Fanfictions > Games > Assassins Creed > A presto [REPOST] [2010]

A presto [REPOST] [2010]

132
10.07.19 14:34
12 Ab 12 Jahren
Homosexualität
Fertiggestellt

Wenn Ezio ihn besuchte, dann kam er über das Dach. 
Manchmal waren es die Schritte, untermalt vom leisen Klirren der Schindeln, die Leonardo aufhorchen ließen. Manchmal war es auch das heisere Brüllen einer Wache, die dem Unbekannten in luftiger Höhe zu rief, er solle seinen culo vom Dach bewegen, sonst würde er ihn herunter schießen. 
Das alles waren aber natürlich keine sicheren Anzeichen. Wie oft war Leonardo von seinen Grübeleien aufgeschreckt, hatte den Geräuschen erfreut gelauscht, doch das Hämmern an die Tür und Ezios vertrauter Ruf blieben dennoch aus. Sowohl in Florenz als auch hier, in Venedig, hatte es immer reichlich Diebe gegeben, und auch sie nahmen ihre Wege über die Dächer. Mit der Zeit wurde Leonardo natürlich besser darin, zu unterscheiden, ob ein Dieb leichtfüßig über das Dach rannte, oder Ezio mit seinen schweren Schritten wie ein Orkan darüber fegte. Auch das Rufen der Wachen bekam einen anderen, von Furcht geschwängerten Beiklang, wenn die breitschultrige, in weiß gekleidete Erscheinung die Dächer passierte. Schlechte Nachrichten, etwa Assassinen in der Stadt, sprachen sich herum. 

Das bei weitem sicherste Anzeichen, dass Ezio eintraf, war jedoch ein gewichtiger Aufprall, wenn er von einem benachbarten Dach abgesprungen war. Dieser war einfach nicht zu fälschen – ein simples Massenprinzip. Kein Dieb konnte genug bei sich haben, um Ezios Aufprall in voller Rüstung und mit all seinen Waffen zu imitieren. Es war ein wenig, als würde das ganze Dach einfallen, und Leonardo hatte das bei Gelegenheit mit einem Lächeln zur Sprache gebracht. Ezio hatte unter seiner Kapuze heraus zurück gelächelt. Er schien diese Bemerkung nicht beleidigend zu finden. 

„Ich trage auch viel bei mir. Schließlich muss ich vorbereitet sein“, erklärte er ruhig von dem Stuhl aus, auf dem er immer ausharrte, wenn Leonardo eine Kodexseite entschlüsselte. „Ich habe mich immer gefragt, was ein Assassine alles bei sich haben muss, um seinen wie auch immer gearteten Aufträgen zu entsprechen“, hatte Leonardo leichthin geantwortet. Er hatte eigentlich nicht damit gerechnet, dass Ezio ihm darauf antworten würde. Um so erstaunter war er, dass er, immer noch mit seinen ruhigen Lächeln, bereitwillig aufstand, und seinen Mantel ein Stück zurück schlug. 
„Diese hier kennst du“, meinte er und ließ seine verborgenen Klingen hervor schnellen. „Die vergiftete Klinge leistet mir gute Dienste. Vor allem, wenn ich nicht zu viel Aufsehen erregen möchte.“ Ezio ließ die Klingen zurück schnellen und zog sein Schwert – das sichtbarste Zeichen dafür, dass er bewaffnet war. 
„Das wirst du nicht sehr oft benutzen, oder?“, fragte Leonardo unsicher, aber Ezio schüttelte den Kopf. 
„Oft genug. Ich ziehe es vor, mich zurückzuziehen und die Wachen zu verschonen. Aber manchmal, wenn man umringt wird, ist es besser, einige Hiebe zu parieren und die Reihen ein wenig zu lichten. Andererseits“, fuhr er fort und steckte das Schwert in die Scheide zurück, „ist es schwer und nicht sehr wendig. Gegen einen flinken Gegner kann ein Messer weitaus flexibler sein.“ Er zog ein kleineres Messer aus einer zweiten Scheide, die weniger offensichtlich, halb unter seinem Mantel verborgen war. Auch das zeigte er nur kurz, um es gleich darauf wieder weg zu stecken. „Sollte es eng werden, kann ich natürlich auch hiermit für Ablenkung sorgen“, fuhr er fort, und zog aus seinen unergründlichen Anzahl an Taschen eine Rauchbombe hervor, um sie ebenfalls schnell wieder zu verstauen. 
„Langsam bin ich überzeugt, die Taschen eines Assassinen sind innen geräumiger, als es von außen den Anschein hat. Du hast nicht zufällig einen Bogen, eine Armbrust oder ein Katapult darin verborgen?“ 

Leonardo wollte eigentlich nicht scherzen. Aber er wünschte sich im Moment, er hätte nicht nachgefragt.  Er gab sich Mühe, dieses Arsenal von Waffen von der humorvollen Seite zu sehen, aber seine Gedanken wanderten immer wieder zu dem Punkt, an dem Ezio sie einsetzte. Am liebsten hätte er gar nicht darüber nachgedacht, was Ezio damit tat. Damit tun musste.  Doch Ezio behielt sein ruhiges Lächeln bei. Auch er schien in diesem Moment nicht ans Töten denken zu wollen, er konzentrierte sich auf diese Demonstration eher wie jemand, der einem Freund ein Kunststück vorführt. Er antwortete freundlich: 
„Nein, dafür gibt es andere Mittel. Übrigens, liegt dir viel an diesem Stuhl dort drüben?“
„Nicht wirklich, aber wieso...“  
Tock! Bevor Leonardo  realisiert hatte, dass Ezio sich überhaupt bewegt hatte, steckte ein schmales, längliches Messer in der 6 Fuß entfernten Lehne des Stuhls, auf dem Ezio zum Warten immer ausharrte. Halb fasziniert, halb belustigt, ging Leonardo hinüber zu dem Stuhl und zog das Messer heraus. Es gelang ihm nur mit Kraftanstrengung, und das Messer hatte sich tief ins Holz gebohrt. 
„Erstaunlich!“, gab er offen zu, „Allerdings wirst du dir nun beim Sitzen einen Splitter einziehen! Ich werde dir wohl einen anderen Stuhl besorgen müssen.“ 
„Nein, lass ihn hier“, wehrte Ezio ab, und sein Lächeln vertiefte sich, „Ich habe mich daran gewöhnt, auf ihm zu sitzen. Dann fühle ich mich ein wenig zu hause. Wie bei meinem Bett in der Villa in Monteriggioni.“  

