an Gesicht und Hals spannte vom Salz meiner Tränen …
Und als ich kurz an Meto dachte, tat mir das so weh, so wahnsinnig furchtbar weh, dass ich vor Schmerz kaum atmen konnte und meine Hand auf mein brennendes Herz presste.
Wieder umarmte Koichi mich, während Mikan vorne das Auto durch die Straßen und den anstrengenden Feierabendverkehr lenkte.
„Shhh, Tsuzuku, beruhige dich“, sprach mein bester Freund leise zu mir. „Es wird alles wieder gut …“
„Er ist weg …“, kam es mir stockend vor Weinen über die Lippen. „Meto ist weg, ich hab ihn … verloren, er … hat mich … verlassen …!“
„Er kommt wieder“, sagte Koichi. „Da bin ich mir ganz, ganz sicher.“
Ich glaubte ihm nicht, konnte ihm nicht glauben. In mir waren nur noch Schwärze und dieses Gefühl, dass meine Sonne mich verlassen hatte. Mir wurde innerlich furchtbar kalt, so kalt, dass ich zu zittern begann, und als Mikan das Auto vor dem Haus mit Koichis Wohnung darin hielt, musste Koichi mir beim Aussteigen helfen, weil ich einfach keine Kraft mehr im Körper hatte.
Er musste mir auch dabei helfen, die Treppen bis zu seiner Wohnung hoch zu kommen, und dort drinnen angekommen, verfrachtete er mich aufs Sofa, deckte mich mit einer Wolldecke zu und setzte sich neben mich, hielt mich wieder, während ich weiter weinte.
Mikan war nicht mit hoch gekommen, sondern gleich wieder weggefahren, und ich war froh darüber, weil ich ihr gegenüber nicht dieses Vertrauen wie zu Koichi hatte.
„Zeig mal deinen Arm her“, sagte er leise. „Ich will nur sehen, ob der Verband hält.“
Ich hielt ihm meinen linken Arm hin, und er sah sich den Verband an. Die kleine Spange, mit der er das Ende befestigt hatte, war ein wenig locker und er machte sie neu fest, dann sah er sich meine Handflächen an, wo die vielen, winzig kleinen Schnitte immer noch gerötet waren.
Er stand auf und sagte, dass er Salbe aus dem Bad holen wollte, und als er dann von dort wieder kam und sich wieder neben mich setzte, meine Hand nahm und die Schnitte eincremte, fühlte ich eine Welle aus Dankbarkeit für ihn.
„Versuch mal, ein bisschen zu schlafen“, sagte er dann.
„Ich … ich hab Angst, ich will nicht schlafen …“, widersprach ich.
„Versuch es, okay? Dein Körper ist auch völlig fertig, du zitterst total. Du brauchst Ruhe.“
Koichi griff in meine auf dem Boden stehende Tasche, suchte mein Schlafanzug-Oberteil und eine etwas längere Shorts raus, und legte mir beides hin. „Komm, zieh dich um und dann schläfst du hier, ich hole dir eben den Futon raus.“
Ich nickte und begann langsam, die Schlafsachen anzuziehen, während Koichi den großen Schrank aufmachte und den Futon herausholte. Er rollte ihn aus, ordnete das Bettzeug und machte mir mit einem Kissen vom Sofa und der Wolldecke noch dazu ein weiches Schlaflager.
„Schlaf ein bisschen, Tsuzuku“, sagte Koichi. „Ich bin drüben in meinem Zimmer. Und wenn was ist, kannst du mich gern wecken.“
Aber so sehr ich mich dann auch bemühte, einzuschlafen, es ging einfach nicht.
Allein zu liegen, einsam, ohne jemanden, meinen Liebsten, neben mir, ich hielt das kaum aus. Nachts brauchte ich das immer ganz besonders, ich konnte einfach nicht alleine schlafen. Ich brauchte Meto, der schlafend bei mir lag, und dass er jetzt nicht mehr da war … es zerriss mein Herz.
Er hatte mich verlassen …
Sowie ich daran dachte, schoss wiederum ein brennender Schmerz durch meinen Körper, und ich begann zu zittern und wieder zu weinen.
Es tat so unsäglich weh, dass ich einen Moment lang versucht war, alles Gefühl in mir komplett abzuschalten, um überhaupt irgendwie zu überleben. Doch es gelang mir nicht, stattdessen wurde mir kurz schwarz vor Augen und wachte kurz danach davon wieder auf, dass mein Herz sich anfühlte, als ob es immer wieder ein, zwei Schläge aussetzte.
Ich wusste nicht, ob es wirklich so war, oder sich nur so anfühlte, und tatsächlich war es mir dann auch egal. Wenn Meto nicht mehr bei mir war, wozu sollte ich dann, wenn mein Herz vor Schmerz und Trauer stehen blieb, noch etwas tun, um mich zu retten? Es fühlte sich doch alles so sinnlos an, warum also um mein Leben kämpfen?
Doch ich starb nicht. Ich blieb am Leben, so wenig Sinn es auch ergab. Lag hier und verzweifelte und schaffte es einfach nicht, zu sterben.
Etwas in mir suchte verzweifelt nach einem Ausweg aus dem Schmerz, und einen kurzen Moment lang fühlte ich so etwas wie Wut auf Meto, doch das machte mir sofort wahnsinnige Angst, sodass ich nur noch dachte und fühlte: Lieber bringe ich mich um, als dass ich Meto zu hassen anfange!
Aufstehen und Koichis Wohnung nach Schlafmittel oder einem Messer zu durchsuchen, wagte ich nicht, da ich wusste, wenn er mich dabei erwischte, würde er mich retten wollen.
Doch liegen bleiben konnte ich auch nicht. Und so beschloss mein letztes bisschen Lebenswillen, mich zu retten zu versuchen, ich erhob mich und ging zu Koichis Schlafzimmertür, öffnete sie leise und fragte: „Koichi? Schläfst du schon?“
Er antwortete nicht und ich hörte ihn leise und gleichmäßig atmen.
Und trotzdem ging ich hinein. Ich setzte mich einfach auf den Teppichboden vor seinem Bett, schlang meine Arme um meine Knie und blieb dort sitzen.
Mitten in der Nacht wachte ich auf. Was genau mich geweckt hatte, wusste ich erst nicht, aber als ich Licht machte, sah ich Tsuzuku auf dem Boden vor meinem Bett sitzen, er hatte die Knie angezogen, die Arme darum gelegt und verbarg sein Gesicht zwischen seinen Armen. Er zitterte und schluchzte erstickt, vielleicht hatte mich das geweckt, und als ich Licht machte, sah er mich erschrocken an.
„Tsu, hey, was los?“, fragte ich und setzte mich auf.
Er antwortete erst nicht, dann, ganz leise: „Ich kann nicht schlafen …“ Seine Augen waren stark gerötet und erst jetzt sah ich, dass er den Verband abgerissen und die Krusten der Schnitte auf seinem Arm abgekratzt hatte, sodass sie wieder bluteten.
Ich sprang aus dem Bett, lief schnell rüber ins Bad und kramte in meinen Schränken nach Pflastern, fand sogar welche und kam damit zu ihm zurück.
„Setz dich auf mein Bett, und zeig deinen Arm her“, forderte ich ihn auf, er tat es ohne Widerworte, und ich setzte mich neben ihn, begann, die Schnitte erneut mit den Pflastern abzudecken.
Er sah mir mit leerem Blick dabei zu, teilnahmslos, als gehörte sein eigener Arm nicht wirklich zu ihm. Ich mochte ihn jetzt nicht ins Wohnzimmer zurück schicken, weil ich genau wusste, dass er, sobald er allein war, die Pflaster abreißen und die Wunden wiederum aufkratzen würde.
Und so bot ich ihm, nachdem ich seinen Arm versorgt hatte, an, bei mir zu bleiben: „Tsu, komm, du kannst bei mir im Bett schlafen.“ Einfach nur, um ihn in Sicherheit zu wissen, damit er sich nicht noch mehr antat.
„Wirklich?“, fragte er ungläubig.
„Ja, komm, leg dich hin.“
Er legte sich neben mich, ich tat es ihm gleich und legte meinen Arm um ihn, damit er sich ganz sicher fühlte. Nur schien ihn das so sehr zu berühren, dass er wieder ganz furchtbar zu weinen anfing. Es schüttelte ihn regelrecht, er bebte und zitterte vor Weinen, und alles, was er an Worten herausbrachte, war: „Er ist weg … Meto ist weg … ich halte das nicht aus …! Ich will nicht mehr … Darf ich sterben …? Bitte, ich … ich kann nicht mehr …!“
Es tat mir sehr weh, ihn so zu sehen, aber ich weinte nicht mit. Es war zu wichtig, dass ich jetzt ruhig und stark wirkte, ihn halten konnte. „Meto ist nicht weg. Er ist nur bei seinen Eltern, und danach wird er ganz bestimmt zu dir zurückkommen. Verstehst du, Tsuzuku, es war alles so viel in letzter Zeit, für euch beide, und da braucht er einfach mal eine Auszeit. Er liebt dich, er wird dich nicht verlassen, hörst du?“
„Ich … ich bin ihm zu viel …! Er hält mich nicht mehr aus! Aber … ohne ihn … bin ich nichts, ohne ihn gibt’s mich gar nicht! Ich ergebe so einfach überhaupt keinen Sinn …“
„Tsuzuku, hör mir zu: Meto wird zu dir zurückkommen. Er hat dich nicht verlassen! Ich weiß, das ist jetzt sehr schwer für dich zu erkennen, aber es ist so. Er liebt dich, er ist bald wieder bei dir, und dann werdet ihr heiraten. Da bin ich mir ganz, ganz sicher!“
Aber meine Worte schienen ihn kaum zu erreichen. Er kam von dem Gefühl, endgültig verlassen worden zu sein, einfach nicht weg, das war mir ganz deutlich. Und dieses Gefühl zog ihm mehr als offensichtlich den Boden unter den Füßen komplett weg, er war im freien Fall. Ich wusste kaum mehr, wie ich ihn halten sollte, und fing innerlich schon an, mich zu fragen, ob ich ihn nicht doch einfach in die Klinik bringen sollte.
„Koichi … ich … ich mag nicht mehr … Ich kann nicht mehr …“, brachte er leise heraus. „Ich mag sterben, einfach einschlafen …“
Ich hatte Tsuzuku bisher nie so akut suizidal erlebt, wusste nicht, wie ich damit richtig umgehen sollte. Ich konnte ihn nur umarmen, und versuchen, ihm ein bisschen Halt zu geben.
„Tsu, ich bin doch auch noch da. Und ich wäre ganz, ganz furchtbar traurig, wenn du stirbst! Ich brauch dich noch, und Meto auch!“
Und auf einmal sah er mich an, ein winziges Lächeln huschte über seine Lippen, er kam näher, drückte seinen Körper nah an meinen. Mir entfuhr ein überraschter Laut, ich verstand seine Reaktion nicht, und mit einem Mal war er so nah, ich sah die Tränen an seinen Wimpern, fühlte seinen Atem, und dann, ganz unwirklich und eigenartig, seine Lippen auf meinen. Mein Körper wurde heiß und starr, eine Sekunde, zwei Sekunden, dann bekam ich die Situation wieder zu fassen und mir entkam ein halb gekeuchtes: „Tsu …?! Was machst du denn?!“
Er wich zurück, schien von sich selbst erschrocken zu sein, von seinem eigenen Fühlen und Verhalten. Zuerst sah er mich nur an, schien selbst kaum zu begreifen, was er da gerade getan hatte.
„Ich … brauche das … ich kann nicht ohne. Ich hab dieses Loch in mir, dieses unendlich tiefe, schwarze Loch, das mich jedes Mal zerreißt, wenn ich allein bin … Diese Leere, verstehst du?“ Zuerst sprach er beinahe ruhig, wirkte wie losgelöst von sich selbst, fast so als ob er über jemand anderes sprach.
Doch dann schien ihm mit einem Schlag klar zu werden, was er soeben getan hatte und im Begriff war zu tun, und das zusammen mit dem Gefühl, verlassen worden zu sein, ließ ihn vollkommen eskalieren: Er fing wieder an, sich wie verrückt zu kratzen, zitterte dabei und drehte sich mit einem Ruck weg von mir, dabei stieß er mit dem Kopf versehentlich gegen das Kopfende meines Bettes. Doch statt dass er davon zurückwich, knallte er mit dem Kopf ein zweites Mal dagegen, diesmal erkennbar absichtlich. Ich bekam gerade noch so mein Kopfkissen dazwischen, doch das zerrte er weg, sodass ich zu meinem letzten Mittel griff und ihn mit all meiner Kraft festhielt.
„Tsuzuku!! Hör auf, du machst dich noch ganz kaputt!!“, wurde ich laut vor Hilflosigkeit.
Er sah mich an, in seinen Augen glühte ein fürchterlicher Schmerz, und er schrie mich an: „Macht doch nichts! Macht nichts, wenn ich mich selbst erschlage!!“
„Tsu, noch mal: Meto kommt wieder, hörst du? Und er wird traurig sein, wenn du dir wehgetan hast. Und dir selbst wird es auch leidtun, ganz bestimmt!“
„Er kommt nicht wieder!!“, schrie er mich an. „Er hat mich verlassen, und ich hab‘s verdient!! Lass mich sterben, Koichi, da haben wir alle was von!“
Ich musste mir eingestehen, dass ich mit dieser Situation so ziemlich überfordert war, und das Einzige, was mir als Ausweg oder Lösung sinnvoll erschien, war die Klinik. Alleine konnte ich das hier nicht halten oder lösen.
Ich stand auf, ging ins Wohnzimmer, wo der Beutel mit Tsuzukus Sachen stand, und begann, alles, was er am Abend heraus genommen hatte, wieder einzupacken. Dabei fand ich seinen Geldbeutel mit seiner Krankenkassenkarte und dabei einen kleinen Zettel, auf dem drei Punkte notiert waren: Borderline, Bulimie, und der klinische Name seiner möglicherweise beginnenden Herzkrankheit.
„Koichi …“, hörte ich Tsuzukus kraftlose, verzweifelte Stimme aus meinem Schlafzimmer. „Wo bist du?“
„Ich bin im Wohnzimmer“, sagte ich. „Ich packe deine Sachen, und dann fahren wir in die Klinik.“
Ich hörte, wie er aufsprang und über den Flur lief, und dann stand er vor mir, völlig verheult und haltlos. „Nicht in die Klinik … bitte …!“
„Tsuzuku, du brauchst wirklich Hilfe. Du bist im freien Fall, und ich weiß nicht, was ich jetzt für dich tun kann. Und wenn du so sehr drüber nachdenkst, dass du nicht mehr leben willst, dann ist es meine Pflicht als dein Freund, dich in die Klinik zu bringen, verstehst du das?“
„Du weißt ganz genau, dass ich nicht in die Klinik will!“
„Ich gehe auch mit rein und bin bei allem dabei, wenn du das willst. Ich lass dich nicht allein, und ich schiebe dich auch nicht ab. Nur … ich bin wirklich kein Experte, wenn es um deine Krankheit geht. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, wenn du dir wehtust. Und deshalb fahren wir jetzt zur Klinik und du bleibst wenigstens eine Nacht lang dort.“
Er sagte nichts darauf, vielleicht sah er jetzt ein, dass es in diesem Moment keinen anderen Weg gab. Und so zog er sich einfach an, ich mich ebenso, und wir gingen wenig später zusammen los, nahmen die nächtliche Bahn in Richtung der psychiatrischen Klinik.
Auf dem Weg schien Tsuzuku sich ganz und gar in sich selbst zurück zu ziehen, er versank geradezu, sein Blick war leer und teilnahmslos. Ich griff seine Hand, wollte ihn einfach spüren lassen, dass ich da war, doch er zog sie weg, sah mich stumm und todtraurig an. Und ich fragte mich, wie es wohl für Meto damals gewesen sein musste, als er Tsu gerade erst neu gekannt hatte und dieser obdachlos und wohl ebenso suizidal wie jetzt gewesen war.
Als wir bei der Klinik ausstiegen, griff ich wiederum nach seiner Hand, und dieses Mal ließ er es zu.
Wir klingelten an der mit „Notfall und Nachtdienst“ beschrifteten Klingel bei der Eingangstür und mussten eine ganze Weile warten, ehe jemand öffnete.
Die Krankenschwester, die uns schließlich die Tür öffnete, war noch recht jung, und sie scannte erst mich, dann Tsuzuku mit einem kurzen Blick, sah merkbar auch die Pflaster auf seinem Unterarm, und die leicht gerötete Stelle an seiner Stirn, die von dem Zusammenstoß mit meinem Bettrahmen herrührte.
„In die Notaufnahme?“, fragte sie.
Ich nickte, und fragte dann: „Ist Dr. Niimura da?“
„Ja, der Doktor hat heute Nacht tatsächlich Dienst“, sagte die Schwester und sah dann wieder zu Tsuzuku. „Sind Sie ein Patient von ihm?“
Tsu nickte nur, sagte nichts.
„Kommen Sie erst mal herein, ich werde Dr. Niimura Bescheid geben“, sagte die Schwester und geleitete uns in einen beleuchteten Raum. Sie trug ein Telefon bei sich, das benutzte sie, und ich ging davon aus, dass sie den Arzt anrief.
Als dieser dann wenig später in den Raum kam, fand ich, dass er wirklich so freundlich und väterlich wirkte, wie Tsu ihn mir mal beschrieben hatte.
„Guten Abend, Aoba-san“, sagte Dr. Niimura zu Tsuzuku. „Na, was ist denn los? Wir haben uns doch heute schon gesehen …“
Tsu sah ihn kaum an, antwortete erst nicht einmal, dann, ganz leise und mit Tränen in den Augen: „Meto ist weg …“
„Ihr Freund?“, fragte Dr. Niimura. „Haben Sie sich gestritten?“
Tsuzuku fing wieder an zu zittern, seine Hände krallten sich verkrampft ineinander und die Tränen flossen wieder ungehindert. Er nickte und brachte leise und unzusammenhängend heraus: „Ich … ich war bei Mamas Grab … hab mich … wieder geschnitten … sehr geschnitten … und ich war im Bad, wollte mich wieder … schneiden … und … Meto hat … mich angeschrien, … ich hatte abgeschlossen … Und ich … ich hab … den Seifenspender kaputt geknallt, an der Tür … und zu ihm gesagt, er soll mich umbringen … oder so … und jetzt ist er weg …“
„Wo ist er denn hingegangen?“, fragte Dr. Niimura. Er wirkte zwar betroffen, aber zugleich ganz ruhig, und ich konnte mir vorstellen, dass er für viele seiner Patienten wie ein rettender Fels in diesem Meer aus emotionalem Chaos war.
„Meto ist bei seinen Eltern in seiner Heimatstadt“, sagte ich. „Er war bei mir, es war ihm alles einfach … sehr viel, er ist vielleicht etwas überfordert, in letzter Zeit ist so viel passiert.“
Das, was ich sagte, schien Tsuzuku weh zu tun, doch ich fand, dass der Arzt es so wissen musste, wie es passiert war. Ich konnte mir vorstellen, dass Tsu in seinem Schmerz vielleicht die Dinge nicht richtig aussprechen konnte, also konnte ich jetzt nur wenig Rücksicht auf ihn nehmen. Es ging darum, dass er hier in Sicherheit war, vor sich, den selbstzerstörerischen Kräften in seinem Inneren.
„Und da haben Sie entschieden, dass Aoba-san am besten hier in der Klinik aufgehoben ist?“, fragte Dr. Niimura.
Ich nickte. „Ich glaube, wir sind alle drei im Moment überfordert. Er mit sich selbst, sein Freund mit der ständigen Sorge um ihn und den vielen Dingen, die passiert sind, seit sie zusammen leben, und ich, das muss ich gestehen, weiß gerade auch nicht mehr wirklich weiter.“
„Dann ist es sehr gut, dass Sie hergekommen sind.“ Der Arzt lächelte und berührte Tsuzuku dann ganz vorsichtig an der Schulter. „Kommen Sie, Aoba-san, wir finden ein Zimmer für Sie, wo Sie ein bisschen Ruhe haben. Später kann ich auch noch ein wenig zu Ihnen kommen, wenn Sie reden möchten, ich bin die ganze Nacht hier.“
Tsuzuku nahm seine Tasche und stand auf, doch ehe er mit dem Arzt auf die Station ging, nahm ich ihn noch mal fest in meine Arme.
„Tsuzuku, es wird alles wieder gut, hörst du?“, flüsterte ich in sein Ohr. „Ich komme morgen wieder her und besuche dich. Und lass dir bitte helfen, ja?“
Er nickte nur, dann drehte er sich um und folgte Dr. Niimura in Richtung einer weißen Tür, auf der ‚Aufnahme‘ stand.
Und ich blieb noch einen Moment stehen, sah ihm nach und hoffte, dass wirklich alles wieder gut werden würde.
Dann schrieb ich Meto eine Nachricht: „Ich hab Tsuzuku gerade in die psychiatrische Klinik gebracht. Die kümmern sich jetzt um ihn. Mach dir keine Sorgen, das wird alles wieder gut. ko_1“
Die Antwort bekam ich, als ich wieder draußen war, an der Bahnstation.
„Koichi, es tut mir alles gerade so leid! Ich hätte einfach nicht gehen dürfen! Tsuzuku denkt jetzt bestimmt, ich komme nie wieder zurück, oder?“
„Wenn du wieder da bist, wird er wissen, dass du ihn nicht verlassen hast“, schrieb ich zurück. „Meto, du musst jetzt erst mal ganz auf dich allein schauen. Ruh dich ein paar Tage aus, bleib bei deinen Eltern, und ich kümmere mich um alles andere.“
„Ist Tsu denn jetzt … sehr wütend auf mich?“, schrieb Meto ein paar Minuten später, als ich schon in der Bahn saß.
„Wütend? Nee, würde ich nicht sagen. Er wirkte nicht wütend, nur unendlich traurig“, antwortete ich.
„Er denkt, ich hab ihn verlassen …“
„Ja, das denkt er. Aber, Meto, wir wissen beide, dass genau das Borderline ist. Und deshalb hab ich ihn ja in die Klinik gebracht, weil die sich dort damit auskennen. Die wissen, was sie tun müssen, damit es ihm bald wieder besser geht, du wieder zu ihm kannst und er wissen wird, dass du ihn nicht verlassen hast.“
„Koichi?“
„Ja?“
„Kannst du Tsu, wenn du ihn besuchst, von mir sagen, dass ich ihn immer noch liebe? Ich hab so Angst, dass er das vergisst.“
„Keine Sorge, ich krieg‘s schon hin, dass er das nicht vergisst.“
„Danke. Vielen, vielen Dank.“
„Meto, das ist doch selbstverständlich. Tsu und du, ihr seid meine besten Freunde. Natürlich helfe ich euch!“
Ich stieg aus der Bahn, lief nach Hause, spürte schon auf den Treppen, dass ich weinen musste, rannte rauf zu meiner Wohnung, öffnete die Tür, schlug sie hinter mir wieder zu und sank an der Wand zu Boden.
Es war einfach so viel gewesen, erst Meto zu beruhigen, mich dann um Tsuzuku zu kümmern, und dann diese furchtbare Situation in meinem Schlafzimmer, als er mir in seiner Verzweiflung viel zu nahe gekommen war und sich dann wieder wehgetan hatte … Dann die Klinik und danach der ebenso anstrengende Chat mit Meto …
Und so saß ich in meinem Flur auf dem Boden und weinte, doch es war ein Rauslassen-Weinen, nach dem ich mich ein Stück erleichtert fühlte.
Meto und ich, wir liebten Tsuzuku beide, wenn auch auf ganz unterschiedliche Art. Aber wir liebten ihn und sorgten uns um ihn, Meto als sein Mann und ich als sein bester Freund. Und manchmal war das einfach so entsetzlich schwer. Er war so wahnsinnig verletzlich, dass man sich immer Mühe gab, ihm nicht weh zu tun, und doch ließ es sich nicht vermeiden.
Sicher lag er jetzt in der Klinik in einem Bett und weinte sich die Augen aus, weil er glaubte, vor Einsamkeit innerlich zu sterben. Ich hoffte, dass er sich, wenn es in ihm noch dunkler wurde, an jemanden dort wenden und Hilfe annehmen würde. Und dass ich wusste, dass Dr. Niimura die ganze Nacht Dienst hatte, beruhigte mich ein wenig.
Natürlich war dann in dieser Nacht nicht mehr wirklich an Schlaf zu denken. Und als ich merkte, dass ich wirklich nicht mehr einschlafen konnte, setzte ich mich vor den Fernseher, suchte einen Film aus meiner DVD-Sammlung aus und verbrachte dann die ganze restliche Nacht damit, Filme zu schauen, um mich abzulenken.
Am Morgen, so gegen sieben, war das Erste, was ich tat, Tsuzuku eine Nachricht zu schreiben: „Hey, wie geht’s dir heute Morgen? Konntest du noch schlafen? Und hast du mit dem Arzt gesprochen?“
Es dauerte eine Weile, bis ich eine Antwort bekam: „Nicht gut … Ich hab nur ne halbe Stunde oder so geschlafen … Aber mit Dr. Niimura hab ich geredet …“
„Kann ich dich heute kurz besuchen?“, schrieb ich.
„M-hm … ich hab jedenfalls kein Programm oder so. Die nennen das jetzt Krisenintervention und sagen, ich kann so bald, wie es eben geht, wieder nach Hause.“
„Okay, dann komme ich heute Nachtmittag vorbei. Ich fahre vorher noch zu eurer Wohnung und bringe da alles wieder in Ordnung, okay?“
Tsuzuku antwortete darauf nicht. Ich zog mich erst mal an, räumte auch den Futon und alles wieder zusammen und weg, und schrieb mir auf meine Einkaufsliste, dass ich neues Verbandszeug kaufen musste. Ab und zu schaute ich auf mein Handy, aber da kam nichts mehr.
Da ich den Vormittag über arbeiten musste, packte ich meine Arbeitskleidung zusammen und machte mich auf den Weg.
In der Bahn sitzend, dachte ich mir dann eine Erklärung aus, wie ich Satchan sagen sollte, dass Meto heute nicht zur Arbeit kam. Und weil mir dann einfiel, dass Tsuzuku sich bei seiner Arbeitsstelle wahrscheinlich auch nicht abmelden konnte, stieg ich dann zwei Haltestellen früher aus, ging zum Bodyart-Studio und klingelte dort.
Eine junge Frau mit zahlreichen Piercings öffnete die Tür. „Tut mir leid, wir haben noch geschlossen“, sagte sie.
„Ich will auch gar nicht viel“, entgegnete ich. „Ich bin ein guter Freund von Genki Aoba und möchte nur Bescheid sagen, dass er wohl wieder ein paar Tage nicht zur Arbeit kommen kann. Er ist im Krankenhaus.“
„Oh …“, sagte die Frau. „Hat er wieder eine Krise gehabt?“ Anscheinend wusste sie über seine Krankheit Bescheid.
„Ja“, sagte ich. „Es gab ‘ne ziemlich schlimme Krise. Wird vielleicht eine Woche dauern, bis er wieder nach Hause kommt, und ob er dann wieder arbeiten kann, das kann ich noch nicht sagen.“
„Ich sag nachher dem Chef Bescheid, also nur darüber, dass er im Krankenhaus ist. Würde sich Genki denn über Besuch freuen?“
„Ich weiß es nicht. Er ist wirklich ziemlich fertig und braucht wahrscheinlich erst mal Ruhe.“
„Okay …“
Auf dem Weg zum Café musste ich dann irgendwie über alles noch einmal nachdenken. Dass Tsuzuku mich geküsst hatte, konnte ich recht schnell abhaken, da ziemlich deutlich gewesen war, dass er das nur aus der puren Verzweiflung heraus getan hatte.
Aber seine Worte, wie er gesagt hatte, dass er alleine einfach keinen Sinn ergab und ohne Meto nur noch sterben wollte … er hatte das ernst gemeint, und ich konnte mir vorstellen, dass er, wenn ich nicht bei ihm gewesen wäre, vielleicht sogar einen Versuch unternommen hätte, sich das Leben zu nehmen.
Mir war schon so lange bewusst, dass er krank war, aber so direkt zu erleben, wie es wirklich manchmal in ihm aussah, war schon … schockierend. Ebenso schockierend wie das Bild, als ich zu ihm in die Wohnung gekommen war und ihn blutüberströmt inmitten eines Meers aus Scherben vorgefunden hatte. So viel Blut …
Ich kam beim Café an, zog mich um, und als Satchan fragte, wo Meto heute blieb, sagte ich: „Es ist was passiert mit ihm und seinem Freund. Meto ist im Moment bei seinen Eltern und Tsu ist im Krankenhaus.“
„Oh … ein Unfall?“
„So was ähnliches …“, sagte ich nur, denn Satchan musste ja wirklich nicht wissen, dass Tsuzuku psychisch krank war.
„Wann kommt Meto-chan denn wieder?“, fragte sie.
„Zwei, drei Tage lang wird das schon dauern“, antwortete ich. „Das, was da passiert ist, hat ihn einfach sehr mitgenommen.“
„Und was trage ich in meine Listen ein? Zählt Meto jetzt als ‚krank‘?“
„Würde ich sagen. Es wäre jedenfalls supernett von dir, wenn du ihm das nicht grad von seinen Urlaubstagen abziehst“, sagte ich und lächelte bestechend. Ich wollte Meto nicht zumuten, dass er sich jetzt auch noch mit solchen Formalitäten herumschlagen musste, und das soweit wie möglich für ihn klären.
Der Vormittag ging dann irgendwie herum. Ich arbeitete ihn einfach ab, und dachte mir, als einige der Gäste nach Meto fragten, eine ziemlich frei erfundene, möglichst unverfängliche Geschichte aus, die ich erzählte.
Nach der Mittagspause ging ich dann, machte mich auf den Weg zu Metos und Tsuzukus Wohnung, um das Chaos dort wieder in Ordnung zu bringen, und ein paar Sachen für Tsuzuku zu holen, die wir gestern in der Aufregung nicht mitgenommen hatten.
Als ich die Wohnung betrat und das Blut überall sah, auf dem Läufer im Flur und auf dem Bodenbelag, und die vielen Scherben bei der Badezimmertür, erinnerte ich mich an gestern Abend, als ich voller unguter Ahnungen und Ängste hergefahren war und der Anblick, der sich mir geboten hatten, meinen Schreckensvorstellungen voll entsprochen hatte.
Ich ging in die Küche, suchte und fand diverse Reinigungsmittel, und begann, indem ich den Teppich zusammenrollte und beiseite stellte. Wahrscheinlich konnte ich den auch gleich entsorgen. Dann machte ich einen Eimer mit Wasser und Spülmittel fertig und fing an, die vielen dunkelroten Tropfen und Flecken vom blanken Boden wegzuwischen. Der halbe Flur und auch das Bad waren übersät mit Blutflecken, gottseidank hatten die weißen Wände so gut wie nichts abbekommen. Ein bisschen weiße Farbe würde da ausreichen, das konnte ich auch morgen noch machen.
Nachdem ich also so gut wie alle Blutflecken beseitigt hatte, kehrte ich die Scherben zusammen und kippte diese in den Hausmüll. Unten vor der Kellertür hatte ich vorhin schon eine Ansammlung an Müll gesehen, und so brachte ich den ruinierten Teppich und den Hausmüll mit den Scherben gleich runter, damit der Müllwagen alles mitnahm.
Wieder oben in der Wohnung, packte ich noch mal ein paar Sachen für Tsuzuku zusammen, Waschzeug und Kleider, und dabei fand ich in einer Falte versteckt zwischen seinen Pullovern ein kleines Album, das ich erst auf den zweiten Blick als Fotoalbum erkannte.
Ohne recht zu wissen, was ich tat, klappte ich es auf. Es war ein dünnes Album aus grauer Pappe, und darin waren nur wenige Fotos. Eine Frau von vielleicht fünfunddreißig Jahren und ein jugendlicher Junge von etwa dreizehn, den ich sofort als Tsuzuku erkannte, blickten in die Kamera, hinter ihnen schimmerte ein geschmückter Weihnachtsbaum. An der Haltung der Frau sah man, dass sie das Bild mit Selbstauslöser aufnahm, vermutlich, weil sonst niemand da gewesen war.
Das nächste, deutlich ältere Foto zeigte dieselbe Frau mit einem kleinen Jungen auf einem Spielplatz, und auch dieses Foto hatte sie erkennbar selbst gemacht.
Dann folgte noch ein Foto, das nur diese Frau, Tsuzukus Mutter, zeigte, wie sie in einer kleinen, aber lichtdurchfluteten Küche am Tisch saß und Gemüse schälte. Tsu war auf diesem Bild nicht mit drauf, und ich ging davon aus, dass er die Kamera bedient hatte.
Das letzte Bild zeigte wieder beide zusammen, Tsu war auf diesem Foto vielleicht neunzehn oder zwanzig, er trug ein knappes, beinahe mädchenhaftes VKei-Oberteil, und seine Tattoos waren deutlich zu sehen. Seine Mutter hatte die Arme um ihn gelegt und lächelte strahlend in die Kamera, man sah, dass ihr Sohn dieses Lächeln geerbt hatte.
Ich klappte das Album zu, schob es wieder so zwischen die Pullover, wie ich es gefunden hatte, und blieb noch einen Moment vor dem Schrank stehen.
Tsuzuku sah seiner Mutter wirklich ähnlich, sie hatte dieselben hübsch geschwungenen Lippen, und die Art, wie Augen und Brauen zusammen aussahen, war auch ähnlich. Er sprach ja nur selten über sie, aber ich war mir sicher, dass er oft an sie dachte. Sicher war es viel zu schmerzhaft, über sie zu sprechen, er trauerte ja immer noch um sie.
Ich wandte mich wieder den Sachen zu, die ich einpacken wollte, und dabei musste ich an etwas denken, was ich vor kurzem gelesen hatte, in dem einen Artikel über Borderline: Erkrankte brauchten oft sogenannte Ersatzgegenstände, viele Frauen mit Borderline besaßen zum Beispiel Puppen oder Plüschtiere, die sie brauchten, um sich nicht so allein zu fühlen. Ich sah ein getragenes T-Shirt von Meto vor dem Kleiderschrank liegen und hob es auf. Vielleicht würde es Tsuzuku gut tun, wenn er etwas bei sich hatte, das nach Meto roch.
Mit den Sachen in einem Beutel, den ich an der Garderobe gefunden hatte, verließ ich die Wohnung wieder und machte mich auf den Weg zur psychiatrischen Klinik.
Ich musste am Empfang nachfragen, auf welcher Station Tsuzuku jetzt war, und erklären, dass ich ihn besuchen und ihm ein paar Sachen bringen wollte. Als ich die Treppen hoch zu der Station ging, kam mir eine junge Frau entgegen, die ein kurzärmliges, graues Shirt und Jogginghosen trug. Sie grüße leise, und ich grüßte zurück, und erst als sie an mir vorbei ging, sah ich die heftigen Narben an ihren Unterarmen.
Und während ich die restlichen Treppenstufen bis zur Station hoch ging, fragte ich mich, wie viele Menschen es wohl in unserem Land gab, die dem höflich lächelnden, sich so gern glatt und geordnet präsentierenden Image Japans innerlich überhaupt nicht entsprachen. Ich verstand jetzt, was Tsuzuku meinte, wenn er sagte, er fühle sich kaum noch als wirklicher Japaner.
Als ich an der Stationstür ankam, kam mir gerade eine Krankenschwester entgegen.
„Sie wünschen?“, fragte sie lächelnd.
„Ich bin ein guter Freund von Aoba Genki-san, ich möchte ihn besuchen und ihm ein paar Sachen bringen.“
„Ah“, sagte sie. „Folgen Sie mir.“
Sie führte mich zu einer offenen Tür, hinter der sich ein Aufenthaltsraum befand, in dem auch einige Leute saßen und sich mit verschiedenen Dingen beschäftigten. Doch Tsuzuku war hier nicht zu sehen.
„Er wird sich wieder hingelegt haben“, sagte die Schwester und führte mich zu einer anderen Tür weiter hinten. Sie klopfte an, und ich hörte Tsu’s Stimme: „… Ja?“
„Aoba-san, Sie haben Besuch.“ Sie öffnete die Tür und ich sah Tsuzuku mit dem Rücken zum Raum in einem der beiden hier stehenden Betten liegen. Das zweite Bett war leer und unbenutzt.
„Hey, Tsu, ich bin’s“, sagte ich und ging hinein.
Die Schwester ging wieder davon, und ich trat an Tsuzukus Bett, legte vorsichtig meine Hand auf seine Schulter. Er drehte sich zu mir um und ich erschrak ein wenig, weil er so entsetzlich müde und kaputt aussah. Unter seinen Augen waren ganz dunkle Schatten, und sein Blick war so leer und ohne jede Freude, er sah aus wie ein Gespenst.
„Hast du letzte Nacht überhaupt geschlafen?“, fragte ich und stellte die Tasche mit seinen Sachen neben das Bett.
Er schüttelte den Kopf.
„Kein bisschen?“
„Nein …“
Er drehte sich ganz zu mir um, rückte ein bisschen näher zur Wand, und ich setzte mich auf die Bettkante.
„Ich kann nicht mehr alleine schlafen“, sagte er dann, seine Stimme hatte kaum noch Klang. Er sah mich einen Moment lang an und fragte dann: „Koichi? Kannst du … dich einen Moment lang zu mir legen? Bitte …“
„Ich weiß nicht, ob das so gut ist …“, erwiderte ich.
„Bitte …!“, bat er. „Ich bin so müde und kann alleine einfach nicht einschlafen …“
Er sah so kaputt aus, dass ich ihm diese Bitte dann doch nicht abschlagen konnte. Und so legte ich mich neben ihn hin, ich auf der Decke und er darunter, und meinen Arm um ihn. Er zitterte vor Müdigkeit, hatte wieder Tränen in den Augen, doch dann schloss er sie und war innerhalb weniger Minuten fest eingeschlafen.
Seltsam, dachte ich, dass er anscheinend wirklich nur schlafen konnte, wenn jemand bei ihm lag. Und so lag ich hier, hielt meinen besten Freund in meinen Armen, während er schlief. Er sah so weich und beinahe wie ein Kind aus, und sein Körper schmiegte sich im Schlaf an mich, so nah, dass ich froh war, dass die Decke zwischen uns war. Ich hob die Hand und strich ihm vorsichtig die schwarzen Ponysträhnen aus der Stirn, er schien das zu spüren und zog ein wenig die Nase kraus. Aber er wachte nicht auf.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er wieder aufwachte, so in etwa eineinhalb Stunden, die ich die ganze Zeit über bei ihm lag. In seine Augen war ein klein wenig Leben zurückgekehrt, er wirkte zumindest ein bisschen erholt und schien sich sogar zu freuen, dass ich bei ihm war.
Ich wusste nicht, worüber ich jetzt mit ihm am besten sprach, ob ich ihm sagen sollte, dass ich mit Meto geschrieben hatte und worüber. Ob ich Meto überhaupt erwähnen sollte, oder ihm das zu sehr wehtun würde.
„Wie geht’s dir jetzt?“, fragte ich leise.
Tsuzuku lächelte matt. „… Ich konnte schlafen“, sagte er. „Danke, Koichi.“
„Das ist aber noch nicht immer so, oder?“, fragte ich. „Also, dass du nur schlafen kannst, wenn jemand bei dir ist?“
Tsu schüttelte den Kopf. „Nein. Erst, seit Meto bei mir …“ Er brach ab, blickte einen Moment ins Leere und ich sah wieder Tränen in seinen Augen. Ist? War? Die Frage danach, ob die Beziehung mit Meto jetzt überhaupt noch existierte, stand nur allzu deutlich und schmerzend in seinen Augen.
Ich legte meine Arme um ihn, hielt ihn ganz fest, drückte seinen Kopf an meine Schulter. „Tsuzuku, es ist nicht vorbei, hörst du? Ich hab mit Meto geschrieben, er ist wirklich nur für ein paar Tage bei seinen Eltern. Er wird bald wieder bei dir sein.“
Ich hatte verhindern wollen, dass er wieder so sehr weinte, doch offenbar war der Schmerz in ihm viel zu groß, um nicht zu weinen.
„Aber … warum ist er … dann gegangen …?! Warum … hat er … mich … nicht … umarmt, so wie immer?!“, fragte er, konnte vor Weinen kaum richtig sprechen.
„Er war überfordert. Du hast mit Sachen geworfen, ihn angeschrien, und dich so sehr verletzt, das war einfach … zu viel für ihn.“
„Ich hab’s … gewusst … ich bin ihm zu viel … ‘ne Last … Er muss sich … vor mir schützen … mich verlassen und hassen und …“ Seine Stimme brach, bevor er weiter sprechen konnte.
Ich ließ ihn kurz los, um sein Gesicht in meine Hände zu nehmen. „Tsuzuku, schau mich bitte an und hör mir gut zu: Auch, wenn Meto gerade mit deinem Verhalten überfordert ist, ändert das nichts daran, dass er dich liebt. Ich glaube, er wird dich immer lieben. Er hat sogar selber Angst, dass du ihn jetzt nicht mehr liebst. Nur … ihr müsst beide lernen, anders mit deinem Verhalten umzugehen, verstehst du? Du brauchst eine richtige Therapie, und Meto braucht vielleicht auch Hilfe, was den Umgang mit dir und deiner Krankheit betrifft.“
„Er hat Angst … dass ich ihn jetzt … hasse?“
„Das hat er mir geschrieben. Aber das tust du gar nicht, oder, ihn hassen?“
„Wie könnte ich?! Ich will ihn … nicht hassen …! Ich will ihn lieben, immer nur lieben …!“
„Siehst du, dann wird auch alles wieder gut. Er ist bald wieder bei dir, und dann schauen wir alle zusammen, mit deinem Arzt und so, wie es weiter geht, okay?“ Ich ließ ihn wieder los, und er sank zurück ins Kissen.
„Dr. Niimura hat … mich gefragt, ob ich … idealisiere …“, sagte Tsuzuku leise. „Ich … ich weiß nicht, ob er da … Recht hat … ich will das nicht … idealisieren und dann hassen und so …“ Er wich meinem Blick aus, blickte an die Wand. „Ich will doch nur einfach mit Meto zusammen sein, ihn so sehr lieben, wie ich nur kann, und … ihn bei mir haben … damit ich …“, seine Stimme wurde wieder brüchiger, „… damit ich nur ein bisschen weiß, wer ich überhaupt bin.“
„Ich glaube auch nicht, dass du Meto hassen könntest. Dafür hast du ihn viel zu lieb“, sagte ich.
„… Ich will’s nicht!“ Wieder hatte er Tränen in den Augen. „Ich hab solche Angst davor, ihn irgendwann nicht mehr so sehr zu lieben … Heute Nacht, da war so ein Moment, wo ich es … echt kaum noch ausgehalten habe … dass er weg ist … und wo ich ihn dann … beinahe nicht mehr … geliebt hab …“
„Ach, Tsuzuku …“ Ich legte wieder meine Arme um ihn, hielt ihn fest, während er weinte.
