CN SVV, Blut, Erbrechen, Suizidversuch, Verlust von Angehörigen, Drogenmissbrauch (nehmt die Tags bitte ernst, der Text ist explizit)
Der Regen prasselte schon seit Stunden gegen die Fensterscheiben des Ratssaals. Das monotone Trommeln zehrte an Gil-galads Nerven, während sich seine aranduri wie immer verbal die Köpfe einschlugen. Er rieb sich die Stirn, aber wie zu erwarten half es wenig gegen die Kopfschmerzen.
»Majestät, eventuell wäre es von Vorteil, wenn Ihr Eure Meinung zu dieser Angelegenheit kundtun würdet«, riss Erestor ihn aus seinen Gedanken.
Doch ehe er etwas sagen konnte, ergriff Túrhael das Wort. »Dieser Rat ist ohnehin nicht beschlussfähig, da wir nicht vollzählig sind. Schon seit einer Weile, möchte ich anmerken. Fürst Elrond ist schon über die Gebühr hinweg seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen.«
Erstaunlicherweise vertrieb das sehr effektiv die Kopfschmerzen. Gil-galad spürte, wie Wut in ihm aufkam. Er hieb mit der Faust auf den Tisch.
»Genug!«, donnerte er. »Seit wann ist dieser Rat nicht beschlussfähig, wenn eines seiner Mitglieder fehlt? Seit wann, arandur Túrhael, denkt Ihr, dass Ihr so viel Macht habt? Der einzige, der hier Beschlüsse fasst, bin ich, der König. Eure Aufgabe ist es, mir zu dienen.«
»Eine Aufgabe, der Elrond augenscheinlich nicht mehr nachkommt«, hielt Túrhael dagegen. »Wie lang ist es jetzt schon her, seit er aus Númenor zurückkehrte? Über ein Jahr. Wenn er immer noch trauert, dann ist es an der Zeit darüber nachzudenken, ihn seines Amtes zu entheben, denn er ist eindeutig nicht in der Lage, diesen Posten noch länger zu bekleiden.«
Doch bevor Gil-galad etwas unüberlegtes sagen konnte, bekam er Hilfe von unerwarteter Seite. Celebrimbor erhob sich und starrte zu Túrhael, der ihm gegenüber am runden Tisch saß.
»Ihr habt doch auch einen Bruder verloren, nicht wahr?«, begann er. »Egalmoth vom Haus des Himmlischen Bogens von Gondolin. Tragische Geschichte. Da seid Ihr mit ihm dem Untergang Gondolins entkommen, nur um ihn in Arvernien zu verlieren.«
»Auf den Schwertern Eurer verfluchten Familie«, zischte Túrhael.
Celebrimbor ging nicht darauf ein. »Ein schrecklicher Verlust. Er muss Euch noch immer schmerzen, wenn Ihr auch nach fünfhundert Jahren noch solch einen Groll gegen meine Familie hegt und dies sogar auf Elrond erweitert. Findet Ihr wirklich keinen Funken Mitgefühl in Euch, der Euch ahnen lässt, was mein Vetter derzeit durchleiden muss?«
Túrhael hob das Kinn. »Aber wir sind auch aranduri. Persönliche Gefühle sollten in unserer Arbeit keine Rolle spielen.«
»Und warum fahrt Ihr dann solch einen harten Kurs gegen Elrond?«, fragte Celebrimbor trocken.
Das nahm Túrhael den Wind aus den Segeln.
»Wir sind für heute fertig«, befahl Gil-galad. Er wollte nichts mehr davon hören, nicht heute und eigentlich auch sonst niemals mehr. Leider wusste er es besser.
Natürlich musste Elloth das letzte Wort haben. Es war schon immer so gewesen. Als die anderen drei schon gegangen waren, trat sie noch einmal zu ihrem Sohn. Gil-galad sah genervt aber auch erschöpft zu ihr auf. Er wollte sich jetzt mit ihr messen müssen.
»Celebrimbor mag recht haben«, begann sie. »Aber ein Funken Wahrheit steckt auch in Túrhaels Worten.«
»Und was soll ich deiner Meinung nach tun?«, fragte Gil-galad ungehalten. »Túrhael entlassen? Er ist der Störenfried in dieser Runde. Aber dann verliere ich auch die Gondolindrim, und das würde mein Reich erheblich schwächen.«
»Kümmere dich um Elrond. Als sein König, aber auch sein Freund«, sagte Elloth mit überraschend viel Mitgefühl. »Elros‘ Tod hat ihn schrecklich mitgenommen, und er braucht dich jetzt. Vielleicht brauchen wir alle ihn bald.«
Gil-galad legte fragend den Kopf zur Seite.