Und das war noch so eine Sache an Ezio – er sagte immer ehrlich seine Meinung, meist ungeschliffen und nicht ausgeschmückt. Aber wenn er Leonardo so anlächelte und ihm sagte, er fühle sich hier zu hause, hätte er ihn am liebsten an sich gedrückt und nicht mehr losgelassen. 
Schnell ging er auf ein anderes Thema ein, um seine Verlegenheit zu überspielen: „Nun, jetzt kenne ich die geheime Bewaffnung der Assassinen. Macht mich das nicht zu einem gefährlichen Mitwisser?“, fragte Leonardo, halb im Spaß. Ezios Gesicht nahm kurz einen überraschten und nachdenklichen Ausdruck an, doch dann lächelte er wieder. Manchmal schien es Leonardo, als wäre dieses eine, spezielle Lächeln, nur für ihn reserviert. 
„Du wusstest schon früher mehr über mich und meine Ausrüstung als jeder andere, amico mio. Was bedeuten da ein paar weitere Details?“  

Darauf gab es nichts zu antworten. Zumindest nichts, was Leonardo je über die Lippen bekommen hätte. Was nützen ihm sein Sprachgeschick, seine Intelligenz im Umgang mit Maschinerien, oder seine Fähigkeiten als Künstler in diesem Moment? Nichts, wenn das, was er Ezio sagen wollte, immer von Furcht zurückgehalten wurde. 

Wie hatte es begonnen? Er konnte es nicht sagen. Er war überrascht gewesen, als Maria Auditore eines Tages mit ihrem Sohn im Schlepptau bei ihm auftauchte, um einige Bilder abzuholen. Das war nichts Ungewöhnliches, aber sonst nahm sie immer einen Bediensteten mit, um die schweren Gegenstände tragen zu lassen. Einige Spitzen zwischen Maria und ihrem Sohn ließen ihn ahnen, dass er damit bestraft werden sollte. Und da Leonardo ein scharfer Beobachter war, schien es mit der frischen Wunde an Ezios Lippe zu tun zu haben, die noch nicht ganz verheilt war. Eine Prügelei mit anderen jungen Männern? Eine verärgerte Signora auf dem Rachefeldzug? Wer wusste das schon so genau. 
Leonardo hatte Ezio beiläufig, aber nicht ohne Interesse gemustert. Er hatte das Gesicht seines Vaters, aber die Störrischkeit seiner Mutter, und Leonardo hatte vermutet, ihn wahrscheinlich nie wieder oder nur zu belanglosen Anlässen zu treffen. 

Wie sehr hatte er sich darin getäuscht. Er baute Ezios Klingen, er entschlüsselte für ihn die Kodexseiten, und es war ihm nicht unangenehm, mit diesem etwas wortkargen, aber doch herzlichen jungen Mann zu reden und zu arbeiten. Der Tod seines Vaters und seiner Brüder brachte etwas in ihm hervor, das beängstigend und fremdartig war, einen glühenden Hass. Eine Zeit lang hatte Leonardo geglaubt, Ezio würde sterben, geblendet von Rachsucht in einen Kampf laufen, den er nicht gewinnen konnte. Doch als er seine Rache vollendete, verfestigte sich dieser Hass zu einem stählernen Willen. 
Er glaubte nicht, dass er den jungen, trotzigen Mann, den Maria ihm an diesem herrlichen Morgen in Florenz vorgestellt hatte, hätte lieben können. Aber der beherrschte Assassine, der eine Kutsche mit zwei Pferden unter Beschuss über eine Landstraße jagte und Leonardos Leben rettete – in diesen Mann hatte er sich verliebt. 

Vielleicht, weil er ein so perfektes Gegenstück zu seinem eigenen, flatterhaften Gemüt war, das immer nach einer neuen Ablenkung, nach einem weiteren Interesse suchte. Er begann Bilder und stellte sie nur unter Mühe fertig, studierte Mathematik und Physik, um diese Fachgebiete dann wieder fallen zu lassen und sich Monate der Architektur zu widmen. Dann beobachtete er einen Vogelflug und war plötzlich fasziniert von der Idee, selbst eine Flugmaschine herstellen zu können, um diese dann doch wieder zur Seite zu legen für die Idee eines neuen Kriegsgeräts.  