Ich wusste nicht recht, wie es jetzt weitergehen sollte. Und ich hatte das Gefühl, dass ich mich darum kümmern musste.
Tsuzuku würde es wohl kaum aushalten, noch eine Nacht oder länger hier im Krankenhaus zu bleiben. Wenn er absolut nicht alleine schlafen konnte, musste er entweder ein Schlafmittel bekommen, oder er brauchte Meto bei sich.
Aber Meto brauchte jetzt Zeit für sich, und Ruhe, um sich vom intensiven, aufregenden Leben der letzten Monate zu erholen. Es war wirklich viel gewesen, aber ich konnte auch verstehen, dass Meto lange selbst nichts davon bemerkt und auch nichts gesagt hatte, denn wir wussten ja beide, dass Tsuzuku unter furchtbaren Schuldgefühlen litt, sobald er merkte, dass uns seine Art oder seine Krankheit irgendwie belastete.
Letztendlich beschloss ich dann, heute noch zu Meto zu fahren, um mit ihm auch noch mal zu reden.
„Tsuzuku, weißt du, was wir jetzt machen?“, fragte ich meinen besten Freund.
„Mh, was denn?“
„Du gehst jetzt zu den anderen in den Aufenthaltsraum und lenkst dich da ein bisschen ab. Und wenn du nur ein wenig Fernsehen schaust, Hauptsache, du liegst hier nicht so ganz alleine. Und ich fahre jetzt zu Meto, um ihm zu sagen, dass du ihn auch noch liebst. Vielleicht weiß er ja auch schon, wann er wieder nach Hause kommt, das schreibe ich dir dann sofort am Handy, versprochen.“
„Ich … will nicht zu den anderen …“
„Warum denn nicht?“
„Ich will hier nicht festwachsen auf der Station ...“
„Das musst du auch nicht. Du bleibst ja nicht lange hier. Du sollst dich jetzt nur ein bisschen beschäftigen, das wird dir ganz sicher gut tun.“
Ich stand langsam auf, wollte mich einfach schnell und schmerzlos zum Gehen wenden, aber Tsuzuku packte meine Hand. „Geh nicht!“
„Tsu, ich komme morgen wieder. Und bis dahin hab ich mein Handy an, du kannst mir jederzeit schreiben, okay?“
„Ich sterbe alleine!“
Ich kniete mich vor dem Bett hin, und kurzentschlossen drückte ich Tsuzuku einen kleinen, zärtlichen Kuss auf die Stirn.
„Du stirbst nicht. Denk daran, ich gehe zu Meto und sorge dafür, dass er bald wieder bei dir ist. Es wird alles wieder gut.“
„Bist du dir da ganz sicher?“, fragte Tsuzuku und klang dabei wie ein kleines Kind.
„Ja.“ Ich lächelte, streichelte seine Hand. „Ganz, ganz sicher.“
Ich brachte ihn noch bis zu dem Aufenthaltsraum, dort waren noch einige Plätze frei und im Fernseher lief gerade irgendeine Serie.
Tsuzuku setzte sich in einen der davor stehenden Sessel, er zog die Knie hoch und sein Blick machte deutlich, dass er immer noch für sich allein sein wollte.
Ich wusste nicht, ob es Angst vor den anderen Patienten war, die ihn sich so abschotten ließ, denn andererseits schien er die Einsamkeit kaum auszuhalten, und ich musste jetzt darauf vertrauen, dass sich das professionelle Personal hier um ihn kümmern würde, wenn es ihm noch schlechter ging.
Dann verließ ich die Klinik, nahm die Stadtbahn bis zum Bahnhof und stieg dort dann in den Zug in Richtung der kleineren Stadt, Metos und Tsuzukus Heimatstadt.
Auf der Fahrt dorthin ging mir alles noch mal durch den Kopf, und ich schaute in meinem Handy in den Kalender, wo ich sah, dass das mögliche Hochzeitsdatum der beiden gefährlich näher kam.
Ich fühlte mich in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass diese Hochzeit mit allem Drum und Dran planmäßig stattfinden würde, indem ich mich jetzt darum kümmerte, dass das Brautpaar wieder zueinander fand. Tsuzuku liebte Meto, und Meto liebte Tsuzuku, und dennoch war nun diese Katastrophe passiert …
Aber ich sah ja gar nicht ein, da irgendwie aufzugeben! Die beiden gehörten einfach zusammen und wussten das doch auch beide, also musste es doch unbedingt einen Weg geben, das Ganze wieder zu kitten!
Ich saß gerade am PC, im Hausbüro meiner Mama, als es an der Tür klingelte.
„Ich geh schon, Yuu!“, rief Mama aus der Küche und dann hörte ich ihre Schritte in Richtung Haustür. Über die Entfernung zwischen Eingangsbereich und Büro konnte ich erst nicht erkennen, wer da geklingelt hatte, doch dann rief Mama: „Yuu, Koichi ist hier!“
Ich schloss die drei oder vier Fenster im Internet, die ich offen gehabt hatte, sprang auf und lief zur Tür. Und da stand wirklich Koichi, lächelte mir zu und kam dann herein, zog seine Schuhe aus und umarmte mich.
„Hey, Meto, wie geht’s dir?“
Ich zuckte nur mit den Schultern. „Weiß nicht …“
„Wahrscheinlich nicht so gut, oder?“ Er sah mich mitfühlend an und fragte dann: „Können wir hier irgendwo ein bisschen sitzen und reden?“
Ich führte ihn durch die Eingangshalle ins Wohnzimmer, bot ihm einen Platz auf dem Sofa an und setzte mich ihm gegenüber hin.
„Ich war eben bei Tsuzuku“, sagte Koichi. „Ihm geht’s gar nicht gut, er hat die ganze Nacht nicht geschlafen. Wie hast du denn geschlafen?“
„Nicht gut“, antwortete ich und spürte sofort Tränen in meinen Augen. „Ich … muss die ganze Zeit … an ihn denken … es tut mir so leid … dass ich gegangen bin.“ Ich hatte die halbe Nacht geweint, Ruanas Fell nassgeheult und mir Vorwürfe gemacht, weil ich einfach abgehauen war. Warum hatte ich denn auch nicht so reagieren können wie sonst?! Ich war doch immer irgendwie mit Tsuzukus Ausbrüchen klar gekommen, warum jetzt auf einmal nicht mehr?!
Koichi stand auf, ging um den Tisch herum und setzte sich neben mich, nahm meine Hand in seine.
„Meto, bitte wirf dir das nicht so sehr vor! Du denkst ja kaum mehr an dich selbst!“
„Ich … konnte das doch sonst immer … ich bin immer irgendwie damit klar gekommen, wenn Tsu so war … Ich will ihn einfach nicht verletzen …“
„Aber, schau mal, du hast auch deine Grenzen. Du liebst Tsuzuku, das weiß ich und das ist auch gut so, aber du darfst dich dabei selbst nicht so sehr aus dem Blick verlieren. Wenn er sich falsch verhält und dich so in Gefahr bringt, dann musst du ihm auch klar machen, wo deine eigenen Grenzen sind. Sonst passiert so was doch immer wieder.“ Koichi sah mich direkt an, und ich glaubte ihm auch.
Aber irgendwie, vielleicht weil ich Tsuzuku so nah war, hatte sich seine Art, die Dinge aufzunehmen und zu verstehen, ein Stück weit auf mich übertragen. Ich bemerkte jetzt, dass es auch mir schwer fiel, eine ausgeglichene Mitte zu finden.
Ich hatte seit heute Morgen vieles gelesen. Hatte mir Artikel, Foren, digitale Bücher, alles Mögliche zum Thema Borderline angeschaut. Begonnen hatte ich damit auf der Suche nach einem Ratgeber für Partner von Erkrankten, weil ich ja selbst ahnte, dass ich als Tsuzukus Partner auch irgendeine professionelle Unterstützung brauchte. Wie sollte ich mit ihm umgehen, wenn er immer wieder so tief fiel, weinte, schrie und sich wehtat?
Aber bei dieser Suche war ich dann aber auch auf ganz furchtbare Foren-Postings gestoßen. Leute, die mal mit Borderline-Kranken zusammen gewesen waren und nun voller Hass schrieben, dass diese Menschen ‚absolut giftig‘ und ‚gefährlich‘ seien.
Ich spürte, wenn ich so etwas las, eine Mischung aus Wut und Angst. Wut, weil ich solche Postings einfach gemein fand. Und Angst, weil ich fürchtete, dass solche Menschen so etwas auch zu mir sagen würden: ‚Trenn dich von ihm, er ist gefährlich‘
Ich stand, egal was er tat, immer noch total auf Tsuzukus Seite. Mir war zwar klar, dass er gerade dachte, ich hätte ihn verlassen, aber dass dem nicht so war, wusste ich für mich ganz genau. Ich wollte wieder zu ihm zurück, wollte ihn heiraten und den Rest unseres Lebens mit ihm verbringen. Und ich sah absolut keine Alternative, wollte auch keine, denn dass Tsuzuku in jeder Hinsicht der Mann meines Lebens war, war doch längst vollkommen klar.
„Meto, sag, was stellst du dir vor?“, fragte Koichi.
„Ich … ich will wieder zu ihm“, brachte ich leise heraus und spürte, wie mir die Tränen die Wangen hinab liefen. „Er fehlt mir so … und ich will ihm sagen, dass es mir leid tut!“
„Bist du denn soweit erholt?“
„Ich weiß nicht … Aber ich will ihn nicht so furchtbar warten lassen! Er geht doch ein, so ohne mich!“
„Aber schau, das muss er auch gerade lernen“, gab Koichi zu bedenken, und ich wusste, dass er irgendwo Recht hatte.
„Ich weiß …“, sagte ich. Und sprach dann aus, was mir seit heute Mittag immer wieder durch den Kopf ging: „Aber ich denke, das hat doch Zeit bis nach der Hochzeit, oder? Ich will auf keinen Fall, dass unsere Hochzeit deswegen platzt!“
Koichi sah mich eine Weile nachdenklich an, er schien sich zu fragen, was wir jetzt tun sollten. Dann holte er sein Handy raus.
„Also willst du morgen wieder nach Hause?“, fragte er.
Ich nickte. „Ja!“
„Dann schreibe ich das so an Tsuzuku. Ich hatte ihm vorhin versprochen, dass ich ihm schreibe, wann du wieder nach Hause kommst.“
Tatsächlich wollte mein Gefühl aber nicht nur das. Nicht nur einfach morgen wieder nach Hause fahren, sondern heute schon zumindest meinen Verlobten in der Klinik besuchen. Ich wollte, dass so schnell wie möglich alles wieder gut wurde.
„Koichi? Du warst heute schon bei ihm, oder?“
„Ja. Warum?“
„Weil ich ihn sehen will. Ich will ihm direkt sagen, dass ich ihn liebe.“
„Du willst jetzt noch zu ihm fahren?“
„Ja. Weil ich nicht will, dass er sich zu lange so verlassen fühlt.“
„Hm … vielleicht ist das so gesehen wirklich das Beste …“, sagte Koichi.
Und so packte ich meine Tasche, nahm Ruana mit und sagte Mama „Auf Wiedersehen“, dann ging ich mit Koichi aus dem Haus und in Richtung Bahnhof. Im Zug redeten wir nicht viel, aber wir dachten wohl beide dasselbe, machten uns Gedanken um Tsuzuku.
Vom Bahnhof aus nahmen wir direkt die Bahn zur Klinik, stiegen dort aus, denn von da war es ja bis zu mir nach Hause auch nicht weit.
In der Klinik mussten wir eine ganze Zeit lang warten. Die Schwester auf der Station sagte, gerade sei Gruppensitzung, dann dürfte niemand von außen auf die Station. Wir setzten uns also im Bereich davor hin und warteten.
„Meto …“, sprach Koichi mich leise an, „… weißt du, es kann sein, dass Tsuzuku gleich … nicht so reagiert wie sonst, wenn ihr euch wieder seht. Er hat die letzte Nacht überhaupt nicht geschlafen, und er kommt nicht von dem Gefühl weg, dass du ihn verlassen hast. Nimm ihm das bitte nicht übel, wenn er gleich … ein bisschen distanziert oder so ist …“
Ich antwortete erst nicht. Und ehrlich gesagt hatte ich ein wenig Angst. Auch wenn Koichi gesagt hatte, dass Tsuzuku mich noch liebte, hatte ich Angst, dass sich da etwas verändert hatte. Das, was ich gelesen hatte, über Schwarz-Weiß-Denken und Wut … das machte mir wirklich Angst.
„Aber er hat gesagt, dass er mich noch liebt?“, fragte ich leise.
„Ja. Und dass er dich nicht hassen will. Er weiß, was Schwarz-Weiß-Denken ist, es ist ihm bewusst und er kämpft dagegen an.“
Und obwohl das ja eigentlich eine gute Nachricht war, stiegen mir Tränen in die Augen. Es tat mir so unsäglich Leid, dass ich weggegangen war, und zugleich wusste ich, ich hatte nicht anders gekonnt. Die Situation hatte mich, wo ich sowieso schon erschöpft gewesen war, einfach überfordert.
„Meto, eigentlich bist du doch noch nicht mal wirklich erholt, oder?“, fragte Koichi.
Ich schüttelte den Kopf. „Aber wie kann ich denn mich auch erholen, wenn ich weiß, dass Tsuzuku ohne mich so sehr leidet?!“
Koichi nickte. „Ja, das kann ich verstehen. Du hast auch kaum geschlafen, oder?“
„M-hm …“
„Und trotzdem willst du ihn jetzt schon wieder nach Hause holen?“
„Ja“, sagte ich. „Weil ich nicht will, dass wir so lange getrennt sind …“
In dem Moment kam die Krankenschwester wieder, öffnete die Tür und ließ uns herein. Aus einer anderen Tür kamen gerade die Patienten auf den Flur, und ich sah Tsuzuku, wie er sich von den anderen abwandte und wohl auf sein Zimmer wollte. Er schottete sich ab, das war ihm anzumerken, es war dieselbe unnahbare Fassade, die er auch in der Zeit auf der Straße aufgesetzt hatte.
„Tsu!“, rief Koichi. „Hey!“
Tsuzuku wandte sich um, sah erst Koichi, dann mich. Sein Blick war seltsam, er sah irgendwie … fremd oder so aus, und ich verstand, was Koichi eben mit ‚distanziert‘ gemeint hatte. Er kam auf uns zu, sah mich immer wieder kurz an und blickte dann wieder zu Koichi, so als hielte er es kaum aus, mich anzuschauen.
„Ich … bin wieder … da …“, sagte ich leise, und es war das erste Mal, dass ich Tsuzuku gegenüber so ins Stocken geriet.
Tsuzuku sagte nichts. Er stand nur da, sah Koichi an, dann wieder mich, dann blickte er zu Boden.
„Möchtest du nicht … mit mir … wieder … nach Hause kommen?“, fragte ich und spürte, wie mir das Blut in die Wangen stieg. Dass ich zum ersten Mal jetzt auch Tsuzuku gegenüber so stockte, machte mir Angst, es war, als sei diese besondere Nähe zwischen uns irgendwie … weg?
„… Willst du das denn?“, fragte Tsuzuku, seine Stimme klang belegt und rau.
„Ja“, sagte ich. „Ja, natürlich will ich das!“ Heilfroh, dass ich das wieder ohne Stocken herausbrachte, musste ich ein wenig lächeln.
Tsuzuku lächelte zurück, allerdings sehr scheu und verhalten.
„Tsu, es tut mir leid, dass ich weggelaufen bin! Es war einfach … alles so viel, ich konnte einfach nicht mehr … aber es tut mir so leid, ich …“
„Meto, mir tut’s leid“, unterbrach er mich. „Mir tut es leid, dass ich so bin.“
„Komm mit nach Hause, Tsuzuku, bitte! Du kannst auch im Wohnzimmer schlafen, oder ich schlafe da, wenn dir das im Bett noch zu viel ist, oder was auch immer …!“
Er sah mich an, und es dauerte ein wenig, bis er etwas sagte. Ich hatte Angst. Angst, dass er nicht wollte, dass er hier blieb und sich von mir trennte … In diesem Moment erschien mir seine Krankheit so unberechenbar, und ich wusste nicht, ob das, was er gerade dachte und fühlte und tat, von ihm selbst aus oder von seiner Krankheit aus kam.
„Meto, ich …“, begann er schließlich, „… ich hab dich sehr vermisst. So sehr, dass ich es kaum noch ausgehalten habe. Ich weiß nicht, ob wir … na ja, ob wir beide uns nicht vielleicht … einfach zu nah sind. Ich will auch nach Hause, aber … ich hab Angst, vor diesem Schmerz …“
„Ich kann auf dem Sofa schlafen“, sagte ich noch mal, wollte seine Hand nehmen, aber ich traute mich nicht.
Koichi, der ohne ein Wort daneben stand, wurde ein wenig unruhig, wir standen ja immer noch einfach mitten auf dem Stationsflur.
„Wollen wir vielleicht in dein Zimmer gehen, Tsu?“, fragte er schließlich in die Stille zwischen uns hinein.
Tsuzuku nickte, und wir folgten ihm zu einem der Patientenzimmer. Als wir dort drinnen waren, fing er gleich an, ohne ein Wort seine Sachen zu packen. Es war nicht viel, und als er fertig war, sagte er nur: „Ich komme mit.“
Es wurde nicht mehr viel geredet. Tsu nahm die beiden Taschen mit seinen Sachen, ging als Erster wieder aus dem Zimmer und zum Stationszimmer hin, wo er sich abmeldete und versicherte, dass er auf eigene Verantwortung nach Hause ging. Als wir dann die Station verließen, berührte seine Hand kurz meine, aber ich war mir nicht sicher, ob zufällig oder mit Absicht.
Der Weg nach Hause fühlte sich leer an. Tsuzuku sagte nichts, und ich wusste auch nicht, was er dachte. Ob Koichi gerade besser in ihm lesen konnte, konnte ich nicht erkennen, und ich traute mich nicht, danach zu fragen.
Und so gingen wir schweigend, bis auf das eine Mal vor der Haustür, als ich Koichi nach dem Schlüssel fragen musste und er ihn mir zurückgab.
Auf der Treppe fiel Tsuzuku einige Schritte hinter uns zurück, und als ich mich umdrehte, sah ich, dass er keuchte und sich die Hand ans Herz hielt. Doch ich war in diesem Moment zu unsicher, um ihm helfen zu können, und so war es Koichi, der sogleich bei ihm war und ihn stützte.
„Am besten legst du dich drinnen gleich hin“, sagte er und half Tsuzuku die letzten Treppenstufen hoch.
Ich schloss die Wohnungstür auf, ließ die beiden in die Wohnung und machte dann wieder zu. Und ich löste gleich mein Versprechen ein, holte Tsuzukus Bettzeug aus dem Schlafzimmer und machte ihm auf der ausklappbaren Couch im Wohnzimmer ein Schlaflager.
Er zog sich bis auf die Unterwäsche aus, legte sich hin, mit dem Gesicht zur Rückenlehne, zog die Bettdecke hoch und blieb so liegen. Ich sah nicht nach, ob er eingeschlafen war, sondern ließ ihn einfach so.
Koichi hatte in unserer Küche Tee gekocht und wir saßen noch ein bisschen zusammen.
„Ich hab dich für die nächsten Tage im Café krank gemeldet“, sagte er. „Du musst erst wieder arbeiten kommen, wenn mit dir und Tsu wieder alles okay ist.“
„Danke.“
„Meto, das wird wieder. Da bin ich mir ganz sicher.“
„… Er sagt ja gar nichts mehr …“, erwiderte ich leise und spürte schon wieder Tränen in meinen Augen.
„Weil er Angst hat. Ihr habt gerade beide sehr viel Angst“, sagte Koichi. „Er hat Angst, dass du ihn nicht mehr willst, und du hast Angst, dass er dich nicht mehr will.“
„Aber ich will ihn doch!“
„Dann mach ihm das klar. Du bist noch eher handlungsfähig als er. Tsuzuku hat solche wahnsinnige Angst, dass er wie gelähmt ist, er weiß wahrscheinlich gerade gar nicht mehr, wie es weiter gehen soll.“
Ich sah aus dem Fenster nach draußen, wo es schon langsam dunkler wurde. Der Tag ging schon langsam seinem Ende entgegen und ich hatte das Gefühl, als müsste ich noch heute unbedingt alles wieder in Ordnung bringen. Nur wie sollte ich das machen, wenn Tsuzuku vor lauter Angst und Schmerz nicht mehr zu wissen schien, was er eigentlich wollte?
An diesem Abend, als ich im Wohnzimmer auf dem ausgeklappten Sofa lag und verzweifelt versuchte, einzuschlafen, während mein Herz schmerzte und meine Tränen aufs Neue flossen, fraß sich diese Frage, ob jemals irgendwas wieder gut sein würde, wieder durch mein Inneres, wobei die Antwort immer wieder war, dass ich, wenn es nun wirklich zu Ende war, ebenso nicht mehr weiter wollte. Nicht mehr leben, weil mir alles so entsetzlich sinnlos erschien.
Ich lauschte, hörte nichts außer meinem eigenen, zitternden Atmen, und dachte, Meto sei schon eingeschlafen, drüben im Schlafzimmer, und in meinem Kopf wuchs der Plan, mich ins Bad zu schleichen, wo noch mein Rasierer liegen musste, mit den passenden Klingen …
Doch gerade, als ich mich umdrehen und aufstehen wollte, hörte ich leise Schritte nackter Füße auf dem glatten Boden, und Metos Stimme, ganz leise: „… Tsuzuku? Weinst du?“
Ich zog die Nase hoch, fuhr mir mit der Hand über die Augen. „Nein …“
Einen Moment lang herrschte wieder Stille, ich hörte ihn und mich atmen, wagte aber nicht, mich zu ihm umzudrehen.
„Möchtest du … vielleicht … na ja, rüber kommen … zu mir?“, brach Meto mit unsicherer Stimme die Stille. „Es ist … so leer … ohne dich …“
Er klang so unsicher und leise, beinahe schwach. Fast so, als hätte er Angst. Angst vor mir.
Ich wagte immer noch nicht, ihn anzusehen, und er kam auch nicht näher, stand dort in der Tür und wirkte so furchtbar unsicher. Wo war seine Kraft und Stärke hin, mit der er meiner Verzweiflung immer begegnet war? Warum kam er nicht einfach zu mir und umarmte mich, so wie immer?
Hatte ich es zerstört? Ihn zerstört? Ihn so sehr verletzt, dass er an der Grenze seiner Belastbarkeit war und sich nun nicht mehr getraute, auf mich zuzugehen?
Es kostete mich eine gewaltige Menge Kraft und meinen ganzen Mut, jetzt überhaupt etwas zu sagen, und das einzige, was mir über die Lippen kam, war: „Hast du … Angst vor mir?“
Ich hörte seine Schritte, er kam näher, blieb am Fußende meines Schlaflagers stehen, sodass ich nicht mehr umhin konnte, ihn anzusehen. Er sah nicht gut aus, traurig und verunsichert, seine Augen waren gerötet, er hatte geweint.
„Ein bisschen …“, sagte er leise.
„Und da willst du mich dennoch in deinem Bett?“
Meto biss sich auf die Lippen, seine Hände verhakten sich unruhig ineinander. Wieder entstand Stille zwischen uns, sie machte mir Angst. War das jetzt das Ende? Allein beim Gedanken daran schoss purer Schmerz durch meinen Körper, und Meto sah mir das natürlich an.
„Tsu?! Tut dir was weh?“, fragte er und saß Sekunden später neben mir, sah mich besorgt an, während ich meine Hand zitternd auf mein schmerzendes Herz presste.
„Geh nicht … bitte …!“, kam es mir über die Lippen, der Schmerz machte mich so wahnsinnig, dass meine Angst einfach aus mir heraus sprudelte, ich nichts mehr zurück halten konnte. „Wenn du gehst, bring ich mich um! Ich ergebe einfach keinen Sinn ohne dich, verstehst du?!“
Er sah mich erschrocken an, immer noch, obwohl er es doch längst wusste. Geflüstert kam ihm mein Name über die Lippen, und dann griff er mit beiden Händen meine freie Hand, drückte sie ganz fest.
„Tsu … Ich bin doch bei dir. Ich will nicht, dass du stirbst! Und wenn ich dabei kaputt gehe, verrückt werde, oder sonst wer schlecht über mich denkt, weil ich immer noch mit dir zusammen bin, ich gehe nicht!!“
„Warum … nicht?“, presste ich hervor, mein Herz schmerzte immer stärker.
„Weil ich dich liebe, du Idiot! Und daran wird sich nie, niemals mehr etwas ändern, nie, hörst du?! Tsuzuku, ich glaube nicht, dass mein Leben ohne dich irgendwie Sinn ergibt, da bin ich genau wie du. Ich brauche dich, und es tut mir so leid, dass ich weggelaufen bin! Ich will nur mit dir zusammen sein!“ War er eben noch so leise gewesen, so wurde er jetzt richtig laut, und ich sah, wie sich Tränen in seinen Augen sammelten und herunter liefen. „Und falls du jetzt denkst, dass ich dich nicht mehr heiraten will, dann hast du dich getäuscht, mein Lieber! Du wirst mich nicht mehr los, nie mehr!!“
Und mit einem Mal, so schnell, dass ich mit Denken und Fühlen kaum nach kam, fand ich mich in seinen Armen wieder, fest an seinen Körper gedrückt, er zitterte, weinte, und dann waren da seine Lippen an meinem Hals, ganz unglaublich warm und zärtlich, ich drehte den Kopf, sah ihn an, und er blickte mir kurz in die Augen, ehe er seine Lippen auf die meinen presste.
Und irgendwie, so als ob ich es zuvor nie wirklich verstanden hatte, obwohl wir uns so nah waren, uns so oft geliebt hatten, miteinander verschmolzen waren und jeden Morgen mit einem „Ich liebe dich“ begonnen hatten … irgendwie verstand ich es erst jetzt, so fühlte es sich an. Ich verstand es, sah es endlich, begriff, dass er mich liebte. Wirklich mit ganzer Kraft liebte, und mehr als sich selbst oder irgendwas anderes auf der Welt. Seine Worte eben, sein Ernst dabei war unüberhörbar gewesen, und auch, wie er mich dabei angesehen hatte.
„Komm mit rüber“, sagte er, stand dann auf, nahm meine Hand, und ich ließ mich von ihm hochziehen. „Ich will dich in meinem Bett, und morgen früh neben dir aufwachen, immer wieder, und zwar für den Rest meines Lebens.“
Ich ließ mich von ihm in unser Schlafzimmer führen. Mein Bettzeug blieb auf dem Sofa liegen, aber ich brauchte es auch nicht, denn Meto nahm mich einfach mit unter seine Decke, zog mich nah an sich und küsste meine Stirn. Ich sah Ruana neben seinem Kopfkissen sitzen, sie beobachtete uns und ich bildete mir ein, dass sie lächelte.
Wir schliefen nicht miteinander in dieser Nacht, uns beiden war nicht danach, und mein Körper hätte das wohl auch kaum mitgemacht, mein Herz schmerzte immer noch und fühlte sich so müde an. Stattdessen lagen wir nur zusammen da, Meto umarmte mich, und irgendwann wagte ich dann, ihn auch meinerseits wieder zu umarmen.
Er schob seine Hand zwischen uns, streichelte über meinem Herzen, ganz liebevoll und ein bisschen vorsichtig, und ab und zu küsste er mich. Ich konnte kaum darauf eingehen, fühlte mich furchtbar müde und erschöpft, aber der Wunsch, zu sterben, war wieder weg, abgetaucht, Metos deutliche Worte hatten ihn fürs erste vertrieben. Ich glaubte ihm endlich, denn dass er nach allem, was jetzt gewesen war, immer noch so felsenfest zu mir hielt, war nun Beweis genug.
„Morgen rufe ich bei dem Tempel in Kyoto an“, sagte Meto leise und streichelte dabei über meine Seite. „Wir nehmen den nächsten möglichen Termin, ich will dich jetzt so schnell wie möglich heiraten. Und danach machen wir eine richtig schöne Reise, ganz weit weg …“
„Wohin denn?“, fragte ich.
„Ich dachte da an … Hawaii.“
Ich sah ihn überrascht an. „Hawaii?!“
Meto lächelte. „Ja, Hawaii. Ich war da als Kind mal mit meinen Eltern, es ist so wunderschön da, und ich würde gerne …“, er näherte seine Lippen meinem Ohr und flüsterte hinein: „… mit dir in einem Himmelbett an einem einsamen Strand liegen, und dich lieben, während wir das Meer rauschen hören und du so glücklich bist wie noch nie zuvor in deinem Leben.“
Ich musste einfach grinsen, kichern, und diese Bemerkung machen: „Also Sex on the Beach?“
„Genau. Nur halt in einem richtigen Bett, ohne störenden Sand …“
„Hört sich ziemlich geil an“, sagte ich, wollte lachen, doch dafür schmerzte meine Brust noch zu sehr, weshalb mir nur ein etwas heiserer Laut entkam.
„Aber jetzt schlafen wir erst mal ein bisschen, okay, Tsuzuku?“ Meto fuhr mir mit dem Finger über die Nase und küsste mich leicht und zärtlich. „Wir müssen uns beide ausruhen.“
Ich schlief tief, traumlos und sehr lange, es war, als konnte mein Körper jetzt, wo ich wieder in Metos Armen lag, endlich den fehlenden Schlaf nachholen. Ein einziges Mal wachte ich auf, erinnerte mich an die furchtbare Angst, allein zu sein, doch ich spürte Metos Arm um mich und hörte ihn atmen, und so war ich bald wieder fest eingeschlafen.
Als ich wieder aufwachte, war es hell, und ein Blick auf den Wecker sagte mir, es war etwa halb elf Uhr mittags. Meto lag nicht bei mir, aber ich hörte ihn in der Küche irgendwas tun, und mir stieg der Duft nach Essen in die Nase.
„Meto?“, fragte ich laut.
Er kam sofort zu mir, setzte sich auf die Bettkante.
„Du hast lange geschlafen …“, sagte er. „Wie geht’s dir?“
„Ganz okay“, antwortete ich.
Meto lächelte, beugte sich zu mir herunter und küsste mich auf den Mund. „Ich hab vorhin beim Tempel in Kyoto angerufen. Aber da hat niemand abgenommen, also hab ich aufs Band gesprochen.“
„Und was hast du gesagt?“
„Dass wir den nächsten Termin nehmen, den sie frei haben. Und dass wir auch das Hotelzimmer brauchen.“
Ich setzte mich auf, und Meto umarmte mich auf einmal, drückte mich ganz fest an sich. „Tsuzuku, ich lieb dich so!“, flüsterte er in mein Ohr. „Ich will dich jetzt so schnell wie möglich heiraten!“
Ich legte meinerseits meine Arme um ihn, meine Lippen berührten seinen Hals. „Ich dich auch, Liebster …! Ich bin so froh, dass du wieder bei mir bist …“
„Ich liebe das, wenn du ‚Liebster‘ zu mir sagst!“ Meto lächelte wieder, dann presste er seine Lippen auf die meinen, küsste mich lange und mit einer neuen, irgendwie noch viel süßeren Zärtlichkeit. Ich schmiegte mich an ihn, und wir sanken zusammen in die Kissen, er über mir, ich spürte, wie sein Herz klopfte und …
In dem Augenblick hörte ich ein metallisches Klappern aus der Küche, das gefährliche Klappern eines Topfdeckels kurz vor dem Überkochen.
„Meto? Hast du noch was auf dem Herd?“
Er fuhr hoch, sprang auf und rannte rüber in die Küche, wo er eben und geradeso noch den Deckel vom Topf riss und die darin befindlichen Nudeln vorm Überkochen bewahrte.
Ich kam ihm nach und setzte mich auf meinen Platz am Küchentisch. Irgendwie dachte ich zwar, dass wir über das, was gewesen war, noch mal reden mussten, aber zugleich hatte ich Angst davor, große Angst, dass ich wieder eskalierte. Ich sah meinen linken Arm an, der immer noch weiß verbunden war, und tatsächlich bereute ich es jetzt, dass ich die Madonna zerstört hatte. Aber vielleicht konnte Koji da ja noch irgendwas dran machen?
Meto nahm den Topf von der Platte und begann, den Tisch zu decken.
„Gehst du dich richtig anziehen? Dann können wir essen“, sagte er.
Ich ging also ins Schlafzimmer und suchte mir Klamotten aus dem Schrank, einen grauen Pullover und eine schwarze Jeans, zog beides an und lief dann noch kurz rüber ins Bad, um meine Haare zu kämmen und mich ein klein wenig hübsch zu machen.
Als ich damit fertig war und in die Küche zurückkam, saß Meto schon am Tisch und wartete auf mich. Ich hatte tatsächlich sogar ziemlichen Hunger und nahm mir eine ordentliche Portion, die ich dann auch, wenn auch langsam, wirklich aufzuessen schaffte. Meto beobachtete mich aufmerksam beim Essen, achtete genau darauf, dass ich nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel aß.
Es war irgendwie alles wie immer, und fühlte sich dennoch seltsam und anders an. Vielleicht brauchte ich nach dem ganzen Schmerz einfach noch ein wenig, bis ich mich wieder in meinem Normalzustand fühlte.
Dass ich noch nicht wieder ganz okay war, merkte ich auch nach dem Essen, als ich plötzlich ein relativ starkes Druckgefühl im Bauch hatte. Ich legte mich im Wohnzimmer aufs Sofa und schaltete den Fernseher ein, um mich abzulenken, denn erbrechen wollte ich nicht.
„Alles okay?“, fragte Meto und setzte sich zu mir.
„Ich hab ein bisschen Bauchweh“, antwortete ich. „Aber geht schon.“
Meto nahm meine Hand, streichelte mit dem Daumen über meinen Handrücken und berührte dabei auch den Verband. Es fühlte sich eigenartig an, irgendwie unangenehm und schön zugleich, wie auch als er meine Narben berührt und sogar geküsst hatte. Mein Herz zitterte, und auf einmal hatte ich Tränen in den Augen. Sofort zog Meto seine Hand zurück, er hatte wohl Angst, dass es mir wehtat …
„Nicht …“, entkam es mir. „Nicht weggehen …!“
„Ich bleib hier, keine Angst.“ Er nahm meine Hand wieder in seine, drückte sie. „Alles gut, Tsuzuku, ich bin bei dir.“
„Willst du jetzt … einfach weitermachen?“, fragte ich nach einer Weile, und diese Frage kostete mich einigen Mut.
Meto sah mich an und nickte dann. „Ja. Also, natürlich weiß ich, dass sich irgendwas ändern muss, aber erst mal denke ich, wir sollten einfach so zusammen leben wie bisher, denselben Alltag haben wie vorher. Ich glaube, das gibt uns beiden Sicherheit, und verändern wird sich sowieso nur ganz langsam etwas …“
„Gestern Abend hattest du Angst vor mir …“
Meto drückte meine Hand, dann sagte er: „Aber jetzt nicht mehr. Mir geht’s gut, ich hab keine Angst vor dir. Und dir geht’s doch jetzt auch wieder gut, oder?“
„Hast du … Angst vor mir, wenn es mir nicht gut geht?“
„Nur, wenn du so völlig außer dir bist … Ich weiß dann einfach nicht, was ich tun soll. Aber ich will das lernen, ich lass mir auch helfen, genau wie du. Wir werden beide lernen, wie wir mit deiner Krankheit besser umgehen.“
Ich spürte sie wieder, seine unnachgiebige Stärke, mit der er mich immer noch liebte. Und vielleicht hatte ich es gestern Abend wirklich verstanden, zumindest so weit, wie es mir möglich war, zu verstehen, dass ich von Meto mit all seiner Kraft geliebt wurde.
„Dann … machen wir einfach weiter …?“
Meto lächelte, beugte sich vor und küsste mich. „Genau.“
Eine Weile saßen wir einfach still da, dann machte Meto den Fernseher an und sagte, dass er gern mit mir zusammen das laufende Baseball-Spiel ansehen wollte. Alltäglicher ging es kaum, und ich fand die Idee auch irgendwie schön, gemütlich ein Spiel anzuschauen.
Meto holte sich eine Tüte Knabberzeug, doch da ließ ich die Finger davon, mir war Essen gerade einfach nicht so geheuer.
Irgendwann, das Spiel war dann schon fast vorbei, da kam Meto näher zu mir und kuschelte sich an mich. Ich sah ihn an und bemerkte, dass seine Wangen sich zartrosa gefärbt hatten und er etwas tiefer atmete. Seine Hand auf meinem Bein streichelte zärtlich und mir lief ein heißer Schauer den Rücken hinab.
Auf dem Bildschirm war die Baseball-Schulmannschaft einer tokyoter Eliteschule gerade dabei, das Spiel zu gewinnen, aber das wurde sehr schnell zur Nebensache, als Metos Hand sich meinen Oberschenkel hinauf in Richtung meines Schritts bewegte. Es fühlte sich an wie ein kleiner elektrischer Schock, ähnlich dem, den man bekommt, wenn man das Geländer einer Rolltreppe berührt.
Ich atmete zischend ein, mein Herz begann zu rasen, und ich fragte mich sofort, was mit mir los war, weil es sich so viel intensiver anfühlte als sonst. Es war, als hätte sich die Sensibilität meines Körpers irgendwie vervielfacht, und nun empfand ich Metos Nähe und seine zärtlichen Absichten als beinahe schon überwältigend.
„Alles okay, Tsuzuku?“, fragte er leise. „Du siehst aus, als ob dir was wehtut …“
„Ja … alles gut … es ist nur so … intensiv irgendwie …“, brachte ich ebenso leise heraus.
„Intensiver als sonst?“
Ich nickte. „Fast schon überwältigend …“ Und fragte dann: „Willst du jetzt … irgendwie so was? Also, mit mir schlafen?“
Das Rosa auf Metos Wangen wurde deutlich dunkler, als er nickte. „Ich hab … irgendwie gerade solche Lust auf dich …“
„Ich weiß nicht …“, sagte ich. „Irgendwie will ich auch … Aber ich hab Angst, dass es mich … dass es mir zu viel wird …“
„Ich mach ganz langsam, okay?“ Ihm war anzumerken, er war wirklich erregt und wollte mit mir schlafen, aber zugleich wollte er mich natürlich nicht überreden …
„M-hm“, machte ich und schmiegte mich ein wenig an ihn, doch auch das fühlte sich so ungewohnt intensiv an. Warum das jetzt so war, wusste ich nicht, ich konnte nur vermuten, dass es irgendwie mit dem, was passiert war, zusammenhing.
Meto stand auf, nahm meine Hand und zog mich hoch, schaltete den Fernseher aus und führte mich rüber in unser Schlafzimmer.
„Wir können auch nur ein bisschen Petting machen, wenn du heute nicht noch mehr kannst …“, sagte er und drückte mich dabei sanft aufs Bett nieder, setzte sich dann neben mich und umarmte mich.
Ihn zu spüren, war so schön und schmerzhaft zugleich, so intensiv …! Mir entkam ein leiser Laut, der sich vielleicht etwas gequält anhörte, denn Meto ließ mich los und sah mich an.
„Alles okay, mein Herz?“, fragte er wieder.
„Ich …. ich weiß nicht …“, antwortete ich.
„Tut dir die Berührung weh?“
Ich nickte, und verneinte gleich darauf. „Nein …! Hör nicht auf …!“
„Ich will dir nicht wehtun.“
„Es macht nichts“, erwiderte ich schnell. „Es macht nichts, wenn es wehtut!“
Meto sah mich nachdenklich an, nur einen Moment lang, dann fragte er: „Möchtest du vielleicht … heute den aktiven Part? Dann tut es vielleicht nicht ganz so weh?“
„M-hm“, machte ich nur.
Meto zog sich sein Shirt über den Kopf aus, und ich sah ihn an, seinen wunderschönen, süßen Körper, das bunte Tattoo und seine sich langsam erregt rötenden Brustwarzen. Ich wollte sie küssen, diese süßen Knospen, und da merkte ich, dass ich mich nicht traute.
Ich hatte irgendwie immer noch Angst … Trotz dass ich verstanden hatte, dass er mich liebte und wollte, war da diese irrationale Angst. Aber irgendwie merkte Meto mir meine Ängste an.
„Tsuzuku“, sprach er mich an, „Du musst wirklich keine Angst haben. Ich will, dass du mich berührst und umarmst. Weil ich dich liebe und weil ich will, dass zwischen uns alles wieder okay ist.“
„Ich weiß …“, antwortete ich. „Aber … ich weiß nicht, ob ich … ob ich gerade in der Lage bin, mit dir zu schlafen … oder auch Petting zu haben …“
„Hast du … das Gefühl, als ob es dafür noch … zu früh ist? Nach dem, was die letzten Tage war?“
Damit beschrieb er ziemlich genau, wie es sich für mich gerade anfühlte, und ich nickte.
„Dann warten wir eben damit noch“, sagte er einfach. „Wir haben jede Menge Zeit.“
Ich nickte nur, verstand ich doch selbst nicht, warum mein Körper gerade so überempfindlich reagiert hatte.
Und so beließen wie es dabei. Hatten an diesem Tag keinen Sex, sondern suchten uns etwas anderes zu tun.
Meto zog sein Shirt wieder an, verschwand für eine Weile im Bad, und sagte danach einfach, dass wir noch ein bisschen einkaufen gehen konnten. In den Conbini oder in den Supermarkt, oder vielleicht sogar in einen Laden für Kleidung, weil Einkaufen etwas war, was man einfach so zusammen unternehmen konnte.
Zigaretten hatte ich noch genug, ich hatte ja letztens zwei Päckchen gekauft, und eigentlich war auch noch genug Essen im Kühlschrank.
Und so fuhren wir dann wirklich mit der Bahn in die Innenstadt, um ein bisschen durch die Läden zu streifen und vielleicht das eine oder andere T-Shirt oder ähnliches zu kaufen.
Als wir dabei auch in den Laden einer Kette kamen, die es in unserer Heimatstadt auch gab, musste ich daran denken, wie Meto und ich früher, in meiner Zeit auf der Straße, ja auch einige Male zusammen los gewesen waren. Jedes Mal, wenn mir ein Kleidungsstück kaputt gegangen war, hatte er mir ein neues gekauft, weil er nicht wollte, dass ich allzu abgerissen aussah. Schon damals hatte ich das bei aller Scham dennoch genossen, wie er sich mit dieser liebevollen Fürsorglichkeit um mich gekümmert und mich versorgt hatte.
Jetzt hatte ich selbst wieder das Geld, mir schöne Sachen zu kaufen, und fand auch einiges, was mir gut gefiel. Und während ich mir in der Männerabteilung Jeans und Shirts aussuchte, und dazu auch das eine oder andere Accessoire, verschwand mein Liebster in Richtung der Frauenabteilung, und kam nach einer Weile mit einem breiten Grinsen zu mir zurück, hielt eine Packung in der Hand, in der sich laut dem Bild darauf ein Paar halterlose Netzstrümpfe befanden.
