Die Kerze flackerte, kläglich, fast niedergebrannt. Ein kleines Licht, dem Erlöschen nahe und doch ein Licht. Spiegelungen in den Scheiben, eine Brücke vom Diesseits ins Drüben. Hoffnungsschimmer in der Finsternis, Erinnerungsleuchten. Vor dreizehn Jahren noch brannten die Kerzen hell, ein letztes Mal, ein letztes Mal…. Warmer Schein war golden auf Zuckerguss getropft, auf weiße Berge aus süßer Sahne, in denen wie ein Gipfelkreuz die 21 prangte. Heute fiel der schwache Schimmer nur auf die Eisblumen, die wie Lilien zum Gedenken rankten und wie weiche, tröstende Tränen fiel der Schnee. Geister, Geister allein durchzogen diese Nacht, die Nacht in der der Januar starb…
Ein leises, schweres Seufzen, der Blick verschwamm, verschleierte sich. Remus holte Luft und ließ die Tränen rinnen, während er das Foto ein letztes Mal betrachtete. Grausam zog etwas seine Brust zusammen wie eine Schlinge aus purem Stahl. Warum tat ein Herzschlag so weh, als wolle es die Trommel zerbrechen? Wie konnte Wärme sich nur so kalt anfühlen? Sie schaute ihn noch immer an. Unbeirrbar nach so vielen Jahren. Ihr sanftes Lächeln, so vergilbt und verknittert das Papier inzwischen auch war, schimmerte silberhell wie ein Gruß aus vergangener Zeit. Fast fühlte er noch die längst schon erstorbenen Arme, wie sie sich um ihn schlossen, ihn zu sich zogen in die geschwisterliche Geste. „Alles Gute zum Geburtstag, Schwester!“, wollte er sagen. Denn das war sie gewesen, obgleich sie weder Vater noch Mutter teilten. Seelen, was brauchten sie Blutsbande? Seitdem James sie vor den Altar geführt hatte, seitdem sie manchmal gemeinsam in stillen Stunden die Bücher gewälzt hatten, während James und Sirius Quaffel und Schnätze jagten und Peter sie anfeuerte, hatte er gewusst, gespürt, dass er, das einzige Kind seiner Eltern, doch eine Schwester hatte. In den dunkelsten seiner Stunden in jener Zeit, in seiner Verzweiflung ob der Grausamkeit des Vollmonds und der Menschen, waren ihre gütigen Worte wie Balsam gewesen; sie hatte das Licht in ihm gesehen, das er selbst vergessen hatte und es geschürt, bis seine Augen wieder durch die Finsternis sahen. Wie sehr er sie geliebt hatte. Nicht so wie James es tat. Nicht als Frau, nicht von einem Funken des Begehrens entflammt. Nur als Schwester, als Schwester. „Alles Gute zum Geburtstag,“, wollte er sagen, doch blieb er stumm. Dreizehn Jahre war es nicht mehr über seine Lippen gekommen. Trauer machte alle Kehlen rau und heiser. Mit einem letzten, leisen Seufzen löschte Remus das Licht. Rauch stieg nach oben, geisterhaft wie entschwebende Seelen hinauf in den Himmel, zu ihr, zu Lily.
Da klopfte es plötzlich an der Tür. Ein fremder, aufrührerischer Ton in der andächtigen Stille. Noch war das Zimmer von Mondlicht erfüllt, noch war die Nacht nicht entschwunden, auch wenn die Uhr bereits vom Morgen sprach. Wer kam zu so früher Stunde herauf? „Alohomora“, flüsterte Remus und die Tür schwang auf. Fahlblauer Zauberstabschein floss ins Zimmer, malte Schatten an die Wände, enthüllte ein Gesicht. Langes, fettiges Haare, eine große Hakennase, getaucht in sich kräuselnden Dampf, warm von einer Teetasse entsteigend. Wolfsbannwarm. Beruhigt atmete Remus aus. Beruhigt und verwundert.
„Du bist früh, heute?“, sprach er, nicht wissend ob es Frage oder Feststellung war. Ein leichter Strom von Wärme floss durch die wintersteifen, trauersteifen Glieder, als die schwarzen Augen ihn fanden. Die Augen seines Medicus, seines Kollegen, seines Freund?
„Ja“, nur flüsterte der schmale Mund, ehe die Augen sich abwanden, den Rest der Worte im Sud ertränkten. „Ich habe schlecht geschlafen, ich konnte nicht schlafen, überall in meinen Gedanken war sie“, schienen sie zu flüstern bevor sie versanken. Remus hielt inne, lauschte ihnen, ließ die Blicke gleiten, gleiten über das Profil, das Profil Severus Snapes. Da fanden die schwarzen Augen das Bild, hielten inne wie in Erkenntnis erstarrt. Ein Mienenspiel voll Botschaft, so vieles sagend ohne ein einziges Wort. Trauer und Sehnsucht, Sehnsucht und Trauer. Etwas ging tief, tief in Remus Herz‘. Hatte er geglaubt, er sei allein? Gedacht, nur seine Tränen würden ihr zu Ehren rinnen? Da, da sah er ins andere Gesicht wie in einen Spiegel, fand den Zwilling seiner Gefühle. Vage Erinnerungen durchzuckten seinen Geist. Die silberne Hirschkuh in einer Winternacht, nicht von ihrem Zauberstab gesprungen, sondern von seinem. Mit einem Mal hielt die Welt inne in ihrem Tanz, still gefroren wie Eis. So tief, so tief fühlte er plötzlich verbunden mit seinem Gast. Diesen sonst so kalten Mann, der auf einmal in all den Gefühlen gebadet war, die doch auch seine waren, nur eine kleine Nuance anders. Eine Nuance von Gefühlen, die denen James' gähnelt hätten. Doch was machte es schon. Schwester oder Schwarm, beide fehlten. Verstanden werden, stumm verstanden, nicht allein sein in seiner Trauer um sie, das war alles was zählte. Für diesen Moment, für diese Sekunde.
Fahlblaues Zauberstablicht brach sich in der Scheibe, wo eben noch die Kerze brannte, Schnee wirbelte vor den Scheiben. Doch Remus war nicht mehr kalt. Remus war nicht mehr erstarrt. Die Wärme des Wolfsbanntranks, inzwischen in seiner Hand, glitt durch die Finger, durch seinen Körper hinab zum Herz. Sie löste die Ketten, löste den Schmerz. Ein zaghafter Schlag wagte sich zu regen, pulsierend in der Brust. Und die Blicke, die Blicke, sie glitten noch immer über das schwarze, fettige Haar, das blasse Profil, die dunklen, geheimnisvollen Augen, die so voller Liebe, für überquellender Liebe das Foto von Lily betrachteten.
Darum, darum, spürte Remus, schlug sein Herz und wusste er im Stillen doch, dass dieses Lied auf immer ungehört bleiben würde.
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