»Er war unsere Verbindung zu Númenor, einem wichtigen Bündnispartner«, erinnerte Elloth ihn.
Gil-galad schnaubte. »Ich hätte es wissen müssen. Wenn das deine momentane Hauptsorge ist, dann haben wir uns hier nichts mehr zu sagen.«
Elloth trat zurück und knickste. »Wie Ihr wünscht, Majestät.« Dann rauschte sie davon.
Gil-galad starrte ihr mit finsterer Mine hinterher. Er war der König und doch machten alle, was sie wollten. Er seufzte. Die Stille dröhnte im Raum. Noch immer prasselte der Regen gegen die Scheiben.
Zumindest hatte Elloth insofern Recht, als dass er wirklich nach Elrond sehen sollte. Er hatte seinen Urlaub aus gutem Grund unmittelbar nach seiner Rückkehr von Númenor unbefristet verlängert. Gil-galad hatte ein schlechtes Gewissen, dass er sich in letzter Zeit öfters mit Túrhael und Celebrimbor herumgeschlagen hatte, als mit seinem besten Freund, welcher um seinen Bruder trauerte. Er fühlte sich müde und erschöpft, aber dafür war später noch Zeit.
Elronds Gemächer lagen nicht weit von seinen entfernt. Er klopfte. Keine Reaktion. Gil-galad runzelte die Stirn. Auf dem Weg hierher hatte er Ceomon getroffen, welcher ihm gesagt hatte, dass Elrond hier sei. Er klopfte erneut. Als immer noch keine Reaktion kam, fing er langsam an, sich Sorgen zu machen.
»Elrond, bist du da?«, rief er. »Wenn du nur ein Nickerchen machst, dann tut es mir leid, dich gestört zu haben. Aber antworte mir bitte.«
Allein Stille antwortete ihm. Das war kein gutes Zeichen. Gil-galads Sorgen verstärkten sich. Das sah Elrond ganz und gar nicht ähnlich. Also sandte er seine Sinne aus, auch wenn eine nicht einvernehmliche Anwendung von ósanwe ein höchst unangebrachtes Eindringen in die Privatsphäre einer anderen Person war. Er fand Elrond, doch seine Präsenz war schwach. Schwindend. Gil-galad glaubte, ihm stünde das Herz still.
»Oh nein!«, stieß er aus und drehte hastig am Türknauf. Abgeschlossen, natürlich. »Oh, nein, nein, nein, nein! Nein!«
Alles Rütteln half nichts. Gil-galads Atmen ging schneller und seine Gedanken überschlugen sich. Elrond konnte sich nicht wirklich etwas angetan haben, oder? Oder?! Alle Panik half doch nichts. Also warf sich Gil-galad kurzerhand mit der Schulter voran gegen die Tür. Beim dritten Versuch gab sie nach. Gil-galad stolperte von seinem eigenen Schwung getragen in den Raum.
»Elrond, wo bist du?«, rief er, noch während er sich wieder aufrappelte. Er hastete durch die Zimmer. Wo bei allen Valar war er?
Er wurde im Bad fündig. Elrond hing regungslos über der Wanne und reagierte auch nicht, als Gil-galad in den Raum stürmte. Und grundgütiger, das Blut! Überall war Blut!
Gil-galad fluchte und stürzte zu Elrond. Sein linkes Handgelenk war aufgeschlitzt und als er die blutige Klinge sah, die aus Elronds kraftlosen Fingern geglitten war, wusste Gil-galad sofort, was hier geschehen war.
Ohne lang zu zögern schnitt er mit dem Messer einen Stoffstreifen aus seinem Gewand und schlang ihn um die Wunde, um die Blutung zu stoppen. Seine Finger zitterten.
»Elrond, hörst du mich?«, bettelte Gil-galad. »Bitte, bitte, lass mich nicht zu spät gekommen sein! Hilfe! Ich brauche hier sofort Hilfe! Ein Notfall!«
Er strich Elrond die Haare aus dem Gesicht und konnte gar nicht beschreiben, wie erleichtert er war, als er sah, dass sein Freund noch atmete. Elrond schien im Delirium zu sein, aber ob vom Blutverlust oder etwas anderem konnte Gil-galad nicht sagen.