„Guck mal“, grinste er. „Sind die nicht toll?“
„Für’s Bett, oder was?“
„Mir egal, ich zieh die auch zu ‘nem Minirock oder so an.“ Er lachte, dann fragte er: „Würdest du denn drauf stehen, wenn ich so was im Bett trage?“
Ich musste ebenso lachen, und gleichzeitig fand ich die Vorstellung wirklich ein bisschen geil.
„Kannst es ja mal auf einen Versuch ankommen lassen“, sagte ich.
„Okay!“ Er grinste wieder, und lief dann wieder los zu den Frauensachen, offenbar hatte er richtig Lust auf Shoppen und war voll in seinem Element.
Als ich dann mit zwei Jeans, drei Shirts und ein bisschen Kleinkram an der Kasse stand und zahlte, sah ich zwei Kassen weiter, wie mein Bald-Ehemann dort doch tatsächlich einen ganzen Stapel verschiedener, sehr femininer Sachen bezahlte. Ich konnte unter anderem einen schwarzen, lackglänzenden Minirock erkennen, und ein babyrosa T-Shirt mit Rüschen dran und einem süßen Häschen drauf. Ich musste lächeln, er war einfach zu süß, und nachdem ich meine Sachen bezahlt hatte, lief ich zu ihm rüber.
„Die Kassiererin hat vielleicht geguckt“, bemerkte er grinsend.
„Wenn du auch lauter Mädchensachen kaufst …“
„Aber ist mir jetzt egal. Ich mag das so, ich zieh das gerne an, und gut ist.“ Meto nahm meine Hand, wir verließen den Laden, und draußen sagte er: „Weißt du, dass du mir total viel Selbstbewusstsein gibst, Tsuzuku? Wenn du da bist, kann ich so viel, es wird immer besser!“
„Echt jetzt?“, fragte ich, obwohl mir das ja auch schon mal aufgefallen war.
„Ich bin so stolz, dass du mein Mann bist, dass wir zusammen sind und heiraten werden, und deshalb macht es mir jetzt kaum noch was aus, dass Leute gucken und so.“
„Das ist gut.“
„Ist es wirklich. Ich kann sogar fast wieder richtig sprechen!“
Ich lächelte, blieb stehen, zog ihn zu mir und küsste ihn, einfach so, mitten auf der Straße. Weil er mich einfach so, so, so glücklich machte, denn diesen Stolz, dass er mein Mann war, den fühlte ich auch.
Und hätte er vor einer Weile vielleicht noch protestiert, dass uns hier jeder sehen konnte, oder wäre zumindest rot geworden, so legte er jetzt einfach seine Arme um meinen Hals und küsste mich leidenschaftlich zurück, fast so, als wären wir zu Hause und allein miteinander.
In diesem Moment hatte ich das Gefühl, dass wir unsere Nische gefunden hatten. Unser Platz in dieser sich nach außen hin so glatt und akkurat gebenden Gesellschaft Japans war zwar eher am Rand, eine Nische eben, aber wir fühlten uns dort wohl und richtig. Wir wollten gar nicht in die Mitte, denn dort war es so eng und maskenhaft, und am Rand hatten wir so viel mehr Bewegungsfreiheit!
Ich fühlte mich in diesem Augenblick zum ersten Mal seit langer Zeit wieder als Japaner, es war doch noch ein Stück meiner Identität, die ich gerade tatsächlich erkennen und fühlen konnte. Es war mein Land, meine Heimat, auch wenn mir längst nicht alles hier gefiel. Für wenige Sekunden sah ich wieder bunt und nicht mehr schwarz-weiß, konnte erkennen, dass ich mich als Japaner empfinden durfte und zugleich nicht allen Regeln folgen musste.
Meto und ich nahmen die nächste Bahn nach Hause, und während er dann dort vor dem Spiegel im Flur seine neuen Sachen anprobierte und kombinierte, beschloss ich, mal wieder ein bisschen zum Sport zu gehen.
„Geht das denn mit deinem Arm?“, fragte Meto, als ich ihm sagte, dass ich noch ins Sportstudio wollte. „Nicht, dass die Schnitte wieder aufreißen oder so …“
„Ich schone ihn, versprochen“, sagte ich und packte meine Sportklamotten in einen Beutel. „Ich mach nur leichtes Training.“
„Pass gut auf dich auf“, entgegnete er, wandte sich mir zu und küsste mich.
Das Sportstudio war nicht allzu weit weg, nur ein Stück die Straße runter und dann rechts, und ich konnte, als ich davor stand, bis zur Klinik schauen, die ja auch hier in der Nähe war.
Dort drin war ich bis gestern gewesen, hatte da drinnen gelegen und mich entsetzlich sinnlos und verlassen gefühlt. Und jetzt im Moment ging es mir so gut, dass es Wochen her zu sein schien, dieser Zusammenbruch, der große Krach mit Meto, und wie ich bei Koichi gewesen war und dort weiter eskaliert war … Ich konnte kaum glauben, dass ich meinen besten Freund in meiner Verzweiflung sogar geküsst hatte!
Ich sah meinen linken Unterarm an, der immer noch weiß verbunden war, blickte dann noch mal in Richtung Klinik, aber dann schüttelte ich den Kopf und wandte mich dem Sportstudio zu, betrat es und ließ die Last der Erinnerung fürs Erste von mir abfallen.
Drinnen war es laut und lebhaft, es lief Musik und die meisten Geräte waren belegt. Ich sah, dass Laufbänder und Crosstrainer wohl am meisten von Frauen genutzt wurden, während die Männer sich eher dem Kraftsport zugewandt hatten.
Eigentlich hatte ich auch Lust auf Krafttraining gehabt, aber als ich einen anderen Mann dabei beobachtete, wie er schwere Hanteln stemmte, sah das sehr danach aus, als würde das, wenn ich es versuchte, meinem linken Arm nicht gerade gut tun. Und so ging ich mich erst mal umziehen, um mich danach auf eine der Bänke zu setzen, die für Pausen dort standen.
„Hey, hast du gerade kein Programm?“
Ich sah hoch und vor mir stand ein Typ in Tanktop und Sportshorts, der mit seinem kleinen Kinnbart und den bunt zutätowierten Armen eine gewisse Ähnlichkeit mit Dir en grey‘s Kaoru hatte.
„Nein, ich warte drauf, dass was frei wird“, sagte ich.
Der Typ setzte sich neben mich und pfiff anerkennend durch die Zähne. „Geiles Bodyart hast du da.“
„Danke.“ Ich wusste nicht recht, was ich tun und sagen sollte. Aber ein bisschen zu quatschen, um hier im Studio ein wenig Anschluss zu finden, konnte ja nicht schaden. „Du aber auch.“
„Ich hab dich hier noch nicht gesehen. Wie heißt du?“
„Nenn mich Tsuzuku.“
„Pseudonym?“
„Japp.“
„Auch gut. Ich bin Kao.“
Ich sah ihn überrascht an. „Kao, wie von Kaoru?“
Er grinste mich an. „Ja. Und du wärst auch nicht der erste, der mir sagt, dass ich ihm ähnlich sehe.“
Dann sah er mich kurz an, ich spürte eindeutig seinen Blick auf meinem Arm, und tatsächlich fragte er: „Sportverletzung?“
Ich schüttelte den Kopf und dachte mir in Sekunden eine Geschichte aus. „Hab mich beim Kochen verbrannt.“
„Und Tattoo im Eimer?“
„Wahrscheinlich. Muss aber mal sehen, vielleicht kann mein Kollege da noch was retten.“
„Dein Kollege?“
„Ja“, sagte ich. „Ich arbeite in ‘nem Tattoo-Studio.“
„Ah, geil. Bist richtig Tätowierer?“
Ich nickte.
„Ja wer weiß, vielleicht sieht man sich dort mal?“ Kao lächelte.
Ein Stück weiter wurde gerade eines der eher leichteren Konditionsgeräte frei, und ich stand auf, ging hin und fing mit dem Training an. Kaoru war mir gefolgt und wandte sich dem Krafttrainer daneben zu, einem Gerät, bei dem man verschiedene Gewichte über Flaschenzug hochziehen musste.
„Machst du viel Sport?“, fragte er in einer Pause.
„Ab und zu …“, sagte ich.
„Du bist ja sehr schlank …“
Wieder so eine Stelle, an der ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Bei meinem verbundenen Arm war mir das Lügen noch relativ leicht gefallen, aber was sagte ich jetzt, wo es um mein Untergewicht ging? Da gab es nicht so viele Ausweichmöglichkeiten.
„Ich weiß“, sagte ich leise und wich Kaos Blick aus. „Bin schon immer so.“
„Hast du was an der Schilddrüse oder so?“, fragte er.
„Weiß nicht …“
„Solltest du vielleicht mal untersuchen lassen“, sagte Kaoru. „Weil … ehrlich gesagt sieht das nicht gerade gesund aus.“
Ich ging nicht weiter darauf ein, zu groß war meine Scham. Ich fürchtete, dass Kao mich, wenn ich ihm sagte, warum ich wirklich so dünn war, nicht mehr ernst nehmen würde. Essstörungen, die schrieb man doch eher jungen Mädchen zu, statt einem erwachsenen Mann?
Mir ging dann auch bald die Kraft aus, sodass ich mich wieder auf die Bank setzte. Der Schlafmangel der letzten Tage und das zu wenige Essen hatten mich doch ganz schön geschwächt, auch wenn ich ja heute Morgen bis elf Uhr geschlafen hatte.
Kaoru machte noch etwas weiter, dann setzte er sich wieder neben mich.
„Alles klar?“, fragte er. „Du siehst echt müde aus.“
„Bin ich auch …“, antwortete ich. „Ich hab die letzten Tage kaum geschlafen.“
„Warum nicht?“
Ich blickte zu Boden. „Will nicht drüber reden.“
„Probleme?“
Ich nickte nur.
„Hast du jemanden, mit dem du reden kannst?“
Wieder nickte ich, dachte an Koichi und an Koji.
„Dann ist gut.“ Kao lächelte.
Ich blieb dann nicht mehr lange. Ging bald duschen, zog mich wieder an, und verließ das Sportstudio, um auf direktem Weg nach Hause zu gehen.
Zu Hause angekommen, fand ich Meto an seinem Schreibtisch sitzend, er hatte den PC an und las darin irgendwas. Als er mich ins Wohnzimmer kommen hörte, schloss er die Anzeige und drehte sich zu mir um.
„Na, war schön, der Sport?“, fragte er.
„Hab nicht sehr viel gemacht“, antwortete ich. „Da war ein Typ, Kaoru hieß der, mit dem hab ich ein bisschen geredet. Es war auch ziemlich voll, ich musste lange warten …“
Meto stand auf, ging zum Sofa rüber und legte sich lang darauf hin, in einer Weise, die mich dazu einlud, mich zu ihm zu legen. Er nahm sich meine immer noch hier herumliegende Bettdecke, um uns beide ein wenig zuzudecken, und umarmte mich dann.
„Geht’s dir gut?“, fragte er nach einer Weile, die wir einfach nur still zusammen da gelegen hatten.
Ich nickte. „M-hm …“
„Keine Angst?“
„Nur ein bisschen …“
„Wovor denn?“
„Das Übliche …“
Meto sah mich an, dann nahm er mein Gesicht in seine Hände. „Weißt du denn, dass du eigentlich gerade keine Angst haben musst?“, fragte er mit sanfter Stimme.
„Irgendwo schon“, sagte ich. „Aber die Angst ist trotzdem da …“
„Ganz schon irrational, hm?“
Ich nickte, und schmiegte mich an ihn, in einem Versuch, meine Angst dadurch selbst zu vertreiben. Metos Nähe zu spüren, um mir klar zu machen, dass er wieder bei mir war und mich nicht verlassen hatte. Er erwiderte mein Anschmiegen, umarmte mich wieder und hauchte ein Küsschen auf meinen Hals. Und ich fragte mich wiederum, wie ich seine Liebe eigentlich verdient hatte.
„Ich hab dich auch sehr vermisst, Tsuzuku“, sprach er leise und kuschelte sich an mich. „Ich hatte auch Angst, dass du mich nicht mehr liebst …“
Ich sah ihn an, etwas erschrocken, obwohl ich das ja von Koichi gewusst hatte, Metos Angst, dass ich ihn nicht mehr lieben könnte.
„Wie könnte ich?“, erwiderte ich. „Wie könnte ich dich jemals nicht mehr lieben?! Meto, ich will dich nicht hassen, ich will das nicht, hörst du?! Also, wenn es jemals so aussehen sollte, als ob ich dich nicht mehr liebe … bitte denk dann, dass ich in dem Moment nicht ich selbst bin! Manchmal … bin ich so zerstört und weg, aber das bin dann nicht ich, verstehst du?!“
Er sah mich einen Moment lang an, schien zu versuchen, meine Worte zu verstehen, und ich fragte mich irgendwie, ob er nicht vielleicht ähnlich kaputt war wie ich, damit er mich überhaupt verstehen konnte.
„Verstehe ich“, sagte er dann. „Ich werd‘ dran denken. Manchmal, wenn du … so bist, dann kommt es mir auch so vor, als ob du dann gar nicht weißt, was du da eigentlich sagst und tust. Aber … ich weiß dann oft nicht, was ich tun soll.“
‚Umarm mich dann‘, wollte ich sagen, ‚Halt mich fest, auch wenn ich um mich schlage‘ Doch die Angst davor, dass er dann sagte, dass er das nicht konnte, ließ mich schweigen.
„Tsuzuku, ich weiß nicht, wie wir jetzt weiter machen sollen. Also, zusammen sein, das ist klar, aber wie? Verstehst du, was ich meine? Es war alles so … viel in letzter Zeit …“, sagte er nach einer Weile.
Ja, das verstand ich. Doch zugleich machte es mir Angst. Ich sah wieder nur das Verschmelzen einerseits und die mich ängstigende Distanz auf der anderen Seite, nicht den Weg dazwischen, obwohl da, wenn ich Dr. Niimura glaubte, ein Weg existierte.
„Ich will nicht weggehen, nicht mal für ein paar Tage, wenn ich weiß, dass du mich so furchtbar vermissen wirst“, fuhr Meto fort. „Ich weiß, du kannst nicht alleine sein. Und ich will nicht, dass du leidest und dir dann wehtust.“
„Bin ich dir ‘ne Last?“ Die Worte waren schneller raus, als ich denken konnte.
„Nein. Ich liebe dich, und ich weiß, dass es an mir hängt, ob es dir gut geht. Aber weißt du, es haben nun einige Leute zu mir gesagt, dass ich auch mal Zeit für mich selbst brauche.“
Ich versuchte wirklich, es zu verstehen. Zu verstehen, dass Meto auch mal Zeit für sich brauchte, weil ich mit meiner Krankheit eben nicht einfach war und es ihn Kraft kostete, immer für mich da sein zu müssen. Doch meine Angst, meine verrückte, schwarz-weiße Angst, verhinderte in diesem Moment, dass ich klar denken konnte.
In mir braute sich wieder etwas zusammen, eine Mischung aus Angst, schwarz-weißem Fühlen und einer wilden Unruhe, die, das wusste ich ganz genau, gleich explodieren würde, wenn ich das jetzt nicht irgendwie stoppte.
„Hör auf …!“, brachte ich heraus. „Es tut mir leid … aber … ich kann da jetzt nicht … drüber reden …!“
„Macht es dir solche Angst?“
„Ja …!“
„Okay, dann lassen wir das jetzt. Wir können später weiter darüber reden.“ Meto sah mich an, doch ich konnte in diesem Moment seinen Blick nicht lesen.
„Möchtest du jetzt … schon schlafen gehen?“, fragte er dann.
Ich nickte, denn ich war wirklich ziemlich erschöpft und müde. Und ich sehnte mich danach, die ganze Nacht in Metos Armen zu liegen, doch ich traute mich nicht, ihn darum zu bitten.
„Erst ein bisschen Abendessen, und dann schlafen, okay?“
„M-hm …“
„Komm, du musst ein klein wenig essen. Ich füttere dich auch wieder.“
Ich musste lächeln. Die Vorstellung, dass er mich wieder fütterte, war einfach zu schön.
Und so gingen wir rüber in die Küche, wo Meto anfing, Gemüse zu schneiden und ein bisschen Reis zu kochen. Ich half ihm dabei, und als alles fertig war, saß ich ihm gegenüber, er nahm ein Stück eingelegtes Gemüse und sagte nur: „Mund auf, mein Herz.“
Ich machte brav den Mund auf und er schob mir den ersten Happen rein, ließ mir viel Zeit zum Kauen und bot mir, nachdem er selbst auch davon genommen hatte, die nächste Stäbchenladung Reis mit Gemüse an.
„Wie fühlt sich das an?“, fragte er. „Wie ist das, wenn ich dich füttere?“
„Irgendwie … total schön“, antwortete ich. „Mein Herz fühlt sich dann ganz warm an.“
„Es macht dich glücklich, nicht wahr?“
Ich nickte. Obwohl ich wusste, dass es sicher Leute gab, die das peinlich finden würden, genoss ich dieses Gefüttert-werden so sehr, es war so ziemlich das glücklichste Gefühl, das ich mit dem Thema Essen verbinden konnte.
„Ich hör nicht damit auf, Tsuzuku, versprochen.“ Meto lächelte, berührte mit seinen Lippen ganz leicht die Stäbchen und hielt sie dann samt Gemüse mir hin, wie einen indirekten Kuss. Ich nahm an, beugte mich dann über den Tisch und forderte einen richtigen Kuss ein, den ich auch bekam.
Später dann, als wir mein Bettzeug wieder in unser Bett gebracht hatten, legten wir uns zusammen hin, in Unterwäsche und mit Ruana zwischen uns. Meto umarmte mich wieder, und ich kuschelte mich an ihn, spürte seine Arme um mich und seinen Herzschlag so nah. Am liebsten wäre ich jetzt nackt gewesen, um so viel wie möglich von seiner Haut an meiner zu spüren. Nicht mal unbedingt, um mit ihm Sex zu haben, sondern einfach um nackt und eng umschlungen mit ihm zu liegen, seine Nähe zu spüren, dass er wieder bei mir war …
„Ich … wär jetzt gerne nackt“, flüsterte ich.
„Wollten wir damit jetzt nicht bis zur Hochzeit warten?“
„Nur nackt sein, ohne Sex“, präzisierte ich. „Ich möchte einfach … nackt in deinen Armen liegen.“
Meto lachte leise. „Dann zieh dich aus, Tsu.“
Er ließ mich los, und ich streifte mir die Wäsche vom Leib, er tat es mir gleich und wir kuschelten uns sogleich wieder zusammen. Ich spürte seine Wärme und Weichheit, seinen Herzschlag und sein schlaffes Glied, und es erregte mich nur ganz leicht, nicht so sehr, dass ich jetzt mehr gewollt hätte. Und ihm schien es genauso zu gehen, er blieb so, wurde nicht geil, obwohl sein Glied das meine berührte, als wir uns nackt und eng umschlangen und aneinander kuschelten. Seine Hände kraulten zärtlich meinen Nacken und strichen durch mein Haar, und ab und zu küssten wir uns, ganz süß und weich und geradezu unschuldig.
„Das ist schön so“, sagte ich leise.
„Find ich auch.“ Meto lächelte, und ich küsste seine vollen, weichen Lippen.
So als hätte ich immer noch Schlaf nachzuholen, weil mich die letzten Tage so unglaublich viel Kraft gekostet hatten, schlief ich dann sehr bald ein. Und noch im Einschlafen fühlte ich mich so sicher und geborgen, spürte Metos Haut auf meiner, hörte seinen Herzschlag und sein Atmen und sank umgeben von ihm und seiner Wärme in einen traumlosen Schlaf.
Das Erste, was ich spürte, als ich am nächsten Morgen aufwachte, war Tsuzukus nackter, warmer Körper, der sich noch genauso an meinen schmiegte, wie wir eingeschlafen waren. Er klammerte sich im Schlaf geradezu an mich, sein Gesicht an meiner Schulter verborgen, seine Arme um meinen Oberkörper gelegt und sein obenliegendes Bein über meiner Hüfte.
Hatten wir die ganze Nacht so gelegen? Oder war Tsu zwischendurch mal aufgewacht, um sich dann erneut an mich zu kuscheln? Ich wusste es nicht, aber es fühlte sich gut an, ihn so nah zu spüren.
Ich bewegte mich ein klein wenig und er ging selbst im Schlaf darauf ein, drückte sich noch ein bisschen fester an meinen Körper, und dabei spürte ich ein wenig Härte in seinem Glied. Er seufzte im Schlaf, und ich drückte ihn ein wenig an mich.
Wieder verspürte ich Lust, Tsuzuku langsam zu wecken und zu verführen, doch nachdem er gestern nicht gekonnt hatte und wir den Versuch, miteinander zu schlafen, dann abgebrochen hatten, war ich etwas unsicher. Schließlich wollte ich ihn auch nicht bedrängen.
Aber er machte es mir an diesem Morgen wirklich schwer, so, wie er hier nackt in meinen Armen lag, sich so süß an mich klammerte und einfach der verführerische, heiße, wunderschöne Mann war, den ich so sehr liebte.
Und dann, als wäre es nicht schon schwer genug, der ungeheuren Versuchung zu widerstehen, spürte ich einen Moment später auch noch seine eindeutig mehr werdende Härte an meinen Unterleib drücken, dieses ‚Ab und zu mal im Schlaf hart werden‘, das ich ja selbst nur zu gut kannte. Und Tsuzuku schien es im Schlaf selbst zu spüren, so, wie er sich an mich presste.
„Mhh …“, machte er und ich wusste nicht, schlief er noch oder war er wach? „… Meto … mhhh …“
Ich schob meine Hand zwischen uns und berührte, zuerst nur leicht, sein nun ganz hartes Glied, was ihm ein weiteres Seufzen entlockte. Egal ob er jetzt schlief oder wach war, erregt war er auf jeden Fall. Sein Gesicht drückte er immer noch an meine Schulter, und ich hörte, wie tief er atmete. Nahm er wieder meinen Geruch wahr, von dem er ja immer wieder sagte, wie sehr er den liebte?
„Tsuzuku?“, sprach ich ihn leise an. „Bist du wach?“
Langsam hob er den Kopf, öffnete die Augen und sah mich an, mit einer Mischung aus Schlaftrunkenheit und unverkennbarer Erregung. Und statt etwas zu sagen, presste er seinen Körper fest an meinen und fing an, mich zu küssen, erst meine Brust und meinen Hals, um dann seine Lippen auf meine zu drücken und mir seine Zunge in den Mund zu drängen.
Mir entkam ein leiser Laut, hörbar angetan, und ich spürte, wie ich sehr schnell ziemlich geil wurde. Tsu’s wundervoller Mund, der Spalt in seiner Zunge und die verspielten Möglichkeiten, die er dadurch beim Küssen hatte, das hatte seine verlässliche Wirkung auf mich, nach wie vor, und ich wünschte mir umgehend, dass er damit nicht nur meinen Mund, sondern meinen ganzen Körper verwöhnte. Und er schien dem keineswegs abgeneigt zu sein. Wie denn auch, konnte er sich doch ziemlich sicher sein, mich damit vollkommen verrückt zu machen.
„Willst du …?“, fragte ich atemlos, „Willst du … mit mir schlafen?“
Seine bebende Hüfte an meiner war eigentlich Antwort genug, doch ich wollte es hören, um ganz sicher zu sein.
„… Willst du denn?“ Er sah mich an, mühsam beherrscht, abwartend.
Überlegen musste ich nicht, es wäre dumm gewesen, jetzt ‚Nein‘ zu sagen. Er wollte, ich wollte auch, und wir hatten es schon so oft getan, dass es eigentlich keiner Absprache mehr bedurfte. Und so fiel ich ihm geradezu um den Hals, ließ meinen Körper voller Freude an seinem erzittern und antwortete nur: „Ja. Ja! Jaa!!“
Tsuzukus Reaktion sprach nur allzu deutlich von der überglücklichen Freude darüber, dass zwischen uns alles wieder in Ordnung war: Er küsste mich, wieder und wieder und wieder, lächelte dazwischen, lachte fast, seufzte auf, als sein Körper vor lauter Glück stärker auf meinen reagierte, und flüsterte dann in mein Ohr: „Ich darf dich jetzt wirklich vernaschen, Baby?“
„Ja“, antwortete ich und küsste ihn. „Darfst du.“
Das musste ich ihm wirklich nicht zweimal sagen. Er strahlte mich überglücklich an, rutschte dabei ein wenig runter und machte sich dann über meine Brust her, übersäte mein Tattoo-Baby mit unzähligen kleinen Küsschen und drückte dann seine warmen, weichen Lippen auf meine Brustwarze darunter, küsste sie, leckte, und begann dann, zärtlich zu saugen.
Ich stöhnte leise, und hörte und spürte es, das Geräusch seiner Lippen und Zunge, und dieses unbeschreiblich schöne Gefühl, und als er von meiner linken Brustwarze abließ, um sich der rechten zuzuwenden, war die linke ganz rot und steif.
Während Tsu dann der rechten dieselbe zärtliche Behandlung zukommen ließ und fast wortwörtlich von meiner Haut ‚naschte‘, wanderten seine warmen Hände unter der Decke meinen Körper hinab, tasteten, streichelten, und schließlich griff die eine Hand vorn zwischen meine Beine, begann, meinen Hoden und Damm zu streicheln, während die andere zielsicher meinen Hintern fand und mein Loch ertastete, dass von seinem erregenden Naschen an meinen Nippeln schon langsam weich wurde.
„Aahhh …“, entkam es mir recht laut, als er dann begann, ganz vorsichtig ein wenig zu knabbern und dabei seinen Finger langsam in mich drängte. Er ließ kurz von mir ab, sah mich an, und ich lächelte, zum Zeichen, dass es nicht weh tat, alles okay war, und ich mehr davon wollte.
Da wir beide so gerade nicht ans Gleitgel herankamen, musste Tsuzuku sich dafür kurz von mir lösen und in die Nachttischschublade greifen, dann war er wieder bei mir.
„Ist schon fast leer“, sagte er mit einem kleinen Lächeln. „Wir müssen bald mal neues kaufen.“ Er tat sich eine Ladung von dem durchsichtigen Gel auf die Finger und schmiegte sich dann wieder an mich, mit den Händen an meinem Hintern, und begann erneut, wie immer schon, meine Nippel zu verwöhnen, während er zugleich begann, mein Loch zu dehnen.
„Du bist ganz eng“, sprach er und sah mich an. Es war ein wenig Sorge in seinem Blick, so als fürchtete er, mein Loch hätte ihn schon in der kurzen Zeit der Trennung vergessen.
„Ich hatte … so ‘nen kleinen Krampf, als ich alleine war …“, gestand ich. „Auf einmal hat’s wehgetan, vielleicht, weil ich dich so vermisst hab …“ Ich sah ihn an, die Sorge in seinen Augen hatte noch ein wenig zugenommen, und ich küsste ihn, um seine Angst zu vertreiben. „Du musst mein Inneres wieder an dich erinnern, dann will es dich auch wieder.“
„Und wenn dir das wehtut?“
„Das macht mir nichts aus. Mach es einfach so wie damals, als mein Loch dich erst kennen lernen musste.“ Ich nahm sein Gesicht in meine Hände, damit er mich ansehen, mir zuhören und glauben musste. „Du hast das immer so gut gemacht, mein Herz, du schaffst das auch jetzt wieder.“
Und wirklich, er schien mir das zu glauben. Oder er konnte vor Verlangen einfach nicht anders. Er schob, drängend und vorsichtig zugleich, zwei Finger in mich, und fuhr fort, mich zu dehnen, während seine Lippen weiter meinen Körper küssten. Ich fühlte mich wie ein Stück Schokolade in der Sonne, weich und zerschmelzend, und je mehr ich meine Lust herausstöhnte, umso leidenschaftlicher wurde Tsuzukus Tun an meinem Körper.
Mit einer Hand eroberte und dehnte er mein Inneres, die andere massierte mir äußerst gekonnt Glied und Hoden, ich spürte seine warmen, schlanken Finger bis hin zu meinem Damm streicheln, und zugleich seinen heißen Mund, mit dem er mich an Oberkörper und Hals um den Verstand küsste.
Und so dauerte es nicht lange, bis er mich wieder so weit hatte, dass ich das Gefühl hatte, mein Körper bestünde aus nichts weiter als Lust und Verlangen nach ihm. Oh, wie gut er darin war, mich so süchtig nach seinen Zärtlichkeiten zu machen! Ich spürte sein pulsierendes Glied gegen meinen Unterkörper drücken und griff danach, umfasste ihn so wie er mich, um ihm etwas von diesem ungeheuren, heißen Glück zurück zu geben.
Tsuzuku sah mich an, rückte zu mir hoch und küsste mich, schob mir seine mich so süß drängende Zunge in den Mund, während seine Hände weiter meinen Unterleib verrückt machten, und ich den seinen ebenso, denn obwohl irgendwie klar war, dass er gleich in mich eindringen würde, tastete ich nun dennoch meinerseits auch nach seinem Loch, einfach weil ich wusste, wie sehr er die Berührung dort liebte und genoss.
„Ahhh …“, entkam es ihm und seine Stimme bebte vor Ekstase. „Meto … oahhh … oh Gott, jaah!“
„Das magst du so gern, nicht wahr?“, sprach ich und hörte selbst, wie meine Stimme dabei ein wenig dunkler klang.
„Wie soll ich mich … ahhh … denn da entscheiden?“, fragte er stöhnend. „Ob ich dich vögeln will oder du mich nehmen sollst … wenn du mich so … ohh … verrückt machst …“
„Soll ich aufhören?“, fragte ich mit einem leichten Lächeln.
„Sag mir einfach, was willst du?“, forderte er. „Sag mir in den eindeutigsten Worten, die du hinkriegst, was du dir wünschst!“
Und wäre ich vor gar nicht langer Zeit noch rot geworden und hätte viel zu leise gesprochen, so fiel es mir jetzt ganz leicht: „Ich will deinen Schwanz in mir. Dring in mich ein, und nimm mich so ran wie immer, du weißt, wie ich es mag. Lieb mich, vögel mich, so als wären wir nie getrennt gewesen.“
Tsu lächelte, küsste mich, und schnurrte dann gegen meine Haut: „Das kannst du haben, Baby!“
Als ich mich dann umdrehte, damit er in mich eindringen konnte, umarmte Tsuzuku mich von hinten, presste seinen heißen Körper sehnsüchtig an meinen und flüsterte Worte in mein Ohr, die mir eine Gänsehaut über den Körper schickten: „Ich hab dich so vermisst, Meto-chan! Ich hab gedacht, ich hätte dich verloren …!“
„Ich bin doch wieder da“, sagte ich.
„Ich will nie wieder solche Angst haben …!“
„Tsu, es ist alles wieder gut, ich bin bei dir. Du darfst in mich eindringen, mit mir schlafen, und wir werden danach heute einen schönen Tag zusammen haben.“
Tsuzuku gab einen leisen, glücklich klingenden Laut von sich, flüsterte ein „Ich liebe dich, Baby!“ und dann setzte er sein heißes Glied an meinen Eingang und schob sich langsam in mich.
Es spannte ein klein wenig, aber nicht zu sehr, mein Eingang und Inneres mussten sich erst wieder daran gewöhnen, doch ich konnte es gut aushalten, und als Tsu ganz vorsichtig begann, sich in mir zu bewegen, genoss ich es wieder, als wäre nichts gewesen.
Ich hörte seine liebevolle, warme Stimme nah an meinem Ohr, er atmete tief und erregt, und ab und zu verließ ein süßes Stöhnen seine Lippen. Seine wunderbaren Hände strichen genießend über meinen Körper, ich spürte und hörte, wie schön es für ihn war, mich halten, berühren, mit mir schlafen zu können.
Und je mehr er sich bewegte, je mehr das langsame Herausziehen und wieder Hineindringen zu vorsichtigen, zärtlichen Stößen wurde, umso lauter stöhnte auch ich, es fühlte sich so unglaublich gut an und ich wusste es zu genießen.
„Ist das gut, mein Liebster?“, fragte Tsu leise, seine Hände streichelten dabei an meiner Hüfte.
Ich nickte, schmiegte mich ihm noch mehr entgegen, und spürte, wie er meinen Nacken küsste.
„Und tut auch nicht weh?“
„Nein“, sprach ich. „Alles gut.“
Tsuzuku lächelte hörbar, küsste wieder meinen Nacken. Ich spürte, wie seine Lippen und Nase über meine Haut strichen, und dann fragte er: „Wie machst du das, immer so gut zu riechen?“
„Ich weiß nicht“, antwortete ich.
„Dein Parfum ist das auch gar nicht. Du riechst immer so, gerade auch dann, wenn du es nicht trägst.“ Er schmiegte sein Gesicht an meinen Hals, und ich hörte ihn einatmen.
„Wie rieche ich denn?“, fragte ich.
„Irgendwie … warm, ein bisschen süß, und ein klein wenig wie dieser Tee, den du immer trinkst. Und ganz genau so, wie der süßeste, liebste Mann auf der Welt riechen sollte.“ Er küsste wieder meine Haut und sagte dann noch: „Mich berauscht das fast. Wie ‘ne Droge, nur viel, viel besser. Wenn ich den rieche, deinen Geruch, dann fegt das manchmal einfach alle Ängste aus meinem Kopf, und es macht mich ziemlich geil.“
Während er sprach, spürte ich, wie sein Glied in meinem Eingang die Lust und Liebe in seinen Worten widerspiegelte, diesen leisen, süßen Pulsschlag. Und er folgte dem, griff mit beiden Händen meine Hüfte und begann wieder, ein wenig zu stoßen, und sein Stöhnen dabei klang so süß wie nichts sonst auf der Welt.
Ich spürte, wie sicher er sich gerade fühlte, wie glücklich er war, und dachte daran, wie sehr ich das liebte. Und dass es überhaupt möglich war, ich ihn damit, dass wir miteinander schliefen, so glücklich machen konnte, das machte mich selbst glücklich.
Schließlich hätte es ja damals auch sein können, dass er als ‚Eigentlich-Hetero‘-Mann vielleicht Vorbehalte gehabt hätte, mit mir als einem anderen Mann Sex zu haben. Aber stattdessen hatte er den Anfang gemacht, hatte mir als erster seine Liebe und den Wunsch nach Intimität gestanden, und mir damit eine weitere Möglichkeit gegeben, für ihn zu sorgen und ihn glücklich zu machen.
„Meto?“, sprach er mich leise an. „Du bist ja ganz in Gedanken heute …“
Ich griff hinter mich, berührte ihn, streichelte ein wenig. „Alles gut, Tsu. Ich hab mich nur gerade an was Schönes erinnert.“
„An was denn?“, fragte er, seine Stimme klang ganz lieb und warm.
„An unsere erste Nacht, damals in dem Hotel …“
Tsuzuku schmiegte sich an mich, küsste wieder meinen Nacken. „Ja, das war schön. Dir endlich zu sagen, dass ich dich liebe …“
„Und es hat dir echt gar nichts ausgemacht, dass ich ein Mann bin?“
„Nein. Ich hab mich ja nicht mal gefragt, ob ich schwul bin oder nicht oder so was. Ich hab dich einfach nur geliebt, und so wird’s immer sein.“
Er lachte leise, dann sagte er: „Und jetzt möchte ich gerne … so einen richtig schönen Höhepunkt, und mich in dein Inneres ergießen, damit du was von mir in dir hast …“
Noch während er sprach, fing er wieder an, sich in mir zu bewegen, zuerst noch vorsichtig, dann immer drängender und schneller. Und dabei traf er immer wieder diese süße Stelle in mir, was mich geradezu aufschreien ließ und dafür sorgte, dass ich mich ganz weich und hingegeben fühlte.
Eine seiner Hände verließ den Platz an meiner Hüfte und wanderte hoch zu meinen Nippeln, begann, diese abwechselnd zu massieren, und ich spürte dabei Tsuzukus Herzschlag an meinem Rücken.
Er stieß, stöhnte und schrie, ganz seiner Lust an mir hingegeben, seine Finger krallten in meine Haut, deutlich machend, dass er sich in seiner Ekstase ganz und gar gehen ließ. Ein wenig kratzte er mich dabei, aber das tat kaum weh, im Gegenteil, es machte mich ziemlich an, und als er dann ein letztes Mal bebend und mit einem heiseren Aufschrei in mich drängte, fühlte ich seinen Samen.
Schwer atmend und schweißnass klammerte er sich an mich, seine Lippen an meinen Nacken pressend, seine Hand an meinem Unterleib umfasste mein Glied und begann, es zu massieren. Er musste ziemlich geschafft sein, und trotzdem vergaß er nicht, dass ich auch kommen wollte. Und seine Hand wusste genau, wie ich am Schönsten kam, sodass ich einen Moment später mich mit einem lauten Stöhnen ergoss.
„Meto“, flüsterte Tsuzuku mit weicher Stimme meinen Namen, „Das war schön …“
Ganz langsam zog er sich raus, wobei ich spürte, wie etwas von seinem Samen mit herausrann, und ich hörte Tsu leise lachen.
„Du hast ‘nen Creampie, mein Liebster“, sagte er und küsste meine Schulter.
„Einen was?“ fragte ich, denn dieses Wort hatte ich noch nie gehört.
„Creampie“, wiederholte Tsuzuku und erklärte: „So heißt das, wenn der Samen beim Rausziehen wieder rausläuft.“
„Was du alles weißt …“, erwiderte ich und dachte daran, dass er das sicher noch aus seinem alten Leben kannte, als er so viele Freundinnen gehabt hatte.
Wir blieben noch einen Moment so liegen, dann stand Tsuzuku auf und hielt mir die Hand hin, um mir ins Badezimmer zu helfen. Er führte mich rüber ins Bad und so gingen wir dann zusammen duschen, wobei er es sich nicht nehmen ließ, mich zu waschen.
Während er das tat, sah ich einmal herunter auf seinen immer noch weiß verbundenen Arm und musste daran denken, was passiert war. Vielleicht war es nicht richtig, dass wir jetzt einfach so versuchten, weiter zu machen, nachdem so etwas gewesen war, aber ich wusste es nicht besser. Ich wollte, dass Tsu sich bei mir sicher fühlte, und deshalb machten wir jetzt vorerst eben einfach weiter. Was nützte es denn, wenn ich ihm jetzt Druck gemacht hätte? Nichts.
„Was machen wir heute?“, fragte er, als wir dann mit dem Duschen fertig waren und uns abtrockneten.
„Ich rufe bei dem Tempel in Kyoto an“, sagte ich. „Wir nehmen den nächsten möglichen Termin.“
„Soll ich das vielleicht machen?“ fragte Tsuzuku. „Du telefonierst doch nicht so gerne …“
„Kannst du auch machen“, erwiderte ich. „Hauptsache, wir heiraten ganz bald.“ Ich legte meinen Arm um ihn und drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen.
„… Und du willst mich wirklich immer noch?“, fragte er, ganz leise.
„Ja. Will ich.“ Ich küsste ihn wieder. „Wen, wenn nicht dich?“
„MiA, zum Beispiel?“ In Tsuzukus braunen Augen war der Schmerz beim Gedanken an meinen Exfreund nur allzu deutlich zu sehen.
„Vergiss MiA bitte. Das ist vorbei. Ich hab mich für dich entschieden, und dabei bleibt es. Du bist der Mann meines Lebens, Tsuzuku.“
„Ich bin krank …“
Die Situation drohte schon wieder, viel zu gefährlich zu werden, es war einer dieser Momente, wenn Tsuzukus Stimmung plötzlich kippte …
„Ich weiß das doch. Und ich will dich trotzdem. Ich liebe dich, so wie du bist. Ich weiß, dass es dir schwerfällt, mir das so zu glauben und es auch zu sehen. Also sage ich es dir immer wieder.“
„Und wenn sie dir sagen, du sollst mich verlassen? Dass du mit einem wie mir nicht glücklich werden kannst?“
„Wer sind denn ‚sie‘?“
Tsu zuckte nur mit den Schultern.
„Dann können die mich mal“, sagte ich, legte meine Hände auf Tsuzukus Schultern und sah ihm fest in die Augen. „Ich weiß, dass ich mit dir glücklich bin. Dass ich nur dich will, weil ich dich liebe, nur dich allein. Und vielleicht liebe ich dich ja auch genau deshalb, weil du anders bist. Weil du ein Mensch mit so starken Gefühlen bist. Weil du mich so sehr brauchst.“
Er sah mich an, in seinen Augen arbeitete es, und es dauerte einen Moment, bis er fragte: „Wirklich?“
„Ja. Wirklich. Glaub mir das bitte.“ Ich beugte mich vor und küsste ihn. „Und deshalb kümmern wir uns jetzt heute darum, dass wir so bald wie möglich heiraten können.“
Nachdem wir uns abgetrocknet und angezogen hatten, machte ich Frühstück und Tsuzuku wandte sich tatsächlich dem Telefonieren zu. Ich hatte noch die Visitenkarte von dem Tempel, die gab ich ihm und er rief dort an, ich hörte zu, während ich den Tisch deckte.
„Guten Morgen, Aoba hier … Wir waren letztens bei Ihnen im Tempel in Kyoto, mein Verlobter und ich, weil wir bei Ihnen heiraten wollen. Wir hätten gerne den nächstmöglichen Termin.“
Da er zum Telefonieren ins Wohnzimmer gegangen war, konnte ich nicht hören, was am anderen Ende der Leitung gesprochen wurde, aber ich hörte ihn antworten: „Hm … Lassen Sie mich einen Moment überlegen … Wie sieht es denn mit der Regenzeit in Kyoto aus, wann wird die einsetzen?“
Wieder wurde geantwortet und ich konnte nicht hören, was genau.
„Ah, das hört sich gut an. Ist dann auch das Hotelzimmer frei?“ Und dann: „Ja, danke, das ist sehr gut. Vielen Dank. Fünfter Juni, ja, das ist genau richtig.“
Fünfter Juni also. Das war wirklich nicht mehr lange hin. Ich lächelte, und als Tsuzuku zu mir in die Küche kam, strahlte auch er über das ganze Gesicht.
„Fünfter Juni!“, sagte er, umarmte und küsste mich.
„Freust du dich?“
„Jaa!“ Er sah so glücklich aus, war dabei so süß!