Ezio war anders. Er hatte immer ein Ziel vor Augen, wurde immer weiter vorangetrieben von nur einer Aufgabe. Egal ob es Tag oder Nacht war, ob Ezio müde und ausgelaugt auf den Stuhl sank oder sich doch erst in der Werkstatt umsah, um die neusten Erfindungen und Bilder zu betrachten, er wich niemals ab. Der Wunsch nach Gerechtigkeit trieb ihn immer weiter voran. 
Genauso schnell, wie Ezio kam, war er meist auch wieder verschwunden. Es vergingen Wochen, bis er wieder auftauchte, und doch harrte Leonardo geduldig aus, bis wieder das vertraute Hämmern die Tür halb aus den Angeln riss, und Ezio sich mit einem kräftigen „Leonardo!“ ankündigte.  
Zu Anfang hatte Leonardo Ezio umarmt, und er hatte gespürt, wie misstrauisch sich Ezio dabei versteifte. Für ihn schien es eine ungewohnte Freundschaftsbekundung zu sein. Das hatte sich stetig gebessert, und seitdem Ezio ihm das Leben gerettet hatte, hatte sich die Situation fast ins Gegenteil verkehrt. Jetzt war es Ezio, der Leonardo unter so festen einer Umarmung begrub, dass ihm fast die Luft dabei weg blieb, und es erfreute Leonardo natürlich immer wieder aufs Neue. Auch wenn er wusste, dass nicht das dahinter steckte, was er sich wünschte, genoss er den kurzen, herzlichen Körperkontakt. Je nach Wetter, Jahreszeit und Ezios letztem Aufenthaltsort wurde er nicht nur ausreichend mit Stroh, Blättern, Kaminruß oder Mengen von Staub bedeckt, sondern Ezio trug auch die unterschiedlichsten Gerüche mit sich. Zusammen mit dem immer währenden Geruch nach Ezio selbst konnte das der Geruch von getrocknetem Gras, Damenparfüm, Schweiß, Rauch, oder, was Leonardo nicht sonderlich gefiel, natürlich auch altem Blut sein. 

Was Ezio allerdings nie anhaftete, war der Geruch nach irgendwelchen anderen Personen. Leonardo wusste nicht, ob er darüber froh oder besorgt sein sollte. Ezio schien die meiste Zeit allein zu sein.  Eines Tages, nachdem Ezio ihn in seiner Umarmung wieder einmal fast erdrückt hatte, brachte er diese Beobachtung auch zur Sprache. Allerdings wählte er den indirekten Weg.  Ezio hatte sich gerade auf seinen Stuhl fallen lassen und ließ seinen Blick über das Chaos der Werkstatt schweifen. 
„Ich verstehe nicht, wie deine kleine Schwester deine Umarmungen aushalten kann. Du musst sie ja regelrecht in zwei Hälften brechen!“, versuchte es Leonardo mit einem Scherz, während er die neuste Kodexseite auf einen Hinweis auf die Entschlüsselung untersuchte. Die Antwort war Stille. Überrascht richtete sich Leonardo auf, um Ezio, zum ersten Mal seit langem, nicht lächeln zu sehen. Stattdessen sah er zu Boden, die Augen unter der Kapuze verborgen. Erst, als er Leonardos Blick bemerkte,  antwortete er knapp: 
„Sie hatte einige Monate Zeit, sich davon zu erholen.“
„Was?“ 
Leonardo konnte es im ersten Moment gar nicht begreifen. Monate... Ezio war vor drei Wochen hier bei ihm gewesen, ganz unverhofft sogar ohne Kodexseite, da er bemerkt hatte, das der Mechanismus innerhalb seiner versteckten Klingen ermüdete. Davor waren es vier Wochen Abstand gewesen, er hatte eine weitere Kodexseite gebracht. 
„Du warst in den letzten zwei Monaten zweimal hier in Florenz! Warum bist du nicht bei deiner Familie gewesen, Ezio? Ich verstehe das nicht!“, brachte er hervor. Ezio senkte wieder den Kopf, zuckte dann die Achseln. In Leonardo keimte ein Verdacht. 
„Sind sie etwa in unmittelbarer Gefahr?“ 
Ezio blickte verwirrt auf, und lächelte nun doch wieder, vermutlich über Leonardos bestürztes Gesicht. 
„Nein, nicht dergleichen.“ 
Und schon schwieg er wieder, aber Leonardo war fest entschlossen, eine Erklärung zu bekommen. 
„Wenn es das nicht ist, was dann? Sie sind deine familia, und du tauchst öfter hier bei mir auf als bei ihnen? Wieso?!“ 
„Es ist einfach..:“, Ezio verstummte schon wieder, raffte sich dann aber doch zu einer Antwort auf. „Ich fühle mich dort nicht daheim. Claudia meinte zwar am Anfang, sie würde sich in Monteriggioni nicht wohl fühlen, aber sie hat jetzt ihre Leidenschaft für das Bankenwesen entdeckt. Da kommt sie nach Vater. Sie ist die ganze Zeit damit beschäftigt, Geld zu verwalten. Mutter spricht immer noch nicht. Und Onkel Mario ist zwar ein Assassine, aber er ist nie wirklich über die Toskana hinausgekommen. Seine Sicht ist begrenzt.“ 
„Das ist meine aber auch“, wandte Leonardo sanft ein, „Ich sitze auch nur hier in meiner Werkstatt.“ 
„Aber du beschäftigst dich mit so vielen, verschiedenen Dingen!“, sagte Ezio heftiger als gewollt, und erhob sich von seinem Platz um mit schnellen Schritten in der Mitte der Werkstatt zu treten. Sein Arm fasste mit einer ausschweifenden Geste alles um ihn herum ein. „Dieser Raum ist voll mit allen möglichen Inspirationen von dir! Wenn ich hier auf dem Stuhl sitze, dann verstehe ich, wofür ich so stur immer weiter meinem Weg folge. Meine Familie ist wie ich – lauter Dickköpfe auf einem direkten Weg. Du dagegen tust so viel, auch Nutzloses, aber es ist so vielfältig! Die Templer wollen all das zunichte machen. Deshalb muss ich weiter auf meinem geraden Weg bleiben!“ Er verstummte und ließ die Arme sinken. „Verstehst du?“ 

Leonardo konnte nur stumm nicken. Hätte er in diesem Moment gesprochen, er hätte die Worte nicht zurückhalten können. Er wusste, oder glaubte zumindest zu wissen, dass er für Ezio immer nur sein amico, ein guter, verlässlicher Freund sein würde. Aber Ezios Erklärung hatte ihn tief bewegt. Es war eine trügerische, bittere Hoffnung, aber warum sollte er sich nicht ein wenig selbst damit betrügen, dass Ezio ihn vielleicht auch ein wenig liebte?  

