Nervös stand Zhou Zekai vor der geschlossenen Tür. Hinter besagter Tür war das temporäre Büro des Teamcoachs Ye Xiu. Vor kurzem hatten sie ihre Analyse zum vorherigen Wettkampf abgeschlossen und waren dazu übergangen sich für den nächsten Wettkampf auszuruhen. Aber bevor Zhou Zekai auch nur anfangen konnte sich zu entspannen, überbrachte ihm Sun Xiang eine Nachricht von Ye Xiu. Und nun stand er vor einer verschlossenen Tür, unsicher, ob er diese öffnen sollte oder nicht. Es fiel ihm kein guter Grund ein, warum Ye Xiu mit ihm alleine sprechen wollte. Während ihrer Analyse hatte niemand einen gravierenden Fehler bei seiner Performance während des Kampfes angebracht. Unmöglich konnte das gesamte Team, mit Ausnahme von Ye Xiu, einen schwerwiegenden Fehler übersehen haben. Hatte er sich außerhalb des Wettbewerbs daneben benommen? Aufgrund seiner zurückhaltenden Persönlichkeit interagierte Zhou Zekai kaum mit den Spielern der gegnerischen Mannschaften – er interagierte ja kaum mit seinen eigenen Kollegen. Vielleicht hatte jemand seine Schüchternheit missinterpretiert und nahm sein Verhalten persönlich? Oder war es wegen Etwas, das er während des Interviews nach dem Wettkampf gesagt hatte?
Die Minuten vergingen schneller als ihm lieb war und er konnte keinen Grund finden, warum Ye Xiu ihn gerufen hatte. Er wusste, dass es auch nicht von Bedeutung war, ob er den Grund nun kannte oder nicht, da er dem Treffen nicht entgehen konnte. Für eine kurze Weile konnte er das Treffen aufschieben, aber früher oder später würde Ye Xiu sicherlich nach ihm suchen, und dann könnte sich die Angelegenheit verschlechtert haben. Bis jetzt hatte noch kein Prospieler einen wütenden Ye Xiu erlebt, aber sie alle waren sich einige, dass sie auch niemals einen wütenden Ye Xiu erleben wollten. Huang Shaotian erzählte ihnen manchmal Geschichten über einen wütenden Yu Wenzhou. Diese Geschichten waren furchterregend! Perfektes Material für einen Horrorfilm. Umso ruhiger die Person, umso Furcht einflößender wenn wütend, nicht wahr? Beide, Yu Wenzhou und Ye Xiu, erschienen wie ein unendliches Meer voller Ruhe und Geduld. Aber was wenn diese Ruhe und Geduld nicht unendlich waren? Was wenn sie das Ender erreichten? Zhou Zekai wollte die Antwort auf die letzte Frage gar nicht wissen. Hoffentlich erreichte er nie das Ende von Ye Xius Ruhe und Geduld.
Während er einmal tief durch atmete, öffnete Zhou Zekai die Tür und betrat den Raum, der sich dahinter befand.
Der Raum war nicht sonderlich groß. Es war groß genug für einen Tisch und eine Couch. Ye Xiu saß am Tisch und starrte auf den Monitor, der vor ihm stand. Als Zhou Zekai eintrat, sah er kurz auf. Man musste kein Genie sein, um zu wissen, dass Ye Xiu gerade Glory spielte.
„Setz dich, Xiao Zhou. Ich bin hier gleich fertig.“
Schweigend schloss Xiao Zhou die Tür und begab sich zögerlich zur Couch, um sich hinzusetzen. Sein Blick war durchgehend auf den Boden gerichtet. Außer den Tipp- und Klickgeräuschen der Tastatur und Maus, war es still. Unter anderen Umständen würde er sich daran nicht stören, aber im Moment war es extrem ungemütlich. Seine Hände schwitzten.
Mit seinen Ärmeln oder dem Saum seiner Kleidung zu spielen war eine alte Angewohnheit, die er dachte, vor vielen Jahren abgelegt zu haben. Aber jetzt schien sie wieder zurück zu kommen.