„Dann rufe ich mal Mama an. Sie wollte nämlich unbedingt unsere Hochzeitsreise organisieren.“
„Honeymoon auf Hawaii …“, sprach Tsu mit weicher Stimme. „Geht das denn so schnell einzurichten?“
„Mama hat Beziehungen dort hin. Das überlassen wir ganz ihr, so was kann sie gut.“
Wir frühstückten dann zusammen, Tsuzuku aß sogar recht gut, ihm schien es auch gut zu gehen. Statt wie sonst nur zu rauchen und mir beim Essen zuzusehen, machte er sich eine ganze Scheibe Marmeladenbrot und trank dazu sogar eine ganze Tasse Kaffee. Ich trank meinen ja mit viel Milch und Zucker, Tsu dagegen mochte ihn am liebsten schwarz. Er schien, ähnlich wie beim Rauchen, einfach konzentrierteren Stoff zu brauchen, sofern man denn Koffein auch als Droge zählte.
„Meto trinkt Mädchenkaffee“, grinste er, als ich mir noch Zucker nachfüllte. Aber ich wusste ja, wie er solche Scherze meinte, ich nahm ihm das nicht übel.
Ich grinste zurück. „Ich weiß. Ich bin ja gerne das Mädchen.“
„Außer, wenn du es gerade mal liebst, mich zu vögeln …“ Tsuzuku lachte.
„Du hast das doch gern!“
„Hast Recht.“ Er beugte sich vor und küsste mich. „Weißt du, dass mich das immer noch extrem glücklich macht?“
„Was denn?“
„Dass wir so tauschen, im Bett und so.“
„Weil du es gern in den Hintern hast?“
Tsuzuku grinste wieder. „Ja, das auch. Aber vor allem ist mir das für unsere Beziehung wichtig. Ich will einfach alles tun, damit wir gleichauf sind und eine gute Beziehung haben …“
„Hält das ein wenig … deine Ängste unter Kontrolle?“, fragte ich vorsichtig.
Tsu nickte.
„Und drüber reden tust du auch gern“, bemerkte ich lächelnd.
Da wurde Tsuzuku dann doch ein wenig rot um die Nase. „Ja …“
Gerade, als wir mit dem Frühstück fertig waren, klingelte Tsuzukus Handy, und daran, wie er reagierte, sah ich gleich, dass es Koichi sein musste. Sie redeten einen Moment, Tsu teilte Koichi unser Hochzeitsdatum und die Uhrzeit mit (vierzehn Uhr), und dann fragte Tsu mich, das Handy noch am Ohr, ob ich denn schon eine genauere Vorstellung hätte, was die Gästeliste für unsere Hochzeit betraf. Anscheinend war Koichi da schon mitten in der Planung.
„Ich dachte, wir laden Haruna, Hanako und Yami ein, vielleicht noch ein, zwei andere, so ein paar Leute aus dem Park halt. Dann Koichi und Mikan, und meine Eltern …“, zählte ich auf, laut genug, damit Koichi es am anderen Ende der Leitung auch verstand.
„Ich wollte Hitomi noch fragen, aber ich weiß nicht mal, ob sie überhaupt kommen würde …“, sagte Tsuzuku.
„Also, von mir aus kannst du sie gerne einladen.“, sagte ich. „Ich kenn sie ja noch gar nicht, aber sie ist wichtig für dich, oder?“
„Schon, ja …“
Koichi sagte etwas, das ich jedoch nicht verstand, aber Tsuzuku wiederholte es für mich noch einmal: „Also sind wir jetzt bei sieben oder acht Gästen?“
„Tsu, sag mal, was ist mit deinen Kollegen vom Studio?“, fragte ich.
„Hmm … Vielleicht sollte ich Koji und Ami wenigstens fragen, ne? Wäre vielleicht auch gut, Ami einzuladen, weil sie und Hitomi sich gut kennen, dann ist Hitomi nicht so alleine.“
„Also zehn Leute, und dann noch wir beide, macht zwölf, ich glaube, das reicht schon“, sagte ich.
Wir verblieben dann erst mal so, dass Koichi den Gastraum in dem Hotel, wo wir auch das Zimmer hatten, für zwölf Leute buchte, und wir überließen ihm die Auswahl von Essen und Deko.
Tsuzuku schrieb Nachrichten an Takashima, Ami und Hitomi, und ich schrieb den Mädels aus dem Akutagawa-Park, dass wir sie gerne zu unserer Hochzeit einladen wollten.
„Meto, dein Kleid hängt immer noch bei Koichi, ne?“, fragte Tsuzuku danach.
„Ja. Und du kriegst es erst zu sehen, wenn wir beide vor dem Priester stehen.“
„Bist du abergläubisch?“
„Nein. Aber ich will deinen Blick dann sehen.“
Tsuzuku strahlte mich an und küsste mich. „Ich freu mich schon drauf.“ Er trat hinter mich, legte seine Arme um mich und küsste erst meinen Hals, dann flüsterte er in mein Ohr: „Und darauf, dich dann abends auszupacken, mein Lieblingsgeschenk …“
Ich berührte seine Hände an meinem Bauch, streichelte mit meinen Fingern seine Handrücken.
„Kriegt Ruana eigentlich auch ein Kleid an?“, fragte Tsu.
„Natürlich. Das, was sie auch zu meinem gepunkteten Kleid immer anzieht.“
Tsuzuku lachte leise, küsste wieder meine Halsbeuge und schnurrte: „Und darf sie zusehen, wenn ich dich auspacke und liebe?“
Ich musste kichern. „Möchtest du das?“
„Ja …“
„Dann darf sie zuschauen. Sie muss ja auch sehen können, dass du als mein Mann auch gut zu mir bist“, sagte ich.
„Ich werde dir die süßeste, schönste, romantischste Hochzeitsnacht schenken, die du dir nur vorstellen kannst!“
„Das glaube ich dir.“
Tsuzuku umarmte mich fester, presste seine Lippen auf meine Haut, und ich spürte sein Herz aufgeregt klopfen. Ich fand es wundervoll, wenn er so über alle Maßen verliebt in mich war, das Glück schien nur so in ihm zu sprudeln, und seine lustvolle Lebendigkeit in solchen Momenten riss mich jedes Mal aufs Neue so wunderbar mit.
„Und was machen wir heute?“, fragte er dann, mich immer noch von hinten umarmend.
„Worauf hast du denn Lust?“, fragte ich zurück.
„Eigentlich auf Schwimmbad oder so. Aber … ich glaube, das geht mit meinem Arm nicht so gut …“
Ich ging in Gedanken vieles durch, was wir schon zusammen gemacht hatten, und dabei fiel mir auf, dass wir schon lange nicht mehr im Tierpark gewesen waren. In unserer Heimatstadt gab es einen, wo wir mal zusammen gewesen waren, als Tsu noch auf der Straße gelebt hatte, und seitdem waren wir nicht mehr dort gewesen.
„Wie wär’s denn mit Tierpark?“, fragte ich also.
Tsu ließ mich los, ich wandte mich zu ihm um, und er sagte: „Stimmt, das hatten wir echt lange nicht mehr.“
„Dann lass uns das doch heute machen.“
Gesagt, getan, machten wir uns also auf den Weg zum Bahnhof.
Wir mussten eine Weile auf den Zug warten, und in der Zeit nahm Tsuzuku sich Ruana aus meiner Tasche und fing an, ein wenig mit ihr zu spielen. Er redete mit ihr, als sei sie unser kleines Kind, sagte, dass er sie genau so lieb hatte wie mich, und gab ihr Küsschen aufs Köpfchen. Ich sah zu und fand es süß, weil Tsu offensichtlich gerade ziemlich glücklich war. Zwar bemerkte ich, dass manche Leute uns anschauten und vielleicht seltsam fanden, aber das war mir egal. Tsu war glücklich und wir waren zusammen, das war alles, was für mich zählte.
Als der Zug einfuhr, kam Ruana wieder in meine Tasche und wir stiegen ein, suchten uns eine halbwegs ruhige Ecke (was nicht ganz einfach war, denn der Zug war ziemlich voll) und ich holte mein Handy und den Twin-Adapter raus, damit wir zusammen Musik hören konnten.
Während der Fahrt nahm Tsuzuku irgendwann meine Hand und ließ sie nicht mehr los, bis wir angekommen waren. Und als wir ausstiegen und den Bahnhof in Richtung der Stadtbahn verließen, spürte ich, wie er innerlich geradezu schwebte. Ich hoffte, dass auf dieses überschwappende Glück kein allzu tiefer Absturz folgen würde, sondern ein ruhiges Absinken in einen normal entspannten Zustand …
Wir nahmen die kleine Stadtbahn in Richtung des Tierparks, der ein wenig außerhalb gelegen war. Die Bahn fuhr unter anderem auch in Sangenjinja vorbei, dem Viertel, wo Tsuzuku früher mit seiner Mutter gelebt hatte. Während dieses Teils der Fahrt lehnte er sich an mich und barg sein Gesicht an meinem Hals, so als ertrage er schon den Anblick der Straßen nicht. Ich legte meinen Arm um ihn und flüsterte: „Alles gut, ich bin bei dir“, was auch zu wirken schien, denn als die Stadtbahn aus Sangenjinja herausfuhr und in eine andere Gegend kam, setzte Tsu sich wieder gerade hin und wirkte wieder so glücklich wie zuvor.
An den Kassenhäuschen vor dem Tierpark gab es lange Warteschlangen, und wir stellten uns dort an, wo es noch am ehesten okay war. Und dennoch, ich wusste, dass solche Menschenmengen Tsuzuku Angst machten, das sah ich auch daran, wie er den linken Ärmel seiner Jacke so weit wie möglich langzog, um den Verband an seinem Handgelenk und Unterarm auf jeden Fall zu verbergen.
„Niemand weiß, was du da gemacht hast“, sagte ich ganz leise zu ihm und berührte ihn dabei leicht am Rücken. „Stell dir einfach vor, die Leute denken, du hättest dich da nur beim Kochen mit heißem Wasser verbrannt …“
Tsuzuku sagte nichts, aber seine Hand griff in meine Handtasche, tastete nach Ruana.
„Wir sind bei dir, Ruana und ich. Dir kann nichts passieren“, sagte ich.
Als wir endlich dran waren und die Eintrittskarten kauften, die ich bezahlte, war Tsu wieder einigermaßen entspannt. Er lief ein Stückchen voraus, sah sich um und steuerte dann zielstrebig auf das erste Gehege zu, den Streichelzoo mit Ziegen und ein paar Schafen darin.
Und wieder, wie vorhin am Bahnhof, als er mit Ruana gespielt hatte, schien er in eine Art von ‚Kind-Modus‘ umzuschalten, wirkte auf einmal ganz süß und verspielt, als er das Streichelgehege betrat und mir freudestrahlend zurief, dass die Ziegen Junge hatten.
Vorne gab es einen Automaten, an dem man Futter für die Ziegen kaufen konnte, und ich kaufte eine Packung, dann betrat ich das Gehege. Tatsächlich, so wie immer im Frühling, liefen eine Menge Lämmchen darin herum, und ich sah, wie Tsuzuku sich einer der jungen Ziegen näherte, sie zuerst an seiner Hand schnuppern ließ und dann vorsichtig streichelte. Die Kleine schmiegte sich mit geschlossenen Augen an seine Hand, schien die Berührung zu genießen, und Tsu sah zu mir auf und lächelte.
„Schau mal, sie mag das“, sagte er und sah dabei so glücklich aus, dass mir innerlich ganz warm wurde.
„Kann ich verstehen“, erwiderte ich lächelnd. „Du kannst gut streicheln.“
Zu der einen kleinen Ziege gesellte sich eine Zweite, sie gab ein leises „Mäh“ von sich und fing an, an meinem Schuhband zu knabbern. Vorsichtig, aber bestimmt bedeutete ich ihr, das sein zu lassen, und fing an, sie ein wenig zu kraulen, worauf hin sie sich ähnlich an meine Hand schmuste, wie ihre Kameradin das bei meinem Verlobten tat. Tsu fing jetzt an, fast schon mit der kleinen Ziege zu kuscheln, er hob sie halb hoch, sodass sie nur noch auf den Hinterbeinen stand, und drückte sie an sich, so als wäre sie eine kleine Katze.
„Ich will diese Ziege haben“, sagte er und lachte. „So eine süße, kleine Ziege …!“
„Ne Ziege ist bei uns aber schwer zu halten“, erwiderte ich.
„Dann nehmen wir eben ‘ne Katze. Aber ich will wieder ein Tier zu Hause haben.“
„Echt jetzt?“
„Ja. Ich hatte, nachdem mein Hund damals gestorben ist, kein Haustier mehr. Und jetzt merke ich, es fehlt mir.“
„Nach der Hochzeitsreise“, sagte ich, während meine Hand weiter die kleine Ziege kraulte. „Dann schaffen wir uns ne Katze an.“
Tsuzuku ließ die Ziege los, die aber wohl noch nicht genug von ihm hatte, denn sie schmuste ihren Kopf an sein Bein, und er küsste mich.
„Die Ziege mag dich“ sagte ich lächelnd und küsste ihn meinerseits.
Tsu nahm mir dann die Futterpackung aus der Hand und begann, die Ziegen zu füttern. Sofort war er von der ganzen Herde umringt, was ihm aber zu gefallen schien, auch wenn er Mühe hatte, sich die großen Böcke vom Leib zu halten.
Ich stand ein wenig abseits daneben, sah ihm zu und dachte mir, dass wir viel öfter herkommen sollten. Der Umgang mit Tieren schien Tsuzuku jedenfalls sehr gut zu tun, er blühte geradezu auf und fühlte sich richtig wohl.
Während wir dann nach den Ziegen auch all die anderen Tiere anschauten, blieb Tsuzukus gute Stimmung fast durchgehend so schön. Es gab unter anderem auch eine Voliere mit Raben darin, von denen er ähnlich fasziniert war wie von den Ziegen, und Tsu ging ganz auf die verschiedenen Tiere ein, sprach mit ihnen, streichelte einige, und ich freute mich einfach, dass es ihm so gut ging.
Nur einmal zwischendurch schien er von irgendwas innerlich angegriffen zu sein, das ging jedoch schnell wieder vorbei.
Irgendwann holte ich mein Handy raus und fing an, Fotos von ihm und den Tieren zu machen, damit wir uns später daran erinnern konnten, wie glücklich er heute war.
Der Tierpark war nicht sehr groß, eher übersichtlich, und so waren wir bald überall durchgekommen und kauften uns in der Bude beim Ausgang noch jeder ein Eis.
Dabei erinnerte ich mich an neulich, als Tsuzuku aus einem simplen Eis am Stiel eine ganz persönliche Peepshow für mich gezaubert hatte.
Das tat er diesmal nicht, zumindest nicht so offensichtlich oder mit Absicht. Aber auch so war es mir eine Freude, ihm dabei zuzusehen, wie er das Eis aß, weil er mit seinen hübschen Lippen und der gespaltenen Zunge einfach von selbst eine Augenweide für mich war.
Und ihm schien es ähnlich zu gehen, denn während er aß, schaute er mich fast die ganze Zeit über an und sagte schließlich: „Ich liebe deinen Mund, weißt du das, Meto-chan?“
Ich lächelte und zog dann aus Spaß eine Grimasse, was meinen Verlobten dazu bewegte, aufzustehen, um den kleinen Tisch, an dem wir saßen, herumzugehen und mich in aller Öffentlichkeit zu küssen.
„Mein Mann …“, flüsterte er mir zu, „Meiner …!“
Irgendwo hinter uns hörte ich, wie sich eine ältere Dame zischelnd über uns mokierte, aber in diesem Moment schien das weder Tsuzuku etwas auszumachen, noch kratzte es mich an. Sollten diese alten Leute doch denken, was sie wollten! Meine absolute Priorität war weiterhin, Tsuzuku glücklich zu machen, und wenn es ihm so gut ging wie jetzt und er sich selbstbewusst fühlte, war alles gut. Und sollte es ihn doch kratzen, dann würde ich ihn verteidigen!
Auf der Heimfahrt lehnte Tsuzuku sich in der Bahn an mich, er schien ein wenig müde und ich hörte, wie sein Magen knurrte.
„Hast du Hunger?“, fragte ich.
„Ein bisschen …“, antwortete er.
„Wenn wir zu Hause sind, koche ich was Schönes für uns“, versprach ich und streichelte seine Seite.
„Und Schokopudding zum Nachtisch?“, fragte Tsu in einem fast kindlichen Ton.
„Schokopudding?“
„Jaa!“
„Okay, dann auch Schokopudding.“
Zu Hause angekommen stellten wir dann fest, dass uns für ein komplettes Mittagessen die Zutaten fehlten. Wir waren lange nicht mehr richtig einkaufen gegangen. Aber Milch, Schokolade und Puddingpulver waren tatsächlich noch da.
„Dann machen wir eben nur Pudding“, sagte Tsu. „Ich schaffe es wahrscheinlich sowieso nicht, noch mehr zu essen.“
Da ich aber doch mehr brauchte, machte ich mir zwei Scheiben Brot, und dann wandten wir uns gemeinsam dem Puddingkochen zu. Wir hatten hier in der Wohnung noch keinen gemacht, es war ein Wunder, dass wir alles dafür dahatten, und ich musste in Mamas Kochbuch nach dem Rezept suchen.
Während ich also die Milch in einem Topf auf dem Herd erhitzte, packte Tsuzuku die Schokolade aus, und naschte dabei auch ein wenig davon. Er schob sich ein Stück Schokolade in den Mund, drehte sich dann zu mir um und schenkte mir den wortwörtlich süßesten Kuss, den man sich nur vorstellen konnte.
Mit glücklich leuchtenden Augen wischte er sich danach die Schokolade mit dem Daumen von den Lippen und küsste mich wiederum, um meinen jetzt ebenso schokoladenverschmierten Mund mit seiner Zunge zärtlich abzulecken.
Himmel, wie wahnsinnig süß er einfach war, wenn es ihm so gut ging!
Das eigentliche Puddingkochen war dann irgendwie wieder meine Sache, während Tsuzuku lieber den Tisch deckte. Und als ich den fertigen Pudding dann in eine Schüssel füllte, schnappte Tsu sich den Topf und fing an, mit einem großen Löffel die darin verbliebenen Puddingreste weg zu naschen.
„Hast richtig Hunger heute, ne?“, fragte ich, und er nickte mit vollem Mund.
Während wir dann warteten, dass der Pudding in der Schüssel etwas abkühlte, rief ich dann meine Mama an, um ihr den Termin unserer Hochzeit mitzuteilen, und sie wegen der Hochzeitsreise zu fragen. Ich stellte den Ton laut, damit Tsuzuku mithören konnte.
„Hallo Yuu! Na, wie geht’s dir?“, fragte Mama.
„Mir geht’s gut, und Tsu auch. Wir haben jetzt einen Hochzeitstermin. Fünfter Juni.“
„Oh, das ist ja schon ganz bald … Habt ihr es so eilig?“
„Ja … Nach allem, was jetzt war, wollen wir einfach so schnell wie möglich heiraten.“
„Und wohin soll die Hochzeitsreise gehen?“, nahm Mama mir gleich die nächste Frage vorweg.
„Deswegen rufe ich dich an, Mama. Ich möchte Tsuzuku gerne Hawaii zeigen, deshalb wollte ich dich fragen, ob du das für uns organisieren kannst.“
Mama lachte. „Jaa, Hawaii ist für eine Hochzeitsreise wirklich wunderbar geeignet! Und ich weiß auch noch, wie gut dir der Urlaub dort als Kind gefallen hat.“ Sie schwieg einen Moment, dachte wohl darüber nach, dann sagte sie: „Ich schau mal, ob ich das organisieren kann. Im Moment habe ich recht viel zu tun, einen komplizierten Fall … Aber ich krieg das schon hin.“
„Danke, Mama. Und wenn wir dir irgendwas helfen sollen, sag einfach Bescheid.“
„Bist ein Schatz, Yuu. Hm ja, könnt ihr beiden vielleicht heute noch hier vorbeikommen und mir ein bisschen im Haus helfen? Dann habe ich mehr Zeit für alles andere.“
„Klar, Mama, wir haben sowieso nichts weiter vor“, antwortete ich. Und Tsuzuku bejahte ebenfalls.
„Danke, das hilft mir sehr“, sagte Mama.
Gesagt, getan, machten wir uns auf den Weg. Der Schokopudding musste sowieso noch abkühlen, den ließen wir einfach mit Folie drüber in der Küche stehen.
Dieses Mal nahmen wir die Stadtbahn, statt zu Fuß zu Bahnhof zu laufen, und setzten uns wiederum in den Zug in Richtung Heimatstadt. Tsuzuku und ich hatten beide Monatskarten zum Zugfahren, sodass es nicht viel ausmachte, dass wir diese Strecke heute schon zum zweiten Mal fuhren.
Vom Bahnhof unserer Heimatstadt liefen wir dann zu Fuß nach Akayama. Mama stand im Garten, begoss gerade die Blumen in den hübschen Beeten im Vorgarten, und als sie uns sah, strahlte sie glücklich.
„Yuu! Genki! Ihr geht ja richtig Hand in Hand!“, bemerkte sie mit Blick auf Tsu’s und meine ineinander verschränkten Hände. „Finde ich gut. Zeigt der Welt, dass ihr glücklich zusammen seid.“
Ich liebte Mama dafür, dass sie solche Ansichten hatte. Früher hatte ich ihr das nicht geglaubt und mich deshalb ja eine Zeit lang von meinen Eltern ziemlich zurückgezogen, aber jetzt war alles wieder gut und ich war richtig stolz, dass meine Mama so eine moderne Frau war.
Sie stellte die Gießkanne ab und wir gingen zu dritt ins Haus, in Mamas Arbeitszimmer. Auf ihrem Schreibtisch lag der alte Reiseführer, mit dem meine Eltern und ich damals, als ich noch ein Kind gewesen war, in Hawaii herumgereist waren.
„Ich habe schon mal angefangen, nach Hotels für eure Reise zu suchen. Ihr wollt bestimmt was Hübsches, Ruhiges, oder?“, sagte Mama und setzte sich an ihren Schreibtisch.
„Hauptsache, die haben kein Problem mit Männerpaaren und Bodyart“, antwortete ich.
„Was sollen wir dir denn gleich helfen?“, wollte Tsuzuku von Mama wissen.
„Ihr könnt ein bisschen die Küche machen, wenn euch das nichts ausmacht. Meine neue Haushälterin hat sich heute Morgen krankgemeldet, und ich hab so viel zu tun, die Küche sieht furchtbar aus …!“
Während Mama also weiter arbeitete und nebenbei erst mal einfach ein paar Hotels raussuchte, kümmerten Tsu und ich uns um die Küche, die wirklich mal ein wenig Ordnung vertragen konnte. Es gab zwar eine Spülmaschine, aber die musste erst mal ausgeräumt werden, sodass ich schon anfing, ein wenig Geschirr per Hand zu spülen, während Tsuzuku das saubere Geschirr aus der Maschine in die Schränke einräumte.
Nachdem wir damit fertig waren, rief Mama uns in ihr Arbeitszimmer.
„Yuu, würde es dir was ausmachen, wenn du uns ein bisschen was zu Essen machst? Muss nichts Besonderes sein, irgendwas ganz Einfaches. Und Genki, kannst du gut telefonieren?“
Tsuzuku nickte.
„Hilfst du mir ein bisschen?“, fragte sie weiter und reichte Tsu eine Liste. „Das hier sind alles hawaiianische Hotels und Reiseunternehmen mit japanisch-sprachiger Reiseleitung, die für euch eventuell infrage kommen. Ich rufe derweil bei denen an, wo wir nicht genau wissen, ob Englisch erforderlich ist, mein Englisch ist ganz gut, und du übernimmst die anderen?“
„Ist gut.“ Tsu nahm die Liste und eins von Mamas beiden Telefonen.
Während ich also in der Küche unser Abendessen kochte, was mir nach ein bisschen Hilfe aus Mamas Kochbüchern dann auch ziemlichen Spaß machte, hörte ich mit halbem Ohr zu, wie Mama und Tsuzuku die Liste mit Reiseveranstaltern und Hotels abtelefonierten.
Ich freute mich, dass mein Verlobter und meine Mama sich gut verstanden, und es ließ mich ein wenig daran denken, dass er ja selbst keine Familie mehr hatte und nun in mir und meinen Eltern ein neues Zuhause gefunden hatte.
Dabei fiel mir etwas ein, das vielleicht für uns in praktischer Hinsicht nur zweitrangig relevant, aber dennoch gefühlsmäßig irgendwie wichtig war: Die Sache mit den Familiennamen, also die Frage, wer von uns beiden den Namen des anderen angenommen hätte, wenn es denn vom Staat her möglich gewesen wäre.
Ich konnte mir vorstellen, dass Tsuzuku meinen Familiennamen würde annehmen wollen, aber ganz sicher wusste ich es nicht. ‚Genki Asakawa‘ klang schön, ‚Tsuzuku Asakawa‘ noch schöner, und andersherum, wenn ich mir vorstellte, dann ‚Yuuhei Aoba‘, beziehungsweise ‚Meto Aoba‘ zu heißen, fühlte sich auch das nicht schlecht an.
Ich schob den Auflauf, den ich über diesen Gedanken fertig vorbereitet hatte, in den Ofen, stellte einen Wecker und ging dann rüber in Mamas Arbeitszimmer. Tsuzuku legte gerade das Telefon aus der Hand.
„Uff, ich glaube, ich brauche ne Pause“, seufzte er und streckte sich ausgiebig.
„Sag mal, mein Schatz …“, begann ich und umarmte ihn von hinten, während er saß. „Wie würdest du eigentlich heißen wollen, wenn wir staatlich heiraten könnten?“
Tsu berührte meine Arme, streichelte mich ein wenig, dann sagte er: „Ich glaube, ich würde deinen Namen annehmen. Genki Asakawa, ja, das fühlt sich gut an …“
Mama sah zu, wie ich Tsuzuku umarmte, und ihr Blick verriet, dass sie von uns als Paar ähnlich begeistert war wie Koichi.
„Hach ja …“, sagte sie schließlich, „Was wäre das schön, wenn ihr beiden einfach auch standesamtlich heiraten könntet …! Ihr seid wirklich so ein süßes Paar … Genki, du musst gut auf meinen kleinen Yuu aufpassen, ja?“
Tsuzuku lächelte. „Mach ich. Ich würde ihn mit meinem Leben beschützen.“ Bei jemand anderem oder in einem Liebesroman hätte man seine Worte vielleicht als ‚kitschig‘ bezeichnet. Aber ich kannte Tsuzuku so gut, dass ich wusste, er meinte das sehr ernst.
Die Stille, die danach entstand, unterbrach Mama schließlich, indem sie sagte: „Ich melde mich dann bei euch, wenn ich mit den Hotels weitergekommen bin. Die rufen wahrscheinlich morgen dann noch mal an. Sagt mal, wo in Kyoto feiert ihr eigentlich genau?“
„Das Hotel, wo wir auch schlafen, hat einen Gastraum, da kümmert sich Koichi drum“, erwiderte Tsu.
„Willst du vielleicht mal Koichis Handynummer haben?“, fragte ich Mama.
„Das wäre sicher gut“, antwortete sie.
Ich suchte die Nummer in meinem Handy raus und schrieb sie auf einen Zettel auf Mamas Schreibtisch.
Das Essen, was ich gekocht hatte und wir dann später aßen, war mir wohl richtig gut gelungen, denn nicht nur Mama nahm sich ordentlich was auf den Teller, sondern auch Tsuzuku, der gerade wieder richtig schön gut drauf war. Er nahm sich sogar noch Nachschlag, und wirkte dann nach dem Essen auch nicht so ‚vom Essen erschlagen‘ wie sonst.
Nur etwas müde schien er zu sein, und so blieben wir nicht noch länger, sondern machten uns wieder auf den Weg nach Hause.
Es war schon recht spät, als wir wieder zu Hause an unserer Wohnung ankamen, und Tsuzuku sagte schon auf der Treppe, dass er müde und ziemlich geschafft sei.
Drinnen legte er sich gleich im Wohnzimmer aufs Sofa, während ich noch eben die Wäsche im Bad nach hell und dunkel sortierte (wobei die dunklen Farben wie so oft überwogen) und die fast ausnahmslos schwarzen oder dunkelgrauen Sachen in die Waschmaschine tat, diese auch gleich anstellte.
Als ich davon wiederkam, war Tsu jedoch wieder aufgestanden und rauchte am Küchenfenster eine Zigarette.
„Ich bin total müde, aber schlafen kann ich irgendwie noch nicht“, sagte er. „Ich hab wieder so eine Anspannung in mir …“
Ich ging zu ihm, legte von hinten meine Arme um ihn und schmiegte mein Gesicht an seinen Nacken. Dabei spürte ich die Spannung in seinem Rücken und sofort wusste ich, was ich zu tun hatte:
„Was hältst du davon, wenn ich dich mal wieder ein bisschen massiere?“, fragte ich.
Tsuzuku drehte sich zu mir um, er sah jetzt wirklich müde aus, und antwortete: „Ja, bitte tu das.“
Wir gingen zusammen rüber ins Schlafzimmer und Tsu zog sich bis auf die Unterhose aus, dann ging ich ein Handtuch und das duftende Massageöl holen.
Als ich wieder zu ihm zurückkam, lag er schon bäuchlings auf dem Bett, den Kopf auf die Arme gelegt, sein Gesicht halb von seinem schwarzen Haar verborgen. Er sah so müde aus und hatte sich so gemütlich hingelegt, dass ich ihn nicht noch mal aufstehen lassen wollte, um das Handtuch unter zu legen. Das Bettzeug musste sowieso morgen in die Wäsche.
„Massageöl oder Gleitgel?“, fragte ich, denn die Flasche mit dem durchsichtigen Gel stand wie immer auf dem Nachttisch.
„Nimm mal das Öl, das riecht so gut“, antwortete Tsuzuku, ohne sich zu rühren.
Ich stellte die Flasche mit dem Öl also auf den anderen Nachttisch, stieg dann aufs Bett und setzte mich rittlings auf Tsuzukus süßen Hintern. Tat mir etwas von dem Öl auf die Hände und begann, meinem Verlobten ganz liebevoll und vorsichtig den Rücken zu massieren.
Fast sofort begann er, genießend zu seufzen, in den unteren Regionen seines Rückens schien es sehr angenehm zu sein.
Aber als ich dann seine Schulterblätter erreichte, stöhnte er vor Schmerz laut auf. Die Muskeln dort waren total hart verspannt, bis zu seinen Schultern und seinem Nacken, wo die eine Stelle, die er bei Stress immer so anspannte, so bretthart war, dass er beinahe schrie, obwohl ich nur leicht darüberstrich.
„Oah … aahhh … fuck, tut das weh!“, stöhnte er.
„Soll ich lieber aufhören?“, fragte ich.
„Nein! Mach weiter … Es tut bloß weh …!“
„Aber du sagst mir, wenn’s zu schlimm wird?“
Tsuzuku sah sich zu mir um und nickte. „M-hm …“
Ich machte also weiter, war dabei aber ganz vorsichtig, streichelte mehr, als dass ich massierte. Ganz langsam verstärkte ich dann den Druck meiner Hände, und Tsuzuku gab dabei kleine, leise Laute von sich, irgendwo zwischen Genuss und Schmerz.
Immer wieder fragte ich ihn, ob alles okay war, und er nickte jedes Mal. Und ganz langsam entspannte er sich, seine Muskeln wurden wieder lockerer und weicher.
Als ich dann das Gefühl hatte, dass er wirklich wieder entspannt war, beugte ich mich vor und begann, kleine Küsschen auf seinen Rücken zu hauchen. Jetzt klang sein Seufzen deutlich mehr nach ungetrübtem Genuss: „Nnnhhh … oh, das ist schön …!“
Wir hatten dieses Öl mal gemeinsam gekauft, weil uns beiden der Duft gut gefallen hatte, und jetzt stellte ich fest, dass dieser Duft wunderbar mit Tsu’s natürlichem Geruch harmonierte. Wieder beugte ich mich runter und küsste seinen Nacken, schnupperte dabei an seiner Haut und seinen Haaren und fand, dass er wunderbar duftete.
„Nicht mehr lange, Tsuzuku, nur noch ein paar Tage, dann bist du richtig mein Mann …“, flüsterte ich.
„Ich freu mich schon“, antwortete er mit weicher Stimme.
Wieder küsste ich seinen Nacken und wieder seufzte er genießend.
„Das magst du, hm?“
„Ja! Und wenn ich jetzt nicht so müde wäre, würde ich jetzt mit dir schlafen wollen … dass du mich vögelst …“
„Wir haben doch heute Morgen erst …“, sagte ich.
„Ich bin jetzt auch wirklich zu müde.“
Ich erhob mich und zog mich bis auf die Unterwäsche aus. Dann nahm ich das Handtuch und wischte damit die Reste des Massageöls von Tsuzukus Rücken, legte mich neben ihn und deckte uns beide mit meiner Decke zu.
„Jetzt ist besser, ne? Dein Rücken tut nicht mehr weh, oder?
Tsuzuku lächelte. „Danke, mein Liebster. Das hat echt gutgetan.“
Ich schmiegte mich an ihn, küsste ihn auf seine süßen Lippen. „Schlaf gut, Tsuzuku. Ich liebe dich.“
Er gähnte, streckte sich ein wenig und kuschelte sich dann eng an mich. „Ich lieb dich auch.“
Wir blieben so liegen, eng zusammen gekuschelt, ich legte meinen Arm um Tsuzuku und bald darauf war er fest eingeschlafen.
Ich lag noch ein wenig wach, betrachtete sein schlafendes, weich aussehendes Gesicht und dachte daran, dass wir bald heiraten würden.
Kurz dachte ich an MiA, an die Zeit mit ihm, aber mir war jetzt so absolut klar, dass er niemals der Mann meines Lebens hätte sein können. Denn das war Tsuzuku. MiA war eine Episode in meinem Leben gewesen, durch die mir erst so richtig klar geworden war, wie sehr ich Tsuzuku liebte.
Ich spürte Tsu’s warmen Körper hautnah an meinem, hörte und fühlte seinen ruhigen Herzschlag, und sah ihn an, bis mir die Augen zu fielen und ich ins Land der Träume hinüberglitt.
An diesem Abend bekam ich gegen sieben Uhr einen Anruf von einer mir unbekannten Nummer.
„Hallo? Bin ich da richtig bei Niigata, Koichi-san?“, fragte eine weibliche Stimme.
„Ja. Wer ist denn da?“
„Ich bin Manami Asakawa, die Mutter von Yuuhei“, antwortete die Frau. „Er hat mir deine Nummer gegeben, wegen der Hochzeit, weil du da wohl viel von der Planung übernommen hast?“
„Ah, ja, richtig, habe ich“, sagte ich.
„Ich organisiere gerade die Hochzeitsreise für die beiden, und da dachte ich, ich rufe dich mal an, nicht dass sich da irgendwelche Sachen überschneiden oder so …“
Die Hochzeitsreise hatte ich tatsächlich noch gar nicht auf dem Schirm gehabt. Ich wusste nicht mal, was Tsuzuku und Meto sich da genau vorstellten, hatte auch ehrlich gesagt selber in all der Aufregung in letzter Zeit versäumt, einen der beiden danach zu fragen.
Jetzt ging auf einmal alles so schnell, sodass ich neben meiner Arbeit im Café die ganze Zeit damit beschäftigt war, alles Mögliche für diese Hochzeit zu planen und zu organisieren. Mein Handy war heute geradezu heiß gelaufen, so viel hatte ich telefoniert und via Internet solche Sachen wie zum Beispiel die Speisen und die Deko für das Festmahl bestellt.
„Wo soll die Reise denn hingehen?“, fragte ich.
„Yuu hat sich Hawaii gewünscht“, antwortete Frau Asakawa. „Ich habe ein paar Kontakte dort hin, von daher passt das gut.“
„Hawaii?“, fragte ich erstaunt. „Wow, das nenn ich mal ne Traumreise! Ich glaube, Tsuzuku war noch nie im Ausland, und dann gleich Hawaii?“
„Yuu sagte, er wollte ihm das gerne zeigen. Wir waren früher schon mal dort.“
„Soll ja auch wahnsinnig schön da sein“, sagte ich.
Frau Asakawa wechselte das Thema: „Sag mal, was für Essen wird es denn geben? Ich könnte ja noch eine richtig schöne Torte backen, das gehört zu einer Hochzeit doch irgendwie dazu, oder?“
„Hm …“, machte ich nachdenklich, „… da müssen Sie vielleicht mit Tsuzuku drüber reden. Ich bin mir nicht sicher, ob ihm so ne große Sahnetorte oder so was recht wäre … Sie wissen schon …“ Ich dachte an das traditionell japanische, eher leichte und gesündere Essen, das ich jetzt letztendlich für das Festmahl bestellt hatte, und fügte noch hinzu: „Ich habe jetzt eher so traditionelle Kyoto-Küche bestellt, da passt eine Torte nicht so dazu, oder?“
„Hast Recht. Und leichtes, gesundes Essen gefällt ihm vermutlich besser, oder?“
„Genau. Es soll ja auch für ihn der schönste Tag im Leben werden, mit einem Essen, das er ohne Angst und Druck genießen kann.“
Frau Asakawa schwieg einen Moment, ich hörte, wie sie in irgendetwas blätterte. „Ich kenne mich ehrlich gesagt kaum mit buddhistischen Hochzeiten aus. Normalerweise wird ja eher im Shinto-Schrein oder in einer Kapelle geheiratet …“
„Also, nach dem, was die in dem Tempel gesagt haben, ist man da wohl ziemlich frei. Meto wird ja so ein richtiges weißes Kleid tragen, und Tsuzuku hat sich eine Art Anzug im Visual Style ausgesucht. Ich habe eine kleine Rede geschrieben, die werde ich halten, und der Rest ist Sache des Priesters. Es wird ja nur eine kleine Feier, und ich glaube, es gibt nicht mal Trauzeugen im Zen. Falls doch, werde ich Tsuzukus Trauzeuge sein, und Meto hat sich irgendwann mal Haruna dafür ausgesucht.“
„Und wie viele Leute kommen denn insgesamt?“, fragte Frau Asakawa.
„Ich habe jetzt das Essen für dreizehn Leute bestellt. Zwölf sind geplant, und einen Platz haben wir freigehalten, falls noch jemand spontan mit dabei sein möchte“, sagte ich. „Die Zeremonie im Tempel ist um vierzehn Uhr, danach gibt es dann das Essen und die Party mit Tanzen und so.“
Wenn ich an diese Hochzeit dachte, fielen mir jedes Mal noch gefühlte hundert Sachen ein, um die ich mich da noch kümmern musste. Zum Beispiel die Einladungskarten. Ich hatte schon einen Entwurf am Computer gemacht, aber der war noch nicht fertig, weil ich auch noch an meiner Rede schrieb und nebenbei so unglaublich viel zu organisieren war. Morgen hatte ich mir sogar frei genommen, weil ich mich mit Tsuzuku und Meto treffen wollte, um noch einiges abzuklären, und weil den beiden noch etwas ganz, ganz Wichtiges fehlte: Die Ringe!
„Asakawa-san?“, sprach ich Metos Mama an, „Darf ich Sie um was bitten?“
„Also erst mal sagst du bitte ‚du‘ zu mir. Für Freunde meines Sohnes bin ich Manami, okay?“
„Ist gut, Manami. Hör mal, ich habe hier einen Entwurf für die Einladungskarten, aber ich komme da nicht so recht voran. Kannst du so was gut?“
„Aber klar. Schick mir den Entwurf einfach per E-Mail und ich sehe, was ich da machen kann.“
„Danke! Wirklich, vielen Dank!“
„Kein Problem. Mein Junge heiratet, da tue ich, was ich kann.“
Manami nannte mir ihre Mail-Adresse und ich setzte mich an den PC, schickte ihr den Entwurf für die Karten per Anhang und sie sagte, dass sie sich da am liebsten sofort dransetzen wollte.
Mir war das recht, denn ich wollte heute Abend noch die Rede fertig schreiben. Zwischenzeitlich hatte ich sie schon fast fertig gehabt, war dann aber unzufrieden gewesen und hatte noch mal von vorn angefangen.
Am PC saß ich ja schon, also öffnete ich das entsprechende Textdokument und las mir das, was ich geschrieben hatte, noch mal durch. Es sollte nicht zu förmlich klingen, eher locker und ausdrucksstark, und ich las mir den Text halblaut vor, um schon mal ins Gefühl zu kriegen, wie ich die Rede vor allen anderen halten wollte.
„So, da sind wir nun also alle zusammen. Haben uns hier versammelt, um eure Hochzeit zusammen zu feiern.
Tsuzuku, du hast wieder den ersten Schritt gemacht, damals, als du Meto deine Liebe gestanden hast, und auch jetzt wieder, denn die Idee, entgegen aller Normen unserer Gesellschaft deinem Liebsten einen echten Heiratsantrag zu machen, ging auch wieder von dir aus. Du bist eine so wunderbar mitreißende Persönlichkeit, und Meto liebt genau das an dir.
Und Meto, du hast dein ‚Ja‘ zu diesem Antrag gegeben. Diese bedingungslose Art, mit der du Tsuzuku liebst, in guten wie in schlechten Tagen bei ihm bist und dein Bestes gibst, für ihn zu sorgen, das ist wirklich enorm und bewundernswert. Ich finde, dafür verdienst du mal einen ordentlichen Applaus!“
Ich machte eine Pause beim Lesen und stellte mir vor, wie alle klatschten und Meto vor Rührung errötete.
„Wir als eure Freunde und Familie wissen alle, dass es in eurer Beziehung wunderbar schöne und auch nicht so schöne Tage gibt. Wir wissen auch, wie sehr du, Tsuzuku, oft mit dir selbst zu kämpfen hast, und auch, wie sehr du Meto liebst. Wir sehen, wie viel Mühe du dir gibst, Meto ein guter Lebenspartner zu sein, und wir würden auch dir das gerne honorieren. Aber ich bin mir nicht sicher, ob dir ein Applaus jetzt nicht unangenehm wäre …“
Wieder pausierte ich das Lesen und fragte mich, ob Tsuzuku wollen würde, dass wir ihm einmal applaudierten. Eigentlich hatte er es sich wirklich verdient, aber vielleicht würde er vor Rührung in Tränen ausbrechen. Diese Stelle in meiner Rede war die Schwierigste, weil ich nicht einschätzen konnte, wie Tsu reagieren würde.
„Wir alle wünschen euch auf alle Fälle, dass ihr zusammen so glücklich bleibt. Ihr habt eine so wunderbare, und wie ich finde, sehr süße Beziehung! Haltet das mit aller Kraft fest!“
An dieser Stelle war ich mit dem Schreiben dann nicht weitergekommen, und beschloss jetzt, dass es so auch gut war. Viel mehr musste ich nicht sagen, und so betrachtete ich diese Rede somit als fertig.
Als nächstes schaute ich noch mal im Internet nach einem edlen, aber nicht zu teuren Schmuckladen in der Innenstadt, weil ich schon mal sehen wollte, was die so an Trauringen im Angebot hatten. Es gab eine ganz ordentliche Auswahl und ich schrieb den Namen des Ladens noch mal auf, da würden wir dann morgen zu dritt hingehen.