Und wieder vergingen Wochen. Leonardo hörte mit einem halben Ohr auf die Kundgebungen, ob wieder ein Assassine die Stadt terrorisieren würde, doch zunächst blieb es ruhig. Dann flammten die Gerüchte wieder auf, und er hoffte. 

Es war ein trister Tag gewesen – ganz Venedig schien von einer großen Dunstglocke umhüllt zu sein, und als der Nachmittag sich in den Abend verwandelte, begann es erst zu nieseln und dann sintflutartig zu regnen. Leonardo arbeitete, eher verträumt als wirklich bei der Sache, an einigen Messwerten zur Anatomie des Menschen. Er hatte das Gefühl, dass sich diese Werte irgendwie geometrisch an eine Form anpassen könnte. Ein Kreis, ein Dreieck? Oder doch ein Viereck? 
Die dumpfen Schläge an seine Haustür ließen ihn aufschrecken. Wer mochte das sein? Er erwartete keinen Besuch. Einen Moment war er von der törichten Hoffnung erfüllt, es könnte Ezio sein, aber da die Tür nicht in ihren Angeln erzittert war, war das wohl nur eine Wunschvorstellung.  Er bewegte sich ohne große Eile zur Tür, bis plötzlich eine raue, aber schwache Stimme hindurch drang. 
„Leonardo...!“
Sein Herz machte einen Satz, das war unverkennbar Ezios Stimme. Er riss die Tür auf, und der Assassine fiel ihm regelrecht in die Arme. Seine weiße Kleidung war blutüberströmt, das meiste rührte aus einer großen Wunde an der Schulter her. 
„Gut, keine Panik, Ezio, du bist in Sicherheit!“, stammelte Leonardo und schaffte es mit Müh und Not, seinen unerwarteten Gast bis zu seinem Lieblingsstuhl zu bringen, wo er sich erschöpft fallen ließ. Erst dann konnte er zur Tür eilen, die der Wind wild auf und zu schlug, und sie gegen das raue Wetter verschließen. Zur Sicherheit schob er beide Türriegel vor und blockierte, nach kurzer Überlegung, die Tür zusätzlich mit einem besonders großen Holzmodell.  
„Ich glaube nicht, dass dieser Haufen Holz irgendjemand davon abhalten wird, hier rein zu kommen, Leonardo“, sagte Ezio schwach, aber trotzdem mit einer Prise Humor. Leonardo eilte zu ihm. 
„Was ist geschehen? Hier, lass mich dir helfen, wir müssen das ausziehen! Du bist klatschnass! Oh dio mio, wo finden wir um diese Stunde einen Arzt?!“ 

Leonardos Redeschwall hätte wohl kein Ende gefunden, wenn Ezio ihm nicht beruhigend die Hand auf den Arm gelegt hätte. 
„Ganz ruhig. Es ist keine schwere Wunde, und ich habe Medizin dabei“, erklärte er schwach, aber gut verständlich und schon wesentlich ruhiger. Er versuchte, seinen Umhang von den Schultern zu ziehen, stellte sich jedoch nicht sonderlich geschickt dabei an. Der nachfolgende Schmerz, als der Umhang an dem Stoff über der Wunde zerrte, ließen ihn sichtbar zusammen zucken. Leonardo stieß seine Hand weg und machte sich selbst daran, die Wunde vorsichtig freizulegen.  
Ezio ließ es geschehen und erklärte stattdessen mit matter Stimme, was geschehen war: „Ich erhielt den Auftrag von Lorenzo di Medici, einen Mann zu finden, der anscheinend Borgia selbst unterstand. Ich konnte einige Leute nach ihm befragen und ihn ausfindig machen, aber es war eine sehr ausgeklügelte Falle. Kaum war ich in den Innenhof gesprungen, da war ich auch schon von Bogenschützen und Wachen in schwerer Rüstung umzingelt. Sie nahmen mir meine Rüstung und alle Waffen ab, die sie finden konnten, auch die versteckten Klingen.“ 
Er warf einen entschuldigenden Blick zu Leonardo, der damit beschäftigt war, Ezios Umhang zu entfernen und nur abwinkte: „Ich baue dir neue. Erzähl mir, wie du entkommen bist.“ 
„Irgendjemand hatte sie wohl nicht ausreichend über meine Bewaffnung informiert. Mir blieben drei Wurfmesser, nicht genug, um jemand zu töten, aber gut genug für ein kleines Ablenkungsmanöver. In einem günstigen Moment warf ich eines davon auf einen Wachtposten auf dem Dach. Die Medizin ist übrigens in meiner Gürteltasche auf der rechten Seite“, fügte er hinzu, als Leonardo ihn, nachdem er ihm Kapuze und Umhang abgenommen hatte, nach der Medizin durchsuchte. Er holte sie hervor und verschwand kurz, um dann, nach wenigen Minuten, mit etwas sauberem Wasser, zwei sauberen Tüchern und einer großen Schere wieder aufzutauchen. 
„Das wird jetzt vermutlich wehtun“, kündigte Leonardo an. 
„Hast du beschlossen, mir statt des Fingers jetzt etwas anderes abzuschneiden?“
Leonardo dachte an den Tag, an dem er Ezio zum zweiten Mal getroffen hatte. Völlig überfordert von den Ereignissen war er auf dem Stuhl eingeschlafen. Damals hatte er so unschuldig ausgesehen, dass Leonardo auf die Idee kam, ihm zunächst nichts von der Modifikation zu erzählen und ihm diesen zugegeben ziemlich gemeinen Streich zu spielen. Unschuldige Zeiten. 
„Nein.“, antwortete er, „Heute ruiniere ich nur die Arbeit deines exzellenten Schneiders. Ich schätze, du wirst es danach nicht flicken lassen wollen?“ 
Ezio winkte ab. Leonardo setzte mit die Schere an und schnitt das Hemd von den Manschetten aufwärts am Ärmel auf. Er musste noch mehrmals ansetzen und schneiden, um das blut- und regengetränkte Hemd so vorsichtig wie möglich von der Haut abzuziehen. Trotzdem zischte Ezio einige Male schmerzerfüllt auf und blickte verbissen auf den Boden vor sich. 

