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Heimkehr

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01.02.17 21:45
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

Heimkehr

 

Er wusste nicht, wohin er gehen sollte, also ging er nach Moskau.

Das hatten sie so abgesprochen. Wenn sie ihn nicht abholen konnten, sollte er sich unauffällig verhalten und den nächsten Linienflug nach Moskau nehmen. Am Flughafen würde jemand auf ihn warten.


Er saß am Gate in Washington, D.C., und wartete darauf, dass sein Flug aufgerufen wurde. Noch eine Stunde. Er fixierte den Zeiger der Uhr über der leeren Wartebank ihm gegenüber und versuchte, sich zu sortieren. Etwas war schief gelaufen, gewaltig schief. Und er hatte einen Defekt, der ihn verwirrte.

Der Mann auf der Brücke. Der Mann im Fluss.

Der Mann hatte etwas in ihm ausgelöst, hatte etwas wie verrostete Zahnräder in ihm zum Laufen gebracht. Es verwirrte ihn. Er konnte unmöglich Bucky sein. Der war lange tot, das hatte er in der Ausstellung erfahren. Der Mann – Steve Rogers, Captain America – war ein Lügner. Er musste ein Lügner sein. Das war Taktik. Emotionale Destabilisierung. Ein intelligenter Schachzug. Er hatte nicht gewusst, dass er dafür empfänglich war. Das hatte nicht sein dürfen.

Er atmete tief durch. Sobald er wieder in der Basis war, würde Karpov den Defekt beseitigen.

Noch fünfzig Minuten.


Er saß im Flugzeug, und es wurde schlimmer. Der Mann schlitterte immer wieder durch seine Gedanken.

Ich kämpfe nicht gegen dich. Du bist mein Freund.

Gute Strategie. Deshalb hatte er ihn aus dem Fluss gezogen. Als Anerkennung. Wegen seiner guten Strategie. So musste es gewesen sein.

»Geht es Ihnen gut, junger Mann?«

Blitzschnell drehte er sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, bereit, sich zu verteidigen.

Die ältere Dame auf dem Sitz neben ihm zuckte erschrocken zusammen und schaute auf seine Finger. Er folgte ihrem Blick und sah, dass er seine Hände, die in Lederhandschuhen steckten, um das Metall zu verbergen, verkrampft um die Armlehne gekrallt hatte. Schnell ließ er los.

»Ist Ihnen kalt?«, fragte sie.

Er rieb sich die Hände und sagte nichts. Keinen Verdacht erregen.

»Schrecklich, was da gestern passiert ist«, begann sie auf einmal wie ein Wasserfall zu reden. »All die Flugzeuge, die vom Himmel gestürzt sind … Und was da auf dem Highway passiert ist … Ich stand mit dem Auto an der Ampel, und es ging einfach nicht weiter, und ich dachte, huch, was ist denn hier los, und dann habe ich gesehen, wie Menschen geschossen haben und gekämpft … Es war schrecklich, ich bin so froh, dass ich hier wegkomme, aber woanders ist es ja auch nicht besser, und wenn ich daran denke, was so einem Flugzeug alles passieren kann, dass sie uns vielleicht auch abschießen …«

Er blendete sie aus. Ihre Informationen hatten keinen Wert.

»… wollen Sie denn hin?«

Stille. Er begriff, dass sie eine Frage gestellt hatte, an ihn, aber er antwortete nicht. Er war ihr nichts schuldig.

»Ach, Flugangst. Entschuldigen Sie. Mein Neffe hat das auch, ganz schlimme Sache. Kann nicht mal mit dem Auto an einem Flughafen vorbeifahren, ohne dass ihm schlecht wird.«

Sie redete weiter, er blendete aus. Es wurde schlimmer. Er hatte den Mann aus dem Fluss gezogen, weil er aussah wie jemand, den er einmal gekannt hatte.