Das nächste war, Haruna eine Nachricht zu schreiben, weil Meto sie ja als mögliche Trauzeugin benannt hatte. Sie war tatsächlich noch wach und schrieb mir zurück, dass sie sich darüber freute und zusagte. Ich fragte sie nach ihrer und nach Hanakos Adresse, und auch, wie ich denn Yami, die ja keinen festen Wohnsitz hatte, erreichen konnte, um die Einladungskarten zu verschicken. Haruna antwortete, dass ich die Karten alle drei an sie schicken konnte und sie die dann weiterleitete.
Was mit Tsuzukus Arbeitskollegen und mit Hitomi sein würde, wusste ich jetzt nicht und konnte das heute Abend auch nicht mehr herausfinden. Da würde ich morgen mit Tsu drüber sprechen.
Ich ging dann auch bald schlafen, allerdings vergaß ich, obwohl ich ziemlich müde war, nicht, Mikan noch eine kurze, liebevolle Nachricht zu schreiben, ihr eine gute Nacht zu wünschen, falls sie denn noch wach war.
Danach machte ich mich fürs Bett fertig, legte mich hin und war bald eingeschlafen.
Am nächsten Morgen wachte ich vom Piepsen meines Weckers auf. Ich blinzelte, streckte mich und blieb noch einen Moment liegen, bevor ich langsam aufstand und mir schon mal neue Klamotten für heute aus dem Schrank suchte.
Ich entschied mich für eine bunte, weite Hose mit den Sesamstraßen-Monstern drauf und ein weißes Oberteil mit Pikachu auf der Vorderseite, dazu bunte Socken. Neben Visual- und Fairy Kei mochte ich auch solchen amerikanisch angehauchten Popkultur-Style ziemlich gern.
Noch bevor ich dann Duschen ging, schrieb ich auf Line eine Nachricht an Satchan, dass ich mir heute noch einen Tag frei nehmen wollte, weil ich wegen Metos und Tsuzukus Hochzeit so viel zu tun hatte.
„Meto und Tsuzuku heiraten?!“, schrieb sie mit Herzchensmiley zurück.
„Ja“, antwortete ich.
Vielleicht weckte ich damit Satchans Fujoshi-Gefühle und stimmte sie damit meinen spontanen Urlaubsabsichten gegenüber milder. Jedenfalls genehmigte sie mir den freien Tag.
„… Und gratulier den beiden mal schön von mir!“, schrieb sie noch.
„Mach ich.“
Dann ging ich erst mal unter die Dusche, und während ich danach am PC saß, Musikvideos anschaute und wartete, dass meine Haare halbwegs trockneten, kam eine E-Mail von Manami:
„Guten Morgen, Koichi! Ich habe die Einladungskarten fertig gemacht, es fehlen nur noch die Namen auf den Umschlägen. Ich schicke dir die Karten heute per Post zu und du kannst sie dann an alle Gäste verteilen, ich kenne die meisten ja gar nicht. Liebe Grüße. Manami.“
Im Anhang hatte sie mir den jetzt fertigen Entwurf geschickt, den sah ich mir noch mal an: Die Einladungskarten waren angenehm elegant geworden, sehr westlich und dabei aber passend für eine Hochzeit, und zugleich nicht zu überladen, sodass ich fand, sie passten zu Meto und auch zu Tsuzuku. Es stand nicht viel drauf, nur „Tsuzuku & Meto: Wir heiraten!“, darunter zwei wie Eheringe verschränkte Herzen und die Daten, wann und wo die Zeremonie stattfinden würde.
„Das Design sieht super aus! Vielen Dank, Manami!“, schrieb ich an Metos Mama zurück.
Danach war erst mal wieder Badezimmer dran. Ich beschloss, heute wieder mal zwei einfache geflochtene Zöpfe zu tragen, und stellte dabei fest, dass mein schwarzer Undercut definitiv mal wieder nachgeschnitten werden musste. Mein Makeup fiel heute auch etwas dezenter aus, ich hatte Lust auf etwas Bequemeres ohne viel Glitzer, das passte auch besser zu meinem Outfit heute.
Als ich dann mit allem fertig war und aus dem Haus ging, um zur Bahn zu laufen, fühlte ich mich irgendwie fast so vorfreudig kribbelig, wie Tsu und Meto sich fühlen mussten, wenn sie an die Hochzeit dachten.
Wir trafen uns an der Bahnstation, die genau zwischen meinem Viertel, dem von Tsu und Meto, und der Innenstadt lag. Meto hatte sich mädchenhaft herausgeputzt, mit Rüschenbluse, Faltenröckchen und einer blonden Perücke, und er hatte Ruana dabei. Tsuzuku war dezenter gekleidet, enge dunkle Jeans und ein grau-schwarz bedrucktes Shirt.
„Na, Braut und Bräutigam?“, fragte ich lächelnd und umarmte erst Tsu, dann Meto. „Bereit, die Ringe auszusuchen?“
Tsuzuku lächelte. „Japp.“
„Gold oder Silber?“
„Silber“, antwortete Meto.
„Gold steht mir nicht so“, sagte Tsu.
Wir stiegen in die Bahn in Richtung Innenstadt und fanden einen Platz, wo wir zu dritt stehen konnten.
„Meto, deine Mama hat die Einladungskarten fertig gemacht, ich kriege die heute Nachmittag geschickt, und dann verteilt ihr die?“, fragte ich.
Meto nickte nur. Er war sichtlich aufgeregt.
„Ich wollte, nachdem wir die Ringe gekauft haben, noch zum Studio, Koji und Ami einladen, dann kann ich die beiden gleich nach ihren Adressen fragen“, sagte Tsuzuku.
„Mach das. Und schreibst du Hitomi auch noch ne Nachricht, ob sie überhaupt kommen möchte?“
Tsu nickte. „Ich weiß aber gerade echt nicht, ob sie will …“
„Frag sie einfach, und sie kann auch kurzfristig absagen, wenn’s ihr dann nicht gut geht. Ich glaube, das nimmt ihr keiner von uns übel.“
Als die Bahn hielt, stiegen wir aus und bogen in eine schicke Boutiquenstraße ein.
Hier befand sich das Schmuckgeschäft, und ich sah, wie Meto gleich zum Schaufenster lief und hineinschaute. Hinter dem Glas befand sich ein Schmuckständer mit ungefähr zehn Paar Trauringen, die meisten in Silber oder Platin.
„Tsuzuku, schau mal“, sagte Meto und deutete auf die Auswahl. „Da oben rechts, die silbernen Ringe mit dem Diamanten, die sind schön, oder?“
Tsu schaute ebenfalls in das Fenster, und ich tat es ihm gleich. Die Ringe, auf die Meto da deutete, waren beide etwa gleich dick, hatten beide je einen einzelnen, eingelassenen Diamanten und in der Mitte rund um die Schiene einen ganz schmalen, blank glänzenden Streifen.
Im Unterschied zu den anderen Ringpaaren, wo nur der Frauenring geschmückt und der Männerring ganz schlicht war, waren diese zwei Ringe fast gleich, es schien so, als würden sie die betonte Gleichberechtigung in Tsuzukus und Metos Beziehung widerspiegeln.
„Die will ich“, verkündete Meto, sichtlich stolz und ohne auch nur die Spur eines Stockens.
Tsuzuku lächelte, legte seinen Arm um Metos Schultern und küsste ihn.
„Mir gefallen sie auch“, sagte er.
„Na, das ging ja schnell“, bemerkte ich und öffnete die Tür des Ladens.
Drinnen wurden wir fast sofort von einer Verkäuferin angesprochen: „Sie wünschen?“
Gewohnheitsmäßig ergriff Tsuzuku das Wort: „Wir haben im Schaufenster ein Paar Ringe gesehen, die hätten wir gern.“
Die Verkäuferin ging zum Schaufenster und öffnete es von innen. „Welche denn?“ Und nachdem Tsu sie ihr gezeigt hatte, rief sie aus: „Ah, das sind ja Trauringe! Sie beide heiraten?“
Ich war schon innerlich darauf eingestellt, dass die Verkäuferin doch etwas verwirrt reagieren würde, weil wir hier als drei Männer in den Laden kamen und Trauringe kaufen wollten. Aber dann verstand ich, dass sie Meto nicht als männliches Wesen erkannte, sie hielt ihn in seinem Röckchen, der blonden Perücke und der süßen, hochgeschlossenen Bluse, unter der er heute sogar einen ausgestopften BH trug, einfach für eine Frau.
Meto und ich wechselten einen kurzen Blick und er biss kurz die Lippen zusammen, gab mir damit zu verstehen, dass er keinen Ton sagen würde, damit die Verkäuferin nicht an seiner Stimme erkannte, dass er ein Mann war.
„Herzlichen Glückwunsch“, sagte die Verkäuferin freundlich, Tsuzuku bedankte sich und Meto lächelte einfach.
Der Kauf der Ringe ging dann schnell vonstatten, sie waren nicht mal allzu teuer und dennoch bezahlte Meto sie mit seiner Karte. Die Ringe kamen in ein herzförmiges, rotes Kästchen, das ich in meine Handtasche steckte, dann verließen wir den Laden wieder.
Draußen ging Tsu ein Stück vor, er hatte im Schaufenster eines anderen Ladens eine rote Lederjacke entdeckt, die er sich genauer ansehen wollte. Und während wir ihm folgten, nahm Meto mich kurz auf die Seite: „Koichi? Ich hätte da … ein kleines Anliegen …“
„Was denn?“, fragte ich.
„Ich habe eine kleine Überraschung für Tsu vor, für die Hochzeitsnacht, ich will für ihn so richtig süße, weiße Wäsche tragen. Würdest du mich begleiten, wenn ich die kaufen gehe?“, flüsterte er und errötete dabei wieder einmal.
„Und an was genau hattest du da gedacht?“
„Ich hab mal im Internet gesucht und da gibt es wirklich alles, auch richtig süße Sachen für Männer. Ich würde so gerne was mit Rüschen, Spitze und Schleifchen tragen, halt was, was so richtig zu meinem Hochzeitskleid passt.“
„Hat Charlize nicht so was im Laden?“, fragte ich.
„Glaub nicht. Zumindest hab ich da noch nichts in der Art gesehen. Für Frauen gibt’s das überall, aber ich will nichts mit Cups …“
In dem Moment drehte Tsuzuku sich zu uns um und rief: „Hey, guckt mal, die Jacke ist so cool!“
„Der ‚Love is no gender‘-Laden könnte so was haben, oder?“, fragte ich Meto leise.
Er nickte, sagte dann aber erst mal nichts mehr dazu, weil Tsuzuku gerade zu uns zurückkam.
„Ich hab kein Geld mehr, sonst würde ich mir diese Jacke sofort holen“, sagte er.
„Wie wär’s, wenn du gleich erst mal zum Studio gehst und Takashima und Ami fragst, ob sie zu eurer Hochzeit kommen wollen? Meto und ich gehen noch … ein Teil für sein Hochzeitskleid kaufen, da fehlt nämlich noch … was wichtiges.“
Ich hatte mich extra ungenau ausgedrückt, um nicht zu viel zu verraten, aber offenbar machte ich Tsuzuku damit neugierig, denn er bekam dieses bestimmte Leuchten in den Augen und fragte: „Was denn?“
„Das wird nicht verraten, mein Lieber“, sagte ich und grinste. „Du weißt, das Kleid der Braut ist für den Bräutigam bis zur Hochzeit ein Geheimnis.“
„Och mennoh …“, jammerte Tsu gespielt. „Ich kanns doch kaum noch erwarten!“
„Du musst warten“, sagte ich nur. „Geh du deine Kollegen einladen, ich kümmere mich um Metos traumhaftes Outfit.“
Bis zum Bodyart-Studio war es nicht weit, sodass Tsuzuku sich einfach zu Fuß auf den Weg machte. Meto und ich liefen dann in Richtung des Rotlichtviertels, wo es außer Charlizes Laden auch noch weitaus speziellere Shops für jeden erdenklichen Fetisch gab. In den Schaufenstern hingen gebrauchte oder knapp geschnittene Schuluniformen und Lackzeug in allen Variationen, und wir gingen auf gut Glück in einen dieser Läden hinein.
Drinnen empfing uns eine eigenartige Atmosphäre, ein Gefühl von Zwielichtigkeit. Der Laden war voll mit allen nur erdenklichen Arten von erotischen Kostümen und Unterwäsche, und es war ziemlich dunkel.
Meto sah sich suchend um und ich folgte ihm, doch irgendwie schien dieser Laden uns beiden nicht so zu gefallen.
„Nicht so schön hier, oder?“, fragte ich flüsternd.
Meto nickte. „Irgendwie … unromantisch …“
„Lass uns woanders suchen“, sagte ich.
Und so verließen wir den eigenartigen Laden wieder.
Der nächste Laden gefiel uns deutlich besser. Er ähnelte eher einer Lolita-Boutique statt einem Fetischladen, war hell, freundlich und süß eingerichtet, und es gab hier vor allem niedliche, mit Rüschen und Schleifchen besetzte Wäsche in Pastellfarben. Zuerst sahen wir nur Frauenwäsche, BHs und Corsagen, und auch niedliche Nachtwäsche.
Ich sah Meto an, der blickte sich mit suchenden, leuchtenden Augen um, demselben Blick wie damals, als wir bei Angelic Pretty in Kyoto sein Hochzeitskleid ausgesucht hatten.
Eine Verkäuferin im schicken, hellrosa Kostüm kam auf uns zu. „Darf ich Ihnen behilflich sein?“
Ich sah zu Meto. „Soll ich reden?“, fragte ich leise.
Aber Meto schüttelte den Kopf, atmete einmal tief durch und sagte zu der Verkäuferin: „Ich weiß nicht … Haben Sie … süße Wäsche … für Männer?“
Zuerst sah sie etwas überrascht aus, Metos heutiges Outfit war einfach so mädchenhaft, dass es eben überraschte, ihn als Mann zu erkennen. Aber dann lächelte sie.
„Wir haben vor allem sehr niedliche Wäsche, wenn Sie das mögen. Aber ja, solche Wäsche führen wir auch für Männer.“ Sie bedeutete uns, ihr zu folgen, in einen weiter hinten gelegenen Teil des Ladens, wo tatsächlich männliche Schaufensterpuppen standen, die wirklich niedliche Wäsche mit Spitze und Schleifchen trugen.
Ich war doch etwas überrascht, denn selbst ich, der es ja als Mann gerne süß mochte, hatte noch nie derartig niedliche Männerwäsche gesehen. Die Sachen sahen wirklich aus wie die allerniedlichste Mädchenwäsche, nur dass die spitzenbesetzten Slips etwas anders geschnitten und die mit süßen Blümchen bestickten Corsagen ohne Cups waren.
Meto sah aus wie hin und weg. In solchen Momenten kam wohl wirklich der Homosexuelle in ihm durch, oder auf jeden Fall der junge Mann, der mädchenhafte, niedliche Kleidung liebte. Er hatte die Hände vor Mund und Nase zusammengelegt und seine Augen leuchteten.
„Das gefällt dir, ne?“, fragte ich.
„Das ist genau das, was ich suche!“, flüsterte er hingerissen und mir fiel erst einen Moment später auf, dass er diesen Satz, trotz dass die Verkäuferin neben ihm stand, ohne Fehler ausgesprochen hatte.
„Suchen Sie die Sachen für einen bestimmten Anlass?“, fragte die Verkäuferin.
„Ich heirate demnächst. Und ich würde meinen Verlobten dann gerne mit hübscher Wäsche überraschen“, antwortete Meto, absolut fehlerfrei. Ich war echt stolz auf ihn, er wirkte so selbstbewusst, und so, als ob er ganz genau wusste, was er wollte.
„Was Süßes für die Hochzeitsnacht? Wie schön!“ Die Verkäuferin lächelte freundlich. „Also darf es gerne etwas Besonderes sein, ja?“ Sie ging zu einer der Kleiderstangen, wo die Wäscheensembles auf speziellen Kleiderbügeln hingen, und nahm ein weißes Set heraus. „Das hier ist eine süße kleine Corsage mit passenden Strümpfen und einem besonders süßen Slip. Der Slip lässt sich hinten und vorne mit Knöpfen öffnen, Sie können ihn also geschlossen oder ouvert tragen.“
Sie hielt Meto das Set hin, er nahm es in die Hand und sah es sich genau an. Es war wirklich sehr süß: Die Corsage war zart mit Blümchen bestickt und mit Rüschen, rosa Schleifchen und Glitzersteinchen besetzt, die Strümpfe schienen aus reinster Spitze zu bestehen, und der Slip war ein weißes Träumchen mit rosa Schleifchen, Spitze und den Knöpfen in Form perlmuttweißer Röschen.
„Okay, das ist wirklich die Krone der Niedlichkeit“, sagte ich. „Süßer geht’s nimmer.“
„Was meinst du, wird Tsu mich darin mögen?“, fragte Meto.
„Ausgehend davon, dass er es liebt, wenn du Kleidchen trägst, gefällt ihm das hier sicher auch.“
„Na ja, er sagt ja andererseits immer, dass er froh ist, dass ich ein Mann und kein Mädchen bin … Ich würde diese Wäsche so gern tragen, aber was, wenn es für Tsuzuku too much ist?“
„Ach Quatsch. Tsuzuku ist da doch ganz offen. Und wenn er sieht, wie glücklich du mit dieser Wäsche bist, wird er es ganz sicher auch lieben“, sagte ich. „Letztendlich will er dich ja sowieso auspacken, und nackt ist dann ja wohl unübersehbar, dass du ein Kerl bist.“
Meto lächelte strahlend, dieses extrasüße, breite Meto-Lächeln, und sagte dann zu der Verkäuferin: „Ich nehme dieses Set.“
„Möchten Sie es einmal anprobieren?“, fragte die Verkäuferin.
Meto nickte, und sie zeigte ihm die Umkleiden. Ich setzte mich auf einen der Stühle im Laden und wartete. Es dauerte eine ganze Weile und ich hörte, wie Meto mit leiser Stimme mit sich selbst sprach, während er die Wäsche anprobierte.
Er schien, trotz dass er sich dafür entschieden hatte, noch mal genau darüber nachzudenken, und ich dachte an das, was er eben gesagt hatte, seine Befürchtung, dass Tsuzuku diese doch sehr feminin wirkende Wäsche an seinem baldigen Ehemann vielleicht nicht mögen könnte. Ich konnte ihm diese Frage auch nicht hundertprozentig beantworten, aber so, wie ich Tsuzuku einschätzte, dachte ich schon, dass es ihm bestimmt gefiel.
Tsu war im Bett so experimentierfreudig und offen, und er liebte es, wenn Meto Kleidchen trug. Und von dem her, was er mir bisher so erzählt hatte, vermutete ich, dass ihn gerade das Erkennen von Metos Männlichkeit in solchen femininen Kleidern anscheinend anmachte. Zwar reagierte er auf echte Frauen mit Unsicherheit und einer Art von Scham, aber Meto war eben keine Frau, und ich konnte mir vorstellen, dass genau dieser ‚Bruch‘ zwischen weiblicher Kleidung und Metos Männerkörper auf Tsu eine erregende Wirkung hatte.
Als Meto wieder richtig angezogen aus der Kabine kam, nahm die Verkäuferin die Sachen sofort in Empfang, ging zur Kasse und verpackte die Sachen in ganz und gar exquisitem rosa Papier und einer hübschen Tragetasche, die sie mit einer rosa Schleife verschloss. „So, bitte sehr. Wie möchten Sie bezahlen?“
„Mit Karte.“
Nachdem Meto die Wäsche also bezahlt hatte, verließen wir den Laden.
„Soll ich das nehmen und bei mir zu Hause zu deinem Hochzeitskleid legen?“ fragte ich. „Dann findet Tsu es sicher nicht.“
Meto nickte. „Ja, nimm du das mal.“
Ich packte die Tragetasche also in meinen Rucksack, dann gingen wir los in Richtung Bodyart-Studio, um Tsuzuku dort abzuholen.
„Koji und Ami kommen beide. Und Ami hat gleich Hitomi angeschrieben und gefragt, ob sie auch kommt. Die hat aber noch nicht geantwortet“, erzählte Tsu, als wir ihn vor dem Studio trafen. „Und?“, fragte er dann, „Habt ihr das gefunden, was ihr gesucht habt?“
Meto lächelte strahlend. „Ja! Aber es ist eine Überraschung.“
Die Neugierde und Vorfreude waren Tsuzuku richtig anzusehen, als er bat: „Bitte, Liebster, du weißt, ich mag nicht warten …!“
Meto lachte, legte seine Arme um Tsu’s Nacken und küsste ihn. „Nein, mein Schatz. Sonst ist es doch keine Überraschung mehr.“
„Ich mag aber gar keine Überraschungen …“
„Diese wirst du lieben, da sind wir uns ganz sicher“, sagte ich. „Aber damit es eine schöne Überraschung bleibt, verraten wir dir jetzt nichts.“
Tsu zog zwar eine Schnute, aber auf dem Weg zur Bahnstation quengelte er dann nicht mehr.
Wir fuhren dann zu mir nach Hause, wo schon das Päckchen mit den Einladungskarten vor meiner Wohnungstür lag. Ich schloss die Tür auf, ließ Tsu und Meto in meine Wohnung und während die beiden ins Wohnzimmer durch gingen, machte ich mit einer kleinen Schere in der Küche das Päckchen auf. Darin befanden sich die Karten und, zu meiner Überraschung, zwei selbstgebrannte CDs mit der Aufschrift ‚Tanzmusik für die Party‘. Manami hatte also an etwas Wichtiges gedacht, um das ich mich noch kaum hatte kümmern können.
„Meto, deine Mama ist ja echt klasse!“, sagte ich und betrat dabei mein Wohnzimmer.
Meto saß mit Tsu zusammen auf dem Sofa, lehnte sich an ihn, und Tsu kraulte seinen Liebsten ganz zärtlich.
„Sind die Karten schön?“, fragte Meto.
Ich reichte ihm den Stapel.
„Wow“, sagte er. „Sieht nach Mama aus.“
„Ziemlich elegant. Aber gefällt mir“, kommentierte Tsuzuku.
„Ich mag die Karten total. Und sie hat euch noch zwei CDs mit Tanzmusik gebrannt. Wollen wir die gleich mal anhören?“
„Zeig her“, sagte Tsu und stand auf. Er nahm mir die CD aus der Hand, ging zu meiner Musikanlage und legte sie da ein.
Schon das erste Lied zeigte, dass Manami tatsächlich Lieder ausgesucht hatte, die ziemlich perfekt zwischen Metos und Tsu’s Musikgeschmack und schöner Hochzeitstanz-Musik lagen. Das war wohl nicht gerade ganz einfach gewesen, liebten die beiden doch Rockmusik, und die mit klassischer Tanzmusik zu vereinbaren, war sicher nicht so leicht.
Beim zweiten Lied strahlte Tsuzuku Meto glücklich an und sagte: „Zu dem Lied haben wir doch letztens in dem Club getanzt!“
Es war ein romantisches Lied auf Englisch, und Manami hatte auf der CD-Hülle die Namen aller enthaltenen Lieder vermerkt, dieses hieß „Kiss me slowly“, und es passte vom Text her perfekt zu Tsu und Meto.
„Das ist ja total unser Lied!“, sagte Meto und sah total glücklich aus.
Tsu lächelte zurück, küsste Meto auf den Mund und forderte ihn dann ganz galant und Gentleman-like zum Tanzen auf: „Schenkst du mir diesen Tanz, mein Liebster?“
Ich setzte mich auf die Couch und sah zu, wie die beiden mitten in meinem Wohnzimmer ihren Hochzeitstanz probten. Es sah so schön aus, nach perfekter Liebe und so viel Romantik, was wohl auch zum Teil an Metos heutigem, sehr femininen Outfit lag. Aber vor allem, wie sich die beiden ansahen und so liebevoll berührten, es war einfach zum Dahinschmelzen süß!
„Wisst ihr, dass ihr das absolute Traumpaar seid?“, fragte ich.
Tsuzuku sah mich an und lächelte. „Ja. Wissen wir.“
Wir hörten nicht die ganze CD durch, aber Tsu und Meto nahmen die CDs dann beide mit nach Hause, um sie dort weiter zu hören. Es war kurz nach Mittag und Tsuzuku sagte, dass er am liebsten noch mit Meto zum Strand wollte, was Meto auch zusagte.
„Wir gehen zum Strand und essen da zu Mittag“, sagte Meto. „Und ich kann dich dann auch gerne wieder füttern.“
Woraufhin Tsu ihn anstrahlte und küsste.
Die beiden gingen also, und ich blieb erst mal in meiner Wohnung.
Jedenfalls so lange, bis mich Mikan anrief, dass sie schon Feierabend hatte und mich gerne sehen wollte.
„Wir können ja auch zusammen Mittag essen gehen“, schlug ich vor.
„Und danach Shoppen? Ich brauch noch ein Kleid für Tsu’s und Metos Hochzeit“, sagte Mikan.
Ich machte mich also auf den Weg zu der kleinen Boutique, in der Mikan arbeitete. Wir hatten ausgemacht, dass ich sie abholte, und ich nahm die Bahn.
„Hey, Koi“, begrüßte sie mich und küsste mich auf den Mund. So öffentlich war es nur ein kurzes Küsschen, obwohl mir gerade rein vom Gefühl her nach einem richtig schönen, ausgiebigeren Kuss gewesen wäre.
„Na, meine Süße? Wie geht’s dir?“
Mikan lächelte. „Prima. Und dir?“
„Ganz gut. Ich bin bisschen aufgeregt und Hochzeit organisieren ist anstrengend, aber zum Glück machen die beiden ja nur ne kleine Feier.“
„Weißt du schon, was du anziehst?“, fragte Mikan.
„Nein … Ich schwanke noch zwischen so ‘ner Art Kleid oder einem Outfit mit Hose.“
„Du hast doch dieses schwarze Corsagenkleid, das zwischendrin bauchfrei ist, wie wäre das denn?“
„Schon schön. Aber ich will’s nicht zu mädchenhaft machen, schließlich ist Meto die Braut und ich will ihm ja nicht die Show stehlen.“
„Ich bin so gespannt auf sein Kleid!“ Mikan seufzte hingerissen.
„Es ist wirklich ein wunderschönes Kleid. Beim Kaufen sah er absolut süß darin aus.“
„Sag mal, Koi, wie sagt man das jetzt eigentlich? Ist Meto, wenn er ein Brautkleid trägt, eine Braut oder ein Bräutigam?“, fragte Mikan.
„Hm … Das ist ne gute Frage. Ich glaube, das kann er dir am besten selbst beantworten.“
Wir gingen dann spontan bei einer Fast-Food-Kette rein. Mikan sagte, dass sie Lust auf Burger hatte, und da ich auch lange keinen richtigen Burger mehr gehabt hatte, war es mir recht.
Schließlich saßen wir dann mit Cola, Orangensaft und zwei Burgern da, Mikan schloss ihr Handy an der Steckdose direkt neben dem Tisch an und checkte erst mal ihr Line-Profil. Sie machte ein Foto von ihrem Mittagessen und schrieb dazu: „Mittagessen mit meinem Schatz, yummy!“
„Darf ich ein Foto von dir machen?“, fragte sie mich.
„M-hm.“ Ich nickte, setzte mein Foto-Lächeln auf und Mikan fotografierte mich, stellte das Foto auf ihren Blog und schrieb: „Mein Schaaatz <3 Guckt euch diesen Traum von Mann an! Meiner!“
Ich musste lachen, weil das irgendwie echt süß von ihr war. Und dass sie mich einen ‚Traum von Mann‘ nannte, schmeichelte mir sehr.
Nach dem Mittagessen liefen wir dann los durch die Boutiquen, wobei es aber eine ganze Weile dauerte, bis Mikan überhaupt ein Kleid gefunden hatte, das sie auch anprobieren wollte.
Das, was sie dann schließlich fand, war pastellgelb, trägerlos, mit einem hübsch schwingenden Rock und einer schwarzen Schleife an der Taille.
„Wow!“, rief ich aus, als sie damit aus der Umkleide kam. „Du siehst richtig toll aus!“
„Findest du?“, fragte Mikan. „Macht mich das Gelb nicht blass?“
„Nein, gar nicht. Es passt gut zu dir“, sagte ich.
Mikan machte einen Schritt auf mich zu, legte ihre Arme um meinen Nacken, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste mich. Sie war ja ein Stückchen kleiner als ich.
„Danke, Koi“, sagte sie. „Du bist lieb.“
„Hast du schon entschieden, was du anziehen willst?“, fragte sie dann.
„Ich denke, ich ziehe ein hübsches Hemd und ne Hose an. Es ist ja nur eine kleine Feier und, wie gesagt, ich will Meto ja nicht die Schau stehlen“, antwortete ich. „Ich brauch nichts zu kaufen, ich habe genug hübsche Sachen im Schrank.“
Mikan kaufte das gelbe Kleid dann und wir fuhren mit ihrem Auto zu meiner Wohnung, weil wir noch ein wenig Zeit zusammen verbringen wollten.
Als wir oben bei meiner Wohnung waren, umarmte Mikan mich plötzlich, schmiegte sich eng an mich und flüsterte mir ins Ohr: „Ich hab Lust auf dich, Koichi.“
„Lust? Auf Sex?“, fragte ich.
„Jaa …“, hauchte sie in mein Ohr. „Ich möchte mit dir schlafen.“
„Mitten am Tag?“
„Das machen frisch verliebte Paare so.“ Mikan lächelte. „Lass uns mitten am Tag miteinander ins Bett gehen.“
Ich schloss die Tür auf und kaum hatte ich sie hinter uns wieder zugemacht, fing Mikan schon an, sich auszuziehen. Sie öffnete mit hastigen Fingern ihre Bluse und ihren Rock, zerrte dabei zwischendurch immer wieder an meinen Sachen, öffnete meine geflochtenen Zöpfe, schob ihren Rock runter, ich umarmte sie und öffnete ihren BH, sie fühlte sich so wunderbar weich und warm an … Ihr Atem ging rascher, tiefer, als ich mich vorbeugte und sie mir mein rosa Shirt über den Kopf zog. Sie ließ das Shirt zu Boden fallen und öffnete dann mit fliegenden Händen meine Hose, schob ihre Hand hinein und kicherte. „Du wirst ja schnell hart, Koi!“
Ich ließ meine Hände nach vorn zu Mikans Brust wandern, umfasste ihre Brüste, spürte dabei ihren aufgeregten Herzschlag. Ihre Nippel waren steif und gerötet, sahen so süß aus, dass ich sie augenblicklich küssen wollte.
Ich sah auf meine Hände auf Mikans heller Haut, sah meine bunt lackierten und verzierten Fingernägel und Mikans süßen Nippel, und dachte einen Moment doch wieder, dass es seltsam war, wie ich war, männlich und dennoch so mädchenhaft.
Mikan bemerkte meinen Blick. „Was denkst du gerade, Koichi?“, fragte sie.
„Magst du das eigentlich? Also, wenn ich dich so anfasse und du dabei siehst, dass ich so niedliche Fingernägel und so habe?“
„Ach Koichi … Weißt du, ich steh da drauf. Es ist vielleicht nichts klassisch Männliches, aber genau das macht mich an. Ich liebe solche Männer wie dich, deine rosa Haare und bunten Nägel, wirklich.“
Ich lächelte. Es war schön, diese Worte wieder so direkt von Mikan zu hören. Sie war wirklich eine tolle Frau, und ich hatte sie so richtig lieb.
„Komm, Koi, schlaf mit mir“, flüsterte sie.
Ich führte sie in mein Schlafzimmer, wo sie sich aufs Bett legte und ihre feine Strumpfhose und den Slip auszog, während ich ein Kondom aus der Schublade nahm und mir überzog.
Ich kniete mich zu ihr, über ihr Becken, und jetzt endlich konnte ich ihre Nippel küssen. Sie schmeckten ganz süß und zart, und als ich meine Lippen zwischendurch wieder von ihnen löste, waren sie noch größer und stärker gerötet.
„Ahhh …“, machte sie und hob ihr Becken an, sodass ihre Scham mein Glied berührte. „Nhhh, Koi, mach weiter …!“
Als ich meine Lippen wieder an ihre Nippel setzte, drückte sie sich gierig an mich, legte ihre Beine um meinen Rücken, und mit einem Mal war ich in ihr, fühlte ihre Weichheit und das Feuchte. Ich begann, ihren Hals zu küssen, und drückte dann meine Lippen auf die ihren, schob ihr meine Zunge in den Mund und hörte und spürte, wie sie in den Kuss stöhnte.
„Mhhh …“machte Mikan und löste kurz den Kuss: „Ahh, Koi … ich steh auf deine Piercings, weißt du das?“
Ich lachte ein wenig, küsste sie wieder, was ihr ein Geräusch fast wie ein katzenhaftes Schnurren entlockte.
„Rrhrr … Oh Gott, Koichi, ich find dich so extrem sexy!“, schnurrte sie verliebt und umklammerte meinen Rücken fest mit ihren Beinen, drückte mich so an- und in sich. „Du wunder-wunder-wunderschöner Mann …!“
Ihr Inneres begann schon zu pulsieren, und ich senkte mich ganz auf sie, bewegte mich in ihr. Und als ich spürte, wie sie kam, sie fühlte, wie sie sich stöhnend an mich klammerte, und meinen Namen hörte, von ihrer vor Lust ganz weichen Stimme ausgesprochen, da konnte ich nicht mehr zurückhalten, kam ebenso zum Höhepunkt.
Schwer atmend lagen wir einen Moment lang nur da.
„Wow, das ging … schnell“, sprach Mikan atemlos aus. „Ein echter Quickie …“
Ich nickte nur, an sie geschmiegt, mit meinem Gesicht auf ihrer weichen Brust.
„Stehst du auf?“, fragte sie nach einer Weile. „Du bist … ein bisschen schwer.“
Ich richtete mich auf, zog mich aus ihr zurück und stand auf, entsorgte das Kondom und setzte mich dann auf die Bettkante. „War’s schön?“, fragte ich.
Sie lächelte. „Ja. Für ‘nen Quickie sehr schön.“ Sie setzte sich auf und umarmte mich. „Du bist ein guter Liebhaber, Koichi.“
Ich lächelte zurück. „Danke, Süße.“
„Was hältst du davon, wenn wir jetzt einen schönen, romantischen Film anschauen und dann vielleicht noch mal ins Bett gehen?“
„Klingt gut.“ Ich küsste sie. „Sehr gut sogar.“
Und so machten wir es dann auch. Zumindest fast so. Denn statt eines Liebesfilms suchte Mikan einen aus meiner Grusel-Sammlung aus, den ich alleine schon einige Male gesehen hatte, aber sie selbst kannte ihn noch nicht.
Bei jeder gruseligen Stelle quietschte meine Freundin erschrocken auf, kam dabei immer näher zu mir, bis sie so nah war, dass sie ihr Gesicht an meinem Hals verstecken konnte und so der unheimlichen Handlung auf dem Bildschirm nicht mehr folgte.
Irgendwann nahm ich dann ihre Nähe zum Anlass, sie ein wenig zu ärgern, indem ich sie am Bauch kitzelte. Sie quietschte, lachte, und auf einmal küsste sie mich, heiß und innig.
„Zweite Runde?“, fragte ich danach atemlos.
„Oh ja!“ Sie lachte. „Jetzt gibt’s ‘ne Revanche für den Quickie!“
Wir liefen rüber in mein Schlafzimmer, und ich spürte, wie ich sehr schnell sehr geil wurde. Mikan grinste mich an, schubste mich auf mein Bett, wir zogen uns schnell wieder ganz nackt aus und sie legte sich auf mich, fing an, mich initiativer anzufassen und überall, wo sie rankam, hin zu küssen.
„Jetzt vernasch ich dich mal“, sprach sie, während sie sich dabei langsam in Richtung Fußende des Bettes bewegte, und dann beugte sie sich über mein hartes Glied und begann, es zu küssen.
Ich legte den Kopf in den Nacken, seufzte und stöhnte, es fühlte sich einfach wahnsinnig gut an, so gut, dass mir fast schon ein paar Tränchen kamen. Es war einfach so sehr lange her, dass eine Frau mein Glied geküsst hatte, und einen Moment lang erinnerte ich mich an meine Einsamkeit und das Traurige in mir.
„Ist das so gut?“, fragte Mikan mit liebevoller Stimme und sah mich an. „So gut, dass du fast weinst?“
„Jaah …“, seufzte ich.
„Dir kommt’s ja schon fast wieder …“, sagte sie. „Soll ich schlucken?“
„Wenn … du möchtest?“
„Ich hab da kein Problem mit.“
„D-danke …“, brachte ich leise heraus, und spürte dann, wie Mikan meinen Lusttropfen weg leckte.
„Lass dich fallen, Koichi“, flüsterte sie, und dann: „Ich verwöhn dich jetzt.“
Und das tat sie wirklich. Sie küsste nicht nur mein Glied, sondern berührte auch (fast) alles darum herum, küsste und beknabberte meine Hüfte und schob dabei ihre Hände unter meinen Po, griff ein wenig zu und lachte: „Du hast echt ‘nen schönen Knackarsch, Koi.“
„Danke“, brachte ich, schon leicht stöhnend, heraus.
„Mmmmhh, so ein schöööner Mann …“ Mikan grinste und setzte einfach noch einen Kuss auf mein Glied, dann nahm sie meine Eichel zwischen ihre Lippen und ich spürte wieder ihre Zunge, wie sie ganz leicht auf den empfindsamen Nerv unter meiner Eichel drückte.
„Ohh … nnhhh-ahhh …!“, entkam es mir, und ich spürte, wie ich kam, mich viel zu früh ergoss. Ich war einfach viel zu erregt, immer noch zu ausgehungert!
Ich hörte, wie Mikan einen seltsamen, leisen Laut von sich gab, und dann, wie sie schluckte. Als ich hinsah, blickte sie auf, sah mich an, und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen.
„A-alles okay?“, fragte ich etwas unsicher.
„Ja, alles gut“, sagte sie. „Aber ich brauch einen Schluck Wasser.“
Sie stand auf und lief ins Bad, ich hörte Wasser laufen, und dann war sie auch schon wieder bei mir.
„Sorry …“, sagte ich leise. „Ich weiß auch nicht … wieso das jetzt … zu früh kam …“
Mikan legte sich neben mich, strich durch meine Haare. „Ach Koichi … das ist doch alles okay. Wir haben beide so lange keinen Sex gehabt, und ich bin vorhin doch auch so schnell gekommen.“
„Soll ich dich noch mal zum Kommen bringen?“, fragte ich.
„Brauchst du nicht. Ich bin jetzt auch müde …“, antwortete sie.
Mikan blieb einfach liegen, war tatsächlich bald eingeschlafen. Ich stand noch mal auf, ging ins Bad und machte mich richtig für die Nacht fertig.
Dann ging ich ins Schlafzimmer zurück, deckte meine immer noch splitternackte Freundin mit einer zweiten Decke zu, schlüpfte dann unter meine Decke, und Mikan kuschelte sich im Schlaf an mich.
Mit einem Gefühl von Befriedigung und Liebe schlief ich ein, und dachte noch im Einschlafen daran, dass ich endlich wieder eine feste Freundin hatte.
Die nächsten Tage vergingen schnell und langsam zugleich. Langsam, weil Tsuzuku und ich uns beide die meiste Zeit frei genommen hatten (nur zwei Tage gingen wir beide arbeiten) und die meiste Zeit zusammen verbrachten. Und schnell, beinahe sogar etwas zu schnell, vergingen sie, weil der fünfte Juni immer näher rückte. Es war richtig sommerlich heiß inzwischen, und ich fragte mich schon, ob es mir in meinem süßen Hochzeitskleid nicht zu warm werden würde.
Vier Tage vor unserer Hochzeit hatte Tsuzuku noch einen Termin bei Dr. Niimura, und ich begleitete ihn dorthin. Tsu wollte das, er wollte, dass ich da mit einbezogen wurde und über die Schritte in der Therapie Bescheid wusste.
Der Arzt lächelte erfreut, als er aus dem Büro kam und mich neben Tsu sitzen sah.
„Wie schön!“, sagte er. „Sie beide haben sich also wieder?“
„Ja“ antwortete Tsuzuku und legte seinen Arm um mich. „Sie wissen doch, ohne meinen Meto halte ich es nicht lange aus.“
„Und bei Ihnen ist auch alles okay?“, wandte sich Dr. Niimura an mich.
Ich nickte. „Ja, alles wieder gut. Wir heiraten am fünften Juni.“
„Das ist ja schon in ein paar Tagen! Sie haben sich also weiterhin dafür entschieden?“, fragte der Arzt.
Tsuzuku nickte, lächelte. „Ja. Ich will das wirklich.“
„Und Sie, Asakawa-san?“
„Ich auch“, antwortete ich.
„Das ist schön, das freut mich für Sie. Wo wird Ihre Hochzeit denn stattfinden?“
„In Kyoto“, antwortete ich. „Da ist so ein Tempel, die ermöglichen das.“
Tsuzuku zog mich näher zu sich und flüsterte in mein Ohr: „Du sprichst ja richtig gut, Meto-chan! Ich bin stolz auf dich.“
Ich küsste Tsu’s Wange, und sah dann zu Dr. Niimura, der sich wirklich zu freuen schien, dass mit Tsuzuku und mir alles wieder okay war.
Als wir dann im Büro des Arztes saßen, wieder in der gemütlicheren Sitzecke, da fragte Dr. Niimura zuerst an Tsuzuku gewandt: „Wie haben Sie es denn hinbekommen, dass Sie beide wieder zusammen sind?“
„Ich weiß nicht“ sagte Tsuzuku. „Irgendwie … hat Meto das gemacht, er hat mich einfach wieder aufgenommen.“
„Stimmt das, Asakawa-san?“
Ich nickte, ein wenig. „Ich wollte … ihn nicht so lange … allein lassen. Ich hab ihn ja auch vermisst, und ich lieb ihn so sehr …“
Dr. Niimura sah uns einen Moment lang nachdenklich an, dann sagte er: „Ich bin nicht sicher, ob wir vor Ihrer beider Hochzeit noch so ein psychologisches Fass aufmachen sollten … Aber zugleich denke ich, dass es da Dinge gibt, über die Sie sich beide Gedanken machen sollten. Wie wollen Sie es halten? Soll ich Ihnen jetzt sagen, was ich denke, oder wollen wir das auf nach der Hochzeit verschieben?“
Tsuzuku hob nur die Schultern, so als ob es ihm egal wäre. Und ich wusste keine Antwort.
„Sie müssen mir schon irgendwie antworten“, sagte er Arzt.
„Dann sagen Sie’s bitte“, antwortete Tsu, aber ich sah, dass er Angst hatte.
„Geht auch nur … ein klein wenig?“, fragte ich den Arzt.