Um ihn abzulenken bat Leonardo: „Nun, erzähl schon den Rest deiner Geschichte. Was geschah, nachdem du den Wachtposten mit dem Wurfmesser attackiertest?“ 
„Sie hielten es für einen Angriff von draußen und waren kurz abgelenkt, sodass ich mich ihren Griff entwinden konnte. Autsch! Leider hat eine der Wachen meine Schulter mit dem Schwert erwischt, als ich nach oben zu ihm hinauf kletterte. Er dachte wohl, ich würde stürzen, aber es hat mich nur verlangsamt. Es war keine schlimme Verletzung... Argh, das brennt!“ 
Leonardo presste ungerührt das saubere, angefeuchtete Tuch auf die Wunde, das er mit der Medizin getränkt hatte. 
„Lass mich raten: Es wurde erst eine schlimme Verletzung, als du über die Dächer von halb Venedig geklettert bist, um hierher zukommen!“ 
Ezio zuckte entschuldigend die Schultern und  krümmte sich gleich darauf mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen. 
„Es wird schon wieder. Ich hatte schon schlimmere Verletzungen...“
Leonardo schüttelte den Kopf.
„Du brauchst Ruhe und spätestens morgen einen besseren Arzt als mich“, erklärte der streng und zog ihn hoch. „Du kannst heute Nacht mein Bett haben, ich werde mich wohl irgendwie mit dem Boden begnügen müssen.“
„Kein Platz für zwei Personen?“
Leonardo stockte mitten in der Bewegung, und Ezio fragte verwundert: „Was ist?“ 
Er kann es nicht so gemeint haben, redete sich Leonardo krampfhaft ein, ganz bestimmt nicht... 
„Nein, leider nicht. Ich habe selten Gäste, wie du weißt“, versuchte er abzulenken. 
Ezio lächelte wieder, als er sagte: „Abgesehen von halbtoten assassinos...“ 

Nicht ohne einen gewissen Missmut trug Leonardo so viele Decken und Kissen, wie er finden konnte, zu einem Lager zusammen, und baute sie ein paar Fuß entfernt von seinem eigenen Bett auf. Ezio hatte gemeint, er könne versuchen, sich auf die unverletzte Seite zu drehen und Leonardo den restlichen Platz im Bett zu überlassen, aber er hatte abgelehnt. Er glaubte nicht, dass er auf diese Weise hätte schlafen können. Und wahrscheinlich wäre er nachts sowieso nur gegen Ezios verletzte Schulter gestoßen und hätte ihn aufgeweckt. 
„Bist du sicher, dass du nicht doch das Bett willst?“, fragte Ezio freundlich, der eben ins Zimmer getreten war. Er hatte sich nicht wieder angekleidet, erstens, weil ihm Leonardos Hemden viel zu klein waren, zweitens, weil es seine Schulter auch zu sehr geschmerzt hätte. Leonardo bemerkte, dass er nun auch wieder etwas mehr Farbe im Gesicht hatte. Und dass ein halbnackter Mann in seinem Schlafzimmer stand und diese Nacht in seinem Bett schlafen würde. Selbst, wenn das nicht das erste Mal war, war es doch unverhofft. 
„Nein, schon gut. Du musst zu Kräften kommen“, wehrte er ab und blickte wenig begeistert auf sein eigenes, improvisiertes Bett. „Also der Fußboden“, murmelte er betrübt. 

„Ich verstehe nicht, weshalb ich an dieser Stelle alles immer wieder desynchronisiert! Wir haben es jetzt acht mal durchgespielt. Es ist kein Attentat, kein bestimmter Ort... aber was denn dann?“ 
Rebecca wedelte aufgebracht mit dem Stift, während Desmond, den Kopf in den Händen vergraben, auf dem Animus 2.0 saß. 
„Warum haben wir keine Recherchen zu dieser Nacht, Shaun?! Du musst doch irgendetwas herausgefunden haben!“, sagte Lucy scharf, was dem ohnehin aufgebrachten Spezialisten jetzt den Rest gab. 
„Ich bin kein Amateur, Lucy, ich mache meine Arbeit! Warum fragst du nicht unseren Helden?! Er hat sich bisher bemerkenswert unkooperativ verhalten! Schließlich passiert das alles vor seiner Nase, und er ist derjenige, der Ezios Gefühle auswerten muss!“ 
Lucy sah zweifelnd zu Desmond. 
„Weißt du es, Desmond? Weißt du, was du tun könntest?“ 
„Vielleicht“, antwortete er vage. Aber er war sich nicht sicher, ob er es tun wollte. Ob er den Sickereffekt diesmal wirklich ertragen könnte. Es gab einen Unterschied zwischen Ezio und ihm, der unüberbrückbar war. „Ich muss nachdenken.“ 

Mitten in der Nacht wachte Leonardo auf und blinzelte verwirrt. Warum war es so hell? Und wieso war sein Bett auf einmal so unbequem? Dann fiel ihm wieder ein, dass er ja freiwillig den schmerzenden Rücken in Kauf genommen hatte, um Ezio sein Bett zu überlassen. Nur, dass Ezio, wenige Fuß neben ihm, auf dem Sims des offenen Fensters hockte und in die Nacht hinaus spähte, die vom Licht des Mondes hell erleuchtet wurde. Der Himmel war aufgeklart und präsentierte seine ganze, faszinierende Sternenpracht. Er würde anfangen müssen, sich darüber Gedanken zu machen. Woher bekamen die Sterne ihr Licht? Wie konnte der Mond so hell strahlen? Und was tat Ezio da am Fenster?