Ein Ruck ging durch das Flugzeug, ein Luftloch. Für den Bruchteil einer Sekunde fuhr ein Kribbeln durch seinen Magen. Er erinnerte sich an Fallen. Schnee und Eis und ein Zug, der sich mit rasender Geschwindigkeit durch die Berge bewegte. Fallen. Der Mann aus dem Fluss war da.

Er kniff die Augenlider fest zusammen und beugte sich nach vorn.

»Ist Ihnen schlecht?«, hörte er die Frau neben sich fragen.

Er reagierte nicht. Er hatte versagt. Er hatte seine Mission nicht erfüllt.

»Sie haben noch nie versagt«, hörte er Karpovs Stimme in seinem Kopf. Er presste eine Handfläche gegen seine Schläfen, wollte keine einzige Erinnerung noch einmal durchleben, denn dafür wurde er regelmäßig gelöscht. Damit Erinnerungen ihn nicht an seiner Arbeit hinderten. Damit er nicht emotional instabil wurde. Die Welt brauchte ihn. Es war wichtig. Das hatten sie immer wieder gesagt.

 

»Sie haben noch nie versagt.«

Karpov sprach immer ruhig, er hatte noch nie geschrien. Sie waren in einem kleinen Raum, den er nicht kannte. Er saß auf einem Stuhl und wusste nicht, wie er dort hingekommen war. Das letzte, woran er sich erinnern konnte, war eine Zielperson in British Columbia.

Karpov ging um ihn herum, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. »Sie enttäuschen mich, Soldat.«

Er sagte nichts.

Eine Weile stand Karpov vor ihm, dann schlug er ihm ins Gesicht.

Er bewegte keinen Muskel.

»Sagen Sie mir, Soldat: Warum haben Sie die Mission nicht ausgeführt?«

»Die Mission war nicht möglich.«

Karpov schlug ihn noch einmal. »Blödsinn. Keine Mission ist unmöglich.«

 

Er schreckte hoch. Die ältere Dame neben ihm betrachtete ihn mit einem seltsamen Gesichtsausdruck.

»Brauchen Sie Hilfe?«

Er brachte etwas wie ein Kopfschütteln zustande.

 

Er lag am Boden und konnte sich nicht bewegen. Jeder seiner Muskeln war gelähmt oder schmerzte. Ein stechender Geruch stieg ihm in die Nase.

»Soldat.«

Er blickte auf. Vor ihm stand Karpov.

»Aufstehen.«

Mühsam stützte er sich auf seinen linken Arm, aber der Rest seines Körpers wollte nicht gehorchen. Er sah sich nach etwas um, woran er sich festhalten konnte, aber der Raum war vollkommen leer, und alle Wände waren mindestens vier Meter von ihm entfernte. Er spannte die Muskeln in seinen Beinen an, sie fühlten sich an wie aus Gummi, und richtete sich langsam auf, darauf konzentriert, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Karpov schubste ihn. Mit wenig Kraft, aber der Schubs reichte, damit er schwankte, stolperte und wieder auf dem kalten, nassen Boden lag.

»Aufstehen.«

Er richtete sich erneut auf, doch bevor er einen sicheren Stand gefunden hatte, stieß Karpov ihn wieder zu Boden.

»Aufstehen.«

Er biss die Zähne zusammen, sammelte alle Kraft, die ihm noch blieb, spannte alle Muskeln an, um dieses Mal stehen zu bleiben.

Dieses Mal trat Karpov ihm von hinten in die Kniekehlen, er fiel wieder und prallte auf den Boden.

»Aufstehen.«

Er versuchte es, aber er hatte keine Kraft mehr. Hilflos sah er zu Karpov hinauf. Der hockte sich neben ihn.

»Warum haben Sie die Mission nicht erfüllt?«, fragte er leise.