„Also gut“, begann Dr. Niimura und sah uns beide an. Er wirkte ganz ernst und das, was er uns sagen wollte, war sicher sehr wichtig …: „Wenn Sie heiraten, dann tun Sie das bitte nicht in dem Wunsch, miteinander noch weiter zu verschmelzen. Heiraten Sie, weil Sie einander lieben, aber verschmelzen Sie nicht. Das ist ganz wichtig. Ich weiß, dass die Versuchung sehr groß ist, für Sie alle beide, aber es ist nun mal nicht gesund, und gut ist es auch nicht. Aoba-san, versuchen Sie, Ihren Mann zu lieben und dennoch nicht mit ihm eins werden zu wollen.“
„Das ist zu schwer“, sagte Tsuzuku leise, er blickte zu Boden und sah aus, als weinte er gleich. „Das kann ich nicht.“
„Das können Sie“, widersprach der Arzt. „Ich helfe Ihnen dabei. Erst mal heiraten Sie, und danach kommen Sie einmal in der Woche zu mir, und ich helfe Ihnen. Ich kann Ihnen beibringen, wie Sie eigenständiger leben und lieben können.“
Tsuzuku griff meine Hand, merklich haltsuchend, und ich hielt dann seine fest, streichelte seinen Handrücken.
„Alles wird gut, mein Herz“, sagte ich. „Ich bin bei dir und wir heiraten ganz bald.“
„Ich … ich hab Angst …“, flüsterte Tsu mit hörbarer Verzweiflung in der Stimme.
„Es wird alles gut. Wir kriegen das zusammen hin“, sagte ich wieder.
Dr. Niimura sah erst mich an, dann Tsuzuku, und sagte dann: „Aoba-san, sehen Sie das? Dass Sie einen ganz wunderbaren Mann haben, der Sie sehr liebt?“
Tsu nickte nur, antwortete nichts.
„Es wird Ihrer Beziehung nicht schaden, wenn Sie lernen, eigenständiger zu sein, und so langsam gesund werden. Im Gegenteil, es wird wahrscheinlich sogar besser werden.“ Dr. Niimura sah Tsu sehr wohlwollend und freundlich an, doch meinem Verlobten schien es immer noch sehr schwer zu fallen, ihm zu glauben.
„Ich … ich kann das nicht …!“ Jetzt hatte Tsuzuku wirklich Tränen in den Augen. „Ich kann’s mir nicht vorstellen, ich krieg das nicht hin …!“
„Ist gut“, sagte Dr. Niimura. „Es fällt Ihnen wirklich sehr schwer, nicht wahr? Ich sehe, dass das sehr schmerzlich für Sie ist, Aoba-san.“ Dann sah er mich an. „Asakawa-san, wie sieht es bei Ihnen aus? Ist diese Vorstellung, eben nicht zu verschmelzen, für Sie ebenso schmerzhaft?“
Ich musste tatsächlich einen Moment lang in mich hinein fühlen, um zu wissen, was von dem, was ich empfand, meine eigenen Gefühle waren. Ich war oft so sehr auf Tsuzuku konzentriert, dass mir seine Gefühle manchmal schon beinahe wie meine eigenen erschienen. War das die Verschmelzung, die Dr. Niimura meinte?
„Ich weiß nicht … Vielleicht ist das schon längst passiert, dass wir so eins geworden sind … Ich selbst … ich kann allein sein, aber, na ja, ich bin dann immer in Sorge, weil ich weiß, dass Tsuzuku eben nicht lange ohne mich sein kann, und wie sehr er dann leidet … Ich will für ihn da sein und für ihn sorgen … Verstehen Sie?“
„Ja, ich verstehe Sie“, sagte der Arzt. „Aber, sehen Sie, Ihr Mann ist erwachsen, er ist kein Kind, auch wenn er sich wie eines empfindet. Asakawa-san, es ehrt Sie, dass Sie so fürsorglich sind und ihn beschützen wollen, aber verstehen Sie, es ist nicht gesund und sorgt auch nicht dafür, dass Ihr Mann lernt, auch mal alleine zu sein.“
Dr. Niimura wollte noch etwas sagen, aber in dem Moment sprang Tsuzuku auf, sagte nur „Ich kann das nicht!“ und lief hinaus, schlug die Tür laut hinter sich zu.
Einen Moment lang überlegte ich, ob ich sitzen bleiben oder ihm folgen sollte, und entschied mich dann, das zu tun, was mein Gefühl mir sagte: Ich stand auch auf, entschuldigte mich bei Dr. Niimura und lief dann raus, wo Tsuzuku auf einer der Wartebänke saß. Er weinte, und ich setzte mich zu ihm und umarmte ihn.
„Ich … ich kann das einfach nicht, Meto“, schluchzte er.
„Ist gut, mein Herz, ist okay.“
Eine Weile saßen wir so, Tsu lehnte sich an mich, und ich hatte ein Taschentuch, mit dem ich seine Tränen trocknete.
Dann kam Dr. Niimura aus seinem Büro. „Es ist in Ordnung, Aoba-san. Gehen Sie nach Hause, heiraten Sie in aller Ruhe, und dann, nach der Hochzeit, sehen wir uns hier wieder, in Ordnung?“
Tsuzuku antwortete nicht darauf, nickte nicht mal.
Wir standen dann auf und gingen. Ich wusste nicht recht, was ich denken sollte: Irgendwie schien es richtig zu sein, was der Arzt gesagt hatte, aber wenn es Tsuzuku so sehr verletzte, was sollte ich dann davon halten?
Tsuzuku sagte den ganzen Weg nach Hause über kein Wort. Er hatte immer wieder Tränen in den Augen, und ich vermutete, dass er zu viel Angst hatte, um etwas dazu zu sagen, wie er sich gerade fühlte.
Ich griff seine Hand und hielt sie fest, einfach um ihn spüren zu lassen, dass ich bei ihm war.
Als wir dann wieder zu Hause ankamen, weinte er nicht mehr. Ich sah ihn an und er hatte einen etwas eigenartigen, schwer zu deutenden Ausdruck in den Augen.
Und kaum hatte ich die Tür unserer Wohnung hinter uns wieder geschlossen, fiel Tsuzuku geradezu über mich her, umarmte mich von hinten und presste sich an mich, seine Lippen an meinem Hals und seine hungrigen Hände unter meinem T-Shirt. Er atmete laut und schnell, küsste meinen Körper wie ein in Einsamkeit Ertrinkender, mit Angst und Verlangen zugleich, und ich spürte, wie er hart wurde.
„Tsu? Was ist los?“, fragte ich.
„Ich hab Angst, Meto. Bitte … schlaf mit mir …!“
„Hilft dir das?“
„Ja …!“, flüsterte er in mein Ohr, „Vögel‘ mich, Liebster … Ich will spüren, dass du mein Mann bist …!“
Einerseits fand ich es ja irgendwie echt süß, wenn er so anhänglich und verlangend war, schließlich fühlte ich mich dann sehr von ihm geliebt. Aber auf der anderen Seite war da das, was Dr. Niimura von gesundem Beziehungsverhalten gesagt hatte …
Tsuzuku bemerkte natürlich, dass ich zögerte, und er presste sich noch fester an mich.
„Bitte, Meto … Nimm mich, Liebster, bitte …!“, bat er.
Wie sollte ich da ablehnen, wenn er mich so inständig darum bat, geradezu anflehte? Er musste furchtbare Angst haben, und ich wollte nicht, dass er so litt.
Und so nahm ich ihn an der Hand und führte ihn in unser Schlafzimmer, wo er sofort anfing, sich auszuziehen. Ich tat es ihm gleich, zog mich ebenso aus, und als ich dann nackt zwischen seinen Beinen auf dem Bett kniete, umarmte Tsu mich, ganz fest und sehnsüchtig.
Der Sex, den wir dann miteinander hatten, fühlte sich ein wenig anders an als sonst: Alles, was wir in diesem Moment miteinander taten, schien diese eine Bedeutung zu haben, die weniger eine lustvolle, als vielmehr eine emotionale, auf Tsu’s Gefühlsbedürfnisse angepasste Richtung hatte.
Ich liebte und nahm ihn in dem Gedanken, für ihn zu sorgen, weil ich trotz dessen, was der Arzt gesagt hatte, immer noch das Gefühl hatte, dass das richtig war: Tsuzuku zu versorgen, ihn mit meiner Liebe zu ‚füttern‘, weil er das brauchte.
Danach weinte Tsu wieder ein wenig, lächelte dabei aber und versicherte mir, dass es Freudentränen waren. Ich küsste ihn und dachte daran, wie sehr ich diese Seite an ihm liebte, die zu so überbordenden Gefühlen imstande war und vor Glück weinte.
Auch, wenn es oft schwer war, zog mich seine Emotionalität immer noch unheimlich an. Sie band uns zusammen, eng aneinander, mit einem roten Band, so stellte ich mir das vor.
„Danke, mein Süßes“, sagte Tsuzuku leise und schmiegte sich an mich. „Das hat … wirklich sehr gut getan …“
„Hab ich gern gemacht“, antwortete ich und lächelte, woraufhin er mich ganz zärtlich küsste.
Dann wurde er ernst, blickte hoch an die Decke und sagte: „Ich … ich weiß gerade nicht, was ich von Dr. Niimura halten soll. Ein Teil von mir ist so, dass ich gerade gar nicht wieder zu ihm hin gehen will. Ich weiß nicht, ob ich ihn jetzt hasse oder nur Angst habe … Aber ich fühle das, ich will das nicht, dass er so was sagt. Ich würde … wieder abhauen …“
„Denk da jetzt nicht so sehr drüber nach. Wir heiraten erst mal, und danach sehen wir weiter“, sagte ich.
„Und du? Denkst du darüber nach?“, fragte Tsu.
„Nein. Wir schieben das jetzt ganz beiseite.“
Der Rest dieses Tages lief dann irgendwie … normal ab. Als wäre nichts gewesen, oder als versuchten wir wirklich, nicht daran zu denken.
Gegen Abend fuhren wir mit der Stadtbahn bis zum Strand und machten dort am Meer einen Spaziergang. Immer wieder blieben wir zusammen stehen und umarmten einander, und einmal sagte Tsuzuku: „Ich bin so froh, dass ich dich heiraten kann, Meto.“
„Ich auch“, sagte ich und küsste ihn. „Und dass ich dich habe. Ich liebe dich nämlich.“
Später, zu Hause im Bett, lagen wir Hand in Hand, sprachen nicht viel, fühlten nur beide, dass wir zusammen waren.
Irgendwann drehte Tsuzuku sich auf die Seite, mit dem Rücken zu mir, und bat mich, ihn so zu umarmen. Ich tat es, schmiegte mich an seine Kehrseite und küsste seinen Nacken, roch den Duft seiner Haare und dachte: „Mein süßer Mann … Mein kleines Löffelchen …“, während mein Arm über seiner Seite lag.
Und in dieser Haltung schliefen wir irgendwann ein.
Am nächsten Morgen war ich wieder einmal als Erster wach. Tsuzuku lag in meinen Armen, nur hatte er sich irgendwann nachts umgedreht, lag jetzt mit dem Gesicht zu mir, welches allerdings von seinen Haaren fast verdeckt wurde. Ich strich ihm die schwarzen Strähnen aus der Stirn und sah ihn an, fand ihn wie immer wunderschön, wie er so friedlich schlief.
Ich schloss wieder die Augen, nicht um zu schlafen, sondern nur, um zu hören, ohne zu sehen. Irgendwo sang ein Vogel, vielleicht in einem der Kirschbäume unten vor dem Haus, und ich lauschte einen Moment, achtete dann wieder mehr auf Tsuzukus ruhigen, schlafenden Atemzüge und die leisen, seufzenden Laute, die er im Schlaf manchmal von sich gab. Es erinnerte ein wenig an eine im Schlaf schnurrende Katze, und ich fragte mich, ob er träumte.
Eine Weile lagen wir einfach so, Tsuzuku schlief und ich sah ihn an, streichelte ein wenig seinen Arm, bis rauf zu seiner Schulter.
So lange, bis sich der Ausdruck auf seinem schlafenden Gesicht auf einmal irgendwie anspannte, leidend wurde. Zuerst wusste ich es nicht so recht einzuordnen, doch als Tsu deutlich unruhiger wurde und ihm ein leises „Nein … nicht … nicht gehen … bitte …“ entkam, beschloss ich, ihn zu wecken.
Ich berührte seine Arme, sprach ihn leise an, doch zuerst wachte er davon nicht auf. Stattdessen sah ich Tränen in seinen Augenwinkeln und er sprach im Schlaf lauter: „Nicht gehen … bitte, lass mich nicht allein!“
„Tsuzuku, ich bin da, ich bin bei dir“, sagte ich und rüttelte ihn ein wenig. „Wach auf, mein Herz, du träumst.“
Er zitterte, und dann fuhr er mit einem Mal hoch, riss die Augen auf, atmete laut und schnell.
„Tsu, ich bin da“, wiederholte ich, setzte mich auf und umarmte ihn. „Du hast geträumt, nur geträumt, es ist alles gut.“
„Nicht gehen …“, sagte er wieder, der Albtraum steckte ihm noch sichtlich in den Knochen.
„Ich bin da, Tsuzuku, und ich gehe nicht. Du hast geträumt, das war nur ein Albtraum.“
Er sah mich an, und dann fing er an zu weinen. Ich umarmte ihn fester, hielt und wiegte ihn, bis er sich wieder ein wenig beruhigt hatte.
„Tsu, mein Herz …“, sprach ich ihn leise an und küsste ihn auf die Stirn. „Nicht weinen …“
Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen, blinzelte und schniefte. „Sorry …“
„Alles gut, mein gefühlvoller Schatz Denk nur daran, wir heiraten in drei Tagen.“ Ich lächelte ihn an, so strahlend wie ich nur konnte, dachte daran, dass ich mit meinem breiten Lächeln Tsuzukus Sonne war. „Und bis zu unserer Hochzeit ist es wieder gut.“
Tsuzuku antwortete nichts darauf, schmiegte sich einfach nur an mich.
„Du bist immer schon meine Sonne, Meto“, sagte er dann, fast so als könnte er meine Gedanken lesen. „Schon vom ersten Tag an, damals im Badehaus. Du brauchst nur zu lächeln und zu strahlen und schon kann ich alles, was mir weh tut, vergessen …“
„Manchmal wünschte ich, ich könnte dich ganz heilen …“, sagte ich leise.
„Ich auch. Ich wünsche mir das auch oft“, sagte Tsuzuku. „Dass deine Liebe und dein Lächeln mich gesund machen könnten, ja … Aber es geht nicht, das weiß ich. Darum sei einfach weiter meine Sonne, das geht und das kannst du.“
Ich lächelte, war seine Sonne, und er küsste mich.
„Ich liebe dich, Metolein.“ Tsu lächelte jetzt auch, drückte mich an sich. „Mein Sonnenschein.“
Wir standen dann bald auf, fingen an, uns für den Tag fertig zu machen.
Duschen gingen wir wieder zusammen, wuschen uns wie immer gegenseitig, und danach ging es weiter mit abtrocknen, rasieren und ein bisschen schminken.
Als wir dann zusammen frühstückten, schien zuerst alles wieder gut zu sein, auch wenn Tsuzuku wieder fast nichts aß. Aber das war ja oft morgens so, er aß immer noch nicht viel.
„Gehst du heute arbeiten?“, fragte ich ihn.
Tsu zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht …“
„Ich geh nicht. Ich will nur nachher noch zu Koichi, mein Kleid noch mal anprobieren“, sagte ich.
Tsuzuku sah mich einen Moment lang an, dann blickte er zu Boden und sah auf einmal wieder so traurig aus.
„Hey, was los?“, fragte ich besorgt und berührte ihn an der Schulter.
„Weiß nicht …“, antwortete er leise und mit Tränen in den Augen. „Es tut einfach wieder alles so weh …“
„Hast du Angst, vielleicht wegen der Hochzeit?“, fragte ich leise.
Tsu sah mich erschrocken an. „Denkst du, ich kriege kalte Füße?“
„Nein, das glaube ich nicht, und das meine ich auch gar nicht. Aber, weißt du, so eine Hochzeit ist nun mal ‘ne große Sache, und es wäre nur normal, wenn du vorher ein bisschen Angst hast. Das haben viele, das ist wahrscheinlich ziemlich normal.“
„Wärst du nicht enttäuscht von mir, weil ich jetzt doch Angst habe?“
„Nein“, sagte ich. „Du bleibst ja trotzdem bei deiner Entscheidung für mich.“
„Mh …“, machte er, „Vielleicht habe ich da wirklich Angst … Aber was mache ich damit?“
„Aushalten und nichts ändern. Es ist ‚nur‘ Angst, sie ist da und tut weh, aber sie gründet nicht auf Tatsachen, verstehst du? Du willst mich heiraten, und ich will dich, und das ändern wir jetzt nicht mehr, nur weil die blöde Angst dir fiese Sachen zuflüstert.“ Ich schwieg einen Moment, dachte über meine nächsten Worte nach, dann sagte ich: „Tsu, ich bin ja jetzt bei dir, wir können also immer zusammen die Realität überprüfen und du kannst mir sagen, was in dir vorgeht, okay?“
Tsuzuku nickte, sah mich an. „Liebst du mich?“
Ich lächelte. „Ja. Sehr.“
„Begehrst du mich?“
„Vollkommen. Total, ja.“
„Und willst du mich heiraten?“
Ich beugte mich vor, zog ihn zu mir und küsste ihn. „Ja, will ich.“
„Was wirst du machen, während ich nachher bei Koichi bin?“, fragte ich dann.
Tsu zuckte wieder mit den Schultern.
„Wie wär’s, wenn du zum Akutagawa-Park fährst und da ein bisschen abhängst, mit unseren alten Freunden?“, fragte ich. „Oder zu Hitomi, wenn sie mag?“
„M-hm …“, machte er.
„Du kannst auch Shoppen gehen oder so. Ich will nur, dass du irgendwas machst, unter Leute gehst, damit die Angst in dir nicht so viel Raum bekommt.“
Tsuzuku grinste, als ich ‚Shoppen‘ sagte. Dann drückte er mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen und sagte: „Weißt du, Meto, dass du mich glücklich machst?“
„Weil ich dich zum Shoppen schicke?“
„Nein. Also doch, ja, das auch. Aber vor allem, weil du dir immer solche wahnsinnige Mühe gibst mit mir. Ich fühle das, wie du dich um mich sorgst und versuchst, mir nicht weh zu tun, und das, obwohl ich oft so bin, dass man mir so wahnsinnig leicht weh tun kann … Manchmal tut mir alles weh, da kann man fast nichts richtig machen, aber du versuchst es trotzdem.“
„Ist doch meine Aufgabe“, sagte ich. „Was wäre ich dir denn für ein Ehemann, wenn ich nicht alles versuchen würde, damit es dir gut geht?“
„Ich nehme das jedenfalls nicht für selbstverständlich“, erwiderte Tsuzuku.
Ich wusste nicht recht, was ich darauf sagen sollte, denn die Situation hatte schon wieder etwas leicht Schwankendes an sich, also küsste ich meinen Bald-Ehemann einfach und sagte dann: „Mach dir einen schönen Vormittag, mein Herz. Und heute Nachmittag gehen wir mal wieder zum Schwimmen, wäre das schön?“
„Ja … Ich glaub, es geht auch wieder mit Schwimmen, wegen dem Verband …“
„Tut nicht mehr weh?“
„Nein …“ Tsu berührte mit der rechten Hand den Verband am linken Arm und sagte dann: „Vielleicht geh ich auch zuerst mal zu Dr. Ishida und lasse den Verband mal anschauen, kann ja auch sein, dass der schon abgenommen werden kann.“
„Mach das. Und danach machst du es dir schön, okay?“
Tsuzuku und ich gingen dann gemeinsam aus dem Haus.
Er ging dann in Richtung unserer Hausarztpraxis weiter, während ich die Bahn zu Koichis Wohngegend nahm. Die Bahn fuhr einen ziemlichen Umweg und noch während ich darin saß, bekam ich von Tsu eine Nachricht, dass es beim Arzt sehr voll war und er erst mal zu Hitomi ging. Er schrieb noch, sie hatte jetzt eine eigene Wohnung, die ganz in der Nähe unseres Zuhauses lag, und dann fragte er mich, ob wir nachher zusammen noch mal zu Dr. Ishida gehen wollten.
„Okay“, schrieb ich zurück. „Und danach Schwimmen?“
„Ja. Da freu ich mich auch schon drauf.“
Die Bahn hielt, ich stieg aus und lief die Strecke zu Koichis Wohnung zu Fuß weiter. Ich wusste, dass er zu Hause war, aber es dauerte einen Moment, bis er auf mein Klingeln die Tür öffnete. Seine Haare waren offen und ein wenig wirr, und er war ungeschminkt, trug nur Shorts und ein T-Shirt.
„Hey, Meto … Sorry, ich hab total verschlafen …“
„Hast doch auch frei heute. Ich wollte auch bloß mein Kleid und die Wäsche noch mal zusammen anprobieren …“
„Komm rein, setz dich ins Wohnzimmer, ich räum schnell ein bisschen auf“, sagte Koichi, ich ging durch ins Wohnzimmer, und Koichi verschwand in seinem Schlafzimmer, ich hörte Geräusche, die nach Aufräumen klangen.
„Hab ich dich echt wach geklingelt?“, fragte ich.
„Nein, alles gut, ich war schon wach … Ich war nur ein bisschen … beschäftigt …“, sagte er und kam dabei zurück ins Wohnzimmer, hatte mein Kleid in der weißen Hülle dabei.
Ich sah ihn nur an, konnte mir denken, was er getrieben hatte, bevor ich geklingelt hatte.
„Tsuzuku würde jetzt garantiert eine schlüpfrige Bemerkung machen …“, sagte Koichi und grinste schief. „Und ja, er hätte Recht.“
„Ist doch nichts dabei“, sagte ich nur. „Das tun wir doch alle mal.“
Ich nahm mein Kleid und das Wäscheset entgegen und Koichi ließ schnell die Jalousien der Wohnzimmerfenster herunter, damit ich mich ausziehen konnte. Während ich meine alltägliche Männerwäsche (aka Shorts mit Teddys drauf) gegen das weiße, niedliche Set aus Straps-Corsage, Slip und weißen Netzstrümpfen eintauschte, wandte Koichi höflich den Blick ab, aber als ich es dann anhatte, sah er doch wieder hin.
„Sieht schon auch ziemlich heiß aus, das Ganze“, sagte Koichi. Er lächelte und fragte dann: „Fühlst du dich darin denn wohl?“
Ich sah an mir herunter, fühlte in mich hinein, und spürte, ja, ich fühlte mich gut in diesen Sachen. Ich mochte das inzwischen richtig gern, mein Schwul-sein so deutlich zu zeigen. Es erinnerte mich nicht mehr an die Scham aus meiner Kindheit, sondern an den wunderbaren Sex mit Tsuzuku, den ich so sehr liebte, diesen Mann und den Sex mit ihm.
Ich nickte auf Koichis Frage hin. „Ja, total.“
„Ich glaub, Tsuzuku wird das echt lieben“, erwiderte Koichi. „Es steht dir total gut, und ich glaube, Tsu fährt voll auf so was ab.“
„Ich freu mich auch schon drauf“, sagte ich. „Auf die Feier und die Zeremonie und die Nacht … Ich kanns kaum noch erwarten …!“
„Das sieht man dir an, Meto, deine Augen leuchten richtig.“
Das Hochzeitskleid dann über die süße Wäsche anzuziehen, war dann ein klein wenig kompliziert, aber Koichi half mir.
Er bot auch an, dass er mich dann am Tag der Hochzeit schminken könnte.
„Hast du schon eine Idee, wie dein Makeup aussehen soll?“, fragte er, als ich fertig im Kleid vor ihm stand.
„Noch nicht so richtig“, sagte ich und nahm die lange Lockenperücke in die Hand, um sie aufzusetzen.
„Ich würde dir ja empfehlen, es eher dezent zu halten. Das Kleid allein ist schon so viel und es ist ja auch schon ganz schön warm draußen. Ich hab da auch schon ne Idee für ein richtig süßes Wohlfühlmakeup. Man neigt ja an Hochzeiten dazu, viel zu viel Style aufzulegen, und gerade du als Braut willst natürlich toll aussehen. Aber vergiss nicht: Du willst ja auch tanzen und essen. Und ich glaube, es wäre außerdem ziemlich nervig, wenn du dich in der Hochzeitsnacht dann erst abschminken und die Kontaktlinsen und falschen Wimpern rausnehmen müsstest.“
„Und was hast du für ne Idee?“, fragte ich, während ich die Perücke ordnete.
„Ich dachte da an ein ganz einfaches
Makeup, nur Puder, Rouge, Lippenstift, Lidschatten, Eyeliner und Mascara. Keine Kontaktlinsen, keine falschen Wimpern und nur ein kleines bisschen Glitzer. Weil, erstens sollte es wie gesagt praktisch sein, damit du dich wohl fühlst und auf deine Hochzeit konzentrieren kannst, statt auf dein Make-up achten zu müssen. Und zweitens fände ich es gerade an eurer Hochzeit schön, wenn man auch dir ein wenig ansieht, dass ihr beide Männer seid. Denn weißt du, Meto, du siehst nicht nur als mädchenhafte Puppe toll aus. Du bist ein ziemlich hübscher Kerl, und auch wenn du ein Kleid trägst, darf man das gerne ein bisschen sehen.“
Ich errötete ein wenig, als Koichi das sagte. Vielleicht, weil ich so vor der Hochzeit doch auch ein bisschen aufgeregt war.
Ich zog mich dann wieder um und Koichi packte das Kleid und die Wäsche wieder in seinen Kleiderschrank.
„Was machst du jetzt noch?“, fragte er dann.
„Tsuzuku muss zu unserem Hausarzt wegen des Verbands, da gehe ich mit, und wenn der Verband dann ab ist, wollen wir heute noch Schwimmen gehen“, antwortete ich.
„Na dann, viel Spaß beim Schwimmen.“ Koichi lächelte und öffnete die Wohnungstür.
Zum Abschied umarmte er mich kurz und sagte noch: „Ich freu mich auch sehr auf eure Hochzeit. Grüß Tsu ganz lieb von mir, ja?“
„Mach ich.“
Am Bahnhof schrieb ich Tsuzuku eine Nachricht, fragte ihn, wo er jetzt war und ob wir uns bei der Arztpraxis treffen wollten. Er antwortete, dass er schon fast da war, also nahm ich dann die nächste Bahn in die Richtung.
Als ich dort ankam, stand Tsuzuku vor der Tür und rauchte.
Ich dachte an heute Morgen und mir fiel auf, dass er da nur eine einzige Zigarette gebraucht hatte. Vielleicht wurde es ja mal weniger mit seinem Rauchen, ich hoffte es, weil ich mir Sorgen wegen seines Herzens machte. Wir wussten ja immer noch nicht so wirklich, was da mit ihm los war, ob er vielleicht die Herzkrankheit seiner Mutter geerbt hatte oder nicht …
Als er mich sah, ließ er die Zigarette fallen und trat sie aus, dann kam er auf mich zu und umarmte mich.
„Na, mein Liebster?“
Ich küsste ihn kurz auf den Mund, dann antwortete ich: „Nur noch mal das Kleid anprobiert.“
„Ich platze fast vor Spannung, wie du in dem Kleid aussehen wirst.“
„Du siehst es ja bald“, sagte ich. „Ach ja, und ich soll dich ganz lieb von Koichi grüßen.“
„Danke.“ Tsu lächelte.
Wir betraten die Praxis, und es war immer noch recht voll, aber Tsu hatte sich wohl vorhin angemeldet und so mussten wir nicht mehr allzu lange warten, bis er drankam.
„Ah, Aoba-san“, begrüßte ihn Dr. Ishida. „Wie geht es Ihnen? Ich habe mit Dr. Niimura telefoniert, Sie waren kurz bei ihm in der Klinik auf Station, ist das richtig?“
Tsuzuku nickte. „Ja.“ Ich sah ihm an, dass die Situation ihm unangenehm war. Schließlich hatte er beim letzten Mal, als Dr. Ishida ihn auf seine Essstörung angesprochen hatte, fluchtartig die Praxis verlassen.
„Und jetzt hatten Sie sich auch selbst verletzt?“, fragte Dr. Ishida mit Blick auf den Verband an Tsu’s Unterarm.
Tsu nickte nur.
„Darf ich mir das mal anschauen?“, fragte der Arzt.
Tsuzuku setzte sich und ich tat es ihm gleich, setzte mich nah neben ihn.
Dr. Ishida begann, Tsu den Verband abzunehmen, und ich sah zum ersten Mal die Schnitte, die Tsuzuku sich zugefügt hatte, und die zu unserer heftigen Auseinandersetzung geführt hatten. Die Madonna hatte einiges abbekommen, und auch der Drache, es waren ungefähr zehn Schnitte und sie waren zum Teil auch noch leicht gerötet.
Tsu sah nicht hin, er blickte auf meine Hand auf seinem Bein, so als ob er den Anblick seiner Selbstverletzung gerade kaum ertrug. Fürchtete er vielleicht sogar, dass Dr. Ishida ihn dafür verurteilte?
Der Arzt sah sich die Verletzungen genau an, berührte sie auch vorsichtig, und dann sagte er: „Ich glaube, den Verband lassen wir jetzt ab. Es heilt besser, wenn Luft darankommt.“
„Kann ich damit jetzt schon wieder Schwimmen gehen?“, fragte Tsuzuku.
„Müsste eigentlich möglich sein. Nur, gehen Sie nicht zu lange ins Wasser, und bitte nicht in ganz heiße Becken. Kühles Wasser ist besser.“
„Ist ja kein Onsen, wo wir hingehen, nur ein Schwimmbad.“
„Passen Sie gut auf sich auf“, sagte Dr. Ishida, dann sah er mich an: „Asakawa-san, achten Sie bitte auch auf Ihren Freund. Wenn die Verletzungen sich stärker röten oder sonst irgendwas sich verändert, gehen Sie beide raus aus dem Wasser, okay?“
Ich nickte.
Als wir die Praxis dann wenig später wieder verließen, sagte Tsuzuku leise: „Ich weiß gerade gar nicht, ob ich Koji überhaupt bitten will, das zu reparieren …“ Er berührte seinen linken Arm und fügte noch hinzu: „Vielleicht will ich, dass das jetzt so bleibt …“
„Kannst du ja auch selbst entscheiden“, sagte ich. „Ist ja dein Tattoo …“
Wir gingen eine Weile ohne ein Wort nebeneinander her, dann fiel mir etwas ein und ich fragte ihn: „Was hat Hitomi denn jetzt gesagt? Kommt sie auch?“
„Ja, sie freut sich sogar total drauf. Sie war seit Jahren auf keinem Fest mehr. Und dass Ami auch kommt, ist gut, dann findet sie leichter Anschluss.“
Wir fuhren mit der Stadtbahn erst mal wieder nach Hause.
Aber Tsu wollte dann gleich wieder los, er sagte, dass er richtig Lust aufs Schwimmen hatte. Also packten wir unsere Badesachen zusammen und fuhren in Richtung Strand, wo das große Schwimmbad war.
Auf dem Weg kamen wir an dem Hotel vorbei, in dem wir damals, im letzten Herbst, ein Paar geworden waren.
„Ist es echt erst letzten Herbst gewesen?“, fragte Tsuzuku nachdenklich, als wir davor kurz stehen blieben. „Mir kommts wie ne Ewigkeit vor, viel länger …“
„Ja“, sagte ich. „Mir kommt es auch länger vor. Wir sind noch kein Jahr zusammen … Aber es fühlt sich so an, als ob wir schon wahnsinnig lange zusammen sind …“ Ich sah ihn an, drückte seine Hand und fügte dann hinzu: „Vielleicht, weil es so eine intensive Zeit war … Solche Zeiten kommen einem vielleicht immer so lang vor …“
„Bin ich … anstrengend?“, fragte Tsu leise.
Ich trat vor ihn, nahm seine beiden Hände und sah ihn an, küsste ihn auf den Mund. „Tsuzuku … Du bist eine intensive Persönlichkeit, und ich hab mich ganz klar dafür entschieden, mein Leben mit dir zu teilen. Egal, ob es manchmal anstrengend ist, ich liebe dich und ich will bei dir bleiben.“
Es fühlte sich wichtig an, an diesem Ort, wo unsere vormalige Freundschaft zu einer Liebesbeziehung geworden war, meinem Mann jetzt noch einmal, wieder und wieder, zu sagen, dass ich ihn liebte und mein Leben mit ihm verbringen wollte. Es war ganz klar, schon so lange, dass Tsuzuku mein Mann fürs Leben war!
Hätte MiA mir eine so intensive, berauschende Zeit schenken können? Ich glaubte es nicht. Hatte ich MiA überhaupt wirklich geliebt? Jedenfalls war die kurze Beziehung mit ihm an sich bei weitem nicht so stark gewesen wie das, was mich schon zuvor mit Tsuzuku verbunden hatte und nun immer stärker wurde. Und auch, als ich mit MiA zusammen gewesen war, war die Zeit deshalb intensiv gewesen, weil Tsuzuku auch da gewesen war.
Wir gingen weiter bis zum Schwimmbad, betraten es, und nachdem wir bezahlt hatten, gingen wir uns gleich umziehen und abduschen. Ich sah Tsuzuku dabei zu, während ich mich selbst wusch, und achtete ein wenig auf seinen Arm, ob die Schnitte röter wurden oder so blieben.
Als wir die Halle mit den Becken betraten, steuerte Tsu gleich auf die kleine Grotte zu, die es hier gab, er nahm meine Hand und führte mich dort hinein. Es war niemand anderes dort und wir setzten uns, wobei Tsu sich gleich ohne Umschweife über meine Beine kniete und mich umarmte.
„Liebster … weißt du eigentlich, dass du im Wasser noch viel heißer bist?“
„Wieso das denn?“
Er beugte sich vor und flüsterte mit leicht rauer Stimme in mein Ohr: „Ganz viele Wassertröpfchen auf deiner Haut … in deinen Haaren … und deine Haut wird so weich und warm … Du spürst mich … ich bin auch ganz nass … und …“ Seine Hand wanderte meinen Rücken hinab, schob sich einfach so hinten in meine Badeshorts und ertastete mein Loch …: „… Und dein süßes kleines Loch fängt schon an zu zucken, wenn du mich nur bei dir spürst …“
Ich konnte nicht anders, als bei diesen seinen schamlosen Worten und Taten wieder einmal zu erröten, und Tsuzuku nahm das mit einem leisen Lachen zur Kenntnis.
„Ich freu mich schon so auf unsere Hochzeitsnacht“, flüsterte er und küsste mich dann. „Da gehen wir auch erst baden, das Zimmer hat ja ein Ofuro, und dann lieb ich dich, ganz romantisch …“
„Mal ohne Toys?“, fragte ich und lächelte.
„Muss auch mal ohne gehen“, antwortete er und küsste mich wieder.
Auf einmal hörten wir zwei weibliche Stimmen näher kommen, und tatsächlich kamen kurz darauf eine junge Frau und ein kleines Mädchen in die Grotte. Tsuzuku stand sofort von meinen Beinen auf und setzte sich neben mich, ich sah leichte Röte auf seinen Wangen.
Das kleine Mädchen, vielleicht vier oder fünf Jahre alt, sah mich mit großen Augen an, ehe sie zu der jungen Frau, vermutlich ihre Mutter, auf den Schoß kletterte.
„Mama? Der Mann da, der ist aber bunt!“, sagte die Kleine und sah mich dabei an. „Ganz bunt sein Arm, und seine Haare sind blau …“
Die Mutter sah mich entschuldigend an, aber ich lächelte zurück. Es störte mich nicht, dass die Kleine mein Aussehen auffällig fand, ich wusste ja, dass ich auffiel.
„Gefällt dir das?“, fragte die Mutter das Mädchen.
„Er sieht aus wie ein Einhorn-Regenbogen, schön bunt!“ Die Kleine strahlte mich an, und ich konnte nicht anders, als sie auch anzulächeln.
Dann sah ich zu Tsuzuku, rechnete schon damit, dass ihm die Situation unangenehm sein könnte, aber er schien sich über das Kompliment des Mädchens genauso zu freuen wie ich. Zwar verbarg er seinen linken Unterarm unauffällig mit dem rechten, doch er schien sich wohl zu fühlen.
„Der andere ist nicht so bunt …“, sagte die Kleine nachdenklich und sah Tsuzuku an. „Aber auch angemalt … Wie kommt das, dass die Farbe im Wasser nicht weg geht?“
„Die ist in der Haut drin, die geht nicht weg“, erklärte die Mutter. „Manche Leute mögen das, sich Farbe in die Haut machen zu lassen, die sind dann ihr ganzes Leben lang angemalt.“
„Warum?“, fragte das Mädchen.
Ich sah wieder zu Tsuzuku, und der sah das kleine Mädchen an und antwortete: „Weil wir das schön finden.“
Das schien sie dann doch nicht so ganz zu verstehen. „Tut das nicht weh?“
„Doch, ein bisschen. Aber wir finden bunt sein so toll, dass uns der Schmerz egal ist“, sagte Tsu und mir fiel auf, dass seine Stimme ganz weich klang. Bisher hatte ich geglaubt, dass er keine Kinder mochte und nicht gut mit ihnen umgehen konnte. Doch in diesem Moment merkte man ihm an, dass es ihm gefiel, diesem kleinen Mädchen die Fragen zu beantworten.
Die Mutter des Mädchens sah ein wenig unsicher aus, so als ahnte sie, dass sie uns bei etwas gestört hatte. Sie wandte sich an die Kleine und fragte: „Möchtest du ins Spielbecken gehen?“
„Au ja!“
Und so verließen die beiden die Grotte wieder, wobei das Mädchen sich noch mal umdrehte und uns zuwinkte.
Als die beiden weg waren, fragte ich meinen Verlobten: „Ich dachte schon, du magst keine Kinder?“
„Nicht mögen … nein, das nicht. Nur, na ja, ich weiß oft nicht, wie ich mit ihnen umgehen soll. Zum Glück hab ich nicht oft mit Kindern zu tun … Sie sind noch so … prägbar, verstehst du? Was man als Kind erfährt, das bleibt fürs Leben, und wenn ich länger mit einem Kind zu tun hätte, dann hätte ich Angst, ihm irreparable Schäden zuzufügen …“ Tsuzuku blickte einen Moment zur Decke der Grotte, dann fügte er noch hinzu: „Wenn ich … damals, mit den Mädchen, mit einer von ihnen ein Kind gezeugt hätte … das wär echt schlimm gewesen. Ich bin wirklich froh, dass das nicht passiert ist. Ich wüsste nicht, wie ich ein Kind erziehen sollte. Ich weiß so oft nicht mal, wie und wer ich selbst bin, wie sollte ich da einem Kind diese Sicherheit vermitteln, die es braucht?“
„Deshalb bist du so froh, dass ich ein Mann bin, oder?“, fragte ich.
„Unter anderem deshalb, ja.“ Tsu lächelte ein wenig. „Mit dir kann so was einfach nicht passieren, und Ruana ist eben ein Teddy, kein lebendiges Kind.“ Er sah mich ernst an und fragte dann: „Hättest du denn irgendwann ein Kind gewollt, wenn ich nicht wäre?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Tsu, ich bin so was von stockschwul, und das ist mir schon klar, seit ich an so was denken kann. Ich hab mich nie zu irgendeinem Mädchen hingezogen gefühlt, und von daher hat sich der Gedanke an Kinder bei mir gar nicht eingestellt.“
Tsu lächelte erleichtert. „Das ist gut.“
„Und außerdem …“, fügte ich grinsend hinzu und knuffte meinen Verlobten spielerisch gegen den Oberarm, „… bist du doch quasi mein Kind. Ich muss dich füttern und zum Schlafen in meine Arme nehmen, und damit bin ich vollauf zufrieden und ausgelastet.“
Tsuzuku errötete und wusste sichtlich nicht, was er darauf antworten sollte.
„Hey, ich tu das gern!“, bekräftigte ich noch einmal.
„Wirklich?“
„Ja!“
Wir verließen die Grotte dann und gingen noch ein paar Bahnen schwimmen. Beziehungsweise, ich schwamm drei oder vier, dann hatte ich keine Lust mehr und setzte mich an den Rand, während Tsuzuku weiter machte. Ich fragte ihn, ob es ihn denn nicht erschöpfte, und er antwortete, dass er sich mal wieder auspowern musste.
Entsprechend müde war er dann, als wir das Bad wieder verließen, und als wir mit noch leicht feuchten Haaren in der Bahn nach Hause saßen, schlief er neben mir fast ein.
„Wir sind gleich zu Hause, da kannst du besser schlafen“, sagte ich, ließ aber zu, dass er sich an mich lehnte.
„Kannsu … mich dann … in‘ Schlaf schmusen?“, fragte er mit schon vor Müdigkeit ganz schwerer Stimme.
„Klar, wir kuscheln uns schön zusammen und dann träumst du was Schönes.“
„Meto?“
„Hm?“
„Ich lieb‘ dich …“
Ich legte meinen Arm um ihn und hauchte einen Kuss auf sein Haar. „Ich liebe dich auch.“
Zu Hause angekommen, zog Tsuzuku sich schon im Flur aus und ging gleich ins Bett. Ich hängte noch unsere Handtücher und Badesachen auf, dann ging ich zu ihm, er lag schon unter der Decke, eingekuschelt wie ein kleines Kind.
Ich zog mich auch aus, legte mich zu ihm, fühlte, dass er unter der Decke nackt war, und er, schon halb im Schlaf, schmiegte sich eng an mich.
„Liebster?“
„Ja?“
„Kannst du das … bitte immer so machen?“
„Was denn?“
„Bei mir liegen und mich im Arm halten …?“
„Tu ich doch.“
„Ich hab so Angst alleine …“
„Ich bin ja da …“
„Nicht weggehen …!“
„Ich geh nicht weg.“
Es dauerte einen Moment, bis ich bemerkte, dass er soeben eingeschlafen war. Er sprach im Schlaf, sagte immer wieder, dass ich nicht weggehen sollte, und seine Stimme klang dabei fast wie die eines kleinen Jungen, und ganz ängstlich.
„Tsuzuku“, sprach ich ihn an und rüttelte ihn ein wenig. „Wach auf, ich bleibe doch bei dir …!“
Er öffnete die Augen, sah mich an, und klammerte sich mit einem Mal ganz fest an mich.
„Nicht schlecht träumen, mein Herz …“, flüsterte ich.
Tsu sah mich einen Moment lang an. „Meto …?“, fragte er dann, „Ich würde gern … mit dir … zusammen schlafen …“
„Tun wir doch.“
„Das meine ich nicht.“
„Sex?“
Er nickte. „Zusammen einschlafen, dabei …“
„Geht das denn?“
„Klar geht das.“
„Und wie möchtest du’s?“
„Dich in mir …“ Er drehte sich in meinen Armen um, schmiegte seinen Rücken an meine Vorderseite, und sagte, ganz leise: „Ich will … dein kleines Löffelchen sein …“
Ich tastete über seinen nackten Körper nach unten, mit der einen Hand, während mein anderer Arm ihn an mich drückte. Streichelte seinen Hintern und fand die Öffnung, die bei der Berührung durch meine Finger weich und pulsierend reagierte.