»Bleib wach, mein Freund«, drang Gil-galad auf ihn ein und verpasste ihm eine Ohrfeige. »Sieh mich an. Ich bin da. Jetzt wird alles gut. Ich habe dich gefunden. Bleib bei mir.« Da noch immer niemand auf seinen Hilferuf reagiert hatte, schrie er erneut. »Hilfe! Verdammt noch mal! Ich brauche hier Hilfe! Sofort!«
In dem Moment stürzte Ceomon herein. Er erfasste die Situation umgehend, rannte wieder nach draußen und kehrte sogleich mit Elronds Notfalltasche wieder.
»Hat er irgendetwas genommen?«, wollte er wissen.
»Ich weiß es nicht«, sagte Gil-galad. »Er ist nicht ansprechbar und reagiert auf nichts, was ich tue.«
Ceomon sah Elrond in die Augen. Die Pupillen waren geweitet. Ohne lang zu fackeln, steckte Ceomon ihm einen Finger in den Hals, um einen Würgereiz auszulösen. Elrond würgte und erbrach sich, und Gil-galad war nie glücklicher gewesen, dass sein kostbares Gewand ruiniert worden war.
»Oh Gnade der Valar, du lebst!«, stieß er aus, während er Elrond hielt.
Elrond hing schlaff in seinen Armen und wirkte apathisch. Aber zumindest war sein Blick nicht mehr leer. Seine Augen waren gerötet vom vielen Weinen und seine Haare in völliger Unordnung. Aber er lebte, egal wie elend er wirkte.
»Warum, Galad?«, wisperte er. »Ich will nicht mehr. Lass mich gehen.«
»Herr, was habt Ihr genommen?«, fragte Ceomon voller Sorge.
»Fliegenpilz«, sagte Elrond matt. »Wie so ein Stümper.«
»Du lebst, das ist alles, was zählt«, beteuerte Gil-galad. Er hob Elrond auf und trug ihn in sein Schlafgemach, um ihn auf das Bett zu legen. Ceomon half ihm, Elrond aus seinen besudelten Gewändern zu schälen. Indes war auch Rethtulu dazu gekommen und hatte die Tür geschlossen, um allzu viel Aufmerksamkeit zu vermeiden.
Elrond ließ es geschehen, als Ceomon seine Wunde ordentlich verband und ihm dann ein Glas Wasser aufzwang. Gil-galad saß sorgenvoll daneben und beobachtete das Geschehen, als Rethtulu ihm eine von Elronds Roben gab, damit er sich umkleiden konnte.
»Elrond, es tut mir leid«, sagte er schließlich reuevoll. »Ich hätte mehr für dich da sein sollen, ich weiß doch, was du derzeit durchleiden musst.«
»Ich will nicht mehr«, murmelte Elrond zum wiederholten Male. »Ich will einfach nicht mehr. Ich ertrage das nicht mehr. Ich Idiot hätte Mohnblumensaft und Bilsenkraut nehmen sollen. Und ich hätte längs schneiden sollen.« Er sah auf sein bandagiertes Handgelenk. »Nicht einmal dazu bin ich fähig.«
Ceomon sah besorgt aus. »Herr, sagt so etwas bitte nicht.«
Stumm liefen Elrond die Tränen über das Gesicht, während er ihre Blicke mied und zur Decke starrte. Gil-galad wusste, dass er an Elros dachte und dass er dorthin gegangen war, wo keiner von ihnen ihm folgen konnte. Das brachte ihn auf eine Idee. Er ergriff Elronds gesunde Hand.
»Ich weiß, gerade ist alles einfach nur furchtbar«, begann er. »Ich weiß, dass du das Licht am Ende des Tunnels nicht sehen kannst. Aber das heißt nicht, dass es nicht da ist. Die Wolken bedecken den Himmel, doch hinter ihnen scheint noch immer die Sonne. Erinnere dich daran.«
Elrond schien ihn nicht zu hören. Seine Haut war aschgrau und sein Blick leer. Ungeahnte Schrecken schienen in seinen Augen, und Gil-galad wollte wirklich nicht wissen, was Elrond in diesem Moment durch den Kopf ging.