„Ezio? Was tust du da?“, murmelte Leonardo und wühlte sich aus den Decken. Ezio zuckte zusammen und hätte beinahe einen gewagten Sprung aus dem Fenster hinaus auf den Hof gemacht. 
„Du bist es nur, Leonardo. Ich war wohl gerade mit meinen Gedanken woanders...“ 

„Desmond...“
„Lass mich in Ruhe, Lucy!“
„Du musst...“
„DU SOLLST MICH IN RUHE LASSEN!“

Keuchend und abgekämpft, mit schweißüberströmten Gesicht, lehnte Desmond sich mit dem Rücken an die Wand der Lagerhalle und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Er hatte jede Kiste in der ganzen Halle mindestens 10mal bestiegen, aber die körperliche Anstrengung brachte ihm der Lösung nicht näher. Und jetzt war auch noch Lucy aufgetaucht und musterte ihn mit diesem besorgten Blick. 
„Desmond, du musst mit mir reden! Ich kann dir nicht helfen, wenn du dir nicht helfen lässt! Wir müssen weiter kommen!“ 
„Und was ist, wenn ich es nicht tun kann?! Wenn ich diesmal auf den Sickereffekt dankend verzichten könnte?!“, antwortete er wütend und hieb mit der Faust gegen eine der Kisten. 
„Es geht um Leonardo da Vinci, nicht wahr?“, fragte sie leise, und er sah sie erstaunt an. 
„Woher weißt du das?“  Lucy machte eine vage Geste. 
„Shaun hat schon vor längerer Zeit etwas ähnliches angedeutet, aber im Gegensatz zu mir hat er das einfach als Hypothese längst wieder verworfen. Ich denke, er... hat das einfach weit von sich geschoben.“ 
Desmond fuhr sich verzweifelt durchs Haar. 
„Lucy, ich bin nicht schwul oder bisexuell oder was auch immer! Ich konnte mir auch nie vorstellen, wie das ist, aber jetzt, seit ich im Animus bin... bekomme ich eine Vorstellung davon! Ich will das nicht, gottverdammt, aber wenn ich Ezio bin, ist es plötzlich selbstverständlich für mich!“ 
„Du hast Angst, was passiert, wenn du Ezios Erinnerungen folgst. Dass der Sickereffekt dann bewirken wird, dass du seine sexuellen Vorlieben übernimmst“, stellte Lucy sachlich fest. 
„Verdammt richtig! Also sag mir, was soll ich machen?“
Lucy seufzte.
„Das kann ich dir nicht raten, Desmond. Ich weiß, dass es nicht einfach für dich ist, und ich wünschte, wir könnten mit einem anderen Vorfahren genau die selben Informationen bekommen. Aber uns läuft die Zeit davon. Und ich befürchte, wir können diese Sequenz nicht überspringen. Sie ist auf irgendeine Weise der Schlüssel zu weiteren Erinnerungen, vielleicht, weil er Ezios Denken und Fühlen stark beeinflusst hat. Es ist deine Entscheidung, Desmond. Es kann sein, dass deine Persönlichkeit davon nicht beeinflusst wird. Vielleicht aber doch.“
Lucy verschränkte die Arme und wandte sich ab, den Blick traurig auf den Boden geheftet. Es schien ihr schwer zu fallen, weiter zu sprechen.
„Was mit 16 geschehen ist... ist auch geschehen, weil er Dinge durchleben musste, die er nicht akzeptieren konnte. Er musste sich mit Frauen und Kindern synchronisieren und Dinge tun und erleben, die ihn anwiderten und schockierten. Das war einer der Faktoren, die ihn dazu gebracht haben, die Zeiten zu wechseln und zu anderen Erinnerungen auszuweichen, die weniger schmerzhaft für ihn waren.“

„Ich habe mich nur gerade geragt, ob es ein Schicksal gibt, dem wir bedingungslos folgen müssen“, murmelte Ezio, wieder dem Mond zugewandt. Leonardo richtete sich nun vollends auf – Ezio schien etwas zu bedrücken, vielleicht sogar ein philosophisches Problem. 
„Nein, ich glaube eigentlich nicht Schicksal“, meinte er freundlich und trat zu Ezio ans Fenster. „Ich bin mir sicher, unser Handeln liegt eher in uns selbst begründet. Wenn wir etwas tun, dann, weil das unsere Natur ist. Auch wenn wir vielleicht nicht ermitteln könne, warum wir zu diesem oder jenen Zeitpunkt auf diese oder jene Weise gehandelt haben. Die Natur ist voll zahlloser Ursachen, die niemals in Erfahrung traten.“ 
Seine Worte schienen Ezio Trost zu spenden, denn er entspannte sich ein wenig. 
„Das heißt, was immer ich auch tue, ich sollte es nicht bereuen? Weil es einfach in meinem Wesen liegt?“ 
„Nun, in gewissen Grenzen“, fügte Leonardo schnell hinzu, „übersteigerte Rachegefühle oder sinnloser Mord gehören wohl nicht dazu.“
„Daran dachte ich eigentlich auch nicht“, erwiderte Ezio ruhig. 