Tsuzuku seufzte leise, und weil ich ja keine Hand frei hatte, griff er selbst nach dem Gleitgel auf dem Nachtschrank und reichte es mir.
Es ging ganz leicht, ihn weit und empfänglich zu machen, er war so sehnsüchtig, und dadurch, dass er fast schlief, so entspannt … Ihn zu berühren, erregte mich recht schnell, und so, wie er sich rückwärts an mich presste, wurde ich bald hart. Halb seitlich, halb auf dem Bauch liegend, rieb ich mich an ihm, bis sein Eingang um meine Finger weich genug war, sodass ich in ihn dringen konnte. Ich umarmte ihn und er seufzte leise, atmete tief ein und aus.
„Soll ich mich bewegen?“, fragte ich leise.
„Nur ein bisschen …“, flüsterte Tsuzuku. „Ich will … davon einschlafen …“
Und so bewegte ich mich nur ganz langsam und vorsichtig, und weil mir danach war, fing ich an, leise ein Schlaflied zu summen. Ich hörte, wie Tsu leise seufzte, spürte seine Wärme und wie weich und entspannt er war, und irgendwann hörte ich ihn nur noch leise atmen. Ich hob den Kopf und sah, dass er tatsächlich schlief.
Mit einem Gefühl von unglaublich warmer Zärtlichkeit drückte ich ihn sanft an mich, küsste liebevoll seinen Nacken. Es war ungewohnt, in ihm zu sein, während er schlief, und ich fragte mich, ob und wie ich so kommen sollte. Und so blieb ich eine Weile einfach so, genoss Tsuzukus Nähe und Wärme, und streichelte ihn einfach. Sein Glied war zwar hart, doch er schlief so tief und fest, dass er nur schlafend seufzte, als ich es berührte.
Einen Moment lang nickte ich selbst ein, dieses Gefühl von Ruhe und absoluter Nähe hatte mich ebenso einschlafen lassen.
Doch kurz darauf war ich wieder wach, und beschloss dann, mich ganz vorsichtig rauszuziehen. Ich streichelte Tsu dabei, hielt mit Armen und Beinen weiter Körperkontakt zu ihm, während ich mich langsam zurückzog. Mein Glied war noch so hart, dass ich das Gefühl hatte, kommen zu müssen, und weil ich aber befürchtete, Tsuzuku zu wecken und zu ängstigen, wenn ich jetzt aufstand und mir im Bad einen runterholte, blieb ich bei ihm. Mit einem Arm umarmte ich ihn, mit der anderen Hand fing ich an, mich zu berühren, und es ging dann ziemlich schnell, ich ejakulierte gegen seinen Rücken.
Vorsichtig drehte ich mich halb um, griff nach der Taschentücherbox und wischte meinen Samen von meiner Hand und Tsu’s Körper weg. Er wachte davon nicht auf, gab nur einen leisen Laut von sich, mehr nicht.
Und so schmiegte ich mich einfach wieder an ihn und schlief dann irgendwann so ein.
Das erste, was ich am Morgen des fünften Juni spürte, als ich aufwachte, war das Liebste, was ich hatte auf dieser Welt: Metos warmer, nackter, süßer Männerkörper, hautnah an meinen geschmiegt. Ich spürte, er war wach, und ich blinzelte, hörte ihn leise lachen.
„Guten Morgen, schöner Mann“, sprach er und küsste mich zärtlich auf den Mund.
Ich öffnete die Augen und blickte in sein mich sonnengleich anstrahlendes Gesicht. Das Licht im Raum umgab ihn, sodass er wieder einmal aussah wie ein blauhaariger Engel.
„Wir heiraten heute!“ Metos Augen leuchteten vor Glück.
War es endlich soweit? Ich konnte es zuerst kaum glauben. Sollte heute wirklich schon der fünfte Juni sein, der Tag unserer Hochzeit, der Beweis, dass wir wirklich immer zusammen bleiben würden? Es schien mir einen Moment lang so unwirklich, so kaum begreifbar, dass Meto immer noch bei mir war und noch dazu fest entschlossen, sein Leben mit mir zu verbringen …
Ich sah ihn an, und er blickte zurück, dann sagte er: „Hey, nicht zweifeln, Tsuzuku! Nur glauben und lieben, sonst nichts, okay?“
Anscheinend war ich mal wieder ein offenes Buch für ihn. Er las mich und das, was er dabei in mir sah, schien ihm auch noch zu gefallen, denn er küsste mich wieder. Und seine Lippen vertrieben meine Angst, meine Zweifel, ließen mich warm und sicher fühlen.
Ich blickte an ihm vorbei, sah den Raum an, in dem wir auf dem Futon lagen, die Tatami-Matten und die Schiebetüren aus Holz und Papier, die hübsche, traditionell japanische Dekoration …
Wir waren gestern hergefahren nach Kyoto, hatten in dem Hotel eingecheckt und uns beim Tempel noch mal gemeldet, und danach waren wir in einer kleinen Bar noch mit Koichi und Mikan etwas trinken gewesen. An das Ende des Abends hatte ich keine genaue Erinnerung, aber da es mir gut ging, konnte ich nicht allzu viel Alkohol getrunken haben.
Metos Nähe, seine Nacktheit und Wärme, ließen einen unbändigen Hunger in meinen Lenden aufflammen.
„Liebster“, sprach ich ihn an und presste dabei meinen hungrigen Leib sehnsüchtig an seinen. „Ich hab solchen Hunger …!“
Er sah mich einen Moment lang fragend an, wusste vielleicht erst nicht, welche Art von Hunger ich meinte, ich mit meinen Problemen mit Essen.
„Worauf hast du denn Hunger?“, fragte er. „Vielleicht steht ja schon unser Frühstück auf dem Flur …“
„Ich hab Hunger auf dich“, präzisierte ich und deutete dabei mit meiner Hüfte an, was ich meinte.
Meto lächelte, küsste mich.
„Jetzt?“, fragte er. „Wo wir doch heute heiraten und du mich dann die ganze Nacht lieben kannst?“
„Ja“, flüsterte ich in sein Ohr. „Jetzt!“
Meto sah mich einen Moment lang nachdenklich an, dann sagte er: „Wie wär’s, wenn wir das beides verbinden? Frühstück und Liebe, meine ich.“
Schon als er das sagte, stieg in mir die Lust, allein von der Vorstellung, dass er mich liebte und fütterte zugleich … Vielleicht war es eigenartig, wie ich Liebe mit Essen verband? Aber ich sehnte mich so sehr danach! Und Meto war offenbar schon von sich aus gewillt, dieses Sehnen in mir zu stillen.
Ich drückte mich wiederum eng an ihn, und war von dem Gedanken daran, dass er mich gleich unter Zärtlichkeiten füttern würde, so geil, dass ich sehr schnell hart wurde.
Meto lachte leise. „So sehr magst du das?“
„Jaah …“, seufzte ich erregt. „Liebster, machst du das? Liebst du mich und wir essen dabei?“
Er lächelte wieder, küsste mich erneut.
„Mit Eindringen oder ohne?“, fragte er.
Ich ließ meine Lust und mein über alle Maßen verliebtes Herz entscheiden: „Nimm du mich, ich will das volle Programm! Und heute Abend tauschen wir wieder, dann bist du meine Braut?“
Woraufhin Meto mich wiederum küsste. „Liebend gern, mein schöner Mann!“
„Ich liebe dich, weißt du das?“
„Ich dich auch, sehr.“
Er löste sich von mir, um aufzustehen und zur Tür unserer Suite zu gehen, die er aufschob, und da stand tatsächlich schon unser Frühstück auf einem rot lackierten Tablett.
Es war, ganz dem traditionellen Hotel entsprechend, ein Washoku-Frühstück mit Misosuppe, Reis und gedämpftem Gemüse. Das gefiel mir, gedämpftes Gemüse mochte ich und vertrug es auch noch mal besser als Brötchen und Butter.
Meto hob das Tablett hoch und kam damit zu mir zurück, ich setzte mich auf und sah ihn einen Moment lang einfach nur an, wie er da nackt vor mir kniete und die Schälchen öffnete, in denen sich die einzelnen Speisen befanden. Er war so schön, so süß und begehrenswert! Und von heute an würde er wirklich mein sein, als mein Ehemann!
Meto erhob sich wieder, schloss die Tür und dann legte er sich wieder zu mir. Sofort waren seine Hände auf meinem Körper, streichelten meine nackte Haut, zuerst meine Brust und meine Seiten, doch sehr bald auch schon meinen Hintern, was mich aufseufzen ließ. Und schließlich umarmte er mich, drückte mich ganz fest an sich und flüsterte in mein Ohr: „Tsuzuku …! Mein Tsuzuku! Ich lass dich nie wieder los!“
Mein Herz begann, wild zu klopfen, und mir sprangen vor Glück und Freude Tränen in die Augen.
Meto bemerkte das. „Hey, nicht weinen …“
„Das sind Freudentränen“, antwortete ich.
Er nahm mein Gesicht sanft in seine Hände, ich schloss die Augen und spürte dann, ganz zart, seine Lippen auf meinen Lidern, wie er meine Tränen wegküsste.
Dann ließ er seine Hände in meinen Nacken wandern, fand die eine erogene Zone dort und strich so zärtlich darüber, dass ich aufseufzte.
„So, mein Herz, jetzt gibt’s Frühstück“, sprach er und griff dann über mich hinweg nach den Essstäbchen. „Reis oder Gemüse?“
„Reis“, antwortete ich spontan, und schon hatte er sich davon genommen und hielt mir die zusammen klebenden Reiskörner unter die Nase. „Mund auf, Tsu.“
Und während er mich mit der einen Hand fütterte, fand die andere meine rechte Brustwarze und begann, mit dem Piercing zu spielen.
„Mmmhh …“, machte ich, schluckte den Reis herunter und drückte meinen erregten Unterleib an den meines Liebsten.
„Ist das gut?“, fragte er, während seine Hand sich nun meiner linken Brustwarze widmete. Es fühlte sich so heiß und süß an, dass ich nur nicken konnte, woraufhin Meto ein Stück Gemüse mit den Stäbchen aufnahm und, bevor er es mir hinhielt, lächelnd sprach: „Macht dich das so an, wenn ich dich so füttere?“
„Ich weiß nicht … ahhh … wenn du mich dabei so berührst, schon …“ Auf einmal schämte ich mich doch ein wenig, es erschien mir nun doch etwas seltsam.
„Aber du magst es sehr, oder?“
„Jaah …“
„Tsuzuku, dafür musst du dich nicht schämen. Du hast mir doch beigebracht, dass Liebe niemals peinlich ist.“ Er hielt mir das Gemüse hin und ich nahm es an, woraufhin er mich lobte: „Gut gemacht, bist ein braver Junge.“ Und zur Belohnung knabberte er zärtlich an meiner Halsbeuge, dort, wo ich es besonders gern hatte. Dabei spürte ich, wie geil er schon war, wie heiß und hart, und wie sein Herz klopfte.
„Wir heiraten heute …“, dachte ich wieder und fühlte meinen Hunger, meine Sehnsucht nach völliger, inniger Liebe … Ich schloss die Augen, fühlte Metos süße Nähe, und dann hörte ich ihn wieder so leise lachen.
„Tsu, ich hab eine Idee … Wie wär’s, wenn ich dir die Augen verbinde?“, fragte er.
Ich musste darüber tatsächlich einen Moment lang nachdenken. Mit verbundenen Augen gefüttert zu werden, nicht zu sehen, was ich aß … Ganz einfach war das nicht für mich. Aber irgendwie, andererseits … es reizte mich auch …
„Vertraust du mir?“, fragte mein Liebster mit sanfter Stimme.
Und ich nickte. „Ja.“
„Magst du irgendwas von diesem Frühstück nicht?“
„Nein, alles okay.“
„Also darf ich?“
„Ja …“
Meto erhob sich, suchte in seinem neben dem Bett stehenden Koffer nach einem Schal oder Halstuch, fand einen und kam damit zu mir zurück. Ich hob den Kopf und er verband mir die Augen, was mein Herz aufgeregt klopfen ließ.
Sobald ich nichts mehr sah, fühlten sich Metos Nähe und seine Berührungen noch mal intensiver an, und als er mich dann zärtlich küsste, seufzte ich leise gegen seine gepiercten Lippen.
Er senkte seinen Körper ganz langsam und vorsichtig auf meinen nieder, ich fühlte seine Hitze und sein hartes, erregtes Glied, seinen kräftigen Herzschlag und dass er mich liebte. Wieder seufzte ich, jetzt etwas lauter, spürte meinen Liebsten ein wenig erbeben, und legte meine Beine um seinen Unterleib, hielt ihn fest, obwohl er noch nicht mal in mir war.
Und wieder, noch während ich ihn so umklammert bei mir hielt, fühlte ich die Stäbchen und ein Stück Gemüse an meinen Lippen, er fütterte mich weiter.
Und nicht nur Metos Nähe und seine Berührungen fühlten sich so, ohne zu sehen, intensiver an, auch das Essen schmeckte irgendwie anders. Ich konnte nicht genau sagen, was es war, aber irgendetwas machte es mir leichter, es zu schlucken. Vielleicht, weil ich in diesem Moment eine so starke, unüberspürbare Liebe und Lust empfand, dass mein Hirn gerade zu keinem Zweifel mehr imstande war?
Es war so gut und seltsam zugleich, diese Verbindung von Essen und Sex, in mir mischten sich Scham und Genuss, und der Genuss überwog mit jeder Sekunde mehr …
„Wir heiraten heute …!“, flüsterte Meto ganz nah an meinem Ohr. „Ich freu mich so …!“
„Dann musst du mich aber für immer so füttern“, sprach ich meine Gedanken ungefiltert aus.
„Weißt du, das mache ich sogar gern, mein Schatz“, erwiderte er und küsste mich. Und ich, ganz berauscht von so viel Liebe, Lust und Genuss, schob ihm meine Zunge in den Mund.
Was dann folgte, war so heiß, so berauschend süß und, ja, verschmelzend, dass ich schon gleich danach kaum noch die Worte fand, es in aller Intensität zu beschreiben:
Wir versanken ganz ineinander, wurden über unsere Körper ebenso eins wie in unseren Gefühlen, und dieses Gefühl von Verschmelzung und Eins-sein war immer noch das Einzige, was mich wirklich satt, zufrieden und ganz, zu einem vollständigen Wesen machte.
In dieser Nähe wurde das tiefe, schwarze Loch in meinem Herzen zu einer blassen Erinnerung wie aus einem bösen Traum. Ich war einen Moment lang so sehr ganz und hatte den Halt, nach dem ich mich immer so sehr gesehnt hatte.
Danach lagen wir eine Weile einfach da, Meto neben mir, meine Hand in seiner.
„Das war schön“, sprach er, war noch ein wenig außer Atem.
„Ja …“ Ich musste ein bisschen lachen, so glücklich war ich.
„Das machen wir öfter“, sagte Meto, wandte sich mir zu und küsste mich.
„Foodporn?“, fragte ich und grinste.
„Nenn es, wie du willst. Ich find’s schön.“
„Das nächste Mal vernasch ich dann wieder dich, mein Liebster …“
Ein wenig blieben wir noch so liegen, dann erhob ich mich und ging nach nebenan ins Bad, zu der Ofuro-Badewanne, die es hier anstelle einer Dusche gab.
„Wie sieht’s aus, Baby, badest du mit mir?“, fragte ich.
„Aber natürlich!“ Mit einem Ruck war Meto aufgestanden und suchte seine Waschsachen aus dem Koffer.
Zuerst wuschen wir uns im Stehen gegenseitig ab, dann setzten wir uns zusammen in die Wanne, die inzwischen voll mit schön heißem Wasser war. Meto setzte sich vor mich, zwischen meine Beine, und schmiegte sich rücklings an mich, ich legte meine Arme um ihn und er schloss genießend die Augen.
„Ist das schön?“, fragte ich leise.
„Jaah …“, seufzte er. „Du fühlst dich so gut an, Tsuzuku.“
„Wie denn?“
„Schön warm …“, antwortete er.
„Nicht zu dünn?“
„Nein.“ Meto drehte sich halb zu mir um und sagte noch einmal: „Du fühlst dich gut an, Tsu.“
Ich dachte daran, wie glücklich ich gerade war, wie gern ich das festhalten wollte, und auch, dass ich wusste, wie viel Glück ich mit Meto hatte:
Ich wusste, dass das, was er für mich tat und zu tun bereit war, alles andere als selbstverständlich war. Er selbst war in seiner ganzen Art einfach so gar nicht ‚selbstverständlich‘, er war etwas ganz Besonderes und in diesem Moment wusste ich das wirklich zu schätzen.
Wir saßen eine ganze Weile einfach zusammen im warmen Wasser, umarmt und einander ein wenig streichelnd.
Bis es leise an der Tür der Suite klopfte und ich von draußen Koichis Stimme vernahm: „Tsuzuku? Meto? Seid ihr schon auf? Ich hoffe, ich störe nicht …“
„Wir sitzen in der Wanne“, antwortete Meto halblaut.
„Ah, okay, ist gut … Ich wollte auch nur Bescheid sagen, Mikan und ich sind schon auf und wir gehen eine Runde runter in die Stadt, bevor wir uns nachher schick machen. Meto, wenn du so weit bist, dann rufst du mich einfach an, dann komme ich zu dir und schmink dich und helfe dir mit dem Kleid, ja?“, sprach Koichi durch die geschlossene Tür.
„Ko, hast du Haruna schon gesehen?“, fragte ich.
„Ja, sie und Hanako sind im selben Hotel wie Mikan und ich. Sie hat mich auch schon gefragt, ob du in der Zeit, wenn ich Meto hübsch mache, dann zu ihr kommen willst. Kannst sie ja nachher mal anrufen, dann haben Meto und ich hier Ruhe und du siehst ihn erst später im Tempel“, antwortete Koichi. „Lasst euch aber nicht hetzen, macht schön gemütlich, ja? Bis später!“ Dann waren seine sich entfernenden Schritte zu hören.
„Gemütlich“, sagte Meto und schmiegte sich dabei genießend an mich. Und dann fragte er, einfach so: „Wollen wir noch ne Runde dranhängen?“
Ich musste lachen, Metos Wortwahl und Eindeutigkeit wurden meiner anzüglichen Ausdrucksweise immer ähnlicher.
„Sex in der Badewanne, ich glaube fast, das hatten wir noch nicht“, bemerkte ich dazu. „Ist ja wie Schmusen im Schwimmbad, nur privat und ohne Badehose …
„Oder wie im Onsen.“ Meto kicherte.
„Ich hab dir schon mal gesagt, wir machen hier Liebe wie die alten Samurai“, lachte ich und fing gleich damit an, zärtlich an Metos Hals zu knabbern, an seiner nassen, verführerisch warmen Haut …
Er seufzte genießend, und ich sah an seinem nackten, im warmen Wasser sitzenden Körper hinunter zu seinem Schwanz, der schon wieder auf meine Nähe und mein Tun zu reagieren begann und sich zart gerötet langsam aufrichtete.
„Ahhh …“, seufzte Meto wiederum und schmiegte sich fester an mich.
„Das gefällt dir, stimmt’s?“
„Jaah …!“
Er richtete sich halb auf, löste sich aus meiner Umarmung, aber nur, um sich zu mir umzudrehen, sodass er dann mir gegenüber im Wasser kniete. Beugte sich dann vor und küsste mich heiß und erregt, schob mir seine gepiercte Zunge in den Mund, wo sie auf meine gespaltene traf und sie zum Spielen einlud.
Meine Hände wanderten an seinem Körper hinab, von seiner tätowierten Brust über seinen flachen Bauch bis hin zu seinem erregten Glied, das auf die Berührung mit austretendem Lusttropfen reagierte.
„So geil bist du schon wieder?“, fragte ich gegen seine Lippen.
Metos Wangen färbten sich in einem süßen, erregten Rosa, seine Hüfte erbebte und er stieß fast schon in meine Hand.
„Tsuzuku …“, sprach er meinen Namen aus, und senkte seinen Kopf auf meine Schulter. „Du erregst mich … so sehr …!“
Diese Worte, seine süße Stimme und sein erregter Körper, all das machte mich ebenso geil, ich spürte, wie ich hart wurde, und fühlte schon im nächsten Moment Metos kräftige, warme Hand dort, wie er mich umfasste. Und er war gut im Umgang mit meinem Männerkörper, kannte ihn und wusste ganz genau, was ich mochte und wie.
„Weißt du eigentlich … ahh, dass ich das mag, dass du schwul bist?“, fragte ich.
Meto sah mich an und lächelte. „Ja, weiß ich. Fühlst dich bei mir als Mann sicherer als bei Frauen, ne?“
Ich nickte nur, wollte nicht an die Frauen von früher denken, nur an das Hier und Jetzt mit meinem Mann.
Er beugte sich vor, stützte seine eine Hand neben mir am Rand der Wanne ab und ließ die andere an meinem Schwanz, massierte Schaft und Eichel, und dann presste er wiederum seine Lippen auf die meinen, fing mein verzücktes Aufstöhnen in einem übersüßen, ekstatischen Kuss auf.
Es war fast ein bisschen wie damals in unserer ersten Nacht, als ich ihm meine Liebe gestanden hatte. Wir berührten und küssten einander einfach, und dennoch fühlte es sich an wie Sex.
Mein Liebster war so erregt, dass es nicht lang dauerte, bis ich ihn zum Höhepunkt gebracht hatte, und danach machten wir weiter, er berührte und küsste mich …
„Komm mal ein bisschen höher, weiter aus dem Wasser raus“, forderte Meto mich leise auf, „… so, dass ich mit meinem Mund an deine Brust rankomme …“
Ich tat, wie mir geheißen, streckte mich und setzte mich ein wenig anders hin. Meto beugte sich vor und mein Körper bog sich willig seinem entgegen. Ich legte den Kopf in den Nacken und fühlte die wunderbar weichen Lippen meines Liebsten auf meiner Brust: Erst auf meiner linken Brustwarze, dann an meinem Implantat, und schließlich ganz warm und süß über meinem Herzen, dort, wo mich solch eine zärtlich Berührung jedes Mal in höchste emotionale Ekstase versetzte. Und er küsste mich nicht nur einfach dort, sondern mit einer ganz besonderen Liebe und Zärtlichkeit, zarte, süß getupfte Küsschen …
Mein Herz raste, mein Stöhnen wurde haltloser, ich schrie beinahe, spürte Tränen überbordenden Glücks in meinen Augen und drängte mich Metos Küssen gierig entgegen.
„So schön ist das?“, fragte Meto leise gegen meine Haut. „So gut, dass du weinst?“
Ich konnte nicht antworten, nur stöhnen und die Tränen fließen lassen.
Meinen Orgasmus war wie ein viel zu kurzer, glühender Blitz, der einfach kam und mich dann zitternd zurückließ, ich spürte Metos starken Arme um mich und dachte nur noch: „Ich liebe ihn … ich liebe ihn … wir heiraten heute … ich liebe ihn …“
Als ich mich wieder etwas beruhigt und gefangen hatte, verließen wir das Bad, ließen das Wasser ablaufen und wuschen uns nochmals ab.
Meto zog sich einen der beiden dem Hotel gehörenden Yukata an, ich nahm den anderen.
Ich fühlte mich schwebend, leicht und glücklich, und während wir dann das, was wir vorhin vom Frühstück übrig gelassen hatten, noch auf aßen, hatte ich ein schönes Gefühl von Normalität.
„Wer hätte gedacht, dass ich in meinem Leben noch heiraten werde“, dachte ich und stellte es mir vor, die Zeremonie, die heute, in ein paar Stunden, Meto und mich für immer verbinden würde. Es erschien mir wie ein wundervolles Wunder, dass ich, der ich schon so oft hatte sterben wollen, jetzt heiraten durfte.
Denn Heiraten war etwas sehr Lebendiges, bedeutete es doch für die meisten, dass man eine Familie gründete. Dass Meto und ich als Männerpaar keine Kinder haben würden, war jedoch ein so unbedeutendes Detail für mich, denn mir war die Vorstellung einer festen gemeinsamen Zukunft mit ihm so, so, so viel wertvoller!
Ich zog mich an, erst mal ganz einfache Sachen, Jeans und T-Shirt, und dann nahm ich meinen Hochzeitsanzug und das, was ich an Schmuck und Make-up dazu brauchte, und packte alles in eine Tasche, um mich auf den Weg zu Haruna zu machen.
Meto blieb in der Suite und wollte hier auf Koichi warten, damit der ihm mit Kleid und Make-up half.
An einem ruhigen Sonntagmorgen wie heute war in dieser Gegend von Kyoto nicht allzu viel los. Mir kam eine Gruppe Kinder entgegen und ab und zu eine Hausfrau beim Einkaufen oder ein Mann im Anzug. Es fühlte sich seltsam an, diesen ganz ordentlichen und durchschnittlichen Leuten zu begegnen, ich fühlte mich ihnen einfach kaum zugehörig. Obwohl sie nicht wissen konnten, dass ich heute meinen Verlobten heiraten würde, als Mann einen Mann liebte, sah ich in ihren Blicken Ablehnung. Und dann fielen mir meine Tattoos wieder ein, ich trug ein kurzärmliges T-Shirt mit recht weitem Ausschnitt, sodass davon viel zu sehen war. Wahrscheinlich sahen sie mich deshalb so an …
Ich wollte nicht, dass mich das heute ankratzte und traurig machte. Heute war meine Hochzeit, da wollte ich glücklich sein! Ich wollte mich gut fühlen, verliebt und voller Hoffnung auf eine glückliche Zukunft an Metos Seite!
Und dennoch, als ich das Hotel erreichte, wo Haruna ihr Zimmer hatte, und hinein ging, kamen mir die Tränen.
An der Rezeption war niemand, aber Haruna kam gerade die Treppe runter und sah mich.
„Hallo, Tsuzuku!“, begrüßte sie mich, und sah dann erst, dass ich weinte. „Hey, alles okay? Was ist denn los?“
Ich fuhr mir mit dem Handrücken über die Augen, biss die Lippen zusammen, aber davon wurde es nur schlimmer.
Und Haruna, die mich und meine Schatten von allen am längsten kannte, umarmte mich einfach.
„Bist du sehr aufgeregt?“, fragte sie und streichelte meinen Rücken. „Ach Tsuzuku … Es wird alles gut, du hast so viel geschafft …“
Sie führte mich rauf in ihr Zimmer, wo ich dann auch Hanako sah, die gerade auf dem Bett saß und sich ein Paar hübscher, hoher Schuhe anzog.
„Ich bin gleich fertig, dann kannst du Tsuzuku in Ruhe hübsch machen“, sagte sie.
Haruna nahm mir meine Tasche ab und packte die Sachen aus, meinen Anzug und den Schmuck, und meine kleine schwarze Schminktasche.
Dann reichte sie mir eine Box mit Taschentüchern. „Da, wisch deine Tränchen weg, putz dir die Nase, und dann mach ich dich schön“, sagte sie.
Kurz darauf saß ich neben Haruna auf der Kante des Bettes und um uns herum lagen ihre und meine Schminksachen verteilt. Die Farben waren vorwiegend dunkel und kräftig, Haruna mochte Schwarz und Rot und dunkles Blau, und ich ebenso, sodass sie genau die Richtige war, um mein Make-up für meine Hochzeit zu machen.
„Koichi sagte, er hat für Meto ein eher bequemes Make-up geplant, wollen wir uns dem anschließen?“, fragte sie.
Ich nickte.
„Ist sicher besser, als wenn wir jetzt zu viel Farbe und falsche Wimpern und so was alles nehmen, und du dann nachher vor der Hochzeitsnacht erst mal alles wieder abschminken musst. Sex ist spontan und so ja wesentlich schöner.“
„M-hm“, machte ich, und geriet dabei an den Gedanken um das Essen. Wie viel würde ich heute wohl essen können?
Haruna sah mich einen Moment lang an, dann fragte sie: „Vielleicht wäre es gut, wenn du dein Shirt schon mal ausziehst und ich dich dann schminke, sodass du dann danach das Hemd anziehst? Ich meine, wegen der Farben …“
Und als ich zögerte, sagte sie: „Ich guck dir auch nichts weg, ich steh echt nur auf Frauen.“
„Weißt du, dass ich das an dir mag?“, sagte ich. „Also, dass du lesbisch bist …“
„Ja, weiß ich, Tsu. Du hast ansonsten ziemliche Angst vor Frauen, ne?“
„Wenn sie hetero und single sind und mit mir flirten, ja.“, gestand ich leise.
„Weil du schlechte Erfahrungen gemacht hast?“
Ich nickte. „Und weil ich … na ja, ich will Meto nicht mal in Gedanken untreu sein …“
„Du bist da echt konsequent, weißt du das?“
„Ich hab einfach Angst …“
Ich zog also mein Shirt aus, und dann fing Haruna an, mich zu schminken. Zum Anzug gehörte zwar noch ein dunkelblaues Spitzenhemd, aber das ließ sich vorn ganz öffnen, und würde daher kaum Gefahr laufen, vom Make-up was abzukriegen.
„Darf ich denn sagen, dass du ne echte Schönheit bist, Tsuzuku?“, sagte Haruna und lächelte. „Also, rein ästhetisch bist du schon auch echt anziehend.“ Sie lachte und fügte dann hinzu: „Nein, keine Angst … Ich bin fest vergeben und kann außerdem gut zwischen ästhetischer und sexueller Anziehung trennen.“
„Das will ich dir auch geraten haben!“
„Hey, ich flirte doch als Lesbe in Beziehung nicht bei ‘ner Schwulenhochzeit mit dem Bräutigam!“ Sie lachte wieder, und ich lachte mit.
Ich mochte Harunas lockere Art sehr. Sie war vielleicht meine beste Freundin, und ich kannte sie ja sogar länger, als ich Meto kannte. Haruna hatte meine schwärzesten Tage mitbekommen, wenn auch nicht ganz so nahe …
Sie war locker, cool und stark, und dabei dennoch lieb und einfühlsam. Und nun mal lesbisch, und somit fühlte ich mich sicher bei ihr.
Während sie mich schminkte, unterhielt sie sich ein wenig mit mir, fragte mich irgendwelche Sachen, und ich spürte, wie die Anspannung langsam von mir abfiel. Ich wurde ruhig, und mit der Ruhe und Entspannung kam die Vorfreude auf die Zeremonie und die Feier, dieses Gefühl von „Ich heirate heute“, das sich so, so, so gut anfühlte!
Als Haruna dann zu Kamm und Haarspray griff und anfing, meine Haare zu stylen, fühlte ich mich richtig gut.
„Soll ich deine Haare hinten hochstecken?“, fragte sie. „Ich hab ‘ne schöne Haarspange mit Federn dran, die würde dir so gut stehen!“
„Mach, wie du denkst“, sagte ich.
Haruna stand auf und holte eine schwarze, mit grünen Glitzersteinen und schwarzen Federn besetzte Spange aus einer Tasche.
„Die wär auch mein Hochzeitsgeschenk an dich“, sagte sie. „Das Grün passt nicht zu meinen blauen Haaren, aber zu deinen schwarzen Haaren passt es gut.“
Sie setzte sich hinter mich und fing an, meine Haare ein wenig zu flechten und zusammen zu stecken, und als sie die Haarspange darin befestigt hatte, hielt sie mit einen Spiegel hin.
„Na, wie findest du dich?“
Ich sah mein Spiegelbild an, das mit dem dunkelroten Lippenstift, dem eleganten Augen-Makeup und den hochgesteckten Haaren schon ziemlich schön aussah. Ja, ich mochte mich so.
Auch wenn so ein Look für andere vielleicht nach ‚Frau‘ aussah, ich fühlte mich darin nicht ‚verweiblicht‘ oder so. Es war viel mehr ein Ausdruck dessen, was ich an mir sehen mochte, und ich sah darin auch durchaus eine gewisse Art von Männlichkeit. Was auch immer da der Unterschied war … denn irgendwie war mir das auch gleich.
„Gefällt dir dein Makeup?“, fragte Haruna lächelnd.
Ich nickte. „Ja, sehr.“
Und während ich dann den mit Nieten und Bändern geschmückten Visual-Anzug anzog und meinen Schmuck anlegte, ergriff mich beim Gedanken daran, wie Meto wohl gleich in seinem Hochzeitskleid aussehen würde, eine warme, süße Vorfreude.
„Mein Liebster“, dachte ich und sah mich im Spiegel lächeln.
„Du siehst so richtig schön verliebt aus, Tsuzuku“, sagte Haruna. „Ich freu mich echt, dass das mit dir und Meto so schön ist.“
Es war inzwischen fast Mittag und die Zeremonie rückte immer näher. Mein Herz klopfte vorfreudig, als Haruna uns (weil in der Altstadt kaum Autos fuhren) eine Rikscha zum Tempel bestellte.
Ich zog meine roten Schuhe an, die edlen aus Leder, die zu diesem Anzug so sehr nach ‚mir‘ aussahen, dass ich noch mehr Herzklopfen bekam.
Und dann gingen Haruna und ich die Treppe runter draußen sah ich die Rikscha stehen, wir kamen raus und stiegen ein.
„Bist du noch aufgeregt?“, fragte Haruna während der Fahrt.
„Es geht“, antwortete ich. „Ich freu mich mehr, als dass ich aufgeregt bin.“
Haruna schaute kurz auf ihr Handy und lächelte.
„Koichi und Meto sind schon im Tempel“, sagte sie. „Ich bin auch ganz gespannt, wie Meto aussieht in dem Kleid.“
Kurz darauf hielt die Rikscha direkt vor dem Tempel.
Etwas überrascht sah ich, dass der Eingang mit einer rosa-blauen Girlande aus Papierblumen geschmückt und ein „Happy Marriage!“ darunter zu lesen war. Das Ganze sah so sehr nach Koichi aus, dass ich mir sicher war, dass er diese Dekoration bestellt hatte.
Haruna ging neben mir, als ich den Tempel betrat, und als ich den Gang aus Holz und Reispapierwänden entlang ging, hörte ich irgendwo Koichis Stimme, er lachte.
Mein Herz klopfte. Es schlug, war lebendig, füllte meinen Körper mit Wärme. Hielt mich am Leben, unnachgiebig, auch wenn es oft weh tat.
Und jetzt wusste ich, warum. Ich wusste, warum ich damals nicht gestorben war. Für diesen Moment und alles, was danach kam: Für mein Leben an Metos Seite.
Haruna öffnete die Tür vor uns, und ich kam in einen festlichen Saal mit einem großen Buddha und bunten, vergoldeten Malereien an den Wänden.
Vorn bei dem Buddha sah ich Koichi und Mikan stehen, und als Koichi mich hörte und sich umdrehte, sah ich Meto auch dort stehen.
Mir stockte der Atem.
Ich sah eine wunderschöne Puppe in einem rein weißen, unglaublich schönen, reich geschmückten Kleid mit Rüschenärmelchen und knielangem Glockenrock. Durch die kurzen Ärmel war das riesige, bunte Tattoo auf dem linken Arm voll zu sehen. Das wunderschöne Tattoo, an dem ich auch mit gestochen hatte … Ich sah langes, lockiges, hellblaues Haar mit einem kleinen Perlendiadem und einem zarten Spitzenschleier darauf. Und durch die Spitze schimmerten große Augen und volle, rot geschminkte Lippen hindurch.
Eine wunderschöne Braut …!
„Wow …!“, entfuhr es mir.
Und ich hörte ein leises, ebenso hingerissenes „Oh Gott, Tsu …!“
Ich ging auf ihn zu, langsam, und ohne ein einziges Mal die Augen abzuwenden. Mein Blick klebte verzaubert an dieser, meiner, wunderschönen Braut.
Ob ich den Schleier wohl schon wegnehmen und meinen Liebsten küssen durfte? Ich wollte so gern, doch zugleich wollte ich auch die Tradition wahren und ihn erst am Ende der Zeremonie küssen: Dann, wenn es hieß: ‚Sie dürfen einander jetzt küssen‘
Und so ließ ich es jetzt sein, und mir entkam nur ein leises: „Liebster, du bist so wunderschön …!“
Meto lächelte unter dem Schleier. „Danke, Tsu, du aber auch.“ Er hob die tätowierte Hand und berührte sanft meine Wange, flüsterte: „Mein schöner Mann …“
Dann griff er meine Hand und führte mich zu seinen Eltern, die ein wenig abseits standen. Manami trug einen edlen Kimono in traditionellen, dunklen Farben, und sie lächelte, als sie mich sah. Und auch Tamotsu, der ganz klassisch einen Anzug trug, schien sich zu freuen.
„Mama, guck mal, hab ich nicht einen wunderschönen Bräutigam?“ Meto sprach ganz fließend und normal, und ich dachte daran, dass er immer sagte, wie sehr sein neues Sprechen-können auch mein Verdienst war.
Manami nickte, lächelte genau so strahlend wie ihr Sohn. „Wer hat dich denn so hübsch gemacht, Genki?“
„Das war Haruna“, sagte ich nur.
Während Meto dann Manami einige besonders schöne Details seines Kleides zeigte, sah ich mich im Raum um, ob schon alle da waren. Haruna und Hanako, Koichi und Mikan, und Yami war auch da.
Und gerade, als ich mich fragte, wann Ami, Hitomi und Koji wohl ankommen würden, wurde die Tür aufgeschoben und Ami betrat den Raum.
Sie trug ein sehr buntes, einem Kimono ähnliches, kurzes Kleid und eine genau passende, kleine Tasche, auf der das Markenlabel von Tsumori Chisato zu sehen war. Ich wusste über diese Designerin nur, dass ihre Kleider sehr teuer waren, sie hatte ihren Laden auf der teuren Einkaufsmeile Ginza in Tokyo. Woher Ami als einfache Piercerin das Geld für so ein Kleid hatte, wusste ich nicht, aber es stand ihr ausgezeichnet.
Ami drehte sich zur Tür um und sagte zu jemandem: „Kannst ruhig reinkommen, es sind echt nicht viele Leute da“, und daraufhin betrat Hitomi dem Raum. Ihr Outfit war optisch das komplette Gegenteil von Amis Kleid: Sie trug einen ganz schlichten, bodenlangen, schwarzen Rock und eine ebenso schlichte, langärmlige, weiße Bluse. In ihren kinnlangen schwarzen Haaren trug sie eine kleine Spange mit ein paar winzigen Perlen darauf, das einzige Schmuckstück ihres gesamten Outfits.
Sie sah sich unsicher um, doch als sie mich sah, entspannte sich ihr Ausdruck.
„Hey, schön dass du da bist“, begrüßte ich sie und berührte sie leicht an der Schulter.
„Ich hätt’s fast nicht geschafft“ sagte sie leise, und ich wusste genau, was sie damit meinte. „Aber ich wollte so gern kommen …“
„Dann ist es noch schöner, dass du da bist“, sagte ich und meinte das ganz ehrlich.
Einen Moment lang stand das, was gewesen war, als wir uns am Tag meines Zusammenbruchs zuletzt gesehen hatten, noch zwischen uns, die Angst, die ich empfunden hatte, als sie mir von ihren vergangenen Beziehungen unter dem schlechten Stern ihrer Borderline-Erkrankung erzählt hatte.
Aber Hitomi sagte nichts in der Richtung, stattdessen hatte sie gerade Meto entdeckt.
„Dein Schatz sieht ja wirklich unglaublich toll aus, wie eine Puppe!“ Dann sah sie mich an. „Und du schaust auch echt gut aus, so richtig wie ein Visual Kei Rockstar!“
Meto kam zu uns herüber, nachdem er Ami begrüßt hatte, und es war das erste Mal, dass er direkt mit Hitomi zu tun hatte.
„Schön, dass du gekommen bist“, sagte er zu ihr, und das so locker und flüssig und selbstverständlich, dass ich richtig gerührt war.
„Du sprichst richtig gut, Baby, ich bin stolz auf dich“, flüsterte ich ihm zu, und er lächelte unter dem Schleier.
„Willst du den nicht mal abnehmen?“, fragte ich und berührte die weiche Spitze.
„Nein. Das machst du nachher, beim Kuss“, erwiderte er nur.
Der Letzte unserer Gäste, der schließlich eintraf, war dann Koji. Er trug einen einigermaßen legeren und wenig förmlichen Anzug, und dennoch fiel der Kontrast zwischen seinen vielen bunten Tattoos und der Kleidung auf.
Als er mich sah, grinste er freundlich und kam auf mich zu.
„Na, du siehst ja heiß aus!“, sagte er zu mir, dann sah er Meto an: „Süßes Kleid.“
Meto lächelte strahlend. „Danke.“
Es dauerte noch ein wenig, aber schließlich betrat ein Mönch in festlicher Priesterkleidung den Saal. Er trug einen langen, lackierten Kasten, den er auf einem kleinen Tisch vor der Buddha-Statue ablegte und daraus hölzerne Tafeln entnahm. Ich erkannte, dass es sich um Sutren handelte, die kannte ich noch aus dem Hikuyama-Tempel.
Der Priester baute alles, was für die Zeremonie gebraucht wurde, auf dem Tisch auf, und dann sah ich, wie er auf Koichi zu ging und diesen ansprach. Koichi kramte in der Tasche seines Blazers und ich erkannte die Schmuckdose mit unseren Ringen in seiner Hand. Er übergab diese dem Priester und dieser ging zum Tisch zurück, wo er die Ringe auf einem roten Kissen drapierte.
Dann kam er auf Meto und mich zu.
„Und Sie beide sind unser Hochzeitspaar!“ Er lächelte freundlich. „Mein Name ist Takeda Roshin, ich werde Sie heute trauen.“
Aus seinen Worten, seinem Ausdruck und Tonfall, war absolut nichts an Urteil oder so zu entnehmen, nichts wies darauf hin, dass er in Meto und mir zwei Männer erkannte, obwohl er es genau wusste. Das war genau das, was ich mir wünschte: Er behandelte uns völlig normal. Ein normales Paar, das hier und heute heiraten wollte, nicht mehr und nicht weniger.
„Kommen Sie mit, ich erkläre Ihnen die Abläufe.“
Wir folgten ihm zu dem Tisch, und er fing an, uns die Sutren und Dinge wie den Glöckchenstab kurz zu erklären, er fasste sich dabei kurz und wiederholte dann noch einmal das, was er und Koichi bei der Planung abgemacht hatten, den Ablauf unserer individuellen Zeremonie.
Schließlich, und dabei fing mein Herz wieder an, wild zu klopfen, schlug der Priester dreimal einen Gong an, und wies unsere Gäste an, auf den in zwei Reihen stehenden Stühlen Platz zu nehmen.
Ich sah Meto an, er hatte ganz rote Wangen und bestimmt genauso starkes Herzklopfen wie ich.
„Bereit, mein Liebster?“, fragte ich leise.