Ja, auch er war am Boden zerstört gewesen, als er vom Tod seines Vaters erfahren hatte, doch hatte er nie in den Abgrund blicken müssen, an dem Elrond nun stand. Gil-galad durfte sich eigentlich nicht anmaßen zu behaupten, er würde verstehen, was sein Freund soeben durchleiden musste. Elrond und Elros waren nie ohne den anderen zu denken gewesen und waren selbst dann nie wirklich allein gewesen, als Elros nach Númenor gegangen war und ein ganzes Meer sie trennte. Die Brüder hatten sich davon nicht aufhalten lassen. Sie hatten alle Schrecken, die sie schon als kleine Kinder hatten durchstehen müssen, gemeinsam überwunden.
Und jetzt war Elrond mit einem Mal allein in dieser furchtbaren Welt.
»Ich habe versagt«, wisperte Elrond. »Ich habe dich enttäuscht. Ich habe alle enttäuscht. Nicht einmal dazu bin ich fähig.«
Noch ehe er den Gedanken fortsetzen konnte, unterbrach Gil-galad ihn: »Nein, das hast du nicht, und das habe ich auch nie behauptet. Niemand kann erwarten, dass du jetzt einfach so weiter machst, als wäre nichts gewesen. Es ist in Ordnung, wenn du nicht in Ordnung bist, und ich erlaube dir, dir alle Zeit der Welt zu nehmen, die du brauchst, um das zu überleben. Du schaffst das, ich weiß es. Weil die Sonne über den Wolken immer noch scheint. Und morgen um diese Zeit wirst du dich vielleicht immer noch mieserabel fühlen, aber du wirst froh sein, doch noch hier zu sein.«
Gil-galad zog den Stuhl näher an das Bett und sah Elrond fest in die Augen, als er seine unversehrte Hand zwischen seine Hände nahm.
»Der Vorhang ist gefallen und nichts wird jemals wieder so sein, wie es einst gewesen war. Elros ist nicht mehr und nichts in der Welt kann ihn zurückbringen. Das ist grausam und ungerecht, ich weiß. Aber eines ist geblieben, und das sind die Erinnerungen, und die kann uns keiner nahmen. So lange wie uns seiner erinnern, wird Elros nie wirklich gestorben sein.
Erinnere dich all der schönen Momente, die du mit ihm teilen konntest. Sie sind ein Geschenk, das dir gegeben wurde, ein so unendlich kostbares Geschenk. Dieses Kapitel des Lebens ist endgültig vorüber, aber es war ein schönes, nicht wahr? Es ist ein bittersüßer Schmerz, doch so ist das Leben. So ist der Weg der Atani, und wir können nichts daran ändern. Wir bleiben, und wir erinnern uns – des Schmerzes, aber auch des Lachens und der Freude. Das Leben spielt auf Zeit, kommt, tötet und heilt.* Alles wird einmal vergehen, doch selbst die tieften Wunden werden heilen.
Es wird wohl noch lange schmerzen. Aber erinnere dich stets daran, dass dir keiner nehmen kann, was war.«
»Elros war weiser als ich. Er hat die klügere Wahl getroffen. Ich werde für immer damit leben müssen.« Elrond schluchzte auf.
Gil-galad zog ihn kurzerhand in seine Arme und ließ ihn sich an seiner Schulter ausweinen. Es waren gute, reinigende Tränen.
»Vielleicht war Elros‘ Wahl die klügere, aber auch das ist nun Geschichte und kann nicht mehr geändert werden«, fuhr er leise fort. »Die Dinge sind, wie sie sind, und dir bleibt nur, die Erinnerungen an deinen Bruder zu bewahren. Das war deine Wahl und das ist nun deine Aufgabe.«
Für eine ganze Weile sagte niemand von ihnen etwas. Elrond hing in Gil-galads Armen und weinte sich aus, bis die Tränen den zerschmetternden Schmerz fort gewaschen hatten. Und selbst dann schwiegen sie noch lang.
Schließlich richtete sich Elrond wieder auf und wischte sich über das Gesicht. Er sah noch immer furchtbar aus, aber doch irgendwie wieder voller Leben.
»Du hast Recht«, sagte er mit deutlich festerer Stimme. »Es war schön. Und würde ich vor die Wahl gestellt werden, ich würde wieder alles genau so tun. Doch jetzt geht das Leben weiter.«
arandur – Königsdiener; Qu.; Titel der Truchsessen von Gondor, in meinem HC aber auch der von Gil-galads Berater
ósanwe – Gedanklicher Austausch, Telepathie; Qu.
*Zitat aus dem Lied
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