»Ich … habe versagt.«

Karpov nickte. »Sie haben versagt. Sie wurden nicht dazu ausgebildet, zu versagen. Sie machen keine Fehler, Soldat. Soldaten, die Fehler machen, kann HYDRA nicht brauchen. Haben Sie das verstanden?«

Er nickte.

»Ob Sie das verstanden haben, Soldat.«

»Habe … verstanden«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Gut.« Karpov nickte. »Gut.«

Karpov stand auf und reichte ihm die Hand. Er ergriff sie und ließ sich von ihm auf die Beine ziehen.

»Wir brauchen Sie, Soldat. Die Welt braucht Sie. Sie können sich keine Fehler erlauben.« Er drehte sich um. »Friert ihn wieder ein.«

 

Als das Flugzeug in Moskau, Sheremetyevo International Airport, landete, war ihm übel. Er beeilte sich, durch die Kontrolle zu kommen, mit dem gefälschten Pass, den sie ihm für solche Fälle gegeben hatten. Dann suchte er den Treffpunkt, die Drogerie neben dem Café im Terminal. Das war die Abmachung. Dort würde jemand auf ihn warten.

Er bahnte sich seinen Weg durch die Menge, suchte nach Gesichtern, die ihm bekannt waren, und unbewusst auch nach potenziellen Bedrohungen. Niemand schenkte ihm Beachtung.

Vor der Drogerie war niemand. Er heftete seinen Blick an den Strom von Menschen. Alles Zivilisten. Kein bekanntes Gesicht. Er sah noch einmal hin. Nichts.

Es war nicht das erste Mal, dass er diesen Treffpunkt nutzte. Zweimal zuvor hatte er es tun müssen, und immer war jemand da gewesen, der sofort auf ihn zugegangen und ihn nach draußen zu einem Wagen geführt hatte.

Jetzt war hier niemand. Ihm wurde schwindelig. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er die Gespräche in seiner Umgebung ausgeblendet, aber nun hörte er alles. Er filterte nach potenziell wichtigen Informationen, aber alles, was er hörte, war:

»Ich habe solche Sehnsucht nach …«

»… ist letzte Woche siebzehn geworden …«

»… noch nie so ein schönes Foto einer Morgendämmerung gesehen …«

»… nach Hause kommen …«

»…. Nummer ist drei-null-eins …«

Er ging in die Drogerie hinein, weg von den Menschenmassen, und versuchte, sich zu beruhigen. Sein Herz raste. Das war kein gutes Zeichen. Das war ein Defekt.

Er atmete tief ein und aus. Jemand würde kommen und ihn abholen. Jemand würde ihn löschen, damit die Verwirrung verschwand.

Sein Blick fiel auf den Fernseher über einem Regal, wo gerade eine Nachrichtensendung lief.

»… laufen die Aufklärungsarbeiten in Washington, D.C. auf Hochtouren. Amerikanischen Medien zufolge war das Ziel der abgestürzten Helicarrier am 4. April die gezielte Tötung von Millionen von Menschen weltweit, die von einer Organisation namens HYDRA als potenzielle Bedrohungen eingestuft worden waren. HYDRA, die zuletzt im Zweiten Weltkrieg als Wissenschaftsorganisation der Nazis operierte, infiltrierte anscheinend über Jahrzehnte unerkannt die US-Geheimorganisation S.H.I.E.L.D., auch werden ihr zahlreiche politische Attentate zur Last gelegt, alle ausgeführt durch einen Mann, der in Geheimdienstkreisen als Winter Soldier bekannt ist. Über die Identität des Winter Soldier liegen noch keine Erkenntnisse vor.«

Im Hintergrund wurde ein grobkörniges Bild eingeblendet. Er realisierte es nicht sofort, aber dann erkannte er es: Es zeigte ihn mit Maske.