Und Meto lächelte unter dem Schleier. „Ja.“
Während der Priester dann die Sutren sang und einen buddhistischen Text über die Liebe zwischen den Menschen vorlas, versuchte ich, mit meinem Fühlen und Denken vollkommen in diesem Moment zu sein. Heute war der Tag meiner Hochzeit mit Meto, meiner geliebten Sonne, der Beginn unseres gemeinsamen Lebens in Ehe. Auch wenn es nichts offiziell staatliches war, so fühlten sich die Worte ‚mein Ehemann‘ so gut und richtig und echt an.
Ich sah zu ihm und glaubte, Tränen der Rührung in seinen Augen zu sehen. Er sah mich ebenso an, und lächelte wieder, dieses breite, sonnengleiche Lächeln, das ich so sehr liebte.
Dann wies der Priester uns an, uns auf zwei roten Kissen vor dem Tisch hinzuknien. Er reichte uns beiden jeweils ein rot lackiertes Sakeschälchen.
„Tauscht diese Schälchen zum ersten Zeichen eurer Verbindung, ehe die Ringe es befestigen“, sprach er dazu.
Meto nahm das Schälchen als Erster an, dann ich, und er hielt mir seines im selben Moment hin wie ich ihm meins. Wir hatten noch nie so was wie ‚Bruderschaft trinken mit gekreuzten Schälchen‘ gemacht, und fast stießen die Schälchen zusammen, als ich nach seinem griff und er nach meinem, aber nur fast, und wir lächelten kurz darüber, ehe wir zugleich austranken.
Der nun noch verbliebene Teil der Zeremonie lief, wie wir es bei der Planung besprochen hatten, ganz westlich ab. Der Priester sprach dieselben Worte wie ein westlicher Pastor, stellte uns dieselben zwei Fragen:
„Willst du, Aoba Genki, deinen geliebten Freund Asakawa Yuuhei hier und heute zu deinem Ehemann nehmen, so antworte: Ja, ich will.“
Mein Herz klopfte bis zum Hals, mir war fast ein wenig schwindlig vor Glück, und als ich mich „Ja, ich will!“ antworten hörte, klang meine Stimme ein wenig heiser.
„Und willst du, Asakawa Yuuhei, deinen geliebten Freund Aoba Genki hier und heute zu deinem Ehemann nehmen, so antworte: Ja, ich will.“
Meto sah mich kurz an, strahlend, süß und voller Liebe, und antwortete dann, laut und deutlich: „Ja, ich will!“
Der Priester lächelte, als er uns das Kissen mit den Ringen reichte.
„Dann tauscht jetzt die Ringe zum Zeichen eurer Verbundenheit und Treue.“
Meine Hände zitterten ein wenig, als ich Metos Ring, der dem meinen so wunderbar ähnlich sah, vom Kissen nahm, und als er mir seine linke Hand hinhielt, weil am Ringfinger der rechten schon der Verlobungsring seinen Platz hatte, fühlte ich seine warme, weiche Haut. Oh, wie ich diese kleinen, kräftigen Hände liebte! Langsam und vorsichtig schob ich ihm den Ring auf den Finger.
„Jetzt du“, hörte ich ihn leise sagen, dann nahm er meinen Ring und stecke ihn mir mit derselben Vorsicht und Zärtlichkeit an, streichelte dabei meinen Handrücken.
„Dann dürft ihr einander nun küssen“, sprach der Priester den letzten Satz der Zeremonie, und das musste er mir nicht zweimal sagen.
Ich streckte die Hand aus, hob den Schleier, legte ihn vorsichtig um, sah endlich meinen Mann in ganzer, unverschleierter Schönheit, er strahlte mich an flüsterte: „Tsuzuku, ich liebe dich!“ und dann lagen seine Lippen auf meinen, er legte die Arme um meinen Nacken und küsste mich, mit seiner ganzen Liebe, Zärtlichkeit und Stärke, seinem ganzen Sein.
Und ich umarmte ihn ebenso, küsste ihn mit allem, was ich in diesem Moment an überbordender Liebe empfand, presste meine Lippen auf die seinen, und hörte hinter uns, wie unsere Gäste applaudierten und eines der Mädchen, vielleicht Ami, laut „Whohoo!“ rief.
Danach schwebte ich einige Minuten wie durch einen glücklichen Traum. Ich dachte an die kommende Nacht, unsere Hochzeitnacht, wenn wir dann wieder allein miteinander waren und uns zum ersten Mal als echtes Ehepaar lieben würden.
Auf dem Weg zum Hochzeitshotel, wo ja auch der Raum für das Essen war, hielt Meto die ganze Zeit fest meine Hand, und immer wieder schmiegte er sich an mich und wir küssten einander.
„Das war so ziemlich der schönste Hochzeitskuss, den ich je gesehen habe!“, hörte ich Ami schwärmen. „Die meisten Leute hier trauen sich ja nicht so richtig, das sind dann oft so kurze Küsschen, aber dieser Kuss, hach, war der süß!“
„Danke“, sagte ich, so laut dass sie es hören konnte.
„Bitte sehr, das war ein ernst gemeintes Kompliment an euch beide“, antwortete sie.
Meto schmiegte sich an mich und flüsterte in mein Ohr: „Nachher kriegst du noch mehr solche Küsse …“, ich sah ihn an und er strahlte so süß!
Am Hotel wieder angekommen, stand dort tatsächlich das Personal vor der Tür, der Portier, vier Dienstmädchen und ein Kellner, bereit, uns zu empfangen. Ich sah zu Koichi, da ich vermutete, dass er das so bestellt hatte, und so fröhlich, wie er mich angrinste, ging das auch wirklich auf sein Konto.
„Alles Gute zur Hochzeit!“, riefen die Dienstmädchen im Chor, und ich fragte mich, weil ihre Begeisterung tatsächlich echt wirkte, ob diese Mädchen zum selben Typ gehörten wie die Gäste im Amai Ame Café, wo Meto und Koichi täglich mit ihnen zu tun hatten.
Der Portier hatte einen Umschlag mit dem traditionellen Glückwunschknoten in der Hand, kam auf Meto und mich zu und verbeugte sich tief.
„Wem von Ihnen beiden darf ich diese kleine Aufmerksamkeit überreichen?“ fragte er.
„Mir, bitte“, sagte Meto, bevor ich auch nur irgendwas sagen konnte. „Vielen Dank!“
Dann gingen wir rein, der Hochzeitsraum befand sich im Erdgeschoss, und ich war der erste, der die hölzerne Tür aufschob.
Ich hatte einen traditionell dezent geschmückten Raum mit niedrigem Tisch und Kissen erwartet, weil das hier in Kyoto ja so üblich war.
Doch der Raum sah ganz anders aus: Ein großer, ausziehbarer Tisch, Stühle darum herum, bunte Deko aus Girlanden und Glitzerkonfetti, und statt den Klängen von Shamisen und Koto war, wenn auch leise, elektische Partymusik zu hören.
Wieder sah ich zu Koichi, und dieses Mal sagte er auch etwas dazu: „Ich dachte, so was passt doch sicher besser zu uns, oder?“
Mir fiel nur eine Sache auf, die fehlte: Die riesige Hochzeitstorte. Normalerweise gab es doch mehrstufige Torten aus Papier, zwischen denen dann eine echte Sahnetorte stand. Aber ich sah nichts in der Richtung, weder diese falsche Papiertorte, noch irgendeinen anderen verzierten Kuchen.
Koichi bemerkte meinen Blick. „Manami wollte ne Torte backen, aber ich dachte, so ne riesige Sahnetorte macht dir vielleicht Stress. Du sollst heute aber einen schönen Tag haben, also dachten wir, wir lassen das lieber weg.“
„Danke“, sagte ich nur. Irgendwie rührte es mich und ich musste blinzeln, damit mir nicht die Tränen kamen.
Meto und ich setzten uns ans Kopfende des Tisches, und als sich dann alle anderen auch setzten, fiel mir auf, dass auch die Platzverteilung nicht traditionell war. Neben Meto saß Haruna, neben mir Koichi, und dann kamen Hanako und Mikan, dann erst Metos Eltern, Koji, Yami, Ami und Hitomi.
Die Plätze waren tatsächlich so verteilt, dass jeder neben jemandem saß, mit dem er sich auch gut unterhalten konnte, und dass Ami und Hitomi nebeneinander saßen, hatte sicher auch den Grund, dass Ami so ein wenig auf Hitomi achtgeben konnte, falls es dieser nicht gut gehen sollte.
Ich war froh, dass wir nur so wenige Leute eingeladen hatten, und ich war Meto dankbar, dass er nicht darauf bestanden hatte, seine weitere Verwandtschaft einzuladen.
Es dauerte eine Weile, bis das Essen gebracht wurde, und während ich unsere Gäste ein wenig beobachtete, spürte ich Metos Nähe, er berührte immer wieder meinen Arm und meine Hand. Ab und zu spürte ich ein wenig Spannung in mir, aber Meto verstand es jedes Mal, mit einer kleinen Berührung, einem Blick oder einem kurzen Wort, mich wieder zu erden.
Als das Essen kam, stellte ich erleichtert fest, dass Koichi wirklich, wie er gesagt hatte, traditionelle Kyoto-Küche bestellt hatte: Viel Gemüse, wenig Fleisch, und nichts, was mir irgendwie schwer im Magen liegen würde. Zuerst hatte ich ein etwas schlechtes Gewissen, weil es jetzt nur wegen mir und meiner Essstörung so leichtes Essen gab, aber als ich die anderen genau beobachtete, stellte ich fest, dass sich alle über das feine Menü freuten.
„Wer hat das Essen ausgesucht?“, fragte Koji quer über den Tisch.
„Ich war das“, antwortete Koichi und hob die Hand.
„Ich hab noch nie echte Kyoto-Küche gegessen, schmeckt total gut!“
Koichi sah zu mir, sagte aber nichts, schon gar nicht, dass er das Essen mit Hinblick auf meine Probleme mit Essen ausgesucht hatte. Das brauchten die anderen nicht zu wissen. Wobei, vielleicht ahnten sie es?
Ich sah zu Hitomi, die sich ein wenig Gemüse aufgefüllt hatte und ganz langsam aß. Sie war noch schmaler als ich, auch die langärmlige Bluse konnte kaum über ihre dünnen Arme hinwegtäuschen.
Ami bemerkte, dass es Hitomi vielleicht gerade nicht gut ging und sprach sie an, wobei ich aber nicht hören konnte, was sie sagte.
Ich sah nur, wie Hitomi aufstand. Und alle anderen sahen es auch. Sofort fühlte ich mich verpflichtet, etwas zu tun, also stand ich ebenfalls auf und ging zu ihr.
„Alles okay?“, fragte ich leise.
„Mir … ist nicht gut …“
„Du kannst gern eine kleine Pause machen“, sagte ich. „Ich komm auch mit.“
Sie sah mich an. „Wirklich? Aber … das hier ist deine Hochzeit …“
„Was wär ich denn für ein Bräutigam, wenn mir meine Hochzeitsgäste egal wären?“ Ich sah kurz zu Meto, er nickte mir zu und lächelte.
Kurz darauf standen Hitomi und ich draußen vor dem Tempel und rauchten.
„War es zu laut? Oder war es das Essen?“, fragte ich.
Hitomi zuckte mit den Schultern. „Beides irgendwie … Und sonst geht’s mir heute auch nicht so gut. Aber ich wollte unbedingt zu deiner Hochzeit kommen, weil du … na ja, du bist der einzige Mann, bei dem ich sagen kann ‚Ich mag dich‘, ohne dass es sich komisch anfühlt.“
„Warum das?“
„Weil du Meto hast.“
„Das Gefühl kenne ich“, sagte ich. „Ich hab dasselbe bei Haruna, das ist die mit den blauen Haaren, die neben Meto sitzt. Haruna ist zu 100% lesbisch, deshalb fühlt sie sich sicher an. Ich fühle mich unwohl bei Frauen, wenn die Möglichkeit besteht, dass sie was von mir wollen.“
„Und mir vertraust du auf dieselbe Weise?“
Ich nickte. „Du hast gesagt, du willst keine Beziehungen mehr, und ich glaube dir das.“
Hitomi nahm einen Zug Rauch und blies diesen dann in Richtung Himmel.
„Weißt du, Tsuzuku …“, sagte sie leise, „Ich bin ehrlich gesagt schon ein wenig neidisch auf dich. Du hast so einen wunderbaren Mann und großartige Freunde. Ich hab nur Ami und dich.“ Sie sah mich an und lächelte halb. „Vielleicht bin ich deshalb ein bisschen traurig … Weil das hier deine Hochzeit ist, und ich werde nie heiraten …“
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Zu fragen, warum genau Hitomi so allein war, traute ich mich nicht, denn ich wollte nicht, dass sie daran dachte und sich davon noch schlechter fühlte.
Wir blieben noch ein wenig draußen stehen, dann gingen wir wieder hinein und das Essen ging einfach weiter.
„Gut gemacht, Tsu“, flüsterte Koichi mir zu, „Das hast du richtig gut gelöst.“
Ich sah noch mal zu Hitomi, sie lächelte ein klein wenig.
Das Essen war wohl der Teil der Feier, der am längsten dauerte. Ich war selbst überrascht, wie gut ich aß und wie lebhaft die Atmosphäre im Raum war, alle redeten und aßen und die Zeit verging wie im Flug. Als ich irgendwann auf die Uhr sah, war es schon halb fünf Uhr am Nachmittag.
Nach dem Essen gingen wir alle über den Gang in einen anderen, ebenso hübsch hergerichteten Raum. Hier standen keine Tische, nur ein paar Stühle an den Wänden, der größte Teil vom Raum war frei und weiter hinten stand eine große Musikanlage.
Ich sah wieder zu Koichi, der hatte ein Blatt beschriebenes Papier in der Hand und sah aus, als wollte er gleich etwas ansagen. Erst dann fiel mir wieder ein, dass er ja vorhatte, eine kleine Rede zu halten. Aber irgendwie hatten sich alle anderen noch vom Essen her in Gespräche vertieft und bemerkten es nicht.
Ich ging zu Koichi hin, und tatsächlich bereitete er sich gerade auf die Rede vor.
„Alle mal herhören!“, rief ich laut, und sofort drehten sich alle nach mir um. „Koichi hat was zu sagen!“
Ko nickte mir zu, ich ging zu Meto zurück, und dann setzte mein bester Freund, der unsere Hochzeit so wunderbar organisiert hatte, zu seiner Rede an:
„So, da sind wir nun also alle zusammen“, begann er. „Wir haben uns hier versammelt, um eure Hochzeit zusammen zu feiern. Tsuzuku, du hast den ersten Schritt gemacht, damals, als du Meto deine Liebe gestanden hast, und auch jetzt wieder, denn die Idee, entgegen aller Normen unserer Gesellschaft deinem Liebsten einen echten Heiratsantrag zu machen, ging auch von dir aus. Du bist eine so wunderbar mitreißende Persönlichkeit, und Meto liebt genau das an dir. Und Meto, du hast dein ‚Ja‘ zu diesem Antrag gegeben. Diese bedingungslose Art, mit der du Tsuzuku liebst, in guten wie in schlechten Tagen bei ihm bist und dein Bestes gibst, für ihn da zu sein, das ist wirklich enorm und bewundernswert. Ich finde, dafür verdienst du mal einen ordentlichen Applaus!“
Ich sah hin zu unseren Gästen, und mir fiel auf, dass Manami ganz besonders enthusiastisch klatschte. Meinem Liebsten stieg von diesem vielen Lob und dem Applaus das Blut in die Wangen und seine Augen schimmerten gerührt.
„Wir als eure Freunde und Familie wissen alle, dass es in eurer Beziehung wunderbar schöne und auch nicht so schöne Tage gibt“, fuhr Koichi mit der Rede fort. „Wir wissen auch, wie sehr du, Tsuzuku, oft mit dir selbst zu kämpfen hast, aber auch, wie sehr du Meto liebst. Wir sehen, wie viel Mühe du dir gibst, Meto ein guter Lebenspartner zu sein, und wir würden auch dir das gerne honorieren. Aber ich bin mir nicht sicher, ob dir ein Applaus jetzt nicht unangenehm wäre …“
Ich hörte aus Koichis Worten diese bestimmte Vorsicht raus, diese Angst, die alle um mich herum hatten, mich zu verletzen. Aber heute wollte ich das nicht. Heute war meine Hochzeit, mir ging es gut, ich fühlte mich stark und sicher.
„Ist mir nicht unangenehm“, sagte ich laut.
Und erntete dafür einen begeisterten Applaus und einen süßen Kuss von Meto.
„Wir alle wünschen euch auf alle Fälle, dass ihr zusammen so glücklich bleibt. Ihr habt eine so wunderbare, und wie ich finde, sehr, sehr süße Beziehung! Haltet das mit aller Kraft fest!“, schloss Koichi die Rede, faltete das Blatt wieder zusammen und verbeugte sich leicht.
„Wie siehts aus?“, fragte er dann laut. „Wollen wir das Hochzeitspaar tanzen sehen?“
„Jaaa!“, rief Haruna.
Und weil Koichi gerade am nächsten an der Anlage stand, war er es, der die CD, die Manami für uns gebrannt hatte, einlegte und einschaltete.
„Das ist der Schneewalzer, oder?“, fragte Hitomi leise.
„Glaub schon, so heißt das Lied. Ist schon witzig, wir haben Juni und das Stück heißt Schneewalzer. Aber ich glaube, in Europa ist das auf Hochzeiten Tradition, dass das Brautpaar zu diesem Lied tanzt“, erklärte Ami.
Ich hatte so ungefähr keine Ahnung von Standart-Tänzen, aber das schien Meto egal zu sein, obwohl er mit seiner Herkunft aus gutem Hause so etwas sicher besser hinbekam. Und, na ja, einen einfachen Walzer würde ich wohl auch noch ganz passabel auf die Reihe kriegen …
„Soll ich führen?“, flüsterte Meto mir zu.
„Du kannst das sicher besser als ich.“
„Ist nicht schwer.“ Er lächelte mich an, griff meine Hand und führte mich zur Mitte des Saals.
Zuerst hatte ich noch das Gefühl, mich ungeschickt anzustellen, aber tatsächlich konnte Meto mich auch in seiner Rolle als Braut so weit führen, dass ich mich bald sicherer fühlte. Tanzen an sich fiel mir leicht, freies Tanzen in Clubs liebte ich, und Meto machte, dass mir das nach Anspruch klingende Wort ‚Walzer‘ sehr bald egal wurde.
Ich sah noch, wie Hanako ihr Handy in die Hand nahm und anfing, uns zu filmen, und dann verschwamm der Saal um uns herum, ich sah nur noch Meto und fühlte mich so leicht und glücklich, sodass wir zusammen geradezu durch den Raum schwebten.
Ich fühlte seine Hand in meiner, seinen Körper an meinem Arm, seine Nähe und wie glücklich er war, er lächelte strahlend, es war fast schon unwirklich, wie ein Traum, aus dem ich nie wieder aufwachen wollte. Und ich würde auch nicht aufwachen, denn das hier war echt.
Als die Musik wechselte und zu modernerer Tanzmusik wurde, kamen Koichi und Mikan, und Haruna und Hanako zu uns auf die Tanzfläche, und, was mich etwas überraschte, Koji forderte Ami zum Tanzen auf. Und sogar Manami und Tamotsu, die sich unter all uns jungen Leuten vielleicht etwas deplatziert vorgekommen waren, kamen zum Tanzen.
Übrig blieben Yami und Hitomi, die zuerst etwas verloren aussahen, so am Rande stehend. Ich sah kurz zu den beiden hin, Hitomi sah schon wieder traurig aus, doch statt dass ich etwas tun musste, tat Yami es: Sie forderte Hitomi auf. Und nach einem kurzen Zögern und einem Blick in Amis Richtung nahm Hitomi die Einladung an.
Das nächste Lied war das, zu dem Meto und ich in Koichis Wohnung schon einmal getanzt hatten: Kiss me slowly. Und Meto nahm den Text beim Wort, irgendwann blieb er einfach stehen, nahm mein Gesicht sanft in seine Hände und küsste mich.
„Mein Mann …“, flüsterte er gegen meine Lippen. „Meiner …!“ Und dann: „Ich kanns kaum noch erwarten, mit dir allein zu sein …“
Mein Herz klopfte erregt, in meinem Bauch flatterten tausende Schmetterlinge und ich antwortete leise: „Geht mir genauso.“
„Ich hab … noch ne schöne Überraschung für dich“, sprach er, küsste mich wieder und flüsterte: „Das wird dir gefallen … so sehr, dass du mich heute Nacht immer wieder liebst … so oft du willst.“
Ich lächelte. „Zwei Mal?“
„Mehr“, flüsterte Meto. „Wieder und wieder und wieder …!“
Wir machten noch zwei, drei Lieder mit, und dann tat Meto etwas, das noch vor gar nicht langer Zeit für ihn undenkbar gewesen wäre: Er trat nach vorn, zur Musikanlage, drückte auf ‚Pause‘ und sprach dann laut und fehlerfrei: „So. Tsuzuku und ich ziehen uns jetzt nach oben zurück. Ihr könnt noch weiter feiern und dann gehen, wann ihr möchtet. Habt alle noch einen schönen Abend, mein Mann und ich werden den ganz sicher haben!“
Dann kam er, strahlend stolz, zu mir zurück, nahm meine Hand und zog mich einfach hinter sich her aus dem Raum.
Ich sah ihn an, wie er in seinem wunderschönen Brautkleid vor mir her durch den Empfangsraum des Hotels lief, sah und fühlte, wie seine tätowierte, kleine Hand meine, größere, ganz fest hielt, und bevor wir die Treppen hinauf liefen, drehte er sich noch mal um und küsste mich leidenschaftlich. Er presste sich an mich und obwohl er unter dem Kleid noch einen bauschigen Petticoat trug, glaubte ich, darunter seine harte Erregung zu spüren.
Wir liefen schnell die Treppen hoch, Meto schob die Tür unseres Zimmers auf, zog mich mit hinein und fiel dann geradezu über mich her, umarmte mich und küsste mich auf Mund, Kinn und Hals, während ich ihn rückwärts in Richtung Futon drängte.
„Tsuzuku …!“ Seine Stimme war klang schon fast wie Stöhnen, „Das ist jetzt unsere Hochzeitsnacht!“
„Darf ich … dich jetzt auspacken, mein Liebster?“, fragte ich, mein Atmen ging schon tiefer vor Erregung.
Meto sah mich mit leuchtenden Augen an, dann flüsterte er: „Ja. Pack mich aus, dann siehst du auch die Überraschung, die ich für dich habe …!“
Das musste er mir nicht zweimal sagen! Ich war schon die ganze Zeit so gespannt, was für eine Überraschung Meto für mich vorbereitet hatte, und weder er, noch Koichi, der ja irgendwie darin involviert gewesen war, das geheimnisvolle Etwas zu kaufen, hatten mir bisher irgendeinen Tipp gegeben.
Ich griff unter den Rock des weißen Kleides, zerrte den Petticoat runter, der raschelnd zu Boden fiel, und öffnete dann die hintere Schleife des Kleides, um an den Reißverschluss heranzukommen, den ich mit aufgeregt zitternden Händen öffnete. Mein Herz klopfte wild und ungehalten, als ich unter dem Kleid eine zweite Lage Stoff entdeckte, etwas, das sich unter meinen Fingern, noch ohne dass ich es sehen konnte, wie eine Corsage anfühlte.
„Reizwäsche?“, entkam es mir leise.
„Du hast es erfasst, mein schöner Mann.“ Meto sah richtig stolz aus.
Mir fliegenden Fingern löste ich die letzte Schnürung des süßen Brautkleids und streifte es meinem Liebsten von den Schultern. Und sah endlich das, was er darunter trug:
Mir stockte der Atem, denn auch wenn ich Metos Stil und Geschmack kannte und ihn schon in allen möglichen süßen Kleidungsstücken gesehen hatte, so übertraf das jetzt doch meine bisherige Vorstellungskraft.
Es handelte sich um einen schlüpfrigen und zugleich zuckersüßen Traum aus rein weißer Seide und Spitze, eine Art Unterbrustcorsage, dazu Strapshalter mit weißen Strümpfen, und einen Slip, wie ich ihn noch nie gesehen hatte: Der Schnitt war der eines Strings für Männer, aber dieses Teil war so süß und zart gearbeitet, mit süßer Spitze, Rüschen und kleinen Knöpfen, um ihn zu öffnen, so absolut niedlich und unwiderstehlich sexy zugleich!
Ich sah Meto erst einmal einfach nur an, wie er da vor mir stand, noch halb die mädchenhafte Puppe mit der langen Perücke, und zugleich so deutlich männlich in seiner Erregung …
„Die Überraschung ist dir geglückt“, sprach ich. „Du siehst … ahh, fuck, siehst du geil aus!“
Ich spürte, wie meine Hose im Schritt immer enger wurde, und Meto sah es, er kam wieder auf mich zu und fing an, mich seinerseits auszuziehen. Das Jackett fiel zu Boden, das Spitzenhemd folgte, und dann, als ich schon glaubte, innerlich fast zu platzen vor Erregung, öffneten die Finger meines Liebsten meine Hose und gewährten meinem hocherregten Glied endlich etwas Freiheit, ehe er mir die Hose über den Hintern runter zog.
Wir waren so schnell aufs Zimmer gelaufen, dass wir beide noch Schuhe trugen, die auszuziehen einen Moment in Anspruch nahm, doch kaum war das erledigt, kannte mein Liebster, mein Meto, mein Ehemann, kein Halten mehr:
Er fiel mir um den Hals, presste seinen erregten Körper lustvoll seufzend an meinen, bebte und küsste mich mit einer solch glühenden Lust, dass ich erregt gegen seine Lippen stöhnte.
Wir sanken zusammen auf den Futon, und Meto klammerte sich an mich, legte seine Beine um meinen Rücken, er stöhnte tief und so süß!
„Wie oft kannst du?“, fragte ich atemlos. „Weil, ich … ahh, ich komm schon fast …!“
„So oft du willst“, antwortete er und presste sich an mich.
Meine Hand wanderte zwischen seine Beine, fand die hinteren Knöpfe des süßen Slips und nestelte sie auf, und ich spürte Metos vor Vorfreude und Lust zuckenden Eingang. Er fühlte sich schon weich an, aber ohne Gleitgel ging da bekanntermaßen gar nichts.
„Dreh dich um“, forderte ich ihn auf. „Damit ich dich vorbereiten kann.“
Er löste sich ein wenig widerwillig von mir und drehte sich um, sodass er bäuchlings unter mir lag. Ich griff unter ihn, öffnete auch die vorderen Knöpfe und umfasste einen Moment lang seinen Schwanz, spürte den Pulsschlag an meiner Hand und hörte Meto aufstöhnen.
Die Flasche mit dem Gleitgel stand noch von heute Morgen neben dem Futon, aber mir war eine andere Idee gekommen, etwas, das ich zuvor noch tun wollte, weil ich wusste, dass es meinen Mann ganz verrückt machte:
Ich ließ mich zwischen seinen Beinen nieder und senkte meinen Kopf, ließ Meto meinen Atem an seinem Hintern spüren. Sein Loch war schon zart gerötet, so süß und einladend … Ich strich zärtlich mit meinem Finger darüber, hörte, wie mein Liebster aufseufzte, und dann senkte ich meine Lippen darauf, küsste zuerst seine Pobacken und dann, mit geschlossenen Augen, sein süßes Loch.
Metos Körper reagierte mit einer solchen Ekstase, zeigte so überdeutlich, wie sehr er das liebte! Er schrie, rieb sich gegen das Laken, ich spürte das ekstatische Zucken an meinen Lippen, es ließ mein Herz erzittern.
„Tsu…zuku … oahhh …!“
„Das gefällt dir sehr, stimmt’s?“
„Ja … oh jaah …! Wenn … du so weiter machst, dann … komm ich auch gleich …“
Ich musste ein wenig lachen. „So gut ist das?“
„M-hm …!“
Tatsächlich zuckte sein Eingang so sehr, dass ich seinen analen Höhepunkt schon fast kommen sah, nur von diesem Kuss dorthin. Und ich selbst war ebenso geil, mein Herz raste und ich spürte meinen Schwanz pochen.
Aber so schnell wollte ich es noch nicht vorbei sein lassen. Ich hielt mich einen Moment lang ganz ruhig, atmete tief ein und aus, bemühte mich, meine Lust ein wenig abzukühlen und zur Ruhe zu bringen, damit ich noch ein wenig länger durchhielt.
Als ich wieder das Gefühl hatte, nicht augenblicklich kommen zu müssen, griff ich mir das Gleitgel, benetzte meinen schon erwartungsvoll pochenden Schwanz und Metos vorfreudigen Eingang großzügig damit und richtete mich dann langsam auf, stütze meine Hände neben seinen Schultern ab und beugte mich runter, raunte in sein Ohr: „Dann soll ich jetzt in dich eindringen, ja?“
Meto nickte, flüsterte dann: „Leg deine Hände auf meinen Rücken …“
Ich tat, wie mir geheißen, drückte meinen Liebsten mit beiden Händen in den Futon und schob mich mit einem leichten Ruck, fast schon ein erster Stoß, in ihn. Ich versuchte, vorsichtig zu sein, doch mein Körper war schon wieder so geil, dass ich mich kaum kontrollieren konnte.
„Gut so?“, fragte ich sicherheitshalber noch mal nach.
Meto stöhnte, ganz tief und genießend, und antwortete: „Jaah … kannst auch … noch tiefer rein …!“
„Liebend gern, mein Süßes“, flüsterte ich in sein Ohr und veränderte dabei leicht den Winkel, sodass ich ganz kurz und vorsichtig seine Prostata traf. Und mein Liebster, mein Ehemann, stöhnte so frei heraus wie selten zuvor, zeigte mir ungeniert seine Lust und den Genuss, den ich ihm schenkte.
Ich presste meinen Unterleib zitternd an und in seinen, drückte ihn mit meinen Händen in den Futon, er schrie, ich stieß in sein Inneres und schrie ebenso, fühlte, wie mein Gesicht meine Lust spiegelte, und wünschte mir einen Moment lang, es zu sehen, wie letztens im Love Hotel, als wir uns in diesem Spiegelzimmer geliebt hatten.
Der erste Höhepunkt dieser Nacht überkam mich dann sehr schnell, ich schrie wieder auf, stieß bebend zu und hörte meinen Liebsten, meinen Ehemann, ebenso aufschreien, und so, wie er erzitterte, kam er ebenso.
„Tsu … oah … nhh, mehr …!“
„Mehr?“, fragte ich atemlos.
„Mehr stoßen …!“ Er klang so verlangend, so sehr in übersüßer Lust gefangen, dass ich, obwohl ich am liebsten einfach auf ihn gesunken und liegen geblieben wäre, noch einmal zitternd zustieß. Und er belohnte mich mit einem Laut purer Ekstase, bei dem sich sein Inneres um meinen Schwanz zusammenzog.
Schwer atmend sank ich dann auf ihn, meine Hände an seinen Seiten tasteten über den seidigen Stoff der Corsage, und ich fühlte seine Beine in den weißen Strümpfen an meinen. Die Überraschung mit der Reizwäsche war ihm wirklich geglückt, er sah so unglaublich süß darin aus und fühlte sich auch so an, süß und lasziv.
Eine Weile lagen wir so, kamen langsam wieder zu Atem und genossen den Gedanken, dass wir nun verheiratet waren und unsere Hochzeitsnacht hatten. Als mein Glied wieder weich wurde, zog ich es langsam raus und richtete mich wieder auf.
„Erst abschminken, dann weiter machen?“, fragte ich meinen Mann.
„M-hm.“ Er erhob sich ebenfalls, sank aber wieder auf den Futon. „Ouh, mein Bein …!“
„Was ist los?“, fragte ich, gleich besorgt.
„Ich hab ‘nen Krampf im Oberschenkel …“, antwortete Meto. „Geht gleich besser, keine Sorge …“
Ich ließ mich wieder auf den Futon nieder und sagte: „Dreh dich um. Ich helfe dir.“
Meto tat, wie ich sagte, und ich beugte mich über seinen Unterleib.
„Welche Seite?“, fragte ich.
„Rechts.“
Zuerst streichelte ich sein Bein, und tatsächlich war der Muskel auf der Innenseite ganz hart und angespannt. Also tat ich das, was bei Verspannungen an Metos Körper bisher immer hilfreich gewesen war: Ich streichelte mit ein wenig Druck, ging dann dazu über, sanft zu massieren, und schließlich küsste und leckte ich die Innenseite seines Oberschenkels so lange, bis mein Liebster entspannt aufseufzte.
„Besser?“, fragte ich.
„Jaah … ah, viel besser“, antwortete er.
Ich sah ihn an und musste lächeln, weil er so unglaublich süß aussah in seiner Hochzeitswäsche.
Wir standen dann beide auf und gingen rüber ins Bad, um uns erst mal abzuschminken. Metos Make-up war tatsächlich mal schneller runter als meines, sodass er vor mir das Bad wieder verließ, während ich noch nicht fertig war.
Als ich ins Zimmer zurück kam, erwartete mich ein wunderschönes, lustvolles Bild:
Mein Liebster, nun auch in seinem Aussehen wieder ganz Mann, ohne Perücke und völlig nackt, lag mit angewinkelt-gespreizten Beinen auf dem weißen Futon, hatte die hübsch tätowierte Hand zwischen den Beinen und bereitete sich auf den nächsten Sex mit mir vor, dehnte seinen Eingang selbst.
Neben dem Kopfkissen saß Ruana in ihrem süßen Kleidchen, sie sah genau, was er tat, doch es schien sie wie immer nicht zu stören. Schließlich saß sie auch zu Hause bei uns immer mit im Bett und bekam alles mit, wie Meto und ich uns liebten. Sie war daran gewöhnt, und vielleicht sah sie auch gern zu …?
Ich kam auf Meto zu, legte mich dann einfach neben ihn und begann, seinen bunt tätowierten Arm und das ‚Baby‘ auf seiner Brust zu küssen.
„Na, mein Süßer?“, raunte ich in sein Ohr, „Machst du dich schon bereit für mich?“
Meto sah mich an, lächelte leicht, wandte sich mir zu und küsste mich.
„Und wie hättest du es dieses Mal gern?“, fragte ich und küsste ihn wieder.
„Ich will dich anschauen“, antwortete er, „und dich küssen.“ Er sah mich einen Moment lang an und sagte dann: „So wie beim Reiten, wie wir das da gemacht haben.“
„Wie wär’s, wenn du einfach wieder auf meinem Schoß sitzt, also, mit dem Gesicht zu mir?“, fragte ich. „Das nennt man ‚Lotus‘ und ich finde die Vorstellung sehr schön.“
„Lotus“, wiederholte Meto, „Das hört sich echt schön an …“
„Der Futon ist ja flach, da ist keine Bettkante, auf der ich sitzen könnte, also musst du dich anders halten“, fügte ich noch hinzu.
Meto nickte, dann richtete er sich auf und kam auf den Knien auf mich zu, und als er sich dann, mir dabei in die Augen sehend, vorwärts auf meinen Schoß hockte und mich dann fest umarmte, spürte ich, wie hart er schon war.
„Tsuzuku …“, flüsterte er meinen Namen gegen meine Haut und küsste meinen Hals, „… mein Ehemann …“
„Fühlst du dich wohl, Meto-chan?“, fragte ich leise.
„Jaah … du fühlst dich so gut an, Tsu …!“
Von seiner süßen, liebevollen Nähe wurde ich ebenso geil, mein harter Schwanz fand Metos Loch schon wie von selbst, und mein Liebster hatte sich selbst so weit vorbereitet, dass meine Eichel schon ein wenig in ihn drang.
„Ahhh!“ Er stöhnte, umarmte mich enger, barg sein Gesicht an meinem Hals. Ich spürte, wie er tief atmete, fühlte seinen Herzschlag und wie er mich langsam in sich aufnahm. Oh, wie eng und süß er sich anfühlte! Und wie er sich an mich klammerte …!
Eine Weile blieben wir so, genossen nur die Nähe und unser beider Pulsschlag zwischen uns, ich liebte dieses süße Pulsieren in seinem Loch so sehr! Es fühlte sich so liebevoll an, umschloss warm mein Glied und flüsterte mir geradezu zu: „Ich liebe dich, Tsuzuku!“ Ein wahnsinnig schönes, wundervolles Gefühl!
Meto küsste mich, einmal und noch einmal, sah mir in die Augen, und ich versank beinahe in seinen, in diesem dunklen, warm leuchtenden Braun.
„Leg dich hin, mein Mann“, sprach er und seine Hände zwischen uns legten sich dabei an meine Brust, berührten meine Nippel. „Ich will dich jetzt richtig reiten!“
Das brauchte er mir nicht zweimal zu sagen. Obwohl er in diesem Moment der ‚Empfangende‘ war, war ich vielleicht noch williger als er. In mir wallte wieder dieses Sehnen nach mich nährender Liebe auf, dieser kaum stillbare, unbändige Hunger meines Herzens …
Ich ließ mich langsam auf den Rücken sinken, Meto über mir, er richtete sich dann wieder auf und hob seinen Körper ein wenig an, um ihn dann mit einem tiefen, genießerischen Ausatmen wieder auf mein hartes, heißes Glied hinab zu senken.
Sein Inneres hatte er gut mit Gleitgel gefüllt, es ging ganz leicht und im Grunde musste ich nur da liegen und ihn sich auf mir bewegen lassen. Ich griff mit beiden Händen an seine Hüfte und machte seinen Rhythmus mit, und dabei sah ich ihn an, beobachtete die Regungen der Lust auf seinem Gesicht. Jedes Mal, wenn er sich auf meinen Schwanz nieder senkte und mich tief in sein Inneres dringen ließ, entrang sich ihm dieser süße, tiefe Laut, und ich liebte den Anblick seines großen Mundes mit den vollen, hübschen Lippen, wenn er vor Lust den Kopf in den Nacken legte und ein ekstatisches „Haa-ahhh“ vernehmen ließ.
„Liebster … ahh, bitte küss mich“, bat ich.
„Aber gern!“ Meto beugte sich vor, presste dabei seinen Unterleib fest auf meinen, und dann küsste er mich, verschlang meinen Mund geradezu, während sein Hintern auf meinem Schwanz erbebte.
Ich stöhnte in den Kuss, meine Hände krallten in Metos Rücken, und mein ganzer Körper geriet mit einem Mal völlig außer Rand und Band:
Ich zitterte, bebte, stöhnte haltlos und fühlte eine ungeheure Hitze und Ekstase wie ein wildes Feuer von Kopf bis Fuß durch meinen Körper fahren. Mit Tränen überbordenden Gefühls in den Augen küsste ich Meto, meinen Meto, meinen über alles geliebten Ehemann, der mich so hemmungslos ritt, dass aus seinem ganzen Körper dieselbe entfesselte Lust sprach …
Das Feuer in mir sammelte sich in meiner Körpermitte, wurde mehr und mehr, bis …
„Ooaahhh …! Ja-aahhh, ohhh … nghhh … aahhh …!“
Ich fühlte alles und nichts, vor meinen geschlossenen Augen blitzten weiße Sterne, und noch ehe dieser wahnsinnige, so übersüße Moment des Orgasmus vorbei war, spürte ich, wie Meto ebenso kam, sein Schrei mischte sich mit meinem, sein Inneres zog sich pulsierend eng zusammen und er ergoss sich auf meinen Bauch.
Schwer atmend sank er auf mich, ich spürte seinen und meinen hämmernden Herzschlag und dass wir eins waren … Legte meine Arme um ihn und streichelte über seinen Rücken.
„Tsuzuku“, flüsterte Meto meinen Namen, „Ich liebe dich so sehr …!“ Und dann: „Ich lass dich nie mehr los!“
Und ich glaubte ihm. Sein nackter Körper beherrschte mich, und überzeugte mich dessen, dass er die Wahrheit sagte. Wir waren nun verheiratet, er war mein Ehemann, er musste nun bei mir bleiben!
Wir liebten uns oft in dieser Nacht. Zwischendurch lagen wir nah zusammen da, bis uns die Lust wieder überkam und wir uns erneut vereinten. Wieder und wieder, manchmal schlief er oder ich ein, nur um wenig später wieder zu erwachen und wiederum von Liebe und Leidenschaft übermannt zu werden.
Erst, als es schon fast Morgen wurde, sanken wir beide glücklich in tiefen Schlaf.
Ein heller Sonnenstrahl weckte mich. Ich fühlte Wärme, warmes Licht und Metos warmen, nackten Körper an meinem. Langsam öffnete ich die Augen und sah meinen Liebsten an, er lag schlafend in meinen Armen, sah so weich und süß aus …
Mich an den Tag gestern erinnernd und an die wundervolle Nacht, strich ich meinem Ehemann die blauen Ponysträhnen aus der Stirn und dachte nur: „Jetzt ist er wirklich mein Mann …“
Ich weckte ihn nicht, beobachtete nur, wie er schlief, und wartete, dass er wach wurde. Es dauerte noch eine ganze Weile, aber dann wachte er langsam auf, blinzelte, zog die Nase kraus und brummte leise: „Mhh, Tsu … bist du schon wach?“
„Guten Morgen, Baby.“ Ich küsste ihn sanft.
Er schmiegte sich an mich, ganz eng und weich, doch dann sog er leise zischend die Luft ein.
„Alles okay?“, fragte ich.
„Ja, alles gut. Mein Hintern ziept nur ein bisschen …“, antwortete er. „Aber das kenn ich ja, keine Sorge.“ Und er küsste mich ebenso, ganz lieb und zärtlich.
Später, als wir zusammen im Bett frühstückten, sagte Meto: „Ich freu mich schon so sehr auf unsere Hochzeitsreise. Hawaii wird dir gefallen, da bin ich ganz sicher.“ Er grinste, hob die Hand und strich mir die Haare hinters Ohr. „Ich steck dir ne tropische Blume ins Haar und dann siehst du süß aus, mein Herz.“
Ich musste lachen. Eine Blume hatte ich noch nie im Haar gehabt. Aber wenn Meto meinte, dass mir das stehen würde, war es ganz sicher so.
Nach dem Frühstück standen wir dann ganz auf, und wir machten einen Spaziergang durch die Altstadt von Kyoto. Wir besuchten einen der Schreine in Richtung der Berge läuteten dort die Schellen und zogen zwei Glückslose für junge Ehepaare. Beide Zettel versprachen großes Glück, und wir nahmen sie mit, als Andenken.
In meinem Kopf dachte ich darüber nach, wie glücklich ich gerade war, und wie sehr ich mir wünschte, dass es blieb. Ich war jetzt verheiratet, mit dem Mann, der mich sehr liebte und den ich ebenso liebte, und für den ich lebte. Jetzt musste es doch endlich mal gut werden!
Yasashikunai Mirai – ENDE (Fortsetzung in Yureteiru Kokoro)
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Kapitel: | 38 | |
Sätze: | 957 | |
Wörter: | 17.884 | |
Zeichen: | 102.306 |
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