Die Minuten verstrichen. Was machte Ye Xiu eigentlich? Einen Dungeon bezwingen? Einen wilden Boss bekämpfen? PK? Es musste ein schwerer Gegner sein. Ye Xiu war sicherlich nicht in einem Dungeon. Selbst wenn er mit einer erfahrenen Gruppe unterwegs war, würden sie trotzdem ein wenig mit einander über den Sprachchat kommunizieren, nicht wahr? Es war schon einige Zeit her, dass er in einem Dungeon gewesen war. Und ein Kampf gegen einen wilden Boss, konnte auch nicht so ruhig von statten gehen, oder? Also musste Ye Xiu in der Arena sein. Aber gegen wen kämpfte er gerade? Die meisten Gegner, die eine Gefahr oder ein Problem für Ye Xiu darstellen könnten, genossen gerade ihre Freizeit – lesen, schlafen, essen oder andere nicht „Glory“-bezogene Dinge.
So sehr sich Zhou Zekai wünschte, dass ihn diese Fragen ablenken würden, es funktionierte leider nicht. Der Gegner war höchstwahrscheinlich Han Wenqing. Der alte Mann konnte nicht müde werden gegen Ye Xiu anzutreten und gab diesem dabei immer eine Herausforderung.
Das Tippen und Klicken hörte abrupt auf. Zhou Zekai erstarrte. Jetzt war es soweit; jetzt war es Zeit den Grund, wieso er herbestellt wurde, zu erfahren. Er hörte, wie das Headset auf die Tischplatte abgelegt und der Stuhl zurück geschoben wurde. Das Beste war es wohl, sich für was auch immer er getan hatte, zu entschuldigen. Wenn er sich entschuldige, wäre Ye Xiu nicht mehr allzu wütend mit ihm, nicht wahr? Zu keinem Zeitpunkt wollte er mit seinem Verhalten und Handlungen dem Team Schaden bringen; im Moment wusste er leider nur nicht, was genau er falsch gemacht hatte. Ye Xiu war ein geduldiger Mann, der willig war Menschen in seiner Umgebung zu lehren, so lange man willig war zu lernen – und Zhou Zekai war willig!
„Du hast dich großartig geschlagen, Xiao Zhou“, lobte Ye Xiu.
„Es tut mir leid“, antwortete Xiao Zhou.
Ein kurzer Moment voller Stille folgte. Ein kurzer Moment, in dem Zhou Zekai begriff, was der andere gerade gesagt hatte und was er selbst gerade gesagt hatte.
„Nun, ich muss sagen, dass ist eine durchaus eigenartige, aber interessante, Antwort auf mein Lob. Ich hoffe, du weißt, dass es keinen Grund gibt, sich zu entschuldigen, wenn man gelobt wird. Es gibt nichts wofür man sich entschuldigen müsste.“
„Huh?“
Zhou Zekai sah auf. Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
„Ich sagte ‚du hast dich großartig geschlagen, Xiao Zhou‘. Hast du mich versanden? Ich habe dich gelobt.“
Er hatte sich großartig geschlagen? Wo? Während des Kampfes? Ja, er hatte gute Resultate erbracht, aber sie alle hatten das bereits während ihrer Analyse festgestellt. Ihn hier her zu beordern, nur um ihn das noch einmal zu sagen, war ein wenig übertrieben, nicht wahr?
Während Ye Xiu sprach, lehnte er sich gegen seinen Schreibtisch. Zhou Zekai war verwirrt und wusste nicht, wohin er schauen, tun oder sagen sollte. Ein sanftes Lachen klang durch den Raum. Lachte Ye Xiu ihn aus? Erlaubte sich der andere nur einen Scherz mit ihm? Was zur Hölle hatte er verbrochen, um derartiges zu verdienen?
„Ich rede nicht vom Match. Du hast dich dort auch großartig geschlagen, aber das war von dir zu erwarten. Ich rede vom anschließenden Interview. Auch wenn ich wusste, dass du es in dir hast, habe ich nie erwartet, dass du es gegenüber der Presse raus lassen würdest. Du hättest die Gesichter der anderen sehen sollen. Unbezahlbar! Ganz ehrlich, ich hätte nie gedacht, dass Big-eyed-Wangs Auge größer werden könnten, als es eh schon ist.“
Langsam formte sich ein Lächeln auf Zhou Zekais Lippen. Senior Ye Xiu war zufrieden mit ihm! Aber war hatte er in den Spielerinterviews gesagt? Um ehrlich zu sein, konnte Zhou Zekai sich an nichts, dass er während des Interviews sagt oder getan hatte, erinnern. Bevor er ins Interview gegangen war, hatte er beschlossen, mehr als sonst zu sagen und einen guten Eindruck zu hinterlassen. Die Reporter in China waren seine Art bereits gewohnt, aber bevor sie ihn so akzeptiert hatten, musste er einiges an Kritik einstecken, weil er kaum sprach – ihm war sogar unterstellt worden, er sei dumm und arrogant. Heutzutage wusste jeder, dass er kein Mann vieler Worte war und man nahm ihn mehr oder weniger so wie er war. Leider hatte die internationale Presse nicht die Zeit ihn so gut kennen zu lernen und wer wusste schon, was sie sich denken oder schreiben würden. Schlussendlich hatte Zhou Zekai sein Bestes dabei gegeben mehr als „zwei Wort“-Antworten zu liefern. Scheinbar hatte er Erfolg gehabt und wurde nun von Ye Xiu dafür gelobt.