»… Tod des HYDRA-Leiters Alexander Pierce festgestellt, es gab mehrere Festnahmen von Verbündeten. Steven Grant Rogers, bekannt als Captain America und Mitglied der Avengers, einer der Hauptverantwortlichen für die Aufdeckung der Infiltration …«

Wie gelähmt sah er das Bild an, das jetzt eingeblendet wurde. Steve Rogers. Der Mann auf der Brücke. Der Mann im Fluss.

Das Bild hatte etwas Vertrautes. Die Gesichtszüge hatten etwas Vertrautes.

Das Foto wurde von einem anderen Bild abgelöst, einem Symbol. Das Symbol von HYDRA. Darüber der Schriftzug HYDRA – Der Fall des geheimen Giganten.

»… folgt in wenigen Minuten eine Sondersendung über den Fall von HYDRA und die Fragen: Wie konnte diese Organisation über Jahrzehnte hinweg unentdeckt im Schatten wachsen? Was wollten sie erreichen? Wie weit geht ihr Einfluss wirklich? Wer ist der Winter Soldier und wie viele Morde kann man ihm tatsächlich nachweisen? Das alles und mehr gleich nach dem Wetter …«

Er drehte sich um und verließ die Drogerie, folgte dem Strom aus Menschen, die ihm keine Beachtung schenkten, während er nach bekannten Gesichtern suchte. Er war keiner dieser Zivilisten, sie waren Teil einer anderen Welt, zu der er nicht gehörte. Es fühlte sich an, als gingen sie auf einer anderen Ebene an ihm vorbei und nahmen ihn nicht wahr. Er fühlte sich weit weg und verschwommen.

Das musste ein Fehler sein. Jemand würde ihn abholen.


Neun Stunden. Er wartete neun Stunden lang.

Alle zwanzig Minuten wechselte er seinen Standort, um nicht aufzufallen. Regelmäßig kam er zum Treffpunkt zurück, aber niemand holte ihn ab. Oft blieb er vor einem der Fernseher stehen, die im Terminal an der Wand hingen; die Nachrichten liefen in Dauerschleife. In ihm wuchs der Drang, das Glas zu zerschlagen, aber er tat es nicht.

Niemand kam.

Unruhe ergriff ihn, weit entfernte Erinnerungen gewannen in seinem Kopf immer stärker an Farbe. Karpov musste ihn löschen, unbedingt.

Wieder wechselte er seinen Standort, betrat einen Kiosk. Das war fremd. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zuletzt eine Zeitung gesehen hatte. Vor dem Regal mit der Aufschrift Internationale Presse blieb er stehen. Auf dem Cover eines Magazins mit der Aufschrift TIMES war ein bekanntes Gesicht zu sehen. Schon wieder.

Der Mann auf der Brücke. Der Mann im Fluss. Steve Rogers. Ich steh’ das mit dir durch.

Er rieb sich die Schläfen. Es verwirrte ihn. Verwirrung war falsch. Etwas mit allem war falsch. Niemand würde ihn abholen.

Er schlug das Magazin auf, weil es ihm unauffälliger erschien, als einfach dort stehen zu bleiben. Die meisten Menschen lasen in einem Kiosk. Das war normal. Das war unauffällig.

Aus den Augenwinkeln bemerkte er etwas. Jemand beobachtete ihn. Er tat so, als würde es ihm nicht auffallen.

Der Mann trat neben ihn. »Soldat?«, fragte er.

Für einen Moment stand alles still. Dann holte er aus, schlug dem Fremden mit ganzer Kraft ins Gesicht, sodass er nach hinten stolperte, in eine Regal hinein, es schepperte, er riss alle Zeitungen zu Boden und blieb reglos dort liegen, Blut lief aus seiner Nase.

Jemand schrie; er drehte sich um und rannte, blendete die Rufe hinter seinem Rücken aus. Er rannte quer durch das Terminal nach draußen, es regnete, er rannte.

Die Zeitschrift hielt er fest in der Hand.

 

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Kurzbeschreibung

Der Winter Soldier ist frei - und kehrt in seine Heimat zurück.