„Ich weiß, was ich zu tun habe.“ 
Rebecca, Shaun und Lucy sahen überrascht auf, als Desmond eintrat. Er schien ein wenig müde zu sein und viel gegrübelt zu haben, aber er sah fest entschlossen aus. 
„Halleluja, unser Held ist zurück und bereit, endlich seine Arbeit zu tun!“, spottete Shaun bitter, aber Lucy warf ihm einen bösen Blick zu, der ihn zum Schweigen brachte. 
„Ich schätze, wir sollten die nächsten 12 Stunden aus der Überwachung nehmen“, sagte sie bestimmt, und Desmond nickte. 
„Was?! Aber wir verfügen dann über keine Daten! Falls es Probleme gibt, können wir nicht korrigierend eingreifen!“, keifte Shaun aufgebracht. 
„Shaun hat Recht, Lucy, das geht nicht. Es ist ein zu hohes Risiko, dass wir etwas Entscheidendes verpassen!“
Lucy schüttelte bestimmt den Kopf. 
„Desmond hat eine Ahnung, was er tun muss, aber er fühlt sich dadurch gehemmt, dass wir dabei zusehen werden. Wir sind immerhin bei all seinen Aktionen dabei, aber dieser Teil ist ziemlich... privat.“ 
„Oh man, DESMOND! Sag uns doch gleich, dass du in den Puff zu einer Frau gehst. Dieser Kindergarten ist einfach nur lächerlich!“, fiel Shaun ihr ins Wort, und Desmond nickte Lucy zu. Gut, das war besser, als selbst irgendwas erklären zu müssen. Rebecca lächelte wohlwollend, wenn auch etwas drängend, und nickte mit dem Kopf in Richtung Animus. 
„Wenn das so ist, werden wir für die nächsten Stunden abschalten. Tut mir Leid, wir hätten wohl etwas sensibler sein sollen.“
„Schon gut“, murmelte Desmond.

„Woran denkst du dann?“, fragte Leonardo ruhig. Er bedauerte es, dass er Ezios Verhalten immer noch so wenig deuten konnte. Was er dachte, blieb ihm die meiste Zeit verborgen. Ezio zuckte mit den Schultern, nicht ohne es gleich darauf zu bereuen, als seine Schulterwunde ihm einen Schmerzensstich durch den Körper jagte, und schwenkte auf ein ganz anderes Thema um: „Weißt du, was seltsam ist? Also ich im Regen über die Dächer kletterte und vor Schmerzen fast ohnmächtig geworden bin, hat mir der Gedanke geholfen, dass ich hier in Sicherheit bin.“ Er wandte sich wieder zu Leonardo um und blickte ihm direkt in die Augen. 

„Er verliert schon wieder Synchronität, verdammt!“, sagte Rebecca aufgebracht und navigierte hektisch zwischen den einzelnen Systemparametern. „Was sollen wir denn jetzt tun? Wir könnten ihn sogar im Animus verlieren, Lucy! Lass mich einfach...“ 
„Nein! Er muss es selbst schaffen“, sagte Lucy fest. Ihre Hände waren ineinander verkrampft. 
Bitte Desmond, betete sie im Stillen. Bitte, tu nicht das, was du tun würdest. Tu das, was Ezio wollte. 

Leonardo wusste nicht, was er sagen sollte. Und bevor er entscheiden konnte, was in diesem Moment das Beste gewesen wäre, wandte Ezio sich ab. „Ich bin so ein Idiot“, hörte er ihn murmeln, „das kann so nicht funktionieren.“ Er schritt auf sein Bett zu, irgendwie müde und distanziert. 

„LUCY!“
„NEIN!“ 
Bitte, Desmond.
Bitte.

„Ezio? Sind wir Freunde?“ Ezio wandte sich erstaunt um. Er schien nicht mit dieser Frage gerechnet zu haben. 
„Natürlich! Hast du das je bezweifelt, Leonardo?“

Er synchronisierte… aber nicht wirklich. Sie waren verbunden, und doch… getrennt. Das war merkwürdig. 
Er sah den realen Ezio, und er spürte bruchstückhaft seine Gedanken. Aber nur das, was er selbst kannte. Liebe, tiefe Zuneigung, Gefühle, die ihm nicht fremd waren. 
Er selbst war nicht verschwunden, präsent, verharrte irgendwo zwischen Ezio und seinem eigentlichen Selbst. Er sah und hörte… und sah und hörte doch nicht.
Alles, was kommen würde, würde ihm verborgen bleiben können. Dankbar schloss er die Augen und legte die Hände auf die Ohren. 

„Ich weiß nicht. Ich habe wenige gute Freunde. Manchmal bin ich mir nicht sicher, was es bedeutet, einen Freund zu haben.“
Ezio kam auf ihn zu, einen undefinierbaren Ausdruck im Gesicht, und trat nahe an ihn heran. 
„Es bedeutet, dass man sich auf jemand verlassen kann! Ich verlasse mich auf dich, Leonardo. Und ich dachte, du könntest dich auch auf mich verlassen! Solltest du in Not sein, zögere nicht, es zu sagen! Es gibt für jede Bedrängnis die richtige Waffe.“ 
Leonardo wich unbewusst einen Schritt zurück und machte eine abwehrende Handbewegung. 
„Nein, ich bin nicht in Not. Es sei denn, Einsamkeit ist eine genauso schreckliche Bedrohung für Körper und Geist wie der nahende Tod.“, antwortete er zögernd. 