„Ich denke, du verdienst die eine kleine Belohnung. Und ich hoffe, du wirst deine neue Attitüde beibehalten.“
Die Distanz zwischen den beiden Männern war leicht zu schließen – nur ein paar Schritte waren genug für Ye Xiu, um direkt vor Zhou Zekai zu stehen. Ye Xiu lehnte sich vor und hob Xiao Zekais Kinn an. Normalerweise war es der andere, der größer war, aber da Ye Xiu stand und Zekai auf der Couch saß, war es in dieser Situation andersherum. Letzterer sah wieder verwirrte aus, während Ye Xius Gesichtsausdruck vergnügt war.
Sanfte und warme Lippen wurden sacht auf Zhou Zekais gelegt. Verwirrung wurde zu Überraschung, die sich in Freude verwandelte. Trauriger Weise dauerte der Kuss nur einen kurzen Augenblick. Bevor Zekai auf irgendeine Art und Weise reagieren konnte, trat Ye Xiu zurück. Ein Klopfen an der Tür zog Ye Xius Aufmerksamkeit auf sich und machte den eh schon sprachlosen Zekai noch sprachloser.
„Ich werde dann mal gehen. Du solltest auch in den Zimmer zurückkehren und dich erholen. Man sieht sich, Xiao Zhou.“
Und damit verließ Ye Xiu den Raum, dabei ließ er einen sprachlosen, überraschten und verwirrten Xiao Zhou zurück. Besagter sprachloser, überraschter und verwirrter Xiao Zhou starrte noch ein wenig Löcher in die Luft – was war gerade passiert? Hatte ihn Senior Ye Xiu gerade wirklich geküsst? Hatten sich ihre Lippen wirklich berührt? War das nur ein Traum gewesen oder doch Realität? War er gestorben und in den Himmel gekommen?
Wenn er gewusst hätte, dass ein paar mehr Worte, ihm einen Kuss von seinem geliebten Senior einbringen würde, hätte er seine Schüchternheit schon vor langer Zeit besiegt! Bedeutete dies, dass wann immer er seine Schüchternheit überkam, einen Kuss von Ye Xiu bekommen würde? In diesem Fall, würde er von jetzt an Tag und Nacht reden!
Langsam hob Zhou Zekai seine Hände, um sein Gesicht dahinter zu verstecken, um sein dümmliches Grinsen zu verstecken. Wenn jemand ihn jetzt sehen würde, würde dieser wohl denken, dass er den Verstand verloren hatte. Vielleicht hatte er seinen Verstand auch wirklich verloren.
„Aww.“
Er sank tiefer in die Couch, bis er längsseits auf ihr lag, sein Gesicht hinter seinen Händen versteckt. Ye Xiu hatte ihm seinen ersten Kuss gegeben! Bedeutete das, dass Ye Xiu auch Gefühle für ihn hatte? Bedeutete das, dass Ye Xiu von seinen Gefühlen wusste? Bedeutete das, dass er und seine Liebe zu Ye Xiu eine Chance hatte? Freunde überkam Zekais Körper und er wusste nicht, wie er dieses überwältigende Gefühl ausdrücken sollte. Er brauchte einen Beweis, dass der Kuss wirklich passiert war, dass es nicht nur ein Traum gewesen war! Schnell holte er sein Smartphone aus seiner Hosentasche und öffnete Weibo. Schneller als er jemals zuvor, tippte er eine kurze Nachricht, die er höchstwahrscheinlich eines Tages bereuen würde, aber das kümmerte ihn für jetzt erst einmal nicht – ihn interessierte im Augenblick nur sein erster Kuss und dass seine Liebe erwidert wurde.
„<3 akzeptiert“
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