Im nächsten Moment befand er sich in einer jener erdrückenden Umarmungen, die er von Ezio so gut kannte, aber es war das erste Mal, dass sein ganzer Körper dabei erzitterte. „Ezio…“, sagte er schwach, „warum tust du das?“ 
„Wenn ich mich bei meinen Aufträgen besonders einsam gefühlt habe, wusste ich nie, was ich tun sollte“, murmelte Ezio, ohne die Umarmung zu lösen. „Ich habe alles versucht. Ich war bei Huren, auf den Marktplätzen, den Dieben oder bei meiner familia. Verdammt, selbst bei den Söldnern. Aber nirgendwo konnte ich dieses Gefühl loswerden. Nur hier... hier bin ich nicht allein. Das ist meine Waffe gegen Einsamkeit.“ 
Er machte eine Pause, und fuhr dann fort: „Ich dachte, dir könnte das auch helfen.“ 
Idiota“, murmelte Leonardo, „das hättest du mir eher sagen können.“ 
„Wieso?“
„Ich hätte mich nicht so mit dem Übersetzen der Kodexseiten beeilt.“ 

5 Stunden harrten sie aus. Die Synchronität blieb stabil, auf einem niedrigen Level. Doch die Verbindung brach nie ab. Dann stieg sie wieder an. 
„Desmond wird einiges zu erklären haben“, murmelte Rebecca. Sie schien gleichzeitig irritiert und erleichtert.

Es war warm, und er war wieder vollständig. Irgendwo, tief drinnen, brannte seine Schulter immer noch, aber es wurde von anderen, angenehmeren Gefühlen verdrängt. Haut auf Haut, der gleichmäßige Atemrythmus eines Menschen, der neben ihm schlief.
Im Grunde, selbst wenn er es für sich nicht wollte, gab es kaum einen Unterschied. Es ging in Ordnung, wenn man mit dem zusammen war, den man liebte. Selbst, wenn derjenige ein Mann war. 

Wenn Ezio ging, dann ging er über die Leiter, die im Hof an der Wand lehnte. Zuerst war er immer die Mauer hinaufgeklettert, bis Leonardo ihn dabei beobachtete und sie von einem seiner Gehilfen aufstellen ließ. 
An diesem Abend folgte Leonardo Ezio nach draußen in den Hof, und dann standen sie einen Moment still dort, unschlüssig, wie sie einander verabschieden sollten. Schließlich zog Ezio ihn an sich und begrub ihn unter der gleichen, erdrückenden und männlichen Umarmung, die sie sonst bei ihrer Begrüßung ausgetauscht hatten. Leonardo ließ es zu, und er wusste gar nicht, welches Gefühl in diesem Moment Besitz von ihm ergreifen sollte. 
Die Trauer drüber, dass Ezio gehen musste? Er wusste, es würde Wochen, vielleicht Monate dauern, bis er zurück kehrte. 
Oder sollte er sich von der Freude leiten lassen, die ihn bei dem vertrauten Geruch des Assassinen befiel, vermischt mit seinem eigenen Körpergeruch, der Ezio zumindest noch für die nächsten Stunden anhaften würde?

Er hätte gern gesagt, dass er Ezio liebte, aber auch jetzt brachte er das nicht über sich. Aber als er schon glaubte, sie würden ohne ein weiteres Wort auseinander gehen, raunte Ezio ihm etwas zu. Wenige Augenblicke später war er fort wie der Wind. 

„Was ist passiert, Desmond?“
„Ich... ich weiß es nicht genau. Ich denke, im entscheidenden Moment hat der Teil von mir, der zu Ezio gehörte, das getan, was Ezio auch getan hätte. Und der Rest hat es einfach... nicht mitgekriegt. Frag mich nicht, was zwischen den beiden da gelaufen ist, denn ich habe absolut keinen Schimmer.“ 
Lucy lächelte.
„Darüber bist du froh, nicht wahr?“
Desmond lächelte zurück.
„Mann, ich kann dir gar nicht sagen, wie mir der Arsch auf Grundeis ging!“
Sie brachen beide in befreiendes Gelächter aus. 

Leonardo ging in seine Werkstatt zurück und ließ sich auf Ezios Stuhl sinken, um eine Weile auszuharren, dann ging er an seinen Schreibtisch und warf ein paar Skizzen auf ein Pergament. Er hatte große Ideen. Vielleicht konnte man den Mechanismus der Assassinenklingen noch verbessern. Eine Modifikation hier, ein anderes Metall dort. Oh, er würde wohl wieder keine Lust haben, an seinem neusten Bild weiter zu malen, aber gerade fühlte er sich, als sollte er einfach tun, wonach ihm der Sinn stand. 
Sein Blick wanderte zu dem Stuhl hinüber, auf dem Ezio sonst saß. Zu der tiefen Kerbe, die darin war, ein Sinnbild für alle Geheimnisse, die sie teilten. Und er hörte die raue Stimme genau die Worte in sein Ohr flüstern, die so typisch für Ezio waren, so süß und vieldeutig, dass es ihn erschauern ließ: 
„A presto, amico mio.“
„A presto“, murmelte Leonardo, und lächelnd machte er sich an die Arbeit.

Autorennotiz

Noch ein Repost von Fanfiktion.de, aus dem Jahr 2010.
________________________________
Originalkommentar:
Ich spiele zur Zeit Assassins Creed II und bin auch ziemlich süchtig danach. Und ich liebe natürlich auch die Beziehung zwischen Ezio und Leonardo

Feedback

Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!

Autor

Tristans Profilbild Tristan

Bewertung

Noch keine Bewertungen

Statistik

Sätze: 497
Wörter: 6.157
Zeichen: 36.362

Kurzbeschreibung

Kurzgeschichte, Romanze, Leonardo/Ezio - Er glaubte nicht, dass er den jungen, trotzigen Mann, den Maria ihm an diesem herrlichen Morgen in Florenz vorgestellt hatte, hätte lieben können. Aber der beherrschte Assassine, der eine Kutsche mit zwei Pferden unter Beschuss über eine Landstraße jagte und Leonardos Leben rettete – in diesen Mann hatte er sich verliebt.

Kategorisierung

Diese Fanfiction wurde mit Romanze, (romantische) Beziehungsentwicklung und Schwermütig getaggt.